Alber-Reihe Philosophie
Karen Gloy Vernunft und das Andere der Vernunft
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Alber-Reihe Philosophie
Karen Gloy Vernunft und das Andere der Vernunft
Zu diesem Buch: Seit mehr als 2000 Jahren hat sich die Philosophie und Geistesgeschichte in Absetzung von dem teils unzugänglichen Übersinnlichen, teils indifferenten, diffusen Sinnlichen, Triebhaften, Natürlichen dem Programm einer Einheit der Vernunft verschrieben. Damit hat sie den Logozentrismus des Abendlandes begründet, der in der Vernunft ein begründendes Denken sieht, das im Klassifikationssystem der Wissenschaften gipfelt. Erst die Postmoderne hat an die Stelle der einen Vernunft eine Pluralität von Vernunfttypen gesetzt, ohne diese jedoch zu definieren. Das Buch analysiert erstmals in der Geschichte verschiedene Denkformen, die zu unterschiedlichen Weltbildern führen: neben dem klassifikatorischen Typ, der für das mathematisch-naturwissenschaftliche Denken charakteristisch ist, die sumerische Listenmethode, das dialektische Denken und das analogische, das das neue Paradigma der Welterklärung zu werden verspricht. Ab out this book: for more than 2000 years, philosophy and the history of thought have been committed to a program for the unity of reason as opposed to the inaccessible realm of the super-rational on the one hand and the undifferentiated, diffuse matter of sensations, drives, and nature on the other. With this program, the logocentrism of the West was founded, which sees reason as explanatory thought culminating in the classificatory systems of the various sciences. lt was Postmodernism which first set a plurality of types of reason in the place of the one reason, without, however, having defined them. The book analyzes, for the first time, various forms of thought leading to different views of the world: apart from the classificatory type, which is characteristic for the mathematical thought of the natural sciences, the Sumerian method of lists, dialectical thinking, and analogical thinking, which appears promising as a new paradigm. Die Autorin: Dr. phil. Karen Gloy, geb. 1941, ist ordentliche P_rQf~5_S_Qrin fü.rl'J1Jlqsop_hie un_d_ g_eistesgeschichte an der Universität Luzern. Gastprofessuren u. a. in China, Taiwan und Kolumbien. Hauptarbeitsgebiete: Deutscher Idealismus, Rationalität, Naturphilosophie. Veröffentlichungen bei Alber: Bewußtseinstheorien (2. Auf!. 2000); Rationalitätstypen (1999, Hg.); Das Analogiedenken (2000, Hg. zusammen mit Manuel Bachmann).
Karen Gloy
Vernunft und das Andere der Vernunft
Verlag Karl Alb er Freiburg I München
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Vernunft und das Andere der Vernunft I Karen GloyFreiburg (Breisgau); München: Alber, 2001 (Alber-Reihe Philosophie) ISBN 3-495-47890-6 Texterfassung: Autorin Registerbearbeitung: Angelika Kuhlmann Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten- Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg/München 2001 Einbandgestaltung: Eberle & Kaiser, Freiburg Einband gesetzt in der Rotis SemiSerif von Otl Aicher Satzherstellung: SatzWeise, Föhren Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Druck und Bindung: Difo-Druck, Harnberg 2001 ISBN 3-495-47890-6
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
10
1. Vernunftkritik
10
2. Der Begriffswandel von Vernunft zu Rationalität
21
3. Von der Einheit zur Pluralität . . . . . . . . . .
25
4. Begründung als Grundmuster der abendländischen Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
5. Die Grundbedeutung von Vernunft: das Vermögen zur Strukturierung und seine möglichen Auslegungen
36
Erster Teil: Rationalitätstypen 1. Kapitel: Die Listenmethode
1. 2. 3. 4.
Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . Charakteristik der Strukturierungsprinzipien Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bacons Listenmethode . . . . . . . . . .
2. Kapitel: Der dihairetische Rationalitätstypus 1. 2. 3. 4. 5.
Abgrenzung: philosophisch-mathematische Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakterisierung des philosophisch -dihairetischen Rationalitätstypus . . . . . . . . . . . . . . . Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Problem der Relativität der Realität und seine Lösung durch den Duhem-Quineschen Holismus Das Einteilungsproblem und der Wandel der Einteilungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vernunft und das Andere der Vernunft
44 44 49 57
60 67 67 69 81 89 94 A- 7
Inhaltsverzeichnis
6. 7. 8.
Systemtranszendenz oder Systemimmanenz des Systemgrundes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Urteil und Schluß auf der Basis des dihairetischen Rationalitätskonzepts . . . . . . . . . 105 Der mathematische Rationalitätstypus 110 115
3. Kapitel: Der dialektische Rationalitätstypus 1. 2. 3. 4. 5.
Grundstruktur . . . . . Zeitlicher Kreislauf . . Platons Dialektiktypus Hegels Dialektiktypus . Fichtes Dialektiktypus .
115 120 132 143 158 170
4. Kapitel: Der metaparadoxale Rationalitätstypus 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Paradoxie - ein eigener Vernunfttypus oder die Grundstruktur der Dialektik? . . . . . . . . Kurzbeschreibung der Paradoxien . . . . . . Struktur und Mechanismus der Paradoxien . Lösung der Paradoxien? . . . . . . . . . . . Negative Dialektik als Metaparadoxie Fichtes Spätphilosophie als Beispiel für negative Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170 172 181 195 197 200
5. Kapitel: Deranalogische Rationalitätstypus . . . . . . . . 207 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
8
Analogiedenken- Rationalität oder Irrationalität? . . Arcimboldos »Jahreszeiten«-Zyklus und seine diversen Auslegungen . . . . . . . . . . . . . . . Morphologischer Raster des Analogiedenkens Analogieformen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Logik des Analogiedenkens . . . . . . . . Die semantischen (ikonographischen) Analogien in den Bildern Arcimboldos . . . . . . . . . . . . . . . Tropen als linguistische Analogien . . . . . . . . . . Verkehrung und Verschiebung als psychologische Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstähnlichkeit als Analogieform in der fraktalen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ALBER PHILOSOPHIE
207 208 213 224 229 236 241 248 264
Karen Gloy
Inhaltsverzeichnis
6. Kapitel: Überlegungen zum Zusammenhang der Rationalitätstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. 2. 3.
Empirischer oder apriorischer Status der Rationalitätstypen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Vermittlungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Kriterien für einen paradigmatischen Status der Rationalitätstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Zweiter Teil: Das Andere der Vernunft 1. Kapitel: Das Andere als Sub-, Hyper- und Transrationales . 294 2. Kapitel: Der negative Zugang zum Anderen der Vernunft: die via negativa, demonstriert an Derridas differance-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3.
Vorgeschichte . . . . . . . . . Derridas Begriff der differance Schwierigkeiten . . . . . . . .
299 299 303 310
3. Kapitel: Der positive Zugang zum Anderen der Vernunft: Nietzsches vitalistische Ansicht . . . . . . . . . . . . . . 312
1.
2. 3.
Kritik am traditionellen dihairetischen Vernunftkonzept . . . . . . . . . Der Wille zur Macht Schwierigkeiten . . .
312 315 319
4. Kapitel: Der metaphorische Zugang zum Anderen der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Literaturverzeichnis Personenverzeichnis Sachverzeichnis . . .
Vernunft und das Andere der Vernunft
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329 341 344
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9
Einleitung
1. Vernunftkritik »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft Des Menschen allerhöchste Kraft« Goethe: Faust I, Vers 1851 f.
Seit nun schon mehr als einer Philosophengeneration gehört die Vernunftschelte zum Standardrepertoire der Gegenwartsphilosophie. Seitdem in den sechziger Jahren in Frankreich die postmoderne Avantgarde, gestützt auf Vorläufer wie Nietzsche, Heidegger und Bataille, ihren Generalangriff auf die Aufklärung und die mit ihr eingeleitete Moderne startete, die das menschliche Subjekt und mit ihm die Vernunft ins Zentrum gerückt hatte gegenüber dem auf die Polis abgestellten antiken Denken und dem am hierarchischen Kosmos mit Gott an der Spitze orientierten christlich-mittelalterlichen Denken, ist die Kritik an Rolle und Funktion der Vernunft nicht wieder verstummt. Es gehört heute geradezu zur Mode, Vernunftschelte zu betreiben, während Plädoyers für die Vernunft nicht nur selten geworden sind, sondern auch für obsolet gehalten werden. Dabei geht es zumeist nicht nur um eine legitime, moderate Vernunftkritik, die die hypertrophen Ansprüche der Vernunft, ihre möglichen Fehler und Irritationen, sei es auf dem Gebiet des Denkens, Handeins oder Evaluierens, aufdeckt und zurückweist, sondern um eine radikale Vernunftkritik, die die klassische anthropozentrische Bestimmung des Menschen als l;;tpov Myov exov oder animal rationale und die mit ihr zusammenhängende sozio-kulturelle Vorherrschaft des Logos in Frage stellt und im Namen des traditionell unterdrückten, verdrängten oder gar ignorierten Anderen der Vernunft bestreitet, das unter Namen wie äußere und innere Natur, Leiblichkeit, Trieb- und Affektsphäre, Gefühl, Emotionalität, Sinnlichkeit, Phantasie, Traum, Wahnsinn u. ä. auftritt. Der »Logozentrismus«1 des Abendlandes, die dogmatische Verabsolutierung der 1
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J. Derrida:
Grammatologie (Titel der Originalausgabe: De Ia grammatologie, Paris
ALBER PHILOSOPHIE
Karen Gloy
Einleitung
Vernunft wird als Vernunftmythologie bzw. Vernunftideologie decouvriert. Es ist der die abendländische Geschichte beherrschende Vernunftmonismus, der hier attackiert wird. Dieser absoluten Vernunftherrschaft wird als Konsequenz angelastet, was immer es an Fehlleistungen in Wissenschaft und Technik, Zivilisation und Kultur im privaten wie öffentlichen Leben gibt oder gegeben hat, angefangen von der Rationalisierung der Wissenschaft, der Uniformierung und Globalisierung der Technik, der Bürokratisierung der Verwaltung bis hin zur Verstaatlichung der Gesellschaft und Moralisierung der Lebenswelt. Um die Vernunft möglichst effektiv bekämpfen zu können, baut man einen Popanz auf, den es so historisch nie gegeben hat. Unter Einebnung aller Differenzen und übertriebener Simplifizierung wird die Vernunft uniformiert und universalisiert, zum monolithischen Singular hochstilisiert und die These vertreten, die gesamte abendländische Philosophie von Parmenides bis Hegel sei nichts anderes als Einheitsphilosophie gewesen, die das Viele, Heterogene, Relative nicht ernst nehme und zu eliminieren trachte. Der Aufstand des unterdrückten, geknechteten, geknebelten Anderen der Vernunft ist dann unausweichlich. Er setzt an die Stelle der ordnenden, Regeln und Standards installierenden Macht der Vernunft die Ungeordnetheit der sinnlichen Daten und faktischen Geschehnisse, die Anarchie der Regellosigkeit. Ein illustratives Beispiel hierfür ist Paul Feyer~_bend, der mit seinen propagandistischen und schockierenden Schriften, angefangen von Wider den Methodenzwang 2 bis zu Irrwege der Vernunft 3 , als Vernunft-Schreck in die Geschichte eingegangen ist. Aus der Wissenschaftstheorie kommend- einem Gebiet, das sich üblicherweise der Rationalität verpflichtet weiß -, versucht er anhand einer Analyse der historischen Wissenschaftsentwicklung und des tatsächlichen Vorgehens der Wissenschaftler aufzuzeigen, daß nicht nur der angebliche Wissensfortschritt, sondern auch der vermeintliche Fortschritt der Wissenschaften regellos und irrational
1967), aus dem Französischen von H.-J. Rheinherger und H. Zischler, Frankfurt a.M. 1974, S. 11. 2 P. Feyerabend: Wider den Methodenzwang. Skizze zu einer anarchistischen Erkenntnistheorie (Titel der Originalausgabe: Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge, 1975), übersetzt von H. Vetter, Frankfurt a. M. 1976. ' P. Feyerabend: Irrwege der Vernunft (Titel der Originalausgabe: Farewell to reason, 1986), aus dem Amerikanischen von J. Blasius, Frankfurt a. M. 1989. Vernunft und das Andere der Vernunft
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Einleitung
sei, und dies nicht nur im Sinne Kuhns, der bezüglich der Paradig-\ mensubstitution von Rationalitätslücken spricht, sondern im Sinne einer verabsolutierten Regellosigkeit und Unberechenbarkeit. Feyerabends epistemologischer Anarchismus leugnet das Bestehen von normen-, regel- und standardwissenschaftlicher Rationalität überhaupt gemäß dem Motto »anything goes«. Allerdings hat Feyerabend später diese Behauptung zurückgenommen und dahingehend abgemildert, daß auch Regellosigkeit die Geltung von Regeln voraussetze.4 Da mit der Entmachtung und Dezentrierung der Vernunft einer der Grundwerte der europäischen Zivilisation auf dem Spiele steht, r wenn nicht gar der Grundwert überhaupt, wird hier einem Irrationalismus Tür und Tor geöffnet, was sich im Aufleben des Mystizismus, Mythologismus, der Esoterik u. ä. dokumentiert, denen man in der New-Age-Bewegung begegnet. Der Aufgang der Königin der Nacht anstelle des Rationalisten Sarastro -um Bilder aus Mozarts Zauberflöte zu gebrauchen - ist angesagt. Für die Antirationalisten geht es um eine grundsätzliche Neubestimmung der Anthropologie unter Berücksichtigung der bisher vernachlässigten und ignorierten Sphären, zumal das Vernünftige nur einen kleinen Teil des menschlichen Subjekts ausmacht, sogar den kleinsten. Anstelle der verabschiedeten oder zumindest in ihre Schranken verwiesenen Vernunft wird die Herrschaft - entweder die Allein- oder die Mitherrschaft des Irrationalen gefordert, das logisch als das Alogische, ontologisch als das Irreale und moralisch als das Unschickliche auftritt. 5 Die Rationalitätsphilosophie der Vergangenheit soll durch eine »neue Philosophie der Natur, des Leibes und der Phantasie« 6 überwunden werden. So vehement die Kritik an der Vernunft vonseitender Antirationalisten und Irrationalisten, der Gegenaufklärer, ist, so vehement ist auch ihre Verteidigung. Sie reicht von Habermas' rationalistischem Projekt der unvollendeten, also erst in Zukunft zu vollenden-
Vgl. P. Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen( Frankfurt a.M. 1979, S. 87, 17. L. Ferry und A. Renaut: Antihumanistisches Denken. Gegen die französischen Meisterphilosophen (Titel der Originalausgabe: La Pensee 68. Essai sur anti-humanisme conternporainr Paris 1985), aus dem Französischen von U. Bokelmannr München, Wien 1987, S. 16, sprechen von einem Phallogozentrismus anstelle des Logozentrismus. 6 H. Böhme und G. Böhme: Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt a. M. 19851 S. 24.
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ALBER PHILOSOPHIE
Karen Gloy
Einleitung
den Moderne 7 bis zu Schnädelbachs Restitution der anthropologischen Definition des Menschen als animal rationale 8 • Nun sind freilich Vernunftkritik und Kritik an der Vernunftkritik nicht erst ein Resultat der Gegenwartsphilosophie, initiiert vom französischen Dekonstruktivismus. Sie setzen vielmehr einen älteren Streit um die Vernunft in den dreißiger und vierziger Jahren fort, in dem Adorno und Horkheimer unter dem Titel »Dialektik der Aufklärung« eine Vernunftkritik im Sinne einer Aufklärung der Aufklärung übten, welche offensichtlich bis dahin über sich selbst unaufgeklärt war. Anhand einer Analyse des homerischen Epos der Odyssee wiesen sie' die Ambivalenz der Vernunft, die Gegenläufigkeit ihrer Machtstruktur, den Umschlag von der Beherrschung des Anderen in die Knechtung ihrer selbst auf. Die Emanzipation des Ich von der Natur ist gepaart mit gleichzeitiger Unterdrückung der eigenen Natur. Selbstbehauptung ist immer auch Selbstunterdrückung. Was als Befreiung des Ich aus den Zwängen der Natur erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als Knechtung des eigenen Selbst. Odysseus in seiner Begegnung mit den Sirenen und der Zauberin Circe ist für Adorno und Horkheimer die älteste mythische Figur der Ambivalenz von angestrengter rationaler Selbstbehauptung und versuchender emotionaler Selbstauflösung, wobei der letzteren nur mit Gewalt, nämlich durch die Selbstankettung des Odysseus, begegnet werden kann. Wenn der neuzeitlichen Aufklärung das Verdienst zukommt, der Vernunft und mit ihr der Freiheit zur Herrschaft verholfen zu haben, so birgt sie andererseits gerade Gewalt, Unterdrückung und Hegemonie in sich, insofern sie genötigt ist, gegen das vorzugehen und das zu verdrängen, was sie von innen her aufzulösen droht. Während die Vernunftkritik der Gegenwart Vernunftdestruktion von außen ist, sei es von seiten der Leiblichkeit, der Sinnlichkeit oder der Phantasie, und somit Metakritik; wohingegen die Vernunftkritikder Frankfurter Schuleaufgrund ihrer Selbstkritik Aufweis der internen Dialektik und Widersprüchlichkeit der Vernunft war, reicht die Vernunftkritik als solche bis in die Anfänge der Moderne zurück Sie ist in das Projekt der Moderne selbst eingelassen, zeigt doch schon der Titel von Kants philosophischem Hauptwerk Kritik der J. Haberrnas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1985,4. Auf!. 1988. ' H. Schnädelbach: Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2, Frankfurt a. M. 1992, vgl. S. 13 ff. 7
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Einleitung
reinen Vernunft, daß es hier um eine kritische Selbstreflexion der Vernunft geht. Kant, der sich als Vollender der Aufklärung verstand, sieht die Legitimation dieser in der Selbstaufklärung der Vernunft. Und auch für die nachkantischen idealistischen Philosophen ist das permanente Ringen um eine Selbstaufklärung der Vernunft hinsichtlich ihrer Möglichkeit, ihres Umfangs und ihrer Grenzen charakteristisch. Dies schließt die Frage nach der Fundiertheit oder Nichtfundiertheit im Anderen ein. Selbst in Hegels universalistischem Rationalitätskonzept, demzufolge Vernunft und Wirklichkeit zusammenfallen und nur das wirklich ist, was auch vernünftig ist, und umgekehrt, und auch nur das erkannt wird, was als vernünftig erkannt werden kann, geht es um den Status und das Selbstverständnis der Vernunft, ganz zu schweigen von Schellings Projekt einer Fundierung der Vernunft im Anderen, sei es in der Natur oder in einem unvordenklichen Grund, sowie von Fichtes in den späten Wissenschaftslehren thematisierter Grenzüberschreitung des Wissens, der Transzendierung der Vernunft in Richtung auf ein unvordenkliches Sein und ihrer Fundierung in diesem. Die Geschichte der Vernunftkritik, sofern darunter die kritische Selbstdurchleuchtung und -verständigung der Vernunft verstanden wird, die immer auch eine Absetzung von Andersartigem einschließt, läßt sich sogar bis auf die Ursprünge der abendländischen Philosophie zurückverfolgen. Sie ist so alt wie die europäische Philosophie selbst, die sich seit ihrem Beginn in der Antike als Logos-Philosophie versteht und gegen andersartige Zugangsweisen zum Seienden, wie sie in Mythos, Religion und Kunst vorliegen, abgrenzt. Die griechische Philosophie, die für sich reklamiert, den Weg vom Mythos zum Logos zurückgelegt und mit dem Logos auch die Kriterien für Wahrheit, Gutheit und Schönheit erstellt zu haben, ist gleichwohl gegen Attakken gegen ihr Konzept nicht gefeit gewesen. Sie mußte stets Gegenkritik aushalten, wovon die Werke Platons und Aristoteles', aber auch die der Sophisten Zeugnis ablegen. Retrospektiv läßt sich eine zweifache Vernunftkritik konstatieren, von denen die eine interner, die andere externer Art ist, die erstere von einer prinzipiellen Akzeptanz des Vernunftkonzepts ausgeht, die letztere dieses gerade bestreitet. Die interne Vernunftkritik hat ihr Vorbild im Kantischen Modell einer selbstreferentiellen Vernunft, der gleicherweise die Funktion eines genitivus obiectivus wie eines genitivus subiectivus zukommt, die also gleicherweise Gegenstand der Kritik wie kritisie: rendes Subjekt ist. Die Vernunft bildet hier die Basis der Kritik und 14
ALBER PHILOSOPHIE
Karen Gloy
Einleitung
stellt zugleich das methodische Instrumentarium der Kritik parat. Angesichts eines solchen Konzepts kann die Aufgabe nur darin bestehen, illegitime Ansprüche der Vernunft von legitimen zu sondern, im Bereich des Denkens Fehlschlüsse und -argurnentationen aufzudecken, im Bereich des Erkennens Scheinerkenntnisse von wahrhaften Erkenntnissen zu unterscheiden, im Bereich des Handeins Gutes von Bösern zu trennen, die auf Freiheit und Vernunft beruhenden Willensentscheidungen von Triebmotivationen zu abstrahieren, ganz so, wie es der ursprüngliche Sinn des griechischen Wortes XQLVElV = »sondern«, »scheiden« besagt, der die Spreu vorn Weizen, das Unwesentliche vorn Wesentlichen, das Unberechtigte vorn Berechtigten abtrennen will. Bei einem Universalitäts- und Totalitätsanspruch der Vernunft, der mit der Selbstreferenz einhergeht, resultiert allerdings das Problem, wie die Vernunft von einem rein internen Standpunkt aus Möglichkeit, Umfang und Grenzen ihrer selbst bestimmen könne. Wenn sie schlechthin alles urnfaßt, auch noch das Gegenteil ihrer selbst, wenn sie das Andere der Vernunft als Irnplikat enthält, verfällt eine solche Selbstaufklärung dem Irnrnanentisrnus. Der angebliche Transzensus über die Vernunft hinaus, der für die Grenzziehung erforderlich wäre, erweist sich als Schein. Die externe Vernunftkritik erfolgt von außen, von der Position des Anderen, mag dieses wie im hierarchischen System als Sub- oder Suprarationales auftreten (als Sinnlichkeit, Triebhaftigkeit, Affektivität einerseits, als unvordenklicher Grund, Göttliches andererseits) oder wie im stufennivellierten Modell als gleichwertiges Pendant. Besagte Kritik reicht von der Entthronung und Dezentrierung der Vernunft bei gleichzeitiger Aufwertung des Anderen bis zur Substitution der Vernunft durch das Andere und Glorifizierung desselben. Die erstere Tendenz ist in fast allen nachidealistischen Philosophien beobachtbar, beispielsweise in der Willensphilosophie Schopenhauers und Nietzsches, der Lebensphilosophie Diltheys, der Existenzphilosophie Heideggers, Sartres und Jaspers, im Naturalismus und Soziologisrnus in allen seinen Varianten. Diese Philosophien leugnen die Vernunft nicht schlechthin, sondern drängen sie lediglich ins zweite Glied zurück und betrachten sie als Funktion, Symptom oder Epiphänomen natürlicher Lebensäußerungen und -vorgänge. 9 Die 9 Vgl. hierzu H. Schnädelbach: Zur Rehabilitierung des animal rationale, a. a. 0., S. 43, ebenso S. 24 ff.
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Einleitung
zweite Tendenz ist symptomatisch für die Metaphysik des Irrationalen, des Chaotischen, des Regellosen. Nicht selten geht damit die Verherrlichung von Gewalt, die heimliche oder offene Bewunderung des Abnormen, Anomalen, Exzentrischen einher, die sich gleicherweise auf den ästhetischen Bereich, auf das an keine Regeln gebundene Genie, erstreckt wie auf den politischen und sozialen, auf den »Übermenschen« Nietzschescher Provenienz, auf die faschistischen Führer dieses Jahrhunderts, auf Revolutionäre, Aufrührer und Chaoten.10 Die Attacken gegen die Vorherrschaft der Vernunft in Denken, Erkennen, Handeln und Evaluieren seitens des Anderen der Vernunft zerfallen gemäß dessen Situierung im hierarchischen System in drei Gruppen, in die seitens des Subrationalen, des Suprarationalen und des Transrationalen. (1.) Zum einen meldet sich Kritik an der Vernunftzentrierung seitens des unmittelbaren Lebensvollzugs, nicht nur des macht- und kraftvollen, leidenschaftlichen 11 , sondern auch des ganz natürlichen. Mit der Aufwertung der von der klassischen Philosophie als subrational degradierten; als sogenanntes »unteres«, »niederes« oder gar »inferiorisches« Vermögen verteufelten Sinnlichkeit - dasselbe gilt für Gefühl, Stimmung, Befindlichkeit, Affekt- und Triebleben, Sexualität, Leiblichkeit, Natur überhaupt- und ihrer Akzeptanz als gleichwertiges oder sogar übergeordnetes Vermögen, tritt ein neuer Umgang mit der Vernunft auf den Plan, der sich bewußt ist, daß die Vernunft nicht allein existiert, sondern nur einen kleinen Teil der gesamten Lebenskräfte ausmacht, neben dem die anderen gleiches Recht haben. Die zwingende Konsequenz dieser Konzeption ist eine »neue Kultur« 12 • Dies ist der Titel für das von den Brüdern Hartmut und Gernot Böhme in ihrem Buch Das Andere der Vernunft vorgestellte Projekt, das sie seither in zahlreichen Aufsätzen weiterverfolgt haben. »Gegen die Herrschaft der Vernunftsphilosophie, der wissenschaftlichen Rationalität und der technisierten Lebensform muß diese Kultur durch eine neue Philosophie der Natur, des Leibes und der Phantasie vorbereitet werden,
Vgl. J. Habermas: Der philosophische Diskurs der Modeme, a. a. 0., S. 249. Vgl. A. Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung oder F. Nietzsches Wille zur Macht. 12 H. Böhme und G. Böhme: Das Andere der Vernunft, a. a. 0, S. 24.
10 11
16
ALBER PHILOSOPHIE
Karen Gloy
Einleitung
eine Philosophie, die vernunftkritisch nicht mehr der Vereinnahmung oder Ausgrenzug des Anderen der Vernunft dient.« 13 »Aufstand des Gefühls, des Leibes, der Sexualität«, ein freierer, angstenthobener Umgang mit den bisher verdrängten und verteufelten Vermögen oder, um aktuelle Termini zu benutzen, »Feminismus versus Patriarchalismus« ist das Programm dieser Philosophie, zumal die klassische Rationalitätsphilosophie mit ihrem Dominanzanspruch Verdrängungsmechanismen und -Strategien in dieser Hinsicht ausgebildet hat und stark narzißtische Züge trägt. Eine längere Stelle aus dem oben genannten Buch sei hier angeführt: »[ ... J im Dienst störungsfreier Rationalitätsmaximierung, die die Stimmen des Schmerzes zu übertönen hatte, [wurdeJ ein optimistisches Gemälde historisch sich vollendender Aufklärung stilisiert. Vernunft versperrte sich zunehmend gegen jede Reflexion auf die psycho- und soziogenetischen Bedingungen ihrer Herkunft: diese Absperrung erzeugte den Wahn der Vernullft. Die Hypostase des logoserzeugten Subjekts verdunkelte in der Angst vor jedem >Draußen< und in der Anstrengung, alles seiner abstrakten Identität zu subsumieren, vollends dessen Zusammenhang mit dem, was tatsächlich >draußen< blieb. Im wahnhaften Bemühen, sich von den Abhängigkeiten durchs Draußen- von der Mutternatur, vom Leib, von der Phantasie (selbst diese ist >draußenIOV) (J.LCI)(TJ'tL>IOV) ,/ ',. Leib gegen Wort gegen Wort= Leib= Wortstreit Gewalttätigkeit (ßtno~L>IOV) (UJ.L!flLOßTJ~TJ~L>IOV) ,/ ',. kunstlos kunstvoll [ohne Namen] (Streitgespräch) (EQL!TJ) ,/ Leib Seele (OÖlJ.L<X) (1Jmxi]) ,/ ',. ,/ ',. Lebendiges Unlebendiges Bändigung Belehrung (EJ.L'Ijlti)(OV) (Ü'Ijlti)(OV) (xoÄa!TJ) (ÖLÖ<XO>IUAL>!TJ) ,/ ',. ,/ ',. innere äußere Lehre wie Erziehung Reinigung bei Handwerkern Reinigung (xcißaQOL\;) (:rtEQL 1:0 OÖlJ.L<X) (ÖLÖUO>ICIAL>!TJ) (:rtaLÖEu'tL>!TJ) (ÖTJJ.LLOtiQYLXa[) ,/ ',. ,/ ',. Gymnastik Medizin/Baderkunst Ermahnung Prüfung (gegen (gegen (voußE~TJ'tL>!TJ) (EAEY)(O\;) Häßlichkeit) Krankheit) (yuJ.LVU!TJ) (ta..:QLXTj/ßaA.nvtu'tL>!TJ) (ÖLCI>IQL'tL>I~
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ALBER PHILOSOPHIE
Art und Weise des Objekts
Objekt
Art und Weise des Objekts Art und Weise des Objekts
Art und Weise der Handlung
Karen Gloy
Der dihairetische Rationalitätstypus
7. Definition des Sophisten hervorbringende Kunst
(ltotT]tL'K'ij tEXVTJ)
./
'>
göttliche
menschliche
(~aia)
(
ebenbildnerisch
trugbildnerisch
(EL'KUOtLX1\)
( <pavtam:LK1\)
./
Art und Weise
'> Mittel
[ohne Namen] Nachahmung (mit Wirkung) (durch sich selbst)
(ll4!Tfl:L1
~
Nachahmer des Weisen
(!lL!lTfTTJ' toü oo<poii)
Vernunft und das Andere der Vernunft
~
73
Erster Teil: Rationalitätstypen
fiseher unter diesen Begriff falle, also auf jeden Fall ein l:EXVL't'Yjt;, ein Künstler bzw. Kunstfertiger oder, wie wir heute sagen würden, ein Sachverständiger, ein Experte sei. Sodann werden in einem zweiten Schritt die den l:EXVLL'Yjt; auszeichnenden 1:exvm (Künste, Fertigkeiten) unterteilt in die Klasse der hervorbringenden, produzierenden und die der erwerbenden, d. h. das Vorgegebene oder Produzierte umsetzenden. Auch hier wird Einvernehmlichkeit hergestellt, daß der Angelfischer in die Klasse der erwerbenden und nicht der produzierenden Sachverständigen falle. Im weiteren Verlauf wird die erwerbende Kunst geteilt in die besitznehmende aufgrundvon Geld oder Miete und in die besitzergreifende mittels Gewalt. Auch hier erfolgt eine konsensuell abgesicherte Ein- und Unterordnung des Angelfischers unter die letztere und so auch in allen folgenden Fällen, wobei immer ein Ausschnitt und Unterglied, und zwar das, unter dem der Angelfischer zu stehen kommt, weiter eingeteilt wird. In diesem Sinne wird die gewaltsam besitzergreifende, bezwingende Kunst geteilt in eine offene und eine heimliche Bezwingung, d. h. in Kampf und in Nachstellung, die letztere wiederum in eine solche auf Unbelebtes oder Belebtes, die Nachstellung auf Belebtes ihrerseits wieder in eine solche auf Tiere auf dem Land oder im Flüssigen, letztere in die auf Tiere in der Luft (Vogeljagd) und im Wasser (Fischfang). Der Fischfang seinerseits findet eine Unterteilung nach den dabei verwendeten Mitteln von Gehegen (Netzfang) oder Verwundung (Wundfang), dieser wiederum in Wundfang bei Nacht und in Wundfang bei Tag. Als letzte Unterteilung folgt die des Wundfangs bei Tag nach Geräten, entweder Harpunen oder Haken, von denen die ersteren von oben nach unten verwendet werden, die letzteren umgekehrt von unten nach oben. Das Resultat der Einteilung läßt sich bildlich in einer Gliederung ausdrücken, deren jeweils rechter Seite, nach Ausklammerung der linken, der Angelfischer zugeordnet wird. Dieser bestimmt sich als Experte, der der erwerbenden Kunst nachgeht, innerhalb dieser der bezwingenden, innerhalb dieser der heimlichen Nachstellung, innerhalb dieser der Jagd auf Belebtes, innerhalb dieser der Jagd auf Belebtes im Flüssigen, innerhalb dieser der auf Fische, innerhalb dieser der mittels Verwundung, innerhalb dieser der bei Tag, innerhalb dieser der mittels Haken. Das Beispiel vermittelt grundlegende Einsichten in die Struktur des dihairetischen Rationalitätstypus. Die Einteilung des durch den l:EXV'Yj-Begriff abgesteckten Seinsbereichs erfolgt nach dem Klassifikationsschema von genus proximum per differentiam specificam, 74
ALBER PHILOSOPHIE
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Der dihairetische Rationalitätstypus
wobei ein frei gewähltes Genus von möglichst hohem Rang zugrunde gelegt wird- sei es ein Ding, eine Eigenschaft, eine Verhaltensweise oder sonst etwas - und aus diesem dur~h Angabe einer spezifischen Differenz, eines Unterscheidungsmerkmals, die Arten gewonnen werden, aus diesen nach demselben Schema die Unterarten usw. Auf diese Weise resultiert durch Iteration des Schemas ein hierarchisch gestuftes System aus Gattungen, Arten, Unterarten, Unterunterarten usw., das bildlich als Begriffspyramide auftritt. Da es ebenfalls einem auf den Kopf gestellten, sich verzweigenden und verästelnden Baum gleicht, spricht man unter Verwendung nicht mehr mechanistischer, sondern organizistischer Kategorien auch von arbor Porphyriana. Platon selbst gebraucht im Sophistes 3 den Ausdruck cpüA.ov, Kant spricht wiederholt von der gemeinsamen Wurzel sowie den daraus entspringenden zwei Stämmen und weiteren Verzweigungen\ oder er benutzt den Vergleich mit einem tierischen Gliederbau5. Eingeteilt wird in zweierlei Hinsicht, zum einen in Hinsicht auf den Inhalt, der durch das definiens bzw. die definientia, die charakteristischen Bestimmungen einer Sache, bezeichnet wird und mit zunehmender Spezifikation anwächst, zum anderen in Hinsicht auf den Umfang, der die Gesamtheit der durch die Merkmale bestimmten Fälle umfaßt und mit absteigender Spezifikation enger wird. Zwischen Inhalt und Umfang besteht Reziprozität dergestalt, daß, je größer und reichhaltiger der Inhalt ist, desto kleiner, beschränkter der Umfang ausfällt, und umgekehrt je schmaler und eingeschränkter der Inhalt, desto größer der Umfang. Je abstrakter inhaltlich ein Begriff ist, je höher er in der Begriffspyramide aufsteigt, desto weiter und umfassender ist sein Umfang. Und je konkreter er durch zunehmende Spezifikation und Differenzierung wird, d. h. je weiter er in der Hierarchie absteigt, desto schmaler ist sein Applikationsbereich. Der vollständig und durchgängig bestimmte Begriff fällt idealiter mit dem konkreten Einzelfall, dem Individuum, zusammen. Anders ausgedrückt: Das Individuum als vollständig und durchgängig bestimmter Begriff fungiert als Limes eines unendlichen Spezifikationsprozesses und gibt als solcher das Ziel desselben vor, das aber unerreichbar bleibt. Individuum est ineffabile, lautet ein scho3 Platon: Sophistes 218 c. • Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft A 15 B 29; A 835 B 863. 5 Vgl. a. a. 0., A XIX; B XLIV; A 833 B 861.
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lastischer Ausspruch. Während der abstrakte Begriff des Künstlers bzw. des Sachverständigen alle Arten der Kunst umfaßt, impliziert der relativ konkrete Begriff des Angelfischers nur noch wenige. Veranschaulicht man den Umfang des Genus durch ein Quadrat, so resultiert aus der inhaltlichen Spezifikation eine umfangmäßige Teilung in zwei Rechtecke, welche die Arten repräsentieren, aus deren weiterer inhaltlicher Spezifikation eine weitere Teilung in immer kleinere Abschnitte folgt und so in infinitum. Die umfangmäßige Teilung veranschaulicht der horizontale Schnitt durch die Begriffspyramide. Da jedem Rechteck inhaltlich ein charakteristischer Merkmalskompies entspricht, dessen Zustandekommen sich dadurch erklärt, daß das Genus idealiter durch ein Merkmal definiert ist, die folgenden Arten durch zwei, nämlich durch das vorhergehende und ein weiteres, die dann folgenden Unterarten durch die vorangehenden plus einer weiteren usw., vermag der vertikale Schnitt durch die Begriffspyramide das schrittweise Anwachsen der Bestimmungen zu zeigen. Konzentriert man sein Augenmerk auf das Grundschema genus proximum per differentiam specificam, das der iterativen Anwendung zugrunde liegt, so erkennt man zwischen Gattung und Art inhaltlich ein Bedingungs- und Abhängigkeitsverhältnis, indem die Gattung die Grundlage und Voraussetzung der Arten bildet, während die Arten ihrerseits nur unter der Bedingung der Gattung möglich sind. Da die Arten selbst wiederum in bezug auf niedere Arten als Gattungen fungieren, iteriert sich die Relation von Grund und Folge. Der Fortgang ist die Fortschreibung dieser Dependenz. Und umfangmäßig besteht zwischen Gattung und Arten ein Teilungs- bzw. Inklusionsverhältnis derart, daß der Umfang der Gattung die Umfänge der Arten umfaßt und diese die Umfänge der ihnen subordinierten Arten usw. Der bisherigen Deskription und Analyse lassen sich wichtige Gesetze und Eigentümlichkeiten im Aufbau der dihairetischen Rationalität entnehmen: (1.) Die Dihairesis wird beherrscht von den drei klassischen Grundregeln: 1. dem Satz der Identität, 2. dem Satz des auszuschließenden Widerspruchs und 3. dem Satz des ausgeschlossenen Dritten. Der Satz der Identität bringt zum Ausdruck, daß jeder Begriff innerhalb der Begriffspyramide eindeutig und unverrückbar durch ein oder mehrere Merkmale charakterisiert ist, die sich aus der zugrun76
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deliegenden Gattung und dem jeweils hinzukommenden spezifischen Artmerkmal ergeben. Da dies für alle Begriffe gilt, läßt sich deren Ort innerhalb der Begriffspyramide durch Auf- und Absteigen und Abgrenzen exakt definieren. Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs besagt, daß ein Begriff, der durch ein bestimmtes Merkmal charakterisiert ist, nicht auch durch ein diesem widersprechendes charakterisiert sein kann. Ist ein Begriff durch A definiert, so kann er nicht auch durch non A definiert sein. Der Weißhaarige kann nicht auch nicht weißhaarig sein. Unter bestimmten Bedingungen, nämlich unter der Supposition der Geschlossenheit eines Systems, hat der Satz eine weitergehende Bedeutung. Er besagt dann, daß, wenn ein Begriff durch A bestimmt ist, er nicht durch B bestimmt sein kann, wobei non A mit B zusammenfällt. Denn sofern innerhalb einer geschlossenen Sphäre A und non A (= B) die einzigen Bestimmungen sind, die sich diese Sphäre teilen, impliziert die Negation von A eo ipso die Position des kontradiktorischen Gegenteils non A = B. Hier zeigt sich, daß die logischen Prinzipien zugleich eine ontologische Basis haben, aufgrund deren im Falle eines geschlossenen Systems Widerspruch und Gegensatz (Kontradiktion und Kontrarietät) identisch sind. Nicht so jedoch beim Ansatz eines offenen Systems, das, wie das unendliche Urteil zeigt, beliebig viele Möglichkeiten offenläßt. Um ein Beispiel zu nennen': Die Kreide ist entweder weiß oder nicht weiß. Wenn die Kreide nicht weiß ist, so braucht sie deshalb noch nicht schwarz zu sein, sondern kann jede andere mögliche Farbe aufweisen: blau, gelb, rot usw. Schwarz als konträres Merkmal zu weiß gilt nur unter der Prämisse der Geschlossenheit des Systems. Der formallogische Satz vom auszuschließenden Widerspruch impliziert also zunächst für non A keine positive Bestimmung, weder B noch C, D usw.; dies gilt nur für den Fall der Ontologisierung des formallogischen Systems. Echter Widerspruch setzt eine Reihe von Bedingungen voraus, die erfüllt sein müssen, damit überhaupt von einer Verletzung der Identität die Rede sein kann. Die Zahl der Bedingungen differiert zwischen rein logischer und realer Sphäre. Um ihre Nahmhaftmachung hat sich insbesondere Platon in der Politeia und im Sophistes bemüht. Nach der Politeia 6 sind es fünf Bedingungen, deren Festhalten oder Loslassen für das Zustandekommen oder das Unterbleiben von Widerspruch verantwortlich ist: erstens die Selbigkeit des Sub6
Platon: Politeia 436 b; vgl. 436 d f.
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jekts, zweitens die Selbigkeit des Prädikats, drittens die Selbigkeit der Beziehung auf anderes (Fremdrelation), viertens die Selbigkeit der Beziehung auf sich (Selbstrelation), fünftens die Selbigkeit der Zeit (in der Realität). So kann Sokrates in der Zeit, nämlich nacheinander, kleiner wie größer sein, das eine als Kind, das andere als Erwachsener. Ein Widerspruch stellt sich erst bei Gleichzeitigkeit der Behauptungen ein. Ebenso kann Sokrates in verschiedener Hinsicht als kleiner oder als größer bezeichnet werden, das eine in bezug auf diese Person, das andere in bezugauf jene. 7 Erst bei gleicher Hinsicht ist ein Widerspruch unvermeidlich. Und ebenso kann Sokrates in Beziehung auf sich eines wie vieles genannt werden, sofern er einmal als eine ganze Person und Gestalt im Unterschied zu einer anderen genommen wird, das andere Mal als Vielheit seiner Körperteile. Widerspruch tritt erst bei Gleichheit der Beziehung ein. Welche Konstellationen das Festhalten der Selbigkeit von Subjekt und Prädikat im rein logischen Bereich mit sich bringt, zeigt die Selbstprädikation höchster, generischer Begriffe, wie etwa des Einen, das immer auch ein Seiendes, ein mit sich Identisches und von anderem Verschiedenes, ein in sich Ruhendes usw. ist, also eine Vielfalt sich überlagernder Begriffe, die nur bei ausschließlichem Festhalten eines Moments zu Widerspruch und Selbstaufhebung führen, ansonsten zur ständigen Regeneration. Wenn daher gesagt wird, Eines sei auch nicht Eines, sondern Vieles, so ist dies noch kein Widerspruch, da das Eine nur gedacht und ausgesagt werden kann als Vieles: Seiendes, Identisches, Differentes, Ruhendes usw. Echter Widerspruch wie auch seine Vermeidung sind immer an gewisse Bedingungen geknüpft. Da im Blick auf ein geschlossenes System die Gesamtsphäre durchgehend zweigeteilt ist nach dem dichotomischen Prinzip in A und non A = B, ist ein Drittes ausgeschlossen (tertium non datur). Jeder Begriff fällt daher entweder unter A oder non A = B, was sich auf die Formel des Entweder-oder zuspitzen läßt; eine dritte Möglichkeit existiert nicht. Spätestens hier wird deutlich, daß die genannten Grundsätze die zweiwertige klassische Logik begründen. Wiewohl mit den genannten drei Grundregeln die gängigen logischen Prinzipien benannt sind, erschöpfen sich diese keineswegs hierin. Ebenso wichtig wäre es, die Prinzipien der Negation, der Differenz (Verschiedenheit), des Gegensatzes, der Kontinuität und Disparatheit, der Unendlichkeit und Endlichkeit usw. anzuführen. Iden7
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Im Phaidon 102 b wird Simmias größer als Sokrates, aber kleiner als Phaidon genannt.
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tität etwa, wie sie der Satz der Identität verlangt, ist als positives Zusprechen von Bestimmungen ohne gleichzeitige Negation und Abgrenzung von anderem nicht möglich. Die spinozistische Formel omnis determinatio est negatio hat diesen Sachverhalt auf den Punkt gebracht. Ebenso wäre die Frage der Durchgängigkeit (Kontinuität) oder Nichtdurchgängigkeit (Disparatheit) der systematischen Einteilung zu erwägen, wie sie Kant in der Kritik der reinen Vernunft 8 und in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft 9 angesprochen hat. Für eine systematisch durchgängige und zugleich vollständige Klassifikation des Seienden wären drei Prinzipien erforderlich: erstens das Spezifikationsgesetz, das die Gattung bzw. Art spezifizierend zerlegt, zweitens bei umgekehrter Perspektive das Klassifikationsgesetz, das die Arten auf ein gemeinsames Genus hin synthetisiert und ihm subordiniert, und drittens das Kontinuitätsgesetz, das die schrittweise, graduelle Abstufung verlangt. Wenn diese Prinzipien gewöhnlich nicht im Kontext der formalen Logik behandelt werden, so dürfte dies ausschließlich historische Gründe haben. Die Diskussion dieser Prinzipien wird auf die spätere Erörterung im Rahmen der dialektischen Rationalität verschoben. (2.) Eine vollständige, erschöpfende Einteilung, die die Gesamtheit des Seienden erfaßt, kann, wenn überhaupt, nur bei Anwendung eines dichotomischen Prinzips erwartet werden. Zwar ist eine trichotomische oder polytomisehe Einteilung der Sphäre möglich, aber gerade sie garantieren nicht die exhaustive Erfassung des Seienden. Daß hier ein Problem liegt, zeigt bereits die terminologische Distinktion von yf_vor; und f.tEQor;, Art und Teil, von denen das erste Glied der begrifflichen Sphäre, das zweite der extentionalen angehört. Gibt es zwischen beiden überhaupt eine Eins-zu-Eins-Relation und somit eine Deckung, oder ist dies ein Idealfall, dessen Realisierung ungewiß ist? (3.) Im Blick auf die Ganzheit des formalen Systems und den internen Spezifikationsprozeß besteht zwischen Anfang und Ende eine Asymmetrie, insofern das Ausgangsgenus für das formale System absolut gesetzt ist, mithin einen absoluten Anfang bildet, während das Ende wegen der beliebigen Iterationsfähigkeit des Grundschemas immer weiter hinausgeschoben werden kann in einem regressus ad infinitum. Verantwortlich für diesen ist letztlich die ins 8 9
I. Kant: Kritik der reinen Vernunft A 657 f. B 685 f. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Einleitung, Kap. IV und V.
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Unendliche teilbare Raumvorstellung, die im Hintergrund steht. Ein (h:of-tOV döo~ einen letzten, unteilbaren Begriff, der die Totalität der Bestimmungen repräsentierte, gibt es nicht, da zwischen je zwei Individuen, die als vollständig bestimmte Begriffe gelten müssen, stets noch ein weiteres gemeinsames Merkmal gefunden werden kann. Wenn ein Abbruch der Spezifikation erfolgt mit der Nennung eines ch:Of-tOV döo~, ist dies ein willkürlicher Akt. Platon führt im Politikos 10 aus, daß es je einen kürzeren und einen längeren Weg zur Definition eines Gegenstands gebe, indem man bei der Angabe der Bestimmungen Stufen überspringen oder diese auch ausdehnen könne. So könnte die Definition des Angelfischers beim Fischer enden, aber auch weitergehen bis zum Fischer mit Haken und prinzipiell noch weiter. (4.) Die Tatsache, daß die dihairetische Explikation unter Rekurs auf die Raumanschauung erfolgt und nicht unter Rekurs auf die Zeit, obwohl der Spezifikationsprozeß ein sukzessiv-temporaler ist, zeigt, daß es sich beim Klassifikationssystem um ein statisches System handelt. Supra-, Sub- und Koordination machen Gebrauch von räumlichen Vorstellungen und lassen sich ohne solche gar nicht denken. Sie drücken konstante Zuordnungen aus, so daß das Ganze den Eindruck eines starren Gefüges macht, auch wenn dasselbe im Spezifikationsprozeß nur zeitlich erobert werden kann. Von hier wird verständlich, daß das dihairetische System eine Ordnungs- und Herrschaftsfunktion wahrnimmt. Indem es jedem Seienden innerhalb der Hierarchie seine genaue unverbrüchliche Stelle zuweist, die von jeder anderen aus methodisch durch Aufund Abstieg oder Abgrenzung erreichbar ist, ermöglicht es nicht nur Übersicht, sondern auch Orientierung und damit Identifikation und Reidentifikation. In diesem Sinne Orientierungswissen, ist es immer auch ein Machtinstrument, ganz abgesehen davon, daß es in der Wissenschaft der Neuzeit als Verfügungswissen praktiziert wird. Die vorausgehenden Analysen haben deutlich gemacht, daß es sich bei der auf die dihairetische Methode stützenden Begriffspyramide um ein ideales logisches System mit ideallogischen Bedingungen handelt, das der Wirklichkeit oktroyiert wird, um diese begreifbar und beherrschbar zu machen. Zwischen dem denkbaren System und der durch die sinnliche Wahrnehmung zugänglichen Realität be10
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Platon: Politikos 265 a; vgl. 264 a f.
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steht eine Diskrepanz, da das formale System konstant und invariant ist, die Realität hingegen fluktuierend und veränderlich, durch Bewegung bestimmt. Bewegung meint nach griechischem Verständnis nicht nur wie heute Orts- bzw. Relationsänderung, sondern impliziert zumindest den vierfachen aristotelischen Sinn: erstens der lokalen Veränderung (Ortsbewegung), zweitens der quantitativen Zuund Abnahme, drittens der qualitativen Veränderung und viertens des substantiellen Entstehens und Vergehens. 11 Eine in diesem Sinne durch Ortswechsel, quantitative und qualitative Veränderung, Entstehen und Vergehen, kurzum durch Werden und nicht durch statisches Sein charakterisierte Welt fügt sich gerade nicht den logischen Gesetzen der Identität, des auszuschließenden Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten. Vielmehr sind die realen Gegenstände nicht mit sich identisch und nicht eindeutig identifizierbar. Sie schließen Widerspruch und Gegensatz gerade nicht aus, sondern ein, unterstehen gerade nicht der zweiwertigen Logik, sondern lassen eine dritte Möglichkeit offen, sie sind vage und unpräzis, undeutlich und verschwommen, veränderlich und nicht selten indifferent. 12 Schwierigkeiten bei der Vermittlung des dichotomisch-dihairetischen Systems mit der Wirklichkeit sind geradezu vorprogrammiert.
3. Komplikationen
Die Realisierung des dichotomisch-dihairetischen Rationalitätstypus, seine Anwendung auf die Wirklichkeit bringt auf verss:hiedenen Ebenen und in verschiedenen Hinsichten Schwierigkeiten mit sich, und zwar erstens bezüglich der Namengebung (ÖVOJla- Myoc;), zweitens bezüglich des Verhältnisses von logischem und realem Gegenstand (A6yoc;- JtQÜYJla) und drittens bezüglich der Internstruktur des realitätsbezogenen logischen Systems. (1.) Wie die Platonischen Einteilungsübungen zeigen, finden sich des öfteren zu den logischen Einteilungen keine Namen (ÖVOJla) in der Sprache, entweder keine treffsicheren, prägnanten oder überVgl. Aristoteles: Physik, II, 1, 192 b 13ff.; III, 1, 201 a 9ff. Die zwölf Platonischen Bewegungsbegriffe drücken weitgehend Raumformen der Bewegung aus wie Gradlinigkeit, Kreisförmigkeit usw. oder ideelle Bewegung wie Autokinesis. 12 Vgl. die chaotische Mannigfaltigkeit von H. Schmitz: System der Philosophie, Bd. 1, Bonn 1964, S. 311f. 11
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haupt keine. 13 Der Grund ist darin zu sehen, daß die allein aus der logischen Übung entspringenden Einteilungen oft beliebig, nicht in der Sache begründet und daher im Alltag ungebräuchlich und ohne Namen sind. Zwar läßt sich für jede dihairetische Einteilung ein Logos, eine definitorische Erklärung durch Angabe von Gattungs- und Artbegriff geben, wegen der willkürlichen Einteilung aber nicht auch ein Name finden. Sondert man aus einer Gesamtsphäre einen x-beliebigen Teil aus, z. B. eine Myriade 14 oder 10 oder 12, so kann es zwar für diesen Teil einen eigenen Namen geben, und gegebenenfalls mag er sogar sinnvoll sein wie die Dekade oder Hundertschaft im Falle des Dezimalsystems, die Zwölf oder Sechzig im Sexagesimalsystem, für den Rest aber, der nach Absonderung dieses Teils übrigbleibt, findet sich keine spezifische und schon gar nicht eine sinnvolle Bezeichnung. Ebenso mag bei der Einteilung der Menschen in Hellenen und Barbaren 15 ein Name vorhanden sein, doch ist er nur im Falle der Hellenen auch sachlich in der Einheit des Volkes, der Gleichheit der Sprache, Herkunft und Kultur fundiert, während im Falle der Barbaren der Name nur eine Sammelbezeichnung für die vielen Volksgruppen mit ihren unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Herkünften außerhalb Griechenlands ist. Zum Scherz fügt Platon im Politikos 16 hinzu, daß die Kraniche, wenn sie denken könnten, die gesamte Sphäre des Lebendigen in Kraniche und die übrigen Tiere einschließlich des Menschen einteilen würden, d. h. in das aus ihrer Sicht Relevante und Irrelevante. (2.) Mit dem Problem der Namengebung für eine logische Gattung oder Art deutet sich ein weiteres Problem an, das der Beziehung zwischen dem rein logischen System und der Realität. Gemeint ist damit das Problem der sachgerechten Definition. Die Konformität zwischen logischem und ontologischem System ist nur dann gewährleistet, wenn die Einteilung die in der Sache selbst liegenden Schnitte trifft. Das Geschäft des Logikers besteht daher darin, sachgerechte logische Einteilungen zu finden. In diesem Kontext vergleicht Platon den Logiker mit einem Opferpriester, der das Opfertier gliedgerecht entsprechend seinem natürlichen Organismus zerlegt und nicht willkürlich wie der Fleischer, der es in beliebige Stücke zerschneidet. 13 14 15 16
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Platon: Sophistes 226 d; Politilcos 265 c. Platon: Politilcos 262 d f. a. a.O., 262 c f. a. a. 0., 263 d.
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Damit wird angedeutet, daß zwischen dem rein logischen System und der Sache eine Diskrepanz besteht, die Platon u. a. anhand der nicht deckungsgleichen Termini döo~ und f!EQO~ (Art und Teil) erörtert. Wie die obigen Beispiele zeigten, z. B. das der Einteilung einer beliebigen Menge in eine Myriade und den Rest oder der Menschen in Hellenen und die übrigen Völker, trifft die Einteilung oft nur einen beliebigen, kontingenten Ausschnitt aus einer Gesamtmenge, sei es einen quantitativen oder qualitativen, aber nicht die Wesensbestimmungen. Die Garantie für eine sachgerechte Definition wäre nur unter zwei Bedingungen gegeben: erstens unter der Prämisse eines geschlossenen Systems und zweitens unter der einer dichotomischen Einteilung. Nur wenn feststünde, daß die das Ganze bezeichnende Gattung in zwei und nur zwei Arten zerfiele und diese wiederum in zwei und nur zwei Unterarten usw., so daß auf diese Weise die Gesamtsphäre des Seienden ohne Ausnahme stufenweise gegliedert wäre, bestünde die Gewähr, daß jede Einteilung genau den Komplex von Bestimmungen träfe, der der Einteilungsstufe und dem Wesen der Sache entspräche. Die Unerfüllbarkeit dieser Forderung wird deutlich an dem hintergründigen Beispiel des Sophisten. Der Versuch, den Sophisten definitorisch einzufangen, führt im SophisJes zu nicht weniger als sieben verschiedenen Definitionen. Vor dem Hintergrund des Definitionsparadigmas vom Angelfischer wird der Sophist in einer ersten Definition als Nachsteiler (Jäger) bestimmt zwar nicht auf Tiere im Flüssigen wie der Angelfischer, wohl aber auf solche auf dem Land, und zwar auf zahme, nicht auf wilde, bezüglich der ersteren auf überredende, nicht auf gewaltsame Weise, und bezüglich jener wieder durch privaten, nicht durch öffentlichen Umgang, bezüglich des erstgenannten durch Lohnforderung, nicht durch Geschenknahme und, was die Lohnforderung betrifft, auf scheinbar belehrende, nicht ergötzende Art. Kurzum, nach der ersten Definition ist der Sophist ein Jäger auf reiche Jünglinge. Die zweite Definition nimmt ihren Ausgang nicht wie beim Jäger von der bezwingenden Kunst, sondern von der umsetzenden und ordnet den Sophisten unter die durch Handel, nicht durch Schenken umsetzende Kunst ein, hier wieder unter die Zwischenhändler, die fremde, nicht eigene Ware umsetzen, hier wieder unter die Großhändler, die zwischen den Städten und nicht wie die Kleinhändler innerhalb einer Stadt Ware austauschen, und zwar Seelenware Vernunft und das Andere der Vernunft
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nicht materielle, auf den Leib bezügliche Güter -, und, was jene betrifft, unter die, die auf Kenntnisverkauf, nicht auf Schaustellung aus sind, des näheren auf Tugend-, nicht auf Kunstverkauf. Zusammengefaßt ist der Sophist ein Großhändler in Kenntnissen der Seele. Die dritte Definition sieht ihn nicht als Großhändler, sondern im Gegenteil als Kleinhändler, als Krämer innerhalb einer Stadt mit derselben Ware, nämlich mit Kenntnissen der Seele. Die vierte Definition bestimmt ihn nicht als Zwischenhändler fremder Ware, sondern als Eigenhändler mit eigener Ware. Die fünfte Definition sieht in dem Sophisten einen Kunstfechter im Streitgespräch, indem sie im Unterschied zur heimlichen Nachstellung vom offenen Kampf ausgeht und den Sophisten hierunter subsumiert. In der sechsten Definition wird ein gänzlich anderer Ausgang als im Angelfischerbeispiel gewählt und der Sophist als Scheidekünstler, genauer Reinigungskünstler in Sachen Seelenangelegenheiten eingestuft, wobei die Beziehung zum -cexvb:yt~ aber ungeklärt bleibt. Wo und wie die Einstufung des Scheidekünstlers qua Künstler erfolgt, bleibt undiskutiert. Die siebente Definition nimmt wiederum vom Angelfischerparadigma ihren Ausgang, aber im Unterschied zu den bisher vorgelegten Definitionen geht sie nicht von der erwerbenden, sondern von der produzierenden Kunst aus und bestimmt den Sophisten als einen angeblichen Sachverständigen, dessen Kunstfertigkeit sich auf menschliche, nicht auf göttliche Produkte bezieht, respektive jener auf solche, die auf trug- und nicht ebenbildnerische Weise zustandekommen, innerhalb jener wieder auf solche, die auf Nachahmung durch sich selbst und nicht auf Nachahmung durch Werkzeuge basieren, und innerhalb jener auf solche, die durch Dünkelnachahmung produziert werden usw. Das Sophistenbeispiel ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich, zeigt es doch die Variabilität und Abhängigkeit der Definition teils von der Relativität des Empirischen, teils von der Wahl der Einschnitte, teils von der Wahl des Ausgangspunktes. (a.) Die Tatsache, daß der Sophist respektive des -cexvhyt~-Sy stems unter verschiedene, im Rahmen eines geschlossenen Systems gegensätzliche Rubriken (Klassen, Arten) eingeordnet werden kann, die sich wechselseitig ausschließen, sowohl unter die der hervorbringenden wie nicht hervorbringenden, sondern erwerbenden Künstler, sowohl unter die der umsetzenden wie nicht umsetzenden, sondern 84
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bezwingenden, sowohl unter die der offenen wie nicht offenen, sondern heimlichen Nachsteller, sowohl unter die der Groß- wie NichtGroß-, sondern Kleinhändler, sowohl unter die der Verkäufer fremder wie nicht fremder, sondern eigener Ware usw., und dies alles bei Akzeptanz der Dialogpartner, deutet darauf, daß der durch den Namen »Sophist« bezeichnete Sachverhalt weder dem Prinzip der Identität noch dem des auszuschließenden Widerspruchs bzw. Gegensatzes noch dem des ausgeschlossenen Dritten untersteht, mithin, als dem Realsystem angehörig, offen und unbestimmt ist. Weder nach oben noch nach unten noch zu den Nebengliedern ist der empirische Sachverhalt innerhalb der Begriffsskala eindeutig fixiert, und indem er keinen festen Platz innerhalb der Systematik einnimmt, entfällt auch eine eindeutige interne Bestimmung. Mit Kant zu sprechen steht der empirische Begriff »niemals zwischen sicheren Grenzen« 17 • Sowohl seiner externen wie internen Abgrenzung nach, d. h. sowohl in bezug auf andere empirische Begriffe wie auch hinsichtlich seiner internen Merkmale ist er unbestimmt, so daß unausgemacht bleibt, ob damit überhaupt das Wesen getroffen ist oder nur ein beliebiger Ausschnitt. 18 Zwar kann der produzierende Künstler qua produzierender nicht erwerbender sein und umgekehrt, der Großhändler qua Großhändler nicht Kleinhändler und umgekehrt, wohl aber kann der unter diese Begriffe fallende Sophist beides sein, nicht nur nacheinander in der Zeit, sondern sogar zugleich in verschiedenen Hinsichten oder in Beziehung auf verschiedene seiner Eigenschaften und Fertigkeiten. So ist es nicht ausgeschlossen, daß er seine Ware sowohl innerhalb der Stadt anbietet wie zwischen verschiedenen Städten und sowohl eigene, selbstproduzierte wie auch fremde, erworbene Ware. Damit echter Widerspruch vorläge, müßten aber, wie gezeigt wurde, eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, wie Gleichheit des Subjekts und des Prädikats, der Beziehung auf anderes und auf sich, der Zeit usw. Die binäre Logik läßt sich auf empirische Sachverhalte als solche nicht applizieren wie umgekehrt empirische Sachverhalte sich nicht eindeutig bestimmen lassen. Auf sie sind nur verschiedene, wech-
I. Kant: Kritik der reinen Vernunft A 728 B 756. An der obigen Stelle sagt Kant vom empirischen Begriff des Goldes, daß >>der eine [... ] sich außer dem Gewichte, der Farbe, der Zähigkeit, noch die Eigenschaft, daß es nicht rostet, denken [kann], der andere davon vielleicht nichts wissen [mag]« (Kritik der reinen Vernunft A 728 B 756). Man bedient sich gewisser Merkmale nur solange, als sie zum Unterscheiden hinreichend sind. 17
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selnde Gradnetze anwendbar in der Absicht, sie in deren Maschen einzufangen. Zwar konzediert Platon, daß es bessere und schlechtere Einteilungen und Definitionen gebe- schon äußerlich kommt dies in den wiederholten und revidierten Ansätzen zum Ausdruck19 - , auch suggeriert er, daß es eine adäquate Definition des Sophisten gebe, die sich kathartisch aus den vielen gescheiterten Definitionen herauskristallisiere und in die Richtung gehe, daß der Sophist kein wahrer, sondern lediglich ein angeblicher Sachverständiger sei, der sich auf Trugbildnerei, auf die Nachahmung des Weisen, verstehe, mithin ein Scheinkünstler, jedoch ist fraglich, ob sich die Relativität der Bestimmung jemals gänzlich beseitigen lasse. Die Scheinhaftigkeit des Sophisten, das ständige Entfliehen seiner Wesensbestimmung ist symptomatisch für alle empirischen Sachverhalte; der Sophist ist insofern ein Paradigma für die Realität. Der Grund für die Relativität ist die Offenheit, Unbegrenztheit und Unbestimmtheit des Realen. Im Philebos 20 bestimmt Platon jeden konkreten Gegenstand als Zusammensetzung aus Einem und Vielem, Begrenztem und Unbegrenztem, wobei das Begrenzte durch die Idee verkörpert wird, das Unbegrenzte durch die sinnliche Anschauung und die mit ihr zusammenfallende Totalität ideeller Bestimmung. Es ist genau diese Unbegrenztheit und Unbestimmtheit, die eine eindeutige Fixierung verhindert. 21 (b.) Das Definitionsbeispiel des Angelfischers, das auch der Definition des Sophisten zugrunde liegt, zeigt ein starkes Schwanken in der Einteilung, das durch einen wiederholten Perspektivenwechsel bedingt ist. Teils folgt die Einteilung der Modalität der. Fertigkeit (Kunst), teils dem räumlichen Gebiet der Ausübung, teils der Zeit, teils den Instrumenten, die bei der Ausführung verwendet werden, teils noch anderen Kriterien. Einmal ist es die Offenheit oder Verdecktheit der Nachstellung, die Art und Weise des Kampfes, die für die Einteilung ausschlaggebend ist, dann das Revier der Jagd, Land Vgl. Platon: Politikos 265 c, wo erörtert wird, ob sich die ungehörnten Landtiere besser in Paarhufer und Nicht-Paarhufer oder in rein- und gemischtrassige einteilen lassen. 20 Platon: Philebos 16 c. 21 Die von Hermann Schmitz in seinem System der Philosophie, a. a. 0., Bd. 1, S. 311 ff., unter dem Begriff des chaotischen Mannigfaltigen herausgearbeitete Unentschiedenheit bzw. Ambivalenz der Wahrnehmungssphäre hinsichtlich Identität und Differenz läßt sich auch auf begrifflicher Ebene nachweisen. 19
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oder Wasser, dann die Zeit: Jagd bei Tag oder bei Nacht, schließlich das Instrumentarium: Jagd mit Harpune oder mit Haken. Im Sophistes 266 a weist Platon selbst auf das Problem hin, indem er bezüglich einer bestimmten Klasse eine unterschiedliche Einteilung zuläßt, bildlich gesprochen, eine vertikale und eine horizontale. So unterteilt er die hervorbringende Kunst einmal nach ihren Produkten: göttlichen und menschlichen, ein andermal nach der Art und Weise der Produktion: eigentlicher und uneigentlicher Hervorbringung, wahrhaftiger und scheinhafter Produktion. Angesichts einer solchen Beliebigkeit müssen die Definitionen einer Sache oft äußerlich und artifiziell erscheinen. So wird die Frage nach den Kriterien einer richtigen, fachgerechten Einteilung unausweichlich. Ein erstes dringendes Erfordernis ist das durchgängige Festhalten an einer und derselben Perspektive. Allerdings bleibt zweifelhaft, ob dies allein das anstehende Problem lösen kann, da selbst bei Durchgängigkeit der Perspektive die Einteilung marginal ausfallen kann, ohne den Wesenskern der Sache zu treffen. (c.) Zur Beliebigkeit der Definition, zur konstitutiven Verfehlung der Konstituentien trägt auch die Willkür des Ausgangspunktes beim Spezifikationsverfahren bei. Der für das rein logische System absolut gesetzte Anfang läßt sich im Realsystem nicht verwirklichen. Platon zeigt dies anhand der Definition des Sophisten, die einmal ihren Ausgang vom 'tEXVh'Y]c; (=Künstler) nimmt, dann vom Scheidekünstler, ohne daß die Beziehung zwischen beiden erörtert würde. Obwohl es naheliegt anzunehmen, daß der Scheidekünstler qua Künstler in die Gattung des 'tEXVhl]c; fällt, ist doch angesichts der weiteren Unterscheidung in hervorbringende und erwerbende Kunst offen, wohin der Scheidekünstler gehört. Selbst im Falle einer Subordination beider unter einen höheren Gattungsbegriff bliebe unausgemacht, welcher dies sein sollte, ob Mensch, Lebewesen, Seiendes überhaupt. Die Garantie für einen absoluten Anfang innerhalb eines Sprachsystems ist nicht gegeben. Auch könnte es sein, daß objektiv mehrere gleichrangige höchste Begriffe existieren- von Platon yeveQU genannt- oder daß subjektiv unter den Dialogpartnern keine Einigkeit über sie erzielt werden kann. Solange der Ausgang hypothetisch ist22 und nur nach dem Kriterium gewählt wird, ob er dem Argumentierenden der überzeugendste 23 zu sein scheint, ohne eine 22 23
Vgl. P!aton: Phaidon 100 a: u:n:o~Ef.tEVO~. Im Phaidon 100 a wird von der stärksten (EQQWf.tEVEm:m:ov) Hypothese gesprochen.
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letzte Möglichkeit der Überprüfung, ob er es wirklich ist, birgt das Verfahren konventionalistische, nominalistische Züge in sich und entgeht damit nicht der Beliebigkeit. (d.) Das Anfangsproblem führt zu Strukturschwierigkeiten im rein logischen Bereich zurück. Gesetzt den Fall, es ließe sich ein absoluter Anfang im logischen Bereich ausmachen und aus ihm idealiter ein durchstrukturiertes dichotomisches System ableiten, so bliebe die Frage, ob sich ein solcher Anfang überhaupt definieren ließe. Zwar stellt der absolute Anfang in Form des höchsten Prinzips die Bedingung und Voraussetzung aller Definitionen dar, die aus ihm durch Spezifikation in Arten und Unterarten gewonnen werden, doch ist er selbst als Ermöglichungsgrund der dihairetischen Definitionen nicht definierbar, d. h. durch das aus ihm Abgeleitete bestimmbar, weder durch die eine noch durch die andere Gattung bzw. Art und auch nicht durch beide zusammen. Als Voraussetzung jeder Definition entzieht er sich dieser. Der absolute Grund wäre nicht Grund von ausnahmslos allem, wenn er selbst noch durch das aus ihm Deduzierte angemessen einholbar wäre. Hier liegt ein Defizit, das Platon im Sonnengleichnis expliziert hat. 24 Wie das Licht im sichtbaren Bereich Ermöglichungsgrund des Sehvorgangs ist, der das Auge zum Gegenstand und diesen zum Auge durchdringen läßt, indem es dem Gegenstand seine Konturen verleiht und dem Auge seine Sehkraft, selbst aber unsichtbar bleibt - denn im Lichte sehen wir, das Licht selbst sehen wir nicht-, so fungiert im epistemologischen Bereich die Idee der Ideen (die töea wü aya'froü) als Ermöglichungsgrund des Erkenntnisvorgangs, der das denkende Subjekt den ideellen Gegenstand erkennen und diesen erkannt werden läßt und ihn in seiner Wahrheit und Offenbarkeit zeigt, der selbst aber der Erkenntnis entzogen bleibt. Weder läßt er sich durch ein einzelnes Relat der Erkenntnisrelation, sei es Objekt oder Subjekt, fassen noch durch die ganze Erkenntnisrelation. Vielmehr entzieht er sich der Erkenntnis. Obwohl im Ausgang von der Erkenntnis und der Welt ein Weder-noch, ist er im Blick auf die Erkenntnis und die Welt ein Sowohl-als-auch. Andererseits wäre zu überlegen, ob der absolute Anfang nicht durch sich selbst in Form einer Selbstprädikation und -begründung definierbar wäre. Auch hierfür gibt es Argumente, insbesondere wenn sich zeigen sollte, daß für den letzten und höchsten Grund stets 24
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Am Ende des 6. Buches der Politeia.
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mehrere höchste Begri'ffe als potentielle Definitionskandidaten in Betracht kommen, die sich wechselseitig in einer OtJf.t:rtÄox~ TWV yEvwv fordern und nur im Diskurs (im dialektischen Durchgang) explizierbar sind. Die Selbstdefinition des Grundes fiele dann mit der Selbstexplikation des Systems zusammen; unexplizierter Grund und expliziertes System wären eins.
4. Das Problem der Relativität der Realität und seine Lösung durch den Duhem-Quineschen Holismus Die bei Platon auftauchenden Probleme haben auch die weitere Tradition beschäftigt. Die Einsicht in die Relativität und Offenheit der Realität hat eine Fortsetzung in der modernen Wissenschaftstheorie gefunden, und zwar in der Erkenntnis, daß jedes empirische Datum durch eine Vielzahl verschiedener, logisch sich ausschließender Theorien interpretiert werden kann und ebenso umkehrt jedes empirische Datum sowohl zur Bestätigung wie zur Widerlegung einer beliebigen Theorie herangezogen werden kann. Ausgesprochen ist diese Annahme im physikalischen Holismus bzw., unter Nennung ihrer Hauptvertreter Pierre Duhem und Willard Van Orman Quine, in der Duhem-Quineschen These. Sie gehört in den Kontext der Rechtfertigungs- und Legitimationsprobleme von wissenschaftlichen Hypothesen und der darauf basierenden Theorien und läßt sich am einfachsten über die Diskussion einer Sequenz von Lösungsalternativen einführen und plausibilisieren. Das Rechtfertigungsproblem -auch Geltungs- oder Wahrheitsausweis genannt - geht von einer Differenz zwischen Hypothese bzw. Theorie und empirischem Sachverhalt aus und verlangt die Überprüfung der betreffenden Hypothese bzw. Theorie sowie der daraus hergeleiteten Prognosen, und zwar in zweierlei Hinsicht, zum einen in logischer durch Integration in ein umfassendes logisches System, zum anderen in empirischer durch Nachweis in der Empirie über Beobachtung und Experiment. Ein erster Lösungsvorschlag geht in die Richtung der Behauptung absoluter Ausweisbarkeit. Die postulierte absolute Sicherheit und Gewißheit wäre nur auf zweifache Weise zu erbringen, entweder durch die Kraft intellektueller Einsicht und apriorischen Wissens wie in den sogenannten ideae innatae Descartes' oder den synthetischen Urteilen a priori Kants oder durch die Evidenz der Sinne in Form Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
empirischen Wissens. Den ersten Weg ist der Rationalismus gegangen, den zweiten der Empirismus. In beiden Fällen ginge bei Erfüllung der Forderung die Hypothetik in apodiktisches Wissen über. Gegenüber diesem apodiktischen Lösungsvorschlag seitens rigoroser Rechtfertigungstheoretiker findet man bei Karl Popper in der Logik der Forschung eine modifizierte Theorie, die eine Asymmetrie zwischen Verifikation und Falsifikation vorsieht, indem sie wissenschaftliche Hypothesen und Gesetze, die in Form von Allsätzen artikuliert werden, für prinzipiell unverifizierbar, jedoch für definitiv falsifizierbar hält. Da Allsätze zur Verifikation eine unbegrenzte Menge empirischer Fälle benötigen würden, dem menschlichen Beobachter und Experimentator aber stets nur eine begrenzte Anzahl zur Verfügung steht, ist eine definitive Bestätigung unmöglich. Popper spricht daher von einer besseren oder schlechteren Bewährung. Hingegen soll eine definitive Widerlegung einer Hypothese (eines Allsatzes) bereits durch ein einziges abweichendes Beispiel möglich sein. Hierauf gründet Popper seine Falsifikationstheorie. Diese stellt eine Methode dar, via negativa zur Wahrheit zu gelangen. Je größer die Menge der Falsifikationsmöglichkeiten einer Hypothese oder Theorie ist, je mehr Gelegenheit zur Widerlegung besteht, desto größer ist die Chance, daß die widerstehende Theorie eine positive, wahre Aussage über die Welt enthält. Man stelle sich - heißt es bei Popper 25 - einen Kreis mit verschiedenen Sektoren vor. Mindestens ein Sektor, der die Beobachtbarkeit des Vorgangs veranschaulicht, muß durch die Theorie verboten sein. Die Falsifikationsmöglichkeiten von Theorien können dann durch unterschiedlich große Sektoren ausgedrückt werden. Diejenige Theorie, die den größten Sektor, die größte Klasse von möglichen Gegeninstanzen aufweist, d. h. die größte Chance hat, widerlegt zu werden, sagt dann am meisten über die Erfahrungswirklichkeit aus. »Würde es gelingen, eine solche Theorie aufzustellen [daß jede weitere Einschränkung, die man etwa vornehmen wollte, an der Erfahrung tatsächlich scheitern müßte], so wäre damit >Unsere besondere Weltdie Welt unserer Erfahrungswirklichkeit>falsch verstandenen« Popper), den naiven methodologischen (den >>richtig verstandenen« Popper) und den raffinierten (seinen eigenen). 28 Vgl. B. Gräfrath, R. Huber und B. Uhlemann (Hrsg.): Einheit, Interdisziplinarität, Komplementarität. Orientierungsprobleme der Wissenschaft heute, Berlin, New York 1991 (Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Forschungsbericht 3), S. 62 f. 27
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Erster Teil: Rationalitätstypen
dann gelangt man unausweichlich zum Duhem-Quineschen Holismus. Er besagt, daß weder eine definitive Verifikation noch eine definitive Falsifikation von Hypothesen und Theorien möglich sei, so daß letztlich jedes empirische Phänomen jede Theorie, auch kontroverse und logisch unvereinbare, bestätige wie widerlege und umgekehrt jede Theorie mit jedem Phänomen kompatibel wie inkompatibel sei. Die These beruht auf zwei Voraussetzungen: · (1.) auf der Holismus-Annahme, die der Theorie ihren Namen gegeben hat. Duhem wie Quine kritisieren den sogenannten Isolationismus von Hypothesen, der allen bisherigen Lösungsversuchen zugrunde liegt und der eine isolierte Überprüfung aus dem Kontext herausgerissener Hypothesen vorsieht. Statt dessen gehen sie von einem Hypothesengeflecht aus, in das die zu überprüfende Hypothese eingewoben ist, außerdem von Anfangs- und Randbedingungen sowie dem Hintergrundwissen, das der Hypothese bzw. Theorie zugrunde liegt, so daß bei der empirischen Überprüfung in Wirklichkeit nicht nur die eine Hypothese zur Disposition steht, sondern ein ganzes Netz von Annahmen, z. B. im Falle einer astronomischen Aussage die betreffende Hypothese H 1, die Anfangsbedingungen A zum Zeitpunkt t 0 , die Randbedingungen R für das Zeitintervall t 0 bis t 1, die impliziten Voraussetzungen des Hintergrundwissens, seien sie mathematischer oder physikalischer Art, wie etwa die neueste Fassung der elektromagnetischen Theorie des Lichts. Im Falle der Falsifikation kann sich daher die Nichtkonformität auf jede der Komponenten des Gesamtkomplexes beziehen und nicht nur auf die zu überprüfende Haupthypothese. Folglich kann auch die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit auf unterschiedlichste Weise durch Variation jeder der Bedingungen erreicht werden, wodurch ganz unterschiedliche theoretische Konstellationen, selbst inkompatible, zustande kommen. Zur Disposition steht jeweils der gesamte systematische Zusammenhang. Da sich derselbe durch geeignete Modifikation jeder seiner Komponenten in eine Vielzahl divergierender theoretischer Kontexte aufspalten läßt, bedeutet dies, daß ein empirischer Sachverhalt mit diversen Theorien kompatibel ist, da jede derselben nie den ganzen Sachverhalt, sondern stets nur einen Aspekt von ihm einbezieht. So läßt sich, um ein Beispiel anzuführen, die gravitative Wechselwirkung in voller empirischer Äquivalenz sowohl durch eine Theorie erklären, die auf der Annahme einer in der flachen Raum-Zeit wirksamen Gravitationskraft basiert, wie auch durch eine Theorie auf der Basis einer gekrümmten Raum-Zeit nach Art der Riemannschen Ku92
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gelgeometrie. 29 Obwohl diese Theorien miteinander konkurrieren, haben sie doch noch vieles gemein, z. B. die Geometrie überhaupt, und ermöglichen die Ableitung empirisch äquivalenter Beobachtungssätze und Prognosen. Oder um ein anderes Beispiel anzuführen, das Verhältnis »Erde- Sonne«, das sich gleicherweise nach dem alten ptolemäischen geozentrischen Weltbild erklären läßt wie nach dem neuen kopernikanischen heliozentrischen, ohne daß das eine vor dem anderen hinsichtlich der zu erklärenden Tatsachen eine Präferenz aufwiese. Kinematisch ist auch die erste Theorie unwiderlegbar. 30 Das Erde-Sonne-Verhältnis bestätigt also beide sich ausschließenden Theorien. (2.) Zweite Voraussetzung ist die Unterbestimmtheit von Theorien. Man kann dies als die Kehrseite der Kompatibilität eines empirischen Phänomens mit einer Vielzahl konkurrierender Theorien ansehen, was nur möglich ist, wenn die Theorien gegenüber dem Phänomen nicht vollständig bestimmt sind. Unterbestimmtheit besagt, daß eine bestimmte Theorie mit diversen Phänomenen verträglich ist, ohne an ihnen zu scheitern. Wir begegnen hier dem Umstand, daß nicht nur ein empirischer Sachverhalt mit unterschiedlichen Theorien vereinbar ist, sondern auch eine Theorie mit unterschiedlichen Sachverhalten, also durch kein Beispiel endgültig widerlegt werden kann. Theorien decken niemals den gesamten Phänomenbereich ab, sondern operieren erfolgreich immer nur für Ausschnitte und Aspekte. Typisches Beispiel ist die Komplementarität von Feldund Quantennatur des Lichts und anderer elektromagnetischer Effekte, die einerseits nach der klassischen Wellentheorie zu beschreiben sind, was die Interferenzerscheinungen betrifft, andererseits nach der klassischen Korpuskulartheorie, was die Dispersition betrifft. Keine dieser beiden Theorien für sich genommen wird durch die nichtkompatiblen Sachverhalte widerlegt. Grundsätzlich ist nach Meinung des Holismus jede beliebige Hypothese in bezugauf jedes beliebige empirische Datum aufrechtzuerhalten und umgekehrt jedes empirische Datum mit einer Vielzahl verschiedener, selbst konkurrierender Hypothesen vereinbar. " Vgl. J. Audretsch: Ist die Raum-Zeit gekrümmt? Der Aufbau der modernen Gravitationstheorie, in: J. Audretsch und K. Mainzer (Hrsg.): Philosophie und Physik der Raum-Zeit, Mannheim, Wien, Zürich 1988, S. 52-82. 30 Wenn ein Vorzug der letzteren vor der ersteren besteht, dann hat dies externe Gründe, z. B. ästhetische wie Einfachheit, Eleganz und Schönheit der Hypothese, weil sie ohne Subsidiärannahmen auskommt. Vernunft und das Andere der Vernunft
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Der Vergleich mit Platon liegt auf der Hand, zum einen, weil die Gattungen und Arten je nach ihrer Stellung im logischen Gesamtsystem entweder ein einzelnes Merkmal enthalten oder einen Komplex, jedoch niemals die Gesamtheit der den empirischen Gegenstand kennzeichnenden Bestimmungen, insofern notorisch unterbestimmt sind, und zum anderen, weil der empirische Sachverhalt vage, vieldeutig und schwankend ist und insofern nicht durch eine einzige Definition eingefangen werden kann, sondern mit einer Vielzahl kontrapositioneller Theorien vereinbar ist. In diesem Sinne kann der Sophist gleichzeitig hervorbringender wie erwerbender Künstler, offener wie heimlicher Nachsteiler sein usw. Die Wirklichkeit unterliegt nicht der zweiwertigen Logik.
5. Das Einteilungsproblem und der Wandel der Einteilungsprinzipien Auch das zweite von Platon anvisierte Problem betreffs des Perspektivenwechsels und der Wahl der Einteilungs- und Gliederungsprinzipien bei der Systemherstellung ist Thema der weiteren Theoriegeschichte. Selbst wenn die Uneinheitlichkeit der Perspektive durch Festhalten eines bestimmten Aspekts vermieden werden kann, bleibt die Frage, welches die Beurteilungskriterien für die Wesenhaftigkeit und nicht nur für die Marginalität der Einteilung sind. Wann ist eine Gliederung in der Sache selbst begründet und wann nur äußerlich oktroyiert? Ein Beispiel, das diese Problematik verdeutlicht, ist das heute übliche Klassifikationssystem der Pflanzen. Danach würde ein lila Veilchen (viola odorata) eine Pflanze sein, die zur Abteilung der Phanerogamae im Unterschied zu der der Kryptogamae zählt, innerhalb dieser zur Klasse der Angiospermae im Unterschied zu der der Gymnospermae, innerhalb dieser zur Unterklasse der Dicotyleae im Unterschied zu der der Monocotyleae, innerhalb dieser zur Gruppe der Choripetalae in Abgrenzung von der der Sympetalae, innerhalb dieser zur Familie der viola, und zwar der viola odorata im Unterschied zu der viola tricolor und canina. 31 Das Veilchen wäre demnach zu definieren als offen sich fortzeugend, bedecktsamig, zweikeimblättrig, getrenntblumenblättrig. Mag auch bei dieser Einteilung ein einheitliches Prinzip, das der Fortpflanzung, durchgehalten sein, so 31
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Das Beispiel findet sich bei H. Leisegang: Denkformen, Berlin, Leipzig 1928, S. 203.
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fällt es doch schwer, hierin das Wesentliche und Eigentümliche dieser Blume zu erblicken. 32 Wo bleiben all jene Erfahrungen und Eindrücke nicht nur des analytischen Verstandes, sondern auch der sinnlichen Wahrnehmung, der Leibeserfahrung und des Kunstgenusses, die sich bei der Betrachtung und dem Duft dieser Blume, bei der Entdeckung ihres ersten schüchternen Auftretens im Frühlings oder beim Anblick des Dürerschen Veilchensträußchen einstellen, die Gernot Böhme in der Analyse der ästhetischen Naturerfahrung auf die Kategorien des Atmosphärischen, Physiognomischen, der Ekstase und Gestik gebracht hat. 33 Hier wird das Abstraktive der wissenschaftlichen Definition besonders deutlich. Ein weiteres Beispiel- aus dem Tierreich- mag die Problematik noch verstärken, da eine Einteilung sowohl nach dem Gesichtspunkt der Fortpflanzung erfolgen kann, z. B. in Säugetiere, Vögel, Fische usw. wie auch nach dem der Skelettbildung in Wirbeltiere, Weichtiere, Gliederfüßler usw. wie auch nach dem der Atmung (durch Lungen, Kiemen, Luftröhre usw.). Obwohl alle diese Einteilungshinsichten eher mit dem Wesen der Tiere übereinzustimmen scheinen als im Falle der Pflanzen, also wesensnotwendig und konstitutiv zu sein scheinen, ist die Auswahl angesichts dreier gleichrangiger Kriterien willkürlich. In der Wahl der Einteilungsprinzipien konkurriert heute eine Reihe von Kriterien miteinander. Zu ihnen gehören: (1.) das Äquivalenzkriterium, das besagt, daß das Explikans- die Definition - dem Explikandum möglichst ähnlich sein muß, da sonst Ebenso wird man sich fragen, ob man in der Einteilung der Samen- bzw. Blütenpflanzen in Nackt- und Bedecktsamer, der letzteren in ein- und zweikeimblättrige, dieser in verwachsenkronblättrige und getrennt- bzw. freikronblättrige, der letzteren in Pflanzen mit einfacher und doppelter Blütenhülle und dieser in Hahnenfußgewächse, Mohngewächse, Schmetterlingsblütler, Kreuzblütler usw. und Seerosengewächse die Wesensmerkmale der Seerose, die unter die letzteren fällt, erkennt (vgl. 0. Schmeil: Leitfaden der Pflanzenkunde, 174. Auf!. bearbeitet von W. J. Fischer, Heidelberg 1952, Inhaltsverzeichnis). 33 Vgl. G. Böhme: Ästhetische Erkenntnis der Natur, in: K. Gloy (Hrsg.): Natur- und Technikbegriffe. Historische und systematische Aspekte: von der Antike bis zur ökologischen Krise, von der Physik bis zur Ästhetik, Bonn 1996, S. 118-145, bes. S. 132 ff.; K. Gloy: Einheit der Natur- Vielheit der Interpretationen. Zum Begriff der Natur aus der Sicht der Geisteswissenschaften, in: K. Komarekund G. Mager! (Hrsg.): Virtualität und Realität. Bild und Wirklichkeit in den Naturwissenschaften, Wien, Köln, Weimar 1998 (Wissenschaft, Bildung, Politik, hrsg. von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, Bd. 2), S. 207-227, bes. S. 210-216.
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Erster Teil: Rationalitätstypen
nicht mehr von einer Explikation der Sache, sondern nur noch von einer gänzlich willkürlichen Charakteristik gesprochen werden kann. (2.) das Kriterium der Exaktheit, das fordert, daß Ambivalenz, Mehrdeutigkeit, Vagheit, Inkonsistenz im Gebrauch der definierenden Begriffe zu vermeiden sind. Auch wenn dies ein Ideal bleibt, ist es, soweit wie möglich, anzustreben. (3.) das Fruchtbarkeitskriterium: Es bedeutet, daß von zwei konkurrierenden Einteilungsprinzipien dasjenige den Vorzug genießt, das fruchtbarer ist, d. h. mehr Konsequenzen und Prognosen aus der Definition abzuleiten erlaubt. Zur Demonstration sei auf folgendes Beispiel verwiesen: Während das Vulgärverständnis Walfische, Delphine und Tümmler zu den Fischen rechnet, wie zum Teil schon der Name anzeigt, grenzt das wissenschaftliche Verständnis diese als Warmblütler und Säugetiere aus und stellt sie jenen als Kaltblütlern und kiemenatmenden Tieren gegenüber. (4.) das Kriterium der Reichweite: Eine Definition ist dann der anderen vorzuziehen, wenn sie mehr Phänomene erklärt als jene, insbesondere neuartige oder früher anders eingestufte. (5.) das Kriterium der Einfachheit, das stets die einfachere und elegantere Lösung oder wissenschaftliche Definition präfedert gegenüber der komplizierteren und komplexeren. Diese Kriterien, die die Auswahl konkurrierender Einteilungsprinzipien leiten, stehen selbst untereinander in Konkurrenz. So wird der Gesichtspunkt der Einfachheit und Eleganz häufig zurücktreten müssen, wenn eine kompliziertere, aber fruchtbarere Definition zum Vergleich ansteht. Häufig werden diese Kriterien als »Rationalitätskriterien« bezeichnet, was den Anschein erweckt, als ob sie das wissenschaftlichrationale Denken anleiteten und das bestimmten, was wissenschaftliche Rationalität ausmacht. Dies ist jedoch nur insofern richtig, als sie den Grundtypus wissenschaftlicher Rationalität mitdefinieren. Und nicht einmal alle Kriterien sind diesbezüglich gleichgewichtig, wie der Kampf zwischen Einfachheit und Fruchtbarkeit zeigt. Ließe sich das dihairetische Programm tatsächlich realisieren, so würde auf jeder Stufe nur diejenige Anzahl von Bestimmungen genannt werden, die der Stufe genau entspräche- und dies wäre auch die einfachste und eleganteste Lösung -; die Definition wiese zudem die größtmögliche inhaltliche Fruchtbarkeit und umfangmäßige Reichweite auf; Exaktheit und Adäquatheit wären garantiert. Angesichts der Vielzahl formal gleichrangiger und essentiell gleichwertig er96
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scheinender Einteilungen (wie bei den Tieren) muß an der Realisierbarkeit des Ideals Zweifel gehegt werden. Da die Intention des dihairetischen Modells auf Deduktion und Dependenz zielt, wäre zu fragen, ob die phylogenetische Ableitung (Stammesgeschichte) der Pflanzen und Tiere eine Realisierung des dihairetischen Ideals darstellte, womit in das logische System eine Zeitkomponente gelangte. Auch dies bleibt zweifelhaft, zum einen, weil die alte Gattung trotz Mutation und Entstehen neuer Arten nicht gänzlich in diesen aufgeht, sondern erhalten bleibt und neben ihnen weiterexistiert, zum anderen, weil die Mutationen vielfältig sein können und keineswegs dichotomisch ausfallen, und zum dritten, weil die Auswahl der Mutanten seitens des forschenden und klassifizierenden Subjekts beliebig ist und die Explikation der Stammesgeschichte auch unter ganz anderen Kriterien erfolgen könnte. Angesichts des Spektrums von Variationsmöglichkeiten der Einteilungsprinzipien wird es nicht verwundern, wenn sich in der Geschichte der Wissenschaften nicht nur zur selben Zeit eine Vielzahl von Prinzipien findet, sondern auch ein zeitbedingter Perspektivenwandel konstatieren läßt. Zwischen Antike und Neuzeit fällt ein prinzipieller Einstellungswechsel auf. Während die Antike grundsätzlich an der Gestalt orientiert war, ist diese als Einteilungsprinzip in der Neuzeit zumindest in den mathematischen Naturwissenschaften, die seit Beginn der Neuzeit das Wissenschaftsparadigma bilden, aufgegeben und durch das Gesetz ersetzt worden. An die Stelle der Gestaltklassifikationen sind Gesetzesklassifikationen getreten. Während es sich bei der Gestalt um eine optisch-intellektuell konstatierbare Ganzheit handelt von zumeist statischer Natur, bezeichnet das Gesetz einen gedanklich faßbaren und konstruierbaren invarianten Funktions- und Relationszusammenhang zwischen Variablen innerhalb eines Zeitintervalls. Die Gestalt ist der holistische Eindruck einer gleichbleibenden, konstanten Vielheit von Teilen, das Gesetz die Konstruktion eines konstanten Relationszusammenhangs zwischen austauschbaren Gliedern. Von der Summe als bloßer Aggregation unterscheidet sich die Gestalt insofern, als sie nicht wie jene die willkürliche Zusammenstückelung beliebiger Teile ist, sondern einer aus der spezifischen Zusammenstellung hervorgehenden neuen Gestaltqualität bedarf.3 4 Die Gestaltqualität ist Ausdruck einer
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Der Ausdruck stammt von Christian von Ehrenfels.
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Übersummation. Sie gestattet nur eine beschränkte Variation ihrer Teile innerhalb bestimmter Grenzen. Das Gesetz hingegen artikuliert die als konstant geltende Beziehung zwischen variablen Teilen. Seine Form ist die Wenn-dann-Beziehung (wenn eine bewegte Kugel eine ruhende anstößt, dann passiert das und das; wenn das Wasser erhitzt oder gekühlt wird, dann geschieht das und das). Die hypothetische Wenn-dann-Formulierung gibt einen Hinweis auf die veränderliche Einsetzung der Glieder in die unveränderliche Beziehung. Das Gesetz operiert außerdem vorzugsweise mit Quantitäten (Zählbarem, Meßbarem, Wägbarem) und formalen Relationen, da sich diese exakt bestimmen lassen. Im Horizont dieser Fundamentalunterscheidung von Gestalt und Gesetz lassen sich bezüglich der ersteren noch weitere Distinktionen anbringen und historisch verfolgen. Von Relevanz ist die Einteilung in äußere und innere Gestalt oder- mit Foucault zu reden 35 in Struktur und Organisation. Ihre jeweilige Präferenz innerhalb der Naturgeschichte (Botanik und Zoologie) läßt sich anhand der Klassifikationssysteme der Neuzeit studieren. Für die großen Ordnungssysteme, die Taxonomien von Tournefort, Linne; Buffon, Adanson im 17. und 18. Jahrhundert36 , ist ein M. Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Titel der Originalausgabe: Les mots et les choses, 1966), aus dem Französischen von U. Köppen, Frankfurt a. M. 1974, 10. Auf!. 1991, S. 173 ff., 279 ff. 36 J. P. de Tournefort: Institutiones rei herbariae, 3 Bde., 3. Auf!. Paris 1719; ders.: Elemens de botanique ou methode pour connoitre !es plantes, 3 Bde., Paris 1694; C. von Unne: Systema naturae in quo naturae regna tria, secundum classes, ordines, genera, species, systematice proponuntur, 2. Auf!. Stockholm 1740; ders.: Systema naturae, sive regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera et species I Natur=Systema, Oder Die in ordentlichem Zusammenhange vorgetragene Drey Reiche der Natur, nach ihren Classen, Ordnungen, Geschlechtern und Arten, in die Deutsche Sprache übersetzet und mit einer Vorrede hrsg. von J. J. Langen, Halle 1740; Des Ritters Carl von Linn€ vollständiges Natursystem nach der zwölften lateinischen Ausgabe und nach Anleitung des holländischen Houttuynischen Werks mit einer ausführlichen Erklärung ausgefertiget von Philipp Ludwig Statius Müller, 6 Theile plus 1 Supplementsund Register-Bd., Nürnberg 1773-1776; ders.: Systema vegetabilium secundum classes ordines genera species cum characteribus et differentiis, 15. Auf!. Gottingae 1797; ders.: Genera plantarum eorumque characteres naturales secundum numerum, figuram, siturn, et propositionem omnium fructificationis partium, Holm 1754; ders: Species Plantarum, exhibentes plantas rite cognitas, ad genera relatas, cum differentiis specificis, nominibus trivialibus, synonymis selectis, locis naturalibus, secundum systema sexuale digestas, 2 Bde., 2. Auf!. Holm 1762-1763; G.-L. de Buffon und L. J. Daubenton: Allgemeine Historie der Natur nach allen ihren besondern Theilen abgehandelt; nebst einer Beschreibung der Naturalienkammer Sr. Majestät des Königes von Frankreich. 35
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Einteilungstypus kennzeichnend, der sich amBeobachtbaren orientiert. Allerdings werden aus der Fülle sinnlicher Qualitäten nur ganz bestimmte ausgewählt unter Abstraktion der übrigen, insbesondere der Geschmacks-, Geruchs-, Tast- und Gehörsqualitäten. Eindeutige Präferenz erhält der Gesichtssinn. Allenfalls kommen neben den visuellen Qualitäten in bescheidenem Maße taktile in Betracht wie glatt und rauh. Aber auch bezüglich der visuellen Qualitäten geht es nicht primär um Farben, Grade der Helligkeit und Dunkelheit usw., sondern um geometrische Eigenschaften wie Linien, Gestalten, Oberflächen, Reliefs, auf die der Gesichtssinn hinführt. Es sind die sogenannten primären Sinnesqualitäten, nicht die sekundären, die zur Einteilung dienen. Übereinstimmend werden vier Kriterien genannt: erstens die Zahl der Elemente, zweitens ihre Größe, drittens ihre Form und viertens ihre Anordnung. So sagt Linne in seiner Philosophia botanica: >>nota characteristica omnis erui debet a Numero, Figura, Proportione & Situ omnium partium Fructificationis differentium« (»jedes Merkmal muß aus der Zahl, der Gestalt, der Proportion und der Lage aller verschiedenen Teile der Fruchtung gezogen werden«)3 7 , und Buffon und Daubenton, obwohl Gegner Linnes, pflichten ihm bei: Es ist »wohl zu verstehen, daß die Aehnlichkeiten und Unähnlichkeiten nicht bloß von einem Theile, sondern von dem Ganzen, hergenommen werden müssen, und daß diese anschauende Methode sich auf die Gestalt, auf die Größe, auf das äußerliche Ansehen, auf die verschiedenen Theile, auf ihre Anzahl, auf ihre Stellung, ja sogar auf ihre Materie gründen muß« 38 • Dieses Schema wird auf die Teile der Pflanzen und Tiere angewandt, z. B. auf Blüten, Stiele, Blätter, Wurzeln und Früchte. Die Zahl der Staubfäden, der Stempel, ihre Größe und Gestalt, ihre geometrische Anordnung im Kreis, Dreieck oder Sechseck werden aufgeführt und zu Klassifikationszwecken benutzt. Zwei der Merkmale, Anzahl und Größe, sind quantitativer Art, die beiden anderen, Form und Anordnung, verlangen die Identifikation mit geometrischen Figuren oder biologischen Mustern, für die Mit einer Vorrede von Albrecht von Haller, 5 Teile, Hamburg, Leipzig 1750-1766; M. Adanson: Familles des Plantes, 2 Bde., Paris 1763. 37 C. Linne: Philosophia botanica in qua explicantur fundamenta botanica cum definitionibus partium, exemplis terminorum, observationibus rariorum, adjectis figuris Aeneis, 2. Aufl. Wien 1763, S. 120 (§ 167); vgl. S. 261 (§327). 38 G.-L. de Buffon und L. J. Daubenton: Von der Art, die Historie der Natur zu erlernen und abzuhandeln, in: dies.: Allgemeine Historie der Natur, a. a. 0. Bd. 1, S. 14 f. Vernunft und das Andere der Vernunft
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hauptsächlich menschliche Formen und Maße "Wie Haare, Nägel, Finger, Daumen, Handspanne, Auge, Ohr usw. Pate gestanden haben. Auf diese Weise ist gewährleistet, daß es sich um allgemeinverständliche, intersubjektiv kommunikable Merkmale und nicht um privatsubjektive, einmalige handelt, die von Beobachter zu Beobachter wechseln. Die Allgemeinverständlichkeit, die quantitativ-geometrischen Strukturen eigen ist, garantiert, daß jeder dieselbe Beschreibung von Einzelwesen gibt und daß umgekehrt aufgrund dieser Beschreibung jeder dieselbe Pflanze, dasselbe Tier erkennt. Die Wahl der primären Sinnesqualitäten, der quantitativen wie geometrischen Eigenschaften, setzt kulturhistorisch und philosophisch den Cartesianismus voraus. Mit seiner Grundunterscheidung von res extensa und res cogitans und bezüglich der ersteren von primären und sekundären Sinnesqualitäten gelangte Descartes zu den räumlich-zeitlichen Bestimmungen der Größe, Gestalt (Figur), Lage, Bewegung, die ihm als alleinverbindlich galten, da sie klare und deutliche, also wohlunterschiedene Erkenntnis ermöglichen. Das Ideal quantitativ-geometrischer Bestimmungen wurde auch für das System der Naturgegenstände innerhalb der Naturkunde und -geschichte leitend, wenngleich dort an die Stelle der Zahlen und Maße Beschreibungen traten. Adanson 39 hat die Vermutung ausgesprochen, daß die Botanik eines Tages genau wie eine strenge mathematische Wissenschaft behandelt werden könne mit ähnlichen Problemstellungen und Lösungen. Das Vorbild für die Taxonomien der Natur gab die mathesis universalis ab, mit der ein Gesamtsystem angestrebt wurde. Eine Gefahr dieser Methode besteht allerdings darin, daß sie trotz Orientierung an Form, Figur, Muster ähnlich wie die Geometrie den Teilen vor dem Ganzen einen Primat einräumt. Das Prinzip verfährt eher analytisch als synthetisch. Es ist weniger holistisch an den einheitlichen Gestalten und Figurationen ausgerichtet als vielmehr an deren einzelnen Teilen (partes extra partes), so an der Zahl der Staubfäden, Griffel usw. Von ganz anderer Art ist das Einteilungsprinzip im ausgehenden 18. Jahrhundert, in der Zeit zwischen 1775 und 1795, in dem die Klassifikationssysteme von Jussieu, Vicq d' Azyr, Lamarck und Candolle entstanden. 40 Es zielt nicht mehr auf die äußere, sichtbare Ge" M. Adanson: Familles des Plantes, a. a.O, Bd. 1, Preface, S. CC. 40 A. L. de Jussieu: Genera Plantarum secundum ordines naturales disposita, juxta methodum in horto regio Parisiensi exaratam, anno MDCCLXXIV, Paris 1789; ders.: Die
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stalt, c;ondern auf die Anatomie, den inneren, nicht direkt sichtbaren, allererst durch Sezierung freizulegenden Aufbau und die Funktion seiner Bestandteile. Maßgebend ist jetzt der Zusammenhang und das Zusammenwirken der Teile, die Architektur, die Organisation und die Funktionsweise. Im Unterschied zur Gestalt und Struktur ist hier die Organisation und Funktion leitend. Fragt man beispielsweise bei der Einteilung und Gliederung der Naturgegenstände, was der Zweck der Lebewesen sei und auf welche Weise sie diesen erfüllen, so erhält man bezüglich der Tiere zur Antwort, daß ihre Hauptaufgabe in der Erhaltung des Individuums und der Art bestehe, wobei die Ernährung neben der Fortpflanzung die wichtigste Rolle spiele. Von der Ernährungsart aber hängt der gesamte Körperbau der Lebewesen ab: die Beschaffenheit der Fang- und Kauorgane, des Verdauungs- und Ausscheidungstraktes, der Bewegungsorgane usw. Pflanzenfresser verlangen breite Mahlzähne, einen langen Ernährungstrakt, Fleischfresser scharfe, spitze Reißzähne und Krallen, einen starken Magen usw. Zwischen der Art der Nahrungsaufnahme und der Art des Körperbaus bestehen geregelte Zusammenhänge, wobei nur gegenseitige Ausgewogenheit ein richtiges Funktionieren garantiert. Dasselbe gilt für die Beziehung zwischen der Fortbewegungsart und dem Körperbau. Wird hingegen die Fortpflanzung als das Wesentlichste angesehen, wie sich dies schon im Falle der Pflanzen zeigte, zu deren Zweck völlig unscheinbare, sogar unsichtbare Organe wie Keimapparat und Samenlappen herangezogen wurden, dann ist die Anatomie für die Tiere noch weit wichtiger. Botanik, 4 Bde., aus dem Französischen von G. Kißling, Stuttgart 1844 (Populäre Naturgeschichte der drei Reiche von F. S. Beudant, Milne-Edwards, A. v. Jussieu, Bde. 9-12, Stuttgart 1844); F. Vicq d' Azyr: Premiers discours anatomiques, Paris 1786; ders.: Systeme anatomique. Quadrupedes (1792), in: H. Cloquet und F. Vicq d' Azyr: Encyclopedie methodique. Systeme anatomique .. . , 4 Bde., Paris 1792-1830, Bd. 2; J. B. P. A. de Lamarck: Flore Franfoise Ou Description Succincte De Toutes Les Plantes Qui craissent naturellement en France, Disposee selon une nouvelle methode d' Analyse, & a laquelle on a joint Ia citation de leurs vertus !es moins equivoques en Medicine, & de leur utilite dans !es Arts, 3 Bde., Paris 1778; ders: Memoires de physique et d'histoire naturelle, Paris 1797; ders.: Histoire naturelle des animaux sans vertebres, 11 Bde., 2. Auf!. Paris 1835-1845; J. B. de Lamarck et A. P. de Candolle: Synopsis plantarum in flora Gallica descriptarum, Paris 1806; A. P. de Candolle: Regni vegetabilis systema naturale, sive ordines, genera et species plantarum secundum methodi naturalis normas digestarum et descriptarum, 2 Bde., Paris 1818-1821; ders.: Prodromum systematis naturalis regni vegetabilis, sive enumeratio contracta ordinum generum specierumque plantarum, 15 Bde. plus 2 Index-Bde., Paris 1824-1873. Vernunft und das Andere der Vernunft
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Diese Art der Einteilung nach der Organisation spiegelt den Geist Lamarcks wieder, wie er im Discours Preliminaire seines dreibändigen Werkes Flore Fran~oise 41 faßbar ist, in dem er neben die Analyse, die sichtbare Einteilung, die Auffindung der Gesamtorganisation setzt. Schnitte und Einteilungen des Seienden können heterogenen Hinsichten folgen je nach der Ziel- und Zwecksetzung, die man dabei verfolgt. Im Prinzip können diese unendlich an der Zahl sein, selbst im Falle essentieller Bestimmungen. Es gibt so viele Einteilungsmöglichkeiten, wie es äußere oder innere Strukturen gibt, und diese dürften angesichts der Strukturtotalität unausschöpfbar sein. »Vernünftig« wird man jedes Prinzip nennen können, das sich bei der Aufteilung und Gliederung des Seienden konsequent durchhalten läßt und das auf das Ganze des Seienden zielt. Die Wahl des Prinzips hängt ab von der intellektuellen Einstellung, Gewöhnung, Zwecksetzung und dem Interesse der Forschergemeinschaften, der Völker, der Kulturkreise und der Zeiten und wechselt mit diesen.
6. Systemtranszendenz oder Systemimmanenz des Systemgrundesr Das im Kontext platonischer Analysen auftauchende Problem der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Definition des Systemgrundes bedarf noch einer Erörterung. Es verweist sachlich auf das, was traditionell unter dem Namen »ontologischer Gottesbeweis« abgehandelt wird. Obwohl der ontologische Gottesbeweis gewöhnlich mit Anselm von Canterbury in Verbindung gebracht wird, ist er der Sache nach älter und reicht tief in die Geschichte zurück auf die rationale Problemkonstellation Platons. Der ontologische Gottesbeweis geht der Frage nach, ob aus dem reinen Begriff von Gott, verstanden als omnitudo realitatis (als Gesamtheit der Seinsprädikate), dessen Existenz erschlossen werden könne. Er affirmiert diese Frage mit dem Argument, daß im Begriff Gottes als Totalität der Seinsprädikate notwendig auch das Prädikat des Seins selbst liege, mithin in diesem signifikanten Fall der Begriff notwendig existiere, während in
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Vgl.
J. B. P. A.
de Lamarck: Flore Fran~oise, a.a.O, Bd. 1: Discours Preliminaire,
S. XXXVII ff.
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Der dihairetische Rationalitätstypus
anderen Begriffsfällen dies nicht mit Notwendigkeit ausgemacht werden könne. Unterzieht man die omnitudo realitatis einer genaueren Betrachtung, so läßt sie sich als das vollständig und durchgängig dihairetisch gegliederte Stufensystem auffassen, das, da es nur positive, wenngleich konträre Bestimmungen impliziert, ein System von Opposita ist. Im Falle der vollständig durchgeführten Spezifikation der Begriffspyramide fiele das Sein mit der Gesamtstruktur zusammen und konstituierte das Ganze. Der Vernunftbegriff, angelegt auf Gliederung und Ordnung, wäre damit erfüllt, d. h. realisiert. Bekanntlich hat Kant im Rahmen einer umfassenden Widerlegung der Gottesbeweise überhaupt 42 - des kosmologischen ebenso wie des physiko-theologischen - auch den ontologischen zu widerlegen versucht, und zwar mittels des genau inversen Arguments, nämlich daß der vollständig und durchgängig bestimmte Begriff von etwas nicht dessen Sein (Existenz) einschließe, dieses vielmehr zusätzlich zu dem schon vollständig bestimmten Begriff als Position des Gegenstands hinzukommen müsse. 43 Sein ist nach Kant kein Prädikat, sondern ein Prädikatenprädikat, nach welchem immer noch gefragt werden kann, auch wenn der Begriff schon vollständig expliziert ist. Zur Erläuterung rekurriert Kant auf den Begriff von hundert möglichen Talern im Unterschied zu hundert wirklichen Talern. Letztere enthalten seiner Ansicht nach kein einziges Merkmal, das über den Begriff von hundert möglichen Talern hinausginge, mit der einen Ausnahme, daß bei den letzteren die Existenz (das Sein) zum vollständig bestimmten Begriff hinzukommt, was nur durch Wahrnehmung gesichert werden kann. Ist nach der ersten Argumentation das Sein ein analytisches Prädikat und Implikat des Gottesbegriffs, der omnitudo realitatis, das identisch ist mit der Gesamtheit der formalen Prädikate, so ist es nach der zweiten ein synthetisches Prädikat, das zur formalen Gesamtheit als Existenz hinzutritt. Daraus ist zu schließen, daß das Vernunftsystem - von Kant auch als transzendentales Vernunftideal bezeichnet 44 - ein formales System auf einem material unbestimmten Hintergrund darstellt. Es ist folglich als eine das Ganze beherrschende Methode zu verstehen, wenn auch nicht als das Ganze selbst. 42
43 44
Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft A 592ff. B 620ff. Vgl. a.a. 0., A 598ff. B 626ff. Vgl. a.a.O., A 571 B 599, A 574 B 602.
Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
Abgesehen davon, daß -wie schon Hege! bemerkte - nicht ohne weiteres von einem endlichen Beispiel auf ein unendliches geschlossen werden könne, abgesehen auch davon, ob die im Begriff der omnitudo realitatis gedachte Unendlichkeit nur in Form eines unendlichen, unabschließbaren Prozesses oder auch in Form eines gegebenen Transfiniten angesetzt werden dürfe, geht es in Beweis wie in Widerlegung um den unterschiedlichen Status des Seins und der übrigen Bestimmungen. Während im ersteren Fall das Sein selbst als formale Bestimmung genommen und in deren Insgesamt integriert ist, ja das Insgesamt ist, fungiert es im zweiten Fall als existentielle Voraussetzung für die übrigen formalen Bestimmungen. Die Konsequenz ist, daß im ersten Fall das formale System und das Sein zusammenfallen, im zweiten das formale System und der Seinsgrund auseinanderklaffen. Zur Klärung dieses kontroversen Sachverhalts sehen wir uns auf Platon zurückverwiesen, und zwar auf seinen Ansatz des höchsten Genus nicht als Transzendenz, sondern als Pluralität höchster Genera: des Seins, des Einen (Einheit), der Identität, der Differenz, der Ruhe, der Bewegung usw. Das zu klärende Problem läuft auf die Frage hinaus, ob Sein, ebenso Eines, Identität, Differenz, Ruhe, Bewegung, kurzum, alle Genera als solche Bestimmungen sind oder ob dies nur für das Eine gilt, das mit seiner numerischen Funktion, der Zahlgebung, begriffliche Aus- und Eingrenzung, mithin Determination, verbindet, wie eine solche bereits sprachlich in Ausdrücken wie terminus (von terminare), definitio (von fines) usw. ihren Niederschlag findet. Im letzteren Fallließe sich das Sein - Gleiches gilt für Identität, Differenz, Ruhe, Bewegung und die übrigen Genera- zwar durch Anwendung des Einen identifizieren und als Bestimmtheit auffassen, ohne das Eine aber bildeten die Genera ein unbestimmtes, unendliches Ideenkontinuum, das zwar die Basis der unendlichen Applikation des Einen samt der Zahlgebung und Bestimmung abgibt, selbst aber kein Bestimmtes ist. Von hier gesehen wäre das vollständige dihairetische System von Bestimmungen, das auf begrifflicher Aus- und Abgrenzung, auf Identifikation, kurzum auf der Verbindung des Einen mit den übrigen Genera basiert, ein formales System von Bestimmungen unter der Voraussetzung eines Unbestimmt-Unendlichen, das hier durch das Sein repräsentiert würde. Explizites System und Systemgrund blieben getrennt. Wenn andererseits das Eine zu seiner eigenen Existenz der Gattung des Seins bedarf - Gleiches gilt für Identität, Differenz usw. 104
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und nicht unabhängig davon existieren kann, dann muß man ebenfalls argumentieren dürfen, daß das System formaler Bestimmungen zugleich ein seiendes ist und folglich das System der Wesensbestimmungen mit dem Dasein zusammenfällt, die Essenz mit der Existenz. Allerdings wird hier von einer Argumentationsfigur Gebrauch gemacht, die die Wechselimplikation der Genera und ihre Selbstreferentialität in Anspruch nimmt und sich über das Andere herstellt eine Argumentationsfigur, die es noch näher aufzuklären gilt. Gemäß dieser Argumentation fielen Systemexplikation und Systemgrund zusammen. Hier wäre nicht erst das Insgesamt das Ganze, sondern bereits jede Stufe der Dihairesis. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des ontologischen Gottesbeweises als Metapher für die Selbstexplikation des Systems bleibt wegen der Ambivalenz des Arguments offen.
7. Urteil und Schluß auf der Basis des dihairetischen Rationalitätskonzepts Fand der dihairetische Rationalitätstypus seine Ausgestaltung in der Begriffspyramide, so bildet diese ihrerseits die Basis für die logische Urteils- und Schlußlehre. Die Zusammengehörigkeit dieser drei Bestandteile: Begriff, Urteil, Schluß ist schon seit der Antike Gemeingut der Logiker und führte zur Zusammennahme aller drei im Logos, dessen Internstruktur sie bilden. Sie formieren das, was seitdem »logisches Denken« heißt und mit dem Attribut »vernünftig« bzw. »rational« versehen wird. Das Urteil ist eine Verknüpfung von Begriffen (Oll!!JtAox~ 'tWV döwv), freilich keine willkürliche, sei es nur von Nomen oder nur von Verben, d. h. von gleichartigen und gleichrangigen Begriffen, sondern eine Verknüpfung im einfachsten Fall von Nomen bzw. Pronomen und Verb, wobei letzteres auch eine Ist-Konstruktion sein kann, bestehend aus Hilfswerb und Adjektiv oder Partizip Präsens oder einem Substantiv usw. Wie ein Blick auf das dihairetische Begriffssystem lehrt, ist eine sinnvolle Verknüpfung nur von unter- und übergeordneten Begriffen, nicht von nebengeordneten möglich, also von Art- und Gattungsbegriffen, nicht aber von Art- und Art- oder Gattungs- und Gattungsbegriffen. So ist der Angelfischer, um bei unserem Beispiel zu bleiben, ein Künstler ('tEXVLT'YJ~), ein erwerbender Künstler, ein Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
bezwingend erwerbender Künstler usw. bis hin zum Harpunenfischer. Mit der Subordination eines Artbegriffs oder auch Individuums unter einen Gattungsbegriff oder, anders gesagt, mit der Prädikation eines Gattungsbegriffs von einem Artbegriff bzw. einem Individuum kommen diesem sämtliche im Gattungsbegriff enthaltenen Bestimmungen zu, die aus dessen eigener Subordination unter höhere Gattungsbegriffe resultieren. Diese Subordination reicht bis zur Selbstexplikation, indem subordinierter und subordinierender Begriff in Form einer Tautologie zusammenfallen. Die so entstandenen Urteile folgen den logischen Prinzipien der Identität, des auszuschließenden Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten. Es handelt sich um analytische Sätze - in Kantischer Terminologie und deren Explikation, mag diese unvollständig oder vollständig sein. Während das positive Urteil im Blick auf das Gesamtsystem der Prädikate die eine der beiden oppositionellen Seiten der Begriffspyramide artikuliert, schließt das mit ihm verbundene negative Urteil die Gegenseite aus. Der Angelfischer ist nicht produzierender Künstler, nicht umsetzender Künstler, nicht offener Kämpfer usw. Indem er das eine ist, z. R erwerbend, bezwingend, nachstellend, ist er das andere nicht, so wie es die spinozistische Formel omnis determinatio est negatio und ihre Umkehrung omnis negatio est determinatio ausdrückt. 45 Beim offenen System läßt sich nur die Negation (Nichtkonformität) des Negats aussprechen: Der Angelfischer ist nicht nicht-erwerbend. Ein analytisches positives oder negatives Urteil wäre nur dann absolut richtig, d. h. logisch wahr, wenn sowohl die Subordination des untergeordneten Begriffs unter den höheren wie auch die Bestimmung des letzteren eindeutig wären, die sich aus dessen eigener Subordination unter den höheren Begriff ergibt usw. Genau dies ist aber nicht der Fall, wie die Variabilität der Einteilungsperspektiven und die Variabilität der Subordinationen zeigen. So kann der Sophist faktisch unter konträre, inkompatible Begriffe eingeordnet werden, sowohl unter den des Großhändlers wie den des Kleinkrämers, sowohl unter den des offenen wie des verdeckten Kämpfers, sowohl unter
In diesem Sinne ist auch das Beispiel in Platons Sophistes 263 a >> Theaitet fliegt« zu verstehen, das analytisch falsch ist. Sofern Theaitet Mensch ist und damit Landlebewesen und nicht ein im Flüssigen, sei es im Wasser oder in der Luft schwimmendes Wesen, Fisch oder Vogel, kann er nur sitzen, gehen, stehen, liegen, nicht aber fliegen wie die Opposita. Ihm kommen nur die Attribute des Menschseins, nicht die des Vogelseins zu.
45
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den des hervorbringenden wie des erwerbenden Künstlers usw. Ein Entweder-Oder ist hier nicht möglich, nur ein Sowohl-als-auch. Die mit einem analytischen Urteil verbundene logische Wahrheit ist demnach nur eine hypothetische, die unter der Bedingung gilt, daß C unter B und B unter A fällt, wobei offen ist, ob A und B tatsächlich in der vorgegebenen Weise existieren, und die daher nur in Wenn-dann-Form artikuliert werden kann. »Wenn der Angelfischer ein Jäger ist und dieser ein NachsteUer so wie dieser seinerseits ein gewaltsamer Bezwinger und dieser ein Erwerbender usw., dann gilt, daß der Angelfischer nachstellend, bezwingend, erwerbend usw. ist.« Die Teilhabe (~-tE1'l-E1;L~) eines Begriffs an einem anderen, übergeordneten einschließlich seiner Merkmale ist in diesem Sinne ein hypothetisches, ideelles Konstrukt und teilt alle Schwierigkeiten des dihairetischen Rationalitätstypus. Obzwar die Syllogistik erst von Aristoteles entwickelt und in der Analytica priora expliziert wurde, ist sie nur auf dem Hintergrund des von Platon entdeckten und elaborierten dichotomisch-dihairetischen Vernunftbegriffs verständlich; denn ihre Konstruktion vollzieht sich über mehrere, mindestens drei Stufen der Begriffspyramide, die sie miteinander verbindet. Ein Syllogismus besteht aus drei Sätzen oder Urteilen: einem Obersatz (maior), einem Untersatz (minor) und einer Schlußfolgerung (conclusio), wobei die Verbindung der äußersten Sätze bzw. Urteile über einen Mittelbegriff erfolgt. In der Analytica priora definiert Aristoteles das Schlußverfahren folgendermaßen: »Wenn sich also drei Begriffe zueinander so verhalten, daß der letzte (der Unterbegriff) in dem mittleren als ganzem ist, und der mittlere in dem ersten (dem Oberbegriff) als Ganzem entweder ist oder nicht ist, so ergibt sich notwendig für die Außenbegriffe ein vollkommener Schluß.« 46
Als Paradigma mag der Schluß vom Typus barbara dienen: Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich.
Im Obersatz (der ersten Prämisse) wird der Gattungsbegriff »Mensch« seinem vollen Umfang nach dem höherstufigen und umAristoteles: Analytica priora 4, 25 b 32 ff. (Übersetzung von E. Rolfes, in: Aristoteles: Lehre vom Schluß oder Erste Analytik (Organon III), übersetzt und mit Anmerkungen
46
versehen, Harnburg 1975 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1921), S. 6. Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
fassenderen Gattungsbegriff »Sterbliches Wesen« subordiniert. Im Untersatz (der zweiten Prämisse) wird dem Gattungsbegriff »Mensch« ein Einzelwesen »Sokrates« subsumiert, um dann im Schlußsatz Sokrates über den Menschen dem sterblichen Wesen subordinieren zu können. Lebewesen
Sterbliche
Unsterbliche
/
Mensch
I Sokrates
Umfangmäßig läßt sich dies durch ineinandergeschachtelte Kreise veranschaulichen, wobei der durch Sokrates bezeichnete Kreis eines Einzelwesens in den größeren Kreis der Gattung »Mensch« fällt und dieser in den noch größeren der sterblichen Wesen. Die Stringenz des Schlusses liegt in der anschaulich nachvollziehbaren Subsumption oder, bildlich gesprochen, in der Inklusion einer Umfangssphäre in die andere. Daß auch hier die logischen Prinzipien der Identität, des auszuschließenden Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten gelten, versteht sich. Die Subsumption eines untergeordneten Begriffs unter einen übergeordneten über einen Mittelbegriff, kraft dessen dieser jenem zugesprochen wird, ist im Kontext der Begriffspyramide ein analytischer und nicht synthetischer Vorgang und hält sich damit an die Spielregeln von Identität, Widerspruch und ausgeschlossenem Dritten. Die übrigen Schlußtypen sind Varianten und Konvertierungen des ersten. Stieg der erste problemlos von unten nach oben auf durch Subsumption bzw. Subordination, so ist beim umgekehrten Ausgang, dem Abstieg von oben nach unten, zu beachten, daß sich überund untergeordnete Begriffe im positiven Urteil nur konvertieren lassen, wenn der übergeordnete Begriff auf den Umfang des untergeordneten eingeschränkt wird:
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Einige Lebewesen sind Menschen. Einige Menschen sind Sokrates, x, y. Also ist Sokrates, x, y, ein Lebewesen.
Die Syllogismen in scholastischer Nomenklatura, wie sie seit Petrus Hispanus (gestorben 1277) üblich ist, lauten:
A ä B & B ä C ~ A ä C (barbara) A e B & B ä C ~ A e C (celarent) A ä B & B 1 C ~ A 1 C (darii) A e B & B 1 C ~ A 6 C (ferio)
Zu lesen sind diese: A kommt allen B zu und B kommt allen A zu, also kommt A allen C zu. A kommt keinem B zu und B kommt allen C zu, also kommt A keinem C zu. A kommt allen B zu und B kommt einigen, zumindest einem C zu, also kommt A einigen, zumindest einem C zu. A kommt keinem B zu und B kommt einigen C zu, also kommt A einigen, mindestens einem C zu. Während Aristoteles auf der Basis des dichotomisch-dihairetischen Begriffssystems schrittweise vorgeht und je drei unmittelbar miteinander zusammenhängende Stufen verbindet, springt Platon, dessen Angelfischerbeispiel ja im Grunde nichts anderes als ein unexplizierter, verdeckter Syllogismus ist, in einem Riesenschritt von der untersten zur höchsten Stufe: »Der Angelfischer ist ein Künstler« und subordiniert dann die übrigen dihairetisch gewonnenen Zwischenglieder nach der Art: Alle bezwingenden Künstler sind auch erwerbende Künstler. Der Angelfischer ist ein bezwingender Künstler. Also ist der Angelfischer auch ein erwerbender Künstler. Alle (heimlichen) Nachsteiler sind bezwingende Künstler. Der Angelfischer ist ein (heimlicher) Nachsteller. Also ist der Angelfischer auch ein bezwingender Künstler ... Alle Fischer (Jäger auf Tiere im Flüssigen) sind Jäger auf Belebtes. Der Angelfischer ist ein Fischer. Also ist der Angelfischer auch ein Jäger auf Belebtes.
Mit ihrer Fundierung in der Begriffspyramide teilen die Schlüsse sämtliche Schwierigkeiten und Mängel des dihairetischen RationaliVernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
tätstypus. Sie verbürgen keine absolute Gewißheit, sondern nur eine hypothetische. Der obige Schluß von Sokrates' Sterblichkeit gilt nur unter der Bedingung, daß erstens Menschen sterbliche Wesen sind und daß zweitens Sokrates zur Gattung »Mensch« gehört, so daß auch Schlüsse in senso stricto in Wenn-dann-Form formuliert werden müßten: Wenn alle Menschen sterblich sind und wenn Sokrates ein Mensch ist, dann gilt, daß Sokrates sterblich ist.
Gewöhnlich wird nur den Schlüssen das Charakteristikum »vernünftig«, »rational«, »logisch« zugebilligt, nicht den Begriffen und den Urteilen. Schlüsse werden als »logisch« oder »Vernünftig« bezeichnet, nicht Urteile, zumindest nicht in dem hier gerneinten formalen und nicht inhaltlichen Sinne. Dies drückt sich bis in die Namengebung aus; so spricht etwa Kant von Vernunftschlüssen. Der Grund ist darin zu sehen, daß Begriffe und Urteile zwar Bestandteile der Logik sind, jedoch nur Schlüsse Konstruktionen innerhalb des idealen, hypothetischen Begriffsgeflechts, das der fluktuierenden, schwankenden Wirklichkeit als ein konstantes, invariantes Relationssystem übergespülpt wird, dessen allgerneine Evidenz, Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit sowie intersubjektive Kornrnunikabilität absolute interne Stringenz garantiert.
8. Der mathematische Rationalitätstypus Nach dem Platonischen Rationalitätsrnodell, wie es in der Politeia 47 expliziert wird, gehören der logisch-dihairetische und der mathematische Rationalitätstypus eng zusammen, dergestalt, daß der mathematische - bildlich gesprochen - nach unten an den logischen anschließt, wenn man die Deszendenz im Auge hat, und der logische dort ansetzt, wo der mathematische auf seiner höchsten Spitze endet, also nach oben aufsteigt, wenn man auf die Aszendenz achtet. Nicht die Methode als solche differiert, wenn man einmal davon absieht, daß die Mathematik sich der realen Gegenstände zur Demonstration bedient, während die Logik im ideellen Bereich verbleibt, nur der Ansatz und die Richtung des Verfahrens differieren. 47
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Platon: Politeia 510 b ff.
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Der dihairetische Rationalitätstypus
Nach dem Paradigma des euklidischen Axiomensystems der Geometrie konzipiert Platon die Mathematik als ein axiomatisches System, das auf Axiomen, Definitionen und Postulaten basiert und aus diesen auf rein logisch deduktive Weise die übrigen Sätze des Systems gewinnt. Das Verhältnis zwischen undefinierten Lehrsätzen und definierten, deduzierten Sätzen ist das der Explikation. Wir haben es mit einem analytischen Verfahren und System zu tun, das auf den logischen Prinzipien der Identität, des auszuschließenden Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten basiert. Wichtig ist, festzuhalten, daß bereits Platon die Axiome nicht als absolut gewisse Sätze ansieht, deren Sicherheit sich nur auf Intuition oder empirische Erfahrung stützen könnte, sondern als Annahmen, Voraussetzungen, Hypothesen, wie das euklidische Parallelenpostulat. Damit ergibt sich für die Beziehung zwischen Axiomen und abgeleiteten Sätzen eine Wenn-dann-Konstruktion: Die deduzierten Sätze sind nur unter der Bedingung gültig, daß die Axiome gültig sind, ansonsten ist ihre Wahrheit eine rein logisch immanente, nämlich die Folgerichtigkeit und Stringenz der Ableitung. In der Neuzeit hat der Mathematiker David Hilbert diesen hypothetischen Charakter axiomatischer Systeme hervorgehoben und damit auf die rein immanente Deutung und Geltung der Sätze aufmerksam gemacht, die sie zu sogenannten impliziten Definitionen stempelt. Danach haben die in den Axiomen vorkommenden Ausdrücke zunächst keinerlei Realitätsgehalt. Ihre Bedeutung wird erst durch die Definition festgelegt. Die Axiome sind nicht als Aussagen zu verstehen, in denen bereits bestehende, letztlich der Erfahrung entnommene Begriffe miteinander verbunden werden; vielmehr werden durch die Axiome die Begriffe allererst eingeführt. Ob diese dann auf die Realität applikabel sind oder formal bleiben, muß die externe Interpretation klären. Daraus folgt, daß die Definitionen überhaupt erst die Sicht auf potentielle Objekte freigeben und festlegen, was als Objekt in Betracht kommt. Im arithmetischen Axiomensystem z. B. sind Eins, Zahl, Nachfolger usw. Grundelemente, im geometrischen Punkt, Gerade, Ebene usw. Trifft man nun in der Erfahrung auf Objekte, die in unabschließbaren Reihen abzählbar sind, die ein erstes, aber nicht ein letztes Element aufweisen und außerdem so beschaffen sind, daß jedes Glied in einer Folge von Schritten von Eins aus erreicht werden kann, dann gilt dies als Realmodell für die formale Struktur der Zahlenreihe. Ebenso wäre als reales Modell des (euklidisch-)geometrischen A:xioVernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
mensystems dasjenige anzusehen, das die in den axiomatischen Begriffen angesprochenen Eigenschaften kraft physikalischer Kriterien erfüllte, wie z. B. die physikalische Gerade, die als Weg von Lichtstrahlen beschrieben werden kann. Wie diverse Realsysteme um die angemessene Interpretation des formalen Axiomensystems miteinander konkurrieren können, so lassen sich auch umgekehrt Korrekturen am formalen Axiomensystem seitens der Realität denken. So gehen Physiker heute meist nicht mehr von der euklidischen Struktur des empirischen Raumes aus, sondern von der Riemannschen des Kugelraumes. Während die bisherige Exposition die mathematische Rationalität auf logische Operationen reduzierte und damit das mathematische System zu einem analytischen machte, das allein logischen Prinzipien genügt, gibt es in der Mathematik immer wieder Versuche, den synthetischen Charakter und damit die Eigenständigkeit der mathematischen Rationalität zu erweisen. So berufen sich der Intuitionismus (Brouwer) und Konstruktivismus (Lorenzen, Erlanger Schule) darauf, daß die mathematische Grundoperation das Zählen, ursprünglich mit Hilfe der Finger, sei, das Addieren von Einheiten auf der Basis der konkreten wie reinen Anschauung. Demonstriert an dem berühmten Kautischen Beispiel der Summe aus 7 + 5 = 12, bedeutet dies, daß das Resultat 12 kein analytisches Implikat der Summe aus 7 + 5 ist, da es weder in den sieben Einheiten noch in den fünf Einheiten noch in dem Summenzeichen liegt, sondern ein synthetisches, neu hinzukommendes Produkt auf der Basis der Konstruktion in der Anschauung. Konstruktion ist nach Kant und seinen intuitionistischen und operationalistischen Nachfolgern die Darstellung eines Begriffs in der reinen Anschauung gemäß der in ihm liegenden Konstruktionsoder Handlungsanweisung. Jeder mathematische Begriff, jeder mathematische Beweis wie z. B. der, daß die Winkelsumme eines Dreiecks in der ebenen Geometrie 180 beträgt, enthält eine Handlungsanweisung oder sogar einen ganzen Satz solcher, deren Ausführung in der reinen Anschauung die schematische Darstellung ergibt. Demnach kommt Mathematik ohne ein anschauliches Moment nicht aus. Man darf vermuten, daß diese Einsicht schon für Platon leitend war, wenn er davon spricht, daß sich die Mathematik der realen Gegenstände als Demonstrationsmittel bediene. Denn daß es hierbei nicht um die realen Gegenstände als reale geht, sondern um deren schematische Funktion und Modellcharakter, ist klar. Zudem ist darauf hin112
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Der dihairetische Rationalitätstypus
zuweisen, daß anschauliche Vorstellungen, sowohl räumliche wie zeitliche, bereits der reinen Logik in Form von Über-, Unter- und Nebenordnung der Begriffe im Klassifikationssystem zugrunde liegen. Ohne sie wären zudem Umfangsbestimmungen und Vergleiche sowie die sukzessiv durchgeführte Dihairesis unverständlich. Wir sprechen in bezugauf das Begriffssystem von linker und rechter Seite, von oben und unten, von engeren und weiteren Begriffsumfängen, wir verwenden das anschauliche Bild der Begriffspyramide und des Gliederbaums, das lineare Modell wie auch das Kreis- und Spiralenmodell, um den Gedankenkreis oder den circulus vitiosus und die petitio principii auszudrücken. Dieser Appell an die Anschauung bereits in der Logik ist keineswegs bloße Metaphorik, sondern für das Verständnis von Sub- und Koordination usw. notwendig. Eine Vermittlungsposition zwischen analytischer und synthetischer Methode nimmt Leibniz mit seinem Kalkülbegriff ein, wie er ihn in der mathesis universalis entwirft. Obgleich Leibniz eine Reduktion der Mathematik auf Logik vornimmt, intendiert er mit der Mathematik kein rein analytisches, dihairetisch-deduktives Explikationssystem nach Art der euklidischen Axiomatik; vielmehr möchte er ein synthetisches Moment des Erkennens einbringen, dergestalt, daß die Begriffsanalyse zugleich die Kriterien einer sach- und gegenstandsbezogenen Erkenntnis liefert. Dies sei anhand von Leibniz' Raumvorstellung demonstriert. Phänomenale Räumlichkeit wie Distanz, Entfernung, Extension überhaupt gelten Leibniz nicht als primäre, sondern als sekundäre Charaktere, abgeleitet aus logischen Ordnungsverhältnissen. Die Grundbestandteile seiner Logik in ihrer spezifischen Anwendung auf den Raum sind Lage und Relation. Aus diesem Minimum an Grundelementen ergibt sich für ihn ein Maximum an Bestimmungen. So ist die Gerade Ausdruck einer bestimmten Ordnungsfunktion von Punkten, Resultat eines eindeutig geregelten Übergangs von einem Punkt zum anderen. Richtung, Ebene, jede Raumfigur versteht sich in funktioneller Abhängigkeit von zwei oder mehreren Punkten. Der Raum selbst ist ein geordnetes Beziehungsgeflecht von Stellen, was bedeutet, daß jede Stelle durch interne Beziehungen zu jeder anderen in einem Ordnungsgefüge festgelegt ist. Eine Stelle bestimmt sich nicht durch ihre Relation zum vorgängig gegebenen, umfassenden phänomenalen Raum, sondern ist gleichursprünglich mit dem gesamten Stellensystem. Wenn sich damit der Kalkül einerseits von der konstruktiven Methode unterscheidet, die den Raum als Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
gegebene Anschauung voraussetzt, um in ihr ihre Begriffe darzustellen, so unterscheidet er sich andererseits von der rein axiomatischen Methode dadurch, daß er nicht wie sie aus einem einzigen Ursprung in Form einer linearen Kette sequentieller Abhängigkeit Folgesätze ableitet, also aus Einheit Vielheit deduziert, sondern Vielheit auf derselben Ebene ansetzt und so zur Bestimmung einer jeden Stelle das Gesamtsystem verlangt. Vielheit wird hier nicht auf eine ausgezeichnete externe Einheit reliert, sondern ist der Einheit immanent. Daß bei dieser holistisch-ästhetischen Konzeption der theologische Gedanke der visio beatifica, der seligen Schau, Pate gestanden hat, unterliegt keinem Zweifel. Wenn die analytische Methode aus einer endlichen Menge von Basissätzen eine Unendlichkeit von Aussagen ableiten muß, so verfügt der Kalkül von Anfang an mit wenigen Grundbestandteilen über unbegrenzt viele Alternativen, die zudem relational definiert sind. 48 Die mathematische Rationalität, ob es sich um die logische Axiomatik, die formale Konstruktion im vorausgesetzten Anschauungsraum oder den Kalkül handelt, ist wie der rein logisch-dihairetische Rationalitätstypus eine formale Methode, vom Konkreten ablösbar und universell applikabel. Sie ist allgemeinverständlich, generell überprüfbar und intersubjektiv mitteilbar. Ihre Plausibilität erklärt sich aus der Evidenz genau wie bei der logisch-dihairetischen Rationalität, nicht zuletzt deswegen, weil die eine wie die andere Anschaulichkeit beansprucht.
48
Vgl. zu den unterschiedlichen Methoden und Systemkonzeptionen N. Rescher:
Cognitive Systematization: A systems-theoretic approach to a coherentist theory of knowledge, Totowa, N.# J., 1979; ders.: The Systematization of Knowledge, in: Philosophy in Context. An Experiment in Teaching, Bd. 6 (1977), S. 20-42. Rescher nutzt die
Kategorien des Fundamentalismus und Kohärentismus zur unterscheidenden Abhebung.
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3. Kapitel Der dialektische Rationalitätstypus
1. Grundstruktur Neben dem dihairetischen Rationalitätstypus findet sich in Platons Werk, insbesondere in den Spätdialogen Sophistes und Parmenides, noch ein weiterer Rationalitätstypus, der dialektische. Zusammen mit dem ersten bildet er das methodische Instrumentarium der von Platon unter dem Begriff ('naA.Ex:nxij 'tEXV'YJ »dialektische Kunst« oder »Philosophie« zusammengefaßten Wissenschaft, die das gesamte Vernunftsystem ausmacht. Ebenso wie die dihairetische Methode operiert die dialektische mit Gattungen und Arten, jedoch mit dem Unterschied, daß der Gattungsumfang in den Artumfängen erhalten bleibt und diese trotz der inhaltlichen Spezifikation umfangmäßig das Ganze bezeichnen. Obwohl die Arten inhaltlich Teile des Gattungsganzen bilden und sich demnach auch umfangmäßig die Sphäre teilen sollten, repräsentieren sie jede für sich das Ganze. Genau genommen repräsentieren sie es nicht nur, sondern sind das Ganze, das sie unter einem je verschiedenen Aspekt darstellen. 1 Insofern legt sich hier die Rede nicht so sehr von quantitativen Teilen eines Ganzen nahe, die den Inbegriff des Ganzen bilden,-als vielmehr von Aspekten oder Momenten einer Totalität. Das differenzbildende Gefälle zwischen Gattung und Arten, das für die dihairetische Konstruktion typisch ist, wird hier nivelliert, insofern die Arten umfangmäßig selbst Gattungsbegriffe sind und die Gattung nichts anderes ist als die Artbegriffe. Die Koinzidenz von Gattung und Arten ist nur unter der Prämisse möglich, daß nicht wie im dihairetischen Rationalitätsmodell eine einzige oberste, allumfassende Gattung supponiert wird, von Angesichts dieser Eigentümlichkeit, die mit der pars-pro-toto-Funktion im Mythos Ähnlichkeit aufweist, zeigt sich hier eine Verwandtschaft zum mythisch-analogischen Denken. Denn auch im Mythos bedeutet, genauer ist ein Korn die gesamte Ernte, der Ölbaum Athenes auf der Akropolis die Gesamtheit der Ölbäume Griechenlands und ein Erdklumpen das gesamte Feld. .
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Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
der auszugehen ist, sondern mehrere, mindestens zwei, wenn nicht beliebig viele gleichrangige. Die Kompossibilität gleichursprünglicher und gleichuniverseller Gattungsbegriffe aber kann nur gedacht werden in Form einer Überlagerung oder Überlappung, einer Wechselimplikation, die Platon G"Uf.lJtJ"ox~ "tWV yevö':lv nennt, Zusammenflechtung, Netzwerk höchster Begriffe. Von außen betrachtet zeigt sich das Eine-Ganze in sich gespalten in eine Vielheit von Momenten, in denen es aber andererseits als Ganzes erhalten bleibt und somit immer schon über die Entzweiten, Gespalteten wieder mit sich zusammengegangen ist. Seine Grundstruktur ist das EV cha, für FichVgl. W. Hartkopf: Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik, a. a. 0.; W. Janke: Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx, Berlin, New York 1977, S. 100ff.; ders.: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin, New York 1993, S. 187ff.; K. Gloy: Der Streit um den Zugang zum Absoluten. Fichtes indirekte Hegel-Kritik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 36 (1982), S. 25-48.
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Der dialektische Rationalitätstypus
te sogar der Ursprungsort und das Paradigma dieser Struktur. Seiner Verfassung nach ist das Selbstbewußtsein eine organische Einheit mit interner Zweiheit (Vielheit), Differenz und Relationalität. Indem das Bewußtsein in der Funktion des Subjekts von sich ausgeht und auf sich in der Funktion des Objekts zurückkommt, ohne sich in der Vielheit und Differenz zu verlieren, geht es über die Differenten wieder mit sich zusammen zur nunmehr gefüllten Einheit und Identität. Seine Selbstreferenz, die über die Beziehung zum Anderen zu sich zurück verläuft, erweist sich so als eine Selbstbeziehung mit Einschluß der Fremdbeziehung. Allerdings gibt es einen Unterschied in der Auslegung dieser Konzeption zwischen Fichte und Hegel (Gleiches gilt für Schelling). Während das Selbstbewußtsein bei Fichte die Gesamtheit der Welt impliziert, so daß die Dialektik speziell als Ich-Dialektik auftritt, fällt es bei Hegel und SeheHing mit der Welt zusammen, ist also mit dem Anderen seiner selbst identisch, was deren Dialektik zu einer Universaldialektik macht, die in der Einheit von Reflexions- und Seinsdialektik, subjektiver und objektiver besteht. Sie entgeht so dem Vorwurf der Subjektivität, den Hegel dem subjektiven Subjekt-Objekt Fichtes nicht ersparen kann. In dem von Walter Schulz herausgegebenen Briefwechsel zwischen Fichte und Schelling aus den Jahren 1800 bis 1802 ist dieser Positionsunterschied auf eine prägnante Formel gebracht: Entweder Ich= Alles oder Alles= Ich; entweder ist Alles im Ich und auf dieses reduzierbar bzw. aus diesem deduzierbar, somit das Ich Alles - dies ist Fichtes Position -, oder Alles ist Ich, hat die Struktur des Ich, der Subjekt-Objekt-Einheit, wie dies grundsätzlich Schellings und auch Hegels Position entspricht. Schelling hat seine Version im genannten Briefwechsel unter Verkehrung der Fichteschen Position in dem Satz formuliert: »Es wird offenbar, daß alles wirklich nur in demselben lebt und webt und in welchem hohen Sinne alles= Ich und nur= Ich seye.« 65 (2.) Das zweite Charakteristikum der Fichteschen Dialektik im Vergleich zu der Hegels läßt sich mittels der Termini von innerer und äußerer Reflexion fixieren. Während Hegel einen internen Standpunkt bezieht, indem er sich auf den sukzessiven Explikationsprozeß einläßt und dessen Bewegung mitvollzieht und so zwingend zu einer Prozeßdialektik gelangt, die auch »Werdens- und Geschehensdialek" Fichte-Schelling-Briefwechsel, hrsg. von W. Schulz, Frankfurt a. M. 1968, S. 122 (Brief vorn 24. Mai 1801). Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
tik« 66 genannt wird, ist bei Fichte ein Wechsel der Standpunkte zu konstatieren, derart, daß er bezüglich der dialektischen Grundsynthese einen internen Standpunkt einnimmt, der ähnlich wie der Hegelsche den Prozeß der Selbstkonstitution und -explikation des Selbstbewußtseins mitvollzieht, und bezüglich der weiteren Synthesen, deren Auffächerung auf der Basis und im Rahmen der konstituierten Grundsynthese erfolgt, einen externen, der aufgrund seiner Externität einen beliebigen Perspektivenwechsel gestattet. Hier im Verfolg der weiteren Synthesen haben wir es mit einer arbiträren Überblicksdialektik zu tun, die, was Ausgangspunkt und Übergang betrifft, Anklänge an Platons Schaukelsystem erkennen läßt. Fichte spricht von einem »Schweben«, weil es gleichgültig sei, ob man bei A ansetze und zu B übergehe oder umgekehrt bei B und zu A übergehe. 67 Das Schweben setzt das gleichursprüngliche Bestehen aller dialektischen Glieder voraus, die nur sukzessiv expliziert werden. Daß es sich hier tatsächlich um einen äußeren Standpunkt mit einer äußerlich bleibenden Darstellung handelt, geht aus dem Umstand hervor, daß der Wiederanschluß des explizierten Systems an den unexplizierten Systemgrund mißlingt. Während Hegel aufgrund des Mitgehens mit der Kreisbewegung den Anschluß des Endes jeder Triade an deren Anfang und so insgesamt des Endes aller Triaden, der absoluten Idee, an den Anfang, das Sein, zeigen kann, bleibt Fichte die Herstellung der spekulativen Einheit versagt. Sie wird lediglich am Schluß der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre im praktischen Teil in Form des Sollens postuliert. Das hat Fichtes Dialektik das Ansehen eingetragen, bloß »analytisch« zu sein, nicht wie Hegels »analytisch-synthetisch« 68 • Zwar müssen auch in Fichtes System die reduktionistisch aus den Systemableitungen gewonnenen Systemprinzipien, die Grundsätze des Systems, legitimiert werden und können dies nur deduktionistisch anhand eben jener Ableitungen, aus denen sie gewonnen " W. Hartkopf: Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik, a.a.O., S. 198, vgl. S. 204, 206. 67 Vgl. Fichtes Werke, hrsg. von I. H. Fichte, 11 Bde., Berlin 1971 (fotomechanischer Nachdruck von Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von I. H. Fichte, 8 Bde., Berlin 1845/1846, und Johann Gottlieb Fichtes nachgelassene Werke, hrsg. von I. H. Fichte, 3 Bde., Bonn 1834/1835) [abgekürzt: Werke], Bd. 1, S. 216, 217. 68 Zur Kritik der Fichteschen Dialektik vgl. E. von Hartmann: Über die dialektische Methode. Historisch-kritische Untersuchungen, 1868, 2. Auf!. Bad Sachsa 1912, S. 27 f.; R. Kroner: Von Kant bis Hege/, a. a. 0., Bd. 1, S. 402 f.
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Der dialektische Rationalitätstypus
wurden, also anhand des vollständig ausgearbeiteten Systems, was zu einer Zirkelbewegung und immanenten Selbstbegründung führt. Jedoch ist diese Redundanz von anderer Art als die dialektische Kreisbewegung Hegels. Sie erfolgt von außen, nicht wie bei Regel von innen. Das hängt damit zusammen, daß Hegels Dialektik echte Widerspruchsdialektik ist, deren Glieder, da sie jeweils das Ganze zu sein beanspruchen, sich aufheben und gleichwohl, da das Ganze nicht definitiv untergeht, sich auch wieder setzen in einem ununterbrochenen Prozeß von Selbstaufhebung und Selbstsetzung. Um den Wiederanschluß des explizierten Begriffs an den Anfang zu ermöglichen, bedarf es der Zusammennahme und Zusammenziehung desselben. Bei Fichte hingegen bestätigt sich zwar auch die Grundsynthese in allen ihren Spezifikationen, doch expandiert das System mit zunehmender Ableitung, ohne daß es bei dem externen Standpunkt gelänge, das Ende wieder in den Anfang zurückzuschlingen. Hierzu bedarf es vielmehr des dezidierten Willensaktes. Hingegen kann man Fichte als Verdienst anrechnen, die für die neuzeitliche Dialektik unwegdenkbaren Operationen der These, Antithese und Synthese, d. h. der Setzung, Entgegensetzung und Zusammensetzung, die Regel wie selbstverständlich benutzt, nicht aber deduziert, erstmals durch Fundierung im Selbstbewußtsein als Tathandlungen des aktiven Ich legitimiert zu haben. Sie werden in den drei das Selbstbewußtsein konstituierenden Grundsätzen artikuliert: erstens das Ich setzt sich selbst, zweitens das Ich setzt sich ein NichtIch entgegen, und drittens das Ich setzt im Ich einem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. 69 Zwischen den drei Grundsätzen besteht ein bestimmtes Stufungs- und Abhängigkeitsverhältnis, das Aufschluß über die Art des Zusammenhangs und über die Internverfassung des Selbstbewußtseins gibt. Während der erste Grundsatz für absolut, d. h. in jeder Hinsicht, formaler wie materialer, für unbedingt gilt, gilt der zweite in formaler Hinsicht für unbedingt, in materialer hingegen für bedingt und abhängig vom ersten. Das erklärt sich daraus, daß die Handlung der Entgegensetzung stets eine Handlung der Setzung voraussetzt. Während jene material auf die Selbstsetzung des Ich angewiesen ist und dies durch das Nicht-Ich als bezogen auf das Ich ausdrückt, ist die Struktur der Entgegensetzung, die die Negationsform beinhaltet, aus der ersten Setzung unableitbar. Die Negation ist 69
Vgl. Fichte: Werke, Bd. 1, S. 98, 104, 110.
Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
die der Entgegensetzung und nur ihr eigentümliche Form. Der dritte Grundsatz hingegen gilt in materialer Hinsicht für unbedingt, in formaler für bedingt. Seine formale Verfassung resultiert aus der Aufgabe der Vermittlung der beiden vorangehenden Sätze, was nur durch Teilung der Gesamtsphäre, mithin durch quantitative Einschränkung möglich ist. Mit der Handlung der Zusammensetzung geht daher die Handlung der Teilung und Einschränkung einher, was dazu geführt hat, diese Dialektikart auch als »limitative Dialektik«70 zu bezeichnen. Die Tatsache, daß der dritte Grundsatz material unabhängig sein soll, obwohl der zweite Grundsatz bereits material abhängig war, läßt darauf schließen, daß hier unter Wiederaufnahme des unendlichen, unbegrenzten Ich des ersten Grundsatzes eine Setzung der Teilsphären von endlichem Ich und endlichem Nicht-Ich, nämlich Welt, erfolgt. Zugleich wird deutlich, daß hier keine Widerspruchsdialektik im Sinne Begelseher Provenienz vorliegt, die sich in einer einsinnigen Abhängigkeitskette über Selbstsetzung, Selbstnegation, Negation der Negation und Selbstwiedereinsetzung konstituierte, sondern eine Gegensatzdialektik, insofern zweiter und dritter Grundsatz wegen ihrer relativen Abhängigkeit - der eine in materialer Hinsicht, der andere in formaler -gleichwertig sind. Trotz des Kreisgangs deutet sich schon hier bei der Grundlegung ein Unterschied zwischen Fichtesund Hegels Dialektiktypus an, insofern als der eine Philosoph sich völlig auf den Prozeß einläßt, der andere eine Distanz zu ihm bewahrt. Ebenso entscheidend wie die Fundierung der dialektischen Grundoperationen in den Bewußtseinsaktivitäten ist der Nachweis, daß die formale Logik und ihre Axiome, die die Struktur der Objekte prägen, in den dialektischen Strukturen des Selbstbewußtseins begründet sind. Mit diesem Programm einer Reduktion der Objektstrukturen auf Bewußtseinsstrukturen findet die formale axiomatische Logik eine Verankerung in der umfassenderen dialektischen Logik. Als Axiome der formalen Logik gelten der Satz der Identität »A =A«, der Satz des auszuschließenden Widerspruchs »A #non A« und der Satz des ausgeschlossenen Dritten »wenn A, dann nicht non A, wenn non A, dann nicht A«. Der erste Grundsatz, der Identitätssatz, der die Selbstgleichheit eines Dinges oder Sachverhalts mit 70 W. ]anke: Historische Dialektik, a. a. 0., S. 100 ff.; ders.: Vom Bilde des Absoluten, a.a.O., S.l87ff.
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Der dialektische Rationalitätstypus
sich ausdrückt, hat ein Pendant in der Selbstidentität des Ich (Ich= Ich). Ein Unterschied zwischen beiden besteht jedoch darin, daß der erste einen hypothetischen Charakter hat und nur unter der Bedingung gilt, daß A existiert, wobei zweifelhaft ist, ob A wirklich existiert. Im Falle des Ich aber gibt es gar keine andere Möglichkeit als die Annahme der Existenz des Ich, da andernfalls keine logische Operation, weder die der Identifikation noch irgendeine andere, vollzogen werden könnte. Das Existenzurteil »Ich bin«, das aus der Selbstsetzung hervorgeht, ist daher die unerläßliche Voraussetzung aller Identität. Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs »A =f non A« besagt, daß keinem Ding, das durch ein bestimmtes Prädikat A charakterisiert ist, ein kontradiktorisches - non A - zugesprochen werden darf. Der geforderte Ausschluß, die Negation des Negats, läßt sich, wie früher gezeigt wurde 71 , nur vor dem Hintergrund des formallogischen Systems der durchgängigen Bestimmung aller Dinge verständlich machen, das vorsieht, daß jedem Ding von allen möglichen Prädikaten das eine zukommt, das andere nicht. Nur unter der Prämisse eines geschlossenen alternativen Systems steht fest, daß im Falle der Negation von A die Position des kontadiktorischen Gegenteils, also die Entgegensetzung von A, gegeben ist. Es ist diese Grundoperation, die Fichte benutzt, um den formallogischen Satz des auszuschließenden Widerspruchs in der transzendentalen Handlung der Entgegensetzung, nämlich der Setzung des Anderen zum Ersten, zu begründen. Von echtem Widerspruch kann hier nicht die Rede sein, sondern nur von Entgegensetzung. Denn Widerspruch würde bedeuten, daß in bezug auf dasselbe - hier das Ich - Kontradiktorisches, nämlich Ich und Nicht-Ich, ausgesagt würde, wohingegen es hier um die positive Setzung des aus der Negation gewonnenen NichtIch, der Natur, der Welt, außerhalb des Ich geht. Auch hier zeigt sich noch einmal, daß Fichtes Dialektik im Unterschied zu der Hegels keine Widerspruchsdialektik ist, welche die Selbstaufhebung einschließt, sondern Entgegensetzungsdialektik ohne Selbstaufhebung. Freilich soll damit nicht gesagt sein, daß es nicht bei allen Sätzen um Handlungen des Ich ginge, sowohl beim ersten um die Selbstsetzung wie auch beim zweiten um die Selbstentgegensetzung, die sich damit als interne Entgegensetzung entpuppt. Der dritte formallogische Grundsatz, eigentlich der Satz vorn 71
Vgl. 5. 77f. dieser Arbeit.
Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
ausgeschlossenen Dritten (»entweder A oder non A, ein Drittes ist unmöglich«), findet seine transzendentalphilosophische Begründung im Satz vom zureichenden Grund »A zum Teil non A und non A zum Teil A«, der die vorausgehenden Antithesen durch Teilung der Gesamtsphäre vermittelt. Daß auch hier zum Verständnis der Fundierungsbeziehung des formallogischen Satzes im transzendentallogischen das System der durchgängigen Bestimmung aller Dinge den Hintergrund bildet, versteht sich von selbst. Die Vermittlung erfolgt über die Grundoperationen der Analyse und Synthese; denn Vermittlung ist ein Vergleich Unterschiedener im Hinblick auf ein gemeinsames Drittes, dadurch daß in den Verschiedenen das Gleiche und im Gleichen das Verschiedene herausgestellt wird. Keine Synthese ohne Analyse und keine Analyse ohne Synthese. »Die Antithesis besteht ja darin«, sagt Fichte, »dass in Gleichen das entgegengesetzte Merkmal aufgesucht wird; aber die Gleichen wären nicht gleich, wenn sie nicht erst durch eine synthetische Handlung gleichgesetzt wären.« 72 Da Analyse und Synthese als Grundoperationen des Spezifikationsverfahrens der dihairetischen Logik gelten, nämlich als Einteilung der Gattung in Arten und Zusammennahme dieser zur Gattung, zeigt sich auch hier die Verankerung der dihairetischen Logik in der dialektischen, allerdings ohne daß die Spezifikation schon zum Vollzug käme. Gleichwohl bildet das in der Internstruktur des Selbstbewußtseins verankerte Analyse-Synthese-Verfahren das Fundament für die nachfolgenden internen Spezifikationen der Grundtriade. Mit dem Aufweis der triplizitären Struktur von Setzung, Entgegensetzung und Zusammensetzung ist der Aufbau der dialektischen Grundform abgeschlossen, der im Ganzen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre eine Zäsur markiert. Die weiteren Explikationen sind nur im Rahmen dieser Grundsynthese verständlich als deren interne Auffächerung aufgrund eines immer tieferen Eindringens in die Internverfassung des Ich. Die von jetzt ab leitende Methode ist die eines spezifizierenden Herabsteigens, wobei das dichotomische Spezifikationsgesetz der formalen Logik verbindlich ist. Welche der beiden Seiten der Spezifikation jedoch zunächst thematisiert wird und welche danach und nach welchem Prinzip der Spezifikation überhaupt verfahren wird, bleibt undeterminiert. Vorgegangen wird heu72
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G. W. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschafts/ehre, in: Werke, Bd. 1, S. 113.
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Der dialektische Rationalitätstypus
ristisch nach einem grundsätzlich offenen, experimentierenden Verfahren, indem durch Perspektivenwechsel, durch Verlagerung des Interesses neue Aspekte an der Grundsynthese aufgewiesen werden,. die bislang noch keine Berücksichtigung fanden. Dieser grundsätzlich suchende, tastende Charakter der Fortbestimmung der Grundsynthese ist allerdings auch Hegels Wissenschaft der Logik eigen. 73 Gemäß dem genannten Spezifikationsverfahren wird die ursprüngliche Synthese zergliedert, jedoch nicht einfach in die Teile, aus denen sie besteht, sondern unter Wahrung ihrer Einheit unter einem neuen, bisher noch nicht thematisierten Aspekt. Die erste konkrete Gliederung, die sich auf diese Weise ergibt, führt zum theoretischen und praktischen Teil der Wissenschaftslehre, indem bezüglich des sich selbst limitierenden Ich, das ein teilbares Ich und ein teilbares Nicht-Ich in sich vereint, der Akzent zum einen auf die Beschränkung und Bestimmung des Ich durch das Nicht-Ich, zum anderen auf die Beschränkung und Bestimmung des Nicht-Ich durch das Ich gesetzt wird. Die Verfolgung der weiteren Analysen im theoretischen Teil ergibt, daß das durch das Nicht-Ich bestimmte Ich, welches kraft der sich erhaltenden Synthese aber Selbstbestimmung bleibt, in die Teilsätze zerfällt »das Ich bestimmt sich selbst«, was der Spontaneität des Ich entspricht, und »das Nicht-Ich bestimmt das Ich«, was die Affektion und Bestimmung durch das Objekt ausdrückt. Die aufgrund der Wechselseitigkeit weiterbestimmte Synthese bezeichnet die Relation der Wechselwirkung zwischen Ich und Nicht-Ich. Diese selbst zerlegt sich wiederum in zwei Teile, einerseits unter Akzentuierung der Bestimmung des Ich durch das Nicht-Ich, andererseits unter Akzentuierung der Selbstbestimmung des Ich. Unter der Dominanz der ersteren resultieren in diesem Teil die Alternativen: »Das Nicht-Ich hat Realität« und »das Nicht-Ich hat keine Realität«, welche zusammengenommen die Ursache- Wirkungsrelation zwischen Natur und Ich ergeben, nämlich die Kategorie der Kausalität, wonach das Nicht-Ich Realität hat, sofern und soweit das Ich leidet. W. Hartkopf: Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik, a. a. 0., S. 188 ff., hat dieses Verfahren in Zusammenhang mit der regula falsi gebracht. Bei dieser handelt es sich um eine Korrekturmethode, die die definitive Lösung über eine fortgesetzte Korrektur ansteuert, wobei der zweite Lösungsvorschlag den ersten plus einer ersten Korrektur enthält (L2 = L1 + K1 ), der dritte die zweite Lösung plus einer zweiten Korrektur (L3 = L2 + K2 ) usw. Ein Unterschied besteht allerdings darin, daß es sich bei Fichte nicht um einfache Korrekturen handelt, sondern um Synthesen.
73
Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
Unter der Dominanz der zweiten Bestimmung ergeben sich in diesem Teil die Alternativen: »Das Ich ist bestimmend (tätig)«- »das Ich ist bestimmt (leidend)«, welche zusammengefaßt werden in der Relation von Substanz und Akzidens. Das Ich leidet durch Selbsteinschränkung und Minderung seiner Tätigkeit, was sich in einem begrenzten Prädikat ausdrückt. Denn »insofern das Ich betrachtet wird, als den ganzen, schlechthin bestimmten Umkreis aller Realitäten umfassend, ist es Substanz«, und »inwiefern es in eine nicht schlechthin bestimmte Sphäre [... ] dieses Umkreises gesetzt wird, insofern ist es aceidenteil [ ... ]« 74 • Schematisch resultiert folgendes Bild: Ich
Realität
/~ Ich
Nicht-Ich
Negation
~/
/------
Limitation
im Ich teilbares Ich und teilbares Nicht-Ich Ich wird bestimmt durch Nicht-Ich (theoretischer Teil) = Ich bestimmt sich als bestimmt durch Nicht-Ich
~
-----._
Ich bestimmt sich selbst (Spontaneität)
-----._
Ich bestimmt Nicht-Ich (praktischer Teil)
Nicht-Ich bestimmt Ich (Affektion)
~
Wechselwirkung
~
-----._ Nicht-Ich bestimmt Ich =Ich bestimmt durch Nicht-Ich
Ich bestimmt sich selbst
/~
/~ Ich ist bestimmend
Ich ist bestimmt
Nicht-Ich hat keine Realität
Nicht-Ich hat Realität
~// Ich leidet durch eingeschränkte Tätigkeit (Substanz -Akzidens)
Nicht-Ich hat Realität soweit Ich leidet (Ursache- Wirkung)
Fichte: Werke, Bd. 1, S. 142. Hier liegt ein Verhältnis von Substanz und Akzidens vor, das im Unterschied zum traditionellen Modell der Bezogenheit der Akzidenzien auf eine gemeinsame Substanz das Modell der Teilung einer substantiellen Gesamtsphäre in akzidentelle Teile ist.
74
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Der dialektische Rationalitätstypus
Die Schwierigkeit einer Konzeption absteigender dichotomischer Spezifikation, wie sie hier vorliegt, besteht darin, daß wie bei dem rein dichotomischen Dihairesisverfahren der formalen Logik, welches zu einem Stufensystem führt, ein Ende des Fortschritts nicht abzusehen ist, selbst wenn die Spezifikation durch die dialektische Grundtriade gehalten wird. Die lineare Denkform gestattet keinen Abschluß. Das Aufhören der Fortbestimmung im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre und der Übergang zum praktischen Teil stellen einen Abbruch und Akt der Willkür dar, was ebenso für das Ende des praktischen Teils gilt. Mutatis mutandis einer Fregeschen Formulierung könnte man hier von einer »ungesättigten Lösung« sprechen. Wie aus der Fortbestimmung der Grundsynthese im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre ersichtlich wird, geht mit dieser eine Deduktion der Kategorien einher, und zwar speziell der Relationskategorien: der Wechselwirkung, der Kausalität und des Substanz-Akzidens-Schemas. Auch die zugrundeliegende Grundsynthese und ihre Glieder lassen die Zuordnung von Kategorien erkennen, und zwar der Qualitätskategorien: Realität, Negation und Limitation, wobei die letztere auch als Quantitätskategorie gelesen werden kann, da qualitative Bestimmung und quantitative Einschränkung Hand in Hand gehen. 75 Außer der kategorialen Deduktion läßt sich zumindest in rudimentärer Form eine Herleitung der Urteile konstatieren, und zwar der qualitativen: des positiven, des negativen und des unendlichen Urteils, derart, daß das positive oder affirmative Urteil in Gestalt der Tautologie »A = A«, der Gleichheit von Subjekt und Prädikat, mit der These der Selbstsetzung des Ich in Zusammenhang gebracht werden kann, das negative Urteil als Absprechen von etwas (# A) mit der Antithese, die immer auch, trotz der positiven Entgegensetzung, ein negatives Moment aufweist, während das unendliche Urteil, das, aus Kants transzendentaler Urteilstafel stammend, die Position des Negats bedeutet und hierfür einen unendlichen Raum verlangt, mit der limitativen Synthese in Verbindung gebracht werden kann, da der Boden der Limitation ein unendlicher ist.
75 Schon in Kants Kategorientafel wechselt die dritte Qualitätskategorie in das Genus der Quantität über und scheint daher fehl am Platze zu sein, es sei denn, man verbindet qualitative Begrenzung stets mit Einschränkung und umgekehrt.
Vernunft und das Andere der Vernunft
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4. Kapitel Der metaparadoxale Rationalitätstypus
1. Paradoxie - ein eigener Vernunfttypus oder die Grundstruktur der Dialektild
Blieben im Vorangehenden trotz aller Bemühungen um die methodische Explikation von Dialektikstrukturen diese letztlich doch dem Kontext metaphysischer Systeme ontologischer; geist- oder bewußtseinstheoretischer Art verhaftet, dann wird die Frage unabwendbar, ob sich generelle dialektische Strukturen unabhängig vom jeweiligen System herauskristallisieren und für sich exponieren lassen. Hier bietet sich das Paradox an, das auch außerhalb von Systemen, die für speziell dialektisch gelten, auftritt. Es ist zu eruieren, ob die paradoxale Struktur Dreh- und Angelpunkt der Dialektik ist, also die Grundstruktur derselben, oder noch eine darüber hinausgehende Methode, die einen eigenständigen Denktypus begründet, der Dialektik impliziert, ähnlich wie die Dialektik Spezifikation impliziert.
Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, lautet ein von Paul Geyer und Roland Hagenbüchle herausgegebener Sammelband. 1 In der Tat stellen Paradoxien eine Zumutung für das normale Denken dar, was sich schon in ihrer Namengebung ausdrückt. IlaQaÖol;ov meint das, was wider die gewöhnliche Meinung oder Ansicht ist, was nicht erwartet wird und daher psychologisch mit einem Überraschungseffekt verbunden ist, der als Stachel und Ansporn für das gewöhnliche Nachdenken dient, nicht selten aber auch als Indiz einer Krise des Denkens empfunden wird. Diese kritisch-negative Seite teilt das Paradox mit anderen mehr oder weniger verwandten Operationen wie der Antinomie, dem Dilemma, der Ironie usw. 2 Die größte Nähe scheint zur DialekP. Geyer und R. Hagenbüchle (Hrsg.): Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, Tübingen 1992. 2 In der Literatur werden Paradoxien oft mit Antinomien in Zusammenhang gebracht, indem sie teils mit ihnen konfundiert, teils von ihnen unterschieden werden, wobei Paradoxie als der weitere Begriff, Antinomie als der engere gilt (vgl. G. Vollmer: Paradoxien und Antinomien. Stolpersteine auf dem Weg zur Wahrheit, in: P. Geyer und R. Hagenbüchle (Hrsg.): Das Paradox, a. a. 0., S. 159-189, bes. S. 161). Zur Begründung wird
1
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ALBER PHILOSOPHIE
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Der metaparadoxale Rationalitätstypus
tik zu bestehen. Hierauf hat bereits Platon im Parmenides-Dialog hingewiesen, wenn er die Zenanisehen Paradoxien bezüglich Einheit und Vielheit in Verbindung mit Begriff und Programm der ()LaA.Ex'tLX~ 'tEXV'YJ bringt. Während jedoch die Zenanisehen Paradoxien aus einer Inkompatibilät von Anschauung und Intellekt, Extentionalität und Punktualität erwachsen, insofern z. B. ein Mensch gegenüber anderen Menschen auf anschaulich-phänomenaler Ebene einer ist und gleichwohl hinsichtlich seiner begreifbaren Teile Vieles, steigert sich die Merkwüdigkeit noch, wenn sich die Ambivalenz auf logischbegrifflicher Ebene zeigt und der Begriff »Eines« selbst auch Vieles ist. Dies nötigt zu einer Klärung des Verhältnisses von Dialektik und Paradoxie, wobei sich mehrere Möglichkeiten abzeichnen: auf den Namen verwiesen, der im Falle der Paradoxie (:n:aQU ö6l;av) das meint, was der Erwartung zuwiderläuft, während Antinomie (av'tl VO!!OV) im strengeren Sinne das bezeichnet, was dem Gesetz zuwider ist. Da jedoch weder die Etymologie noch die gerade im Falle der Antinomie außerordentlich wechselvolle Bedeutungsgeschichte ein hinreichendes und verbindliches Abgrenzungskriterium bildet, kommt man um eine gewisse definitorische Festlegung nicht herum. Angesichts der Tatsache, daß im Gegenwartsbewußtsein die Kantischen Antinomien aus der Kritik der reinen Vernunft eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen und zum Gemeingut avanciert sind, kann ihre Konstruktionsweise bei Abgrenzungsfragen nicht außer acht bleiben. Kants kosmologische Antinomien: erstens die Welt hat einen Anfang in Raum und Zeit I hat keinen Anfang in Raum und Zeit, zweitens die Welt ist unendlich teilbar I besteht aus letzten, unteilbaren Elementen, drittens alles in der Welt erfolgt gemäß dem Determinismus I erfolgt gemäß der Freiheit, viertens alles in der Welt ist zufällig I ist notwendig, bedienen sich des Entweder-oder, indem sie einem Subjekt (der Welt) widersprüchliche Prädikate zusprechen, welche beide gleichermaßen Plausibilität beanspruchen. Ihr jeweiliger Beweis erfolgt apagogisch über die Widerlegung des Gegenteils. Während die Antinomien an das Substanz-Akzidens-Modell anknüpfen, indem sie einer selbständigen Substanz kontradiktorische Bestimmungen zusprechen, die als solche unabhängig voneinander sind, allenfalls über den apagogischen Beweis miteinander zusammenhängen, sind Paradoxien so geformt, daß ihre kontradiktorischen Bestimmungen ineinandergreifen und über eine Interdependenz ein selbstreferentielles Bestimmungsgeflecht bilden. Sie nehmen das Selbstreferenzmodell für sich in Anspruch, das inkompatible Momente in sich enthält. Der Selbstbezug der Momente hat hier das Substanz-Akzidens-Modell ersetzt. Zugrunde liegt die Idee eines Ganzen, das sich in sich selbst spaltet und über die Gespaltenen wieder mit sich zusammengeht. Diese Festlegung gilt unabhängig davon, ob die Paradoxien einem äußeren oder inneren Reflexionsstandpunkt entspringen, d. h. ob das Begriffsgeflecht alternativ expliziert wird oder in Form eines einsinnigen Prozesses. - Als Dilemma wird meist eine Situation definiert, die ausweglos ist, weil die alternativen Möglichkeiten gleichgewichtig sind und beide inakzeptabel. Da dies häufig bei Paradoxien der Fall ist, stehen die fraglichen Begriffe oft austauschbar (vgl. das Gefangenenparadox oder das Gefangenendilemma).- Die Ironie ist eine Denk- und Sprachfigur, die in sich umkippt, indem das explizit Gesagte das Gegenteil meint sowohl in positiver wie negativer Absicht. Zur Ironie vgl. S. 245 f., 256 dieser Arbeit. Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
(1.) Die Paradoxie in Form der Inkompatibilität von Anschauung und Intellekt stellt eine Propädeutik zur Dialektik dar, welche im eigentlichen Sinne auf logischer Ebene stattfindet. (2.) Die Paradoxie fällt mit der Dialektik zusammen, indem sie deren Grundoperation, sozusagen deren Scharnier bildet. (3.) Die Paradoxie übersteigt die logische Dialektik, indem sie nicht nur deren Grundoperation bildet, sondern auf diese selbst noch anwendbar ist in Form einer Dialektik der Dialektik oder Paradoxie der Paradoxie und zum Resultat die Aufhebung von Dialektik bzw. Paradoxie hat. Dialektik bzw. Paradoxie gründete dann in einem Nichtdialektischen bzw. Nichtparadoxalen, das transrational als Indifferenz, Unvordenklichkeit zu bezeichnen wäre. Die Dialektik oder Paradoxie wäre dann insofern selbst paradox, als sie an sich undialektisch bzw. nichtparadox wäre. Die beiden letzteren Operationen pflegt man als positive und negative Dialektik voneinander abzuheben. 3 Um die Frage nach der Eigenständigkeit oder Uneigenständigkeit der Paradoxie zu entscheiden, gilt es zunächst, einen Überblick über die verschiedenartigen in der Geschichte aufgetretenen und als Paradoxien behandelten Phänomene zu gewinnen, zumal die Paradoxien zumeist selbständig und unabhängig von der Dialektik als Kuriositäten auftreten.
2. Kurzbeschreibung der Paradoxien Die ersten historisch für uns faßbaren Paradoxien tauchen im Zusammenhang mit dem Bewegungsphänomen auf. Wenn es bei Heraklit in den fragmentarisch überlieferten Sprüchen heißt: »Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen«\ »in dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind nicht« 5 oder »denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und wieder andere Wasserfluten zu« 6 , so wird hier die Zusammennahme unvereinbarer, mithin widersprüchlicher Vorstellungen, der von Vgl. Th. Adorno: Negative Dialektik, in: Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt a. M. 1973. 4 Heraklit: Fragment B 22 [12], 91 in: W. Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch-deutsch von H. Diels, Bd. 1, 18. Auf!. 1989, S. 171. 5 Fragm. B 22 [12], 49a, a. a. 0., Bd. 1, S. 161. ' Fragm. 22 [12], 12, a. a. 0., Bd. 1, S. 154.
3
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Der metaparadoxale Rationalitätstypus
Identität und Differenz, Konstanz und Variabilität artikuliert. Der phänomenale Fluß als Ganzes ist einer und derselbe, gleichbleibend, unveränderlich und zugleich hinsichtlich seiner intellektuell differenzierbaren Teile Vieles, immer Anderes, veränderlich. Der Sachverhalt läßt sich auch in der Form wiedergeben, daß die Vorstellung der Allbewegung selbst unbewegt ist in unaufhebbarern Widerspruch zu sich; denn würde auch sie sich bewegen, also verändern, so stünden dem Nonsens Tür und Tor offen. Die Bedeutung der Vorstellung »Allbewegung«, die auch für sie selbst qua Vorstellung gelten müßte, trifft auf sie gerade nicht zu, wenn sie Gültigkeit haben soll. Zenon hat in der Absicht, die parmenideische These von der alleinigen Herrschaft des Seins und mit ihm der Ruhe, Einheit und Identität zu erweisen, die immanente Widersprüchlichkeit der herakliteischen Gegenthese von der Bewegung und der mit ihr einhergehenden Vielheit und Differenz anhand einer Reihe von Argurnentationen aufgezeigt, die mit der Inkompatibilität von Ruhe und Bewegung, (phänomenaler) Einheit/Ganzheit und (intellektueller) Vielheit, begrifflicher Gleichmächtigkeit und phänomenaler Relativität operieren. Das erste der vier Argumente, das unter dem Namen »fliegender Pfeil« bekannt ist, besagt, daß ein Pfeil. der während seines Fluges in jedem Augenblick in einem bestimmten Punkt ist, in diesem ruht, also im Widerspruch zur Annahme nicht fliegt. Das Argument wird auch in der Form vorgetragen, daß eine endliche Strecke nicht über unendlich viele Punkte oder Teile zurückgelegt werden kann. Der Vorstellungen von Einheit und Vielheit, Endlichkeit und Unendlichkeit bedient sich insbesondere das zweite, sogenannte Dichotomie-Argument. Es demonstriert, daß jemand, um an das Ende einer Strecke zu gelangen, zunächst zum Mittelpunkt M derselben gelangen muß, um diesen zu erreichen, zunächst zum Mittelpunkt M1 der vorausliegenden Strecke, um an diesen zu gelangen, zunächst zum Mittelpunkt M 2 der ersten Hälfte und so in infinitum. Das Argument läßt sich auch umkehren und dann als unendliche Approximation an das Ziellesen auf der Basis, daß der Läufer stets zunächst den Mittelpunkt der jeweils zweiten Streckenhälfte erreichen muß. In beiden Fällen ist eine Unendlichkeit von Teilen bzw. Punkten zu durchqueren, um eine endliche Strecke zu durchmessen, was absurd ist. Dasselbe trifft nicht nur auf die räumliche Strecke zu, sondern auch auf die Zeitspanne. Die beiden anderen komplexeren Argumente nehmen das bisVernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
herige Argumentationspotential Ruhe und Bewegung, Einheit und Vielheit, Endlichkeit und Unendlichkeit zusammen. Mit »Achill und der Schildkröte« soll bewiesen werden, daß der Schnellere den Langsameren bei einem Vorsprung desselben niemals einholt; denn wenn Achill den Ausgangspunkt der Schildkröte erreicht hat, ist diese bereits ein Stückehen weitergelaufen. Obwohl sich Achill sukzessiv der Schildkröte nähert, vermag er sie doch nie zu erreichen. Zum einen läßt das Argument die Interpretation zu, daß endliche Strecken- hier zwei - niemals über unendlich viele Punkte und Teile überwunden werden können, zum anderen die, daß trotz Gleichmächtigkeit der Punkte und Teile, nämlich unendlich vieler, beide dennoch verschiedene Extensionen aufweisen, also nicht gleich sind, was, auf Bewegung und Ruhe übertragen, bedeutet, daß die Schildkröte mit ihrer kleineren Strecke sich nicht nur bewegt, sondern auch ruht. Letztere Gedankenfigur wird noch deutlicher am »Stadion-Argument«. In einem Stadion befinden sich drei Läuferstaffeln A, B, C mit gleich vielen Elementen, deren eine ruht, die beiden anderen sich gegeneinander bewegen. Die Staffel B passiert in bezug auf die ruhende Staffel A in derselben Zeit halb so viele Elemente wie in bezug auf die ihr entgegenkommende Staffel C, so daß die Hälfte gleich dem Ganzen oder das Einfache gleich dem Doppelten ist. Sie muß also während der halben Zeit geruht haben, um im einen Fall nur die halbe Anzahl der Elemente, im anderen Fall die gesamte Anzahl zu passieren, oder, in bezug auf die zurückgelegte Strecke formuliert, die halben Raumteile übersprungen haben. Dies läßt sich auch so ausdrücken, daß die Gleichmächtigkeit der Elemente mit einer Unterschiedlichkeit von Raum- und Zeitextension verbunden ist, was widersprüchlich ist. 7 Nicht mittels qualitativer und quantitativer Bestimmungen wie Ruhe und Bewegung, Identität und Differenz, Einheit und Vielheit wie in den Bewegungsparadoxien, sondern mittels epistemischer Modalitäten werden die sogenannten epistemologischen Paradoxien formuliert, wie sie von Sokrates' Ausspruch »Ich weiß, daß ich nichts weiß« 8 bekannt sind oder von Gorgias' sophistisch-eristischem Satz, daß man nicht lernen könne, was man nicht wisse; denn wisse man etwas, so brauche man es nicht zu lernen, und wisse man es nicht, so Zu den Zenanisehen Paradoxien vgl. K. Gloy: Aristoteles' Zenon-Kritik, in: Perspektiven der Philosophie, Neues Jahrbuch, Bd. 10 (1984), S. 229-248. 8 Vgl. Platon: Apologie 21 b, 21 d, 29 b. 7
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Der metaparadoxale Rationalitätstypus
könne man das Nichtgewußte auch nicht lernen, da man gar nicht wisse, wonach man suchen solle, und gesetzt den Fall, man träfe zufällig auf das Gesuchte, so könnte man es mangels eines Wissens von dem, was man sucht, nicht als solches identifizieren. 9 Diese epistemologischen Paradoxien setzen sich in Nicolaus Cusanus docta ignorantia, der gelehrten Unwissenheit, fort. Die epistemologischen Paradoxien leiten zur Gruppe der semantischen Paradoxien über, die mit semantischen Ausdrücken wie »ich sage«, »ich lüge«, »ist wahr« usw. operieren. Am berühmtesten ist die Lügnerparadoxie, die u. a. von Paulus im Titus-Brief 1,12 überliefert wird. Es heißt dort: »Es hat einer von ihnen [Kretern] gesagt, ihr eigener Prophet: Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche.« 10 Diese Paradoxie läßt sich auch auf die Kurzformel bringen: »Ein Kreter steht auf dem Marktplatz und sagt: Alle Kreter lügen.« Da die Aussage, daß alle Kreter lügen, auch auf den Aussagenden selbst zutrifft, besteht ihre Wahrheit darin, daß auch er lügt. Der Wahrheitsanspruch der Aussage besteht gerade in der Lüge. Lügt der Kreter, so sagt er die Wahrheit, sagt er die Wahrheit, so lügt er. Der Satz hat eine Vielzahl von Modifikationen erfahren, u. a. mittels der Formulierung »ich lüge«. Sage ich, wenn ich lüge und die Lüge auf mich beziehe, die Wahrheit oder die Falschheit? Oder »dieser Satz ist falsch (nicht wahr)«, ist er dann wahr oder falsch? Oder »der links- bzw. rückseitig geschriebene Satz besagt, daß der rechts bzw. vorderseitig geschriebene Satz falsch sei, dieser aber besagt, daß der andere wahr sei«. Ist der erste Satz, der den zweiten Satz als falsch qualifiziert, richtig, so ist der zweite Satz falsch. Wenn der zweite Satz falsch ist, ist auch der erste falsch. Wenn aber der erste falsch ist, dann ist der zweite wahr, und dann ist auch der erste Satz wahr. Jeder der Sätze ist gerade dann wahr, wenn er falsch ist, und dann falsch, wenn er wahr ist. 11 In die Kategorie der semantischen Paradoxien gehört auch die von Grelling 1908 formulierte Paradoxie des Heterologischen, die, obwohl sie sich explizit nur der Eigenschaftsworte und nicht semantischer Ausdrücke bedient, doch implizit solche enthält. In der SpraVgl. Platon: Menon 80 d f. Die Paradoxie ist auch von Eubulides ca. 350 v. Chr. überliefert, und auch unter dem Namen »Epimedes MM. Da MM alle Mengen enthält, muß sie auch P (MM) und alle Elemente davon enthalten, also gilt auch P (MM) < MM im Widerspruch zu P (MM) > MM. Russells berühmte Formulierung der Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, hat die Form MR E MR +-+ MR f; MR. Ist R die Menge aller jener Mengen, die nicht Element ihrer selbst sind, so gilt, was immer X sein mag: »X ist ein R« verhält sich äquivalent zu »X ist nicht ein X«. Gibt man X den Wert R, so gilt »R ist ein R« ist äquivalent mit »Rist nicht ein R«.- Dasselbe läßt sich auch für Kardinal-, Ordinalzahlen und abstrakte Begriffe formulieren: Bilde die Menge aller Kardinalzahlen MK (Ordinalzahlen, abstrakten Begriffe), dann gibt es eine Kardinalzahl (Ordinalzahl, einen abstrakten Begriff), die größer ist als alle Kardinalzahlen (Ordinalzahlen, abstrakten Begriffe), also als sie selbst. Diese ist dann sowohl Kardinalzahl wie auch nicht Kardinalzahl (Gleiches gilt für die Ordinalzahl und den abstrakten Begriff), was ein Widerspruch ist. Eine populäre Einkleidung der Russellschen Paradoxie stellt der Dorfbarbier dar, der alle Männer des Dorfes rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert er sich selbst oder nicht? Auch der sogenannte Russellsche Katalog, der alle Kataloge verzeichnet, die sich nicht selbst verzeichnen, gehört hierher. Verzeichnet er sich nun selbst oder nicht? Zählen die vorgenannten Paradoxien zum Bereich der Logik und Mathematik, so werden neuerdings in der Biologie und Soziologie im Rahmen der Systemtheorie rekursive Vorgänge, sogenannte Schleifen, wie Selbstproduktion, Selbsterhaltung, Selbstregeneration, Selbstorganisation (Autopoiesis) als Vorgänge von paradoxaler Struktur erörtert. Es handelt sich um Vorgänge der Selbstbeziehung, selbst wenn sie temporal oder evolutionär sind. Paradoxien ergeben sich aufgrund der Überlegung, daß das selbstreferentielle System auf der Relation »System- Umwelt« basiert. So kann beispielsweise die Entstehung und Erhaltung einer Zelle als Ergebnis des Zellstoffwechsels angesehen werden, der seinerseits nur möglich ist, wenn die Zelle eine Einheit bildet und eine Grenze gegenüber der Umwelt hat und so überhaupt erst die Voraussetzung für den Stoffwechsel schafft. Anders gesagt, die Zellmembran muß gleicherweise trennend wie durchlässig sein, trennend, wenn sie durchlässig für Nahrung, Materie-, Energieaustausch, Information sein soll, durchlässig, wenn sie ihre Abgrenzung als geschlossenes System beibehalten will. Vernunft und das Andere der Vernunft
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Dasselbe läßt sich deutlicher noch über die Selbstbezüglichkeit artikulieren, für die das Selbstbewußtsein innerhalb der Bewußtseinstheorie das Paradigma bildet. Selbstbewußtsein ist die Beziehung des Bewußtseins auf ein Objekt, welches in diesem signifikanten Fall das Bewußtsein selbst ist, so daß die Selbstbeziehung die Objekt- oder Fremdbeziehung einschließt. Selbstbeziehung ist Selbstbeziehung und Fremdbeziehung in einem. Wenn immer dieses Selbstbewußtsein sich selbst thematisieren will, muß es einen Standpunkt außerhalb seiner einnehmen, zwischen dem und dem thematisierten Objekt sich eine Objekt- oder Fremdbeziehung herstellt, die in die Selbstbeziehung eingeholt werden muß im Widerspruch zu sich, und so in einem infiniten Regreß, genauer einem externen infiniten Regreß. Außer der Gedankenfigur der Einheit von Selbst- und Fremdbeziehung bedient sich die Beschreibung des Selbstbewußtseins der Konstruktion einer Identität aus Identität und Differenz. Die Umkehrung dieser Regelsehen Formel zu der von Differenz aus Identität und Differenz hat Luhmann 17 in der Systemtheorie vorgenommen, indem er die Differenzstruktur »System- Umwelt« auf das System selbst anwendet und dieses zur Umwelt erklärt, bezüglich deren sich wieder ein System konstituiert. Auf diese Weise gelangt er zu einem internen Regreß, bei dem das Paradox ein inhärentes Moment der Systemtheorie ist. Die Beispiele für Paradoxien lassen sich vermehren. 18 Während Vgl. N. Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1987, 2. Auf!. 1988, bes. S. 593 ff.; ders.: Paradigmenwechsel in der Systemtheorie. Ein Paradigma für Fortschritt?, in: R. Herzog und R. Koselleck (Hrsg.): Epochenschwelle und Epochenbewußtsein (Poetik und Hermeneutik, Bd. 12), München 1987, S. 305-322. 18 Außer den bisher genannten Paradoxien werden häufig Phänomene aufgeführt, die teils dem Wahrnehmungsbereich, teils dem religiösen, teils dem rhetorisch-stilistischen angehören. Obwohl auch sie oft als Paradoxe angesprochen werden: als Wahrnehmungsparadoxe, religiöse, stilistische Paradoxe und mit Widerspruchsstrukturen operieren, stellen sie doch nur uneigentliche Paradoxe dar, da sie bei genauerer Untersuchung nicht die typischen Merkmale echter Paradoxien aufweisen wie z. B. Selbstbezüglichkeit. Oft enthalten sie nur eine äußerliche Zusammenstellung von Widersprüchlichem wie das Oxymoron »bitter-süße Liebe« oder überraschende Pointierungen wie Schillers Worte des Konfuzius: »Nur Beharrung führt zum Ziel, Nur die Fülle führt zur Klarheit Und im Abgrund wohnt die Wahrheit« (F. Schiller: Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke hrsg. von G. Fricke und H. G. Göpfert in Verbindung mit H. Stubenrauch, 5 Bde., München 1958-1959, Bd. 1,
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es sich bei den bisher aufgeführten Fällen teils um solche handelt, die zwischen Anschauung und Verstand spielen, teils um rationale mit den Untergruppen der logisch-mathematischen bzw. mengentheoretischen und der semantischen Paradoxien, gibt es noch eine dritte Gruppe, die sich jedoch erst später bei der Selbstanwendung der Paradoxien erklären und beschreiben läßt, die der Metaparadoxien, die die Beziehung zwischen Verstand und unvordenklichem Grund betreffen. Das Einteilungsprinzip für diese drei Gruppen ergibt sich bei allen aus der spannungsreichen Beziehung zwischen begrenzender Ratio (Verstand) und unbegrenztem Untergrund, mag er sinnlich als Anschauung oder übersinnlich als unvordenklicher Grund auftreten. Die Grenze zwischen Vernunft und dem Anderen der Vernunft wird hier in die Operation einbezogen.
3. Struktur und Mechanismus der Paradoxien
So umfangreich und vielfältig die Forschungsliteratur zum Paradoxienproblem in diesem Jahrhundert aufgrund der Grundlagenkrise der Logik und Mathematik auch sein mag, so muß doch registriert werden, daß die meisten Untersuchungen der Sammlung und Sichtung der Paradoxien auf den verschiedensten Gebieten sowie dem Versuch ihrer »Lösung« dienen, nicht jedoch der Analyse ihrer Struktur und der Erörterung des Mechanismus ihres Zustandekommens, obwohl man meinen sollte, daß dies die Voraussetzung zur Lösung sei. 19 Die Freilegung von Struktur und Mechanismus der PaS. 227), oder sie bilden die anschaulich-emotionale Grundlage für Widerspruch wie doppeldeutige Phänomene, Kippfiguren, Vexierspiele, religiöse Phänomene. Hier können sie außer acht bleiben. Zum Teil finden sie ihre Erörterung unter dem analogischen Rationalitätstypus, vgl. S. 229 f. dieser Arbeit. Eine Übersicht über die eigentlichen Paradoxien liefert M. Pirie: The Book of Fallacy: A Training Manual for Intellectual Subversives, London 1985; G. Vollmer: Paradoxien und Antinomien. Stolpersteine auf dem Weg zur Wahrheit, in: P. Geyer und R. Hagenbüchle (Hrsg.): Das Paradox, a.a.O., 5.159-189, bes. 5.173ff.; R. Hagenbüchle: Was heißt »paradox«? Eine Standortbestimmung, in: P. Geyer und R. Hagenbüchle (Hrsg.): Das Paradox, a.a. 0., S. 27-43. 19 Ausnahmen stellen die Arbeit von R. Heiß über den Mechanismus der Paradoxienbildung (Der Mechanismus der Paradoxien und das Gesetz der Paradoxienbildung, in: Philosophischer Anzeiger, Bd. 2 [1927/28], S. 403-433) und die Arbeiten von D. Henrich über die Negation der Negation bei Hege! dar: Formen der Negation in Hegels Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
radoxienbildung muß daher vordringliche Aufgabe sein, wenn die Frage entschieden werden soll, ob Paradoxien vermeidbar oder unvermeidbar seien und ob sie die Grundoperation von Dialektik überhaupt bilden. (1.) Die Paradoxie bezieht sich stets auf ein Totalitätsphänomen und kommt zustande, wenn eine Ganzheitsaussage bezüglich eines bestimmten Bereichs artikuliert wird. Dies gilt gleicherweise für den anschaulichen wie für den begrifflichen Bereich, unangesehen, wie groß derselbe ist. Als Paradigmen gelten daher vorzüglich die quantitativen Paradoxien von der Art der mengentheoretischen oder der Größenaussagen, die entweder in rein arithmetischer oder geometrischer Form als Allaussagen vorkommen und eine Aussage über den gewählten Gesamtbereich machen. Auch wenn Paradoxien nicht rein mathematisch formuliert werden, sondern in anderer Gestalt auftreten, bedienen sie sich oft der Allaussage und lassen bereits durch die Formulierung ihren Anspruch auf den Gesamtbereich erkennen, wie z. B. der Allsatz »alle Kreter lügen«. Dabei ist es gleichgültig, ob der Totalitätsanspruch durch ein Allurteil oder durch ein singuläres Urteil ausgedrückt wird. Entweder füllen alle Aussagensubjekte zusammen die Sphäre (Menge, Klasse) oder bereits ein einziges. 20 Daher wird das Lügner-Paradox einfachheitshalber oft formuliert: »ich lüge« oder »dieser Satz ist falsch (nicht wahr)«, »der Satz auf der Rückseite qualifiziert den Satz auf der Vorderseite als falsch, dieser qualifiziert jenen als richtig«. Hier erfolgt die Formulierung mittels eines Personalpronomens der ersten Person singularis oder eines Demonstrativpronomens (»dieser«) oder einer spezifizierenden Angabe (»der Satz auf der Rückseite - der Satz auf der Vorderseite«), die als indexikalische Wörter ein Logik, in: Hegel-]ahrbuch 1974, S. 245-256 (Nachdruck in: R.-P. Horstmann [Hrsg.]: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, 2. Auf!. Frankfurt a. M. 1989, S. 213229); ders.: Substantivierte und doppelte Negation, in: H. Weinrich (Hrsg.): Positionen der Negativität (Poetik und Hermeneutik, Bd. 6), München 1975, S. 481-487; ders.: Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, in: Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für W. Marx, Harnburg 1976, S. 208-230. Heide sind jedoch unzureichend, indem Heiß nur Paradoxientypen behandelt, die auf Negation basieren, und Henrich mit der doppelten absoluten Negation nur bei Aussagen auf aussagenlogischer Ebene bleibt. Eine exzellente, hochsubtile Arbeit über das Paradox hat M. Bachmann: Die Antinomie logischer Grundsätze. Ein Beitrag zum Verhältnis von Axiomatik und Dialektik, Bonn 1998, vorgelegt. 20 Wenn Kant transzendentalphilosophisch zwischen iudicium universale und iudicium singulare unterscheidet, so fallen doch formallogisch beide zusammen.
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ganz bestimmtes Subjekt bezeichnen, das die intendierte Gesamtsphäre ausmacht. Außer den expliziten Totalitätsaussagen mittels All- oder Einzelurteilen begegnen implizite Totalitätsaussagen, bei denen gleichwohl der Totalitätscharakter durchscheint, sei es über eine Bedingung, einen Vertrag, eine Abmachung oder Absprache, die den Rahmen abstecken. Im Falle von Euathlus ist es der Vertrag, der für alle stattfindenden Gerichtsverhandlungen einschließlich der zwischen Euathlus und dem Sophisten gilt, im Falle des Krokodils ist es die Forderung nach allen richtigen Prognosen, im Falle des Gefangenenparadoxes die Absprache des Staatsanwaltes, die alle möglichen Alternativen umfaßt. Selbst wenn eine solche rahmenabsteckende Bedingung nicht expressis verbis formuliert ist wie bei qualitativen, epistemologischen, bewußtseinstheoretischen und anderen Paradoxien, ist sie latent vorhanden und kann leicht ins Bewußtsein gehoben werden. Die Grellingsche Paradoxie des Heterologischen meint die Gesamtsphäre des Heterologischen, die durch den Begriff benannt wird, die Paradoxie des Wissens des Nichtwissens bezeichnet den gesamten Bereich des Wißbaren, der in Abgrenzung vom Nichtwißbaren die Grenze zu diesem bereits überstiegen hat und insofern auch dieses einschließt. (2.) Die dem Paradox zugrundeliegende explizite oder implizite Totalitätsaussage ist mit einem Selbstbezug verbunden, sei es in Form einer Selbstimplikation, Selbstprädikation, Selbstaussage, eines Selbstbewußtseins u. ä. Wenn alle möglichen Fälle einer Sphäre angesprochen sind, so daß nichts ausgeschlossen bleibt, zu dem noch eine Beziehung hergestellt werden könnte, stellt sich notwendig ein Selbstbezug ein. Wenn die Aussage ausnahmslos für alle Subjekte der Sphäre gilt bzw. für das eine einzige, das die Gesamtsphäre konstituiert, so bezieht sich die Aussage auf sich selbst. Mengentheoretisch läßt sich der Sachverhalt so ausdrücken, daß die Allmenge Element ihrer selbst ist, sich selbst mit einschließt. Analog gilt für die anderen in Allsatzform formulierten Paradoxien wie »alle Kreter lügen«, daß die Aussage der Lüge auch auf den Aussagenden selbst zutrifft und diesen mit umfaßt. Bei der Größenparadoxie bezeichnet das, was größer ist als alles Große, nicht nur das Ganze, sondern schließt sich selbst als Teil ein. Kann wie bei singulären Aussagen nicht mit der Struktur »Menge/Element«, »Klasse/Einzelfall«, »Ganzes/Teil« operiert werden, so muß der Unterschied an der singulären Aussage selbst festVernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
gemacht werden, sei es als Unterschied zwischen Aussageform und Aussageinhalt, Subjekt und Prädikat, Selbstbezug und Fremdbezug oder ähnlichem. So resultiert die Paradoxie des Heterologischen daraus, daß das Heterologisch-Sein nicht nur von allen konkreten Einzelfällen, die unter diesen Begriff fallen, gilt, sondern vom Begriff »heterologisch« selbst: Das Heterologische selbst ist heterologisch. Dadurch daß seine Bedeutung auf es selbst zutrifft, ist es ein Fall seiner selbst: Es ist das, was es ausdrückt. Wie im Hegeischen spekulativen Satz fungiert hier das Prädikat als Subjekt und das Subjekt als Prädikat, indem beide ihre Stellen vertauschen. Und in dem Paradox »dieser Satz ist falsch« ist es das qualifizierende Satzprädikat »ist falsch«, das auf das Satzsubjekt »dieser (falsche) Satz« appliziert wird und es zum Anwendungsfall seiner selbst macht. (3.) Die Tatsache, daß Allaussagen bzw. ihre Synonyme (Einzelaussagen, Ganzheitsaussagen) stets Indiz von Selbstbezüglichkeit sind und umgekehrt Selbstbezüglichkeit Indiz von Allaussagen ist, beide sich also wechselseitig implizieren, weist sie als konstitutive Momente der Paradoxie aus. Sie sind aber nicht die einzigen; zu ihnen gehören weitere an der Wechselimplikation beteiligte äquivalente Ausdrücke wie Einheit, Identität, Gleichheit mit sich, Ruhe, auf bewußtseinstheoretischer Ebene Selbstbewußtsein usw.; denn das Ganze ist stets auch eines (Alleinheit), sich selbst gleich, mit sich identisch, in sich ruhend, sich seiner selbst bewußt usw. So kann die Allbewegung selbst nicht bewegt sein, sondern muß in sich verharren, also ruhen, oder absolute Vielheit muß als Totalität stets auch eines sein. Es gibt eine unbestimmte Anzahl positiver Begriffe, die aufgrundihrer Wechselimplikation explizit oder implizit an der Paradoxienbildung beteiligt sind und an die Reihe positiver Ideen in Platons OUflJtAO%~ 'tWV yevwv oder an das jeweils erste Triadenglied in Hegels spekulativer Dialektik erinnern und damit zugleich einen Hinweis auf die Nähe der Paradoxien zur Dialektik geben. (4.) Auffallend an den Paradoxiebeispielen ist neben der Verwendung positiver Momente die Formulierung mit Negationen wie Lüge, Unwahrheit - auch Wahn, Halluzination, Einbildung, Traum usw. gehören hierher-, »ist falsch«, »ist nicht wahr« usw. Dies hat nicht selten zu der Meinung geführt, daß Allform bzw. Selbstbezüglichkeit und Negation die konstitutiven Momente der Paradoxiebildung seien. 21 Dies ist jedoch nur bedingt richtig. Sieht man genauer 21
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Vgl. R. Heiß: Der Mechanismus der Paradoxien und das Gesetz der Paradoxienbil-
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Der metaparadoxale Rationalitätstypus
hin, so gelten Negationen (Verneinungen) in sensu stricto nur von aussagenlogisch formulierten Paradoxien wie »ich weiß, daß ich nichts weiß«, »ich weiß, daß ich wahnsinnig bin (nicht normal bin)«, »alle Kreter lügen (sagen nicht die Wahrheit)«, »dieser Satz ist falsch (ist nicht wahr)«. Auf begriffslogischer Ebene entsprechen der Negation (dem negativen Satz) negationshaltige Ausdrücke, genauer Differenzbegriffe. Verständlich machen läßt sich dies anhand der mengentheoretischen Paradoxien, die mit »sich selbst nicht enthaltend« formuliert werden, oder anhand der Paradoxien mit der Formulierung »auf sich selbst nicht anwendbar«= »imprädikabel« oder anhand der Paradoxie des Heterologischen, die das ausdrückt, was »mit sich selbst nicht zusammenstimmt«. Diese negativen Konstruktionen lassen sich auch mit »auf anderes bezüglich«, »fremdbezüglich« wiedergeben, denen die Vorstellung einer Relation mit zwei differenten Relata zugrunde liegt. Das, was nicht sich selbst enthält, was nicht auf sich selbst anwendbar ist, was nicht mit sich selbst zusammenstimmt, enthält anderes, ist auf anderes applikabel, stimmt mit anderem zusammen, kurzum, ihm liegt die Beziehung auf anderes zugrunde, die vom Differenzbegriff Gebrauch macht. Was der Differenzbegriff und seine Synonyme: Andersheit, Verschiedenheit für den qualitativen Bereich bedeuten, bedeutet Vielheit für den quantitativen, Bewegung, Veränderung für den relationalen, Nichtwissen für den bewußtseinstheoretischen usw. Mit dieser Austauschbarkeit und Wechselimplikation operiert z. B. die Paradoxie der Allbewegung und Allveränderung, deren »Immer-in-anderem-Sein« und insofern »lmmer-Anderssein«, d.h. »sich im Übergang von einem zum anderen Befinden«, Vielheit voraussetzt. Der Reihe positiver Begriffe steht eine ebensolche negativer gegenüber: Vielheit im quantitativen Bereich, Verschiedenheit (Andersheit) im qualitativen, Bewegung, Veränderung, Fremdbeziehung im relationalen, Nichtbewußtsein im bewußtseinstheoretischen und Negation im aussagenlogischen-was wiederum auf die Reihe analoger, austauschbarer antithetischer Begriffe in Platons und Hegels Dialektik deutet. (5.) Konstitutiv für Paradoxien ist der Gegensatz: auf aussagen-
dung, a. a. 0., S. 410, 412, 416f.; G. Vollmer: Paradoxien undAntinomien, a. a. 0.,
s. 171.
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theoretischer Ebene von positiven und negativen Sätzen, auf begriffstheoretischer von positiven und negativen Begriffen. Das Entscheidende ist jedoch nicht die Gegensätzlichkeit als solche; denn diese führt auch zur Logik des Entweder-oder, wie sie in der klassischen, auf den Prinzipien der Identität, des auszuschließenden Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten basierenden dihairetischen Logik vorliegt. Da sich die Gegensatzglieder A und B das Ganze teilen, gilt dort: wenn A, dann nicht B, wenn B, dann nicht A. Im Falle der Paradoxien tritt jedoch eine Verschärfung des Gegensatzes zum Widerspruch ein. Dadurch daß jedes der beiden Gegensatzglieder Anspruch auf das Ganze erhebt, das Ganze sowohl A wie B (non A) ist, kommt es zu einem manifesten Widerspruch, der eine Logik des Sowohl-als-auch begründet. Während in der klassischen Logikjeder Satz mit dem Wahrheitswert 0 oder 1 (richtig oder falsch) versehen werden kann, was eine zweiwertige Logik zur Folge hat, die ein Drittes ausschließt, läßt sich in der paradoxalen Logik jede Bestimmung, jeder Satz zugleich als wahr wie als falsch qualifizieren. Das Resultat ist eine dreiwertige Logik. (6.) Die Explikation des Selbstwiderspruchs, der in der Gleichursprünglichkeit inkompatibler Bestimmungen besteht, läßt sich auf zweierlei Weise denken, entweder von einem externen oder einem internen Standpunkt aus, was eine Assoziation an Hegels Unterscheidung von äußerer und innerer Reflexion nahelegt. Im ersten Fall erfolgt die Explikation in Form eines alternierenden Perspektivenwechsels, indem jedes der beiden Glieder nacheinander auf seine Geltung hin überprüft wird. Paradoxien wie das »Krokodil«, der »Drache« oder das »Gefangenen-Dilemma« legen die Alternation nahe, indem sie erörtern, was folgt, wenn z. B. die Mutter die richtige Prognose macht, und was, wenn sie die falsche macht, oder was geschieht, wenn der eine Gefangene spricht, und was, wenn beide sprechen oder beide schweigen. Die alternative Behandlung sei am Beispiel des Lügners exemplifiziert. Der Satz »alle Kreter lügen« besteht aus dem positiven Element der Satzform, gleich welchen Inhalt diese hat, und dem negativen des Satzinhalts, der Lüge: - Ist der Satzinhalt, daß alle lügen, wahr, so ist die Satzform als solche falsch. - Ist der Satzinhalt, daß alle lügen, falsch, so ist die Satzform als solche wahr. - Ist die Satzform als solche wahr, so ist der Inhalt, die Lüge, falsch. 186
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Der metaparadoxale Rationalitätstypus
- Ist die Satzform als solche falsch, so ist der Inhalt, die Lüge, wahr. Satzinhalt wie Satzform sind gleicherweise wahr wie falsch. Oder nehmen wir das mengentheoretische Paradox, das sich aus der positiven Allmenge und der negativen Prädikation »sich selbst nicht enthaltend« zusammensetzt: - Ist das Prädikat »sich selbst nicht enthaltend« wahr und damit die Verifikation einer Menge, die sich selbst nicht enthält, gegeben, so ist die Behauptung der Allmenge falsch. - Ist das Prädikat »sich selbst nicht enthaltend« falsch, d. h. besteht eine solche Menge nicht, so ist die Behauptung der Allmenge wahr. - Ist die Behauptung der Allmenge wahr, so ist das Prädikat »sich selbst nicht enthaltend« falsch. - Ist die Behauptung der Allmenge falsch, so ist das Prädikat »sich selbst nicht enthaltend« wahr. Auch hier sind Prädikat wie Allmenge gleicherweise wahr wie falsch. Ebenso läßt sich die Heterologie-Paradoxie konstruieren, die aus dem positiven Element, dem Subjekt »heterologisch«, besteht, das als solches, d. h. als noch nicht qualifiziertes autologisch ist, desgleichen aus dem negativen Element, dem Prädikat »heterologisch[ ... ] metallica viuere etiam hoc argumento deprehenditur, quod in montibus non secus ac plantae nascuntur, patulis siquidem ramis, radicibus, truncis, ac 20
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Erster Teil: Rationalitätstypen
In der pseudoparacelsischen Schrift Philosophia ad Athenienses 22 findet sich eine Zuordnung diverser Dinge zu den vier Elementen. Wie diese aus einer Urmutter, dem ungeschaffenen mysterium magnum, hervorgegangen sind, so sind sie selbst auch »Mütter« für die aus ihnen hervorgehenden Dinge. So wird dem Wasser alles Wäßrige zugeordnet, Brunnen, Bäche, Meere, aber auch Fische aller Art und Steine wie Bernstein, Beryll, Kristall, Amethyst, desgleichen Steingewächse wie Korallen, sodann Flußwesen wie Nymphen und Sirenen. Der Erde kommt alles Erdartige zu, Metalle, Mineralien, Edelsteine, Pflanzen und Kräuter, Tiere und Menschen, aber auch Erdgeister wie Gnome, Nachttraute und Riesen, der Luft ihrerseits das Unsichtbare und Unbegreifliche, wozu Schicksale (fata), Eindrücke (impressiones), Träume (somnia), Gesichte (visiones) gehören, ebenso die »luftischen reden, gedanken und taten« 23 und schließlich dem Feuer das ihm Gleichartige wie der Himmel mit Sternen und Planeten, Blitz und Donner, außerdem bestimmte körperliche Wesen, bestimmte Steine wie Kalkstein und Farben. Zugleich ist es Lebens- und Wachstumselement, das sich in der Flamme als lebendige Seele zeigt. Die Zuordnung der diversen Gegenstände zu den jeweiligen Bereichen erfolgt teils aufgrund der Selbigkeit der Substanz (Wasser Bach, Meer), teils aufgrund der Selbigkeit der Eigenschaften (Luftluftige Rede), der Selbigkeit der Kräfte (Feuer- belebendes Prinzip) oder der Selbigkeit des Ortes und der Umgebung (Wasser - Wassertiere und -pflanzen). Jedes Ding hat teil am gemeinsamen Ursprung, sei es kraft seiner Herkunft aus diesem über Ableitungsstufen unter Bewahrung von Inhalten und Formen, sei es kraft Zugehörigkeit zu einem assoziativen Ganzen. 24 So ist der Fisch nicht ohne Wasser denkbar, die Pflanze nicht ohne Erdreich. Wie der erste zum Flüssiveluti floribus, ac fructibus, vt non aliud sit metallum, aut metallica substantia, quam planta sepulta [ ... ] « (Übersetzung von der Verfasserin). 22 Th. B. von Hohenheim, genannt Paracelsus: Sämtliche Werke, 1. Abt.: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hrsg. von K. Sudhoff, 14 Bde., München, Berlin 1922-1933, Reg.-Bd. von M. Müller (Nova Acta Paracelsica, Supplementum, Einsiedeln 1960), Bd. 13, S. 394-399 (Buch 1, Text 11-20). 23 A. a. 0. S. 398 (Buch 1, Text 19). 24 Ein Beispiel für diese Auffassung begegnet noch in Goethes weltanschaulichen Gedichten (Goethes Wer/ce. Hamburger Ausgabe, a. a. 0., Bd. 1, S. 367): »Wär nicht das Auge sonnenhaft Die Sonne könnt' es nie erblicken; Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt' uns Göttliches entzücken?
>Diese Frau glich in vielen Punkten der Venus von Melos: sie ist auch außerordentlich alt, hat ebenfalls keine Zähne und auf der gelblichen Oberfläche ihres Körpers einige weiße Flecken.« 65
In dieselbe Kategorie gehört der von Freud erzählte, aus dem Wiener Milieu der Jahrhundertwende stammende Judenwitz, in dem ein Schadchen, einjüdischer Heiratsvermittler, auftritt und dem Heiratskandidaten die Braut anpreist, indem er diesen durch das elterliche Haus der Braut führt und auf die kostbaren Möbel sowie einen Glasschrank mit schwerem Silber aufmerksam macht: »>Da, schauen Sie hin, an diesen Sachen können Sie sehen, wie reich diese Leute sind.Aberwäre es denn nicht möglich, daß diese schönen Sachen nur für die Gelegenheit zusammengeborgt sind, um den Eindruck des Reichtums zu machen?Was fällt Ihnen ein?< antwortet der Vermittler abweisend. >Wer wird denn den Leuten was borgenf>Hast du genommen ein Bad?« Der andere entgegnet: >>Wieso? fehlt eins?« (S. Freud, a. a. 0., S. 64.) Die Komik des Witzes erschließt sich nur bei Kenntnis der deutschen Sprache, die außer dem selbständigen, starken Gebrauch des Wortes >>nehmen« im Sinne von >>wegnehmen« den schwachen, zum Hilfsverb herabgesetzten Gebrauch in Kombination mit anderen Wörtern kennt, z. B. >>ein Bad nehmen«. Der Witz kollabiert sofort bei Substitution von >>Bad nehmen« durch >>baden«. So aber wird der Witz doppeldeutig durch die Verschiebung des Akzents von der abgeschwächten auf die volle Bedeutung. 68 S. Freud: Zur Psychopathologie des Alltagslebens, S. 63. 69 Vgl. S. Freud: Die Traumdeutung, a. a. 0., S. 322 f. 67
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Erster Teil: Rationalitätstypen
kennbar sein. Am Ende des Traumes sind jedoch die Lilienblüten weitgehend verwelkt und abgefallen, zudem handelt es sich um rote Blüten, womit auf sexuelle Schuld angedeutet wird. Unter Beibehaltung desselben Motivs, nämlich des Lilienstengels, hat sich hier eine Wandlung von weißen zu roten Blüten, von frischen zu verwelkten vollzogen. Die Verschiebung ist hier eine farbliehe und eine dahinterstehende sexuelle. Noch einprägsamer dokumentiert der Traum »lrma« die Verschiebungsarbeit, indem hier metamorphotisch Personen verschoben werden. 70 Unter Wahrung der Identität einer bestimmten Person oder, genereller, eines Ich überhaupt verwandeln sich hier Gestalten ineinander. Die Hauptperson des Traumes, Irma, eine Patientin Freuds und von ihm in einer bestimmten Untersuchungshaltung vorgestellt, schlüpft nacheinander in verschiedene andere Personen. Zunächst nimmt sie die Gestalt einer anderen Patientin an, dann die von Freuds ältester Tochter, von dieser wechselt sie zu einer anderen, namensgleichen Patientin über, von dieser zu einem Kind, schließlich zu Freuds eigener Frau usw., bedingt jeweils durch bestimmte Assoziationen an gleiche Namen, gleiche sich anbahnende Krankheiten, gleiche Untersuchungssituationen. Solche und ähnliche Metamorphosen sind typisch für Träume, und nicht nur für diese, sondern auch für Märchen und Sagen. 71 Sie nehmen dreierlei Gestalt an: Entweder wird eine Person zur Sammelperson, die aktuelle Züge, Eigenschaften, sogar Worte anderer Personen aufnimmt und unter Beibehaltung ihres eigenen Aussehens in sich vereint, oder sie wird zur Mischperson, die sich aus den Eigenschaften zweier oder mehrerer Personen zusammensetzt 72 , oder es geht aus der Projektion zweier Personen und ihrer äußeren wie inneren Merkmale eine neue, dritte Person hervor, die die mittleren Gemeinsamkeiten repräsentiert, wobei sich die übereinstimmenden Vgl. a.a.O., S. 298. Vgl. Novalis' Roman Heinrich von Ofterdingen, wo eine ähnliche Metamorphose geschildert wird, indem der Held zur Blume, zum Tier, zum Stein, zum Stern wird (Novafis Wer/ce, hrsg. und kommentiert von G. Schulz, München 1969, 3. Aufl. 1987 auf der Grundlage der 2., neubearbeiteten Aufl. 1981, S. 283; vgl. auch S. 286, wo es heißt: »Heinrich wird im Wahnsinn Stein- [Blume] klingender Baum- goldner Widder - Heinrich errät den Sinn der Welt - Sein freiwilliger Wahnsinn. Es ist das Rätsel, was ihm aufgegeben wird.«). 72 In diese Rubrik gehören auch die Mensch-Tiergestalten der ägyptischen Mythologie, der griechischen Sagen (z. B. der Kentaur, der halb Mensch, halb Pferd ist, oder Pegasus, das geflügelte Pferd) sowie des Alten Testaments (Engel als Mensch mit Vogelflügeln). 70 71
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Der analegisehe Rationalitätstypus
Züge verstärken, die abweichenden abschwächen. 73 Ohne den durchgehenden Leitfaden einer Person in dieser oder jener Form brächen die diversen Zustände auseinander; sie ständenunverbunden nebeneinander oder tauchtenunverbunden nacheinander auf, ohne daß die Transmutation einsichtig wäre. Die Möglichkeit einer Transformation ineinander im Ausgang von einem bestimmten Zustand verlangt eine graduell sich modifizierende Grundstruktur, deren diverse aufeinanderfolgende Zustände als zunehmende Abweichung von der Ausgangssituation interpretiert werden können. Beim Traum läßt sich noch eine andere Art der Verschiebung konstatieren, nicht nur eine qualitative Modifikation, sondern auch eine räumliche und zeitliche Vertauschung der Traumteile untereinander. Hierin ist auch der Grund zu sehen, weshalb die räumliche und zeitliche Ordnung der Traumwelt eine total andere ist als die des Wachzustands. Im Traum ist es nichts Ungewöhnliches, daß sich beispielsweise ein Boot auf dem Dach eines Hauses befindet oder eine Figur ohne Kopf läuft. 74 Im übrigen ist dieser Sachverhalt aus Kinderzeichnungen und Darstellungen primitiver Völker bekanntl5 , nicht weniger aus Gemälden Wahnsinniger wie aus der hohen Kunstl 6, wo nicht selten Personen auf dem Kopf stehen oder quer durch die Luft fliegen. Nicht nur, daß Kinder und Primitive noch nicht gelernt haben, die untere, sich zugewandte Seite eines Blattes Papier als Boden zu fixieren und so den Menschen auf die Füße zu stellen, die räumliche Zu- und Anordnung scheint hier völlig belanglos zu sein, wichtig ist offensichtlich nur die jeweilige Figur vor einem Hintergrund. Dasselbe läßt sich bezüglich der zeitlichen Ordnung feststellen. Obwohl auch der Traum die zeitliche Folge kennt, braucht er sich nicht an die Wirklichkeit zu halten. Die zeitliche Folge, sei es das reine Nacheinander oder die kausale Abfolge, kann im Traum vertauscht oder auch als Simultaneität vorgestellt werden. 77 Die Bildhaftigkeit des Traumes und die mit ihr gegebene Simultaneität begünstigen gegenüber der Sukzessivität der Wirklichkeit eine zeit-. Vgl. hierzu auch S. Freud: Die Traumdeutung, a.a.O., S. 299,301. Vgl. a. a. 0., S. 284. 75 Z. B. von Indianerstämmen. 76 Z. B. von Chagall. 77 Die von S. Freud: Die Traumdeutung, a. a. 0., S. 318 ff., gegebene Erklärung, daß kausale Sequenz oft als Vor- und Haupttraum oder als Haupt- und Nachtraum begegnet, dürfte die Situation nicht genau wiedergeben. 73 74
Vernunft und das Andere der Vernunft
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Erster Teil: Rationalitätstypen
liehe Verschiebung, sogar eine gleichzeitige Darstellung aufeinanderfolgender Vorgänge. Dies ist auch der Grund, weshalb sich die Logik des Traumes grundlegend von der der Wirklichkeit und den in ihr gemeinhin für gültig erachteten Sätzen: dem Satz der Identität, des auszuschließenden Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten unterscheidet. Wie das Moment der Verdichtung und Mehrdeutigkeit des Traumes die Geltung der Gesetze der Wachlogik dementiert und im Unterschied dazu gerade Widersprüchliches, Gegensätzliches toleriert, so läßt auch das Moment der Verschiebung an die Stelle logisch-zeitlicher Folge mit Vorliebe Gleichzeitigkeit treten. 78 Fassen wir die bisher aufgezeigten Verschiebungsmöglichkeiten bei Witz, psychopathalogischen Vorgängen des Alltagslebens und Traum zusammen, so ergeben sich folgende Gesetzmäßigkeiten: erstens die räumliche und zeitliche Verschiebung unter Beibehaltung des Musters, zweitens die quantitative Verschiebung, die auch im übertragenen Sinne verstanden werden kann und zur Vergrößerung oder Verkleinerung, Über- oder Untertreibung usw. führt, und drittens die qualitative Verschiebung, die die graduelle Modifikation und Wandlung der Grundstruktur bedingt.
c) Ähnlichkeit als mimetisches Verhältnis Zum Analogiedenken gehört außer den bisher beschriebenen Formen von Ähnlichkeit noch eine andere, wie sie sich aus der semantischen Beziehung zwischen Darstellung und Darzustellendem ergibt. Auf sie läßt sich das Urbild-Abbildverhältnis anwenden. Zur Erklärung des Zustandekommens der Ebenbildlichkeit bzw. der Entsprechung hat Wittgenstein in seiner Abbildtheorie im Tractatus logico-philosophicus das Verhältnis »Sprache - Wirklichkeit« als Abbildverhältnis interpretiert. In diesem Zusammenhang hat er auch den Begriff der »Form der Abbildung« 79 eingeführt und ihn von
Dasselbe gilt für den Wahnsinn, die Paranoia usw. S. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. 0., S. 184, weist auf die Vermutung Griesingers hin, daß die Delirien Geisteskranker die Funktion der Mitteilung haben, die allerdings nur dann von uns verstanden wird, wenn wir nicht die Anforderungen des bewußten Denkens an sie stellen. 79 L. Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, Nr. 2.17, in: Schriften 1, Frankfurt
76
a. M. 1969, S. 15.
260
ALBER PHILOSOPHIE
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Der analegisehe Rationalitätstypus
dem der »Form der Darstellung« 80 unterschieden. Mit dem ersteren bezeichnet er die Gleichartigkeit, mit dem zweiten die Ungleichartigkeit. In jedem Abbildverhältnis muß es sowohl Gemeinsamkeiten wie Unterschiede geben, andernfalls, bei Suspendierung aller Differenzen, fielen beide Relata zusammen, während sie bei totaler Heterogenität inkompatibel wären. Das Eigensein des Abbildes gegenüber dem Original- die »Form der Darstellung« -ist es nun, die dessen Andersheit gegenüber dem Abzubildenden bedingt. Was jeweils als Gemeinsamkeit und was als Unterschied fungiert, hängt von empirisch-psychologischen Faktoren ab. Ist es im einen Fall die Größe, Anordnung der Elemente, Farbe u. ä., worin das Abbild dem Original gleicht, so sind es im anderen Fall gerade diese Eigenschaften, worin es sich von ihm unterscheidet. Die Abbildung zweier Fechter, die in realistisch-plastischer Darstellung außer der Größe, Haltung, Farbe noch die Plastizität wahrt, verliert bei flächenhafter Darstellung die Dreidimensionalität und bei Schwarz-Weiß-Darstellung außerdem noch die Farbe. Ein Minimum an Gemeinsamkeiten muß jedoch erhalten bleiben, um bei aller Reduktion und Abweichung den Zusammenhang zu garantieren. Dies gilt nun auch für den Traum. Zwischen Trauminhalt und Traumgedanken muß es trotz aller Verschiebung, Verstellung und Verzerrung Gemeinsamkeiten geben, mögen sie im Muster, in der Anordnung der Teile, in der Gesamtsituation oder im Detail bestehen. Ansonsten wäre eine semantische Entsprechung unmöglich. Hier stellt sich nun allerdings eine schwierige Frage, nämlich die, welches Glied innerhalb dieser Beziehung als Urbild und welches als Abbild fungiert. Freud und seine Nachfolger, u. a. auch der dem impliziten Sprachdenken Freuds aufgeschlossen gegenüberstehende Habermas 81, gehen wie selbstverständlich von der Prämisse aus, daß die retrospektiv aus der Traumdeutung gewonnenen Traumgedanken, deren Gefüge unserer normalen Wachlogik entspricht und sich daher unserem Verstehen erschließt, das Ursprüngliche und Zugrundeliegende seien, demgegenüber der oft absurd erscheinende und schwer verständliche Traum das Derivative, Verstellte und Verzerrte sei. Es läßt sich aber auch umgekehrt argumentieren, daß der Traum das Erste, Ursprüngliche, weil faktisch Vorausgehende sei und die 80
Nr. 2.173, a. a. 0., S. 16.
81
J. Habermas: Erlcenntnis und Interesse,
Frankfurt a. M. 1968, 6. Auf!. 1981, S. 274 f.,
vgl. auch S. 266. Vernunft und das Andere der Vernunft
A- 261
Erster Teil: Rationalitätstypen
assoziativ angeschlossenen Traumgedanken lediglich ein Ableitungsprodukt seien. Für die Beurteilung der Logik hat dies entscheidende Konsequenzen: Im ersten Fall gibt die normale Wachlogik mit ihrer Eindeutigkeit und Identität, ihrem Ausschluß von Widerspruch und Gegensatz sowie der Unmöglichkeit eines Dritten den Maßstab und die Orientierungsgrundlage ab, während der Traum mit seiner Mehrdeutigkeit, seinen Widersprüchen und Gegensätzen, seiner Gleichzeitigkeit des Sich-Ausschließenden als durch die Traumarbeit des Unbewußten verstellt und unverständlich gemacht gilt. Im zweiten Fall wird die Eigenständigkeit und Originalität der Traumlogik unterstellt, nicht zuletzt, weil sie sich dem analogischen Denken erschließt, während das Zustandekommen der normalen Wachlogik durch Reglementierung, Auswahl und Einspruch der kritischen Vernunft erklärt wird. Als künstliches Abstraktionsprodukt gibt sie nicht die Gesamtheit der Wirklichkeit wieder, sondern nur das, was sich dem konsistenten, kohärentenDenken fügt, während die Traumlogik gerade die Fülle des Lebens mit seiner Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit erschließt. Auffallend ist dies bei Witzen, die sich nicht durch Esprit und Feinsinnigkeit auszeichnen, sondern bloße Klangassoziationen sind oder sogar durch ausgesprochene Dummerhaftigkeit hervortreten. Zu den ersteren gehören die Kalauer. Bei ihnen handelt es sich um reine Klangspiele wie die Predigt des Kapuziners aus Wallensteins
Lager: »Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg, Wetzt lieber den Schnabel als den Sabel [... ] Der Rheinstrom ist worden zu einem Peinstrom, Die Klöster sind ausgenommene Nester, Die Bistümer sind verwandelt in Wüsttümer [... ]« 82
Ein Beispiel für die zweite Art, die sogenannten Dummerchenwitze, die den Anschein der Logik erwecken, aber auf einem Denkfehler basieren, ist der folgende: »Ein Herr kommt in eine Konditorei und läßt sich eine Torte geben; bringt dieselbe aber bald wieder und verlangt an ihrer Statt ein Gläschen Likör. Dieses trinkt er aus und will sich entfernen, ohne gezahlt zu haben. Der Ladenbesitzer hält ihn zurück. >Was wollen Sie F. Schiller: Wallensteins Lager, Vers 500 ff., in: Sämtliche Werke, a. a. 0., S. 292 f. (Vers SOOff.).
82
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Der analegisehe Rationalitätstypus
von mir?Sie sollen den Likör bezahlen.Für den habe ich Ihnen ja die Torte gegeben.< - >Die haben Sie ja auch nicht bezahlt.Die
habe ich ja auch nicht gegessen.>Räumen ist Freigabe der Orte[ ... ]sein>paradoxv'll~ 140 Euphemismus 246 Feminismus 17 Figur 52, 67, 99, 100, 221, 229, 259, 269, 272,295 Figur-Grund-Schema 290 Figur-Grund-Verhältnis 290 Fiktion 320 Form 38, 52, 64, 91, 99, 100, 119, 120, 158,198,221,222,226,255,272,273, 295 Forschungsrationalität 27 Fragment 69, 124, 269, 272, 273 Fraktal 266-269 fraktale Geometrie 264-267, 269, 272, 274, 275, 281, 284 Funktion 15, 21, 101, 112, 135, 147, 161, 197,198,219,296,303,321,322 Ganzes 32, 33, 40, 41, 51, 59, 80, 99, 100, 102, 103, 107, 115-119, 125, 129, 130, 133-137, 139-141, 144, 145, 147, 148, 151, 152, 157-159, 163, 171, 173, 174, 183, 184, 186, 187, 196, 198, 201, 213, 214,216,224,226,236,243,252,253, 273, 275, 278, 279, 282, 284, 291, 292, 297,302,315,327 Ganzheit 32, 33, 40, 53, 79, 97, 123, 127, 128,133,139,173,205,275,282 Gattung 50, 64, 76, 77, 79, 82, 87, 88, 94, 97, 108, 110, 115, 221, 231, 235, 243, 244,256,269,327 Gattungsbegriff 82, 87, 105-108, 115, 116, 118 Gedanke 47,53, 114,121,126,130,213, 219,263,284,288 Gedankenfigur 117, 121, 146, 154, 174, 180,214,242,252,299 Gefühl 16-18, 64, 250, 287, 298 Gegensatz 56, 78, 85, 117, 134, 143, 150, 186,202,219,252,255,262,289 Gegensatzdialektik 164, 201 Gegenstand 45, 46, 56, 57, 64, 67, 80, 81,
Ir 345
Sachverzeichnis 88, 94, 103, 110, 112, 135, 221, 226, 230-232,235,240,267-269,273,286, 288,301,306,318 Geist 37, 127, 141, 143, 144,301, 316 Geistdialektik 158, 160 Genesis 55, 119, 201 genitivus obiectivus 14 genitivus subiectivus 14 genus proximum per differentiam specificam 74, 76, 235 Geometrie 93, 100, 111, 112, 264-266, 269,270 euklidische 264, 267, 269, 289 fraktale s. fraktale Geometrie Riemannsche Kugel-G. 92f. Gestik 95, 287 Göttliches 15, 217, 226 Gott 10, 19, 55, 102, 127, 128, 144, 152, 153,217,226,233,298,301,303,313 Grenze 15, 85, 98, 179, 181, 198, 270, 302,326 Grund 35, 68, 88, 89, 126, 148, 181, 200, 202,204,205,243,250,295,298,300, 302,305,309,325,327 Grundsynthese 159, 162, 163, 166, 167, 169 Handeln 16, 26, 37, 39, 294 Hermetik 141, 207 Herrschaft 24, 80, 212, 295 Heterologisches 175, 176, 183-185, 187, 189, 193 Höhlengleichnis 300 Holismus 89, 92, 93 Hyperbaton 246 Hyperbel 246 Hyperrationales 294, 296, 298 Hypothese 65, 87, 89, 90, 92, 93, 111, 137-139, 288 Ich 161, 163-168, 192, 258 Ich-Dialektik 160, 161 Idealismus 158, 160, 202-204, 327 Idealität 135 Idee 37, 52, 67, 68, 88, 133-137, 140, 143, 156, 158, 162, 171, 205, 215, 230, 273,291,296,313,324,325 Ideengeflecht 133, 135, 136, 144, 145
346
ALBER PHILOSOPHIE
Imagination 18, 40 Indifferenz 172, 198, 310, 328 Individuum 50, 65, 75, 101, 106, 119, 196, 235, 269, 326 Inklusion 108, 118, 124, 127 Integration 89, 145, 151, 284 Ironie 170, 171, 241, 245, 246, 256 Irrationalismus 12 Irrationalität 264, 327, 328 Katachrese 244 Kippfigur 181, 229 Klasse 50, 74, 84, 87, 90, 94, 182, 183, 195,196,232,252,253 Klassifikation 22, 29, 30, 41, 54, 58, 59; 79, 207, 208, 282 Klassifikationsdenken 207, 221, 223, 327 Klassifikationsmethode 41, 44 Klassifikationsschema 74, 221, 292 Klassifikationssystem 61, 80, 94, 98, 100, 113,280,322 Klassifikationsversuch 25 Klassik 290 Komplexität 56, 120, 267, 274 Konstruktion 51, 66, 67, 97, 105, 107, 110, 112, 114, 115, 141, 152, 180, 185, 188,190-192,194,201,203,204,273, 279,306,321 Konstruktivismus 112 Kontingenz 280 Koordination 80, 113, 151, 212 Kosmogramm 223, 274, 276, 284, 297 Kosmos 128, 213 Kreis 52, 90, 91, 99, 108, 116, 117, 121124, 127, 131, 145, 146, 154-156, 188, 215,219,221,224,229,23~264,289
Kreis von Kreisen 146, 155, 278, 284 Kreisfläche 217 Kreislauf 120-127,131, 154, 157,219 Kreismodell 113, 117, 221, 222 Kunst 14, 18, 19, 30, 36, 42, 56, 70-74, 76, 83, 86, 87, 211, 217, 230, 236, 259, 26~265,277,284,326,327
Iapsus linguae 253 Leben 22, 120, 125, 126, 128, 131, 133, 217, 219, 221, 228, 229, 233, 241, 249, 255,301,308,314-316,319,321,324
Karen Gloy
Sachverzeichnis
Lebensprinzip 21, 22 Leib 17, 72, 84, 126 Leiblichkeit 10, 13, 16, 296, 314, 324 Liste 46, 48, 49, 54, 57, 62-64, 134 Listenmethode 41, 44, 48, 55-57, 60-62, 65,207,292 Listenwissenschaft 45, 48, 49, 56 Litotes 241, 247 Logik 34, 56, 110, 113, 141, 144, 155, 179, 181,186,205,208,232,236,26~ 262-264,278-280,283,284 analogische 284 axiomatische 44, 118, 152, 164, 195 binäre 85, 232, 308 des Witzes 263 dialektische 118, 152, 164, 166, 197, 282,284 dialektisch-spekulative 152 dihairetische 118, 166, 186, 197, 284, 323 dreiwertige 186, 233 epistemische 232 formale 44, 67, 79, 118, 153, 164, 166, 197,282 klassifikatorische 282, 283 klassisch-dihairet~~ 284 klassische 78, 178, 186, 195, 197, 230233,235,280,283,284,299 mehrwertige 230,233,281 metaparadoxale 284 paradoxale 186, 198, 199 spekulative 152 traditionelle 230, 232, 233, 279, 282, 283,322,323 zweiwertige 78, 81, 94, 118, 178, 186, 230, 232, 235 Logos 10,14,23,31-33,68,82, 127,143, 144,149,303 Logozentrismus 294 Lüge 175, 183, 184, 186-188, 190
Metalepsis 245 Metapher 20, 105, 241-243, 298, 324, 326,327 Metaphysik 16, 23, 282, 297, 302, 306 Methode 41,44,56,57,61,66,69,80,90, 91, 99, 100, 103, 110, 113, 114, 120, 132,143,146,148,166,170,198,201, 202,281,291,292,294,295,312 Metonymie 239, 241, 243 Mikrokosmos-Makrokosmos 212, 213, 217,256,273 Modell 52, 113, 117, 119, 120, 123, 124,
Macht 24, 80, 188, 212, 227, 316, 318, 319 Magie 47, 207, 283 Mathematik 34, 44, 52, 67, 68, 110-113, 178,179,181,264,272,280,289 mathesis universalis 100, 113 Mechanismus 181, 189
Objekt 38, 70, 71, 88, 111, 139, 141, 154, 161,164,180,190,192,196-198,230, 253,267-270,274,286,305 Omentafel 47 Ontodialektik 158, 160 Ontologie 67, 188, 215, 230, 309 Ontotheologie 23
Vernunft und das Andere der Vernunft
130,20~237,285,288,290,291,295,
299,305,308 modello 291 Moderne 13, 19,121, 12~295,312 Moment 19,115,123, 144-146, 148, 149, 151, 156, 159, 169, 184, 187, 189, 191, 198,203,224,238-240,26~266, 269, 285, 307, 316 Mystik 18, 121 Mythos 30-34,36,42,115,121,208, 211, 278, 324, 326 Natur 10, 16, 24, 30, 39, 57, 61, 65, 69, 100,120,121,126,138,144,165,205, 210-212,234,240,246,270,271,286288,294 Negation 77-79, 106, 116, 134, 137-139, 149, 150, 157, 164, 165, 168, 169, 181, 182, 184, 185, 188, 189, 192-194, 199, 201,202,204,22~233,241,246,252-
254 Negationsbegriff 190 Negativ-Vernünftiges 151 Negatives 149, 151, 188, 246 NewAge 12 Nicht-Ich 163-165, 167, 168 Nichts 138, 140, 141, 156, 157, 194, 195, 199,20~205,300,302
~
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Sachverzeichnis Ordnung 56, 68, 80, 98, 103, 120, 195, 217, 259, 266, 301 Ordnungsprinzip 50, 240 Ortsbewegung 81 Oxymoron 180, 239, 247 Parabel 298, 324 Paradigma 37, 39, 52, 67, 68, 86, 107, 111,121,132,143,161,182,190,216, 277,284,288,291,295 Paradigmensubstitution 12 Paradox 170, 177, 180, 182, 184, 197200,205,206 Paradoxie 170-172, 180-186, 189, 190, 193-197,199,200,213,253,300,320 bewußtseinstheoretische 183 epistemologische 174, 175, 183 Grellingsche 183 logisch-mathematische 181 mengentheoretische 178, 181, 182, 185, 187, 195, 198 qualitative 183 quantitative 182 Russellsche 179 semantische 175, 177, 181 Zenonische 128, 130, 171, 174 zirkuläre 41 Parallelismus 248 Paronomasie 247 Paronymie 239 parspro toto 33, 115, 117-119, 224, 235 Periphrase 246 Perspektive 79, 87, 94, 145, 195, 217, 264,291,319,320 Pflanze 94,95,9099-101,125,126, 208-210,212,221,222,225-228,235, 241 Phantasie 10, 17, 18, 210, 298 Philosophie 11, 14, 15, 19, 124, 126, 155, 295,299,300,302,309,310,312,313, 326,327 chinesische 289 des Geistes 156, 299, 312 griechische 31, 50, 120 idealistische 315 östliche 156, 194, 195 Physik 130, 230, 265, 281 Platonismus 312
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ALBER PHILOSOPHIE
Polymorphie 224 Polysemie 224, 311 Position 77, 103, 116, 137-140, 149, 150, 157,165,169,188,189,194,202,205, 227, 246, 253 Prädikation 78, 106, 139, 165, 176 Präsenz 306 Praxis 177, 228 Prinzip 37, 42, 58, 61, 66, 77-79, 85, 88, 94, 97, 102, 106, 108, 111, 112, 117, 118, 120, 123, 126, 137, 153, 166, 178, 197,201,202,204,266,271,274,283, 292,296,298,303,310,313,316 Prinzipiiertes 298 Projekt 321 Projektion 258 Quantenmechanik 267 Quantentheorie 234, 235, 275, 327 Rationalismus 20, 90, 264 Rationalität 11, 19, 21, 22, 24-27, 30, 32, 36,57, 120,199,207,264,273,285, 327,328 abstrakt-formale 28 anti-traditionalistische 27 dialektische 79 dialogische 28 dihairetische 76 epistemische 28 formale 26, 28 formal-logische 26, 67 hierarchisch-architektonische 28 instrumentalistische 28 kognitivistische 28 logisch -dihairetische 114 materiale 28 mathematische 26, 67, 112, 114 moralische 28 philosophisch -mathematische 67 pragmatische 29 praktisch-kommunikative 28 reflexive 29 traditonalistische 27 transzendental-philosophische 26 wissenschaftliche 96 Rationalitätskonzept 14, 25, 29, 105, 309 Rationalitätssystem 286
Karen Gloy
Sachverzeichnis
Rationalitätstypus 26, 45, 57, 68, 231, 277,279,281,283-285,288,291,292, 310,311,328 analogischer 181, 207, 208, 242, 251, 283,285,290 analogisch-mythischer 283 dialektischer 115, 327 dialektisch-strategischer 26 dichotomisch-dihairetischer 81 dihairetischer 57, 60, 67-69, 74, 105, 107,110,115,282,290,312,327 ethischer 26 europäischer 21, 30 hermeneutischer 26 linearer 60 logisch-dihairetischer 110 mathematischer 110 mathematisch-naturwissenschaftlicher 280, 283 metaparadoxaler 170 mythischer 278 philosophischer 26 prälogischer 278 präwissenschaftlicher 278 transzendental-p!agmatischer 26 wissenschaftlichelf 2ls wissenschaftlich-technologischer 26 Realismus 202-204 Realität 34, 78, 86, 89, 111, 112, 118, 125, 167-169,255 Rede 69,77,115,131,226,242,246,250, 251,253 Redefigur 242, 247, 327 Redekunst 244 Redewendung 219 Reflexion-in-anderes 145, 157 Reflexion-in-sich 145, 157, 194 Regel 12, 52, 188, 247 Regellosigkeit 11, 12 Relation 38, 76, 79, 98, 110, 113, 118, 139,145,147,156,179,185,189,199, 305, 306, 325 Relativismus 25, 288, 319 Religion 14, 18, 19, 36, 121, 126, 278 Renaissance 20, 207, 208, 211-217, 236, 230264,266,274,283,284,289 Repulsion 218 res cogitans 21, 100
Vernunft und das Andere der Vernunft
res extensa 22, 100 Rhizom 308, 309 Romantik 290 Ruhe 104, 132-136, 138, 140, 173, 174, 184,224 Schaukeldialektik 158 Schaukelsystem 137, 145, 162 Schluß 60, 62, 105, 107-110, 152, 153, 283 Schwebe 162 Seele 21, 22, 32, 84, 120, 124, 126, 127, 131,133,135,217,219,226,301 Sein 81, 102-104, 119, 132-134, 136, 139, 142, 145, 156, 157, 162, 173, 194, 195,202,203,213,215,233,296,298, 300-303,312, 314 Selbst 13, 202 Selbstähnlichkeit 266, 269, 271-275 Selbstbeziehung 124, 126, 137, 138, 145, 146,148,154,157,180,291 Selbstbezug 128, 139, 140, 143, 149, 171, 180, 183, 184, 189 Selbstreflexion 145 Selbstwiderspruch 117, 139, 150, 186 Sensibilität 270 Singularismus 52 Sinn 21,61,245,250,303,312-314 Sinnlichkeit 10, 13, 16, 61, 66, 135, 138, 141, 143,151,295,296,29~314,324326 Sonnengleichnis 88, 300, 301, 324, 325 Sophist 69-73, 83-86, 106 Sowohl-als-auch 88, 107, 186, 195, 198, 199, 205, 231 Spekulation 151, 205, 207 Spezies 243, 244 Spezifikation 58, 65, 66, 75, 76, 88, 115, 159,163,166,169,170,200,208,235, 243,244 Spezifikationsprozeß 75, 79, 80 Spezifikationssystem 271, 275, 280 Sprache 36, 55, 81, 82, 125, 175, 176, 188, 196, 197, 217, 230, 278, 305, 306, 309,321-323,326 Stimmung 16, 287, 288, 298 Struktur 30, 37, 41, 74, 98, 101, 102, 111, 117, 126, 145, 146, 155, 160, 161, 163,
~
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Sachverzeichnis 164, 166, 170, 179, 181, 183, 190, 198, 200-204,223,249,255,265,266,271, 285,290,295,296,327 Strukturierung 223, 232, 321 Strukturierungsprinzip 49 Subjekt 38, 77, 78, 85, 88, 97, 139-141, 149, 152-154, 160, 161, 169, 183, 184, 187,190,192,197,198,233,253,267, 282 Subrationales 15, 16, 294, 296, 298 Substanz 33, 123, 124, 168, 171, 221, 224-226, 314, 321 Sumerer 44, 48, 49 Syllogismus 107, 109, 283 Symmetrie 217, 229, 239, 255, 275 Sympathie 218 <JUj.t:rtAOK'l'] 'tÜJV YEVÜJV 89, 116, 133, 144, 184, 194, 301 <JUj.t:TtAO'K~ 'tÜJV etÖÜJV 105 Synekdoche 239,241,243 Syntax 149, 233 Synthese 68, 117, 138, 147, 148, 155, 162,163,166,160169,201,202 System 15, 39, 53, 77-82, 84, 88, 89, 91, 94, 97, 100, 103-106, 111, 133, 134, 137, 141, 142, 145, 146, 150, 155-157, 162, 163, 165, 170, 179, 180, 196, 205, 223, 230, 231, 234-236, 269, 271, 280, 284, 289, 291, 292, 300, 306, 309, 313 Tautologie 106, 117 Technik 11,39,278,279 Teil 22, 23, 33, 40, 45, 54, 59, 65, 82, 83, 97-101, 115, 116, 119, 129, 130, 133-136, 139, 141, 158, 166-169, 171, 173, 174, 183, 191, 213, 224, 235, 236, 243, 261, 272, 273, 275, 276, 279, 308 Teilchen 230, 234-236 tertium comparationis 60 Theorie 65, 66, 89-94, 121, 125, 135, 152,193,214,230,251,270,282,288, 289,306,307,310319,320 These 11, 89, 92,116,117, 146-149, 158, 163, 169, 201, 202, 213, 214, 229, 278, 303, 307, 319 Tier 46, 48-51, 54, 64, 69, 95-97, 99,
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100, 117, 126, 210, 212, 220-222, 225, 226, 228, 235 Totalität 80,102, 115, 135,142,145-147, 153-155, 182-184, 187, 191, 196, 199, 214,273,283,291,324 Totalitätssystem 119, 136 Transzendenz 104,200,235 Transzendenzgedanke 300,301 Traum 10, 18, 47, 59, 184, 211, 215, 226, 249-251, 254, 255, 257-263, 272, 273 Traumanalyse 250, 255 Traumarbeit 251, 262 Traumdeutung 249,259,261,262 Traumelement 251 Traumgedanke 250,251,261-263 Traumgeschehen 250 Trauminhalt 250, 261, 263 Traumlogik 262 Travestie 256 Triade 146, 147, 159, 162, 184 Trieb 10, 316 Tropen 238,241,242,245,246,248 Tropenlehre 241, 242 Übergang 60, 131, 136, 137, 140, 144, 145,157,162,169,185,194,202,204, 205,212,251,255,268,285,289 Unendliches 80, 126, 268, 272, 275, 284, 310,318 Unendlichkeit 78, 104, 114, 173, 174 Unifizierungswitz 252 Universalität 232 Gleichuniversalität 133 Urbild-Abbild-Schema 60 Urbild-Abbildverhältnis 60, 214, 215, 217,260 Urteil 35, 89, 105-108, 110,153, 160, 169,182,282,283 Vergleich 53, 64, 75, 94, 113, 268, 269, 277 Vermittlung 53, 81, 138, 145, 157, 164, 166,189,202,273,281,283 Vermittlungsbegriff 157 Vernünftigkeit 24,39 Vernunft 10, 11, 13, 14, 16, 20-22, 24, 26, 29, 30, 35-37, 39-42, 67, 133, 144,
Karen Gloy
Sachverzeichnis 149,154,181,199,207,295,296,299, 301,313,321-325,328 absolute 297 dialektische 327 dihairetische 294, 327 instrumentelle 23 intuitive 51 klassifikatorische 299, 300 kritische 262 reduktionistische 313 regulative 295 selbstreferentielle 144 Vernunftbegriff 21, 23, 31, 53, 103, 207 Vernunftform 27 Vernunftkonzept 26 Vernunftphilosophie 312, 314 Vernunftstruktur 30, 37, 285, 324, 328 Vernunfttypus 35, 36, 41, 170 additiver 41 analogischer 41, 297 dialektischer 296, 297, 327 dihairetischer 41, 296, 313, 327 europäischer 21 hierarchischer 41 linearer 41 _ \..C \ metaparadoxaler 41 · Verstand 24, 40, 51, 67, 95, 181, 207, 295 Verstandesbegriff 53 via negationis 324 via negativa 41, 90, 300, 325 visio beatifica 114 Vorstellung 53, 55, 68, 80, 113, 121, 134, 156,173,315,316 Wahrheit 14, 88, 90, 91, 111, 126, 133, 142, 175, 180, 185, 187, 188, 237, 246, 256,282,288,301,303 Weder-noch 88, 198, 199, 205 Weisheit 301 Wenn-dann 98, 110, 111 Wertrationalität 25, 26, 28, 40
Vernunft und das Andere der Vernunft
Widersinnwitz 253 Widerspruch 76-78, 81, 84, 108, 111, 11~ 118, 140-143, 150, 151, 153, 164, 165, 173, 176, 179, 180, 186, 191, 193, 195, 197, 198, 201, 202, 205, 231, 232, 234,236,260,262,282,283,291 Widerspruchsdialektik 163-165, 201 Wille 298,315,316,321 Wille zur Macht 298, 312, 315-321 Wirklichkeit 32, 33, 48, 66, 80, 81, 92, 94, 142,246,259,260,262,286,288,314, 322 Wirklichkeitserfahrung 326 Wissen 120, 134, 175, 183, 203, 277, 279, 294,315 absolutes 202 apodiktisches 90 apriorisches 89 empirisches 90 explizierendes 144 Wissenschaft 11, 27, 30, 39, 57, 61, 80, 90, 91, 97, 100, 115, 120, 121, 141, 142, 157,207,222,236,264,265,281 Wissenschaftsparadigma 97 Witz 248-253, 256, 257, 260, 262, 263 Witzlogik 263 Wort 44, 55, 250, 257, 263, 305 Wortfigur 242, 246 Wurzelgeflecht 209, 308 J(.WQU 135, 136, 326 Zeichen 50,55,221,242,251,305,322 Zukunft 12, 128 Zweck 26, 36, 39, 101, 142, 228, 268, 314 Zweckrationalität 25, 26 Zyklik 130,212,219 Zyklus 33, 120, 122, 208, 211, 219, 222, 236, 237, 241 Zynismus 256
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