Sebastian Bonnemeier Wertschaffung und Wertaneignung als Erfolgsfaktoren von Lösungsanbietern
GABLER RESEARCH Markt- ...
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Sebastian Bonnemeier Wertschaffung und Wertaneignung als Erfolgsfaktoren von Lösungsanbietern
GABLER RESEARCH Markt- und Unternehmensentwicklung Herausgegeben von Professor Dr. Dres. h.c. Arnold Picot, Professor Dr. Professor h.c. Dr. h.c. Ralf Reichwald, Professor Dr. Egon Franck und Professorin Dr. Kathrin Möslein
Der Wandel von Institutionen, Technologie und Wettbewerb prägt in vielfältiger Weise Entwicklungen im Spannungsfeld von Markt und Unternehmung. Die Schriftenreihe greift diese Fragen auf und stellt neue Erkenntnisse aus Theorie und Praxis sowie anwendungsorientierte Konzepte und Modelle zur Diskussion.
Sebastian Bonnemeier
Wertschaffung und Wertaneignung als Erfolgsfaktoren von Lösungsanbietern Eine konzeptionelle und empirische Untersuchung organisationaler Kompetenzen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Prof. h. c. Dr. h. c. Ralf Reichwald
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität München, 2009
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske | Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1940-3
Geleitwort
V
Geleitwort
Gegenstand der Arbeit von Sebastian Bonnemeier sind hybride Wertschöpfungsprozesse. Dabei handelt es sich um Leistungsbündel von Sachleistungen und Dienstleistungen, die Anbieter im Business-to-Business-Bereich für Geschäftskunden erbringen. Dieses sogenannte Lösungsgeschäft tritt zunehmend an die Stelle der klassischen Industriegüterproduktion und wirft für die betriebs-wirtschaftliche Theorie wie auch für die unternehmerische Praxis Probleme auf, die mit Unsicherheiten, steigender Komplexität, Erfahrungsgewinnung und mit neuen Kompetenzanforderungen verbunden sind, kurz: Es handelt sich um ein aktuelles Forschungsfeld. Lösungsanbieter, deren Wettbewerbskonzept sich darin ausdrückt, dass sie aus einer Kombination von Sachleistungen und Dienstleistungen für ihre Kunden einen Mehrwert generieren, benötigen spezifische Kompetenzen, um die Wertschöpfungsprozesse ihrer Kunden zu optimieren. Für die Wertschaffung beim Kunden ist – so der Tenor der Arbeit – eine sogenannte Lösungskompetenz erforderlich. Im Hinblick auf den Unternehmenserfolg ist es aber ebenso bedeutend, dass der Lösungsanbieter über den erzielten Preis einen Teil des geschaffenen Mehrwerts für sich erfolgswirksam verbuchen kann. Aus der theoretischen Sicht des Resource-based View muss ein Lösungsanbieter neue organisationale Fähigkeiten herausbilden: Lösungskompetenzen, die sich auf den Wertschöpfungsprozess beziehen, sowie Preiskompetenzen, die sich auf die Planung, Festlegung und Durchsetzung von Preisen beziehen. Da es sich in diesem ökonomischen Aktionsfeld der hybriden Wertschöpfung um meist komplexe Transaktionen handelt, die durch Unsicherheiten, Informationsasymmetrien und hohe Spezifitätsanforderungen gekennzeichnet sind, bilden die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik und die Informationsökonomik geeignete theoretische Erklärungsmuster. Die Ergebnisse der Arbeit sind von hohem Erkenntniswert. Der Beitrag liegt dabei sowohl im konzeptionellen als auch im empirischen Bereich. Aus konzeptioneller Sicht liefert die Untersuchung einen systematisierenden Ansatz für das theoretische Verständnis des Lösungsgeschäfts. Mit der Verknüpfung bisheriger Arbeiten zum Lösungs- und Preismanagement in dem entwickelten Untersuchungsmodell der Wertschaffung und der Wertaneignung bringt der Verfasser ein weiteres gelungenes Ergebnis hervor. Ein wesentlicher Beitrag für die theoretische und praktische Durchdringung des Lösungsgeschäftes wird außerdem mit der Modellierung von Determinanten und Erfolgswirkungen hybrider Leistungen vorgelegt. Für die
VI
Geleitwort
Organisationsforschung liefert die qualitativ-empirische Analyse der Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft auf der Basis der Informationsökonomik und der Transaktionskostentheorie wesentliche neue Ergebnisse, die höchste Anerkennung verdienen. Anhand einer umfangreichen quantitativen Untersuchung werden weitere beeindruckende Resultate in Bezug auf Determinanten und Erfolgswirkungen präsentiert, die von höchster Relevanz sind. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen leitet die Arbeit treffsicher Empfehlungen für Theorie und Praxis ab. Ich wünsche der Arbeit eine breite Aufnahme in Wissenschaft und Praxis und dem Leser erkenntnisreiche Einblicke in die Thematik der hybriden Wertschöpfung.
Ralf Reichwald
Vorwort
VII
Vorwort
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht das Angebot kundenindividueller Lösungsangebote als integrierte Kombination aus Sach- und Dienstleistungen. Diesem Thema wird in jüngster Zeit von Forschung und Praxis große Aufmerksamkeit gewidmet – nicht zuletzt ausgelöst durch den groß angelegten Förderschwerpunkt des BMBF zur Integration von Produktion und Dienstleistung. Unternehmen, die überwiegend klassische Sachleistungen verkaufen, sehen sich jedoch beim Wandel zu einem Lösungsanbieter mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, für die Ihnen von der Wissenschaft bislang kaum praktikable Konzepte an die Hand gegeben werden. So scheitert die Transformation zum Problemlöser für den Kunden in der Praxis häufig nicht aufgrund eines Mangels an innovativen Wertschöpfungsmodellen, sondern vielmehr aufgrund organisatorischer Komplikationen. Hier setzt die vorliegende Arbeit an und untersucht Routinen, Prozessschritte und Organisationsmaßnahmen, mittels derer Unternehmen durch Lösungsangebote einen überlegenen Mehrwert für ihre Kunden und durch ein speziell abgestimmtes Preismanagement auch einen Mehrwert für sich selbst erzielen können. Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren 2006 bis 2009 während meiner Zeit am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management der Technischen Universität München im Rahmen meiner Tätigkeit in Forschungsprojekten zur hybriden Wertschöpfung. Auf dem Weg zur Fertigstellung dieser Dissertation wurde ich von zahlreichen Personen unterstützt, denen ich an dieser Stelle ausdrücklich meinen Dank aussprechen möchte. Allen voran danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Prof. h.c. Dr. h.c. Ralf Reichwald, der mir ein Höchstmaß an Forschungsfreiraum und Eigenverantwortlichkeit zugestanden und so entscheidend zur erfolgreichen Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen hat. Herrn Prof. Dr. Helmut Krcmar gilt mein Dank für die zügige Anfertigung des Zweitgutachtens. Frau Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes. Weiterhin danke ich besonders Herrn Christoph Ihl der mich während des gesamten Dissertationsprozesses von der Themenfindung bis zur quantitativen Datenauswertung stets mit seiner Expertise unterstützt hat – zuletzt auch aus der Ferne. Herrn Ferdinand Buriánek gilt mein Dank für die partnerschaftliche Zusammenarbeit in unserem gemeinsamen Forschungsprojekt „HyPriCo“ und die stets konstruktive Kritik an meiner Arbeit. Frank Danzinger danke ich für sein Engagement und seine stete Beharrlichkeit bei der Durchführung unserer gemeinsamen Studie „Kundenstrategie
VIII
Vorwort
2008“. Herzlich danken möchte ich außerdem allen übrigen Lehrstuhlkollegen für die gute Arbeitsatmosphäre und die erlebnisreiche Zeit am „IOM“. Nicht möglich gewesen wäre die Anfertigung dieser Arbeit ohne externe Unterstützung, insbesondere durch Fördermittel. Hierfür gilt mein Dank dem Konsortium des vom BMBF geförderten Verbundprojektes „HyPriCo“ und den Vertretern des Projektträgers im DLR. Außerdem danke ich Herrn Jörn Lehmann vom VDMA für seine wertvolle Kooperation im Zuge der Datenerhebung für die quantitative Studie dieser Arbeit. In diesem Zusammenhang muss auch den zahlreichen Unternehmensvertretern gedankt werden, die an der Umfrage teilgenommen oder für Experteninterviews zur Verfügung gestanden haben. Unermüdliche Unterstützung während der Zeit der Promotion habe ich aus dem privaten Umfeld erhalten. Hier möchte ich meiner Familie und meinen Freunden herzlich Danke sagen für ihr Verständnis und ihren Rückhalt in allen Phasen der Dissertationsentstehung. Ohne sie gäbe es die Arbeit nicht in dieser Form. Sebastian Bonnemeier
Inhaltsverzeichnis
IX
Inhaltsverzeichnis ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ............................................................................... XIII ABBILDUNGSVERZEICHNIS.................................................................................. XV TABELLENVERZEICHNIS .................................................................................... XVII 1
EINFÜHRUNG .................................................................................................... 1
1.1 Wandel der Wertschöpfungsstrukturen ....................................................................... 1 1.2 Problemstellung und Zielsetzung ................................................................................. 4 1.3 Aufbau der Arbeit .........................................................................................................10
2
GRUNDLAGEN DER ARBEIT ...........................................................................14
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes ................................................ 14 2.1.1 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands ....................................................... 14 2.1.2 Abgrenzung von Sach- und Dienstleistungen......................................................... 16 2.1.3 Überblick über die Begriffsvielfalt industrieller Leistungsangebote in der Literatur 21 2.1.4 Eingrenzung des Lösungsbegriffes und Charakteristika des Lösungsgeschäftes .. 30 2.1.4.1 Grad an kundenspezifischer Individualisierung .............................................. 31 2.1.4.2 Grad der Integration ........................................................................................ 33 2.2 Grundlagen des Preismanagements .......................................................................... 34 2.2.1 Begriffsdefinitionen ................................................................................................. 35 2.2.2 Besonderheiten des Preismanagements im B2B-Bereich ...................................... 36 2.3 Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung ........................................ 39 2.3.1 Maßnahmen im Bereich der Wertschaffung ........................................................... 41 2.3.2 Maßnahmen im Bereich der Wertaneignung .......................................................... 44 2.3.3 Bezugsrahmen der Untersuchung .......................................................................... 47
3
THEORETISCHE BEZUGSPUNKTE .................................................................49
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz................................................................................... 49 3.1.1 Definition von Ressourcen und Fähigkeiten ........................................................... 51 3.1.2 Grundkonzept des „Resource-based View“ ............................................................ 53 3.1.3
Von Ressourcen zu Kompetenzen ......................................................................... 57
3.2 Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen ...................... 60 3.2.1 Grundlagen der Prozessorientierung ...................................................................... 60 3.2.2 Prozessorientierung als Mittel zum Kompetenzaufbau ........................................... 63 3.3 Neue Institutionenökonomik ....................................................................................... 71 3.3.1 Transaktionskostentheorie ..................................................................................... 72 3.3.2 Zusammenhang zwischen Transaktionskostentheorie und RBV ........................... 76 3.3.3 Informationsökonomik ............................................................................................ 80
X
Inhaltsverzeichnis
4
LÖSUNGSKOMPETENZ ALS MITTEL ZUR WERTSCHAFFUNG .................. 84
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Ausprägungen von Lösungsangeboten..................................................................... 84 Theoretische Fundierung der Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft......... 89 Neue Kompetenzen für Lösungsanbieter .................................................................. 93 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft ................................................ 97 Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Lösungskompetenz .................................................................................................... 108 4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz .......... 111 4.6.1 Methodisches Vorgehen bei der Expertenbefragung ........................................... 111 4.6.2 Stellhebel und Gestaltungsvariablen der Lösungskompetenz .............................. 113 4.6.3
5
Erkenntnisbeitrag der Exploration......................................................................... 120
PREISKOMPETENZ ALS MITTEL ZUR WERTANEIGNUNG ....................... 123
5.1 Stand der Forschung ................................................................................................. 123 5.1.1 Arbeiten zu Gestaltungsvariablen des Preismanagements .................................. 125 5.1.2 Arbeiten zu Einflussfaktoren des Preismanagements .......................................... 133 5.1.3 Prozessorientierte Arbeiten des Preismanagements ............................................ 135 5.2 Informationsmanagement im Pricing ....................................................................... 139 5.3 Entscheidung und Koordination im Pricing ............................................................ 143 5.4 Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Preiskompetenz .......................................................................................................... 148 5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz ................ 153 5.5.1 Methodisches Vorgehen bei der Expertenbefragung ........................................... 153 5.5.2 Stellhebel und Gestaltungsvariablen der Preiskompetenz ................................... 155 5.5.3 Erkenntnisbeitrag der Exploration......................................................................... 170
6
MODELLBILDUNG UND ABLEITUNG DER HYPOTHESEN ........................ 174
6.1 Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung.. 174 6.1.1 Erfolgswirkung der Wertschaffung ........................................................................ 177 6.1.2 Erfolgswirkung der Wertaneignung....................................................................... 180 6.1.3 Gemeinsame Erfolgswirkung von Wertschaffung und Wertaneignung ................ 183 6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung ...................................... 185 6.2.1 Externe Einflussfaktoren ....................................................................................... 186 6.2.2 Interne Einflussfaktoren ........................................................................................ 192 6.2.2.1 Human Resources ........................................................................................ 193 6.2.2.2 Unternehmenskultur ..................................................................................... 200 6.2.2.3 Preis-Technologie ......................................................................................... 207 6.3 Zusammenfassende Modelldarstellung ................................................................... 209
7
QUANTITATIVE EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ....................................... 210
7.1 Grundlagen der Konstruktmessung ......................................................................... 212 7.1.1 Reliabilität und Validität von Messmodellen ......................................................... 213
Inhaltsverzeichnis
7.1.2
XI
Gütekriterien ......................................................................................................... 215
7.2 Reflektive und formative Messmodelle .................................................................... 220 7.2.1 Reflektive Spezifikation ........................................................................................ 220 7.2.2 Formative Spezifikation ........................................................................................ 222 7.3 Schätzverfahren für reflektive und formative Messmodelle ................................... 230 7.4 Ökonometrische Mehrgleichungsmodelle ............................................................... 234 7.4.1 Grundlagen ........................................................................................................... 234 7.4.2 Gütebeurteilung von Regressionsmodellen .......................................................... 238 7.5 Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung ......................................... 240 7.5.1 Vorgehen bei der Datenerhebung ........................................................................ 240 7.5.2 Qualität der Datengrundlage ................................................................................ 246 7.6 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstrukte..................................... 250 7.6.1 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Gestaltungsvariablen .................... 251 7.6.2 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Erfolgswirkungen .......................... 284 7.6.3 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Einflussfaktoren ............................ 286 7.6.4 Zwischenfazit zur Operationalisierung .................................................................. 295 7.7 Empirische Hypothesenprüfung ............................................................................... 296 7.7.1 Schätzung des simultanen Mehrgleichungsmodells ............................................. 296 7.7.2 Ergebnisse in Bezug auf die Erfolgswirkungen .................................................... 300 7.7.3 Ergebnisse in Bezug auf die externen Determinanten ......................................... 301 7.7.4 Ergebnisse in Bezug auf die internen Determinanten .......................................... 301 7.7.5 Zusammenfassung der Hypothesenprüfung......................................................... 305 7.8 Deskriptive Bestandsaufnahme der Unternehmenspraxis ..................................... 306 7.8.1 Status Quo der Gestaltungsvariablen von Wertschaffung und Wertaneignung ... 306 7.8.2 Erfolgs-Typologien ................................................................................................ 313
8
ZUSAMMENFASSUNG UND IMPLIKATIONEN .............................................325
8.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse .............................................. 325 8.2 Implikationen für die Forschung ............................................................................... 333 8.2.1 Beitrag der Arbeit .................................................................................................. 334 8.2.2 Limitationen und Anknüpfungspunkte für weitere Forschung ............................... 336 8.3 Implikationen und Handlungsempfehlungen für die Praxis ................................... 338
LITERATURVERZEICHNIS ....................................................................................345 STICHWORTVERZEICHNIS ...................................................................................407
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis AGFI
Adjusted Goodness of Fit Index
AMOS Aufl. B2B B2C BMBF bspw. bzgl. bzw. ca. CAD CFI CIM CRM
Analysis of Moment Structures Auflage Business-to-Business Business-to-Consumer Bundesministerium für Bildung und Forschung beispielsweise bezüglich beziehungsweise circa Computer Aided Design Comparative Fit Index Customer Integrated Manufacturing Customer-Relationship-Management
ɖ;
Chi-Quadrat
DEV df d.h. DUV e.V. et al. etc. f. ff. FM GFI ggf. HRM
durchschnittlich erfasste Varianz Anzahl der Freiheitsgrade das heißt Deutscher Universitäts-Verlag eingetragener Verein et alii et cetera folgende fortfolgende Facility Management Goodness of Fit Index gegebenenfalls Human-Resource-Management
Hrsg. i.d.R. inkl. IT Jg. KFA KI LISREL MBV MIMIC ML NIÖ
Herausgeber in der Regel inklusive Informationstechnologie Jahrgang Konfirmatorische Faktorenanalyse Konditionsindex Linear Structural Relationships Market-based View Multiple Indicators and Multiple Causes Maximum Likelihood Neue Institutionenökonomik
XIII
XIV
Abkürzungsverzeichnis
No. Nr. n.s. o.Ä. OEM OLS o.V. p.a. PIMS
Number Nummer nicht signifikant oder Ähnliches Original Equipment Manufacturer Ordinary Least Squares ohne Verfasser per annum Profit Impact of Market Strategies
PLS RBV RMSEA S. SGE SHRM Sp. SPSS TCO u.a. usw. v.a. VDMA VIF vgl. Vol.
Partial Least Squares Resource-based View Root Mean Square Error of Approximation Seite Strategische Geschäftseinheit Strategic Human-Resource-Management Spalte Statistical Package for the Social Sciences Total-Cost-of-Ownership unter anderem/und andere und so weiter vor allem Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. Variance Inflation Factor vergleiche Volume
z.B. z.T.
zum Beispiel zum Teil
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abbildung 15 Abbildung 16 Abbildung 17 Abbildung 18 Abbildung 19 Abbildung 20 Abbildung 21 Abbildung 22 Abbildung 23 Abbildung 24 Abbildung 25 Abbildung 26 Abbildung 27 Abbildung 28 Abbildung 29 Abbildung 30 Abbildung 31 Abbildung 32 Abbildung 33
Aufbau der Arbeit Dimensionen einer Dienstleistung Theoretischer Bezugsrahmen der Untersuchung Das Unternehmen als offenes System Schichtenmodell der organisationalen Wissensbasis Klassische Leistungstypologisierung Das „Star Model“ von Galbraith Phasen des Lösungsprozesses Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz Phasen des Preismanagement-Prozesses Konzeptualisierung des Konstruktes Preiskompetenz Aufteilung des Unternehmenserfolges Modell von SHRM-Komponenten Typen von Unternehmenskultur Gesamtmodell der Untersuchung Vorgehensweise bei der Untersuchung Reflektives Messmodell Formatives Messmodell Regression mit Ein- und Mehrgleichungsmodellen Zusammensetzung der Stichprobe nach Branchen Zusammensetzung der Stichprobe nach Mitarbeiterzahlen Bestandsaufnahme der Gestaltungsvariablen der Wertschaffung Dimensionen der Lösungskompetenz im Branchenvergleich Bestandsaufnahme der Gestaltungsvariablen der Wertaneignung Dimensionen der Preiskompetenz im Branchenvergleich Erfolgs-Typologisierung von Lösungsanbietern „Lösungs-Profis“ und „Lösungs-Verlierer“ im Vergleich Preiskompetenz von „Lösungs-Profis“ und „Lösungs-Verlierern“ „Lösungs-Profis“ und „Lösungs-Vermeider“ im Vergleich Selbsteinschätzung des Leistungsangebotes Preiskompetenz von „Lösungs-Profis“ und „Lösungs-Vermeidern“ „Pricing-Profis“ und „Pricing-Verlierer“ im Vergleich „Pricing-Profis“ und „Pricing-Vermeider“ im Vergleich
11 20 48 64 66 85 100 113 121 155 171 176 195 202 209 211 221 223 235 249 250 308 309 311 312 315 316 317 318 319 320 321 323
Tabellenverzeichnis
XVII
Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Lösungsnahe Konzepte und deren Charakteristika Tabelle 2 Lösungsdefinitionen in der Literatur Tabelle 3 Teilnehmer der Experteninterviews zur Lösungskompetenz Tabelle 4 Branchenverteilung der explorativen Umfrage zur Lösungskompetenz Tabelle 5 Arbeiten zur Gestaltung des Preismanagements Tabelle 6 Einflussfaktoren auf das Preismanagement Tabelle 7 Prozessorientierte Arbeiten des Preismanagements Tabelle 8 Teilnehmer der Experteninterviews zur Preiskompetenz Tabelle 9 Gütekriterien der ersten und zweiten Generation Tabelle 10Leitfragen zur Messmodellspeziikation Tabelle 11Operationalisierung Schaffung von Kunden-/Marktverständnis Tabelle 12Operationalisierung Anforderungsermittlung Tabelle 13Operationalisierung Projektkonfiguration Tabelle 14Operationalisierung Kompetenzdarstellung Tabelle 15Operationalisierung Analyse/Beratung Tabelle 16Operationalisierung Anforderungsumsetzung Tabelle 17Operationalisierung Proaktive Spezifikation Tabelle 18Operationalisierung Design/Konfiguration Tabelle 19Operationalisierung Projektkoordination Tabelle 20Operationalisierung Kundenintegration Tabelle 21Operationalisierung Implementierung/Erbringung Tabelle 22Operationalisierung Service-Management Tabelle 23Operationalisierung Beziehungs-Management Tabelle 24Operationalisierung Support/Betrieb Tabelle 25Operationalisierung Lösungskompetenz Tabelle 26Operationalisierung Preisplanung Tabelle 27Operationalisierung Preisverhalten Tabelle 28Operationalisierung Preisstrategie Tabelle 29Operationalisierung Nutzung interner Quellen Tabelle 30Operationalisierung Nutzung externer Quellen Tabelle 31Operationalisierung Informationsverarbeitung Tabelle 32Operationalisierung Preisanalyse Tabelle 33Operationalisierung Ausgestaltung des Preissystems Tabelle 34Operationalisierung Preisentscheidung Tabelle 35Operationalisierung Preisorganisation Tabelle 36Operationalisierung Preisfestlegung Tabelle 37Operationalisierung Interne Preisdurchsetzung Tabelle 38Operationalisierung Externe Preisdurchsetzung Tabelle 39Operationalisierung Preisdurchsetzung Tabelle 40Operationalisierung Preismonitoring Tabelle 41Operationalisierung Preiscontrolling Tabelle 42Operationalisierung Preiskompetenz Tabelle 43Operationalisierung Unternehmenserfolg Tabelle 44Operationalisierung Wettbewerbsintensität
23 30 112 113 132 134 139 154 220 225 255 256 257 258 259 260 260 261 262 263 263 264 265 265 267 269 270 270 271 272 273 273 274 275 276 276 278 279 279 281 282 283 286 287
XVIII
Tabelle 45Operationalisierung Kundenmacht Tabelle 46Operationalisierung Einsatz von HR Practices Tabelle 47Operationalisierung Unternehmenskultur – „Clan“ Tabelle 48Operationalisierung Unternehmenskultur – „Adhocracy“ Tabelle 49Operationalisierung Unternehmenskultur – „Hierarchy“ Tabelle 50Operationalisierung Unternehmenskultur – „Market“ Tabelle 51Operationalisierung Preis-Technologie Tabelle 52Prüfung der reflektiven Konstrukte auf Diskriminanzvalidität Tabelle 53Ergebnisse der 3SLS-Regression Tabelle 54Zusammenfassung der Ergebnisse der Hypothesenprüfung
Tabellenverzeichnis
288 290 291 292 293 294 295 296 300 305
1.1 Wandel der Wertschöpfungsstrukturen
1
Einführung
1.1
Wandel der Wertschöpfungsstrukturen
1
Industriegüterunternehmen in verschiedenen Branchen sind seit einigen Jahren mit einem fundamentalen Wandel der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert. Treiber dieses Wandels sind ein verschärfter internationaler Wettbewerb und eine zunehmende Homogenisierung der am Markt angebotenen Produkte1 hinsichtlich Technologie und Qualität.2 Unternehmen sehen sich immer mächtigeren Kunden gegenüber, die fortwährend wachsende Ansprüche an die Leistungen des Anbieters stellen.3 Ursächlich hierfür ist ein steigendes Bedürfnis nach Individualisierung auf Nachfragerseite. Kunden verlangen immer speziellere, gezielt auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Sach- und Dienstleistungen.4 Außerdem reagieren Nachfrager in B2B-Branchen ihrerseits auf den wachsenden Marktdruck mit einer verstärkten Auslagerung von Wertschöpfungsaktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gehören, und einer damit verbundenen vertikalen Desintegration der Wertschöpfungsprozesse.5 Damit einher geht die Tendenz, dass viele Kunden dazu neigen, die Zahl ihrer Lieferanten zu verringern und nur noch mit einzelnen ausgewählten Anbietern intensiv zusammenzuarbeiten.6 Infolgedessen sind zahlreiche Industriezweige derzeit durch einen intensiven Preiswettbewerb gekennzeichnet.7 Nach den Ergebnissen einer großzahligen empirischen Studie der Unternehmensberatung McKinsey sehen die befragten Manager den wachsenden Preisdruck im B2B-Bereich als das mit Abstand größte Problemfeld an.8 Gestützt wird diese Aussage durch die Ergebnisse vieler weiterer praxisbezogener Veröffentlichungen und wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. 9 Eine Möglichkeit, mit den Herausforderungen der veränderten wirtschaftlichen
1
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden physische Produkte mit dem Begriff der Sachleistung bezeichnet, um terminologische Unschärfen in der Abgrenzung zu Dienstleistungen und Leistungsbündeln zu vermeiden.
2
Vgl. Garbe (1998), S. 6; Günther (2001), S. 1; Homburg/Faßnacht/Günther (2002b), S. 487.
3
Vgl. Stremersch/Wuyts/Frambach (2001), S. 2; Stremersch et al. (2003), S. 347; Swift (1995), S. 108.
4
Vgl. Huber/Kopsch (2007), S. 620; Reichwald/Piller (2009), S. 24.
5
Vgl. Davies (2004), S. 731; Windahl/Lakemond (2006), S. 808.
6
Vgl. Dorsch/Swanson/Kelley (1998), S. 128; Stump (1995), S. 145.
7
Vgl. Diller (2004b), S. 949.
8
Vgl. o.V. (2005), S. 62.
9
Vgl. Diller (2008), S. 22; Dolan (1995), S. 174; Foster/Gupta (1994), S. 71; Kopka/Wunderlich (2006), S. 11; Simon (2004).
2
1 Einführung
Rahmenbedingungen umzugehen und sich dem Preisverfall zu entziehen, sehen viele Unternehmen in einer stärkeren Dienstleistungsorientierung ihres Leistungsangebotes.10 Zur Differenzierung im Wettbewerb sind einfache Dienstleistungen der Installation und Wartung aber nicht hinreichend, sondern es müssen problemadäquate Lösungen in Form intelligenter Dienstleistungskonzepte angeboten werden, welche die Wertschöpfungsprozesse der Kunden individuell adressieren und nachhaltig optimieren.11 Nur über eine solche Strategie können Unternehmen stagnierenden Umsätzen infolge zunehmender Commoditisierung ihrer Sachleistungen entgegenwirken.12 Erfolgreichen Anbietern gelingt es, je nach Branche, Margen von durchschnittlich 8 bis 11 Prozent zu erzielen.13 In Wissenschaft und Praxis werden solche Strategien von Industriegüterunternehmen derzeit unter Schlagworten wie „Kundenlösung“ oder „Lösungsgeschäft“ intensiv diskutiert.14 Verschiedene aktuelle Befragungen belegen dabei den Trend, dass das Lösungsgeschäft von Praktikern in unterschiedlichsten Branchen als eine zentrale Herausforderung für die Zukunft gesehen wird.15 Gemäß der dominanten Sichtweise in der Literatur sind Lösungen als kundenindividuelle und hoch integrierte Kombinationen aus Sach- und Dienstleistungen definiert.16 Solche Leistungsbündel sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sich das Wertversprechen für den Kunden vom Verkauf physischer Produkte, verbunden bspw. mit Ersatzteilen und Unterstützungsdienstleistungen, hin zu einer Lieferung von „Performance“, Optimierung und Produktivität verschiebt.17 Aus Sicht der Kunden mit gutem Grund: „customers do not look for goods or services per se; they look for solutions that serve their own valuegenerating processes.“18 Der Wandel zum Lösungsanbieter ist für Unternehmen dabei eine oftmals unterschätzte Herausforderung und nicht zwingend Erfolg versprechend, speziell für
10
Vgl. Fang/Palmatier/Steenkamp (2008), S. 1.
11
Vgl. Anderson/Narus (1995), S. 75; Bowen/Siehl/Schneider (1989); S. 79f; Boyt/Harvey (1997), S. 292.
12
Vgl. Cooke (1990), S. 20; Vandermerwe (1993), S. 11. Zum Begriff der Commoditisierung siehe Matthyssens/Vandenbempt (2008), S. 317f., und die dort angegebene Literatur.
13
Vgl. Gebauer/Hildenbrand/Fleisch (2006), S. 55.
14
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 1.
15
Vgl. u.a. Day (2004), S. 18; Sturm/Bading (2008), S. 178f.
16
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 1. Eine ausführliche Diskussion verschiedener Definitionsansätze findet sich in Kapitel 2.1.3.
17
Vgl. Foote et al. (2001), S. 87; Galbraith (2002b), S.196; Miller et al. (2002), S. 6; Phillips/Ochs/Schrock (1999), S. 55f.
18
Grönroos (2000), S. 4.
1.1 Wandel der Wertschöpfungsstrukturen
3
Anbieter, die zuvor tief im Sachleistungsverkauf verwurzelt waren.19 Diese These bestätigt eine Untersuchung, nach der es drei von vier Unternehmen nicht gelingt, nachhaltig vom Lösungsgeschäft zu profitieren.20 Ursächlich hierfür ist, dass Dienstleistungen üblicherweise nicht zu den zentralen Kompetenzen21 von Industrieunternehmen im Bereich der Wertschaffung zählen und deshalb häufig nur als „notwendiges Übel“ zusätzlich zu den Sachleistungen offeriert werden.22 In der Selbstwahrnehmung neigen außerdem viele Unternehmen dazu, sich als Lösungsanbieter zu verstehen, obwohl sie ihren Kunden nur einfache Leistungsbündel ohne überlegenen Mehrwert anbieten.23 Ein weiterer wesentlicher Grund für mangelnden Erfolg im Lösungsgeschäft besteht häufig darin, dass es Anbietern nicht gelingt, beim Kunden angemessene Preise für ihre Lösungsangebote durchzusetzen.24 Die Zielvorgabe für Lösungsanbieter besteht hierbei nach Meinung der Literatur darin, die höheren Kosten für die Individualisierung des Leistungsangebotes durch eine wertorientierte statt einer kostenbasierten Bepreisung auszugleichen und so insgesamt höhere Margen zu realisieren.25 Derzeit sind wertorientierte Preissetzungsverfahren aber in der Praxis noch nicht weit verbreitet, was u.a. in Problemen der objektiven Messbarkeit des generierten Wertes und geringer Akzeptanz innovativer Abrechnungsmethoden auf Kundenseite begründet liegt.26 Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass das Angebot von Sachleistungen mit intelligenten Dienstleistungskonzepten als kundenindividuelle Lösungen für Industrieunternehmen einerseits einen Ausweg aus dem verschärften Preiswettbewerb darstellen kann. Andererseits ergeben sich aber aus den Charakteristika des Lösungsgeschäftes selbst wiederum spezielle Anforderungen an das Preismanagement des Anbieters. Hier setzt die vorliegende Arbeit an und adressiert das Lösungsgeschäft über die beiden grundlegenden Prozessperspektiven der Wertschaffung und der Wertaneignung.27
19
Vgl. Bowen/Siehl/Schneider (1989), S. 80; Brown (2000), S. 11.
20
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 1.
21
Vgl. zum Kompetenzbegriff ausführlich Abschnitt 3.1.3.
22
Vgl. Schuh/Speth (2000b), S. 12f.
23
Vgl. Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 117.
24
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 7; Roegner/Seifert/Swinford (2001), S. 94; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 13.
25
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 8; Gebauer/Friedli (2005), S. 70.
26
Vgl. Hünerberg/Hüttmann (2003), S. 723; Sawhney (2006), S. 377.
27
Vgl. Mizik/Jacobson (2003), S. 63.
4
1 Einführung
1.2
Problemstellung und Zielsetzung
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Lösungsgeschäft steht noch relativ am Anfang. So bemängeln Reichwald/Möslein (1997): „Wir wissen heute noch fast nichts darüber, wie Leistungsbündel, die Kunden- und Marktbedürfnissen gleichermaßen Rechnung tragen, systematisch und unter strategischen Gesichtspunkten entwickelt, gestaltet und kooperativ erstellt werden können.“28 Seither hat das Ausmaß an Arbeiten zum Lösungsgeschäft zwar wesentlich zugenommen, steht aber noch immer in einem starken Kontrast zur großen wirtschaftlichen Bedeutung der Thematik. So ist festzustellen, dass in jüngerer Zeit Forscher mit unterschiedlicher theoretischer Fundierung versuchen, Chancen und Problemfelder von Lösungsangeboten herauszuarbeiten. Bislang fehlt es allerdings an einer konsistenten Literaturbasis. Ebenso wenig ist ein klarer Bezug zu etablierten Theoriekonzeptionen zu erkennen. Dominiert wird das Themenfeld von praktikerorientierten Aufsätzen und Beraterkonzepten, die primär anhand von Existierende Erfolgsgeschichten einzelner Unternehmen argumentieren.29 theoretische Arbeiten thematisieren oftmals nur implizit Aspekte des Lösungsgeschäftes und greifen dazu auf verschiedene theoretische Bezugspunkte zurück. Beispielhaft zu nennen wären etwa produktbegleitende Dienstleistungen30, Leistungssysteme31, Leistungsbündel32 oder integrierte Lösungen33. Hinzu kommen spezielle Leistungsbezeichnungen wie beispielsweise Betreibermodelle 34, FullService-Kontrakte35 oder Performance Contracting36. Unternehmen, die bislang klassische Sachleistungen verkauft haben, sehen sich beim Wandel zum Lösungsanbieter mit einigen Herausforderungen konfrontiert,37 die eine Neugewichtung der organisationalen Kompetenzen und die Herausbildung
28
Reichwald/Möslein (1997), S. 93.
29
Vgl. etwa Foote et al. (2001); Galbraith (2002b); Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003); Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003); Miller et al. (2002).
30
Vgl. u.a. de Brentani (1995); Homburg/Garbe (1996); Homburg/Faßnacht/Günther (2002a); Kumar/Kumar (2004).
31
Vgl. u.a. Davies/Brady (2000); Davies/Brady/Hobday (2007); Homburg/Stock/Kühlborn (2005); Homburg/Kühlborn/Stock (2005); Stremersch et al. (2003); Wilson/Weiss/John (1990).
32
Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993); Roth (2006).
33
Vgl. u.a. Sawhney (2006); Wise/Baumgartner (1999).
34
Vgl. Freiling/Buse/Weißenfels (2004); Wildemann (2008).
35
Vgl. Stremersch/Wuyts/Frambach (2001).
36
Vgl. Backhaus/Kleikamp (1998), S. 75ff.; Kleikamp (2002).
37
Vgl. hierzu ausführlich die Abschnitte 4.3 und 4.4.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
5
neuer Fähigkeiten und Prozesse erforderlich machen.38 Solche Routinen, Prozessschritte und Organisationsmaßnahmen, die es Unternehmen ermöglichen, die Wertschaffungsstrategie des Lösungsgeschäftes erfolgreich zu implementieren, sind bislang jedoch noch wenig untersucht, insbesondere kaum auf empirischer Basis. Auch Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass es Industrieunternehmen häufig an entsprechendem Management-Know-How und dem Bewusstsein für einen professionellen Umgang mit Dienstleistungen bzw. Lösungsangeboten fehlt.39 Die wissenschaftliche Forschung leistet hierzu bislang kaum Hilfestellung: Wie Böhmann/Krcmar (2007) zutreffend feststellen, scheitert der Wandel zum Lösungsanbieter in der Praxis nicht aufgrund eines Mangels an innovativen Wertschöpfungskonzepten, sondern vielmehr aufgrund organisatorischer Herausforderungen.40 Gemäß dem Theorieansatz des „Resource-based View“ (RBV) bildet die Ressourcenausstattung eines Unternehmens die entscheidende Voraussetzung zur Generierung von dauerhaften Wettbewerbsvorteilen und Unternehmenserfolg.41 Nach Wissen des Autors liegen bisher jedoch keine theoretisch fundierten und empirisch gesicherten Arbeiten mit einem umfassenden Fokus auf Ressourcenausstattung und -einsatz für Wertschaffungsstrategien im Lösungsgeschäft vor. Um diese Lücke zu schließen, erfolgt die vorliegende Untersuchung schwerpunktmäßig anhand des ressourcenbasierten Ansatzes und orientiert sich somit an der Prämisse, dass der Erfolg einer Wertschaffungsstrategie wesentlich vom Ressourceneinsatz des Anbieters beeinflusst wird. Identifiziert werden dabei strategisch relevante intangible Ressourcen und Kompetenzen sowie geeignete Prozesse für deren zielgerichteten Einsatz im Lösungsgeschäft. Hierzu wird als theoretische Fundierung ergänzend zum „Resource-based View“ die Literaturströmung zur Prozessorientierung integriert. Erste Hauptzielsetzung der Arbeit ist eine theoretische und empirische Analyse der wertschaffenden Prozesse bei Lösungsangeboten und deren Erfolgswirksamkeit. Lösungen stellen kundenindividuelle, integrierte Bündelangebote aus Sach- und Dienstleistungen dar.42 Aufgrund ihres z.T. immateriellen Charakters und der Kombination mehrerer unterschiedlicher Teilleistungen zeichnen sie sich aus
38
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 361; Cornet et al. (2000), S. 4; Hobday/Davies/Prencipe (2005), S. 1127; Shepherd/Ahmed (2000), S. 103ff.; Windahl et al. (2004), S. 220.
39
Vgl. Schuh/Speth (2000a), S. 456f. und S. 463.
40
Vgl. Böhmann/Krcmar (2007), S. 241.
41
Vgl. Barney (1991), S. 100; Wernerfelt (1984), S. 172.
42
Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 2.1.4.
6
1 Einführung
Kundensicht häufig durch hohe Komplexität und Intransparenz aus.43 Hieraus resultiert eine mangelnde Vergleichbarkeit zu anderen am Markt verfügbaren Angeboten, was beim Kunden aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten zur Qualitätsbeurteilung Unsicherheit hervorruft.44 In diesem Zusammenhang vermag das Theoriengebäude der Neuen Institutionenökonomik ergänzende Erklärungsansätze für die Erfolgswirkung der Wertschaffung im Lösungsgeschäft zu liefern. In der vorliegenden Arbeit wird dabei anhand der Transaktionskostentheorie argumentiert, dass Lösungsanbieter durch beziehungsbezogene Maßnahmen im Bereich der Wertschaffung die Unsicherheit aus Nachfragersicht reduzieren und damit die Bereitschaft zum Kauf erhöhen können.45 Verstärkt wird die Nachfragerunsicherheit im Kontext von Lösungsangeboten durch asymmetrisch verteilte Informationen zwischen Anbieter und Kunde. Diese sind Analyseobjekt der Informationsökonomik, weshalb die vorliegende Arbeit zur Erklärung des Erfolges im Lösungsgeschäft ergänzend auch auf diese Theorie zurückgreift. Dabei wird argumentiert, dass die Nachfragerunsicherheit durch gezielte Maßnahmen der Informationsübertragung im Zuge des Wertschaffungsprozesses reduziert werden und so die Entscheidung zur Beschaffung von Lösungsangeboten begünstigt werden kann. Allerdings erlaubt die Wertschaffungsperspektive alleine noch keine umfassende Betrachtung des Unternehmenserfolges. Nach Auffassung führender Autoren ist zusätzlich die komplementäre Dimension der Wertaneignung zu betrachten.46 Als geeignetes Mittel zur Wertaneignung des Anbieters wird dabei in der Literatur insbesondere das Preismanagement angesehen.47 Wie in Abschnitt 1.1 bereits skizziert, ist das Pricing48 speziell im Lösungsgeschäft mit einigen neuen Herausforderungen konfrontiert. Aber auch außerhalb dieses spezifischen Kontextes hat die Bedeutung des Preises als Marketinginstrument in jüngerer Zeit verstärkt zugenommen, nicht nur im Geschäft mit Endverbrauchern (B2C), sondern besonders auch im B2B-Bereich (Geschäftskunden). Dies ist vor allem dem bereits beschriebenen Preisdruck in vielen Branchen geschuldet. Zu diesem tragen neben der zunehmenden Commoditisierung bei Industriegütern die stetige Professionalisierung 43
Vgl. Burianek et al. (2007), S. 15; Simão (2006), S. 5.
44
Vgl. Dahlke (2001), S. 123; Hildebrand (1997), S. 84; Meyer (1991), S. 200; Müller (2007), S. 45; Reichwald et al. (2006c), S. 118; Zeithaml/Bitner (2000), S. 34.
45
Vgl. ausführlich Abschnitt 4.2.
46
Vgl. Foss (2003); Foss/Foss (2005); Lepak/Smith/Taylor (2007); Priem (2007); Sirmon/Hitt/Ireland (2007); Williamson (1999).
47
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 616; Forman/Hunt (2005), S. 133; Simon (2004), S. 1089; Simon/Fassnacht (2005), S. 281.
48
Die Begriffe Preismanagement, Preispolitik und Pricing werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Einen definitorischen Überblick liefert Abschnitt 2.2.1.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
7
der Einkaufsorganisationen auf Kundenseite, wachsende Preistransparenz durch zunehmend vernetzte Lieferketten und der Eintritt preisaggressiver Wettbewerber aus Niedriglohnländern bei.49 In vielen Unternehmen sind außerdem Kostensenkungspotenziale bereits weitgehend ausgeschöpft. Ohnehin kommen verschiedene Autoren zu dem Ergebnis, dass Preiserhöhungen einen weitaus größeren Einfluss auf den Gewinn haben als Kostensenkungsmaßnahmen.50 Dieser Situation steht ein hohes Verbesserungspotenzial bei der Implementierung des Preismanagements in der unternehmerischen Praxis gegenüber.51 Festzustellen ist in vielen Unternehmen eine eher geringe Professionalisierung des Pricings, die sich in fehlerhaftem Entscheidungsverhalten des Managements äußert und nicht selten ruinöse Preiskriege und kontinuierliche Margenerosionen zur Folge hat.52 Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur die geringe wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik des Preismanagements im Vergleich zu anderen Marketinginstrumenten bemängelt53 und Kritik an einer fehlenden Umsetzungsorientierung existierender Forschungsarbeiten geübt.54 Dieses Defizit liegt vor allem darin begründet, dass die Mehrheit der vorhandenen Arbeiten auf den Grundlagen der mikroökonomischen Preistheorie aufbaut,55 deren als unrealistisch einzustufende Prämissen56 eine Übertragung der gewonnenen Erkenntnisse auf praktische Fragestellungen kaum zulassen.57 Gefordert wird daher bereits seit Ende der 1970er Jahre, nicht weiter die Inhalte von Preisentscheidungen zu analysieren, sondern stärker zu untersuchen, wie solche Entscheidungen getroffen und praktisch umgesetzt werden können. Dies lenkt den Fokus der Untersuchung weg von einer einmaligen Optimierung des Transaktionspreises hin zur Gestaltung von Preisprozessen, denen von Wissenschaft und Praxis inzwischen wachsendes Interesse entgegengebracht wird.58
49
Vgl. Diller (2004b), S. 949; Dolan (1995), S. 174; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 1; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 4.
50
Vgl. Huckemann/Dinges (1998), S. 22; Marn/Roegner/Zawada (2004), S.4ff.; Simon/Fassnacht (2009), S. 2f.
51
Vgl. Garda (1992), S. 75; Simon/Dolan (1997), S. 14; Simon/Fassnacht (2009), S. 9f.
52
Vgl. Florissen et al. (2001), S. 99f.; Marn/Roegner/Zawada (2004), S. 143ff.; Ross (1984), S. 145f.
53
Vgl. LaPlaca (1997), S. 192.
54
Vgl. Monroe/Della Bitta (1978), S. 426.
55
Vgl. Bonoma/Crittenden/Dolan (1988), S. 338; Rao (1984), S. 40; Wiegmann (1977), S. 17.
56
Vgl. Krelle (1976a), S. 2f.; Wiltinger (1998), S. 13.
57
Vgl. Cunningham/Hornby (1993), S. 46f.; Wiegmann (1977), S. 46.
58
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 616; Florissen (2005), S. 22f.; Kossmann (2008), S. 16; Schuppar (2006), S. 71; Simon (2004), S. 1089; Simon/Fassnacht (2005), S. 282; Steffenhagen/Truka (2006), S. 40; Wiltinger (1998), S. 20f.
8
1 Einführung
Die vorliegende Untersuchung hat deshalb als zweites Hauptziel die theoretische und empirische Analyse der organisatorischen Implementierung von PricingProzessen als Kompetenz im Bereich der Wertaneignung. Anhand des Resourcebased View und der Prozessorientierung identifiziert die Arbeit dabei analog zur Wertschaffung erfolgsrelevante Ressourcen und Kompetenzen sowie geeignete Prozesse des Preismanagements. Für eine erweiterte Betrachtung der Erfolgswirkung von Maßnahmen zur Wertaneignung werden wieder Bezugspunkte aus der Neuen Institutionenökonomik integriert. Die Transaktionskostentheorie erlaubt dabei ein erweitertes Verständnis von Preisverhandlungen zwischen Anbieter und Kunde, 59 und die Informationsökonomik liefert einzelne Hinweise für den Erfolgsbeitrag von Maßnahmen zur Erhebung und Übertragung von Preisinformationen im Rahmen des Pricing-Prozesses.60 Eine Auswertung der vorhandenen Literatur zeigt, dass prozessuales Preismanagement bislang von konzeptionellen und qualitativempirischen Arbeiten dominiert wird, die zudem auch nur sehr vereinzelt den B2BKontext adressieren.61 Eine Arbeit, die sich umfassend auf theoretischer und empirischer Basis mit Preisprozessen im Lösungsgeschäft auseinandersetzt, existiert nach Wissen des Autors bis dato nicht. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass eine Analyse der beiden komplementären Dimensionen Wertschaffung und Wertaneignung im Lösungsgeschäft hohe Bedeutung für die Unternehmenspraxis hat, um der zunehmenden Commoditisierung vieler Sachleistungen und dem damit verbundenen Preisdruck begegnen zu können. Die wissenschaftliche Durchdringung beider Dimensionen weist teilweise noch erhebliche inhaltliche und methodische Lücken auf: Forschungsbedarf besteht einerseits in der konzeptionellen Verankerung des Lösungsbegriffes und in der prozessbezogenen Untersuchung von Aktivitäten bei der organisatorischen Implementierung des Lösungsgeschäftes. Andererseits fehlt es im Bereich der Wertaneignung an einer umfassenden Analyse umsetzungsorientierter Aktivitäten für das Preismanagement und deren Erfolgswirksamkeit. Aus diesen Defiziten leiten sich die bereits angeführten Hauptziele der Arbeit und die zugrunde liegenden Forschungsfragen ab. Die Vorgehensweise der Untersuchung erstreckt sich dabei auf drei Bereiche: Analyse der Ausgestaltung von Wertschaffung und Wertaneignung In diesem Untersuchungsziel werden elementare Stellhebel der Wertschaffung und der Wertaneignung identifiziert, die Unternehmen im Lösungsgeschäft „bedienen“
59
Vgl. ausführlich Abschnitt 2.3.2 und 3.3.2.
60
Vgl. Schuppar (2006), S. 51f.
61
Siehe für einen detaillierten Literaturüberblick Kapitel 5.1.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
9
können. Dabei geht es im ersten Schritt um die Konzeption zentraler Gestaltungsvariablen hinsichtlich wertschaffungs- und wertaneignungsbezogener Entscheidungen und Prozesse. Im zweiten Schritt werden die Gestaltungsvariablen für eine quantitative empirische Untersuchung operationalisiert, d.h. über geeignete Indikatoren messbar gemacht. Zur Konzeption und Operationalisierung stützt sich die Arbeit auf den ressourcenorientierten Ansatz, theoretische Bezugspunkte der Forschung zum Lösungsgeschäft und zum Preismanagement sowie eine umfangreiche qualitative Exploration. Forschungsfrage eins zu diesem Untersuchungsabschnitt lautet: 1. Was sind zentrale Routinen, Prozesse und Praktiken der Wertschaffung und der Wertaneignung? Von Interesse ist darüber hinaus, wie sich die Ausgestaltung der genannten Stellhebel in der Praxis im Vergleich verschiedener Branchen und Unternehmenskontexte darstellt. Hierzu wird ergänzend Forschungsfrage zwei formuliert: 2. Wie stellt sich der Status Quo von Wertschaffung und Wertaneignung in der Praxis dar? Untersuchung der Erfolgsauswirkung von Wertschaffung und Wertaneignung Gegenstand dieses Analysefeldes ist die Frage, wie die Prozesse der Wertschaffung und Wertaneignung verschiedene Erfolgskennzahlen im Unternehmen beeinflussen. Dazu werden zunächst aus der Literatur für den Untersuchungskontext der Arbeit relevante Erfolgsauswirkungen abgeleitet und anschließend empirisch in Bezug auf die Ausprägungen der Gestaltungsvariablen für Wertschaffung und Wertaneignung überprüft. Forschungsfrage drei hierzu lautet: 3. Wie wirken Gestaltungsvariablen der Wertschaffung und der Wertaneignung auf den Unternehmenserfolg? Analyse der Einflussfaktoren von Wertschaffung und Wertaneignung Die Ausprägungen der Gestaltungsvariablen von Wertschaffung und Wertaneignungen sowie deren Erfolgswirksamkeit hängen von verschiedenen Faktoren ab. Zu nennen wären als unternehmensinterne Konzepte beispielsweise das HumanResource-Management und die Unternehmenskultur.62 Hinzu kommen externe Faktoren, die nicht in der Macht des Anbieters liegen, wie z.B. der eingangs bereits
62
Vgl. Barney (1986a); Deshpandé/Farley/Webster (1993); Homburg/Fassnacht/Guenther (2003); Ritson et al. (2002).
10
1 Einführung
erwähnte Anstieg der Wettbewerbsintensität. Für den dritten Untersuchungsgegenstand der Arbeit lässt sich daher als Forschungsfrage vier formulieren: 4. Welche zentralen Determinanten existieren für die Gestaltungsvariablen der Wertschaffung und Wertaneignung, und welchen Einfluss haben diese auf deren Erfolgswirksamkeit? Aus den aufgeworfenen Forschungsfragen wird deutlich, dass in der vorliegenden Arbeit beide grundlegenden Aufgaben wissenschaftlicher Forschung, Hypothesenerkundung (Induktion) und Hypothesenprüfung (Deduktion) verbunden werden. Die induktive Vorgehensweise hat die Entwicklung neuer Theorien und Hypothesen zum Ziel und hilft, deduktiv konzeptionalisierte Zusammenhänge auf der Grundlage empirischer Daten zu ergänzen und weiterzuentwickeln.63 Die deduktive Forschungsaufgabe besteht demgegenüber darin, durch empirische Untersuchungen zu überprüfen, inwieweit aus Theorien und Voruntersuchungen abgeleitete Hypothesen in der Realität haltbar sind.64 Aufgrund des bisher geringen Kenntnisstandes in Bezug auf die Gestaltungsvariablen der Wertschaffung und der Wertaneignung ist ein rein deduktives Vorgehen nicht ausreichend und die einzelnen Stellhebel des Lösungs- und Preismanagements müssen zusätzlich auf induktivem Wege ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden Abschnitt der Ablauf der Untersuchung dargestellt. 1.3
Aufbau der Arbeit
Zur Erreichung der beschriebenen Zielsetzungen folgt die Arbeit dem in Abbildung 1 dargestellten Schema. Die drei Untersuchungsstufen zur Beantwortung der Forschungsfragen finden sich im Hauptteil der Arbeit ab Kapitel 4 wieder.
63
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 30f.
64
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 30.
1.3 Aufbau der Arbeit
11
Abbildung 1
Aufbau der Arbeit
Im Einzelnen ist die Untersuchung wie folgt aufgebaut: Das zweite Kapitel legt die inhaltlichen und konzeptionellen Grundlagen der Arbeit. Dazu wird zunächst in
12
1 Einführung
Kapitel 2.1 ausführlich in das Lösungsgeschäft eingeführt und damit die Basis für die weiteren Ausführungen geschaffen. In Abschnitt 2.2 erfolgt die Definition zentraler Begriffe im Rahmen des Preismanagements und die Darlegung von Besonderheiten des B2B-Pricings. Die Dimensionen der Wertschaffung und der Wertaneignung werden darauf aufbauend in Abschnitt 2.3 vertiefend dargestellt und in den Bezugsrahmen der Untersuchung überführt. Gegenstand von Kapitel 3 sind die theoretischen Bezugspunkte der Arbeit. Hierbei wird schwerpunktmäßig auf den ressourcenbasierten Ansatz (Kapitel 3.1), die Prozessorientierung (Kapitel 3.2) und einzelne Bereiche aus der Neuen Institutionenökonomik eingegangen (Kapitel 3.3). Im vierten Kapitel beginnt der Hauptteil der Arbeit mit einer vertieften Betrachtung von Lösungsangeboten als Wertschaffungsstrategie in Abschnitt 4.1. Darauf aufbauend werden in den Abschnitten 4.2 bis 4.4 unter Integration der theoretischen Bezugspunkte die Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft, die Herausbildung neuer organisationaler Kompetenzen sowie notwendige Anpassungen der Organisationsstrukturen für die Lösungsvermarktung analysiert. Nach einem Zwischenfazit und der Definition von Lösungskompetenz (Kapitel 4.5) erfolgt schließlich auf Basis qualitativempirischer Erkenntnisse die Konzeptualisierung der Gestaltungsvariablen der Wertschaffung (Kapitel 4.6). Analog verläuft das Vorgehen in Kapitel 5 für den zweiten Inhaltsstrang zum Preismanagement: Nach einer detaillierten Bestandsaufnahme der Literatur (Abschnitt 5.1) erfolgt in einer umfassenden Betrachtung die Integration theoretischer Bezugspunkte im Hinblick auf Informations-, Koordinationsund Entscheidungsprobleme im B2B-Preismanagement (Kapitel 5.2 und 5.3). Diese Analyse wird in Abschnitt 5.4 zusammengefasst und in die Definition von Preiskompetenz überführt. Auf Basis qualitativ-empirischer Erkenntnisse wird in Abschnitt 5.5 sodann die Konzeptualisierung der Gestaltungsvariablen der Wertaneignung vorgenommen. Kapitel 6 führt die beiden Themenstränge der Arbeit wieder zusammen. Dabei wird aus der Konzeption von Erfolgsauswirkungen (Abschnitt 6.1) und Einflussfaktoren (Abschnitt 6.2) der Wertschaffung und der Wertaneignung das Hypothesenmodell für die quantitativ-empirische Untersuchung in Kapitel 7 abgeleitet. Nach einer Darstellung der grundlegenden Anforderungen an empirische Forschung in Abschnitt 7.1 werden in den folgenden Unterkapiteln 7.2 bis 7.4 die verschiedenen Vorgehensweisen zur Konstruktspezifikation und Dependenzanalyse, die in der vorliegenden Arbeit benötigt werden, vorgestellt. Nach der Beschreibung der empirischen Datenbasis der Hauptstudie (Abschnitt 7.5) erfolgt in Kapitel 7.6 eine umfangreiche Entwicklung der Messmodelle für die Gestaltungsvariablen der Wertschaffung und der Wertaneignung sowie die Operationalisierung und Gütebeurteilung aller Konstrukte. Auf dieser Basis werden in den Abschnitten 7.7
1.3 Aufbau der Arbeit
13
und 7.8 zunächst die Untersuchungshypothesen getestet und anschließend anhand verschiedener deskriptiver Auswertungen der Status Quo in der Praxis untersucht. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick in Kapitel 8. Dabei werden auf Basis der konzeptionellen und empirischen Ergebnisse Implikationen für Forschung und Praxis diskutiert und vor dem Hintergrund möglicher Limitationen des gewählten Forschungsdesigns kritisch reflektiert.
14
2 Grundlagen der Arbeit
2
Grundlagen der Arbeit
Ziel dieses Abschnittes ist neben der Darstellung des theoretischen Bezugsrahmens die Bestimmung zentraler Begriffe, deren Verständnis die Grundlage für die weiteren Ausführungen bildet. Aufbauend auf dem Untersuchungsziel der Arbeit – der Analyse von Wertschaffung und Wertaneignung im Lösungsgeschäft – erfolgt zunächst eine umfassende Literaturaufarbeitung zur begrifflichen Fundierung des Lösungsgeschäftes (Abschnitt 2.1). Daran anschließend werden zentrale Begriffe des Preismanagements definiert (Abschnitt 2.2). In Abschnitt 2.3 wird schließlich ausführlich auf die theoretische Differenzierung zwischen Wertschaffung und Wertaneignung eingegangen und der Bezugsrahmen der Arbeit abgeleitet. 2.1
Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
Dieser Abschnitt stellt die Grundlagen des Lösungsgeschäftes für die vorliegende Arbeit bereit. In der Literatur liegt kein einheitliches Verständnis des Begriffes Lösung im Sinne eines Vermarktungsobjektes vor. Aus diesem Grund ist es notwendig, nach einer Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes (Abschnitt 2.1.1) den zentralen Begriff Lösungsanbieter zu definieren und von verwandten Konzepten abzugrenzen. Zunächst wird dazu in Kapitel 2.1.2 auf Sach- und Dienstleistungen als grundlegende Bestandteile von Lösungen eingegangen. Daran schließt sich in Kapitel 2.1.3 ein Überblick über die derzeitige Verwendung des Lösungsbegriffes und verwandter Termini in Wissenschaft und Praxis an. Kapitel 2.1.4 schließlich liefert eine genaue definitiorische Bestimmung und Charakterisierung des Lösungsgeschäftes. 2.1.1
Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
In der vorliegenden Arbeit werden Wertschaffung und Wertaneignung bei Lösungsangeboten im Business-to-Business-Bereich untersucht. Der Begriff B2BBereich als Grundlage für die Eingrenzung des Untersuchungsfokus bedarf dabei einer Klärung. Im Marketing existiert keine einheitliche Bezeichnung für das Marktverhalten von Organisationen, die Investitionsgüter bzw. industrielle/investive Dienstleistungen65 an andere Organisationen absetzen. Unstrittig ist lediglich, dass derartigen Transaktionen ein organisationaler Charakter beizumessen ist und dass
65
Vgl. Abschnitt 2.1.2 für einen Überblick über verschiedene Dienstleistungs-Begriffe.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
15
sie der Befriedigung einer derivativen Nachfrage dienen, die durch private Haushalte oder andere Organisationen induziert sein kann.66 Grundsätzlich zielt das Marketing in derartigen Konstellationen auf das BeziehungsManagement zwischen den an der Transaktion beteiligten Partnern ab und wird in der Literatur mit Begriffen wie Business-to-Business-Marketing bzw. BusinessMarketing67, Investitionsgütermarketing68, Industriegütermarketing69, industrielles Marketing70 und Kontraktgütermarketing71 belegt. Zwar finden sich zwischen den genannten Termini zahlreiche Übereinstimmungen, dennoch sind sie nicht so stark identisch, dass eine synonyme Verwendung gerechtfertigt erscheint. Insbesondere die Bezeichnung Business-to-Business-Marketing wird von Backhaus/Voeth (2004) nicht als deckungsgleich mit den Begriffen industrielles, Industriegüter- und Investitionsgütermarketing angesehen, auch wenn diese in der Literatur häufig austauschbar verwendet werden. Das B2B-Marketing bezieht sich auch auf den Absatz von Sach- und Dienstleistungen an den Groß- und Einzelhandel und deckt insoweit ein breiteres Feld ab als industrielles, Industriegüter- und Investitionsgütermarketing. 72 Demgegenüber setzt der Begriff Investitionsgütermarketing etymologisch bei der Bezeichnung der Investition als Anlagetätigkeit an und umfasst dementsprechend üblicherweise nur Güter, für die eine Investitionsentscheidung getroffen wird.73 Die Bezeichnung Industriegütermarketing wiederum suggeriert eine Vermarktung der Leistungen an Abnehmer aus dem Industriegüterbereich, wodurch Dienstleistungsunternehmen, der Handel und öffentliche Abnehmer unberücksichtigt bleiben.74 Für die vorliegende Arbeit sind diese Begriffsauffassungen zu restriktiv. Da ein umfassendes Verständnis von Wertschaffung und Wertaneignung angestrebt wird und sich die zu untersuchenden Lösungsangebote in der Praxis nicht auf Industrieund Investitionsgüterunternehmen beschränken, wird im weiteren Verlauf vom Business-to-Business-Bereich gesprochen. Dieser Begriff begrenzt den Untersuchungsfokus nicht unnötig und ermöglicht außerdem eine stärkere
66
Vgl. Godefroid (2003), S. 23; Günter (1997), S. 214; Homburg/Krohmer (2006), S. 1054f.; Kleinaltenkamp/Rudolph (2002), S. 285; Kleinaltenkamp (2000), S. 173; Richter (2001), S. 11.
67
Vgl. Michel et al. (2003), S. 1ff.; Kleinaltenkamp (1994), S. 77f.; Kleinaltenkamp (2000), S. 173f.
68
Vgl. Engelhardt/Günter (1981), S. 24; Engelhardt/Witte (1990), S. 5.
69
Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 4ff.
70
Vgl. Plinke (2000), S. 101.
71
Vgl. Kaas (1995b), S. 8.
72
Vgl. Backhaus/Voeth (2004), S. 7; Backhaus/Voeth (2007), S. 5.
73
Vgl. Richter (2001), S. 13.
74
Vgl. Godefroid (2003), S. 23; Kleinaltenkamp (2000), S. 173f.; Richter (2001), S. 12.
16
2 Grundlagen der Arbeit
Ausdifferenzierung der Betrachtung, da hierbei die Art der in den Austausch involvierten Partner im Vordergrund steht und weniger die Kategorie der vermarkteten Sach- und Dienstleistungen.75 Wie im weiteren Verlauf der Arbeit aufgezeigt wird, ist dies insbesondere für die Analyse der neuartigen Wertversprechen von Lösungsangeboten vorteilhaft. Der folgende Abschnitt wendet sich nun der Unterscheidung von Sach- und Dienstleistungen als Grundlage von Lösungsangeboten zu. 2.1.2
Abgrenzung von Sach- und Dienstleistungen
Wie in der Einleitung bereits skizziert, setzen sich Lösungsangebote nach Meinung der Literatur aus Sach- und Dienstleistungen zusammen.76 Die Abgrenzung dieser beiden Leistungsarten zur Entwicklung eines konsistenten Dienstleistungsbegriffes wird von der Wissenschaft seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Nach Kotler/Keller/Bliemel (2007) ist ein Produkt alles, „was einer Person angeboten werden kann, um ein Bedürfnis oder einen Wunsch zu befriedigen.“77 Hierbei kann ein substanzielles, erweitertes oder generisches Produktkonzept unterschieden werden.78 Der substanzielle Produktbegriff bezieht sich auf ein „abgrenzbares, physisches Kaufobjekt“79 und schließt somit Dienstleistungen in der Betrachtung aus. Das erweiterte Produktkonzept umfasst dagegen ein Leistungspaket aus Produkten und Dienstleistungen zum Zwecke der umfassenden Bedürfnisbefriedigung. Ob aus dieser Perspektive heraus auch eine Dienstleistung als Produkt zu bezeichnen wäre, ist in der Literatur allerdings umstritten.80 Während Homburg/Krohmer (2006) den Produktbegriff auch für Dienstleistungen verwenden,81 findet sich beispielsweise bei Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008) eine klare Trennung.82 Der generische Produktbegriff beinhaltet als am weitesten gefasster Terminus sämtliche materiellen und immateriellen Produktfacetten, die den Nutzen für den Nachfrager bewirken, bspw. auch Prestige, Geltung und Status.83 Das generische Produktverständnis stammt aus dem deutschen Sprachraum und ist ähnlich umfangreich wie das im 75 76
Vgl. Jacob (1995), S. 35; Kleinaltenkamp (2000), S. 174. Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 1. Definitionsansätze findet sich in Kapitel 2.1.3.
77
Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 12.
78
Vgl. Meffert (2000), S. 332f.
Eine
ausführliche
Diskussion
verschiedener
79
Brockhoff (1999), S. 14.
80
Vgl. Bruhn (2007), S. 123; Homburg/Krohmer (2006), S. 562ff.; Kotler (1972), S. 46ff.
81
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 563.
82
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 28f. Die Autoren weisen jedoch auf das zunehmende gemeinsame Angebot von Sach- und Dienstleistungen hin.
83
Vgl. Bruhn/Homburg (2004), S. 588.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
17
anglo-amerikanischen Bereich vertretene „Total Product Concept“ von Levitt: „People buy products (whether purely tangible products, purely intangible products, or hybrids of the two) in order to solve problems. Products are problem-solving tools.“84 In der vorliegenden Arbeit werden (tangible) Produkte, anders als bei Levitt, nicht als originäre Problemlösungen verstanden, sondern zur besseren Abgrenzung von Dienstleistungen und Lösungen mit produzierbaren Sachgütern gleichgestellt und entsprechend als Sachleistungen bezeichnet. Die kontroverse Diskussion über eine Differenzierung zwischen Sach- und Dienstleistungen hat in der Literatur zu einer Vielzahl von Definitionen des Dienstleistungsbegriffes geführt.85 Die Gründe hierfür liegen insbesondere in unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven, die den jeweiligen Forschungstraditionen zugrunde liegen.86 Grundsätzlich lassen sich aber drei Gruppen von Ansätzen unterscheiden, denen die meisten Definitionsversuche zugeordnet werden können:87 Enumerative Definitionen, Negativdefinitionen und Definitionen über konstitutive Merkmale. Bei den enumerativen Dienstleistungsdefinitionen wird eine Definition von Dienstleistungen durch Aufzählung von Beispielen vorgenommen, wohingegen negative Definitionen unter Dienstleistungen alle Leistungen subsumieren, die keine Sachleistungen sind.88 Beide Definitionsansätze eignen sich nur sehr eingeschränkt für eine klare Abgrenzung von Dienstleistungen, weil sie kaum Anhaltspunkte für einen konkreten Forschungsansatz liefern. Enumerative Ansätze genügen nicht den Anforderungen an wissenschaftliche Definitionen, da die Herstellung theoretischer Zusammenhänge zwischen den aufgezählten Beispielen der Interpretation des Lesers überlassen bleibt.89 Negativdefinitionen wiederum können allenfalls als „wissenschaftliche Verlegenheitslösung“ 90 bezeichnet werden, da sie nur die Abgrenzung zu Sachleistungen erlauben, nicht jedoch eine Begriffskonstitution im eigentlichen Sinne.91 Am umfangreichsten ist die Strömung von Arbeiten, die Dienstleistungen über konstitutive Merkmale definieren. Überwiegend akzeptiert sind in der Literatur als konstitutive Merkmale die Integration
84
Levitt (1986), S. 76.
85
Vgl. Nüttgens/Heckmann/Luzius (1998), S.15.
86
Vgl. Meyer (1990), S. 176. Ein Überblick über die Vielfalt an Definitionsansätzen findet sich beispielsweise bei Benkenstein/Güthoff (1996) und Maleri (1997).
87
Vgl. Corsten (1985), S. 173; Engelhardt/Schwab (1982), S. 503; Meyer (1990), S. 176; Reichwald/Schaller (2004), S. 297.
88
Vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 29.
89
Vgl. Burr (2000), S. 22.
90
Vgl. Meyer/Tostmann (1979), S. 22.
91
Vgl. Corsten (1985), S. 174.
18
2 Grundlagen der Arbeit
externer Faktoren in den Prozess der Leistungserstellung, die Immaterialität und das uno-actu Prinzip: x Immaterialität: Bei Dienstleistungen steht im Gegensatz zu einer tangiblen Sachleistung ein immaterielles Leistungsversprechen des Anbieters im Vordergrund, auf dessen Basis der Nachfrager seine Wahlentscheidung trifft. Die Immaterialität hat zur Folge, dass Dienstleistungen nicht lagerbar und nicht übertragbar sind.92 x Integration externer Faktoren: Ein externer Faktor ist ein Produktionsfaktor, der zeitlich begrenzt von außen in den Verfügungsbereich des Anbieters gelangt und mit internen Faktoren im Leistungserstellungsprozess kombiniert wird, z.B. Personen (mit unterschiedlichen Aktivitätsgraden) und/oder deren Objekte, Tiere, Rechte, Nominalgüter sowie Informationen.93 Die Dienstleistungserbringung ist dabei ohne die aktive oder passive Mitwirkung eines externen Faktors prinzipiell unmöglich. Das Ausmaß der Integration kann je nach Kontext sehr unterschiedlich ausfallen.94 x Uno-actu-Prinzip: Dienstleistungen sind durch die Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsum gekennzeichnet, was durch das uno-actu-Prinzip zum Ausdruck gebracht wird. Dies bedeutet, dass die Leistungserstellung durch den Anbieter und die Inanspruchnahme der Leistung durch den Kunden zeitlich zusammenfallen.95 Mit Corsten (2001) ist jedoch einschränkend anzumerken, dass sich die Simultanität von Produktion und Konsum nicht auf alle Phasen der Dienstleistungserstellung bezieht, sondern nur bei der Faktorendkombination
92
Vgl. de Brentani (1991), S. 36; Grönroos (1990), S. 29; Hilke (1989), S. 15; Maleri (1997), S. 39; Meyer (1983), S. 21ff.; Zeithaml/Parasuraman/Berry (1985), S. 35.
93
Vgl. Corsten (1990), S. 92; Engelhardt/Freiling (1995), S. 906; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 416; Fließ (2001), S. 28; Hilke (1989), S. 12; Kleinaltenkamp (2002), S. 445; Lengnick-Hall (1996), S. 798; Maleri (2001), S. 136. Externe Faktoren weisen dabei folgende Merkmale auf: Sie sind für den Anbieter nicht frei am Markt disponierbar und bleiben vor, während und nach dem Erstellungsprozess wenigstens teilweise in der Verfügungsgewalt des Abnehmers. Außerdem wird während des Leistungserstellungsprozesses auf die externen Faktoren eingewirkt und sie wirken ihrerseits auf den Dienstleistungsanbieter ein (vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 65). Inwieweit Informationen des Kunden tatsächlich als externe Faktoren anzusehen sind, wird in der Literatur kontrovers diskutiert (vgl. für einen Überblick Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 402). Die vorliegende Arbeit folgt der Auffassung, dass Informationen externe Faktoren sind, da diese Sichtweise im Lösungsgeschäft von Relevanz sein kann.
94
Vgl. Berekoven (1983), S. 14; Corsten (1990), S. 18f.; Grönroos (1990), S. 30. In neueren Arbeiten wird dieses Prinzip der Kundenintegration breiter aufgefasst und auf andere Bereiche der Wertschöpfung wie beispielsweise das Innovationsmanagement ausgeweitet (vgl. Reichwald/Piller (2009)).
95
Vgl. Berekoven (1983), S. 14; de Brentani (1991), S. 37; Grönroos (1990), S. 29; Meyer (1987), S. 25ff.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
19
relevant wird,96 was insbesondere im hier betrachteten industriellen Kontext von Bedeutung ist. Neben diesen drei Merkmalen wird bei den konstitutiven Definitionen eine Unterscheidung der Dienstleistung nach Phasen bzw. Dimensionen vorgenommen:97 Potenzial-, Prozess-, und Ergebnis-Dimension (vgl. Abbildung 2). Unter der potenzialorientierten Dimension werden die Fähigkeit und die Bereitschaft verstanden, mit einer Kombination aus Potenzialfaktoren tatsächlich eine Dienstleistung zu erbringen.98 Aus den Fähigkeiten, der Bereitschaft und einer Kombination interner Faktoren wird das Dienstleistungspotenzial des Anbieters gebildet. In der prozessorientierten Dimension wird konkret der Nachfrager betrachtet: Diese Phase beschreibt den Erstellungsprozess der Dienstleistung als Prozess zur Konkretisierung der Potenzialfaktoren an externen Faktoren (Kunden oder deren Objekte).99 Mit dem Einbezug des Kunden als konstitutives Merkmal beginnt die Umsetzung der Dienstleistung. Der Kunde wird so zu einem prozessauslösenden und prozessbegleitenden Element.100 Die ergebnisorientierte Phase beschreibt den Zustand nach Abschluss des Leistungserstellungsprozesses. Dieses Resultat kann sowohl prozessualer bzw. materieller Art sein, als auch den eigentlichen Zielen der Dienstleistungstätigkeiten und deren Wirkungen entsprechen, also immaterieller Natur sein.101 Je nach Ausprägung der in den konstitutiven Definitionsansätzen identifizierten Merkmale kann der Unterschied zwischen Sach- und Dienstleitungen marginal sein. Burr (2000) verweist beispielsweise auf die Auftragsfertigung nach Kundenspezifikation im Anlagenbau,102 bei welcher der Kunde ebenfalls integriert werden muss. Corsten (1990) verwendet für solche Fälle den Begriff der „Auftragsleistung“ und merkt ebenso die hierbei allenfalls graduellen Unterschiede zu Dienstleistungen an.103
96
Vgl. Corsten (2001), S. 28.
97
Vgl. Reichwald/Schaller (2004), S. 297f.
98
Vgl. Schuh/Friedli/Gebauer (2004), S. 9f.
99
Vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 29.
100
Vgl. Scheer/Grieble/Klein (2006), S. 25.
101
Vgl. Hilke (1989), S. 15; Meyer (1991), S. 197.
102
Vgl. Burr (2000), S. 22.
103
Vgl. Corsten (1990), S. 172.
20
2 Grundlagen der Arbeit
Dienstleistungsnachfrager bringt sich selbst oder sein Objekt in den Prozess ein (Externer Faktor)
Dienstleistungsanbieter hält Leistungsbereitschaft vor, indem er interne Produktionsfaktoren (Ressourcen) kombiniert
Dienstleistungsprozess: Leistungsbereitschaft kombiniert mit dem externen Faktor
Dienstleistung als immaterielles Gut (die Wirkung konkretisiert sich am Nachfrager oder am Objekt)
Phase A:
Phase B:
Phase C:
„Dienstleistung“ im Sinne von
„Dienstleistung im Sinne von:
„Dienstleistung“ im Sinne von:
Fähigkeit und Bereitschaf t zur Erbringung einer Dienstleistung
Tätigkeit (als Tun oder Verrichten)
Ergebnis einer Tätigkeit
Potenzialdimension
Prozessdimension
Abbildung 2
Dimensionen einer Dienstleistung
Ergebnisdimension
104
Diese trotz intensiver Definitionsbemühungen noch immer vorhandenen Abgrenzungsschwierigkeiten haben dazu geführt, dass einige Autoren sich zunehmend von einer analytischen Trennung der beiden Leistungstypen abwenden. Argumentiert wird vor allem, dass in der unternehmerischen Praxis ohnehin stets Leistungsbündel aus Sach- und Dienstleistungsbestandteilen vermarktet würden.105 Diese Leistungsbündel unterscheiden sich voneinander nur durch den Grad an Immaterialität und das Ausmaß der Integration externer Faktoren.106 Insbesondere in der englischsprachigen Literatur wird im Zuge dieser Entwicklung ein Paradigmenwechsel hin zu einer „Service-dominant Logic“ proklamiert.107 Maßgeblich ist für die Autoren nicht mehr eine Unterscheidung zwischen Sach- und Dienstleistungen, sondern die Betonung der Wertschöpfung aus der Sicht des Kunden.108 In den Blickpunkt rückt nicht mehr der Output des anbieterseitigen
104
In Anlehnung an Hilke (1989), S. 15; Scheer/Grieble/Klein (2006), S. 24.
105
Vgl. hierzu besonders die Position von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 407, und Engelhardt/Reckenfelderbäumer (2006), S. 219.
106
Vgl. Belz et al. (1997), S. 31; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 411.
107
Vgl. Grönroos (1994); Vargo/Lusch (2004a); Vargo/Lusch (2004b); Vargo/Lusch (2008), S. 256.
108
Vgl. Edvardsson/Gustafsson/Roos (2005), S. 118.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
21
Produktionssystems, sondern der Input für das Produktionssystem des Abnehmers und damit auch dessen Kunde auf der nächsten Wertschöpfungsstufe.109 In der Folge steht also nicht mehr eine einzelne Transaktion, sondern der gesamte Austauschprozess im Vordergrund der Kunden-Anbieter-Beziehung.110 Interaktion, Verbundenheit und eine kontinuierliche, vertrauensvolle Beziehung zwischen Anbieter und Kunde sind dabei von größter Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Das in der vorliegenden Arbeit betrachtete Konzept des Lösungsgeschäftes bildet die logische Konsequenz einer solchen Integration des Anbieters in die Wertschöpfungskette des Kunden.111 Diese Betrachtung wird im nächsten Abschnitt detaillierter ausgeführt, gleichwohl soll in der vorliegenden Arbeit aus didaktischen Gründen für die weiteren Untersuchungsschritte ein konkretes Dienstleistungsverständnis zugrunde gelegt werden. Die Arbeit orientiert sich dabei an der in der Literatur häufig zitierten Sichtweise von Meyer (1991) und definiert Dienstleistungen demnach als „angebotene Leistungsfähigkeiten, die direkt an externen Faktoren (Menschen oder deren Objekte) mit dem Ziel erbracht werden, an ihnen gewollte Wirkungen (Veränderung oder Erhaltung bestehender Zustände) zu erreichen.“112 2.1.3
Überblick über die Begriffsvielfalt industrieller Leistungsangebote in der Literatur
Trotz der im vorigen Abschnitt beschriebenen Bemühungen zur Überwindung der analytischen Trennung von Sach- und Dienstleistungen konnte sich in der Literatur bislang keine dominante Bezeichnung für diese neue Form der Marktleistung etablieren. Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen die im Sinne der oben genannten Leistungsbündel oder der „Service-dominant Logic“ argumentieren. Begriffe wie Lösungen, Hybride Produkte, Value Added Services/Products, Bundling, Leistungsbündel, Systeme und Leistungssysteme werden dabei jedoch häufig uneinheitlich oder untereinander synonym verwendet.113 Bei Autoren, die sich auf die Betrachtung des Managements von Dienstleistungen im industriellen Bereich konzentrieren, sind Bezeichnungen wie industrielle 114, investive115, produkt-
109
Vgl. Normann (2001), S. 71.
110
Vgl. Vargo/Lusch (2004a), S. 15.
111
Vgl. Cova/Salle (2008), S. 272.
112
Meyer (1991), S. 198.
113
Vgl. Burianek et al. (2007), S. 1; Scheer/Grieble/Klein (2006), S. 26f.; Sturm/Bading (2008), S. 174.
114
Vgl. Luczak et al. (2006), S. 444.
115
Vgl. Büker (1991); Engelhardt/Schwab (1982).
22
2 Grundlagen der Arbeit
orientierte116 oder produktbegleitende Dienstleistungen117 vorzufinden. Damit werden jeweils immaterielle Leistungsangebote bezeichnet, die Industriegüterhersteller ergänzend zu Sachleistungen offerieren.118 Daneben finden Begriffe für spezielle Leistungsbeziehungen (u.a. Betreibermodelle, Performance Contracting, usw.) Verwendung, bei denen der Hersteller anstatt für seinen Output in Form einzelner Leistungen oder Leistungsbündel nur noch für das Leistungsergebnis (z.B. Verfügbarkeit) entlohnt wird. Diese Art der Leistungen kann als umfassende Dienstleistung bezeichnet werden.119 Ein anderer Literaturstrang unternimmt eine integrative Betrachtung von Sach- und Dienstleistungen in der Investitionsgüterindustrie. Hier finden sich u.a. Begriffe wie (Leistungs-) Systeme120, (Kunden-) Lösungen121, (investive) Produkt-ServiceSysteme122. Eine Übersicht über verschiedene lösungsnahe Ansätze in der Literatur liefert die nachfolgende Tabelle 1, ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können. Von besonderer Relevanz für die vorliegende Untersuchung sind Arbeiten mit integrativem Fokus. Hier wird betont, dass die Integration von Sach- und Dienstleistungen in Form von Lösungen („Solutions“) zu einer neuen Marktleistung führt,123 die allein mit etablierten sachleistungsorientierten Managementsystemen und ergänzendem dienstleistungsspezifischem Wissen nicht effektiv und effizient beherrschbar ist.124 Stattdessen ist die Berücksichtigung neuer Gestaltungsvariablen, wie sie im weiteren Verlauf dieser Arbeit untersucht werden, erforderlich.
116
Vgl. Emmrich (2005), S. 10f.
117
Vgl. Rainfurth (2003), S. 22ff.
118
Für diese Bezeichnungen gelten damit analog dieselben Restriktionen, die in Abschnitt 2.1.1 für die Begriffe Industriegütermarketing und Investitionsgütermarketing beschrieben wurden.
119
Vgl. Kleikamp (2002), S. 5f.
120
Vgl. Belz (1997), S. 12.
121
Vgl. Niepel (2005), S. 36f.
122
Vgl. Aurich/Fuchs/Jenne (2005), S. 538.
123
Vgl. Davies (2004), S. 732; Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 122ff.; Niepel (2005), S. 30; Sawhney (2006), S. 366f.
124
Vgl. Niepel (2005), S. 33.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes Konzept
23 Definition/Charakteristika
Hybride Produkte Burianek et al. (2007) Kersten/Zink/Kern (2006) Spath/Demuß (2003)
Gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit über Differenzierung von Sachleistungen mittels zusätzlicher Dienstleistungen in Form einer integrierten Betrachtung. Zwei Formen:
Bundling Stremersch/Tellis (2002)
x Price Bundling: Kaufanreiz über Preisnachlass x Product Bundling: Mehrwert entsteht durch Verbindung mehrerer Leistungen Dienstleistungen werden unabhängig von Sachleistungen erbracht, d.h. Kunden können Dienstleistungen eines Anbieters beanspruchen, ohne dessen Sachleistung nachzufragen.
Product-Service Mathieu (2001b) Mathieu (2001a) Full-Service Stremersch/Wuyts/Frambach (2001)
Functional products Kumar/Kumar (2004)
Operational service Oliva/Kallenberg (2003) Systeme Backhaus (1993) Homburg/Kühlborn/Stock (2005) Homburg/Stock/Kühlborn (2005) Paliwoda/Bonaccorsi (1993)
Umfassendes Bündel aus Sach- und/oder Dienstleistungen, die vollständig die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden bezogen auf ein bestimmtes Ereignis oder Problem adressieren. Der Kunde bezieht die Funktion einer Sachleistung, nicht die Sachleistung selbst. Kunden sind dabei nicht verantwortlich für Betrieb und Wartung, sondern verfügen lediglich über den Zugriff auf die entsprechende Technologie, ohne Eigentümer einer Maschine zu sein. Sehr hoher Grad an Serviceausprägung, bei dem operative Risiken sowie Wartung und Betrieb ganzer Prozesse des Kunden übernommen werden. Systembegriff hat zwei Perspektiven: x Technologisch orientierte Systemtechnologie als Kombination von Leistungen aus Serien- und Einzelfertigung x Integrierte probleme
Lösungen
für
komplexe
Kunden-
Leistungssysteme Belz (1997) Belz et al. (1997) Niepel (2005)
Integrierte Lösungen für spezielle Kundengruppen, im Rahmen derer eine Verknüpfung von Produkten und Dienstleistungen zu einer geschlossenen Problemlösung erfolgt.
Servicification Normann (2001)
Betonung liegt nicht mehr auf dem Output des anbieterseitigen Produktionsprozesses, Leistungen werden stattdessen als Input für den Wertschöpfungsprozess des Kunden aufgefasst. Der Fokus der Betrachtung verschiebt sich von der Produktion hin zur Nutzung.
Servitization Vandermerwe/Rada (1988) Tabelle 1
Vermarktung umfassender Angebotspakete aus kundenbezogenen Kombinationen von Sachleistungen, Dienstleistungen, Support, Self-Service und Wissen, wobei die Dienstleistungsanteile zu dominieren beginnen. Lösungsnahe Konzepte und deren Charakteristika
Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass in den meisten Konzepten auf mehr oder weniger integrierte Kombinationen aus Sach- und Dienstleistungen Bezug genommen wird. Dennoch bleiben die Aussagen der Autoren häufig vage, gerade im Hinblick auf die Spezifizierung des zentralen Begriffes „Kundenbedürfnisse“, und beziehen sich
24
2 Grundlagen der Arbeit
teilweise sowohl auf Konsumgüter- als auch auf Industriegütermärkte (z.B. Bundling und Leistungssysteme). Dies erschwert den Vergleich von Ergebnissen und Schlussfolgerungen unterschiedlicher Arbeiten. Grundsätzlich lässt sich ein Lösungsangebot als Antwort auf ein Problem auffassen.125 Diese Einsicht mutet zunächst trivial an, führt aber dazu, dass sich der Betrachtungsfokus weg von den eigentlichen Sach- oder Dienstleistungen hin zum Ergebnis der Leistungserbringung – der Lösung des Kundenproblems – verschiebt.126 Aus der Liste in Tabelle 1 kommen dieser Sichtweise neben dem Konzept der „Servicification“ von Normann (2001) die Ansätze der Systeme und der Leistungssysteme am nächsten. Im Industriegütermarketing ist der Begriff des Systems als Gütertyp seit längerem gebräuchlich. Traditionell werden Großanlagen, wie z.B. Kraftwerke oder Raffinerien mit dem Systembegriff verbunden.127 In der Literatur lassen sich dabei zwei Perspektiven unterscheiden: Zum einen werden Systeme als technologisch orientierte Systemtechnologie verstanden und stellen somit eine Kombination von serien- und einzelgefertigten Sachleistungen dar, „die auf Basis einer bestimmten Systemphilosophie miteinander vernetzt werden.“128 Ziel dieser Vernetzung von Einzelkomponenten ist es, einen höheren Nutzeneffekt für die Abnehmer zu erzielen. Zum anderen kann ein System als umfassende Problemlösung definiert werden: „Systems selling is based on the integration of two or more products and related know-how. A systems seller does not offer mere products and services, but integrated solutions to complex customer problems.“129 Aus vermarktungsorientierter Sicht wird hier vom Systemgeschäft gesprochen. Für die vorliegende Untersuchung ist lediglich diese zweite Perspektive relevant, welche aus mindestens zwei Leistungskomponenten (Sach- und/oder Dienstleistungen) bestehende Systeme als Problemlösungen für Kunden betrachtet. Die Komponenten können dabei auch einzeln vermarktet bzw. genutzt werden.130 Der Begriff Leistungssystem ist vor allem durch verschiedene Arbeiten von Belz und Kollegen geprägt.131 Leistungssysteme sind nach ihrer Ansicht grundsätzlich als
125
Vgl. Eades (2004), S. 10.
126
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 40; Griffiths (2004), S. 34; Windahl/Lakemond (2006), S. 807.
127
Vgl. Backhaus (1987), S. 2.
128
Backhaus (1993), S. 75.
129
Paliwoda/Bonaccorsi (1993), S. 156.
130
Vgl. Homburg/Kühlborn/Stock (2005), S. 539.
131
Vgl. Belz (1997); Belz et al. (1991); Belz et al. (1997).
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
25
„integrierte Lösungen für spezielle Kundengruppen“132 zu verstehen. Dazu legen die Autoren die folgende, sehr umfangreiche Definition des Begriffes vor: „Leistungssysteme ... ... verknüpfen Problemlösung;
Produkte
und
Dienstleistungen
zu
einer
geschlossenen
... schaffen aus Einzelteilen ein transparentes Paket ohne „Leistungs-Ballast“; ... fördern mit besonders attraktiven Leistungskomponenten die Profilierung und den Absatz anderer Teile mit geringen Wettbewerbsvorteilen; ... sind für abgegrenzte Kundengruppen konzipiert; ... definieren den Beitrag der Unternehmung zum Kundenproblem neu und erweitern das einbezogene Umfeld des Einsatzes der Leistung beim Kunden; ... gestalten das dynamische Zusammenspiel von Kunden, Handel, Konkurrenz und eigenem Angebot und erweitern die Gesamtleistung der Unternehmung schrittweise; ... berücksichtigen bessere Problemlösungen für Kunden in der gesamten Kommunikation und im Preis.“133 Der Unterschied des Leistungssystembegriffes zum Systembegriff besteht darin, dass dieser die Dienstleistungskomponenten als besondere Instrumente zur Schaffung umfassender Problemlösungen betrachtet und zum Vorteil für Anbieter und Nachfrager bewusst Verbundeffekte zwischen (auch unabhängig voneinander vermarktbaren) Einzelleistungen ausgestaltet.134 Beide Begriffe decken sich jedoch nicht vollständig mit der im weiteren Verlauf dieser Arbeit vertretenen Sichtweise von Lösungen. Wie in Kapitel 4.6.2 noch detailliert auszuführen ist, wird dem Lösungsgeschäft als Wertschaffungsstrategie in Übereinstimmung mit Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) sowie Reichwald/Piller (2009) der relationale Prozess einer interaktiven Wertschöpfung mit dem Kunden zugrunde gelegt. Diese prozessorientierte Sichtweise der Kundenintegration ist über beide obigen Begriffsverständnisse nicht abgedeckt. Speziell Systeme zielen außerdem regelmäßig nur auf operative Kundenbedürfnisse ab, Lösungen hingegen sollen dazu beitragen, dass die Kunden auch strategische Ziele (z.B. Marktentwicklung) erreichen können.135 Weitestgehend deckungsgleich mit der hier verfolgten
132
Belz (1997), S. 20.
133
Belz et al. (1991), S. 1.
134
Vgl. Zerr (1994), S. 21.
135
Vgl. Cova/Salle (2008), S. 272; Davies/Brady/Hobday (2007), S. 185.
26
2 Grundlagen der Arbeit
Sichtweise ist das Konzept des „Hybriden Produkts“136. Da unter diesem Oberbegriff jedoch eine Vielzahl von Leistungsbündeln subsumiert werden kann,137 wird in dieser Arbeit im Hinblick auf Wertschaffungsstrategien für den Kunden der konkretere Lösungsbegriff bevorzugt, da dieser ex definitione das Kundenproblem im Fokus hat. Die nachfolgende Tabelle 2 vermittelt einen detaillierten Überblick über Definitionsansätze für das Lösungsgeschäft. Dabei zeigt sich, dass im Wesentlichen zwei Ansichten über die Abgrenzung des Begriffes bestehen: Eine anbieterbezogene und eine nachfragerbezogene Sichtweise.138 Die erste Perspektive konzeptualisiert Lösungen als Bündel aus Sach- und Dienstleistungen, die individuell auf einzelne Kunden zugeschnitten sind.139 Die zweite Perspektive ist breiter ausgerichtet und verwendet zur Definition von Lösungen über die Kriterien der ersten Gruppe hinaus eine enge wechselseitige Beziehung zwischen Anbieter und Kunde, die u.a. Gemeinschaftsproduktion und Risikoteilung nach sich zieht.140
136
Der Begriff „Hybrides Produkt“ wurde 1997 von Hans-Jörg Bullinger auf der 2. Dienstleistungstagung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in die Diskussion über die verschwimmenden Grenzen zwischen Sach- und Dienstleistungen eingebracht (vgl. Ernst (2005), S. 3) und ist vor allem im deutschen Sprachraum verbreitet. Gemäß der Idealvorstellung einer untrennbar verschmolzenen Entwicklung und Vermarktung von Sach- und Dienstleistungen wird häufig auch von „hybrider Wertschöpfung“ gesprochen. In der Sichtweise von Korell/Ganz (2000), S. 153, entspricht das Konzept hybrider Produkte weitgehend der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung des Lösungsbegriffes. Ausgewählte Veröffentlichungen zu hybriden Produkten werden deshalb unter diesen Gesichtspunkten auch in der vorliegenden Arbeit herangezogen. Analog wird aufgrund der inhaltlichen Nähe bei der Literatur zum Systemgeschäft und zu Leistungssystemen vorgegangen.
137
Vgl. Burianek et al. (2007), S. 1.
138
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 6.
139
Vgl. Bennett/Sharma/Tipping (2001); Foote et al. (2001); Galbraith (2002b); Hax/Wilde (1999); Sharma/Molloy (1999); Srivastava/Shervani/Fahey (1999); Wise/Baumgartner (1999).
140
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005); Cornet et al. (2000); Davies/Brady/Hobday (2006); Day (2004); Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003); Kurz/Gut (2005); Sawhney (2006); Sawhney/Wolcott/Arroniz (2006); Sharma/Lucier/Molloy (2002); Shepherd/Ahmed (2000).
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes Autor
Bennett/Sharma/Tipping (2001), S. 1.
Böhmann/Krcmar (2006), S. 82.
Brady/Davies/Gann (2005), S. 360.
Ceci (2005), S. 19.
Cornet et al. (2000), S. 1.
Davies/Brady/Hobday (2006), S. 39.
Davies/Brady/Hobday (2007), S. 184.
Day (2004), S. 18f.
Doster/Roegner (2000), S. 51.
27 Definition
„[…] Solution selling […] business model that captures the value created for not only the customer but also the solutions provider. [...] arm sales and marketing people with the skills, information, tools, and (most important) the authority to make decisions on how customers will be served and charged to optimize both revenues and costs.“ „[…] Darunter sind zu kundenspezifischen Problemlösungen integrierte Leistungsbündel aus Sachgütern und Dienstleistungen zu verstehen, deren Wert für den Kunden durch die Integration den Wert der Teilleistungen übersteigt.“ „Recent business literature has shown how some of the worlds leading firms have been changing their strategic focus to compete by providing solutions rather than individual products or services. This trend has particularly affected the high value, engineering and software-intensive capital goods sectors, where firms design, integrate, and deliver complex products and systems (CoPS) on a project basis in small batches or as one-offs for business users, operators, service providers and/or government agencies.“ „Integrated solutions are a bundle of services and products offered in an highly customised packaging, created according to customers’ needs.“ „A solution […] is a fundamentally new approach to creating incremental value in the system for the customer and, by extension, the solution provider. Typically developed as a combination of products, services, and knowledge (e.g., risk management, performance guarantees, customer consulting), a solution is a supplier’s customized response to a customer’s pressing business need. It is an innovative construct built on a foundation of cooperation and mutual trust that revolutionizes the customer value proposition.“ „[…] compete by integrated solutions rather than making stand-alone products or selling services [...] innovative combinations of technology, products and services as high-value unified responses to their business customers’ needs.“ „[…] solution provision can be understood as a strategy of vertical integration, conceived as a movement forward from products to services.“ „[…] a true solution strategy as Vargo/Lusch (2004) advocate […] the strategy requires the integration of products with services … the solution is coproduced by the customer and supplier […] tailored to each customer […] absorption of the customer’s risk.“ „A solutions provider is one who packages and integrates components to deliver a complex, turnkey solution that meets a specific business need.“
28
Foote et al. (2001), S. 84.
Galbraith (2002b), S. 194.
Hax/Wilde (1999), S. 13.
Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 118.
Kurz/Gut (2005), S. 105, in Anlehnung an Eades (2004).
Miller et al. (2002), S. 3.
Reiss/Präuer (2001), S. 49.
Sawhney (2006), S. 369.
Sawhney/Wolcott/Arroniz (2006), S. 78.
2 Grundlagen der Arbeit „In all sorts of industries, companies that traditionally have made and sold stand-alone products are changing their strategies. They are creating high-value solutions by integrating various products and services – even merging the supplier’s and the customer’s operations – to solve a complete customer problem.“ „A recent trend in business strategy is to offer solutions to customers instead of stand-alone products. The companies following a solution strategy bundle their products together and add software and services.“ „[…] customer solution […] is based on a wider offering of products and services that satisfies most if not all the customer needs. The focus here is on the customer’s economics rather than the product's economics. A company might offer a broad bundle of products and services that is targeted and customized to a specific customer‘s needs.“ „A solution is a combination of products and services that creates value beyond the sum of its parts […], it is the level of customization and integration that sets solutions above products or services or bundles of products and services.“ „Solution Selling ist ein end-to-end Verkaufsprozess der aus den folgenden Komponenten besteht: Einer Philosophie (der Kunde steht im Mittelpunkt,…), einem Modell (vom heutigen IstZustand zum gewünschten Soll-Zustand, d.h. vom Beginn des Salesprozess bis zum erfolgreichen Abschluss), einer Methodik (System von Methoden zur Unterstützung von Verkäufern) und einem Sales-Management-System (ermöglicht die Analyse der Verkaufspipeline und der vorhandenen Verkaufsopportunitäten).“ „Integrated combinations of products and/or services that are usually tailored to create outcomes desired by specific clients or types of clients.“ „Die Kernleistung von Solutions ist eine Dienstleistung [...]. Dieser Servicekern wird möglicherweise umkränzt durch Hardwarebestandteile, die jedoch lediglich flankierend zur Gesamtlösung beitragen. Die Leistungsbestandteile werden je nach Bedarf hersteller- und branchenübergreifend zusammengestellt.“ „I define a solution as an integrated combination of products and services customized for a set of customers that allows to achieve better outcomes than the sum of the individual components of the solution.“ „A solution is a customized, integrated combination of products, services and information that solves for a customer’s problem.“
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
29
„A real solution […] is a fundamentally different approach that creates additional value for customers and suppliers by meeting five criteria: x It is co-created by a customer and a supplier; x It integrates products with services to meet essential customer needs; Sharma/Lucier/Molloy (2002), S. 3.
x Suppliers accept some of the risk, often through performance-based and/or risk-based contracts; x Relationships between suppliers and customers are unusually intimate, far beyond a traditional buy–sell relationship;
Sharma/Molloy (1999), S. 2.
Shepherd/Ahmed (2000), S. 101.
Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 7.
Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 2.
x Solutions, therefore, are tailored to each customer.“ „A solution […] requires a new vision of what will constitute value for the customer and how it can be captured and shared. A solutions business is not just a custom operation. Profitable solutions are made up of a combination of standardized and customized products that can be replicated for multiple customer relationships. It is only through the replication that the solution provider can fully leverage the knowledge and capabilities gained from its custom efforts on behalf of its biggest and most complex customers.“ „[…] a ,solutions‘ focused business model […] leverage existing products and product development competencies, while simultaneously introducing higher margin services to integrate product components in a manner which resolves a customer's specific business, rather than technological, need. […] quickly and accurately identify changing customer needs, develop more complex products to satisfy those needs, provide higher levels of customer support and service, and utilise the power of information technology to provide greater functionality and performance.“ „A solution is a combination of goods and services that are integrated and customized to meet the idiosyncratic requirements of a customer.“ „[…] suppliers […] view a solution as a customized and integrated combination of goods and services for meeting a customer’s business needs. In contrast, customers view a solution as a set of customer-supplier relational processes comprising (i) customer requirements definition, (ii) customization and integration of goods and/or services, (iii) their deployment, and (iv) postdeployment customer support, all aimed at meeting a customer’s business needs.“
30
2 Grundlagen der Arbeit „[…] A service-centered view is to customize offerings. The focus is shifting away from tangibles towards intangibles, such as skills, information, and knowledge, and toward interactivity and connectivity and ongoing relationships. The orientation has shifted from the producer to the consumer. The academic focus is shifting from the thing exchanged to one on the process of exchange.“ „A combination of physical products or services, or both, plus knowledge are used to provide a specific outcome fulfilling the customers‘ needs.“
Vargo/Lusch (2004a), S. 15.
Windahl (2007), S. 5.
Wise/Baumgartner (1999), S. 138. Tabelle 2
„Integrated Solutions […] is to combine products and services into a seamless offering that addresses a pressing customer need.“ Lösungsdefinitionen in der Literatur
Im folgenden Abschnitt wird basierend auf den vorangegangen Ausführungen und dem Literaturüberblick der Lösungsbegriff, der den weiteren Analyseschritten dieser Arbeit zugrunde liegt, im Detail ausgeführt. 2.1.4
Eingrenzung des Lösungsbegriffes und Charakteristika des Lösungsgeschäftes
Das vorige Kapitel hat gezeigt, dass das Lösungsgeschäft und die verwandten Konzepte in der Literatur im definitorischen Kern stets ein Leistungsbündel aus Sachund Dienstleistungen zugrunde legen. Auch die praktische Bedeutung solcher industrieller Dienstleistungen hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen,141 der wirtschaftliche Erfolg der Bündel-Angebote bleibt jedoch häufig hinter den Erwartungen zurück. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass das bisherige Verständnis in Wissenschaft und Praxis auf eine klare Dominanz der Sachleistung abstellt und die Dienstleistungskomponente meist nicht viel Beachtung findet.142 Gründe dafür können seitens des Kunden eine geringere Wertschätzung im Vergleich zur Sachleistung oder seitens des Anbieters mangelnde Kompetenz bezüglich einer konsequenten Dienstleistungsimplementierung sein.143 So zeichnen sich Dienstleistungen im Nachkaufgeschäft zwar durch hohe Margen aus, zählen jedoch in der Regel nicht zu den Kernkompetenzen144 eines Anbieters und werden deshalb häufig mehr als „notwendiges Übel“ zusätzlich zu den Sachleistungen
141
Vgl. Homburg/Garbe (1996), S. 254f.; Meyer/Noch (1992), S. 954.
142
Vgl. Reiss/Präuer (2001), S. 49.
143
Vgl. Oliva/Kallenberg (2003), S. 161.
144
Vgl. zum Kompetenz-Begriff Abschnitt 3.1.3 und grundlegend Prahalad/Hamel (1990), S. 82.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
31
offeriert.145 In der Vorkaufphase zielen Dienstleistungen wie z.B. eine Beratung üblicherweise stark auf den nachfolgenden Verkauf einer Sachleistung ab und werden vom Kunden deshalb oft als kostenlose Dreingabe erwartet.146 Neben den Einkaufspraktiken der Kunden liegen die Gründe für den bisweilen ausbleibenden Erfolg produktbegleitender Dienstleistung aber vor allem auch bei den Anbietern selbst: Zahlreiche Unternehmen neigen dazu, sich als Lösungsanbieter zu verstehen, bieten ihren Kunden letztendlich aber nur einfache Leistungsbündel an, die wenig überlegenen Nutzungswert schaffen.147 Entscheidend ist aber eine Konzentration auf die Probleme der Nachfrager, wodurch sich der Betrachtungsfokus weg von den eigenen Sach- und Dienstleistungen eines Anbieters hin zu den von ihm vorgeschlagenen Lösungen verschiebt.148 Wie Tabelle 2 deutlich gemacht hat, werden hierzu in der Literatur in weitgehender Übereinstimmung drei zentrale Charakteristika betont, die Lösungen auszeichnen und definitorisch von einfachen Leistungsbündeln abgrenzen. Ein solches Angebot ist demnach (1) eine Kombination aus Sach- und Dienstleistungen, die (2) speziell an die Kundenwünsche angepasst (Individualisierung) und (3) eng miteinander verbunden sind (Integration).149 Diese Definition zeigt die beiden zentralen Aspekte des Lösungsbegriffes: Der Grad an kundenspezifischer Individualisierung und der Grad an Integration.150 Anzumerken ist, dass in dieser Sichtweise, anders als im Kontext produktbegleitender Dienstleistungen, nun explizit auch solche hoch integrierten und kundenindividuellen Leistungsbündel Betrachtungsgegenstand sind, bei denen je nach Zusammenhang der Dienstleistungsanteil dominiert.151 Maßgeblichen Einfluss auf die Diskussion haben hierbei in Ermangelung anderer theoretischer Arbeiten die eher praxisorientierten Beratungsansätze von Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003) bzw. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003) sowie der Beitrag von Sawhney (2006) entfaltet. 2.1.4.1
Grad an kundenspezifischer Individualisierung
Veränderte Rahmenbedingungen des Wirtschaftens führen dazu, dass vor allem die Gestaltung der Aktivitäten an den Schnittstellen eines Unternehmens zu seinen Marktpartnern wesentliche Ansatzpunkte für die Schaffung von Wert bildet und nicht 145
Vgl. Schuh/Speth (2000b), S. 12f.
146
Vgl. Reichwald/Wegner (2008), S. 468; Sturm/Bading (2008), S. 175.
147
Vgl. Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 117.
148
Vgl. Choos/Surdel (2005), S. 3.
149
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 39; Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 118; Sawhney (2006), S. 369; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 3f.
150
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 2f.; Sawhney (2006), S. 369.
151
Vgl. Kersten/Zink/Kern (2006), S. 192; Vandermerwe/Rada (1988), S. 314.
32
2 Grundlagen der Arbeit
mehr allein operationale Effizienz in der Leistungserstellung.152 Bislang war die Kundenseite jedoch in der Ausgestaltung der Wertschöpfung weitgehend ausgeblendet und die Abnehmer galten in aller Regel nur als passive Wertempfänger.153 Im Kontext von Lösungsangeboten ist die aktive Integration der Kunden als externe Faktoren per Definition jedoch zwingend erforderlich, da die Leistung erst durch die Kombination von internen und externen Produktionsfaktoren vollständig erstellt werden kann.154 Die Notwendigkeit hierfür resultiert aus der Unterschiedlichkeit der Probleme und Bedürfnisse verschiedener Kunden, weshalb die Lösungsangebote individuell für diese Probleme unter Einbezug zumindest von Informationen des Abnehmers konfiguriert werden müssen.155 In dieser Hinsicht stimmt die Bedarfsdeckung bei Lösungsangeboten also konzeptionell mit der bei Dienstleistungen überein.156 In den Leistungsportfolios der Anbieter finden sich dabei einerseits kundengruppenspezifische Lösungen, wie z.B. verschiedene technische Spezifikationen oder Servicelevels, und andererseits auch vollkommen kundenindividuelle Angebote, welche beispielsweise speziell auf einen Großkunden zugeschnitten sind.157 Bereiche in denen Lösungsangebote individuell auf die Bedürfnisse von einzelnen Kunden oder Kundengruppen angepasst werden können, sind z.B. Design, Montage, Implementierung, Betrieb oder Preismanagement.158 Der vom Anbieter zu leistende Umfang der Individualisierung hängt dabei von zwei Faktoren ab: Erstens vom Grad der Anpassung, der grundsätzlich notwendig wäre, um das spezifische Problem des Kunden zu lösen, und zweitens vom Wert, den der Kunde einer solchen Individualisierung überhaupt beimisst. 159 Die Leistungsindividualisierung ist für den Anbieter dabei im Vergleich zu standardisierten Angeboten mit höheren fixen und variablen Kosten verbunden.160 Im Hinblick auf die Erzielung möglichst großer Skaleneffekte ist es für Lösungsanbieter deshalb zwar attraktiv, aber grundsätzlich auch schwierig, eine Einheitslösung zu finden, die für mehrere Kundenprobleme eingesetzt werden kann.161 In Anlehnung an das
152
Vgl. Reichwald/Piller (2009), S. 14.
153
Vgl. Prahalad/Ramaswamy (2004), S. 2.
154
Vgl. Burianek et al. (2007), S. 6; Reichwald (2007), S. 123; Spath/Demuß (2003), S. 476f.
155
Vgl. Reichwald/Müller/Piller (2005), S. 14f.; Reichwald/Piller (2002), S. 474.
156
Vgl. Spath/Demuß (2003), S. 476.
157
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 3.
158
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 2.
159
Vgl. Sawhney (2006), S. 370.
160
Vgl. Reichwald (2007), S. 124; Reichwald et al. (2006a), S. 165.
161
Vgl. Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 121.
2.1 Definitorische Grundlagen des Lösungsgeschäftes
33
Produktionsmodell der Dienstleistung nach Corsten (2001) kann eine Möglichkeit hierfür darin bestehen, möglichst standardisierte Bausteine für die Faktorvorkombination heranzuziehen und diese dann unter Einbezug des Kunden bei der Faktorendkombination individuell zu integrieren.162 2.1.4.2
Grad der Integration
Zwei grundsätzliche Integrationsformen werden in der Literatur zu Lösungsangeboten unterschieden: Marketingbezogene und technische (bzw. operationelle) Integration.163 Je höher beide Integrationsgrade ausgeprägt sind, desto schwieriger ist es für den Kunden, einzelne Komponenten einer Problemlösung durch Konkurrenzleistungen zu substituieren.164 Marketingbezogene Integration beschreibt dabei den Vorteil, dass der Kunde eine Lösung für seine Problemstellung vollständig aus einer Hand beziehen kann. Hierbei entsteht für den Abnehmer ein Wertzuwachs durch sogenanntes „one-stop-shopping“ über den gesamten Entscheidungs- und Kaufzyklus von der Vorkaufphase bis hin zum After-Sales-Service, da Vereinfachungen im Auswahl- und Bewertungsprozess, bei Installation, Wartung und Service der Leistungen sowie bei der Rechnungsbearbeitung eintreten.165 Das Leistungsversprechen des Lösungsanbieters gegenüber dem Abnehmer ist somit hoch integriert – der Kunde kauft beispielsweise „Telefonie“ und nicht mehr eine Telefonanlage mit einzelnen Endgeräten, Applikationen und Unterstützungsleistungen. Als Extremfall nennt die Literatur hierzu, dass Lösungsanbieter partnerschaftliche Arrangements mit Lieferanten oder sogar Wettbewerbern eingehen, um dem Kunden als Generalunternehmer ein integriertes Angebot unterbreiten zu können.166 Der Grad der technischen Integration gibt das Ausmaß an, zu welchem die Sachund Dienstleistungsbestandteile einer Lösung aus operationeller Sicht aufeinander abgestimmt sind. Damit betont die Literatur die Notwendigkeit, dass die einzelnen Komponenten aus Sach- und Dienstleistungen nicht einfach zu einem Paket („Bundle“) zusammengeschnürt werden dürfen, sondern so konstruiert sein müssen, dass sie auf technischer Ebene effizient und effektiv zusammenarbeiten und so für den Kunden einen zusätzlichen Wertbeitrag schaffen.167 Der Nutzungswert, der sich für einen Kunde aus einem Lösungsangebot ergibt, ist damit höher als bei einer 162
Vgl. Corsten (2001), S. 28; Foote et al. (2001), S. 92.
163
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 3; Sawhney (2006), S. 369.
164
Vgl. Galbraith (2002b), S. 198.
165
Vgl. Sawhney (2006), S. 369.
166
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 42; Foote et al. (2001), S. 91; Shepherd/Ahmed (2000), S. 104; Windahl et al. (2004), S. 220.
167
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 3; Sawhney (2006), S. 370.
34
2 Grundlagen der Arbeit
herkömmlichen, nicht integrierten Kombination von Sach- und Dienstleistungen. Wie hoch dieser Nutzungswert im Einzelnen ausfällt, wird aus Kundensicht durch zwei Faktoren bestimmt: Zum einen durch den Aufwand, den der Abnehmer selbst für die Integration aufbringen müsste, und zum anderen in Form einer Opportunitätskostenbetrachtung durch den Wert, den der Kunde für die zur Integration erforderliche Zeit ansetzen würde.168 Ist die Integration der Teilleistungen also sehr komplex und hat der Abnehmer hohe Opportunitätskosten, dergestalt, dass er seine Ressourcen gewinnbringender einer anderen Verwendung als der LösungsIntegration zuführen kann, so schafft der Anbieter mit marketingbezogener und technischer Integration für den Kunden einen hohen Nutzungswert. In Kombination führen also beide Integrationsformen zu einem spezifischen Wert der Gesamtlösung, der über dem summarischen Wert der einzelnen Teilkomponenten aus Sach- und Dienstleistungen liegt.169 Damit zeichnen sich Lösungsangebote aufgrund ihrer Integration per Definition durch einen höheren Wertbeitrag für den Kunden aus als die zuvor beschriebenen einfachen Leistungsbündel. Neben der marketingbezogenen und der technischen Integration wird in der Literatur mit Blick auf den Kunden vereinzelt auch noch die sogenannte „Value Chain Integration“ diskutiert. Dabei übernimmt der Anbieter mit seiner Lösung einen Teil der Wertschöpfungskette des Kunden, da er beispielsweise aufgrund von Größeneffekten oder höherer Erfahrung einzelne Aufgaben effektiver oder günstiger ausführen kann.170 Für den Kunden stellt diese Lösung ein Outsourcing eines Teiles seiner Prozesse dar, welches ihm die Fokussierung auf sein Kerngeschäft ermöglicht.171 Eine solche Integration in die Wertschöpfungsdomäne des Kunden ist mit einem fundamentalen Wandel im Wertversprechen des Lösungsangebotes verbunden, wie tiefer gehend in Kapitel 4.1 aufgezeigt wird. Der folgende Abschnitt wendet sich nun den definitorischen Grundlagen des Preismanagements zu. 2.2
Grundlagen des Preismanagements
Dieser Abschnitt stellt grundlegende Begriffe im Rahmen des Preismanagements für die vorliegende Arbeit bereit. Nachfolgend werden in Abschnitt 2.2.1 zunächst wichtige Definitionen vorgenommen, bevor in Abschnitt 2.2.2 auf die Besonderheiten des Pricings im B2B-Bereich eingegangen wird.
168
Vgl. Sawhney (2006), S. 370.
169
Vgl. Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 3; Sawhney (2006), S. 370.
170
Vgl. Böhmann/Krcmar (2006), S. 86; Miller et al. (2002), S. 5.
171
Vgl. Ceci (2005), S. 5.
2.2 Grundlagen des Preismanagements
2.2.1
35
Begriffsdefinitionen
Sowohl in der Literatur als auch in der Unternehmenspraxis ist eine Vielzahl an Begrifflichkeiten für Aufgaben im Zusammenhang mit den Verkaufspreisen eines Unternehmens verbreitet. Die häufigsten Bezeichnungen in der angloamerikanischen Literatur sind Pricing oder Pricing Policy, während in der Unternehmenspraxis häufig von Price Management gesprochen wird. Die deutschsprachige Literatur verwendet Bezeichnungen wie Preismanagement, Preispolitik und Konditionenpolitik sowie Entgelt- bzw. Kontrahierungspolitik.172 In der vorliegenden Arbeit werden der Argumentation von Diller (2008) folgend die Begriffe Pricing und Preismanagement gleichbedeutend mit Preispolitik verwendet und die nachstehende Definition zugrunde gelegt: „Die Preispolitik umfasst alle von den Zielen des Anbieters geleiteten und gesteuerten Aktivitäten zur Suche, Auswahl und Durchsetzung von Preis-Leistungs-Relationen und damit verbundenen Lösungen für Kunden.“173 Diese gleichermaßen anbieter- und kundenbezogene Definition erscheint aus folgenden Gründen für die vorliegende Argumentation besonders zweckmäßig: x Durch die Bezugnahme auf Anbieterziele wird die langfristige Orientierung des Preismanagements auf die Erreichung von Unternehmenszielen hervorgehoben. Diese Sicht unterstützt die Beantwortung von Forschungsfrage drei nach den Erfolgsauswirkungen der Wertaneignung. x Die Einbeziehung der Aktivitäten zur Suche, Auswahl und Durchführung verdeutlicht den Prozesscharakter des Pricings. Eine solche prozessuale Sicht ist von grundlegender Bedeutung für die vorliegende Arbeit. x Der Bezug zu Preis-Leistungs-Relationen und Problemlösungen eröffnet die Nachfragersicht auf den Preis174 und erlaubt die Verknüpfung von Wertschaffung und Wertaneignung. Auch innovative Erlösmodelle, die vom Wertbeitrag der angebotenen Leistung für den Kunden ausgehen, können damit in der Argumentation berücksichtigt werden. Das Preismanagement wird also durch seine strategische Orientierung, den Prozesscharakter und die Wertorientierung gekennzeichnet. Als Preis eines Produktes oder Dienstleistung definiert Simon „die Zahl der Geldeinheiten, die ein Käufer für eine Mengeneinheit des Gutes entrichten muss.“175 Das auf den ersten Blick klare und eindeutige Verständnis des Preisbegriffes kann sich innerhalb eines
172
Vgl. Diller (2008), S. 33f.; Kossmann (2008), S. 14; Schuppar (2006), S. 11; Simon/Fassnacht (2009), S. 7ff.
173
Diller (2008), S. 34.
174
Vgl. Diller (2008), S. 34.
175
Simon (1995), Sp. 2068.
36
2 Grundlagen der Arbeit
Unternehmens je nach Aufgabenkontext allerdings verändern. Diese unterschiedlichen Charakterisierungen des Preises werden als Preisarten bezeichnet und lassen sich üblicherweise in fünf Bereiche einteilen:176 x Preispositionierung: erster, zu Beginn der Leistungsentwicklung entstandener Preis zur groben Positionierung im Wettbewerbsumfeld. x Werksabgabepreis: interner Preis, zu dem die Leistung den Vertriebsorganisationen intern in Rechnung gestellt wird. x Listenpreis: Preisvorstellung des Unternehmens, die als Ausgangspunkt für Preisverhandlungen mit Kunden verwendet wird.177 x Rechnungspreis: ergibt sich einerseits aus dem Werksabgabepreis zuzüglich einer Marge (Anbietersicht) bzw. andererseits aus dem Listenpreis abzüglich eines Rabattes (Kundensicht). x Transaktionspreis: Preis, der unter Berücksichtigung aller Rabatte und Konditionen bei einer Transaktion bezahlt wird. Er nimmt unter allen Preisarten eine Sonderstellung ein, weil er den effektiv gezahlten Betrag darstellt und als einziger die Profitabilität einer Transaktion bestimmt. Die Preisarten können als Summe mehrerer Preisbestandteile, wie Rabatte, Skonti und Boni grafisch in einer Preistreppe (engl. „Pocket Price Waterfall“) dargestellt werden.178 Der in dieser Arbeit verwendete Preisbegriff bezieht sich auf alle fünf Preisarten, da sie typischerweise als Zwischenergebnisse einzelner Preisprozesse angesehen werden können.179 2.2.2
Besonderheiten des Preismanagements im B2B-Bereich
Das Pricing auf B2B-Märkten weist aufgrund spezifischer Umfeldbedingungen zahlreiche Besonderheiten auf, die zu speziellen Preisproblemen und Anforderungen führen.180 Bisherige Forschungsarbeiten konzentrieren sich jedoch überwiegend auf den Konsumgüterbereich,181 weshalb es für die weitergehenden Ausführungen der vorliegenden Arbeit von Bedeutung ist, die Spezifika des B2B-Pricings herauszuarbeiten.
176
Vgl. Marn/Rosiello (1993), S. 49; Wiltinger (1998), S. 16f.
177
Vgl. Simon/Fassnacht (2009), S. 385f.
178
Vgl. Hawk/Marn (1991), S. 94; Marn/Rosiello (1993), S. 49; Ross (1984), S. 146ff.; Wiltinger (1998), S. 15.
179
Vgl. Wiltinger (1998), S. 21.
180
Vgl. Diller/Kossmann (2007), S. 71.
181
Vgl. Forman/Lancioni (2002), S. 32.
2.2 Grundlagen des Preismanagements
37
B2B-Unternehmen weisen im Vergleich zum B2C-Bereich i.d.R. eine deutlich niedrigere Kundenanzahl auf, was zu einer geringeren Anzahl von Transaktionen führt, die außerdem in verschiedenen Branchen und in teilweise stark fragmentierten, mehrstufigen Märkten ablaufen.182 Verschiedene Leistungscharakteristika von B2BAngeboten, wie z.B. die Betriebskosten einer Anlage, sind für die Abnehmer unmittelbar erfolgswirksam, weshalb bei den Nachfragern i.d.R. ein größeres Preisund Kostenbewusstsein festzustellen ist als im B2C-Bereich.183 Üblicherweise zeichnen sich industrielle Kaufprozesse auch deshalb durch ein höheres Maß an Rationalität aus.184 Infolgedessen sind organisationale Kaufentscheidungen stärker formalisiert und umfassen mehrere Personen mit unterschiedlichen Interessen („Buying Center“)185, wobei die Abnehmer in jüngerer Zeit immer stärker dazu tendieren, ihren Einkauf zu professionalisieren und ihr Nachfrageoligopol auszunutzen.186 Anbieter stehen dabei im Rahmen der Erstellung eines preislich adäquaten Angebotes vor der Herausforderung, die Mitglieder des Buying Centers zu identifizieren, ihre Rollen zu verstehen und eigene organisatorische Vorkehrungen zur Abstimmung der Preissetzung zu treffen.187 Zudem müssen Anbieter versuchen, die Kaufkriterien und Bewertungsschemata der Nachfrager zu verstehen, die diese ihren Entscheidungen zugrunde legen, was jedoch wegen des häufig impliziten Charakters solcher Schemata eine große Herausforderung darstellt.188 Aufgrund tendenziell höherer Individualität der Leistungen im B2B-Bereich entsteht die konkrete Angebotsspezifikation häufig erst durch Interaktion von Anbieter und Nachfrager.189 Diese Integration des Nachfragers führt auf der Anbieterseite einerseits zu Unsicherheit über die Kostensituation190 und andererseits zu Unsicherheit über den Zielpreis, da dieser häufig in Verhandlungen oder über
182
Vgl. Kossmann (2008), S. 58.
183
Vgl. Diller (2008), S. 465f.
184
Vgl. Johnston/Bonoma (1981), S. 143ff.; Simon/Fassnacht (2009), S. 445.
185
Vgl. hierzu die grundlegenden Ausführungen von Backhaus/Voeth (2007), S. 39ff.; Webster/Wind (1972).
186
Vgl. Abele et al. (2002), S. 117; Diller (2008), S. 466; Diller/Kossmann (2007), S. 71; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 1; Johnston/Lewin (1996), S. 1; Simon/Fassnacht (2009), S. 444f.
187
Vgl. Diller (2008), S. 468; Nagle/Holden (1995), S. 192; Richter (2001), S. 84.
188
Vgl. Sebastian/Simon (1989), S. 92f.; Simon (1988), S. 577.
189
Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 481ff. Diese Integration des Kunden gilt in besonderem Maße für die in der vorliegenden Arbeit betrachteten Lösungsangebote (vgl. Abschnitt 4.1).
190
Vgl. Reichwald/Wegner (2008), S. 468; Steven/Wasmuth (2006), S. 475.
38
2 Grundlagen der Arbeit
Ausschreibungen im Rahmen von Competitive Bidding-Modellen gebildet wird. 191 Weitere Unsicherheiten können aufgrund verschiedener Makrofaktoren auftreten, mit denen das Preismanagement im B2B-Bereich stärker konfrontiert ist als auf Konsumgütermärkten. So besteht im Business-to-Business-Bereich häufig eine hohe Konjunktur- und Exportabhängigkeit der Nachfrage und mit wachsendem technischem Fortschritt verkürzen sich auf vielen Märkten die Produktlebenszyklen, was von Unternehmen ein Umdenken bei der Kostenkalkulation verlangt.192 B2B-Märkte sind in der Regel nicht nur durch wenige Nachfrager, sondern ebenso durch oligopolistische Anbieterstrukturen gekennzeichnet.193 Dadurch gewinnen neben Kundenwissen insbesondere wettbewerbsspezifische Informationen an großer Bedeutung, da die Wahrscheinlichkeit einer Konkurrenzreaktion auf Preisanpassungen bei wenigen Wettbewerbern ungleich höher ist als bei polypolistischen Marktstrukturen.194 Dies gilt umso mehr, wenn auf Kundenseite hohe Preistransparenz vorliegt, die Abnehmer also fundierte Informationen über Wettbewerbsangebote haben, wovon bei oligopolistischer Angebotssituation ausgegangen werden kann.195 Preisentscheidungen sind damit im B2B-Bereich praktisch nie unabhängig von der Wettbewerbsperspektive möglich.196 Umfangreiche und aktuelle Wettbewerbsinformationen schaffen deshalb Transparenz über die Hintergründe des Wettbewerberverhaltens und können zur Vermeidung von Preiskriegen beitragen.197 Da Preiskriege nach Meinung der Literatur üblicherweise für keines der beteiligten Unternehmen zu einer echten Verbesserung der Marktsituation führen, sollten Anbieter stets bestrebt sein, solche Konfrontationen zu vermeiden.198 Aufgrund der Spezifika des B2B-Bereichs sind preisbezogene Wettbewerbs- und insbesondere Kunden- bzw. Marktinformationen jedoch schwer zu erheben.199 Gewinnung, Verarbeitung und Verwendung solcher Informationen sind demnach zentrale Aufgaben des Preismanagements im B2B-Kontext, da die Qualität von
191
Vgl. Diller (2008), S. 467f.; Diller/Kossmann (2007), S. 72; Simon/Fassnacht (2009), S. 458; Voeth/Rabe (2004), S. 1017.
192
Vgl. Diller (2008), S. 470f.
193
Vgl. Richter (2001), S. 24.
194
Vgl. Fürst (2004), S. 35f.; Kaufer (1980), S. 223ff.
195
Vgl. Engelhardt/Günter (1981), S. 96.
196
Vgl. Nagle/Hogan (2006), S. 213f.; Plinke/Söllner (1999), S. 649.
197
Vgl. Nagle/Holden/Larsen (1998), S. 144ff.
198
Vgl. Nagle/Hogan (2006), S. 213ff.; Simon/Dolan (1997), S. 109ff.
199
Vgl. Diller/Kossmann (2007), S. 72.
2.3 Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung
39
Preisentscheidungen sonst unter erheblichen Informationsdefiziten leidet.200 Die Informationsgewinnung erfolgt dabei üblicherweise an unterschiedlichen Stellen im Unternehmen. Eine solche Trennung von Informationserhebung und -verwendung zieht Koordinationsprobleme nach sich und lässt dem intraorganisationalen Informationstransfer hohe Bedeutung zukommen.201 Weiterer Koordinationsbedarf im Pricing auf B2B-Märkten entsteht aufgrund der bereits angesprochenen höheren Individualität der Leistungserbringung und der Verteilung der an Preisentscheidungen beteiligten Akteure über mehrere Abteilungen.202 Solche Koordinations- und Abstimmungsprobleme können durch Etablierung eines effizienten Schnittstellenmanagements zur Förderung ungehinderter Informationsflüsse zwischen den am Pricing-Prozess beteiligten Abteilungen gelöst oder zumindest entschärft werden.203 Ein weiterer Beitrag organisatorischer Maßnahmen liegt in einer zielführenden Verteilung der Preisverantwortung im Unternehmen. Hier spielt die Frage nach der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung von Preisentscheidungen eine maßgebliche Rolle.204 Die Ausführungen lassen die besondere Relevanz einer prozessorientierten Ausgestaltung des Preismanagements im B2B-Bereich erkennen. Eine solche Beschäftigung mit internen Preisprozessen ist demzufolge Voraussetzung für erfolgreiche Wertaneignung.205 Im folgenden Abschnitt wird nun im Detail auf die für diese Arbeit grundlegende analytische Differenzierung zwischen Wertschaffung und Wertaneignung eingegangen. 2.3
Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung
Das primäre Ziel ökonomischer Aktivitäten besteht darin, Wert zu schaffen.206 „Wert“ und „Wertschöpfung“207 zählen dementsprechend zu den am meisten verwendeten Begriffen in der Management- und Organisationsforschung. Überraschenderweise herrscht in der Literatur jedoch kein einheitliches Verständnis des Begriffes
200
Vgl. Freiling/Wölting (2003), S. 421; Wiltinger (1998), S. 31.
201
Vgl. Kossmann (2008), S. 78.
202
Vgl. Kossmann (2008), S. 71; Wiltinger (1998), S. 36.
203
Vgl. Kossmann (2008), S. 82.
204
Vgl. Freiling/Wölting (2003), S. 425; Simon/Fassnacht (2005), S. 288f.
205
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 616.
206
Vgl. Conner (1991), S. 123.
207
Die Begriffe Wertschöpfung und Wertschaffung werden in dieser Arbeit synonym verwendet, da sie semantisch mit dem in der einschlägigen Literatur geläufigen englischen Ausdruck „value creation“ übereinstimmen.
40
2 Grundlagen der Arbeit
Wertschöpfung vor.208 Die Ansichten verschiedener Forschungstraditionen unterscheiden sich im Wesentlichen darin, was Wertschöpfung grundsätzlich bedeutet, über welche Prozesse Wert geschaffen wird und mit welchen Mechanismen Wertaneignung erfolgen kann.209 Große Unterschiede bestehen aufgrund der Multidisziplinarität der betriebswirtschaftlichen Forschung dabei schon in der grundlegenden Frage, für wen überhaupt Wert geschaffen wird: Steht bei Forschern aus den Bereichen Marketing, Entrepreneurship und dem strategischem Human-Resource-Management die Wertschaffung für die Inhaber210, Stakeholder211 oder speziell die Kunden212 im Vordergrund, verschiebt sich die Perspektive bei organisationstheoretischen Ansätzen auf die Wertschaffung für einzelne Mitarbeiter, Teams oder für die Gesamtorganisation213. Soziologisch und ökonomisch orientierte Forscher wiederum betrachten die Wertschaffung auf Gesellschafts-214 oder Länderebene215. Ein nicht weniger diverses Bild zeigt sich bei den Quellen der Wertschöpfung: Je nach Forschungstradition wird entweder das Verhalten von Individuen bzw. Gruppen als Ausgangspunkt der Wertschaffung analysiert, oder der Untersuchungsfokus liegt auf Organisations-, Branchen- oder Gesellschaftsebene.216 Dieses unterschiedliche Begriffsverständnis führt dazu, dass in der Literatur häufig auch die Begriffe Wertschaffung und Wertaneignung nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden und beispielsweise von Wertschaffung gesprochen wird, wenn eigentlich die Wertaneignung aus Sicht des Anbieters gemeint ist.217 Wert wird dabei typischerweise im Sinne von Ricardo (1817) als ökonomische Rente218 aufgefasst, die durch den Besitz produktiver Ressourcen generiert wird.219 In der vorliegenden Arbeit
wird
dagegen
der
Argumentation
von
Priem
(2007)
folgend
eine
208
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 180.
209
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 181.
210
Vgl. Porter (1985); Sirmon/Hitt/Ireland (2007).
211
Vgl. Post/Preston/Sachs (2002).
212
Vgl. Sung-Choon/Morris/Snell (2007); Priem (2007).
213
Vgl. March/Simon (1958).
214
Vgl. Lee/Peng/Barney (2007).
215
Vgl. Porter (1990).
216
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 181.
217
Vgl. Makadok/Coff (2002), S. 11.
218
In der Literatur werden generell vier Arten von Renten unterschieden (vgl. u.a. Bamberger/Wrona (1996), S. 134; Mahoney (1992), S. 364; Peteraf (1993), S. 180ff.): Ricardo-Renten durch den Besitz produktiver Ressourcen, Monopol-Renten als Folge staatlicher Eingriffe oder Absprachen zwischen Wettbewerbern, unternehmerische Renten aufgrund Risikoübernahme und unternehmerischer Weitsicht in unsicheren Umwelten, sowie Quasi-Renten, die bei sehr spezifischen Ressourcen als Differenz zwischen erstbester und zweitbester Verwendung der Ressource entstehen.
219
Vgl. Priem (2007), S. 221; Ricardo (1817), S. 49.
2.3 Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung
41
Kundenperspektive auf die Wertschöpfung eingenommen, d.h. es werden Aktivitäten des Anbieters betrachtet, die für den Kunden Wert generieren.220 Diese Perspektive findet sich auch regelmäßig in der neueren Marketing-Literatur wieder.221 In Übereinstimmung mit Lepak/Smith/Taylor (2007) lassen sich Wertschaffung und Wertaneignung dabei als zwei unterschiedliche Prozesse auffassen, da nicht zwingend davon auszugehen ist, dass eine Quelle der Wertschaffung für den Kunden auch gleichzeitig dazu geeignet ist, die Wertaneignung für den Anbieter zu unterstützen.222 Für die vorliegende Arbeit heißt dies in Konsequenz, dass Wertschaffungsaktivitäten im Lösungsgeschäft nicht notwendigerweise dazu führen, dass der Anbieter sich Wert in Form hoher Renten aneignen kann. Hierzu werden deshalb gesondert Aktivitäten im Rahmen des Preismanagements betrachtet. Die nachfolgenden Teilkapitel befassen sich nun im Detail mit der Grundkonzeption von Wertschaffung (Abschnitt 2.3.1) und Wertaneignung (Abschnitt 2.3.2). Abschließend wird darauf aufbauend der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit abgeleitet. 2.3.1
Maßnahmen im Bereich der Wertschaffung
Grundsätzlich wird Wert geschaffen, indem Menschen mit ihnen zur Verfügung stehendem Wissen und weiteren Ressourcen handeln.223 Wertschöpfung kann damit in einem ersten Zugang als die Nutzung dieses Wissens und der Ressourcen in einer arbeitsteiligen Organisation bezeichnet werden.224 Aus Nachfragersicht steht Wert in der Marketingliteratur üblicherweise für die Differenz zwischen dem vom Kunden wahrgenommenen Nutzen und den Gesamtkosten, die dem Kunden durch den Preis sowie Installations-, Wartungs- und Wechselkosten entstehen. 225 In einem solchen Wert-Verständnis ist die Wertaneignung des Anbieters in den Wertschaffungsbegriff praktisch integriert, da sich der wahrgenommene Wert aus Kundensicht stets über die Differenz zum Preis manifestiert. Dieser soll in der vorliegenden Arbeit jedoch als Hebel zur Aneignung eines bestimmten Wertes durch den Anbieter verstanden werden. Preisanpassungen würden dabei stets den Wert aus Kundensicht beeinflussen, weshalb ein absoluter Wertbegriff notwendig erscheint.
220
Vgl. Priem (2007), S. 219.
221
Vgl. Boulding et al. (2005), S. 156; Day (1994), S. 38.
222
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 181.
223
Vgl. Normann/Ramirez (1998), S. 49.
224
Vgl. Reichwald/Bonnemeier (2009), S. 1201; Reichwald/Piller (2009), S. 13.
225
Vgl. Khalifa (2004), S. 655ff.; Lindgreen/Wynstra (2005), S. 737; Payne/Holt (2001), S. Ulaga (2001), S. 316; Woodruff (1997), S.141f.
166;
42
2 Grundlagen der Arbeit
Mit Hinterhuber (2004) wird daher für eine Begriffsanpassung plädiert, nach der als Wertmaßstab unmittelbar das Leistungsangebot herangezogen wird: Der ökonomische Wert einer Leistung ergibt sich aus dem Preis der aus Kundensicht nächstbesten Alternative und dem Grad, zu dem sich das fokale Leistungsangebot von dieser nächstbesten Alternative differenziert.226 Als Definition, die gemäß dieser Sichtweise eine explizite Differenzierung zwischen Wertschaffung und Wertaneignung erlaubt, bietet sich der Ansatz von Bowman/Ambrosini (2000) an. Hierbei wird auf organisationaler Ebene zwischen Nutzungswert („use value“) und Tauschwert („exchange value“) unterschieden: Der Nutzungswert bezieht sich auf die vom Kunden wahrgenommene Qualität einer Leistung im Verhältnis zu seinen Bedürfnissen. Der Tauschwert stellt auf den Preis ab, der zum Zeitpunkt des Leistungsaustausches in Form eines bestimmten Geldbetrages anfällt, beeinflusst jedoch nicht unmittelbar den Nutzungswert.227 Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass das Ausmaß der tatsächlichen Wertschaffung für den Kunden vom subjektiven empfundenen Nutzungswert des Nachfragers determiniert wird.228 Dieser Nutzungswert drückt den Reservationspreis aus, den der Kunde zu zahlen bereit wäre, wenn es nur einen Anbieter auf dem Markt gäbe. Der (in der Regel niedrigere) Tauschwert bezieht bereits Wettbewerbsauswirkungen mit ein und gibt die Höhe der für den Anbieter möglichen Wertaneignung vor.229 Daraus ergeben sich zwei wichtige ökonomische Schlussfolgerungen: Erstens muss der Tauschwert über den Kosten des Anbieters liegen. Zweitens ist der Tauschwert eine Funktion des vom Kunden wahrgenommenen Leistungsunterschieds zur nächstbesten Alternative.230 Maßgeblich für den vom Kunden empfundenen Nutzungswert sind dabei die subjektive Beurteilung der Neuartigkeit und der Zweckdienlichkeit der Leistung im Bezug auf die eigenen Bedürfnisse.231 Je stärker diese beiden Faktoren ausgeprägt sind, desto höher sind Nutzungswert und Tauschwert.
226
Vgl. Hinterhuber (2004), S. 769.
227
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 2f. Die Autoren argumentieren anhand des B2C-Bereichs, betonen jedoch selbst, dass sich die Erkenntnisse auf Kaufentscheidungen in allen Kontexten, also auch auf organisationales Kaufverhalten im B2B-Bereich, übertragen lassen. Vgl. hierzu auch Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 181; Priem (2007), S. 227. Dieses Verständnis ist außerdem kompatibel zum häufig verwendeten Konzept des „added value“ entlang der Wertschöpfungskette, bei dem auf jeder Wertschöpfungsstufe die Differenz zwischen erzielter Rente und den Kosten aller verwendeten Inputgüter ermittelt wird (vgl. Brandenburger/Stuart (1996), S. 6; Foss (2003), S. 151). Die hierbei auf den einzelnen Wertschöpfungsstufen für die (Zwischen-)Anbieter erzielbaren Renten sind ebenso abhängig von den Nutzungs- und Tauschwerten ihrer jeweiligen (Zwischen-) Abnehmer.
228
Vgl. Doyle (1989), S. 78.
229
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 4.
230
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 3; Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 182.
231
Vgl. Amabile (1996), S. 35; Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 182.
2.3 Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung
43
Ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz entsteht dabei, wenn für den Kunden ein höherer Wert geschaffen wird als durch Wettbewerbsangebote232, d.h. der Kunde Neuartigkeit und Zweckdienlichkeit positiver beurteilt. Dies gilt jedoch nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, die auch für die spätere Betrachtung des Lösungsgeschäftes in dieser Arbeit von hoher Relevanz sind: Zur Beurteilung des Neuigkeitsgrades und der Zweckdienlichkeit der Leistung müssen die Kunden spezifisches Wissen sowohl hinsichtlich der betrachteten Leistung als auch hinsichtlich verfügbarer Konkurrenzangebote haben.233 Außerdem ist die Beurteilung beider Aspekte stets kontextabhängig, d.h. verschiedene Kunden können demselben Leistungsangebot einen unterschiedlichen Nutzungswert beimessen. Für Anbieter ist es deshalb essentiell, die Kauf- und Nutzungsprozesse der Kunden zu kennen.234 Offen geblieben ist bislang die Frage, wie Wertschaffung tatsächlich entsteht. Ein für die vorliegende Untersuchung relevanter Literaturstrang zur Betrachtung von Aktivitäten des Wertschaffungsprozesses umfasst Arbeiten, die Wettbewerbsvorteile aufgrund sogenannter dynamischer Fähigkeiten untersuchen.235 Hier steht die Frage im Zentrum, wie Firmen ihre Ressourcen effektiver einsetzen können als ihre Konkurrenten.236 Wertschöpfung für den Kunden entsteht in diesem Sinne also dann, wenn Firmen durch überlegenen Ressourceneinsatz einen höheren Nutzungswert für den Abnehmer erzeugen als die Konkurrenten. Solche Wettbewerbsvorteile müssen dabei immer wieder erneuert werden, da sie durch Umweltveränderungen stetig erodiert werden.237 Die dynamischen Fähigkeiten äußern sich in Aktivitäten zur Erzeugung oder Anpassung operationeller Routinen, um neue Wettbewerbsvorteile zu schaffen.238 Als weitere Forschungstradition vermag das strategische Human-ResourceManagement für die vorliegende Arbeit Implikationen in der Wertschaffungsdimension zu liefern. In dieser Forschungsströmung wurden verschiedene Arten sogenannter HR Practices identifiziert, die entscheidend zur Ausrichtung der Mitarbeiter auf die Unternehmensstrategie und damit zur Herausbildung eines Wettbewerbsvorteils beitragen können.239 Dazu gehören beispielsweise Schulungen,
232
Vgl. Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273.
233
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 182f.
234
Vgl. Priem (2007), S. 222.
235
Eine ausführliche Darstellung dieser Theorieströmung ressourcenorientierten Ansatz erfolgt in Abschnitt 3.1.3.
236
Vgl. Makadok (2001), S. 387.
237
Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 516.
238
Vgl. Schreyögg/Kliesch-Eberl (2007), S. 915f.; Winter (2003), S. 991; Zollo/Winter (2002), S. 340.
239
Vgl. Collins/Clark (2003), S. 740; Schuler (1992), S. 20; Wright/McMahan (1992), S. 304.
und
ihre
Einordnung
in
den
44
2 Grundlagen der Arbeit
die die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter fördern, leistungsabhängige Entlohnung oder Partizipationsprozesse zur Motivationssteigerung im Hinblick auf die Erfüllung der Unternehmensziele.240 Der gezielte Einsatz solcher Praktiken kann unmittelbaren Einfluss auf verschiedene mit der Wertschöpfung verknüpfte Kenngrößen wie Absatz, Produktivität und finanziellen Unternehmenserfolg haben.241 Wertschöpfung entsteht in diesem Sinne, wenn die Mitarbeiter durch Maßnahmen des strategischen Human-Resource-Managements darauf ausgerichtet werden, durch ihre Handlungen (z.B. in Produktion, Vertrieb oder Service) den Nutzungswert des Kunden zu steigern. In dieser Arbeit sollen Gestaltungsvariablen des Lösungsgeschäftes als organisationale Kompetenz in der Wertschaffung untersucht werden.242 Wert wird in diesem Kontext geschaffen, wenn ein Anbieter seine Konkurrenten in der Fähigkeit übertrifft, Lösungen für die Bedürfnisse der Kunden zu implementieren.243 Hierfür ist ein gezieltes Ressourcenmanagement notwendig, im Rahmen dessen das Ressourcen-Portfolio des Anbieters strukturiert, einzelne Ressourcen zur Herausbildung von Kompetenzen gebündelt und diese Kompetenzen wirksam eingesetzt werden müssen.244 Die Aktivitäten und Prozesse, mittels derer dies geschieht, sind in der Literatur derzeit jedoch noch wenig untersucht.245 Häufig vernachlässigt wird bislang in der Diskussion der Wertschöpfung auch die Betrachtung von Umweltfaktoren.246 Erst seit wenigen Jahren befassen sich einzelne Arbeiten mit dem Einfluss externer Faktoren auf die Ressourcen des Anbieters.247 Wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu zeigen sein wird, ergeben sich aufgrund der Charakteristika des Lösungsgeschäftes speziell in diesem Bereich Anforderungen an Aktivitäten und Prozesse des Ressourcenmanagements. 2.3.2
Maßnahmen im Bereich der Wertaneignung
Die vorangegangenen Ausführungen zur Wertschaffung implizieren, dass Wertschaffung und Wertaneignung zwar getrennt voneinander zu analysieren sind, sich jedoch gegenseitig stark beeinflussen. Anbieter versuchen, sich über die zuvor 240
Vgl. Wright et al. (2005), S. 425.
241
Vgl. Huselid (1995).
242
Definition und Abgrenzung von Ressourcen und Kompetenzen werden in Kapitel 3.1.3 vorgenommen.
243
Vgl. Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273f.
244
Vgl. Normann (2001), S. 10; Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273.
245
Vgl. Barney/Arikan (2001), S. 174.
246
Vgl. Bettis/Hitt (1995), S. 8; Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273.
247
Vgl. Amit/Schoemaker (1993), S. 33 und 40f.; Aragón-Correa/Sharma (2003), S. 72; Barney (2001); Black/Boal (1994), S. 132ff.; Eisenhardt/Martin (2000), S. 1106; Priem (2001).
2.3 Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung
45
beschriebenen Maßnahmen einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten, um den vom Kunden wahrgenommenen Nutzungswert der Leistung und damit dessen Zahlungsbereitschaft zu erhöhen. Diese Zahlungen wiederum bestimmen den Nutzungswert der Ressourcen des Anbieters, welche Ausgangspunkt der Wertschaffung für den Kunden sind.248 Der letzte Aspekt in dieser Argumentationskette beruht auf der Überlegung, dass sich der Wert einer Ressource (die zur Schaffung von Wert für den Kunden eingesetzt wird) anhand der Zahlungen bemessen lässt, die im Bereich der Wertaneignung für die Ressource eingebracht werden können. Der Netto-Umsatz eines Anbieters repräsentiert demnach die Summe aller Zahlungen für die in der Wertschaffung eingesetzten Ressourcen.249 Dies ist deshalb von Bedeutung, da Firmen nach Auffassung der Literatur Bündel aus möglichst wertvollen Ressourcen akkumulieren sollten.250 In diesem Sinne ist das Zusammenspiel der Prozesse zwischen einzelnen Bestandteilen des Ressourcenmanagements dahingehend zu optimieren, dass die Differenz zwischen den Kosten des Anbieters und dem vom Kunden bezahlten Preis – also die Wertaneignung – maximiert wird.251 Wie bei der Wertschaffung stellt sich aber auch hier die Frage nach den eigentlichen Inhalten solcher Prozesse. In vollkommenen Wettbewerbsstrukturen ohne Monopolsituation gelingt es Anbietern üblicherweise nicht, vom Kunden dessen Reservationspreis zu verlangen und damit den Nutzungswert vollständig für sich abzuschöpfen.252 Je nach Situation muss der geschaffene Wert mit Kunden oder anderen Stakeholdergruppen, Mitarbeitern, Wettbewerbern oder der Gesamtgesellschaft geteilt werden.253 In der für diese Arbeit herangezogenen Nomenklatur von Bowman/Ambrosini (2000) ist dies immer dann der Fall, wenn der Nutzungswert hoch, der Tauschwert (in Form des gezahlten Preises) jedoch vergleichsweise niedrig ist.254 Der Zusammenhang dieser Größen wird dabei insbesondere durch Wettbewerbsangebote beeinflusst. In einem einfachen Marktmodell führt Wertschaffung über innovative Sach- und Dienstleistungen dazu, dass Wettbewerber mit vergleichbaren Leistungen auf den Markt drängen. Diese Erhöhung des 248
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 12; Makadok/Coff (2002), S. 11; Priem (2007), S. 222.
249
Vgl. Lippman/Rumelt (2003b), S. 921.
250
Vgl. Barney (1991), S. 106; Dierickx/Cool (1989), S. 1506; Lippman/Rumelt (2003b), S. 922.
251
Vgl. Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 274.
252
Vgl. hierzu auch Krelle (1976b), S. 562ff.
253
Vgl. Coff (1999), S. 120; Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 187. In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie sich die Organisation des Anbieters in ihrer Gesamtheit Anteile des für den Kunden geschaffenen Wertes aneignen kann. Andere Aspekte wie etwa eine inkrementelle Wertaneignung einzelner Mitarbeiter, bspw. aufgrund von renditeabhängiger Entlohnung im Vertrieb, sind nicht Gegenstand der theoretischen Analyse.
254
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 3.
46
2 Grundlagen der Arbeit
Gesamtangebotes führt gemäß den grundlegenden Marktmechanismen zu sinkenden Preisen. Somit gelingt es den Firmen nicht, für sich einen hohen Tauschwert herauszuschlagen, obwohl sie für die Kunden einen hohen Nutzungswert generiert haben.255 Stattdessen verbleibt die Differenz zwischen Nutzungswert und Tauschwert als Konsumentenrente beim Nachfrager.256 Brandenburger/Stuart (1996) finden in einer Analyse von Geschäftsstrategien mittels der kooperativen Spieltheorie indes heraus, dass die absolute Höhe des entlang der Wertschöpfungskette generierten Wertes lediglich eine gewisse Bandbreite für die auf jeder Wertschöpfungsstufe gezahlten Preise festlegt.257 Wie der Gesamtwert dann zwischen den einzelnen Akteuren (Lieferanten, Produzenten, Abnehmer) verteilt wird, hängt insbesondere auch mit deren Fähigkeiten in Verhandlungen zusammen.258 Dies lenkt die Aufmerksamkeit weg von den bereits angesprochenen, in der Praxis wenig bedeutsamen Prämissen der mikroökonomischen Preistheorie hin zu einem systematischen Preismanagement im Unternehmen. Erfolgreiche Wertaneignung setzt demnach eine Beschäftigung mit internen Preisprozessen voraus.259 Dies trägt dem Gedanken Rechnung, dass der Fokus nicht nur auf einer isolierten Optimierung der Transaktionspreise liegen sollte, sondern auch Organisation und Implementierung eines gesamten Managementprozesses mit Planung, Durchführung und Kontrolle aller preisbezogenen Aktivitäten betrachtet werden müssen.260 Diese Thematik ist vor allem auch deshalb von großer Bedeutung, da Preisanpassungen für den Anbieter keineswegs kostenlos sind, sondern in der Praxis erhebliche finanzielle Aufwendungen für Informationsbeschaffung, Managemententscheidungen und Preiskommunikation an die Kunden verursachen können.261 Vor diesem Hintergrund bedarf es also einer effizienten Organisation der Preispolitik und der Beherrschung preispolitischer Abläufe im Unternehmen.262 Für den Aufbau nachhaltiger Kompetenzen im Bereich der Wertaneignung müssen Unternehmen 255
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 187.
256
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 3.
257
Vgl. Brandenburger/Stuart (1996), S. 14.
258
Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 139f.; Bowman/Ambrosini (2000), S. 9; Brandenburger/Stuart (1996), S. 14; Lippman/Rumelt (2003a), S. 1070. Auch Coff (1999) untersucht den Einfluss von Verhandlungen auf die Wertaneignung, allerdings aus der internen Perspektive der Mitarbeiter gegenüber den Eigentümern. Dies unterstreicht aber dennoch die grundsätzliche Bedeutung, die Verhandlungen in diesem Kontext beizumessen ist.
259
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 616.
260
Vgl. Hinterhuber (2004), S. 767; Shipley/Jobber (2001), S. 301; Simon/Fassnacht (2005), S. 282; Wiltinger (1998), S. 3.
261
Vgl. Zbaracki et al. (2004), S. 515.
262
Vgl. Diller (2008), S. 428ff.; Lancioni (2005b), S. 178.
2.3 Unterscheidung von Wertschaffung und Wertaneignung
47
dazu gezielt in Ressourcen und Routinen zur Entwicklung von Prozessen des Preismanagements investieren.263 Welche Aktivitäten und Gestaltungsvariablen hierbei von zentraler Bedeutung sind, wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit ermittelt. 2.3.3
Bezugsrahmen der Untersuchung
Eine breite Forschungsrichtung hat sich in den vergangenen Jahren mit dem Einfluss von Ressourcen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beschäftigt.264 Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass Ressourcen sowohl in die Wertschaffung als auch in die Wertaneignung investiert werden können, um einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil herauszuarbeiten. Infolgedessen mündet die Wahl einer Strategie zur Bildung eines solchen Wettbewerbsvorteils mit dem Ziel eines überlegenen Unternehmenserfolges stets in einem zentralen Trade-off: Wie sollen knappe organisationale Ressourcen zur Herausbildung von Kompetenzen auf die beiden Bereiche verteilt werden?265 Während die Wertschaffung das potenzielle Ausmaß des Wettbewerbsvorteils beeinflusst, entscheidet sich in der Wertaneignungsdimension, von welcher Dauer der Wettbewerbsvorteil ist und welchen Anteil des geschaffenen Wertes das Unternehmen für sich beanspruchen kann.266 In der vorliegenden Arbeit lässt sich dieser Trade-off beispielhaft anhand der folgenden Fragen veranschaulichen: x Soll die Entwicklung von Mitarbeiterfähigkeiten eher im Lösungsmanagements oder im Bereich des Pricings erfolgen?
Bereich
des
x Sollen bei Anpassungen in der Organisationsstruktur lösungsorientierte Funktionseinheiten geschaffen werden oder ist die Bildung eines Pricing-Office sinnvoller? x Lässt sich eine höhe Erfolgswirksamkeit besser über systematisches Prozessmanagement im Lösungsgeschäft oder im Preismanagement erzielen? Neben der theoretischen Diskussion der beiden Dimensionen wird der Problematik dieses Trade-offs in der quantitativen empirischen Untersuchung in Kapitel 7 explizit nachgegangen. Im Hinblick auf den Unternehmenserfolg steht dabei die Frage im Vordergrund, ob sich die Ausgestaltungen von Wertschaffung und Wertaneignung in einer substitutiven oder komplementären Beziehung zueinander verhalten. Allgemein sind verschiedene Aktivitäten eines Unternehmens zueinander komplementär, wenn
263
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 615.
264
Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 3.1.
265
Vgl. Dutta et al. (2002), S. 66; Mizik/Jacobson (2003), S. 63; Ritson et al. (2002), S. 4.
266
Vgl. Grant (1991), S. 128; Mizik/Jacobson (2003), S. 64.
48
2 Grundlagen der Arbeit
„doing more of any one acitvity increases (or at least does not decrease) the marginal profitability of each other activity.“267 Eine substitutive Beziehung liegt demgegenüber vor, wenn die Investition in eine Aktivität den Ertrag aus einer anderen Aktivität mindert. In diesem Sinne würden beim Vorliegen von Komplementarität flankierende Investitionen in Ressourcen des Preismanagements den Erfolgsbeitrag von Investitionen in das Lösungsgeschäft steigern und umgekehrt. Bei einer substitutiven Beziehung würde demgegenüber eine Überbetonung von Wertschaffungsaktivitäten zu einer geringeren Erfolgswirksamkeit der Wertaneignung führen (und umgekehrt). In Abbildung 3 ist der aus den Überlegungen dieses Kapitels abgeleitete theoretische Bezugsrahmen für die vorliegende Arbeit dargestellt. Bevor Lösungsgeschäft und Preismanagement als Aktivitäten der Wertschaffung und der Wertaneignung im Detail diskutiert werden, stellt der folgende Abschnitt nun die theoretischen Bezugspunkte der Arbeit bereit.
Organisationale Ressourcen
Fähigkeit zur Schaffung einer „wertvollen“ Lösung
Abbildung 3
Fähigkeit zur Wertaneignung
Nachhaltiger Wettbewerbsvorteil
Theoretischer Bezugsrahmen der Untersuchung
267
Milgrom/Roberts (1992), S. 108.
268
In Anlehnung an Mizik/Jacobson (2003), S. 64.
Unternehmenserfolg
268
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz
3
49
Theoretische Bezugspunkte
Zur Fundierung der Analyse von Wertschaffung und Wertaneignung werden in der vorliegenden Arbeit verschiedene theoretische Bezugspunkte eingebunden. Zunächst werden der ressourcenorientierte Ansatz und seine Abwandlung mit dem Konzept der dynamischen Fähigkeiten sowie die damit eng verwandte Prozessorientierung behandelt (Kapitel 3.1 und 3.2). Aus dem Theoriegebäude der Neuen Institutionenökonomik werden in den Kapiteln 3.3.1 und 3.3.3 die Transaktionskostentheorie und die Informationsökonomik beleuchtet. Erstere ist insbesondere dazu geeignet, die Forschungsperspektive des RBV im Hinblick auf die Wechselwirkungen zwischen Wertschaffung und Wertaneignung zu erweitern (Abschnitt 3.3.2). 3.1
Der ressourcenbasierte Ansatz
In Kapitel 2.3 wurde deutlich, dass das oberste Ziel strategischer Unternehmensführung darin besteht, auf langfristige Sicht im Bereich der Wertschaffung für den Kunden besser zu sein als die direkten Wettbewerber und dadurch überdurchschnittliche Renditen zu erwirtschaften.269 In der Strategieliteratur sind zwei unterschiedliche Sichtweisen vorherrschend, nach denen Unternehmen ihre Strategie formulieren sollten, um überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen:270 Market-based View (MBV) und Resource-based View (RBV). Der marktorientierte Ansatz (Market-based View), der in den 1980er Jahren maßgeblich durch Michael Porter geprägt wurde,271 hat seine Wurzeln in der „Industrial Organization“ (IO) Forschung. Diese ist der Auffassung, dass Renditeunterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen nur interindustriell, nicht aber intraindustriell existieren.272 Nach dem marktorientierten Ansatz bestimmen externe Faktoren wie z.B. die Branchenattraktivität und die relative Wettbewerbsposition innerhalb einer Branche den Unternehmenserfolg.273 Gemäß dem sogenannten „Structure-Conduct-Performance-Paradigma“ wird der Erfolg eines Unternehmens („performance“) durch dessen strategische Aktionen („conduct“) bestimmt. Diese wiederum sind hauptsächlich von der vorherrschenden Branchenbzw. Industriestruktur („structure“) abhängig. Da bei einer solchen „Outside-in269
Vgl. Conner (1991), S. 132.
270
Vgl. Grant (2005), S. 17f.
271
Vgl. Porter (1999); Porter (2000).
272
Vgl. zu Knyphausen (1993), S. 772.
273
Vgl. Hoskisson et al. (1999), S. 426.
50
3 Theoretische Bezugspunkte
Perspektive“ interne Prozesse und Merkmale eines Unternehmens weitestgehend unberücksichtigt bleiben, wird hier das Unternehmen an sich als eine Art „black box“ betrachtet.274 Damit ist der Ansatz des MBV in Reinform für die vorliegende Arbeit ungeeignet, da zur Beantwortung der Forschungsfragen eine interne Perspektive des Unternehmens notwendig ist. Eine weitere kritische Grundannahme des marktorientierten Ansatzes besteht darin, dass die Ressourcen von Unternehmen in einer Branche als völlig homogen und mobil angesehen werden. 275 Darüber hinaus sind zahlreiche empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass unternehmensspezifische Merkmale einen weitaus größeren Einfluss auf den Erfolg haben können als die im MBV betonten Branchenstrukturen.276 Eine der bedeutendsten Studien stammt von Rumelt (1991), der nachweist, dass der Performanceeinfluss von internen Faktoren elf Mal größer ist als der von externen.277 Die Studien von McGahan/Porter (1997) sowie Hawawini/Subramanian/Verdin (2003) zeigen ähnliche Ergebnisse.278 Auf Basis dieser Kritik bildete sich in den 1980er und 1990er Jahren eine Gegenposition zum MBV heraus, die davon ausgeht, dass nicht externe Aspekte, sondern interne Ressourcen die Basis für dauerhafte und überdurchschnittliche Performance bilden.279 Dieser ressourcenorientierte Ansatz (Resource-based View) wurde zwar maßgeblich durch die Veröffentlichungen von Wernerfelt (1984) und Barney (1991) geprägt, besitzt seinen Ursprung aber schon in dem von Edith Penrose 1959 veröffentlichten Buch „The Theory of the Growth of the Firm“, in welchem die Autorin das Unternehmen erstmals als eine Ansammlung von Ressourcen beschreibt.280 Die zentrale These des RBV besteht darin, dass Unternehmen eine einmalige Ansammlung von Ressourcen und Fähigkeiten darstellen und dass diese Einmaligkeit die Grundlage für das strategische Handeln bildet, welches einen möglichen Wettbewerbsvorteil schafft und damit den Erfolg bestimmt.281 Analog zum „Structure-Conduct-Performance-Paradigma“ des MBV kann beim RBV somit von 274
Vgl. Wolf (2005), S. 414f.
275
Vgl. Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 15.
276
Vgl. Grant (2005), S. 136.
277
Vgl. Rumelt (1991), S. 178f.
278
Vgl. McGahan/Porter (1997), S. 16f.; Hawawini/Subramanian/Verdin (2003), S. 11f.
279
Vgl. Wolf (2005), S. 415. Anzumerken ist jedoch, dass der strikte Gegensatz zwischen MBV und RBV heutzutage nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Beide Ansätze greifen an vielen Stellen komplementär ineinander und befinden sich in einem Integrationsprozess zu einem umfassenden Konzept des strategischen Managements (vgl. Freiling (2001), S. 11; Wernerfelt (1984), S. 171; zu Knyphausen (1993), S. 776).
280
Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 356f.; Penrose (1995), S. 24.
281
Vgl. Grant (2005), S. 132f.
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz
51
einem „Resource-Conduct-Performance-Paradigma“282 und einer „Inside-outPerspektive“283 gesprochen werden. Der ressourcenorientierte Ansatz erweist sich aufgrund dieser Betrachtungsperspektive als geeigneter Ansatz zur Beantwortung der Forschungsfragen in der vorliegenden Arbeit. Definitionsgemäß werden den Ressourcen beim RBV im Gegensatz zum MBV die Eigenschaften der Heterogenität und der Immobilität zugesprochen. Nur wenn nicht alle Unternehmen eine identische Ressourcenausstattung besitzen und nicht jede Ressource einfach über einem Faktormarkt zu beschaffen ist, können Ressourcen die Quelle von Wettbewerbsvorteilen und überdurchschnittlichen Gewinnen sein.284 Da der Ressourcenbegriff innerhalb des RBV eine zentrale Rolle einnimmt und, wie im vorangegangenen Kapitel deutlich geworden ist, damit auch für die vorliegende Arbeit bedeutsam ist, wird dieser Begriff im folgenden Abschnitt genauer erläutert. 3.1.1
Definition von Ressourcen und Fähigkeiten
In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur existiert eine Vielzahl an Definitionen und Kategorisierungen für Ressourcen, die dazu geführt haben, dass der Begriff sehr unscharf gefasst ist285 und weitgehend uneinheitlich verwendet wird286. In der Aussage, dass Ressourcen über die Positionen der Unternehmensbilanz hinausgehen287, stimmen jedoch praktisch alle Autoren überein. Festzustellen ist, dass viele Autoren ein relativ breites, damit aber auch ziemlich vages Verständnis von Ressourcen haben288. Einen Extremfall bildet dabei die Definition von Wernerfelt (1984), der unter Ressourcen alles versteht, was eine Stärke oder Schwäche eines Unternehmens darstellt.289 Eine ähnlich breite Definition haben Amit/Schoemaker (1993), die von „[…] stocks of available factors that are owned or controlled by the firm“290 sprechen. Sanchez/Heene/Thomas (1996) subsumieren unter dem Ressourcenbegriff „[…] assets that are available and useful in detecting and
282
Vgl. Wolf (2005), S. 416.
283
Vgl. Zhou/Yim/Tse (2005), S. 44.
284
Vgl. Barney (2007), S. 133.
285
Vgl. Freiling (2001), S. 13f.; Peteraf (1993), S. 180.
286
Vgl. u.a. Amit/Schoemaker (1993), S. 35; Barney (1991), S. 101; Barney (2007), S. 133f.; Foss/Foss (2005), S. 543; Grant (1991), S. 119; Hunt/Morgan (1995), S. 6f.; Penrose (1995), S. 24f.; Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 8; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 516; Wernerfelt (1984), S. 172.
287
Vgl. Grant (2005), S. 139.
288
Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 357.
289
Vgl. Wernerfelt (1984), S. 172.
290
Amit/Schoemaker (1993), S. 35.
52
3 Theoretische Bezugspunkte
responding to market opportunities and threats […]“291, wobei sie unter dem Begriff „assets“ neben den Bilanzpositionen auch die Fähigkeiten, die Informationen, das Wissen und den Ruf eines Unternehmens zusammenfassen.292 Etwas konkreter wird das Verständnis, wenn man versucht, die Ressourcenarten zu klassifizieren, wozu in der Literatur ebenfalls unterschiedliche Ansätze existieren. Penrose differenzierte bereits 1959 zwischen „physical resources“ und „human resources“.293 Barney (2007) führt vier Ressourcengruppen ein und unterscheidet in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Autoren zwischen „financial capital“ (sämtliche finanziellen Mittel), „physical capital“ (z.B. Produktionsanlagen, geographische Lage, etc.), „human capital“ (z.B. Know-How, Erfahrung der Mitarbeiter und Manager, etc.) und „organizational capital“ (z.B. Kontroll- und Koordinationssystem, etc.).294 Eine sehr detaillierte und damit für die vorliegende Arbeit hoch relevante Klassifizierung findet sich bei Hunt/Morgan (1995), die sieben Kategorien von Ressourcen definieren: finanzielle, physische, juristische, personalwirtschaftliche, organisations-, informations- und beziehungsbezogene Ressourcen.295 Eine allgemeine und in der Literatur weit verbreitete Klassifizierung ist darüber hinaus die Unterscheidung zwischen tangiblen (materiellen) und intangiblen (immateriellen) Ressourcen.296 Während tangible Ressourcen definiert werden als „[…] assets that can be seen and quantified“297, versteht die Literatur unter intangiblen Ressourcen „[…] assets that typically are rooted deeply in the firm’s history and have accumulated over time.“298 Zu den intangiblen Ressourcen sind neben Rechten aus geistigem Eigentum („intellectual property rights“) und der Reputation des Unternehmens vor allem organisatorische und Humanressourcen zu zählen.299 Da intangible Ressourcen nur schwer zu bewerten und in der Regel auch nicht bilanzierungsfähig sind, kann die Differenz zwischen Börsenwert und dem reinen Bilanzwert, der zum Großteil die tangiblen Ressourcen widerspiegelt,
291
Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 8.
292
Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 7.
293
Vgl. Penrose (1995), S. 24f.
294
Vgl. Barney (2007), S. 133f.
295
Vgl. Hunt/Morgan (1995), S. 6f.
296
Vgl. u.a. Bamberger/Wrona (1996), S. 132; Caves (1980), S. 64; Grant (2005), S. 139ff.; Grünig/Kühn (2006), S. 334ff.; Hall (1993), S. 607f.; Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 79ff. Auf die begriffliche Unterscheidung zwischen Materialiät und Tangibilität kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.
297
Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 79.
298
Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 79.
299
Vgl. Hall (1992), S. 136ff.; Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 79ff.
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz
53
hauptsächlich durch intangible Ressourcen erklärt werden.300 Für Wettbewerber ist es somit viel schwieriger von außen intangible Ressourcen zu identifizieren und zu imitieren.301 Aus der Klassifizierung von Hunt/Morgan (1995) sind die juristischen, personalwirtschaftlichen, organisations-, informations- und beziehungsbezogenen Ressourcen der Gruppe der intangiblen Ressourcen zuzuordnen.302 3.1.2
Grundkonzept des „Resource-based View“
Wie bereits erläutert, bilden Ressourcen und Kompetenzen bzw. Fähigkeiten nach dem RBV die Grundlage für strategische Entscheidungen. Dennoch besitzen nicht alle Ressourcen das Potenzial, um zur Generierung eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils beitragen zu können. Vielmehr müssen bestimmte Merkmale erfüllt sein, die im Folgenden näher zu betrachten sind. Nach dem in der Literatur häufig zitierten VRIN-Bezugsrahmen von Barney (1991) müssen Ressourcen303 als Basis zur Erlangung eines Wettbewerbsvorteils nicht nur heterogen und immobil, sondern darüber hinaus auch wertvoll („valuable“), selten („rare“), nicht-imitierbar („imperfect imitable“) und nicht-substituierbar („non substitutable“) sein.304 Wertvoll Wertvolle Ressourcen ermöglichen es Unternehmen, Strategien zu identifizieren und zu implementieren, welche die Effizienz und Effektivität durch das Ausnutzen von Chancen bzw. das Vermeiden von Risiken verbessern.305 In anderen Worten ausgedrückt, muss die Ressource auf irgendeine Weise einen finanziellen Wert für das Unternehmen schaffen.306 Durch Veränderungen der Kundenbedürfnisse, der Branchenstruktur oder der technologischen Rahmenbedingungen können sich ehemals wertvolle Ressourcen in weniger wertvolle verwandeln.
300
Vgl. Freiling (2001), S. 25; Grant (1991), S. 119.
301
Vgl. Fahy/Smithee (1999), S. 7.
302
Vgl. Hunt/Morgan (1995), S. 6f.; Morgan/Hunt (1999), S. 284.
303
Barney subsumiert unter dem Ressourcenbegriff sowohl Ressourcen als auch Fähigkeiten (vgl. Barney (1991), S. 101).
304
Vgl. Barney (1991), S. 105ff.
305
Vgl. Barney (1991), S. 106; Barney (2007), S. 138.
306
Vgl. Barney (1986a), S. 658, und die Ausführungen in Kapitel 2.3.2. Eine Ressource kann nur über die Zahlungen der Kunden für die Marktleistungen einen finanziellen Wert für den Anbieter schaffen. Barney thematisiert hier also letztlich (unbewusst) die Frage der Wertaneignung. Wie wertvoll eine Ressource, die zur Wertschaffung für den Kunden eingesetzt wird, aus Anbietersicht tatsächlich ist, lässt sich nur anhand der Zahlungen bemessen, die im Bereich der Wertaneignung für die Ressource eingebracht werden können (vgl. Lippman/Rumelt (2003b), S. 921).
54
3 Theoretische Bezugspunkte
Selten Wenn viele Wettbewerber eine identische Ressource besitzen, kann darüber kein Wettbewerbsvorteil für die Besitzer aufgebaut werden. Die Ressource ist unter Umständen zwar wertvoll, da sie aber von jedem Unternehmen gleichermaßen eingesetzt werden kann, schafft sie keinen Vorteil gegenüber den Konkurrenten in der Branche.307 Damit eine Ressource das Potenzial besitzt, einen Wettbewerbsvorteil zu generieren, muss die Zahl der Unternehmen, die diese Ressource besitzen, zumindest kleiner sein als die Mindestanzahl von Unternehmen, ab der ein perfekter Wettbewerb in einer Branche entstehen würde.308 Ein Zwischenfazit der bisherigen Ausführungen ergibt, dass wertvolle aber häufig vorkommende Ressourcen nur Gleichheit unter den Wettbewerbern schaffen („competitive parity“). Wertvolle und seltene Ressourcen hingegen sind in der Lage, zumindest einen vorläufigen Wettbewerbsvorteil zu erzeugen („temporary competitive advantage“).309 Ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil und damit anhaltende überdurchschnittliche Renditen ergeben sich jedoch nur, wenn die Heterogenität der Ressourcen auch im Wettbewerb erhalten bleibt.310 Dazu müssen zusätzlich die Eigenschaften Nicht-Imitierbarkeit und Nicht-Substituierbarkeit erfüllt sein.311 Nicht-Imitierbarkeit Unternehmen, welche bestimmte Ressourcen nicht besitzen, dürfen diese entweder überhaupt nicht312, mindestens aber nicht zu einem angemessenen Preis313 erwerben oder kopieren können.314 Ressourcen sind dann nicht-imitierbar, wenn sie vom bisherigen Entwicklungspfad des Unternehmens geprägt sind. Dies ist der Fall, wenn sich Ressourcen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen sehr langen Zeitraum entwickelt haben (z.B. Unternehmenskultur oder Markenname).315 Eine andere Möglichkeit ist, dass in der Vergangenheit Entscheidungen aufgrund von
307
Vgl. Barney (1991), S. 106.
308
Vgl. Barney (1991), S. 107.
309
Vgl. Barney (2007), S. 141.
310
Vgl. Peteraf (1993), S. 182.
311
Vgl. Barney (2007), S. 151; Dierickx/Cool (1989), S. 1507: Peteraf (1993), S. 182.
312
Vgl. Barney (1991), S. 107.
313
Vgl. Barney (2007), S. 143.
314
In der Literatur wird in diesem Zusammenhang ergänzend zum Bezugsrahmen von Barney das Kriterium der „begrenzten Mobilität“ diskutiert. Demnach darf eine Ressource nur eingeschränkt auf einem Markt handelbar, also kauf- bzw. verkaufbar, sein (vgl. Dierickx/Cool (1989), S. 1505f.; Peteraf (1993), S. 183f.).
315
Vgl. Barney (1991), S. 108.
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz
55
Glück oder überlegenem Wissen316 getroffen wurden, welche zum Besitz der einmaligen Ressourcen führten (z.B. Kauf eines Grundstücks mit versteckten Bodenschätzen).317 Weitere Isolationsmechanismen zum Schutz für NichtImitierbarkeit ergeben sich aus den Kriterien „Causal Ambiguity“ und „Social Complexity“. „Causal Ambiguity“: Dem Zusammenhang zwischen kausaler Unklarheit („Causal Ambiguity“) und Nicht-Imitierbarkeit wurde in der Literatur bereits vielfach Aufmerksamkeit gewidmet.318 Kausale Unklarheit liegt vor, wenn der Zusammenhang zwischen den Ressourcen eines Unternehmens und seinem Wettbewerbsvorteil überhaupt nicht oder nur sehr vage erklärbar ist.319 Ursächlich hierfür ist die Verbundenheit und Komplexität interner Strukturen, Prozesse und Systeme, wodurch keine eindeutige Kausalbeziehung zwischen den Ressourcen und dem Wettbewerbsvorteil ersichtlich ist.320 Um einen wirklich dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu erzielen, muss dieses Unwissen über den Zusammenhang nach Meinung von Barney (1991) sowohl bei den Wettbewerbern als auch im Unternehmen selbst vorhanden sein.321 Andernfalls gelangen Konkurrenten durch genaue Unternehmensanalysen oder Abwerbungen von Schlüsselpersonen an das Wissen und könnten die Ressource somit imitieren.322 Diese Forderung wird von anderen Autoren allerdings als übertrieben zurückgewiesen, da ein strategischer Ressourcenaufbau in diesem Fall nahezu reine Glückssache wäre.323 Ausreichend erscheint daher ein gewisses Transparenzgefälle zwischen interner und externer kausaler Ambiguität.324 „Social Complexity“: Typischerweise sind Unternehmen nicht in der Lage, komplexe soziale Beziehungen und Netzwerke („Social Complexity“) gezielt zu schaffen oder zu beeinflussen. Somit können Wettbewerbsvorteile, die auf derartigen Ressourcen beruhen, von Konkurrenten nur sehr beschränkt imitiert werden.325 Beispiele für solche komplexen sozialen Ressourcen sind u.a. die Beziehungen zwischen den
316
Vgl. Barney (1986b), S. 1232.
317
Vgl. Barney (2007), S. 144.
318
Vgl. u.a. Bamberger/Wrona (1996), S. 138; Dierickx/Cool (1989), S. 1508f.; King/Zeithaml (2001), S. 76f.; King (2007), S. 157ff.; Lippman/Rumelt (1982), S. 420; Peteraf (1993), S. 182f.; Reed/DeFillippi (1990), S. 90f.
319
Vgl. Barney (1991), S. 108.
320
Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 138.
321
Vgl. Lippman/Rumelt (1982), S. 418.
322
Vgl. Barney (1991), S. 109; Lippman/Rumelt (1982), S. 421ff.
323
Vgl. Collis (1994), S. 147; Peteraf (1993), S. 187.
324
Vgl. Reed/DeFillippi (1990), S. 94.
325
Vgl. Barney (1991), S. 110.
56
3 Theoretische Bezugspunkte
Mitarbeitern und Managern eines Unternehmens oder der Ruf eines Unternehmens bei seinen Lieferanten und Kunden.326 Nicht-Substituierbarkeit Selbst wenn eine direkte Imitation ausgeschlossen werden kann, ist eine Bedrohung des Wettbewerbsvorteils dennoch möglich: die Ressourcen, auf denen der Wettbewerbsvorteil basiert, könnten von Wettbewerbern durch andere Ressourcen ersetzt werden.327 Einerseits ist es möglich, eine Ressource, die nicht exakt imitiert werden kann, durch eine ähnliche Ressource zu substituieren, die die gleiche Wirkung erzeugt. Andererseits können aber auch völlig unterschiedliche Ressourcen als Substitute dienen. So können laut Barney (1991) ein charismatischer Führer und ein Planungssystem Substitute in Bezug auf eine klare Zukunftsvision der Manager für das Unternehmen darstellen.328 Das Potenzial eines Unternehmens, auf Basis seiner Ressourcen einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu schaffen, ist von den oben beschriebenen Ressourceneigenschaften abhängig. Um dieses Potenzial ausschöpfen zu können, muss das Unternehmen aber intern entsprechend organisiert sein.329 Zu den vielen hierfür relevanten Aspekten der Organisation des Unternehmens zählen u.a. ein Berichtsoder Management-Kontroll-System, aber auch personalpolitische Komponenten wie z.B. ein Entlohnungssystem. Diese Komponenten werden auch komplementäre Ressourcen oder Fähigkeiten genannt, da sie für sich alleine genommen nur eingeschränkt geeignet sind, einen Wettbewerbsvorteil zu generieren.330 Aus dieser Überlegung heraus fasst der VRIO-Bezugsrahmen (Value, Rareness, Imitability and Organization) von Barney (2007) die für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil und überdurchschnittliche Gewinne notwendigen Ressourceneigenschaften zusammen, wobei hier die beiden Aspekte „nicht-imitierbar“ und „nicht-substituierbar“ unter dem Punkt „Imitability“ zusammengefasst sind.331 Das Kriterium „Organization“ beschreibt die bereits genannte Notwendigkeit einer geeigneten Organisationsstruktur, die das
326
Vgl. Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 87.
327
Vgl. Barney (1991), S. 111; Dierickx/Cool (1989), S. 1509; Peteraf (1993), S. 182.
328
Vgl. Barney (1991), S. 111.
329
Vgl. Barney (2007), S. 148; Freiling (2001), S. 23.
330
Vgl. Barney (2007), S. 148f.
331
Vgl. Barney (2007), S. 142ff. Der „VRIO-Bezugsrahmen“ stellt eine Modifikation des „VRINFrameworks“ (vgl. Barney (1991), S.106ff.) dar, in dem noch explizit die oben beschriebene Charakteristik der Nicht-Substituierbarkeit berücksichtigt war. Aufgrund deutlicher Kritik am gesamten Kriterienkatalog (vgl. u.a. Priem (2001)) fasste Barney schließlich die NichtSubstituierbarkeit als eine spezielle Form der Nicht-Imitierbarkeit auf und erweiterte seinen Bezugsrahmen um das Kriterium „Organization“.
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz
57
Unternehmen in die Lage versetzt, den Wettbewerbsvorteil durch Einsatz der Ressourcen überhaupt zu nutzen.332 3.1.3
Von Ressourcen zu Kompetenzen
Ein mit den Ressourcen eng verwandtes Konzept ist das der (organisationalen) Fähigkeiten bzw. Kompetenzen („capabilities“).333 Wie beim Ressourcenbegriff sind auch bei Fähigkeiten und Kompetenzen in der Literatur uneinheitliche Definitionen und eine häufig missverständliche Verwendung der Begriffe zu konstatieren.334 Während nach einigen Definitionen Fähigkeiten unter dem Ressourcenbegriff subsumiert werden, argumentieren viele Autoren, dass diese gesondert zu betrachten seien.335 Bei Ressourcen handelt es sich um elementare Bausteine eines Unternehmens, die für sich alleine genommen keine Wettbewerbsvorteile darstellen können.336 Ressourcen stellen lediglich ein Handlungspotenzial für das Unternehmen dar.337 Unter Kompetenzen hingegen wird der koordinierte Einsatz von Ressourcen in Form wiederholbarer Handlungssequenzen verstanden, mittels derer angestrebte Aufgabenstellungen erfüllt und Mehrwert geschaffen werden kann.338 Amit/Schoemaker (1993) bezeichnen solche Fähigkeiten als „a firm’s capacity to deploy resources, usually in combination, using organizational processes, to effect a desired end.“339 Da Fähigkeiten demgemäß normalerweise eine Kombination von Ressourcen umfassen, sind sie von außen stehenden Konkurrenten schwerer zu erkennen, zu verstehen und nachzuahmen als intangible Ressourcen.340 In der Literatur wird daher argumentiert, dass Kompetenzen die beste Quelle für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil darstellen.341
332
Vgl. Barney (2007), S. 148; Freiling (2001), S. 23.
333
Vgl. Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 83. In der vorliegenden Arbeit werden Kompetenzen auf organisationaler Ebene betrachtet und sind damit strikt von personengebundenen Fähigkeiten zu unterscheiden (vgl. Freiling (2001), S. 24; Kogut/Zander (1992), S. 388f.).
334
Vgl. Freiling (2001), S. 24. Der Autor vertritt den Standpunkt, dass eine begriffliche Differenzierung zwischen Kompetenzen und Kernkompetenzen als Begriffsapparat für den RBV ausreichend ist. Mithin könne mangels Erkenntniszuwachs auf eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Fähigkeiten und Kompetenzen verzichtet werden. Dieser Auffassung wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit gefolgt, weshalb die beiden Begriffe austauschbar verwendet werden.
335
Vgl. Hafeez/Zhang/Malak (2002), S. 29.
336
Vgl. Grant (1991), S. 118f.
337
Vgl. Freiling (2001), S. 25.
338
Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 7f.; Penrose (1995), S. 54; Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 281.
339
Amit/Schoemaker (1993), S. 35.
340
Vgl. Freiling (2001), S. 130f.
341
Vgl. Collis (1994), S. 143; Fahy/Smithee (1999), S. 8.
58
3 Theoretische Bezugspunkte
Nach Meinung einiger Kritiker des klassischen RBV sind Kompetenzen jedoch nicht ausreichend, um einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil in einem dynamischen, sich ständig verändernden Marktumfeld zu schaffen.342 Hierin werden häufig Defizite des statischen343 und nach innen orientierten RBV344 gesehen, denn ein Wettbewerbsvorteil kann schnell durch technologische Innovationen oder Veränderungen des Nachfrageverhaltens verloren gehen.345 Um dies zu verhindern, wurde von vielen Autoren eine Dynamisierung und Flexibilisierung der Ressourcen und Kompetenzen gefordert, wonach diese stetig an das sich verändernde Umfeld angepasst und weiterentwickelt werden müssen.346 Das Konzept der dynamischen Fähigkeiten („dynamic capabilities“) von Teece/ Pisano/Shuen (1997) ist der in der Literatur am weitesten verbreitete Dynamisierungsansatz.347 Unter dem Begriff der „dynamic capabilities“ verstehen die Autoren „[…] the firms ability to integrate, build, and reconfigure internal and external competences to address rapidly changing environments.“348 Sie spiegeln also die Fähigkeiten eines Unternehmens wider, sich wandelnden Wettbewerbsbedingungen so anzupassen, dass ein bestehender Wettbewerbsvorteil aufrecht erhalten bleibt oder ein neuer geschaffen werden kann.349 In diesem Konzept bilden die drei Dimensionen „Positions“, „Paths“ und „Processes“ die Grundlage der dynamischen Fähigkeiten.350 Unter „positions“ (Positionen) wird die spezifische Ressourcenausstattung („specific assets“)351 eines Unternehmens verstanden, welche die Basis für die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen darstellt.352 Die zweite Dimension „paths“ (Pfade) beschreibt die strategischen Handlungsoptionen, die von der Ressourcenausstattung abhängig sind, welche wiederum von früheren Entscheidungen des Unternehmens bestimmt wird.353 Der Wettbewerbsvorteil beruht hauptsächlich auf der dritten
342
Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 515.
343
Vgl. Wright/Dunford/Snell (2001), S. 714ff.
344
Vgl. Wolf (2005), S. 425.
345
Vgl. Ghemawat (1986), S. 58; Reed/DeFillippi (1990), S. 94.
346
Vgl. Collis/Montgomery (1995), S. 126; Hafeez/Zhang/Malak (2002), S. 30f.; Lei/Hitt/Bettis (1996), S. 549f.; Schreyögg/Kliesch (2006), S. 456.
347
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 456; Schreyögg/Kliesch-Eberl (2007), S. 921.
348
Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 516.
349
Vgl. Eisenhardt/Martin (2000), S. 1107; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 516; Wang/Ahmed (2007), S. 35.
350
Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 518.
351
Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 521.
352
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462.
353
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 522f.
3.1 Der ressourcenbasierte Ansatz
59
Dimension, den Prozessen („processes“), die durch die Ressourcenausstattung und die Handlungsoptionen beeinflusst werden.354 Die Prozesse wiederum besitzen neben der statischen Komponente, der Koordination und Integration der Ressourcen, auch einen dynamischen Anteil. Diese dynamische Komponente besteht einerseits aus dem organisationalen Lernen,355 welches die Anpassung der Organisation an die Veränderungen der Umwelt sicherstellt, und andererseits aus der Rekonfiguration, die dazu beiträgt, dass die Lernergebnisse zu einer Veränderung der Ressourcennutzung führen. Organisationales Lernen und Rekonfiguration sind also die beiden Dynamisierungskomponenten, welche bei einem sich ändernden Umfeld einen Wettbewerbsvorteil sicherstellen.356 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Ressourcen und Kompetenzen zwar die Grundlage für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil bilden, sie aber bei einem dynamischen, sich verändernden Umfeld stetig erweitert, ergänzt oder verbessert werden müssen, um den Wettbewerbsvorteil auch zu behalten. Die vorliegende Arbeit legt für die weiteren Ausführungen das diesem Gedanken folgende Kompetenzverständnis von Freiling/Gersch/Goeke (2006) mit folgender Definition zugrunde: „Kompetenzen sind wiederholbare, auf Nutzung von Wissen beruhende, durch Regeln geleitete und daher nicht zufällige Handlungspotenziale einer Organisation, die zielgerichtete Prozesse sowohl im Rahmen der Disposition zukünftiger Leistungsbereitschaften als auch konkreter Marktzufuhr- und Marktprozesse ermöglichen. Sie dienen dem Erhalt der als notwendig erachteten Wettbewerbsfähigkeit und gegebenenfalls der Realisierung konkreter Wettbewerbsvorteile.“357 Nach dieser Sichtweise entstehen Kompetenzen in einer Organisation durch die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Mitarbeitern mit spezialisierten individuellen Fähigkeiten bei der Nutzung unternehmensspezifischer Ressourcen und Inputgüter. Im Verlauf dieser Zusammenarbeit entwickeln sich Routinen als „regular and predictable patterns of activity which are made up of a sequence of coordinated activities by individuals“.358 Routinen sind als Regeln des kollektiven Handelns auf allen Unternehmensebenen zu finden. Sie dienen der effizienten Arbeitsbewältigung und der Vorstrukturierung von Handlungen in einer Organisation.359 Damit stellen
354
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 518.
355
Vgl. Freiling (2001), S. 25.
356
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 518ff.
357
Freiling/Gersch/Goeke (2006), S. 19.
358
Grant (1991), S. 122.
359
Vgl. Pentland/Rueter (1994), S. 486ff.; Narduzzo/Warglien (2002), S. 46.
60
3 Theoretische Bezugspunkte
Routinen die Grundbausteine organisationaler Kompetenzen dar, welche deshalb auch als ein Netzwerk verschiedener Routinen aufgefasst werden.360 Für eine theoretische Fundierung des Lösungsgeschäftes und des Preismanagements auf Basis des hier vorgestellten Kompetenzansatzes müssen Bezugspunkte für Ausgestaltung und Einsatz der Ressourcenbasis identifiziert werden. Diese Betrachtung wird in den Kapiteln 4 und 5 vorgenommen. Der folgende Abschnitt wendet sich der eng mit dem ressourcenbasierten Ansatz verknüpften Prozessorientierung zu, welche die Grundlage zur Ausgestaltung von Wertschaffung und Wertaneignung in der vorliegenden Arbeit darstellt. 3.2
Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen
Die Beschreibung der Prozessorientierung in diesem Abschnitt erfolgt zweigeteilt: Zunächst werden in Abschnitt 3.2.1 die Grundlagen der Betrachtung geschaffen. Darauf aufbauend erfolgt in Abschnitt 3.2.2 eine ausführliche Darstellung des Beitrags der Prozessorientierung zum Kompetenzaufbau durch die Verbesserung organisationaler Wissensintegration und die Unterstützung von Lernvorgängen. 3.2.1
Grundlagen der Prozessorientierung
Bei einer prozessorientierten Ausrichtung baut die Unternehmensgestaltung auf der Ablauforganisation auf.361 Im Gegensatz zur Aufbauorganisation, welche die Gliederung des Unternehmens in Teilsysteme und die Zuordnung dieser zu den Tätigkeiten übernimmt, beschäftigt sich die Ablauforganisation mit der zeitlichen und räumlichen Ressourcenzuordnung sowie der Aufgabenzuordnung entlang eines Prozesses.362 Der Gedanke einer Gliederung der Unternehmensaufgaben deren Rhythmus entsprechend in Form von Prozessen ist dabei keineswegs neu, sondern wurde bereits zu Beginn der 1930er Jahre von Fritz Nordsieck formuliert.363 Erst in den 1980er Jahren erlangte die Prozessorientierung jedoch verstärkte Bedeutung in der Unternehmenspraxis. Im Gegensatz zu anderen Managementmoden364 hat sich das Konzept dabei als sehr robust gegen Kritik erwiesen.365 Die Kerngedanken des Ansatzes konnten vor allem die Organisationslehre stark beeinflussen und sind
360
Vgl. Collis (1994), S. 145; Freiling (2001), S. 127ff.; Grant (1991), S. 122f.; Nelson/Winter (1982), S. 87ff.; Rasche (1994), S. 112; Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 7f.; Winter (2003), S. 991.
361
Vgl. Becker/Kahn (2005), S. 5; Frost (2004), S. 50; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 25.
362
Vgl. Esswein (1993), S. 551; Lehmann (1974), Sp. 290; Schweitzer (1974), Sp. 1.
363
Vgl. Nordsieck (1934), S. 77.
364
Vgl. Fink (2003), S. 46ff.; Kieser (1999), S. 13ff.
365
Vgl. Gaitanides (1998), S. 381.
3.2 Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen
61
mittlerweile ein wichtiger Bestandteil von zahlreichen betriebswirtschaftlichen Konzepten. Unter dem Begriff der Prozessorientierung werden in der Literatur gegenwärtig die Schlagwörter „Prozessorganisation“, „Geschäftsprozessoptimierung“, „Business Process Reengineering“ und „Prozessmanagement“ diskutiert.366 Diese Konzepte sind dabei keineswegs überschneidungsfrei, sondern bauen teilweise aufeinander auf und ergänzen sich.367 Daraus ergibt sich eine große Vielfalt an Prozess-Definitionen. Dennoch finden sich in der Literatur verschiedene gemeinsame Aspekte in den unterschiedlichen Definitionsansätzen und so besteht weitgehende Einigkeit darin, dass ein Prozess im Wesentlichen eine zeitliche und sachlogische Abfolge von inhaltlich abgeschlossenen Aktivitäten zur Aufgabenerfüllung darstellt.368 Viele Autoren betonen in ihren Definitionen das Vorliegen einer Transformation, in deren Rahmen Inputfaktoren über Aktivitäten oder Verrichtungen in einen bestimmten Output umgewandelt werden.369 Dies lässt die enge Beziehung der Prozessorientierung zum ressourcenorientierten Ansatz und der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Kompetenz-Definition erkennen, nach der Inputgüter in Prozessen so zu kombinieren sind, dass ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil entsteht.370 Um den Erfolg des Unternehmens nachhaltig zu beeinflussen, sollten daher aus allen ablaufenden Prozessen speziell strategisch wichtige identifiziert und optimiert werden.371 In der Literatur weit verbreitet ist dabei die Differenzierung zwischen Kern- und Supportprozessen, die bei Bedarf in weitere Teilprozesse unterteilt werden können.372 Kernprozesse sind normalerweise auf externe Kunden ausgerichtet und haben eine hohe strategische Bedeutung, während Supportprozesse keine direkten Verbindungen zu den Marktleistungen des Unternehmens aufweisen, sondern Leistungen für andere Prozesse erzeugen und auf interne Kunden ausgerichtet sind.373 Dennoch lassen sich die Kernprozesse ohne
366
Vgl. Emrich (2004), S. 1; Fuhrmann (1998), S. 18; Gaitanides/Scholz/Vrohlings (1994), S. 3ff.; Helbig (2003), S. 15ff.
367
Vgl. für einen zusammenfassenden Überblick Kossmann (2006), S. 4ff.; Schulte-Zurhausen (2005), S. 48, und für die geschichtliche Entwicklung der Prozessorientierung Körmeier (1995).
368
Vgl. u.a. Becker/Kahn (2005), S. 6; Davenport (1993), S. 5; Feldmayer/Seidenschwarz (2005), S. 12; Hauser (1996), S. 13; Kleinaltenkamp (1998), S. 5; Krcmar (2005), S. 120; Osterloh/Frost (2006), S. 30ff.; Saatkamp (2002), S. 62f.; Schulte-Zurhausen (2005), S. 51; Schwarzer/Krcmar (2004), S. 75.
369
Vgl. u.a. Garvin (1998), S. 33; Hammer/Champy (1993), S. 35; Harrington/Esseling/van Nimwegen (1997), S. 9; Mertens (2005), S. 24; Staud (2006), S. 9.
370
Vgl. Abschnitt 2.1.3.
371
Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 645.
372
Vgl. Gaitanides (2007), S. 138f.; Meise (2001), S. 183ff.; Osterloh/Frost (2006), S. 36ff.
373
Vgl. Gaitanides (1998), S. 370.
62
3 Theoretische Bezugspunkte
Supportprozesse nicht durchführen.374 Über die genaue Anzahl von Kernprozessen in einem Unternehmen besteht in der Literatur Uneinigkeit,375 es wird jedoch i.d.R. eine geringe Anzahl angenommen, beispielsweise gehen Kaplan/Murdock (1991) von nur drei bis vier Kernprozessen aus.376 Osterloh/Frost (2006) übertragen die Kriterien des in Abschnitt 3.1.2 beschriebenen VRIN-Bezugsrahmens von Barney (1991) auf Prozesse und sprechen von Kernprozessen, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind:377 x Die Prozesse stiften einen wahrnehmbaren Kundennutzen, d.h. sie schaffen im Ergebnis einen Wert, für den der Kunde bereit ist, etwas zu bezahlen. x Die Prozesse sind unternehmensspezifisch, d.h. das Unternehmen muss die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen so nutzen, dass die damit verbundenen Prozesse einmalig sind. x Die Prozesse dürfen nicht leicht zu imitieren sein. x Die Prozesse dürfen nicht substituierbar sein, d.h. sie dürfen nicht einfach durch andere Lösungen ersetzt werden können. Support-Prozesse sind meist nicht unternehmensspezifisch, da die gleichen Aufgaben auch in andere Unternehmen erfüllt werden müssen. Insoweit sind diese Prozesse substituierbar und es besteht für sie häufig auch die Möglichkeit eines Fremdbezuges.378 Während die Einteilung in Kern- und Support-Prozesse vornehmlich auf den Inhalt und die Adressaten der Prozesse abstellt, können andere Dimensionen zu einer weiteren Klassifizierung beitragen. Prozesse lassen sich beispielsweise nach dem Grad der Strukturiertheit, der Wissens- und Datenintensität, der Wiederholfrequenz oder dem Umfang bzw. der Dauer unterscheiden.379 Verschiedene Autoren differenzieren Prozesse zusätzlich nach dem Detaillierungsgrad: Unterschieden werden üblicherweise Hauptprozesse, Teilprozesse und Subprozesse. Eine weitere Detaillierung von Subprozessen führt zu granularen Teilschritten in Form einzelner Aktivitäten, die nicht weiter unterteilt werden können.380 Diese Aufspaltung von Prozessen ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz. Wertschaffung
374
Vgl. Becker/Kahn (2005), S. 7.
375
Vgl. Schober (2002), S. 17ff.
376
Diese Auffassung ist nur bei einem sehr eng gefassten Unternehmensbegriff sinnvoll und soll nicht für Großunternehmen mit einem breiten Leistungsportfolio gelten. Vgl. Kaplan/Murdock (1991), S. 28f.
377
Vgl. Osterloh/Frost (2006), S. 37.
378
Vgl. Krüger/Homp (1997), S. 48f.
379
Vgl. Allweyer (2005), S. 65.
380
Vgl. Scholz/Vrohlings (1994), S. 45ff.; Thonemann (2005), S. 149f.
3.2 Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen
63
und Wertaneignung werden durch Lösungs- bzw. Preismanagement insgesamt als Prozess konzeptualisiert, dem jeweils verschiedene Teil- und Subprozesse sowie spezifische Aktivitäten und Routinen zugrunde liegen. Diese Prozesse werden gemäß obiger Eigenschaften als Kernprozesse verstanden, da sie unternehmensspezifisch und damit nicht substituierbar sind und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil begründen können. Der folgende Abschnitt stellt nun die Verbindung zwischen der Prozessorientierung und der Bildung bzw. Erhaltung von Kompetenzen über das organisationale Lernen her. 3.2.2
Prozessorientierung als Mittel zum Kompetenzaufbau
Im zuvor betrachteten Konzept der dynamischen Fähigkeiten, auf dessen Basis die Kompetenz-Definition der vorliegenden Arbeit abgeleitet wurde, bilden die Prozesse die Grundlage für die Erreichung eines Wettbewerbsvorteils und werden durch die Ressourcenausstattung beeinflusst.381 Die Nutzung der als Handlungspotenziale verstandenen Ressourcen wird in diesem Sinne durch Prozesse gesteuert und koordiniert. Eine Erweiterung dieses Gedankenganges erlaubt hierbei das Konzept des Competence-Leveraging und Competence-Building von Sanchez/Heene (2004). Das Leveraging bezieht sich auf die spezifische Anwendung der Kompetenzen zur Nutzung der Handlungspotenziale aus den Ressourcen.382 Im Competence-Building kommt die dynamische Komponente zum Ausdruck, da hier die Entwicklung von Handlungspotenzialen, die zukünftigen Erfolg ermöglichen, im Vordergrund steht.383 Hierbei fließen Erfahrungen aus dem Competence-Leveraging und Analysen von Markttrends ein, wodurch am Ende ein Kreislauf-Zusammenhang entsteht, da die neu gebildeten Kompetenzen im nächsten Schritt wieder dem Leveraging zugeführt werden und so fort.384 Aufgabe des Managements ist es, einen bestmöglichen Ausgleich zwischen der Nutzung bestehender Handlungspotenziale und der Bildung neuer Potenziale herzustellen.385 Das Zustandekommen von Entscheidungen zur Entwicklung und Nutzung von Kompetenzen erklären Sanchez/Heene (2004) über das in Abbildung 4 dargestellte Modell, welches das Unternehmen als offenes System interpretiert.386 Kernelemente sind dabei die sogenannte „Strategic Logic“ und spezielle „Management Processes“. Die Strategic Logic entspricht dem logischen Grundprinzip, dem Entscheidungsträger 381
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 518.
382
Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 8; Sanchez (2004), S. 7.
383
Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 8; Sanchez (2004), S. 8.
384
Vgl. Sanchez/Freiling (2005), S. 4; Sanchez (2004), S. 7.
385
Vgl. Sanchez (2004), S. 57.
386
Vgl. zum Systembegriff ausführlich Ulrich (1968), S. 105ff.
64
3 Theoretische Bezugspunkte
explizit oder implizit folgen, wenn es um den spezifischen Ressourceneinsatz zur Erreichung der Unternehmensziele geht.387 Die Management-Prozesse dienen der entsprechenden Umsetzung der Strategic Logic und beinhalten Aktivitäten der Informationssammlung, -aufbereitung und -verbreitung, Entscheidungen zur Ressourcenallokation und deren Kommunikation sowie die Entwicklung von Anreizsystemen zur Befolgung der Strategic Logic.388 Dabei sind Veränderungen im dynamischen Umfeld des Systems zu berücksichtigen und entsprechende Reaktionen vorzunehmen389. „Boundary“ of the Firm Strategic Logic Flows of Decisions, Resources and Information, Knowledge and Incentives Management Processes
Competition for Resources Resource Markets
Resources and Capabilities
Operations
Products
Product Markets
Abbildung 4
Product Competition
Competitors
Das Unternehmen als offenes System
390
Kompetenzen stellen folglich zeitabhängige Größen dar, die durch Lernprozesse an die veränderte Umwelt angepasst werden müssen.391 Im Vordergrund stehen dabei Koordination, Distribution und Anwendung von bereits existentem individuellem Wissen im Unternehmen.392 Lernprozesse dienen ebenso der Aktualisierung, Erweiterung und Neustrukturierung des bestehenden Wissens auf Basis von Erfahrungen oder aufgrund der Aufnahme neuer interner oder externer Informationen. Dazu gehört auch das Lernen von anderen Organisations387
Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 10.
388
Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 9.
389
Vgl. Hamel/Prahalad (1994), S. 128; Sanchez/Heene (1996), S. 55f.
390
In Anlehnung an Sanchez (2004), S. 47.
391
Vgl. Freiling (2001), S. 25; Henderson/Cockburn (1994), S. 66.
392
Vgl. Burmann (2002), S. 202; Collis (1994), S. 145; Grant (1991), S. 122; Prahalad/Hamel (1990), S. 82; Rasche (1994), S. 184.
3.2 Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen
65
mitgliedern.393 Damit die Wissenserweiterung der Organisation zur Erreichung von Unternehmenszielen beitragen kann, sollte sie stets zielgerichtet erfolgen.394 Organisationale Wissensbasis als Grundlage des Lernens Um unter diesem Aspekt das Lernen zu beleuchten und mit der Prozessorientierung zu verknüpfen, empfiehlt sich eine kurze Betrachtung der Literatur zur organisationalen Wissensbasis. Walsh/Ungson (1991) bezeichnen als Wissen eines Unternehmens die Informationen, auf die aufgrund der Unternehmensgeschichte zugegriffen werden kann, um aktuellere Probleme zu analysieren oder Entscheidungen zu treffen. Die Autoren unterscheiden zwischen sechs verschiedenen Stellen innerhalb des Unternehmens, an denen Wissen gespeichert werden kann: Der Kultur, den Transformationsprozessen, den Strukturen, der Ökologie des Unternehmens, den Individuen und externen Wissensarchiven.395 Folglich existiert eine gemeinsame Wissensbasis, die die ersten vier Orte umfasst, und eine individuelle Wissensbasis, die aus den internen und den ausgeschiedenen Mitarbeitern besteht. Das Lernen der Organisation findet dabei statt, sobald Individuen Entscheidungen treffen und diese innerhalb der Organisation an einem der beschriebenen Orte gespeichert werden.396 Probst/Raub/Romhardt (2006) vertreten ebenfalls die Ansicht, dass sich die organisationale Wissensbasis aus individuellem und kollektivem Wissen zusammensetzt, auf das ein Unternehmen zur Lösung von Problemen zurückgreifen kann.397 Auch Klimecki/Gmür (2005) unterscheiden kollektive und individuelle Wissensbestände, nehmen jedoch eine weitere Differenzierung dieses Wissens in Objektwissen und Metawissen vor. Das Objektwissen umfasst dabei Fähigkeiten, Kenntnisse, Routinen und Wissen über Kunden oder Produktionsverfahren. Metawissen besteht aus Kenntnissen über dieses Objektwissen, also wie bestimmtes Wissen über Objekte erworben, verarbeitet oder gesichert werden kann.398 Eine weitere Dimension dieses Metawissens ist das Bewusstsein, wer im Unternehmen über ein bestimmtes Wissen verfügt.399 Lernen innerhalb der Organisation findet statt, wenn sich die organisationale Wissensbasis verändert, ein gemeinschaftlicher Bezugsrahmen
393
Vgl. Lierow (2006), S. 119.
394
Vgl. Pisano (1994), S. 85ff.
395
Vgl. Walsh/Ungson (1991), S. 63ff.
396
Vgl. Walsh/Ungson (1991), S. 62f.
397
Vgl. Probst/Raub/Romhardt (2006), S. 18.
398
Vgl. Klimecki/Gmür (2005), S.136.
399
Vgl. Prusak (1997), S. 24.
66
3 Theoretische Bezugspunkte
aufgebaut wird oder die Problemlösungs- oder Handlungskompetenz eines Unternehmens steigt.400 Pautzke (1989) unterscheidet in einem horizontalen Schichtenmodell fünf verschiedene Ebenen des Wissens (vgl. Abbildung 5). Die aktuelle Wissensbasis des Unternehmens besteht aus den ersten beiden Schichten, also dem nichtindividuengebundenen, von allen Organisationsmitgliedern geteilten Wissen und dem individuellen Wissen, welches der Organisation zugänglich ist.401 Die dritte Schicht wird durch individuelles, der Organisation nicht zugängliches Wissen gebildet. Auf der vierten Stufe sind Objektwissen oder Metawissen angesiedelt, auf das die Mitglieder einer Organisation aktuell nicht zugreifen können, aber potenziell zugreifen könnten. Die dritte und vierte Schicht bezeichnet Pautzke als latentes Wissen, im Sinne eines derzeit noch verborgenen Wissens, das aber potenziell für die Organisation verfügbar wäre. Das übrige Wissen auf der fünften Ebene nennt der Autor sonstiges kosmisches Wissen.402 (5) Kosmisches Wissen (4) Wissen der Umwelt, über das ein Metawissen in der Organisation vorhanden ist (3) Der Organisation nicht zugängliches, individuelles Wissen (2) Der Organisation zugängliches, individuelles Wissen
(1) Von allen geteiltes Wissen
Aktuelle Wissensbasis Latente Wissensbasis
Abbildung 5
Schichtenmodell der organisationalen Wissensbasis
403
Das Lernen der Organisation kann in diesem Schichtenmodell auf verschiedenen Ebenen erfolgen: Einerseits lernt die Organisation durch eine Fort- oder 400
Vgl. Probst/Raub/Romhardt (2006), S. 23.
401
Vgl. Pautzke (1989), S. 79f.
402
Vgl. Pautzke (1989), S. 80.
403
In Anlehnung an Pautzke (1989), S. 79 und S. 87.
3.2 Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen
67
Weiterentwicklung der aktuellen Wissensbasis, also wenn Individuen auf bisher latentes Wissen zugreifen. Andererseits findet Lernen durch Wissensintegration statt, im Zuge derer Wissen aus einer der anderen Schichten in die Ebene des von allen geteilten Wissens transformiert wird.404 Argyris/Schön (1999) unterscheiden dabei zwei verschiedene Arten des Lernens: das „single-loop-learning“ (EinschleifenLernen) und das „double-loop-learning“ (Doppelschleifen-Lernen). Beim EinschleifenLernen beobachten Einzelpersonen den täglichen Arbeitsablauf, ermitteln auf Basis von Beobachtungen die Gründe für auftretende Probleme und leiten Lösungsmöglichkeiten ab.405 Einschleifen-Lernen kann durch leicht strukturierbare Informationen wie Zeit, Ergebnis und Qualität eines Prozesses oder einer Vorgehensweise einfach gemessen werden.406 Korrekturen werden ausschließlich vorgenommen, um den Status Quo zu halten.407 Beim Doppelschleifen-Lernen hingegen wird die handlungsleitende Theorie, welche hinter der Durchführung der Prozesse steht, in Frage gestellt bzw. korrigiert.408 Die handlungsleitende Theorie lässt sich dabei als „Strategic Logic“ nach Sanchez/Heene (2004) interpretieren, die durch Rückkopplung aus den „Management Processes“ kontinuierlich fortentwickelt wird und so die Anpassung der Organisation an ein dynamisches Umfeld ermöglicht. Die Fortentwicklung der organisationalen Wissensbasis kann sich auf individueller Ebene auch auf das „Lernen voneinander“ beziehen. Eine solche Theorie des Lernens, nach der Wissen ausschließlich durch Individuen generiert wird, stammt von Nonaka.409 Die Wissensgenese findet dabei durch eine Umwandlung bzw. Verknüpfung verschiedener Wissensformen statt.410 Dabei unterscheidet Nonaka zwischen vier verschiedenen Transformationsmöglichkeiten,411 die auf der
404
Vgl. Pautzke (1989), S.112ff.; Wiegand (1996), S. 237.
405
Vgl. Argyris/Schön (1999), S. 35f.
406
Vgl. Davenport/Beers (1995), S. 66.
407
Vgl. Argyris (1993), S. 5.
408
Vgl. Argyris/Schön (1999), S. 36.
409
Vgl. Nonaka (1991), S. 97; Nonaka (1994), S. 17.
410
Vgl. Nonaka (1991), S. 98f.; Nonaka (1994), S.18.
411
Vgl. Nonaka (1991), S. 98f.; Nonaka (1994), S. 18f.; Nonaka/Takeuchi (1997), S. 74ff.
68
3 Theoretische Bezugspunkte
Differenzierung von explizitem und implizitem Wissen basieren.412 Wird implizites Wissen mit implizitem Wissen im Wege eines Erfahrungsaustausches kombiniert, spricht Nonaka von Sozialisation. In diesem Fall wird das implizite Wissen zwischen zwei Personen dadurch ausgetauscht, dass sie beispielsweise das Verhalten des anderen bei der Arbeit beobachten und anschließend nachahmen. 413 Diese Methode benötigt häufige Interaktionen innerhalb kleiner Gruppen und die Entwicklung einer gemeinsamen Verständigungsbasis.414 Bei der Externalisierung wird neues, für die ganze Organisation nutzbares Wissen geschaffen, indem implizites Wissen artikuliert oder niedergeschrieben wird. Die Externalisierung bildet laut Nonaka den Schlüssel zur Wissensschaffung, da aus implizitem Wissen explizite Konzepte (mithilfe von Metaphern, Analogien oder Modellen) erzeugt werden.415 Die Kombination dient dazu, verschiedene externalisierte Wissenskonzepte miteinander zu verbinden. Der Austausch der Informationen läuft hier meist über Medien wie Dokumente, Besprechungen, Telefongespräche oder Computernetzwerke. Dabei kann eine veränderte Zusammenstellung von bereits vorhandenem Wissen zu gänzlich neuem Wissen führen.416 Bei der Internalisierung werden schließlich die neu erarbeiteten Konzepte durch Learning by doing verinnerlicht und angewendet. Zur Förderung des Übergangs von explizitem in implizites Wissen werden die Konzepte in Dokumenten, Handbüchern oder mündlichen Geschichten festgehalten. Dokumentationen unterstützen die Internalisierung von Erfahrungen und erleichtern die Übermittlung von explizitem Wissen an andere.417 Unterstützung von Lernvorgängen durch die Prozessorientierung Zu einer Optimierung von Lernvorgängen auf individueller Ebene kann die Prozessorientierung explizit beitragen. Informationspathologien im Sinne von 412
Diese Unterscheidung ist in der Literatur sehr weit verbreitet und geht auf Michael Polanyi zurück. Explizites Wissen gilt als systematisch, leicht formalisierbar und kommunizierbar, da es mittels formaler Methoden wie Grammatik und Mathematik artikuliert werden kann und somit auch außerhalb des menschlichen Kopfes in Medien, wie beispielsweise Handbüchern, gespeichert werden kann. Deshalb wird es auch als Wissen der Vernunft oder theoretisches Wissen bezeichnet (vgl. Nonaka (1991), S. 98; Nonaka/Toyama/Byosière (2001), S. 4). Im Gegensatz dazu hat das implizite Wissen einen hohen Anteil an kognitiven Dimensionen. Es besteht aus tief verwurzelten mentalen Modellen, Annahmen und Perspektiven, derer sich die Individuen selbst nicht bewusst sind und sie deswegen auch nicht einfach ausdrücken können (vgl. Kirsch (1992), S. 316; Nonaka (1991), S. 98). Implizites Wissen wird daher auch als Erfahrungswissen oder als praktisches Wissen bezeichnet (vgl. Nonaka/Toyama/Byosière (2001), S. 4). Beispiele für implizites Wissen sind Suchregeln oder Heuristiken als Herangehensweisen zur Identifikation von Lösungswegen für Probleme (vgl. Kogut/Zander (1992), S. 389; Polanyi (1966), S. 23f.).
413
Vgl. Nonaka/Takeuchi (1997), S. 75.
414
Vgl. Prusak (1997), S. 24.
415
Vgl. Nonaka/Takeuchi (1997), S. 77ff.
416
Vgl. Nonaka/Takeuchi (1997), S. 81.
417
Vgl. Nonaka/Takeuchi (1997), S. 82f.
3.2 Prozessorientierung als Grundlage organisationaler Kompetenzen
69
Fehlfunktionen der organisationalen Wissensverarbeitung können das Lernen gemäß der Theorie von Nonaka behindern.418 Obwohl also Individuen eigentlich in der Lage wären, zu lernen, kann es trotzdem passieren, dass dies aufgrund von Lernbarrieren nicht geschieht.419 Eine prozessorientierte Organisationsgestaltung bildet per Definition die Aktivitäten der Unternehmung möglichst material- und informationsflussfördernd ab und versucht, Schnittstellen zu reduzieren und zu optimieren. 420 Der Abbau solcher Barrieren für die Wissensübertragung ist gleichbedeutend mit einer Förderung der Interaktion im Unternehmen und damit des voneinander Lernens zwischen Individuen.421 So kann beispielsweise die Einrichtung von Prozessteams den Transfer von implizitem und explizitem Wissen durch den häufigen intensiven Kontakt der Teammitglieder fördern.422 Auch Sanchez/Heene (1997) sehen die Förderung solcher Lernvorgänge als Teil der „Management Processes“ in ihrem Modell an.423 Darüber hinaus kann eine prozessorientierte Organisationsgestaltung auch die Wissensintegration im Sinne des Schichtenmodells von Pautzke fördern. Nonaka (1991) sieht die Gestaltung des organisationalen Kontextes als Schlüsselfaktor für die Verbesserung der Wissensintegration an.424 Anzustreben sind wie schon beim Lernen zwischen Individuen interaktionsförderliche, flache Hierarchien ohne funktionale Beschränkungen und viele vertikale Schnittstellen, die den Wissenstransfer zwischen Individuen und Abteilungen behindern und so zu einem Versagen der hierarchischen Koordination führen würden.425 Auf diese Weise kann der Organisation zugängliches, individuelles Wissen gemäß dem Modell von Pautzke (1989) in von allen geteiltes Wissen überführt werden. Weitere Bedeutung für die Wissensintegration kommt der Gestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen im Unternehmen zu. Diese können maßgeblich zur Kombination von personengebundenem und -ungebundenem Wissen und insofern zur Ausschöpfung der bestehenden Wissensbasis im Unternehmen beitragen.426 Insbesondere die technische Unterstützung im Zuge der Prozessorientierung kann hierbei als wesentliches Element angesehen werden, da dadurch ursprünglich voneinander 418
Vgl. Kirsch (1992), S. 313.
419
Vgl. North (1999), S. 54.
420
Vgl. Nippa (1995), S. 42; Schulte-Zurhausen (2005), S. 228f.; Schwarzer/Krcmar (2004), S. 77f.
421
Vgl. Kossmann (2008), S. 122.
422
Vgl. Gemünden/Högl (2005), S. 9; Sarin/Mahajan (2001), S. 35.
423
Vgl. Sanchez/Heene (1997), S. 7.
424
Vgl. Nonaka (1991), S. 102.
425
Vgl. Doz/Thanheiser (1993), S. 302; Grant (1996), S. 117ff.; Sanchez/Mahoney (1996), S. 64.
426
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 118; Powell/Dent-Micallef (1997), S. 375ff.; Segars/Grover (1996), S. 384.
70
3 Theoretische Bezugspunkte
isolierte Tätigkeiten und Wissensbestandteile integriert und koordiniert werden können.427 Die dynamische Komponente von Kompetenzen impliziert die Berücksichtigung der Umwelt und macht damit die Integration externen Wissens in die Organisation durch die Erhebung von Informationen aus dem Umfeld erforderlich.428 Auch hierzu kann die Prozessorientierung einen entscheidenden Beitrag leisten. Als Maß, wie gut eine Strategie den Zugang zu externen Wissensressourcen ermöglicht, gilt dabei die sogenannte „Absorptionsfähigkeit“ eines Unternehmens. Cohen/Levinthal (1990) sehen Absorptionsfähigkeit als die Gesamtheit der absorptiven Fähigkeiten einer Firma, bestehend aus dem Erkennen des Wertes von neuem, externem Wissen, der Fähigkeit, dieses Wissen zu assimilieren sowie es wirtschaftlich anzuwenden bzw. zu verwerten.429 Die Assimilations-/Verarbeitungsfähigkeit eines Unternehmens bezieht sich dabei explizit auf Prozesse und unternehmensinterne Abläufe, mit Hilfe derer externes Wissen verarbeitet, analysiert, interpretiert und verstanden wird.430 Die zentrale Frage für das Management gemäß der „Strategic Logic“ nach Sanchez/Heene (2004) ist in diesem Sinne, wie Prozesse etabliert werden können, die zielsicher unterscheiden, welchem externen Wissen hohe Aufmerksamkeit gelten muss, und welche der akquirierten Informationen ignoriert werden können.431 Existierendes Vorwissen wird dabei als wesentlicher Einflussfaktor für die Fähigkeit angesehen, externe Informationen zu verarbeiten bzw. zu assimilieren. 432 Schemata und Prozesse stellen solches Vorwissen dar, mit deren Hilfe Unternehmen versuchen, externe Informationen einzuordnen und zu verstehen.433 Demzufolge kann fehlendes oder unvollständiges Vorwissen in Form mangelnder Prozesse dazu führen, dass externe Ideen und Entdeckungen ganz aus dem Suchfeld des Unternehmens verschwinden oder dass akquirierte Informationen übersehen oder ignoriert werden, weil kein Verständnis und Zugang zu diesem externen Wissen besteht.434 Dementsprechend kann die Prozessorientierung also die Herausbildung
427
Vgl. Krcmar (1992), S. 431; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 67f.; Reichwald/Möslein (2000), S. 121; Saatkamp (2002), S. 157; Schwarzer/Krcmar (2004), S. 78f.
428
Vgl. Collis (1991), S. 52; Grant (1991), S. 131f.; Hamel/Prahalad (1994), S. 79ff.; Leonard-Barton (1992), S. 113f.
429
Vgl. Cohen/Levinthal (1990), S. 128.
430
Vgl. Cohen/Levinthal (1990), S. 131; Zahra/George (2002), S. 189.
431
Vgl. Lane/Klavans (2005), S. 188f.; Lane/Koka/Pathak (2006), S. 857; Zahra/George (2002), S. 193.
432
Vgl. Sinkula (1994), S. 36f.
433
Vgl. Cohen/Levinthal (1990), S. 132f.; Lane/Koka/Pathak (2006), S. 858; Lane/Lubatkin (1998), S. 464; Maltz/Kohli (1996), S. 47f.; Zahra/George (2002), S. 189.
434
Vgl. Cyert/March (1963), S. 108; Zahra/George (2002), S. 189.
3.3 Neue Institutionenökonomik
71
der Absorptionsfähigkeit eines Unternehmens gezielt unterstützen und so zur Integration externen Wissens in die organisationale Wissensbasis beitragen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine prozessorientierte Unternehmensgestaltung auf verschiedenen Ebenen zum organisationalen Lernen und zur Wissensintegration beiträgt. Damit fördert sie die angesichts der dynamischen Umwelt notwendigen Prozesse der Anpassung und Neubildung von Kompetenzen im Unternehmen. Die bisher geschilderten theoretischen Bezugspunkte bilden die Basis für die Fundierung von Wertschaffung und Wertaneignung. Für ein in Teilaspekten differenzierteres Verständnis werden im nachfolgenden Abschnitt zusätzlich noch die Transaktionskostentheorie und deren Bezüge zum ressourcenorientierten Ansatz sowie die Informationsökonomik vorgestellt. 3.3
Neue Institutionenökonomik
Im Analysefokus der Neuen Institutionenökonomik stehen Existenz und Verhalten von Institutionen, verstanden als sozial sanktionierbare Erwartungen (z.B. Verfügungsrechte, Verträge, Organisationsstrukturen oder Märkte).435 Der Ansatz löst sich dabei von den restriktiven Prämissen der neoklassischen Theorie hinsichtlich deren Annahme vollkommener Information und rationaler Akteure. Dem in der neoklassischen Theorie als vollkommen angesehen Markt steht in der NIÖ eine unvollkommene Welt gegenüber, in der insbesondere die begrenzte Möglichkeit der Marktteilnehmer zur Informationsaufnahme und -verarbeitung, deren opportunistisches Verhalten und die Dauerhaftigkeit von Verträgen berücksichtigt werden.436 Jedoch wendet sich die Neue Institutionenökonomik nicht gänzlich von der neoklassischen Theorie ab, sondern ergänzt deren Prinzipien und Methoden um wesentliche, bisher nicht berücksichtigte Aspekte.437 Innerhalb der Neuen Institutionenökonomik lassen sich grundsätzlich drei Teilgebiete unterscheiden: Property-Rights-Theorie, Principal-Agent-Theorie und Transaktionskostentheorie.438 Hinzu kommt die Informationsökonomik, die als spezielles Anwendungsgebiet der Institutionenökonomik gilt.439 Sie durchdringt die Property-
435
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 247; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 45; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 35; Richter/Bindseil (1995), S. 132.
436
Vgl. Gümbel/Woratschek (1995), Sp. 1009; Hax (1991), S. 56; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 46; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 35.
437
Vgl. Furubotn/Richter (1984), S. 1.
438
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 247; Gümbel/Woratschek (1995), Sp. 1010; Hax (1991), S. 55; Kieser/Walgenbach (2007), S. 50; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 46; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 35.
439
Vgl. Kaas (1995b), S. 3f.; Kaas (1995a), Sp. 980.
72
3 Theoretische Bezugspunkte
Rights-Theorie und den Transaktionskostenansatz hinsichtlich der Auswirkungen ökonomisch relevanter Beziehungen zwischen Menschen bei eingeschränkter Infomationsaufnahme und -verarbeitung.440 Zur theoretischen Fundierung der Wertschaffung und Wertaneignung in der vorliegenden Arbeit können die PropertyRights-Theorie441 und die Principal-Agent-Theorie442 keine umfassenden Beiträge liefern.443 Dagegen bietet es sich an, die Transaktionskostentheorie (vgl. Abschnitt 3.3.1) und die Informationsökonomik (vgl. Abschnitt 3.3.3) zur theoretischen Fundierung der Austauschbeziehungen zwischen Anbieter und Kunde heranzuziehen. In Abschnitt 3.3.2 werden der ressourcenorientierte Ansatz und die Transaktionskostentheorie zueinander in Beziehung gesetzt, was insbesondere weitergehende Implikationen für ein besseres Verständnis der Wertaneignung erlaubt. 3.3.1
Transaktionskostentheorie
Die Transaktionskostentheorie basiert in ihrer ursprünglichen Form auf den Arbeiten von Coase (1937) und Commons (1931, 1934). Die Argumentation gründet dabei primär auf einer Kritik an den Annahmen der neoklassischen Theorie hinsichtlich der Marktkoordinationsfunktion des Preises. Coase (1937) führt dazu aus, dass die Nutzung des Preismechanismus mit Kosten verbunden ist, wobei er Transaktionskosten als diejenigen Kosten ansieht, die bei der Nutzung des Preismechanismus entstehen.444 In diesem Sinne kann die Transaktionskostentheorie erklären, warum Transaktionen in bestimmten institutionellen
440
Vgl. Gümbel/Woratschek (1995), Sp. 1010.
441
Vgl. für eine ausführliche Darstellung u.a. Alchian (1961); Alchian (1965); Alchian/Demsetz (1973); Demsetz (1967); Picot (1981); Picot/Dietl/Franck (2008), S. 46ff.
442
Vgl. für eine ausführliche Darstellung u.a. Elschen (1991); Jensen/Meckling (1976); Picot/Dietl/Franck (2008), S. 72ff.; Pratt/Zeckhauser (1985).
443
Die Property-Rights-Theorie kann insofern einen Beitrag zur vorliegenden Arbeit leisten, als sie ein verändertes Ressourcenverständnis erlaubt (vgl. Foss (2003), S. 150ff.; Foss/Foss (2005), S. 543; Williamson (1999), S. 1102f.). Die wesentlichen Implikationen für die vorliegende Arbeit leiten sich hierbei aber aus transaktionskostentheoretischen Überlegungen ab und werden deshalb ergänzend zur Darstellung der Transaktionskostentheorie geschildert (vgl. Abschnitt 3.3.2). Die Principal-Agent-Theorie beschäftigt sich mit Informationsasymmetrien in arbeitsteiligen Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehungen (vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 72f.) und wurde ursprünglich nicht für die Analyse marktlicher Austauschbeziehungen entwickelt (vgl. Elschen (1991), S. 1007f.). Unsicherheits- und Informationsprobleme werden in der vorliegenden Arbeit über den Einbezug der Informationsökonomik adressiert. Dieser ist innerhalb der NIÖ ein besonderer Stellenwert beizumessen, da sie mit ihrer Betrachtung von Unsicherheit und asymmetrischen Informationsverteilungen zwischen Marktparteien eine grundlegende Perspektive einnimmt und insofern eine gemeinsame Basis für das gesamte Forschungsgebiet der NIÖ liefert (vgl. Weiber (2004), S. 81).
444
Vgl. Coase (1937), S. 390f.
3.3 Neue Institutionenökonomik
73
Arrangements mehr oder weniger effizient abgewickelt werden.445 Zentrale Zielsetzung ist die Koordination arbeitsteilig erbrachter Leistungen zu minimalen Transaktionskosten.446 Jahrzehntelang stieß die Theorie auf geringes wissenschaftliches Interesse und erlangte ihre heutige Bedeutung erst mit verschiedenen Weiterentwicklungen durch Williamson in den 1970er und 1980er Jahren.447 Dessen, im Vergleich zu Coase, deutlich breiteres Verständnis des Transaktionbegriffes ermöglicht die Anwendung der Transaktionskostentheorie auf viele ökonomische Fragestellungen. Für Williamson (1981) liegt eine Transaktion vor, wenn „a good or service is transferred across a technologically separable interface“.448 Zur Gegenüberstellung der Effizienz alternativer Koordinationsformen für eine Transaktion legt die Transaktionskostentheorie die Summe aus den jeweils anfallenden Produktionskosten und den Transaktionskosten als Effizienzkriterium zugrunde.449 Williamson (1985) differenziert dabei zwischen Transaktionskosten vor Vertragsabschluss (ex ante) und nach Vertragsabschluss (ex post) im Zuge des Leistungsaustausches.450 Im Einzelnen sind dabei unter Transaktionskosten sämtliche Kosten zu subsumieren, die bei der Bestimmung, Übertragung und Durchsetzung von Verfügungsrechten anfallen und sich anhand der Phasen des Transaktionsprozesses in (1) Anbahnungskosten, (2) Vereinbarungskosten, (3) Abwicklungskosten, (4) Kontrollkosten sowie (5) Anpassungskosten einteilen lassen.451 Die Anbahnungskosten bezeichnen die Kosten, die ex ante bei der Informationssuche und -beschaffung im Rahmen der Selektion eines möglichst guten Vertragspartners anfallen. Vereinbarungskosten umfassen ex ante entstehende Kosten, u.a. für Verhandlung, Vertragsgestaltung, Abstimmung und Planung. Abwicklungskosten fallen ex post nach Vertragsabschluss an und bezeichnen Kosten, die bei der Steuerung der Vertragsumsetzung bzw. der Verhandlungsergebnisse anfallen. Unter den Kontrollkosten sind Kosten zu verstehen, die ex post bei der Überprüfung der Verträge und Vereinbarungen, z.B. hinsichtlich Qualität und Termintreue, anfallen. Anpassungskosten entstehen schließlich, wenn aufgrund ex post veränderter Rahmenbedingungen (z.B. Mengen-
445
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 277; Kieser/Walgenbach (2007), S. 52.
446
Vgl. Williamson (1991a), S. 277.
447
Vgl. Williamson (1975; 1979; 1981a; 1981b; 1985; 1989; 1990a; 1990b; 1991a; 1991b; 1996; 1999).
448
Vgl. Williamson (1981b), S. 1544.
449
Vgl. Williamson (1985), S. 22.
450
Vgl. Williamson (1985), S. 20ff.
451
Vgl. Kieser/Walgenbach (2007), S. 53; Picot (1982), S. 270; Picot/Dietl (1990), S. 178; Reichwald (2005), S. 293; Richter/Furubotn (2003), S. 58ff.; Williamson (1975); Williamson (1979).
74
3 Theoretische Bezugspunkte
oder Preisanpassungen) neue Verträge und Vereinbarungen ausgehandelt werden müssen.452 Als Koordinationsformen für Transaktionen werden in der Literatur die Extremformen Markt und Hierarchie (Unternehmen) sowie auf einem Kontinuum dazwischen ein breites Spektrum sogenannter Hybridformen unterschieden.453 Dadurch ist die Transaktionskostentheorie im Stande, einen Erklärungsbeitrag für unterschiedliche Koordinationsformen in der realen Welt zu liefern.454 Eine Organisationsform ist einer anderen vorzuziehen, wenn sie bei einer bestimmten Aufgabe bzw. Transaktion zu niedrigeren Transaktionskosten führt.455 Determiniert wird die Höhe der Kosten durch Transaktionsbedingungen, die gemäß dem „Organizational failure framework“ von Williamson von den Verhaltensannahmen, den Umweltbedingungen und der Transaktionsatmosphäre abhängen.456 In der Transaktionskostentheorie werden den Akteuren zwei zentrale Verhaltensannahmen unterstellt: beschränkte Rationalität und Opportunismus.457 Dabei bezeichnet die beschränkte Rationalität die limitierte menschliche Fähigkeit zur Informationsgewinnung und -verarbeitung.458 Opportunismus stellt auf die Verhaltensweise der Akteure ab, vorteilhafte Positionen zur Durchsetzung eigener Interessen (nicht immer, aber gelegentlich) auch zum Nachteil des Transaktionspartners auszunutzen (z.B. durch Zurückhaltung exklusiver Informationen).459 Die wichtigsten Umweltbedingungen sind die Spezifität und die Unsicherheit der Transaktionen.460 Insbesondere der Spezifität wird eine besondere Bedeutung im
452
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 278; Picot (1982), S. 270; Picot/Dietl (1990), S. 178; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 57; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 42.
453
Vgl. Picot (1982), S. 273f.; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 42; Reichwald/Bonnemeier (2009), S. 1207f.; Williamson (1991a), S. 277ff.
454
Vgl. Picot (1982), S. 267; Williamson (1990b), S. 18f.
455
Vgl. Reichwald/Bonnemeier (2009), S. 1207.
456
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 58; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 43; Williamson (1975), S. 40.
457
Vgl. Picot (1982), S. 267; Williamson (1975), S. 21ff.
458
Vgl. Hildebrand (1997), S. 85.
459
Vgl. Kaas (1995c), S. 26; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 58f.; Williamson (1975), S. 26ff.
460
Vgl. Williamson (1985), S. 22. Im „Organizational failure framework“ werden darüber hinaus auch noch die Häufigkeit und die strategische Bedeutung der Transaktion angeführt (vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 59). Insbesondere der Häufigkeit wird jedoch in der Literatur untergeordnete Bedeutung zugesprochen (vgl. Homburg (2000), S. 45; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 44), weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll. Die strategische Bedeutung einer Transaktion trägt zur Relativierung des Merkmals der Spezifität bei. So sind sehr spezifische Transaktionen vor allem dann problematisch, wenn sie für einen oder beide Transaktionspartner gleichzeitig eine hohe strategische Bedeutung haben (vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 60). Umgekehrt nimmt der Einfluss der Spezifität ab, wenn die Transaktion von geringer strategischer Bedeutung ist.
3.3 Neue Institutionenökonomik
75
Sinne der Gestaltung der effizientesten Koordinationsform beigemessen. Im Wesentlichen sind dabei die folgenden Aspekte von Spezifität zu unterscheiden, die in der Praxis auch kombiniert auftreten können:461 x Standortbezogene Spezifität („site specifity“): Investitionen der Transaktionspartner in Einrichtungen, die an einen festen Ort gebunden sind. x Technologiebezogene Spezifität („physical asset specificity“): Investitionen der Transaktionspartner in spezifische Anlagen und Technologien, die zur Vernetzung zwischen den Unternehmen bzw. zur Nutzung der Leistungen wichtig sind. x Personalbezogene Spezifität („human asset specificity“): Investitionen spezifisches Wissen bzw. Entwicklung spezifischer Mitarbeiterqualifikationen.
in
x Kapazitätsbezogene Spezifität („dedicated assets“): Investitionen der Transaktionspartner in unspezifische Anlagen ausschließlich für eine geplante Transaktion. Die Kapazitäten können in keiner anderen Geschäftsbeziehung verwendet werden. Je höher diese spezifischen Investitionen ausfallen, desto stärker sind die Abhängigkeit und die Bindungsintensität der Transaktionspartner.462 In Kombination mit opportunistischem Verhalten der Akteure führt dies zu Koordinationsschwierigkeiten, wobei eine Absicherung dieses Spezifitätsrisikos hohe Transaktionskosten nach sich zieht.463 Diese Problematik wird durch die zweite Umweltbedingung der Unsicherheit zusätzlich verschärft.464 Diese ist ein Maß für Vorhersehbarkeit und die Häufigkeit von Änderungen an der Leistungsvereinbarung im Rahmen einer Transaktion und kann vor allem im Hinblick auf die begrenzte Rationalität der Akteure problematisch sein.465 Nach Williamson (1985) wird das Ausmaß der Unsicherheit vor allem von der Komplexität der Umwelt, der begrenzten Vorhersehbarkeit von Umweltbedingungen (Auftreten unerwarteter Ereignisse, Veränderung der Verbraucherpräferenzen) sowie der Unvorhersehbarkeit des Verhaltens der Transaktionspartner (opportunistisches Verhalten) beeinflusst.466 Im Rahmen der Transaktionsatmosphäre werden alle soziokulturellen und technischen Faktoren erfasst, die Einfluss auf die Transaktionskosten verschiedener Koordinationsinstrumente haben.467 Dabei handelt es sich um Interaktionseffekte mit
461
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 43; Williamson (1985), S. 95ff.; Williamson (1989), S. 143.
462
Vgl. Williamson (1990b), S. 61.
463
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 283; Picot/Dietl (1990), S. 181.
464
Vgl. Williamson (1990b), S. 64ff.
465
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 59; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 44.
466
Vgl. Picot/Dietl (1990), S. 179; Williamson (1985), S. 56ff.
467
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 61.
76
3 Theoretische Bezugspunkte
den Auswirkungen von Verhaltensannahmen und Umweltbedingungen auf die Höhe der Transaktionskosten, denen die beteiligten Akteure einen Wert an sich beimessen.468 Picot/Dietl/Franck (2008) erklären dies beispielhaft anhand von Transaktionen im Freundeskreis, bei denen selbst bei hoher Spezifität üblicherweise auf Absicherung gegen Opportunismus verzichtet wird, weil faires Verhalten für alle Beteiligten einen Wert an sich darstellt.469 Ein bedeutsamer Interaktionseffekt auf die Beziehung zwischen Spezifität und Transaktionskosten geht außerdem von den verfügbaren Informations- und Kommunikationstechniken aus. Durch den Einsatz technischer Infrastruktur „lohnt“ sich zur Transaktionsabwicklung der Übergang vom Markt zu hybriden Organisationsformen und zu hierarchischen Unternehmungen erst bei einem höheren Spezifitätsgrad.470 Dies ist zugleich die Überleitung zum zentralen Beitrag der Transaktionskostentheorie im Rahmen der vorliegenden Arbeit: Ab einer gewissen Höhe von Spezifität und Unsicherheit weisen hybride Koordinationsformen Vorteile gegenüber kurzfristigen Austauschbeziehungen über den Markt auf.471 Geschäftsbeziehungen werden dabei in der Literatur als spezielle Formen dieser hybriden Kooperationsmechanismen angesehen.472 Die Ausgestaltung solcher Beziehungen im Rahmen der Wertschaffungsstrategie der Lösungsorientierung wird abhängig von Spezifität und Unsicherheit im Detail in Kapitel 4.2 betrachtet. Der folgende Abschnitt erarbeitet in einer weitergehenden Betrachtung Bezugspunkte zwischen der Transaktionskostentheorie und dem ressourcenorientierten Ansatz, die insbesondere eine fundierte theoretische Analyse des Zusammenhangs von Wertschaffung und Wertaneignung erlauben. 3.3.2
Zusammenhang zwischen Transaktionskostentheorie und RBV
In neuerer Zeit wird von einer wachsenden Literaturströmung die Auffassung vertreten, dass die Aussagen der Neuen Institutionenökonomik einen wichtigen Beitrag zu einem erweiterten Verständnis des ressourcenbasierten Ansatzes leisten
468
Vgl. Williamson (1975), S. 37.
469
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 61.
470
Vgl. Picot/Ripperger/Wolff (1996), S. 71; Reichwald/Bonnemeier (2009), S. 1207f.
471
Vgl. Williamson (1990b), S. 101f.
472
Vgl. Homburg (2000), S. 49; Picot (1982), S. 274.
3.3 Neue Institutionenökonomik
77
können.473 Dabei sind die Defizite des RBV im Hinblick auf die Erklärungsziele der NIÖ offensichtlich: Der RBV fokussiert sich einzig auf Wettbewerbsvorteile, wodurch keine Unternehmenstheorie im eigentlichen Sinne konstituiert wird. Außerdem werden Institutionengefüge außerhalb des fokalen Unternehmens nahezu vollständig ausgeblendet, die Umwelt wird nur als Selektionsmechanismus in Marktform verstanden.474 Für die vorliegende Arbeit ist dabei vor allem von Interesse, dass die Integration von Denkansätzen aus der Transaktionskostentheorie das Verständnis von Wertschaffung und Wertaneignung verbessern kann. Dass die Unterscheidung zwischen diesen beiden Dimensionen in den meisten Arbeiten zum RBV bislang vernachlässigt wurde, haben die Abschnitte 2.3.1 und 2.3.2 bereits deutlich gemacht. Hier kann die ökonomische Theorie Ergänzungen liefern. Foss/Foss (2004) führen dazu aus: „It is a key insight of economics that determining the size of the pie is different from dividing the pie, and that dividing the pie may influence the size of the pie.“475 Grundlage der Kritik ist, dass die im RBV angenommenen Ressourcenvorteile einzelner Unternehmen in der Realität nur entstehen können, wenn die Faktormärkte unvollkommen sind, also Transaktionskosten bzw. Informationsasymmetrien zwischen den Marktpartnern existieren.476 In Kapitel 2.3.2 wurde herausgearbeitet, dass die Wertaneignung des Anbieters über den Preis wesentlich von Verhandlungen beeinflusst wird. Die referierten Ansätze von Coff (1999) und Lippman/Rumelt (2003a, b) vermögen jedoch mittels des Resource-based View keine explizite Verknüpfung zwischen der Wertschaffung und der Wertaneignung herzustellen.477 Der ergänzende Einbezug der Transaktionskostentheorie ermöglicht nun einerseits ein weitergehendes Verständnis der Wert-
473
Vgl. u.a. Bamberger/Wrona (1996); Foss (1993); Foss/Foss (2003); Foss/Foss (2004); Foss/Foss (2005); Foss/Foss (2006); Freiling (2001); Kim/Mahoney (2006); Madhok (2002); Mahoney/Pandian (1992); Rumelt (1984); Silverman (1999); Spilker (2006); Teece (1986); Williamson (1999). Die Diskussion befindet sich dabei aktuell noch stark im Fluss, vgl. hierzu exemplarisch die wechselseitigen Kommentare von Kim/Mahoney (2006) und Foss/Foss (2006). Freiling (2001), S. 67f., lehnt eine Zusammenführung der Gedankengänge beider Forschungsströmungen u.a. aufgrund nicht vereinbarer Prämissen sogar grundsätzlich ab. Die vorliegende Arbeit ist sich der vorgebrachten Kritik bewusst, macht sich aber für eine bessere Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen diese Literaturströmung dennoch zu Nutze, zumal die Argumentation auf sehr fokussierter Ebene erfolgt und keine weitergehende Theoriebildung zum Ziel hat.
474
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 112f.; Madhok (2002), S. 536; Moldaschl/Diefenbach (2003), S. 151.
475
Foss/Foss (2004), S. 112f. Hervorhebung durch den Verfasser.
476
Vgl. Börner (2000), S. 689; Foss/Foss (2003), S. 151.
477
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 113.
78
3 Theoretische Bezugspunkte
schaffung durch die Reduktion von Transaktionskosten, und andererseits eine erweiterte Verhandlungsperspektive im Bereich der Wertaneignung.478 Transaktionskosten entstehen per Definition im Zuge der Bestimmung, Übertragung und Durchsetzung von Verfügungsrechten.479 Aufbauend darauf wird in der Literatur ein abgewandelter Ressourcenbegriff vorgeschlagen, demgemäß Ressourcen als Bündel aus Verfügungsrechten an Attributen (Merkmalen, Eigenschaften) der Inputgüter eines Unternehmens zu verstehen sind.480 Dieses Konzept geht auf Barzel (1982, 1997) zurück, der Produkte bzw. Ressourcen als Zusammensetzung verschiedener Funktionalitäten und Verwendungen ansieht, für die jeweils Verfügungsrechte definiert sind.481 Aus dieser Sichtweise heraus ergibt sich eine zentrale Implikation: Wertschaffung entsteht nicht durch eine Ressource selbst, sondern ist das Ergebnis eines Prozesses des Wirtschaftens mit der Ressource unter Einbezug der entstehenden Transaktionskosten.482 Diese Argumentation bekräftigt erneut die in der vorliegenden Arbeit angestrebte Prozessperspektive auf die Wertschaffung (und die Wertaneignung). Sind die Verfügungsrechte an den Attributen der Inputgüter unvollständig zugeordnet, vereint also nicht ein Akteur alle Verfügungsrechte auf sich, können externe Effekte in Form positiver oder negativer Nutzenveränderungen für andere beteiligte Akteure auftreten.483 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Ressourcen vor der Imitation oder Substitution durch Wettbewerber geschützt werden müssen (negativer externer Effekt für den Ressourcen-Eigentümer).484 In diesem Zusammenhang geht das Coase-Theorem485 davon aus, dass Marktteilnehmer die durch solche externen Effekte entstehenden Probleme selbst lösen können, indem sie über die Allokation von Ressourcen verhandeln und diese 478
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 542.
479
Vgl. Abschnitt 3.3.1.
480
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 116; Foss/Foss (2005), S. 542; Kim/Mahoney (2006), S. 41.
481
Vgl. Barzel (1982), S. 27f.; Barzel (1997), S. 55, sowie die weitergehenden Ausführungen zur „Property-Rights-Theorie“ u.a. bei Alchian (1961); Alchian (1965); Alchian/Demsetz (1973); Demsetz (1967); Picot (1981); Picot/Dietl/Franck (2008), S. 46ff. Diese sollen hier nicht über das zur Fundierung der vorliegenden Argumentation notwendige Maß hinaus vertieft werden. Grundsätzlich werden vier Arten von Verfügungsrechten unterschieden: Das Recht zur Nutzung eines Gutes, das Recht zur Veränderung eines Gutes, das Recht zur Gewinnaneignung bzw. die Pflicht zur Verlustübernahme und das Recht zur Veräußerung des Gutes (vgl. Alchian/Demsetz (1973), S. 783). Je konzentrierter und exklusiver die Zuordnung der Verfügungsrechte auf einen Akteur, umso wertvoller ist das Gut (vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 46f.).
482
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 543; Kim/Mahoney (2006), S. 41.
483
Vgl. Coase (1960), S. 8; Demsetz (1967), S. 348; Ebers/Gotsch (2006), S. 251; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 48.
484
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 544f., sowie die Ausführungen zum VRIO-Framework von Barney in Abschnitt 3.1.2.
485
Vgl. Coase (1960), S. 3ff.; Stigler (1966), S. 113.
3.3 Neue Institutionenökonomik
79
ohne Transaktionskosten tauschen können. Wird die Gültigkeit des Coase-Theorems und damit das Nichtvorhandensein von Transaktionskosten unterstellt, kann in einer Austauschbeziehung eine effiziente Zuordnung der Ressourcen erreicht und damit der maximal mögliche Wert geschaffen werden.486 Da Verhandlungen in einer solchen Situation keine Kosten verursachen würden, sind Wertschaffung und Wertaneignung voneinander vollkommen unabhängige Dimensionen. Die Transaktionspartner können zuerst den Wert aus ihren Ressourcen maximieren und dann in einem zweiten Schritt (ohne Kosten) über dessen Verteilung verhandeln.487 Wird die realitätsferne Annahme nicht vorhandener Transaktionskosten488 jedoch aufgegeben, sind die Ressourcenallokation und die Durchsetzung von Verfügungsrechten mit Kosten verbunden, da der Ressourceneigentümer seine Rechte an den Attributen der Inputgüter in zeitraubenden Verhandlungen oder durch Überwachungsmaßnahmen gegen Konkurrenten oder Kunden behaupten muss.489 Wertschaffung und Wertaneignung werden damit zu einem erklärungsbedürftigen Phänomen: Ein Unternehmen kann zwar über einen Wettbewerbsvorteil verfügen, aufgrund unvollständiger Verfügungsrechte wegen kostenbehafteter Verhandlungen in der Wertaneignung aber nur geringe oder keine Renten realisieren. 490 Dies erweitert die Sichtweise des RBV im Bezug auf den Beitrag von Ressourcen zur Generierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile. In Ergänzung zu den Kriterien des VRIO-Frameworks von Barney (2007) müssen also auch die Transaktionskosten für die Durchsetzung der Verfügungsrechte an den Ressourcen-Attributen berücksichtigt werden.491 Unter der Annahme positiver Transaktionskosten ist ein Wertverzehr gegenüber dem maximal erreichbaren Wert bei Gültigkeit des Coase-Theorems unvermeidlich.492 Einerseits kann Wert durch transaktionskostenbehaftete Aktivitäten zum Schutz der Verfügungsrechte durch den Ressourcen-Eigentümer aufgezehrt werden. Verzichtet dieser auf solche Aktivitäten, führt das andererseits dazu, dass die Transaktionspartner Aktivitäten der Wertaneignung unternehmen werden, die ihrerseits wiederum Transaktionskosten verursachen und damit Wert aufzehren. Das Optimum an Wertverzehr aus Sicht eines Akteurs ist dann erreicht, wenn seine persönliche
486
Vgl. Foss (2003), S. 152; Foss/Foss (2005), S. 545; Milgrom/Roberts (1992), S. 35.
487
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 117; Foss/Foss (2005), S. 546.
488
Vgl. Coase (1960), S. 15.
489
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 546.
490
Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 139.
491
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 118.
492
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 117f.; Foss/Foss (2005), S. 546.
80
3 Theoretische Bezugspunkte
Wertaneignung maximiert wird.493 Die maximale Höhe der Wertaneignung ist dabei durch den vom jeweiligen Akteur geschaffenen Wert vorgegeben.494 Zusammenfassend kann als Implikation für die vorliegende Arbeit festgehalten werden, dass Wert also auch geschaffen werden kann, indem Transaktionskosten für Verhandlungsprozesse möglichst gering gehalten werden.495 Die Höhe des bei positiven Transaktionskosten grundsätzlich auftretenden Wertverzehrs hängt davon ab, wie hoch die Kosten für Aktivitäten zum Schutz der Ressourcen bzw. zur Wertaneignung tatsächlich sind.496 Letztendlich ergibt sich aus Anbietersicht damit eine Abwägung zwischen dem Wertverzehr durch kostenbehaftete Verhandlungen und der Wertaneignung durch den Transaktionspartner. Die Einführung neuer SalesPractices und Vertragsformen kann beispielsweise zur Senkung der Transaktionskosten beitragen. In diesem Sinne kann auch das Lösungsgeschäft, wie später vertieft ausgeführt werden wird, Wert schaffen, indem Transaktionskosten aus Kundensicht gesenkt werden. Das Preismanagement sorgt demgegenüber aus Anbietersicht für Wertaneignung, da es z.B. über effiziente Verkaufspraktiken und Preissetzungsverfahren in den Verhandlungen mit dem Kunden die Transaktionskosten für den Anbieter niedrig hält. Bevor diese beiden Bereiche im Detail vorgestellt werden, wendet sich der folgende Abschnitt der Informationsökonomik als abschließendem theoretischen Bezugspunkt der Arbeit zu. 3.3.3
Informationsökonomik
Die Informationsökonomik geht in ihren wesentlichen Aussagen auf die Arbeit von Marschak (1954) zurück497 und betrachtet Unsicherheiten beim Leistungsaustausch auf Anbieter- und Nachfragerseite.498 In Ergänzung zum Transaktionskostenansatz hilft die Theorie, Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Kunden zu verstehen, leitet Hinweise zur Reduktion dieser Informationsunterschiede ab und kann damit verhaltenssteuernde Implikationen liefern.499 Da der Abbau von Unsicherheit und die damit zusammenhängenden Prozesse des Informationstransfers wesentliche Aspekte industrieller Kaufentscheidungen sind,500 hat die Informationsökonomik breite Anwendung in der Forschung zum industriellen
493
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 546
494
Vgl. Foss (2003), S. 152.
495
Vgl. Foss (2003), S. 153; Kim/Mahoney (2006), S. 43.
496
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 546.
497
Vgl. Marschak (1954), S. 187ff.
498
Vgl. Kaas (1995a), Sp. 972.
499
Vgl. Adler (1994), S. 34; Kaas (1995b), S. 4; Roth (2001), S. 37.
500
Vgl. Cardozo/Cagley (1971), S. 334.
3.3 Neue Institutionenökonomik
81
Marketing gefunden501 und kann auch für die vorliegende Arbeit einen erklärenden Beitrag leisten. Die Informationsökonomik unterscheidet in der Analyse von Austauschprozessen grundsätzlich zwischen der Umweltunsicherheit („event uncertainty“) und der Marktunsicherheit („market uncertainty“).502 Umweltunsicherheit liegt vor, wenn die Informationsdefizite der Transaktionspartner Parameter außerhalb der Geschäftsbeziehung betreffen. Die Marktunsicherheit bezieht sich dagegen auf die Transaktionspartner innerhalb der Geschäftsbeziehung und entsteht aufgrund bilateraler Informationsasymmetrie zwischen den Austauschpartnern.503 Im Fokus der weiteren Ausführung steht in Übereinstimmung mit dem generellen Stand der Literatur die Marktunsicherheit und weniger die Umweltunsicherheit,504 da dieser für die Marketingforschung eine größere Bedeutung beigemessen wird.505 Die Informationsökonomik geht davon aus, dass die Merkmale einer Leistung Einfluss auf die Beurteilungsmöglichkeiten der am Leistungsaustausch beteiligten Akteure und damit auf deren Verhalten haben.506 In diesem Zusammenhang schlägt die Literatur eine Differenzierung zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften vor:507 x Sucheigenschaften („search qualities“) sind Leistungseigenschaften, die Kunden vor der Inanspruchnahme der Leistung beurteilen können. x Leistungseigenschaften, die Abnehmer erst nach dem Kauf bzw. während der Nutzung einer Leistung bewerten können, werden als Erfahrungseigenschaften („experience qualities“) bezeichnet. x Vertrauenseigenschaften („credence qualitites“) betreffen Aspekte einer Leistung, die Kunden auch nach Kauf und Inanspruchnahme nicht beurteilen können. Jede Marktleistung vereint dabei mehrere der angeführten Eigenschaften in sich.508 Besitzen Angebote viele Sucheigenschaften, können sie von Nachfragern relativ problemlos beurteilt werden. Je mehr Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften eine
501
Vgl. u.a. Backhaus (1992); Garbe (1998); Homburg/Stock/Kühlborn (2005); Kleinaltenkamp (1992); Schade/Schott (1993).
502
Vgl. Adler (1996), S. 25ff.; Hirshleifer/Riley (1979), S.1377; Kaas (1995a), Sp. 972.
503
Vgl. Adler (1994), S. 10f.
504
Vgl. Hopf (1983), S. 313; Weiber/Adler (1995a), S. 63f.
505
Vgl. Kaas (1995a), Sp. 972.
506
Vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 85; Nelson (1970), S. 327.
507
Vgl. Adler (1994), S. 52; Homburg/Stock/Kühlborn (2005), S. 543; Kaas (1995c), S. 28; Meffert/Bruhn (2006), S. 85f.; Wehrli/Wirtz (1997), S. 119f.; Zeithaml (1981), S. 186f.; Zeithaml/Bitner (2000), S. 30f.
508
Vgl. Weiber/Adler (1995b), S. 60.
82
3 Theoretische Bezugspunkte
Leistung aufweist, desto größer sind die Informationsdefizite und die Unsicherheit der involvierten Transaktionspartner.509 Neben diesen leistungsbezogenen Informationsdefiziten bestehen auch Informationsunterschiede zwischen den am Leistungsaustausch beteiligten Parteien.510 Unter der Annahme positiver Informationskosten wird dadurch opportunistisches Verhalten wahrscheinlich.511 Um Opportunismus zu vermeiden, streben die Transaktionspartner nach Informationssymmetrie und übertragen Informationen. Je nach dem, von welcher Seite die Initiative ausgeht, werden in der Literatur „Signaling“ und „Screening“ als Maßnahmen zur Informationsübertragung unterschieden:512 x Signaling bedeutet, dass die besser informierte Seite Informationen an den schlechter informierten Transaktionspartner überträgt, um dessen Unsicherheit zu reduzieren. Vom Anbieter wird dabei gefordert, glaubwürdige Informationen hinsichtlich seines Leistungsvermögens zu übertragen. Einfache Aussagen zu Qualität und Vertrauenswürdigkeit sind deshalb nicht ausreichend.513 x Screening bedeutet, dass der schlechter informierte Transaktionspartner Informationen einfordert oder beschafft. Für die Situation zwischen Anbieter und Kunde impliziert dies, dass der Kunde versucht, seine Unsicherheit bezüglich des Transaktionsgegenstandes zu reduzieren und dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Fehlkaufs zu senken.514 Zu beachten ist, dass sowohl Screening als auch Signaling jeweils von beiden Transaktionspartnern betrieben werden können:515 So können Kunden von sich aus Informationen übermitteln, die über die reine Artikulation ihrer Bedürfnisse hinausgehen. Andererseits können Anbieter im Hinblick auf das in dieser Arbeit betrachtete Lösungsgeschäft daran interessiert sein, ex ante z.B. die Mitwirkungsbereitschaft des Kunden zu „screenen“.516 Diese Ausführungen lassen erkennen, dass die Informationsökonomik ebenso wie die anderen theoretischen Bezugspunkte der vorliegenden Arbeit verschiedene Implikationen für die Analyse der Wertschaffung und der Wertaneignung haben. 509
Vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 86;
510
Vgl. Jacob (2002), S. 59; Meffert/Bruhn (2006), S. 82f.; Roth (2001), S. 37.
511
Vgl. Kaas (1995c), S. 25; Kleinaltenkamp (1992), S. 813; Richter/Furubotn (2003), S. 41; Spremann (1990), S. 568.
512
Vgl. Kaas (1995c), S. 29; Meffert/Bruhn (2006), S. 88ff.; Roth (2001), S. 49ff.
513
Vgl. Kaas (1995c), S. 29f.
514
Vgl. Adler (1994), S. 63f.
515
Vgl. Müller (2007), S. 47.
516
Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.2.
3.3 Neue Institutionenökonomik
83
Damit diese im Einzelnen aufgezeigt werden können, werden in den nachfolgenden Abschnitten 4 und 5 die bereits vorhandenen Grundlagen des Lösungsgeschäftes und des Preismanagements vertieft und unter Anwendung der theoretischen Bezugspunkte sowie qualitativ-empirischer Ergebnisse umfassend diskutiert.
84
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
4
Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Dieses Kapitel vertieft die grundlegende Betrachtung des Lösungsgeschäftes aus Abschnitt 2.1 mit dem Ziel der Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz. Hierzu erfolgt zunächst in Abschnitt 4.1 eine detaillierte Betrachtung der interaktiven Wertschöpfung bei Lösungsangeboten. Teilkapitel 4.2 liefert darauf aufbauend eine theoretische Fundierung der Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft anhand der Transaktionskostentheorie und der Informationsökonomik. Daran anschließend wird die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer Fähigkeiten für Lösungsanbieter (Abschnitt 4.3) und zur Anpassung der Organisationsstruktur (Abschnitt 4.4) diskutiert. Nach einem Zwischenfazit mit der Definition von Lösungskompetenz (Abschnitt 4.5) erfolgt in Kapitel 4.6 unter Einbezug der Literaturauswertung und zweier qualitativer Studien die Konzeptualisierung des Konstruktes. 4.1
Ausprägungen von Lösungsangeboten
Im Lösungsgeschäft leisten die Kunden einen wesentlichen Beitrag zur Wertschaffung. Sie tragen dazu bei, Kenntnisse, Fähigkeiten und Ressourcen eines Herstellers zu erweitern.517 Aufgrund der individualisierten Anpassung der Leistung an die Bedürfnisse des einzelnen Abnehmers geschieht dies in einem interaktiven und kooperativen Prozess mit den Anbietern.518 Bei der Erstellung individueller Leistungen findet die Integration des Kunden zumindest auf der Ebene von Informationen statt.519 Die Integrativität des Leistungserstellungsprozesses verlangt dabei einen interaktiven Co-Design-Prozess zwischen Anbieter und Nachfrager. Innerhalb dieses Prozesses wird die zielorientierte Gestaltung der Informationsflüsse im Anbieterunternehmen zum wesentlichen Erfolgskriterium für die kundenindividuelle Leistungserstellung.520 Dieser gesamte Prozess der interaktiven Wertschöpfung hat maßgeblichen Einfluss auf die spezifische Zusammensetzung einer Lösung, die je nach der konkreten Vereinbarung des Leistungs- oder Wertversprechens variieren kann.521
517
Vgl. Gibbert/Leibold/Probst (2002), S. 464.
518
Vgl. Reichwald/Piller (2009), S. 15; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5.
519
Vgl. Reichwald/Müller/Piller (2005), S. 14f.; Reichwald/Piller (2002), S. 474.
520
Vgl. Blattberg/Glazer (1994), S. 9; Reichwald/Piller (2002), S. 474.
521
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 8.
4.1 Ausprägungen von Lösungsangeboten
85
Wie bei der Betrachtung grundlegender Definitionen in Abschnitt 2.1.4 geschildert, stellen Lösungsangebote spezielle Formen von Leistungsbündeln dar. Als solche lassen sie sich auf die in Abbildung 6 dargestellte, in der Literatur weit verbreitete Leistungstypologisierung von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993) zurückführen. Integrativ
Leistung als Prozeß
Sondermaschine
Unternehmensberatung Komplette CIM-Lösung
II
I
III
IV Vorproduziertes Teil
Datenbankdienst
Autonom Materiell Immateriell Leistung als Ergebnis Abbildung 6
Klassische Leistungstypologisierung
Neben dem Integrationsgrad der betrieblichen Leistungsprozesse, also dem Ausmaß der Integration eines externen Faktors in die Leistungserstellung, determiniert in dieser Typologie die Immaterialität des Leistungsergebnisses die Konfiguration der Marktleistung.522 Lösungen lassen sich nach dem definitorischen Grundverständnis der vorliegenden Arbeit in die Leistungstypologie dabei analog zu der von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993) angeführten „kompletten CIM-Lösung“ auf einem Kontinuum zwischen den oberen beiden Quadranten einordnen.523 In der Literatur werden verschiedene Erweiterungen der grundlegenden Typologisierung diskutiert, die eine zusätzliche Spezifizierung der Aufgliederung von Lösungsangeboten erlauben: Eine Möglichkeit besteht darin, die Integrationsdimension weiter in einen Interaktions- und einen Individualisierungsgrad zu 522
Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 416.
523
Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 417.
86
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
zerlegen.524 Der Interaktionsgrad bezieht sich dabei auf jegliche Form der Einbindung externer Faktoren in die Leistungserstellung und umfasst damit neben Kundeninformationen auch einfachere Unterstützungs- und Vollzugsfunktionen, die externe Faktoren übernehmen können. Der Individualisierungsgrad kennzeichnet demgegenüber die kundenbezogene Spezifität des Leistungsangebotes, also die individualisierte Ausrichtung der Wertschaffungsaktivitäten des Anbieters auf einen Kunden.525 Die Leistungstypologie wird dadurch dreidimensional mit den Achsen Immaterialitätsgrad, Interaktionsgrad und Individualisierungsgrad.526 Insbesondere der Interaktion mit Kunden wird in der neueren Literatur große Bedeutung für die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen zugesprochen.527 Lösungen zeichnen sich nach dem Verständnis der vorliegenden Arbeit tendenziell durch hohe Interaktion und Individualisierung sowie durch mittlere bis hohe Immaterialität aus. Abhängig von der konkreten Ausgestaltung der drei Dimensionen decken sie damit ein breites Spektrum von einfachen produktgetriebenen Leistungsbündeln bis hin zu komplexen Betreibermodellen ab und können integrierte Kombinationen aus verschiedensten Sachleistungs- und Dienstleistungsbestandteilen darstellen.528 Letztere lassen sich anhand ihrer Ausrichtung auf die Problembereiche des Kunden wie folgt unterscheiden:529 x beratungsorientiert (technische und/oder betriebswirtschaftliche Beratung des Kunden etc.) x projektorientiert (Montage, Inbetriebnahme etc.)
Installation,
Implementierung,
Systemintegration,
x funktionsorientiert (Aufrüstung, Nachrüstung, Inspektion, Wartung, technische Anwenderschulung etc.) x betriebsorientiert (Support und/oder Betreiben der Hardware/Software bzw. eines Geschäftsprozesses des Kunden etc.) Die spezifische Konfiguration eines Lösungsangebotes variiert dabei mit dem konkreten Wertversprechen für den Kunden, das entweder stärker auf den Sachleistungs- oder den Dienstleistungskomponenten der Lösung basieren kann.530 524
Vgl. Wohlgemuth (1989), S. 339f.
525
Vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 38.
526
Vgl. Meffert (1994), S. 524f., und die daraufhin vorgebrachten Einwände von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1995) sowie die Entgegnungen hierauf von Meffert (1995), S. 681.
527
Vgl. Ramani/Kumar (2008), S. 27.
528
Vgl. Niepel (2005), S. 32; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 8.
529
Vgl. Homburg/Faßnacht/Günther (2002b), S. 496; Oliva/Kallenberg (2003), S. 168.
530
Vgl. Niepel (2005), S. 32; Tukker (2004), S. 248.
4.1 Ausprägungen von Lösungsangeboten
87
Unter Wertversprechen soll dabei in der vorliegenden Arbeit der Nutzungswert verstanden werden, der dem Kunden bei der Angebotserstellung im Vergleich zum Wettbewerb in Aussicht gestellt wird.531 Um das Wertversprechen konkretisieren zu können, ist ein gemeinsames Verständnis von Anbieter und Kunde notwendig, anhand welcher Parameter (Sach- und Dienstleistungskomponenten, Kapitalkosten, Risikoverteilung etc.) der Nutzungswert operationalisiert werden kann.532 Die Erbringung betriebsorientierter Dienstleistungen an Stelle einfacher Wartungs- und Ersatzteildienstleistungen stellt ein stärker dienstleistungsbasiertes Wertversprechen dar und eröffnet aus Kundensicht zwei neue Dimensionen der Wertschaffung: Eine Dimension bezieht sich auf die interne Effizienz und die Kostenstruktur des Kunden, die zweite Dimension adressiert die externe Effektivität und den Output des Kunden.533 Der Lösungsanbieter versucht in diesem Sinne über seine Leistungen, den Kunden in die Lage zu versetzen, neue, wettbewerbsfähige Angebote für dessen Abnehmer zu kreieren.534 Der spezifische Nutzungswert des Kunden entsteht in einem solchen Fall daraus, dass er durch Beschaffung des Lösungsangebotes gegenüber seinen eigenen Wettbewerbern in eine überlegene Marktposition versetzt wird. Immaterialitätsgrad, Interaktionsgrad und Individualisierungsgrad in der erweiterten Leistungstypologie wären bei einem solchen Angebot vergleichsweise hoch ausgeprägt. Die Dienstleistungskomponenten der Lösung sind zunehmend weniger auf die begleitenden Sachleistungskomponenten ausgerichtet (wie dies bei Wartungs- und Ersatzteildienstleistungen der Fall wäre), sondern zielen im Rahmen einer „Value Chain Integration“ (vgl. Abschnitt 2.1.4.2) auf die Prozesse des Kunden ab, was einen Wandel des Wertversprechens vom Angebot materieller Produkte hin zum immateriellen Versprechen von Leistung („performance“), Optimierung und Produktivität nach sich zieht.535 Ein solches Wertversprechen erfordert eine fundamentale Neuausrichtung der Kundeninteraktion, die sich, wie bereits an verschiedenen Stellen skizziert wurde, von einer transaktionalen Perspektive hin zu einem interaktiven, relationalen Prozess wandeln muss.536 Die mit Lösungen verbundene Dienstleistungsorientierung von B2B-Unternehmen stellt eine Neupositionierung in der Wertschöpfungskette dar, bei der Anbieter Verantwortung für Wertschöpfungsaufgaben übernehmen, die vorher 531
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 363, und die Definition des Wert-Begriffes in Abschnitt 2.3.
532
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 363.
533
Vgl. Normann (2001), S. 73.
534
Vgl. Normann (2001), S. 71.
535
Vgl. Foote et al. (2001), S. 87; Galbraith (2002b), S. 196; Miller et al. (2002), S. 6; Oliva/Kallenberg (2003), S. 167f.; Phillips/Ochs/Schrock (1999), S. 55f.
536
Vgl. Oliva/Kallenberg (2003), S. 168; Reichwald/Piller (2009), S. 15; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5. Eine detaillierte Ausgestaltung der Prozessperspektive erfolgt in Abschnitt 4.6.2.
88
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
beim Kunden angesiedelt waren.537 Unternehmen, die sich zu Lösungsanbietern entwickeln, verschieben je nach Wertversprechen des Leistungsangebotes also ihre Position in der Wertschöpfungskette hin zum Kunden, wodurch ihre eigenen Unternehmensgrenzen und die ihrer Kunden neu definiert werden.538 Eine solche Verschiebung stellt für einen Anbieter eine erhebliche Ausweitung seines unternehmerischen Schwerpunkts („centre-of gravity shift“) dar.539 Aus diesem Grund müssen die Kunden als Co-Produzenten im Rahmen der Wertschaffung verstanden werden, und die Organisation der Wertschöpfungsaktivitäten wird zur kritischen Kompetenz eines Lösungsanbieters.540 Als Konsequenz der Adressierung individueller Kundenprobleme umfasst die Leistungserbringung nicht mehr nur ein materielles Endprodukt (produktzentrische Sicht), sondern der Kunde bezieht vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsphasen in die Beurteilung der Leistung mit ein (prozesszentrische Sicht). Bei Lösungen ist der Kunde per Definition wie bei klassischen Dienstleistungen in die Leistungserstellung integriert. In der Literatur wird dabei schon seit langem betont, dass für die Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen die Kundenwahrnehmung der Prozesse mindestens ebenso wichtig ist wie das eigentliche Endergebnis.541 Diese Überlegungen zur Prozessperspektive gelten damit auch für Lösungsangebote542 und führen zu der Herausforderung, sämtliche Wertschöpfungsbeiträge verschiedener Abteilungen und Unternehmensbereiche effektiv und effizient abzustimmen. Überlegene Wertschaffung für den Kunden erfordert in diesem Sinne einen koordinierten Einsatz aller organisationalen Ressourcen.543 Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) entwerfen dieser Argumentation entsprechend das Konzept der „Solution Effectiveness“, nach dem der Erfolg einer Lösung maßgeblich davon abhängt, inwieweit die Bedürfnisse des Kunden in Bezug auf verschiedene Beziehungsprozesse erreicht werden.544 Diese Betrachtung wird im folgenden Abschnitt theoretisch fundiert.
537
Vgl. Frauendorf/Kähm/Kleinaltenkamp (2007), S. 27f.; Kleinaltenkamp (2007), S. 151.
538
Vgl. Wise/Baumgartner (1999), S. 136f.
539
Vgl. Davies (2003), S. 347.
540
Vgl. Normann (2000), S. 43f.
541
Vgl. Grönroos (1984), S. 39; Meyer/Mattmüller (1987), S. 191.
542
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5.
543
Vgl. Narver/Slater (1990), S. 22.
544
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 8.
4.2 Theoretische Fundierung der Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft
4.2
89
Theoretische Fundierung der Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft
Anhand der theoretischen Betrachtung aus Abschnitt 2.3.1 lässt sich für Lösungsangebote nach den bisherigen Ausführungen festhalten, dass Wert für den Kunden generiert wird durch individuelle und integrierte Kombinationen aus Sachund Dienstleistungen, die ein spezielles Kundenproblem besser lösen als vergleichbare Wettbewerbsangebote. Im Sinne der Transaktionskostentheorie kann angenommen werden, dass der Lösungsanbieter hierbei technologie- und personalspezifische Investitionen in Form individueller Komponenten, kundenbezogener Integration und speziellem Mitarbeiterwissen tätigt. Je nach Ausprägung des Lösungsprojektes (bspw. in der Energie- oder Baubranche) sind auch standortspezifische und kapazitätsspezifische Investitionen denkbar. Der Anbieter konfiguriert und erstellt unter Einbezug des Abnehmers eine kundenspezifische Leistung, die bezogen auf die Bedürfnisse eines speziellen Kunden eine optimale Problemlösung darstellt, für einen anderen Kunden in Bezug auf dessen divergierende Bedürfnisse jedoch erheblich weniger Wert schaffen würde. Lösungsprojekte sind demnach anbieterseitig tendenziell von hoher Spezifität. In Bezug auf die Unsicherheit ist festzustellen, dass der Anbieter zumindest bei einer Erst- oder Einzeltransaktion ein Informationsdefizit über die Mitwirkungsfähigkeit und -bereitschaft des Kunden am Leistungserstellungsprozess hat.545 Außerdem kann hohe Unsicherheit aufgrund nicht klar artikulierter oder wechselnder Kundenpräferenzen sowie Wirtschaftlichkeitsrisiken des Projektes vorliegen.546 Auch aus Nachfragersicht sind Spezifität und Unsicherheit ebenfalls als tendenziell hoch anzusehen, je nach dem, von welcher strategischen Bedeutung das zu lösende Problem für den Kunden ist und wie gut er über das Leistungspotenzial des Anbieters informiert ist. Lösungsangebote haben vor Vertragsschluss den Charakter eines vorwiegend immateriellen Leistungsversprechens,547 da zu diesem Zeitpunkt lediglich die Fähigkeit und die Bereitschaft angeboten werden können, einen bestimmten Wert zu schaffen.548 Informationsökonomisch betrachtet zeichnen sich Lösungsangebote für den Kunden damit durch einen hohen Anteil an Erfahrungsund Vertrauenseigenschaften aus, d.h. manche Leistungseigenschaften können vom Abnehmer erst während der Nutzung beurteilt werden, manche selbst dann nicht.549 545
Vgl. Grund (1998), S. 87; Müller (2007), S. 44f.; Spremann (1990), S. 578ff.
546
Vgl. Spath/Demuß (2001), S. 37f.
547
Vgl. Corsten (1990), S. 18.
548
Vgl. Hilke (1989), S. 11.
549
Vgl. Belz et al. (1997); Burton (1990), S. 59; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 418; Hilke (1989), S. 16; Homburg/Stock/Kühlborn (2005), S. 544; Weiss (1992), S. 56.
90
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Zudem ist der Kunde bei Lösungsangeboten per Definition selbst als externer Faktor in den Leistungserstellungsprozess integriert, was dazu führt, dass der Abnehmer das letztendliche Leistungsergebnis vor Vertragsabschluss nur unzureichend abschätzen kann.550 Alle genannten Aspekte sorgen in Summe für hohe Unsicherheit bei den Kunden,551 weshalb diese mangels Alternativen auf indirekte Qualitätsmerkmale, sogenannte „Qualitätssurrogate“, wie Reputation, Image, Kompetenz, Marke oder den Preis der Leistung zurückgreifen.552 Als Qualitätssurrogate werden von den Kunden häufig auch die eingesetzten Produktionsfaktoren des Anbieters herangezogen, wie beispielsweise Verhalten und Auftreten der Mitarbeiter im Rahmen der Interaktion.553 Um die Unsicherheit des Kunden aktiv abzubauen, schlägt die Informationsökonomik „Signaling“-Maßnahmen seitens des Anbieters vor.554 Von hoher Bedeutung für Lösungsanbieter können hierfür Maßnahmen einer sogenannten „glaubhaften Selbstbindung“ sein.555 Positive Wirkung wird in diesem Zusammenhang irreversiblen Investitionen in qualitätssicherndes Sach- und Humankapital sowie in die Reputation als kompetenter und fairer Vertragspartner zugeschrieben.556 So können Unternehmen beispielsweise durch Investitionen zum Aufbau einer eigenen Geschäftseinheit nur für das Lösungsgeschäft ein Qualitätssignal an potenzielle Kunden senden.557 Ähnlich wie bei den Qualitätssurrogaten erlangen aber auch irreversible Investitionen in Humankapital, also in kundenorientiertes und hoch qualifiziertes Personal speziell für das Lösungsgeschäft, große Bedeutung, da die Mitarbeiter im unmittelbaren Kundenkontakt durch persönliche Interaktion den Wertbeitrag der Lösung transparent machen und so die Unsicherheit des Kunden aktiv reduzieren können.558 Zusammenfassend lassen sich Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft sowohl für Anbieter als auch für Nachfrager als tendenziell hoch spezifisch und mit Unsicherheit behaftet charakterisieren. Damit bietet sich im Hinblick auf die potenziell
550
Vgl. Dahlke (2001), S. 123; Müller (2007), S. 45; Reichwald et al. (2006c), S. 118.
551
Vgl. Hildebrand (1997), S. 84; Meyer (1991), S. 200; Zeithaml/Bitner (2000), S. 34.
552
Vgl. Dodds/Monroe/Grewal (1991), S. 307ff.; Lichtenstein/Burton (1989), S. 429ff.; Weiss (1992), S. 56; Zeithaml (1988), S. 8.
553
Vgl. Bitner (1992), S. 57; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer (1993), S. 419; Hilke (1989), S. 17; Kaas (1991), S. 360; Meffert/Bruhn (2006), S. 83.
554
Vgl. Abschnitt 3.3.3.
555
Vgl. Williamson (1983), S. 523ff.
556
Vgl. Kaas (1995c), S. 29; Spremann (1988), S. 619f.
557
Derartige Veränderungen in der Aufbauorganisation werden in Abschnitt 4.4 diskutiert.
558
Vgl. Engelhardt (1990), S. 284; Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 29f.; Kaas (1995a), Sp. 976f.; Ramani/Kumar (2008), S. 28f.; Stock (2003), S. 80.
4.2 Theoretische Fundierung der Austauschbeziehungen im Lösungsgeschäft
91
anfallenden Transaktionskosten eine hybride Koordinationsform für den Leistungsaustausch von Lösungen an. In der Literatur wird im industriellen Kontext die Koordinationsform der langfristigen Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Kunde empfohlen.559 Diese ist definiert als eine Folge von Markttransaktionen zwischen einem Anbieter und einem Nachfrager, die nicht zufällig ist. „Nicht zufällig“ bedeutet dabei, dass es für beide Marktseiten Gründe gibt, die eine planmäßige Verknüpfung zwischen den Markttransaktionen sinnvoll oder notwendig erscheinen lassen oder die faktisch zu einer Verknüpfung führen. Eine Geschäftsbeziehung lässt sich demnach als Abfolge von Markttransaktionen ansehen, zwischen denen eine „innere Verbindung“ existiert.560 Geschäftsbeziehungen zeichnen sich durch extensiveren Informationsaustausch, größere operationelle und rechtliche Bindungen, höhere kooperative Normen und eine stärkere beziehungsbezogene Anpassung der beteiligten Partner aus als einfache Transaktionen.561 Besonders auf Märkten und in Situationen, die durch hohe bilaterale Unsicherheit über den vereinbarten Wertschöpfungsbeitrag geprägt sind, erlauben Geschäftsbeziehungen die Verminderung von Transaktionsrisiken.562 Die in der Literatur zum Lösungsgeschäft bislang üblicherweise ohne theoretische Fundierung vorausgesetzte Annahme einer relationalen Verbindung zum Kunden erweist sich damit über Transaktionskostentheorie und Informationsökonomik als begründet. Zu Beginn von Kapitel 2.3.1 wurde bei der Definition von Wertschaffung und Wertaneignung das Konzept des Nutzungswertes („use value“) nach Bowman/Ambrosini (2000) eingeführt. Der durch Individualisierung und marketingbezogene sowie technische Integration gemeinsam mit dem Kunden geschaffene Nutzungswert entsteht daraus, dass die auf den Abnehmer zugeschnittene, integrierte Lösung dessen Problem am besten von allen verfügbaren Alternativen löst. Der Kunde beurteilt die Lösung im Hinblick auf Neuartigkeit und Zweckdienlichkeit relativ zu seinen Bedürfnissen demnach besser als vergleichbare Wettbewerbsangebote.563 Die absolute Höhe des geschaffenen Wertes hängt vom subjektiv empfundenen Nutzungswert des Nachfragers ab. Im Fall eines Lösungsangebotes ist somit maßgeblich, wie wichtig für den Kunden die Individualisierung der Leistung ist und mit welchem Aufwand er selbst für das gewünschte Maß an Integration sorgen könnte, bzw. wie hoch dabei seine
559
Vgl. Homburg (2000), S. 49; Penttinen/Palmer (2007), S. 554; Richter (2001), S. 34.
560
Vgl. Plinke (1997), S. 23.
561
Vgl. Cannon/Perreault (1999), S. 442; Penttinen/Palmer (2007), S. 554.
562
Vgl. Kleinaltenkamp (1993), S. 21.
563
Vgl. Amabile (1996), S. 35; Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 182; Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273, und die Ausführungen in Kapitel 2.3.1 dieser Arbeit.
92
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Opportunitätskosten wären. Gemäß der in Abschnitt 3.3.2 angestellten Überlegungen zum Zusammenhang von Ressourcen-Ansatz und Transaktionskostentheorie kann Wertschaffung für den Kunden dabei auch durch die Senkung von Transaktionskosten entstehen. Analog zur Literatur im Kontext von Systemangeboten lässt sich hierbei argumentieren, dass marketingbezogene und technische Integration von Lösungen in Form des „one-stop-shopping“ Such- und Informationskosten für den Kunden senken und somit seine Wertwahrnehmung des Leistungsangebotes steigern.564 Zusätzlich können die bereits angesprochene persönliche Interaktion und weitere vertrauensbildende Maßnahmen wie glaubhafte Selbstbindung transaktionskostensenkend und damit werterhöhend wirken.565 In Konsequenz bedeutet die Relativität der kundenseitigen Wertbeurteilung in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse aber gleichermaßen, dass das Angebot hoch integrierter und individueller Lösungen nicht für jeden Kunden sinnvoll sein kann. Ein Nachfragerunternehmen mit einer stark sachleistungsorientierten Einkaufsorganisation würde möglicherweise umfassende Individualisierung und Integration als unangemessen für die eigenen Bedürfnisse beurteilen und dementsprechend der Lösung nur einen geringen Nutzungswert beimessen. Daraus würde eine vergleichsweise niedrige Zahlungsbereitschaft und in der Folge ein geringer tatsächlich umgesetzter Tauschwert der Transaktion resultieren. Der Anbieter könnte sich also letztendlich trotz eines möglicherweise hohen Aufwands für Individualisierung und Integration der Lösung nur wenig Wert aneignen.566 Hinzu kommt, dass manche Kunden möglicherweise auch nicht über die Fähigkeit und die Bereitschaft zur kooperativen Leistungserstellung verfügen.567 Foote et al. (2001) stellen hierzu treffend fest: „The best customers for solutions may not be existing customers for products“568. Kunden sollten demensprechend in Bezug auf ihren potenziellen Wertbeitrag vom Anbieter unterschiedlich behandelt werden.569 Entscheidend ist hierfür, vor der Vereinbarung der zu erbringenden Leistung das Geschäftsmodell, die Rahmenbedingungen und die internen Prozesse des jeweiligen Kunden zu verstehen und dies bei der Anforderungsdefinition für die kooperativ zu erstellende Lösung zu berücksichtigen.570 Im Sinne der Informationsökonomik sind
564
Vgl. Wilsdorf-Köhler (2003), S. 27.
565
Vgl. Faßnacht (2003), S. 103.
566
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 4.
567
Vgl. Müller (2007), S. 40; Reichwald/Piller (2009), S. 54.
568
Foote et al. (2001), S. 88.
569
Vgl. Ramani/Kumar (2008), S. 28.
570
Vgl. Foote et al. (2001), S. 87; Sawhney (2006), S. 368; Shepherd/Ahmed (2000), S. 103f.; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 6; Windahl et al. (2004), S. 219.
4.3 Neue Kompetenzen für Lösungsanbieter
93
darunter Screening-Aktivitäten des Anbieters zu verstehen.571 Ein ausgereiftes Informationssystem, Marktforschungsaktivitäten und der Aufbau von Kundenwissen durch Vertriebs- und Servicemitarbeiter sind demnach Merkmale einer professionell institutionalisierten Lösungsorientierung. Die Konfiguration einer Lösung beginnt dementsprechend mit dem Verständnis des spezifischen Kundenproblems. Hierzu und für die folgenden Schritte der Lösungsgenerierung und -implementierung benötigt der Anbieter jedoch spezielle Fähigkeiten und eine grundlegende Veränderungen des Unternehmensaufbaus gegenüber dem klassischen Sachleistungsgeschäft. Die Diskussion solcher Umstrukturierungen auf Basis der weiteren, in Kapitel 3 vorgestellten, Theorieansätze ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. 4.3
Neue Kompetenzen für Lösungsanbieter
Unternehmen, die bislang klassische Sachleistungen verkauft haben, sehen sich beim Wandel zum Lösungsanbieter aufgrund der im vorigen Abschnitt angeführten Besonderheiten der Austauschbeziehung mit neuen Herausforderungen konfrontiert.572 Um diesen veränderten Anforderungen gerecht zu werden, und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil erarbeiten zu können, hält die Literatur spezielle Prozesse und Routinen sowie eine Neugewichtung und Ausbalancierung der Kompetenzen bzw. die Herausbildung neuer Fähigkeiten für erforderlich.573 In Abschnitt 3.1 wurden dazu theoretische Anhaltspunkte aus dem Resource-based View vorgestellt, auf dessen Basis bereits zahlreiche Konstrukte, u.a. Marktorientierung574, Kundenorientierung575 und Service- bzw. Dienstleistungsorientierung576, analysiert wurden. In diesen und anderen Untersuchungen wird unisono auf die Bedeutung intangibler Ressourcen zur Erreichung eines Wettbewerbsvorteils hingewiesen, da diese wie beschrieben den vorgestellten VRIOKriterien von Barney (2007) in hohem Maße genügen.577 Gemäß der zuvor eingeführten Kompetenz-Definition müssen die Handlungspotenziale in Form der (intangiblen) Ressourcen so kombiniert und eingesetzt 571
Vgl. Abschnitt 3.3.3.
572
Vgl. Galbraith (2002b), S. 194; Windahl/Lakemond (2006), S. 806.
573
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 361; Cornet et al. (2000), S. 4; Hobday/Davies/Prencipe (2005), S. 1127; Shepherd/Ahmed (2000), S. 103ff.; Windahl et al. (2004), S. 220.
574
Vgl. Hunt/Morgan (1995), S. 11ff.
575
Vgl. Steinhoff (2006), S. 176ff.
576
Vgl. Bharadwaj/Varadarajan/Fahy (1993), S. 86ff.; Homburg/Faßnacht/Günther (2002b), S. 488f.
577
Vgl. Bharadwaj/Varadarajan/Fahy (1993), S. 95f.; Rasche/Wolfrum (1994), S. 511; Morgan/Hunt (1999), S. 287.
94
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
werden, dass ihr Wirkungspotenzial vollständig ausgeschöpft und Wert für die Kunden geschaffen wird.578 Zur Übertragung dieser Sichtweise auf das Lösungsgeschäft bietet sich die Integration des Ansatzes von Hall (1992, 1993) an, in dem ebenfalls die Bedeutung intangibler Ressourcen für die Herausbildung eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils betont wird. Hall unterscheidet zwischen sogenannten „Having-Capabilities“ und „Doing-Capabilities“.579 Erstere beziehen sich auf Vermögenswerte wie z.B. Patente, Warenzeichnen oder den Ruf eines Unternehmens580, zweitere auf Kenntnisse der Mitarbeiter und Partner (Lieferanten) sowie die Kultur des Unternehmens.581 Ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil resultiert nach Hall dabei durch „Having“ und „Doing“ im Bezug auf intangible Ressourcen.582 Der Ansatz postuliert also, dass Unternehmen den Herausforderungen des Marktes nicht nur durch den Besitz von (intangiblen) Ressourcen, sondern gleichermaßen durch die Kompetenz zum überlegenen Einsatz dieser Ressourcen begegnen müssen.583 Lösungsanbieter benötigen demnach neben Patenten und einer Reputation als „kompetenter Problemlöser“ („Having“) im Bereich des „Doing“ vor allem kompetente Mitarbeiter und Partner sowie eine auf das Lösungsgeschäft ausgerichtete Unternehmenskultur. Damit unterstreicht die Anwendung des Kompetenzansatzes die zuvor anhand der Informationsökonomik getroffenen Aussagen zur Bedeutung der Reputation und der Mitarbeiter. Im Wesentlichen werden für die Wertschaffungsstrategie der Lösungsorientierung gegenwärtig in der Literatur vier Bereiche diskutiert, in denen Veränderungen bzw. neue Kompetenzen notwendig sind:584 Kundenbeziehungen und Consulting, technische und operative Service-Fähigkeiten, Integration sowie Partnerschaften. Fähigkeiten in den Bereichen Kundenbeziehungen und Consulting Wie bereits dargestellt, definieren die Charakteristika des Lösungsgeschäftes bei der Wertschöpfung die Grenzen zwischen Lieferanten und Kunden neu und beseitigen die traditionelle „throwing products over the wall“ Philosophie des Sachleistungsgeschäftes.585 Ein Lösungsanbieter leistet gemäß dem veränderten Wertversprechen typischerweise Unterstützung bei der Identifizierung, Analyse und Lösung von operationalen und strategischen Problemen („Consulting“), um die Prozesse des 578
Vgl. Freiling (2001), S. 23; Hunt/Madhavaram (2006), S. 22; Morgan/Hunt (1999), S. 283.
579
Vgl. Hall (1992), S. 136; Hall (1993), S. 609.
580
Vgl. Hall (1993), S. 608.
581
Vgl. Hall (1992), S. 139.
582
Vgl. Hall (1993), S. 610f.
583
Vgl. Bharadwaj/Varadarajan/Fahy (1993), S. 86; Hamel/Prahalad (1994), S. 214.
584
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 361; Shepherd/Ahmed (2000), S. 104.
585
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 13.
4.3 Neue Kompetenzen für Lösungsanbieter
95
Kunden zu optimieren.586 Dazu benötigt er ein tiefgreifendes Verständnis über die relevanten Märkte und Geschäftsprozesse der Kunden. Dieses Wissen lässt sich nur durch intensive Lieferanten-Kunden-Beziehungen generieren.587 Dazu ist der Aufbau von Kundeninteraktions-Kompetenz durch den Anbieter erforderlich. Diese kann als Konkretisierung der Absorptionsfähigkeit in Bezug auf die Integration von Kundenwissen in einen Wertschöpfungsprozess angesehen werden.588 Dabei bezeichnet die Absorptionsfähigkeit, wie in Kapitel 3.2.2 beschrieben, die Fähigkeit eines Unternehmens zur Nutzung von externen Quellen für die eigene Wissensgenerierung mit dem Ziel der Innovation.589 In diesem Sinne stellt Interaktions-Kompetenz zur Generierung von Wissen aus der Domäne des Kunden eine „Doing-Capability“ gemäß dem Ansatz von Hall (1992, 1993) dar. Eine prozessorientierte Organisationsgestaltung kann zu deren Aufbau einen entscheidenden Beitrag leisten.590 Technische und operative Service-Fähigkeiten Neben dem rein technischen Know-How und der Erfahrung mit Sach- und Dienstleistungen benötigen Lösungsanbieter darüber hinaus sogenannte operative Service-Fähigkeiten. Diese beziehen sich auf die Tatsache, dass ein Lösungsprojekt nicht mit der reinen Übergabe der Leistung abgeschlossen ist, sondern dass noch weitere Aspekte wie Betrieb und Instandhaltung der implementierten Leistungen (insbesondere bei der Übernahme von Kundenprozessen), Versorgung mit Ersatzteilen, notwendige Trainings und auch die Finanzierung über den gesamten Lebenszyklus hinweg angeboten werden.591 Service-Leistungen können dabei aus RBV-theoretischer Sicht als unmittelbare Anwendung der Kompetenzen eines Unternehmens verstanden werden.592 Entsprechende Prozesse und Systeme vorausgesetzt, kann der Lösungsanbieter durch die Implementierung solcher operativer Dienstleistungen außerdem direkt nützliches Feedback über Schwachstellen seiner Lösung erhalten, die dann ausgebessert werden können.593
586
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 361; Davies/Brady/Hobday (2006), S. 42; Windahl et al. (2004), S. 220.
587
Vgl. Shepherd/Ahmed (2000), S. 104.
588
Vgl. Reichwald/Piller (2009), S. 98.
589
Vgl. Cohen/Levinthal (1990), S. 128.
590
Vgl. Abschnitt 3.2.2.
591
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 361 und S. 364; Davies/Brady/Hobday (2006), S. 42; Shepherd/Ahmed (2000), S. 104; Windahl et al. (2004), S. 220.
592
Vgl. Vargo/Lusch (2004a), S. 14.
593
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 364.
96
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Fähigkeiten im Bereich Integration Die Fähigkeit zur Integration lässt sich ebenfalls aus der Definition des Lösungsgeschäftes ableiten.594 Eine der wichtigsten Aufgaben des Anbieters besteht demgemäß darin, das individualisierte Bündel aus Sach- und Dienstleistungen marketingbezogen und in technischer Hinsicht so zu integrieren, dass für den Kunden ein Nutzungswert über dem Wert der Teilleistungen entsteht.595 Dabei müssen heterogene Ressourcen nutzenstiftend für den Kunden vereint werden,596 wobei die entstehende integrierte Leistung als Mechanismus der Übertragung von Wissen und Fähigkeiten des Anbieters zu verstehen ist.597 Die Fähigkeiten im Bereich der Integration umfassen aber noch eine weitere Facette: Wie in Abschnitt 4.1 diskutiert, ist bei Lösungen neben der marketingbezogenen und technischen Integration von Sach- und Dienstleistungen insbesondere auch die Integration des Kunden als externer Faktor im Rahmen der interaktiven Wertschöpfung erfolgskritisch. Die Mitwirkung des Abnehmers ist jedoch in der Regel weder qualitativ noch quantitativ eindeutig vorhersehbar.598 Hieraus resultieren Gestaltungs- und Steuerungsprobleme in der Wertschöpfung sowohl auf der Prozessebene als auch auf der Potenzialebene. In operativer Hinsicht führt diese Unbestimmtheit des externen Faktors im Prozess der interaktiven Wertschöpfung u.a. zu einem Dokumentationsproblem in der Kostenrechnung.599 Lösungsanbieter benötigen deshalb Integrations-Fähigkeiten sowohl bezogen auf die Sach-/ Dienstleistungskombination als auch auf den Kunden im interaktiven Wertschöpfungsprozess. Letztere gehen noch über die zuvor genannten Fähigkeiten des Kundenbeziehungsmanagements hinaus. Fähigkeiten im Bereich Partnerschaften Da das primäre Ziel eines Lösungsanbieters darin besteht, für die Kunden ein optimales Angebot zu entwerfen, kann es in der Praxis notwendig werden, auf Sachund/oder Dienstleistungen externer Lieferanten oder gar Wettbewerber zurückzugreifen. Gründe hierfür können Kapazitätsgrenzen oder fehlendes Know-How des eigentlichen Anbieters bei einem zu komplexen Kundenproblem sein. Wenn ein Lösungsanbieter notwendige Ressourcen nicht selbst besitzt oder in der Lage ist, sie zu angemessenen Kosten intern zu entwickeln, können bzw. müssen diese von
594
Vgl. Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S.118.
595
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 41.
596
Vgl. Shepherd/Ahmed (2000), S. 104.
597
Vgl. Prahalad/Hamel (1990), S. 85.
598
Vgl. Reichwald/Wegner (2008), S. 468.
599
Vgl. Steven/Wasmuth (2006), S. 475.
4.4 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
97
externen Anbietern bezogen werden.600 In diesem Sinne liefert der RBV eine theoretische Begründung der Notwendigkeit interorganisationaler Kooperationen im Lösungsgeschäft.601 Der Einsatz des Know-Hows externer Partner stellt eine weitere „Doing-Capability“ gemäß dem Ansatz von Hall dar.602 Demnach muss ein Lösungsanbieter die Fähigkeit besitzen, effizient und effektiv in einem partnerschaflichten Verhältnis mit externen Lieferanten und Wettbewerbern zusammenzuarbeiten.603 In der Literatur wird auch vereinzelt diskutiert, durch welche organisatorischen und personalpolitischen Maßnahmen ein Unternehmen die Fähigkeiten in den vier genannten Bereichen entwickeln und somit die Wertschaffungsstrategie der Lösungsorientierung erfolgreich implementieren kann. Eine theoriegeleitete Betrachtung dieser Thematik nimmt der folgende Abschnitt vor. 4.4
Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
Die veränderten Rahmenbedingungen des Lösungsgeschäftes erfordern nach Meinung der Literatur Anpassungen speziell im Bereich der Kundenorientierung und bei den internen Organisationsstrukturen.604 Von Bedeutung ist dabei besonders, dass alle Unternehmensbereiche und Abteilungen bei der Entwicklung und Vermarktung von Lösungen eng zusammenarbeiten und sich als gleichberechtigte Partner ansehen.605 Als ein zentraler organisatorischer Stellhebel für ein erfolgreiches Lösungsgeschäft wird der Wandel von einer sachleistungs- zu einer kunden- bzw. lösungsorientierten Unternehmensausrichtung angesehen.606 Wie die Anwendung von Transaktionskostentheorie und Informationsökonomik in Abschnitt 4.2 deutlich gemacht hat, sind elementare Voraussetzungen für die Lieferung einer optimalen Lösung neben erweitertem Fachwissen der Mitarbeiter und Integrations-Know-How des Unternehmens vor allem auch enge Kundenbeziehungen.607 Die Ausführungen zum
600
Vgl. Shepherd/Ahmed (2000), S. 103.
601
Vgl. Combs/Ketchen (1999), S. 868; Morgan/Hunt (1999), S. 283.
602
Vgl. Hall (1993), S. 609.
603
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 42; Foote et al. (2001), S. 91; Hobday/Davies/Prencipe (2005), S. 1132; Shepherd/Ahmed (2000), S. 104; Windahl et al. (2004), S. 220.
604
Vgl. Sawhney (2006), S. 366; Windahl et al. (2004), S. 219.
605
Vgl. Windahl/Lakemond (2006), S. 806.
606
Vgl. Galbraith (2002b), S. 194; Sawhney (2006), S. 366f.
607
Vgl. hierzu auch Reichwald et al. (2006b), S. 27.
98
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
veränderten Wertversprechen von Lösungsangeboten608 haben deutlich gemacht, dass bei Lösungsanbietern nicht länger die Sachleistung im Zentrum des Denkens, Planens und Handelns stehen sollte, sondern der Kunde bzw. dessen Problemstellung.609 Anbieter klassischer Sachleistungen sind naturgemäß stark auf ihre Produktpalette fokussiert.610 Dies hat zur Folge, dass sich solche Unternehmen schwerpunktmäßig auf die Weiterentwicklung bestehender und die Neuentwicklung künftiger Sachleistungen konzentrieren. Durch weitgehende Standardisierung soll dabei eine möglichst breite Zielgruppe adressiert werden.611 Das Vorhandensein von Produktteams und produktbezogener Profit-Center zeigt, dass die Sachleistungsorientierung auch in der Unternehmensorganisation zum Ausdruck kommt. Über Entscheidungsmacht verfügen dabei üblicherweise vor allem die Mitarbeiter aus der Produktentwicklung, und der Erfolg des Unternehmens wird zum Großteil mit sachleistungsorientierten Kennzahlen, wie z.B. Produktgewinnen oder Produktprofitabilität, gemessen.612 Im Gegensatz zu dieser sachleistungsorientierten Denkweise empfiehlt sich bei der auf Kundeninteraktion ausgerichteten Lösungsorientierung im Unternehmen der sogenannte „Value Leadership“ Ansatz.613 Hierunter wird die gezielte Kooperation mit Partnern verstanden, um das Kundenproblem durch eine integrierte und individualisierte Kombination von Sach- und Dienstleistungen optimal zu lösen.614 Der Wandel hin zu einer solchen lösungsorientierten Unternehmensausrichtung mit starkem Kundenfokus beeinflusst die Organisationsstruktur und die Verteilung von Entscheidungsrechten innerhalb des Unternehmens. Fallstudienuntersuchungen in der Literatur zeigen, dass Lösungsanbieter ihren organisatorischen Aufbau an einzelnen Kundensegmenten ausrichten, um diese gezielt bedienen zu können.615 Darüber hinaus werden Mitarbeitern mit umfassenden Kundenkenntnissen größere Einflussmöglichkeiten gewährt. Die Kennzahlen zur Erfolgsmessung sind nicht mehr sachleistungsorientierte, sondern vielmehr kundenspezifische Indikatoren, wie z.B.
608
Vgl. Abschnitt 4.1.
609
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 362f.; Cornet et al. (2000), S. 6f.; Davies/Brady/Hobday (2006), S. 40; Dhar/Menon/Maach (2004), S. 259; Galbraith (2002b), S. 194; Oliva/Kallenberg (2003), S. 167ff.; Sawhney (2006), S. 366f.; Sawhney/Balasubramanian/Krishnan (2004), S. 34f.; Shepherd/Ahmed (2000), S. 103; Windahl/Lakemond (2006), S. 807.
610
Vgl. Galbraith (2002b), S. 194.
611
Vgl. Sawhney (2006), S. 366f.
612
Vgl. Galbraith (2002b), S. 196; Sawhney (2006), S. 366f.
613
Vgl. Sawhney (2006), S. 367.
614
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005), S. 362; Sawhney (2006), S. 367; Windahl/Lakemond (2006), S. 807.
615
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 43f.; Foote et al. (2001), S. 89ff.; Galbraith (2002b), S. 200f.
4.4 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
99
Kundenbindung oder Kundenzufriedenheit.616 Die Lösungsorientierung im Unternehmen muss umso stärker ausgeprägt sein, je kundenindividueller, je umfangreicher und je integrierter die Lösungen des Anbieters sind.617 Das Ausmaß der Integration ist dabei nicht nur ein Indikator für die Ausprägung der Lösungsorientierung, sondern auch für den Koordinationsbedarf innerhalb der Organisation. Je höher der technische und der marketingbezogene Integrationsgrad einer Lösung ausfallen, desto mehr hängen die einzelnen Sach- und Dienstleistungskomponenten voneinander ab, was einen erhöhten Koordinationsaufwand zwischen den entsprechenden Organisationseinheiten impliziert.618 Die Anzahl der unterschiedlichen Organisationseinheiten, die zusammenarbeiten müssen, wird wiederum stark vom Umfang des Leistungsangebotes beeinflusst. Anbieter stark integrierter und umfangreicher Lösungen müssen deshalb eine stärker lösungsorientierte Unternehmensausrichtung aufweisen als klassische Sachleistungsanbieter.619 Angesichts dieser Herausforderungen sind Cornet et al. (2000) der Auffassung, dass eine Transformation vom Sachleistungs- zum Lösungsanbieter Anpassungen sowohl in den Bereichen Organisationsstruktur, Prozesse, Beurteilungs- und Belohnungssysteme als auch bei den Mitarbeiter- und Führungsgrundsätzen erfordert.620 Um die erforderlichen Veränderungen für die weiteren Ausführungen zu systematisieren, bietet es sich an, auf Literatur zum Thema Organisations-Architektur zurückzugreifen. In dieser Forschungsströmung werden verschiedene Eckpfeiler der Organisationsgestaltung als Rahmen der Erfüllung des Organisationszwecks diskutiert.621 Basierend auf Arbeiten der sogenannten „Aston Group“622 haben verschiedene Autoren, u.a. in den Bereichen organisationales Design623 und Marketingorganisation624, eine große Bandbreite an Dimensionen aufgezeigt, die einen Vergleich unterschiedlicher Organisationen erlauben. Als ein sehr umfassendes Konzepte gilt dabei das von Jay Galbraith in den 1970er Jahren entworfene „Star Model“ (vgl. Abbildung 7). Dieses Modell erweist sich für die vorliegende Untersuchung v.a. deshalb als passend, da es als bisher einziges Modell
616
Vgl. Galbraith (2002b), S. 196f.; Sawhney (2006), S. 366f.
617
Vgl. Galbraith (2002b), S. 199.
618
Vgl. Galbraith (2002b), S. 198.
619
Vgl. Galbraith (2002b), S. 199.
620
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 13.
621
Vgl. u.a. Churchill (1997); Galbraith (1995); Mackenzie (1986); Merron (1995); Miles/Snow (1978); Nadler/Tushman (1997); Picot/Dietl/Franck (2008).
622
Vgl. Blau/Schoenherr (1971); Pugh et al. (1968).
623
Vgl. Galbraith (1973); Pfeffer (1978).
624
Vgl. Workman/Homburg/Gruner (1998).
100
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
bereits herangezogen wurde, um den Wandel zum Lösungsanbieter zu beschreiben.625 Demnach sind Anpassungen in den fünf Dimensionen Strategie, Struktur, Prozesse, Entlohnungssysteme und Mitarbeiter notwendig.626 Im Folgenden wird das Grundmodell mit seinen fünf Dimensionen kurz beschrieben, um in den anschließenden Teilabschnitten auf die notwendigen Anpassungen in den einzelnen Dimensionen eingehen zu können.627 Strategie
Mitarbeiter
Entlohnungssysteme Abbildung 7
Struktur
Prozesse
Das „Star Model“ von Galbraith
628
Zentrale Dimension des „Star Models“ ist die Strategie, mit der alle anderen Dimensionen durch entsprechende Maßnahmen in Einklang zu bringen sind.629 Die Strategie formuliert die grundlegende Richtung des Unternehmens und legt das Angebotsportfolio, die Wertschöpfung für den Kunden und die adressierten Märkte fest.630 Die Ausprägung der Arbeitsteilung sowie die Verteilung und Ausgestaltung von Entscheidungsrechten wird nach Galbraith (1977) durch die Struktur des Unternehmens bestimmt.631 Hierunter sind Maßnahmen zu subsumieren, die den Spezialisierungsgrad, die hierarchischen Strukturen, die vertikale und horizontale Machtverteilung und die Organisationsstruktur betreffen. Unter Prozessen versteht
625
Die in dieser Arbeit vorgenommene theoriebasierte Ableitung der Relevanz der Dimensionen nach dem RBV findet bei Galbraith (2002) freilich nicht statt.
626
Vgl. Galbraith (2002b), S. 194.
627
Beschrieben werden dabei mit Fokus auf das Untersuchungsziel des vorliegenden Abschnitts nur Anpassungen der Dimensionen Struktur, Prozesse, Mitarbeiter und Entlohnungssysteme. Aussagen zur übergeordneten Strategiedimension wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln bei der grundlegenden Definition von Lösungsangeboten und insbesondere bei der Erläuterung des veränderten Wertversprechens getroffen.
628
In Anlehnung an Galbraith (1977), S. 31; Galbraith (2002a), S. 9; Galbraith/Kazanjian (1986), S. 2.
629
Vgl. Galbraith (2002b), S. 194.
630
Vgl. Galbraith/Kazanjian (1986), S. 3.
631
Vgl. Galbraith (1977), S. 22.
4.4 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
101
Galbraith in seinem Modell sowohl horizontale als auch vertikale Informations- und Entscheidungsprozesse, mit denen Aktivitäten zwischen verschiedenen Arbeitseinheiten effizient koordiniert werden.632 Mit Entlohnungssystemen wird die Intention verfolgt, die individuellen Ziele der Mitarbeiter mit den übergeordneten Unternehmenszielen in Einklang zu bringen.633 Durch monetäre und nicht-monetäre Anreize sollen die Mitarbeiter motiviert werden, ihre Handlungen auf das Erreichen der Unternehmensziele auszurichten. Die Mitarbeiterdimension befasst sich mit verschiedenen Maßnahmen aus dem HR-Bereich wie z.B. Trainings, Personalauswahl, -einsatz und -entwicklung. Mit Hilfe entsprechender Maßnahmen sollen Mitarbeiter aus dem externen Umfeld gewonnen oder im Unternehmen entwickelt werden, die für das erfolgreiche Umsetzen der Struktur, der Prozesse und damit der Strategie benötigt werden.634 Struktur Unternehmen, die erfolgreich die Wertschaffungsstrategie des Lösungsgeschäftes implementieren wollen, müssen in einem ersten Schritt eine Organisationsstruktur aufbauen, die stark auf den Kunden zugeschnitten ist.635 Ein in der Literatur von vielen Autoren vorgeschlagenes Rahmenmodell hierfür ist das sogenannte „frontback hybrid“-Design.636 Diese Organisationsstruktur umfasst neu geschaffene kundenorientierte Einheiten (front-end units), die Lösungen entwickeln und vermarkten, neu ausgerichtete sachleistungsorientierte Bereiche (back-end units), welche die Komponenten für die Lösungen entwickeln, und eine koordinierende Einheit, das sogenannte „strong center“.637 Kundenorientierte „front-end units“ stehen in einem direkten Kontakt mit den Abnehmern und konfigurieren die Lösung aus allen Leistungskomponenten sowohl vom Anbieterunternehmen selbst als auch von dessen strategischen Partnern. Damit ermöglichen die „front-end units“ eine „single face to the customer“-Betreuung, da der Kunde auch bei komplexen Lösungsangeboten nur einen konkreten Ansprechpartner beim Anbieter hat.638 Die Ergebnisverantwortung liegt nicht mehr in den sachleistungsbezogenen, sondern in den neuen kundenorientierten Einheiten.639 Diese kennen die Bedürfnisse und Probleme
632
Vgl. Galbraith (1977), S. 24ff.; Galbraith/Kazanjian (1986), S. 71.
633
Vgl. Galbraith (1977), S. 22; Galbraith/Kazanjian (1986), S. 91.
634
Vgl. Galbraith (2002b), S. 194; Galbraith (2002a), S. 13.
635
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 43; Foote et al. (2001), S. 89.
636
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 43f.; Foote et al. (2001), S. 89ff.; Galbraith (2002b), S. 200ff.; Miller et al. (2002), S. 9ff.; Sawhney (2001), S. 106f.; Sawhney (2006), S. 373ff.
637
Vgl. Foote et al. (2001), S. 90; Sawhney (2006), S. 373ff.
638
Vgl. Sawhney (2006), S. 374.
639
Vgl. Foote et al. (2001), S. 90; Sawhney (2006), S. 373ff.
102
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
der Kunden im Detail und können unabhängig vom Leistungsportfolio des eigenen Unternehmens die bestmögliche Lösung zusammenstellen. Dafür benötigen diese Einheiten aber auch Mitarbeiter, die in der Lage sind, größere Wissensbereiche abzudecken, als dies beim klassischen Vertrieb isolierter Sachleistungen erforderlich war.640 Beim Zustandekommen eines Kundenprojektes wird ein Projektteam zusammengestellt, das aus Mitgliedern der „front-end units“, „back-end units“, eventuell externen Partnern und Kundenmitarbeitern besteht. Aufgrund der kundenbezogenen Individualität des Leistungsangebotes ist die Aufstellung solcher transaktionsbezogener Teams die logische Reaktion auf die Komplexität des Lösungsverkaufs und die auf Kundenseite typischerweise stark institutionalisierten „Buying-Center“.641 Die Stärke solcher Strukturen besteht darin, dass diese Teams sehr schnell und flexibel unter Berücksichtigung der Problemstellung, der Kundenbedürfnisse und der Projektphase immer wieder neu zusammengestellt werden können.642 Auf solche Projektteams im Lösungsgeschäft treffen damit in hohem Maße Charakteristika zu, wie sie in der Literatur zu virtuellen Team-Konstellationen diskutiert werden: Virtuelle Teams zeichnen sich durch zeitlich befristete Strukturen abhängig von der Aufgabenstellung, kundenindividuelle Aufgabenerfüllung durch problem- und aufgabenbezogene Ad-hoc-Entstehung, Konzentration der Mitglieder auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen, geschlossenes externes Auftreten bei gleichzeitig offenen und dynamischen internen Strukturen sowie räumliche und zeitliche Verteiltheit aus.643 Das Kriterium der Verteiltheit ist im Lösungsgeschäft nicht zwingend gegeben, kann aber je nach Kontext des Kundenprojektes auftreten und muss in solchen Fällen durch geeignete technische Informations- und Kommunikationsinfrastruktur unterstützt werden.644 Teamstrukturen allgemein und speziell virtuelle Teams stellen große Herausforderungen an die involvierten Mitarbeiter,645 weshalb dieser Aspekt später bei der Mitarbeiter-Dimension im „Star-Model“ wieder aufgegriffen wird. Die sachleistungsorientierten „back-end units“ arbeiten grundsätzlich eng mit den „front-end units“ zusammen und versorgen diese mit Sach- und Dienstleistungen, 640
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 43; Foote et al. (2001), S. 89.
641
Vgl. Moon/Armstrong (1994), S. 18; Moon/Forquer Gupta (1997), S. 37; Nippa/Wienhold/Piezonka (2007), S. 9. Zum Begriff des „Buying-Centers“ siehe Webster/Wind (1972).
642
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 43f.; Foote et al. (2001), S. 91; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 9.
643
Vgl. Alt/Legner/Österle (2005), S. 8f; Cascio (2000), S. 83; Chinowsky/Rojas (2003), S. 98; DeRosa et al. (2004), S. 219; Jarvenpaa/Leidner (1999), S. 791; Malhotra/Majchrzak/Rosen (2007), S. 60; Townsend/DeMarie/Hendrickson (1998), S. 18; Weinkauf/Woywode (2004), S. 393f.
644
Vgl. Alt/Legner/Österle (2005), S. 10; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 134; Reichwald/Möslein (2000), S. 121; Townsend/DeMarie/Hendrickson (1998), S. 20.
645
Vgl. Kayworth/Leidner (2002), S. 10.
4.4 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
103
welche unter Mitwirkung des Kunden dann zu individuellen, integrierten Lösungen konfiguriert werden. Hierfür müssen die „back-end units“ aus Effizienzgründen standardisierte Technologien und Plattformen entwerfen.646 Diese Vorgehensweise entspricht dem bereits angesprochenen Gedanken der Faktorvorkombination aus dem Modell der Dienstleistungsproduktion, bevor unter Einbezug des Kunden die Faktorendkombination vorgenommen wird.647 Die Trennung zwischen „back-end units“ und „front-end units“ bedeutet nicht, dass einem der beiden Bereiche größere Bedeutung zuzuschreiben ist. Beide sind nach herrschender Meinung für den Erfolg gleichermaßen wichtig, allerdings sollen durch die Aufteilung die Lösungen insgesamt und speziell die Interaktion mit dem Kunden verbessert werden.648 Neben den beiden operativ ausgerichteten Einheiten benötigt ein Lösungsanbieter mit einer „front-back hybrid“ Struktur noch eine leitende und koordinierende Stelle („strong center“). Dessen Aufgabe wird darin gesehen, eine für die anderen Einheiten verbindliche strategische Richtung vorzugeben und für einen schnellen Informationsfluss sowie eine effiziente Kooperation zwischen den sachleistungs- und kundenorientierten Einheiten zu sorgen. Idealerweise enthält das „strong center“ Führungsmitglieder sowohl aus den „back-end units“ als auch aus den „front-end units“.649 Weitergehende Möglichkeiten zur Verbesserung der Koordination und Kooperation zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten werden vom „StarModel“ im Bereich Prozesse erfasst. Prozesse Sachleistungsanbieter besitzen typischerweise einige Standardprozesse, wie z.B. Planungs- und Budgetierungsprozesse für einzelne Geschäftsbereiche oder Produktentwicklungsprozesse und Auftragsausführungsprozesse. Bei einem Lösungsanbieter mit einer „front-back hybrid“ Struktur sind nach Meinung der Literatur die im folgenden dargestellten neuen Prozesse bzw. Prozessmodifikationen erforderlich, um die sachleistungsorientierten- und die kundenorientierten Einheiten miteinander zu koordinieren.650 „Strategy and Reconciliation“: Im Gegensatz zu einem reinen Sachleistungsanbieter muss ein Unternehmen im Lösungsgeschäft neben seiner Produktstrategie der „back-end units“ auch noch Lösungs- und Kundenstrategien für die „front-end units“
646
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 44; Foote et al. (2001), S. 91f.; Miller et al. (2002), S. 10; Sawhney (2006), S. 373f.
647
Vgl. Corsten (2001), S. 28.
648
Vgl. Foote et al. (2001), S. 92.
649
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 44; Foote et al. (2001), S. 93; Sawhney (2006), S. 374f.
650
Vgl. Galbraith (2002b), S. 202.
104
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
entwerfen. Der Abstimmungsprozess dieser Strategien erfordert laut Galbraith eine stärkere Beteiligung seitens des Topmanagements, da nun mehrere Parteien, mit teils unterschiedlichen Interessen, zu einem Konsens bezüglich der strategischen Ausrichtung finden müssen.651 „Product Portfolio“: Um eine erfolgreiche Integration zu gewährleisten, ist es wichtig, dass sich die verschiedenen mit Sachleistungen befassten Einheiten über die zukünftige Entwicklung des Leistungsportfolios einig sind. Hierzu schlägt Galbraith einen Portfolioplanungsprozess vor, mit dessen Hilfe eine Strategie bezüglich der Weiterentwicklung der einzelnen Produktlinien unter Berücksichtigung des Integrationsaspektes entworfen werden kann.652 Eine ausführliche Dokumentation schon in der Phase der Produktentwicklung kann es darüber hinaus den Produkteinheiten erleichtern, die einzelnen Komponenten für eine integrative Lösung entsprechend anzupassen.653 „Solutions Development“: Neben der Planung des Produktportfolios erfordert eine Lösungsstrategie auch einen Lösungsentwicklungsprozess. Unternehmen, welche reproduzierbare Lösungen verkaufen wollen, benötigen einen Prozess, mit dem sie Lösungen entwickeln können, die für mehr als nur einen Kunden Wert generieren. Ein derartiger Prozess könnte nach Meinung der Literatur folgendermaßen aufgebaut sein: Zunächst wird im Rahmen der Kundenstrategie festgelegt, welche Kundengruppe mit welchem Lösungsangebot adressiert werden soll. Nachdem mit einem Pilotkunden zusammen eine passende Lösung entwickelt worden ist, können umfassende Dokumentationen erstellt werden, die ergänzend zu Lösungsexperten, die an dem Pilotprojekt beteiligt waren, andere Mitarbeiter bei dem Verkauf der Lösung an weitere Kunden unterstützen können.654 Eine ausführliche Dokumentation der Lösungsentwicklung ist nicht nur beim Verkauf der Lösung hilfreich, sondern kann auch deutlich die Qualität des Kundendienstes erhöhen, da dieser detaillierte, kodifizierte Informationen über die Komponenten und ihre Schnittstellen erhält und dadurch auf funktionale Probleme beim Kunden vor Ort besser reagieren kann.655 „Solutions Fulfillment“: Nach Auftragseingang muss die Herstellung der Komponenten in den verschiedenen Sachleistungseinheiten so koordiniert werden,
651
Vgl. Galbraith (2002b), S. 202.
652
Vgl. Galbraith (2002b), S. 202f.
653
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 9f.
654
Vgl. Galbraith (2002b), S. 203; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 11.
655
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 9f.
4.4 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
105
dass alle Bestandteile möglichst nahtlos zusammengeführt werden können, um die Lösung termingerecht beim Kunden zu installieren.656 „Assembly-Disassembly of Teams“: Um die unter der Dimension Struktur erwähnten Projektteams mit Mitgliedern aus den verschiedenen Bereichen schnell und flexibel zusammenstellen zu können, sind angesichts knapper personeller Ressourcen kurze Entscheidungsprozesse notwendig, um abzuwägen, welche Projekte angenommen werden sollen. Laut Galbraith bietet sich hierfür eine Priorisierung der Kunden nach deren Profitabilität an, um bei Ressourcenknappheit Projekten von höher eingestuften Kunden Vorrang geben zu können.657 Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) warnen jedoch vor einem zu häufigen Wechsel des Ansprechpartners durch flexible Projektstrukturen.658 Durch längerfristig bestehende Kundenbeziehungen der Vertriebsoder Kundendienstmitarbeiter verbessern sich die persönlichen Kontakte zu Entscheidern beim Kunden und der Lösungsanbieter kann unter Umständen schneller relevante Informationen sammeln, die es ihm ermöglichen, aktuelle und vor allem zukünftige Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen. Auch die übliche Form der Kundenbetreuung kann dadurch verbessert werden.659 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aufgrund der zunehmenden Komplexität des Lösungsgeschäftes auch mehr und umfangreichere Prozesse notwendig werden. Die Aspekte Kommunikation, Abstimmung und Integration spielen hierbei eine wichtige Rolle. Nach Cornet et al. (2000) liegt das daraus resultierende Problem der Praxis nicht in erster Linie im Erwerb oder der Entwicklung derartiger Prozesse, sondern in einer systematischen, konsequenten und unternehmensweiten Anwendung.660 Augenscheinlich ist, dass der in diesem Teilkapitel wiedergegebene Stand der Literatur ein reichlich unvollständiges Bild der Prozesslandschaft eines Lösungsanbieters zeichnet. Die genannten Prozesse sind zum Teil kaum unterschiedlich zum Geschäft mit klassischen Sachleistungen und zumeist auf einer abstrakten Ebene angesiedelt. Konkrete Aktivitäten oder Routinen, die spezifisch für das Lösungsgeschäft sind, werden kaum angeführt. Bei den zitierten Beiträgen von Galbraith (2002) und Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) handelt es sich zudem nach Wissen des Autors aktuell um die einzigen Arbeiten mit einer Betrachtung interner Prozesse eines Lösungsanbieters,661 was angesichts der hohen Bedeutung der 656
Vgl. Galbraith (2002b), S. 203.
657
Vgl. Galbraith (2002b), S. 204.
658
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 10f.
659
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 11.
660
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 11f.
661
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 12.
106
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Thematik einen erheblichen Forschungsbedarf offenbart. Speziell Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) betrachten das gesamte Lösungsgeschäft aus einer Prozessperspektive. Sie nehmen jedoch keine theoretische Fundierung auf Basis des Ressourcen- bzw. Kompetenzansatzes und der Prozessorientierung vor und bleiben daher Aussagen über konkrete interne Aktivitäten und Routinen für Lösungsanbieter weitgehend schuldig. Die prozessorientierte Sichtweise der vorliegenden Arbeit zur Überwindung dieser Defizite wird ausführlich in Abschnitt 4.6.2 dargestellt. Entlohnungssysteme Aufgrund der speziellen Charakteristika des Lösungsgeschäftes werden in der Literatur einige Herausforderungen für die Mitarbeiterentlohnung diskutiert. So müssen aufgrund des i.d.R. langen Vermarktungsprozesses einer Lösung Erfolgsmessgrößen herangezogen werden, die es ermöglichen, in kürzeren zeitlichen Abständen den Erfolg zu bestimmen, um die Mitarbeiter entsprechend belohnen und motivieren zu können.662 Eine solche Messgröße, die auch der stärkeren Kundenorientierung des Lösungsgeschäftes Rechnung trägt, ist die Kundenzufriedenheit.663 Daneben besteht die Möglichkeit zur kundenorientierten Erfolgsbestimmung in der Aufstellung einer eigenen Erfolgsrechnung für größere Kunden anstatt für einzelne Sachleistungen, um z.B. die Profitabilität zu ermitteln und die Entlohnung daran zu knüpfen.664 Eine traditionelle Vergütung auf Basis einzelner Transaktionen oder Leistungen der Mitarbeiter ist im Lösungsgeschäft nicht mehr hinreichend. Vielmehr werden Entlohnungssysteme gefordert, die stark teamorientiert sind und eine funktionsübergreifende Zusammenarbeit fördern.665 Mit zunehmender Komplexität und Integration eines Lösungsangebotes wird es immer schwieriger, den Anteil einzelner Organisationseinheiten am gesamten Verkaufserfolg genau zu quantifizieren. Aus diesem Grund schlägt Galbraith (2002b) vor, die Entlohnungssysteme an Messgrößen auszurichten, die vermehrt den Gesamterfolg des Unternehmens und weniger den einzelner Einheiten widerspiegeln.666 Auch die Vergütung selbst könnte beispielsweise durch die
662
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 12; Galbraith (2002b), S. 204; Nippa/Wienhold/Piezonka (2007), S. 14.
663
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 12.
664
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 12.
665
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 12; Krishnamurthy/Johansson/Schlissberg (2003), S. 10; Nippa/Wienhold/Piezonka (2007), S. 9.
666
Vgl. Galbraith (2002b), S. 200.
4.4 Organisationsaurichtung auf das Lösungsgeschäft
107
Ausgabe von Aktienoptionen stärker mit dem Unternehmenserfolg verbunden werden.667 Trotz der stärkeren Ausrichtung auf den gesamten Unternehmenserfolg wird in der Literatur davon ausgegangen, dass für einzelne Bereiche oder Gruppen weiterhin individuelle Vorgaben existieren, an denen diese sich messen lassen müssen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die individuellen Zielvorgaben nicht widersprechen dürfen, sondern sich ergänzen und miteinander gekoppelt werden sollten.668 Mitarbeiter Dem Human-Resource-Management wird in der Literatur entscheidende Bedeutung für den Erfolg dienstleistungsorientierter Strategien im Industriegüterbereich zugesprochen.669 So kann eine stark ausgeprägte Dienstleistungsorientierung des Personalführungssystems einen positiven Einfluss auf die Qualität der Kundenbeziehung und die Profitabilität der angebotenen industriellen Dienstleistungen haben.670 Um integrierte und kundenindividuelle Lösungen im B2B-Bereich erfolgreich zu vermarkten, benötigt ein Anbieter u.a. qualifizierte Kunden- und Projektmanager. Je umfangreicher der Auftrag, desto weiter oben in der Hierarchiestruktur des Kunden wird die Entscheidung über das Projekt getroffen, weshalb vor allem berufserfahrene Kundenmanager erforderlich sind.671 Die per Definition starke Kundenorientierung im Lösungsgeschäft macht es notwendig, dass involvierte Mitarbeiter entweder bereits über Erfahrung mit einem speziellen Kunden bzw. zumindest mit dessen Branche verfügen oder aber in der Lage sind, sich dieses Wissen schnell anzueignen. Darüber hinaus müssen die Mitarbeiter im Lösungsgeschäft auch verstärkt bereit sein, ihr Wissen funktions- und bereichsübergreifend anderen Stellen im Unternehmen zur Verfügung zu stellen.672 Wie schon im Bereich der Unternehmensstruktur und der Entlohnungssysteme angedeutet, ist (virtuelle) Teamarbeit, auch in wechselnden Konstellationen, für Lösungsanbieter sehr wichtig. Die Bereitschaft, in einem solchen Umfeld zu arbeiten,
667
Vgl. Galbraith (2002b), S. 204.
668
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 10.
669
Vgl. Homburg/Faßnacht/Günther (2002a), Nippa/Wienhold/Piezonka (2007), S. 2.
670
Vgl. Homburg/Faßnacht/Günther (2002a), S. 504.
671
Vgl. Galbraith (2002b), S. 200.
672
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 10.
S.
493f.;
Jung
Erceg
(2005),
S.
155f.;
108
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
allgemeine Teamfähigkeit und Konfliktmanagement sind deshalb unabdingbare Anforderungen an die Mitarbeiter.673 Neues Personal muss daher gezielt nach diesen Eigenschaften rekrutiert und bestehende Mitarbeiter durch entsprechende Trainingsmaßnahmen gefördert werden, um letztendlich einen optimal qualifizierten Mitarbeiterstamm für das Lösungsgeschäft zu erhalten.674 Der Wandel zu einer lösungsorientierten Denkweise seitens der Mitarbeiter kann aber nur schrittweise durch Trainingsmaßnahmen, selektive Personalauswahl und die beschriebenen Belohnungssysteme erfolgreich vollzogen werden.675 4.5
Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Lösungskompetenz
Zum Abschluss der theoretischen Analyse von Lösungsangeboten wird in diesem Abschnitt ein Zwischenfazit der gewonnenen Erkenntnisse gezogen, bevor im folgenden Teilkapitel 4.6 die qualitative Exploration zur Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz beschrieben wird. Zusammenfassend kann als Auswertung der Literatur festgehalten werden, dass ein Lösungsanbieter seine Fähigkeiten im Vergleich zu einem klassischen Sachleistungsanbieter in Übereinstimmung mit dem veränderten Wertversprechen grundlegend wandeln muss. Ressourcen und Prozesse als Grundlage von Lösungskompetenz Nach dem RBV liegen Kompetenzen zur Entwicklung eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils Handlungspotenziale in Form tangibler und intangibler Ressourcen zugrunde, worunter insbesondere auch organisationale und personalbezogene Ressourcen zu subsumieren sind.676 Zwar können einzelne HR-Maßnahmen, Variablen der Organisationsstruktur oder Prozesse von Konkurrenten relativ einfach nachgeahmt werden,677 es ist jedoch das komplexe Gebilde aus unterschiedlichen HR Practices, internen Strukturen und Prozessen, welches aufgrund enger Vernetzung und wechselseitiger Beziehungen für Konkurrenten kausal unklar und damit
673
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 11; Galbraith (2002b), S. 205.
674
Vgl. Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 29.
675
Vgl. Cornet et al. (2000), S. 11.
676
Vgl. Barney (1991), S. 105ff.; Barney (2007), S. 138ff.; Hitt/Ireland/Hoskisson (2007), S. 75f.; Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 281; Wang/Ahmed (2007), S. 36; Wright/Dunford/Snell (2001), S. 714ff.
677
Vgl. Boxall (1996), S. 82.
4.5 Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Lösungskompetenz
109
nicht-imitierbar ist.678 In Zusammenhang mit den in Abschnitt 2.3.1 als theoretische Grundlage der Wertschaffung bereits erwähnten Human-Resource-Konzepten und dem zuvor vorgestellten Kompetenzbegriff kann nun gefolgert werden, dass es für die erfolgreiche Implementierung der Wertschaffungsstrategie des Lösungsgeschäftes von besonderer Bedeutung ist, Anpassungen bei den intangiblen Ressourcen vorzunehmen. Im Rahmen der theoretischen Grundlagen in Abschnitt 3.1.1 wurde hierbei die Ressourcen-Klassifikation von Hunt/Morgan (1995) eingeführt. Bei einer Betrachtung der fünf intangiblen Ressourcen-Klassen wird ersichtlich, dass sich zwischen den letzten vier Ressourcen (personalwirtschaftliche, organisations-, informations- und beziehungsbezogene Ressourcen) Bezüge zu den Dimensionen des „Star Models“ herstellen lassen. Dabei werden die Dimensionen „Mitarbeiter“ und „Entlohnungssysteme“ durch die personalwirtschaftlichen Ressourcen abgebildet und die Dimension „Struktur“ findet sich jeweils in Aspekten der organisations- und der beziehungsbezogenen Ressourcen wieder. 679 Eine Sonderstellung in der Betrachtung nehmen die Prozesse ein. Im zuvor beschriebenen Konzept der dynamischen Fähigkeiten, auf dessen Basis die Kompetenz-Definition der vorliegenden Arbeit abgeleitet wurde, bilden die Prozesse die Grundlage für die Erreichung eines Wettbewerbsvorteils und werden durch die Ressourcenausstattung beeinflusst.680 Die Nutzung der als Handlungspotenziale verstandenen Ressourcen wird gemäß der „Strategic Logic“ nach Sanchez/Heene (2004) durch Prozesse gesteuert und koordiniert (vgl. Abschnitt 3.2). Verfügt ein Lösungsanbieter also über die Kompetenz, personalwirtschaftliche, organisations-, informations- und beziehungsbezogene Ressourcen an die Erfordernisse des Lösungsgeschäftes anzupassen und zielorientiert über geeignete Prozesse zur Implementierung einer Wertschaffungsstrategie für den Kunden zu kombinieren, kann ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil herausgearbeitet werden.
678
Vgl. Lado/Wilson (1994), S. 717f.; Schuler/MacMillan (1984), S. 251ff.; Snell/Youndt/Wright (1996), S. 80; Ulrich (1991), S. 134ff.
679
Ahlert et al. (2008), S. 21f.; Günther (2001), S. 42f.; Homburg/Faßnacht/Günther (2002b), S. 490; sowie Kühlborn (2004), S. 50f., kommen in Anlehnung an die Unternehmensführungsteilsysteme nach Weber (1995), S. 33ff., zu einer vergleichbaren Analyse der Ressourcen. Anders als im „StarModel“ ist in den Unternehmensführungsteilsystemen jedoch die für diese Arbeit bedeutsame Dimension der Prozesse nicht berücksichtigt. Das von den genannten Autoren stattdessen thematisierte Führungsteilsystem der Unternehmenskultur findet sich im „Star-Model“ in Aspekten der Bereiche „Struktur“, „Mitarbeiter“ und „Belohnungssysteme“ wieder und wird durch personalwirtschaftliche und organisationsbezogene Ressourcen repräsentiert (vgl. Kühlborn (2004), S. 51). Überlegungen zur Bedeutung der Unternehmenskultur für die Wertschaffungsstrategie der Lösungsorientierung werden auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit angestellt.
680
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 518.
110
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Über die Anwendung des ressourcenbasierten Ansatzes und der Prozessorientierung ist somit eine Fundierung der bislang überwiegend theoriefreien Diskussion möglicher Herausforderungen der Implementierung lösungsorientierter Wertschaffungsstrategien gelungen. Der Erklärungsbeitrag besteht darin, welche Ressourcenausstattung ein lösungsorientiertes Unternehmen haben sollte und wie es diese Ressourcen in kundenbezogenen Prozessen kombiniert einsetzen sollte, um größtmöglichen Wert für den Abnehmer zu schaffen. Dabei sollte ein ausgeglichenes Fähigkeiten-Portfolio angestrebt werden, das neben Kompetenzen der Kundeninteraktion durch gleichstarke Kompetenzen in den Bereichen Integration, Partnerschaften und im operativen Service-Bereich ergänzt wird.681 Definition von Lösungskompetenz Nach der grundlegenden Argumentation des RBV und der in Kapitel 3.1.3 diskutierten Erweiterungen ermöglicht eine Kompetenz einem Unternehmen, einen bestimmten Output zu produzieren.682 Üblicherweise werden darunter neue Produkte oder neue Verfahren zur Produktion verstanden.683 In der vorliegenden Arbeit besteht der Output der in diesem Abschnitt analysierten Lösungskompetenz in einer aus Sicht des Kunden „wertvollen“ Lösung. Die Lösungskompetenz umfasst die Fähigkeit zur Wertschaffung durch organisationale Routinen und Prozesse, über die Anbieter kundenindividuelle, integrierte Kombinationen aus Sach- und Dienstleistungen konfigurieren und erbringen. Gemäß dem für die gesamte Arbeit zugrunde gelegten Kompetenzbegriff nach Freiling/Gersch/Goeke (2006) ergibt sich somit die nachfolgende, eigene Begriffsdefinition: Lösungskompetenz ist das wiederholbare, auf der Nutzung von Wissen beruhende, durch Regeln geleitete und daher nicht zufällige Handlungspotenzial einer Organisation zur Erstellung von (aus Kundensicht) wertvollen Lösungsangeboten. Sie dient dem Erhalt der als notwendig erachteten Wettbewerbsfähigkeit und gegebenenfalls der Realisierung konkreter Wettbewerbsvorteile. Im nächsten Abschnitt erfolgt nun basierend auf dieser Definition die qualitativempirische Konzeptualisierung der Lösungskompetenz als Gestaltungsvariable der Wertschaffung. Die Konzeptualisierung von Konstrukten dient grundsätzlich der Ermittlung aller Facetten und Teilaspekte einer theoretischen Größe, wobei prinzipiell zwischen ein- und mehrfaktoriellen Konstrukten unterschieden werden kann.684 Letztere wiederum lassen sich weiter in ein- und mehrdimensionale Konstrukte
681
Vgl. Shepherd/Ahmed (2000), S. 104; Windahl et al. (2004), S. 220.
682
Vgl. Winter (2000), S. 983.
683
Vgl. Peteraf (1993), S. 188.
4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
111
differenzieren. Im Falle eines mehrfaktoriellen und mehrdimensionalen Konstruktes werden die einzelnen Dimensionen bei der späteren Operationalisierung (vgl. Kapitel 7.6) nicht direkt über Indikatoren erfasst, sondern bestehen aus mehreren Faktoren, welche wiederum von Indikatoren abhängig sind.685 4.6
Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
Die vorangegangenen Abschnitte haben deutlich gemacht, dass aufgrund der noch geringen Literaturbasis organisatorische Prozesse des Lösungsmanagements noch nicht ausreichend wissenschaftlich durchdrungen sind. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit explorativer Vorstudien, die die Grundlage der Konstruktkonzeptualisierung für die spätere quantitative Untersuchung bilden. Lösungskompetenz wird auf Basis zweier zusammenhängender explorativer Vorstudien und umfangreicher Literaturrecherche als mehrfaktorielles, mehrdimensionales Konstrukt konzeptualisiert (Kapitel 4.6.2). Vorab wird in Abschnitt 4.6.1 der Ablauf der Expertenbefragung beschrieben. Abschnitt 4.6.3 fasst die Ergebnisse der qualitativen Empirie zusammen. 4.6.1
Methodisches Vorgehen bei der Expertenbefragung
Für ein grundlegendes Verständnis des Konstruktes Lösungskompetenz wurden in einem ersten Schritt Experteninterviews durchgeführt. Als Experten werden dabei Personen bezeichnet, die über spezifisches Wissen zu dem interessierenden Forschungsbereich verfügen686 und einen privilegierten Zugang zu Informationen über Mitarbeiter, Organisationsabläufe oder Entscheidungsprozesse haben, auf deren Basis sie Erfahrungen und Interpretationen im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand liefern können.687 Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte analog zu früheren Untersuchungen in der Literatur auf Basis eines zielorientierten Akquiseverfahrens, um Experten verschiedener Funktionsbereiche und Hierarchieebenen erreichen zu können.688 Um möglichst unterschiedliche Blickrichtungen auf die Thematik zu projizieren, wurden über gezielte Recherchen 30 Lösungsanbieter aus verschiedenen Branchen im B2B-
684
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 6.
685
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 6.
686
Vgl. Liebold/Trinczek (2002), S. 33ff., ebenso für eine umfassende Darstellung des Experteninterviews, auf die im vorliegenden Rahmen verzichtet werden soll.
687
Vgl. Eisenhardt/Graebner (2007), S. 28.
688
Vgl. Bendapudi/Leone (2002); Kohli/Jaworski (1990); Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007).
112
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Bereich identifiziert und kontaktiert, die mindestens ein Lösungsangebot gemäß der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition anbieten. Davon waren elf Experten aus Unternehmen in unterschiedlichen Branchen zur Teilnahme an der Studie bereit (vgl. Tabelle 3). Branche Anlagenbau
Lösungsangebot Verfahrenstechnische Anlagen
Position des Interviewpartners Manager Business Development
Automobil
Leiter Corporate Technology
Facility-Management Informationstechnologie
Spezielle OEM-Lösungen, z.B. Elektronische Netzwerklösungen CAD-basierte FM-Lösungen IT-Outsourcing
Geschäftsführer Bereichsleiter
Informationstechnologie
z.B. eCommerce Lösungen
Geschäftsführer
Medizintechnik
Leiter Standartization & Technology
Telekommunikation
Medizintechnische Lösungen, z.B. für Neurologie Medizintechnische Lösungen, z.B. für Kardiologie Kommunikationslösungen
Telekommunikation
Kommunikationslösungen
Leiter Vertriebseinheit Applications
Telekommunikation
Kommunikationslösungen
Vice President Innovations
Trockenbau
Systemlösungen im Trockenbau, z.B. für Befestigung
Global Account Executive, Director Strategic Business
Medizintechnik
Tabelle 3
Marketingleiter Global Solutions Produktmanager
Teilnehmer der Experteninterviews zur Lösungskompetenz
Die Interviews dauerten im Durchschnitt ca. 50 Minuten und erfolgten teilstrukturiert anhand eines Leitfadens, bei dem ausschließlich offene Fragen gestellt wurden.689 Die Fragen waren dabei sorgfältig formuliert, um ausführliche Antworten der Befragten auszulösen, ohne jedoch zu aktivem Zuhören zu verführen.690 Die Experten wurden nach der Strukturierung des Lösungsprozesses, den Spezifitäten von Lösungsanbietern in den jeweiligen Prozessphasen, sowie den benötigten Fähigkeiten und deren Umsetzung gefragt. Die Gesprächsinhalte wurden mittels eines digitalen Diktiergerätes aufgenommen und zusätzlich stichpunktartig mitgeschrieben. Zur Auswertung der Interviews wurde die zusammenfassende Inhaltsanalyse verwendet.691 Bei dieser reduktiven Technik wird bei der Aufbereitung des Materials eine Vereinheitlichung angestrebt, wodurch ein höheres Allgemeinheitsniveau erreicht werden kann. Auf Basis der Experteninterviews konnte dadurch neben Implikationen zu Routinen und Fähigkeiten der in Abbildung 8 dargestellte vierstufige Lösungsprozess abgeleitet werden, welcher detailliert in Abschnitt 4.6.2 beschrieben wird.
689
Vgl. zu diesem Vorgehen Mayer (2006), S. 36ff.
690
Vgl. McCracken (1988), S. 21.
691
Vgl. Mayring (2007), S. 59ff.
4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
Analyse / Beratung
Design / Konfiguration
Abbildung 8
Implementierung / Erbringung
113
Support / Betrieb
Phasen des Lösungsprozesses
In einer anschließenden schriftlichen Befragung wurde dieser Prozess 45 Führungskräften des mittleren und oberen Managements von Lösungsanbietern in verschiedenen Branchen vorgelegt (vgl. Tabelle 4). Die Probanden sollten über eine offene Frage zu jeder der vier Phasen Aspekte nennen, die aus ihrer Sicht als erfolgskritische Aktivitäten, Routinen oder Prozesse zu betrachten sind. Die Antworten wurden wie bei den Interviews nach inhaltlichen Gemeinsamkeiten aggregiert und so auf ein höheres Allgemeinheitsniveau verdichtet. In Kombination mit den Experteninterviews liefert die schriftliche Befragung erstmalig detaillierte Einblicke in Aktivitäten, Teilprozesse und Praktiken der Wertschaffung mit Lösungsangeboten.692 Diese werden im folgenden Abschnitt zusammen mit bestehender Literatur zur Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz herangezogen. Branche
Anzahl Unternehmen
Maschinenbau
18
Informationstechnologie
10
Elektronik/Elektrotechnik Telekommunikation
6 4
Sonstiges (Dichtungen, Medizintechnik, Beratung, Software)
7
Tabelle 4
4.6.2
Branchenverteilung der explorativen Umfrage zur Lösungskompetenz
Stellhebel und Gestaltungsvariablen der Lösungskompetenz
Nach Meinung der Experten beginnt der Lösungsprozess mit einer Beratungs-Phase, in der zunächst das Kundenproblem als Ausgangspunkt für die Wertschaffungs692
Nach Wissen des Autors existiert gegenwärtig in der Literatur nur die US-amerikanische Studie von Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), in der ein vergleichbarer Prozess präsentiert wird. Die Ableitung der Prozessphasen basiert anders als in der vorliegenden Arbeit jedoch auf Experteninterviews mit Nachfragern von Lösungsangeboten. Die Autoren, die zusätzlich auch noch Anbieter befragt haben, finden dabei einen enormen Gegensatz zwischen der Anbieter- und Nachfragersicht auf Lösungsangebote (vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5). Dass in der vorliegenden Arbeit auf Basis von Interviews bei Anbieterunternehmen ein sehr ähnlicher, dem Kundenverständnis entsprechender Prozess abgeleitet werden konnte, stellt insoweit ein erstaunliches Ergebnis dar und deutet auf Unterschiede zwischen US-amerikanischen und deutschen Unternehmen hin. Anzumerken ist, dass die Experteninterviews der vorliegenden Studie bereits abgeschlossen waren, bevor der Artikel von Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) im Juli 2007 publiziert wurde. Eine Beeinflussung der Ergebnisse kann dahingehend also ausgeschlossen werden. Anders als der Beitrag von Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) ermöglicht die Studie dieser Arbeit aufgrund der konsekutiven schriftlichen Exploration außerdem detailliertere Einblicke in spezifische Routinen und Aktivitäten des Lösungsprozesses.
114
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
aktivitäten untersucht wird. Aufbauend darauf wird unter Einbezug des Kunden als Co-Produzent in der zweiten Phase eine konkrete Leistungskonfiguration erstellt. Im dritten Schritt wird diese in den konkreten Prozess- bzw. Anlagenbestand beim Kunden implementiert. Damit ist die Leistungsbeziehung jedoch nicht beendet, sondern die Experten betonen, dass weiterhin eine dauerhafte Interaktion zwischen den Parteien bestehen muss. Ein Lösungsanbieter muss die Erfordernisse dieser Phasen beherrschen, welche nun im Einzelnen ausgeführt werden sollen. Analyse/Beratung Um eine den Wettbewerbsangeboten überlegene, auf den Kunden zugeschnittene Lösung anbieten und im weiteren Verlauf auch implementieren zu können, ist es erforderlich, einen Einblick in die Wünsche des Kunden zu gewinnen, sein Geschäftsmodell und wichtige interne Prozesse zu verstehen.693 In der ersten Phase des Lösungsprozesses sind demzufolge nach Einschätzung der Experten primär Routinen und Aktivitäten zur Analyse der Anforderungen an die Lösung, der Probleme des Kunden und seines speziellen Kontextes erforderlich. Dabei liegt die Schwierigkeit häufig darin, dass die Problemstellung nicht detailliert definiert ist. Eine Vielzahl individueller und umgebungsbedingter Aspekte beeinflusst Inhalt und Strukturierung des Problems. Die Herausforderungen in dieser Prozessphase bringt stellvertretend für die befragten Experten ein Vertriebsleiter aus der TK-Branche auf den Punkt: „Der Kunde selbst kennt nicht seine Probleme, er kennt maximal deren Auswirkungen. Und wir wissen noch nicht, was wir dem Kunden verkaufen sollen.“ Die Wichtigkeit der Interaktion mit dem Kunden, um dezidiert die Anforderungen an die Lösung ableiten zu können, verdeutlicht ergänzend dazu ein Produktmanager aus der TK-Branche: „Ohne die Kundenbedürfnisse zu kennen bzw. diese Bedürfnisse zu identifizieren, kann keine noch so innovative Lösung einen Mehrwert für den Kunden erzeugen.“ Der Vertrieb muss daher im Dialog mit dem Kunden im Detail erfahren, um welche Art von Problemen es sich handelt und wie ausgeprägt das Wissen des Kunden dabei ist.694 Hierfür ist es erforderlich die „richtigen“ Fragen an verschiedene Anspruchsgruppen beim Kunden zu stellen,695 wofür nach Auskunft der Experten üblicherweise spezielle Fragenkataloge ausgearbeitet werden. Betont wird von den Befragten in diesem Zusammenhang auch die Wichtigkeit von vertrauensstiftenden Maßnahmen wie persönlichem Kontakt und längerfristigen Beziehungen zu den Entscheidern beim Kunden. Anders als beim Verkauf standardisierter Sachleistungen
693
Vgl. Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 120; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 6.
694
Vgl. Weis (1995), S. 68.
695
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 6.
4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
115
bezieht der Anbieter den Kunden in den Wertschöpfungsprozess der Leistung also bereits in dieser frühen Prozessstufe dezidiert mit ein.696 Konkrete Aktivitäten sind hierbei Workshops oder individuelle Beratungs-/Anforderungsgespräche. Bedeutende Informationsquelle für höhere Managementebenen beim Lösungsanbieter ist in erster Linie der Vertrieb bzw. Außendienst. Neben Aktivitäten zum besseren Kunden- und Problemverständnis betonen die befragten Experten die Wichtigkeit von Maßnahmen, um dem Kunden die eigene Kompetenz als Lösungsanbieter zu signalisieren. Als konkrete Aktivitäten wurden in der schriftlichen Befragung hier etwa das Aufzeigen von Referenzen und das Zusammenbringen von Kunden mit strategischen Partnern angeführt. Diese Aktivitäten sind konsistent mit der zuvor aus der Informationsökonomik abgeleiteten Notwendigkeit des Vertrauensaufbaus, um den in Abschnitt 4.5 beschriebenen Anforderungen einer offenen Geschäftsbeziehung Rechnung tragen und die Unsicherheiten des Kunden in Bezug auf das Leistungsergebnis reduzieren zu können. Hinsichtlich interner Organisationsmaßnahmen wird aus der Exploration deutlich, dass Lösungsanbieter in der ersten Prozessphase klare Verantwortlichkeiten bei der Projektbearbeitung festlegen, ein internes Verständnis für die Preis- und Vertragsgestaltung in Bezug auf das konkrete Lösungsangebot etablieren und die involvierten Mitarbeiter hinsichtlich der Probleme des Kunden qualifizieren müssen (z.B. über Schulungen oder interne Workshops). Zusammenfassend kann als erstes Ergebnis aus der Exploration für die Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz festgehalten werden, dass in der Analyse/Beratungs-Phase vier bedeutende Subprozesse zu berücksichtigen sind: Schaffung von Kunden- und Marktverständnis, Ermittlung der Kundenanforderungen, Interne Projektkonfiguration und Darstellung der eigenen Kompetenz als Lösungsanbieter.
696
Vgl. Vargo/Lusch (2004a), S. 13.
116
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Design/Konfiguration In Prozessphase 2 münden die Ergebnisse der Analyse und Beratung in die Planung einer konkreten Konfiguration des Lösungsangebotes als individuelle, integrierte Kombination aus Sach- und Dienstleistungen. Die Experteninterviews zeigen, dass auch dieser Abschnitt des Lösungsprozesses durch intensiven Austausch mit dem Kunden gekennzeichnet ist. Hier kommt es vor allem auf die Erarbeitung und Abstimmung der detaillierten Lösungsspezifikation mit den individuellen Anforderungen des Kunden an. Aus Anbietersicht sind dabei speziell Transparenz und Offenheit seitens des Kunden erfolgskritische Faktoren. Hinsichtlich der beteiligten Mitarbeiter heben die Befragten insbesondere die Bedeutung von Erfahrung, Qualifikation, Methodenwissen und technischem Know-How hervor. Sechs der interviewten Experten weisen darauf hin, dass Kunden in bestimmten Fällen die Integration externer Komponenten in die Lösungskonfiguration verlangen oder sich Komponenten von Wettbewerbern besser für ein Lösungsangebot eignen können. Ebenso kann es möglich sein, dass Leistungen von Wettbewerbern und/oder sonstigen Dritten bezogen werden müssen, wenn diese nicht im Portfolio des Lösungsanbieters sind.697 Der Vertrieb muss demzufolge nach Ansicht der Experten im Rahmen seiner „Profit and Loss“ Verantwortlichkeit ermächtigt sein, Sach- und Dienstleistungen externer, evtl. konkurrierender Unternehmen heranzuziehen. Hieraus ergibt sich wiederum die Erfordernis spezieller Routinen und Prozesse. Wie Abschnitt 4.2 gezeigt hat, wird ein hohes Ausmaß an Individualisierung für einen einzelnen Kunden unter Umständen nicht angemessen wertgeschätzt, weshalb ein solches Vorgehen für Lösungsanbieter langfristig nicht in jedem Fall profitabel ist. Für den Kunden muss eine Lösung konfiguriert werden, die durch angemessene Individualisierung größtmögliche Befriedigung seiner spezifischen Bedürfnisse schafft, gleichzeitig jedoch auch für den Anbieter eine profitable Kostenposition erlaubt. Vor diesem Hintergrund heben die befragten Experten die Bedeutung interner Projektkoordination hervor. In der Konfigurations-Phase gehört dazu, dass Wissen und Erfahrung durch entsprechende Prozesse und Routinen geteilt und dokumentiert wird, damit später wieder darauf zugegriffen werden kann. Mit einem solchen Vorgehen können die Kosten iterativer Fehlerschleifen gesenkt werden.698 Acht der elf interviewten Experten geben an, zur Unterstützung ihrer Mitarbeiter über Wissensdatenbanken, Datenpools oder Knowledge Management Systeme zu verfügen oder diese gerade aufzubauen.
697
Vgl. Abschnitt 4.3.
698
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 44f.
4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
117
Alle Experten betonen außerdem im Hinblick auf eine kosteneffiziente Leistungserstellung, übereinstimmend mit existierender Literatur,699 die Wichtigkeit standardisierter „Lösungsmodule“ für den Einsatz bei verschiedenen Kunden. Beispielhaft formuliert dies der Leiter Corporate Technology bei einem Zulieferer in der Automobilbranche: „Aus Kostengründen versuchen wir natürlich, die unterschiedlichen Bestandteile unserer Lösungen immer wieder einzusetzen und somit von diesen Synergien zu profitieren.“ Der Einsatz bereits erprobter BestPractice-Lösungen, vorkonfigurierter Softwaremodule oder die Nutzung von Baukastensystemen bei Sachleistungsbestandteilen des Lösungsangebotes sind Beispiele für hier gängige Routinen, wie v.a. aus der schriftlichen Befragung hervorgeht. Am Ende der Design-Phase steht in der Regel eine konkrete Roadmap für die nachfolgende Implementierung der Lösung. Dies formuliert der Marketingleiter eines Medizintechnik-Unternehmens wie folgt: „Das Ergebnis der Design-Phase ist ein von allen Beteiligten abgesprochener und mit dem Kunden vereinbarter Meilensteinplan.“ Die Bedeutung der Aktivitäten und Entscheidungen dieser Phase für die späteren Stufen des Lösungsprozesses unterstreicht folgende Aussage, die ebenfalls von diesem Marketingleiter stammt: „Durch das Design der Lösung ist der Großteil der eigentlichen Arbeit erledigt. Die folgenden Tätigkeiten basieren auf den vorherigen Ausführungen und sind somit größtenteils durch die Roadmap festgelegt.“ Für die zweite Prozessphase lassen sich aus der Exploration zusammenfassend zwei Subprozesse ableiten. Routinen im Bereich Anforderungsumsetzung decken die verschiedenen leistungsbezogenen und organisatorischen Maßnahmen zur Ableitung des konkreten Lösungsangebotes aus den Kundenanforderungen ab. Als zweiter Subprozess erfasst die Proaktivität der Spezifikationen die Auswirkungen auf nachfolgende Prozessphasen. Implementierung/Erbringung In der Implementierungs-Phase erfolgt die Einbettung der Lösung in das Wertschöpfungssystem des Kunden gemäß den Vorgaben der zuvor aufgestellten Roadmap. Die befragten Experten betonen im Zuge dessen die Wichtigkeit optimaler Routinen der Projektsteuerung. Der Schwerpunkt liegt auf der Abstimmung der internen mit den externen Prozessen beim Kunden, wie stellvertretend für die anderen Experten der Vice President Innovations bei einem Telekommunikationsanbieter deutlich macht: „Die internen und externen Prozesse müssen synchron ablaufen, sobald ein Prozess asynchron abläuft, wirkt sich dies ebenso auf die weiteren Prozesse aus.“
699
Vgl. u.a. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 44; Foote et al. (2001), S. 92; Reichwald et al. (2006a), S. 168f.; Sawhney (2006), S. 373.
118
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
Bei komplexen Leistungen wie Lösungsangeboten wird die Installation üblicherweise vom Anbieter oder speziellem (externen) Fachpersonal vorgenommen. Übereinstimmend mit der Literatur700 heben die Experten in diesem Teilprozess die Wichtigkeit von Bedienerschulungen für eine sachgemäße Nutzung der Lösung hervor. Bei Lösungen werden aus der Perspektive des Kunden alle Aktivitäten vom eigentlichen Anbieter verantwortet, auch wenn dieser in der Praxis bei der Implementierung häufig mit Partnern kooperiert, um ein optimales Ergebnis zu erreichen.701 Dabei ist er allerdings gegenüber dem Kunden letztendlich in der Pflicht, dass die Partner die zugewiesenen Aufgaben erfüllen.702 Eine kritische Situation für den Anbieter kann in der Implementierungs-Phase entstehen, wenn der Kunde unvorhergesehene Änderungswünsche vorbringt. Für solche Change-Requests bedarf es nach Meinung der befragten Lösungsanbieter durchdachter Managementmechanismen, die eine unkomplizierte Anpassung des Lösungsdesigns aus der Konfigurations-Phase erlauben. Relevant werden in der Implementierungs-Phase zudem Aktivitäten im Risikomanagement und Controlling-Prozesse. Überwacht werden müssen insbesondere die eigenen Kosten zur Erreichung einer „Balance zwischen Qualität, Kosten und Zeit-Management“, wie es ein Befragter formuliert. Zusammenfassend liefert die Exploration für die Implementierungs-/ErbringungsPhase als Ergebnis zwei bedeutende Teilprozesse: Projektkoordination und Kundenintegration. Darüber werden die verschiedenen Aktivitäten und Routinen zur internen Organisation und Abstimmung sowie zur Interaktion mit dem Kunden erfasst. Support/Betrieb Die abschließende Phase des Lösungsprozesses ist durch verschiedene Rückkopplungen zu den vorgelagerten Prozessstufen gekennzeichnet. Einerseits wurden von den Probanden in der schriftlichen Befragung „klare Terms und Conditions“ mit eindeutigen KPIs (Key Performance Indicators) und Service Level Agreements (SLAs) als erfolgskritisch eingestuft, wie sie typischerweise der Konfiguration der Lösung in der Design-Phase festgelegt werden. Andererseits zeigt sich erst im Betrieb beim Kunden, wie servicefreundlich das konfigurierte Design tatsächlich ist und ob alle Supportanforderungen auch erfüllt werden können. Die Ergebnisse der schriftlichen Befragung deuten außerdem darauf hin, dass es erfolgskritisch für die Support-/Betriebs-Phase ist, wie gut die Anwender beim Kunden vorab geschult wurden und ob eine umfangreiche Dokumentation des 700
Vgl. Goffin (1999), S. 375.
701
Vgl. Bolton et al. (2004), S. 23.
702
Vgl. Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg (2003), S. 124.
4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
119
Lösungsangebotes vorliegt. Auch hierbei handelt es sich um Faktoren, die von den vorangegangenen Phasen des Lösungsprozesses determiniert werden. Die befragten Lösungsanbieter sind sich darüber hinaus einig, dass im Fall von Betriebsstörungen die Erreichbarkeit des Services und schnelle Reaktionszeiten zentrale Aspekte sind. Solche Kriterien werden in der Literatur für klassische Leistungsangebote unter Begriffen wie „Customer Support“, „After-Sales-Service“ oder „Product Support“ bereits ausführlich diskutiert.703 Diese Bezeichnungen beschreiben eine Organisation, die dem Kunden hilft, die maximale Wirkung der erworbenen Leistung zu realisieren,704 indem potenzielle Probleme im Zusammenhang mit der Leistung minimiert werden und der Erfahrungswert durch den Gebrauch erhöht wird.705 Zugehörige Maßnahmen sind üblicherweise Instandhaltungen, Garantien, Ersatzteilelieferungen sowie Gewährleistung der technischen Sicherheit und der Betriebsfähigkeit.706 Der Kundensupport ist heute in nahezu allen Branchen ein zentrales Thema707, dessen Bedeutung aufgrund immer komplexerer Leistungen weiter zunimmt.708 Ziel des Supports ist es, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen,709 Kunden zu binden, Wettbewerbsvorteile zu generieren und neue Leistungen in Zusammenarbeit mit dem Kunden zu entwickeln.710 Insbesondere in letzterem Aspekt sehen die befragten Experten eine zentrale Aufgabenstellung für den Lösungsanbieter, die über klassische Sachleitungen hinausgeht. Die Lösung muss im Zuge des Aufbaus einer langfristigen Kundenbeziehung mit dem Abnehmer stetig weiterentwickelt und an veränderte Bedürfnisse angepasst werden.711 Zwischen dem Anbieter und dem Kunden steht nicht mehr eine einzelne Transaktion, sondern eine fortlaufende Beziehung im Vordergrund.712 Aufgrund dieses langfristigen Charakters der Leistungserbringung sind sowohl der Kunde als auch der Anbieter viel mehr daran interessiert, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit einzugehen, in der Wissen und Kenntnisse geteilt werden, die die Interaktionspartner ansonsten möglicherweise nicht
703
Vgl. Asugman/Johnson/McCullough (1997); Foo et al. (2000); Goffin (1999); Goffin/New (2001); Lele/Karmarkar (1983); Loomba (1996); Negash/Ryan/Igbaria (2003).
704
Vgl. Goffin (1999), S. 374.
705
Vgl. Asugman/Johnson/McCullough (1997), S. 12.
706
Vgl. Lele/Karmarkar (1983), S. 125.
707
Vgl. Foo et al. (2000), S. 129.
708
Vgl. Goffin (1999), S. 378; Loomba (1996), S. 4.
709
Vgl. Lele/Karmarkar (1983), S. 125.
710
Vgl. Goffin/New (2001), S. 275f.
711
Vgl. hierzu auch Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 7.
712
Vgl. Vargo/Lusch (2004a), S. 12.
120
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
preisgeben würden.713 Als erfolgskritisch für die Support-Phase wurde in der schriftlichen Befragung in diesem Zusammenhang von drei Experten die Notwendigkeit eines Service-Denkens bei allen Beteiligten angeführt. „Das Servicepersonal muss in Lifecycle-Prozessen denken und darf nicht allein auf den Eskalationsfall fixiert sein“, drückt dies der Marketingleiter Global Solutions eines Medizintechnikanbieters aus. Für eine Weiterentwicklung der Lösung im Zuge veränderter Kundenbedürfnisse müssen nach Auffassung der Experten sowohl Kundenfeedback als auch eigene Lerneffekte über alle Prozessphasen in die Verbesserung des Leistungsangebotes einfließen. Dies beinhaltet in erster Linie Routinen für ein leistungsbezogenes Monitoring hinsichtlich der Qualität der Lösungsbestandteile mit Soll-/Ist-Vergleichen und Fehleranalysen. Im Ergebnis führt die Exploration in der Support/Betriebs-Phase zu zwei Subprozessen, Service-Management und Beziehungs-Management, welche auf aggregierter Ebene die zentralen Routinen innerhalb dieser Dimension von Lösungskompetenz widerspiegeln. 4.6.3
Erkenntnisbeitrag der Exploration
Die Ergebnisse der Exploration (Interviews und schriftliche Befragung) bringen einen vierstufigen Prozess der Wertschaffung mit Lösungsangeboten hervor, in dem verschiedene erfolgskritische Gestaltungsvariablen zu beachten sind. Werden diese von Lösungsanbietern zusätzlich zur Integration und Individualisierung der Leistungsbestandteile konsequent beherrscht, bietet sich die Chance, für den Kunden einen überlegenen Mehrwert zu schaffen. Die Lösungskompetenz eines Anbieters manifestiert sich gemäß der in Abschnitt 4.5 formulierten Definition dabei in der Fähigkeit zur Wertschaffung durch organisationale Routinen und Prozesse, mittels derer Unternehmen Lösungen unter Einbezug des Kunden designen, implementieren und betreiben. Für das Konstrukt Lösungskompetenz wird daher auf Basis der Literaturauswertung und der qualitativen Exploration die in Abbildung 9 dargestellte Struktur angenommen:
713
Vgl. Sharma/Lucier/Molloy (2002), S. 4.
4.6 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Lösungskompetenz
121
Schaffung von Kunden-/Marktverständnis Analyse/Beratung
Anforderungsermittlung Projektkonfiguration Kompetenz-Darstellung
Design/ Konfiguration
Anforderungsumsetzung Proaktive Spezifikation
Lösungskompetenz
Implementierung/ Erbringung
Projektkoordination Kundenintegration
Beziehungs-Management Support/Betrieb Service-Management
Abbildung 9
Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz
Die vier grundlegenden Prozessphasen lassen sich anhand der theoretischen und empirischen Erkenntnisse in weitere Subprozesse aufteilen. Gemäß den Ausführungen zur Prozessorientierung in Kapitel 3.2 bestehen die vier Hauptprozesse jeweils aus einer unterschiedlichen Zahl von Subprozessen, die sich auf granularster Ebene unmittelbar aus einfachen Aktivitäten bzw. Routinen zusammensetzen. Die Aktivitäten der einzelnen Teilprozesse basieren auf der inhaltsanalytischen Auswertung der Experteninterviews und der schriftlichen Befragung, bei der thematisch verknüpfte Aspekte nach Gemeinsamkeiten aggregiert wurden. Zur inhaltlichen Validierung wurde diese Konstruktkonzeptualisierung mehrfach mit verschiedenen Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert und auf ihre Konsistenz überprüft. Erstmals in der Literatur kann damit eine umfassende Spezifikation der Wertschaffung für Lösungsangebote vorgelegt werden, die das existierende Prozessschema von Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) um elementare Subprozesse, Routinen und Aktivitäten ergänzt. In der Analyse-/Beratungs-Phase ist auf Basis der Explorationsergebnisse der Teilprozess Schaffung von Kunden-/Marktverständnis zu berücksichtigen, dessen Definitionsbereich die zuvor beschriebenen Aktivitäten und Routinen zur Gewinnung von Wissen über die Problemstellung des Kunden und seine Geschäftsumgebung abdeckt. Im Teilprozess Anforderungsermittlung sind Aktivitäten gebündelt, die Lösungsanbieter unternehmen müssen, um beim Kunden über „richtige“ Fragen aus der Problemstellung die konkreten Spezifikationswünsche abzuleiten. Prozesse der Projektkonfiguration decken interne Aktivitäten der Bildung und Qualifizierung des
122
4 Lösungskompetenz als Mittel zur Wertschaffung
kundenbezogenen Projektteams und weitere der beschriebenen organisatorischen Aspekte der ersten Lösungsphase ab. Der Teilprozess Kompetenz-Darstellung umfasst schließlich die beschriebenen Maßnahmen, mit denen Lösungsanbieter im Sinne der Informationsökonomik dem Kunden ihre Leistungsfähigkeit signalisieren. In der Design-Phase sind zwei Subprozesse mit dahinter stehenden Aktivitäten zu berücksichtigen. Die Anforderungsumsetzung stellt darauf ab, mit welchen Routinen und Aktivitäten der Lösungsanbieter die in der ersten Phase abgeleiteten Kundenanforderungen hinsichtlich Individualisierung und Integration in eine konkrete Spezifikation der Lösung umsetzt. Die Bedeutung, die der Konfigurations-Phase für die nachfolgenden Prozessschritte zukommt (bspw. durch die Fixierung der Roadmap), spiegelt sich im Teilprozess „Proaktive Spezifikation“ wider. Dessen Definitionsbereich deckt Aktivitäten, Stellhebel und Routinen ab, mit denen der Einfluss des Lösungsdesigns auf die Implementierungs- und die Betriebs-Phase gehandhabt werden kann, bspw. durch ein wartungsfreundliches Design. Die Implementierungs-/Erbringungs-Phase besteht ebenfalls aus zwei Teilprozessen. In der Subphase Projektkoordination werden Controlling-Aktivitäten des Anbieters und Maßnahmen zur Synchronisation der Prozesse von Anbieter und Nachfrager erfasst. Der Teilprozess Kundenintegration deckt die in dieser Prozessphase besonders kritischen Aktivitäten der Interaktion zwischen Lösungsanbieter und Kunde ab, bspw. hinsichtlich der Durchführung von Bedienerschulungen oder der Handhabung von Change-Requests. Auch die Support/Betriebs-Phase lässt sich auf Basis der empirischen Erkenntnisse in zwei Teilprozesse ausdifferenzieren. Die Subphase Beziehungsmanagement umfasst mit ihrem Definitionsbereich die für das Lösungsgeschäft charakteristischen Aktivitäten und Routinen zur Weiterentwicklung der Kundenlösung und zum Aufbau einer langfristigen Geschäftsbeziehung. Der Teilprozess Service-Management setzt sich aus den klassischen, jedoch auch im Lösungsgeschäft weiterhin relevanten, Wartungs- und Unterstützungsaktivitäten zusammen. Damit ist die Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz abgeschlossen und der erste Teil von Forschungsfrage eins beantwortet. Das folgende Kapitel wendet sich nun dem Preismanagement als zweitem Hauptstrang der vorliegenden Arbeit zu, um den noch ausstehenden Teil der ersten Forschungsfrage hinsichtlich zentraler Routinen, Prozesse und Praktiken der Wertaneignung zu beantworten.
5.1 Stand der Forschung
5
123
Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Dieser Abschnitt konzeptualisiert das Preismanagement als Ausgestaltung der Wertaneignungsdimension. Zunächst wird im Teilkapitel 5.1 eine detaillierte Auswertung bedeutender Arbeiten des Forschungsfeldes im Hinblick auf ihren Beitrag für die vorliegende Untersuchung vorgenommen. Darauf aufbauend integrieren die Abschnitte 5.2 und 5.3 die theoretischen Bezugspunkte aus Kapitel 3 zur Fundierung der Argumentation in Bezug auf zentrale organisatorische Herausforderungen im Rahmen des Preismanagements. Nach einem Zwischenfazit und der Definition von Preiskompetenz (Abschnitt 5.4) erfolgt analog zur Wertschaffungsdimension in Kapitel 5.5 die Konstruktkonzeptualisierung auf Basis einer qualitativen Expertenstudie unter Einbezug der Ergebnisse aus der Literaturauswertung. 5.1
Stand der Forschung
Anders als im Bereich der Lösungsangebote existiert zum Preismanagement eine breite wissenschaftliche Literaturbasis. Dies macht es erforderlich, den aktuellen Stand in Bezug auf die Forschungsfragen dieser Arbeit darzulegen und das weitere Vorgehen von den Ergebnissen existierender Beiträge abzugrenzen. In der Einleitung der vorliegenden Untersuchung wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Preismanagement trotz einer lange zurückreichenden Forschungstradition und der gestiegenen Bedeutung als Marketinginstrument in Wissenschaft und Praxis verschiedene Unzulänglichkeiten aufweist. Dies lässt sich im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückführen: Zum einen die bereits als unzureichend angeführte Fundierung zahlreicher Forschungsarbeiten durch die mikroökonomische Preistheorie714 und zum anderen die aggregierte, firmenübergreifende Perspektive vieler Beiträge, die keine unternehmensinterne Betrachtung des Preismanagements zulässt.715 Die neoklassische Preistheorie unterstellt Einproduktunternehmen in statischen Gleichgewichtsmärkten, bei denen aufgrund kostenlos verfügbarer, vollkommener Information rationale Entscheidungen getroffen werden.716 In der Realität stellen sich die Rahmenbedingungen des Preismanagements jedoch erheblich anders da, 717
714
Vgl. Bonoma/Crittenden/Dolan (1988), S. 338; Diamantopoulos/Mathews (1995), S. 8 und S. 19ff.; Wiegmann (1977), S. 17; Wiltinger (1998), S. 10f.
715
Vgl. Cyert/Hedrick (1972), S. 409; Diamantopoulos/Mathews (1995), S. 21; Rao (1984), S. 40.
716
Vgl. Adam (1972), S. 37ff.; Cunningham/Hornby (1993), S. 46; Horowitz (1970), S. 322ff.; Davies/Hughes (1975), S. 67f.; Gabor (1988), S. 14f.; Hague (1971), S. 20ff.; Henry/Haynes (1978), S. 408; Marshall (1979), S. 16; Wiltinger (1998), S. 30ff.
717
Vgl. Cunningham/Hornby (1993), S. 46; Cyert/Hedrick (1972), S. 398; Marshall (1979), S. 15f.; Said (1981), S. 4; Wiegmann (1977), S. 18f.
124
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
weshalb es auf Basis der mikroökonomischen Preistheorie unmöglich erscheint, Unterstützung für betriebliche Entscheidungen im Rahmen der Preispolitik zu leisten.718 Zu bemängeln ist an bisherigen Forschungsarbeiten außerdem das häufig hohe Aggregationsniveau der Untersuchung: Oftmals ist die kleinste analytische Betrachtungseinheit das Unternehmen in seiner Gesamtheit.719 In einer solchen „Black-Box“-Perspektive720 werden interne Prozesse und Aktivitäten des Preismanagements folglich nur selten untersucht.721 Obwohl in verschiedenen Beiträgen bereits der Bedarf an einer geplanten, strukturellen und ablaufbezogenen Organisation des Preismanagements festgestellt wurde,722 bestehen noch immer theoretische und methodische Lücken bei der Durchdringung von Preisprozessen (vgl. Abschnitt 5.1.3). Die Ablauforganisation dient dabei grundsätzlich der Festlegung der zeitlichen Abfolge von Arbeitsprozessen.723 Die Bedeutung einer solchen prozessbezogenen Gestaltung der Arbeitsteilung im Unternehmen liegt nach Auffassung der Organisationslehre u.a. in erheblichen Zeit- und Kosteneinsparpotenzialen.724 Damit erlangt die Beherrschung von Pricing-Prozessen für den Erfolg eines Unternehmens strategische Bedeutung.725 Eine prozessorientierte Sichtweise des Preismanagements, wie sie in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, erlaubt die Einteilung preisbezogener Aktivitäten in verschiedene Bereiche, denen jeweils inhaltlich verwandte Aktivitäten des Preismanagements zugeordnet werden können.726 Zu solchen Pricing-Aktivitäten gehören dabei insbesondere auch im Unternehmen gelebte Praktiken, Verhaltensweisen, Routinen, Systeme und Strukturen, die im Rahmen des Preismanagements relevant sind.727 Um den Beitrag existierender Literatur zur Beantwortung der Forschungsfragen in dieser Arbeit herausfiltern und elementare Stellhebel des Preismanagements für erfolgreiche Wertaneignung identifizieren zu können, werden im weiteren Verlauf erstens konzeptionelle und empirische Arbeiten zu Gestaltungsparametern (Aktivitäten und Entscheidungen) sowie zweitens Einflussfaktoren des Preismanagements unterschieden. Gesondert betrachtet 718
Vgl. Haynes (1962), S. 7; Wiegmann (1977), S. 46.
719
Vgl. Cyert/Hedrick (1972), S. 409; Diamantopoulos/Mathews (1995), S. 21; Rao (1984), S. 40.
720
Vgl. Diamantopoulos/Mathews (1995), S. 19.
721
Vgl. Bonoma/Crittenden/Dolan (1988), S. 359; Said (1981), S. 425; Wiltinger (1998), S. 10.
722
Vgl. u.a. Diller (2008), S. 425; Freiling/Wölting (2003), S. 424.
723
Vgl. Frost (2004), S. 50; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 25.
724
Vgl. Kieser/Walgenbach (2007), S. 82f.; Picot (2005), S. 82.
725
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 616; Freiling/Wölting (2003), S. 434.
726
Vgl. Rao (1984), S. 43; Marn/Rosiello (1992), S. 85f.; Morris/Calantone (1990), S. 322; Schuppar (2006), S. 17.
727
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 616; Smith (1995), S. 29.
5.1 Stand der Forschung
125
werden drittens Arbeiten, bei denen explizit der Bezug zu Preisprozessen im Vordergrund steht.728 5.1.1
Arbeiten zu Gestaltungsvariablen des Preismanagements
In Übereinstimmung mit der zugrunde gelegten Definition von Diller (2008) lassen sich Gestaltungsvariablen der Preispolitik auf Preisentscheidungen und Aktivitäten im Rahmen des Preismanagements beziehen.729 Bei Preisentscheidungen geht es um die Frage, welche Entscheidungen zu treffen sind. In der Literatur zu preisbezogenen Aktivitäten hingegen wird thematisiert, wie diese Entscheidungen tatsächlich getroffen und umgesetzt werden können.730 Die chronologische Übersicht in der nachfolgenden Tabelle 5 zeigt, dass insbesondere die konzeptionellen Arbeiten dieser Strömung zwischen verschiedenen Ebenen differenzieren, auf denen Entscheidungen im Rahmen der Preispolitik getroffen werden. Zu berücksichtigen sind demnach insbesondere strategische und taktische Entscheidungen731 sowie die Differenzierung zwischen Preiszielen und Preisstrategien. 732 Aktivitäten und Inhalte solcher Strategien umfassen dabei u.a. Praktiken der Preisdifferenzierung, des wettbewerbsorientierten Pricings (Preispositionierung, Price-Signaling, etc.) und des produktlinienbezogenen Pricings (Preisbündelung, Premium-Pricing, Preissetzung für Komplementär-Produkte, etc.).733 Empirische Untersuchungen in diesem Forschungsstrang befassen sich größtenteils mit den Methoden der Preisfindung bzw. Preisanpassung, der relativen Bedeutung verschiedener Preisziele und der Preispolitik im Rahmen der Internationalisierung. Schon früh wurde dabei erkannt, dass die Preissetzungspraxis nicht mit der mikroökonomischen Preistheorie übereinstimmt. Diese Bezugspunkte finden sich in späteren Arbeiten wieder, in denen untersucht wird, warum Preisänderungen weniger häufig erfolgen, als von der ökonomischen Theorie vorhergesagt.734
728
Zwar existieren kaum integrative Arbeiten, die alle Teilbereiche des Preismanagements abdecken, verschiedene Untersuchungen thematisieren jedoch sowohl Gestaltungsparameter als auch Einflussfaktoren oder beschäftigen sich gleichzeitig mit Preisprozessen. Solche Arbeiten werden demjenigen Bereich zugeordnet, in dem sie nach Auffassung des Autors den größten Erklärungsbeitrag für die vorliegende Arbeit liefern können.
729
Vgl. Diller (2008), S. 34, sowie die Ausführungen in Abschnitt 2.2.1.
730
Vgl. Schuppar (2006), S. 12; Smith (1995), S. 28; Smith/Nagle (1994), S. 84.
731
Vgl. Rao (1984), S. 43.
732
Vgl. Morris/Calantone (1990), S. 322.
733
Vgl. Tellis (1986), S. 148.
734
Vgl. Blinder et al. (1998); Hall/Walsh/Yates (2000).
126
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Autor
Untersuchungsfokus Vorgehensweise Preisfestlegung
Hall/Hitch (1939)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung Edwards (1952)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung Pearce (1956)
Kaplan/Dirlam/Lanzilotti (1958)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Preistaktiken konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung Fog (1960)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung Barback (1964)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Erkenntnisse Firmen setzen Preise nicht nur mit dem strikten Ziel der Gewinnmaximierung. Die Preissetzung basiert dabei vornehmlich auf Kosten und Gewinnmargen, wobei z.T. auch Markt-, Wettbewerbs- und Kundeninformationen Berücksichtigung finden. Kostenrechnungsverfahren dienen dazu, bereits getroffene Preisentscheidungen zu rechtfertigen, wobei die Freiheit in der Preisfestlegung von externen Gegebenheiten beeinflusst wird. Pricing wird als Prozess beschrieben, der von abteilungsübergreifendem Austausch und dem Einbezug von Markterfahrung profitiert. Marktinformationen haben großen Einfluss auf die Gewinnmargen und dementsprechend auf die Verkaufspreise. Manager tendieren dazu, ihr Preissetzungsverhalten auf Basis von Kosten zu erklären und in der Entscheidung tatsächlich berücksichtige Marktinformationen nicht zu erwähnen. Die taktische Preissetzung wird in Großunternehmen u.a. von Produkten, Produktlinien, Marktzielen sowie der Gesetzgebung und anderen unternehmensexternen Faktoren beeinflusst. Eine bestimmte Unternehmensgröße führt nicht unbedingt zum Vorhandensein bestimmter Preistaktiken sondern eher zu der Fähigkeit, über das Pricing die Erreichung der Unternehmensziele unterstützen zu können. Unterscheidet die neoklassische Preistheorie als aufschlussreichen Ansatz vom deskriptiven Vorgehen des kostenbasierten Ansatzes. Bei der praktischen Preissetzung ist empirisch eine eher marktbasierte anstelle einer kostenbasierten Preisfestlegung zu beobachten. Die neoklassische Preistheorie lässt sich in Fallstudien nicht nachweisen, da Manager sich mit einem zufriedenstellenden Gewinnniveau begnügen, anstatt die Gewinne zu maximieren. Preisentscheidungen berücksichtigen keinen langfristigen Zeithorizont, da es Managern schwer fällt, Prognosen über die Marktentwicklung abzugeben und sie dem Fortbestand des Unternehmens höhere Priorität einräumen als kurzfristigen Gewinnsteigerungen.
5.1 Stand der Forschung
127
Preisfestlegung Haynes (1964)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung Sizer (1966)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Preiserfolg Wentz (1966) konzeptionell/ qualitativ-empirisch Preisfestlegung/ Preisentscheidungen Skinner (1970) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Farley/Howard/Hulbert (1971)
Preisfestlegung/ Preisinformationsnutzung konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Preisentscheidungen Hague (1971) konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken Nimer (1971) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Viele Firmen setzen ihre Preise kostenbasiert, die Gewinnaufschläge hängen jedoch von den Marktbedingungen ab. Die Hälfte der 88 befragten Unternehmen verwendet keine Kosteninformationen, stattdessen kommen Preisexperimente oder das systematische Sammeln von Marktinformationen zum Einsatz. Untersucht wird der Einfluss der Buchführung auf den Prozess der Preissetzung. Beim kostenbasierten Pricing kann die Buchführung die Unsicherheit bezüglich der Erreichung künftiger Gewinne reduzieren. Die Kostenkalkulation sollte nur als Referenzpunkt angesehen werden, da der Pricing-Prozess weitere Inputfaktoren benötigt. Kosten beeinflussen die Verkaufspreise nur in geringem Ausmaß. Die Analyse der externen Unternehmensumwelt bei Preisentscheidungen trägt zum finanziellen Unternehmenserfolg bei. Kosten und Gewinne sind bedeutende, aber nicht die einzigen Faktoren im Rahmen der Preisentscheidung. Marktinformationen werden zur Bestimmung oder Anpassung der Gewinnmarge herangezogen. Kurzfristige Preisentscheidungen werden stark durch funktionsübergreifenden Informationsaustausch und Zusammenarbeit sowie durch die Marketingstrategie beeinflusst. Automatisierte Vorhersage-, Preislistenänderungsund Preisanpassungs-Systeme können unterstützend wirken. Preisentscheidungen werden nur in wenigen Firmen von einem einzelnen Manager getroffen, Entscheidungen auf Basis informeller Diskussionen in kleinen und großen Gruppen sind häufiger vorzufinden. Bei großen Gruppen werden tendenziell stärker formale Ablaufe und Kalkulationen als Entscheidungsgrundlage genutzt. Preise werden zum großen Teil von den Kosten beeinflusst. Aber auch der Nutzungswert des Kunden findet Berücksichtigung und für verschiedene Produkte kommen unterschiedliche Pricing-Praktiken zum Einsatz. Empfehlungen aus der Marketing- oder Vertriebsabteilung sind in vielen Unternehmen von Bedeutung.
128
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Preisstrategie Pass (1971)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung Udell (1972)
Capon/Farley/Hulbert (1975)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Preisentscheidungen konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisentscheidung Capon/Hulbert (1975)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch Preisfestlegung/ Preispositionierung
Atkin/Skinner (1976) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Stephenson/Cron/Frazier (1979)
Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisfestlegung/ Preisdifferenzierung
Piercy (1981) konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisverhalten/ Pricing-Praktiken Shipley (1983) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisziele sind im Hinblick auf langfristige Gewinnziele überwiegend klar definiert. Das Pricing muss jedoch im Kontext der generellen Unternehmensstrategie gesehen werden, damit es zur Erreichung der gesamten Unternehmensziele beitragen kann. Wettbewerbsbasierte Preissetzung wird von den 485 befragten Unternehmen als wichtiger eingestuft als kostenbasierte Preissetzung. Von geringerer Bedeutung sind die Preissetzung nach Marktakzeptanz und das Pricing nach gesetzlichen Regelungen. Deskription der Entscheidungen für die jährliche Umsatzplanung und Sonderpreis-Aktionen in einer Einzelfallstudie. Das Preisentscheidungssystem beinhaltet verschiedene Prüfungen und Anpassungen und basiert auf formalen und informellen Quellen sowie der Erfahrung der beteiligten Mitarbeiter. Die Analyse von Entscheidungssystemen liefert Einblicke in die Probleme der Unternehmenspraxis und bietet Lösungsmöglichkeiten an. So kann der Erfolg von Preisprozessen im Bezug auf Jahresverträge und Listenpreise verbessert werden. 89 Prozent der 220 befragten Unternehmen sehen sich preislich über oder gleichauf mit ihren Wettbewerbern positioniert. Preisanpassungen finden bei Marktpreis- oder Kostenveränderungen statt. Knapp jedes zweite Unternehmen macht seine Listenpreise öffentlich. Die Delegation von Preisverantwortung an den Außendienst hat negative Auswirkungen auf das Umsatzwachstum und den Deckungsbeitrag vor Abzug der Vertriebskosten. Zwei Drittel der 116 befragten Unternehmen legen ihre Preise marktbasiert und nicht kostenbasiert fest. Auf Exportmärkten tendieren die Firmen zu räumlicher Preisdifferenzierung. Die Mehrzahl der 728 befragten Unternehmen ist beim Einsatz von Pricing-Praktiken sehr flexibel, unabhängig davon, in welchem Umfang kostenbasierte Preissetzungsverfahren angewendet werden. Das Ausmaß der Flexibilität hängt dabei mit der Unternehmensgröße zusammen, nicht aber mit der Anzahl der Wettbewerber.
5.1 Stand der Forschung
129
Preisentscheidungen Rao (1984) Konzeptionell Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken Abratt/Pitt (1985) konzeptionell/ qualitativ-empirisch Preisfestlegung Plinke (1985)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch (Experiment) Preisziele/ Preisverhalten
Wied-Nebbeling (1985) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisstrategie Tellis (1986)
konzeptionell
Preisfestlegung/ Preisinformationsnutzung Morris/Joyce (1988) konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken Morris/Fuller (1989) konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisentscheidungen Morris/Calantone (1990) Konzeptionell
Unterscheidung von zwei Arten von Preisentscheidungen: (1) Langfristige Entscheidungen zur Preisstrategie und (2) taktische Entscheidungen über Rabattstrukturen. Kosten und Wettbewerbspreise beeinflussen die Preissetzung stärker als Kundenverhalten und wirtschaftliches Klima. Preisentscheidungen werden überwiegend von Marketing und Vertrieb getroffen. Vollkostenkalkulation führt zur Festsetzung höherer Verkaufspreise als Teilkostenkalkulation. Bei 79 Prozent der 286 befragten Unternehmen dominieren Gewinnziele. Ursachen für Preisanpassungen sind v.a. Kostenänderungen und weniger Nachfrageänderungen. Reaktionen auf konjunkturelle Schwankungen erfolgen nicht über den Preis sondern durch Anpassung der Absatzmengen. Integration existierender Arbeiten zu einer Klassifizierung von Preisstrategien. Diese können sich demnach auf die Preispositionierung im Wettbewerbsvergleich, auf die Preisdifferenzierung zwischen verschiedenen Kunden oder die Planung von Preisen über das gesamte Leistungsprogramm beziehen. Unternehmen sehen die Kenntnis der Preissensitivität der Kunden als wichtige Information für die Preisfestlegung an. Systematische Vorgehensweisen zu deren Messung finden sich aber nur in geringem Umfang. Pricing-Praktiken und Preisziele von Anbietern industrieller Dienstleistungen unterscheiden sich nicht von denen klassischer Sachleistungen. Kostenbasiertes Pricing ist das dominante Verfahren und Preisziele sind gewinnorientiert. Unterscheidung von vier Ebenen, auf denen Preisentscheidungen im Unternehmen fallen können: (1) Preisziele, (2) Preisstrategie, (3) Preisstruktur und (4) Preishöhe/Preistaktiken.
130
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken Shipley/Bourdon (1990) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Cunningham/Hornby (1993)
Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken konzeptionell/ qualitativ-empirisch Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken
Gaul/Lutz (1994) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisverhalten/ Pricing-Praktiken Hankinson (1995) konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisziele Hornby/Macleod (1996)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken Huckemann (1997) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung Blinder et al. (1998)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
In wettbewerbsintensiven Märkten wird das Pricing an den Wettbewerbern ausgerichtet. Für nahezu alle der 204 befragten Unternehmen sind wettbewerbsfähige Preise ein Hauptziel, die überwiegende Mehrheit gewährt wettbewerbsbezogene Rabatte und folgt Preissenkungen der Konkurrenten. Produzenten unter den analysierten zwölf Kleinunternehmen befassen sich bei der Preisfestlegung vor allem mit Vollkosten, Nicht-Produzenten eher mit den direkten Kosten und den Marktbedingungen. Preisdifferenzierung hängt mit dem Ausmaß der Produktdifferenzierung zusammen und ist branchenabhängig. Preisrelevante Informationen werden vor allem über den Außendienst und Vertriebspartner erhoben, weniger über neutrale Institutionen. Das Preisverhalten in der Praxis entspricht nicht einer Zieloptimierungsstrategie. Die Mehrheit der über fünf Jahre analysierten 50 Unternehmen setzt die Preise kostenbasiert. Die Firmen ignorieren häufig die Möglichkeit der Ergebnisverbesserung durch das Preismanagement und verwenden wenig Energie darauf, ihre Pricing-Kenntnisse zu verbessern. Für einen systematischen Zusammenhang zwischen Preiszielen und finanzieller Performance, Unternehmensgröße, Wettbewerbsintensität, und Marktentwicklungsstufe finden sich keine bedeutenden Anhaltspunkte. Die profitabelsten der 60 befragten Unternehmen betonen Marktanteilsziele, während bei weniger profitablen Firmen Cash-FlowZiele als wichtig angesehen werden. Die Mehrheit (59 Prozent) der 85 befragten Industrieunternehmen sieht sich als hochpreisig positioniert an. Die Preisverantwortung liegt überwiegend im Vertrieb und im Produktmanagement, wobei der Vertrieb in 50 Prozent der Unternehmen eigenverantwortlich bis zu 10 Prozent Rabatt geben darf. Preise werden nicht verändert (Preisrigidität) aus Angst, die Wettbewerber könnten nicht mitziehen. Preiserhöhungen folgen unmittelbar typischerweise nur auf Kostensteigerungen. Weitere Ursachen für Preisrigidität sind nicht-preislicher Wettbewerb und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Anbieter und Kunde.
5.1 Stand der Forschung
131
Preisfestlegung/ Preisentscheidung Carson et al. (1998) konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisstrategie/ Preisfestlegung Noble/Gruca (1999) konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisfestlegung Hall/Walsh/Yates (2000)
Tzokas et al. (2000)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken/ Preisziele konzeptionell/ quantitativ-empirisch Preisentscheidungen/ Pricing-Praktiken
Stöttinger (2001) konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Pricing-Praktiken Reiner (2002) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Hünerberg/Hüttmann (2003)
Preisfestlegung/ Erlösmodelle konzeptionell/ quantitativ-empirisch
In den meisten Firmen kommen kostenbasierte Preissetzungsverfahren zum Einsatz. Unterschiede bestehen im Ausmaß, zu dem Wettbewerbsinformationen einbezogen werden. Die Preissetzung erfolgt dabei in Einklang mit den in der Branche üblichen Verfahren. Dabei profitieren Manager von ihrem Erfahrungswissen, brechen dennoch aber nicht mit Branchentraditionen. Preisentscheidungen werden oft ungenau oder zufällig getroffen. Ein hoher Anteil von Firmen nutzt kostenbasierte Preissetzungsverfahren, auch wettbewerbsorientiertes Pricing ist eine gängige Strategie. Skimming- und Penetration-Strategien oder die Ausrichtung des Preises am Kundennutzen sind selten vorzufinden. Kostenbasierte Preissetzung und Rahmenverträge begründen, warum Unternehmen ihre Preise zwar häufig überprüfen aber wesentlich seltener anpassen. Marktinformationen haben eine höhere Bedeutung für die Preisfestlegung als Kosteninformationen, die Produktionskosten sind jedoch der bedeutendste Einzelfaktor. Firmen mit hoher Preiskompetenz sind in ihrem Verhalten und in Bezug auf die Preisziele und Preismethoden kundenorientiert ausgerichtet. Operative Preisstrategien wie Ziele, eingesetzte Verfahren, Zentralisierung und deren Erfolgswirksamkeit hängen von Markt-, Branchen-, Leistungs- und Unternehmensspezifika sowie der Einstellung des Managements ab. Diese Faktoren bilden die internen und externen Rahmenbedingungen für Preisentscheidungen im Export-Bereich. Die Preisfestlegung erfolgt vor allem abhängig von den Vollkosten, den Projektrisiken, der relativen Kostenposition im Wettbewerbsvergleich, den Preisstrategien der Wettbewerber und dem Projektvolumen. Die Fachabteilungen Vertrieb, Kalkulation und Geschäftsführung haben den größten Einfluss auf das Preismanagement im Rahmen der Angebotsverhandlung. Nutzungsabhängige Preise sind das am weitesten verbreitete Modell leistungsabhängiger Bepreisung vor der Bepreisung nach Verfügbarkeit, Leistungsfähigkeit sowie erreichter Qualität. Eine Bepreisung nach dem Leistungsergebnis ist kaum verbreitet.
132
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Pricing-Praktiken/ Preisfestlegung Ingenbleek et al. (2003) Konzeptionell/ Quantitativ-empirisch
Hinterhuber (2004)
Preisfestlegung/ Erlösmodelle Konzeptionell
Preisstrategie Myers (2004)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Avlonitis/Indounas (2005)
Avlonitis/Indounas (2006)
Solberg/Stöttinger/Yaprak (2006)
Tabelle 5
Wertorientiertes Pricing beeinflusst als einzige Praktik uneingeschränkt den Neuprodukterfolg. Der Effekt ist umso stärker, je höher der Produktvorteil und je geringer die Wettbewerbsintensität ist. Wettbewerbsorientiertes Pricing hat einen positiven Einfluss bei geringem Produktvorteil, kostenbasiertes Pricing bei hoher Wettbewerbsintensität. Entwicklung eines Bezugsrahmens zur Implementierung von wertbasiertem Pricing: Festlegung der Preisziele, Analyse der Schlüsselelemente der Preisentscheidung (unternehmens-, wettbewerbs- und kundenbezogen), Auswahl profitabler Preisbereiche, Implementierung der Preisänderung. Im Zentrum der Aktivitäten steht eine „Economic Value Analysis“ beim Kunden. Eine gezielte Abstimmung von Preis- und Unternehmensstrategie wirkt sich positiv auf den Unternehmenserfolg aus.
Die befragten 170 Dienstleistungsunternehmen verfolgen mehrheitlich Marktziele (Kundengewinnung und Preisfestlegung/ Kundenbindung, Befriedigung der KunPricing-Praktiken denbedürfnisse) an Stelle finanzieller Ziele. Die Preisfestlegung jedoch erfolgt mehrheitlich kostenbasiert als marktkonzeptionell/ orientiert. Marktbasierte Ziele und Preisquantitativ-empirisch setzungsverfahren korrelieren, ebenso kostenbasierte Verfahren und finanzielle Ziele. Die in den 170 befragten Dienstleistungsunternehmen am häufigsten eingesetzten Methoden der Preissetzung Preisfestlegung/ sind kostenbasiertes Pricing und Orientierung an den durchschnittlichen Pricing-Praktiken Marktpreisen. Andere, z.B. kundenbasierte Methoden, finden sich nur in konzeptionell/ einer geringen Zahl der Unternehmen. Die Service-Kosten und die Wettquantitativ-empirisch bewerbspreise sind dementsprechend die bei Preisentscheidungen am meisten genutzten Informationen. Im Rahmen der Internationalisierung ist räumliche Preisdifferenzierung üblich. Preisfestlegung/ Kostenbasierte Preissetzung kommt nur bei Firmen mit eingeschränktem Pricing-Praktiken/ Internationalisierungsbestreben zum Einsatz. Unternehmen mit größerer konzeptionell/ internationaler Erfahrung verwenden differenziertere Informationen und verqualitativ-empirisch fügen über größere Kontrolle bei ihren Preisentscheidungen. Arbeiten zur Gestaltung des Preismanagements
5.1 Stand der Forschung
133
Im Hinblick auf die Gestaltungsvariablen der Preiskompetenz geben die vorgestellten Arbeiten verschiedene wertvolle Hinweise für die spätere Konstruktkonzeptualisierung. So zeigt der Literaturüberblick etwa die unterschiedliche Bedeutung und Erfolgswirksamkeit von Wettbewerbs-, Kunden- und Kosteninformationen bei der Preissetzung. Außerdem lassen sich verschiedene relevante Stellhebel wie Maßnahmen zur Preisdifferenzierung, zur Delegation von Preisverantwortung und zur Preisziel- und Strategiebildung ableiten, die im weiteren Verlauf berücksichtigt werden. 5.1.2
Arbeiten zu Einflussfaktoren des Preismanagements
Die Pricing-Literatur zeigt, dass die organisatorische Ausgestaltung der Preispolitik und deren Erfolgswirksamkeit von verschiedenen situativen Einflussfaktoren abhängen. Tabelle 6 gibt einen Überblick über ausgewählte Arbeiten in diesem Bereich. Die Untersuchungen analysieren dabei prinzipiell Wettbewerbs-, Kundenund Anbietercharakteristika. Neben Wettbewerbsintensität und der Zahl der Wettbewerber sind dabei Macht und Preissensibilität der Kunden sowie die Größe des Anbieters häufig Gegenstand der empirischen Untersuchungen. Unterstellt werden dabei in der Regel Wirkungsbeziehungen zwischen den situativen Einflussfaktoren und Aktivitäten bzw. Entscheidungen im Rahmen der Preisziel- und Preisstrategiefestlegung. Autor
Untersuchungsfokus Vorgehensweise Preisziele
Shipley (1981)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisziele Jobber/Hooley (1987)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Erkenntnisse Unternehmen verfügen über eine Reihe von Preiszielen, die sich im Zeitablauf verändern, wobei Gewinn das dominante Ziel ist. Die Preisziele differieren eher aufgrund der Unternehmensgröße als aufgrund der Anzahl der Wettbewerber. Umsatzziele sind besonders in sich entwickelnden oder sich abschwächenden Märkten verbreitet, Gewinnziele dagegen dominieren in wachsenden und reifen Märkten. Gewinn- und Marktanteilsziele finden sich eher in großen Unternehmen, während bei kleineren Firmen in turbulenten Märkten der Cash-Flow als Zielgröße dominiert. Das Ziel hoher Verkaufserlöse steht in Beziehung mit schwächerer Unternehmens-Performance. Gewinn- und Marktanteilsziele hingegen führen zu höheren Gewinnen und steigenden Marktanteilen.
134
Morris/van Erkom Schurink (1993)
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Preisfestlegung/ Preisverhalten/ Pricing-Praktiken konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Diamantopoulos/Mathews (1995)
Preisstrategie/ Preisfestlegung konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Pricing-Praktiken/ Preisfestlegung Wiltinger (1996)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Preisinformationsnutzung Poscharsky (1998) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisstrategie/ Preisfestlegung Forman/Lancioni (2002)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Eine dynamische Umwelt zieht verstärkt eine marktbasierte Preisermittlung nach sich, führt zu höherer Preisaggressivität und häufigeren Preisanpassungen. Wettbewerbsheterogenität führt zu verstärkter Preisdifferenzierung und erschwert Preisführerschaft. Hohe Wettbewerbsintensität geht einher mit marktbasierter Preisermittlung, Preisdifferenzierung, Preisführerschaft, Preisaggressivität und häufigen Preisanpassungen. Wettbewerbsintensität, Marktwachstum und Substitutionsgefahr der Produkte beeinflussen Preisziele und -strategien am stärksten. Bei hoher Produktsubstituierbarkeit und in Märkten mit preissensiblen Käufern werden die Preise eher wettbewerbsorientiert festgelegt. Kostenorientierte Preisfestlegung erfolgt dagegen eher in wettbewerbsintensiven Märkten. Analyse des Einflusses interner und externer Determinanten auf die Übertragung von Preisverantwortung an den Außendienst. Positiven Einfluss haben die Wichtigkeit einzelner Kunden, die Erwartung unmittelbarer Preisauskünfte, die Kundenkenntnisse der Außendienstmitarbeiter sowie deren Identifikation mit den Unternehmenszielen. Keinen Einfluss auf die Delegation von Preisverantwortung haben die Preissensibilität der Kunden und die Preisdynamik im Markt. Ableitung von Implikationen für Anbieter aus der Untersuchung der Buying-CenterGestaltung in Bezug auf die Preisbereitschaft: Sind technische Interessensgruppen im Buying-Center vertreten, hat dies positiven Einfluss auf die Preisbereitschaft. Je mehr Interessensgruppen insgesamt im Buying-Center vertreten sind, umso geringer ist die Preisbereitschaft. Ein hohes Maß an Produktdifferenzierung hat positiven Einfluss auf die Wahl einer Premiumpreis-Strategie. Kostenbasierte Preisfestlegung kommt umso eher zum Einsatz, je niedriger der Umsatzanteil eines Produktes gemessen am gesamten Unternehmensumsatz ist.
Internationale Erfahrung, Produkttechnologie, Ausprägung exogener Umweltfaktoren, Internationalisierungsgrad und Marktanteil beeinflussen die Forman/Hunt (2005) Gewichtung interner und externer konzeptionell/ Einflussfaktoren bei Entscheidungen im quantitativ-empirisch Rahmen der internationalen Preisstrategie. Tabelle 6 Einflussfaktoren auf das Preismanagement Determinanten des Pricing/ Internat. Preisstrategie
5.1 Stand der Forschung
135
Für die spätere Konzeptualisierung von Preiskompetenz zeigt die Literaturauswertung, dass im Hinblick auf die Erfolgswirksamkeit des Preismanagements speziell Wettbewerbs- und Kundenfaktoren hohe Relevanz aufweisen. Diese beiden Determinanten sollen deshalb im weiteren Verlauf gezielt Berücksichtigung finden. 5.1.3
Prozessorientierte Arbeiten des Preismanagements
In den späten 1960er Jahren unternahmen erste Arbeiten den Versuch, die „BlackBox“ des Unternehmensinneren zu öffnen und setzten sich mit der Beschreibung und Bewertung von Pricing-Prozessen, meist in der Gestalt sequenzieller Prozessfolgen, auseinander. Wieder aufgegriffen werden diese Ansatzpunkte in neueren Arbeiten, deren Autoren verschiedene Formen phasenorientierter Darstellungen vorlegen. Wie Tabelle 7 nachfolgend zeigt, basieren diese jedoch in den wenigsten Fällen auf großzahligen empirischen Erkenntnissen. Phasenschemata versuchen der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Preisentscheidungen nicht in einem Schritt vollzogen werden, sondern aus aufeinander aufbauenden Teilentscheidungen bestehen.735 Dabei unterliegen solche Schemata der generellen Kritik, dass sich komplexe Entscheidungsprobleme nicht in ein starres Raster pressen lassen, sondern in der Praxis Schritte übersprungen oder mehrfach ausgeführt werden können.736 Das im weiteren Verlauf dieser Arbeit vorgestellte Phasenschema eines PreismanagementProzesses ist deshalb nicht deskriptiver oder gar normativer Natur, sondern soll als empirisch abgeleitetes Analyseinstrument für Entscheidungen, Aktivitäten und Gestaltungsparameter des Pricings verstanden werden. Die Arbeit orientiert sich damit an der Vorgehensweise von Wiltinger (1998), der in seiner prozessorientierten Analyse des Preismanagements auf Basis von sechs Fallstudien die Problemkreise Informationen, Entscheidungen und Koordination identifiziert und darunter entsprechende Aktivitäten subsumiert.737 Ein ähnliches Vorgehen findet sich bei Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), die eine für die vorliegende Arbeit sehr bedeutende Untersuchung vorgelegt haben. Im Lichte des ressourcenbasierten Ansatzes werden Pricing-Prozesse als Kompetenz einer Organisation im Bereich der Wertaneignung angesehen, mit der beim Kunden generierter Wert durch angemessene Preise abgeschöpft werden kann. Dieser Kompetenz schreiben die Autoren eine strategische Bedeutung zu und explorieren auf Basis einer Einzelfallstudie verschiedene erfolgskritische Pricing-Prozesse:
735
Vgl. Diller (2008), S. 425f.; Duke (1994), S. 17f.; Oxenfeldt (1975), S. 238ff.; Wiegmann (1977), S. 138.
736
Vgl. Cyert/March (1963), S. 289f.; Kirsch (1977), S. 75; Pfohl/Stölzle (1997), S. 54f.; Welge/AlLaham/Kajüter (2000), S. 7; Witte (1968), S. 644.
737
Vgl. Wiltinger (1998), S. 30f.
136
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Identifikation der Wettbewerbspreise, Formulierung von Preisstrategien, interne Koordination von Preisentscheidungen, Kommunikation von Preisanpassungen und Preisverhandlungen mit Großkunden.738 Eine weitere umfassende qualitative Untersuchung mit 93 Experteninterviews in 59 Unternehmen stammt von Kossmann (2008), der insbesondere auch einen verdienstvollen Beitrag zur theoretischen Fundierung des Preismanagements durch den Ressourcen- bzw. Kompetenzansatz leistet. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit fokussiert aber auf Deskription, Strukturierung und Modellierung von Preisprozessen in verschiedenen B2BBranchen und schlägt damit einen anderen Weg ein als die vorliegende Untersuchung.739 Eine der wenigen quantitativen Untersuchungen zur prozessorientierten Implementierung des Preismanagements stammt von Schuppar (2006), der Preisprozesse im Zusammenhang mit Preisstrategien untersucht und dabei zwölf Erfolgsfaktoren identifiziert. Allerdings beziehen sich diese mehr auf strategische und weniger auf organisatorische Aspekte des B2B-Pricings, wie sie Gegenstand der quantitativen Untersuchung in der vorliegenden Arbeit sind. Ebenso unterbleibt bei Schuppar eine theoretische Fundierung auf Basis des Kompetenzansatzes, theoretische Bezugspunkte dienen ihm in erster Linie zu Herleitung der Konstrukte und Hypothesen. Die zusammenfassende Auswertung der prozessorientierten management in Tabelle 7 belegt, dass konzeptionelle und Arbeiten die Implementierung des Preismanagements bislang dominieren. Eine umfassende, quantitativ-empirische Arbeit, Aspekte des prozessorientierten Pricings als Kompetenz diskutiert, existiert bislang nicht. Autor
Untersuchungsfokus Vorgehensweise
Howard/Morgenroth (1968)
Preisentscheidung/ Preisinformationsnutzung konzeptionell Preisentscheidung
Farley/Hulbert/Weinstein (1980)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch
738
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 619ff.
739
Vgl. Kossmann (2008), S. 9.
Literatur zum Preisqualitativ-empirische mit großem Abstand die organisatorische der Wertaneignung
Erkenntnisse Konzeptualisierung eines Entscheidungsprozesses, der Vorgaben zum Umgang mit Preisinformationen liefert. Maßgeblich ist die Ausrichtung an den Bedürfnissen der Empfänger. Der Preisentscheidungsprozess (Phasen: input, communication, evaluation and recommendation, decision making, conflict resolution, decision implementation and monitoring) ist in zwei Ländern vergleichbar nachzuweisen, variiert jedoch hinsichtlich Partizipationsgrad und Informationsverarbeitung.
5.1 Stand der Forschung
Greenley (1989)
137
Preisentscheidungen/ Preisprozess konzeptionell
Smith (1995)
Preisverhalten/ Pricing-Praktiken konzeptionell
Preisimplementierung/ Preisprozesse Wiltinger (1998) konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Shipley/Jobber (2001)
Preisprozess/ Preisentscheidungen konzeptionell
Dutta/Zbaracki/Bergen (2003)
Preisimplementierung/ Preisprozess konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisprozess Simon (2004)
Florissen (2005)
konzeptionell/ qualitativ-empirisch Preiscontrolling/ Preisprozess konzeptionell
Lancioni (2005b)
Preisplanung/ Pricing-Praktiken konzeptionell
Konzeptualisierung eines Phasenschemas mit den fünf Stufen: Organizational framework, derivation of pricing objectives, determination of a crude price, adjustment of crude price, fine-tuning of the price through tactical adjustments. Identifikation von vier „managerial pricing orientations“: (1) information gathering and processing, (2) pricing objectives, decision rules, beliefs, (3) organizational responsiveness und (4) organizational decision processes. Jeder dieser Orientierungen werden eine Vielzahl preisbezogener Aktivitäten, Regeln und Verhaltensweisen zugeordnet. Bei der organisatorischen Implementierung des Preismanagements sind die Problemkreise Information, Koordination und Entscheidungen relevant. Hierunter lassen sich Aktivitäten der Gewinnung, Verbreitung und Verwendung preisbezogener Informationen, sowie Probleme aufgrund der Arbeitsteilung im Preismanagement subsumieren. Ursächlich hierfür ist die Vernachlässigung von Preisprozessen im Aufbau der primären Organisationsstruktur. Entwicklung eines sechsstufigen Kreislaufschemas („Pricing-Wheel“): Decide Strategy Role, Prioritise Pricing Objectives, Assess Pricing Determinants, Decide Price Strategy, Select Pricing Method, Implement and Control Price. Konzeptualisierung des Pricing-Prozesses als strategische Kompetenz („capability“) der Wertaneignung. Identifikation der Wettbewerbspreise, Formulierung von Preisstrategien, interne Koordination von Preisentscheidungen, Kommunikation von Preisanpassungen und Preisverhandlungen mit Großkunden werden als erfolgskritische Prozesse identifiziert. Ableitung eines fünfstufigen Prozesses zur Reorganisation des Preismanagements: Strategische Vorgaben, Bestandsaufnahme der Ist-Prozesse, Festlegung der Preisentscheidung, Implementierung, Controlling und Management. Generierung von Gestaltungsempfehlungen für das Preiscontrolling auf Basis eines vierstufigen, analytischen Prozessschemas mit den Phasen: Preiszielund Strategiebildung, Operative Preisbildung, Preisdurchsetzung, Preiskontrolle. Identifikation eines sechsstufigen PhasenSchemas als „Pricing-Plan“: Select Price Objectives, Estimating and Determining Demand, Estimating and Determining Costs, Competitive Analysis, Determining a Pricing Methodology, Set Price.
138
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung Preisprozess
Simon/Fassnacht (2005) konzeptionell
Preismanagement/ Preisprozess Schuppar (2006) konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisprozess Steffenhagen/Truka (2006)
Ingenbleek (2007)
konzeptionell/ quantitativ-empirisch
Preisfestlegung/ Preisprozess konzeptionell
Preisprozess Stöttinger (2007)
Diller (2008)
Konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisprozess/ Preisorganisation konzeptionell
Ableitung eines fünfstufigen Preismanagement-Prozesses: Strategische Vorüberlegungen, Analyse, Entscheidung, Implementierung, Monitoring. Analytische Aufteilung des Preismanagements in Preisentscheidungen (Preisstrategie und Preissysteme) preisbezogene Aktivitäten (Informationsnutzung, Preisfestlegung, interne sowie externe Preisdurchsetzung). Auf Basis einer umfassenden quantitativen Erhebung mit 346 Unternehmen verschiedener B2BBranchen testet der Autor die Erfolgsauswirkung verschiedener Gestaltungsvariablen in diesen Dimensionen. Ableitung eines Preisprozesses als geschlossener Regelkreis ohne expliziten Start- und Endpunkt („Pricing-Rad“) mit fünf Dimensionen: Strategische Ausrichtung, Preis-Basis-Entscheidung, Konkrete Preisberechnung, Preisimplementierung, Preiscontrolling/-monitoring. Empirisch werden bei 120 Unternehmen der chemischen Industrie starke Unterschiede hinsichtlich der praktischen Etablierung der einzelnen Komponenten festgestellt. Vor allem strategische Ausrichtung und Preiscontrolling weisen geringe Implementierungsgrade in der Praxis auf. Wertbasiertes Pricing resultiert aus dem Einsatz informationsbezogener Ressourcen wie Marktforschung, Beziehungen und internes Kundenwissen. Hierfür ist ein dezidierter Prozess notwendig, der u.a. von Wettbewerbsfaktoren und der organisationalen Informationsverarbeitung beeinflusst wird. Ausgehend von einer definierten Preispositionierung werden bei der Internationalisierung generelle Preisanker gesetzt, die als Anhaltspunkte für die konkrete Preissetzung dienen. Welche Kalkulationsart gewählt wird und welche Ziele mit dem Pricing verfolgt werden hängt vom Ausmaß der internationalen Erfahrung ab. Preisentscheidungen werden tendenziell eher zentral unter Kontrolle des TopManagements getroffen, systematische Ansätze für Preisentscheidungen werden jedoch kaum verwendet. Identifikation eines sechsstufigen Prozesses mit den Phasen: Preisanstoß, Informationssammlung, Entscheidungsvorbereitung, Auswahlentscheidung, Durchsetzung und Controlling.
5.2 Informationsmanagement im Pricing
Preisimplementierung/ Preisprozess Kossmann (2008) konzeptionell/ qualitativ-empirisch
Preisprozess Simon/Fassnacht (2009) konzeptionell Tabelle 7
139 Untersuchung der Prozessorientierung und des Kompetenzansatzes als theoretischen Bezugsrahmen für das Preismanagement. Auf Basis von Interviews mit 93 Experten in 59 Unternehmen werden anwendungsnahe Preisprozesse getrennt für die Geschäftstypen Produkt-, Anlagen-, Systemund Zuliefergeschäft modelliert. Diskussion einer Prozessoptimierung in den Dimensionen Organisation, Controlling, ITUnterstützung und Personalführung. Formulierung einer vierstufigen Prozessperspektive des Preismanagements mit den Phasen: Strategie, Analyse, Entscheidung, Umsetzung.
Prozessorientierte Arbeiten des Preismanagements
Die Auswertung der bestehenden prozessorientierten Arbeiten liefert erste Hinweise auf die Prozessphasen bzw. Dimensionen des Konstruktes Preiskompetenz. Außerdem ergeben sich weitere Anhaltspunkte für konkrete Gestaltungsvariablen und Einflussfaktoren auf die Prozessphasen, die in die weiteren Überlegungen integriert werden können. Die in der Literaturanalyse diskutierten Herausforderungen und Schwierigkeiten der Implementierung des Preismanagements lassen sich mit Wiltinger (1998) drei übergeordneten Problemkreisen zuordnen: Information, Entscheidung und Koordination.740 Diese Bereiche werden in den folgenden Abschnitten 5.2 und 5.3 anhand der theoretischen Bezugspunkten aus Kapitel 3 im Detail diskutiert. 5.2
Informationsmanagement im Pricing
Informationsprobleme im Preismanagement können hinsichtlich Informationsgewinnung, -verbreitung und -verwendung analysiert werden.741 Die Literaturaufarbeitung im vorangegangenen Kapitel hat gezeigt, dass Informationsprobleme im Preismanagement von der Forschung zwar erkannt wurden, sich insgesamt jedoch nur wenige Arbeiten explizit mit der Thematik im Hinblick auf externe Informationen befasst haben. Das Erfordernis, Informationen über das Wettbewerbsumfeld und die Kunden zu gewinnen, führt zu Unsicherheiten bei der Erfüllung der Pricing-Aufgabe. Aus Sicht des Anbieters liegen in Bezug auf beide Gruppen asymmetrisch verteilte Informationen vor. Die Informationsökonomik schlägt hierfür Screening-Aktivitäten vor (vgl. Abschnitt 3.3.3), die sich übertragen auf das Preismanagement in Form einer systematischen Messung von Präferenzen und Zahlungsbereitschaften der
740
Vgl. Wiltinger (1998), S. 30.
741
Vgl. Wiltinger (1998), S. 65.
140
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Kunden, z.B. durch Marktforschung742, sowie der gezielten Erhebung von Wettbewerbspreisen äußern können. Solche Screening-Aktivitäten sind also geeignet, die Unsicherheit des Anbieters zu reduzieren und gleichzeitig die in Abschnitt 2.2.2 beschriebene Gefahr von ruinösen Preiskriegen einzudämmen. Anstatt mögliche Informationsvorsprünge auszunutzen, könnten Anbieter hierzu gezielt Preissignale an den Wettbewerb senden, indem bspw. Preiserhöhungen schrittweise über die Medien bekannt gegeben werden, um Wettbewerber zur Kollaboration zu bewegen. Preiswissen als primär implizites Wissen In der Literatur wird häufig der implizite Charakter von Preiswissen in Organisationen betont, da solches Wissen auf Erfahrungen beruht und nur in den Köpfen einzelner Mitarbeiter besteht, weil systematische Methoden, wie z.B. Markforschung, von vielen Unternehmen abgelehnt werden.743 Dieses tazite Wissen ist, wie in Kapitel 3.2.1 dargestellt, schwer beschreib- und vor allem kommunizierbar,744 was zum Zwecke der Informationsverbreitung aktives „information processing“ in der Organisation notwendig macht.745 Beim „information processing“ geht es um die Frage, wie organisatorische Strukturen und Prozesse durch unterschiedliche Informationsanforderungen im Unternehmen beeinflusst werden.746 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Förderung von Lernprozessen. Gemäß dem Modell von Nonaka (vgl. 3.2.2) kann implizites Wissen mit implizitem Wissen im Wege häufiger Interaktionen innerhalb kleiner Gruppen kombiniert werden (Sozialisation).747 Bei der Externalisierung wird gemäß diesem Modell für die gesamte Organisation nutzbares Preiswissen geschaffen, indem Wissensträger ihr Erfahrungswissen mit Hilfe von Metaphern, Analogien oder Modellen weitergeben.748 Informationsgewinnung und -verbreitung als zentrale Problemfelder Neben der Gewinnung von Informationen über Wettbewerber und Kunden stellt das B2B-Pricing insbesondere auch große Anforderungen an die Gewinnung und
742
Vgl. Simon/Dolan (1997), S. 62.
743
Vgl. Alpert (1971), S. 81; Atkin/Skinner (1976), S. 50f.; Cunningham/Hornby (1993), S. 51; Graumann (1994), S. 19; Haynes (1962), S. 37; Steffenhagen/Truka (2006), S. 42; Wied-Nebbeling (1985), S. 70.
744
Vgl. Polanyi (1985), S. 15ff.
745
Vgl. Thompson (1967), S. 10; Tushman/Nadler (1978), S. 614.
746
Vgl. Galbraith (1977), S. 33.
747
Vgl. Nonaka/Takeuchi (1997), S. 75.
748
Vgl. Nonaka/Takeuchi (1997), S. 77ff.
5.2 Informationsmanagement im Pricing
141
Verbreitung interner Informationen.749 Die Auswertung der Literatur in Tabelle 5 hat gezeigt, dass sich die Preisforschung bereits intensiv mit der Relevanz verschiedener Kostenarten für die Preisfestlegung auseinandergesetzt hat. Während die Literatur aber beispielsweise vorschlägt, dass nur Kosten, die von den Preisen auch tatsächlich beeinflusst werden, für Preisentscheidungen herangezogen werden sollten,750 zeigen empirische Untersuchungen, dass in der Praxis dennoch häufig auf Vollkostenbasis kalkuliert wird.751 Festzustellen ist darüber hinaus, dass in Unternehmen vorhandene Informationen, bspw. aus dem Controlling, häufig nicht sinnvoll aufbereitet und damit für die am Pricing-Prozess beteiligten Mitarbeiter nur schwer nutzbar sind.752 In diesem Zusammenhang stellen die oftmals fehlende Systematik und geringe Formalisierung der Informationsbereitstellung ein besonderes Problem dar: Die Informationsversorgung erfolgt in vielen Unternehmen einzelfallbezogen und ohne langfristiges Konzept. Feste Zeitpunkte oder Zyklen existieren nicht, reagiert wird nur auf einzelne Informationsbedarfe, wobei jeder Vorgang wieder neu organisiert werden muss.753 Verschärft wird diese Problematik durch die Tatsache, dass unternehmensinterne Quellen für Preisinformationen üblicherweise auf verschiedene Funktionsbereiche verteilt sind.754 Innerhalb des Marketing sind Informationsflüsse v.a. zwischen Produktmanagement, Vertrieb und Kundendienst zu berücksichtigen,755 abteilungsübergreifend interagiert das Marketing i.d.R. besonders intensiv mit Funktionseinheiten wie dem Finanz- und Rechnungswesen.756 Diese, in der Literatur auch als „boundary spanning“ bezeichnete Situation des Marketing allgemein bzw. des Preismanagements im Speziellen757 kann zu Problemen führen, wenn Informationsbarrieren an den Organisationsschnittstellen auftreten. Dadurch wird eine zeit- und bedarfsgerechte Versorgung des Preismanagements mit relevanten Informationen verhindert.758 Empirische Ergebnisse zeigen, dass in der Praxis häufig speziell die preisbezogene Zusammenarbeit mit Finanzabteilungen problematisch sein kann.759
749
Vgl. Florissen (2005), S. 71; Steffenhagen/Truka (2006), S. 41; Wiltinger (1998), S. 78.
750
Vgl. Simon/Dolan (1997), S. 40f.
751
Vgl. Wied-Nebbeling (1985), S. 48.
752
Vgl. Cespedes (1995), S. 119; Mohan/Holstein (1994), S. 233.
753
Vgl. Angehrn/Zimmermann (1971), S. 121; Shapiro (1983), S. 32.
754
Vgl. Simon/Dolan (1997), S. 338f.
755
Vgl. Cespedes (1995), S. 50ff.
756
Vgl. Simon/Dolan (1997), S. 340f.
757
Vgl. Cespedes (1995), S. 92; Wiltinger (1998), S. 89.
758
Vgl. Aguilar (1967), S. 112f.; Wiltinger (1998), S. 88ff.
759
Vgl. Lancioni/Schau/Smith (2005), S. 126.
142
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Prozessorientierung als Mittel zur Verbesserung des Informationsmanagements Auf Basis des ressourcenorientierten Ansatzes kann zusammenfassend gefolgert werden, dass Preiswissen über Wettbewerber, Kunden und die interne Kostenstruktur aufgrund der genannten Probleme und Herausforderungen eine erfolgskritische Ressource im Rahmen der Preispolitik darstellt.760 Gemäß der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Ressourcenklassifikation von Hunt/Morgan (1995) handelt es sich beim Preiswissen demnach um eine intangible Informationsressource.761 Die Bildung eines solchen Preiswissens erfolgt über ein Gruppe zusammenhängender, verschachtelter Routinen,762 was die Betrachtung auf eine prozessorientierte Organisationsgestaltung lenkt: Wie in Kapitel 3.2.2 beschrieben, bildet diese per Definition die Aktivitäten der Unternehmung informationsflussfördernd ab und versucht, Schnittstellen zu reduzieren und zu optimieren. 763 Der Abbau solcher Barrieren ist gleichbedeutend mit einer Förderung der Interaktion im Unternehmen und damit des voneinander Lernens zwischen Individuen.764 So kann beispielsweise die Einrichtung von Pricing-Teams den Transfer von implizitem und explizitem Wissen durch den häufigen intensiven Kontakt der Teammitglieder fördern.765 Im Konzept der dynamischen Fähigkeiten (vgl. Kapitel 3.1.3), auf dem die KompetenzDefinition der vorliegenden Arbeit basiert, bilden Prozesse die Grundlage für die Erreichung eines Wettbewerbsvorteils und werden durch die Ressourcenausstattung beeinflusst.766 Die Nutzung der als Handlungspotenziale verstandenen Ressourcen wird im Sinne der „Strategic Logic“ nach Sanchez/Heene (2004) durch Prozesse gesteuert und koordiniert (vgl. Kapitel 3.2.2). Das Ziel der Gestaltung organisatorischer Entscheidungsprozesse hinsichtlich der Informationsproblematik im Preismanagement besteht also darin, Preisressourcen aufzubauen, mit denen die Unsicherheit in Bezug auf die Erfüllung der Pricing-Aufgabe reduziert werden kann. Die Prozessorientierung unterstützt damit die Preiskompetenz eines Unternehmens, indem die notwendigen Informationen erhoben, adäquat zur Verfügung gestellt und in geeigneter Weise angewendet werden.767
760
Vgl. Ingenbleek (2007), S. 450; Kossmann (2008), S. 96.
761
Vgl. Hunt/Morgan (1995), S. 6f.
762
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 622.
763
Vgl. Nippa (1995), S. 42; Schulte-Zurhausen (2005), S. 228f.
764
Vgl. Kossmann (2008), S. 122.
765
Vgl. Gemünden/Högl (2005), S. 9; Sarin/Mahajan (2001), S. 35.
766
Vgl. Schreyögg/Kliesch (2006), S. 462; Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 518.
767
Vgl. hierzu auch Kossmann (2008), S. 110f.
5.3 Entscheidung und Koordination im Pricing
5.3
143
Entscheidung und Koordination im Pricing
In den vorherigen Ausführungen zu Schnittstellenproblemen ist schon zum Teil angeklungen, dass Preisentscheidungen nicht von einer einzelnen Instanz im Unternehmen getroffen werden, sondern dass das Zusammenspiel mehrerer Personen oder Abteilungen Einfluss auf die Ergebnisse eines Preisprozesses haben kann.768 Dies führt im Sinne von Wiltinger (1998) zu den Problemkreisen der Entscheidung und der Koordination, die im vorliegenden Rahmen aufgrund ihrer engen theoretischen Verknüpfung gemeinsam diskutiert werden sollen. 769 Konflikte zwischen Akteuren Die Verantwortung für die Preisentscheidung liegt üblicherweise in der Marketing-, Vertriebs-, Finanz-, Controlling-, Produktionsabteilung oder direkt bei der Unternehmens- bzw. Bereichsleitung.770 Ein Problem für die Qualität der Preisentscheidung in der Praxis kann dabei die „Herkunft“ der involvierten Akteure darstellen. So konnte in der Literatur empirisch gezeigt werden, dass kostenbasierte Preisfestlegung häufiger zum Einsatz kommt, wenn Geschäftsführer oder Bereichsleiter die Preisentscheidung treffen, als wenn Marketingmanager oder Bilanzbuchhalter verantwortlich sind.771 Sind die Entscheidungsverantwortungen im Rahmen eines Pricing-Prozesses nicht klar geregelt oder weichen faktische und formale Entscheidungsverantwortung voneinander ab, können zwischen den Akteuren dysfunktionale Konflikte auftreten.772 Solche Divergenzen ergeben sich immer dann, wenn die beteiligten Akteure unterschiedliche Preisvorstellungen durchsetzen wollen (Zielkonflikte) oder aufgrund eines unterschiedlichen Informationsstandes zu abweichenden Bewertungen des Aufgabenumfeldes kommen (Bewertungskonflikte).773
768
Vgl. Cunningham/Hornby (1993), Kaplan/Dirlam/Lanzilotti (1958), S. 3.
769
Vgl. Wiltinger (1998), S. 182.
770
Vgl. Abratt/Pitt (1985), S. 302; Wiltinger (1998), S. 114f.
771
Vgl. Said (1981), S. 387.
772
Vgl. Wiltinger (1998), S. 118f. Häufig wird in der Literatur in diesem Zusammenhang von der Verteilung von „Preiskompetenz“ auf einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen gesprochen. Um Irreführungen in Bezug auf das in der vorliegenden Arbeit aus dem RBV abgeleitete Verständnis dieses Begriffes im Sinne einer organisationalen Fähigkeit („Capability“) zu vermeiden, soll im obigen Zusammenhang stets von Preissetzungs- bzw. Preisentscheidungsverantwortung gesprochen werden. Die formale Preisverantwortung basiert dabei auf bewusst geschaffenen, expliziten Regelungen, die faktische Preisverantwortung hingegen spiegelt den tatsächlichen Einfluss einer Person oder Abteilung auf die Preisentscheidung wider und kann erheblich von der formalen abweichen (vgl. Wiltinger (1998), S. 112f.).
773
Vgl. March/Simon (1958), S. 120; Wiltinger (1998), S. 123.
S.
46;
Diamantopoulos/Mathews
(1995),
S.
46;
144
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Entkopplung von Preisprozessen Entscheidungsprobleme und Konfliktsituationen finden sich üblicherweise zwischen den Beteiligten eines einzelnen Preisprozesses. Wie die Betrachtung der Preistreppe in Kapitel 2.2.1 gezeigt hat, entsteht der endgültige Transaktionspreis durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Preisprozesse, die auf unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen ablaufen. Hierbei kommt es zu Koordinationsproblemen, wenn mehrere Teilprozesse, die Bestandteil eines übergeordneten Prozesses sind, organisatorisch entkoppelt sind.774 Die Entscheidungen der in den jeweiligen Teilprozessen verantwortlichen Instanzen werden in diesem Fall so getroffen, als ob die Entscheidungen von Instanzen anderer Prozesse keine Folgen für den eigenen Prozess hätten und die eigenen Entscheidungen ebenso ohne Auswirkungen auf die anderen Prozesse wären.775 Die Entscheidungsfindung erfolgt also dezentral, obgleich die einzelnen Entscheidungsträger interdependent sind.776 Bei Preisprozessen im Rahmen der Preistreppe können Koordinationsprobleme auftreten, wenn bspw. Marketing und Controlling bei der Bildung von Listenpreisen die Rabattgewährung im Vertrieb nicht beachten, obwohl der letztendliche Transaktionspreis durch beide Teilprozesse mitbestimmt wird.777 Im Extremfall kann die Entkopplung interdependenter Teilentscheidungen dazu führen, dass die letztendliche Gesamtentscheidung suboptimal ausfällt, obwohl in den einzelnen Teilprozessen jeweils für sich genommen optimale Entscheidungen getroffen wurden.778 Diese Problematik wird umso größer, je stärker die Interdependenzen zwischen den einzelnen Prozessen sind und je weniger diese Beachtung finden.779 Die Entkopplung von Preisprozessen kann struktureller und zeitlicher Natur sein, je nach dem, ob die Entscheidungsinstanzen auf verschiedene Stellen in der Organisation verteilt sind oder ob die Preisprozesse zu unterschiedlichen Zeitpunkten ablaufen.780 Dem Fall struktureller Entkopplung wurde dabei, wie die Aufarbeitung des Forschungsstandes in Abschnitt 5.1.1 gezeigt hat, in einigen wissenschaftlichen Arbeiten zur Delegation von Preisverantwortung an den Außendienst bereits Aufmerksamkeit gewidmet. Die Kommunikation vorgelagerter Ebenen mit dem Vertrieb, in dessen Verantwortungsbereich üblicherweise die externe Preisdurchsetzung gegenüber dem Kunden fällt, ist dabei in vielen 774
Vgl. Kirsch (1971), S. 61.
775
Vgl. Frese (2005), S. 133.
776
Vgl. Kirsch (1971), S. 61.
777
Vgl. Marn/Rosiello (1992), S. 84f.; Wiltinger (1998), S. 134.
778
Vgl. Albach (1966), S. 794; Frese (1988a), S. 33.
779
Vgl. Hax (1965), S. 105; Frese (2005), S. 145f.
780
Vgl. Wiltinger (1998), S. 156ff.
5.3 Entscheidung und Koordination im Pricing
145
Unternehmen unzureichend. Die mit der operativen Bildung des endgültigen Transaktionspreises betrauten Mitarbeiter sind oftmals nicht ausreichend über die Determinanten des entsprechenden Listenpreises und das zugrunde gelegte Preisbildungsverfahren informiert.781 Durch solche Informationsdefizite kann sich bei der externen Preisdurchsetzung nicht nur eine unzureichende Preisargumentation gegenüber den Kunden sondern auch eine Demotivation der Vertriebsmitarbeiter aufgrund fehlenden Vertrauens in die Listenpreise ergeben.782 Gemäß der Preistreppe (vgl. Abschnitt 2.2.1) impliziert die Weitergabe von Preisverantwortung an Vertriebs- oder Außendienstmitarbeiter automatisch einen gewissen Grad an struktureller Entkopplung der Preisprozesse, da die ausführende Ebene ermächtigt wird, den Transaktionspreis vollständig oder innerhalb bestimmter Bandbreiten festzulegen. Der Teilprozess zur Festlegung der Listenpreise, auf die sich die Rabattverantwortung des Vertriebs bezieht, und der Teilprozess, in dem Obergrenzen für die Rabattvergabe festgelegt werden, sind jedoch üblicherweise anderen Entscheidungsinstanzen zugeordnet. Ein falsches Ausmaß an Delegation von Preisverantwortung kann somit problematisch sein, weil aufgrund der Entkopplung Interdependenzen mit den anderen Teilprozessen nicht berücksichtigt werden. Erforderlich sind demzufolge geeignete organisatorische Maßnahmen, wie z.B. Entlohnungssysteme, um die Entkopplung zumindest handhabbar zu machen. Während sich Arbeiten auf Basis der Preis- oder der Principal-Agent-Theorie in Verbindung mit entsprechender Anreizgestaltung für eine umfangreiche Delegation aussprechen (Gleichheit von Individual- und Preiszielen, Informationsvorteile gegenüber höheren Hierarchieebenen), 783 kommen empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Vergabe vollständiger Preisverantwortung an den Vertrieb in der Praxis kaum verbreitet784 und in Bezug auf verschiedene Erfolgskennzahlen auch nicht vorteilhaft ist785. So finden Stephenson/Cron/Frazier (1979) in ihrer Untersuchung bei Unternehmen mit geringer Preisverantwortung des Vertriebs die höchste Bruttomarge, den höchsten Deckungsbeitrag je Mitarbeiter, das höchste Umsatzwachstum und die höchste Gesamtkapitalrentabilität in der Stichprobe.786 Dies deutet darauf hin, dass es Unternehmen mit hohem Delegationsgrad von
781
Vgl. Huckemann/Dinges (1998), S. 33.
782
Vgl. Huckemann (1997), S. 47. Die Bedeutung der externen Preisdurchsetzung wird im folgenden Abschnitt noch deutlicher herausgearbeitet.
783
Vgl. Basu et al. (1985), S. 271; Lal (1986), S. 162ff.; Weinberg (1975), S. 937. Einen Überblick über Agency-Theorie Konzepte zur Steuerung des Vertriebs liefern bspw. Albers (2002), S. 256ff.; Bergen/Dutta/Walker (1992), S. 8ff.; Krafft (2001), S. 220ff.
784
Vgl. Joseph/Krafft (2002), S. 4; Stephenson/Cron/Frazier (1979), S. 23; Wiltinger (1996), S. 993.
785
Vgl. Schuppar (2006), S. 147; Stephenson/Cron/Frazier (1979), S. 24f.
786
Vgl. Stephenson/Cron/Frazier (1979), S. 25.
146
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Preisverantwortung scheinbar nicht gelingt, die Probleme der Entkopplung durch eine professionelle Koordination ihrer Preisprozesse einzudämmen. Neben der strukturbedingten Entkopplung von Preisprozessen findet sich diese Problematik auch bei Preisprozessen, die zu unterschiedlichen Zeiten ablaufen. Prozesse können zeitlich so weit auseinander liegen, dass es zum Zeitpunkt des ersten Preisprozesses kaum möglich ist, die Auswirkungen auf nachfolgende Prozesse vorherzusehen. Dies kann bspw. bei Preisprozessen im Rahmen der Neuproduktentwicklung der Fall sein.787 Zu dieser praktisch zweifelsohne bedeutsamen Problematik liefert die Literatur bis auf die Arbeit von Wiltinger (1998) keinerlei Anhaltspunkte, allerdings beschränkt auch Wiltinger sich in diesem Punkt auf die reine Deskription der Problemstellung. Auf Basis der theoretischen Grundlagen der vorliegenden Arbeit ist Abhilfe für eine zeitliche Entkopplung in Form von entsprechenden formalen (Kommunikations-)Regelungen, IT-Systemen und/oder organisationalen Routinen vorstellbar. Diese können dafür sorgen, dass bereits im frühen Stadium der Bildung erster Preisvorstellungen für eine Leistung die Auswirkungen auf spätere Phasen des Preismanagements abgeschätzt werden. Marktinterdependenzen in Bezug auf Preisprozesse In den bisherigen Ausführungen ergaben sich Interdependenzen zwischen Preisprozessen stets intern aus organisationalen Zusammenhängern heraus. Die Begründung für eine Interdependenz zwischen Teilprozessen kann aber auch von außerhalb eines Unternehmens herrühren. In einem solchen Fall spricht die Literatur von Marktinterdependenzen bei Mehrproduktanbietern oder multinationalen Unternehmen, weil sich die Abhängigkeit der Prozesse in diesen Beispielen über eine Marktreaktion ergibt.788 Marktinterdependenzen in Bezug auf Preisprozesse entstehen in Mehrproduktunternehmen, wenn einzelne Leistungen in einer komplementären oder substitutiven Beziehung zueinander stehen.789 Nachfrage- und Kostenzusammenhänge erfordern in solchen Fällen ein konsequentes ProduktLinien-Pricing zur Handhabung der Interdependenzen. 790 Die Preisprozesse für einzelne Leistungen dürfen demnach nicht organisatorisch entkoppelt sein, woraus sich bei objektorientierter Aufbauorganisation eine zusätzliche Herausforderung
787
Vgl. Wiltinger (1998), S. 159.
788
Vgl. Wiltinger (1998), S. 152f.
789
Vgl. Hirshleifer (1957), S. 97; Oxenfeldt (1966), S. 44; Simon/Dolan (1997), S. 214.
790
Vgl. Dean (1951), S. 477f.; Little/Shapiro (1980), S. 200; Reibstein/Gatignon (1984), S. 266; Urban (1969), S. 40.
5.3 Entscheidung und Koordination im Pricing
147
ergibt, da Marktinterdependenzen zwischen einzelnen Divisionen eines Mehrproduktunternehmens ein häufig zu beobachtendes Phänomen sind.791 Bei multinationalen Unternehmen ergibt sich der Abstimmungsbedarf verschiedener Preisprozesse zwischen einzelnen Ländern, etwa hinsichtlich der Anpassung von Listenpreisen. Finden sich in älterer Literatur noch Hinweise, dass Vertriebsorganisationen dezentral über die Preise ihres eigenen Marktes üblicherweise unabhängig von anderen Märkten entscheiden,792 stellt bspw. Stöttinger (2007) in einer neueren Untersuchung eine starke Tendenz zur Zentralisierung internationaler Preisentscheidungen fest.793 Dies kann darauf zurück geführt werden, dass im Zuge der voranschreitenden Globalisierung die Marktinterdependenzen zwischen nationalen Preisprozessen zugenommen haben794 und die Wichtigkeit einer koordinierten internationalen Preispolitik in diesem Zusammenhang von den Unternehmen inzwischen erkannt worden ist.795 Prozessorientierung als Mittel zur Koordinationsverbesserung Zur Vermeidung der in diesem Abschnitt genannten Probleme kann eine systematische Prozessorientierung gemäß der Ausführungen in Kapitel 3.2.2 explizit beitragen. Die Einführung klarer, IT-unterstützter Kommunikations-, Informationsund Entscheidungsprozesse kann dafür sorgen, dass es im Rahmen der lernenden Organisation zur notwendigen Wissensintegration kommt (vgl. Abschnitt 3.2.2) und somit Bewertungskonflikte durch angeglichene Informationsniveaus reduziert werden können. Durch die Festlegung verbindlicher Strukturen und Abläufe im Rahmen einer Standardisierung und Formalisierung von Prozessen können konsistente Ansichten in der Organisation etabliert werden (welches Wissen von wem, wann, in welcher Form an welche Stellen weitergeleitet werden muss) und Wissenszurückhaltung aufgrund von Machtspielen kann eingedämmt werden.796 Ein solches Vorgehen erhöht die Transparenz für die Beteiligten am Pricing-Prozess und senkt somit die interne kausale Ambiguität. Diese kann jedoch gegenüber dem Wettbewerb als Isolationsmechanismus zum Schutz der Preiskompetenz dienen, 797 weshalb auf
791
Vgl. Frese (1988b), S. 88.
792
Vgl. Assmus/Wiese (1995), S. 35; Gupta/Govindarajan (1991), S. 22; Simon/Dolan (1997), S. 16.
793
Vgl. Stöttinger (2007), S. 1052f.
794
Vgl. Simon/Wiese (1992), S. 246.
795
Vgl. Stöttinger (2007), S. 1057.
796
Vgl. Kossmann (2008), S. 125.
797
Vgl. Abschnitt 3.1.2.
148
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Standardisierungsmaßnahmen eher in maßvollem Umfang zurückgegriffen werden sollte, um eine gewisse Intransparenz gegenüber dem Wettbewerb zu wahren.798 Im Sinne des RBV kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Koordinationsinstrumente und -praktiken sowie IT-Systeme, die zur Abstimmung interdependenter Preisprozesse sowie der Überwindung von Schnittstellenproblemen und Konflikten bei Preisentscheidungen beitragen, eine weitere erfolgskritische Ressource im Rahmen der Preispolitik darstellen. Nach Hunt/Morgan (1995) handelt es sich dabei um eine intangible organisationale Ressource.799 Entwicklung und Einsatz solcher Ressourcen werden wiederum durch die angesprochenen Prozesse gesteuert und koordiniert. Maßnahmen, wie bspw. spezifische Routinen, Vertrauensaufbau und die Förderung der Unternehmenskultur, welche zu einer Verbesserung der Interaktion, der Verfolgung gemeinsamer Ziele und kooperativem Ressourceneinsatz führen, leisten einen wesentlichen Beitrag zum Abbau von Entscheidungs- und Koordinationsproblemen.800 Die Prozessorientierung unterstützt damit die Preiskompetenz eines Unternehmens, die sich bezogen auf die organisationalen Ressourcen darin äußert, dass Reibungsverluste aufgrund von Prozessinterdependenzen und multipersonalen Entscheidungsproblemen im Pricing durch den Einsatz entsprechender Praktiken und Instrumente gesenkt werden können.801 5.4
Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Preiskompetenz
Zum Abschluss der theoretischen Analyse des Preismanagements wird in diesem Abschnitt ein Zwischenfazit der gewonnenen Erkenntnisse gezogen, bevor im folgenden Teilkapitel 5.5 die qualitative Exploration zur Konzeptualisierung des Konstruktes Preiskompetenz beschrieben wird. In Kapitel 2.3 dieser Arbeit wurde bei der grundlegenden Definition von Wertschaffung und Wertaneignung das Konzept des Nutzungs- und Tauschwertes nach Bowman/Ambrosini (2000) eingeführt. Die Wertschaffungsstrategie der Lösungsorientierung wurde bereits in Kapitel 4.2 theoretisch mit dieser Sichtweise verknüpft, in diesem Abschnitt soll entsprechend der Bezug des Preismanagements zur Wertaneignung hergestellt werden. Der durch eine Leistung geschaffene Nutzungswert entsteht dadurch, dass das Angebot die Bedürfnisse des Abnehmers besser als dessen vorhandene Alternativen 798
Vgl. Gaitanides/Müffelmann (1996), S. 197.
799
Vgl. Hunt/Morgan (1995), S. 6f.
800
Vgl. Dutta et al. (2002), S. 64f.; Kossmann (2008), S. 97f.
801
Vgl. Kossmann (2008), S. 112.
5.4 Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Preiskompetenz
149
adressiert. Der Kunde bewertet die Leistung im Hinblick auf Neuartigkeit und Zweckdienlichkeit relativ zu seinen Bedürfnissen demnach besser als vergleichbare Wettbewerbsangebote,802 welche jedoch entscheidenden Einfluss auf die Höhe des realisierbaren Tauschwertes haben: Je höher das insgesamt auf dem Markt verfügbare Angebot ist, desto geringere Preise lassen sich erzielen. Somit gelingt es dem Anbieter nicht, obwohl er für den Kunden einen hohen Nutzungswert generiert hat, daraus für sich in der Wertaneignungsdimension einen hohen Tauschwert zu extrahieren.803 Stattdessen verbleibt die Differenz zwischen Nutzungswert und Tauschwert als Konsumentenrente beim Nachfrager.804 Wie in Kapitel 2.3.2 beschrieben wurde, hängt die Verteilung des geschaffenen Wertes insbesondere mit den Verhandlungsfähigkeiten von Anbieter und Kunde zusammen.805 Dies ist komplementär zu den Gegebenheiten des B2B-Geschäfts, in dem die Festlegung des Transaktionspreises in aller Regel über Verhandlungen erfolgt (vgl. Abschnitt 2.2.2). Firmen können sich dabei hinsichtlich der Ressourcen und Mitarbeiter-Skills unterscheiden, die für Preisverhandlungen eingesetzt werden.806 Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders problematisch, dass in der Unternehmenspraxis häufig eine mangelnde Motivation des mit der externen Preisumsetzung betrauten Vertriebspersonals festzustellen ist.807 Hierzu tragen die zuvor bereits angesprochenen Probleme der internen Informationsbereitstellung und der Entscheidungskoordination bei. Ebenso sind mit den strategischen Preiszielen konforme, motivationsfördernde Anreizstrukturen auf Basis variabler Entlohnungssysteme zwar als wichtiger Erfolgsfaktor in Preisverhandlungen anzusehen, in der Praxis jedoch häufig nicht implementiert.808 Zwei Bereiche der Preiskompetenz Die Fähigkeit einer Organisation zur Wertaneignung über das Preismanagement erstreckt sich auf zwei Bereiche. Einerseits müssen organisationsintern die genannten Problemkreise der Information, Entscheidung und Koordination gehandhabt werden, da sonst suboptimale Preisentscheidungen gegenüber den
802
Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 2.3.1 dieser Arbeit sowie Amabile (1996), S. 35; Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 182; Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273.
803
Vgl. Lepak/Smith/Taylor (2007), S. 187.
804
Vgl. Bowman/Ambrosini (2000), S. 3.
805
Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 139f; Bowman/Ambrosini (2000), S. 9; Brandenburger/Stuart (1996), S. 14; Lippman/Rumelt (2003a), S. 1070.
806
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 621.
807
Vgl. Huckemann/Dinges (1998), S. 32.
808
Vgl. Fog (1994), S. 48; Huckemann/Dinges (1998), S. 32.
150
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Kunden getroffen werden.809 Dies hat besonders dann unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Wertaneignung, wenn mit Nachfragern interagiert wird, die aufgrund ihrer geringen Größe als reine Preisnehmer agieren und sich infolgedessen nur zwischen Kauf- und Nichtkauf entscheiden.810 Werden dagegen andererseits mit größeren Kunden oder im Kontext spezifisch konfigurierter Lösungsangebote, für die kein Marktpreis existiert, die Preise individuell verhandelt, kommt zusätzlich die Fähigkeit zur Verteidigung der Preise zum Tragen.811 Unternehmen benötigen hierfür geeignete Routinen und Koordinationsmechanismen, mittels derer die Auswirkungen des Preises bzw. einer Preisanpassung für den Kunden abgeschätzt werden können. Dafür ist einerseits intern die Kenntnis der am Pricing-Prozess beteiligten Stellen mit relevantem Preiswissen notwendig, andererseits aber auch der Einbezug von Mitarbeitern mit ausgiebigem Kundenwissen.812 Auch eine vertrauensvolle Beziehung und soziale Bindungen zu wichtigen Entscheidern beim Kunden können helfen, eine gesteigerte Wertaneignung zu erzielen.813 Bei der externen Preisdurchsetzung über Verhandlungen muss das Vertriebspersonal des Anbieters die Preise rechtfertigen, was eine Ausrichtung der Verhandlungsführung auf die Charakteristika des Kunden erforderlich macht.814 Preissensitiven Abnehmern kann dabei mit der Darstellung des erzielten Kundennutzens im Rahmen der Verhandlung begegnet werden.815 In der Literatur wird dazu das Konzept des Value-based Pricing diskutiert,816 bei dem der für den Kunden generierte Wert (bspw. eingesparte Kosten) zur Begründung des Angebotspreises herangezogen wird bzw. unmittelbar als Bezugsgröße für die Preissetzung dient.817 Für eine erfolgreiche Umsetzung eines kundennutzenorientierten Verkaufs benötigt der Vertrieb Hilfsmittel wie Argumentationsleitfäden und Software-Systeme, die entsprechende Berechnungen des Wertbeitrages ermöglichen.818
809
Vgl. Cyert/March (1963), S. 153ff.; Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 622.
810
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 622; Kossmann (2008), S. 51.
811
Vgl. Diller (2008), S. 411; Fog (1994), S. 48.
812
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 623.
813
Vgl. Uzzi (1999), S. 489.
814
Vgl. Nagle/Holden/Larsen (1998), S. 242ff.
815
Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 24; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 30f.; Johnston/Lewin (1996), S. 8.
816
Vgl. Abele et al. (2002), S. 122; Anderson/Narus (1998), S. 59f.; Forbis/Mehta (1981); Heenan (1993); Hinterhuber (2004); Monroe (2003); Sawhney (2006), S. 375ff.
817
Vgl. Bonnemeier (2008), S. 376; Burianek et al. (2008), S. 491; Hinterhuber (2004), S. 776; Sawhney (2006), S. 376.
818
Vgl. Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 51; Laker/Oswald-Chen (2007), S. 139; Weitz (1981), S. 92f.
5.4 Zwischenfazit zur theoretischen Betrachtung und Definition von Preiskompetenz
151
Preisverhandlungen als Mittel zur externen Preisdurchsetzung Im Sinne des RBV können Vertrauensbeziehungen zum Kunden sowie Tools und Systeme zur Preisdurchsetzung weitere intangible Ressourcen des Preismanagements darstellen. Die Preiskompetenz eines Unternehmens äußert sich hierbei in der Fähigkeit, bei Preisverhandlungen die miteinander verflochtenen Ressourcen und Koordinationsmechanismen gezielt anzuwenden, um suboptimale Ergebnisse bei der Preisdurchsetzung aufgrund von Motivationsdefiziten, Argumentationsproblemen beim Kunden und Verhandlungsschwächen zu reduzieren. In der klassischen Preistheorie wurden verhaltenstheoretische Modelle entwickelt, die beschreiben, wie Preisverhandlungen zwischen Anbieter und Kunde rational gelöst werden können.819 In einem ersten Schritt wird dabei das Verhandlungsergebnis ermittelt, das den Gesamtgewinn für beide Parteien maximiert. Im zweiten Schritt ist dann eine Kontraktkurve abzuleiten, die jene pareto-optimalen Punkte abbildet, auf denen sich kein Akteur verbessern kann, ohne gleichzeitig seinen Verhandlungspartner schlechter zu stellen. Das verhandelbare Preisintervall wird somit stark eingegrenzt. Unter Berücksichtigung der Alternativpreise anderer Marktpartner ergeben sich bestimmte „Drohpunkte“, die zu einer Verschiebung des Lösungspunktes auf der Kontraktkurve hin zu der Verhandlungspartei mit dem größeren Drohpotenzial führen.820 Dieses Verhandlungsmodell weist deutliche Parallelen zu der in Abschnitt 3.3.2 vorgestellten Erweiterung des ressourcenbasierten Ansatzes durch die Transaktionskostentheorie auf. Hier wurde als Implikation festgehalten, dass Verhandlungen unter der Aufgabe der als realitätsfern anzusehenden Prämissen des Coase-Theorems stets mit Transaktionskosten behaftet sind. Deshalb ist ein Wertverzehr gegenüber dem für alle Parteien aus einer Transaktion theoretisch erreichbaren Wert-Maximum ohne Transaktionskosten unvermeidlich.821 Das Optimum an Wertverzehr aus Sicht eines Akteurs ist dann erreicht, wenn er seine persönliche Wertaneignung maximieren kann.822 Diese wiederum wird durch den vom jeweiligen Akteur geschaffenen Wert determiniert.823 Mit Coase (1960) kann dann angenommen werden, dass die an Verhandlungen beteiligten Anbieter und Nachfrager aktiv
819
Vgl. hierzu und im Folgenden Diller (2008), S. 411; Krelle (1976b), S. 598ff.; Simon/Fassnacht (2009), S. 459ff. Einen Überblick über den aktuellen Stand und die Defizite der verschiedenen Forschungsströmungen zu Preisverhandlungen liefern Voeth/Rabe (2004).
820
Vgl. Nash (1950), S. 155ff.; Nash (1953), S. 128ff.
821
Vgl. Foss/Foss (2004), S. 117f.; Foss/Foss (2005), S. 546.
822
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 546
823
Vgl. Foss (2003), S. 152.
152
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
danach streben werden, den Wertverzehr durch Transaktionskosten zu reduzieren – im Bewusstsein, dass auch die dazu unternommenen Aktivitäten stets mit Transaktionskosten behaftet sind.824 Infolgedessen kann sich die Verhandlungspartei mehr Wert aneignen, die in der Lage ist, hierbei effizienter vorzugehen, oder geringere Opportunitätskosten hat.825 Die Einführung variabler Vergütungssysteme im Vertrieb sowie der angesprochenen Verkaufspraktiken und Software-Systeme zur Quantifizierung des Kundennutzens im Rahmen der externen Preisdurchsetzung kann aus Sicht des Anbieters die Transaktionskosten bei Verhandlungen mit dem Kunden senken, da Verhandlungsergebnisse schneller und effizienter erreicht werden können. Der Anbieter kann damit in obigem Verhandlungsmodell den Lösungspunkt innerhalb des eingegrenzten Intervalls für die Preissetzung zu seinen Gunsten verschieben. Damit konnte auf Basis der Transaktionskostentheorie abgeleitet werden, dass Routinen, Systeme und Prozesse der externen Preisdurchsetzung gezielt die Wertaneignung über Preisverhandlungen unterstützen können. Definition von Preiskompetenz Nach der grundlegenden Argumentation des RBV und der in Kapitel 3.1.3 diskutierten Erweiterungen ermöglicht eine Kompetenz als Ansammlung verschiedener Routinen eines Unternehmens, einen bestimmten Output, üblicherweise in Form neuer Leistungsangebote oder Produktionsverfahren, zu erzeugen.826 In der vorliegenden Arbeit besteht der Output der in diesem Abschnitt analysierten Preiskompetenz in einem bestimmten Transaktionspreis, der für den Anbieter eine möglichst hohe Wertaneignung ermöglicht. Damit wird die zuvor aus didaktischen Gründen vorgenommene Aufspaltung des Preismanagements in eine interne und eine externe Perspektive wieder zusammengeführt. Die Preiskompetenz umfasst die Fähigkeit zur Wertaneignung durch organisationale Routinen und Prozesse, über die Firmen Preise festlegen bzw. anpassen und beim Kunden durchsetzen. Gemäß dem für die gesamte Arbeit zugrunde gelegten Kompetenzbegriff nach Freiling/Gersch/Goeke (2006) ergibt sich damit die nachfolgende Definition:
824
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 551.
825
Vgl. Foss/Foss (2005), S. 550.
826
Vgl. Peteraf (1993), S. 188; Winter (2000), S. 983.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
153
Preiskompetenz ist das wiederholbare, auf der Nutzung von Wissen beruhende, durch Regeln geleitete und daher nicht zufällige Handlungspotenzial einer Organisation zur Festlegung bzw. Anpassung der Transaktionspreise. Sie dient dem Erhalt der als notwendig erachteten Wettbewerbsfähigkeit und gegebenenfalls der Realisierung konkreter Wettbewerbsvorteile. Im folgenden Abschnitt erfolgt nun basierend auf dieser Definition die qualitativempirische Konzeptualisierung der Preiskompetenz aus einer prozessorientierten Perspektive. 5.5
Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
Die vorangegangenen Abschnitte haben deutlich gemacht, dass trotz des Vorliegens einer umfangreichen Literaturströmung speziell organisatorische Prozesse des Preismanagements noch nicht vollständig wissenschaftlich durchdrungen sind. Deshalb ergibt sich wie in der Wertschaffungsperspektive die Notwendigkeit einer explorativen Vorstudie, welche die Grundlage der Konstruktkonzeptualisierung für die spätere quantitative Untersuchung bildet. Preiskompetenz wird analog zur Lösungskompetenz auf Basis explorativer Erkenntnisse und umfangreicher Literaturrecherche als mehrfaktorielles, mehrdimensionales Konstrukt konzeptualisiert (Kapitel 5.5.2). Vorab wird in Abschnitt 5.5.1 der Ablauf der Expertenbefragung beschrieben. Abschnitt 5.5.3 fasst die Ergebnisse und den Erkenntnisbeitrag der qualitativen Empirie zusammen. 5.5.1
Methodisches Vorgehen bei der Expertenbefragung
Für ein grundlegendes Verständnis des Konstruktes Preiskompetenz wurden wie in der Wertschaffungsdimension Experteninterviews durchgeführt. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte ebenfalls nach einem zielorientierten Akquiseverfahren, um Experten in unterschiedlichen Branchen erreichen zu können, die sich einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit Pricing-Themen beschäftigen. Auf diese Weise konnten von 23 angeschriebenen Personen 15 Interviewpartner in fünf verschiedenen Branchen gewonnen werden (vgl. Tabelle 8). Wie Kapitel 5.1 gezeigt hat, stellen organisatorische Aspekte des Preismanagements in der Literatur generell noch ein vernachlässigtes Feld dar. Aus diesem Grund wurden gezielt nicht nur PreisExperten bei Lösungsanbietern rekrutiert, da ein möglichst breites Bild über Aktivitäten und Prozesse des Preismanagements gewonnen werden sollte. Acht der 15 Unternehmen bieten jedoch Lösungsangebote gemäß der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition an. Somit können auf Basis der Experteninterviews
154
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
spezifische Routinen und Aktivitäten für das Lösungsgeschäft herausgearbeitet und Maßnahmen bei klassischen Sachleistungsanbietern gegenübergestellt werden. Branche Customer-Care
Leistungsangebot Call-Center-Lösungen*
Position des Interviewpartners Manager Business Development
Elektronik/Elektrotechnik
Halbleiter
Leiter Pricing Office
Elektronik/Elektrotechnik Elektronik/Elektrotechnik
Test- und Messtechnik Speicherchips
Leiter Operatives Marketing Head of Pricing-Management
Elektronik/Elektrotechnik
Leuchtmittel
Leiter Pricing Office
Elektronik/Elektrotechnik
Kraftfahrzeugtechnik, Gebrauchsgüter, Industrietechnik Bahnautomatisierungssysteme TK-, Netzwerk- und SicherheitsLösungen*
Zentralabteilung Sales & Marketing – Price Manager Leiter Business Development Product Manager „Managed Services“
Elektronik/Elektrotechnik Informationstechnologie Informationstechnologie
IT-Lösungen und Beratung*
Manager Pricing
Informationstechnologie Informationstechnologie
IT-Infrastruktur-Lösungen* Infrastruktur-Lösungen für Unternehmensnetzwerke* Druckmaschinen und -systeme
Leiter Preise und Konditionen Head of Pricing House
Maschinenbau
Pricing-Verantwortlicher im Headquarter Produktmanager
Maschinenbau
Sondermaschinen*
Telekommunikation
Infrastruktur-Lösungen für TKNetze*
Telekommunikation
Infrastruktur-Lösungen für TKManager Service Pricing Netze* Teilnehmer der Experteninterviews zur Preiskompetenz827
Tabelle 8
Head of Pricing
Die Interviews dauerten im Durchschnitt ca. 90 Minuten und erfolgten wie bei der Lösungskompetenz teilstrukturiert anhand eines Leitfadens, bei dem ausschließlich offene Fragen mit sorgfältigen Formulierungen gestellt wurden. Gefragt wurden die Experten nach preisbezogenen Aktivitäten und der Strukturierung des Preisprozesses ihrer Geschäftseinheit, den verwendeten Preisbildungs-, Preisdurchsetzungs- und Preiscontrollingverfahren, sowie relevanten Fähigkeiten im Preismanagement und deren Umsetzung. Aufgrund sensibler Daten in diesem Kontext verweigerten fünf Interviewpartner die Aufzeichnung der Gesprächsinhalte. In diesen Fällen wurden ausführliche Notizen mitgeschrieben, während die anderen zehn Interviews mittels eines digitalen Diktiergerätes aufgenommen werden konnten. Die Auswertung der Interviews erfolgte wiederum mittels der zusammenfassenden Inhaltsanalyse.828 Auf Basis der Experteninterviews und der Literaturauswertung zu Preisprozessen (vgl. Kapitel 5.1.3) konnte der in Abbildung 10 dargestellte sechsstufige Preis-
827
Die in der Spalte Leistungsangebot mit * gekennzeichneten Leistungen stellen Lösungsangebote im Sinne der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition dar.
828
Vgl. Mayring (2007), S. 59ff.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
155
management-Prozess abgeleitet werden. Die einzelnen Phasen, Gestaltungsvariablen und Rückkopplungsschleifen werden im folgenden Abschnitt ausführlich dargestellt.
Preisstrategie
Preisanalyse
Preisfestlegung
Interne Preisdurchsetzung
Externe Preisdurchsetzung
PreisControlling
Abbildung 10 Phasen des Preismanagement-Prozesses
5.5.2
Stellhebel und Gestaltungsvariablen der Preiskompetenz
Der Ablauf der Pricing-Prozesse in der Befragung zeigt eine deutliche Heterogenität in Reihenfolge und Bedeutung der unternommenen Aktivitäten sowie hinsichtlich der beteiligten Mitarbeiter und der eingesetzten Informationen. Diese Unterschiedlichkeit im Prozessablauf ist bedingt durch den jeweiligen Unternehmenskontext, wie etwa Branchenzugehörigkeit, Alter, Wettbewerbssituation oder Leistungsangebot. Die Auswertung ergibt außerdem, dass auch unterschiedliche Zielsetzungen des Preismanagements und ein verschieden ausgeprägtes Bewusstsein über die Bedeutung der Preisgestaltung für den Unternehmenserfolg von Relevanz sind. So ist z.B. festzustellen, dass der Pricing-Prozess in denjenigen Unternehmen, die durch äußere Umstände wie Fusionen eine Möglichkeit zur Neuorganisation haben, wesentlich effizienter und effektiver abläuft als in Unternehmen mit historisch gewachsenen Strukturen. Ebenso zeigt sich, dass die Bereitschaft der Geschäftsführung und der Mitarbeiter, sich mit dem Erfolgsfaktor Preis und den dazugehörigen Prozessen zu beschäftigen, mit steigender Komplexität des Umfelds und verschärfter Wettbewerbssituation zunimmt. Der Head of Pricing eines Unternehmens aus der Telekommunikationsbranche beschreibt diese Situation wie folgt: „Was wir seit ein paar Jahren als wesentlichen Punkt haben, ist der extrem hohe Wettbewerb durch asiatische Konkurrenten. Die spielen mit einer ganz anderen Kostenposition auf dem Markt mit und verursachen einen starken Preiswettbewerb. Deswegen ist das Thema Pricing innerhalb der letzten sieben Jahre immer stärker in den Mittelpunkt gerückt. Meine persönliche Meinung ist, dass man einen gewissen Leidensdruck braucht, um sich um dieses Thema zu kümmern. Man schaut primär auf die Kosten, versucht sie zu senken und verlässt sich darauf, dass der Vertrieb den besten Preis erzielen wird. Aber auf das Thema Pricing achtet man erst dann explizit, wenn der Leidensdruck einen gewissen Level erreicht hat und die Rahmenbedingungen nicht mehr so komfortabel sind, wie sie mal waren.“ Obwohl den einzelnen Phasen von den Experten unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird, sind bei allen Interviews sechs wesentliche Schritte beim Ablauf des Pricing-Prozesses zu identifizieren (vgl. Abbildung 10): Preisstrategie,
156
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Preisanalyse, Preisfestlegung, interne Preisdurchsetzung, externe Preisdurchsetzung und Preiscontrolling. Dies unterstreicht die in Abschnitt 5.1.3 getroffene Aussage, dass der in Abbildung 10 dargestellte Prozesse keinen normativen Anspruch hinsichtlich eines sequenziellen Ablaufs verfolgt, sondern als empirischinduktiv abgeleitetes Analyseschema zu verstehen ist. Die sechs Prozessphasen, dazugehörige Aktivitäten und beteiligte Abteilungen werden im Folgenden näher beschrieben. Insbesondere in der Strategie- und der Controlling-Phase werden die Interviewergebnisse dabei auch um Aspekte aus der Literatur ergänzt. Für die übrigen vier Phasen wurden bedeutsame theoretische Ansatzpunkte bereits in den Kapiteln 5.2 und 5.3 herausgearbeitet. Abschließend werden die dargestellten Ergebnisse zur Konzeptualisierung der Dimensionen des Konstruktes Preiskompetenz herangezogen. Preisstrategie Die große Mehrzahl der befragten Experten (zwölf von 15) bescheinigt dem Thema Preisstrategie eine zunehmende Bedeutung, die mit schärfer werdendem Wettbewerb weiterhin steigen wird. Preisstrategien sind allgemein als an den langfristigen Unternehmenszielen ausgerichtete Ziel- und Handlungskonzepte des Preismanagements zu verstehen, die auf Erschließung und Sicherung von Erfolgspotenzialen gerichtet sind und die Basis für nachgelagerte operative Maßnahmen darstellen.829 Deswegen steht nach übereinstimmender Meinung der Experten die Festlegung der Preisstrategie am Anfang des Pricing-Prozesses. Entscheidende Abgrenzungsmerkmale zwischen Preisstrategien und Preisentscheidungen sind die Langfristigkeit ihres Zeithorizonts830, die unbedingte Orientierung an den Unternehmenszielen831 und die Rahmenfunktion für die konkrete Preisfestlegung832. Bei der Bildung von Preisstrategien sollte eine Einbettung in die übergeordnete Marketingstrategie angestrebt werden und Interdependenzen mit anderen Parametern des Marketing Berücksichtigung finden.833 Nach Aussage der Interviewpartner ist es, übereinstimmend mit der Literatur,834 im Rahmen dieser ersten Phase des Pricing-Prozesses von großer Bedeutung, die angestrebten Preisziele festzulegen. Sie werden in den befragten Unternehmen entweder zentral von der Geschäftsleitung, in einzelnen Geschäftseinheiten oder im 829
Vgl. Diller (2008), S. 210; Siems (2009), S. 17.
830
Vgl. Diller (2008), S. 36f.; Rao (1984), S. 43.
831
Vgl. Diller (2008), S. 210; Diller/Haas (2001), S. 1355; Oxenfeldt (1975), S. 5f.
832
Vgl. Rao (1984), S. 43; Sander (1997), S. 80; Nagle/Holden/Larsen (1998), S. 175; Oxenfeldt (1975), S. 6.
833
Vgl. Rao (1984), S. 39 und S. 42; Simon/Dolan (1997), S. 21.
834
Vgl. Diamantopoulos/Mathews (1995), S. 48; Diller (2008), S. 212.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
157
Rahmen eines Business Plans durch den Produktmanager definiert. Während in der Wissenschaft verschiedene Kategorien von Preiszielen diskutiert werden, 835 beschränken sich die Aussagen aller Experten auf die Erreichung hoher Marktanteile oder die EBIT-Maximierung.836 Dies deutet auf eine Dominanz quantifizierbarer Ziele hin, wobei die Tendenz in Richtung Renditeorientierung zu gehen scheint: „Die Einstellung unserer Mitarbeiter bei den jährlichen Preisverhandlungen hat sich in Richtung des EBIT-Erreichens geändert“, bringt dies stellvertretend für die anderen Experten der Leiter Pricing Office eines Unternehmens der Halbleiterbranche zum Ausdruck. Wie die Literaturbestandsaufnahme in Kapitel 5.1 gezeigt hat, erfährt das Thema Preisstrategie in der Wissenschaft bereits eine gewisse Aufmerksamkeit. Aufgrund des sehr weitläufigen Begriffsverständnisses ist eine inhaltliche Präzisierung verschiedener Preisstrategien jedoch kaum festzustellen.837 Nach Tellis (1986) beziehen sich Preisstrategien grundsätzlich auf das Ausmaß der Preisvariation (Preisdifferenzierung)838, die Wettbewerbsorientierung des Pricings und die Ausgestaltung von Preislinienkonzepten.839 Diese Taxonomie wurde von vielen Autoren aufgegriffen und ihre grundlegenden Dimensionen finden sich auch in den Aussagen der Interviewpartner wieder. Anders als von Tellis (1986) beschrieben, beschränken die Experten ihre Aktivitäten im Rahmen der ersten Dimension von Preisstrategien jedoch nicht nur auf die Preisvariation, sondern erwähnen in Übereinstimmung mit neuerer Literatur840 Prozesse und Aktivitäten zur Konzeption umfassender Preissysteme und Erlösmodelle. Unter Preissystemen sind grundsätzlich sämtliche Preisformen sowie Regelungen zur Preisfindung, zu Preis- und Konditionenkomponenten und der Preisdifferenzierung zu verstehen.841 Im Bereich der Preisformen wird die in Abschnitt 5.4 bereits angesprochene Unterscheidung zwischen traditionellen und 835
Vgl. hierzu ausführlich Diamantopoulos (1991), S. 139ff., der einerseits quantifizierbare Gewinn-, Mengen- und Finanzziele und andererseits nicht-quantifizierbare wettbewerbsorientierte, kundenorientierte, gesellschaftliche, unternehmensintern bedeutsame und weitere übergreifende Ziele unterscheidet.
836
Dieses Ergebnis zeigt sich auch in der qualitativen Studie von Kossmann (2008), S. 33.
837
Vgl. Diller (1999), S. 52.
838
Im Falle von Preisdifferenzierung wird kein Einheitspreis für eine Leistung verlangt, sondern zeitlich, räumlich, kundenspezifisch, mengenspezifisch oder vertriebskanalspezifisch unterschiedliche Preise (vgl. Diller (2008), S. 228f.). Aufgrund der Tatsache, dass im B2B-Bereich Preisverhandlungen bzw. (elektronische) Ausschreibungen der Regelfall sind (vgl. Abschnitt 0), liegt sehr häufig eine individuelle Preisdifferenzierung vor, die auch als Preisdifferenzierung ersten Grades bezeichnet wird (vgl. Pigou (1962), S. 279).
839
Vgl. Tellis (1986), S. 148.
840
Vgl. Diller (2008), S. 210; Siems (2009), S. 20.
841
Vgl. Diller (2008), S. 219.
158
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
neueren, wertbasierten Erlösmodellen virulent. Bei diesen dient nicht mehr der kostenmäßige Aufwand des Anbieters, sondern die für den Kunden erbrachte Leistung bzw. deren Wirkung als Parameter für die Preissetzung.842 In der StrategiePhase steht dabei die Entscheidung über eine grundsätzliche Einführung und Ausgestaltung solcher Erlösmodelle oder Preisdifferenzierungsmaßnahmen im Vordergrund, nicht deren konkrete operative Anwendung für einen speziellen Kundenauftrag. Hinsichtlich der Erlösmodelle sind in den Interviews große Unterschiede in Abhängigkeit von den angebotenen Sach- und Dienstleistungen, der Branche oder der Wettbewerbssituation festzustellen. Während manche Unternehmen, wie ein Anbieter aus der Customer-Care-Branche, nach Aussage des befragten Experten die Maxime „keep it simple stupid“ beherzigen, entscheiden sich andere für komplexe und erklärungsbedürftige Erlösmodelle. Ansätze für innovative Erlösmodelle finden sich bei fünf der acht befragten Lösungsanbieter und einem Maschinenbauunternehmen. In Ergänzung zur Konzeption von Erlösmodellen weisen zehn Experten, darunter alle acht befragten Lösungsanbieter, auf die Bedeutung eines strategischen Konzepts zur Preisentwicklung im Produkt- bzw. Kundenlebenszyklus hin. Während im Produktlebenszyklus bei Markteinführungen üblicherweise die auf Dean (1951) zurück gehenden Skimming- oder Penetration-Strategien zum Einsatz kommen,843 rückt bei der Betrachtung des Kundenlebenszyklus die Preisplanung für einen längeren Zeithorizont in den Vordergrund. Mischkalkulationen für zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfallende Preiskomponenten (bspw. geringer initialer Verkaufspreis in Verbindung mit hohen Preisen für später benötigte Ersatzteile und Wartungsservices) oder Total-Cost-of-Ownership-Betrachtungen (TCO) können hier in Erwägung gezogen werden. 844 Nach Auffassung der befragten Lösungsanbieter ermöglichen Routinen und Prozesse zur Betrachtung des Kundenlebenszyklus im Hinblick auf nachfolgende Sachleistungsgenerationen und mögliche komplementäre Dienstleistungen eine frühzeitige Erstellung von Angeboten für künftige Kundenbedarfe und somit die Sicherung längerfristiger Erlöse. In einem weiteren Schritt werden nach Auskunft der Experten ergänzend zu den Erlösmodellen bestimmte Preiskorridore festgelegt, die einen internen Referenzpreis und entsprechende Discount-Limits für den Vertrieb beinhalten. Dieser interne Referenzpreis determiniert die strategische Preispositionierung, da eine bestimmte Preislage festgelegt wird, mit der sich der Anbieter im Vergleich zum Durchschnitt
842
Vgl. Bonnemeier (2008), S. 376; Burianek et al. (2008), S. 491.
843
Vgl. Dean (1951), S. 419ff.; Diller (1999), S. 52f.; Dorward (1987), S. 125ff.; Nagle/Holden/Larsen (1998), S. 188f.
844
Vgl. Diller (2008), S. 294f.; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 38.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
159
der Wettbewerber oder einem einzelnen Konkurrenten einordnet.845 Die Preispositionierung hängt nach Aussage der Experten von Faktoren wie der Unternehmensstrategie, dem Image, der Technologie sowie der Branche und der jeweils adressierten Zielgruppen ab und sollte die Wertigkeit der Leistung für die Kunden sowie deren Marktposition berücksichtigen. Der interne Referenzpreis kann dabei unternehmensweit verbindlich sein oder nur einer Orientierung dienen. Über Prozesse zur Festlegung strategischer Discount-Limits werden dem Vertrieb in allen befragten Unternehmen die Verhandlungsgrenzen für die externe Preisdurchsetzung vorgegeben. In die Preisstrategie-Phase sind über die reine Preispositionierung hinaus weitere Aktivitäten zur Festlegung und Ausrichtung der Wettbewerbsstrategie zu unternehmen. Nach Ansicht der Experten kann es hilfreich sein, verschiedene Szenarien und Verhaltensregeln aufzustellen. Von besonderer Bedeutung sind dabei Routinen und Vorgehensweisen bei Preissenkungen der größten Wettbewerber. Im Hinblick auf die bereits mehrfach angesprochene Vermeidung von Preiskriegen kann eine einheitliche Strategie entwickelt werden, die beispielsweise vorsieht, dass einer Preissenkung der Konkurrenz prinzipiell nicht gefolgt wird. Die grundsätzliche Existenz und Definition einer solchen Handlungsmaxime ist dabei eine strategische Fragestellung, die konkrete Ausgestaltung der Routinen erfolgt auf operativer Ebene. Ein Experte eines Herstellers von Druckmaschinen berichtet hier von dezidierten Analysen im Falle von Preisanpassungen der Wettbewerber hinsichtlich deren Beweggründen, vermuteten Herstell- und Servicekosten, Produktionsstandorten und Vertriebskanälen. „Damit bekommen wir einen guten Anhaltspunkt dafür, ob die Preissenkung realistisch ist oder ob sich der Wettbewerber nur beim Kunden einkaufen will“, erläutert der Experte. Einige der befragten Unternehmen prüfen vor möglichen Reaktionen die eigenen Lagerbestände, das Verhältnis zum Kunden, die Auslastung der Fertigung, sowie Auswirkungen einer Preissenkung auf Marktanteile und Rentabilität. Solche Analysen werden laut den Experten insbesondere bei größeren Projekten oder strategisch wichtigen Kunden durchgeführt, weil hier die Gefahr groß ist, mit einer vorschnellen Reaktion den Marktpreis abwärts zu treiben und eine Preisspirale nach unten zu starten. Die meisten der befragten Unternehmen bieten nicht nur ein einzelnes Leistungsangebot an, sondern sind mit einem ganzen Portfolio am Markt aktiv. Dabei ergeben sich, wie in Abschnitt 5.3 theoretisch diskutiert, Marktinterdependenzen in Bezug auf Preisprozesse, wenn einzelne Leistungen in einer komplementären oder
845
Vgl. Pechtl (2005), S. 129; Rudolph (2005), S. 82; Shankar/Bolton (2004), S. 28; Simon/Fassnacht (2009), S. 30.
160
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
substitutiven Beziehung zueinander stehen.846 In Übereinstimmung mit der Literatur847 sprechen sich die Experten für ein konsequentes Produkt-Linien-Pricing mittels abgestimmter Preisstrategien für die verschiedenen Leistungen aus. Ebenso zeigen die Aussagen der Mehrheit der Experten, dass die internationale Abstimmung von Preisprozessen als Herausforderung erkannt ist, um auch solche Marktinterdependenzen beherrschen zu können. Die Pricing-Verantwortliche eines Druckmaschinen-Herstellers beschreibt dies wie folgt: „Die grundsätzliche Preisstrategie wird im Headquarter festgelegt. Die Länderorganisationen haben zwar die Freiheit, ihre Standardpreisstrategie selbst zu bestimmen, sind aber letztendlich durch die Intercompany-Preise, die auf der zentralen Preisstrategie basieren und an länderspezifische Preisniveaus angepasst sind, limitiert. Wegen der Überschaubarkeit unseres Marktes ist es unbedingt notwendig, eine einheitliche, international verlinkte Pricing-Strategie zu fahren.“ Im Hinblick auf die spätere Konzeptualisierung des Konstruktes Preiskompetenz lassen sich die Aktivitäten und Routinen im Bereich der Preisstrategie-Phase anhand der Experteninterviews zu zwei Subprozessen aggregieren: Maßnahmen der Preisplanung und das Preisverhalten im Wettbewerb in Bezug auf die Preispositionierung und andere der von den Befragten genannten Maßnahmen. Preisanalyse Der Preisanalyse wird von allen Experten eine besonders hohe Bedeutung beigemessen, weil sie die Grundlage aller nachfolgenden Entscheidungen und Handlungen im Preismanagement bildet. Wie schon in Abschnitt 5.2 angeklungen ist, lassen sich im Wesentlichen drei Informationsarten unterscheiden, auf deren Basis Preise gebildet werden können:848 Preisbezogene Kosten-, Wettbewerbs- und Kundeninformationen. Nach Meinung einer Mehrzahl der befragten Experten muss der Preis für eine Sachleistung, Dienstleistung oder Lösung in erster Linie kundenund marktgerecht sein und darf erst unter dieser Prämisse die eigenen Kosten berücksichtigen. Dafür sind umfassende Routinen und Aktivitäten zur Analyse von Kunden, Wettbewerbern, vergleichbaren Leistungen auf dem Markt und den internen Kosten erforderlich. Diese Informationen dienen der konkreteren Ausgestaltung der auf strategischer Ebene konzeptualisierten Preiskorridore und Discount-Limits. Die Experteninterviews zeigen, dass in der Praxis Routinen existieren, mit denen verfügbare oder indirekt nutzbare Quellen identifiziert und eine geeignete Quellen846
Vgl. Hirshleifer (1957), S. 97; Oxenfeldt (1966), S. 44; Simon/Dolan (1997), S. 214.
847
Vgl. Dean (1951), S. 477f.; Little/Shapiro (1980), S. 200; Reibstein/Gatignon (1984), S. 266; Urban (1969), S. 40.
848
Vgl. Frahm/Pastuch (2007), S. 85; Gabor (1988), S. 51; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 26; Oxenfeldt (1973), S. 51; Smith/Nagle (1994), S. 84.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
161
auswahl getroffen wird, wobei für alle drei Informationskategorien grundsätzlich zwischen internen und externen Quellen unterschieden werden kann. Interne Quellen sind unternehmenseigene Analysen und im Unternehmen vorhandene, aber in der Regel verstreute und unstrukturierte Kosten-, Kunden- und Wettbewerberinformationen. Die Herausforderung aus Sicht der Experten besteht darin, diese Informationen zu sammeln, zu strukturieren und sinnvoll abzulegen. Außerdem gilt es, das Markt- und Kundenwissen, welches oft nur im Kopf einzelner Vertriebsmitarbeiter vorhanden ist, in für das ganze Unternehmen nutzbare Informationen umzuwandeln und in ein Vertriebs- und Kundeninformationssystem einzupflegen. Als besonders wichtig werden von den meisten Experten in diesem Zusammengang Routinen und Systemen erachtet, mit denen diese Informationen zentral gesammelt, verwaltet und zur Verfügung gestellt werden können. Diese Aussagen unterstreichen die Bedeutung der theoretisch herausgearbeiteten Ressource Preiswissen und der Prozessorientierung zur Integration dieses Wissens. Neben internen Informationsquellen stehen Unternehmen auch verschiedene externe Quellen zur Verfügung. Darunter fallen u.a. Studien von Marktforschungsinstituten, Unternehmensberatungen, Verbänden, Marktdatenbanken, Branchenindizes oder Veröffentlichungen von Wettbewerbern. Die Interviews zeigen in Übereinstimmung mit Abschnitt 2.2.2, dass B2B-Unternehmen im Vergleich zum Konsumgüter-Bereich eine spürbar geringere Anzahl externer Quellen zur Verfügung steht, die zudem je nach Leistungsangebot und Branche variieren kann. Im Rahmen von konkreten Kundenanalysen werden Faktoren wie Bedürfnisse, Erwartungshaltungen, Zahlungsbereitschaften und Kreditrisiken ermittelt. Solche Informationen können aus individuellen Kundengesprächen gewonnen werden, was ein gutes Vertrauensverhältnis zum Vertriebsmitarbeiter voraussetzt. „Die Vertriebsmitarbeiter haben allerdings sehr häufig Angst, dass sie leicht austauschbar werden, wenn sie ihre spezifischen Kundenkenntnisse weitergeben“, erklärt der Head of Pricing eines Anbieters von TK-Lösungen. Eine Routine, mit der dieses Problem ohne monetäre Anreize umgangen werden kann, beschreibt die Pricing-Verantwortliche eines Druckmaschinen-Herstellers wie folgt: „Unsere Vertriebsmitarbeiter wissen ganz genau, dass sie unsere übergreifenden Marktinformationen aus der Zentrale nur bekommen, wenn sie dafür etwas von ihrem Kundenwissen preisgeben.“ Sechs Experten aus den befragten Lösungsanbietern betonen die hohe Bedeutung von Prozessen einer sogenannten „Customer-Value-Analyse“ zur Ermittlung des Mehrwertes, den der Kunde durch die Produkte und Dienstleistungen erfährt. Das können, wie bereits beschrieben, Kostensenkungen, Wettbewerbsvorteile, Qualitätsverbesserungen, Imagezugewinn o.ä. sein. Nach Aussage der Experten sind solche wertbasierten Ansätze aber noch wenig verbreitet, weil in vielen, insbesondere traditionsreichen, Unternehmen die Meinung vorherrscht, dass Kunden
162
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
diese Vorgehensweise ablehnen würden. Die Befürworter kundenwertbasierter Ansätze versuchen das Problem mangelnder Kundenakzeptanz zu mindern, indem sie den Kundenmehrwert über interne Routinen ermitteln, um ihn dann in nachfolgenden Prozessphasen anstelle der Kosten als Grundlage der Preisfestlegung zu verwenden, ohne dies den Kunden aber im Einzelnen transparent zu machen. Den dritten Teil der Preisanalyse bildet die Wettbewerbsanalyse. Sie wird in den befragten Unternehmen üblicherweise von der Marketingabteilung oder, falls vorhanden, von einer speziellen Preisabteilung durchgeführt. Erneut betonen die Experten jedoch die tragende Rolle des Vertriebs: Wettbewerberinformationen, wie z.B. tatsächliche Verkaufspreise, Rabatte, Boni und Skonti können über gute Kundenkontakte in Erfahrung gebracht werden. „Wir müssen bei Preisinformationen zu Wettbewerbern, die uns über Kunden erreichen, extrem vorsichtig sein. Da Preisabsprachen verboten sind, müssen wir jederzeit nachweisen können, dass wir eine Information auch tatsächlich von einem Kunden bekommen haben“, betont der Pricing-Leiter eines Unternehmens der Halbleiterbranche. Preislisten von Wettbewerbern und Ergebnisse von Ausschreibungen können bei standardisierten Leistungen nach übereinstimmender Aussage der Experten zumindest als grobe Indikatoren dienen. „Hierbei ist jedoch große Vorsicht geboten, in unserem Bereich kommt es vor, dass der tatsächliche Endpreis bis zu 90 Prozent unter dem ursprünglichen Listenpreis liegt“, schränkt der Head of Pricing House eines Anbieters von IT-Infrastruktur die Verlässlichkeit des Listenpreises ein. Als zentrale Erkenntnis ergibt sich aus den Experteninterviews die hohe Bedeutung von IT-Unterstützung der notwendigen Preisanalyse-Prozesse. Einige der befragten Unternehmen verfügen bspw. über eine Datenbank, in die alle gewonnenen und verlorenen Projekte und der dazugehörige Preis eingepflegt werden. Damit werden auf einfache Weise Angebotsvergleiche ermöglicht, um für bestehende Kunden im Zeitablauf stets ein konsistentes Pricing zu gewährleisten. Grundsätzlich müssen alle aus den Analysen gewonnenen Daten aufbereitet werden, um als Input für die weitere Preisfindung dienen zu können. Bei den befragten Unternehmen erfolgt dieser Prozess sehr unterschiedlich und reicht von halbstrukturierten PowerpointFolien über dezentrale Datenbanksysteme als Eigenlösungen bis zu zentral angelegten und verwalteten Datenbanken. Alle Experten sind sich dabei einig, dass in dieser Phase zumindest eine gewisse Strukturierung und Formalisierung des Datenbestands von großem Vorteil ist. Anhand der Expertenaussagen ergeben sich in der Preisanalyse-Phase zusammenfassend drei relevante Subprozesse: Nutzung interner Quellen, Nutzung externer Quellen und Verarbeitung der aus den verschiedenen Quellen generierten Informationen.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
163
Preisfestlegung In der dritten Phase des Preismanagement-Prozesses erfolgt die konkrete operative Preisfestlegung auf Basis der zuvor gesammelten Informationen. In den befragten Unternehmen werden hierbei Listenpreise, Basispreise, interne Verrechnungspreise oder Intercompany-Preise generiert. Die Preissetzungsverfahren (traditionell kostenbasiert oder innovativ wertbasiert), die dabei zum Einsatz kommen, werden in der Regel differenziert angewendet, je nach dem, ob es sich um ein neues Leistungsangebot oder eine Produktlinienerweiterung handelt und ob individuell ein einzelner Kunde oder der breite Markt adressiert wird. „Grundlage für die Listenpreisfindung für unsere Services ist eine Annäherung an den Preis von der Marktseite, um den Marktwert zu ermitteln, und eine Bottom-UpKalkulation, um die Kosten zu ermitteln. Die Margen sind vorgegeben“, beschreibt der Leiter Preise und Konditionen eines IT-Herstellers die Preissetzungs-Routinen in seinem Unternehmen. Ergänzend berichtet der Leiter des Pricing-Office eines Unternehmens der Halbleiterbranche: „Wenn man in der glücklichen Lage ist, ein Produkt speziell für einen Kunden zu entwickeln, hat man natürlich eine bessere Ausgangsposition für die Preissetzung. Der hierbei ausgehandelte Preis gilt im Falle einer späteren breiten Produkteinführung als Preisminimum.“ Der Einsatz innovativer Erlösmodelle kann dabei die Wertschaffung mit Lösungen im Zuge der Analyse/Beratungs-Phase unterstützen, wie der Preismanager eines Anbieters von TK-Infrastrukturlösungen argumentiert: „Eine leistungsabhängige Bepreisung mit klaren Preisparametern, wie beispielsweise ‚price per port‘ in unserer Branche, kann den Kunden helfen, gleich zu Anfang des Projektes die gesamten Ownership-Kosten einer Lösung abschätzen zu können.“ Wie die Exploration in der Wertschaffungsdimension ergeben hat, sind Lösungsanbieter in der Implementierungs-Phase häufig mit Change-Requests seitens der Kunden konfrontiert. Dies hat auch Auswirkungen auf die Preisfestlegung, wie der Preismanager des TK-Lösungsanbieters weiter schildert: „Um das managen zu können, benötigen Sie entsprechende Prozesse, damit ohne Effizienzverluste schnell nachkalkuliert werden kann und der Kunde den neuen Preis erfährt.“ Bei der Preisfestlegung wird jedoch nicht nur die Höhe des Preises bestimmt, es sind nach Aussage der Experten komplexe Routinen erforderlich, mit denen die in der ersten Phase strategisch vorgezeichneten Erlösmodelle, Preisstrukturen, und Preiskomponenten ausgestaltet werden müssen. Damit diese dritte Phase reibungslos ablaufen kann, müssen nach Meinung der Literatur Routinen und Vorgaben hinsichtlich der Verfahren (wie wird der Preis bestimmt), der
164
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Zuständigkeiten (wer trifft die Preisentscheidung) und des Zeitpunkts (wann wird der Preis bestimmt) existieren.849 Die Experteninterviews zeigen, dass die Entscheidung zur Festlegung von Preisen häufig durch interdisziplinäre Teams erfolgt. Die Teammitglieder kommen i.d.R. aus dem Pricing-Office, dem Produktmanagement, Marketing oder der Finanz-Abteilung. Der Projektmanager eines Sondermaschinenherstellers beschreibt die Vorgehensweise in seinem Unternehmen wie folgt: „Unsere Preiskalkulation erfolgt durch Projektmanager, die thematisch spezialisiert sind, und wird anschließend der Geschäftsführung vorgelegt. Der Konzeptausschuss mit dem Geschäftsführer, dem Leiter Pricing und zwei erfahrenen Projektmanagern bespricht dann die Preiskalkulation bei wichtigen Projekten oder bei noch unerfahrenen Projektmanagern.“ Übereinstimmend mit der Literatur zeigen die explorativen Daten, dass im Zuge der Preisfestlegung im Rahmen der Preissystemgestaltung auch Maßnahmen der Preisdifferenzierung nach Qualität, Regionen oder Kundentypen zu treffen sind. „Ausschlaggebend ist auch die strategische Bedeutung und die Bonität eines Kunden“, betont der Business-Development-Verantwortliche eines Unternehmens der Customer-Care-Branche. Aufgrund der Langfristigkeit der Kundenbeziehung weisen fünf der acht befragten Lösungsanbieter auf die Etablierung von Maßnahmen und Routinen zur kontinuierlichen Preisanpassung hin. In einigen Branchen sind jedoch Rahmenverträge gebräuchlich, die in regelmäßigen Zeitabständen neu verhandelt werden. In der volatilen Speicherchipbranche sind bspw. monatliche Neuverhandlungen üblich, während in anderen Industrien jährlich oder alle zwei Jahre Änderungen vorgenommen werden. Auch in dieser dritten Phase betonen die Experten die Wichtigkeit von ITUnterstützung: Damit für alle am Pricing-Prozess Beteiligten die Preise aktuell und umgehend verfügbar sind, müssen die initial festgelegten oder nachträglich angepassten Preise in Softwaresysteme implementiert sein. Der Experte des Customer-Care-Unternehmens berichtet von einem „Data Warehouse mit alten Projektkennzahlen, das uns die Zahlenrealität aus derzeit laufenden Projekten widerspiegelt“. Der Leiter des Pricing Office eines Halbleiter-Unternehmens kann auf „ein in Eigenentwicklung erstelltes Pricing-Tool, in das Listenpreise und DiscountLimits eingegeben sind“ zurückgreifen. Ein Speicherchiphersteller berichtet von einem zukunftsweisendem System für die Preisfestlegung: „Wir entwickeln gerade ein vielversprechendes, zum Teil automatisiertes Tool, das anhand von Analysen gewisse Preisanpassungen automatisch vornehmen kann.“
849
Vgl. Diller (2008), S. 432f.; Schuppar (2006), S. 77ff.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
165
Die Routinen und Aktivitäten der Preisfestlegungs-Phase lassen sich anhand der Expertenaussagen zu drei Teilprozessen verdichten: Ausgestaltung des Preissystems, Preisentscheidung und Preisorganisation. Diese Zusammenfassung fließt damit in die Konzeptualisierung von Lösungskompetenz ein. Interne Preisdurchsetzung Die Problematik der internen Preisdurchsetzung ergibt sich aus der strukturellen und zeitlichen Entkopplung von Preisprozessen in der Praxis (vgl. Abschnitt 5.3). Die Interviews lassen vermuten, dass diese Phase insbesondere in größeren Unternehmen wichtig ist, da hier unterschiedliche Interessen und Zielsetzungen verschiedener Abteilungen berücksichtigt werden müssen. Der Leiter Preise und Konditionen eines IT-Herstellers erklärt, mit welchen Routinen in seinem Unternehmen diese Herausforderung gehandhabt wird: „Wir legen unseren Listenpreis in Preisrunden unter Beteiligung von Produktmanagement, Pricing-Office, Marketing und Vertrieb fest, sodass eine interne Preisdurchsetzung im Nachhinein kaum noch nötig ist.“ Einen anderen Weg geht ein Druckmaschinenhersteller: „Unsere Intercompany-Preise, die vom Headquarter festgelegt werden, sind nicht verhandelbar“, berichtet die Pricing-Verantwortliche. Für kleinere Unternehmen ist diese Phase von geringer Bedeutung, weil die Preise von einem Produkt- oder Projektmanager als ein Teil seines umfangreichen Aufgabenspektrums bestimmt werden. „Bei uns gibt es keine formalisierte Übergabe bzw. Durchsetzung von Entscheidungen, dafür haben wir eine zu überschaubare Größe“, sagt ein Experte aus der Customer-Care-Branche. Bei der internen Preisdurchsetzung gegenüber dem Vertrieb spielt nach Auffassung der Experten, in Übereinstimmung mit der Literatur,850 die Gestaltung von Anreizsystemen eine große Rolle. In den meisten der befragten Firmen ist eine Vergütung durch variable, umsatzbezogene Anteile vorzufinden. Nach Meinung des Pricing-Leiters eines Halbleiterherstellers wäre es aber sinnvoller, „die EBIT-Ziele in den persönlichen Zielen als Zielgröße zu verankern, und das nicht nur beim Vertrieb, sondern unternehmensweit“. Routinen, die reine renditebezogene Incentivierung oder eine Mischung aus Umsatz- und Renditezielen vorsehen, sind nur vereinzelt umgesetzt: „In unseren interdisziplinären Vertriebsteams wird der Erfolg beteiligter Mitarbeiter aus dem kaufmännischen Bereich nach erreichter Rendite gemessen, bei Vertriebsbeauftragten hingegen nach Umsatzvolumen. Auf diese Weise ist sowohl Umsatz-, als auch Renditeorientierung innerhalb des Teams gewährleistet“, erklärt der Pricing-Leiter eines IT-Herstellers. Im Abgleich mit den Erkenntnissen zur
850
Vgl. Diller/Kossmann (2007), S. 79; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 49f.; Simon/Dolan (1997), S. 343; Simon/Fassnacht (2009), S. 377.
166
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Preisstrategie zeigen die Experteninterviews insgesamt ein Auseinanderklaffen der wachsenden Bedeutung strategischer Renditeziele einerseits und der operativen Umsetzung bei den ausführenden Stellen im Vertrieb andererseits. Eine nicht-monetäre Möglichkeit zur Motivation von Vertriebsmitarbeitern, höhere Preise zu akzeptieren und sie beim Kunden durchzusetzen, liegt in der Schaffung gewisser Entscheidungsfreiheiten: „Die Vertriebsbeauftragten sollen in der Lage sein, den Sales-Prozess weitgehend selbstständig zu verwalten. Dazu brauchen sie marktgerechte Preise im System und vorgegebene Rabatt- und Nachlassgrenzen. Dadurch bekommen sie einen Handlungsrahmen, in dem sie sich frei bewegen und Verantwortung übernehmen können“, erläutert der Leiter des Pricing-Office eines Unternehmens der Halbleiterbranche. Die Preisverantwortliche eines Speicherchipherstellers sieht das ähnlich: „Die Rabattkompetenzen liegen beim Vertrieb, solange der festgelegte Mindestpreis eingehalten wird, sonst wird eskaliert.“ Die Mehrzahl der Experten ist sich dabei einig, dass eine klare Vorgabe von Eskalationsregeln unumgänglich ist. Die Meinungen darüber, wie viel Verantwortung dem Vertrieb überlassen werden soll, gehen auseinander. „Unsere Eskalationsmatrix ist volumenund ergebnisstufenabhängig und zeigt genau die Entscheidungsbefugten auf“, erklärt der Head of Pricing eines IT-Herstellers. Bei einem Speicherchiphersteller erfolgt die Eskalation automatisch: „Die Preisanfrage wird entweder durch das Tool genehmigt, oder eskaliert.“ Der Pricing-Leiter eines Halbleiterunternehmens bemüht sich ausdrücklich um eine niedrige Eskalationsrate: „Wir versuchen den Großteil der Kundenanfragen selbst zu beantworten und nur einen geringen Anteil an das strategische Marketing weiterzuleiten. Eine niedrige Eskalationsrate gehört zu unseren Abteilungszielen.“ Damit spiegeln auch die Experteninterviews das in Abschnitt 5.3 beschriebene, uneinheitliche Bild in der Literatur bezüglich der Delegation von Preisverantwortung an den Vertrieb wider. Zusammenfassend sind in dieser Phase Routinen zur organisatorischen Festlegung und Verteilung der Preisverantwortung sowie Maßnahmen zur Ausgestaltung von Anreizsystemen im Vertrieb bezogen auf die Erreichung strategischer Preisziele zu berücksichtigen. Externe Preisdurchsetzung Nachdem in den vorangegangenen Phasen ein Listen-, Basis- oder interner Verrechnungspreis erstellt und mit Hilfe der Verteilung von Entscheidungsverantwortung intern durchgesetzt wurde, ist die Voraussetzung für die Erstellung von Angeboten und Preisverhandlungen mit den Kunden geschaffen. Für die dazu notwendige Kundenakquise existieren in manchen Unternehmen Routinen, mit denen Aufträge gezielt im Hinblick auf die Erzielung attraktiver Preise sondiert werden. „Wir akquirieren aktiv Aufträge, für die unser spezielles Know-How
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
167
notwendig ist und für die wir aufgrund unserer Alleinstellungsmerkmale höhere Preise verlangen können“, erklärt der Projektmanager eines Sondermaschinenherstellers. Routinen und Prozesse zur Erstellung von Angeboten sind mit einem zeitlichen und personellen Aufwand verbunden, bei dem, abhängig von Leistungsportfolio und Branche extreme Unterschiede zwischen den befragten Unternehmen festzustellen sind. Übereinstimmend betonen jedoch alle 15 Experten die Bedeutung von ITUnterstützung in dieser Phase. Bei standardisierten Sachleistungen werden Preise nach Aussage der Experten überwiegend in Tools abgelegt, in denen sie für die Angebotserstellung schnell abrufbar sind. „Wir entwickeln zurzeit ein zentrales Pricing-Tool für alle unsere Produkte, das eine weitgehend automatisierte Angebotserstellung ermöglicht. Damit können wir unsere Angebote schneller als die Konkurrenz abgeben. Dieser Zeitfaktor ist erfolgskritisch in unserer Branche“, erklärt die Pricing-Verantwortliche eines Speicherchipherstellers. „Die Ausarbeitung eines typischen Angebotes dauert bei uns drei bis sechs Monate und umfasst mehrere Ordner“, beschreibt dagegen der Leiter Pricing eines Unternehmens der Telekommunikationsbranche seine Situation. Bei Lösungen ergibt sich nach übereinstimmender Aussage der betreffenden acht Experten der Angebotsaufwand aus der Festlegung der Lösungs-Konfiguration in der Design-Phase des Lösungsprozesses, sodass Routinen und Vorgehensweisen zur Abstimmung des Pricings erfolgskritisch erscheinen. Insbesondere bei technisch hoch anspruchsvollen oder erklärungsbedürftigen Lösungen werden die Angebotserstellung und spätere Verhandlungen durch ein interdisziplinäres Vertriebsteam durchgeführt. Bei einem Anbieter für Telekommunikationslösungen gehören zu diesem Team der Account-, Solution- und Pricing-Manager, sowie der Sales Director. Der Vertriebsleiter eines Druckmaschinenherstellers merkt an, dass „in den letzten Jahren auch auf der Kundenseite neben dem Einkäufer noch mindestens ein Technikexperte vertreten ist. Unser Account-Manager wird deshalb durch einen Kaufmann, Consultants und Service-Experten unterstützt.“ Der Leiter Operatives Marketing eines Elektronikunternehmens bestätigt die Notwendigkeit des Einsatzes von Vertriebsteams: „Die hohe Komplexität des Marktes, in dem wir uns bewegen, erfordert die Bearbeitung des Themas Pricing durch ein interdisziplinäres Team. Darin sind Mitarbeiter aus Marketing, Technik und Controlling vertreten. Sie wechseln je nach Produkt oder Branche des Kunden.“ Bei der Angebotserstellung sind darüber hinaus Routinen zur Abstimmung der Preise zwischen unterschiedlichen Vertriebskanälen eines Unternehmens erforderlich, speziell wenn Sach- und Dienstleistungen sowie Lösungen in getrennten Organisationsbereichen bepreist werden. In solchen Fällen ergibt sich wieder eine
168
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
strukturelle Entkopplung der Preisprozesse im Sinne von Abschnitt 5.3 und damit möglicherweise eine inkonsistente Preiskommunikation gegenüber dem Kunden. „Wir haben das Problem, dass unser direkter und unser indirekter Vertriebskanal von der Zentrale unterschiedliche Verrechnungspreise bekommen und dadurch mit verschiedenen Preisspielräumen am Markt agieren können“, berichtet hierzu der Head of Pricing House eines Telekommunikationsunternehmens. Mit der Abgabe eines Angebotes wird eine Grundlage für die Preisverhandlungen mit dem Kunden zur Bildung des letztendlichen Transaktionspreises geschaffen. Das Vertriebsteam oder der Vertriebsbeauftragte wird dabei mit verschiedenen Methoden bei der Preisdurchsetzung unterstützt. Die Experten verweisen hier übereinstimmend auf die bereits diskutierten Argumentationsleitfäden und Software-Tools (vgl. Abschnitt 5.4). „In jedem Team gibt es einen Verhandlungsführer. Der Rest des Teams steht ihm beratend zur Seite“, erklärt der Leiter Operatives Marketing eines Elektronikunternehmens. Der befragte Manager eines Lösungsanbieters aus der Customer-Care-Branche berichtet: „Gegenüber Kunden wird die Kalkulation komplett offen und transparent gemacht. Dadurch wird ein gemeinsames Verständnis für das Kalkulationsmodell geschaffen. Je früher das geschieht, desto geringer fällt unser Akquiseaufwand aus, weil man sich notfalls frühzeitig trennen kann.“ Der Projektmanager eines Sondermaschinenherstellers vertritt ebenfalls diese Ansicht: „Unsere Leistungen sind Unikate. Der Kunde ist verunsichert, weil er keine Preisvergleichsmöglichkeit und kein tiefes Konstruktionsverständnis hat. Diese Unsicherheit kann ihm genommen werden, indem ihm die Preiskalkulation glaubhaft gemacht wird. Wir wählen deshalb für unsere Angebote nicht mehr die Textform, sondern führen alle Einzelpreise auf.“ In der Literatur851 und von anderen Experten wird die Offenlegung der Kalkulation dagegen auch kritisch gesehen: „Wir sind von der Kostenposition her unseren Wettbewerbern normalerweise unterlegen und streben deshalb eher eine gewisse Intransparenz an“, erklärt beispielsweise der Pricing-Verantwortliche eines Anbieters von Netzwerklösungen. In der Analyse-Phase hatten die Experten aus dem Lösungsgeschäft auf die Bedeutung der Kundenwert-Analyse hingewiesen. Bei der externen Preisdurchsetzung besteht die Aufgabe des Vertriebsteams nun darin, dem Kunden den Nutzen der Lösung zu kommunizieren (vgl. auch Abschnitt 5.4). „Unser Vertrieb betrachtet mit dem Kunden Inhalte und Funktionalitäten einzeln im Hinblick auf den Mehrwert, den sie ihm bringen. Das können beispielsweise mehr Umsatz, weniger Kosten oder Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber seinen Wettbewerbern sein“, erläutert der Leiter Pricing eines Anbieters von Telekommunikationslösungen.
851
Vgl. Godefroid (2003), S. 283ff.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
169
Für die externe Preisdurchsetzung sind zusammengefasst also Routinen zur Durchführung von Preisverhandlungen, Maßnahmen der Preisargumentation und Preiskommunikation sowie zur Abstimmung der Vertriebskanäle zu berücksichtigen. Preiscontrolling Die abschließende Phase des Preismanagement-Prozesses bildet das Controlling, wobei dieses nach Aussage aller Experten nicht nur am Ende sondern bereits sequenziell und phasenübergreifend zum Einsatz kommen sollte. Eine strukturierte, IT-gestützte Datenerfassung bildet nach Meinung aller Befragten die Grundlage für sämtliche Aktivitäten. In diesem Zusammenhang dient das Preiscontrolling auch der Informationsversorgung der vorangegangenen Stufen im Preismanagement-Prozess. Bei einem Maschinenbauunternehmen werden beispielsweise gezielt die Erfolgsfaktoren von gewonnenen Aufträgen analysiert und teilweise als Success-Stories im Unternehmen publik gemacht. Diese können so dem Vertrieb bei künftigen Projekten als Argumentationsunterstützung im Rahmen der externen Preisdurchsetzung (Phase 5) dienen. Darüber hinaus dienen Controlling-Informationen der Verbesserung des Wissensstandes der Entscheider bei der Preisanalyse (Phase 2). Die Vorgehensweisen der befragten Unternehmen beim Preiscontrolling sind dabei sehr heterogen und hängen stark von Firmenspezifika ab. Je nach Unternehmenskontext können Firmen beispielsweise gar nicht alle Aufträge umfassend überwachen oder ex-post kontrollieren. Nach Aussage des Experten aus einem Elektronikunternehmen werden deshalb vor allem größere und strategisch bedeutsame Aufträge analysiert, um daraus zu lernen. Nach Auffassung der Literatur umfasst das Preiscontrolling Wirkungs- und ErgebnisKontrollen sowie Preisaudits.852 Letztere lassen sich als das von den Experten angeführte, phasenübergreifende Controlling interpretieren, da hierbei detailliert der Prozess der Preisfindung und -umsetzung analysiert wird und Verbesserungsmöglichkeiten herausgearbeitete werden sollen.853 Mit Six Sigma wurde hierzu in jüngerer Zeit ein aus dem Produktionsbereich bekanntes Verfahren der Effizienzund Qualitätsverbesserung auf das Preismanagement übertragen.854 Auch wenn die Methode insgesamt zu einer Verbesserung der Prozessdisziplin führen kann, sind dem Verfahren aufgrund der Spezifika des Pricings auch Grenzen gesetzt.855 In den befragten Unternehmen fanden sich keine Hinweise auf eine explizite Anwendung von Six Sigma im Preismanagement. Bei Wirkungskontrollen sieht die Literatur nicht
852
Vgl. Köhler (2003), S. 360.
853
Vgl. Florissen (2005), S. 23; Lauszus/Kalka (2006), S. 489.
854
Vgl. Sodhi/Sodhi (2008), S. 15.
855
Vgl. Simon/Fassnacht (2009), S. 366.
170
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
erfolgsrechnerische Ergebnisse, sondern qualitative Ziele wie etwa das Preisimage oder die Preiszufriedenheit im Vordergrund.856 Das Gros der Befragten akzeptiert die Wichtigkeit solcher qualitativer Ziele zwar, institutionalisiert sind entsprechende Routinen jedoch kaum. „Das Marketing macht durchaus regelmäßige Kundenzufriedenheitsbefragungen, um Preise geht es dabei aber, wenn überhaupt, nur am Rande“, berichtet exemplarisch der Pricing-Verantwortliche eines Elektronikherstellers. Speziell die befragten Lösungsanbieter heben jedoch mit Blick auf die langfristige Beziehung zum Kunden die Bedeutung solcher weicher Faktoren hervor. Grundsätzlich kann aus den Aussagen gefolgert werden, dass auch das Preiscontrolling den Lebenszyklus der Kundenbeziehung mit geeigneten Routinen erfassen muss. „Wir überprüfen die Realzahlen der Produktion über die gesamte Projektlaufzeit und stellen die Kostentreiber heraus“, sagte ein Experte aus dem Customer-Care-Bereich. Ein Anbieter von Telekommunikations-Lösungen ermittelt beispielsweise einmal jährlich den aktuellen Kundenwert, um daran seine zukünftigen Pricing-Aktivitäten auszurichten. Deutlich weiter verbreitet sind klassische Controlling-Verfahren wie die Abweichungsanalyse bei Erlösen oder Kosten im Vergleich zu den Planzahlen, die in den Bereich der Ergebniskontrolle fallen.857 Überprüft werden nach Angaben der Befragten hier beispielsweise die Margenentwicklung, vom Vertrieb gewährte Rabatte, erzielte Nettopreise, Zahlungseingänge oder die Entwicklung der Marktanteile. Praktisch alle befragten Unternehmen (13 von 15) versuchen über Lost-Order-Analysen die Gründe für abgelehnte Angebote zu erforschen, wobei die Vorgehensweisen erneut sehr unterschiedlich ausfallen. Bei einem Unternehmen der Telekommunikationsbranche werden Lost-Order-Analysen zentral durchgeführt und in CRM-Tools eingepflegt. Bei anderen Unternehmen wird die Lost-Order vom Vertrieb eingeschätzt und bei zwei Firmen sind Lost-Order-Analysen aufgrund fehlender Informationen nicht durchführbar. Zusammenfassend lassen sich die Aussagen der Experten zwei wesentlichen Teilprozessen zuordnen: Monitoring (Phasenübergreifende Kontrolle/Überwachung) und Informationsversorgung der vorgelagerten Stellen im Pricing-Prozess. 5.5.3
Erkenntnisbeitrag der Exploration
Die Exploration führt zu einem sechsstufigen Preismanagementprozess, in dem verschiedene erfolgskritische Gestaltungsvariablen zu beachten sind. Werden diese systematisch ausgeführt, bietet sich für den Anbieter die Möglichkeit, am
856
Vgl. Köhler (2003), S. 371f.
857
Vgl. Köhler (2003), S. 372.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
171
Wertbeitrag, den die eigenen Leistungen für den Kunden generieren, über angemessene Renditen zu partizipieren und damit die Dauerhaftigkeit des eigenen Wettbewerbsvorteils zu sichern. Die Preiskompetenz eines Anbieters umfasst somit die Fähigkeit zur Wertaneignung durch organisationale Routinen und Prozesse, über die Firmen Preise festlegen bzw. anpassen und sie beim Kunden durchsetzen. Für das Konstrukt wird daher auf Basis der Literaturauswertung und der explorativen Experteninterviews die in Abbildung 11 dargestellte Struktur angenommen. Preisplanung Preisstrategie Preisverhalten
Nutzung interner Quellen Preisanalyse
Nutzung externer Quellen Informationsverarbeitung
Ausgestaltung des Preissystems Preiskompetenz
Preisfestlegung
Preisentscheidung Preisorganisation Interne Preisdurchsetzung
Preisdurchsetzung Externe Preisdurchsetzung
Preismonitoring Preiscontrolling Informationsversorgung
Abbildung 11 Konzeptualisierung des Konstruktes Preiskompetenz
Die grundlegenden Prozessphasen lassen sich anhand der theoretischen und empirischen Erkenntnisse in weitere Subprozesse aufteilen. Wie in der Wertschaffungsperspektive bestehen die Hauptprozesse jeweils aus einer unterschiedlichen Zahl von Subprozessen, die sich unmittelbar aus einfachen Aktivitäten bzw. Routinen zusammensetzen. Die Zusammenfassung der zuvor beschriebenen Stellhebel und Aktivitäten zu den einzelnen Teilprozessen basiert auf der inhaltsanalytischen Auswertung der Interviewergebnisse, ergänzt um bestehende Konzepte aus der Literatur. Zur inhaltlichen Validierung des Definitionsbereiches wurde diese Konstruktkonzeptualisierung, ebenfalls wie in der Wertschaffungsperspektive, mehrfach mit verschiedenen Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert und auf ihre Konsistenz hin überprüft. Auf diese Weise kann nach Wissen des Autors erstmals in der Literatur ein auf oberster Stufe generischer Preismanagement-Prozess vorgelegt werden, der mit empirisch abgeleiteten
172
5 Preiskompetenz als Mittel zur Wertaneignung
Subprozessen auf der zweiten und konkreten Aktivitäten auf der dritten Ebene eine umfassende Spezifikation der Wertaneignung darstellt. In der Preisstrategie-Phase ist auf Basis der Explorationsergebnisse der Teilprozess Preisplanung zu integrieren, dessen Definitionsbereich die zuvor beschriebenen Aktivitäten und Routinen zur Bildung strategischer Preisziele und der Konzeption von Preissystemen und Erlösmodellen abbildet. Im Teilprozess Preisverhalten finden sich Aktivitäten, die Unternehmen auf strategischer Ebene in Bezug auf Märkte und Wettbewerber unternehmen, wie etwa Routinen zur Bestimmung der Preispositionierung und Reaktionsschemata auf Wettbewerberpreise. Bei der Preisanalyse sind für Anbieter drei Teilprozesse zu berücksichtigen. Zwei Subphasen betreffen Prozesse und Maßnahmen zur Gewinnung und Nutzung interner sowie externer Informationsquellen. Relevant ist dabei, mit welcher Systematik, welcher Breite und welchem Detaillierungsgrad Maßnahmen unternommen werden, um Informationen über Kosten, Wettbewerber und Kunden zu erheben. Der dritte Teilprozess Informationsverarbeitung deckt darauf aufbauend Routinen zur Aufbereitung und Integration des generierten Wissens im Unternehmen ab. Die dritte Konstruktdimension Preisfestlegung besteht ebenfalls aus drei Teilprozessen. In der Subphase Ausgestaltung des Preissystems finden sich die aus Literaturanalyse und Experteninterviews erhobenen Routinen und Aktivitäten des Produkt-Linien-Pricing und der Preisdifferenzierung. Mit dem Teilprozess Preisentscheidung werden weitere Maßnahmen und Entscheidungen im Rahmen der eigentlichen Bildung von Listen- bzw. internen Verrechnungspreisen erfasst, wie z.B. Methoden der kosten- oder kundenwertbasierte Preisfindung. Der Definitionsbereich des dritten Teilprozesses Preisorganisation erfasst notwendige Routinen und Abstimmungsmaßnahmen, die sich aus der Multipersonalität von Preisentscheidungen ergeben, wie bspw. die systematische Berücksichtigung mehrerer Abteilungen bei der Preisfindung. In der vierten Konstruktdimension werden die beiden Prozessphasen interne und externe Preisdurchsetzung gebündelt. Diese Einteilung entspricht gängigen Prozessmodellen in der Literatur (vgl. Abschnitt 5.1.3) und erscheint vor allem auch deswegen gerechtfertigt, weil gemäß den Explorationsergebnissen gerade in kleineren Unternehmen beide Aspekte sehr eng miteinander verknüpft sind. Der Subprozess interne Preisdurchsetzung umfasst dabei Routinen zur organisatorischen Festlegung und Verteilung der Preisverantwortung sowie Maßnahmen zur Ausgestaltung von Anreizsystemen im Vertrieb im Hinblick auf die Erreichung der strategischen Preisziele. In der externen Preisdurchsetzung sind Routinen zur Durchführung von Preisverhandlungen, Maßnahmen der Preisargumentation und Preiskommunikation sowie zur Abstimmung der Vertriebskanäle berücksichtigt.
5.5 Explorative Ergebnisse und Konzeptualisierung von Preiskompetenz
173
Die Preiscontrolling-Dimension besteht ebenfalls aus zwei Teilprozessen. Die Subphase Preismonitoring erfasst in den Experteninterviews und der Literatur genannte, systematische Aktivitäten und Vorgehensweisen eines Unternehmens zur ex-post Auswertung von Ergebnisdaten im Rahmen des Preismanagements. Dazu gehören etwa Routinen zur Analyse gewährter Rabatte oder Maßnahmen im Bereich von Lost-Order-Analysen. Ebenso deckt der Definitionsbereich dieses Subprozesses Routinen des mitlaufenden Projekt-Controllings bspw. im Hinblick auf die Nettopreisentwicklung oder die Profitabilität laufender Kundenbeziehungen ab. Der zweite Teilprozess Informationsversorgung erfasst die Aufgabe des Controllings, andere Stellen und Teilprozesse des Preismanagements über geeignete Systeme und Maßnahmen mit Informationen aus den Kontroll- und Überwachungsprozessen zu versorgen. Mit dem Abschluss der Konstrukt-Konzeptualisierung ist die erste Forschungsfrage dieser Arbeit hinsichtlich zentraler Routinen, Prozesse und Praktiken der Wertschaffung und der Wertaneignung vollständig beantwortet. Im nun folgenden Kapitel werden die beiden Inhaltsstränge der Arbeit zusammengeführt und das Gesamtmodell mit den Hypothesen für die quantitative Hauptuntersuchung der weiteren Forschungsfragen aufgestellt. Die Darstellung beginnt dabei aus didaktischen Gründen mit den Erfolgswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung und wendet sich dann internen und externen Einflussfaktoren zu.
174
6
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Dieses Kapitel bildet die Überleitung zur Beantwortung der Forschungsfragen zwei, drei und vier im quantitativ-empirischen Teil der Arbeit. Zur Modellbildung für die weitere Untersuchung werden in diesem Abschnitt Determinanten und Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung identifiziert. Gegenstand der Untersuchung von Erfolgsauswirkungen ist die Frage, wie sich Lösungs- und Preiskompetenz auf verschiedene Performance-Kennzahlen im Unternehmen auswirken. Die konkrete Ausgestaltung der Routinen und Prozesse hängt jedoch von verschiedenen Einflussfaktoren ab. Von Bedeutung können hier sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Einflussfaktoren wie Wettbewerbsund Kundencharakteristika sein. Solche Einflussfaktoren wirken sich dabei nicht nur auf die Gestaltungsvariablen an sich, sondern auch auf deren Erfolgswirksamkeit aus. Aus diesem Grund beschäftigt sich das nachfolgende Kapitel 6.1 zunächst mit den Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung, bevor in Abschnitt 6.2 die Determinanten diskutiert werden. Kapitel 6.3 stellt zusammenfassend das Gesamtmodell der Untersuchung dar. 6.1
Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung
Lösungs- und Preiskompetenz sollen für Unternehmen Erfolgsfaktoren darstellen, mit denen sie einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil erreichen können. Eine wesentliche Zielsetzung der vorliegenden Arbeit besteht deshalb darin, ein geeignetes Modell zur Untersuchung der Erfolgswirkung der beiden Dimensionen abzuleiten. Von grundlegender Bedeutung sind dazu die Größen, die zur Messung des Unternehmenserfolges herangezogen werden. Hierbei ergeben sich einige Herausforderungen: Im Hinblick auf den theoretischen Bezugsrahmen (vgl. Kapitel 2.3.3) soll untersucht werden, ob sich Wertschaffung und Wertaneignung in Bezug auf den Unternehmenserfolg zueinander komplementär oder substitutiv verhalten. Dies impliziert die Notwendigkeit eines einheitlichen Erfolgsmaßes für beide Dimensionen. In der Literatur vorhandene Erfolgskonzeptionen aus dem Bereich der Wertschaffung (z.B. Dienstleistungserfolg858 oder systembezogener Erfolg859) erscheinen aufgrund ihrer spezifischen Fokussierung deshalb ebenso wenig geeignet wie spezielle Konzeptionen des Preiserfolgs, die
858
Vgl. Homburg/Faßnacht/Günther (2002b), S. 502.
859
Vgl. Homburg/Stock/Kühlborn (2005), S. 549.
6.1 Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung
175
beispielsweise von Schuppar (2006) vorgeschlagen werden.860 Nach Wissen des Autors existiert bislang noch keine Studie, die sich explizit mit der Erfolgswirksamkeit einer lösungsorientierten Organisationsausrichtung beschäftigt. Diesem Mangel an wissenschaftlicher Literatur steht ein großes Erkenntnisinteresse der Praxis gegenüber, welches sich vor allem darin begründet, dass der wirtschaftliche Erfolg von Lösungsangeboten häufig hinter den Erwartungen zurückbleibt.861 An generellen Konzepten für Erfolgsgrößen liegen in der Literatur sehr unterschiedliche Ansätze vor.862 Dabei wird üblicherweise zwischen objektiven und subjektiven Erfolgsgrößen unterschieden.863 Objektive Erfolgsgrößen (z.B. Marktanteil, Umsatz und Gewinn) sind in der Literatur weit verbreitet. Aber auch subjektive Erfolgsgrößen, die sich auf den Vergleich mit dem größten Wettbewerber oder dem Branchendurchschnitt beziehen, haben eine große Bedeutung für die Erfassung von Erfolgswirkungen und konnten in verschiedenen Studien verlässliche Ergebnisse liefern.864 Um den Zusammenhang zwischen Wertschaffung und Wertaneignung mit dem Erfolg eines Unternehmens herzustellen, wird in der vorliegenden Arbeit eine Aufteilung der Erfolgsgröße vorgenommen und Unternehmenserfolg als marktbezogener und wirtschaftlicher Erfolg definiert.865 Unter Markterfolg ist dabei die Effektivität der Marketingaktivitäten eines Unternehmens zu verstehen.866 Dieser setzt Handlungen des Managements mit Variablen wie etwa der Kundenzufriedenheit867, Kundenbindung868 und dem Kundennutzen in Beziehung. Der wirtschaftliche Erfolg bezieht sich demgegenüber auf eher greifbare Parameter wie die Profitabilität und das finanzielle Gesamtergebnis.869 Die Nutzung ökonomischer Kennzahlen als ultimativ abhängige Größen ist in der Literatur nicht sehr weit
860
Vgl. Schuppar (2006), S. 94ff. Friege (1995), S. 84f., leitet aus der Literatur ein System von fünf Zielkategorien des Preismanagements ab, das mit der im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit vertretenen Erfolgskonzeption hinsichtlich Markterfolg und wirtschaftlichem Erfolg kompatibel ist.
861
Vgl. Sturm/Bading (2008), S. 175.
862
Vgl. Bhargava/Dubelaar/Ramaswami (1994), S. 236; Capon/Farley/Hoenig (1990), S. 1144; Chakravarthy (1986), S. 446ff.
863
Vgl. Bachmann (2007), S. 90.
864
Vgl. u.a. Dess/Robinson (1984), S. 270f.; Hart/Banbury (1994), S. 258; Naman/Slevin (1993), S. 144f.; Venkatraman/Ramanujam (1986); Venkatraman/Ramanujam (1987).
865
Vgl. Bharadwaj/Varadarajan/Fahy (1993), S. 87; Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 23; Homburg/Pflesser (2000b), S. 452.
866
Vgl. Homburg/Pflesser (2000b), S. 452; Ruekert/Walker/Roering (1985), S. 17f.
867
Vgl. Fornell et al. (1996), S. 8.
868
Vgl. Day/Wensley (1988), S. 3.
869
Vgl. Chakravarthy (1986), S. 440f.
176
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
verbreitet.870 Nach Auffassung des Marketing Science Institute (2000) besteht jedoch großer Bedarf, Aktionsparameter des Marketings zu wirtschaftlichen Erfolgsgrößen in Beziehung zu setzen.871 In Übereinstimmung mit existierenden Forschungsarbeiten wird dabei ein mediierender Effekt des Markterfolgs unterstellt,872 d.h. dessen Determinanten wirken indirekt auf den wirtschaftlichen Erfolg. Abbildung 12 verdeutlicht noch einmal die Aufteilung des Unternehmenserfolges, bevor daran anschließend der erste Hypothesenblock abgeleitet wird.
Unternehmenserfolg
Markterfolg • Kundenzufriedenheit • Schaffung von Kundennutzen • Marktanteil • Stammkundenbindung • Neukundengewinnung • Schaffung eines positiven Unternehmensimages
Wirtschaftlicher Erfolg • Gesamtergebnis • Wachstum • Profitabilität • Umsatzrentabilität
Abbildung 12 Aufteilung des Unternehmenserfolges
873
Zur Ableitung der Hypothesen in Bezug auf die Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung dienen grundlegend der ressourcenbasierte Ansatz, 870
Fundamentale Kritik an einem solchen Vorgehen üben Ray/Barney/Muhanna (2004) indem sie bemängeln, dass der Unternehmenserfolg als aggregierte Kennzahl aufgrund verschiedener Einflussfaktoren kein geeignetes Maß zur Überprüfung von Wettbewerbsvorteilen auf Basis des RBV darstellt. Stattdessen schlagen die Autoren eine Erfolgsmessung mittels der Effektivität interner Geschäftsprozesse vor (vgl. Ray/Barney/Muhanna (2004), S. 34). Die vorliegende Arbeit greift diese Kritik auf und setzt deshalb die Konstrukte Lösungs- und Preiskompetenz bei der Überprüfung auf nomologische Validität (vgl. Kapitel 7.6.1) zu Erfolgsgrößen auf Prozessebene in Beziehung. Ein genereller Verzicht auf die dargestellten Erfolgsgrößen erscheint jedoch nicht gerechtfertigt, da auf Ebene der Prozesse moderierende Effekte mit externen Determinanten der Wertschaffung und Wertaneignung nicht sinnvoll zu untersuchen wären, diese jedoch im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen. Zur Kritik an der Erfolgsfaktorenforschung und der Nutzung des Unternehmenserfolgs als abhängige Variable siehe auch March/Sutton (1997) und für die deutsche Betriebswirtschaftslehre den Artikel von Nicolai/Kieser (2002) sowie die darauf folgenden Entgegnungen von Bauer/Sauer (2004), Fritz (2004), Homburg/Krohmer (2004) und deren Replik durch Nicolai/Kieser (2004).
871
Vgl. MSI (2000).
872
Vgl. Day/Wensley (1988), S. 13; Homburg/Hoyer/Fassnacht (2002), S. 92; Homburg/Pflesser (2000b), S. 452; Varadarajan/Jayachandran (1999), S. 122. Eine allgemeine Darstellung mediierender Effekte findet sich bei Baron/Kenny (1986), S. 1176ff.
873
In Anlehnung an Bharadwaj/Varadarajan/Fahy (1993), S. 87; Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 23; Kohli/Jaworski (1990), S. 13.
6.1 Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung
177
ergänzt um Ansatzpunkte aus der Informationsökonomik und der Transaktionskostentheorie. Gemäß den theoretischen Ausführungen in den Abschnitten 4.5 und 5.4 stellen Lösungs- und Preiskompetenz einzigartige Fähigkeiten einer Organisation dar, die in organisationale Prozesse eingebettet sind und die Entwicklung der Ressourcenbasis und der operationalen Routinen einer Organisation leiten.874 Erfolgsunterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen in einem Markt resultieren dabei grundsätzlich aus der Ausstattung mit bestimmten lösungs- bzw. preisrelevanten Ressourcen, v.a. aber aus deren Anwendung mittels spezieller Kompetenzen.875 6.1.1
Erfolgswirkung der Wertschaffung
Gemäß der für diese Arbeit zugrunde gelegten Definition eines Lösungsangebotes, wird für den Kunden durch marketingbezogene und technische Integration sowie durch Individualisierung Wert geschaffen (vgl. Abschnitt 2.1.4). Wird ein rational und nutzenorientiert handelnder Kunde unterstellt, so bedeutet dies: Je höher der Wertzuwachs durch ein Lösungsangebot, desto attraktiver wird das Angebot für den Kunden. Wie Abschnitt 4.2 gezeigt hat, sind Lösungsangebote aus Anbieter- und Kundensicht tendenziell hoch spezifische Leistungen. Dadurch und durch die notwendige Integration des Kunden in die Wertschöpfung wird ein Teil der Kontrolle über die Leistungserbringung auf den Kunden übertragen.876 Lösungsanbieter können im Sinne der Informationsökonomik durch ein verstärktes Angebot risikoreduzierender Dienstleistungen und die in Abschnitt 4.2 beschriebenen Maßnahmen, wie z.B. glaubhafte Selbstbindung, Unsicherheit auf Kundenseite abbauen. Damit ergeben sich gemäß der Transaktionskostentheorie für den Kunden Kosteneinsparungen. Diese entstehen vor allem durch Einsparungen bei der Kontrolle und ggf. durch Einsparungen bei der nachträglichen Anpassung der Leistung.877 Zu einer Senkung der Transaktionskosten tragen aber ebenso Integration und Individualisierung der Lösungsangebote bei, da für die Kunden Vereinfachungen im Auswahlprozess und eine funktionsbedingte Nutzensteigerung auftreten.878 Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft eines Kunden zur Transaktion mit dem Anbieter bei sinkenden Transaktionskosten steigt. Aus Sicht des RBV verläuft der Wandel zum Lösungsanbieter speziell dann erfolgreich, wenn Unternehmen auf überschüssige Ressourcen zurückgreifen 874
Vgl. Helfat/Raubitschek (2000), S. 975; Nelson/Winter (1982), S. 87ff.; Zollo/Winter (2002), S. 340.
875
Vgl. Freiling (2004), S. 31.
876
Vgl. Heide/John (1992), S. 33.
877
Vgl. Hallén/Johanson/Seyed-Mohamed (1991), S. 30.
878
Vgl. Sawhney (2006), S. 369.
178
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
können, die Wettbewerbern nicht oder nicht zu gleichen Kosten zur Verfügung stehen.879 In Anlehnung an diese Überlegungen von Markides/Williamson (1994, 1996) können Wissens- und Ressourcenüberschüsse („resource spillovers“) aus dem klassischen Sachleistungsgeschäft Anbietern dabei helfen, Synergien zwischen Sach- und Dienstleistungen sowie Lösungsangeboten auszuschöpfen, was zu Kostenersparnissen und Differenzierungsvorteilen führen kann. 880 Lösungsanbieter können bspw. durch den Aufbau standardisierter Module aus dem bisherigen Sachund Dienstleistungsportfolio (vgl. Abschnitt 4.6.2) und der übergreifenden Nutzung intangibler Ressourcen, wie Markenimage und bestehende Kundenbeziehungen, Kostenvorteile gegenüber Konkurrenten erzielen.881 Durch solche Effekte können vorhandene Kapazitäten besser ausgelastet und die Kosten auf verschiedene Kostenträger verteilt werden.882 Darüber hinaus können Überschuss-Effekte die kausale Ambiguität (vgl. Abschnitt 3.1.3) der Ressourcenausstattung verstärken und damit einer Nachahmung durch Wettbewerber vorbeugen.883 Im Bereich des Marketings werden derartige Aspekte in ähnlicher Weise unter dem Begriff „CrossSelling“ beschrieben. Da in der Literatur bislang keine konkreten Hinweise zu Erfolgsauswirkungen organisationaler Kompetenzen im Lösungsgeschäft existieren, wird zur Fundierung der Argumentation auf das Cross-Selling zurückgegriffen.884 Lösungsangebote zeichnen sich demnach durch ein integriertes und kundenindividuelles Cross-Selling in Bezug auf die einzelnen Komponenten aus Sach- und Dienstleistungen aus. Ausgangspunkt der Argumentation ist dabei die in Kapitel 4.2 herausgearbeitete Bedeutung der Geschäftsbeziehung zwischen Lösungsanbieter und Kunde: die Literatur zeigt, dass Anbieter mit stabilen Geschäftsbeziehungen zu attraktiven Kunden langfristig erfolgreicher agieren als ohne stabile Geschäftsbeziehungen.885 Untersuchungen belegen außerdem, dass vertrauensvolle, intensive Kundenbeziehungen im für Lösungsangebote relevanten Dienstleistungskontext effektiver auf die Entstehung von Kundenloyalität wirken als bei Sachleistungen und den Erfolg des Anbieters insgesamt positiver beeinflussen.886
879
Vgl. Markides/Williamson (1994), S. 151; Markides/Williamson (1996), S. 344, sowie grundlegend die Arbeit von Rumelt (1974).
880
Vgl. Markides/Williamson (1994), S. 150; Markides/Williamson (1996), S. 344.
881
Vgl. Cornelsen (2000), S. 180; Fang/Palmatier/Steenkamp (2008), S. 2.
882
Vgl. Schmiedeberg (1995), S. 78.
883
Vgl. Reed/DeFillippi (1990), S. 93.
884
Vgl. für ein analoges Vorgehen zur Analyse des Systemgeschäfts Kühlborn (2004), S. 143.
885
Vgl. Kalwani/Narayandas (1995), S. 10; Kumar (1999), S. 13.
886
Vgl. Bolton/Grewal/Levy (2007), S. 1; Palmatier et al. (2006), S. 150.
6.1 Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung
179
Dem Cross-Selling wird zudem ein positiver Beitrag für die Stabilität von Geschäftsbeziehungen zugesprochen, der durch drei unterschiedliche Effekte entsteht. Erstens kann das Cross-Selling zu höherer Qualität und Intensität persönlicher Beziehungen zwischen Anbietern und Kunden führen.887 Zweitens können durch Cross-Selling die Wechselbarrieren der Kunden erhöht werden,888 indem diese z.B. zu Konkurrenzangeboten inkompatible Lösungen beziehen oder anbieterspezifische Investitionen vornehmen.889 Der dritte stabilisierende Effekt des Cross-Selling lässt sich auf eine stärkere Absicherung der Geschäftsbeziehung gegen sachleistungsbezogene Bedarfsschwankungen des Kunden zurückführen, da sich die Geschäftsbeziehung auf weite Teile bzw. das gesamte Leistungsportfolio des Anbieters erstreckt und nicht mehr nur auf einzelne Leistungen.890 Neben diesen primär nicht-monetären Erfolgswirkungen wird dem Cross-Selling in der Literatur auch eine monetäre Erfolgswirkung zugesprochen. Dabei wird argumentiert, dass ein Anbieter durch Cross-Selling im Verhältnis zu den Kosten überproportionale Umsatzsteigerungen erzielen kann.891 Die aus dem Cross-Selling bei Lösungsangeboten resultierenden Gewinnsteigerungen lassen sich dabei auf einen Mengeneffekt durch den Absatz zusätzlicher Leistungen, einen Preiseffekt durch Transaktionspreise über der Summe der Einzelpreise und die oben bereits angeführten Kosteneffekte durch Ressourcenüberschüsse zurückführen.892 Lösungskompetenz bezieht sich gemäß der Konzeptualisierung in Abschnitt 4.6.2 auf das Ausmaß, zu dem Routinen, Aktivitäten und Systeme zur Analyse von Kundenproblemen, zur Ableitung der Lösungskonfiguration sowie für Implementierung und Betrieb der Leistung beim Kunden in einer Organisation vorhanden sind und gelebt werden. Sie versetzt Anbieter in die Lage, im Wettbewerbsvergleich überlegene, individuelle und hoch integrierte Wertangebote für den Kunden zu konfigurieren. Die Bereitstellung individueller prozess- oder geschäftsbezogener Expertise für den Kunden erlaubt Anbietern zudem, die Wirkungsweise ihrer eigenen Leistungen für den Kunden besser auszuschöpfen.893 Durch den Aufbau spezieller Routinen, Systeme und Prozesse für das Lösungsgeschäft können Anbieter besser die individuellen Kundenbedürfnisse erfassen und eine langfristige Beziehung aufbauen, wodurch sich die Unsicherheit
887
Vgl. Cornelsen (2000), S. 182.
888
Vgl. Srivastava/Shervani/Fahey (1998), S. 12.
889
Vgl. Diller (1999), S. 46; Galbraith (2002b), S. 198.
890
Vgl. Srivastava/Shervani/Fahey (1999), S. 174.
891
Vgl. Homburg/Schäfer (2002), S. 18.
892
Vgl. Schäfer (2002), S. 155.
893
Vgl. Antioco et al. (2008), S. 339.
180
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
der Kunden und deren Transaktionskosten reduzieren. Insgesamt sollte sich daraus ein höherer Kundennutzen, eine gesteigerte Kundenzufriedenheit und in Konsequenz eine höhere Kundenbindung ergeben. Im Bereich Support/Betrieb ist Lösungskompetenz darüber hinaus mit der Implementierung von Routinen und Systemen zur Überwachung der Profitabilität einzelner Kundenbeziehungen verbunden (vgl. Abschnitt 4.6.2). Ziel ist es, einen Abgleich zwischen den in der Wertschaffung für den Kunden eingesetzten Ressourcen und den in der Wertaneignung erwirtschafteten Renten herzustellen. 894 Bei hoch profitablen Kunden kann demgemäß davon ausgegangen werden, dass der Anbieter stärker Ressourcen in wertschaffende Aktivitäten investiert als bei unprofitablen oder kaum profitablen Nachfragern. Demgemäß ist unter diesen Kunden eine wachsende Zufriedenheit und Bindung zu erwarten, wohingegen unprofitable Geschäftsbeziehungen unter Renditegesichtspunkten langfristig nicht fortgeführt werden. In Zusammenführung mit den theoretischen Überlegungen zu Ressourcenüberschüssen und dem CrossSelling kann damit grundsätzlich von einer positiven Wirkung der organisationalen Lösungskompetenz auf den Markterfolg und letztendlich den wirtschaftlichen Erfolg ausgegangen werden. Hypothese 1 lautet dementsprechend wie folgt: H1: Die organisationale Lösungskompetenz eines Anbieters wirkt sich positiv auf den Markterfolg aus. 6.1.2
Erfolgswirkung der Wertaneignung
In der Preisforschung wird sehr häufig ein positiver Effekt des Preismanagements auf den Unternehmenserfolg (Gewinn) vermutet, einen empirischen Nachweis konnten bislang jedoch erst wenige Arbeiten erbringen.895 Insofern wird anders als im Bereich der Wertschaffung in der vorliegenden Arbeit eine direkte Wirkung der Preiskompetenz auf den wirtschaftlichen Erfolg untersucht. Die Konzeptualisierung der Preiskompetenz in Abschnitt 5.5.2 hat gezeigt, dass Anbieter ergänzend zu Ressourcen im Bereich der Wertschaffung auch über den Aufbau von Ressourcen und Kompetenzen zur Wertaneignung konkurrieren können. Dazu gehören Routinen, Aktivitäten und Systeme zur Ableitung von Preisstrategien, zur Sammlung, Analyse und Verbreitung preisbezogener Informationen, für die interne und externe Preisdurchsetzung sowie das Monitoring der Preisentscheidungen. Aufbau, Weiterentwicklung und Anwendung dieser Ressourcen durch eine entsprechende organisationale Preiskompetenz kann dazu führen, dass Anbieter ihre Preise flexibler setzen und effektiver auf Preisaktionen des
894
Vgl. Morgan/Hunt (1994), S. 23f.; Mulhern (1999), S. 26.
895
Vgl. Griffith/Rust (1997); Keil/Reibstein/Wittink (2001); Myers (2004); Schuppar (2006).
6.1 Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung
181
Wettbewerbs reagieren können. Außerdem erlauben spezielle Ressourcen und Kompetenzen im Pricing eine akkuratere Festlegung der Transaktionspreise, die letztendlich besser die Zahlungsbereitschaften der Kunden treffen. 896 Demzufolge kann also über den Aufbau von Preiskompetenz die Differenz zwischen dem vom Kunden empfundenen Nutzwert und dem monetär realisierten Tauschwert (vgl. Abschnitt 2.3.2) reduziert und die Wertaneignung des Anbieters durch die Genierung höherer Renten gesteigert werden. Neben dieser ressourcenbasierten Argumentation liefern die Informationsökonomik und die Transaktionskostentheorie weitere Hinweise auf die ökonomische Erfolgswirksamkeit organisationaler Preiskompetenz. Effiziente Verkaufspraktiken, Verhandlungstechniken und Routinen für die Preissetzung unterstützen die Wertaneignung, da z.B. in den Preisverhandlungen mit dem Kunden die Transaktionskosten für den Anbieter gesenkt werden und dieser damit rentabler agieren kann. Diese Argumentation resultiert aus der Erweiterung des ressourcenbasierten Ansatzes durch die Transaktionskostentheorie gemäß Abschnitt 3.3.2. Da die Verteilung des geschaffenen Wertes im B2B-Geschäft in Preisverhandlungen ermittelt wird (vgl. Abschnitt 2.2.2), unterstützt die Herausbildung von Preiskompetenz den Anbieter dabei, die stets mit Transaktionskosten behafteten Verhandlungen effizient abzuwickeln und unnötigen Wertverzehr zu verhindern. Bei stark individuellen Leistungen im Kontext von Lösungsangeboten, für die kein klassischer Marktpreis existiert, entsteht für den Kunden Unsicherheit bei der Beurteilung der Leistung und der Angemessenheit des Preises. Preismanagement kann als ein Instrument des Anbieters interpretiert werden, diese Unsicherheit durch aktives Übertragen von Preisinformationen zu reduzieren.897 Wie die qualitative Exploration in Abschnitt 5.5.2 gezeigt hat, ist organisationale Preiskompetenz hierbei mit der Herausbildung entsprechender Kommunikationsprozesse und -mechanismen verbunden. Analog zur Wertschaffungsdimension ergeben sich bei sinkender Unsicherheit gemäß der Transaktionskostentheorie für den Kunden ex post Kosteneinsparungen durch reduzierte Kontrollmaßnahme und weniger 898 Einen ähnlichen Effekt erzielen Anbieter durch Prozesse der Anpassungen. Nutzenquantifizierung in Preisverhandlungen und den Einsatz leistungsabhängiger Preismodelle, da auch hiermit Bewertungskosten des Kunden reduziert werden.899 Insoweit kann angenommen werden, dass die Bereitschaft eines Kunden zur Bindung an einen Anbieter steigt, wenn dieser die Transaktionskosten des 896
Vgl. Dutta/Zbaracki/Bergen (2003), S. 627.
897
Vgl. Schuppar (2006), S. 51.
898
Vgl. Hallén/Johanson/Seyed-Mohamed (1991), S. 30.
899
Vgl. Bonnemeier (2008), S. 377; Burianek et al. (2008), S. 493.
182
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Nachfragers senken kann. Ein solcher positiver Einfluss der Preisgestaltung auf die Beschaffungsunsicherheit des Kunden konnte bereits empirisch gezeigt werden.900 Weiterhin spielt wie im Bereich der Wertschaffung die Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Kunde auch für die Erfolgswirksamkeit des Preismanagements eine maßgebliche Rolle. Bringen die Nachfrager dem Anbieter ein hohes Maß an Vertrauen entgegen und verhalten sich diesem gegenüber loyal, ist davon auszugehen, dass sie wegen der niedrigeren Kaufunsicherheit weniger intensiv Preisvergleiche vornehmen werden.901 Dies stärkt die Position des Anbieters in Preisverhandlungen, begünstigt die externe Preisdurchsetzung und ermöglicht so eine höhere Profitabilität der Geschäftsabschlüsse. Verschiedene Untersuchungen haben bereits ergeben, dass das Preismanagement die Beziehungsqualität zum Kunden stärken kann.902 Dadurch, dass die Herausbildung spezieller Preisressourcen und -kompetenzen eine bessere Ausrichtung an den Zahlungsbereitschaften des Nachfragers erlaubt, wird das Preis-Nutzen-Verhältnis aus Sicht des Kunden gesteigert. Diesen Effekt verstärken außerdem die gerade im Lösungsgeschäft bedeutsamen Routinen und Systeme für lebenszyklusorientiertes Pricing, die ein ausgewogenes Preis-Nutzen-Verhältnis über den gesamten Zeithorizont einer Geschäftsbeziehung herstellen sollen. Insgesamt sollte sich aufgrund der genannten Aspekte eine höhere Profitabilität, Wachstum und ein verbessertes finanzielles Gesamtergebnis einstellen: H2: Die organisationale Preiskompetenz eines Anbieters wirkt sich positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg aus. Ergänzend zu den Hypothesen H1 und H2 ist entsprechend der Aufteilung der Erfolgsgröße grundsätzlich von einer positiven Wirkung des Markterfolgs auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens auszugehen. Diese Annahme wird durch zahlreiche Arbeiten gestützt, die sich mit der Erfolgswirksamkeit von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung auseinandersetzen und dabei zeigen, dass diese Bestandteile des Markterfolgs (vgl. Abbildung 12) einen positiven Zusammenhang zum wirtschaftlichen Erfolg aufweisen.903 Auch die hier vermutete, insgesamt positive Wirkung des Markterfolgs auf den wirtschaftlichen Erfolg konnte bereits mehrfach empirisch belegt werden.904 Ein positiver Zusammenhang zwischen Markterfolg und 900
Vgl. Hünerberg/Hüttmann (2003), S. 727; Hüttmann (2003), S. 177.
901
Vgl. Schuppar (2006), S. 51.
902
Vgl. Anderson/Simester (2001), S. 325f.; Diller (2000), S. 584f.; Herrmann/Bauer (1996), S. 688f.; Jacobs/Worthley/Keown (1984), S. 68ff.
903
Vgl. u.a. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 61; Fornell (1992), S. 8f.; Rust/Zahorik (1993), S. 206.
904
Vgl. Day/Wensley (1988), S. 13; Homburg/Hoyer/Fassnacht (2002), S. 95; Homburg/Pflesser (2000b), S. 457; Reinartz/Krafft/Hoyer (2003), S. 26.
6.1 Konzeption der Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung
183
wirtschaftlichem Erfolg kann außerdem auf Basis der PIMS-Studie angenommen werden, in der ein hoher Marktanteil als entscheidender Treiber für die Profitabilität identifiziert wurde.905 In Kombination mit den vorangegangenen Ausführungen wird als weitere Hypothese in diesem ersten Block demnach formuliert: H3: Der Markterfolg wirkt sich positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg aus. 6.1.3
Gemeinsame Erfolgswirkung von Wertschaffung und Wertaneignung
Bei der Ableitung des theoretischen Bezugsrahmens in Kapitel 2.3.3 wurde auf den zentralen Trade-off bei der Strategiewahl bezüglich der Ressourcenallokation zwischen Wertschaffung und Wertaneignung hingewiesen.906 Im Hinblick auf den Zusammenhang von Lösungs- und Preiskompetenz mit dem Unternehmenserfolg steht dabei die Frage im Raum, ob sich die beiden Dimensionen in einer substitutiven oder komplementären Beziehung zueinander verhalten. Auf strategischer Ebene ist das Management dabei angesichts eines beschränkten Ressourcenpools mit der Entscheidung konfrontiert, ob Investitionen von finanziellen, mitarbeiterbezogenen und organisationalen Ressourcen in den Aufbau von Lösungskompetenz oder den Aufbau von Preiskompetenz eine größere Erfolgswirksamkeit zeigen. Im Fall einer komplementären Beziehung würden Investitionen in eine Aktivität zugleich den Beitrag der anderen Aktivität zum Unternehmenserfolg steigern, im Substitutions-Fall entsprechend senken. Aus theoretischer Sicht finden sich Hinweise, die beide Zusammenhänge plausibel erscheinen lassen. In der Literatur wird gemeinhin argumentiert, dass Unternehmen ihre Ressourcen in erster Linie einsetzen, um Wert für die Kunden zu schaffen und sich auf diese Weise einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten.907 Das Preismanagement wird dabei empirischen Untersuchungen zufolge von Managern häufig als weniger bedeutend angesehen und üblicherweise maximal als zweitwichtigstes Marketing-Mix-Instrument nach dem Produkt bzw. der Produktqualität wahrgenommen908. In der Marketing-Literatur vertritt beispielsweise Rao (1984) die Ansicht, dass Pricing das einzige Marketing-Mix-Instrument sei, welches nur Erträge generiere, aber keine Ausgaben erfordere.909 Auch in der Strategie-Forschung betonen McGee/Thomas (1989), dass eine Untersuchung des Preismanagements weniger fruchtbar sei als die Analyse des Einflusses bestimmter Unternehmens905
Vgl. Buzzell/Gale (1987), S. 45.
906
Vgl. Dutta et al. (2002), S. 66; Mizik/Jacobson (2003), S. 63; Ritson et al. (2002), S. 4.
907
Vgl. etwa Hunt/Morgan (1995), S. 6; Priem (2007), S. 220.
908
Vgl. u.a. Myers (1997), S. 281; Pass (1971), S. 96f.; Piercy (1981), S. 292; Udell (1964), S. 45; Udell (1968), S. 35; Udell (1972), S. 43.
909
Vgl. Rao (1984), S. 39.
184
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
charakteristika auf die Wettbewerbskräfte im Markt.910 Insgesamt können diese Standpunkte als Denkhaltung interpretiert werden, wonach Investitionen in das Preismanagement zu Lasten anderer Unternehmensaktivitäten wie der Sicherung kontinuierlicher Produktqualität und damit letztlich des Unternehmenserfolges gehen. In diesem Sinne führen bspw. die Durchführung von Preistrainings oder Investitionen in IT-Unterstützung für die Preisdurchsetzung dazu, dass die dafür aufgewendeten Ressourcen nicht mehr für Aktivitäten in der Wertschaffung zur Verfügung stehen. Analog lässt sich diese substitutive Beziehung auch aus Sicht des Preismanagements bei Investitionen im Bereich der Wertschaffung darstellen. Daher werden für einen Substitutions-Zusammenhang folgende Hypothesen formuliert: H4a: Die Herausbildung organisationaler Lösungskompetenz hat einen negativen Einfluss auf die Herausbildung von organisationaler Preiskompetenz. H4b: Die Herausbildung organisationaler Preiskompetenz hat einen negativen Einfluss auf die Herausbildung von organisationaler Lösungskompetenz. H4c: Lösungs- und Preiskompetenz verhalten sich als Substitute in Bezug auf den Zusammenhang zum Unternehmenserfolg. Ebenso finden sich aber auch verschiedene Belege für einen komplementären Zusammenhang der beiden Dimensionen. In Abschnitt 6 wurden beim Wandel zum Lösungsanbieter Ressourcenüberschüsse („spillovers“) als Erfolgsfaktor angeführt.911 Derartige synergetische Effekte können auch bei der Ressourcenallokation zwischen Wertschaffung und Wertaneignung entstehen. So kann angenommen werden, dass eine prozessorientierte Organisationsgestaltung in einer der beiden Dimensionen die Wissensintegration im Unternehmen insgesamt steigert. Interaktionsförderliche, flache Hierarchien ohne funktionale Beschränkungen und viele vertikale Schnittstellen tragen dazu bei, dass der Wissensaustausch in der Organisation generell gesteigert werden kann und Lerneffekte sich nicht allein auf das Preismanagement oder das Lösungsgeschäft beschränken. Auch Informationsund Kommunikationssysteme können maßgeblich zur Kombination von personengebundenem und -ungebundenem Wissen und insofern zur Ausschöpfung der bestehenden Wissensbasis im Unternehmen beitragen.912 Dies erfolgt dabei prinzipiell losgelöst davon, ob die Investitionen spezifisch in der Wertschaffung oder der Wertaneignung getätigt wurden. In Bezug auf die monetären Effekte des CrossSellings bei Lösungsangeboten wurde in Abschnitt 6.1.1 argumentiert, dass ein Anbieter durch Cross-Selling im Verhältnis zu den Kosten überproportionale 910
Vgl. McGee/Thomas (1989), S. 105.
911
Vgl. Markides/Williamson (1994), S. 151; Markides/Williamson (1996), S. 344.
912
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 118; Powell/Dent-Micallef (1997), S. 375ff.; Segars/Grover (1996), S. 384.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
185
Umsatzsteigerungen erzielen kann.913 Diese sind dabei u.a. auf einen Preiseffekt zurückzuführen, der eintreten kann, wenn der Anbieter durch das integrierte und kundenindividuelle Lösungsangebot einen Transaktionspreis erzielt, der über der Summe der Einzelpreise liegt.914 In diesem Sinn steigern Wertschaffungsaktivitäten komplementär den Ertrag in der Wertaneignung. Hinweise für eine komplementäre Beziehung in entgegengesetzter Richtung haben sich bei den Experteninterviews in Abschnitt 5.5.2 ergeben. Die befragten Lösungsanbieter hatten hier zum einen argumentiert, dass transparente Preisparameter bei innovativen Erlösmodellen die frühen Prozessphasen der Lösungsvermarktung unterstützen können. Zum anderen weisen die Experten darauf hin, dass eine lebenszyklusorientierte Preisplanung sich positiv auf die Weiterentwicklung künftiger Lösungsangebote beim Kunden auswirkt. Für den Komplementaritäts-Zusammenhang ergeben sich aus diesen Ausführungen abschließend folgende Hypothesen: H5a: Die Herausbildung organisationaler Lösungskompetenz hat einen positiven Einfluss auf die Herausbildung von organisationaler Preiskompetenz. H5b: Die Herausbildung organisationaler Preiskompetenz hat einen positiven Einfluss auf die Herausbildung von organisationaler Lösungskompetenz. H5c: Lösungs- und Preiskompetenz verhalten sich als Komplemente in Bezug auf den Zusammenhang zum Unternehmenserfolg. 6.2
Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
Die theoretische Aufarbeitung des Lösungsgeschäftes in Kapitel 4 und die Literaturauswertung zum Preismanagement in Kapitel 5.1 haben ergeben, dass sich zwei Bereiche von Determinanten für die organisationale Ausgestaltung von Wertschaffung und Wertaneignung unterscheiden lassen: Charakteristika des Anbieters selbst und Faktoren der Unternehmensumwelt. In Bezug auf die vorangegangenen Ausführungen zum Unternehmenserfolg lässt sich damit festhalten, dass die Zielerreichung eines Unternehmens davon abhängt, wie gut dieses sich an interne und externe Gegebenheiten anpassen und einen „Fit“ zwischen den Einflussfaktoren und der Organisationsgestaltung herstellen kann.915 In den nachfolgenden Abschnitten werden zunächst die externen Determinanten (Kapitel 6.2.1) und anschließend interne Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung identifiziert und Hypothesen abgeleitet (Kapitel 6.2.2).
913
Vgl. Homburg/Schäfer (2002), S. 18.
914
Vgl. Roegner/Seifert/Swinford (2001), S. 94; Sawhney (2006), S. 376; Wilson/Weiss/John (1990), S. 124.
915
Vgl. Kieser (2006), S. 222; Kieser/Walgenbach (2007), S. 216f.; Tosi/Aldag/Storey (1973), S. 27.
186
6.2.1
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Externe Einflussfaktoren
Hinsichtlich der externen Umwelt sind Unternehmen in den vergangenen Jahren mit drei grundlegenden Entwicklungstendenzen konfrontiert, die eine hohe Relevanz für die vorliegende Untersuchung aufweisen: x Die Märkte sind durch immer heterogenere und komplexere Bedürfnisse zunehmend mächtigerer Kunden gekennzeichnet.916 x Eine hohe Wettbewerbsintensität aufgrund fortschreitender Globalisierung führt in vielen Branchen zu einer starken Austauschbarkeit der Leistungsangebote und aggressivem Preiswettbewerb. Verstärkt wird die Entwicklung im B2B-Bereich durch eine stetige Professionalisierung der Einkaufsorganisationen auf Kundenseite und wachsende Preistransparenz durch zunehmend vernetzte Lieferketten.917 x Nachfrager von B2B-Leistungen reagieren ihrerseits auf den wachsenden Marktdruck und die zunehmende technologische Komplexität durch „Downsizing“ über verstärkte Auslagerung von Nicht-Kernaktivitäten und vertikale Desintegration ihrer Wertschöpfungsprozesse.918 Diese Entwicklungen wirken sich auf jedes Unternehmen individuell unterschiedlich aus, jedoch beeinflussen sie grundsätzlich die in Kapitel 2.3.3 diskutierte Strategiewahl zur Bildung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils im Hinblick auf die Ressourcenallokation zwischen Wertschaffung und Wertaneignung. Im ressourcenbasierten Ansatz wurden Umweltfaktoren bislang allerdings kaum beachtet und erst seit wenigen Jahren befassen sich einzelne Arbeiten mit dem Einfluss externer Faktoren auf die Ressourcen des Anbieters.919 Eisenhardt/Martin (2000) erweitern das klassische Dynamisierungskonzept der Kompetenzen nach Teece/Pisano/Shuen (1997) dahingehend, dass solche dynamischen Fähigkeiten für einen überlegenen Wettbewerbsvorteil stets im Einklang mit der Umwelt stehen müssen.920 Strategische Anstrengungen eines Unternehmens (wie der Wandel zum Lösungsanbieter) sind danach zu beurteilen, wie sie Integration, Kombination und Einsatz von Ressourcen und Fähigkeiten im Zeitablauf und im Kontext der Umwelt unterstützen. Grundlage der gesamten Diskussion bilden die Arbeiten von Amit/Shoemaker (1993) und von
916
Vgl. Belz (2001), S. 63; Böcker (1995), S. 50; Shepherd/Ahmed (2000), S. 101; Stremersch/Wuyts/Frambach (2001), S. 2; Stremersch et al. (2003), S. 347; Swift (1995), S. 108.
917
Vgl. Diller (2004b), S. 949; Dolan (1995), S. 174; Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 1; Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 4.
918
Vgl. Davies (2004), S. 731; Oliva/Kallenberg (2003), S. 160; Windahl/Lakemond (2006), S. 808.
919
Vgl. Aragón-Correa/Sharma (2003), S. 72; Barney (2001); Bettis/Hitt (1995), S. 8; Priem (2001); Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273.
920
Vgl. Eisenhardt/Martin (2000), S. 1106.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
187
Black/Boal (1994), in denen der Unsicherheit im Umfeld eines Unternehmens ein wesentlicher Einfluss auf das Management von Ressourcen und Kompetenzen zugesprochen wird.921 Einflussfaktor Kunde Die Literaturaufarbeitung in Kapitel 2.1 und die Konzeptualisierung des Konstruktes Lösungskompetenz in Abschnitt 4.6.2 haben deutlich gemacht, dass im Rahmen der Wertschaffung der Kunde als externer Faktor als wichtige Umweltvariable zu berücksichtigen ist. Aufgrund der für den Anbieter schwer zu quantifizierenden Mitwirkungsfähigkeit und -bereitschaft des Kunden speziell im Zuge der Leistungskonfiguration und -implementierung922 stellen die Abnehmer einen wichtigen Unsicherheitsfaktor im genannten Sinne dar. Eine solche Überlegung ist konsistent mit der Literatur aus dem Bereich „Value Co-Creation“.923 In diesem Zusammenhang betonen Hax/Wilde (1999), dass die Ausrichtung auf individuelle Kundenlösungen eine strategische Option darstellt, um kontinuierlich auf Veränderungen der Umwelt zu reagieren.924 In diesem Sinn haben die Kunden Einfluss auf das Leistungsprogramm des Anbieters, da eine Ausrichtung auf die komplexen Problemstellungen der Umwelt und die Forderung nach einem „Fit“ mit den individuellen Kundenbedürfnissen ein umfassendes Portfolio mit vielen Individualisierungsmöglichkeiten erfordern.925 Die Kunden lassen sich auf Basis der Informationsökonomik auch als Unsicherheitsfaktor bezogen auf das Preismanagement in der Wertaneignung auffassen: Der Anbieter hat bezogen auf Präferenzen und Zahlungsbereitschaften der Abnehmer üblicherweise ein Informationsdefizit. Gerade bei größeren Kunden oder beim Angebot spezifischer Lösungsangebote, für die kein Marktpreis existiert, müssen Preise individuell verhandelt werden. Dem Vertrieb kommt hier die Aufgabe zu, die angepeilten Preise zu verteidigen,926 weil besonders mächtige Kunden, bspw. im Automobilbereich, Drohpotenziale entfalten927 und verschiedene Anbieter leicht gegeneinander ausspielen können. 928 Dies führt zu hoher Unsicherheit über die
921
Vgl. Amit/Schoemaker (1993), S. 33 und S. 40f.; Black/Boal (1994), S. 132ff.
922
Vgl. Abschnitt 4.2 und 4.6.2.
923
Vgl. Bendapudi/Leone (2003); Dahlgren/Söderlund (2001); Vargo/Lusch (2004a).
924
Vgl. Hax/Wilde (1999), S. 12.
925
Vgl. Hildebrand (1997), S. 74; Weitz (1981), S. 93.
926
Vgl. Diller (2008), S. 411; Fog (1994), S. 48.
927
Vgl. Abschnitt 5.4.
928
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 54.
188
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
erwirtschaftbaren Erlöse und damit einer starken Abhängigkeit des Anbieters von seinen Kunden und deren Zahlungsbereitschaft.929 Auf Basis dieser Ausführungen wird zur Beschreibung des externen Einflusses von Kunden in der vorliegenden Arbeit die Variable „Kundenmacht“ berücksichtigt. Diese ist als das Ausmaß definiert, zu dem ein Kunde mächtiger ist als der Anbieter.930 Kundenmacht spiegelt damit einerseits den zuvor beschriebenen Druck der Abnehmer auf die Anbieter wider, mit ihren Leistungen zunehmend komplexere, individuellere Bedürfnisse zu adressieren, höhere Qualität und mehr Dienstleistungen zu liefern.931 Andererseits ist Kundenmacht aufgrund zunehmender Preistransparenz und Konzentrationstendenzen in vielen Branchen mit der Aushandlung hoher Rabatte verbunden. Kunden können dabei bewusst vorhandene Machtpositionen einsetzen, um immer höhere Konditionen von den Anbietern zu fordern.932 Die Herausbildung von Preiskompetenz kann in diesem Fall als Instrument verstanden werden, um sich als Anbieter in solchen Abhängigkeitsbeziehungen zu behaupten und eine angemessene Wertaneignung zu erreichen. Einflussfaktor Wettbewerb Unsicherheit im Umfeld eines Unternehmens entsteht jedoch nicht nur durch die Kunden. Auch Charakteristika und Verhaltensweisen der Wettbewerber können hierzu beitragen und sollen deshalb über die Variable „Wettbewerbsintensität“ berücksichtigt werden. Diese wird in der Marketingstrategie-Literatur als wesentliche Kraft angesehen, die der Fähigkeit eines Anbieters entgegensteht, für sich selbst Nutzen aus der Wertschaffung für den Kunden zu ziehen.933 Rivalität zwischen Anbietern entsteht nach Porter (1998) vor allem dann, wenn sich die Wettbewerber sehr ähnlich sind, die betreffende Branche nur langsam wächst, Kapazitäten ausschließlich in großen Schritten erhöht werden können, strategische Risiken vorherrschen und Marktaustrittsbarrieren hoch sind.934 Über die Variable Wettbewerbsintensität soll daher in der vorliegenden Arbeit erfasst werden, in welchem Umfang Konkurrenten sich durch ihr Verhalten, ihre Ressourcen und Fähigkeiten im Vergleich zum Anbieter differenzieren können.935 Die Literatur zeigt, dass ein Anbieter bei nicht vorhandener oder sehr geringer Wettbewerbsintensität (bspw. im
929
Vgl. Schuppar (2006), S. 47.
930
Vgl. Schuppar (2006), S. 98.
931
Vgl. Christensen/Bower (1996), S. 212; Slater/Narver (1994), S. 49.
932
Vgl. Avlonitis/Indounas (2006), S. 209; Bendl (2000), S. 25; Slater/Narver (1994), S. 49.
933
Vgl. Achrol (1991), S. 80f.; Day/Montgomery (1999), S. 7; Ingenbleek et al. (2003), S. 292.
934
Vgl. Porter (1998), S. 33.
935
Vgl. Jaworski/Kohli (1993), S. 59f.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
189
Monopolfall) selbst dann gute Ergebnisse erzielen kann, wenn er nicht marktorientiert ausgerichtet ist bzw. sein Leistungsangebot nicht optimal an die Bedürfnisse der Kunden angepasst hat.936 Die grundlegende Betrachtung von Wertschaffung und Wertaneignung in den Kapiteln 2.3.1 und 2.3.2 hat gezeigt, dass ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz entsteht, wenn für den Kunden ein höherer Wert geschaffen wird als durch Wettbewerbsangebote,937 d.h. der Kunde Neuartigkeit und Zweckdienlichkeit des Angebotes positiver beurteilt als bei Leistungen anderer Anbieter. Zunehmender Wettbewerb führt dabei dazu, dass den Nachfragern verschiedene Leistungen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zur Verfügung stehen, weshalb Anbieter ohne kundenorientierte Ausrichtung Abnehmer an Konkurrenten verlieren werden.938 Die mikroökonomische Preisforschung weist zudem darauf hin, dass Anbieter in Monopolsituationen im Bereich der Wertaneignung höhere Preise erzielen können, als in einem wettbewerbsintensiven (polypolistischen) Umfeld.939 Die Ausführungen lassen erkennen, dass die in Abschnitt 6.1 konzeptualisierte Erfolgswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung nicht nur von den Anstrengungen des Anbieters abhängen, sondern in hohem Maße auch von Wettbewerbs- und Kundengegebenheiten. So stellt Bendl (2000) im Handelssektor fest, dass hohe Kundenmacht zu verstärkten Preisnachlässen führt.940 Schuppar (2006) findet im Industriegüterbereich u.a. negative Einflüsse von Kundenmacht auf die Preisdurchsetzung und die Absatzmengen sowie einen negativen Einfluss von Wettbewerbsintensität auf die Profitabilität.941 Slater/Narver (1994) ermitteln einen signifikant negativen Effekt von Kundenmacht auf den Return on Assets (ROA).942 Um sicherzustellen, dass Erfolgsunterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen tatsächlich auf eine unterschiedliche Ausgestaltung von Wertschaffung und Wertaneignung zurückzuführen sind, werden die beiden Variablen Wettbewerbsintensität und Kundenmacht in die entsprechenden Wirkungsbeziehungen als moderierende Effekte integriert.943 Zur Ableitung der Hypothesen dienen die grundlegenden Aussagen des ressourcenbasierten Ansatzes aus den Abschnitten 3.1.2 und 3.1.3. Demgemäß führt
936
Vgl. Houston (1986), S. 84; Kohli/Jaworski (1990), S. 14.
937
Vgl. Sirmon/Hitt/Ireland (2007), S. 273.
938
Vgl. Jaworski/Kohli (1993), S. 57.
939
Vgl. Krelle (1976b), S. 562; Siems (2009), S. 136f.
940
Vgl. Bendl (2000), S. 187f.
941
Vgl. Schuppar (2006), S. 149.
942
Vgl. Slater/Narver (1994), S. 52.
943
Vgl. für eine Erklärung von moderierenden Effekten Baron/Kenny (1986), S. 1174ff.
190
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
verschärfter Wettbewerb dazu, dass Anbieter ohne wertvolle, schwer imitierbare Ressourcen schlecht abschneiden oder sogar vollständig aus dem Markt gedrängt werden. In der Literatur wird dabei argumentiert, dass in reiferen und wettbewerbsintensiveren Märkten eine ressourcenbasierte Wettbewerbsdifferenzierung immer wichtiger wird.944 Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass die in Abschnitt 6.1.1 angesprochenen Synergie- und Einspareffekte aus Ressourcen- und Wissensüberschüssen im Lösungsgeschäft sowie die intensiveren Kundenbeziehungen eine zunehmend bedeutendere Rolle spielen, je mehr Wettbewerbsintensität vorherrscht.945 Bei steigendem Wettbewerbsdruck müssen Unternehmen zur Wertschaffung für den Kunden umso mehr dessen individuelle Bedürfnisse adressieren und im Wettbewerbsvergleich leistungsfähigere Lösungsangebote konzipieren und erbringen. Genau darauf zielt der Faktor Lösungskompetenz ab (vgl. Abschnitt 2.3.1), weshalb sich daraus folgende Hypothese ergibt: H6: Der positive Einfluss organisationaler Lösungskompetenz auf den Markterfolg ist umso stärker, je höher die Wettbewerbsintensität ist. Analog kann für die Wertaneignung argumentiert werden. Unternehmen ohne wertvolle und schwer imitierbare Preisressourcen erzielen bei der Wertaneignung im Wettbewerbsvergleich unterdurchschnittliche Ergebnisse und können keine überlegenen Renten erwirtschaften. Tangible und intangible Preisressourcen, wie spezifisches Preiswissen in der Organisation oder Routinen, Mechanismen und Systeme zur Ableitung von Preisstrategien und der Preisdurchsetzung, werden umso bedeutender, je mehr die Wettbewerbsintensität zunimmt. Wie die Literaturbestandsaufnahme in Kapitel 5.1.2 gezeigt hat, führt intensiver Wettbewerb zu preisaggressivem Verhalten im Markt und Anbieter müssen verstärkt auf Preisaktionen der Wettbewerber reagieren.946 Demzufolge gewinnt der Aufbau von Preiskompetenz, welche die Ermittlung preisbezogener Wettbewerbsinformationen, eine flexiblere Preissetzung und eine bessere Ausrichtung der Transaktionspreise an den Zahlungsbereitschaften der Kunden ermöglicht, mit steigender Wettbewerbsintensität an Bedeutung.947 Dies führt zu folgender Hypothese: H7: Der positive Einfluss organisationaler Preiskompetenz auf den wirtschaftlichen Erfolg ist umso stärker, je höher die Wettbewerbsintensität ist.
944
Vgl. Hunt/Morgan (1995), S. 7.
945
Vgl. Kumar/Subramanian/Yauger (1998), S. 210.
946
Vgl. Diamantopoulos/Mathews (1995), S. 76f.; Morris/Avila/Pitt (1997), S. 5.
947
Einen solchen moderierenden Effekt nimmt auch Schuppar (2006), S. 160, an und kann diesen in Bezug auf einzelne Erfolgsgrößen des Preismanagements zeigen (vgl. Schuppar (2006), S. 162). Eine theoretische Herleitung der Hypothese bleibt jedoch aus.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
191
In der Variable Kundenmacht manifestiert sich die Abhängigkeit eines Unternehmens von seinen Abnehmern in dem Maße, wie diese kontinuierlich niedrigere Preise oder bessere Wertangebote fordern.948 Der Umgang mit einer solchen Abhängigkeit von externen Interessensgruppen kann einerseits durch passives Erfüllen der Forderungen oder durch aktives Vermeiden der Abhängigkeit erfolgen.949 Eine passive Erfüllung von Forderungen kann dabei auf lange Sicht den Unternehmensbestand gefährden.950 Beispielhaft kann sich Kundenmacht im Bereich der Wertschaffung in der Kundenforderung zur Übernahme risikobehafteter Wertschöpfungsprozesse durch den Anbieter äußern. Der Zwang zur Erbringung unentgeltlicher Teilleistungen oder die Durchsetzung von Preisnachlassforderungen sind Beispiele für Auswirkungen von Kundenmacht in der Wertaneignungsdimension. Die Übernahme der risikobehafteten Wertschöpfungsaktivitäten aus der Kundendomäne und die Gewährung eines geforderten Preisnachlasses würden in diesem Sinn eine passive Erfüllung der Forderungen darstellen. Im Falle geringer oder negativer Margen als Resultat eines solchen Verhaltens gefährdet der Anbieter seinen Unternehmenserfolg und letztlich sein Überleben. Verhindert werden kann dies durch ein aktives Vermeiden der Abhängigkeit in Form einer proaktiven Umweltgestaltung und der aktiven Beeinflussung der entsprechenden Interessensgruppen.951 In der Literatur werden dazu als „bridging strategies“ bezeichnete Maßnahme vorgeschlagen, die Kooperationen und Wechselbeziehungen zwischen den Akteuren der beteiligten Parteien intensivieren.952 Darunter lassen sich die im vorliegenden Kontext bereits als erfolgswirksam diskutierten, intensiven und vertrauensvollen Kundenbeziehungen verstehen. Wie zuvor gezeigt wurde, trägt der Aufbau von Lösungs- und Preiskompetenz zur Ausgestaltung solcher Beziehungen bei und kann als Instrument zur aktiven Beeinflussung der Abhängigkeit eines Anbieters von seinen Kunden angesehen werden. Diese Abhängigkeit wird umso größer, je mächtiger die Kunden relativ zum Anbieter werden. Insofern ist davon auszugehen, dass der Aufbau von Lösungskompetenz zur Wertschaffung sowie von Preiskompetenz zur Wertaneignung mit steigender Kundenmacht an Bedeutung gewinnt, damit der langfristige Unternehmenserfolg und somit das Überleben der Organisation gesichert werden kann. Einschränkend ist anzumerken, dass Kossmann (2008) in seiner qualitativen Expertenstudie zur Prozessorientierung des Pricings Hinweise darauf
948
Vgl. Narver/Slater (1990), S. 28.
949
Vgl. Pfeffer (1978), S. 133ff.
950
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 95.
951
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 2.
952
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 45; Scott (1992), S. 197ff.
192
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
findet, dass hohe Kundenmacht Überlegungen zur Professionalisierung des Preismanagements obsolet werden lässt.953 Es kann jedoch vermutet werden, dass in solchen Unternehmen das Ertragspotenzial von Preiskompetenz insgesamt unterschätzt wird954 und professionelles Preismanagement gerade auch bei hoher Kundenmacht erfolgsrelevant ist.955 Als Hypothesen für die moderierenden Effekte von Kundenmacht auf die Erfolgsgrößen werden daher formuliert: H8: Der positive Einfluss organisationaler Lösungskompetenz auf den Markterfolg ist umso stärker, je höher die Kundenmacht ist. H9: Der positive Einfluss organisationaler Preiskompetenz auf den wirtschaftlichen Erfolg ist umso stärker, je höher die Kundenmacht ist. 6.2.2
Interne Einflussfaktoren
Neben externen Determinanten wird die Ausgestaltung der Prozesse und Routinen in Wertschaffung und Wertaneignung sowie deren Erfolgswirksamkeit von verschiedenen organisationsinternen Variablen beeinflusst. In den Kapiteln 4.4 und 4.5 wurden hierzu für das Lösungsgeschäft auf Basis des „Star Models“ von Galbraith und der Ressourcen-Klassifikation von Hunt/Morgan (1995) die Dimensionen „Unternehmenskultur“ und „Human-Resource-Management“ als bedeutend erkannt.956 Der herausgehobene Einfluss dieser beiden Faktoren wird auch in verschiedenen Arbeiten zu dienstleistungsorientierten Geschäftsstrategien von Industrieunternehmen betont.957 Wie die Literaturaufarbeitung zum Preismanagement in Kapitel 5.1 gezeigt hat, finden sich in der Wertaneignungsdimension dagegen noch kaum Hinweise auf interne Einflussfaktoren. Einzelne neuere Arbeiten unterstreichen aber die Bedeutung der preisbezogenen Mitarbeiterführung und die Etablierung einer „Preiskultur“ im Unternehmen.958 Auch die Erkenntnisse der explorativen empirischen Untersuchungen in den Bereichen Wertschaffung und
953
Vgl. Kossmann (2008), S. 335.
954
Vgl. Kossmann (2008), S. 336.
955
Diesen Effekt vermutet auch Schuppar (2006), S. 160, und kann ihn in Bezug auf einzelne Erfolgsgrößen des Preismanagements zeigen (vgl. Schuppar (2006), S. 162). Eine theoretische Diskussion der Hypothese nimmt der Autor jedoch nicht vor.
956
In der Literatur werden Personalführung und Unternehmenskultur bei Ahlert et al. (2008), S. 21f.; Günther (2001), S. 42f.; Homburg/Faßnacht/Günther (2002b), S. 490; Kühlborn (2004), S. 50f., in Anlehnung an die Unternehmensführungsteilsysteme nach Weber (1995), S. 33ff., ebenfalls als zentrale Einflussfaktoren in diesem Kontext identifiziert. Siehe hierzu speziell die Diskussion in Abschnitt 4.5.
957
Vgl. Bowen/Siehl/Schneider (1989), S. 82; Homburg/Faßnacht/Günther (2002a), S. 497f.; Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 24; Mathe/Shapiro (1993), S. 28f.
958
Vgl. Diller (2008), S. 454ff.; Dutta et al. (2002), S. 64f.; Kossmann (2008), S. 169ff.; Simon/Fassnacht (2009), S. 368ff.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
193
Wertaneignung deuten auf die Relevanz solcher „weicher“ Faktoren hin. Eine in der Organisation breit verankerte Kultur gibt den Mitarbeitern einerseits Orientierung durch gemeinsame Werte, Normen und Artefakte, während andererseits Personalführungsmaßnahmen die Mitarbeiter zur Erfüllung ihrer Aufgaben in den Lösungs- und Preisprozessen befähigen, motivieren und steuern.959 Auf dieser Basis werden in der vorliegenden Arbeit das Personalführungssystem und die Unternehmenskultur als strategisch relevante, intangible Ressourcen betrachtet, die die Ausgestaltung von Wertschaffung und Wertaneignung beeinflussen. Anhand der Experteninterviews im Rahmen des Preismanagements wird übereinstimmend mit neuerer Literatur960 als dritter Einflussfaktor der Wertaneignung zudem die informationstechnologische Unterstützung des Preismanagements einbezogen. Hinsichtlich des Einsatzes von Informationstechnologie im Bereich der Wertschaffung ergeben sich aus den durchgeführten Experteninterviews keine expliziten Hinweise. Auch in der Literatur stellen Konzepte zur systematischen ITUnterstützung von Lösungsprozessen derzeit noch die Ausnahme dar,961 weshalb aktuell von einer geringen Umsetzungstiefe in der Praxis ausgegangen werden kann. Auf eine weitergehende Untersuchung von IT-Systemen im Bereich der Wertschaffung wird daher verzichtet.962 Die übrigen drei Einflussfaktoren werden nun im Einzelnen diskutiert. 6.2.2.1
Human Resources
Arbeiten aus dem Bereich des Strategic Human-Resource-Management (SHRM) befassen sich mit der Abstimmung der Personalressourcen mit der Gesamtstrategie, sodass ein Unternehmen seine strategisch gesetzten Ziele erreichen kann.963 Das SHRM wurde in seiner Entwicklung maßgeblich durch den ressourcenbasierten Ansatz beeinflusst, dessen wachsende Akzeptanz dazu geführt hat, dass in der Strategieliteratur der Faktor Mensch in das Blickfeld gerückt ist und als erfolgsentscheidende Größe anerkannt wird.964 Bei einer detaillierten Betrachtung des Forschungsfeldes wird die zentrale Rolle sogenannter „HR Practices“ in diesem
959
Vgl. Diller (2008), S. 455; Heinen/Dill (1990), S. 17; Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 29; Kossmann (2008), S. 170; Schein (1985), S. 9ff.
960
Vgl. Diller (2008), S. 443; Diller/Kossmann (2007), S. 84; Dutta et al. (2002), S. 64f.; Kossmann (2008), S. 157ff.; Ritson et al. (2002), S. 12ff.; Simon/Fassnacht (2009), S. 400.
961
Vgl. Böhmann/Langer/Schermann (2008), S. 206.
962
Daraus lässt sich bereits an dieser Stelle Bedarf für zukünftige Forschung konstatieren, die gezielt die informationstechnologische Unterstützung des Lösungsgeschäftes behandeln sollte (vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 8.2.2).
963
Vgl. Becker/Huselid (2006), S. 899; Boxall (1996), S. 76; Huselid/Jackson/Schuler (1997), S. 172; Schuler (1992), S. 18; Wright/Dunford/Snell (2001), S. 701; Wright/McMahan (1992), S. 298.
964
Vgl. Wright/Dunford/Snell (2001), S. 702.
194
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Konzept deutlich. Das SHRM verfolgt zum einen das Ziel, HR-Maßnahmen so zu gestalten, dass sie zu einer erfolgreichen Umsetzung der Gesamtstrategie beitragen. Zum anderen müssen die einzelnen Maßnahmen untereinander abgestimmt werden, um negative Wechselwirkungen zu vermeiden und Synergien ausnutzen zu können. Wright/McMahan (1992) sprechen hierbei von der vertikalen bzw. horizontalen Dimension des SHRM-Ansatzes.965 Lado/Wilson (1994) untersuchen HR-Praktiken nach den in Abschnitt 3.1.2 beschriebenen VRIN-Kriterien für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil und kommen zu dem Ergebnis, dass einzelne HR-Aktivitäten keinen Wettbewerbsvorteil generieren können, da sie allgemein bekannt sind.966 Eine Kombination mehrerer HR-Maßnahmen hingegen kann aufgrund komplementärer Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Maßnahmen einzigartig, synergetisch, kausal unklar und/oder immobil sein. Dadurch wird diese Kombination von HRAktivitäten für Wettbewerber nicht-imitierbar und hat somit das Potenzial, die Herausbildung eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils zu unterstützen.967 Boxall (1996) schlägt vor, den Beitrag des SHRMs zum Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens hinsichtlich dem „human capital advantage“ und dem „human process advantage“ zu unterscheiden. Ersteres bezieht sich auf den Pool an qualifizierten Mitarbeitern, die das Unternehmen für sich gewinnen und in der Organisation halten kann. Unter „human process advantages“ versteht der Autor kausal unklare, komplexe und historisch entwickelte Prozesse, die nur schwer von Konkurrenten zu imitieren sind.968 Zusammenfassend ergeben sich Wettbewerbsvorteile auf Basis des SHRMs also dadurch, dass bessere Mitarbeiter in Organisationen mit besseren Prozessen eingesetzt werden.969 Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit besteht der Einfluss des Personalmanagements darin, dass ein für Vermarktung und Pricing von Lösungsangeboten geeigneter Mitarbeiterpool aufgebaut und diese Mitarbeiter in Lösungs- und Preisprozessen optimal eingesetzt werden. Dies geschieht über den gezielten und aufeinander abgestimmten Einsatz von HR Practices. Abbildung 13 zeigt einen Überblick der SHRM-Komponenten, die dem Verständnis von Boxall (1996) sehr nahe kommen. Neben den Fähigkeiten und dem Wissen der Mitarbeiter („human capital pool“), ist ihr ziel- und unternehmenskonformes Handeln als Individuum und im Team („employee relationships and behaviors“) für den Erfolg
965
Vgl. Wright/McMahan (1992), S. 298.
966
Vgl. Boxall (1996), S. 82.
967
Vgl. Lado/Wilson (1994), S. 717f. Hierzu auch Schuler/MacMillan (1984), S. 251ff.; Snell/Youndt/Wright (1996), S. 80; Ulrich (1991), S. 134ff.
968
Vgl. Boxall (1996), S. 81.
969
Vgl. Boxall (1996), S. 82.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
195
des Unternehmens im Rahmen des SHRMs von zentraler Bedeutung.970 Auch dieses Modell zeigt den besonderen Einfluss der HR Practices für die Ausgestaltung von Wertschaffung und Wertaneignung. Sie ermöglichen es dem Unternehmen, kontinuierlich einen Wettbewerbsvorteil zu generieren, indem durch wechselnde HRMaßnahmen Einfluss auf den Mitarbeiterpool und deren Verhalten genommen werden kann.
Human Capital Pool
Employee Relationship & Behavior
HR Practices Organizational Planning Selection
Communication Development
Appraisal Rewards
971
Abbildung 13 Modell von SHRM-Komponenten
Für die Klassifizierung von HR Practices finden sich in der Literatur verschiedene Ansätze, wobei sich die Maßnahmen im Wesentlichen den folgenden sechs Kategorien zuordnen lassen: (1) „Organizational Planning“, (2) „Selection“, (3) „Communication“, (4) „Development“, (5) „Appraisal“ und (6) „Rewards“.972 „Organizational Planning“ ist der Überbegriff für Maßnahmen, welche die Organisation formen und gliedern und damit die Struktur, das Berichtswesen und die Verantwortlichkeiten regeln.973 Unter den Punkt „Selection“ fallen alle HR Practices, bei denen es um Einstellung, Beförderung oder Entlassung von Mitarbeitern aller Organisationsebenen geht.974 „Communication“ umfasst Maßnahmen zum Informationsfluss zwischen der Führungsebene und den Angestellten. Die Angestellten müssen ausreichende Informationen erhalten, warum bestimmte Aufgaben zu erledigen sind. Sie müssen aber auch die Möglichkeit bekommen, ihre
970
Vgl. Wright/Dunford/Snell (2001), S. 704f.
971
In Anlehnung an Wright/Dunford/Snell (2001), S. 705.
972
Vgl. Ulrich (1991), S. 136ff.
973
Vgl. Ulrich (1991), S. 136f.
974
Vgl. Ulrich (1991), S. 137.
196
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Meinungen und Bedenken frei zu äußern.975 Aktivitäten, die der Qualifizierung und Motivation der Mitarbeiter dienen, werden unter dem Bereich „Development“ subsumiert.976 Praktiken, bei denen es um Zielerreichungs-, Beurteilungs- und Feedbacksysteme geht, fallen in die Kategorie „Appraisal“.977 Alle Maßnahmen aus den Bereichen Entlohnung und Incentivierung, die Mitarbeiter zur Zielerreichung motivieren, können der Gruppe „Rewards“ zugeordnet werden.978 In der Literatur wird vielfach darauf hingewiesen, dass Mitarbeiter eine Schlüsselrolle für die Implementierung einer dienstleistungsorientierten Strategieausrichtung einnehmen.979 Investitionen in Humankapital in Form von kundenorientiertem und hoch qualifiziertem Personal speziell für das Lösungsgeschäft erlangen große Bedeutung, da Mitarbeiter mit unmittelbarem Kundenkontakt durch persönliche Interaktion den Wertbeitrag der Lösung transparent machen und so die Unsicherheit des Kunden aktiv reduzieren können.980 Beiträge, die sich explizit mit dem Einsatz von HR Practices im Lösungsgeschäft auseinandersetzen, existieren nach Wissen des Autors jedoch nicht. Behelfsweise muss deshalb auf Arbeiten aus dem verwandten Systemgeschäft (vgl. Abschnitt 2.1.3) und zur Dienstleistungsorientierung von Industriegüterunternehmen zurückgegriffen werden, in denen vergleichbare Aspekte diskutiert werden. Außerdem wird Literatur herangezogen, die Einzelaspekte bspw. hinsichtlich der Vergütung oder der Kundenorientierung der Mitarbeiter diskutiert. Das Lösungsgeschäft stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter hinsichtlich deren Kundenproblem-Verständnisses. Anstelle von ausschließlich technischem Know-How gewinnt Wissen bezüglich der Wertsteigerung für den Kunden an Bedeutung.981 Zerr (1994) fordert deshalb eine stärkere Dienstleistungsorientierung des Personals.982 Zudem wird in diesem Kontext auf Herausforderungen bei der Rekrutierung von Mitarbeitern hingewiesen. Um den verschiedenen Anforderungen des Lösungsgeschäftes Rechnung zu tragen, lässt sich mit Heinz (1996) die Forderung nach einer verstärkten Rekrutierung von
975
Vgl. Ulrich (1991), S. 139; Way (2002), S. 769.
976
Vgl. Ulrich (1991), S. 136ff.; Way (2002), S. 769.
977
Vgl. Ulrich (1991), S. 138f.
978
Vgl. Ulrich (1991), S. 136ff.; Way (2002), S. 768.
979
Vgl. Böcker (1995), S. 225; Homburg/Faßnacht/Günther (2002a), S. 493f.; Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 24; Nippa/Wienhold/Piezonka (2007), S. 2; Page/Siemplenski (1983), S. 98.
980
Vgl. Engelhardt (1990), S. 284; Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 29f.; Kaas (1995a), Sp. 976f.; Ramani/Kumar (2008), S. 28f.; Stock (2003), S. 80. Siehe hierzu auch Abschnitt 4.2.
981
Vgl. Belz et al. (1991), S. 107.
982
Vgl. Zerr (1994), S. 117.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
197
Mitarbeitern aus verschiedenen Branchen und Fachgebieten aufstellen.983 Mit Ihrem Ruf nach Veränderungen bei der Aus- und Weiterbildung heben Günter (1979) und Zerr (1994) einen weiteren wichtigen Aspekt der Personalführung gemäß der hier betrachteten HR Practices hervor.984 Zerr (1994) sieht dabei den entscheidenden Schulungsinhalt in der Bedarfsforschung beim Kunden, wohingegen sich Günter (1979) dafür ausspricht, durch die Schulungsinhalte ein breiter orientiertes KnowHow zu vermitteln. Verschiedene Autoren weisen zudem auf die Bedeutung einer dienstleistungs- bzw. lösungsbezogenen Anpassung von Anreiz- und Vergütungssystemen hin.985 Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass zwischen den Anstrengungen eines Anbieters beim Einsatz von Praktiken des Personalmanagements und seinen Fähigkeiten im Lösungsgeschäft ein positiver Zusammenhang besteht. Praktiken zur Rekrutierung/Einstellung und zur Aus- und Weiterbildung sorgen dafür, dass die im Lösungsgeschäft notwendigen Mitarbeiterfähigkeiten entwickelt werden. Der Einfluss von Anreiz- und Vergütungssystemen (leistungsabhängige Entlohnung) auf das Verhalten von Vertriebsmitarbeitern wurde in der Literatur schon vielfach untersucht,986 auch im Zusammenhang der für das Lösungsgeschäft bedeutsamen, funktionsübergreifenden Teamstrukturen.987 Die Autoren fanden dabei einen nichtlinearen, monoton fallenden Zusammenhang zwischen einer erfolgsabhängigen Vergütung und der Qualität des Ergebnisses der Teamarbeit.988 Ebenso wurde auch die Wirkung von Vergütungssystemen auf die im Lösungsgeschäft bedeutsame Kundenorientierung von Vertriebsmitarbeitern bereits verschiedentlich in der Literatur thematisiert.989 Ausgangspunkt dieser Analysen ist die Annahme, dass sich durch Verankerung kundenorientierter Zielgrößen in den Vergütungssystemen die Kundenorientierung der Mitarbeiter steigern lässt. 990 Entsprechend den ressourcen-theoretischen Ausführungen von Boxall (1996) zum SHRM ist deshalb davon auszugehen, dass Wettbewerbsvorteile dann entstehen, wenn „bessere“ Mitarbeiter in Organisationen mit „besseren“ Prozessen eingesetzt
983
Vgl. Heinz (1996), S. 125.
984
Vgl. Günter (1979), S. 108; Zerr (1994), S. 119.
985
Vgl. Belz et al. (1991), S. 106; Reinartz/Ulaga (2008), S. 95; Stock-Homburg (2008), S. 125; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 10.
986
Vgl. Anderson/Oliver (1987), S. 76ff.; John/Weitz (1989), S. 1ff.; Krafft (1995).
987
Vgl. Sarin/Mahajan (2001), S. 35ff.
988
Vgl. Sarin/Mahajan (2001), S. 43.
989
Vgl. Hauser/Simester/Wernerfelt (1994), S. 327ff.; Homburg/Jensen (2000), S. 55ff.; Sharma (1997), S. 61ff.
990
Vgl. Sharma/Sarel (1995), S. 17.
198
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
werden.991 Durch die genannten HR Practices wird ein Pool von hoch qualifizierten und motivierten Mitarbeitern aufgebaut, die in den Prozessen des Lösungsmanagements optimal eingesetzt werden. Außerdem werden die lösungsbezogene Wissensgenerierung und -integration sowie die interne Koordination im Unternehmen verbessert. Wertschaffung für den Kunden entsteht dabei, wenn die Mitarbeiter über den Einsatz der Praktiken darauf ausgerichtet werden, durch ihre Handlungen (z.B. in Produktion, Vertrieb oder Service), den Nutzungswert des Kunden durch die Lösung zu steigern. Die Untersuchungshypothese in diesem Bereich lautet demnach: H10: Der Einsatz von HR Practices hat einen positiven Einfluss auf die organisationale Lösungskompetenz. Die Ausführungen in den Kapiteln 5.2 und 5.3 haben deutlich gemacht, dass die Mitarbeiter, aufgrund von Informations- und Koordinationsproblemen, auch im Preismanagement vor neue Herausforderungen gestellt werden. Dennoch finden sich kaum Anhaltspunkte in der Literatur für eine geeignete Ausgestaltung des Personalführungssystems in Bezug auf das Pricing. Eine systematische Befähigung der Prozessmitarbeiter zur Erfüllung ihrer Pricing-Aufgaben hat als generelles Ziel die Schaffung von „Preisintelligenz“ der Organisation bzw. einzelner Mitarbeiter.992 Neben einer Weiterbildung „on the job“ kommen dafür Schulungen in Bezug auf fachliches, methodisches, analytisches und interaktionsbezogenes Know-How in Betracht.993 Diese stärken einerseits direkt die Effektivität und Effizienz der Aufgabenerfüllung in den Prozessen, andererseits aber auch indirekt über eine gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit und Motivation durch die Schulungsteilnahme.994 Weitere, für das Preismanagement relevante Praktiken sind aufgabenbezogene Anreizinstrumente, wie Job Enlargement, Job Rotation und Job Enrichment.995 Diese räumen den Mitarbeitern größere Handlungsspielräume ein, dienen der Motivation, der Verbesserung interner Kommunikation und der Verbreitung impliziten Wissens in der Organisation.996 Zusätzliche Anreize zur Steuerung und Motivation der Prozessbeteiligten für eine effektive und effiziente Aufgabenerfüllung im Pricing bietet die Ausgestaltung der Leistungsvergütung. Die Festlegung immaterieller und materieller Anreize kann bei den Mitarbeitern die Identifikation mit den Prozesszielen fördern, die Leistungen
991
Vgl. Boxall (1996), S. 82.
992
Vgl. Diller (2008), S. 457.
993
Vgl. Kossmann (2008), S. 173.
994
Vgl. Homburg/Jensen/Schuppar (2005), S. 40.
995
Vgl. Göbel (1998), S. 239; Güldenberg (2003), S. 293; Schreyögg (2003), S. 244f.
996
Vgl. Harryson (1997), S. 289; Madsen/Mosakowski/Zaheer (2003), S. 173 und 181f.; van den Bulte/Moenaert (1998), S. 14.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
199
jedes einzelnen steigern und zu einer Verbesserung des Organisationsklimas beitragen.997 Hinsichtlich immaterieller (nicht monetärer) Anreize sind in der Praxis beispielsweise Price-Awards für Verkäufer mit den niedrigsten Rabatten denkbar.998 Unter monetären Gesichtspunkten wird bezüglich leistungsabhängiger Vergütung in der Literatur eine deckungsbeitragsbezogene Gestaltung der Bemessungsgrundlage für Gehälter im Vertrieb befürwortet.999 Zusammenfassend kann, analog zur Wertschaffung, angenommen werden, dass der Einsatz von HR Practices im Preismanagement dazu beiträgt, über Praktiken der Rekrutierung, der Aus- und Weiterbildung sowie der gezielten Anreizsetzung und Motivation einen Pool leistungsfähiger und leistungsbereiter Mitarbeiter zu schaffen, die in den Preisprozessen eingesetzt werden können. Dadurch werden die preisbezogene Wissensgenerierung und -integration sowie die Preiskoordination im Unternehmen verbessert, und ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil kann geschaffen werden. Wertaneignung aus Sicht des Anbieters entsteht dabei beispielsweise, wenn es speziell geschulten Mitarbeitern in Preisverhandlungen gelingt, einen profitablen Transaktionspreis auszuhandeln. Im Ergebnis führt dies zu folgender Hypothese: H11: Der Einsatz von HR Practices hat einen positiven Einfluss auf die organisationale Preiskompetenz. Die bisherigen Ausführungen gehen von einer indirekten Wirkung der HR Practices auf den Unternehmenserfolg über die Ausgestaltung von Lösungs- bzw. Preiskompetenz aus. Darüber hinaus werden solche Praktiken in der Literatur jedoch als generelle Stellhebel angesehen, mit denen Unternehmen die Fähigkeiten, Einstellungen und das Verhalten ihrer Mitarbeiter im Hinblick auf die Organisationsziele beeinflussen können. 1000 In zahlreichen Arbeiten wird dabei der Zusammenhang zwischen HR-Maßnahmen und verschiedenen Outputgrößen wie Produktivität, Flexibilität, wirtschaftlichem Erfolg oder Innovationserfolg untersucht.1001 Auf Basis des RBV argumentieren diese Autoren, dass Humankapital wertvoll, selten, schwer imitierbar und nicht ohne Weiteres durch technologischen Fortschritt ersetzbar ist.1002 In mehreren Arbeiten zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz von HR Practices und dem Unternehmens-
997
Vgl. Diller (1991), S. 157; Schwarzer/Krcmar (1995), S. 47.
998
Vgl. Homburg/Jensen/Schuppar (2004), S. 49.
999
Vgl. Diller (2008), S. 461; Monroe (2003), S. 630f.; Simon/Dolan (1997), S. 342f.
1000
Vgl. Collins/Clark (2003); Martinsons (1995).
1001
Vgl. Collins/Clark (2003), S. 740ff.; Delery/Doty (1996), S. 802ff.; Huselid (1995), S. 635ff.; Ichniowski/Shaw/Prennushi (1997), S. 291ff.; MacDuffie (1995), S. 197ff.; Mendelson/Pillai (1999), S. 253ff.; Pfeffer (1998), S. 96ff.; Laursen/Foss (2003), S. 243ff.; Youndt et al. (1996), S. 836ff.
1002
Vgl. Huselid (1995), S. 637; Pfeffer (1994), S. 5; Wright/McMahan (1992), S. 302f.
200
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
erfolg,1003 weshalb diese Beziehung auch für die vorliegende Arbeit unterstellt wird.1004 Die zugehörige Hypothese lautet: H12: Der Einsatz von HR Practices hat einen positiven Einfluss auf den Markterfolg. 6.2.2.2
Unternehmenskultur
Die Unternehmenskultur dient als Bindeglied zwischen einem Unternehmen und seinen Mitarbeitern. Sie lenkt in unbewusster Form die tägliche Zusammenarbeit, indem sie als Rückhalt und Orientierungshilfe für anfallende Entscheidungen und Aufgaben dient.1005 Die Organisationsforschung postuliert dabei, dass Unternehmenskultur in einer Organisation drei maßgebliche Funktionen wahrnimmt: Koordination, Integration und Motivation.1006 Bislang existiert jedoch keine allgemein anerkannte und einheitliche Definition des Begriffes „Unternehmenskultur“.1007 Daher erstaunt es wenig, dass in der Literatur unterschiedliche Begriffsauffassungen vorherrschen, die von der grundsätzlichen Ausrichtung der jeweiligen Forscher bestimmt werden. Smircich (1983) und Allaire/Firsirotu (1984) weisen in ihren Arbeiten darauf hin, dass Unternehmenskultur in der Wissenschaft aus zwei Blickwinkeln untersucht werden kann.1008 Einerseits kann sie als endogene bzw. exogene Variable behandelt werden und gilt dann „als Teilerscheinung von Sozialgebilden, die in bestimmten Konfigurationen, Verhaltensweisen und auch Artefakten menschlicher Gruppen sichtbar zum Ausdruck kommt“.1009 Kultur ist in dieser Sichtweise innerhalb einer Organisation eine von mehreren Variablen,1010 die vom Management aktiv beeinflusst werden kann.1011 Andererseits kann Unternehmenskultur als Metapher angesehen werden, die nur innerhalb des jeweiligen kulturellen Kontextes verstanden wird. Dabei müssen Unternehmen aus der Binnenperspektive analysiert werden, um die spezifischen Besonderheiten und
1003
Vgl. Arthur (1994); Huselid (1995); Koch/McGrath Russell/Terborg/Powers (1985); Terpstra/Rozell (1997).
(1996);
MacDuffie
(1995);
1004
In der vorliegenden Arbeit wird, wie bei den anderen Konstrukten, eine indirekte Wirkung der HR Practices über den Markterfolg auf den wirtschaftlichen Erfolg angenommen. Diese Überlegung ist konsistent mit den Erkenntnissen von Stock (2003), S. 138, die einen positiven Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit – einem Bestandteil des Markterfolges (vgl. Abbildung 12) – findet. Wie die vorliegenden Ausführungen gezeigt haben, resultiert Mitarbeiterzufriedenheit dabei aus dem gezielten Einsatz von HR Practices.
1005
Vgl. Wächter (1990), S. 121ff.
1006
Vgl. Dill (1987), S. 140ff.; Dill/Hügler (1997), S. 147ff.; Forstmann (1994), S. 45.
1007
Vgl. Ernst (2003), S. 25; O’Reilly/Chatman/Caldwell (1991), S. 487; Rousseau (1990), S. 153ff.
1008
Vgl. Allaire/Firsirotu (1984) S. 193ff.; Smircich (1983), S. 342ff.
1009
Dülfer (1991), S. 6.
1010
Vgl. Gabele (1993), S. 118.
1011
Vgl. Meek (1998), S. 463.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
201
Paradoxa der Organisationen besser verstehen zu können.1012 Der erste Standpunkt verkörpert die Auffassung, dass ein Unternehmen eine Unternehmenskultur hat. Demgegenüber findet sich in der zweiten Sichtweise ein Verständnis von Unternehmenskultur als etwas, was ein Unternehmen ist.1013 In der vorliegenden Arbeit wird der ersten Perspektive gefolgt und die Unternehmenskultur als ein Faktor angesehen, der vom Management im Hinblick auf effektives und effizientes Lösungsund Preismanagement beeinflusst werden kann. Auf diese Weise können praxeologisch relevante Implikationen abgeleitet werden, die auf Basis der metaphorischen Betrachtung der zweiten Dimension nur eingeschränkt zu erzielen wären. Eine in der Literatur weit verbreitete Definition stammt von Schein (1985), der „Kultur“ allgemein definiert als „a pattern of basic assumptions – invented, discovered, or developed by a given group as it learns to cope with its problems of external adaptation and internal integration – that has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems.“1014 Damit lässt sich der Kulturbegriff sehr leicht auf Unternehmen übertragen und mit Heinen/Dill (1990) als „Grundgesamtheit gemeinsamer Werte- und Normenvorstellungen sowie geteilter Denk- und Verhaltensmuster beschreiben, die Entscheidungen, Handlungen und Aktivitäten der Organisationsmitglieder prägen.“1015 Cameron/Freeman (1991) merken an, dass sich diese Werte, Annahmen und Interpretationen der Organisationsmitglieder auf psychologischer und organisationaler Ebene anhand gemeinsamer Dimensionen ordnen lassen und deshalb eine Typologie von Kulturtypen abgeleitet werden kann.1016 Hierfür werden Cluster gemeinsamer Werte gebildet, die bestimmte psychologische Archetypen widerspiegeln, wobei Organisationsmitglieder kulturbezogene Informationen stets vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Archetyps interpretieren.1017 Zur Systematisierung dieser Cluster hat in der Literatur ein Ansatz weite Verbreitung gefunden, der auf die Arbeit von Quinn/Rohrbaugh (1983) und darauf aufbauende Weiterentwicklungen von Quinn (1988) sowie Cameron/Freeman (1991) zurückgeht. Wie Abbildung 14 zeigt, stellt diese Typologie von Unternehmenskulturen zwei Dimensionen gegenüber. Die vertikale Achse repräsentiert ein Kontinuum zwischen organischen und mecha-
1012
Vgl. Kirsch (2001), S. 333.
1013
Vgl. Ernst (2003), S. 26.
1014
Schein (1985), S. 9.
1015
Heinen/Dill (1990), S. 17.
1016
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 26f.
1017
Vgl. Deshpandé/Webster (1989), S. 8.
202
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
nistischen Prozessen, wobei danach unterschieden wird, ob in der Organisation eher Flexibilität, Spontaneität und Individualität oder eher Kontrolle, Stabilität und Ordnung betont werden.1018 Die horizontale Achse stellt dar, ob das Unternehmen Wert auf interne Erhaltung mit Betonung von reibungslosen Abläufen und Integration oder externe Positionierung mit Betonung von Wettbewerb und Differenzierung legt. Im Einzelnen werden vier Typen von Kulturen unterschieden: (1) „Clan“, (2) „Adhocracy“, (3) „Hierarchy“ und (4) „Market“.1019 Die meisten Unternehmen stellen eine Mischung aus den vier Typen dar, wobei angenommen wird, dass sich im Zeitablauf ein Kulturtyp als dominant herausstellt.1020 Organic Processes (f lexibility, spontaneity)
Clan
Adhocracy
Dominant Attributes: Cohesiveness, participation, team-work, sense of f amily Leader Style: Mentor, f acilitator, parent-f igure
Dominant Attributes: Entrepreneurship, creativity, adaptability Leader Style: Entrepreneur, innovator, risk taker Bonding: Entrepreneurship, f lexibility, risk
Bonding: Loyalty, tradition, interpersonal cohesion
Strategic Emphases: Towards Innovation, growth, new resources
Strategic Emphases:Towards developing human resources, commitment, morale
Internal Maintenance
External Positioning
(smoothing activities, integration)
(Competition, dif ferentiation)
Hierarchy
Market
Dominant Attributes: Order, rules and regulations, unif ormity
Dominant Attributes: Competitiveness, goal achievement
Leader Style: Coordinator, administrator
Leader Style: Decisive, achievement-oriented
Bonding: Rules, policies and procedures
Bonding: Goal orientation, production, competition
Strategic Emphases: Towards stability, predictability, smooth operations
Strategic Emphases: Towards competitive advantage and market superiority
Mechanistic Processes (control, order, stability)
Abbildung 14 Typen von Unternehmenskultur
1021
Die „Market-Kultur“ zeichnet sich durch dominante Merkmale wie Wettbewerbsorientierung, Leistungsmessung und Zielerreichung aus.1022 Dieser Kulturtyp entspricht weitgehend dem mikroökonomischen Modell der Unternehmung1023, wobei 1018
Vgl. Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 26.
1019
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 29; Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 25. In neueren Arbeiten verwenden die Autoren auf Basis wiederholter empirischer Erkenntnisse die Bezeichnungen (1) „Consensual Culture“, (2) Entrepreneurial Culture“, (3) „Bureaucratic Culture“ und (4) „Competitive Culture“ (vgl. Deshpandé/Farley (2004), S. 5). Aufgrund ihrer weiten Verbreitung in der Literatur werden in der vorliegenden Arbeit jedoch die ursprünglichen Termini beibehalten.
1020
Vgl. Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 26.
1021
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 29; Quinn (1988), S. 51.
1022
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 29.
1023
Vgl. Quinn/Rohrbaugh (1983), S. 371.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
203
Transaktionen über Marktmechanismen erfolgen.1024 Im Sinne eines „competingvalues“-Ansatzes1025 ist die „Clan-Kultur“ als diametral gegenläufiges Pendant zu sehen. Dominante Eigenschaften dieses Kulturtyps sind Zusammengehörigkeitsgefühl, Teamwork, familiäre Atmosphäre und ein starkes Bekenntnis zum Unternehmen.1026 Gemeinsame Werte beziehungsweise Zielvorstellungen ersetzen hier die Markttransaktionen.1027 Die „Hierarchy-Kultur“ als dritter Typ lässt sich grundsätzlich auf das Bürokratiemodell von Max Weber zurückführen. Dominante Eigenschaften sind Standardisierung, Formalisierung und Stabilität.1028 Von der Unternehmensleitung werden klare Regeln festgelegt, auf deren Basis Transaktionen erfolgen. Den Gegensatz dazu bildet die sogenannte „Adhocracy-Kultur“: Unternehmertum, Kreativität, Risikofreude und Bekenntnis zur Innovation sind dominante Eigenschaften dieser Kulturform.1029 Im Rahmen der Marketingimplementierung gewinnt das Thema Unternehmenskultur zunehmend an Relevanz, da Marketing als funktionsübergreifendes, integratives Führungskonzept verstanden wird, das ein markt- und kundenorientiertes Verhalten aller Unternehmensmitglieder impliziert.1030 Im Bereich der Wertschaffung ist daher eine Ausrichtung der Unternehmenskultur zu etablieren, in der ein hohes Verständnis für den Dienst am Kunden gelebt wird.1031 Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005) identifizieren zwei Kategorien organisationaler Normen für Lösungsanbieter: „interunit relational norms“ und „relative unit identification“.1032 Die Verankerung dieser beiden Normen in der Unternehmenskultur eines Lösungsanbieters soll positive Beiträge zur Lösungsentwicklung leisten.1033 Gruppenübergreifende, relationale Normen beziehen sich auf Normen, die den Informationsaustausch zwischen Gruppen und Gegenseitigkeit bezüglich des Teilens von Kosten und Nutzen fördern.1034 Die relative Identifikation einer Gruppe beschreibt das Ausmaß, in dem sich Mitarbeiter einer bestimmten Gruppe anstelle der Gesamtorganisation zugehörig fühlen.1035 Im
1024
Vgl. Ouchi (1980), S. 130.
1025
Vgl. Quinn/Rohrbaugh (1983), S. 369f.
1026
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 29.
1027
Vgl. Ouchi (1980), S. 132.
1028
Vgl. Quinn (1988), S. 50f.
1029
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 29; Quinn (1988), S. 50f.
1030
Vgl. Meffert/Bruhn (2006), S. 707; Meyer/Davidson (2001), S. 29.
1031
Vgl. Homburg/Faßnacht/Günther (2002a), S. 493.
1032
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 21.
1033
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 21.
1034
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 21.
1035
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 23.
204
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
Hinblick auf das Preismanagement zur Wertaneignung identifiziert Kossmann (2008) preisspezifische Werte, Normen und Artefakte als Bestandteile einer „Preiskultur“.1036 Während Werte gemeinsame Annahmen des Preismanagements und elementare Ziele auf hohem Abstraktionsgrad (bspw. „Rendite statt Umsatz“) verkörpern, sind preisbezogene Normen stärker verhaltenswirksam und können besser an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Unter Preis-Artefakten sind symbolträchtige Aktionen wie bspw. Preisschulungen durch ein Vorstandsmitglied oder die Bildung einer Preisabteilung auf hohem hierarchischem Niveau zu verstehen. Mit Blick auf die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit sollten Werte, Normen, Denkund Verhaltensmuster im Unternehmen grundsätzlich so ausgerichtet sein, dass eine Unternehmenskultur etabliert werden kann, die für eine prozessorientierte Ausrichtung des Lösungs- und des Preismanagements förderlich ist. In dieser Arbeit wird hierbei betrachtet, welchen Einfluss die vier Kulturtypen auf die Ausgestaltung der Aktivitäten und Routinen in Wertschaffung und Wertaneignung ausüben. Außerdem wird der Einfluss der Kulturtypen auf den Unternehmenserfolg untersucht. Im Gegensatz zu anderen Konzepten von Unternehmenskultur erfasst der vorgestellte Typologisierungsansatz Unternehmenskultur auf einem hoch aggregierten Niveau.1037 Ein solches Vorgehen bietet sich besonders für die Analyse der vielfältigen Aspekte von Unternehmenskultur in ihrer Gesamtheit an1038 und erscheint daher für die vorliegende Arbeit geeignet. Die Auswirkungen der vier Kulturtypen auf den Unternehmenserfolg wurden in der Literatur bereits ausführlich thematisiert.1039 Gemäß der zuvor beschriebenen Charakterisierung zeichnet sich die „Market“-Kultur durch die Betonung von Wettbewerbsvorteilen und Marktüberlegenheit aus. Es kann daher angenommen werden, dass eine starke Ausprägung der Marktkultur den größten Einfluss der vier Kulturtypen auf den Unternehmenserfolg hat.1040 Die dieser Annahme zugrunde liegende Wirkungsbeziehung besteht darin, dass Mitarbeiter kulturelle Werte und Normen im Rahmen von Sozialisationsprozessen verinnerlichen.1041 Auf diese Weise können auch marktorientierte Werte und Normen vermittelt werden,1042 wobei bestimmte Inhalte von den Mitarbeitern stärker verinnerlicht werden, je deutlicher sie 1036
Vgl. hierzu und im Folgenden Kossmann (2008), S. 170f.
1037
Vgl. Kasper (1987), S. 86. Zu dimensionsorientierten Ansätzen der Unternehmenskultur siehe grundlegend Schein (1985), sowie für marketingbezogene Anwendungen bspw. Homburg/Pflesser (2000b) und Homburg/Schäfer (2002).
1038
Vgl. Krohmer (1999), S. 31.
1039
Vgl. Deshpandé/Farley/Webster (1993); Deshpandé/Farley (2004); Ernst (2003).
1040
Vgl. Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 26.
1041
Vgl. Schein (1984), S. 10.
1042
Vgl. Lichtenthal/Wilson (1992), S. 201.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
205
in der Kultur eines Unternehmens ausgeprägt sind.1043 Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Marktorientierung des Mitarbeiterverhaltens von der Stärke der „MarketKultur“ abhängt. Die positive Wirkung einer marktorientierten Kultur über das Mitarbeiterverhalten auf den Unternehmenserfolg (bzw. speziell den Markterfolg) konnte dabei in der Literatur bereits gezeigt werden.1044 Dementsprechend kann ein Wettbewerbsvorteil aufgebaut werden, da eine spezifische Unternehmenskultur von anderen Wettbewerbern nicht ohne erheblichen Aufwand zu imitieren ist.1045 Hinsichtlich der beschriebenen Wirkungskette können für die anderen drei Kulturtypen analoge Überlegungen angestellt werden: Über Sozialisationseffekte werden die Werte und Normen des jeweiligen Kulturtyps in der Organisation vermittelt und beeinflussen über das Verhalten der Mitarbeiter den Unternehmenserfolg. Als anderes Extrem gegenüber der „Market“-Kultur kann für die „Hierarchy“-Kultur dabei angenommen werden, dass sie wegen ihrer Fokussierung auf Ordnung, Regeln und Vorschriften wenig auf direktem Weg zum Unternehmenserfolg beiträgt. Für die übrigen Kulturtypen lässt sich allgemein vermuten, dass angesichts des Innovationsfokus und der Risikofreude in der „Adhocracy“-Kultur ein stärkerer Einfluss auf den Unternehmenserfolg gegeben ist als bei der nach innen orientierten „Hierarchy“- und der „Clan“-Kultur.1046 Aufgrund der Besonderheiten des Lösungsgeschäftes (vgl. Kapitel 4) ist jedoch nicht notwendigerweise davon auszugehen, dass sich frühere empirische Befunde für jeden einzelnen Kulturtyp ohne Weiteres in diesen Kontext übertragen lassen. Grundsätzlich kann jedoch angenommen werden, dass die eher extern orientierten Kulturen einen höheren Einfluss auf den Markterfolg ausüben, als die intern orientierten. Daher wird die folgende Hypothese formuliert: H13: Die extern orientierten Kulturtypen „Market“ und „Adhocracy“ weisen einen stärkeren Einfluss auf den Markterfolg auf als die intern orientierten Kulturtypen „Clan“ und „Hierarchy“. In Ergänzung zu diesen Überlegungen soll auch der Einfluss der vier Kulturtypen auf Prozesse, Systeme und Routinen im Rahmen der Lösungs- und Preiskompetenz untersucht werden. Diese werden dabei als Mediator1047 zwischen Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg verstanden. Neben der direkten Erfolgswirksamkeit der Kulturtypen wird demnach auch ein indirekter Effekt über Lösungs- und Preiskompetenz unterstellt. Gemäß der Charakterisierung der einzelnen Kulturtypen 1043
Vgl. Hartline/Maxham III./McKee (2000), S. 45.
1044
Vgl. Homburg/Pflesser (2000b), S. 457; Narver/Slater (1990), S. 21.
1045
Vgl. Barney (1986a), S. 658.
1046
Vgl. Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 26; Ernst (2003), S. 31.
1047
Vgl. Baron/Kenny (1986), S. 1176f.
206
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
in Abbildung 14 ist davon auszugehen, dass in dieser Konstellation gerade die intern orientierten Kulturen „Clan“ und „Hierarchy“ einen signifikanten Einfluss auf die Ausprägung von Lösungs- und Preiskompetenz haben. Insofern sollte sich auch für diese beiden Kulturtypen ein deutlicher Beitrag zum Unternehmenserfolg ergeben, der jedoch auf indirektem Wege erfolgt, indem in der Organisation für die Etablierung und effektive Umsetzung der Prozesse im Lösungs- und Preismanagement gesorgt wird. „Clan“- und „Hierarchy“-Kulturen zeichnen sich im Gegensatz zu „Adhocracy“und „Market“-Kulturen durch die Betonung reibungsloser Abläufe und Integration anstelle von externer Positionierung in Bezug auf Märkte und Wettbewerber aus. Die „Clan“-Kultur kann dabei mit der Betonung von Teamwork und familiärer Atmosphäre eher als flexibel eingestuft werden,1048 wohingegen in „Hierarchy“-Kulturen Standardisierung und Formalisierung dominieren.1049 Gerade die Bedeutung von Teamstrukturen und die Wichtigkeit flexibler Reaktionsmöglichkeiten in Bezug auf Wettbewerbs- und Kundenverhalten wurden bei den Konzeptualisierungen von Lösungs- und Preiskompetenz in den Kapiteln 4.6.2 und 5.5.2 hervorgehoben. Bei der theoretischen Beschreibung der Prozessorientierung in Abschnitt 3.2 wurde zudem herausgearbeitet, dass ein gewisser Grad an Formalisierung und Standardisierung die Informationsverarbeitung in der Organisation und die darauf basierenden Lernprozesse zur Kompetenzbildung begünstigt. 1050 Dies ist konsistent mit der zuvor beschriebenen „relative unit identification“ und den „interunit relational norms“ nach Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005).1051 Auch Diller (2008) spricht sich im Bereich der Preiskultur für eine professionelle Handhabung preispolitischer Entscheidungshilfen anstelle eines intuitiven, impulsiven oder imitativen Vorgehens aus.1052 Dies kann im Einklang mit den Experteninterviews aus Abschnitt 5.5.2 als Indiz für die Forderung nach einer gewissen Standardisierung und Formalisierung angesehen werden. Aufgrund der explorativen Natur, die der vorliegenden Untersuchung im kulturellen Kontext des Lösungs- und Preismanagements zuzuschreiben ist, fällt es schwer, für die vier Kulturtypen eindeutig gerichtete Hypothesen aufzustellen. Tendenziell kann jedoch auf Basis der vorigen Ausführungen angenommen werden, dass die intern orientierten Kulturen „Clan“ und „Hierarchy“ den Aufbau von Lösungsund Preiskompetenz eher begünstigen als die nach außen orientierten Kulturen „Adhocracy“ und „Market“. Aufgrund der starken Risiko-Betonung der „Adhocracy“-
1048
Vgl. Cameron/Freeman (1991), S. 27.
1049
Vgl. Quinn (1988), S. 50f.
1050
Vgl. hierzu auch Hartline/Maxham III./McKee (2000), S. 39f.
1051
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2005), S. 21.
1052
Vgl. Diller (2008), S. 456.
6.2 Einflussfaktoren der Wertschaffung und Wertaneignung
207
Kultur ist außerdem zu vermuten, dass diese für Lösungsgeschäft weniger geeignet erscheint, da sich hier bei der Risikoübernahme erhebliche wirtschaftliche Gefahren für den Anbieter ergeben können.1053 Basierend auf diesen Erkenntnissen werden demnach folgende Hypothesen formuliert: H14: Die intern orientierten Kulturen „Clan“ und „Hierarchy“ weisen einen stärkeren Einfluss auf die organisationale Lösungskompetenz auf als die extern orientierten Kulturen „Market“ und „Adhocracy“. H15: Die intern orientierten Kulturen „Clan“ und „Hierarchy“ weisen einen stärkeren Einfluss auf die organisationale Preiskompetenz auf als die extern orientierten Kulturen „Market“ und „Adhocracy“. 6.2.2.3
Preis-Technologie
In der qualitativen Exploration in Kapitel 5.5.2 hatten die befragten Experten an verschiedenen Stellen im Preisprozess auf die Bedeutung von IT-Unterstützung hingewiesen. Unter Preis-Technologie soll dabei insbesondere Informationstechnologie verstanden werden, die spezifisch für eine bessere Preisstrategiebildung, Preisanalyse, -festlegung, -durchsetzung und -kontrolle eingesetzt werden kann. Grundsätzlich äußert sich nach Auffassung der Literatur das Potenzial von IT bei der Herausbildung eines Wettbewerbsvorteils in drei Bereichen:1054 x Konkurrenten können durch niedrigere Kosten oder höhere Differenzierung aufgrund von IT-Einsatz überflügelt werden. x IT kann Markteintrittsbarrieren für Konkurrenten, Wechselbarrieren für Kunden oder eine nahezu vollständig veränderte Wettbewerbsgrundlage schaffen. x Durch IT können völlig neue Geschäftsmodelle entstehen. Wie die Kapitel 5.2 und 5.3 deutlich gemacht haben, fallen in Preisprozessen verschiedene Informations- und Kommunikationsaufgaben an. Im Zuge derer müssen umfangreiche Daten über Märkte (Kunden, Wettbewerber, Absatzmittler, etc.) erhoben, in geeigneter Weise gespeichert, aufbereitet, an die entsprechenden Stellen in der Organisation verteilt und durch die Akteure im Preisprozess genutzt werden.1055 Wesentliche Ansatzpunkte für Technologie-Unterstützung bestehen demnach im unternehmensinternen Datenmanagement und in Preis-Informationsund Kommunikations-Anwendungen.1056 IT-Systeme dienen hierbei aus funktioneller
1053
Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 4.2 und den Beitrag von Spath/Demuß (2001).
1054
Vgl. Bharadwaj/Varadarajan/Fahy (1993), S. 93; Porter/Millar (1985), S. 156ff.
1055
Vgl. Dutta et al. (2002), S. 64; Freiling/Wölting (2003), S. 432f.; Kossmann (2008), S. 157f.
1056
Vgl. Diller (2008), S. 443. Ausführliche Darstellungen von Hardware- und Softwaresystemen zur Unterstützung des Preismanagements finden sich bei Diller/Kossmann (2007), S. 84ff., sowie Kossmann (2008), S. 158ff.
208
6 Modellbildung und Ableitung der Hypothesen
und inhaltlicher Sicht der Entscheidungsunterstützung, wobei ihnen besonderes Gewicht im Hinblick auf Effizienz und Effektivität der Entscheidungen beizumessen ist.1057 Neben dieser Unterstützung bei Auswahl und Implementierung von Preisstrategien ermöglichen sie a priori kostengünstige Analysen von potenziellen Marktreaktionen und Gewinnauswirkungen bei Preisanpassungen.1058 Außerdem kann angenommen werden, dass der Einsatz von IT-Unterstützung dazu beiträgt, die Preiskompetenz eines Anbieters in Bezug auf flexible Preissetzung und die Erfassung der kundenseitigen Zahlungsbereitschaften zu unterstützen. Damit begünstigen IT-Systeme letztlich die Effektivität und Effizienz von Entscheidungsabläufen im Preismanagement und können aus Sicht des Anbieters bspw. die Transaktionskosten in Preisverhandlungen senken. In diesem Sinne können Investitionen in geeignete Informationstechnologie dazu beitragen, die Preiskompetenz bei der Verteidigung der Dauerhaftigkeit eines Wettbewerbsvorteils zu unterstützen.1059 Die Einführung von Technologie alleine garantiert jedoch noch keinen merklichen Effektivitäts- und Effizienzgewinn, vielmehr müssen auch mitarbeiter- und organisationsbezogene Aspekte wie die Ermittlung der zugrunde liegenden Prozesse entsprechend berücksichtigt werden.1060 Vor diesem Hintergrund finden sich Hinweise in der Literatur zum Customer-Relationship-Management, die darauf hindeuten, dass sich Investitionen in Informationstechnologie nicht notwendigerweise auszahlen.1061 Eine Ursache hierfür, die auch für Preis-Technologie bedeutsam ist, kann darin liegen, dass IT-Investitionen kurzfristig Finanzmittel binden, während sich positive Erträge aus deren Einsatz erst im Zeitablauf einstellen. Dies kann auf kurze Sicht die Profitabilität beeinträchtigen. Zusammenfassend ergeben sich somit widersprüchliche Annahmen hinsichtlich der Richtung des Effektes von PreisTechnologie auf den Zusammenhang zwischen Preiskompetenz und wirtschaftlichem Erfolg. Es ist jedoch festzustellen, dass in der Literatur insgesamt die Argumente hinsichtlich eines positiven Einflusses überwiegen und der Preis-Technologie insoweit die Rolle eines „Facilitators“ beizumessen ist. Preisbezogene IT-Ressourcen unterstützen demnach Aktivitäten und Routinen des Preismanagement in ihrer Effektivität und Effizienz und können damit positiv deren Beitrag zum nachhaltigen Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens beeinflussen. Entsprechend wird abschließend folgende Hypothese formuliert:
1057
Vgl. Engelke/Simon (2007), S. 134f.; Krcmar (2005), S. 497.
1058
Vgl. Lilien/Kotler/Moorthy (1992), S. 537ff.
1059
Vgl. Abschnitt 2.3.3.
1060
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2008), S. 157f.; Schwarzer/Krcmar (2004), S. 78.
1061
Vgl. Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 296f.
6.3 Zusammenfassende Modelldarstellung
209
H16: Der positive Einfluss organisationaler Preiskompetenz auf den wirtschaftlichen Erfolg ist umso stärker, je höher der Grad an vorhandener Preis-Technologie ist. 6.3
Zusammenfassende Modelldarstellung
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten 16 Hypothesen zu Gestaltungsvariablen, Einflussfaktoren und Erfolgswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung sowie deren Zusammenhang untereinander abgeleitet wurden, sollen diese nun zu einem Gesamtmodell zusammengefasst werden. Die Abbildung 15 zeigt das Strukturmodell mit den angenommenen Wirkungsbeziehungen in einem schematischen Überblick. Nach Wissen des Autors liegt damit erstmals ein integriertes Modell zur Betrachtung von Prozessen der Wertschaffung und der Wertaneignung sowie deren Determinanten und Erfolgsauswirkungen vor. Die Grundlagen zur Beantwortung der Forschungsfragen drei und vier wurden somit erarbeitet. Die weitere Aufgabe der vorliegenden Untersuchung besteht nun darin, in Kapitel 7 die betrachteten Konstrukte zu operationalisieren und die in den Hypothesen unterstellten Wirkungszusammenhänge empirisch zu überprüfen, um die aufgeworfenen Forschungsfragen abschließend zu beantworten.
Wettbewerbs´ intensität Kundenmacht Determinanten
SHRMPractices
Wertschaffung Lösungskompetenz
Markterfolg
UnternehmensKultur
Wertaneignung Preiskompetenz
Wirtschaftlicher Erfolg
Determinanten
Gestaltungsvariablen
Unternehmenserfolg
PreisTechnologie Determinante Abbildung 15 Gesamtmodell der Untersuchung
210
7
7 Quantitative empirische Untersuchung
Quantitative empirische Untersuchung
Im Zentrum dieses Kapitels stehen die Ergebnisse der quantitativen empirischen Untersuchung. Auf Basis der in den Abschnitten 4.6 und 5.5 vorgenommenen Konzeptualisierung von Lösungs- und Preiskompetenz sowie der Modellbildung aus Kapitel 6 werden in diesem Abschnitt nun Messinstrumente entwickelt, mittels derer Wertschaffung über die organisationale Implementierung des Lösungsgeschäftes und Wertaneignung über die Ausgestaltung des Preismanagements operationalisiert werden können. Zur Hypothesenprüfung und der Beantwortung der weiteren Forschungsfragen ist außerdem auf die Ausgestaltung und Operationalisierung der Einflussfaktoren und Erfolgsauswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung einzugehen. Zunächst werden die erforderlichen Grundlagen der Konstruktmessung beschrieben (vgl. Abschnitt 7.1). Die Kapitel 7.2 und 7.3 vermitteln darauf aufbauend die wesentlichen Unterschiede zwischen formativer und reflektiver Messmodellspezifikation sowie Möglichkeiten zur Schätzung und Gütebeurteilung solcher Konstrukte. In Kapitel 7.4 werden ökonometrische Mehrgleichungsmodelle als maßgebliches Verfahren vorgestellt, mit dem die Hypothesenprüfung in der vorliegenden Arbeit vorgenommen wird. Die dazu herangezogene Datengrundlage wird in Abschnitt 7.5 erläutert. In Kapitel 7.6 erfolgt die Schilderung von Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstrukte aus Platzgründen zusammengefasst, da sonst aufgrund der Vielzahl zu berücksichtigender Konstrukte unnötige Redundanzen in der Darstellung entstehen würden. Die Operationalisierungen von Lösungs- und von Preiskompetenz basieren auf den Konzeptualisierungen in den Kapiteln 4.6 und 5.5, für die übrigen Konstrukte wird auf Skalen aus der Literatur zurückgegriffen. Aufbauend auf der Gütebeurteilung werden in Abschnitt 7.7 die Ergebnisse der Hypothesenprüfung vorgestellt. In Kapitel 7.8 erfolgt gemäß der zweiten Forschungsfrage eine deskriptive Bestandsaufnahme des Status Quo von Lösungs- und Preiskompetenz in der unternehmerischen Praxis. Die Strukturierung der Ausführungen hinsichtlich der Operationalisierung und der Ergebnisdiskussion folgt dem in Kapitel 6 durch die Untersuchungshypothesen vorgezeichneten Schema, sodass immer zunächst die Gestaltungsvariablen und deren Erfolgswirkungen beschrieben werden, bevor auf externe und interne Einflussfaktoren eingegangen wird. Die nachfolgende Abbildung 16 verdeutlicht den Ablauf der Untersuchung in diesem Kapitel und die Verknüpfungen zu den vorangegangenen und nachfolgenden Abschnitten.
7.1 Grundlagen der Konstruktmessung
211
Schritt 1: Erarbeitung eines grundlegenden Verständnisses für die Konstrukte Lösungs- und Preiskompetenz sowie relevante Subprozesse, Routinen und Aktivitäten (Konzeptualisierung) Methodik: Literaturrecherche und qualitative Exploration (Kapitel 4 und 5, speziell 4.6 und 5.5)
Schritt 2: Grundlegende Darstellung von Reliabilität und Validität sowie von quantitativ-empirischen Mess- und Schätzverfahren Methodik: Literaturrecherche (Kapitel 7.1 bis 7.4)
Schritt 3: Erhebung und Beschreibung der quantitativen Datenbasis Methodik: Standardisierte empirische Fragebogenstudie (Kapitel 7.5)
Schritt 4: Beschreibung und Gütebeurteilung Konstrukt-Operationalisierungen Methodik: Statistische Datenanalyse mit SPSS, SmartPLS und AMOS (Kapitel 7.6)
Schritt 5: Test der Untersuchungshypothesen und Präsentation der Ergebnisse Methodik: Schätzung eines ökonometrischen Mehrgleichungsmodells in Stata (Kapitel 7.7)
Schritt 6: Weiterführende Analyse des Status Quo von Lösungs- und Preiskompetenz in der Unternehmenspraxis auf Basis der Ergebnisse des Hypothesentests Methodik: Deskriptive Datenanalyse in SPSS (Kapitel 7.8)
Schritt 7: Zusammenfassung und Diskussion der Gesamtergebnisse aus Literaturrecherche, qualitativer und quantitativer Untersuchung (Kapitel 8.1)
Abbildung 16 Vorgehensweise bei der Untersuchung
212
7.1
7 Quantitative empirische Untersuchung
Grundlagen der Konstruktmessung
In der vorliegenden Arbeit werden Preis- und Lösungskompetenz sowie deren Einflussfaktoren und Erfolgsauswirkungen als theoretische Variablen konzeptualisiert und Beziehungen zwischen diesen untersucht. Solche abstrakten Größen sind in der Realität nicht direkt beobachtbar und werden deshalb als theoretische oder latente Konstrukte bezeichnet, für deren empirische Messung zunächst eine Operationalisierung erforderlich ist.1062 Hierbei werden direkt beobachtbare Indikatorvariablen („Items“) identifiziert und Korrespondenzregeln (Messanweisungen) definiert, die festlegen, wie die Variablen quantitativ erfasst werden sollen.1063 Üblicherweise wird bei der Operationalisierung komplexer Konstrukte der Vorgehensweise von Churchill (1979) gefolgt, nach der eine quantitative Untersuchung schrittweise anhand einer zuvor im Rahmen qualitativer Analysen generierten Itemmenge erfolgen soll.1064 Im ersten Schritt der qualitativen Analyse wird über eine Auswertung relevanter Literatur ein grundlegendes Verständnis für das zu untersuchende Konstrukt angestrebt, eine präzise Definition aufgestellt und eine erste Grobkonzeptualisierung vorgenommen.1065 Im zweiten Schritt schließt sich die Generierung von Items an, die den auf der ersten Stufe abgegrenzten Definitionsbereich des Konstruktes abdecken. Hierbei kommen verschiedene Vorgehensweisen, wie z.B. Literaturauswertungen, Fokusgruppengespräche oder Experteninterviews zur Anwendung.1066 Zur Sicherstellung von Verständlichkeit, Eindeutigkeit und Relevanz der Indikatoren schlägt Churchill (1979) als letzten Schritt vor der eigentlichen Erhebung einen Pre-Test vor, im Rahmen dessen kritische Indikatoren überarbeitet oder eliminiert werden sollen. Nach Durchführung der eigentlichen Haupterhebung erfolgt die quantitative Phase des Skalen-
1062
Vgl. Bagozzi/Fornell (1982), S. 24; Homburg/Giering (1996), S. 6.
1063
Vgl. Bortz (2005), S. 9; Homburg/Giering (1996), S. 5; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 11; van der Ven (1980), S. 307.
1064
Vgl. Homburg (2000), S. 88.
1065
Vgl. Churchill (1979), S. 67; Homburg/Giering (1996), S. 11.
1066
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 12.
7.1 Grundlagen der Konstruktmessung
213
entwicklungsprozesses, bei der das Messmodell auf Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität (Gültigkeit) überprüft wird.1067 Wie die vorangegangene Abbildung 16 zeigt, wird der beschriebenen Prozedur grundsätzlich auch in der vorliegenden Arbeit gefolgt. Die Gestaltungsvariablen der Wertschaffung und Wertaneignung beruhen wie geschildert auf umfassender Literaturrecherche und zahlreichen Experteninterviews. Ebenso wurde vor der Haupterhebung ein Pre-Test des Fragebogens mit Wissenschaftlern und Praktikern durchgeführt (vgl. Abschnitt 7.5). Da in der vorliegenden Untersuchung jedoch in überwiegender Zahl formative Messmodelle zu berücksichtigen sind (vgl. Abschnitt 7.6), muss an entscheidenden Stellen zur Analyse von Reliabilität und Validität vom klassischen Vorgehen nach Churchill (1979) abgewichen werden, da dieses im Detail auf reflektive Konstrukte ausgerichtet ist.1068 Bevor auf die Unterscheidung zwischen formativer und reflektiver Konstruktspezifikation eingegangen wird, erläutert der folgende Abschnitt zunächst grundlegend die Begriffe Reliabilität und Validität. 7.1.1
Reliabilität und Validität von Messmodellen
Bei der Messung latenter Variablen können zufällige und systematische Fehler auftreten. Reliabilität ist dabei definiert als „degree to which measures are free from random error and thus reliability coefficients estimate the amount of systematic variance in a measure.“1069 Sie beschreibt damit die formale Genauigkeit eines Messinstrumentes und zeigt, ob die Erfassung des interessierenden Konstruktes durch das Messinstrument frei von Zufallsfehlern ist.1070 Ein reliables Messinstrument liefert somit bei konstanten Bedingungen zu jedem Zeitpunkt konstante Ergebnisse.1071 In der Wissenschaft werden verschiedene Formen der Reliabilität diskutiert,1072 von besonderer Relevanz ist dabei für die reflektiven Konstrukte in der vorliegenden Untersuchung die sogenannte Interne-Konsistenz-Reliabilität, bei der
1067
Vgl. Churchill (1979), S. 67ff.; Homburg/Giering (1996), S. 12. Als weiteres Kriterium wird in der Literatur die Objektivität der Messung angeführt (vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 87; Bortz/Döring (2006), S. 195f.; Diekmann (2008), S. 249). Objektivität, also die Unabhängigkeit einer Messung von der durchführenden Person, wird als Voraussetzung für Reliabilität angesehen und ist insbesondere bei der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse sicherzustellen. In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, größtmögliche Objektivität sowohl bei der qualitativen als auch bei der quantitativen Untersuchung zu erreichen, indem im Forschungsprozess immer wieder mit Vertretern aus Wissenschaft und Praxis über Ergebnisse diskutiert und Anregungen aufgenommen wurden.
1068
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271.
1069
Peter/Churchill (1986), S. 4.
1070
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 196; Herrmann/Homburg (2000), S. 24; Homburg/Pflesser (2000a), S. 420.
1071
Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 88; Peter (1979), S. 6.
1072
Vgl. für einen Überblick Homburg/Pflesser (2000a), S. 421; Peter (1979), S. 8f.
214
7 Quantitative empirische Untersuchung
überprüft wird, ob die Indikatorvariablen eines Konstruktes untereinander hoch korrelieren.1073 Reliabilität stellt eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Validität dar.1074 Die Validität beschreibt die konzeptionelle Richtigkeit eines Messinstrumentes, gibt also darüber Auskunft, ob ein Messinstrument tatsächlich das misst, was es messen soll, und ob es insoweit frei von systematischen Fehlern ist.1075 In der Literatur wird üblicherweise zwischen Inhaltsvalidität1076, Kriteriumsvalidität und Konstruktvalidität unterschieden.1077 Inhaltsvalidität ist gegeben, wenn die Items eines Messinstrumentes alle inhaltlichsemantischen Facetten eines Konstruktes erfassen.1078 Zur Bestimmung der Inhaltsvalidität wird in der Regel auf Expertenurteile zurückgegriffen, da keine objektiven Beurteilungskriterien existieren.1079 Bei der Kriteriumsvalidität wird untersucht, inwieweit das mit dem interessierenden Messinstrument erhaltene Ergebnis mit einem korrespondierenden externen Merkmal (beobachtbares Außenkriterium) übereinstimmt.1080 Die Kriteriumsvalidität ist gut quantifizierbar, jedoch muss das Außenkriterium sorgfältig ausgewählt werden, um Interpretationsprobleme und eine inadäquate Bestimmung der Kriteriumsvalidität zu vermeiden. 1081 Zu einem Validitätsmaß mit großer Bedeutung in den Sozialwissenschaften hat sich die Konstruktvalidität entwickelt,1082 die in der Literatur üblicherweise ähnlich definiert wird, wie zuvor die Validität auf allgemeiner Ebene: „[…] the extent to which an operationalization measures the concept it is supposed to measure.“1083 Die Konstruktvalidität stellt somit darauf ab, inwieweit die Eigenschaften eines Konstruktes durch ein Messinstrument richtig abgebildet werden, ohne dass die Eigenschaften anderer Konstrukte störende Einflüsse ausüben und/oder andere
1073
Vgl. Hildebrandt (1998), S. 88.
1074
Vgl. Carmines/Zeller (1979), S. 13; Churchill (1979), S. 65; Hildebrandt (1984), S. 42.
1075
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 200; Churchill (1979), S. 65; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 154.
1076
Bei der Diskussion der Inhaltsvalidität werden häufig synonym die Bezeichnungen „Face Validity“ und „Content Validity“ gebraucht (vgl. Jacoby (1978), S. 91). Wird hingegen eine explizite Unterscheidung der beiden Termini vorgenommen, so stellt „Face Validity“ auf die Validität nach bloßem Augenschein ab und ist entsprechend definiert als „mere appearance that a measure has validity“ (Kaplan/Saccuzzo (1982), S. 118). Um ein klarer abgrenzbares Kriterium handelt es sich dagegen bei der „Content Validity“: „A test or measure possesses content validity to the extent that it provides an adequate representation of the conceptual domain it is designed to cover“ (Kaplan/Saccuzzo (1982), S. 118).
1077
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 200; Diekmann (2008), S. 258f.; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 155.
1078
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 200; Hildebrandt (1998), S. 89; Homburg/Giering (1996), S. 7.
1079
Vgl. Green/Tull (1982), S. 184.
1080
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 200; Green/Tull (1982), S. 184.
1081
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 201; Diekmann (2008), S. 258; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 156.
1082
Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 156.
1083
Bagozzi/Yi/Phillips (1991), S. 421
7.1 Grundlagen der Konstruktmessung
215
systematische Fehler vorliegen.1084 Zur Überprüfung der Konstruktvalidität schlägt die Literatur üblicherweise drei Kriterien vor:1085 Konvergenzvalidität, Diskriminanzvalidität und nomologische Validität. Konvergenzvalidität beschreibt dabei das Ausmaß, zu dem die Messung eines Konstruktes mit zwei oder mehr Instrumenten dasselbe Ergebnis liefert.1086 Dieses Kriterium gilt als erfüllt, wenn die Indikatoren eines Konstruktes ausreichend miteinander zusammenhängen. Diskriminanzvalidität hingegen liegt vor, wenn sich die Messungen verschiedener Konstrukte voneinander unterscheiden, also verschiedene Messinstrumente (wie gewünscht) tatsächlich unterschiedliche Sachverhalte messen.1087 Bei der nomologischen Validität erfolgt eine Einbettung des untersuchten Konstruktes in einen übergeordneten theoretischen Rahmen: 1088 „Nomological validity represents the degree to which predictions based on a concept are confirmed within the context of a larger theory.“1089 Das interessierende Konstrukt wird mit einem anderen Konstrukt (Antezedenzien oder Konsequenzen) in Beziehung gesetzt, wobei nomologische Validität dann vorliegt, wenn der von der übergeordneten Theorie postulierte Zusammenhang der beiden Konstrukte auf Basis der verwendeten Messinstrumente empirisch nachgewiesen werden kann.1090 Zur Beurteilung der dargestellten Reliabilitäts- und Validitätskategorien wird üblicherweise nach Gütekriterien der ersten und der zweiten Generation unterschieden.1091 Diese sind in der Literatur bereits hinreichend beschrieben worden und sollen im folgenden Abschnitt daher nur kurz dargestellt werden, bevor auf die in dieser Arbeit grundlegende Unterscheidung zwischen formativen und reflektiven Messmodellen eingegangen wird. 7.1.2
Gütekriterien
In der Marketingforschung dominierten lange Zeit Beurteilungskriterien aus der Psychologie/Psychometrie der 1950er Jahre. Gemäß dem klassischen Vorgehen
1084
Vgl. Peter (1981), S. 134.
1085
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 7; Bagozzi/Yi/Phillips (1991), S. 425f.; Jacoby (1978), S. 91f.; Peter (1981), S. 134f.
1086
Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 468; Jacoby (1978), S. 92; Hildebrandt (1998), S. 90; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 157.
1087
Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 469; Jacoby (1978), S. 92; Hildebrandt (1998), S. 90; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 157.
1088
Vgl. Peter/Churchill (1986), S. 2; Ruekert/Churchill (1984), S. 226.
1089
Bagozzi (1979), S. 14.
1090
Vgl. Bearden/Netemeyer/Mobley (1993), S. 5; Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 273; Homburg/Giering (1996), S. 7f.
1091
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8.
216
7 Quantitative empirische Untersuchung
nach Churchill (1979) fanden dabei üblicherweise die exploratorische Faktorenanalyse, das Cronbachsche Alpha und die Item-to-Total Korrelation Anwendung.1092 Diese Prüfgrößen werden aus heutiger Sicht als Gütekriterien der ersten Generation bezeichnet.1093 Bei der exploratorischen Faktorenanalyse soll eine hohe Zahl von Indikatorvariablen anhand ihrer Korrelationen auf wenige Faktoren verdichtet werden.1094 Diese Faktoren stellen dabei latente Variablen dar, die ohne Hypothesen über die Beziehungsstruktur der Items gebildet werden.1095 Anhand der Faktorladungen einzelner Indikatoren lassen sich Aussagen zur Konvergenz- und Diskriminanzvalidität treffen. Faktorladungen sind ein Maß für den Zusammenhang eines Items mit einem Faktor und sollten für angemessene Konvergenz- und Diskriminanzvalidität im Bezug auf den zugehörigen Faktor hoch und bei allen anderen Faktoren niedrig sein.1096 Uneinigkeit herrscht in der Literatur, ab welchem Wert eine Faktorladung als hoch anzusehen ist: Backhaus et al. (2008) setzen die Grenze bei 0,5 an, während Homburg/Giering (1996) bereits eine Faktorladung von 0,4 als hoch ansehen.1097 Dieser Wert wird auch in der vorliegenden Arbeit als ausreichend betrachtet. Das Cronbachsche Alpha1098 misst die Interne-Konsistenz-Reliabilität der Indikatoren, die einem Faktor zugeordnet werden.1099 Es errechnet sich als Mittelwert aller Korrelationen, die entstehen, wenn die Indikatoren-Menge eines Faktors auf alle möglichen Arten in zwei Hälften geteilt und die Summe der jeweiligen Hälften miteinander korreliert wird.1100 Der Wertebereich des Cronbachschen Alphas liegt zwischen null und eins, wobei höhere Werte auf höhere Reliabilität hindeuten1101 und ein Grenzwert von 0,7 in der Literatur als akzeptabel angesehen wird.1102 Trotz der größten Verbreitung unter den Gütekriterien der ersten Generation1103 weist das Cronbachsche Alpha einige Schwächen auf: Problematisch sind beispielsweise die 1092
Vgl. Churchill (1979), S. 68f.
1093
Vgl. Homburg (2000), S. 75; Homburg/Giering (1996), S. 8.
1094
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 324; Hartung/Elpelt (1995), S. 505; Stewart (1981), S. 51.
1095
Vgl. Homburg (2000), S. 89.
1096
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8.
1097
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 383; Homburg/Giering (1996), S. 8.
1098
Vgl. Cronbach (1951).
1099
Vgl. Carmines/Zeller (1979), S. 13; Churchill (1979), S. 68; Gerbing/Anderson (1988), S. 190; Homburg (2000), S. 89; Peter (1979), S. 8f.
1100
Vgl. Carmines/Zeller (1979), S. 45; Homburg/Giering (1996), S. 8; Peter (1979), S. 8.
1101
Vgl. Homburg (2000), S. 89; Homburg/Giering (1996), S. 8.
1102
Vgl. Nunnally (1978), S. 245.
1103
Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 190; Peter (1979), S. 8.
7.1 Grundlagen der Konstruktmessung
217
Annahmen fehlerfreier Messung und gleicher Reliabilität für alle Indikatoren.1104 Zudem steigt die Höhe des Alpha-Koeffizienten mit wachsender Indikatorenanzahl und fällt mit zunehmendem Stichprobenumfang, ohne dass sich die tatsächliche Reliabilität verändern würde.1105 Die Item-to-Total Korrelation bezeichnet als drittes Gütekriterium der ersten Generation die Korrelation eines einzelnen Indikators mit der Summe aller dem jeweiligen Faktor zugeordneten Indikatoren.1106 Je höher dieser Wert, desto mehr trägt ein einzelnes Item zur Reliabilität der Messung des zugehörigen Faktors bei.1107 Empfohlen wird daher die Elimination von Indikatoren mit geringer Item-to-Total Korrelation so lange, bis mittels Cronbachschem Alpha akzeptable Reliabilitätswerte ermittelt werden können.1108 Ein Schwellenwert für die Item-to-Total Korrelation wird in der Literatur nicht gefordert. Die gemeinsame Schwäche aller Gütekriterien der ersten Generation besteht vor allem darin, dass sie eher den Charakter von Faustregeln aufweisen,1109 weil sie keine inferenzstatistische Beurteilung zulassen.1110 Dieses Defizit beheben die Gütekriterien der zweiten Generation, deren gemeinsame Grundlage die konfirmatorische Faktorenanalyse nach Jöreskog1111 bildet.1112 Dieses Verfahren stellt einen Spezialfall der allgemeinen Kovarianzstrukturanalyse1113 dar, mittels derer Abhängigkeiten zwischen komplexen Konstrukten untersucht werden können.1114 Anders als die exploratorische Faktorenanalyse stellt die konfirmatorische Faktorenanalyse keinen hypothesenfreien Ansatz dar, sondern dient der Validierung einer vorher bekannten Faktorenstruktur.1115 Dieses Vorgehen impliziert, dass auf 1104
Vgl. Bagozzi (1978), S. 71; Gerbing/Anderson (1988), S. 190.
1105
Vgl. Churchill/Peter (1984), S. 364; Cortina (1993), S. 102f.; Gerbing/Anderson (1988), S. 190; Homburg/Giering (1996), S. 8; Peter (1979), S. 9.
1106
Vgl. Churchill (1979), S. 68. Wie in der Literatur üblich, wird auch in dieser Arbeit die korrigierte Item-to-Total Korrelation ausgewiesen, im Rahmen derer der jeweils untersuchte Indikator nicht mit in die Summenbildung einfließt (vgl. Homburg/Giering (1996), S. 22). Dieses Maß wird auch als (korrigierte) „Trennschärfe“ bezeichnet (vgl. Bortz/Döring (2006), S. 219).
1107
Vgl. Nunnally (1978), S. 279f.
1108
Vgl. Churchill (1979), S. 68.
1109
Vgl. Homburg (2000), S. 90.
1110
Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 189.
1111
Vgl. Jöreskog (1966).
1112
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 9.
1113
Vgl. Jöreskog/Sörbom (1989), S. 37f. Die Kovarianzstrukturanalyse ist auch unter dem Begriff Kausalanalyse bekannt, der jedoch von verschiedenen Autoren als unpräzise und irreführend abgelehnt wird (vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 741; Scholderer/Balderjahn/Paulssen (2006), S. 641f.).
1114
Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 417; Homburg/Giering (1996), S. 9.
1115
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 521.
218
7 Quantitative empirische Untersuchung
der Grundlage konzeptioneller Überlegungen oder einer exploratorischen Faktorenanalyse a priori eine Beziehungsstruktur zwischen Indikatoren und Faktoren unterstellt wird, die dann anhand der empirischen Datenbasis auf Reliabilität und Validität getestet wird.1116 Die Gütekriterien der zweiten Generation geben im Rahmen der konfirmatorischen Faktorenanalyse darüber Auskunft, wie gut sich die im Messmodell spezifizierten Daten an die empirisch gemessenen Daten anpassen lassen. Diese Prüfgrößen werden deshalb auch als Anpassungs- oder Fit-Maße bezeichnet, wobei üblicherweise zwischen lokalen und globalen Anpassungsmaßen unterschieden wird.1117 Globale Gütekriterien beziehen sich auf die Anpassung des Gesamtmodells an die empirischen Daten und können insoweit als Beurteilungsmaßstab für die nomologische Validität dienen.1118 Lokale Anpassungsmaße dagegen dienen der Reliabilitätsprüfung einzelner Indikatoren und Faktoren.1119 Darüber, welche Gütekriterien im Einzelfall zu berücksichtigen sind, existiert in der Literatur vor allem bei den globalen Anpassungsmaßen eine rege Diskussion.1120 In der vorliegenden Arbeit werden wie in vielen Untersuchungen übereinstimmend mit dem Vorschlag von Homburg/Baumgartner (1995a) als globale Gütekriterien der Quotient aus Chi-Quadrat-Wert und der Anzahl der Freiheitsgrade (ɖ;/df)1121, der Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA)1122, der Goodness-of-Fit-Index (GFI)1123, der Adjusted Goodness-of-Fit-Index (AGFI)1124 und der Comparative-Fit-
1116
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 521; Hildebrandt/Trommsdorff (1983), S. 150; Homburg (2000), S. 90; Leeflang et al. (2000), S. 450.
1117
Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 165ff.; Diamantopoulos/Siguaw (2000), S. 82ff.
1118
Vgl. Hildebrandt (1998), S. 104; Homburg/Baumgartner (1995a), S. 165.
1119
Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 165.
1120
Vgl. etwa Byrne (2001), S. 76ff.; Homburg/Giering (1996), S. 10ff.; Hu/Bentler (1998); Hu/Bentler (1999); Kline (2005), S. 134ff.
1121
Der Quotient aus ɖ;-Wert und den Freiheitsgraden dient zur Überprüfung der Validität eines Messmodells mit Hilfe eines Likelihood-Ratio-Tests gegen die Nullhypothese, dass die empirische Kovarianzmatrix der modelltheoretischen Kovarianzmatrix entspricht. Je kleiner der Quotient, desto besser ist das Modell. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 170f.
1122
Der RMSEA prüft, wie gut das theoretische Modell zu den empirischen Daten passt. Dabei wird anders als beim ɖ;-Test nicht die absolute Fehlerfreiheit des Modells, sondern das Ausmaß der Diskrepanz zwischen empirischer und modelltheoretischer Kovarianzmatrix angegeben. Vgl. Byrne (2001), S. 84; Giering (2000), S. 82.
1123
Der GFI entspricht dem Bestimmtheitsmaß in der Regressionsanalyse (vgl. Abschnitt 7.4.2) und misst die relative Menge an Varianz und Kovarianz, der das Modell Rechnung trägt. Damit dient der GFI der Analyse der Diskrepanz zwischen theoretischer und empirischer Kovarianzmatrix. Das Gütekriterium hat einen Wertebereich von null bis eins. Vgl. Bollen (1989), S. 276f.; Homburg/Baumgartner (1995a), S. 168.
1124
Der AGFI berücksichtigt zusätzlich zum GFI durch Einbezug der Freiheitsgrade die Komplexität des Modells und nimmt ebenfalls Werte zwischen null und eins an. Vgl. Bollen (1989), S. 276f.; Homburg/Baumgartner (1995a), S. 168; Jöreskog/Sörbom (1982), S. 408.
7.1 Grundlagen der Konstruktmessung
219
Index (CFI)1125 herangezogen. Bei den lokalen Gütekriterien werden die Indikatorreliabilität1126, die Faktorreliabilität und die durchschnittlich erfasste Varianz1127 sowie der Signifikanztest der Faktorladung (t-Wert)1128 aus der konfirmatorischen Faktorenanalyse angegeben, die vor allem der Beurteilung der Internen-Konsistenz-Reliabilität und der Konvergenzvalidität dienen. Zur Analyse der Diskriminanzvalidität wird auf das Fornell/Larcker-Kriterium zurückgegriffen, demzufolge die durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors größer sein muss als jede quadrierte Korrelation mit einem anderen Faktor.1129 Auf eine formelbasierte Darstellung der einzelnen Gütekriterien soll an dieser Stelle verzichtet werden, da sie in der Literatur bereits vielfach beschrieben wurden und bei der empirischen Untersuchung der vorliegenden Arbeit nicht im Mittelpunkt stehen.1130 Im empirischen Modell dieser Arbeit kommen in großer Zahl formative Konstrukte zum Einsatz, auf die die genannten Kriterien nicht anwendbar sind.1131 Einige Einflussfaktoren der Wertschaffung und der Wertaneignung sind als reflektive Konstrukte spezifiziert und werden deshalb anhand der Gütekriterien erster und zweiter Generation geprüft.
1125
Der CFI stellt ein inkrementelles Anpassungsmaß dar, bei dem die Gütebeurteilung des Modells auf dem Vergleich mit einem Referenzmodell beruht, dessen Indikatoren alle als unabhängig angenommen werden. Die Modellkomplexität findet beim CFI durch Einbezug der Freiheitsgrade Berücksichtigung. Vgl. Byrne (2001), S. 83; Giering (2000), S. 83.
1126
Die Indikatorreliabilität gibt für jedes einzelne Item den Anteil der durch den zugehörigen Faktor erklärten Varianz an und zeigt damit, wie gut der Indikator durch den Faktor abgebildet wird. Der Wertebereich liegt zwischen null und eins. Vgl. Bagozzi (1982b), S. 156; Homburg/Giering (1996), S. 10.
1127
Faktorreliabilität und durchschnittlich erfasste Varianz geben darüber Auskunft, wie gut der jeweilige Faktor durch die zugehörigen Indikatoren repräsentiert wird. Damit erlauben sie die Beurteilung der Reliabilität sowie der Konvergenzvalidität der Indikatoren eines Faktors. Beide Größen nehmen Werte zwischen null und eins an. Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 402; Homburg (2000), S. 91; Homburg/Giering (1996), S. 11.
1128
Der Signifikanztest der Faktorladung dient der Beurteilung der Konvergenzvalidität der Indikatoren und zeigt, wie gut die Items den zugehörigen Faktor messen. Die Signifikanz wird mittels eines einseitigen t-Tests bei 5 Prozent Irrtumswahrscheinlichkeit überprüft, wobei der ermittelte t-Wert mindestens 1,645 betragen muss (vgl. Bagozzi/Yi/Phillips (1991), S. 434; Hildebrandt (1984), S. 46; Homburg/Giering (1996), S. 11). Die konfirmatorische Faktorenanalyse wird in dieser Arbeit mit dem Softwarepaket AMOS 16 durchgeführt. Anstelle von t-Werten gibt AMOS Werte für das sogenannte Critical Ratio (CR) an, welches das Verhältnis von geschätzter Kovarianz und Standardfehler beschreibt (vgl. Arbuckle/Wothke (1999), S. 74). Die Aussagekraft des Critical Ratio aus AMOS ist damit analog zum t-Wert der Faktorladung aus LISREL, welcher in der Literatur üblicherweise angegeben wird.
1129
Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46. Die Prüfung der Diskriminanzvalidität ist auch über einen Ȥ²Differenztest möglich (vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11). Das Fornell/Larcker-Kriterium gilt jedoch als wesentlich strengeres Verfahren (vgl. Anderson/Gerbing (1993), S. 2), weshalb der Ȥ²Differenztest üblicherweise nur Verwendung findet, wenn das Fornell/Larcker-Kriterium nicht erfüllt wird. In der vorliegenden Arbeit ist dies jedoch bei keinem der reflektiven Konstrukte der Fall (vgl. Abschnitt 7.6.4), weshalb auf den Ȥ²-Differenztest nicht weiter eingegangen wird.
1130
Ausführliche Beschreibungen der Gütekriterien finden sich beispielsweise bei Homburg (2000), Homburg/Giering (1996) und Homburg/Pflesser (2000a).
1131
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271.
220
7 Quantitative empirische Untersuchung
In Tabelle 9 sind abschließend noch einmal die verwendeten Prüfgrößen und ihre in der Literatur üblicherweise geforderten Anforderungsniveaus angegeben. Gütekriterien der 1. Generation Cronbachsches Alpha (standardisiert)
0,7
Erklärte Varianz Item-to-Total Korrelation
50 Prozent So lange Cronbachsches Alpha < 0,7 erfolgt die Elimination des Items mit dem niedrigsten Wert
Globale Gütekriterien der 2. Generation ɖ;/df RMSEA
3
CFI
0,9
GFI AGFI
0,9 0,9
Lokale Gütekriterien der 2. Generation Indikatorreliabilität t-Wert der Faktorladung (KFA)
0,4 1,645
Faktorreliabilität
0,6
Durchschnittlich erfasste Varianz (DEV)
0,5
0,08
Diskriminanzvalidität Fornell/Larcker-Kriterium
Tabelle 9
7.2
Quotient aus quadrierter Korrelation von Faktor i mit Faktor j und der durchschnittlich erfassten Varianz < 1 für alle i j Gütekriterien der ersten und zweiten Generation
1132
Reflektive und formative Messmodelle
Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die Grundlagen der Konstruktmessung vorgestellt wurden, wendet sich die Arbeit nun ausführlich der Notwendigkeit zur Unterscheidung von formativen und reflektiven Messmodellen zu. Die reflektive Spezifikation wird in Abschnitt 7.2.1 beschrieben, die formative in Abschnitt 7.2.2. 7.2.1
Reflektive Spezifikation
Eine der maßgeblichen Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit besteht in der Entwicklung einer umfassenden Operationalisierung der Prozesse und Gestaltungsvariablen zur Wertschaffung und Wertaneignung. Gemäß der zuvor beschriebenen Prozedur nach Churchill (1979) müssen bei der Generierung der Item-Menge im zweiten Schritt auch Überlegungen hinsichtlich der Konstruktspezifikation und damit der Richtung des Zusammenhangs zwischen Indikatoren und
1132
In Anlehnung an Homburg (2000), S. 93; Homburg/Giering (1996), S. 13; Homburg/Baumgartner (1995a), S. 172.
7.2 Reflektive und formative Messmodelle
221
latenter Variable angestellt werden.1133 Hierbei sind reflektive und formative Operationalisierungen voneinander zu unterscheiden. Reflektive Messmodelle, die bislang in der empirische Forschung dominieren und auf die auch der Leitfaden von Churchill (1979) ausgerichtet ist, basieren auf dem sogenannten Domain-Sampling-Model.1134 Dabei wird davon ausgegangen, dass die Abgrenzung eines Konstruktes dessen definitorisches Umfeld („domain“) umfasst, welches wiederum alle beobachtbaren Variablen enthält, die die Eigenschaften des Konstruktes beschreiben. Dieses Konzept wird auch als sogenanntes „Indikatoruniversum“ bezeichnet.1135 Reflektive Konstrukte sind also nach dem Domain-Sampling-Model durch eine kausale Beziehung der latenten Variablen in Richtung ihrer beobachtbaren Indikatoren gekennzeichnet. 1136 Die Ausprägung der latenten Variablen ist damit ursächlich für die Ausprägung der Indikatoren verantwortlich. Abbildung 17 zeigt schematisch ein solches Konstrukt.
Legende:
Ʉͳ ɉͳͳ
ɉͳʹ
ɉͳ͵
ͳ
ʹ
͵
Ɂͳ
Ɂʹ
Ɂ͵
Ʉ Ɂ ɉ
latente Variable Indikator Fehlerterm Regressionskoeffizient von j nach z (Faktorladung)
1137
Abbildung 17 Reflektives Messmodell
Die Beziehungsstruktur des dargestellten reflektiven Konstruktes lässt sich mit folgender Gleichung veranschaulichen: ݖݔൌ ߣ݆ ݆ߟݖ ߜݖ
1133
Vgl. Anderson/Gerbing (1982), S. 453.
1134
Vgl. Nunnally (1967), S. 175ff.; Nunnally/Bernstein (1994), S. 216ff.
1135
Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 134.
(1)
1136
Vgl. Bollen (1989), S. 65; Bollen/Lennox (1991), S. 306; Edwards/Bagozzi (2000), S. 161; Rossiter (2002), S. 316.
1137
In Anlehnung an Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 717; Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 201.
222
7 Quantitative empirische Untersuchung
Jeder Indikator stellt demzufolge ein mit der Ladung ɉj gewichtetes und mit dem Fehler Ɂ behaftetes Abbild der latenten Variable Șj dar.1138 Aus der Gleichung wird ersichtlich, dass eine Veränderung der latenten Variablen zu einer Änderung aller beobachtbaren Indikatoren führt.1139 Da die Indikatoren die Ausprägung der latenten Variable reflektieren, werden sie als „reflektiv“1140 oder „effects“1141 bezeichnet. Die Überlegung, dass reflektiven Indikatoren ein gemeinsamer Kern zugrunde liegt (die latente Variable),1142 impliziert, dass a priori alle Indikatoren dieselbe Validität besitzen1143 und miteinander korrelieren,1144 wodurch die Indikatoren untereinander vollständig austauschbar werden.1145 Als Konsequenz wird in der Literatur bei reflektiv spezifizierten Konstrukten daher eine substanzielle Korrelation der Indikatoren untereinander gefordert,1146 da geringe Korrelationen darauf hindeuten würden, dass den Indikatoren nicht der gemeinsame Konstrukt-Kern zugrunde liegt, wodurch sie für die Operationalisierung ungeeignet wären.1147 Die zuvor dargestellten Gütekriterien der ersten und zweiten Generation basieren auf Korrelationen zwischen den Indikatoren1148 und kommen deshalb für die Reliabilitätsund Validitätsprüfung der reflektiven Konstrukte in dieser Arbeit zum Einsatz. 7.2.2
Formative Spezifikation
Verschiedene aktuelle Untersuchungen konnten durch Analysen empirischer Studien in bedeutenden Fachzeitschriften eine beachtliche Zahl an Fehlspezifikationen aufdecken, bei denen eigentlich formative Konstrukte fälschlicherweise reflektiv operationalisiert worden waren.1149 Anders als bei der reflektiven Sichtweise liegt formativen Konstrukten das „operational definition model“ zugrunde, 1150 demgemäß sich ein theoretisches Konstrukt nur über seine Messung definiert und ansonsten
1138
Vgl. Hunt (1991), S. 386.
1139
Vgl. Eggert/Fassott (2003), S. 4; Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 200.
1140
Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 441f.
1141
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 306.
1142
Vgl. Churchill (1979), S. 68.
1143
Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 200.
1144
Vgl. Ley (1972), S. 111f.
1145
Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 200.
1146
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 307.
1147
Vgl. Churchill (1979), S. 68.
1148
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 307.
1149
Vgl. Cohen et al. (1990), S. 184ff.; Eggert/Fassott (2003), S. 6ff.; Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 206f.
1150
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 270.
7.2 Reflektive und formative Messmodelle
223
keine weitere Bedeutung aufweist.1151 Der Unterschied zwischen reflektiven und formativen Messmodellen liegt also in der kausalen Beziehung zwischen der latenten Variablen und ihren Indikatoren. Bei Letzteren ist nicht die latente Variable ursächlich für die Items, sondern das Konstrukt konstituiert sich aus seinen Indikatoren.1152 Abbildung 18 zeigt die schematische Darstellung eines formativen Messmodells.
Legende:
ɂͳ
Ɍ ɂ ɀ
ʇ1 ɀͳͳ
ɀͳʹ
ɀͳ͵
ͳ
ʹ
͵
latente Variable Indikator Fehlerterm Regressionskoeffizient von z nach i Korrelation zwischen den Indikatoren
ʹ͵
ͳʹ ͳ͵
Abbildung 18 Formatives Messmodell
1153
Auch dieser Fall lässt sich über ein lineares Gleichungssystem veranschaulichen: ߦ݅ ൌ σ௭ ߛ ݖݕ݅ݖ ߝ݅
(2)
Dabei ergibt sich die abhängige latente Variable Ɍ als Linearkombination der mit dem Regressionskoeffizienten ɀ gewichteten Indikatoren und dem Fehlerterm ɂ.1154 Die Ausprägung der latenten Variablen entsteht also aus den Ausprägungen der Indikatoren, weshalb solche Messmodelle auch als „formed attribute“1155 oder „Index“1156 bezeichnet werden. Zwar ist bei formativer Spezifikation nicht völlig
1151
Vgl. Bagozzi (1982a), S. 15.
1152
Vgl. Bollen (1989), S. 65; Bollen/Lennox (1991), S. 306; Edwards/Bagozzi (2000), S. 162; Rossiter (2002), S. 315.
1153
In Anlehnung an Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 270; Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 201.
1154
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 306; MacCallum/Browne (1993), S. 533.
1155
Vgl. Rossiter (2002), S. 314
1156
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 269; Fornell/Bookstein (1982), S. 441.
224
7 Quantitative empirische Untersuchung
ausgeschlossen, dass eine Veränderung der latenten Variablen eine Veränderung einzelner Indikatoren bewirkt,1157 jedoch werden in solchen Fällen üblicherweise nicht alle Indikatoren gleichzeitig verändert. Im Gegensatz dazu führt schon eine einzige veränderte Item-Ausprägung zu einer Änderung der latenten Variablen.1158 Die Indikatoren eines formativen Konstruktes können also miteinander korrelieren, müssen dies jedoch nicht.1159 Umgekehrt kann ein zu hohes Maß an linearer Abhängigkeit zwischen den manifesten Variablen sogar problematisch sein: Bei Multikollinearität der Indikatoren besteht die Gefahr verzerrter Schätzungen, weil isolierte Einflüsse einzelner Indikatoren durch die hohen Korrelationen nicht mehr identifiziert werden können.1160 Da Korrelationen also nicht zwingend vorhanden sein müssen, sind die Items bei formativen Konstrukten im Gegensatz zu reflektiven Indikatoren nicht beliebig austauschbar, was eine Skalenbereinigung jedoch nicht a priori ausschließt.1161 Diese darf jedoch nicht anhand der im vorigen Abschnitt eingeführten Gütekriterien der ersten und zweiten Generation erfolgen1162, da hierbei zwangsläufig Probleme mit der Inhaltsvalidität entstehen würden, wenn einzelne Indikatoren und damit möglicherweise ganze Konstruktfacetten wegen mangelnder Korrelationen eliminiert würden.1163 Hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob ein Konstrukt formativ oder reflektiv zu spezifizieren ist, bietet die existierende Forschung bislang nur wenige Hilfestellungen. In der Literatur werden einerseits Beurteilungen durch Experten empfohlen,1164 andere Autoren überlassen die Entscheidung dem Forscher und stellen hierfür einen Katalog ausgewählter Fragen bereit,1165 die sich jedoch prinzipiell immer auf die grundsätzliche Problematik der Kausalität zwischen Indikatoren und Konstrukt zurückführen lassen.1166 Eberl (2006) schlägt mit dem Tetrad-Test ein statistisches Verfahren zur Prüfung der Spezifikation vor, das jedoch bspw. bei substanziell korrelierenden formativen Indikatoren keinen Unterschied zu einem entsprechenden reflektiven Modell feststellen kann.1167 In der vorliegenden 1157
Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 201f.
1158
Vgl. Eggert/Fassott (2003), S. 3.
1159
Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 201f.
1160
Vgl. Eberl (2006), S. 652, sowie die detaillierteren Ausführungen zur Multikollinearität weiter unten in diesem Abschnitt.
1161
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271.
1162
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271; Rossiter (2002), S. 315.
1163
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 308.
1164
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271; Rossiter (2002), S. 306.
1165
Vgl. Chin (1998a), S. IX; Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 203.
1166
Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 47.
1167
Vgl. Eberl (2006), S. 660.
7.2 Reflektive und formative Messmodelle
225
Untersuchung wird die Problematik dadurch verstärkt, dass die zentralen Konstrukte in den Bereichen Wertschaffung und Wertaneignung als Faktor-Messmodelle höherer Ordnung spezifiziert werden sollen und damit eine formative oder reflektive Spezifikation jeweils auf beiden hierarchischen Konstruktebenen denkbar ist.1168 Die Arbeit stützt sich bei der Entscheidung vor allem auf bereits existierende Spezifikationen aus inhaltlich und konzeptionell vergleichbaren Untersuchungen in der Literatur1169 sowie intensive Diskussionen mit Experten aus Wissenschaft und Praxis. Zudem können für jedes Konstrukt die in der nachfolgenden Tabelle 10 zusammengefassten Entscheidungsfragen beantwortet und die entsprechenden Implikationen daraus abgeleitet werden. Leitfragen Welche inhaltliche Rolle weisen die Indikatoren im Verhältnis zur latenten Variablen auf? Eine Veränderung der latenten Variablen…
Reflektive Spezifikation Die Indikatoren spiegeln das Konstrukt wider.
Formative Spezifikation Die Indikatoren konstituieren das Konstrukt.
…führt zu einer Veränderung aller zugeordneten Indikatoren.
…resultiert aus der Änderung mindestens eines zugeordneten Indikators.
Ändert sich der Inhalt des Konstruktes durch Elimination einzelner Indikatoren?
Nein.
Ja.
Sind die Indikatoren der latenten Variablen untereinander hoch korreliert?
Ja.
Nicht notwendigerweise.
Tabelle 10 Leitfragen zur Messmodellspeziikation
1170
Die Tatsache, dass klassische Gütekriterien wie geschildert bei formativen Konstrukten nicht anwendbar sind, wirft die Frage auf, wie Reliabilität und Validität stattdessen beurteilt werden können. Richtlinien zur Entwicklung formativer Indizes sind in der Literatur äußerst selten, die am weitesten verbreiteten Verfahren stammen von Diamantopoulos/Winklhofer (2001) und Rossiter (2002). Diamantopoulos/Winklhofer (2001) schlagen eine vierstufige Prozedur vor, die die Schritte Inhaltsspezifizierung, Indikator-Spezifizierung, Prüfung der Multikollinearität und Prüfung der externen Validität1171 umfasst.1172 Auch in diesem Schema bildet wie
1168
Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 205.
1169
Vgl. Bruhn/Georgi/Hadwich (2008); Reinartz/Krafft/Hoyer (2004).
1170
In Anlehnung an Conze (2007), S. 95; Fassott (2006), S. 71; Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 47f.; Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 203.
1171
Externe Validität liegt in Ergänzung zu den vorher dargestellten Validitätskriterien vor, wenn die Ergebnisse einer Untersuchung über die spezielle Untersuchungssituation und die untersuchten Probanden hinaus generalisierbar sind (vgl. Bortz/Döring (2006), S. 53).
1172
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271ff.
226
7 Quantitative empirische Untersuchung
bei Churchill (1979) eine genaue Definition und Abgrenzung des zu untersuchenden Konstruktes die Basis der Operationalisierung. Bei formativer Spezifikation ist dieser Stufe jedoch eine noch deutlich größere Bedeutung beizumessen als bei reflektiver, da formative Indizes üblicherweise abstrakter und inhaltlich ambiguoser sind als reflektive Konstrukte.1173 Dementsprechend ist die Auswahl geeigneter Indikatoren im zweiten Schritt ein besonders kritischer Prozess, da nicht wie bei reflektiven Konstrukten eine zufällige Auswahl von Items aus dem Indikatoruniversum getroffen werden kann,1174 sondern alle relevanten Variablen erfasst werden müssen.1175 Welche Variablen relevant sind, ergibt sich aus der Definition und Abgrenzung des Konstruktes. Dies verdeutlicht noch einmal, dass eine Reliabilitätsprüfung anhand der gängigen Gütekriterien kein sinnvolles Ergebnis liefern kann, sondern die Eignung der Items nur anhand der externen Validität untersucht werden darf.1176 Bevor diese Überprüfung verlässlich durchgeführt werden kann, wird jedoch im dritten Untersuchungsschritt zunächst die Analyse auf Multikollinearitäts-Probleme gefordert. Multikollinearität im Sinne der bereits angesprochenen hohen Korrelationen zwischen den Indikatoren eines formativen Messmodells liegt vor, wenn sich ein Item durch eine lineare Funktion der übrigen Items darstellen lässt.1177 Wie Gleichung (2) gezeigt hat, basieren formative Messmodelle auf dem Prinzip der multiplen linearen Regression, bei der eine Schätzung der Regressionskoeffizienten durch Multikollinearität erschwert oder sogar unmöglich werden kann.1178 Interpretiert man die Höhen der Regressionskoeffizienten als Validitätskoeffizienten1179, ergibt sich bei hoher Multikollinearität dementsprechend ein Problem bei der Validitätsbeurteilung der Items.1180 Multikollinearität deutet darüber hinaus auf redundante Indikatoren hin, sodass zu Gunsten einer sparsamen Modellspezifikation unter Umständen eine Item-Elimination vorgenommen werden kann, wenn diese inhaltlich vertretbar erscheint.1181Eine erste Prüfung auf Multikollinearität kann anhand der Betrachtung der Korrelationsmatrix aller Indikatoren eines Konstruktes (paarweise)
1173
Vgl. Bagozzi (1994), S. 333.
1174
Vgl. DeVellis (1991), S. 55.
1175
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 308.
1176
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272.
1177
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 87.
1178
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 87.
1179
Vgl. Bollen (1989), S. 197.
1180
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272.
1181
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 30; Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272.
7.2 Reflektive und formative Messmodelle
227
erfolgen, woraus sich jedoch nur erste Hinweise auf Multikollinearität ergeben. 1182 Hohe Korrelationskoeffizienten (nach Pearson) nahe eins zwischen zwei Indikatoren gelten dabei als deutliche Anzeichen für starke Kollinearität.1183 Bei mehr als zwei Indikatoren wird das Auftreten von Multikollinearität üblicherweise anhand der Ungenauigkeit der Regressionskoeffizientenschätzer überprüft, indem die Toleranzund Varianzinflationswerte (VIF) analysiert werden. Der VIF errechnet sich als Kehrwert der Toleranz und gibt an, um welchen Faktor die Varianz eines Parameterschätzers aufgrund von Multikollinearität „aufgebläht“ ist.1184 Zur Ermittlung sind eine Reihe von Regressionsanalysen notwendig, bei denen jeder formative Indikator ݖݕeines Konstruktes einmal als abhängige Variable durch die anderen formativen Indikatoren des Messmodells erklärt wird. Das dabei jeweils errechnete Bestimmtheitsmaß ; wird gemäß der folgenden Formel für die Bestimmung des VIF des Indikators ݖݕverwendet:
ൌ
ͳ ͳǦ;
(3)
Als problematisch werden in der Literatur Varianzinflationswerte größer als zehn angesehen1185, die sich gemäß Gleichung (3) ergeben, wenn die gemeinsame Varianz eines Indikators mit den anderen Indikatoren im Messmodell bei über 90 Prozent liegt. Zur weiteren Beurteilung der Multikollinearität kann der Konditionsindex herangezogen werden, bei dem der größte in der Regressionsschätzung vorkommende Eigenwert () und der jeweils zu betrachtende Eigenwert der Varianz-Kovarianz-Matrix der unstandardisierten Regressionskoeffizienten zwischen den Indikatoren und der latenten Variablen nach Gleichung (4) ins Verhältnis gesetzt werden:
ܫܭൌට
(4)
Werte für den Konditionsindex von über 30 deuten auf hohe Multikollinearität hin und machen eine Anpassung des Messmodelles unbedingt erforderlich.1186
1182
Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 729. Da über Korrelationsmatrizen nur paarweise lineare Abhängigkeiten zwischen Indikatoren abgebildet werden können, lassen sich auf diese Weise keine Aussagen über die Multikollinearität von drei oder mehr Indikatoren treffen. Demzufolge kann Multikollinearität zwischen mehreren Indikatoren auch bei niedrigen bivariaten Korrelationen vorliegen. Vgl. Belsley (1991), S. 29.
1183
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 89.
1184
Vgl. Ringle/Spreen (2007), S. 214.
1185
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272.
1186
Vgl. Belsley/Kuh/Welsch (1980), S. 105.
228
7 Quantitative empirische Untersuchung
Können Probleme durch Multikollinearität ausgeschlossen oder bereinigt werden, bildet die vierte Stufe der Vorgehensweise von Diamantopoulos/Winklhofer (2001) abschließend die Beurteilung der externen Validität. Dafür schlagen die Autoren drei alternative Methoden vor: Berechnung der Korrelationen jedes einzelnen Indikators mit einer externen Variablen (Außenkriterium), MIMIC-Modelle oder die Schätzung eines Zwei-Konstrukt-Modells durch Einführung einer Phantomvariablen.1187 Die Berechnung von Korrelationen aller Indikatoren mit einer externen Variablen1188 entspricht dem Vorgehen zur Untersuchung der Kriteriumsvalidität (vgl. Kapitel 7.1.1), wobei diejenigen Indikatoren für eine Elimination in Frage kommen, die keine signifikanten Beziehungen zum Außenkriterium aufweisen. Dieses Vorgehen ist insofern problematisch, da je nach Untersuchungskontext keine oder sogar mehrere Außenkriterien vorstellbar sein können.1189 Außerdem besteht stets die Gefahr einer fehlerhaften Messung des Außenkriteriums, was zu falschen Schlüssen bei der Validitätsbestimmung führen würde.1190 MIMIC-Modelle stellen eine spezielle Form der Kovarianzstrukturanalyse dar,1191 bei der ein Konstrukt sowohl formativ als auch reflektiv spezifiziert ist.1192 Bei der Anwendung kovarianzbasierter Analysesoftware wie LISREL1193 oder AMOS1194 kann die Güte der Operationalisierung anhand globaler Fit-Maße der zweiten Generation abgeschätzt werden. Maßgeblich ist zudem, wie viel Varianz der reflektiven Indikatoren die formativen Items erklären können.1195 In der Analyse können dabei diejenigen formativen Indikatoren eliminiert werden, deren Pfadkoeffizienten nicht signifikant sind.1196 Gegenüber dem zuvor genannten Verfahren weisen MIMICModelle den Vorteil auf, dass die gesamte Gruppe der formativen Indikatoren simultan überprüft wird und damit das Zusammenwirken der Items berücksichtigt werden kann.1197 Bei der dritten Möglichkeit, der Schätzung eines Zwei-Konstrukt-Modells, wird das interessierende Konstrukt mit einem weiteren, reflektiv gemessenen Faktor
1187
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272ff.; Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 720.
1188
Vgl. Bagozzi (1994), S. 333.
1189
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 201; Diekmann (2008), S. 258.
1190
Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 156.
1191
Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 441f.; Jöreskog/Goldberger (1975), S. 631ff.
1192
Vgl. Bollen (1989), S. 331, S. 387f.
1193
Vgl. Jöreskog/Sörbom (1989).
1194
Vgl. Arbuckle/Wothke (1999).
1195
Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 51.
1196
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272.
1197
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272.
7.2 Reflektive und formative Messmodelle
229
(Phantomvariable) verknüpft.1198 Von dieser latenten Variablen wird a priori angenommen, dass sie mit dem fokalen Konstrukt kausal in einem vor- oder nachgelagerten Zusammenhang steht. Findet sich zwischen den beiden latenten Variablen der theoretisch erwartete Zusammenhang, kann dies als Hinweis für das Vorliegen nomologischer Validität der verwendeten Messmodelle (vgl. Abschnitt 7.1.1) angesehen werden.1199 Über die Eignung einzelner Indikatoren des formativen Index kann analog zum MIMIC-Modell anhand der Signifikanz der Pfadkoeffizienten entschieden werden. Fundamentale Kritik an den genannten Vorgehensweisen übt Rossiter (2002), indem er bemängelt, dass die Entscheidung über Beibehaltung oder Elimination von Indikatoren wie bei den klassischen Gütekriterien anhand statistischer Kriterien erfolgt.1200 Dem setzt der Autor seine eigene sechsstufige „C-OAR-SE“-Prozedur entgegen, die stärker auf rationalen Überlegungen als auf empirischen Kriterien beruht.1201 Analog zu bisherigen Vorgehensweisen steht auch hier eine exakte Abgrenzung des Konstruktes an erster Stelle („construct definition“). Diese erfolgt übergeordnet vor den Schritten Klassifizierung des Objektbereiches für das Konstrukt („object classification“), Identifikation und Klassifizierung der Attribute („attribute classification“) und Identifikation der Beurteilungspersonen („rater identification“).1202 Die Ablehnung statistischer Kriterien äußert sich speziell bei der eigentlichen Skalenentwicklung im vierten Schritt („scale formation“). Die Bewertung verwendeter Items erfolgt rein auf Basis eines Pre-Tests mit Experten oder Probanden aus der Grundgesamtheit.1203 Die vollständige Erfassung aller Items eines Konstruktes sieht Rossiter im Gegensatz zu anderen Autoren1204 dabei nicht als notwendig an. Die Erfassung der Hauptkomponenten eines Konstruktes mit einem einzelnen Item hält er für ausreichend und befürwortet die Verwendung multipler Indikatoren nur, falls dies für die Erfassung einzelner Konstruktkomponenten zwingend erforderlich ist.1205 In der abschließenden Stufe „enumeration“ wird festgelegt, in welcher Form ein
1198
Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 720.
1199
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 273; Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 730.
1200
Vgl. Rossiter (2002), S. 315.
1201
Vgl. Rossiter (2002), S. 308.
1202
Vgl. Rossiter (2002), S. 308ff., und für eine kritische Diskussion dieser Vorgehensweise Diamantopoulos (2005), S. 2ff.
1203
Vgl. Rossiter (2002), S. 320f.
1204
Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 308.
1205
Vgl. Rossiter (2002), S. 321.
230
7 Quantitative empirische Untersuchung
sinnvoller Faktorwert (z.B. Absolut- oder Durchschnittswerte) für die entwickelte Skala abzuleiten ist.1206 Die Ausführungen machen deutlich, dass anders als bei reflektiven Konstrukten bislang für die Entwicklung formativer Messmodelle kein vollständig etabliertes Verfahren existiert.1207 In der vorliegenden Arbeit wird deshalb ein Mittelweg gewählt: Ausgehend von einer expliziten Konstruktspezifikation, werden Items basierend auf umfangreicher Literaturrecherche und den qualitativen Vorstudien identifiziert und zugeordnet (vgl. Abschnitt 7.6.1). Zur Validitätsbeurteilung werden neben einem PreTest der Skalen mit ausgewählten Experten aus Wissenschaft und Praxis1208 im Rahmen der Haupterhebung überwiegend Zwei-Konstrukt-Modelle zur Bildung nomologischer Netze herangezogen. Aufgrund der zahlreichen formativen Messmodelle, die in dieser Arbeit zu berücksichtigen sind, erscheint eine Prüfung über MIMIC-Modelle aus erhebungsökonomischen Gesichtspunkten nicht durchführbar, da für jedes formative Konstrukt zusätzlich mindestens zwei reflektive Indikatoren erhoben werden müssten.1209 Der Einsatz nomologischer Netze hat den Vorteil, dass bereits bei der Gütebeurteilung der formativen Messmodelle eine Aussage bezüglich kausaler Beziehungen zu den anderen endogenen und exogenen Variablen möglich ist. Der folgende Abschnitt wendet sich nun den Besonderheiten der Parameterschätzung unter Berücksichtigung formativer Konstrukte zu. 7.3
Schätzverfahren für reflektive und formative Messmodelle
Üblicherweise werden in den Sozialwissenschaften zur Analyse kausaler Beziehungen zwischen latenten Variablen kovarianzbasierte Verfahren verwendet.1210 Da diese jedoch die Einbindung formativer Indizes nur sehr eingeschränkt zulassen1211 und eher auf eine reflektive Konstruktspezifikation aus-
1206
Vgl. Rossiter (2002), S. 324f.
1207
Vgl. zu dieser Diskussion insbesondere die Beiträge von Diamantopoulos (2005), Finn/Kayande (2005) sowie Rossiter (2005).
1208
Um eine Fehlspezifikation zu vermeiden empfehlen Anderson/Gerbing (1991), S. 732ff., im Rahmen eines Pre-Tests die Berechnug zweier Indizes in Bezug auf die Zuordnung von Indikatoren zu den Konstrukten. Dabei werden die Anzahl der richtigen Zuordnungen ins Verhältnis zur Anzahl der befragten Personen gesetzt. Da die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Konstrukte auf umfangreichen theoretischen und qualitativ-empirischen Vorarbeiten beruhen, wurde von der Bildung der vorgeschlagenen Indizes abgesehen. Vgl. ähnlich Knollmann (2008), S. 112; Spillecke (2006), S. 94.
1209
Vgl. Fassott (2005), S. 25.
1210
Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 386; Fornell/Bookstein (1982), S. 440; Hildebrandt (1995), Sp. 1129.
1211
Vgl. für eine ausführliche Diskussion Temme (2006), S. 185ff.
7.3 Schätzverfahren für reflektive und formative Messmodelle
231
gerichtet sind1212, erweisen sie sich für die empirische Untersuchung in der vorliegenden Arbeit als ungeeignet. Stattdessen bietet sich die auf den schwedischen Ökonometriker Herman Wold1213 zurückgehende, varianzbasierte Partial Least Squares (PLS) Analyse an, die bislang eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat und in neuerer Zeit vor allem in deutschsprachigen Arbeiten Verbreitung findet.1214 Komplexe Kausalbeziehungen zwischen Konstrukten werden normalerweise mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen untersucht,1215 zu deren Berechnung das genannte PLS-Verfahren oder die Kovarianzstrukturanalyse in Betracht kommen.1216 Strukturgleichungsmodelle sind überbestimmte Gleichungssysteme, bei denen die Anzahl der zu schätzenden Parameter niedriger ist als die Anzahl der Gleichungen. Kovarianzbasierte Methoden stellen dabei die Basis gängiger Analysesoftware wie LISREL1217 oder AMOS1218 dar und nehmen deshalb eine dominierende Rolle in der empirischen Sozialforschung ein.1219 Diese Verfahren zielen darauf ab, die Kovarianzmatrix der manifesten Variablen zu reproduzieren und dadurch die Differenz zwischen den vom Modell vorhergesagten Kovarianzen und den empirisch in der Stichprobe beobachteten Kovarianzen zu minimieren. Gängiges Instrument hierfür ist der Maximum-Likelihood Algorithmus (ML),1220 dessen strenge Anforderungen an die Datenbasis in der Praxis jedoch häufig nicht erfüllt sind.1221 Erforderlich sind u.a. intervallskalierte Daten, Unabhängigkeit der Beobachtungen und die Kenntnis der den Modell-Variablen zugrunde liegenden Verteilung (Normalverteilung beim ML-Schätzer).1222 Der PLS-Algorithmus hingegen stellt weit weniger strenge Anforderungen an die Datenbasis, da nicht die Kovarianzen in den manifesten Variablen erklärt, sondern mit Hilfe kleinster Quadrate-Schätzungen Werte für die latenten Variablen
1212
Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 310.
1213
Vgl. Wold (1975); Wold (1982).
1214
Vgl. Fassott (2006), S. 69; Fornell/Bookstein (1982), S. 440.
1215
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 511.
1216
Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 35.
1217
Vgl. Jöreskog/Sörbom (1989).
1218
Vgl. Arbuckle/Wothke (1999).
1219
Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 386; Fornell/Bookstein (1982), S. 440; Hildebrandt (1995), Sp. 1129.
1220
Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 309.
1221
Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 440.
1222
Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 309; Fornell/Cha (1994), S. 55. Auf eine detaillierte Beschreibung der Kovarianzstrukturanalyse wird im vorliegenden Rahmen verzichtet. Ausführliche Abhandlungen finden sich bspw. bei Bagozzi (1980), Balderjahn (1986), S. 77ff., oder Jöreskog (1973).
232
7 Quantitative empirische Untersuchung
prognostiziert werden sollen.1223 Diese werden als gewichtete Summen ihrer Indikatoren aufgefasst. Das Vorgehen erfolgt dabei varianzbasiert, da der PLSAlgorithmus die Gewichte der einzelnen Indikatoren so errechnet, dass der Anteil der erklärten Varianz der endogenen Variablen durch die Werte der exogenen Variablen maximiert wird.1224 Das Verständnis latenter Variablen als gewichtete Summe der Indikatoren verdeutlicht die explizite Nähe des PLS-Verfahrens zu formativen Konstrukten, wobei jedoch auch die Spezifikation reflektiver Messmodelle uneingeschränkt durchführbar ist.1225 Neben der Möglichkeit zur problemlosen Berücksichtigung beider Messmodell-Typen weist der PLS-Algorithmus gegenüber kovarianzbasierten Verfahren eine Reihe weiterer Vorteile auf: PLS erlaubt es, ordinal- und intervallskalierte Variablen gleichzeitig zu verwenden und trifft keine spezielle Verteilungsannahme hinsichtlich der Datenbasis.1226 Auch die Anforderungen an die Stichprobengröße sind deutlich geringer als bei kovarianzbasierten Verfahren, wodurch sich der PLS-Ansatz auch speziell für Untersuchungen mit eher explorativem Charakter eignet.1227 Die Parameterschätzungen nähern sich dabei mit zunehmendem Stichprobenumfang und gleichzeitig wachsender Indikatoranzahl den wahren Werten an („consistency at large“).1228 Dies bedeutet in Konsequenz, dass eine latente Variable dem Gedanken formativer Messmodelle folgend, so viele Indikatoren wie möglich besitzen sollte,1229 wobei jedoch eine theoretisch bedingte Begrenzung der Indikatorenzahl zu berücksichtigen ist.1230 PLS-Modelle werden über einen iterativen Algorithmus geschätzt, bei dem über Regressionen ein Teil der Parameter näherungsweise errechnet wird, während der
1223
Vgl. Chin (1998b), S. 297; Chin/Newsted (1999), S. 312f.; Fornell/Bookstein (1982), S. 440; Fornell/Cha (1994), S. 52.
1224
Vgl. Chin (1998b), S. 301; Chin/Newsted (1999), S. 312f.;
1225
Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 441f.
1226
Vgl. Chin (1998b), S. 314f.; Fornell/Bookstein (1982), S. 442.
1227
Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 313.
1228
Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 329; Wold (1982), S. 25. Nach Chin (1998b), S. 311, lässt sich der notwendige Stichprobenumfang über eine einfache Heuristik bestimmen: Hierzu muss die größte Anzahl der Indikatoren bei den unabhängigen Variablen mit der größten Anzahl an Prädiktoren bei den abhängigen Variablen verglichen werden. Das Maximum der beiden Größen wird mit 10 multipliziert und gibt den erforderlichen Stichprobenumfang an. In der vorliegenden Untersuchung ergibt sich nach dieser Methode ein minimaler Stichprobenumfang von 90, was von dem tatsächlich erzielten n = 182 (vgl. Abschnitt 7.5.1) weit überschritten wird.
1229
Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 41.
1230
Vgl. Lohmöller (1989), S. 213ff.
7.3 Schätzverfahren für reflektive und formative Messmodelle
233
andere Teil der Parameter als bekannt angenommen und konstant gehalten wird1231. Zu Schätzen sind dabei drei Gruppen von Parametern:1232 x Die Gewichte der Indikatoren zur Berechnung der Werte für die latenten Variablen. x Die Pfadkoeffizienten der Verbindungen der latenten Variablen untereinander (Strukturmodell) und mit ihren jeweiligen Indikatoren (Messmodell). x Lage- und Streuungsparameter der Indikatoren und latenten Variablen. In der vorliegenden Arbeit wird im Hinblick auf die Parameter in der ersten Gruppe der Vorteil des PLS-Algorithmus ausgenutzt, dass direkt standardisierte Werte für die latenten Variablen aus der gewichteten Summe der Indikatoren berechnet werden. Diese können zu weiteren Auswertungen in eine Regressionsanalyse einbezogen werden.1233 Das in der vorliegenden Arbeit verwendete ökonometrische Vorgehen zur simultanen Schätzung eines Mehrgleichungsmodelles wird im folgenden Abschnitt beschrieben. Der PLS-Ansatz kommt dabei insofern zum Einsatz, als mit Hilfe des Softwareprogramms SmartPLS 2.01234 die formativen Konstrukte operationalisiert und hinsichtlich ihrer Validität beurteilt werden, bevor sie über die Faktorwerte Eingang in die mehrstufige Regressionsanalyse finden, die mit dem Softwareprogramm Stata 8.2 SE durchgeführt wird. Auf eine weitergehende Darstellung von Strukturgleichungsmodellen auf Basis des PLS-Verfahrens und dafür einschlägiger Gütekriterien kann daher verzichtet werden. Wie im vorigen Abschnitt deutlich gemacht wurde, ist eine Prüfung auf Indikatorreliabilität bei formativen Konstrukten nicht sinnvoll. Die Indikatorrelevanz wird stattdessen anhand der Gewichte beurteilt, die vom PLS-Algorithmus in der ersten Parameter-Gruppe geschätzt werden. Diese Gewichte sind üblicherweise deutlich geringer als die Faktorladungen reflektiver Items und niedrige Werte dürfen deshalb nicht als Anzeichen für ein fehlerhaftes Messmodell angesehen werden.1235 Die Signifikanz der Ladungen wird über einen t-Test mit Hilfe der Bootstrapping-Methode1236 ermittelt, wobei ein Signifikanzniveau von p200) als 1231
Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 441; Fornell/Cha (1994), S. 62.
1232
Eine formale Darstellung des PLS-Algorithmus findet der interessierte Leser bspw. bei Fornell/Bookstein (1982), S. 441ff., oder Lohmöller (1989), S. 29ff.
1233
Vgl. Fornell et al. (1996), S. 11; Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 299.
1234
Vgl. Ringle/Wende/Will (2006).
1235
Vgl. Chin (1998b), S. 307.
1236
Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 731. Zur Signifikanz-Beurteilung in PLS werden üblicherweise Resampling-Verfahren wie Bootstrapping oder Jackknifing eingesetzt. Diese unterscheiden sich dadurch, dass bei Ersterem das Subsample über eine Anzahl zufällig ausgewählter Fälle geschätzt wird, während bei Letzterem schematisch eine feste Zahl zu unterdrückender Fälle fixiert wird. Aufgrund geringerer Standardfehler wird in der Literatur die Verwendung des Bootstrapping anstelle des Jackknifing empfohlen (vgl. Efron/Gong (1983), S. 39f.; Efron/Tibshirani (1993), S. 145f.).
234
7 Quantitative empirische Untersuchung
ausreichend zu betrachten ist.1237 Eine Indikatorenelimination erfolgt in der vorliegenden Arbeit jedoch auch bei niedrigen und nicht signifikanten Gewichten nur unter Abwägung inhaltlicher Gesichtspunkte. Hinsichtlich der reflektiv zu spezifizierenden Konstrukte wird eine Gütebeurteilung im kovarianzbasierten Softwareprogramm AMOS 16 vorgenommen, da hier bei reflektiven Konstrukten umfangreichere, inferenzstatistische Gütekriterien zur Verfügung stehen als im Rahmen der PLS-Modellierung.1238 7.4
Ökonometrische Mehrgleichungsmodelle
Dieser Abschnitt liefert eine Ausführliche Beschreibung ökonometrischer Mehrgleichungsmodelle. Dabei wird in Teilkapitel 7.4.1 auf die Grundlagen dieser Verfahren eingegangen und in Abschnitt 7.4.2 werden ausgewählte Kriterien zur Gütebeurteilung vorgestellt. 7.4.1
Grundlagen
Die Ökonometrie1239 widmet sich als spezielles Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften der Beantwortung ökonomischer Fragestellungen aus Theorie und Praxis.1240 Um theoretische Überlegungen, mathematische Modelle und empirische Daten zusammenzubringen, findet hierbei ein spezielles Instrumentarium statistischer Methoden Anwendung. Unterschieden wird in der Ökonometrie grundsätzlich zwischen zwei Gruppen von Modellen. Zum einen existieren ökonometrische Eingleichungsmodelle, bei denen 1237
Als Ziehungsgröße (Sample Size) für das Bootstrapping wird in Anlehnung an Rodgers (1999), S. 448, die tatsächliche Stichprobengröße aus der empirischen Untersuchung (vgl. Abschnitt 7.5) gewählt. In der statistischen Testtheorie sind bereits ab 200 Ziehungen die statistischen Verteilungsannahmen einer unendlichen Ziehung mit Zurücklegen erfüllt, weshalb bei jedem Bootstrapping 200 Ziehungen durchgeführt werden.
1238
Vgl. Scholderer/Balderjahn (2005), S. 91. Die Schätzung erfolgt dabei auf Basis des gängigen ML-Algorithmus, der grundsätzlich eine Multinormalverteilung der Variablen in der Stichprobe erfordert (vgl. Bühner (2004), S. 201; Hu/Bentler (1999), S. 5). Wie in vielen Untersuchungen muss diese jedoch auch für die Datengrundlage der vorliegenden empirischen Studie (vgl. Abschnitt 7.5) auf Basis des Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstests abgelehnt werden. In Simulationsstudien hat sich das ML-Verfahren jedoch als relativ robust gegenüber Verletzungen der Normalverteilungsannahme erwiesen (vgl. Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 26), sodass zur alternativen Beurteilung für die Anwendbarkeit des ML-Verfahrens auf die Prüfung von Schiefe und Kurtosis der Daten zurückgegriffen wird (vgl. Bühner (2004), S. 201; Kline (2005), S. 49f.). Als akzeptabel wird entsprechend den Empfehlungen von Kline (2005), S. 50, eine Schiefe kleiner als 3 und eine Kurtosis kleiner als 8 betrachtet. Diese Grenzen sind für alle 168 Variablen der Datenbasis eingehalten, weshalb die ML-Methode beibehalten werden kann. Die übrigen Auswertungsverfahren der vorliegenden Arbeit basieren nicht auf dem ML-Verfahren, weshalb die Verletzung der Normalverteilungsannahme insgesamt als unkritisch einzustufen ist.
1239
Der Begriff Ökonometrie geht auf Ragnar Frisch zurück (vgl. Frisch (1936), S. 95).
1240
Vgl. Hackl (2005), S. 22.
7.4 Ökonometrische Mehrgleichungsmodelle
235
der Einfluss einer oder mehrerer unabhängiger (exogener, erklärender) Variablen (Regressoren) auf eine abhängige (endogene) Variable (Regressand) untersucht wird. Bei einem solchen unilateralen Zusammenhang, der in einer einzelnen Gleichung erfasst werden kann, wird von einer einfachen bzw. multiplen Regression gesprochen.1241 Zum anderen werden bei vielen Fragestellungen ökonometrische Mehrgleichungsmodelle genutzt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass abhängige Variablen einer Gleichung des Modells in einer anderen Gleichung als Regressoren verwendet werden.1242 Zur Illustration eines solchen Modells findet sich in Abbildung 19 das folgende stark vereinfachte Beispiel: Demnach beeinflussen die Variablen A und B die endogene Variable C. Diese stellt jedoch in der zweiten Gleichung zusammen mit der Variablen D einen Regressor der Variablen E dar.
Eingleichungsmodell
Mehrgleichungsmodell
Einfache Regression
Erste Gleichung
X
Y
A C B
Multiple Regression
X1 X2
Zweite Gleichung
C E
Y D
X3 Abbildung 19 Regression mit Ein- und Mehrgleichungsmodellen
1241
Vgl. von Auer (2007), S. 133; Backhaus et al. (2008), S. 52ff.; Gujarati (1995), S. 32ff. und S. 191ff.
1242
Vgl. Gujarati (1995), S. 635f.; Hackl (2005), S. 336; Schulze (2000), S. 609; Studenmund (2006), S. 475f.
236
7 Quantitative empirische Untersuchung
Während Variable C somit nachfolgend in Gleichung (5) als endogen angesehen wird, findet sie in Gleichung (6) als modellexterne, unabhängige Variable Berücksichtigung. Diese wechselseitige Beziehung erfordert die gleichzeitige Betrachtung mehrerer Gleichungen, welche in der folgenden Form dargestellt werden können:
ൌȽͳȾͳͳȗȾʹͳȗɂͳ
(5)
ൌȽʹȾͳʹȗȾʹʹȗɂʹ
(6)
Die den Variablen auf der rechten Seite des Gleichungssystems zugeordneten Regressionskoeffizienten Ⱦ stellen einen Indikator für die Höhe des Einflusses der zugehörigen Variablen auf die abhängige Variable dar. Diese Regressionskoeffizienten geben an, um wie viele Einheiten sich die abhängige Variable ändert, wenn eine zugehörige unabhängige Variable bei Konstanz aller anderen Variablen um eine Einheit variiert wird.1243 Um die Höhe der Regressionskoeffizienten auch dann vergleichen zu können, wenn die Variablen unterschiedliche Skalenniveaus aufweisen, werden üblicherweise standardisierte Koeffizienten verwendet, die als Beta-Werte bezeichnet werden.1244 Die Konstante der Regressionsfunktion Ƚ ist das feste Glied der Gleichung und gibt den Achsenabschnitt der Regressionsgeraden an. Der Störterm ɂǡ auch als Residuum, Störgröße oder Fehlerterm bezeichnet, beschreibt darüber hinaus den unsystematischen Einfluss auf die abhängige Variable.1245 Damit die Abhängigkeiten innerhalb eines Variablensystems mit einem auf Regressionen basierenden, interdependenten Mehrgleichungsmodell abgebildet werden können, ist ein geeigneter Schätzalgorithmus erforderlich. Zur Schätzung der Abhängigkeiten gilt der Kleinste-Quadrate-Schätzer (OLS) als gängigster Regressionsalgorithmus.1246 Er ermittelt die Parameter der Regressionsgleichung durch Minimierung der quadratischen Abweichungen zwischen den Beobachtungs- und den Schätzwerten.1247 Dieses Verfahren lässt sich auf jede Gleichung eines Systems separat anwenden, was jedoch gleichbedeutend ist mit einem teilweisen Verzicht auf Informationen, die in den übrigen Modellgleichungen enthalten sind. Da zudem eine Unterscheidung zwischen endogenen und vorherbestimmten Variablen ignoriert wird, ergeben sich bei der herkömmlichen OLS-Methode verzerrte und inkonsistente
1243
Vgl. auch im Folgenden Backhaus et al. (2008), S. 60; Skiera/Albers (2000), S. 207f. und S. 212f.
1244
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 66.
1245
Vgl. Bortz (2005), S. 208; von Auer (2007), S. 51f.
1246
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 63.
1247
Vgl. Skiera/Albers (2000), S. 208.
7.4 Ökonometrische Mehrgleichungsmodelle
237
Parameterschatzungen, weshalb von ihrer Anwendung bei Mehrgleichungsmodellen in der Literatur abgeraten wird.1248 Ein weiteres Einzelgleichungsschätzverfahren stellt die zweistufige Methode der kleinsten Quadrate (2SLS) dar, die wegen des Verzichts auf bestehende Informationen ebenfalls zu den Schätzmethoden bei beschränkter Information („limited information method“) gezählt wird.1249 Auch der 2SLS-Schätzer vernachlässigt die a priori-Restriktionen der übrigen Gleichungen bei der Schätzung der interessierenden Gleichung bzw. die Kovarianzen zwischen den stochastischen Residuen der verschiedenen Modellgleichungen. Von einer Schätzmethode bei vollständiger Information („full information method“) wird hingegen gesprochen, wenn alle Strukturparameter in den unterschiedlichen Gleichungen eines Modells direkt und gleichzeitig geschätzt werden.1250 Das in der vorliegenden Arbeit spezifizierte Modell (vgl. Abschnitt 7.7) erfüllt aufgrund seiner Identifizierbarkeit die Voraussetzungen eines solchen Systemschätzverfahrens, 1251 weshalb im weiteren Verlauf die dreistufige Kleinste-Quadrate-Schätzung (3SLS) zur Anwendung gebracht wird. Diese Prozedur wurde von Zellner/Theil (1962) hergeleitet1252 und inzwischen zur Analyse einer Vielzahl wirtschaftswissenschaftlicher Fragestellungen im Bereich des Strategischen Managements und des Marketings eingesetzt.1253 Prinzipiell basiert das 3SLS-Verfahren auf der zweistufigen KleinsteQuadrat-Schätzung (2SLS), da die ersten zwei Stufen beider Verfahren identisch sind und bei 3SLS lediglich noch eine dritte hinzukommt. Auf der ersten Stufe werden alle reduzierten Formen für die endogenen Variablen des Modells mit einer herkömmlichen OLS-Regression geschätzt („reduced form regression“). Im zweiten Schritt dienen die Ergebnisse der ersten Stufe dazu, für jede Gleichung eine separate 2SLS-Schätzung vorzunehmen. Eine simultane Schätzung der Parameter aller Gleichungen erfolgt schließlich auf der dritten Stufe. Auf Grundlage der Residuen der zweiten Stufe wird dabei die Kovarianz geschätzt und der 3SLS1248
Vgl. Eckey/Kosfeld/Dreger (2004), S. 338; Gujarati (1995), S. 642ff.; Hackl (2005), S. 356; Schulze (2000), S. 622; Studenmund (2006), S. 474 und S. 481ff.
1249
Vgl. Eckey/Kosfeld/Dreger (2004), S. 357; Hackl (2005), S. 357. Vgl. zum 2SLS-Schätzer ausführlich Greene (2008), S. 318ff. und S. 371ff.; Gujarati (1995), S. 686ff.; Studenmund (2006), S. 485ff.
1250
Vgl. Assenmacher (2002), S. 312; Eckey/Kosfeld/Dreger (2004), S. 357; Hackl (2005), S. 354; Intriligator/Bodkin/Hsiao (1996), S. 374ff.
1251
Geschätzt werden können nur Modelle, die exakt identifiziert oder überidentifiziert sind (vgl. Assenmacher (2002), S. 312). Eine ausführliche Darstellung der für eine Identifizierung notwendigen Abzähl- und Rangkriterien findet sich bspw. bei Schulze (2000), S. 617ff.
1252 1253
Vgl. zur mathematischen Herleitung Zellner/Theil (1962), S. 55ff.
Vgl. etwa Anderson/Fornell/Lehmann (1994); Frambach/Prabhu/Verhallen Han/Kim/Srivastava (1998); Nickerson/Hamilton/Wada (2001); Poppo/Zenger Vogel/Evanschitzky/Ramaseshan (2008).
(2003); (2002);
238
7 Quantitative empirische Untersuchung
Schätzer berechnet. Dieser stellt eine verallgemeinerte Methode der KleinstenQuadrate-Schätzung des gesamten Systems dar, wenn alle exogenen Variablen als Instrumente genutzt werden.1254 Der 3SLS-Schätzer ist konsistent und asymptotisch effizient, weil Korrelationen der Fehlerterme berücksichtigt werden.1255 Da bei der Schätzung alle im Modell und der Datenbasis verfügbaren Informationen genutzt werden, ergibt sich üblicherweise ein Effizienzvorteil des 3SLS-Schätzers gegenüber den Verfahren bei beschränkter Information. Darüber hinaus zeigt sich der 3SLS-Schätzer robust gegenüber Verletzungen der Normalverteilungsannahme der Residuen,1256 was seinen Einsatz für die empirische Untersuchung in der vorliegenden Arbeit begünstigt. 7.4.2
Gütebeurteilung von Regressionsmodellen
Für Regressionsmodelle existieren verschiedene Gütekriterien, die zum einen die globale Güte der Schätzung und zum anderen die Güte einzelner Koeffizientenschätzungen beschreiben.1257 Die globale Anpassung der Regressionsfunktion an die empirischen Daten beschreibt das Bestimmtheitsmaß R². Auf Basis der Störterme gibt der Wert von R² an, wie gut der durch die Regressionsgleichung beschriebene Zusammenhang zwischen unabhängigen und abhängigen Variablen die tatsächlichen Gegebenheiten abbildet.1258 Das Bestimmtheitsmaß errechnet sich als Relation der quadrierten erklärten Streuung und der quadrierten Gesamtstreuung, wobei der Wertebereich zwischen null und eins liegt.1259 Nimmt das Bestimmtheitsmaß den Wert eins an, so wird die gesamte Streuung erklärt, im anderen Extremfall kann durch das Modell hingegen keinerlei Varianz erklärt werden. Je höher der Wert des R² ist, desto höher ist demzufolge der Anteil der erklärten Streuung an der Gesamtstreuung und damit die Güte der Anpassung der Regressionsfunktion an die empirischen Daten. Da die Höhe des Bestimmtheitsmaßes durch die Zahl der Regressoren beeinflusst wird, steigt bei Aufnahme zusätzlicher unabhängiger 1254
Vgl. Assenmacher (2002), S. 361; Eckey/Kosfeld/Dreger (2004), S. 357ff. Von einer detaillierten Herleitung des 3SLS-Schätzers soll an dieser Stelle abgesehen werden. Diese findet sich u.a. bei Intriligator/Bodkin/Hsiao (1996), S. 374ff., oder Wooldridge (2002), S. 194ff.
1255
Vgl. Judge et al. (1988), S. 655. In der Ökonometrie wird ein Parameter als effizient bezeichnet, wenn er erwartungstreu ist. Voraussetzung für Erwartungstreue ist, dass der Parameter nicht verzerrt ist und gleichzeitig den geringsten Schätzfehler aller unverzerrt geschätzten Parameter aufweist (vgl. Greene (2008), S. 71; Skiera/Albers (2000), S. 221).
1256
Vgl. Greene (2008), S. 383; Wooldridge (2002), S. 194ff.
1257
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 66.
1258
Vgl. hierzu und im Folgenden Backhaus et al. (2008), S. 67ff.; Bleymüller/Gehlert/Gülicher (2000), S. 144.
1259
Negative Werte für das Bestimmtheitsmaß können sich trotz der quadrierten Streuungswerte in Ausnahmefällen ergeben, wenn in der Regressionsgleichung auf die Konstante verzichtet wird (vgl. Greene (2008), S. 37; Skiera/Albers (2000), S. 209).
7.4 Ökonometrische Mehrgleichungsmodelle
239
Variablen stets der Erklärungsanteil des Modells. Das korrigierte Bestimmtheitsmaß (korrigiertes R²) berücksichtigt diese Aufnahme zusätzlicher Variablen, die für sich genommen stets einen Erklärungsbeitrag von mindestens null besitzen. Es kann daher im Gegensatz zum einfachen R² bei Integration weiterer Regressoren auch abnehmen.1260 Allerdings existiert in der Literatur kein durchgehend akzeptierter Richtwert für das Bestimmtheitsmaß. Nach Greene (2008) ist ein R²-Wert von 0,5 in Querschnittserhebungen bereits als relativ hoch einzustufen, ein R² von 0,2 gilt immerhin als beachtenswert.1261 Für eine Würdigung der Modellgüte muss zudem immer der jeweilige Untersuchungskontext Berücksichtigung finden.1262 Bei der Anwendung des 3SLS-Schätzers können sich Interpretationsprobleme beim klassischen Bestimmtheitsmaß ergeben, da dieses in bestimmten Fällen Werte außerhalb des Intervalls von null bis eins aufweisen kann. Beim Auftreten solcher Fälle käme in der vorliegenden Arbeit das system-gewichtete Rw² für simultane Schätzungen nach Carter/Nagar (1977) zum Einsatz. Dieses beschreibt den von allen unabhängigen Variablen erklärten Anteil der Modell-Varianz und liegt wie gewohnt zwischen Null und Eins.1263 Eine andere Messgröße für die globale Modellanpassung ist die F-Statistik eines Regressionsmodells. Eine signifikante Beziehung zwischen den Variablen ist dann gegeben, wenn die Nullhypothese (kein Zusammenhang zwischen den unabhängigen und der abhängigen Variable) aufgrund eines ausreichend hohen FWertes abgelehnt werden kann.1264 Neben diesen globalen Gütekriterien sind auch die einzelnen Koeffizienten zu überprüfen, was mittels der t-Statistik geschehen kann. Analog zum F-Test wird mit der t-Statistik die Nullhypothese untersucht, dass sich der betrachtete Koeffizient nicht signifikant von Null unterscheidet. Als gängige Größen werden in zahlreichen empirischen Studien Signifikanzniveaus von Į = 10 Prozent oder von Į = 5 Prozent, d.h. Vertrauenswahrscheinlichkeiten von 90 bzw. 95 Prozent, zugrunde gelegt.1265 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beim Einsatz ökonometrischer Mehrgleichungsmodelle ähnlich wie bei PLS weniger Gütekriterien als bei den
1260
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 71; Greene (2008), S. 36; Skiera/Albers (2000), S. 209f.
1261
Vgl. Greene (2008), S. 38.
1262
Vgl. Greene (2008), S. 38.
1263
Vgl. Carter/Nagar (1977), S. 45. Kritisch anzumerken ist, dass der Koeffizient durch Multikollinearität der Regressoren aufgebläht werden kann und insofern vorsichtig zu interpretieren ist (vgl. Berndt (1991), S. 468). Da jedoch in der vorliegenden Untersuchung bei der Konstruktoperationalisierung keine Hinweise auf Multikollinearität festgestellt wurden (vgl. Abschnitt 7.6), erscheint diese Problematik von untergeordneter Bedeutung.
1264
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 72; Skiera/Albers (2000), S. 211.
1265
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 73.
240
7 Quantitative empirische Untersuchung
klassischen kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodellen erforderlich sind. Darüber hinaus können formative und reflektive Konstrukte durch den Einbezug der Faktorwerte in uneingeschränkter Zahl verwendet werden. Als Vorteil eines solchen Verfahrens kommt hinzu, dass in einem System aus Regressionen moderierende Effekte, speziell mit formativer Operationalisierung, einfacher zu modellieren sind als im Rahmen von PLS-Analysen oder kovarianzbasierten Kausalmodellen.1266 Zudem soll in der vorliegenden Arbeit die Untersuchung der Komplementarität zwischen Wertschaffung und Wertaneignung mittels einer nicht rekursiven Wechselbeziehung modelliert werden, die im Rahmen gängiger PLS-Softwareapplikationen wie SmartPLS nicht spezifiziert werden kann. Bevor diese Analyseschritte im Einzelnen durchgeführt werden, wendet sich der nächste Abschnitt zunächst der Beschreibung der Datenbasis für die quantitative Untersuchung zu. 7.5
Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung
Auf Basis der Konzeptualisierungen in den Kapiteln 4.6.2 und 5.5.2 wurde für die Konstrukte Lösung- und Preiskompetenz eine mehrdimensionale, mehrfaktorielle Struktur ermittelt, die nachfolgend operationalisiert und empirisch überprüft wird. Teil der Überprüfung ist zunächst die Untersuchung auf Reliabilität und Validität der unterstellten Zusammenhänge mit dem Ziel der Entwicklung eines allgemeinen Messmodells für Lösungs- und Preiskompetenz im B2B-Bereich. Dafür werden in diesem Abschnitt die Vorgehensweise bei der Datenerhebung (Abschnitt 7.5.1) und die Qualität der ermittelten Datengrundlage (Abschnitt 7.5.2) beschrieben. 7.5.1
Vorgehen bei der Datenerhebung
Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit wurde in Kapitel 2.1.1 auf Unternehmen im B2B-Bereich festgelegt. Innerhalb dieser Eingrenzung wird angestrebt, ein kontextfreies, d.h. branchenübergreifendes Messinstrument zu entwickeln.1267 Diese Forderung impliziert zwei Konsequenzen, die beide dazu
1266
Bei kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodellen kommt üblicherweise die Mehrgruppenkausalanalyse zum Einsatz. Bei dieser wird die Datenbasis anhand des Medians der Moderatorvariablen in zwei Gruppen aufgeteilt, für die jeweils ein Modell geschätzt wird. Bei moderierten Regressionsanalysen kann der damit verbundene Informationsverlust vermieden werden, weil keine Aufspaltung der Datenbasis erforderlich ist. Ein weiterer Vorteil eines regressionsbasierten Vorgehens besteht darin, dass zusätzlich zum Interaktionseffekt einer Moderatorvariablen gleichzeitig auch deren direkter Effekt geschätzt werden kann (vgl. für eine ausführliche Darstellung beispielsweise Backhaus et al. (2008), S. 81). Diese Vorteile ergeben sich prinzipiell auch bei der Verwendung von Moderatoren in einem PLS-Pfadmodell, jedoch wird wegen der Möglichkeit zur Spezifikation rekursiver Beziehungen in dieser Arbeit insgesamt der (moderierten) Regressionsanalyse der Vorzug gegeben.
1267
Vgl. hierzu beispielsweise das Vorgehen bei Homburg (2000), S. 81.
7.5 Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung
241
führen, dass für die empirische Untersuchung eine Stichprobe substanziellen Umfangs notwendig wird. Einerseits muss sich die Erhebung über verschiedene Branchen erstrecken, damit die Kontextfreiheit des Messinstrumentariums valide nachweisbar ist. Andererseits werden zur Untersuchung von Reliabilität und Validität des Messinstruments die in den vorigen Abschnitten beschrieben Gütekriterien abgeprüft, die unterschiedliche Anforderungen an die Stichprobengröße stellen. 1268 Vor diesem Hintergrund erscheint deshalb die Durchführung einer standardisierten schriftlichen Befragung als am besten geeignete Erhebungsmethode.1269 Als Analyseeinheit dient das Gesamtunternehmen bzw. die einzelne strategische Geschäftseinheit (SGE), falls eine Gliederung des Unternehmens in SGE vorliegt. Diese Analyseebene wurde in Übereinstimmung mit bestehender Literatur herangezogen, da verschiedene Geschäftseinheiten eines Unternehmens unterschiedliche Strategien und Ausrichtungen im Hinblick auf Dienstleistungs- und Lösungsangebote bzw. das Preismanagement aufweisen können.1270 Eine SGE ist dabei als relativ autonome Einheit definiert, deren Management die Kontrolle über mindestens drei der folgenden Unternehmensfunktionen ausübt: Marketing, Vertrieb, Produktion, Forschung/Entwicklung, Rechnungswesen/Finanzierung sowie Human Resources.1271 Damit erweisen sich SGE als geeignete Analyseeinheiten, speziell vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit berücksichtigten kulturellen und personalwirtschaftlichen Aspekte.1272 An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass letztendlich die Wahrnehmung des Kunden gerade im Bereich der Lösungskompetenz über den Erfolg eines Anbieterunternehmens entscheidet.1273 Insofern wäre auch eine Erhebung von Kundenurteilen anstelle einer Anbieterbefragung vorstellbar. In Einklang mit den Hypothesen zu den Erfolgswirkungen von Wertschaffung und Wertaneignung in Kapitel 6.1 ist jedoch davon auszugehen, dass sich eine positive Kundenwahrnehmung durch gesteigerte Kundenzufriedenheit und Kundenbindung 1268
Vgl. z.B. Homburg (2000), S. 81. Zur Problematik kleiner Stichproben siehe auch Homburg/Baumgartner (1995b), S. 1093.
1269
Hauptsächlich kam bei der Durchführung der Umfrage ein Online-Befragungs-Tool zum Einsatz. Die Befragten hatten jedoch auch die Möglichkeit, an der Erhebung auf traditionell schriftlichem Weg teilzunehmen. Das primär internetbasierte Vorgehen wurde aufgrund der Zeit- und Kosteneffizienz bei der Datenverarbeitung und -auswertung gewählt, gleichzeitig sollten mit der flankierenden Paper-Pencil-Methode technische Probleme oder Vorbehalte der Probanden gegenüber Onlinebefragungen umgangen werden. Von der Möglichkeit zum schriftlichen Ausfüllen des Fragebogens machten jedoch nur zwei Unternehmen Gebrauch, sodass auf eine Überprüfung auf mögliche Verzerrungen zwischen der Online- und der Offline-Befragung verzichtet werden kann.
1270
Vgl. Homburg/Fassnacht/Guenther (2003), S. 33; Deshpandé/Webster (1989), S. 11; Homburg/Stock/Kühlborn (2005), S. 549; Ruekert (1992), S. 228; Schuppar (2006), S. 65.
1271
Vgl. Homburg/Workman/Krohmer (1999), S. 6.
1272
Vgl. Deshpandé/Farley/Webster (1993), S. 28f.; Ernst (2003), S. 31; Pflesser (1999), S. 121.
1273
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 8.
242
7 Quantitative empirische Untersuchung
über den Markterfolg positiv auf den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg auswirkt. Dieser ist wiederum auch aus der Perspektive des Unternehmens mit verschiedenen Erfolgskennzahlen sinnvoll messbar. Mitgliedern von Kundenunternehmen werden außerdem i.d.R. nur die wahrgenommenen Auswirkungen der untersuchten Lösungs- und Preiskompetenz bewusst, diese lassen sich jedoch – aufgrund der operationalen Geschlossenheit von Unternehmen – nicht direkt in Implikationen übersetzen. Insofern ließen sich interne Einflussfaktoren und Gestaltungsvariablen der Wertschaffung und Wertaneignung mit einem solchen Erhebungsdesign nicht zweckmäßig untersuchen. Im Fokus der Untersuchung stehen demzufolge die SGE von Anbieterunternehmen im B2B-Bereich, deren Marktaktivitäten durch eine gesteigerte Bedeutung der Kundeninteraktion und -integration aufgrund komplexer Leistungsangebote gekennzeichnet sind.1274 Innerhalb dieser Einheiten zielt die Befragung auf Mitarbeiter, die unmittelbar mit der Geschäftsführung oder auf höherer Hierarchieebene mit Marketing oder Vertrieb betraut sind, und demzufolge als geeignete Ansprechpartner für Lösungs- und Preismanagement anzusehen sind. Auf Basis dieser Vorüberlegungen wurden drei Branchen für die Erhebung identifiziert: Maschinen- und Anlagenbau1275, Elektronik/Elektrotechnik und Medizintechnik. Ein Blick auf die jeweils aktuellsten verfügbaren Beschäftigten- und Umsatzzahlen zeigt die wirtschaftliche Bedeutung der gewählten Branchen im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland: Alleine im Maschinenbau waren im Jahr 2007 ca. 914.000 Menschen beschäftigt und erwirtschafteten einen Jahresumsatz von 190 Mrd. Euro, was einem Anteil von 15,8 Prozent bzw. 12,8 Prozent des gesamten verarbeitenden Gewerbes entspricht. Der Bereich Elektronik/Elektrotechnik erwirtschaftete 2005 mit ca. 795.000 Beschäftigten in Deutschland einen Umsatz von 175 Mrd. Euro (entspricht 13,8 Prozent bzw. 11,8 Prozent des
1274
Vgl. Kapitel 4.2 und Backhaus/Voeth (2007), S. 36. Aufgrund der in Abschnitt 2.1.3 dargestellten Begriffsvielfalt in Wissenschaft und Praxis wurde es als unzweckmäßig angesehen, Unternehmen explizit auf Basis konkreter Lösungsangebote in ihrem Leistungsportfolio für die Befragung auszuwählen. Die Untersuchung fokussierte sich auf Aktivitäten, Prozesse und Systeme, die zur Wertschaffung für den Kunden eingesetzt werden (siehe hierzu auch Abschnitt 4.6.2) und ist insoweit losgelöst davon, ob sich ein Unternehmen selbst als Lösungsanbieter ansieht oder gemäß einer bestimmten Definition als solcher zu klassifizieren wäre. Dies steht im Einklang mit neuerer Literatur zur „Service-dominant Logic“, die von einem konkreten Output des Anbieters abstrahiert und „Service“ als Anwendung des Wissens und der Kompetenzen im Rahmen eines Prozesses für den Kunden ansieht (vgl. Vargo/Lusch (2008), S. 256). Insofern wurden gemäß der Erkenntnisse aus den Experteninterviews Branchen und Unternehmen ausgewählt, die mit einer wachsenden Bedeutung der Kundeninteraktion und -integration konfrontiert sind.
1275
Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus zeigen viele Ähnlichkeiten und eine Zuordnung ist nicht immer trennscharf möglich. Aufgrund der Komplexitätsunterschiede von Maschinen und Anlagen werden beide Teilbranchen im Folgenden getrennt berücksichtigt, soweit dies jeweils sinnvoll erscheint.
7.5 Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung
243
verarbeitenden Gewerbes).1276 Medizintechnik hat mit einem Jahresumsatz von 17,3 Mrd. Euro und ca. 95.000 Beschäftigen im Jahr 2007 eine geringere gesamtwirtschaftliche Bedeutung (entspricht 1,2 Prozent bzw. 1,6 Prozent).1277 Insgesamt deckt die Erhebung somit einen breiten Teil des deutschen verarbeitenden Gewerbes ab. Im Folgenden sollen die identifizierten Branchen kurz charakterisiert werden. Der Maschinen- und Anlagenbau umfasst den „Bau von Maschinen, die mechanisch oder durch Wärme auf Materialien einwirken oder an Materialien Vorgänge durchführen (wie Bearbeitung, Besprühen, Wiegen oder Verpacken) […]“.1278 In dieser Sparte können Maschinen für spezifische Wirtschaftszweige (z.B. die Herstellung von land- und forstwirtschaftlichen Maschinen) und branchenunspezifische Maschinen unterschieden werden (z.B. die Herstellung pneumatischer Komponenten). Der Bereich des Anlagenbaus zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass dort kundenindividuelle Projekte durchgeführt werden, bei denen i.d.R. kein zeitlicher Kaufverbund zu anderen Leistungen besteht. Traditionell werden industrielle Großanlagen diesem Sektor zugeordnet, allerdings kann diese Beschreibung auch auf Handwerksleistungen zutreffen.1279 Laut dem Branchenverband VDMA existierten 2004 in Deutschland 6.877 Betriebe in der Branche Maschinen- und Anlagenbau.1280 Elektronik- und Elektrotechnikunternehmen stellen Geräte her bzw. nutzen Verfahren, die zumindest teilweise elektrische Energie benötigen (z.B. Schaltungen für Steuer- und Messtechnik). Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik e.V. (VDE) organisiert nach eigenen Angaben alleine 1.250 Unternehmen in Deutschland unter diesem thematischen Dach.1281 Die Branche Medizintechnik wird von Ihrem Fachverband SPECTARIS1282 in zwei Gruppen geteilt. Einerseits die medizinischen Instrumente und Geräte, die für diese Untersuchung von hohem Interesse sind, und andererseits medizinische Hilfsmittel, die nicht in die Klasse komplexer Leistungsangebote im B2B-Bereich fallen. Die
1276
Vgl. VDMA (2007), S. 16f.
1277
Vgl. SPECTARIS (2008), S. 21ff.
1278
DESTATIS (2008), S. 86.
1279
Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 305.
1280
Vgl. VDMA (2006), S. 72.
1281
Vgl. VDE (2008).
1282
Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien e. V. (www.spectaris.de).
244
7 Quantitative empirische Untersuchung
deutsche Medizintechnikbranche Unternehmen.1283
umfasste
im
Jahr
2007
mehr
als
1.250
Die beschriebenen Branchen weisen die für die Untersuchung gewünschten Merkmale auf und finden sich auch als Datengrundlage in zahlreichen anderen qualitativen oder quantitativen Studien im Kontext des Lösungs- und Preismanagements.1284 Sie zeigen darüber hinaus auch Schnittstellen und Graubereiche hinsichtlich der Zuordnung einzelner Unternehmen in die jeweilige Branche bzw. in den jeweiligen Branchenverband. Beispielsweise kann ein medizinisches Gerät sowohl mechanische Maschinenkomponenten als auch Steuerungselektronik benötigen – eine Klassifizierung ist damit z.B. möglich, wenn der hauptsächliche Wertschöpfungsanteil des Unternehmens oder das generelle Leistungsportfolio des Unternehmens bewertet wird. Um eine ausreichende Breite der Befragung zu gewährleisten, wurde die Erhebung in zwei Schritten durchgeführt. Zunächst wurden in Kooperation mit dem VDMA Mitgliedsunternehmen befragt. Der VDMA hatte im Jahr 2008 ca. 3.000 registrierte Firmenmitglieder.1285 Aufgrund der Speicherung individueller Kontakte konnte die Erhebung auf die Geschäftsführung und leitende Mitarbeiter zurückgreifen, sodass innerhalb der Zusammenarbeit mit dem VDMA ein Adressatenpool von 2.185 Kontakten zur Verfügung stand.1286 Die Branchen Elektronik/Elektrotechnik und Medizintechnik wurden über einen externen Dienstleister erschlossen. Hierfür wurden 1.648 Kontaktdaten in den Branchen Elektronik/Elektrotechnik und Medizintechnik eingekauft und im Hinblick auf die angestrebte Zielgruppe für die Befragung telefonisch vorqualifiziert. Nach diesem Prozess verblieb ein bereinigter Adressatenpool von 645 Kontakten. Insgesamt stand über alle Branchen somit ein Adressatenpool von 2.830 Kontakten zur Verfügung, die per E-Mail den Internetlink zu der Befragung erhielten.1287 Der Erhebungszeitraum erstreckte sich von Anfang Juli 2008 bis Ende September 2008. Incentiviert wurde die Teilnahme mit einem unternehmensindividuellen Benchmarking-Bericht und, für die Nicht-VDMA-Gruppe, mit einer Spende an eine internationale Hilfsorganisation pro vollständig ausgefüllten Fragebogen. Zur Erhöhung der Rücklaufquote wurden Anfang August und Anfang September 2008 an alle Adressaten, die bis dahin noch nicht geantwortet hatten, per E-Mail Erinnerungen mit einem neuerlichen Hinweis auf die Befragung verschickt. 1283
Vgl. SPECTARIS (2008), S. 21. Erfasst wurden nur Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern.
1284
Vgl. etwa Avlonitis/Indounas (2005); Bienzeisler/Kunkis (2008); Homburg/Fassnacht/Guenther (2003); Ingenbleek et al. (2003); Matthyssens/Vandenbempt (2008); Schuppar (2006); Sturm/Bading (2008); Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007).
1285
Vgl. VDMA (2008).
1286
Innerhalb der relevanten Zielgruppen Geschäftsführung, Marketing und Vertrieb.
1287
Vgl. zu diesem Vorgehen Hennig-Thurau/Dallwitz-Wegner (2002), S. 310.
7.5 Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung
245
Der Gesamtadressatenpool von 2.830 Kontakten wurde für zwei Teilstudien genutzt, die den Teilnehmern gemeinsam unter der Bezeichnung „Kundenstrategie 2008“ vorgestellt wurden. Zu Beginn der Befragung wurden die Probanden per Zufallsauswahl auf die Fragebögen der beiden Teilstudien zu Lösungs- und Preiskompetenz sowie zu Lern- und Interaktionsorientierung aufgeteilt.1288 Für die Gesamtbefragung „Kundenstrategie 2008“ konnte ein Ergebnis von 411 vollständig ausgefüllten Fragebögen generiert werden, was einer Rücklaufquote von 14,5 Prozent entspricht. Dieser Wert ist mit anderen Studien im industriellen Kontext vergleichbar und kann im Verhältnis zu Untersuchungen, die ähnlich komplexe organisationale Phänomene zum Inhalt haben, positiv beurteilt werden.1289 Die Datenbasis für die vorliegende Arbeit zur Lösungs- und Preiskompetenz stützt sich dabei auf einen Rücklauf von 182 Fragebögen. Dieser, im Vergleich zur anderen Teilstudie, geringfügig niedrigere Wert1290 kann auf eine höhere Komplexität der verwendeten Messinstrumente für Lösungs- und Preiskompetenz1291 und die sensitive Natur des Preismanagements aus Sicht der Befragten zurückgeführt werden. So weist die Literatur darauf hin, dass bei Studien zum Preismanagement vergleichsweise geringere Antwortquoten zu erwarten sind.1292 Insofern ist der Rücklauf als zufriedenstellend zu beurteilen. Nach Wissen des Autors existiert außerdem bislang noch keine Untersuchung zur organisationalen Gestaltung des Lösungsgeschäftes, die sich auf eine Datenbasis vergleichbaren Umfanges stützen kann. Auch in Relation zur Bestandsaufnahme der Preismanagement-Literatur in Kapitel 5.1 verfügt die vorliegende Arbeit über eine vergleichsweise umfangreiche Datengrundlage zu organisationalen Aspekten des Pricings. Der zugrunde gelegte Online-Fragebogen verwendet hauptsächlich siebenstufige semantische Differenziale mit den Gegensatzpaaren „stimme voll und ganz zu“ / „stimme überhaupt nicht zu“ bzw. „sehr intensiv genutzt“ / „überhaupt nicht
1288
Zur Teilstudie Interaktions- und Lernorientierung siehe Danzinger (2009). Im Einleitungstext der Befragung wurden die Probanden über die Aufteilung der Studie und den ihnen zugewiesenen Teilbereich informiert.
1289
Vgl. Diamantopoulos/Schlegelmilch (1996), S. 505f.; Harzing Homburg/Workman/Krohmer (1999), S. 6; Menon et al. (1999), S. 28.
(1997),
S.
642f.;
1290
Durch die zufällige Aufteilung der Befragten auf die beiden Teilstudien ergibt sich für die vorliegende Untersuchung eine halbierte Auswahlbasis von 1.415 Kontakten. Darauf bezogen beträgt die Rücklaufquote akzeptable 12,9 Prozent.
1291
Im Gegensatz zur anderen Teilstudie wurden die Konstrukte Lösungs- und Preiskompetenz vollständig formativ spezifiziert, wodurch sich auf Basis der Ausführungen in Abschnitt 7.2 eine größere Zahl benötigter Indikatoren und damit eine höhere Komplexität des Fragebogens ergibt.
1292
Vgl. Bendl (2000), S. 64; Lanzilotti (1959), S. 921; Schuppar (2006), S. 66.
246
7 Quantitative empirische Untersuchung
genutzt“.1293 Für eine optimale Gestaltung des Fragebogens wurde Hinweisen aus der Literatur hinsichtlich Fragenstrukturierung und Item-Formulierung gefolgt.1294 Die so erhobene Datengrundlage wird im folgenden Abschnitt hinsichtlich ihrer Eignung für die Konstruktoperationalisierung und die Hypothesenprüfung auf mögliche Verzerrungen untersucht. 7.5.2
Qualität der Datengrundlage
Als mögliche Schwächen der Datenbasis aufgrund des zuvor beschriebenen methodischen Vorgehens sind drei Bereiche zu behandeln: Key Informant Bias, Common Method Bias und Non Response Bias. Das gewählte Erhebungsdesign nutzt „Schlüsselinformanten“ (sogenannte „Key Informants“) als Repräsentanten einer Unternehmung/SGE bzw. als repräsentative Auskunftspersonen für ein beobachtetes Phänomen innerhalb einer Organisation.1295 Dieses Vorgehen ist nicht kritikfrei. Insbesondere Phillips (1981) weist auf Validitätsprobleme beim Rückgriff auf Aussagen von „Key Informants“ hin.1296 Als Begründung für den Key Informant Bias führen Hurrle/Kieser (2005) die Abfolge verschiedener kognitiver Prozesse beim Befragten an, die eine Messung verzerren können.1297 Um einen Key Informant Bias ausschließen zu können, müssten alle Mitarbeiter der interessierenden strategischen Geschäftseinheit befragt werden. Ein derart hoher Aufwand ist jedoch in der Regel und auch im Rahmen dieser empirischen Studie nicht möglich und liefe sogar dem Forschungsinteresse entgegen, eine breite empirische Übersicht über Lösungs- und Preiskompetenz zu erhalten.1298 Darüber hinaus legitimiert neben der Forschungseffizienz noch ein weiterer Aspekt den Einsatz dieses Erhebungsdesigns unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte: Die Befragten der vorliegenden Untersuchung wurden nicht
1293
Ausnahmen ergaben sich bei den Erfolgsmaßen und einigen Fragen zum Unternehmen, bspw. bezüglich der Mitarbeiterzahlen. Die jeweils verwendeten Skalen sind bei den Konstruktoperationalisierungen in Abschnitt 7.6 angegeben. Sieben Stufen wurden für die Skalen in Anlehnung an Bagozzi (1981), S. 200, gewählt. Nach Homburg/Klarmann (2006), S. 733, können Verzerrungen z.B. bei der Verwendung von Likert-Skalen dadurch minimiert werden, dass fünf oder mehr Kategorien bzw. Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden.
1294
Vgl. z.B. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 117f.; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 360ff.
1295
Vgl. Phillips (1981), S. 396. Key Informants werden als Organisationsmitglieder angesehen, die nach Maßgabe ihrer Kompetenz ausgewählt werden, um Auskunft über Sachverhalte in der Organisation zu geben (vgl. Hurrle/Kieser (2005), S. 585).
1296
Phillips (1981), S. 405f., misst in seiner Studie, dass z.T. nur weniger als 50 Prozent der erklärten Varianz durch das Informanten-Urteil erklärt werden können. Vgl. Hurrle/Kieser (2005), S. 585ff., für eine Übersicht verschiedener Studien im Bereich des Key Informant Bias.
1297
Vgl. Hurrle/Kieser (2005), S. 586.
1298
Vgl. z.B. Büttgen (2007), S. 217.
7.5 Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung
247
aufgrund einer bestimmten Kompetenz ausgewählt1299, sondern aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Teilsystem der Unternehmung, das eine große Nähe zum Thema Kundeninteraktion und Preismanagement vermuten lässt.1300 Mit Homburg (2000) kann deshalb davon ausgegangen werden, dass zu einem bestimmten Themenbereich ohnehin nur eine beschränkte Möglichkeit besteht, „besonders geeignete Key Informants zu identifizieren.“1301 Somit wird dem Key Informant Bias in dieser Untersuchung eine nachrangige Bedeutung zugemessen. In Anlehnung an Hurrle/Kieser (2005) wurden jedoch verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung bzw. Überprüfung möglicher Verzerrungen eingesetzt:1302 Die Konstrukte wurden, basierend auf der Literaturrecherche, in Tiefeninterviews mit Experten validiert, um u.a. Interpretationsprobleme ausschließen zu können. Zudem wurden anhand der Ergebnisse eines Pre-Tests einige Indikatoren neu zugeordnet, präziser formuliert und Komplexität innerhalb der Fragen reduziert. Zur Kreuzvalidierung der Ergebnisse und um einem eventuellen Key Informant Bias explizit zu begegnen, wurden alle Teilnehmer am Ende des Fragebogens um die Nennung von Kontaktdaten weiterer Kollegen gebeten, die potenziell Auskunft zum Befragungsthema geben könnten. Diesem Aufruf kamen jedoch nur zwei Befragte nach, weshalb unter den gegebenen Umständen keine Validierungsstichprobe erhoben werden konnte. Erfahrungen aus der Literatur weisen auf Schwierigkeiten bei der Erhebung von Validierungsstichproben hin,1303 die sehr geringe Zahl an Nennungen weiterer Ansprechpartner lässt außerdem darauf schließen, dass tatsächlich nur eine sehr eingeschränkte Zahl an Key Informants in Bezug auf das Befragungsthema existiert. In der vorliegenden Erhebung werden sowohl die Indikatoren der unabhängigen als auch die der abhängigen Variablen von demselben Befragten erhoben. Dieses Verfahren kann zum Problem des Common Method Bias führen. Dabei können Ergebnisse und/oder Beziehungen innerhalb der Daten dadurch verzerrt werden, dass der Befragte subjektive Heuristiken und Theorien heranzieht, um für sich einen „plausiblen Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen herzustellen.“ 1304 Podsakoff et al. (2003) sehen zwei potenzielle Hebel, um die Effekte des Common
1299
Im Sinne von Hurrle/Kieser (2005), S. 585.
1300
Dies sind „Geschäftsführung“, „Marketing“ und „Vertrieb“. Dem Hinweis von Hurrle/Kieser (2005), S. 589, wonach ein systematischer Messfehler auch durch die funktionale Zugehörigkeit der Befragten entstehen kann, wird Rechnung getragen, indem die Stichprobe ein balanciertes Bild aller drei Befragtengruppen zeigt (siehe weiter unten in diesem Abschnitt).
1301
Homburg (2000), S. 82.
1302
Vgl. Hurrle/Kieser (2005), S. 598.
1303
Vgl. etwa Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 297f.; Schuppar (2006), S. 69.
1304
Vgl. Hurrle/Kieser (2005), S. 590.
248
7 Quantitative empirische Untersuchung
Method Bias zu reduzieren: Maßnahmen, die bei dem Design der Erhebung zum Tragen kommen (z.B. Einbezug externer Daten) und statistische Prüfmechanismen, die das Ausmaß des Common Method Bias selbst darstellen.1305 Zur nachträglichen, statistischen Prüfung auf Common Method Bias wurde in Anlehnung an Podsakoff/Organ (1986) der sogenannte Harmon’s One Factor Test durchgeführt. Bei diesem Verfahren werden alle interessierenden Variablen einer exploratorischen Faktorenanalyse unterzogen. Die zugrunde liegende Annahme ist dabei, dass ein Common Method Bias vorliegt, wenn sich in der unrotierten Faktorlösung nur ein Faktor ergibt oder ein Faktor die Mehrheit der Varianz erklärt.1306 Für die 168 Variablen der vorliegenden Untersuchung wurden bei einer Hauptkomponentenanalyse 43 Faktoren mit Eigenwerten größer als eins extrahiert, die insgesamt 82,1 Prozent der Varianz erklären. Der erste Faktor erklärt dabei lediglich 21,2 Prozent der Varianz, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Datengrundlage nicht durch einen Common Method Bias verzerrt ist. Auf den Einbezug externer Daten wurde angesichts dieses Ergebnisses verzichtet, da bspw. die Erhebung objektiver Erfolgskennzahlen auf der Ebene einzelner SGE ohnehin nur schwer möglich ist.1307 Da es das Ziel dieser Untersuchung ist, ein branchenübergreifendes Messinstrument zu entwickeln, ist es neben der Verzerrungsfreiheit der Daten außerdem von Bedeutung, dass die Nicht-Teilnehmer ähnliche Merkmale aufweisen wie die tatsächlichen Teilnehmer der Befragung. Hierbei stellt sich die Frage, ob durch Nichtbeteiligung von Unternehmen an der Studie systematische Unterschiede zwischen der Hauptstichprobe und der zugrunde liegenden Auswahlbasis entstanden sind. Eine derartige Verzerrung zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern wird als Non Response Bias bezeichnet.1308 Idealerweise liegen Merkmale der NichtAntworter vor, um Aussagen bezüglich des Non Response Bias zu ermöglichen. Wie in vielen Studien sind jedoch auch in dieser Erhebung solche Daten nicht verfügbar, sodass eine Näherungslösung der Auswirkungen des Non Response Bias vorgenommen werden muss. Im Folgenden werden dazu über alle Items des Fragebogens die Ausprägungen der Früh-Antworter (erstes Drittel der Teilnehmer) den Ausprägungen der Spät-Antworter (letztes Drittel der Teilnehmer) gegenüber gestellt. Diesem Extrapolationsverfahren liegt die Annahme zugrunde, dass SpätAntworter einer Studie den Nicht-Teilnehmern ähnlicher sind als Früh-Antworter.1309
1305
Vgl. Podsakoff/Organ (1986), S. 536f.; Podsakoff et al. (2003), S. 887ff.
1306
Vgl. Podsakoff/Organ (1986), S. 536.
1307
Vgl. zu dieser Problematik Dess/Robinson (1984), S. 265ff.
1308
Vgl. Armstrong/Overton (1977), S. 396.
1309
Vgl. Armstrong/Overton (1977), S. 397.
7.5 Datengrundlage und Vorgehen bei der Datenerhebung
249
Ein t-Test unabhängiger Stichproben für die gesamten 168 Variablen der vorliegenden Untersuchung ergab bei lediglich 16 Variablen signifikante Mittelwertunterschiede (p10.000 Mitarbeiter 4,4% 1001-10.000 Mitarbeiter 13,7%
1,282 1,418
Multikollinearität VIF < 10
0,471
2,090
2,852
0,029
0,242
2,338
verfügt über eine systematische 0,547 4,000 Vorgehensweise zur Analyse individueller Kundenprobleme. Tabelle 11 Operationalisierung Schaffung von Kunden-/Marktverständnis
1,554
1,439
Die Überprüfung des nomologischen Netzwerkes ergibt einen positiven und hoch signifikanten (p 1,282 0,263
0,332
1,749
1,769
0,082
0,536
1,992
entwickelt gezielt Fähigkeiten der Mitarbeiter zur 0,709 3,213 Ermittlung der Kundenanforderungen. Tabelle 12 Operationalisierung Anforderungsermittlung
1,860
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… adressiert systematisch verschiedene Ansprechpartner beim Kunden, um konkrete Leistungsanforderungen abzuleiten (z.B. in Workshops). verfügt über eine systematische Vorgehensweise zur Ermittlung der Leistungsanforderungen der Kunden (z.B. Fragenkatalog). versucht systematisch, in Bezug auf die Problemstellung die richtigen Ansprechpartner beim Kunden anzusprechen.
Indikatorgewicht
Multikollinearität VIF < 10 1,895
Für das nomologische Netzwerk ergibt sich ein positiver und hoch signifikanter (p 1,282 0,752
0,398
2,163
2,275
-0,148
1,218
1,702
0,346
2,493
1,461
0,009
0,106
1,273
hat eine systematische Vorgehensweise, die Mitarbeitern in Kundenprojekten klare Rollen und Funktionen zuweist. stellt systematisch sicher, dass der Vertrieb in der Lage ist, den Kunden komplexe Dienstleistungen anzubieten.
0,022
0,184
1,790
0,619
4,235
1,616
verfügt über Anreizsysteme im Vertrieb, die systematisch das Angebot von Dienstleistungen fördern.
-0,116
1,017
1,558
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über formale Systeme, die Kunden- und Branchenwissen im Unternehmen zugänglich machen. koordiniert systematisch alle Mitarbeiter und Abteilungen, die mit der Lösung des Kundenproblems befasst sind (z.B. Produktmanagement, Service, Vertrieb). verfügt über eine systematische Vorgehensweise, um (falls nötig) Partnerunternehmen in die Lösung des Kundenproblems einbeziehen zu können. hat flexible Strukturen, die die Bildung projektspezifischer Teams erleichtern. ordnet systematisch Vertriebs- und/oder SupportMitarbeiter längerfristig einzelnen Kunden zu.
Indikatorgewicht
Multikollinearität VIF < 10 1,861
Tabelle 13 Operationalisierung Projektkonfiguration
Vor dem Hintergrund eines signifikant positiven (p 1,282 4,395
versucht aktiv, ein Vertrauensverhältnis zum 0,475 3,157 Kunden aufzubauen. stellt Kunden strategische Partner vor, um 0,186 1,712 Lösungskompetenz zu zeigen. Tabelle 14 Operationalisierung Kompetenzdarstellung
Multikollinearität VIF < 10 1,275 1,341 1,218
Auch für das nomologische Netzwerk ergibt sich ein hoher Pfadkoeffizient von 0,566 (p 1,282 2,249
Anforderungsermittlung
-0,001
0,012
1,918
Projektkonfiguration Kompetenzdarstellung
0,367 0,544
3,023 4,544
1,520 1,574
Schaffung von Kunden-/Marktverständnis
Indikatorgewicht
Multikollinearität VIF < 10 1,844
Tabelle 15 Operationalisierung Analyse/Beratung
Vor dem Hintergrund eines signifikant positiven Pfadkoeffizienten von 0,646 (p 1,282 1,652
0,352
1,978
1,855
0,389
2,021
1,901
0,152
1,068
1,983
2,026
Tabelle 16 Operationalisierung Anforderungsumsetzung
Für das nomologische Netzwerk ergibt sich ein positiver und hoch signifikanter (p 1,282
achtet bei der Konfiguration systematisch 0,316 9,652 darauf, dass die Leistungen später leicht zu warten sind. regelt die zu erbringenden Support-Services 0,352 1,529 systematisch über Geschäftsbedingungen und mit eindeutigen Service-Level-Agreements Kennzahlen. Tabelle 17 Operationalisierung Proaktive Spezifikation
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,462***
0,462***
7.6 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstrukte
261
Im Rahmen des nomologischen Netzwerks können 24,4 Prozent der Varianz des lösungsbezogenen Erfolges erklärt werden. Der Pfadkoeffizient zwischen den beiden Variablen ist hoch signifikant (p 1,282
Tabelle 18 Operationalisierung Design/Konfiguration
Insgesamt vermag das Konstrukt Design/Konfiguration 26,3 Prozent der Varianz des lösungsbezogenen Erfolges zu erklären und beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,513. Damit kann von einer insgesamt validen Messung des Konstruktes zweiter Ordnung ausgegangen werden. Das Messmodell wird akzeptiert. 3. Implementierung/Erbringung In der dritten Dimension der Lösungskompetenz sind ebenfalls zwei Konstrukte zu berücksichtigen: Projektkoordination und Kundenintegration. Diese konstituieren kausal das Konstrukt höherer Ordnung und stehen damit in formativer Beziehung zum Faktor Implementierung/Erbringung.
1330 1331
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 89.
Ein solches Vorgehen ist gerechtfertigt, da die Schätzergebnisse des Konstruktes insgesamt als stabil anzusehen sind und in weitere Analysen nur der Faktorwert von „Design/Konfiguration“ einbezogen wird, sodass auch auf höherer Konstruktebene keine verzerrten Schätzungen zu erwarten sind. Analog wird in den weiteren Analyseschritten verfahren, wenn sich moderate Kollinearität zeigt.
262
7 Quantitative empirische Untersuchung
Projektkoordination Wie schon in der Analyse-Phase sind in dieser Dimension Routinen aus dem Bereich Projektmanagement notwendig (vgl. die Konzeptualisierung in Abschnitt 4.6.2). Das Konstrukt Projektkoordination erfasst dabei anhand von zwei selbst formulierten Indikatoren, inwieweit die Anbieter-Kunde-Interaktion synchronisiert ist und ob der Lösungsanbieter ein Projektcontrolling institutionalisiert hat. Wie Tabelle 19 zeigt, können Probleme durch Multikollinearität aufgrund der moderaten Höhe der bivariaten Korrelation als vernachlässigbar angesehen werden. In Bezug auf die Indikatorrelevanz weisen beide Items hoch signifikante, hohe Gewichte auf. Projektkoordination Bezeichnung des Indikators
Indikatorgewicht
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über ein systematisches Verfahren, um bei der Leistungserbringung interne Prozesse und Kundenprozesse zu synchronisieren.
0,388
t-Wert Bootstrapping t > 1,282 2,091
verfügt über ein systematisches Verfahren zur 0,733 4,560 Überwachung der Leistungsimplementierung beim Kunden. Tabelle 19 Operationalisierung Projektkoordination
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,550***
0,550***
Für die Schätzung des nomologischen Netzes ergibt sich ein hoch signifikanter Pfadkoeffizient von 0,344 (p 1,282 2,292
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über ein systematisches Verfahren zur 0,348 effizienten Anpassung der Leistungskonfiguration bei nachträglichen Änderungswünschen der Kunden. versucht z.B. durch umfassende Dokumentation 0,485 2,847 oder Bediener-Schulungen aktiv den Nutzen des Kunden zu erhöhen. verfügt über ein systematisches Verfahren, um 0,399 2,041 den Kunden in die Implementierung der Leistung zu integrieren. Tabelle 20 Operationalisierung Kundenintegration
Multikollinearität VIF < 10 1,356
1,490
1,678
Die Analyse des nomologischen Netzes belegt die inhaltliche und nomologische Validität des Messmodells. Der Pfadkoeffizient zum kausal konsequenten Konstrukt ist positiv und hoch signifikant (0,463; p 1,282 1,674
0,754 3,980 Tabelle 21 Operationalisierung Implementierung/Erbringung
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,617*** 0,617***
Insgesamt vermag das Konstrukt Implementierung/Erbringung 20,3 Prozent der Varianz des lösungsbezogenen Erfolges zu erklären und beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,455. Damit kann vom Vorliegen inhaltlicher und nomologischer Validität hinsichtlich der Messung des Konstruktes zweiter Ordnung ausgegangen und das Messmodell akzeptiert werden.
264
7 Quantitative empirische Untersuchung
4. Support/Betrieb Die vierte Dimension der Lösungskompetenz wird über zwei Konstrukte erfasst: Service-Management und Beziehungsmanagement. Das Konstrukt zweiter Ordnung konstituiert sich kausal über eine formative Beziehung aus diesen beiden Dimensionen. Service-Management Literatur und Experteninterviews weisen darauf hin, dass in der abschließenden Phase des Lösungsprozesses Routinen für die klassischen Elemente eines SupportService zu berücksichtigen sind. Drei formative Indikatoren erfassen dabei Routinen zur Reaktion auf Betriebsstörungen, zur Etablierung einer Service-Orientierung im Support und zum Beschwerdemanagement, aus dem sich kompetenzbildende Lerneffekte ergeben können. Ein Konditionsindex von 7,521 und die niedrigen VIFWerte deuten auf keine Anzeichen von Multikollinearität hin. Zwei der drei selbst entwickelten Indikatoren zeichnen sich durch hohe und signifikante Gewichte aus, lediglich ein Indikator trägt nur marginal zum Konstrukt bei (vgl. Tabelle 22). Aus inhaltlichen Gesichtspunkten wird er jedoch beibehalten, da die entsprechende Konstruktfacette andernfalls eliminiert würde. Service-Management Bezeichnung des Indikators Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über systematische Verfahren der Fehleranalyse und zur Berücksichtigung von Kundenbeschwerden. verfügt über eine systematische Vorgehensweise zur Reaktion auf Betriebsstörungen der Leistung. verfügt über eine systematische Vorgehensweise zur Sicherstellung einer Service-Orientierung der Support-Mitarbeiter.
Indikatorgewicht 0,333
t-Wert Bootstrapping t > 1,282 1,429
Multikollinearität VIF < 10
0,088
0,428
2,172
0,709
2,924
1,718
1,934
Tabelle 22 Operationalisierung Service-Management
Bei der Analyse des nomologischen Netzes zeigt sich eine akzeptable inhaltliche und nomologische Validität des Messmodells. Der Pfadkoeffizient zum kausal konsequenten Konstrukt ist positiv und hoch signifikant (0,357, p 1,282
versucht gezielt, mit den Kunden eine länger0,526 2,817 fristige Beziehung aufzubauen. erfasst systematisch sich wandelnde Kunden0,620 3,517 bedürfnisse in Bezug auf implementierte Lösungen. Tabelle 23 Operationalisierung Beziehungs-Management
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,521*** 0,521***
Insgesamt vermag das Konstrukt Beziehungs-Management 18,3 Prozent der Varianz des lösungsbezogenen Erfolges zu erklären und beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,427 (p 1,282
Tabelle 24 Operationalisierung Support/Betrieb
Insgesamt vermag die latente Variable 21,6 Prozent der Varianz des lösungsbezogenen Erfolges zu erklären und wirkt auf diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,465 (p 1,282 5,362
Multikollinearität VIF < 10
Design/Konfiguration
0,145
1,689
2,579
Implementierung/Erbringung Support/Betrieb
0,136 0,290
1,573 2,696
2,106 2,154
2,530
Tabelle 25 Operationalisierung Lösungskompetenz
Eine zusätzliche Einbindung in ein nomologisches Netzwerk mit dem lösungsbezogenen Erfolg als endogener Variable offenbart einen hoch signifikanten Pfadkoeffizienten von 0,656 (p 1,282 3,249
0,389
2,947
2,293
0,268
1,735
2,223
0,194
1,813
1,456
0,342
1,343
legt systematisch strategische Rabatt-Limits für 0,0024 den Vertrieb fest. Tabelle 26 Operationalisierung Preisplanung
Multikollinearität VIF < 10 1,710
Die Überprüfung des nomologischen Netzwerkes ergibt einen stark positiven und hoch signifikanten (p 1,282
hat klar definiert, wie es sich preislich am Markt 0,737 positionieren will. verfügt über ein systematisches Verfahren zur 0,439 Reaktion auf Preisaktionen der Wettbewerber. Tabelle 27 Operationalisierung Preisverhalten
7,151
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,408***
3,611
0,408***
Insgesamt vermag das Konstrukt Preisverhalten im nomologischen Netz 32,2 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges zu erklären und beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,568. Damit kann vom vorliegen inhaltlicher und nomologischer ausgegangen und das Messmodell akzeptiert werden. Zusammenfassung zum Konstrukt höherer Ordnung Nach der individuellen Beurteilung werden die beiden Dimensionen nun zur Preisstrategie-Phase als Konstrukt höherer Ordnung aggregiert. Damit kann deren Wirkung mit der von anderen Faktoren auf ähnlichem Abstraktionsniveau verglichen werden. Wie Tabelle 28 zeigt, deutet die bivariate Korrelation zwischen den beiden Dimensionen auf moderate Kollinearität hin, die jedoch unter den einschlägigen Grenzwerten von 0,9 liegt und für die weiteren Analyseschritte als unproblematisch angesehen wird. Beide Indikatoren weisen hohe, stark signifikante Gewichte auf. Preisstrategie Bezeichnung des Indikators
Preisplanung Preisverhalten
Indikatorgewicht
t-Wert Bootstrapping t > 1,282
0,732 0,323 Tabelle 28 Operationalisierung Preisstrategie
5,836
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,661***
2,385
0,661***
Insgesamt beeinflusst das Konstrukt Preisstrategie den preisbezogenen Erfolg mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,645 (p 1,282 3,310
verfügt über ein formales System, das 0,666 4,460 Angebotsvergleiche auf Basis früherer Ausschreibungen oder Verträge mit Kunden ermöglicht. Tabelle 29 Operationalisierung Nutzung interner Quellen
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,423***
0,423***
Im Rahmen des nomologischen Netzwerks können 18,9 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges erklärt werden. Der Pfadkoeffizient zwischen den beiden Variablen ist hoch signifikant (p 1,282 2,293
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… nutzt systematisch externe Quellen, um 0,298 preisrelevante Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden zu bekommen (z.B. Branchenverbände, Marktforschungsinstitute). verwendet systematische Verfahren zur Ermittlung 0,280 2,111 der Zahlungsbereitschaften der Kunden. ermittelt systematisch den Mehrwert, den die 0,442 3,923 Leistungen für einzelne Kunden generieren. versucht systematisch, Wettbewerberpreise und 0,247 1,762 Preisbereitschaften im Markt nicht nur über den Vertrieb zu ermitteln. Tabelle 30 Operationalisierung Nutzung externer Quellen
Multikollinearität VIF < 10 1,733
1,463 1,526 2,060
Für das nomologische Netzwerk ergibt sich ein positiver und hoch signifikanter (p 1,282
Tabelle 31 Operationalisierung Informationsverarbeitung
Im Rahmen des nomologischen Netzwerks können 25,9 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges erklärt werden. Der Pfadkoeffizient zwischen den beiden Variablen ist hoch signifikant (p 1,282 1,819
Nutzung externer Quellen
0,571
4,299
2,103
2,415
2,018
Informationsverarbeitung
Indikatorgewicht
0,369 Tabelle 32 Operationalisierung Preisanalyse
Multikollinearität VIF < 10 1,677
Insgesamt vermag das Konstrukt Preisanalyse 33,9 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges zu erklären und beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,583. Damit kann vom vorliegen inhaltlicher und nomologischer Validität hinsichtlich der Messung des Konstruktes zweiter Ordnung ausgegangen und das Messmodell akzeptiert werden. 3. Preisfestlegung Die dritte Dimension der Preiskompetenz wird ebenfalls formativ aus drei theoretischen Konstrukten aggregiert: Ausgestaltung des Preissystems, Preisentscheidung und Preisorganisation. Vor der Bildung des Konstruktes höherer Ordnung werden wieder die Messmodelle einzeln evaluiert.
274
7 Quantitative empirische Untersuchung
Ausgestaltung des Preissystems Als erstes Unterkonstrukt der Preisfestlegungs-Phase erfasst die Ausgestaltung des Preissystems Routinen, mit denen die eher als Leitlinien konzipierten Entscheidungen der Strategie-Phase konkreter gefasst werden. Dazu gehören Maßnahmen der Preisdifferenzierung und die systematische Abstimmung der Preise im Hinblick auf den Lebenszyklus. Dieser Definitionsbereich des Konstruktes wird über zwei neue, formative Indikatoren abgedeckt, die kausal die latente Variable konstituieren. Wie Tabelle 33 zeigt, können Probleme durch Multikollinearität aufgrund der moderaten bivariaten Korrelation noch als vernachlässigbar angesehen werden. In Bezug auf die Indikatorrelevanz weisen beide Items signifikante, hohe Gewichte auf, wobei der Indikator zur Preisdifferenzierung einen deutlich größeren Einfluss auf das Konstrukt ausübt. Ausgestaltung des Preissystems Bezeichnung des Indikators
Indikatorgewicht
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… stimmt systematisch die Preise für neue Produkte/Services, Ersatzteile und Auslaufmodelle ab.
0,209
t-Wert Bootstrapping t > 1,282 1,542
verfügt über eine formale Vorgehensweise und 0,851 6,870 klar definierte Kriterien zur Preisdifferenzierung. Tabelle 33 Operationalisierung Ausgestaltung des Preissystems
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,652***
0,652***
Die Analyse des nomologischen Netzes zeigt, dass das Konstrukt 30,5 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges erklären kann und diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,552 beeinflusst. Damit kann vom vorliegen inhaltlicher und nomologischer ausgegangen und das Messmodell angenommen werden. Preisentscheidung Als zweite Subdimension der Preisfestlegungs-Phase sind Routinen zu berücksichtigen, mittels derer Unternehmen ihre letztendlichen Entscheidungen für Listenoder Verrechnungspreise treffen. Den Definitionsbereich des Konstruktes erfassen vier selbst formulierte, formative Indikatoren, die verschiedene Facetten des Konstruktes abdecken und dieses kausal verursachen. Demgemäß liegt auch hier eindeutig eine formative Spezifikation vor. Die Routinen betreffen neben den Informationsgrundlagen für Preisentscheidungen die Flexibilität der Preissetzung im Falle von Spezifikationsänderungen durch die Kunden. Die Multikollinearitätsprüfung ergibt keine Probleme hinsichtlich kritischer VIF-Werte und für den Konditionsindex (KI = 8,326). Die Darstellung der Indikatorrelevanz in Tabelle 34 zeigt jedoch für ein Item ein schwaches, nicht signifikantes Gewicht. Wie schon im Bereich der Wertschaffung soll auch dieser Indikator beibehalten werden, obwohl er nur wenig
7.6 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstrukte
275
zur Varianzaufklärung des Konstruktes beiträgt. Inhaltlich kann als Begründung für das geringe Gewicht vermutet werden, dass in der Praxis die Preisfestlegung stark von Kostenaspekten dominiert wird, diese – obgleich wünschenswert – aber nicht nur als Preisuntergrenze sondern als Grundlage für die gesamte Kalkulation genutzt werden.1342 Preisentscheidung Bezeichnung des Indikators
Indikatorgewicht
t-Wert Bootstrapping t > 1,282 5,727
Multikollinearität VIF < 10
0,064
1,133
1,418
1,084
3,885
1,120
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über eine systematische Vorgehensweise zur 0,683 Preisfestlegung und Preisanpassung. verwendet Kosteninformationen im Wesentlichen nur 0,005 zur Ermittlung der Preisuntergrenze. legt Preise nur zum Teil basierend auf Informationen 0,134 über Wettbewerbspreise fest. verfügt über ein systematisches Verfahren zur 0,521 effizienten Anpassung der Preis- und Vertragskonditionen bei nachträglichen Änderungswünschen der Kunden an der Leistungskonfiguration. Tabelle 34 Operationalisierung Preisentscheidung
1,170
Vor dem Hintergrund eines signifikant positiven (p 1,282
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit…
beteiligt systematisch Mitarbeiter verschiedener 0,644 Abteilungen und Bereiche an der Preisfestlegung. verfügt über ein formales System, das den 0,586 Beteiligten am Pricing-Prozess einen schnellen Zugriff auf die aktuellen Preise ermöglicht. Tabelle 35 Operationalisierung Preisorganisation
4,640
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,321***
3,715
0,321***
Insgesamt vermag das Konstrukt Preisorganisation 14,8 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges zu erklären und beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,385 (p 1,282 5,082
Preisentscheidung
0,532
4,351
2,075
-0,086 0,868 Tabelle 36 Operationalisierung Preisfestlegung
1,874
Preisorganisation
Indikatorgewicht
Multikollinearität VIF < 10 1,824
Vor dem Hintergrund eines signifikanten und stark positiven Pfadkoeffizienten von 0,602 (p 1,282 1,636
verfügt über Mitarbeiter/Führungskräfte, die sich systematisch mit Aspekten des Preismanagements (Planung, Preisfindung, Preisdurchsetzung, Kontrolle) befassen. hat das Preismanagement übergreifend in einem Pricing-Team/Abteilung gebündelt. verfügt über formale Eskalationsregeln zur internen Abstimmung bei Sonderpreisen.
0,174
1,445
1,952
0,232
1,800
1,640
0,129
1,087
1,706
hat eine systematische Vorgehensweise zur Festlegung von Preisuntergrenzen. verfügt über Anreizsysteme im Vertrieb, die systematisch die Durchsetzung strategischer Preisziele unterstützen.
0,220
1,927
1,757
0,443
4,048
1,260
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über eine Dokumentation der verschiedenen Rollen und Verantwortlichkeiten im Pricing-Prozess.
Indikatorgewicht
1,748
Tabelle 37 Operationalisierung Interne Preisdurchsetzung
Im Rahmen des nomologischen Netzwerks können 34,7 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges erklärt werden. Der Pfadkoeffizient zwischen den beiden Variablen ist hoch signifikant (p 1,282 1,365
0,297
2,595
2,308
0,406
4,277
1,627
-0,004
0,074
1,436
-0,041
0,592
1,849
0,213
1,923
1,446
entwickelt gezielt Fähigkeiten der Mitarbeiter 0,311 2,267 zur Durchsetzung von Preisen. verfügt über eine systematische 0,001 0,010 Vorgehensweise zur Abstimmung der Preise über alle Vertriebskanäle hinweg Tabelle 38 Operationalisierung Externe Preisdurchsetzung
2,357
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… verfügt über ein formales System, mit dem Kunden die wirtschaftlichen Vorteile der Leistungen aufgezeigt werden können setzt systematisch Argumentationsleitfäden zur Preisdurchsetzung im Vertrieb ein. verfügt über ein formales System zur Unterstützung der Preisund Vertragsgestaltung bei der Angebotserstellung akquiriert Kunden systematisch im Hinblick auf hohe Preisbereitschaften. verfügt über eine systematische Vorgehensweise zur Kommunikation von Preisanpassungen. setzt interdisziplinäre Teams für Preis- und Vertragsverhandlungen mit den Kunden ein.
Indikatorgewicht
Multikollinearität VIF < 10 2,061
1,973
Im Rahmen des nomologischen Netzwerks können substanzielle 46,7 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges erklärt werden. Der Pfadkoeffizient zwischen den beiden Variablen ist hoch signifikant (p 1,282
Interne Preisdurchsetzung 0,253 2,228 Externe Preisdurchsetzung 0,799 7,891 Tabelle 39 Operationalisierung Preisdurchsetzung
Multikollinearität Biv. Korrelation 0,636*** 0,636***
Insgesamt vermag das aggregierte Konstrukt Preisdurchsetzung einen hohen Anteil von 48,2 Prozent der Varianz des preisbezogenen Erfolges zu erklären und
280
7 Quantitative empirische Untersuchung
beeinflusst diesen mit einem hoch signifikanten Pfadkoeffizienten in Höhe von 0,694 (p 1,282 2,207
0,445
3,582
1,539
0,085
0,996
1,732
0,087
0,723
2,233
0,252
1,777
2,220
analysiert systematisch die Profitabilität 0,008 0,102 einzelner Aufträge. untersucht regelmäßig die Preiszufriedenheit 0,230 1,798 der Kunden. verfügt über ein formales System zur 0,005 0,061 systematischen Analyse der Profitabilität einzelner Kundenbeziehungen. Tabelle 40 Operationalisierung Preismonitoring
2,081
Mein Unternehmen/meine Geschäftseinheit… analysiert systematisch die Profitabilität einzelner Produkte und Services. verfügt über ein formales System zur RabattAnalyse über alle Transaktionen hinweg. analysiert systematisch die Ursachen für verlorene und gewonnene Aufträge. verfügt über ein formales System zur systematischen Überwachung der NettopreisEntwicklung im Zeitablauf. hat ein formales System zur Überwachung der beim Kunden durchgesetzten Preise.
Indikatorgewicht
Multikollinearität VIF < 10 1,974
1,453 1,772
Für das nomologische Netzwerk ergibt sich ein positiver und hoch signifikanter (p>Leistungstypologien als Basis des Marketing – ein erneutes Plädoyer für die Aufhebung der Dichotomie von Sachleistungen und Dienstleistungen