Verbotene Küsse Robyn Donald
Romana 1242
25/1 1998
gescannt von suzi_kay korrigiert von la_sirene
PROLOG Wie unter...
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Verbotene Küsse Robyn Donald
Romana 1242
25/1 1998
gescannt von suzi_kay korrigiert von la_sirene
PROLOG Wie unter einem inneren Zwang schaute er suchend über die vielen Menschen hinweg, die unter dem dunklen Nachthimmel der Fidschinseln tanzten. Er ärgerte sich und runzelte die Stirn. Aus unerfindlichen Gründen schien Jacinta Lyttelton, eine große, schlanke Frau, die Mauern zu durchdringen, die er um sich her errichtet hatte, seit er sich vor fünf Jahren vorgenommen hatte, keine Gefühle mehr zuzulassen. Am anderen Ende der Tanzfläche entdeckte er sie. Sie trug ein hübsches Kleid, das nicht topmodisch war, aber gut zu ihr paßte. Sie stand ganz allein da und schaute den Tanzenden zu, nicht wehmütig oder sehnsüchtig, wie man vielleicht hätte vermuten können, sondern eher interessiert. Am Tag zuvor hatte er sich zu ihrer Mutter gesetzt und sich mit ihr im Schatten der Kokospalmen unterhalten. Und auch da hatte er schon die junge Frau am weißen Sandstrand beobachtet. "Das ist Jacinta", hatte Mrs. Lyttelton lächelnd gesagt, und in ihren Augen hatte es liebevoll aufgeleuchtet. Verblüfft und wie fasziniert hatte er Jacinta betrachtet, die ihm vorkam wie die Verkörperung der üppigen, sehnsuchtsvollen und alle Sinne reizenden Atmosphäre dieser tropischen Insel. Jacinta sah einfach phantastisch aus mit dem langen, vollen roten Haar, das in der Sonne glänzte. In der warmen, feuchten Luft, die die Haut sanft umschmeichelte, löste
der Anblick dieser Frau in ihm ein Verlangen aus, das ihn selbst überraschte. Als Jacinta näher gekommen war, war er etwas enttäuscht und zugleich erleichtert gewesen, denn sie hatte sich als eine ziemlich normale Frau herausgestellt. Sie war sehr groß, etwas zu schlank, und ihre Brüste waren unter einem schlichten, viel zu weiten T-Shirt verborgen. Dafür wirkten ihre langen, schlanken und leicht gebräunten Beine außergewöhnlich aufregend. Während er sie jetzt beobachtete, verspürte er plötzlich wieder dieses wahnsinnige Verlangen, und er war froh, daß im gedämpften Schein der Fackeln, die um die Tanzfläche herum aufgestellt waren, die Reaktion seines Körpers nicht zu erkennen war. Ihr rotes Haar schien ihr Gesicht mit der hellen Haut wie ein feuerroter Heiligenschein zu umrahmen. Am Tag zuvor hatte sie die wilde Lockenmähne zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Doch an diesem Abend fiel ihr das Haar offen über die Schultern, und in seiner üppigen Fülle wirkte es wie eine einzige Verführung. Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf seine Hände, die er vor lauter Erregung zu Fäusten geballt hatte. Am liebsten hätte er die exotischen Blüten, mit denen der Tisch dekoriert war und die einen betörenden Duft verströmten, mitgenommen und sie auf dem Bett verstreut, auf das er Jacinta allzu gern legen würde, um sie leidenschaftlich und wild zu lieben. Vor zweihundert Jahren oder so hätte ich sicher geglaubt, Jacinta Lyttelton hätte mich verhext, dachte er. Schon immer hatte er eine gewisse Schwäche für auffallende und schöne Frauen gehabt. Aber Jacinta war anders als die anderen. Ihre Haut wirkte wie Elfenbein, sie hatte große braune Augen und weiche rote Lippen, die zum Küssen einzuladen schienen. Ihre
schlanken Beine wirkten endlos lang, insgesamt jedoch kam sie ihm etwas zu schlank vor. Sein bizarrer Wunsch, sie auf sein Bett zu legen und sie so leidenschaftlich zu lieben, daß sie danach keinen anderen Mann mehr ansehen würde, war nichts anderes als eine sexuelle Verirrung. Wahrscheinlich hatte er sich nur in sein Verlangen hineingesteigert. Jacinta hatte sowieso andere Sorgen. Ihre Mutter, die im Rollstuhl saß, war sehr krank, wie er sogleich bemerkt hatte. Er wußte natürlich nicht, warum Mutter und Tochter sich entschieden hatten, ausgerechnet während der heißesten Jahreszeit auf den Fidschiinseln Urlaub zu machen, dazu noch in einem der exklusivsten Hotels, aber man spürte deutlich, daß Mrs. Lyttelton sich hier wohl fühlte. Offenbar standen Mutter und Tochter sich sehr nahe. Plötzlich kniff er die Augen zusammen. Einer der Hotelgäste, ein großer, muskulöser Australier, ging auf Jacinta zu. Er sprang auf und eilte auf sie zu. Doch auf einmal wurde ihm bewußt, was er da tat. Ich benehme mich wie ein eifersüchtiger Teenager, dachte er, während er den Australier feindselig beobachtete, der ihn gar nicht bemerkte, sondern irgend etwas zu Jacinta sagte. Sie lächelte nur, und der Australier schlenderte weiter zum Strand. Jacinta konzentrierte sich wieder auf die Leute auf der Tanzfläche. Er entspannte sich ein wenig, verspürte aber immer noch dieses quälende Verlangen. "Möchten Sie tanzen?" fragte er und lächelte charmant. Sekundenlang blickte sie ihn verblüfft an, sie hatte ihn gar nicht kommen sehen. "Ja, gern", antwortete sie dann. Es wäre ihm irgendwie lieber gewesen, sie hätte sich ungeschickt angestellt und wäre ihm auf die Füße getreten. Aber sie tanzte so leicht und beschwingt und bewegte sich so verführerisch in seinem Arm zwischen den tropischen Pflanzen
hindurch, daß er die Reaktion seines Körpers und seine Gefühle kaum noch beherrschen konnte. "Geht es Ihrer Mutter nicht gut? Oder weshalb sind Sie allein?". Er ärgerte sich so sehr über sich selbst, daß seine Frage ziemlich kühl klang. "Sie ist nur müde." Ihre leicht raue Stimme ging ihm unter die Haut. "Gefällt es ihr hier?" Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und nickte. "Ja, sie fühlt sich ausgesprochen wohl", erwiderte sie ruhig. "Alle sind sehr freundlich und nett zu ihr." Da er nicht wußte, ob sie über die Krankheit ihrer Mutter reden wollte, und ihm auch sonst nichts Gescheites einfiel, schwieg er lieber und betrachtete Jacinta genauer. Er stellte fest, daß sie grüne und keine braunen Augen hatte. Aber die vielen goldfarbenen Sprenkel darin ließen sie manchmal braun aussehen. Ihre Augenbrauen waren viel dunkler als ihr Haar, genauso wie ihre langen Wimpern, die auf ihrer hellen Haut faszinierend und ein bißchen geheimnisvoll wirkten. Und der betörende Duft ihrer Haut bringt mich noch um den Verstand, dachte er, leicht gereizt. Ihre Brüste, die er an seiner Brust deutlich spürte, und ihre langen/schlanken Beine erregten ihn viel zu sehr. Er ärgerte sich ungemein über seine Reaktion, denn er haßte es geradezu, seine Emotionen nicht beherrschen zu können. Glücklicherweise würde er am nächsten Tag abreisen. Zurück in Neuseeland und weit genug weg von Jacinta, würde er von der zwanghaften Idee loskommen, diese Frau besitzen zu müssen, und wieder er selbst sein können.
1. KAPITEL "Weil mein Cousin Paul die Frau, die er liebte, nicht haben konnte, hat er beschlossen, auch keine andere zu nehmen", erklärte Gerard in seiner pedantischen Art. "Ach, wirklich?" fragte sie verblüfft. Gerard seufzte. "Ja. Aura war sehr schön und charmant. Sie schienen gut zu harmonieren, aber kurz vor der Hochzeit hat sie ihn sitzen gelassen und sich für seinen Freund entschieden." "Dann war es wohl doch keine große Harmonie", wandte Jacinta ein und lächelte, damit er begriff, daß sie scherzte. Gerard, den sie vor neun Monaten kennengelernt hatte, war ein lieber, netter Mensch, aber völlig humorlos. "Ich weiß nicht, was ihr an Flint Jansen gefallen hat", fuhr er fort, obwohl er normalerweise nichts für Klatsch übrig hatte. "Er ist ein großer, kräftiger Mann, der sich überall durchboxt. Er war Pauls bester Freund, schon in der Schulzeit. Paul ist übrigens ein weltgewandter, selbstbewußter Mann - der geborene Rechtsanwalt." Jacinta nickte höflich. "Dein Cousin und Flint hatten sicher viele gemeinsame Interessen, sonst hätte die Freundschaft nicht so lange gehalten." Sie betrachtete ein kleines Kind, das an der Hand seiner Mutter unbekümmert durchs Gewühl ging. Für mich wird es auch allmählich Zeit, überlegte sie. Mit ihren neunundzwanzig Jahren war sie noch nicht zu alt, doch zuweilen hatte sie das
bedrückende Gefühl, abseits zu stehen und nicht mitreden zu können. "Eigentlich habe ich es nie verstanden", sagte Gerard. "Sie waren ein schönes Paar, Paul hat sie sozusagen auf Händen getragen, während Flint - ach, das ist jetzt auch egal. Paul hat jedenfalls sehr unter der Trennung gelitten." Sitzengelassen zu werden tut immer weh, dachte sie und nickte mitfühlend. Gerard runzelte die Stirn. "Alle haben ihn bedauert, was ihm nicht gefallen hat, denn sein Stolz war sowieso schon verletzt. Er hat das Haus verkauft, in dem er mit Aura wohnen wollte, und statt dessen Waitapu gekauft, wahrscheinlich als Zufluchtsort, um dort zu sich selbst zu finden. Doch dann haben Flint und Aura ein Weingut nur zwanzig Autominuten von Waitapu entfernt übernommen." "Wann war das?" fragte Jacinta. "Vor ungefähr fünf Jahren." Du liebe Zeit, so lange ist es schon her, ging es ihr durch den Kopf. "Was ist denn mit dieser Frau, auf die du mich vor zwei Monaten in Ponsonby aufmerksam gemacht hast? Du hast doch angedeutet, sie sei Pauls Freundin." Er stand auf. "Ja, Paul ist ein ganz normaler Mann. Ich glaube aber nicht, daß er sie heiraten will. Sie ist Schauspielerin." Offenbar war Gerard ein Snob, auch wenn er lieb und nett war. Der Flug nach Los Angeles wurde aufgerufen. "Verlieb dich nicht in ihn", forderte Gerard Jacinta ernst, aber auch scherzhaft auf. "Er hat in den letzten fünf Jahren viele Herzen gebrochen. Auras Untreue hat irgend etwas in ihm zerstört." "Keine Sorge, ich habe nicht vor, mich zu verlieben." "Nein, erst mußt du deine Doktorarbeit schreiben." Er küßte sie flüchtig auf die Wange. "Ich muß gehen."
Jacinta war überrascht über die Geste, ließ es sich aber nicht anmerken. "Gute Reise. Und viel Erfolg bei deinen Recherchen." "Danke. Genieß den Sommer. Und denk an das Expose^ wie du dir die Doktorarbeit vorstellst. "Hast du die Bücher?" "Ja, und auch die Liste deiner Vorschläge." Er nickte und drehte sich um. Sie betrachtete ihn, wie er sich den Weg zwischen der Menge hindurch bahnte. Er war ein großer Mann mit blondem Haar und leicht gebeugtem Rücken. Er war Dozent an der Universität und konnte vielleicht der jüngste Geschichtsprofessor in Neuseeland werden, wenn er für das Buch, das er schreiben wollte, einen Verleger finden würde. Vor dem Ausgang blieb er kurz stehen und winkte Jacinta zu. Lächelnd winkte sie zurück. Sie wartete, bis er verschwunden war, dann fuhr sie mit der Rolltreppe zum Parkdeck. Eineinhalb Stunden später hatte Jacinta ihr Feriendomizil erreicht. Sie stellte den Wagen ab und stieg aus. Die Luft war warm und roch nach Salz und Meer. Jacinta hörte die Schreie einer Sturmmöwe, die am wolkenlosen blauen Himmel dahinflog, und hinter einer hohen Hecke ragte das große graue Dach eines Hauses empor. Neuseeland im Sommer! Zum erstenmal seit vielen Jahren freute Jacinta sich auf diese Jahreszeit. Es war November, noch Frühling, der Sommer würde erst in einem Monat beginnen. Nach dem langen, nassen Winter sehnte sie sich nach Sonne und Wärme. Lächelnd öffnete sie das Tor und schlenderte über den mit weißen Muscheln bedeckten Pfad. Das große Haus, eine Villa im viktorianischen Stil, lag eingebettet zwischen Rasenflächen mit Blumenrabatten. Die farbenprächtigen Blüten und das frisch gemähte Gras verströmten einen seltsam erotischen Duft. Jacinta hoffte, daß der Mann, dem dies alles gehörte, soviel Schönheit zu schätzen wußte.
"Mein Cousin Paul stammt aus einer Familie mit viel Geld", hatte Gerard ihr erzählt, als er vorgeschlagen hatte, sie solle den Sommer auf Waitapu verbringen. "Und weil er sehr realistisch und nüchtern denkt und sehr intelligent ist, hat er das väterliche Erbe beträchtlich vergrößert." Jacinta strich sich das Haar aus dem Gesicht und ging die drei Stufen zu der breiten Holzveranda hinauf. So, wie ich aussehe, wirke ich hier fehl am Platz, überlegte sie und klopfte an die Haustür. Ihre Kleidung war überhaupt nicht modisch, und sie kam sich ungeschickt und linkisch vor. Sie ließ den Blick über die Bäume und Sträucher gleiten und betrachtete eine hohe Palme mit feinen, dünnen Blättern, unter der Kapuzinerkresse und kalifornischer Mohn blühten. Plötzlich spürte sie einen leichten Luftzug. Jemand hatte die Tür geöffnet. Lächelnd drehte Jacinta sich um. "Hallo! Ich bin Jacinta Lyttelton ..." begann sie und unterbrach sich verblüfft. Den attraktiven Mann mit dem energischen Kinn und der arrogant wirkenden Miene und den blauen Augen kannte sie doch. Sie schluckte und versuchte, das seltsame Gefühl zu ignorieren, das sich in ihr ausbreitete. Eine innere Stimme schien sie zu warnen, sich auf etwas einzulassen, das ihr ganzes Leben verändern würde. "Willkommen auf Waitapu, Jacinta." Als sie seine tiefe, wohlklingende Stimme hörte, fühlte Jacinta sich wie verzaubert. War das nicht die Stimme des Mannes, von dem sie in den vergangenen Monaten immer wieder geträumt hatte? Natürlich wußte sie noch sehr genau, wo und wann sie ihm begegnet war. Sie hatte mit ihrer Mutter eine Woche Urlaub auf der wunderschönen Fidschiinsel verbracht. Eines Abends hatte er sie zum Tanz aufgefordert. Sie war entsetzt gewesen über die erregenden Gefühle, di" er in ihr wachgerufen hatte. Schließlich
hatte er sich bei ihr bedankt und sie bis vor die Tür des Zimmers begleitet, das sie mit ihrer Mutter teilte. Danach war er bestimmt wieder zu der auffallend eleganten Frau gegangen, mit der er offenbar gemeinsam Urlaub machte. Jedenfalls hatte Jacinta die beiden ab und zu zusammen gesehen. Viel zu lange hatte sie vor dem Einschlafen darüber nachgedacht, wie herrlich es sich angefühlt hatte, in seinen starken Armen zu tanzen. Sie erinnerte sich auch noch genau an den kaum wahrnehmbaren Duft seines Körpers. Plötzlich errötete sie. Verdammt, wie peinlich! dachte sie hilflos. Sie fand es unfair, daß ausgerechnet dieser Mann, der sie so sehr irritiert hatte, Paul McAlpine war, in dessen Strandhütte sie die nächsten drei Monate verbringen würde. Sie lächelte und hoffte, daß er ihr die Unsicherheit nicht anmerkte. "Ich hatte keine Ahnung, daß Sie Gerards Cousin sind", sagte sie leicht belustigt. Es gelang ihr jedoch nicht, ihr Unbehagen zu verbergen. "Aber ich war mir ziemlich sicher, daß die Jacinta, der ich auf den Fidschiinseln begegnet war, mit Gerards Jacinta identisch sein mußte. Er hat mir erzählt, wie groß Sie sind, und von ihrem Haar geschwärmt." Er war der attraktivste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte. Seine markanten Gesichtszüge wurden durch die gebräunte Haut noch betont. Sein Haar war aschblond und hatte einen warmen Goldton, und er besaß blaue Augen mit ein bißchen Grün oder Grau. Und seine Wimpern und Augenbrauen waren dunkelbraun, beinah schwarz. Im Urlaub auf der herrlichen Insel hatte er hinreißend charmant gelächelt. Es war alles irgendwie zu schön gewesen, um wahr zu sein. Jetzt lächelte er nicht. Mit verschlossener Miene schaute er Jacinta kühl an. Gerards Jacinta? überlegte sie. Wollte er etwa andeuten, daß sie und Gerard ein Verhältnis hätten? Nein, wie sollte er auf die
absurde Idee kommen? sagte sie sich sogleich, wollte ihm aber vorsichtshalber erklären, daß sie und Gerard nur gute Freunde seien. Doch sie kam nicht dazu, denn Gerards Cousin fuhr fort: "Leider können Sie nicht, wie ursprünglich geplant, in der Strandhütte wohnen. Dort sind Pinguine eingezogen." "Wie bitte?" fragte sie und glaubte, sich verhört zu haben. "Pinguine?" "Ja, kleine blaue Pinguine, die hier an der Küste heimisch sind. Normalerweise brüten sie in Höhlen, aber manchmal nisten sie auch in Gebäuden." Er meinte es offenbar ernst. "Ah ja", antwortete sie leicht enttäuscht. Erst jetzt wurde ihr bewußt, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, der hektischen, unruhigen Großstadt eine Weile zu entfliehen. "Kann man sie nicht vertreiben?" "Die Jungen sind schon geschlüpft. Außerdem sind sie artengeschützt." "Oh! Dann nehme ich an... Nein, man sollte sie nicht stören." "Sie veranstalten viel Lärm, wenn sie nachts zu ihren Nistplätzen zurückkehren, und hören sich an wie Esel, die man zur Schlachtbank führt. Und sie riechen schrecklich nach Fisch." Er wirkte völlig ruhig und gelassen. "Möchten Sie sich selbst überzeugen?" Jacinta schüttelte nur den Kopf, ihr fiel keine vernünftige Antwort ein. "Kommen Sie mit rein", forderte Paul McAlpine sie schließlich auf. Sie folgte ihm durch die große Eingangshalle in ein luxuriös ausgestattetes Wohnzimmer. Die breite Fensterfront ließ sich zur überdachten Terrasse hin öffnen. Zwischen den Pohutukawabäumen hindurch konnte man das Meer sehen.
Ich verbringe die Semesterferien trotzdem nicht in Auckland, ich würde mir ja vorkommen, als würde ich ins Gefängnis zurückkehren, sagte Jacinta sich energisch und wunderte sich über den Vergleich, den sie da angestellt hatte. "Setzen Sie sich. Sie möchten sicher einen Tee." Paul McAlpine verschwand durch eine andere Tür. Widerstrebend setzte Jacinta sich in einen der sehr bequemen Sessel und betrachtete ihre langen Beine. Warum habe ich ausgerechnet die Hose in diesem schrecklichen Braun angezogen? überlegte sie. Weil es eine meiner besseren Hosen ist und ich mir keine neue kaufen kann, außerdem ist es mir völlig egal, was er denkt, fügte sie in Gedanken hinzu, gestand sich jedoch sogleich ein, daß es nicht stimmte. "Der Tee kommt gleich", verkündete Paul McAlpine. Sie schreckte auf und sah ihn an. Mit den breiten Schultern und in der perfekt sitzenden Hose sah er umwerfend gut aus. Jacinta glaubte sogar, den unaufdringlichen Duft wahrzunehmen, der sie bis in ihre Träume verfolgt hatte. Mutig hielt sie seinem Blick stand. "Sehen Sie mich doch nicht so tragisch an, Jacinta. Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen." Seine Stimme klang leicht belustigt. Hatte sie ihn tragisch angesehen? Das war sicher übertrieben, sie hatte wahrscheinlich nur bestürzt ausgesehen. Er setzte sich in den Sessel ihr gegenüber und wirkte so selbstsicher, daß sie sich versteifte und herausfordernd das Kinn hob: Sie machte sich keine Illusionen, sie wußte, daß sie zu groß und zu schlank war. Der Gesamteindruck wurde auch nicht besser durch das volle, lange rote Haar und die grünen Augen mit den goldfarbenen Sprenkeln und die dichten dunkelbraunen Augenbrauen. Sie war daran gewöhnt, in eleganter Umgebung irgendwie fehl am Platz zu wirken. Trotzdem ärgerte sie sich, daß Paul McAlpine sich über sie lustig machte.
"So?" antwortete sie kurz angebunden. "Ich möchte Ihnen eins meiner Gästezimmer anbieten. Meine Haushälterin hat ihre Wohnung im Anbau, Sie wären also nicht allein mit mir." Seine Stimme klang überhaupt nicht spöttisch, und er sah Jacinta offen und freundlich an. Plötzlich bekam sie eine Gänsehaut, und es überlief sie eiskalt, ohne daß sie es sich hätte erklären können. "Das ist sehr freundlich von Ihnen", erwiderte sie vorsichtig, " aber ich glaube nicht..." Sie unterbrach sich und schluckte, denn er lächelte auf einmal so charmant, daß es ihr die Sprache verschlug. Ruhig und beinah sanft erklärte er: "Wenn es Ihnen nicht behagt, mit mir unter einem Dach zu wohnen, kann ich in meinem Apartment in Auckland bleiben." "Ich kann Sie doch nicht aus Ihrem Haus vertreiben." Die Sache war ihr irgendwie peinlich. Er zog die Augenbrauen zusammen. "Gerard hat mir erzählt, daß Sie aus Ihrer Wohnung ausziehen mußten. Da er gerade seine Wohnung verkauft hat, haben Sie wohl im Moment keine Unterkunft. Ich fahre sowieso sehr oft nach Auckland, es würde mir nichts ausmachen, einige Wochen regelmäßig dort zu übernachten." Jacinta war klar, daß er seine Meinung nicht ändern würde. Rasch überlegte sie, welche Möglichkeiten ihr blieben. Ein Motel oder eine Ferienwohnung wäre zu teuer, sie mußte sparen. Deshalb hatte sie auch das Angebot angenommen, kostenlos in Paul McAlpines Strandhütte zu wohnen. Er beobachtete sie unter halbgeschlossenen Lidern und wartete so geduldig, daß sie sich eingeschüchtert fühlte. Schließlich überwand sie sich. "Okay, danke. Ich werde versuchen, Ihnen nicht im Weg zu sein." "Gerard hat erwähnt, Sie würden Ihre Doktorarbeit schreiben."
"Hat er das?" erwiderte sie gelassen. "Sind die Pinguine bis Weihnachten wieder weg?" "Wahrscheinlich nicht." Er zog fragend eine Augenbraue hoch. "Wollten Sie über Weihnachten in der Hütte bleiben?" "Ja. Meine Mutter ist eine Woche nach unserer Rückkehr aus dem Urlaub gestorben", antwortete Jacinta mit rauher Stimme. Zum erstenmal würde sie Weihnachten allein sein, und es würde ihr bestimmt nicht leichtfallen. "Das tut mir leid. Es war sicher sehr schlimm für Sie." Sie nickte und schluckte. "Ich hatte damals keine Gelegenheit, mich bei Ihnen zu bedanken. Auf Fidschi waren Sie so nett und freundlich zu meiner Mutter. Sie sind einen Tag vor uns abgereist, und ich ...," "Ich war nicht besonders nett oder freundlich", unterbrach er sie. "Ihre Mutter war sehr tapfer und mutig, ich habe sie bewundert und fand sie beeindruckend." "Sie hat Sie auch gemocht." Jacinta bemühte sich, ruhig und sicher zu klingen und die Tränen zurückzuhalten. "Es machte ihr Spaß, sich mit Ihnen zu unterhalten. Sie bestand darauf, daß ich nichts versäumte im Urlaub ..." Cynthia Lyttelton hatte ihre Tochter gedrängt, alles mitzumachen, was angeboten wurde, Schwimmen, Segeln, Tauchen. Und weil das Personal des Hotels so freundlich und aufmerksam ihrer Mutter gegenüber gewesen war, hatte Jacinta eingewilligt. Ihre Mutter hatte ihr ganz begeistert von dem attraktiven, intelligenten und humorvollen Mann erzählt, der sich zu ihr unter den Sonnenschirm gesetzt hatte. "Sie hat mir anvertraut, daß sie nicht mehr lange leben würde. Ich nehme an, sie war sehr lange krank, dennoch hat sie sich nicht selbst bedauert", sagte er jetzt sanft. "Sie hatte Arthritis, ist aber an Krebs gestorben." Sie wollte nicht weinen und rang nach Fassung. "Es tut mir wirklich leid", wiederholte er, und Jacinta spürte, daß es kein leeres Gerede war.
Um den Tod ihrer Mutter trauerte sie immer noch. Cynthia hatte gern gelebt, trotz der quälenden Schmerzen hatte sie noch nicht sterben wollen. Jacinta nickte und schwieg eine Zeitlang, während sie versuchte, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. Als sie schließlich aufsah, begegnete sie Paul McAlpines seltsam nachdenklichem Blick. Poch sogleich senkte er die Lider und setzte eine gleichgültige Miene auf. Dir Magen verkrampfte sich. Eine innere Stimme schien sie zu warnen. Worauf lasse ich mich da ein? fragte Jacinta sich besorgt. Eigentlich war sie vernünftig genug, sich auf gar nichts einzulassen. Auch wenn Paul McAlpine ein Traummann war mit seinem aschblonden Haar, dem athletischen Körper und den beunruhigend sinnlichen Lippen, würde sie deshalb noch lange nicht den Verstand verlieren. "Normalerweise verbringe ich die Weihnachtsfeiertage allein und friedlich hier in meinem Haus", erklärte er. "Aber es sind ja noch beinah zwei Monate bis dahin. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Gästezimmer, Sie können sich eines aussuchen." Sie stand auf und folgte ihm. Die fünf Gästezimmer waren geschmackvoll eingerichtet, und die Balkontüren führten alle auf die umlaufende Veranda. Wegen des großen, praktischen Schreibtisches, der darin stand, entschied Jacinta sich für ein Zimmer mit Blick aufs Meer. "Es hat leider kein angrenzendes Bad", sagte Paul. "Aber es ist direkt nebenan." "Das macht nichts, danke." Draußen auf der Veranda entdeckte sie einen Liegestuhl und einige Sessel. Unter dem Holzgeländer blühten wunderschöne Blumen. Im Raum war es angenehm kühl, und es war alles da, was man brauchte, sogar ein kleines Sofa. "Es gefällt mir sehr gut. Nochmals danke." Jacinta war begeistert.
"Keine Ursache", erwiderte er lässig. Jacinta biß die Zähne zusammen. Hatte sie sich getäuscht, oder lag tatsächlich ein rätselhafter Unterton in seiner Stimme? Vielleicht leide ich schon unter Wahnvorstellungen, überlegte sie. Wahrscheinlich war ihr Mißtrauen Männern gegenüber nach der wenig erfreulichen Freundschaft mit Mark eine ganz normale Reaktion. Sogar Gerard, der wirklich lieb und nett war, hatte sie zunächst insgeheim unlautere Absichten unterstellt. Und jetzt passierte ihr dasselbe mit Paul McAlpine. Etwa deshalb, weil er so atemberaubend attraktiv war, daß er sie ganz nervös machte? Hinter seiner ruhigen, selbstsicheren und ausgeglichenen Art verbargen sich bestimmt keine eigennützigen Motive. Sie war einfach zu erschöpft und brauchte etwas Zeit, um wieder zu sich selbst zu kommen. Und hier in dieser wunderschönen, friedlichen Umgebung würde es ihr sicher gelingen. Ganz besonders dann, wenn sie ihren Gastgeber nicht zu oft sehen würde. Als sie über den Flur zur Küche gingen, sagte er plötzlich: "Gerard recherchiert offenbar für ein neues Buch. Hat er vor, seinen ganzen Urlaub in Archiven zu verbringen?" "Wahrscheinlich. Er hat die Reise ziemlich überstürzt angetreten. Ich kenne seine Pläne nicht." Paul McAlpine zog vielsagend eine Augenbraue hoch, schwieg jedoch. In der geräumigen, modern eingerichteten Küche stellte er sie seiner Haushälterin Fran Borthwick vor. "Willkommen auf Waitapu", begrüßte die Frau sie lächelnd. "Der Tee ist fertig. Wo möchten Sie ihn trinken?" "Geben Sie nur her, ich nehme es mit", erklärte Paul und trug das Tablett in den Wintergarten. Jacinta folgte ihm.
Der Wintergarten war mit Rattanmöbeln behaglich ausgestattet. In großen und kleineren Töpfen blühten tropische Pflanzen, deren exotischer Duft Jacinta an den Urlaub auf den Fidschiinseln erinnerte. "Schenken Sie uns den Tee ein?" fragte Paul McAlpine und stellte das Tablett auf den Tisch. Viel zu intensiv betrachtete sie seine Hände mit den langen, schlanken Fingern und malte sich aus, wie sie sich auf ihrer Haut anfühlen würden. Entsetzt über ihre ausschweifende Phantasie, nahm sie sich rasch wieder zusammen und erwiderte: "Ja, natürlich" und griff nach der Teekahne. "Für mich bitte ohne Milch und Zucker", sagte er. So genügsam? dachte Jacinta und stellte die Tasse vor ihn hin. Das gemeinsame Teetrinken kam ihr vor wie ein seltsam intimes Ritual. Obwohl sie nervös und angespannt war, saß sie ruhig da, plauderte höflich und hörte Paul McAlpine zu. Hat er außer Autorität und unerschütterlicher guter Laune noch mehr zu bieten? ging es ihr dabei durch den Kopf. Ganz bestimmt, denn ohne Intelligenz und eine gewisse Portion Rücksichtslosigkeit hätte er es nie so weit gebracht. Auf Frauen nahm er sicher auch keine Rücksicht. Gerard hatte ihr in Ponsonby seine Freundin gezeigt, die sehr schön und attraktiv war. Aber mit ihr war Paul nicht auf den Fidschiinseln gewesen, sondern mit einer anderen. Vielleicht brauchte er die Abwechslung. Gerard hatte erwähnt, sein Cousin habe schon viele Herzen gebrochen. Der Gedanke gefiel ihr nicht. Außerdem schien es nicht zu ihm zu passen, denn er wirkte ziemlich wählerisch. Aber was wußte sie schon von ihm? Er war freundlich und nett zu ihrer Mutter gewesen, seine Verlobte hatte ihn sitzen gelassen und er konnte unglaublich gut tanzen. Beim Klang seiner Stimme schreckte sie aus den Gedanken auf und nahm sich zusammen.
"Ich habe gerade mein Staatsexamen in Geschichte gemacht", antwortete sie auf seine Frage nach ihrem Studium. "Das hätte ich mir denken können, es ist ja Gerards Fachbereich. Sie haben ihn an der Uni kennengelernt, oder?" "Ich ... ja", erwiderte sie zögernd, obwohl sie keinen Grund hatte, anzunehmen, er sei neugierig und wolle sie ausfragen. "Soweit ich weiß, hat er Ihnen eine Unterkunft in seiner Wohnung angeboten. Das kam Ihnen sicher sehr gelegen." "Er hatte gemerkt, daß ich dort, wo ich wohnte, Schwierigkeiten hatte", erklärte sie angespannt. "Ihm ist eingefallen, daß eine Freundin von ihm, die in England ein Stipendium bekommen hat, jemanden suchte, der sich während ihrer Abwesenheit um ihr Apartment kümmerte." Sekundenlang schaute er sie verblüfft an. Doch dann lächelte er. "Mitbewohner können einem manchmal auf die Nerven gehen." Es war eine Feststellung, sonst nichts. "O ja, das kann man wohl sagen", stimmte sie zu. "Das hört sich so an, als hätten sie einiges mitgemacht." "Er ... wir waren uns nicht sympathisch." Jacinta stellte die Tasse auf den Tisch und war froh, daß ihre Hand nicht verräterisch zitterte. "Gerard hat mich eines Abends in der Bibliothek entdeckt und gemerkt, daß ich Probleme hatte." "Ja, er wird immer schwach, wenn jemand weint." "Ich habe nicht geweint", erwiderte sie empört und fügte hinzu: "Er hat viel Mitgefühl." "Das hat er." Pauls Stimme klang sanft, beinah beschwörend. "Warum konnten Sie nicht während der Semesterferien in der Wohnung bleiben?" "Ein Freund der jungen Frau brauchte sie." Nach seiner Rückkehr im Februar würde Gerard in sein neues Haus ziehen. Er hatte ihr die Einliegerwohnung angeboten, so daß sie dann wieder eine eigene Unterkunft haben würde. Aber das erzählte sie Paul McAlpine lieber nicht, verstand jedoch
selbst nicht, warum sie so vorsichtig war. "Und jetzt warten Sie auf das Ergebnis Ihres Staatsexamens. Es war ein langer Weg bis dahin. Ich habe gehört, daß Sie Ihr Studium nach, zwei Jahren unterbrochen hatten. Stimmt das?" Hat meine Mutter ihm etwa erzählt, daß ich es getan habe, um sie pflegen zu können? überlegte Jacinta. Nachdem sie zwei Jahre studiert hatte, war die Arthritis ihrer Mutter so schlimm geworden, daß sie nicht mehr allein zurechtkam. Jacinta konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Mutter darüber geredet hatte. Wahrscheinlich hatte Gerard es ausgeplaudert. Hoffentlich hat er seinen Cousin nicht dazu gedrängt, mir die Strandhütte zur Verfügung zu stellen, dachte Jacinta. "Ja, neun Jahre habe ich ausgesetzt", erklärte sie. "Was wollen Sie machen, wenn Sie das Examen bestanden haben? Dozentin werden?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein, das liegt mir nicht." Er betrachtete sie kritisch. "Was wollen Sie sonst mit Ihren Kenntnissen anfangen?" Warum war es ihr so unangenehm, sich mit ihm über ihre Pläne zu unterhalten? Vielleicht deshalb, weil sie noch nicht wußte, ob sie sie würde verwirklichen können? "Ich weiß es noch nicht", erwiderte sie ausweichend. Und weil er sie immer noch so prüfend ansah, fügte sie hinzu: "Ich habe meiner Mutter versprochen, das Studium zu beenden." So, jetzt wußte er, daß sie nicht einfach in den Tag hineinlebte. "Halten Sie immer, was Sie versprechen?" "Ja." Paul McAlpine ließ den Blick über ihr Gesicht und das volle, lange Haar gleiten. Sie zog die Augenbrauen zusammen und sah ihn herausfordernd an, wobei die goldfarbenen Sprenkel in ihren grünen Augen zu funkeln schienen. Plötzlich verspürte sie ein Kribbeln im Bauch. Doch sogleich ärgerte sie sich über ihre
Reaktion und hob energisch das Kinn. Ich will mich nicht zu ihm hingezogen fühlen, es ist viel zu gefährlich, mahnte sie sich.. Sekundenlang betrachtete er ihre Lippen, dann hörte er auf, Jacinta zu mustern. "Mine honour is my life", zitierte er und fügte erklärend hinzu: "Meine Ehre ist mein Leben." "Ja, so etwas in der Richtung. Das Shakespeare-Zitat ist mir bekannt", antwortete sie kurz angebunden. Eine Zeitlang schwiegen sie, und in der angespannten Atmosphäre wurden Emotionen geweckt, die Jacinta lieber nicht analysieren wollte. "Eine noble Einstellung", sagte er unvermittelt, nachdem sie schon gehofft hatte, das Thema sei beendet. "Wohl kaum." Sie überlegte, warum seine Worte wie eine Warnung geklungen hatten. "Schon als Kind lernt man, wie wichtig es ist, Versprechen zu halten." "Das mag wohl sein, aber wenn man älter wird, vergißt man es." Erst jetzt erinnerte Jacinta sich an Aura, seine Exverlobte, die ihr Versprechen, ihn zu heiraten, gebrochen hatte. Sie wollte etwas erwidern, doch als sie seine verschlossene Miene sah, schwieg sie lieber. Dann unterhielten sie sich ganz allgemein über die Universität und andere Dinge. Schließlich entspannte Jacinta sich und gab die Zurückhaltung auf. Sein unglaublicher Scharfsinn und seine intelligenten Bemerkungen erforderten ihre ganze Aufmerksamkeit. Und sie war verblüfft, wie klar er die Beweggründe der Menschen durchschaute und mit einer Mischung aus Toleranz und Zynismus kommentierte. Sie hatte seit langer Zeit kein so anregendes Gespräch geführt. "Gerard meint offenbar, Sie würden es nach dem Examen noch weit bringen", sagte er.
Es war eigentlich eine ganz harmlose Bemerkung, Jacinta kam sie jedoch irgendwie zweideutig vor. "Er ist etwas voreingenommen." "Wenn man jemanden mag, ist man immer voreingenommen", stellte Paul McAlpine freundlich fest. Sie schaute ihn durchdringend an, aber seine Miene verriet nichts. Offenbar verstand er es perfekt, seine Gedanken zu verbergen. "Er war mein Dozent, wahrscheinlich ist er deshalb voreingenommen", erwiderte Jacinta genauso freundlich. "Ich möchte jetzt meine Sachen auspacken und mich etwas erfrischen. Soll ich das Tablett in die Küche bringen?" "Nein, lassen Sie nur, das mache ich." Er stand auf und griff nach dem Tablett. Jacinta kam es langsam unheimlich und unnatürlich vor, daß sie beim Anblick von Pauls Händen immer wieder ein Kribbeln im Bauch verspürte. Während sie durch die Eingangshalle ging, war sie sich ihres Körpers sehr bewußt, was sie zusätzlich irritierte und verwirrte. Ach, ich muß vernünftig und sachlich bleiben, mahnte sie sich energisch. Es war doch ganz normal, in Gegenwart eines attraktiven und selbstsicheren Mannes nervös zu werden.
2. KAPITEL Jacinta hatte alles, was sie besaß, in zwei Koffern mitgebracht, nur ihre wenigen Möbel hatte sie eingelagert. Auf dem Rücksitz von Gerards Auto hatte sie den Computer und den Drucker verstaut und noch einige Kartons mit Büchern. "Lassen Sie mich das machen", sagte plötzlich Paul hinter ihr, als sie den Kofferraum öffnete. Unwillkürlich wich sie zurück und hoffte, er würde es nicht bemerken. "Oh ... danke", stieß sie hervor. Sein aschblondes Haar glänzte in der Sonne. Als er die Koffer heraushob, spannten sich seine kräftigen Muskeln unter seinem feinen Baumwollhemd. Etwas atemlos holte Jacinta den Computer aus dem Wagen und ging hinter Paul her über den schattigen Pfad zum Haus. In ihrem Zimmer stellte er die Koffer ab und erklärte: "Ich hole noch den Drucker." "Danke, nicht nötig. Ich mache es selbst, Sie haben sicher noch etwas anderes vor." "Heute nicht", antwortete er. Seltsam hilflos stand sie mitten im Zimmer und blickte ihm nach. O nein, dachte sie bedrückt und biß sich auf die Lippe. Paul McAlpine sah einfach viel zu gut aus. Er bewegte sich lässig und ungezwungen und so selbstsicher, als würde ihm die Welt zu Füßen liegen. Offenbar habe ich zuviel Phantasie, sagte Jacinta sich ärgerlich und stellte den Computer auf den Schreibtisch.
Schließlich trug Paul den Drucker herein und schaute zu, wie sie ihn anschloß. Immer wieder überlegte sie, ob es nicht besser gewesen wäre, sein Angebot abzulehnen. "Wir müssen uns noch darüber unterhalten, was Sie dafür bekommen." Er antwortete nicht, sondern zog nur fragend die Augenbrauen hoch. "Ich meine Geld", fügte Jacinta rasch hinzu, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Paul sah sie kühl und durchdringend an. "Gerard hat mich gebeten, dafür zu sorgen, daß Sie hier alles haben, was Sie brauchen. Von Geld war nicht die Rede." "Dann will ich wenigstens mein Essen selbst bezahlen." Ohne sie aus den Augen zu lassen, zuckte er die Schultern. "Wenn es Ihnen wichtig ist, reden Sie mit Fran darüber. Aber für die Unterkunft nehme ich nichts. Fühlen Sie sich hier wie zu Hause." Sie runzelte die Stirn. "Ich will mich nicht aufdrängen und Sie nicht stören." "Das tun Sie auch nicht", antwortete er sanft und lächelte. Sein umwerfend charmantes Lächeln bringt mich noch um, dachte sie. Sie atmete tief ein und aus und bemühte sich, Haltung zu bewahren. Glücklicherweise piepste in dem Moment der Drucker und zeigte an, daß er einsatzbereit war. "Danke", sagte Jacinta nur und drehte sich um. "Der Computer sieht aus wie Gerards", stellte er ruhig fest. "Es war auch seiner. Er hat ihn mir gegeben, als er sich einen neuen gekauft hat. Der hier war nicht mehr viel wert, er hätte nichts dafür bekommen." Plötzlich unterbrach sie sich. Weshalb verteidige ich mich eigentlich? Nach der Freundschaft mit Mark Stevens hatte sie sich geschworen, sich nie mehr für irgend etwas zu rechtfertigen. Kein Mann hatte das Recht, sie zu hinterfragen!
Paul zog eine Augenbraue hoch. "Ach ja? Hätte man ihn nicht in Zahlung geben können?" Er durchquerte den Raum und verschwand. Jacinta schaute nachdenklich hinter ihm her. Dachte er etwa, sie würde seinen Cousin ausnutzen? Und wenn schon, es konnte ihr egal sein. Sie öffnete den Kleiderschrank und wollte ihre Sachen auspacken, überlegte es sich jedoch anders. Erst mußte sie mit der Haushälterin reden. Doch in dem Moment tauchte Paul mit einem ihrer Kartons wieder auf. "Nach dem Gewicht zu urteilen, sind es Bücher", sagte er. Sie nickte und bedankte sich kurz. "Ich hole rasch noch die anderen." Jacinta betrachtete beeindruckt seine muskulösen Schultern und bedankte sich noch einmal. "Ach, keine Ursache. Das mache ich doch gern", erwiderte er und ließ sie allein. Wenig später standen alle Kartons in ihrem Zimmer. Paul zeigte ihr das Bad und forderte sie noch einmal auf: "Fühlen Sie sich wie zu Hause." Dann zog er sich zurück. Während sie ihm noch hinterher blickte, merkte sie auf einmal, daß sie hungrig war. Kein Wunder, denn seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen. Sie suchte den Karton mit Lebensmitteln, konnte ihn jedoch nicht finden. Wahrscheinlich hat Paul ihn in die Küche gebracht, dachte sie. Und so war es auch. Als sie in die Küche kam, entdeckte sie den Karton auf der Bank. "Er hat ihn also hier abgestellt", sagte sie zu der Haushälterin. "Ja." Fran Borthwick lächelte und erklärte ihr, wo sie die Sachen unterbringen könne. Nachdem alles ordentlich weggeräumt war, wollte Jacinta mit der Haushälterin die Höhe ihrer Beteiligung an den Haushaltskosten vereinbaren.
"Haben Sie das mit Paul besprochen?" fragte Fran überrascht. "Ja. Ich soll es mit Ihnen regeln." "Na ja", erwiderte Fran, "dann bezahlen Sie einfach einen Betrag, der Ihnen angemessen vorkommt. Um sieben Uhr frühstücken wir. Wenn Ihnen das zu früh ist ..." "Nein, es ist hl Ordnung", unterbrach Jacinta sie. "Okay. Lunch wird um zwölf serviert, Tee um vier und das Dinner um halb acht." "Wenn Paul... Mr. McAlpine nicht da ist, mache ich mir das Essen selbst", schlug Jacinta vor. "Gut." Fran nickte zufrieden. "Ich habe immer alles da." Nachdem Jacinta eine Kleinigkeit gegessen hatte, packte sie in ihrem Zimmer die Koffer und Kartons aus. Dann zog sie sich Shorts und ein anderes T-Shirt an, setzte sich den Strohhut auf und ging auf Entdeckungsreise. Das Haus war von ungefähr zwölftausend Quadratmetern Garten und Wiese umgeben. Das Grundstück war von Hecken umsäumt, nur zum Meer hin war es offen. Aber die hohen Pohutukawabäume bildeten einen natürlichen Schutz gegen die Blicke Neugieriger, wenn sie in Booten zu weit an den Strand herankamen. Zwischen den in der leichten Brise sanft hin und her wehenden Zweigen und den dunklen Blättern mit der silbrig schimmernden Unterseite sah Jacinta das Wasser des Ozeans in der Sonne glitzern. Jacinta schlenderte über den Rasen und ging die Stufen hinunter, die zum Sandstrand führten, über dem die Hitze an diesem warmen Novembertag zu flimmern schien. Es gibt Menschen, die wirklich zu beneiden sind, dachte sie, als sie sich leicht schaudernd an das kleine, bescheidene Haus erinnerte, in dem sie die letzten neun Jahre gelebt hatte. Sie bereute nicht, daß sie das Studium unterbrochen und sich um ihre Mutter gekümmert hatte. Trotz allem hatten sie in dem kleinen Cottage viel Spaß und Freude gehabt und viel gelacht.
Doch ein so herrliches Fleckchen Erde wie dieses hier hätte es ihrer Mutter, sicher leichter gemacht, die Krankheit und die schrecklichen Schmerzen zu ertragen. Den Verlust ihrer Mutter hatte Jacinta immer noch nicht überwunden. Sie empfand Kummer und Schmerz und fühlte sich irgendwie schuldig, weil sie auch etwas erleichtert war, daß ihre Mutter nicht mehr leiden mußte. Im Zustand völliger seelischer und körperlicher Erschöpfung hatte sie sich mit Mark Stevens angefreundet und zu spät gemerkt, daß er sie in jeder Hinsicht beherrschen und kontrollieren wollte. Sie fragte sich immer noch, wieso sie drei Monate gebraucht hatte, um zu begreifen, was los war, und aus der Wohnung auszuziehen. Gerard hatte ihr damals sehr geholfen. Dreimal in der Woche hatte sie sich um seinen Haushalt gekümmert, so daß sie sich ein bißchen Geld hatte sparen können. Alles in allem war es ein schwieriges Jahr gewesen, und sie hatte sich immer noch nicht ganz mit dem Tod ihrer Mutter abgefunden. Doch jetzt weinte sie nicht mehr so oft und spürte deutlich, daß sie allmählich ihr seelisches Gleichgewicht wiederfand. Es gab immer noch einige Probleme zu lösen, und sie mußte sich entscheiden, was sie nach dem Studium machen wollte. Sie konnte sich nicht erlauben, nicht zu arbeiten. Momentan brauchte sie sich jedoch noch keine Gedanken zu machen. Erst wollte sie das andere Versprechen einlösen, das sie ihrer Mutter gegeben hatte. In dieser wunderschönen Umgebung würde es ihr sicher gelingen, den Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen. Jacinta hob das Gesicht der Sonne entgegen und schloß lächelnd die Augen. Die Sonnenstrahlen schienen auf ihren feuchten Wimpern zu tanzen, die wie Diamanten funkelten. Statt unter einem Dach mit Paul zu wohnen, würde ich viel lieber in der Strandhütte hausen, dann würde ich ihm höchstens ein- oder zweimal im Monat über den Weg laufen, überlegte sie.
Eigentlich war es gar nicht so schlimm, daß sie ihn so umwerfend attraktiv fand. Viele Frauen empfanden wahrscheinlich genauso. Wenigstens fühle ich mich nur körperlich zu ihm hingezogen, sonst nichts, tröstete sie sich. Auf einmal hörte sie einen feinen, melodischen Gesang, wie von kleinen Glocken. Jacinta blieb stehen und lauschte. Dann sah sie die Tuis in den Büschen. Einer dieser Vögel sang sein Lied, das wie ein Glockenspiel klang. Als Paul sie plötzlich beim Namen rief, wirbelte sie erschrocken herum. "Du liebe Zeit, lassen Sie das!" fuhr sie ihn ärgerlich an. Er runzelte die Stirn. "Haben Sie schwache Nerven?" "Nein! Ich habe nur gerade ... ich ..." "Schon gut", sagte er. Seine Stimme klang tief und seltsam beruhigend. Der Tui unterbrach seinen Gesang und fing statt dessen an zu schnauben und keuchen und gab Töne von sich wie ein zufriedenes Schwein. Paul legte ihr die Hand auf die Schulter, und Jacinta fühlte sich irgendwie geborgen. "Hier gibt es außergewöhnliche Vögel", stellte sie fest. Sie rang nach Fassung und trat einen Schritt zurück. "Pinguine, die wie Esel schreien, Tuis, die wie Schweine grunzen ..." "So sind sie eben. Fahren Sie immer so erschrocken zusammen, wenn jemand Sie anspricht?" "Nein, aber ich hatte Sie nicht gehört." Wahrscheinlich bin ich etwas angespannt. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, in der Strandhütte zu wohnen. Das ich jetzt in Ihrem Haus untergekommen bin, ist noch zu neu." Sie lächelte zaghaft. "Wo befindet sich die Strandhütte überhaupt?" Paul zog die Hand zurück und wies in südliche Richtung. "In der Bucht dort hinten." Sie nickte. All ihre Sinne waren plötzlich aufs äußerste geschärft. Sie hörte das Meer rauschen und spürte die Hitze und
den Wind auf ihrer Haut. Sie atmete die Luft ein, die nach Salz und Wasser roch, und war sich ihrer Emotionen sehr bewußt. "Wie heißt die Bucht?" fragte Jacinta schließlich, nur um etwas zu sagen. "Homestead Bay." "Es muß herrlich sein, hier aufzuwachsen." "Ja, das kann ich mir auch vorstellen", erwiderte er ruhig. "Aber ich habe das Haus und das Grundstück erst vor ungefähr fünf Jahren gekauft." In seiner Stimme lag ein seltsamer Unterton. Zu spät fiel Jacinta ein, daß er es gekauft hatte, nachdem seine Verlobte ihn sitzen gelassen hatte. "Ist das die Coromandel-Halbinsel dort hinten?" lenkte sie rasch vom Thema ab. "Ja, und etwas weiter links davon sehen Sie die GreatBarrier-Insel." "Es ist unglaublich schön." "Finde ich auch", stimmte er zu. Jacinta versteifte sich. Egal, was er sagte, immer schien er sich über sie lustig zu machen. Paul McAlpine mochte sie nicht, und er war offenbar sehr mißtrauisch, anders konnte Jacinta sich seine Reaktion nicht erklären. Das ist doch lächerlich, schalt sie sich sogleich, denn sie kannte ihn gar nicht gut genug, um seinen Tonfall und seine Miene zu deuten. "Gerard hat mir erzählt, daß Sie Rechtsanwalt seien", erklärte sie unvermittelt. "Ich befasse mich hauptsächlich mit internationalem Recht", antwortete er etwas abweisend. Seine Karriere ist wohl tabu, dachte sie und versuchte es mit einem anderen Thema. "Wird Ihre Farm noch bewirtschaftet?" "Ja. Wir züchten Rinder und Schafe. Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles."
Sein charmantes Lächeln und seine Selbstsicherheit gingen ihr unter die Haut. Er wußte wahrscheinlich genau, wie er auf Frauen wirkte. Jacinta erwiderte sein Lächeln. "Gern. Glauben Sie, daß die Viehzucht noch eine Zukunft hat? Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, vegetarisch zu essen." Leicht belustigt zog er eine Augenbraue hoch, ging aber höflich und sachlich auf ihre Frage ein. Er würde sich sicher nie zu einer spontanen oder gefühlsbetonten Antwort hinreißen lassen, sondern sich strikt an Tatsachen halten, ganz wie es sich für einen Rechtsanwalt gehört, überlegte sie. Plötzlich hatte sie noch eine andere Erklärung. Vielleicht war er so tief verletzt worden, daß er keine Gefühle mehr zulassen wollte. Andererseits wirkte er nicht so, als würde er sich nicht mehr verlieben wollen. Trotzdem vermutete Jacinta, daß seine freundliche, umgängliche Art nur Fassade war, hinter der viel mehr steckte, als er zu zeigen bereit war. Wenn man die Mauern durchbrechen wollte, die er um sich her aufgerichtet hatte, würde man sich sehr anstrengen müssen. Sie unterhielten sich angeregt, während sie an Schuppen vorbeigingen, in denen Schafwolle gelagert wurde, und unter Macroearpabäumen an einer eingezäunten, beschotterten Laufspur entlang wanderten, die auf andere Weideflächen führte. Paul McAlpine beleuchtete jedes Thema von allen Seiten. Er hatte einen scharfen Verstand, und es machte ihm offenbar Spaß, mit Jacinta zu diskutieren. Doch sobald das Gespräch persönlicher wurde, wich er aus. Wenn die Pinguine sich nicht ausgerechnet die Strandhütte zum Brüten ausgesucht hätten, wären die nächsten drei Monate bestimmt viel weniger kompliziert, dachte Jacinta und wünschte sich, sie könnte es sich erlauben, sich dankend zu verabschieden und sich um eine andere Unterkunft zu bemühen.
Wahrscheinlich mache ich mir nur unnötig Gedanken, sagte Jacinta sich schließlich. Sie würde sich auf jeden Fall für seine Gastfreundschaft erkenntlich zeigen und sie nicht als selbstverständlich hinnehmen. Das war sie sich schuldig. Zurück im Haus, in dem es angenehm kühl war, erklärte Paul ihr freundlich: "Um halb acht wird das Dinner serviert. Ab sieben Uhr finden Sie mich im Wintergarten, wenn Sie vor dem Essen noch einen Drink möchten." "Vielen Dank", erwiderte sie kurz angebunden. Sie kam sich wieder einmal ungeschickt und linkisch vor. In ihrem Zimmer stellte sie sogleich den Computer an und begann zu schreiben. Nach der Überschrift "Erstes Kapitel" hielt sie inne und holte eine sehr alte Zitatensammlung hervor, die sie günstig erstanden hatte. Sie schlug den Band auf und las die Zeilen aus Shakespeares Richard dem Zweiten: Meine Ehre ist mein Leben; beide gehören zusammen; nimm mir meine Ehre, und mein Leben ist verloren. Starke Worte, überlegte Jacinta. Nachdenklich legte sie das Buch beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Computer. Zunächst schien alles wie von selbst zu laufen. Sie hatte ihrer Mutter die Geschichte mit den vielen Fortsetzungen so oft erzählt, daß sie sie auswendig kannte. Als sie die erste Seite durchlas, runzelte sie die Stirn; Es klang schwerfällig und unbeholfen. Und wenn sie versuchte, sich das Einhorn mit den bläuen Augen vorzustellen, sah sie statt dessen Paul mit seinen blauen Augen vor sich, wie er sie kühl, distanziert und rätselhaft ansah. Schließlich stand sie auf und blickte zum Fenster hinaus. Der Gedanke, sich im Garten im Liegestuhl zu sonnen, war äußerst verlockend. Entschlossen setzte sie sich wieder hin. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, die Geschichten zu einem Roman
zusammenzufassen, und sie würde es auch tun, egal, wie das Ergebnis ausfallen würde. Eine Stunde später stand sie wieder auf und ging zu der Balkontür, die auf die Veranda führte. Sie erinnerte sich an Paul McAlpines seltsamen Blick, als sie ihm erklärt hatte, daß sie den Computer von Gerard bekommen hatte. Vielleicht hatte Paul besondere Gründe dafür, sich um seinen Cousin zu sorgen. Jacinta wußte jedenfalls, daß sie Gerard nicht ausnutzte, und er wußte es auch. Es konnte jedoch sein, daß es sich für einen Außenstehenden anders darstellte. Gerard hatte ihr sein Auto geliehen, und er hätte ihr auch Geld geliehen, wenn sie es nicht strikt abgelehnt hätte. Aus reiner Menschenfreundlichkeit hatte er ihr die Unterkunft bei Paul verschafft, damit sie sich mit dem Thema für ihre Doktorarbeit befassen konnte. Das sie ihrer Mutter auch noch versprochen hatte, einen Roman zu schreiben, ahnte Gerard nicht. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie den Wagen besser in die Garage stellen würde, denn die salzhaltige Meerluft ließ Autos schneller rosten. Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg. Draußen im Garten betrachtete sie lächelnd die blühenden Blumen und Pflanzen, die auch ihre Mutter so sehr geliebt hatte. Jacinta blinzelte die Tränen weg, die ihr in die Augen stiegen, und öffnete das Tor. Als sie hindurchgehen wollte, stieß sie mit jemandem zusammen. "Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht gesehen", sagte der junge Mann mit deutlich neuseeländischem Akzent. "Nein", antwortete sie und trat einige Schritte zurück, "es ist nicht Ihre Schuld, ich habe nicht aufgepaßt..." Er schaute sie mit den dunklen Augen bewundernd an und lächelte dann ungezwungen und herzlich. "Dean Latrobe", stellte er sich vor. "Ich bin Pauls Farmmanager." Jacinta erwiderte sein Lächeln. "Jacinta Lyttelton. Ich bin Pauls Gast."
"Ach ja, er hat erwähnt, daß Sie den Sommer in der Strandhütte verbringen wollten. Er war verblüfft, als ich erzählte, daß die Pinguine sich dort eingenistet hätten." "Das kann ich mir vorstellen." Sie lachte kurz auf. "Freundlicherweise hat er mir dann eines seiner Gästezimmer angeboten." "Wenn Sie mir die Schlüssel geben, fahre ich Ihren Wagen in die Garage. Es ist doch Ihr Auto, oder?" "Nein, es gehört Pauls Cousin. Er ist momentan in den USA", erklärte sie rasch. "Der Wagen kam mir gleich so bekannt vor. Vor ungefähr einem Monat war Pauls Cousin hier. Haben Sie die Schlüssel?" "Ich hole Sie. Aber ich kann das Auto selbst in die Garage fahren, wenn Sie mir zeigen, wo sie ist." "Okay." Als sie sich umdrehte, um ins Haus zurückzugehen, sah sie sich Paul gegenüber. Mit leicht zusammengekniffenen Augen musterte er abwechselnd sie und seinen Manager. "Ich wollte den Wagen in die Garage fahren", stieß sie verblüfft hervor. "Ist es Ihnen recht?" "Ja, natürlich." "Dann hole ich die Schlüssel." Höflich machte Paul ihr Platz. Und als sie mit den Schlüsseln zurückkam, war Dean weg. Paul betrachtete sie mit unbewegter Miene. Jacinta versuchte, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. "Wenn Sie mir zeigen, wo die Garage ist, fahre ich das Auto hinein." "Ich komme mit", erwiderte er ruhig und hielt ihr die Wagentür auf. Langsam stieg sie ein und kurbelte das Fenster herunter, nur um etwas zu tun, während sie darauf wartete, daß er sich neben sie setzte. "Fahren Sie den Wagen oft?"
Sie startete den Motor und fuhr los. "Nein", erwiderte sie wahrheitsgemäß. Nur einmal in der Woche benutzte sie ihn zum Großeinkauf im Supermarkt. "Fahren Sie links rein", dirigierte Paul sie in die richtige Richtung. Über die Einfahrt gelangte sie auf den großen, kiesbedeckten Innenhof hinter dem Haus. Die Garage befand sich in einem der beiden Seitenflügel. Mitten im Hof war ein Kräutergarten angelegt, der von einem Laubengang mit aprikosenfarbenen Rosen umgeben war. Jacinta konzentrierte sich darauf, den Wagen in die geöffnete Garage zu lenken. Nachdem sie ihn neben der Luxuslimousine abgestellt hatte, atmete sie erleichtert auf. "Sie können gut fahren", sagte Paul anerkennend, während er den Sicherheitsgurt löste. "Danke." Sie freute sich über das Kompliment. "Kein Wunder, daß Gerard Ihnen sein Auto anvertraut hat." "Aber erst, nachdem er sich von meinen Fahrkünsten überzeugt hatte", erwiderte sie. Dann stieg sie aus und knallte die Tür etwas zu heftig zu. Was ist eigentlich mit mir los? fragte sie sich, als sie mit Paul zum Hintereingang ging. Vielleicht wäre es doch vernünftiger, sie würde nach Auckland zurückfahren und sich einen Ferienjob suchen. Aber warum sollte sie einfach weglaufen? Sie würde bestimmt mit der Situation zurechtkommen. Außerdem hatte sie ihrer Mutter versprochen, das Buch noch in diesem Jahr zu schreiben. Sie mußte sich also beeilen. "Übrigens, Dean ist verlobt", erklärte Paul unvermittelt. Sekundenlang wußte sie nicht, weshalb Paul es überhaupt erwähnte. Doch als sie begriff, was er damit sagen wollte, hätte sie am liebsten laut gelacht. Du liebe Zeit, wofür hält er mich? fragte sie sich. War sie seiner Meinung nach etwa so etwas wie eine Femme fatale? Oder dachte er, sie brauche so verzweifelt
einen Mann, daß sie mit jedem flirten würde, der ihr über den Weg lief? Plötzlich ärgerte sie sich. "Schön für ihn", antwortete sie betont liebenswürdig und mußte sich sehr anstrengen, die Stimme nicht spöttisch klingen zu lassen. Paul warf ihr einen durchdringenden Blick zu, dann verzog er die Lippen, aber das Lächeln mißlang und wirkte aufgesetzt. "Ja, finde ich auch", sagte er auffallend lässig. "Seine Verlobte heißt Brenda, sie ist Mathematiklehrerin am hiesigen Gymnasium." Jacinta schaute ihn an. In seinen Augen blitzte es so kalt und verächtlich auf, daß es ihr den Atem verschlug. Er ist so gefährlich wie eine Raubkatze, die ihrer Beute auflauert, dachte sie. "Stammt sie von hier?" fragte sie, nur um kein Schweigen aufkommen zu lassen, was sie noch bedrohlicher gefunden hätte als seine Bemerkungen. Sein aufgesetztes Lächeln verschwand. "Ja, aus einer der ältesten und angesehensten Familien", erwiderte er. Paul McAlpine war nicht nur überaus intelligent, geschickt und clever, sondern attraktiv und charismatisch. Er wirkte wahrscheinlich auf jede Frau anziehend, schon allein wegen seiner starken Persönlichkeit. Das er gefährlich und kalt wie Eis ist, habe ich mir sicher nur eingebildet, beruhigte Jacinta sich. Zugegeben, sie fühlte sich zu ihm hingezogen, und das war ärgerlich und unangenehm, doch damit würde sie zurechtkommen. Solche Empfindungen verschwanden von ganz allein, wenn man sie beharrlich ignorierte. Er hielt ihr die Tür auf, und Jacinta ging ihm voraus ins Haus, in dem es angenehm kühl war. "Wir sehen uns dann um sieben." Obwohl sie genau dasselbe hatte sagen wollen, ärgerte sie sich. Deutlicher hätte er ihr nicht zu verstehen geben können, daß sie sich zurückziehen sollte.
Mit hocherhobenem Kopf durchquerte sie die Eingangshalle und verschwand in ihrem Zimmer.
3. KAPITEL Jacinta ging ruhelos im Zimmer umher und blieb schließlich vor der Frisierkommode mit dem Spiegel stehen, der so alt war, daß er einen leicht silbrig schimmernden Belag hatte. Vielleicht hatte sie deshalb den Eindruck, anders auszusehen. Ihre Lippen wirkten voller und röter, und die goldfarbenen Sprenkel in ihren grünen Augen schienen zu funkeln. "Ach, mach dir doch nichts vor", sagte sie laut und leicht gereizt zu ihrem Spiegelbild. Dann drehte sie sich um und setzte sich an den Schreibtisch. Es war ziemlich leicht gewesen, sich die Geschichte auszudenken, die sie ihrer Mutter erzählt hatte. Als ihre Mutter eines Tages von so starken Schmerzen gequält worden war, daß sie nicht hatte lesen können, hatte Jacinta versucht, sie mit der Geschichte abzulenken, die schon wochenlang in ihrem Kopf herumgegeistert war. Ihre Mutter war so begeistert gewesen, daß sie jeden Tag eine Fortsetzung hören wollte. Und dann hatte sie Jacinta gebeten, einen Roman daraus zu machen. Aber das war gar nicht so einfach, wie Jacinta jetzt feststellte. Was sie in den Computer eingegeben hatte, kam ihr vor wie eine simple Aneinanderreihung von Worten und Sätzen, die keine Resonanz hervorriefen und die Phantasie nicht anregten. Stirnrunzelnd blickte sie auf den Bildschirm. Als sie plötzlich Paul McAlpines Stimme hörte, schreckte sie aus den Gedanken
auf. Er sprach im Garten mit jemandem und schien belustigt zu sein. Plötzlich wurde ihr bewußt, was an ihrem Manuskript nicht stimmte. Beim Erzählen hatte sie mit ihrer Stimme dramatische Effekte erzielt, hatte Freude und Verzweiflung, Wut und Hoffnung ausgedrückt. Jetzt mußte sie die Emotionen mit den richtigen Worten aufzeigen und herausarbeiten. "Danke, Paul", sagte sie leise. Dann vertiefte sie sich so sehr in die Arbeit, daß sie erst kurz vor sieben wieder auf die Uhr schaute. Hastig stellte sie den Computer ab und eilte ins Badezimmer. Nachdem sie geduscht und sich abgetrocknet hatte, hüllte sie sich in das Badetuch und ging über den Flur. Sie hatte die Tür beinah erreicht, als sie das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Instinktiv warf sie einen Blick über die Schulter. Paul stand an der Tür seines Schlafzimmers und schaute Jacinta so durchdringend an, daß sie Herzklopfen bekam und ein Kribbeln im Bauch verspürte. Er sagte nichts, aber sie bemerkte, daß seine Wangen dunkler aussahen, was sie überraschte und zugleich erregte. "Ich bin sofort fertig", stieß sie heiser hervor und verschwand rasch in ihr Zimmer. Du liebe Zeit, ich benehme mich wie ein Teenager und muß mich unbedingt zusammenreißen, dachte sie. Wahrscheinlich würde jeder Mann mehr oder weniger interessiert hinter einer Frau herschauen, die nur in ein Badetuch gehüllt umherlief. Das weckte sexuelle Phantasien und aktivierte die Hormone. Es bedeutete jedoch noch lange nicht, daß er sie, Jacinta Lyttelton, wirklich begehrenswert fand. Rasch zog sie sich den BH und den Minislip an und stellte sich vor den Kleiderschrank. Sie hatte natürlich nicht die passende Kleidung für einen Drink vor dem Dinner mit einem erfolgreichen Rechtsanwalt, der in einem Traumhaus auf einer Farm am Meer wohnte. Ein weichfließendes Seidenkleid in
einer dezenten Farbe wäre dem Anlaß angemessen oder schicke, moderne Freizeitkleidung. Aber so etwas besaß Jacinta nicht. Sie langte nach einem Outfit aus orangefarbener Seide, das aus einer Bluse, einem Top und einem Rock bestand, und biß sich auf die Lippe. Dieses Outfit war das einzige, was sie sich in den vergangenen zehn Jahren ganz spontan gekauft hatte, aber nur auf Drängen ihrer Mutter, die es in der kleinen Boutique auf der Fidschiinsel entdeckt hatte. Jacinta hatte es noch nie getragen, obwohl die warme, kräftige Farbe ihr Haar erstrahlen und ihre Haut wie Elfenbein schimmern ließ. Der weitschwingende, knöchellange Rock verlieh ihrer Erscheinung und ihren Bewegungen eine Anmut, die sie sonst nicht zu besitzen glaubte. Nein, sie konnte das Ensemble nicht anziehen, es war viel zu auffallend und für ein normales Abendessen nicht geeignet. Sobald ich es mir finanziell erlauben kann, kaufe ich mir mehr Sachen in so intensiven und leuchtenden Farben, nahm sie sich vor. Schließlich entschied sie sich für einen kniekurzen rostbraunen Rock und ein T-Shirt in demselben Grün wie ihre Augen. Im übrigen ist es ganz egal, was ich anhabe, Paul merkt es sowieso nicht, überlegte sie. Dann bürstete sie sich das lange Haar aus dem Gesicht und steckte es auf dem Kopf zusammen. Da es so dicht und gelockt war, würde die Frisur sowieso nicht länger als eine Stunde halten, aber so lange würde sie wenigstens ordentlich aussehen. Um zehn nach sieben war sie endlich fertig und ging in den Wintergarten. Als Paul sie erblickte, stand er sogleich höflich auf. Obwohl er mit seinen etwa ein Meter fünfundachtzig nur zehn Zentimeter größer war als sie, schien er sie um Haupteslänge zu überragen. "Guten Abend", begrüßte er sie freundlich. "Was möchten Sie trinken?" "Nur Sodawasser, bitte."
Paul trug ein kurzärmliges Hemd und eine perfekt sitzende Freizeithose, die sich eng um seine Hüften schmiegte und die muskulösen Oberschenkel ahnen ließ. Er sah einfach großartig, eindrucksvoll und überwältigend aus. Jacinta war froh, daß er nicht versuchte, sie zu einem Drink zu überreden. Sie fühlte sich auch so schon wie berauscht und fand es irgendwie unfair, daß sie völlig vernarrt in ihn war. Für einen Teenager waren solche Zustände normal, es gehörte dazu, daß man errötete und Herzklopfen bekam und einen Mann schwärmerisch ansah. Aber mit neunundzwanzig machte man sich mit einem solchen Benehmen völlig lächerlich. Jacinta nahm das Glas mit Sodawasser entgegen, das er ihr reichte. Dankbar trank sie von dem kühlen Getränk. Plötzlich bekam sie Schluckauf. Paul lächelte verständnisvoll. "Das passiert mir auch. Dann fühle ich mich wieder wie acht oder neun." Man müßte ihm verbieten, daß er so charmant lächelt, dachte sie und erwiderte sein Lächeln leicht verlegen. "Sprudelnde Getränke sind nichts für mich,, ich sollte darauf verzichten", sagte sie. "Es wäre doch schade, wenn Sie keinen Champagner mehr trinken würden", erwiderte er und schenkte sich einen Whisky mit Soda ein. "Den habe ich noch nie probiert", gab sie spontan und unüberlegt zu. Sogleich bereute sie es, denn jetzt würde er sie für völlig unerfahren und absolut naiv halten. Offenbar war er überhaupt nicht überrascht. Vielleicht hatte er sogar Mitleid mit ihr und dachte, sie sei ein kleines Nichts, das dankbar sei für milde Gaben. Am liebsten hätte sie ihm ihre Meinung gesagt. Aber als sie seinem rätselhaften Blick begegnete, schwieg sie lieber. "Schauen Sie mich doch nicht so gereizt an, als müßten Sie sich verteidigen. Viele Leute trinken keinen Alkohol."
"Ich bin keine Antialkoholikerin, sondern trinke ab und zu ganz gern Apfelwein und Weißwein. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, Champagner zu probieren, das ist alles." "Auch nicht an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag?" "Nein." "Dann holen wir es heute abend einfach nach", schlug Paul ruhig vor. "Setzen Sie sich, ich hole eine Flasche." "Nein ... ich möchte nicht..." ärgerlich blickte sie hinter ihm her, während er den Raum verließ. Obwohl sie sehr irritiert war, betrachtete sie bewundernd seine breiten Schultern und bemerkte, wie geschmeidig er sich bewegte. Plötzlich verspürte sie wieder ein Kribbeln im Bauch. Du liebe Zeit, dieser Mann geht mir wirklich unter die Haut, dachte sie und stellte sich ans Fenster. Sogleich lenkten die Farben und Kontraste, das ruhige Meer und das immer dunkler werdende Blau des Himmels sie von den Gedanken an Paul ab. Und als er zurückkam, hatte sie sich wieder gefangen. "Es ist sehr nett von Ihnen",' sagte sie freundlich. "Das liegt in der Familie", erwiderte er leicht ironisch, während er die Flasche hinstellte und den Korken herauszog. Dann schenkte er das honiggelbe Getränk in zwei Sektkelche. Sekundenlang zögerte er, ehe er ihr eines der Gläser reichte. Vorsichtig nahm sie es entgegen. Als ihre Finger sich berührten, hatte sie das Gefühl, ein Stromstoß würde durch ihren Körper fahren und ganz neue Gefühle in ihr wachrufen. Dieses seltsame Kribbeln und erregende Prickeln beweisen nur, wie vernarrt ich in ihn bin, überlegte sie leicht ironisch. "Trinken wir darauf, daß Sie einundzwanzig sind", sagte Paul ruhig. "Danke." Jacinta lächelte ihn an, doch dann senkte sie die Lider mit den langen Wimpern und trank einen Schluck des köstlichen Getränks, das ein bißchen frivol schmeckte, jedenfalls ihrer Meinung nach.
Und prompt stellte" sich der Schluckauf wieder ein. "O nein." Sie stöhnte auf. "Das ist geradezu eine Beleidigung für den Champagner." "Nein, so schlimm ist es wirklich nicht." Seine Stimme klang so, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. Jacinta warf ihm einen kurzen Blick zu. Paul lächelte, wirkte jedoch geistesabwesend und schien über irgend etwas nachzudenken. Sie war verletzt, obwohl sie eigentlich keinen Grund dafür hatte, und trank noch einen Schluck Champagner. "Es hat sich wirklich gelohnt, ihn zu probieren. Danke", sagte sie. Eine Weile unterhielten sie sich über alles mögliche. Dann entbrannte eine interessante Diskussion über Politik. Jacinta gefiel es, sie nahm die Herausforderung gern an, sich mit seinem scharfen Intellekt zu messen, und war mit sich zufrieden, als sie feststellte, daß sie Paul gewachsen war. Großartig, eindrucksvoll und überwältigend - ja, so war er wirklich. Und sehr ruhig und gelassen. Er äußerte seine Meinung sachlich und emotionslos, während Jacinta gefühlsbetonter argumentierte. Als sie eine Behauptung widerlegen wollte, die er aufgestellt hatte, merkte sie plötzlich, daß ihr ganz warm geworden war und daß sie immer lauter sprach. "Oh", unterbrach sie sich und betrachtete das leere Glas, das sie noch in der Hand hielt. "Ich rede zuviel. Ich glaube, ich bin beschwipst." "Bestimmt nicht." Sie stellte das Glas hin und legte die Hände auf die Wangen. "Es fehlt aber nicht mehr viel." Paul lachte. "Wenn Sie etwas essen, ist alles wieder in Ordnung. Kommen Sie, Fran hat mir gerade zu verstehen gegeben, daß das Essen fertig ist."
Jacinta stand vorsichtig auf. Obwohl ihr ein bißchen schwindlig war, fiel sie nicht hin und stieß auch nicht gegen die Möbel, sondern ging mühelos zwischen ihnen hindurch. Wenn ich jeden Tag Champagner trinke, bin ich vielleicht nicht mehr so ungeschickt, fuhr es ihr durch den Kopf, und sie lachte belustigt auf. "Es gefällt mir, wenn sie so fröhlich lachen", sagte Paul und hielt ihr die Tür auf. Sie erzählte ihm, was sie gedacht hatte. "Sie sind doch nicht ungeschickt. Sie bewegen sich leicht und unbekümmert." Er musterte sie nachdenklich. "Warten Sie, bis ich stolpere", versprach sie verheißungsvoll. Natürlich freute sie sich über sein Kompliment, ließ es sich jedoch nicht anmerken. "Es passiert mir bei den unmöglichsten Gelegenheiten." "Das hört sich eher so an, als wären sie etwas unsicher. Das läßt sich ändern, indem Sie Ihr Selbstwertgefühl und Ihr Selbstbewußtsein stärken." "So einen Rat hätte ich von einem Rechtsanwalt nicht erwartet." Sie war überrascht, wie feinfühlig er war. Paul lachte und ging ihr voraus. Fran hatte das Dinner in der Essecke des Wohnzimmers serviert. Die breite Fensterfront gab den Blick auf den Garten und aufs Meer frei, und die geöffnete Glastür, durch die man das sanfte Rauschen der Wellen hörte, führte auf die Terrasse. Schon nach dem ersten Gang spürte Jacinta nichts mehr von dem Alkohol, genau wie Paul vorausgesagt hatte. Sie lehnte es jedoch ab, noch ein Glas Champagner zu trinken. "Er hält sich doch, oder?" fragte sie besorgt. Sogleich hatte sie wieder das Gefühl, etwas Dummes gesagt zu haben. "Nur wenn man die Flasche gut zumacht", erwiderte er. Sie nickte. "Meine Mutter hat, immer sehr darauf geachtet, daß nichts verschwendet und weggeworfen wurde."
"Meine auch. Ich glaube, die Generation unserer Eltern war insgesamt noch viel sparsamer." "Unsere nicht?" Er zog eine Augenbraue hoch. "Das kann man nicht verallgemeinern." Dann lehnte er sich zurück, legte eine Hand auf den Tisch und betrachtete die goldgelben Rosen in der Vase. Plötzlich schien er wieder ganz weit weg zu sein. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt, so als würde er nur die Lippen verziehen. Jacinta fühlte sich allein gelassen und wie beraubt. Sie war seltsam unzufrieden und auch ein bißchen enttäuscht. Später am Abend entschloß sie sich, noch am Strand spazieren zugehen. Im Schatten eines Pohutukawabaums blieb sie stehen und lauschte in die Stille hinein, die sie umgab. Sie hatte gehofft, sich hier draußen in der herrlichen Natur zu beruhigen, hatte aber immer noch Herzklopfen und war noch viel zu aufgewühlt. Wenn sie nicht aufpaßte, würde sie sich auf etwas einlassen, das ihr am Ende nur Schmerz und Kummer bereitete. Im gedämpften Licht des Monds, der sich im Westen am dunklen Himmel zeigte, schimmerten das Meer und die Wellen, die ans Ufer schlugen, silbern. Und dann erblickte sie Paul McAlpine. Jacinta schlug das Herz bis zum Hals. Er schlenderte den Strand entlang, hatte die Hände in die Taschen geschoben und den Kopf leicht gesenkt. Sekundenlang glaubte sie, in seiner Miene eine Verletzlichkeit zu lesen, die sie bisher noch nicht bemerkt hatte. Plötzlich blickte er auf. "Ich wußte gar nicht, daß Sie auch hier sind. Kommen Sie, wir können zusammen weitergehen", forderte er sie mit seiner wohlklingenden, tiefen Stimme auf. Peinlich berührt, so als wäre sie hinter ihm hergelaufen und hätte ihn absichtlich beobachtet, sprang sie ziemlich ungeschickt
die niedrige Abgrenzung hinunter in den Sand und fiel prompt hin. . Paul reichte ihr die Hand und fragte: "Alles in Ordnung?" Warum habe ich ihm nur erzählt, daß ich bei den unmöglichsten Gelegenheiten stolpere? fuhr es ihr durch den Kopf. Scharfsinnig, wie er war, würde er vielleicht jetzt erraten, daß sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Sie ärgerte sich über sich selbst und ignorierte seine Hand. "Ja natürlich, danke", erwiderte sie und stand auf. "Ich hatte nicht daran gedacht, daß der Sand hier oben so tief und trocken ist. Zumindest war es eine sanfte Landung. Ich habe Sie ja gewarnt, daß ich oft stolpere. Das war schon immer so, auch wenn Sie meinen, es sei mangelndes Selbstvertrauen. Es hat wahrscheinlich eher etwas mit meinen langen Beinen und einem gestörten Gleichgewichtssinn zu tun." "Möglich", räumte er uninteressiert ein. "Können Sie nicht schlafen?" Nachdem sie zwei Stunden am Computer gearbeitet hatte, war sie noch hellwach und viel zu angespannt gewesen, um ins Bett zu gehen. Sie verdrängte den Gedanken, daß vielleicht Paul der Grund für ihre Ruhelosigkeit sein könnte. "Es ist eine herrliche Nacht", antwortete sie ausweichend. Er lächelte. "Ja. Wir haben hier oft solche Nächte. Morgen müssen Sie sie ohne mich genießen, ich bleibe in der Stadt." "Finden Sie Auckland nicht unerträglich, wenn Sie länger auf Waitapu waren?" fragte sie. Paul zuckte die Schultern. "Ach, es ist gar nicht so schlimm. Die Stadt hat einiges zu bieten. Ich habe dort gelebt, bis ich Waitapu gekauft habe. Wenn ich weg bin, können Sie ja mit Fran besprechen, was Sie sich ansehen möchten. Sagen Sie ihr bitte immer, wohin Sie gehen und wann Sie ungefähr zurückkommen."
Sie nickte. "Ja, sicher. Ich werde mich sowieso nicht zu weit vom Haus entfernen. Außerdem habe ich lange auf einer Farm gelebt und kenne die Regeln." "Sind Sie dort aufgewachsen?" "Nein, in einer Kleinstadt. Als ich achtzehn war, sind wir nach Auckland gezogen, damit ich zur Uni gehen konnte. Dann war meine Mutter auf den Rollstuhl angewiesen und wollte gern auf dem Land wohnen. Deshalb haben wir uns ein Cottage, das zu einer Farm gehörte, in der Nähe einer anderen Kleinstadt gemietet." "Im Northland?" "Nein, nicht weit von den Hauraki Plains." "Leben Sie auch lieber auf dem Land als in der Großstadt?" fragte Paul mäßig interessiert. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. "Ich weiß es nicht ... doch, ja, ich glaube schon. Aber Auckland gefällt mir auch ganz gut." "Und was dort?" "Die Uni, dann das kulturelle Angebot, die Gemäldegalerien. Außerdem herrscht dort eine entspannte, gelöste Atmosphäre. Ich mag das Gefühl, daß in dieser Stadt alles möglich ist, so als wäre die Welt ein Spielplatz, auf dem wir alle uns vergnügen können." Sie waren am Ende des Strands angekommen und blieben stehen. Paul betrachtete die alten Pohutukawabäume mit den ausladenden Ästen, die oberhalb des kleinen Hangs wuchsen, der das Land zum Meer hin begrenzte. "Diese Atmosphäre entsteht nur durch die klimatischen Bedingungen und die günstige Lage am Golf von Hauraki. In den anderen großen Städten Neuseelands fehlen diese Voraussetzungen." Eines Tages werde ich diese Großstädte genauso gut kennen wie er, nahm Jacinta sich vor. Plötzlich war sie ganz aufgeregt
und befürchtete, Paul würde es ihr anmerken. Rasch wandte sie sich ab und ging weiter. Am liebsten wäre sie stundenlang im Mondschein neben Paul hergewandert und hätte sich mit ihm unterhalten. Ihr war jedoch klar, daß sie sich bald schon mehr wünschen würde, als nur mit ihm zu reden. Deshalb mußte sie in Zukunft solche Situationen unbedingt vermeiden. Da ihr kein unverfängliches Thema einfiel, fing sie an, übers Wetter zu reden. Während sie zum Haus zurückgingen, unterhielten sie sich noch über Kunst und Musik, Sport und andere neutrale Themen. Und als sie über die Rasenfläche schlenderten, schwiegen sie. Jacinta nahm alle Eindrücke in sich auf, den Duft nach Meer und Salz, den Duft der blühenden Blumen, die dunklen Schatten der Bäume und Sträucher um sie her und die unglaubliche Weite des sternenübersäten Himmels, an dem der Mond leuchtete. Alle ihre Sinne waren geschärft, und sie empfand so etwas wie Vorfreude. Schließlich erreichten sie die Stufen der Veranda, die drei Seiten des Hauses umgab. Jacinta wünschte sich, noch eine Weile mit ihm draußen zu sitzen und die Ruhe und Stille zu genießen. Sie eilte die Stufen hinauf - und stolperte. Paul reagierte schnell, er umfaßte ihre Hüften und hielt Jacinta fest, damit sie nicht hinfiel. Sekundenlang spürte sie seinen muskulösen Körper an ihrem, und heißes, leidenschaftliches Verlangen breitete sich in ihr aus. "Danke", sagte sie heiser und riß sich so heftig von ihm los, als hätte sie sich verbrannt. Am liebsten wäre sie in ihr Schlafzimmer geflüchtet. Sie nahm sich jedoch zusammen und drehte sieh oben auf den Holzdielen zu Paul um. Und dann verschlug es ihr die Sprache. Paul hatte sich nicht von der Stelle gerührt, und in seinen Augen leuchtete es
rätselhaft auf. Im gedämpften Licht des Mondes konnte Jacinta sogar erkennen, daß die Muskeln an Pauls Kinn leicht zuckten. Er spürt es auch, dachte sie begeistert. Doch wenige Sekunden später war der magische Moment schon wieder vorbei. Paul gewann die Kontrolle über sich zurück, und seine Gesichtszüge wurden maskenhaft. "Sie sollten etwas vorsichtiger die Stufen hinaufgehen." Seine Stimme klang ziemlich normal, höchstens etwas zurückhaltend. Jacinta schluckte. "Ich werde besser aufpassen. Aber ich habe Sie ja gewarnt, obwohl ich sonst eher Treppen hinunterfalle." Hoffentlich denkt er nicht, ich hätte es absichtlich getan, das wäre mir unerträglich, überlegte sie. Sie wurde sich bewußt, daß sie sich nicht nur körperlich zu ihm hingezogen fühlte, sondern viel mehr für ihn empfand. Wie lange hatte sie in seinen Armen gelegen? Höchstens zwei Sekunden, und die hatten genügt, ihr ganzes Leben zu verändern. Entsetzt über ihr ungestümes Verlangen, hatte sie nur den einen Gedanken, sich rasch zurückzuziehen. Panik stieg in ihr auf. "Entschuldigen Sie mich bitte, das Telefon läutet", sagte Paul. Ich muß nur tief durchatmen, dann ist alles wieder gut, versuchte sie sich zu beruhigen. Doch ehe sie sich zusammennehmen konnte, kam Paul schon wieder zurück. "Es ist Gerard", verkündete er lässig, "Er möchte Sie sprechen." "Ja, okay." Sie ging so vorsichtig und zögernd an ihm vorbei, daß es leicht lächerlich wirkte. "Hallo, Gerard", meldete sie sich. "Paul hat mir schon erzählt, daß du bei ihm direkt mit im Haus wohnst." "Ja", antwortete sie kühl. Jacinta war nicht der Meinung, etwas erklären zu müssen, fügte aber hinzu: "In der Strandhütte haben sich Pinguine eingenistet."
Gerard schwieg so lange, daß sie schon fragen wollte, ob er noch da sei. Doch dann sagte er leicht geistesabwesend: "Ah ja, wie ärgerlich. Wie kommst du mit dem Expose für die Doktorarbeit voran?" "Bis jetzt überhaupt noch nicht", gab sie ehrlich zu. Irgendwie gefiel es ihr nicht, daß er sich in ihre Angelegenheiten mischte. Immer wieder drängte er sie dazu, sich für den Weg zu entscheiden, den er gewählt hatte. Über ihre gelegentlichen Einwände ging er großzügig, aber beharrlich hinweg, als wäre sie ein kleines Kind und nicht fähig, eigene Entscheidungen zu treffen. "So." Seine Stimme klang merklich kühler. "Ich dachte, ich könnte die Gelegenheit nutzen, hier einige Recherchen für dich anzustellen." "Gerard, es wäre reine Zeitverschwendung, ich habe mich doch noch gar nicht für ein bestimmtes Thema entschieden." Irgendwie hatte sie ein schlechtes Gewissen. "Wie findest du Havard?" fügte sie hinzu. "Es ist ziemlich kalt hier", antwortete er steif. "Du Ärmster. Dann beschreibe ich dir lieber nicht, wie herrlich das Wetter hier bei uns ist, sonst verderbe ich dir nur die Laune." "Ja, tu das lieber nicht", erwiderte er geistesabwesend. "Ich hoffe, Paul behandelt dich gut." . Jacinta war sein seltsames Zögern nicht entgangen. "Er ist sehr freundlich." "Er ist ein korrekter, anständiger Mensch. Ich würde mich für ihn freuen, wenn er endlich heiraten würde, aber ich bezweifle ernsthaft, daß er es jemals wirklich überwindet, was Aura ihm angetan hat. Es hat irgend etwas für immer in ihm getötet. Natürlich hat er seitdem einige Affären gehabt, doch er mag Frauen nicht besonders."
War das vielleicht die Erklärung? Von Anfang an hatte sie gespürt, wie unpersönlich und reserviert Paul sich ihr gegenüber verhielt. Mißtraute er etwa jetzt allen Frauen oder hatte es mit ihr zu tun? Das Thema gefiel ihr nicht. Sie wollte mit Gerard nicht über Paul reden. "Ach, das ist doch egal. Es geht uns nichts an und..." "Aura war eine schöne Frau", unterbrach Gerard sie. "So eine Frau kann man nicht vergessen. Ich verstehe immer noch nicht, weshalb sie ihm das angetan hat." "Das passiert, so ist das Leben." Jacinta hatte absolut keine Lust, sich anzuhören, was für eine wunderbare Frau diese Aura sei. "Stimmt. Ich fürchte, die Menschen werden immer unzuverlässiger und illoyaler." "Ich glaube nicht, daß Aura es sich leichtgemacht hat. Es gehört Mut dazu, sich kurz vor der Hochzeit noch anders zu entscheiden. Übrigens, irgend etwas ist an deinem Wagen nicht in Ordnung, es klappert so seltsam. Soll ich ihn in die Werkstatt bringen?" "Nein", erwiderte er. "Es ist nichts Schlimmes, ich weiß schon, woran es liegt. Ich muß jetzt Schluß machen. Vermißt du mich eigentlich?" "Ich ... also ... ja, natürlich." Sie war verblüfft. "Paß auf dich auf, und flirte nicht mit Paul. Er würde bestimmt darauf eingehen, das tut er immer/Aber es bedeutet ihm nichts." "Flirten bedeutet sowieso nichts, es ist nur ein Spiel und macht Spaß. Wiedersehen, Gerard. Willst du noch einmal mit Paul sprechen?" , "Nein. Wiedersehen, Jacinta." Nachdem das Gespräch beendet war, kam Paul wieder herein. Hat er etwa gelauscht? fragte sie sich, obwohl sie es sich nicht vorstellen konnte.
"Das ging ja schnell." Er zog eine Augenbraue hoch und blickte ihr fragend entgegen. Sie errötete. Hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil Gerard mit ihr über Paul geredet hatte? "Er wollte nur wissen, ob hier alles in Ordnung ist", antwortete sie vorsichtig. Paul nickte und schaute sie prüfend an. "Möchten Sie noch einen Schlummertrunk?" "Nein, danke. Ich bin müde und möchte schlafen." Sie ging an ihm vorbei und fühlte sich beinah eingeschüchtert von seiner Körpergröße und der überwältigenden Ausstrahlung, der sie sich viel zu sehr bewußt war. Dann eilte sie über den Flur in ihr Zimmer und schloß erleichtert die Tür hinter sich. Bis hier würde seine Ausstrahlung nicht reichen. Nachdem sie die Vorhänge zugezogen hatte, knipste sie das Licht aus und setzte sich hin, um in Ruhe nachzudenken. Sie erbebte, als sie sich daran erinnerte, wie Paul sie Sekundenlang in den Armen gehalten hatte. Es hat doch nichts zu bedeuten, er hat mich nur festgehalten, weil ich sonst hingefallen wäre, überlegte sie. Aber sie war immer noch aufgewühlt, und das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Sie schloß die Augen, und sogleich tauchten seine wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge mit der arroganten Miene vor ihr auf. Sein markantes Profil hatte sie im silbernen Schein des Monds deutlich erkennen können. Pauls sinnliche Ausstrahlung war so überwältigend gewesen und die Atmosphäre so erotisch, daß sie mit all ihren Sinnen darauf reagiert und sich ihren Gefühlen hilflos ausgeliefert gefühlt hatte. Jacinta atmete tief ein. Ich darf nicht vergessen, wie rasch er sich wieder hinter einer Maske der Gleichgültigkeit verborgen hat, mahnte sie sich. Wenn sie noch länger wie ein liebeskranker Teenager darüber nachdachte, was für ein herrliches Gefühl es gewesen war, von
ihm umarmt zu werden, würde sie sich nur noch mehr in die Verliebtheit hineinsteigern. Energisch hob sie den Kopf, stand auf und schaltete die Lampe wieder ein. Während sie sich fertig machte, um ins Bett zu gehen, fiel ihr Gerards Bemerkung ein. Verachtete Paul wirklich alle Frauen, nur weil seine ehemalige Verlobte ihn vor der Hochzeit verlassen hatte? Jacinta konnte es kaum glauben. Er war eigentlich viel zu vernünftig und zu intelligent, um so sehr zu verallgemeinern. "Mein größtes Problem ist", sagte Jacinta zu sich selbst, als sie vor dem Spiegel saß und das lange gelockte Haar bürstete, "daß ich erwarte, alles, was er empfindet, müsse er für mich ganz allein empfinden, auch wenn es nur Abneigung und Mißtrauen ist. Es gefällt mir nicht, daß er auch noch Gefühle für seine Exverlobte hat, die angeblich so schön ist. Ich möchte überhaupt nicht, daß er für andere Gefühle hat." Wenn er einige Tage weg ist, kann ich wieder klar denken, überlegte sie. Sie hatte das seelische Gleichgewicht verloren, weil sie nicht damit gerechnet hatte, mit einem so attraktiven Mann unter einem Dach zu wohnen. Als sie wenig später im Bett lag und dem sanften Rauschen der Wellen lauschte, ließ sie die Gedanken einfach schweifen und malte sich im Halbschlaf aus, wie wunderbar romantisch es Sein würde, mit Paul zusammenzusein. Und schon bald glitt sie hinüber in den Schlaf und erlebte im Traum mit ihm eine herrlich erotische Affäre.
4. KAPITEL Am nächsten Morgen fühlte Jacinta sich wie betäubt und seltsam erschöpft. Plötzlich erinnerte sie sich an den sinnlichen Traum und sprang aus dem Bett. Sie war entsetzt, so kannte sie sich gar nicht. "O nein! So etwas habe ich im ganzen Leben noch nicht geträumt", sagte sie leise vor sich hin, während sie sich unter die kalte Dusche stellte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie versuchte, die Gedanken an Paul zu verdrängen und sich auf die Arbeit zu konzentrieren, die sie an dem Tag erledigen wollte. Und als sie schließlich in dem weißen T-Shirt, der zimtfarbenen Caprihose und Sandaletten aus ihrem Zimmer und durch die Eingangshalle ging, fühlte sie sich schon wieder viel 'besser. Im Haus war es angenehm kühl, doch es würde wieder ein ziemlich heißer Tag werden. Jacinta betrat das Frühstückszimmer - und auf einmal war es wieder vorbei mit ihrer Selbstbeherrschung, denn Paul saß da, die Zeitung in der Hand und eine Tasse Kaffee vor sich. Er wirkte dominant und ungeheuer attraktiv, ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster drangen und um ihn herum zu tanzen schienen. "Guten Morgen", begrüßte sie ihn. "Nein, bleiben Sie bitte sitzen." Höflich, wie er war, stand er trotzdem auf und legte die Zeitung hin. "Haben Sie gut geschlafen?" erkundigte er sich.
"Ja, danke. Ich dachte, Sie wären schon weg." Jacinta bereute ihre Bemerkung sogleich und wünschte, sie hätte geschwiegen. "In zehn Minuten fahre ich", erklärte er. "Morgens haben Sie keine besonders gute Laune, stimmt's?" Mit der Ausrede konnte sie leben. "Nur heute morgen nicht", erwiderte sie betont uninteressiert. "Ich fühle mich wie zerschlagen." "Haben Sie Kopfschmerzen?" "Nein, nur schlechte Laune." "Dann lasse ich Sie am besten in Ruhe", sagte er leicht belustigt. "Setzen Sie sich, und nehmen Sie, was Sie wollen." Seine ruhige, humorvolle Art hellte ihre Stimmung auf. Sie lächelte ihn reumütig an. Während sie den Kaffee trank und ihr Frühstück aß und Paul die Zeitung las, wünschte sie, er würde endlich wegfahren. Obwohl sie ihn nicht anschaute, war sie sich seiner Gegenwart allzu sehr bewußt. Neben ihm in seinem eleganten, maßgeschneiderten Anzug wirkte sie sehr bescheiden in ihrem schlichten Outfit, und seine Ruhe und Gelassenheit standen in krassem Gegensatz zu ihrer seelischen Verfassung. Schließlich erhob er sich, und Jacinta mußte ihn ansehen, wenn sie nicht unhöflich sein wollte. Und sogleich fiel ihr wieder auf, wie intensiv blau seine Augen waren. "Dann bis morgen abend", sagte er freundlich, aber unverbindlich. "Ich komme erst nach dem Dinner zurück." "Ja, schönen Tag noch und gute Fahrt", erwiderte sie betont gelassen. Als er weg war, kam ihr der Raum seltsam leer vor. Sie hörte noch, wie er den Motor startete und davonfuhr, und plötzlich schien das Haus völlig ohne Leben zu sein. Sie trank noch eine Tasse Kaffe, danach schlenderte sie hinunter zum Strand und beobachtete die Möwen, die über ihr in der Luft schwebten, und das Meer und die Wellen, die unentwegt an den Strand rollten.
Später ging sie auf ihr Zimmer, räumte auf, machte das Bett und setzte sich an den Computer. Sie hatte überlegt, ob ihre Reaktion auf Paul sie in ihrer Kreativität hemmen würde. Doch das Gegenteil geschah. Die leidenschaftlichen Gefühle, die sie in ihren Träumen ausgelebt hatte, schienen ihre Phantasie zu beflügeln. Stundenlang arbeitete sie konzentriert, bis Fran anklopfte und rief: "Jacinta, möchten Sie etwas essen?" "Moment", antwortete sie und schrieb den Absatz zu Ende. "Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe", entschuldigte die Haushälterin sich. "Aber Paul hat mich gebeten, dafür zu sorgen, daß Sie regelmäßig essen." "Oh. Es ist mir gar nicht aufgefallen ... Ich dachte ... Ist es schon Zeit für den Lunch?" "Es ist nach eins. Heute läuft es gut mit der Arbeit, oder?" Jacinta nickte und merkte auf einmal, daß sie tatsächlich hungrig war und etwas steif vom langen Sitzen. "Okay", erklärte sie fröhlich. "Hatten wir nicht vereinbart, daß ich mir das Essen selbst mache, wenn wir beide allein sind?" Fran schaute sie belustigt an. "In diesem Haus gilt nur das, was Paul sagt. Und ich soll darauf achten, daß Sie keine Mahlzeit auslassen. Wenn Sie sich nicht um Ihr Essen kümmern, tue ich es eben. Das ist doch kein Problem." Eigentlich müßte ich mich jetzt ärgern, denn als Mark sich immer mehr in mein Leben eingemischt hat, habe ich mit ihm Schluß gemacht, und auch auf Gerards gutgemeinte Ratschläge verzichte ich lieber, dachte sie, während sie Fran in die Küche folgte. Sie gestand sich ein, daß sie sich über Pauls Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit nur deshalb freute, weil sie etwas in ihn verliebt war. Als Fran am nächsten Tag Jacinta eine Tasse Pfefferminztee auf die Veranda brachte und ihr erzählte, daß Paul angerufen und mitgeteilt habe, er würde noch einige Tage länger
wegbleiben, war sie enttäuscht, wollte es sich aber nicht eingestehen. Und am Nachmittag des zweiten Tages stellte sie überrascht fest, wie viele Seiten sie geschrieben hatte. Der mit Schleierwolken überzogene Himmel und das erschöpft wirkende Land schienen sich nach der Dämmerung und der kühleren Nacht zu sehnen. Jacinta konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so einen heißen und trockenen November erlebt zu haben. Dean hatte ihr am Abend zuvor gesagt, er sei über die Trockenheit sehr besorgt. Sie hatten sich zufällig getroffen, als Jacinta nach dem Dinner noch einen Spaziergang gemacht hatte. Er hatte bemerkt, wie interessiert sie sein vierrädriges, geländegängiges Mofa betrachtet hatte. "Wenn Sie möchten, können Sie es ausprobieren", hatte er ihr angeboten. "Mit den Hunden oder ohne?" fragte sie mit einem Blick auf die beiden Collies, die auf dem Rücksitz saßen. Dean stieg ab, pfiff die Hunde vom Mofa, und Jacinta versuchte ihr Glück. Sie verbrachten eine halbe Stunde voller Vergnügen. "Sie sind ein Naturtalent", stellte Dean schließlich fest. "Ich mache es mir auf dem Rücksitz bequem, und Sie fahren uns zum Haus." Jacinta tat es und war ganz stolz, daß sie so schnell gelernt hatte, auf dem Vierrad zu fahren. Im Hof drehte sie eine Extrarunde und hielt dann vor dem Hintereingang an. Sie lachten immer noch unbekümmert, als Fran herauskam, um zu sehen, was los war. "Danke", sagte Jacinta und lächelte Dean an. "Soviel Spaß habe ich schon lange nicht mehr gehabt." Er drehte sich zu Fran um. "Sie ist eine talentierte Mofafahrerin." Fran lächelte und blickte erst Dean an, dann Jacinta und wieder Dean. "Am besten suchst du dir rasch einen talentierten
Regenmacher. Laut Wettervorhersage wird es in den nächsten Tagen immer noch nicht regnen." "Droht eine Dürre?" fragte Jacinta. "Ja, wenn es nicht bald regnet, bekommen wir echte Probleme", antwortete Dean. Obwohl Jacinta wußte, wie verheerend die Auswirkungen einer Dürre für die Farmer waren, genoß sie die Hitze. Sie legte die Manuskriptseiten hin, die sie ausgedruckt hatte, und trank den Pfefferminztee und tat so, als würde sie nicht darauf warten, Pauls Wagen zu hören. Sie schaute auf die Uhr. Es war erst fünf. Selbst wenn Paul heute noch zurückkommt, wird er nicht vor sechs eintreffen, dachte sie und brachte die Tasse in die Küche. "Sie sehen etwas erschöpft aus." Fran kam mit einer Handvoll Kräutern herein. "Heute ist es ganz besonders heiß." "Stimmt." Jacinta fühlte sich ruhelos, war ziemlich gereizt und wußte nicht, wie sie die Zeit totschlagen sollte. "Warum gehen Sie nicht schwimmen?" schlug Fran vor. "Wie warm ist denn das Wasser?" fragte Jacinta mißtrauisch. "Wärmer wird es kaum noch." "Ja, wahrscheinlich. Ehrlich gesagt, ich gehe nicht gern ins kalte Wasser. Deshalb werde ich mir eines Tages einen geheizten Swimmingpool zulegen." Fran lachte. In ihrem Zimmer zog Jacinta den Bikini aus der untersten Schublade. Sie hatte ihn vor einigen Jahren gekauft, aber nur selten Gelegenheit gehabt, ihn zu tragen. Nur auf der Fidschiinsel war sie ins Wasser gegangen, meist frühmorgens und spätabends, um keinen Sonnenbrand zu bekommen. Paul hatte sie also noch nie im Bikini gesehen. Sie streifte ihn über und zog sich ein langes T-Shirt darüber. Mit dem buntgemusterten Badetuch in der Hand ging sie zum Meer hinunter.
Fran hatte recht, das Wasser war herrlich warm. Jacinta stürzte sich in die Wellen und stieg nach zwanzig Minuten ziemlich erschöpft wieder aus dem Wasser. Plötzlich ertönten Motorengeräusche. Hastig griff sie nach ihrem T-Shirt. Und als sie sich umdrehte, erblickte sie Dean. "War es schön im Meer?" fragte er und betrachtete sie bewundernd. Sie lächelte. "Es ist wirklich warm, beinah schon zu warm. Ich bin so erschöpft, als wäre ich stundenlang geschwommen." Er schob sich den Hut in den Nacken und lächelte auch. "Ja, das kenne ich. Dieses Jahr kommt das blaue Wasser sehr früh." "Was ist denn das blaue Wasser?" "Eine tropische Strömung. Normalerweise erreicht sie unsere Küste erst so um Weihnachten herum. Wahrscheinlich hat sie sich Ihnen zuliebe beeilt." Jacinta mußte lachen. Sie mochte ihn, er sie auch. Er hatte ihr von seiner Verlobten Brenda erzählt, und daß sie in ungefähr einem Jahr heiraten würden. Auch wenn er sie, Jacinta, immer wieder bewundernd musterte, war sie sich sicher, daß er keine Hintergedanken hatte. "Ich sollte ins Haus gehen und mich umziehen", erklärte sie schließlich. Prompt stolperte sie und stützte sich mit beiden Händen ab. Sogleich war Dean zur Stelle und half ihr, sich aufzurichten. Als sie zusammenzuckte, hielt er sie fester und fragte: "Was ist los? Haben Sie sich verletzt?" "So etwas passiert mir oft, ich bin von Natur aus ungeschickt", erwiderte sie betont unbekümmert. "Aber ich glaube, dieses Mal bin ich auf eine zerbrochene Muschel getreten." Sie hob den Fuß und betrachtete die Sohle. "Vielleicht war es eine Glasscherbe. Zeigen Sie mal." Er hockte sich neben sie und schaute sich den Fuß an. "Nein, es blutet nicht, nur die Haut ist an einer Stelle gerötet." Er ließ den Daumen über die empfindliche Fußsohle gleiten.
"Aufhören! Das kitzelt!" Jacinta mußte lachen. "Tut mir leid", entschuldigte er sich lachend. Dann wurde ihre unbekümmerte Fröhlichkeit jäh unterbrochen. "Guten Abend", ertönte plötzlich Pauls ruhige Stimme neben ihnen. Jacinta zuckte so heftig zusammen, als hätte man sie geschlagen, und zog hastig den Fuß zurück. Dean richtete sich, immer noch lächelnd, auf. "Hallo, Paul." Jeder andere Mann hätte in dem eleganten Anzug und den Stadtschuhen, die halb mit Sand bedeckt waren, und mit dem sorgfältig gebürsteten Haar am Strand unpassend und fehl am Platz gewirkt. Nicht jedoch Paul McAlpine. Jacinta bekam Herzklopfen, als er sie in ihrem knappen Bikini sekundenlang von oben bis unten musterte. Dann schaute er Dean an, und Jacinta atmete tief ein. "Ich wollte dich noch sprechen, sobald du Zeit hast", sagte Dean arglos. Er bekam offenbar nicht mit, was sich unterschwellig zwischen Paul und Jacinta abspielte. "Wir können es doch gleich erledigen, oder?" Paul ignorierte Jacinta jetzt völlig. "Ja, okay." An Jacinta gewandt, fügte Dean lächelnd hinzu: "Bis später." Sie beobachtete, wie die beiden zum Haus gingen. Als sie verschwunden waren, zog sie ihr T-Shirt über und schlenderte auch zurück. Unter dem Wasserhahn neben dem hinteren Eingang wusch sie sich den Sand von Beinen und Füßen und trocknete sich mit dem Badetuch ab, das sie dann auf die Leine hängte. Immer noch angespannt, zwang sie sich, ganz normal und nicht zu schnell über den Flur an Pauls Arbeitszimmer vorbeizugehen. Als sie unter der Dusche stand, dachte sie über Pauls Verhalten nach. Wahrscheinlich habe ich mir nur eingebildet, so
etwas wie Feindseligkeit zu spüren, sagte sie sich. Er konnte ihr nichts vorwerfen, es sei denn, er meinte, weil Dean verlobt sei, dürfe er nicht mit anderen Frauen herumalbern. Seltsam, über Dean hatte Paul sich offenbar nicht geärgert. Hat er Dean und mich länger beobachtet? fragte sie sich. Dann hätte er auch mitbekommen, daß sie gestolpert war. Vielleicht glaubte er ja, sie würde mit Absicht stolpern, wenn ein Mann in ihrer Nähe war. Das wäre schrecklich peinlich und auch, demütigend, ging es ihr durch den Kopf. Sie gestand sich ein, daß es ihr nicht egal war, was er von ihr hielt und wie er sie einschätzte. Sie war in Pauls Gegenwart viel zu nervös und angespannt, und das mußte aufhören. Am besten würde sie ihre Sachen packen und zurück nach Auckland fahren - doch das wollte sie ja gar nicht, sie wollte viel lieber bei ihm bleiben. Nachdem sie ein hellbraunes Sommerkleid aus leichter Baumwolle, das ihre schlanke Gestalt weich umschmeichelte, angezogen hatte, setzte sie sich in den Sessel und las die Seiten durch, die sie während des Tages geschrieben hatte. Erst kurz vor halb acht ging sie in den Wintergarten. Erleichtert stellte sie fest, daß Paul nicht da war. Sie schlenderte auf die Terrasse und hockte sich neben den Teich mit den orange-, gold- und bronzefarbenen Goldfischen. "Hallo", sagte sie ruhig. Sogleich schwammen sie interessiert um ihre Finger herum, die sie ins Wasser hielt. Offenbar wären sie an Menschen gewöhnt. Sie lachte leise. "Nein, ich habe kein Futter für euch. Außerdem hat Fran mir gesagt, ich brauchte, euch nicht zu füttern." "Fran hat recht." Beim Klang von Pauls tiefer Stimme richtete Jacinta sich auf und errötete. "Hallo." Sie hatte Mühe, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
"Fran hat mir erzählt, daß Sie die meiste Zeit am Computer verbracht und geschrieben haben." Er war ums Haus herum gekommen und lehnte sich an einen Holzpfeiler der Pergola. Sein Gesicht lag im Schatten der Glyzinien. "Es läuft ganz gut", erwiderte sie ausweichend. "Arbeiten Sie wirklich an der Doktorarbeit?" Sekundenlang zögerte sie, dann gab sie zu: "Nein. Ich erfülle ein Versprechen, das ich meiner Mutter vor ihrem Tod gegeben habe." Er nickte, sagte jedoch nichts. "Gerard sollte es noch nicht wissen, weil ich vielleicht nur meine Zeit verschwende", fügte sie deshalb hinzu. Es hörte sich an wie eine t dumme Ausrede, und Jacinta wünschte, sie hätte geschwiegen. "Ah ja." Pauls Stimme klang kühl und uninteressiert. "Wollen Sie denn Ihre Doktorarbeit noch schreiben?" "Ich weiß es nicht", antwortete sie und war selbst überrascht, denn sie hatte ihrer Mutter fest versprochen zu promovieren. Zum erstenmal ließ sie den Gedanken zu, daß sie lieber etwas anderes tun würde, und sogleich fühlte sie sich wieder schuldig. "Was würden Sie den statt dessen tun?" "Ach, irgend etwas wird mir schon einfallen", erwiderte sie und war irritiert, weil er sie so beharrlich ausfragte. Am liebsten würde sie Geschichten oder Romane schreiben. Aber realistisch, wie sie war, bezweifelte sie sehr, daß das Manuskript, an dem sie jetzt schrieb, jemals veröffentlicht werden würde. Als Jacinta bewußt wurde, daß sie Paul unverwandt ansah, schaute sie rasch wieder den Goldfischen zu. Ich benehme mich dumm und ziemlich kindisch, schalt sie sich. "Ihre Situation ist nicht gerade beneidenswert, oder?" Sie zuckte die Schultern. "Ich komme damit zurecht. Stand für Sie von Anfang an fest, daß Sie Rechtsanwalt werden wollten?"
Er verzog die Lippen. "Ich wollte Abenteurer oder Weltenbummler werden, zusammen mit meinem besten Freund. Doch mein Vater wünschte, daß ich in seine Fußstapfen treten und Rechtsanwalt werden sollte. Und das habe ich dann auch getan, weil er krank war." "Was ist aus Ihrem besten Freund geworden? Sicher ist er jetzt Buchhalter oder Wirtschaftsprüfer, stimmt's?" Zu spät fiel ihr ein, was Gerard ihr über Pauls Freund erzählt hatte. "Er hat sich zu einem gefährlichen Mann entwickelt und ist jetzt Winzer", antwortete er gelassen. Und Aura, Pauls Exverlobte, ist seine Frau, ging es Jacinta durch den Kopf. "Haben Sie irgendwann einmal bereut, daß Sie Ihrem Vater den Wunsch erfüllt haben?" fragte sie. Paul lachte spöttisch auf. "Nein. Mein Vater hat mich besser gekannt als ich mich selbst. Ich liebe meinen Beruf, der auf seine Art auch ziemlich abenteuerlich ist." Er trat aus dem Schatten der Glyzinien heraus, und wieder einmal stellte Jacinta fest, wie ungemein attraktiv er war. Er war eine überragende Persönlichkeit und strahlte so viel natürliche Autorität aus, die aus einer Mischung aus Intelligenz, Macht, Überlegenheit und Menschenkenntnis zu bestehen schien, daß man ihn nicht mehr vergessen konnte. "Sie sind also glücklich und zufrieden mit dem, was Sie tun", stellte sie fest. Plötzlich spürte sie, wie erregt sie war. "Sehr sogar." Als er auf sie zukam, bemühte sie sich vergebens, nicht zurückzuweichen. Aufgeregt trat sie einen Schritt zur Seite, und obwohl sie sich krampfhaft darauf konzentrierte, nicht zu stolpern, passierte es doch. Es war nicht schlimm, sie verlor nicht das Gleichgewicht, dennoch hielt Paul sie sogleich am Arm fest. "Vorsicht! Oder wollen Sie den Fischen im Teich Gesellschaft leisten?"
"Nein, bestimmt nicht. Ich war heute schon lange genug im Wasser", erwiderte sie. Seine Berührung irritierte sie. "Es hat Ihnen gefallen, nehme ich an." "Ja, es war super." Sie gingen in den Wintergarten, und Jacinta löste sich aus seinem Griff. Als Dean mich berührt hat, habe ich überhaupt nichts empfunden, aber Paul braucht nur die Hand auf meinen Arm zu legen, und ich erbebe und bin zutiefst aufgewühlt, überlegte sie. "Wie geht es Ihrem Fuß?" "Wie bitte?" "Ihr Fuß", sagte er so geduldig, als wäre sie ein kleines Kind oder schwer von Begriff. "Sie haben sich doch am Strand verletzt." "Nein, ich bin nur auf eine Muschel getreten, glaube ich. Wir haben ihn untersucht und nichts entdeckt." "Okay. Dean war etwas besorgt und dachte, Sie hätten sich an einer Glasscherbe verletzt. Sind Sie sicher, daß Sie keinen Glassplitter im Fuß haben?" "Ja, ganz sicher", bekräftigte sie etwas zu nachdrücklich. "Gut, dann setzen Sie sich, und ich hole Ihnen etwas zu trinken." Er schenkte ihr ein Glas Zitronensaft mit Soda ein, um das sie gebeten hatte, und sich selbst ein Glas Weißwein. "War es schön in Auckland?" fragte sie höflich. "Ich bin in die USA geflogen, nach Los Angeles." Jacinta war überrascht. "Ich wußte nicht, daß Rechtsanwälte in der ganzen Welt herumfliegen." Er lächelte. "Wir fliegen dahin, wo man uns braucht. Ich hatte eine Besprechung mit amerikanischen Kollegen, um einen Vertrag mit einem Filmproduzenten aufzusetzen." Er erzählte ihr Einzelheiten, ohne die Namen der Vertragspartner zu nennen. "Haben Sie oft mit Filmproduzenten zu tun?"
"Ziemlich oft. Neuseeland wird bei ausländischen Film- und Fernsehgesellschaften immer beliebter, und wenn es um viel Geld geht, wollen natürlich alle ihre Interessen schützen." "Es hört sich irgendwie glamourös an." Sie schaute hinaus auf den Rasen, auf dem die untergehenden Sonne ihre immer noch warmen Strahlen ausbreitete. Auf einmal empfand Jacinta freudige Erregung, die ihre Seele zu durchdringen und auf ihrer Haut zu prickeln schien. "Ist es auch manchmal." Er schaute sie unter halbgeschlossenen Lidern an. "Übermorgen findet eine Party statt. Kommen Sie doch mit mir. Man feiert den Abschluß einer TV-Serie, die man hier gedreht hat." Sie zögerte, es war eigentlich ein verlockender Gedanke. "Oh ... nein, danke", antwortete sie schließlich. "Es klingt sehr interessant, aber ..." "Aber was?" "Für eine solche Gelegenheit habe ich nicht das passende Outfit." Weshalb sollte sie es nicht offen zugeben? Ihr fiel das orangefarbene Seidenensemble ein, doch sogleich verwarf sie die Idee wieder. "Und ich kann mir auch keins kaufen." "Schade." Er betrachtete nachdenklich das Glas, das er in der Hand hielt. "Tut mir leid, es war gedankenlos." Sehr sogar für einen Mann, der sonst so überaus höflich ist, dachte Jacinta und hob stolz den Kopf. Sie brauchte sich nicht zu schämen, weil sie nicht soviel Geld hatte wie er. "Ist Kleidung für Sie sehr wichtig?" fragte er, als wäre es eine ganz normale Unterhaltung. "Nicht viele Menschen sind so selbstbewußt, daß sie sich in einem Outfit wohl fühlen, das dem Anlaß nicht angemessen ist." "Wahrscheinlich haben Sie recht. Es tut mir wirklich leid, daß Sie nicht mitkommen können. Ich glaube, Sie hätten sich amüsiert." Dann wechselte er das Thema. Schließlich tauchte Fran auf und verkündete, das Dinner sei fertig.
Ich werde bestimmt niemals vergessen, daß Paul McAlpine mich zu einer Party eingeladen hat, dachte Jacinta, während sie mit ihm ins Eßzimmer ging. Nach dem Dinner zog Jacinta sich auf ihr Zimmer zurück, damit Paul sich nicht verpflichtet fühlte, sich um sie zu kümmern, obwohl sie ihm noch viel länger hätte zuhören können. Zu gern lauschte sie seiner tiefen Stimme und betrachtete sein attraktives Gesicht mit der oft so arrogant wirkenden Miene. Das Kribbeln im Bauch, das sie dabei verspürte, war herrlich aufregend. Sie zog die Vorhänge zu, um sich nicht mit allen möglichen Käfern, Insekten und Motten herumschlagen zu müssen, und setzte sich an den Computer. Sie schaute auf den Bildschirm, konnte sich jedoch nicht auf die Arbeit konzentrieren, denn immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Paul. Irgendwann schüttelte sie den Kopf und stellte das Gerät wieder ab und ging ins Bett. Vielleicht hatte sie sich zu früh hingelegt, jedenfalls schlief sie schlecht und wälzte sich ruhelos hin und her. Um zwei Uhr war sie es leid. Sie stand auf und setzte sich hin, um zu schreiben. Als jemand leise an die Tür klopfte, zuckte Jacinta zusammen. "Moment bitte", rief sie und streifte sich rasch den Morgenmantel über. Paul kam herein in T-Shirt und Jeans. "Ist alles in Ordnung?" fragte er und betrachtete sie prüfend. Jacinta nickte. "Ja. Ich konnte nicht schlafen - habe ich Sie etwa gestört?" "Nein. Ich könnte auch nicht schlafen. Ich bin am Strand entlanggewandert und habe das Licht in Ihrem Zimmer bemerkt. Ich wollte mich nur vergewissern, daß alles in Ordnung ist." "Danke, das ist nett von Ihnen." Sie zögerte kurz. "Dann gute Nacht."
"Ich mache mir einen Tee. Möchten Sie auch einen? Oder lieber eine Cola?" Am besten lehne ich dankend ab, sagte sie sich, die Versuchung war jedoch zu groß. "Gute Idee. Ein Tee wäre herrlich", erwiderte sie. "Soll ich ihn auf Ihr Zimmer bringen?" "Nein", wehrte sie viel zu rasch und leicht entsetzt ab. "Ich komme in die Küche." "Bis gleich." Er verschwand. Fünf Minuten später gesellte sie sich in Jeans und T-Shirt zu ihm. Paul goß gerade den Tee auf. Er schaute Jacinta an und lächelte. Ich hätte es nicht tun sollen, ich hätte ihm sagen müssen, daß ich nachts nicht mit ihm in die Küche gehe, erst recht nicht, wenn er mich so anlächelt, überlegte sie. "Haben Sie gearbeitet?" fragte er. "Ja." "Was schreiben Sie eigentlich auf Gerards Computer?" Er holte zwei Becher aus dem Schrank. Jacinta beobachtete, wie seine Muskeln sich spannten und entspannten, und ahnte etwas von der Energie, die sich hinter jeder seiner geschmeidigen Bewegungen verbarg. Unvermittelt verspürte sie ein so heftiges Verlangen, daß sie nach Fassung rang. Nur mühsam gelang es ihr, sich auf seine Worte zu konzentrieren. "Wenn Sie nicht darüber reden wollen, will ich nicht in Sie dringen", fügte er hinzu. "Also, ich schreibe ein Buch", erklärte sie und war selbst verblüfft, daß sie sich ihm anvertraute. "Das habe ich mir gedacht. Was denn für eins?" "Meine Mutter hat Science-fiction-Romane sehr geliebt. Und als es ihr schlechter ging und sie kaum noch lesen konnte, habe ich ihr vorgelesen. Eins dieser Bücher gefiel mir überhaupt
nicht, ich hatte so viel daran auszusetzen, daß meine Mutter vorschlug, mir selbst etwas auszudenken. Und das habe ich dann auch getan. Ich habe immer wieder neue Geschichten erfunden um eine Gruppe Menschen herum, die in einem Universum lebten, das schon seit Urzeiten von Einhörnern, Drachen und dem Phönix bewohnt war." Jacinta blinzelte die Tränen weg und räusperte sich. "Es gefiel ihr, und irgendwann hat sie selbst Ideen eingebracht. Wir haben überlegt, wie man alles in einem Roman zusammenfassen könnte. Das hat sie eine Zeitlang beschäftigt und von den Schmerzen abgelenkt." "Und Sie haben ihr versprochen, das Buch zu schreiben?" fragte er sanft. "Ja." "Kommen Sie gut voran mit Ihrem Manuskript?" "Nicht so schnell, wie ich dachte. Obwohl ich die Geschichten genau im Kopf habe, gelingt es mir oft nicht, die richtigen Worte zu finden." "Ich glaube, es ist etwas ganz anderes, eine Geschichte zu erzählen. Man kann gestikulieren und die Stimme verändern", sagte er nachdenklich. "Diese Hilfsmittel hat man beim Schreiben nicht zur Verfügung, man ist auf Worte angewiesen." Jacinta war beeindruckt. "Genau das ist der Punkt. Es ist viel schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe, doch es macht Spaß." Den Tee tranken sie im Frühstückszimmer. Jacinta setzte sich in einen bequemen Sessel, und Paul machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Er streckte die langen Beine weit von sich und hielt den Becher Tee in der Hand. "Gerard hätte sicher etwas dagegen, wenn er wüßte, daß Sie auf seinem Computer etwas anderes als die Doktorarbeit schreiben", meinte er schließlich. Eigentlich müßte er müde und verschlafen aussehen, aber er ist hellwach, dachte sie plötzlich.
"Ich will auch Vorschläge für das Thema meiner Dissertation ausarbeiten. Vielleicht sollte ich so schnell wie möglich damit anfangen, aber ich möchte mit dem Buch vorankommen." "Ah ja. Es hat Sie gepackt, nicht wahr?" Er lächelte so charmant, daß sie ein Kribbeln im Bauch verspürte. "Genau. Aber Gerard würde es nicht verstehen. Leichte Unterhaltungsliteratur ist nicht sein Geschmack. Er liest lieber..." "Anspruchsvolle Bücher", warf Paul ein. Und nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, fragte er: "Haben Sie sich schon die Umgebung angesehen?" "O ja." Eifrig beugte sie sich vor. "Dean hat mir gestern nachmittag die Strandhütte gezeigt" "Wie ich gehört habe, haben Sie gelernt, das vierrädrige Mofa zu fahren. Fran hat mir erzählt, Sie würden so sicher damit umgehen, als hätten Sie selbst eins." Jacinta lachte. "Es hat Spaß gemacht, und am Ende haben sogar die Hunde gewagt, mit mir zu fahren." "Dann waren sie bestimmt von Ihren Fähigkeiten überzeugt." Unter den halbgeschlossenen Lidern strahlten seine Augen wie Saphire. "Hat Dean darüber gesprochen, daß er und Brenda eine Farm kaufen wollen?" > "Ja." Und weil Paul überzeugt war, daß Dean ein zuverlässiger, hart arbeitender Farmer sein würde, hatte er ihm finanzielle Unterstützung angeboten. "Ich finde, es ist eine glänzende Idee - und sehr großzügig von Ihnen." Er runzelte die Stirn. "Dean hat Ihnen zuviel erzählt", erklärte er kurz angebunden. "Was haben Sie sonst noch gemacht?" Hatte sie sich getäuscht, oder klang seine Stimme wirklich etwas spöttisch? Jacinta trank einen Schluck Tee. "Ich bin mit Fran in den Ort gefahren und habe mir in der Bibliothek einige Bücher ausgeliehen, sonst eigentlich nichts", antwortete sie. "Doch, Sie waren schwimmen. Wie ist das Wasser?"
"Herrlich." Sie befürchtete, 'jeden Moment wie eine Fünfzehnjährige zu erröten, denn sie erinnerte sich daran, wie er sie gemustert hatte. "So weich wie Seide", fügte sie hastig hinzu. "Morgen gehe ich mit Ihnen." Unwillkürlich malte sie sich aus, wie es sein würde, mit ihm im Meer zu schwimmen. Ich habe wirklich eine ausschweifende Phantasie, sagte sie sich und trank den Tee aus. Wenig später verabschiedete sie sich höflich und zog sich zurück.
5. KAPITEL Jacinta war viel zu angespannt und konnte immer noch nicht schlafen. Sie dachte über sein Versprechen nach und verspürte ein Kribbeln im Bauch, als sie sich Paul in der Badehose vorstellte. Ich muß vorsichtig sein, er ist kein Mann für mich, mahnte sie sich und warf sich im Bett hin und her. Sie mußte einfach die Zähne zusammenbeißen und warten, bis sie nicht mehr in ihn verliebt war, was früher oder später sowieso geschehen würde. Aber diese verzehrende Sehnsucht und das heiße Verlangen, die sie Tag und Nacht quälten, strapazierten ihre Nerven und schienen manchmal stärker zu sein als ihr Wille und ihre Vernunft. Erst als der Morgen dämmerte und die Sterne am Himmel verblaßten, sank sie in einen bleiernen, traumlosen Schlaf. Als sie am Vormittag die Seiten durchlas, die sie bisher geschrieben hatte, stellte sie fest, daß der Held ihres Romans Paul McAlpine immer ähnlicher wurde. Ärgerlich änderte sie alles, bis der Held wieder so war, wie sie ihn sich ursprünglich vorgestellt hatte. Sie blickte zum Fenster hinaus. Es gab tatsächlich viele Ähnlichkeiten zwischen Paul und Mage, dem Helden ihrer Geschichte. Beide waren starke Persönlichkeiten, besaßen Macht und Autorität und ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein. Und beide waren erfolgreich. Aber Mage war hart, streng und unnachsichtig. Er hatte eine fatale Schwäche, die er überwinden
mußte: Er liebte seine Partnerin leidenschaftlich, eifersüchtig und wie wahnsinnig. Das könnte Paul nie passieren, dachte Jacinta und verzog das Gesicht. Wenn Gerard jedoch wirklich recht hatte und Paul seine Exverlobte so sehr geliebt hatte, daß er keine andere Frau mehr lieben konnte, war auch er zu tiefen, leidenschaftlichen Gefühlen fähig. Was war oder ist diese angeblich so schöne Aura für eine Frau, daß Paul sie so bedingungslos und ausschließlich geliebt hat? fragte Jacinta sich leicht deprimiert. Ach, das geht mich eigentlich gar nichts an, sagte sie sich sogleich und konzentrierte sich wieder auf ihr Manuskript. Sie gestand sich jedoch ein, daß sie nur ihre Gefühle verdrängen wollte. Aber das war besser, als den ganzen Tag auf Pauls Rückkehr zu warten. Als die Sonne im Westen stand, fing Jacinta an, sich auf ihn zu freuen. Schließlich war sie so angespannt, daß sie es kaum noch ertragen konnte. Sie wanderte am Strand entlang, um sich zu entspannen, und versuchte, die Gedanken an Paul und ihre Nervosität zu ignorieren. Sie lief weit hinaus bis zur Landzunge, und als sie auf dem Rückweg unter den Bäumen herging, erblickte sie Pauls große Gestalt am Strand. Jacinta blieb stehen und betrachtete seinen muskulösen, sonnengebräunten Körper, während er in der knappen schwärzen Badehose mit langen Schritten durch den Sand zum Wasser lief. In der untergehenden Sonne sieht er aus wie ein griechischer Gott, fuhr es ihr durch den Kopf. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich um. Und sogleich war die Atmosphäre zwischen ihnen gespannt, es schien zu knistern, Funken schienen überzuspringen, und Jacinta hatte das Gefühl, wie mit Ketten an ihn gefesselt zu sein. Doch nach wenigen Sekunden war alles wieder vorbei. Paul winkte ihr zu und deutete aufs Meer. Sie winkte zurück, und
während ihr das Herz bis zum Hals klopfte, flüchtete sie durch den Garten ins Haus. Angespannt und zutiefst aufgewühlt, schloß sie die Tür hinter sich und gestand sich ein, daß sie sich wahnsinnig gern mit Paul im Wasser tummeln und neben ihm in der Sonne liegen würde. "Gut, ich werde es tun, aber ich muß auch die Konsequenzen tragen. Ich darf mich nachher nicht beschweren", sagte sie laut vor sich hin. Rasch zog sie sich aus und schlüpfte in den Bikini. Dann zögerte sie kurz und entschloß sich schließlich, ein T-Shirt überzuziehen und es auch im Wasser anzubehalten. Sie konnte sich damit herausreden, sie wolle keinen Sonnenbrand bekommen. Zurück am Strand, sah sie Paul sehr weit draußen mit kräftigen Zeigen durchs Wasser gleiten. Einerseits war sie erleichtert, andererseits aber enttäuscht, weil sie sich viel zu sehr nach ihm sehnte. Sie stürzte sich in die Wellen und versuchte, die Gedanken und die Sehnsucht loszuwerden, die sie jeden Tag heftiger zu quälen schienen. Obwohl sie ziemlich erschöpft war, als sie wieder aus dem Wasser stieg, hatte die körperliche Anstrengung an ihrem Seelenzustand nichts geändert. Sie atmete tief ein und aus und fuhr sieh mit der Hand durch das lange, nasse Haar. Hinter ihr tauchte Paul auf. Rasch schlang sie sich das Badetuch um die Taille. Dann eilte sie durch den Sand und die Stufen hinauf zum Haus. Plötzlich hörte sie jemanden fröhlich vor sich hin pfeifen. Sie blickte auf und zauberte ein Lächeln auf die Lippen, denn Dean lief ums Haus herum. Als er näher kam, musterte er sie besorgt. "Haben Sie sich überanstrengt? Sie sind etwas blaß", stellte er fest. Sie verzog das Gesicht. "Weil ich den ganzen Tag am Computer sitze, bin ich überhaupt nicht mehr fit und habe mich
richtig schlaff gefühlt. Deshalb bin ich länger geschwommen als sonst." "Schlaff? Sie?" Er lächelte sie unbekümmert an. "Davon merke ich nichts." Dann blickte er hinter ihr jemanden an und lächelte immer noch. "Und du siehst auch nicht schlaff aus." "Das will ich doch hoffen", erwiderte Paul. Als sie sich umdrehte, legte er ihr die Hand auf die Schulter. Jacinta rang nach Fassung und hatte das Gefühl, ihre Haut würde brennen, wo er sie berührte. Entsetzt schaute sie ihn an, die Lippen leicht geöffnet. Paul konzentrierte sich jedoch auf Dean. "Wolltest du zu mir?" fragte er und nahm die Hand von Jacintas Schulter. "Ja. Wir müssen uns über ein Personalproblem unterhalten." "Gut, ich bin in zehn Minuten im Arbeitszimmer." "In Ordnung." Ehe er wegging, lächelte Dean Jacinta etwas gezwungen an, nicht mehr so unbekümmert und fröhlich wie zuvor. "Sind Sie okay?" fragte Paul ruhig. Jacinta nickte. "Ja. Ich habe es nur ein bißchen übertrieben. Den ganzen Tag zu sitzen und zu tippen ist nicht gerade gut für den Körper." Seine flüchtige Berührung hatte sie aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht. Sie war irritiert und völlig durcheinander. All ihre Sinne waren geschärft, jede Einzelheit fiel ihr auf: seine strahlendblauen Augen, seine nasse, sonnengebräunte Haut, die im Schein der untergehenden Sonne golden glänzte, die Härchen auf seiner muskulösen Brust, die in einem schmaler werdenden Streifen seinen flachen Bauch bedeckten und dann in seiner enganliegenden schwarzen Badehose verschwanden. "Ich hoffe, Sie schwimmen während meiner Abwesenheit nicht so weit hinaus", sagte er vorwurfsvoll. : "Ich bin doch kein Kind mehr, ich kenne meine Grenzen."
Sie war froh, daß sie ihr T-Shirt anhatte, denn er blickte sie so aufmerksam und eindringlich an, daß es sie beunruhigte. Ihr war bewußt, daß ihre Brustspitzen sich aufgerichtet hatten, was ihm wahrscheinlich nicht entging. Unwillkürlich trat sie einige Schritte zurück. "Hoffentlich", antwortete er. Und da war wieder dieser drohende Unterton in seiner Stimme, den Jacinta gleich nach ihrer Ankunft schon herausgehört hatte. "Kommen Sie, Ihnen ist kalt." Sie war sehr verblüfft, daß er sie an die Hand nahm und mit ihr zum Haus ging. Sie folgte Paul widerspruchslos und ganz brav, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. Beinah zu spät wurde ihr bewußt, was sie da tat. Unvermittelt zog sie die Hand zurück. Sekundenlang verstärkte Paul seinen Griff, doch dann ließ er sie los. "Duschen Sie warm", riet er ihr. "Sie sehen immer noch so aus, als wäre Ihnen kalt." "Erst wasche ich mir den Sand von den Füßen." Sie versuchte, den Wasserhahn neben dem Hintereingang aufzudrehen, stellte sich aber ziemlich ungeschickt dabei an. "Lassen Sie mich mal machen." Paul schob ihre Hand weg. Als das Wasser herausströmte, richtete er sich auf und warf ihr einen kühlen Blick zu. "Bleiben Sie nicht noch einmal solange im Wasser", sagte er. Im Badezimmer betrachtete Jacinta sich prüfend. Sie kannte sich kaum wieder. Ihre Augen strahlten, ihre Lippen wirkten voll und weich, als wären sie gerade geküßt worden, und ihre sonst ziemlich blasse Haut hatte einen warmen Schimmer. Ihre Brüste schienen sich unter dem nassen T-Shirt zu spannen, und die Brustspitzen waren immer noch aufgerichtet. Die sinnlichen Gefühle, die Paul in ihr weckte, zeigten Wirkung. Ärgerlich stellte sie sich unter die Dusche und ließ das kalte Wasser über ihren Körper strömen. Im ersten Moment zuckte sie
zusammen, denn es fühlte sich an wie tausend kleine Nadelstiche. Trotzdem wurde Jacinta das immer heftiger werdende Verlangen nicht los, das sie aus dem seelischen Gleichgewicht brachte. Ich begehre ihn so sehr, daß die Sehnsucht mich noch wahnsinnig macht, überlegte sie. Dir war bewußt, wie gefährlich nahe sie daran war, nicht mehr gegen das Verlangen ankämpfen zu können und zu wollen. Eigentlich konnte sie froh sein, daß Paul ihre Gefühle nicht zu erwidern schien, sonst würde sie sich am Ende noch lächerlich machen. Paul konnte jede Frau haben, die ihm gefiel. Es ist also eher unwahrscheinlich, daß er ausgerechnet mich begehrt, denn ich bin weder besonders reizvoll noch außergewöhnlich attraktiv, sagte sie sich, obwohl ihr Spiegelbild ihr eben noch das genaue Gegenteil bestätigt hatte. Jacinta wünschte, sie hätte sich vor elf Jahren, als sie mit dem Studium angefangen hatte, intensiver ins Leben gestürzt und sich nicht von allem ferngehalten! Immer wieder war sie von Kommilitonen eingeladen worden, doch sie hatte alle Einladungen abgelehnt, weil sie in der Freizeit in einem Schnellimbiß gearbeitet hatte. Vielleicht wäre sie jetzt erfahrener und selbstbewußter und wüßte, wie sie mit den Emotionen, die Paul in ihr weckte, umgehen sollte. Ach, was soll's, keiner dieser netten jungen Männer hätte mir beibringen können, wie ich mit dem Verlangen und der Sehnsucht nach diesem Mann, den ich sowieso nicht haben kann, zurechtkommen soll, dachte sie, während sie sich abtrocknete. Beim Dinner gab sie sich kühl und zurückhaltend und war entschlossen, auf der Hut zu sein. Doch er unterhielt sich so ungezwungen und lebhaft, daß sie sich entspannte. Sie fühlte sich schließlich so sicher, daß sie sich einen Fernsehfilm, ein leidenschaftliches Liebesdrama, mit ihm anschaute.
Als der Film zu Ende war, erklärte Jacinta: "Romeo und Julia waren ja noch sehr jung, da passiert so etwas. Aber ansonsten ist dieses Gerede über Liebe auf den ersten Blick purer Unsinn." "Sie glauben also nicht daran?" Er lächelte leicht und sah sie forschend an. "Nein, bestimmt nicht. Liebe entwickelt sich. Die beiden Menschen in dem Film waren besessen voneinander. Das wirkt dramatisch und mitreißend, aber ich nenne es nicht Liebe." Paul lehnte sich in dem großen Sessel zurück. "Dann glauben Sie wahrscheinlich auch nicht an Seelenverwandtschaft, oder?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Es klingt herrlich, daß man mit jemandem seelisch verbunden sein soll, vielleicht sogar schon seit Jahrhunderten. Das gibt es jedoch nicht." "Und was ist Liebe auf den ersten Blick?" Eine gefährliche Selbsttäuschung, dachte sie. Laut sagte sie jedoch nur: "Man fühlt sich körperlich zueinander hingezogen." Eine solche Anziehungskraft konnte das ganze Leben eines Menschen zerstören. Jacintas Mutter hatte jedenfalls den Mann der übrigens verheiratet gewesen war - nie vergessen, der sie verführt und dann verlassen hatte, als sie schwanger gewesen war. "Sie glauben also, zwei Menschen brauchten sich nur anzusehen und würden sich sogleich begehren - als wären sie vom Blitz getroffen, wie man so sagt." Jacinta errötete. Genau das hatte sie empfunden, als sie Paul zum erstenmal auf der Fidschiinsel gesehen hatte. "Ja, das passiert, aber es ist gefährlich, es mit Liebe zu verwechseln." "Ohne diesen ersten Eindruck kann sich Liebe gar nicht entwickeln, jedenfalls nicht die Liebe, die zur Ehe führt", wandte er ein. Er hatte das Fernsehgerät bereits ausgeschaltet. Deshalb war es jetzt sehr still im Zimmer, man hörte nur das sanfte Rauschen der Wellen am Strand.
Sie fühlte sich unbehaglich. Noch nie hatte sie sich mit einem Mann über Sex, Leidenschaft und Liebe unterhalten. "Das stimmt, die meisten Psychologen denken jedoch, daß zu einer glücklichen Ehe mehr gehört als Sex", erwiderte sie. "Oder Liebe", sagte Paul sanft. Verblüfft schaute sie ihn an. "Eine stabile, funktionierende Beziehung läßt sich leichter aufbauen, wenn man aus ähnlichen Lebensverhältnissen stammt und an dieselben ethischen Werte glaubt", fuhr er fort. "Das klingt ziemlich gefühllos", entgegnete sie. "Ich bin der Meinung, daß auch zwei Menschen mit unterschiedlichen Lebensweisen und aus unterschiedlichen Kulturkreisen lernen können, sich zu Heben." Er zog die Augenbrauen hoch und lächelte etwas spöttisch. "Mir ist klar, daß Sie davon überzeugt sind", antwortete er ironisch. "Sie etwa nicht?" fragte sie mutig. "Ach, die Menschheit wird schon erhalten bleiben." Seine Stimme klang jetzt gleichgültig, und er wechselte geschickt das Thema. Später am Abend stand Jacinta am Fenster ihres Schlafzimmers und beobachtete die zahllosen Sterne, die unendlich langsam und geduldig am dunklen Himmel entlang zu wandern schienen, während der Mond den Garten in ein geheimnisvolles Licht hüllte. Ich kenne Paul gerade eine Woche, überlegte sie und zählte die wenigen Tage auf der Fidschiinsel nicht mit. Wie sie Paul erklärt hatte, hätte sie sich in der kurzen Zeit gar nicht in ihn verlieben können. Nach ihrer Definition waren die verwirrenden, überwältigend starken Gefühle, die auf sie einstürzten, völlig unromantisch und nichts anderes als körperliches Verlangen oder sinnliche Begierde. Vielleicht hatte Paul mit seiner nüchternen Betrachtungsweise doch recht. Diese aufgeregte Freude und die
heimliche Sehnsucht waren sicher nur eine romantische Beigabe, die Mutter Natur für die Menschen bereithielt, damit sie nicht aufhörten, sich zu vermehren. Es war Jacinta klar, wenn sie nicht aufpaßte, würde sie am Ende so besessen sein von ihrem Verlangen wie das Liebespaar in dem Fernsehfilm. Das war ein schrecklicher Gedanke. Am besten würde sie Waitapu und Paul schnellstens verlassen, auch wenn es ihr das Herz brechen würde. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag die Wohnungsangebote in der Zeitung durchzusehen. Es konnte ja sein, daß sie Glück hatte und ein kleines Apartment für einige Monate fand. Dann mußte sie sich einen Job suchen und sich eine Ausrede gegenüber Paul einfallen lassen. Wegzulaufen würde alles noch komplizierter machen, doch wenn sie bei ihm blieb, riskierte sie, verletzt zu werden. Jacinta wachte am nächsten Morgen mit einer ganz neuen Idee für ihren Roman auf. Rasch machte sie sich fertig und setzte sich an den Computer. Irgendwie war sie sogar froh, nicht mit Paul frühstücken zu müssen. Doch schon nach wenigen Minuten klopfte es an der Tür. "Es ist okay, Fran", rief sie. "Ich bin nicht Fran, und es ist nicht okay." Sie biß sich auf die Lippe und bemühte sich, nicht wieder in freudige Erregung zu geraten. Zögernd stand sie auf und öffnete. Paul stand vor ihr in einem eleganten Maßanzug, was sie sogleich daran erinnerte, daß er in einer völlig anderen Welt lebte als sie. "Was ist los?" fragte sie kurz angebunden. Er musterte sie aufmerksam. Dann lächelte er, und es war um sie geschehen. "Kommen Sie zum Frühstück", forderte er sie freundlich auf. "Ich bin nicht hungrig", erwiderte sie betont munter, damit er nicht merkte, wie unsicher und ärgerlich sie war. "Außerdem
habe ich eine phantastische Idee, die ich unbedingt aufschreiben muß, sonst ist sie wieder weg." Er zog die Augenbrauen zusammen. "Wie lange dauert es?" "Paul, das weiß ich nicht." Zum erstenmal nannte sie ihn beim Vornamen, und es klang seltsam faszinierend und verführerisch. Er lachte sanft und weich. "Okay, es tut mir leid. Aber Sie müssen unbedingt etwas essen, sobald Ihre kreative Phase vorbei ist." Dann nahm er ihre Hand in seine, streichelte ihre Finger und ließ dann den Daumen zärtlich über den Puls am Handgelenk gleiten. Jacinta war verblüfft. Sie wurde ganz blaß und zog entsetzt die Hand zurück. "Bis heute abend", verabschiedete er sich ruhig. Erst als sie eine halbe Stunde später hörte, daß er mit dem Wägen wegfuhr, entspannte sie sich und atmete tief durch. Warum hat er das getan? überlegte sie, während sie ihre Finger betrachtete. Sie konnte es immer noch nicht fassen und fühlte sich wie betäubt. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, Paul würde sie überreden, mit ihm zu frühstücken. Aber vielleicht hatte er ihren Entschluß nur akzeptiert, weil es ihm sowieso egal war, ob sie ihm Gesellschaft leistete oder nicht. Sie schlenderte in die Küche, nahm sich ein Stück Toast und eine Tasse Kaffee und verschwand wieder auf ihr Zimmer. Frans mißbilligenden Blick ignorierte sie einfach. Mit der Tasse Kaffee in der einen und dem Toast in der anderen Hand stellte sie sich an die Balkontür und blickte träumerisch über den Garten hinweg bis hin zum Meer. Irgendwann löste sie sich aus dem Bann, in den Pauls unerwartete Berührung sie versetzt hatte, und kehrte zurück an den Computer und zu dem "Roman, den sie schrieb. Doch sie fühlte sich den ganzen Tag wie verzaubert.
Als sie gegen zwei Uhr hungrig und durstig in der Küche erschien, kam Fran gerade mit drei großen Tüten vom Einkaufen zurück. "Haben Sie etwa noch nichts gegessen?" fragte sie Jacinta und stellte die Tüten auf die Bank. "Das ist eine schlechte Angewohnheit, Sie müssen besser auf sich aufpassen." "Ach, mir kommen die Ideen nicht immer gleich, und wenn sie dann endlich da sind, will ich meine Arbeit nicht unterbrechen", erklärte Jacinta und machte sich ein Schinkensandwich zurecht. "Das glaube ich nicht. Die Ideen kommen doch nur, wenn Sie dazu bereit sind, sie aufzunehmen. Unregelmäßiges Essen schadet dem Körper." "Ich weiß." Jacinta lächelte. "Vielleicht haben Sie ja auch recht mit den Ideen. Ich will versuchen, mich zu disziplinieren.". Fran begann, die Einkäufe wegzuräumen. Jacinta setzte sich mit dem Sandwich an den Tisch und aß es mit gutem Appetit. "Paul hat mir heute morgen erzählt, daß er am Samstag eine Party veranstalten will", sagte Fran. "Zwei Gäste werden hier übernachten." Plötzlich verging Jacinta der Appetit. "Das ist ziemlich kurzfristig." "Sehr sogar", stimmte Fran zu. "Sicher ist es nicht seine Schuld. Irgend etwas ist wahrscheinlich schiefgegangen mit den Terminen. Normalerweise bringt Paul Geschäftsfreunde nicht mit nach Hause." "Schaffen Sie alles in so kurzer Zeit? Ich helfe Ihnen gern und kann ganz gut kochen." Fran lächelte sie an. "Oh, das macht alles der Partyservice." Natürlich, das hätte ich mir denken können, dachte Jacinta und lachte. "Ist das die Filmparty, die Paul einmal erwähnt hat?" fragte sie.
"Ja. Paul hat die Verträge aufgesetzt, oder was weiß ich." Fran seufzte dramatisch. "Harry Moore kommt. Stellen Sie sich das vor! Mögen Sie ihn?" "Er ist ein guter Schauspieler." "Sie haben ja dann Gelegenheit, herauszufinden, ob er in Wirklichkeit auch so großartig ist wie auf der Leinwand." "Ich komme nicht zur Party", verkündete Jacinta. "Es sei denn, Sie brauchen mich zum Bedienen der Gäste. Damit kenne ich mich aus." Fran zog die Augenbrauen hoch, dann zuckte sie mit den Schultern. "Ach, wir werden ja sehen. Aber wir brauchen keine zusätzliche Bedienung." Anschließend ging Jacinta in den Wintergarten und las die Wohnungsangebote in der Zeitung durch. Nach der negativen Erfahrung mit Mark, bei dem sie eingezogen war, kam für sie nur noch eine Vermieterin in Frage. Nachdem sie sich die Telefonnummern von zwei vielversprechend klingenden Anzeigen notiert hatte, setzte sie sich auf die Terrasse und beobachtete gedankenverloren die Goldfische im Teich. Eigentlich sollte ich bei den Leuten anrufen und mich erkundigen, überlegte sie, tat es jedoch nicht. Jahrelang hatte sie sich zurückgehalten und ihrer Mutter zuliebe auf vieles verzichtet, was sie nicht bereute. Aber seit sie auf Waitapu war, wurde ihr immer bewußter, daß sie absichtlich keine Gefühle zugelassen hatte, weil sie nicht verletzt werden wollte. Und da sie es nicht hatte ändern können, hatte sie es einfach ignoriert, daß sie am Leben vorbeilebte, ohne aktiv daran teilzunehmen. Aber jetzt wollte sie sich endlich hineinstürzen und erfahren, was das Leben zu bieten hatte, auch wenn sie früher oder später verletzt werden würde. Natürlich würde sie Paul ihre Gefühle nicht zeigen. Sie war viel zu stolz, um sich lächerlich zu machen. Sie wollte einfach
nur die Zeit mit ihm genießen, und nachher würde sie sich verabschieden, ohne ihre Würde zu verlieren. Als sie später im Liegestuhl vor ihrem Zimmer auf der Veranda lag, hörte sie Pauls Wagen im Hof. Sie empfand tiefe Freude und so etwas wie ungeduldige Erwartung. Es gelang ihr jedoch, sich zu beherrschen und zu bleiben, wo sie war, und die fertigen Manuskriptseiten durchzulesen. Plötzlich bekamen die vielfältigen Geräusche um sie her eine ganz andere Bedeutung. Sie lauschte dem Tui, der sein Lied sang, und sie hörte, wie im Haus eine Tür zugeschlagen wurde. Sie war äußerlich ruhig, doch das Herz schlug ihr bis zum Hals. Obwohl all ihre Sinne geschärft waren, merkte sie nicht, daß Paul über die Veranda auf sie zukam. "Hallo", begrüßte er sie. Erschrocken fuhr sie zusammen, und prompt flatterten die Manuskriptseiten auf den Boden. "Das tut mir leid", entschuldigte er sich und hob die Blätter auf. "Ich habe Sie nicht gehört", sagte sie, weil ihr nichts Gescheiteres einfiel. "Ah ja. Vielleicht sollte ich pfeifen, aber dann verwechseln Sie mich noch mit Dean." Jacinta rang nach Fassung. Es gelang ihr sogar, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. "Ja, könnte passieren." "Darf ich mich zu Ihnen setzen?" fragte er. "Ja, sicher." Und da sie sich in ihren sehr kurzen Baumwollshorts auf einmal seltsam wehrlos und verletzlich fühlte, schwang sie die langen Beine aus dem Liegestuhl, stand auf und setzte sich in einen Rattansessel. "Hatten Sie einen schönen Tag?" erkundigte er sich höflich. "Ja, danke. Und Sie?" "Ich hatte viel zu tun", antwortete er. "Hat Fran Ihnen erzählt, daß ich am Wochenende eine Party gebe?"
"Ja. Ich habe angeboten zu helfen, doch sie war der Meinung, Sie brauchten weder eine zusätzliche Bedienung noch eine relativ gute Köchin." Sekundenlang blitzte es in seinen Augen auf. "Stimmt, es wird alles vom Partyservice organisiert. Im übrigen erwarte ich, daß Sie als mein Gast an der Party teilnehmen." Es war eine freundliche Geste. Aber weshalb klang dann seine Stimme so, als würde er keinen Widerspruch dulden? "Paul", begann Jacinta vorsichtig, "ich finde es nett, daß Sie mich einladen, aber es wäre unpassend." "Wenn Sie meinen, Sie brauchten ein neues Kleid ..." "Nein, es gibt noch andere Gründe", unterbrach sie ihn ruhig. "Dann nennen Sie sie mir", forderte er sie auf. "Ich würde das Gefühl haben, mich Ihnen aufzudrängen. Hätten Sie mich auch eingeladen, wenn ich in der Strandhütte wohnte?" "Ja." Da ihr sonst nichts einfiel, fragte sie: "Kommt Dean auch?" "Er ist am Wochenende mit Brenda unterwegs. Haben Sie sie schon kennengelernt?" "Nein. Sie hat im Moment wenig Zeit." Jacinta befand sich in einer Zwickmühle. "Ich mache die Party lieber nicht mit, Paul." "Ich möchte aber, daß Sie auch kommen." Wenn er arrogant oder hochmütig darauf bestanden hätte, sie müsse teilnehmen, hätte sie sich geweigert und Dean gefragt, ob sie in seinem Cottage übernachten könnte. Doch Paul drückte es so nett aus und lächelte sie so charmant an, daß sie es ihm nicht mehr abschlagen konnte. Und als ihr dann noch ihr wunderschönes Seidenoutfit in dem warmen Orangeton mit dem goldenen Glanz einfiel, das sie mit ihrer Mutter im Urlaub erstanden hatte und das ihre Haut wie Elfenbein schimmern ließ und in dem ihr Haar an funkelndes Bernstein erinnerte, willigte sie schließlich ein. "Okay", sagte sie.
"Sie werden sich amüsieren", versprach er ihr. Schon jahrelang war Jacinta nicht mehr auf einer Party gewesen und noch nie auf einer, an der Filmstars und -Sternchen aus Hollywood teilnahmen. Deshalb würde es sicher ein außergewöhnliches Erlebnis sein. "Ja, das habe ich vor", erwiderte sie.
6. KAPITEL Am nächsten Morgen fuhr Paul nach Auckland und kam die ganze Woche nicht mehr zurück. Mir ist es recht, redete Jacinta sich ein und verbrachte die Tage mit Schreiben, Schwimmen und Spaziergängen. Und sie unterhielt sich mit Dean und Fran. Sie vermißte Paul sehr, obwohl sie während seiner Abwesenheit weniger Probleme und genug Zeit hatte, zu sich selbst zu kommen. Mit ihrem Buch kam sie nur langsam voran. Oft ertappte sie sich dabei, daß sie am Computer vor sich hin träumte und nicht bei der Sache war. Aber sie hatte auch das Gefühl, sich in einer Sackgasse zu befinden. Drei Tage vor der Party holte sie das Seidenensemble aus dem Schrank und probierte es an. Das Top, die kurzärmlige Bluse und der weitschwingende Rock mit den hohen Seitenschlitzen paßten ihr perfekt. Und dann band sie sich den Bindegürtel aus goldgelber und orangefarbener Seide um die Taille, den sie dazu gekauft hatte. Die modischen Sandaletten aus hellem Leder sahen gut dazu aus. Entsprechender Goldschmuck würde das Outfit vervollständigen, doch den besaß sie leider nicht, außer den goldenen Ohrringen. Am Freitag kamen die Leute vom Partyservice und bereiteten in der Küche alles vor. Fran schien sich in dem ganzen Trubel wohl zu fühlen.
Um sieben Uhr läutete das Telefon. Jacinta, die schon auf Pauls Rückkehr wartete, wußte, daß er es war, noch ehe sie sich gemeldet hatte. "Haben Sie Telefondienst?" fragte Paul. "Nein, ich stand nur gerade neben dem Apparat und habe gesehen, daß der Anrufbeantworter nicht eingeschaltet ist." "Ah ja. Ich bin noch in Sydney und komme erst morgen vormittag nach Hause", erklärte er. "Ich sage Fran Bescheid", erwiderte sie, ohne sich anmerken zu lassen, wie enttäuscht sie war. "Alles in Ordnung? Was machen Sie? Amüsieren Sie sich gut?" "Ja, natürlich." Plötzlich ertönte im Hintergrund die Stimme einer Frau. "Dann bis morgen", verabschiedete er sich sogleich. Schmerzlich berührt legte Jacinta den Hörer auf. Ich bin nicht eifersüchtig, dazu habe ich doch gar keinen Grund, versuchte sie sich einzureden. Die Frau konnte eine Mitarbeiterin sein oder die Frau eines Freunds. Vielleicht war sie sogar eine Verwandte, denn er hatte einmal seine australischen Cousinen erwähnt. Aber die Stimme der Frau hatte eher verführerisch geklungen, nicht geschäftsmäßig oder nur nett und freundlich. In der folgenden Nacht schlief Jacinta schlecht. Die Stunden schienen sich endlos hinzuziehen. Immer wieder stellte sie sich Paul zusammen mit einer schönen Frau vor. Ich hätte Waitapu doch verlassen sollen, sagte sie sich schließlich und stand auf, weil sie die Ungewißheit nicht länger ertragen konnte. Sie wollte schreiben, aber daraus wurde nichts. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Vielleicht machte sie sich auch nur etwas vor und hatte gar kein Talent. Sie las die fertigen Seiten durch und fand alles schrecklich langweilig. Unzufrieden legte sie das Manuskript beiseite und ging wieder ins Bett. Erstaunlicherweise schlief sie sogleich ein.
Doch nach wenigen Stunden war sie schon wieder wach. Nach dem Frühstück schwamm sie bis zur Erschöpfung im Meer. Und weil sie überhaupt keine Lust hatte, irgend etwas zu tun, schlenderte sie schließlich durch den Garten zu der Hängematte zwischen den Ästen eines Jakarandabaums. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es Jacinta, hineinzuklettern und sich auszustrecken. Sie genoß das herrliche Gefühl, sich in der Hängematte im Schatten des Baums leicht hin- und herzuwiegen, und schlief schon bald ein. Plötzlich wachte sie auf. Jemand hatte sie gerufen, oder? Irritiert öffnete sie die Augen. Paul stand da, an den Baumstamm gelehnt. Und sogleich verspürte sie ein Kribbeln im Bauch. "Sie haben sich gut versteckt", stellte er ruhig fest. Jacinta schluckte. "Wieviel Uhr ist es?" "Gleich zwölf." "Du liebe Zeit!" Sie richtete sich unvermittelt auf, was sie besser nicht getan hätte, denn die Hängematte schwankte heftig. Paul streckte die Hand aus und hielt das Ding fest. Er musterte Jacinta und lächelte rätselhaft. "Ich habe in der vergangenen Nacht ziemlich schlecht geschlafen", erklärte sie. "Warum?" "Weiß ich nicht, wahrscheinlich ohne besonderen Grund." Sie schwang die Beine seitlich über den Rand und wollte aus der Hängematte klettern, kippte jedoch beinah hinaus. Wieder half Paul ihr. "Hatten Sie eine gute Reise?" fragte Jacinta und errötete leicht, als sie schließlich vor ihm stand. "Ja, danke. Kommen Sie mit zum Lunch. Man hat uns auf die Veranda verbannt." Ehe sie sich hinsetzten, erklärte Paul: "Ich habe in Sydney etwas entdeckt, das Sie vielleicht gebrauchen können" und verschwand in sein Zimmer.
Kurz darauf tauchte er mit einem Päckchen wieder auf. Es war ein Buch mit Anleitungen, Tips und Ratschlägen für Autoren. "Danke!" Jacinta blätterte begeistert darin herum. "Es sieht vielversprechend aus. Ich freue mich darüber, denn ich komme im Moment nicht weiter." Ein bißchen verlegen legte sie das Buch auf den Tisch. "Danke, Paul. Ich kann es kaum erwarten, darin zu lesen." "Hoffentlich hilft es Ihnen, die innere Sperre zu überwinden. Setzen Sie sich doch. Wir sollten essen, ehe Fran alles abräumt." "Sie ist in ihrem Element. Ich war in der Küche und wollte helfen. Aber man hat mich hinausgeworfen - natürlich höflich und nett." Er lachte. "Fran kennt die Leute vom Partyservice. Sie waren schon öfter hier." Während des Essens unterhielten sie sich über dies und das. Obwohl Paul nicht ganz bei der Sache zu sein schien, war Jacinta so aufgeregt und glücklich, daß sie die innere Stimme ignorierte, die sie warnte. Das Wasser des Ozeans glitzerte unter dem tiefblauen Himmel im Sonnenschein, und das Gefieder der kleinen Spatzen, die auf dem Geländer der Veranda saßen und darauf warteten, die Krümel aufzupicken, glänzte kastanienbraun und erdfarben in dem beinah goldenen Licht. Und die lilafarbenen Blüten des Rispengrases in der Kohlpalme, der größten Lilie der Welt, verbreiteten einen üppigen, exotischen Duft. "Wann beginnt die Party?" fragte Jacinta.
"Um acht fängt das Barbecue am Strand an. Zwei der Gäste
treffen schon um fünf Uhr ein, Laurence Perry, der Filmschauspieler, und Meriara Anderson. Sie ist Produktionsassistentin. Beide übernachten hier." Jacinta nickte. "Zum Barbecue erscheinen wahrscheinlich alle in Shorts." Sie ließ sich die Enttäuschung nicht anmerken.
"Darauf würde ich nicht wetten", antwortete er. "Meriam Anderson liebt das Understatement, doch in Shorts wird sie bestimmt nicht auftreten. Sie ist Engländerin, deshalb liegt ihr der legere Stil nicht." Er kennt sie offenbar sehr gut, dachte Jacinta und war plötzlich so eifersüchtig, daß es beinah körperlich schmerzte. "Aber Harry Moores Freundin Liane meint, sie brauche sich nur einen Ring an den Zeh zu stecken, dann sei sie richtig gekleidet für eine Party", fuhr Paul fort. "Man kann anziehen, was man will. Man muß nur etwas damit aussagen wollen, ein Statement machen, das verstehen diese Leute." Ist mein Kleid so etwas wie ein Statement? überlegte Jacinta. Sie hatte keine Ahnung. "Machen Sie sich keine unnötigen Gedanken, diese Leute sind auch nur Menschen", fügte er hinzu. "Ja, ich weiß. Ich möchte jedoch nicht unangenehm auffallen." "Das werden Sie sowieso nicht. Hinter dem ganzen Getue und dem äußeren Schein verbergen sich völlig normale Menschen." "Durch Reichtum und Schönheit, aber auch durch Macht und Talent unterscheiden sie sich doch von der Masse, oder? Wenn zum Beispiel Harry Moore einige Jahre im Mittelpunkt öffentlichen Interesses lebt und noch dazu wahnsinnig viel Geld verdient, verändert er sich zwangsläufig." Paul lehnte sich im Sessel zurück und schaute sie leicht belustigt an. "Er ist intelligent und weiß, was er tut. Es stimmt, ich habe mich falsch ausgedrückt und etwas leichtfertig dahergeredet. Betrachten Sie sie als eine andere Spezies interessant und die Erfahrung wert, aber letztlich völlig unwichtig." Weil ich sie sowieso nicht wiedersehen werde, dachte sie und war verletzt. Aber er hatte natürlich recht.
Nachdenklich fügte er hinzu: "Sie mit Ihrem Aussehen und dem außergewöhnlichen Haar erregen wahrscheinlich mehr Aufsehen, als Ihnen lieb ist, oder? Was würden Sie sagen, hat sich dadurch Ihr Charakter verändert?" "Nein", erwiderte sie. "Ich bin ein ganz normaler Mensch." Er lächelte sie so unwiderstehlich an, daß es ihr beinah den Atem verschlug. Am Abend machte Jacinta sich besonders sorgfältig zurecht. Das gelockte, volle rote Haar fiel ihr wie flüssige Lava über die Schultern und erhielt durch die üppige Farbe des Kleids einen ganz besonderen Glanz. Sie legte die goldenen Ohrringe an und benutzte den Lippenstift, den sie sich vor einigen Jahren einmal gekauft hatte. Durch den warmen pfirsichfarbenen Goldton wirkten ihre Lippen voller und interessanter, jedenfalls hoffte sie es. Freudig erregt verließ sie ihr Zimmer und ging durch die Eingangshalle in den Wintergarten. Sie sah zum Strand hinunter, wo bereits ein Lamm am Spieß gebraten wurde. Plötzlich spürte sie, daß sie nicht mehr allein war. Sie drehte sich um. Paul stand auf der Türschwelle und blickte Jacinta mit zusammengezogenen Augenbrauen und verschlossener Miene an. Die Atmosphäre war gespannt. Ich sehe bestimmt schrecklich aus, dachte Jacinta verzweifelt, und ihr mühsam erworbenes Selbstvertrauen löste sich in nichts auf. Doch dann war der seltsam magische Moment, in dem es vor Spannung zu knistern schien, schon wieder vorbei. "Die Farbe steht Ihnen hervorragend", sagte Paul. "Danke." Sie zauberte ein Lächeln auf die Lippen. "Paul, das Haus gefällt mir wirklich gut", rief plötzlich eine Frau hinter ihm mit deutlich englischem Akzent. Lächelnd drehte er sich zu der Frau um, die ihm in den Raum folgte. Meriam Anderson war ungefähr Mitte Dreißig und trug
ein sportlich-elegantes marineblaues Seidenkleid. Sie hängte sich bei Paul ein und nickte Jacinta flüchtig zu. Bei Meriams Ankunft am späten Nachmittag hatte Jacinta eine Bluse und einen ganz normalen Rock angehabt. Meriam hatte sie sehr freundlich begrüßt. Doch jetzt musterte Meriam sie mit zusammengekniffenen Augen. "Meine Liebe", sagte sie, "was für ein außergewöhnliches Outfit. Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment in Flammen aufgehen." Danach war der Abend für Jacinta gelaufen. Mir ist es jetzt völlig egal, was die anderen von mir denken, wenigstens das hat Meriam erreicht, überlegte Jacinta, als immer mehr Gäste eintrafen und alle zum Strand hinuntergingen. Nur Pauls Meinung war ihr wichtig, aber er beachtete sie nicht mehr. Wahrscheinlich hielt er ihr Kleid für zu auffallend und unpassend. Sie wollte sich jedoch von seiner Zurückweisung, oder was auch immer es war, nicht beeinflussen lassen. Mit hocherhobenem Kopf versuchte sie, den dumpfen Schmerz zu ignorieren, der sie quälte. Ungefähr sechzig Gäste hatten sich am Strand versammelt. Es war noch hell, und die Sonne schien warm. Jacintas Outfit war überhaupt nicht unpassend, wie sie schon bald feststellte. Harry Moore, ein auffallend gutaussehender Mann, war ungefähr so groß wie Jacinta. Er flirtete mit ihr, aber mit allen anderen Frauen auch außer mit seiner Freundin Liane, die er immer wieder sehnsüchtig anschaute. Ich weiß, wie es ist, dachte Jacinta und unterhielt sich angeregt mit ihm. Vielleicht half ihm das Gespräch, die seelischen Qualen vorübergehend zu vergessen. "Sie sehen so aus, als hätten Sie irische Vorfahren", erklärte er. Als sie es verneinte, fügte er hinzu: "Ich wette, irgend jemand aus Ihrer Familie kommt aus Irland. Sie wirken auf mich wie der Hochsommer, warm, üppig und überschwenglich."
Jacinta bedankte sich lächelnd für das Kompliment. Wenn man an gebrochenem Herzen leidet, kann man sich auf einer Party zwanglos und unbekümmert bewegen, weil es einem völlig egal ist, was die Leute denken, überlegte sie. Sie ließ den Blick über die Menge gleiten und entdeckte Paul. Er stand etwas abseits und redete mit zwei anderen Männern. Neben Paul wirkte Harry eher unfertig, so als müßte er sich noch entwickeln. Er war jedoch schon ungefähr Anfang Dreißig, also gar nicht viel jünger als Paul. Wahrscheinlich hatte Paul schon immer diese besondere Ausstrahlung besessen, die ihn so dominant erscheinen ließ. Dazu gehörten sicher innere Kraft und Stärke und auch ein Selbstbewußtsein, das durch nichts erschüttert werden konnte. Jede Frau war von ihm begeistert. Er schien alle in seinen Bann zu ziehen. Was war nur geschehen, daß er sich mit keiner mehr einlassen wollte? Er hat mich nur einmal angesehen und sich verächtlich abgewandt, sagte Jacinta sich. Sie hatte deutlich gespürt, daß er sie ganz bewußt aus seinem Leben ausschließen wollte. Eine Stunde lang hörte sie Harry Moore zu. Für ihren Geschmack trank er zuviel. Obwohl er seine Freundin genau beobachtete, die von einem zum anderen ging, wich er Jacinta nicht von der Seite und erzählte ihr lustige Geschichten, über die sie herzlich lachte. Als schließlich seine Freundin wieder zu ihm kam, nahm Jacinta die Gelegenheit wahr und gesellte sich zu Laurence Perry, einem netten Schauspieler mittleren Alters, der auch auf Waitapu übernachten würde. Laurence lächelte sie hinreißend charmant an. "Sie wohnen wunderschön hier, ich beneide Sie um dieses Fleckchen Erde", sagte er. Jacinta lächelte auch, aber das tat sie schon den ganzen Abend. Sie hatte langsam das Gefühl, das Lächeln würde ihr auf den Lippen gefrieren und tagelang nicht mehr verschwinden.
"Leider bin ich nur auf Besuch hier", erwiderte sie. "Hat es Ihnen in Neuseeland gefallen?" "Sehr gut sogar", antwortete Laurence. "Als ich Ihnen heute nachmittag vorgestellt wurde, haben Sie mich an jemanden erinnert. Ich wußte aber nicht, an wen. Erst als Sie heute abend in diesem phantastischen Kleid auftauchten, fiel es mir wieder ein." ; "Habe ich eine Doppelgängerin?" Jacinta bemühte sich, eine interessierte Miene aufzusetzen. "Nein, das nicht. Aber vor ungefähr hundert Jahren hat eine Frau gelebt, die genauso aussah wie Sie." Laurence blickte sie prüfend an. "Meine Großmutter besaß den Druck eines Gemäldes von einem viktorianischen Maler. Es hieß ,Flaming June' und stellte eine schlafende junge Frau dar. Sie haben dieselbe Nase und dieselben Lippen. Auch Ihr Haar und Ihre Haut sehen genauso aus. Und das ist noch nicht alles: Die junge Frau auf dem Gemälde trug ein orangefarbenes Kleid mit einem warmen Goldton, genau wie Sie jetzt." Jacinta zog die Augenbrauen hoch. "Seltsam", sagte sie, während sie Paul und Meriam beobachtete, die auf sie zukamen. Als sie bemerkte, daß Meriam die Hand auf Pauls Arm legte, tat es ihr beinah körperlich weh. "Ich muß versuchen, eine Kopie dieses Gemäldes zu bekommen. Ob sie wohl auch wegen ihres roten Haars so sehr gehänselt wurde ich?" fügte Jacinta ruhig hinzu. "Hat man Sie auch ,Rotschopf' gerufen?" Sie war selbst überrascht, wie unbekümmert sie auflachte. "Ja, und noch manches andere." "Aber jetzt ist Ihre Zeit gekommen. Die meisten von denen, die Sie geneckt haben, würden wer weiß was dafür geben, so wunderschönes Haar wie Sie zu haben und so schöne grüne Augen und so eine feine helle Haut, die wie Elfenbein aussieht." Jacinta wurde ganz verlegen. "Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich bin ich für einen Mann sowieso zu teuer, weil
ich jede Menge Sonnenöl brauche, um keinen Sonnenbrand zu bekommen." "Sie wären es bestimmt wert", erwiderte Laurence. Meriam hatte die Bemerkung gehört und fragte: "Was wäre sie wert?" "Daß ein Mann viel Geld für Sonnenschutzmittel ausgibt, um Jacintas makellose Haut zu schützen", erklärte Laurence. "Ja, das stimmt", mischte Paul sich ein. Jacinta schaute ihn nicht an. Seine Worte klangen in ihren Ohren wie Peitschenhiebe, die sich in ihre Seele brannten. "Heutzutage gibt es ja gute Sonnenschutzmittel", warf Meriam uninteressiert ein. "Paul, du hast eine wunderbare Party auf die Beine gestellt. Was meinst du, soll ich noch zwei Tage länger bei dir bleiben?" "Ich würde mich freuen. Kannst du es einrichten?" "Leider nicht." Sie seufzte. "Aber ich komme auf die Einladung zurück, Paul." Er lächelte sie an. Jacinta atmete tief ein. Plötzlich fühlte sie sich ihm gegenüber schrecklich wehrlos. Ohne daß er sich auch nur im geringsten anstrengen muß, beherrscht er die Szene und die Situation, dachte sie. Natürlich war er intelligent und attraktiv, aber seine Gäste waren ausgesprochen weltgewandt und verfügten über die Macht des Geldes. Dennoch konnte keiner von ihnen Paul das Wasser reichen. Ich lasse mir von meinen Gefühlen für ihn nicht den Abend verderben, nahm Jacinta sich vor. Paul blieb an Meriams Seite, doch sie benahmen sich eigentlich ganz normal und nicht wie ein Liebespaar. Trotzdem merkte man, daß sie sich mochten. Ich bin nicht in ihn verliebt, nein, überhaupt nicht, sagte Jacinta sich immer wieder, während sie sich mit allen möglichen Leuten unterhielt.
Je länger die Party sich hinzog, desto schwerer fiel es Jacinta, sich zu verstellen. Am liebsten hätte sie sich nach dem Dinner unauffällig zurückgezogen, sie tat es jedoch nicht, weil sie nicht einfach resignieren und aufgeben wollte. Also stand sie die Sache durch. Sie unterhielt sich mit allen und war überrascht, wie höflich und nett man zu ihr war. Jeder schien sich irgendwie für sie zu interessieren. Ich habe es bisher nicht gewußt, aber ich bin ein Snob, dachte sie, als sie schließlich doch genug hatte. Sie überlegte gerade, einfach zu verschwinden, als sie Pauls ziemlich gleichgültigem Blick begegnete. Er sagte etwas zu seinen Gesprächspartnern und gesellte sich zu Jacinta. Vom Meer her wehte jetzt eine leichte Brise. Deshalb hatten sich alle vom Strand zurückgezogen und feierten auf dem Rasen im Schutz der Bäume weiter. Trotz des leichten Winds war es immer noch warm. Und die Gäste waren entspannt und in heiterer Stimmung. "Es war eine herrliche Party, ich möchte mich jedoch verabschieden", sagte Jacinta. "Als erste?" Seine Stimme klang leicht mißbilligend. Jacinta versteifte sich. "Niemand wird mich vermissen." "Doch. Sie sind der absolute Hit. Liane meint, Sie könnten Harry gefährlich werden." "Dann ist sie sehr unsicher." Sie versuchte, seinen ironischen Unterton zu ignorieren. "Es war ... faszinierend ...". "Aber es reicht Ihnen." Jacinta blickte auf und bemerkte, wie es in seinen Augen aufleuchtete. Dann lächelte er etwas bedauernd und absolut unwiderstehlich. "Nein, natürlich nicht." Sie gab sich geschlagen. "Gut." Er schaute an ihr vorbei. "Es dauert sowieso nicht mehr lange. Hier kommt gerade der Kaffee."
Er hatte recht. Nachdem alle Kaffee getrunken hatten, fand der große Aufbruch statt. Jeder verabschiedete sich von jedem, gute Wünsche wurden ausgetauscht, und wenig später fuhren alle in ihren Autos nach Auckland zurück. "Es war großartig", erklärte Laurence Perry, nachdem die Leute weg waren. "Danke für die Gastfreundschaft, Paul. Ich verschwinde jetzt auch." "Ich noch nicht", sagte Meriam. "Dazu bin ich noch viel zu aufgedreht. Es ist eine herrliche Nacht, ich möchte gern noch eine Weile Spazierengehen." "Warum nicht?" Pauls tiefe Stimme klang belustigt. Jacinta drehte sich um. "Dann gute Nacht. Wir sehen uns morgen." Sie war froh, daß sie sich auf ihr Zimmer zurückziehen und die Tür hinter sich zumachen konnte. Dann zog sie auch noch die Vorhänge zu, damit keiner sie von draußen sehen konnte: Trotz der quälenden Gedanken schlief sie irgendwann ein. Später wurde sie durch Schritte auf der Veranda wach und hörte eine Frau lachen. Meriam, dachte sie sogleich. Und als sie auch noch Pauls Stimme hörte, steckte sie den Kopf unters Kopfkissen und hielt sich die Ohren zu. Nach einer halben Ewigkeit, so schien es ihr, wagte sie sich wieder hervor. Alles war ruhig und still draußen, nur der Wind spielte sanft mit den Holzverzierungen über der Veranda. Jacinta stand auf, um die Vorhänge noch fester zuzuziehen. Plötzlich bemerkte sie den Lichtschein, der aus Pauls Zimmer auf die Veranda fiel. Das braucht nichts zu bedeuten, sagte sie sich verzweifelt. Vielleicht konnte er nicht schlafen. Sie schätzte ihn eigentlich nicht so ein, daß er sich blindlings in eine Affäre stürzte. Es war aber auch möglich, daß er mit Meriam schon länger zusammen war. Obwohl weder Paul noch Meriam irgendwelche Gefühle gezeigt hatten, waren sie doch den ganzen Abend unzertrennlich
gewesen. Man konnte also nicht ausschließen, daß der Abend für die beiden in Pauls Schlafzimmer geendet hatte. Ach, das geht mich sowieso nichts an, dachte Jacinta und legte sich wieder hin. Am nächsten Morgen wachte sie erst spät auf. Ihr fiel auf, wie still es im Haus war. Als sie ins Frühstückszimmer kam, war keiner mehr da, auch Paul nicht. Die Leute vom Partyservice hatten schon längst alle Spuren beseitigt. Und wenn der Rasen nicht so zertreten gewesen wäre, hätte nichts mehr an die Party erinnert. Zum erstenmal fragte Jacinta sich, wie reich Paul wohl sein mochte. Diese Party hatte für ihre Begriffe bestimmt ein halbes Vermögen gekostet. Er kannte es natürlich nicht anders, denn er kam aus einem reichen Elternhaus, während sie in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war. Trotzdem hatten sie viel gemein. Und glücklicherweise gab es in Neuseeland keine Trennung zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten, jedenfalls meist nicht. Was soll das eigentlich? überlegte sie und ärgerte sich über sich. Sie und Paul hatten überhaupt nichts gemein, das hatte er ihr am Abend zuvor deutlich zu verstehen gegeben. Nachdem sie ein Stück Toast und etwas Obst gegessen hatte, machte sie einen ausgedehnten Spaziergang. Danach las sie im Liegestuhl auf der Veranda vor ihrem Zimmer in dem Buch, das Paul ihr mitgebracht hatte. Sie gestand sich jedoch ein, daß sie eigentlich nur auf ihn wartete. Doch dann merkte sie, daß das Buch wertvolle und hilfreiche Tips enthielt. Interessiert las sie mehrere Seiten aufmerksam durch. Schließlich legte sie es neben sich und schaute nachdenklich zum blauen Himmel empor. Ihre Phantasie wurde angeregt, immer mehr Ideen kamen ihr, bis sie es nicht mehr aus hielt und sich an den Computer setzte.
Ja, das ist es, dachte sie triumphierend, als sie nach einigen Stunden eine Pause einlegte. Sie wußte, es war gut, was sie geschrieben hatte. Sie speicherte alles ab und streckte sich. Plötzlich merkte sie, daß sie hungrig war, und blickte auf die Uhr. Es war schon halb drei, und Fran hatte sie offenbar ganz vergessen. In der Küche machte Jacinta sich ein Sandwich mit Käse und Tomaten und aß es in dem kleinen runden Pavillon, der mitten auf der Wiese stand. Auf einmal konnte sie die Verzweiflung, die sie schon den ganzen Vormittag gespürt hatte, nicht mehr verdrängen. Am liebsten hätte sie geweint, geschrien und um sich geschlagen, so unfair kam ihr das Leben vor. Und sie war wütend auf sich selbst, weil sie sich ausgerechnet in einen Mann verliebt hatte, den sie sowieso nicht haben konnte. Und während sie sich noch darüber ärgerte, daß sie sich so sehr in die Gefühle verstrickt hatte, mußte sie unwillkürlich lächeln. "Irgendwo habe ich einmal gelesen, wie angenehm es ist, einer Frau zu begegnen, die vor sich hin lächelt." Pauls Stimme klang ruhig, als er plötzlich vor Jacinta auftauchte. "Hört sich viktorianisch an", erwiderte sie und hoffte, daß ihre Stimme so sicher klang wie seine. "Etwa sentimental?" Sein Haar glänzte in der Sonne, und in seinen Augen blitzte es auf. Sie zauberte wieder ein Lächeln auf die Lippen, was sie ziemlich schwierig fand. Es gelang ihr jedoch ganz gut. "Viktorianische Romane waren oft sentimental." "Stimmt." Er schaute sie prüfend an. "Ja, ich verstehe, was Laurence gestern abend gemeint hat. Sie haben ein Gesicht, wie es viele berühmte Maler geliebt und gemalt haben." Er betrachtete ihre Lippen einige Sekunden zu lange. Jacinta klopfte das Herz bis zum Hals. "Danke für das Kompliment", sagte sie höflich.
Eine Zeitlang schwiegen sie, und als Jacinta es nicht mehr ertragen konnte, fragte sie: "Sind Sie gerade erst zurückgekommen?" "Vor ungefähr fünf Minuten. Ich habe Meriam und Laurence zum Flughafen gefahren. Und was haben Sie gemacht?" "Geschrieben", antwortete sie kurz angebunden und fügte dann hinzu: "Nochmals danke für das Buch, das Sie mir geschenkt haben. Ich habe darin gelesen und begriffen, was ich bisher falsch gemacht habe." "Gut." Er pflückte eine der roten Rose, die sich am Pavillon rankten. "Genau Ihre Haarfarbe", sagte er und steckte sie ihr ins Haar. Die Geste war so intim, und Jacinta war sich seiner Nähe so sehr bewußt, daß sie erbebte. Er trat einige Schritte zurück und betrachtete sie. "Ja, genau dieselbe Farbe. Sie kommen also mit dem Manuskript ganz gut voran, oder?" "Im Moment ja", erwiderte sie vorsichtig. Und dann erzählte sie ihm zu ihrer eigenen Überraschung, was sie ihrer Meinung nach falsch gemacht hatte und daß sie die Handlung des Romans anders ablaufen lassen würde, als sie und ihre Mutter es sich ausgedacht hatten. "Beunruhigt Sie das?" fragte er. "Ja. Wahrscheinlich habe ich mich auch deshalb zunächst dagegen gewehrt. Ich habe das Gefühl, mich dadurch von meiner Mutter zu entfernen und sie im Stich zu lassen. Den Roman wollte ich ihr widmen, aber wenn ich jetzt alles ändere, ist es nicht mehr das, was sie geliebt hat." "Ich verstehe, was Sie meinen", antwortete er nachdenklich. "Aber eigentlich kann man nur etwas Besonderes schaffen, wenn man es aus sich selbst heraus entstehen läßt. Man kann nicht das Leben anderer leben und sich auch nicht die Kreativität anderer zu eigen machen."
Sie nickte und war wieder einmal verblüfft, wieviel er wahrnahm und wie gut er subtile Zusammenhänge durchschaute. Dieser Tatsache verdankte er wahrscheinlich auch einen Teil seines beruflichen Erfolgs. "Ich wußte gar nicht, daß ich beim Schreiben in eine solche Begeisterung geraten könnte." Und ich habe auch nicht geahnt, daß ich über dieser Begeisterung beinah vergessen hätte, in welchem Gefühlschaos ich mich befinde, fügte sie insgeheim hinzu. "Wie packen Sie die Sache jetzt an?" Sie erklärte es ihm. "Und danach?" "Was meinen Sie?" Jacinta blickte ihn verständnislos an. Herausfordernd erwiderte er ihren Blick. "Wem wollen Sie das fertige Manuskript schicken?" "Ich habe nicht vor ..." "Wollen Sie etwa behaupten, Sie würden drei Monate intensiv an einem Roman schreiben und ihn dann achtlos in eine Ecke legen?" Unsicher erwiderte sie: "Ich weiß doch gar nicht, ob er gut wird." "Das erfahren Sie erst, wenn Sie ihn einem Verleger schicken. Das war doch der Wunsch Ihrer Mutter, oder?" Jacinta zögerte kurz. "Kann sein, wir haben jedoch nie darüber geredet." "Jeder, der schreibt, wünscht sich, daß sein Werk veröffentlicht wird." "Wissen Sie überhaupt, was Sie angerichtet haben?" fragte sie ihn ärgerlich und aufgeregt zugleich. "Ich habe wirklich nie daran gedacht, daß jemand es lesen würde. Und wenn ich mich jetzt hinsetze und schreibe, werde ich immer den Eindruck haben, andere würden mir über die Schulter gucken." "Hemmt das Ihre Kreativität?" "Nein, ich glaube nicht", erwiderte sie.
Sekundenlang schaute er sie an, dann sagte er ruhig: "Sie sollten es wirklich versuchen. Es macht Ihnen doch Spaß, stimmt's?" "Meist. Nur dann nicht, wenn ich so frustriert bin, daß ich aus der Haut fahren könnte", gab sie zu. "Ja, das soll vorkommen. Lassen Sie uns spazierengehen. Es wird Ihnen sicher gut tun und mir ganz bestimmt. Morgen fliege ich nach Europa und habe eine anstrengende Woche vor mir." Plötzlich fühlte sie sich einsam und verlassen. "Ich würde auch gern Frankreich und Italien kennenlernen." "Diesen Wunsch werden Sie sich bestimmt eines Tages erfüllen können." Jacinta ergriff, ohne zu zögern, seine Hand, die er ihr reichte. "Wie gut kennen Sie Gerard eigentlich?" fragte Paul, während sie am Strand entlanggingen. "Immerhin haben Sie sein Angebot angenommen, Ihnen zu helfen." Sogleich war sie auf der Hut und wählte die Worte mit Bedacht. "Seit Anfang des Jahres war er mein Tutor, von daher kannten wir uns schon ganz gut. Und dann hat er mich eines Abends in der Bibliothek entdeckt, wo ich eingeschlafen war." "Es ist nicht ungewöhnlich, daß jemand in einer Bibliothek einschläft, schon gar nicht vor einem Examen." "Nein." "Gerard hat Ihnen also angeboten, bei ihm zu wohnen." Seine Stimme klang leicht belustigt und irgendwie sanft. Jacinta bekam eine Gänsehaut. "Nein", erwiderte sie. "Er hat mir einen Kaffee geholt." "Aber danach hat er Ihnen sein Angebot unterbreitet, oder?" "Natürlich nicht. Er hat mir nur angeboten, mich nach Hause zu fahren. Ich wollte es nicht, deshalb hat er darauf bestanden, mir ein Taxi zu rufen", erklärte sie. Sie erinnerte sich noch gut, daß sie die Tränen nicht mehr hatte zurückhalten können. Sie war zu erschöpft gewesen, sich noch länger zu beherrschen. Und ihr war klar gewesen, daß
Mark wahrscheinlich zu Hause auf sie wartete, um ihr wieder so eine Szene zu machen wie am Abend zuvor, als er beinah die ganze Nacht hindurch auf sie eingeredet hatte. Natürlich hatte sie sich sogleich um eine andere Unterkunft bemüht und auch eine gefunden. Aber dort hätte sie erst in einigen Tagen einziehen können. Vor der dazwischenliegenden Zeit hatte Jacinta schreckliche Angst gehabt. "Sie hatten Beziehungsprobleme", stellte Paul auf einmal fest. "Woher wissen Sie das?" "Gerard", sagte er nur. "Das ist unmöglich, ich habe es ihm gegenüber nie erwähnt." Paul zögerte kurz. "Wahrscheinlich hat er es erraten." . Jacinta biß sich auf Lippe. " Ja." "Dann hat Gerard vorgeschlagen, Sie könnten sein Gästezimmer benutzen." "Nur weil die Reinemachefrau ihn wieder einmal sitzen gelassen hatte", fuhr sie ihn gereizt an. "Er hat gesagt, wenn ich das" Haus in Ordnung halten und für ihn kochen würde, brauchte ich für das Zimmer nichts zu bezahlen. Aber ich ..." Sie unterbrach sich. Pauls tiefe, wohlklingende Stimme wirkte so beruhigend, daß man sich dazu hinreißen ließ, ihm alles mögliche anzuvertrauen, was man später bereute. "Gut, Sie wollten nicht, und er hat dann eine Wohnung für Sie gefunden." "Es war ein glücklicher Zufall. Da sie nicht weit von seiner Wohnung entfernt lag, konnte ich sein Angebot annehmen, ihm den Haushalt zu erledigen." Er warf ihr einen rätselhaften Blick zu. "Wirklich ein glücklicher Zufall", antwortete er. "Gerard ist offenbar mit der Vereinbarung zufrieden." "Hoffentlich; Er war sehr freundlich.".
"Ich glaube, er sieht es anders. Was geschieht, wenn er in sein neues Haus gezogen ist? Bleibt die Vereinbarung bestehen?" fragte er und wirkte plötzlich seltsam distanziert. Jacinta war irritiert. "Ja, ich soll in dem kleinen Apartment im Anbau wohnen, so wie Fran, die auch bei Ihnen im Haus wohnt." Sie hoffte, er würde merken, daß sie das eigenartige Verhör mißbilligte. "Meinen Sie, es wird Ihnen gefallen?" "Ich freue mich schon darauf, eine eigene Wohnung zu haben, auch wenn sie mir nicht gehört." "Und Sie helfen damit auch Gerard." Seine Stimme klang nachdenklich. "Natürlich." Sie würde Gerard immer dankbar dafür sein, daß sie sich in der schwierigen Zeit auf ihn hatte verlassen können.
7. KAPITEL "Eine ideale Lösung", erklärte Paul. "Noch besser wäre es natürlich, wenn Sie keine finanziellen Sorgen mehr hätten." "Sicher, aber das gibt es heutzutage doch gar nicht", erwiderte Jacinta. Paul sah so aus, als würde er die Stirn runzeln, obwohl er es nicht tat. Das ist ja lächerlich, jetzt sehe ich schon Gespenster, sagte sie sich leicht verzweifelt. "Wenn Sie nicht wissen, was Sie nach dem Studium machen wollen, warum haben Sie dann überhaupt studiert?" fragte er kühl. "Es hat sich so ergeben, nachdem ich das Abitur bestanden hatte. Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert. Außerdem wollte meine Mutter, daß ich zur Uni ging." Sie errötete, fuhr jedoch ruhig fort: "Sie hatte auch angefangen zu studieren, konnte das Studium jedoch nicht abschließen. Und weil ich nach zwei Jahren auch aufhören mußte, um sie zu pflegen, hat sie sich immer schwere Vorwürfe gemacht. Es war ihr größter Wunsch, daß ich promoviere. Und nach ihrem Tod war es für mich die einfachste Lösung, das Studium wiederaufzunehmen. Ich war so lange zu Hause gewesen, daß ich viel zu unsicher war, mich um einen Job zu bewerben." Das hatte sie bisher noch nicht einmal sich selbst eingestanden. "Entschuldigen Sie, daß ich so viele Fragen stelle. Aber haben Sie keinen Vater, an den Sie sich wenden können?"
"Er ist bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen, ehe ich auf die Welt kam. Ich weiß nicht, wer er war. Meine Mutter wollte nicht darüber reden." Obwohl Paul nichts sagte, spürte sie, daß er sie verstand. "Sie hat nur erwähnt, er sei gebunden gewesen verheiratet, nehme ich an." "Ja, zumindest hört es sich so an", erwiderte er leise. "Sicher war es schwierig für Sie, ohne Vater aufzuwachsen." "Für meine Mutter war es viel schwieriger. Sie hat verdammt hart arbeiten müssen, mich ohne jede Unterstützung großzuziehen." Sie war selbst überrascht, wie hitzig sie plötzlich reagierte, und fügte ruhiger hinzu: "Sie hatte kein leichtes Leben, und es kommt mir unfair vor, daß sie so jämmerlich gestorben ist. Und sagen Sie jetzt nicht, das Leben sei nun einmal unfair." "Mit so dummen Phrasen würde ich gerade Sie niemals abspeisen. Dafür haben Sie viel zuviel durchgemacht." "Ich hätte sie gern für die Mühe und die persönlichen Opfer entschädigt, die sie auf sich genommen hat. Während ihrer letzten Lebensjahre hat sie sich immer wieder ausgemalt, was ich nach ihrem Tod alles machen könnte und wie viele Möglichkeiten ich hätte. Ehrlich gesagt, es schreit zum Himmel." Jacinta war sich bewußt, wie kindisch es klang, aber sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie war so wütend und zornig, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen. "Ja, stimmt", antwortete er sanft und reichte ihr ein blütenweißes Taschentuch. Sie nahm es und wischte sich die Tränen weg. "Am allerschlimmsten war, daß ich nach ihrem Tod sogar eine gewisse Erleichterung empfand." Sie mußte es einfach loswerden. "Ist doch schon gut", versuchte er, sie zu trösten, und nahm sie in die Arme. Er ignorierte ihren schwachen Widerstand, und schließlich lehnte sie sich verzweifelt an ihn.
In seinen Armen fühlte sie sich geborgen und entspannte sich allmählich. Den Kopf barg sie an seiner Schulter. Und dann nahm sie seinen Duft wahr und die Wärme seiner Haut. Plötzlich fühlte sie sich wie verzaubert. Obwohl ihr klar war, daß sein Mitgefühl ihr genauso gefährlich werden konnte wie das leidenschaftliche Begehren, das sie Tag und Nacht quälte, löste sie sich nicht von ihm. Sie wollte einfach nicht mehr auf die kleine innere Stimme hören, die sie warnte. Doch schließlich besann sie sich doch noch. "Es tut mir leid", sagte sie leise und versuchte, sich zurückzuziehen. Paul strich ihr sanft das Haar aus der Stirn. "Haben Sie wirklich schon richtig um Ihre Mutter geweint?" fragte er. "Ich ... ich ..." begann sie hilflos. Und dann ließ sie den Tränen freien Lauf. Sie wußte nicht, wie lange sie sich in seinen Armen ausweinte, aber noch nie im Leben hatte sie sich so geborgen gefühlt. Irgendwann hörten die Tränen auf zu fließen. "Es tut mir leid", entschuldigte sie sich wieder, und jetzt hielt er sie nicht mehr fest, als sie sich von ihm lösen wollte. Sie wischte sich die Tränen weg. Er zwang sie, ihn anzuschauen. "Ich glaube, eine Tasse Tee wird Ihnen gut tun. Und vielleicht auch eine Kopfschmerztablette." "Sie machen es nicht zum erstenmal, stimmt's?" Jacinta versuchte zu lächeln. "In einem Notfall trinkt jeder Neuseeländer eine Tasse Tee." Er bereitete den Tee selbst zu, und sie tranken ihn gemeinsam. Als sie sich dann noch lange über alle möglichen neutralen Themen unterhielten, wurde Jacinta klar, daß aus der hoffnungslosen Verliebtheit und dem leidenschaftlichen Verlangen Liebe geworden war. Später fuhr Paul nach Auckland, um dort in seinem Apartment zu übernachten, weil er am nächsten Morgen sehr früh abfliegen würde. Jacinta wünschte ihm eine gute Reise und
winkte ihm hinterher. Dann schlenderte sie zurück in das große, leere Haus. Die ganze Woche über war Jacinta sehr beschäftigt und in heiterer, friedlicher Stimmung. Nach dem Tränenausbruch kam sie mit ihrem Schmerz und der Trauer besser zurecht. Ihre Mutter lebte nicht mehr, sie hatte getan, was sie hatte tun wollen, und dann alles überwunden und hinter sich gelassen. Aus dieser Erkenntnis schöpfte Jacinta neue Kraft. Sie fing an, ihre Zukunft zu planen, in der Paul nicht vorkam. Nach der Party hat er bestimmt mit Meriam Anderson geschlafen, und das hätte er nicht getan, wenn er in mich verliebt wäre, überlegte sie. Nein, dieser Mann war für sie unerreichbar. Deshalb würde sie ihr Leben ganz anders organisieren. Vielleicht würde sie gar nicht promovieren. Von dem kleinen Erbe, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, könnte sie sich in einer Kleinstadt ein Apartment mieten, einige Möbel und einen gebrauchten Computer kaufen. Gerard würde seinen sicher zurückhaben wollen, wenn er erfuhr, daß sie die Uni verlassen wollte. Und wenn er sich dann auch nicht mehr an die getroffene Vereinbarung halten würde, müßte sie sich einen Job suchen, was in einer Kleinstadt schwierig wäre. Besonders für Leute wie sie, die keinerlei Erfahrung im kaufmännischen Bereich hatten. Jacinta überlegte, sich auf einer Fachhochschule die erforderlichen Kenntnisse anzueignen. Aber sie konnte sich nicht für einen kaufmännischen Beruf begeistern. Am besten gefiel ihr immer noch, kreativ zu sein und in ihre Phantasiewelt einzutauchen. Sie wanderte und genoß die reine, frische Morgenluft, betrachtete den Garten und das Meer. Auf einmal stiegen ihr vor Freude und Wehmut zugleich die Tränen in die Augen. Es würde ihr das Herz brechen, den Mann zu verlassen, dem dieses wunderschöne Fleckchen Erde gehörte. Trotzdem war sie froh und dankbar, daß sie Paul begegnet war.
Der Sommer schien vor sich hin zu träumen, dem Weihnachtsfest entgegen. Und Jacinta träumte mit und schrieb eifrig weiter. Sie war sogar zufrieden mit dem Ergebnis, wenn auch mit Vorbehalten. In dem Buch, das Paul ihr geschenkt hatte, las sie jeden Tag und entdeckte immer neue nützliche Hinweise. Irgendwie war es ein kleiner Trost, daß Paul sich offenbar Gedanken um sie gemacht hatte, sonst hätte er ihr das Buch nicht mitgebracht. Aus der einen Woche, die er hatte wegbleiben wollen, wurden zehn Tage. Jacinta versuchte, nicht zu oft an ihn zu denken, was ihr auch tagsüber mehr oder weniger gut gelang. Doch nachts wurde sie von Träumen geplagt, die eher Alpträume waren. "Er kommt am Wochenende zurück", verkündete Fran eines Abends, "Jemand aus seiner Kanzlei in Auckland hat angerufen. Er will noch zwei Tage in Los Angeles bleiben." Ja, bei Meriam Anderson, ging es Jacinta durch den Kopf. Ich habe gar kein Recht, eifersüchtig zu sein, denn Paul hat mir nie irgendwelche Hoffnungen gemacht, sagte sie sich sogleich. Am Abend vor Pauls Rückkehr ging Fran zum Dinner aus. Deshalb kochte Jacinta sich das Essen selbst. Sie bereitete es liebevoll zu und freute sich darauf, doch dann, als es fertig war, hatte sie plötzlich keinen Appetit mehr. Sie setzte sich auf die Veranda und las das Manuskript, das sie sich ausgedruckt hatte. Schon nach wenigen Seiten legte sie es beiseite und sah zu, wie sich die Dämmerung langsam über dem Land ausbreitete. Sie lauschte dem Rauschen des Meers, und als die untergehende Sonne die Pflanzen und Blüten in ein warmes goldfarbenes Licht tauchte, war sie auf einmal so frustriert und unzufrieden wie noch nie zuvor. Jacinta legte einen Stein auf das Manuskript, damit die Blätter nicht weggeweht wurden, stand auf und schlenderte
durch den Garten. Das lange gelockte Haar fiel ihr offen über die Schultern. Sie zog eine Kletterrose mit aprikosen-, gold- und pinkfarbenen Blütenblättern zu sich heran und roch daran. Sündhaft schön, dachte Jacinta und atmete den betörenden Duft ein, der sowohl Aufforderung als auch Erfüllung zu sein schien und tief in ihr eine verheerende Sehnsucht wachrief. Plötzlich nahm sie eher unbewußt am Haus eine Bewegung wahr und sah genauer hin. Die große Gestalt hätte sie unter Tausenden erkannt - es war Paul, den sie sich sehnlichst herbeigewünscht hatte. Er ging die Stufen hinunter. In den letzten Strahlen der am Horizont versinkenden Sonne schimmerte sein Haar golden. Unwillkürlich hielt Jacinta den Stiel der Rose fest und verletzte sich an einem Dorn. Erschrocken fuhr sie zusammen. "Was ist los?" fragte Paul und kam mit langen Schritten auf sie zu. Vorsichtig nahm er ihre Hand in seine und betrachtete den winzigen Stich rieben dem Fingernagel. Dann hob er ihre Hand an die Lippen und saugte die Wunde behutsam aus. Sogleich überlief es Jacinta heiß und kalt. Und als er dann auch noch ihre Handfläche mit dem Daumen streichelte, erbebte sie. Hoffentlich merkt er nicht, was für ein Gefühlschaos er in mir auslöst, dachte sie. "Es dürfte nichts passieren", sagte er schließlich. "Ich dachte, Sie würden erst morgen zurückkommen." Jacintas Stimme klang ziemlich normal, nur etwas schwächer als sonst. "Wollte ich auch, es hat sich jedoch anders ergeben." "Fran ist zum Dinner bei Freunden." In der feuchten Luft nahm man den Duft nach frischem Gras, Rosen und Gardenien und den salzigen Geruch des Meeres viel stärker und intensiver wahr. "Ach ja?" sagte er etwas angespannt.
Betont gelassen trat sie einige Schritte zurück. "Haben Sie schon gegessen? In der Küche ist noch Salat ..." "Ich habe keinen Hunger", unterbrach er sie leicht ungeduldig. "Im Flugzeug drängen sie einem das Essen förmlich auf," Sie drehte sich um und schlenderte zum Haus zurück. Paul ging neben ihr. "Ich mache mir einen Drink. Möchten Sie auch einen?" Vielleicht wirkt eine Tasse Tee beruhigend, überlegte sie und erwiderte: "Ja, gern. Ich will nur erst das Manuskript ins Zimmer bringen, damit es nicht feucht wird." Ich muß von hier weg, ehe es zu spät ist, dachte sie in ihrem Zimmer. Aber sie wußte, daß es bereits zu spät war. Draußen im Garten, inmitten der üppig blühenden Blumen und Pflanzen, hatte sich ihr eine Tür geöffnet, und sie war eingetreten in eine andere Welt. Jedenfalls kam es ihr so vor. Jacinta schloß die Augen und atmete tief ein. Doch die glühende Sehnsucht ließ nicht nach. Um sich zu beruhigen und die hektisch geröteten Wangen zu kühlen, wollte sie sich kaltes Wasser übers Gesicht laufen lassen. Als sie jedoch auf den Flur hinaus eilte, rief Paul ihr vom anderen Ende zu: "Ihr Drink ist fertig." Er hielt ein Tablett in den Händen und musterte Jacinta so ruhig und aufmerksam, daß sie sich irgendwie eingeschüchtert fühlte. Sie ging auf ihn zu und bemerkte, daß auf dem Tablett eine Karaffe und Flaschen standen. Es gab also keinen Tee. "Würden Sie bitte die Tür öffnen?" fragte er kühl. Jacinta tat es und ging ihm voraus in den Wintergarten. Hinter den Hügeln im Westen schien der Himmel in Rot, Gold und Orange zu glühen. "Der rote Abendhimmel verspricht einen schönen Tag. Dean wird enttäuscht sein." Etwas Besseres fiel ihr nicht ein, das unbehagliche Schweigen zu brechen.
"Das heißt, es hat immer noch nicht geregnet", erwiderte Paul, nachdem sie sich hingesetzt hatte. "Wir hatten einige Schauer, aber trotzdem nicht genug Regen. Dean meint, wenn der Sommer sehr trocken würde, würde es schwierig mit dem Futter fürs Vieh." Sie stellte das Glas mit Zitronensaft und Soda, das er ihr reichte, auf den Tisch. "Was machen Sie dann?" "Wir haben bereits angefangen, Vieh zu verkaufen", erklärte er. "Außerdem haben wir Staudämme und Brunnen. Eigentlich müßten wir ganz gut durchkommen, es sei denn, es regnet nicht bis Mai. Wie geht es Ihrem Finger?" "Gut." Jacinta trank das halbe Glas leer - und bekam prompt Schluckauf. "Was ist während meiner Abwesenheit passiert?" fragte Paul und ignorierte ihr kleines Mißgeschick. "Nichts Besonderes." Und weil es ziemlich einsilbig klang, fügte sie hinzu: "Ich habe am Strand eine Möwe mit gebrochenem Flügel gefunden, und Fran hat sich um sie gekümmert. War Ihre Reise erfolgreich?" erkundigte sie sich schließlich. "Sehr sogar", antwortete er nachdrücklich. "Laurence Perry hat mir etwas für Sie mitgegeben." Er zog ein Kuvert hervor und gab es ihr. Jacinta öffnete es und betrachtete überrascht den Druck des Gemäldes, von dem Laurence auf der Party gesprochen hatte. Es waren tatsächlich die Farben ihres Seidenkleids, und das Haar der Frau war genauso rot wie Jacintas. "Du liebe Zeit!" rief sie erstaunt aus und reichte Paul den Druck. "Laurence meinte, ich würde so aussehen wie diese Frau, aber es sind wirklich nur die Farben." "Nein, da ist noch viel mehr. Die Ähnlichkeit ist verblüffend." Er betrachtete prüfend ihr Gesicht. "Die Nase, die Lippen, natürlich auch das Haar. Mit der scheinbar unschuldigen
Pose hat der Maler es raffiniert geschafft, eine erotische Wirkung zu erzielen." Jacinta ignorierte seinen spöttischen Unterton. "Ich finde es nett, daß Laurence daran gedacht." "Er ist von Ihnen begeistert", stellte er ausdruckslos fest und fügte freundlich hinzu: "Aber das sind ja andere auch." Offenbar spielte er auf Gerard an. Um Zeit zu gewinnen, trank sie noch einen Schluck, Paul legte den Druck weg und fragte: "Wie kommen Sie voran mit dem Roman?" "Ganz gut", erwiderte sie vorsichtig. "Ich halte mich an eine klare Linie. Der nächste wird bestimmt besser." "Sie wollen also weitermachen?" "Ich ... ja, wahrscheinlich." "Wem wollen Sie das Manuskript schicken?" "Das weiß ich noch nicht. Da muß ich mich erst erkundigen." Er gab ihr das Päckchen, das auf dem Tisch lag. "Hier, vielleicht hilft Ihnen das." . Es war noch ein Buch, wie sie sogleich merkte, als sie es in die Hand nahm. "Das ist nett von Ihnen, aber Sie sollten mir keine Bücher mehr schenken. Das andere habe ich so oft durchgelesen, daß ich es beinah auswendig kenne." "Das hier ist ein Verzeichnis von Verlegern mit detaillierten Angaben, auf welche Sach- und Fachgebiete sie spezialisiert sind, und anderes mehr." "Danke." Sie schaute auf das Päckchen. "Es wird mir bestimmt weiterhelfen." "Hoffentlich", erwiderte er. Da Paul kein Licht eingeschaltet hatte, wurde es im Raum langsam dunkler. Jacinta hatte das Gefühl, Paul würde ihr Herz klopfen hören. Sie packte das Buch aus, während er sich zurücklehnte und ihr zusah. Dann streckte er die langen Beine
aus und drehte das Glas mit dem Drink, den er kaum angerührt hatte, in den Fingern hin und her. Fasziniert beobachtete sie, wie es in dem Kristallglas immer wieder aufblitzte, als würden kleine Funken sprühen. Und als sie sein Gesicht betrachtete, das jetzt im Schatten lag, wurde ihr innerhalb einer einzigen Sekunde erschreckend klar, daß sich ihr Leben ändern würde. Sie hatte sich auf die Liebe eingelassen, und die Tür schien sich hinter ihr zu schließen. Das ist nicht nur Liebe, es ist viel mehr, kein anderer Mann wird mir jemals so viel bedeuten wie Paul, überlegte sie. Von einer Sekunde auf die andere hatte sie begriffen, daß sie nie wieder so tief empfinden könnte. Sie akzeptierte die bittere Wahrheit, daß sie wahrscheinlich allein bleiben würde. "Sie sind sicher müde, und ich bin es auch. Ich möchte mich zurückziehen", sagte sie und stand auf. "Ja, dann gute Nacht." Er erhob sich auch. "Den nehmen Sie am besten mit." Er reichte ihr den Druck. Als ihre Finger sich berührten, zitterte ihre Hand. "Verdammt", stieß Paul zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und zog Jacinta unvermittelt an sich. Den farbenprächtigen Druck ließ er achtlos zu Boden fallen. Ja, dachte sie triumphierend und hob voller Sehnsucht den Kopf. Als Paul die Lippen auf ihre preßte, erwiderte sie seinen Kuß so leidenschaftlich, als hätte sie ihr Leben lang auf diesen Moment gewartet. Sie spürte eine Wärme in sich aufsteigen, die wie eine Flamme zu lodern schien. Er hob den Kopf und sagte rauh: "Jacinta, ich begehre dich, seit ich dich zum erstenmal auf den Fidschiinseln gesehen habe. Ich konnte nicht mehr schlafen und habe immer nur überlegt, wie sich deine Lippen auf meinen anfühlen würden." Sie konnte es kaum glauben und seufzte. Er nahm sich, was er von ihr haben wollte. Sie spürte ihn, er wirkte geheimnisvoll und rätselhaft, und sie war überwältigt, wie geschickt er es verstand, ihre verborgensten Sehnsüchte zu wecken.
Irgendwann mußten sie wieder Atem holen. Als Paul ihre Lippen betrachtete, glaubte sie, in seinen Augen ein inneres Feuer leuchten zu sehen. Er war entschlossen, sie zu erobern. Ihre Sehnsucht und ihr Begehren waren so intensiv und verzehrend, daß sie es kaum noch ertragen konnte. Sie hatte das Gefühl, unter seinem Blick dahinzuschmelzen. Sie nannte ihn beim Namen, den sie so langsam und zärtlich aussprach, daß es wie eine ungemein sinnliche Verführung klang. "Paul", sagte sie noch einmal leise und war fasziniert von seinem unergründlich tiefen Blick und dem Blau seiner Augen. Dann fuhr er ihr mit den Händen durchs Haar und bog ganz vorsichtig ihren Kopf nach hinten, um ihr Kinn und ihren Hals mit betörenden Küssen zu bedecken. Jacinta erbebte und stöhnte auf. Sie spürte sein Lächeln. Du liebe Zeit, allein seine Lippen auf meiner Haut zu fühlen bringt mich schon um den Verstand, dachte sie in einem klaren Moment und war entsetzt über das Glücksgefühl, das sie empfand. Wieder fuhr er ihr durchs Haar, dann streichelte er ihre Schultern. Und das, was sie jetzt empfand, war etwas Elementares, das sie nicht mehr beherrschen konnte und das Erfüllung suchte. "Jacinta ".sagte er seltsam zögernd. "Du bist wunderbar und, um mit Shakespeare zu sprechen, lieblich wie ein heißer Sommertag - aber glücklicherweise nicht so beherrscht." Seine Stimme klang so faszinierend, daß Jacinta sich ihm hilflos ausgeliefert fühlte. Als er ihre Brüste umfaßte, erbebte sie und bog den Kopf zurück. Langsam öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, und die geschickten Bewegungen seiner Finger wirkten wie eine einzige, köstliche Folter. Sie beobachtete ihn, sah, wie konzentriert er war und wie heftig der Puls an seinem Hals pochte. Was immer auch geschieht, ich werde es nicht bereuen, sagte sie sich plötzlich.
Sie fürchtete sich nicht vor ihm, obwohl er jetzt wie eine Raubkatze wirkte, die ihre Beute fest im Griff hatte. Jacinta liebte ihn und spürte instinktiv, daß er weder rücksichtslos noch brutal sein würde. Er würde sich nehmen, was er haben wollte, aber er würde auch alles geben. Als er ihre Bluse und ihren BH geöffnet hatte und zur Seite schob, streifte Jacinta sie sich ab und legte ihm die Arme um den Nacken. "Nicht so schnell. Laß mich dich anschauen." In seinen Au gen leuchtete es voller Verlangen auf. , Es fiel ihr nicht ganz leicht, ihm den Wunsch zu erfüllen. Als jedoch sein Blick über ihre zarte Haut bis hin zu ihren Brüsten glitt, richteten sich ihre Brustspitzen mit einemmal auf. Paul lachte leise. Und ehe sie wußte, was er vorhatte, neigte er den Kopf und nahm eine der empfindlichen Brustspitzen in den Mund, während er die andere mit dem Daumen zärtlich streichelte. Noch nie hatte ein Mann sie so zärtlich liebkost, daß sie ihn mit allen Fasern ihres Seins begehrte. Sie erschauerte und betrachtete sein aschblondes Haar. Sie war für ihn bereit, das spürte sie deutlich. "Paul", sagte sie leise. Er richtete sich auf. "Ja." Seine Stimme klang nicht mehr so verführerisch und werbend wie zuvor, sondern eher Verzweifelt vor Verlangen, aber deshalb nicht weniger erregend. Sekundenlang verschlug es ihr die Sprache, als er sie hochhob. "Ich bin doch zu schwer", wandte sie dann ein. "Nein. Du bist für mich genau richtig." Und zum Beweis für die Behauptung trug er sie mühelos über den Flur. Seine Schlafzimmertür, die nur angelehnt war, stieß er mit dem Fuß auf und mit der Schulter hinter sich wieder zu. Dann durchquerte er den Raum und stellte Jacinta vor dem breiten Bett wieder auf die Füße.
Sie schauten sich an. "Möchtest du mich ausziehen?" fragte er ernst. "Immer wieder habe ich mir ausgemalt, wie sich deine Hände auf meinem Körper anfühlen würden." Leicht verblüfft nickte sie. Sie hatte angenommen, er würde sie ausziehen. Dann öffnete sie die Knöpfe seines Hemds, streichelte zögernd seine behaarte Brust und spürte, wie heftig sein Herz pochte. Sein Herzklopfen hat auch etwas mit mir zu tun, dachte sie und streichelte ihn immer zärtlicher, bis er aufstöhnte. Erstaunt hielt sie inne und blickte auf. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Verlangen, Aas noch heftiger und ungestümer zu sein schien als ihres. "Du bist so stark und muskulös", flüsterte sie und war über sich selbst überrascht. , "Gefällt dir das? Muskeln und Stärke?" Sie ließ die Hand unter sein Hemd gleiten und streichelte seine muskulösen Schultern und die glatte Haut. "Ja, wahrscheinlich." Ihre Stimme klang voll und etwas rauh. "Du bist einfach wunderbar." "Und du bist wunderschön", erwiderte er, während er das Hemd abstreifte. "Das brauchst du nicht zu sagen." Er zog die Augenbrauen zusammen. "Es ist die Wahrheit, du bist wunderschön", bekräftigte er und küßte sie auf Nacken und Schulter. Dabei zog er einige Strähnen ihres langen Haars nach vorn, die bis zum Ansatz ihrer Brüste reichten. "Du bist für mich wie ein funkelnder Stern, der die Nacht erhellt", erklärte er beinah heftig, und Jacinta wußte jetzt, daß er es wirklich ernst meinte. Dann streichelte er sanft ihren Hals und umfaßte eine ihrer Brüste. Seine gebräunten Finger sahen auf ihrer hellen Haut seltsam dunkel aus. "Du bist wie Feuer, Licht, Hitze und wie lodernde Flammen in einer sonst trostlosen Welt." Er preßte die Lippen auf ihre und
küßte sie so lange und innig, als könnte er nicht genug bekommen von ihr. Danach konnte er sich nicht mehr beherrschen, und sie vertraute sich ihm freudig und bereitwillig an. Sie kam sich vor wie eine Anfängerin, in den Händen eines Experten. Schließlich lag sie nackt vor ihm. "Flammen, wohin ich schaue", sagte er. Und als sie errötete, lächelte er ungemein sexy, Er weiß genau, daß er bekommt, was er haben will, dachte Jacinta. Und dann war sie völlig verblüfft, denn er küßte sie auf die Hüfte. Seine Lippen fühlten sich auf ihrer Haut warm und verführerisch und so erregend an, daß sie kaum wagte zu atmen. Alles, was sie über ihren Körper zu wissen geglaubt hatte, erwies sich jetzt als falsch. Paul erhob sich und streifte sich hastig die Sachen ab, die er noch anhatte. Dann legte er sich neben Jacinta aufs Bett und schob ihr den Arm unter den Kopf. Sie sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick leidenschaftlich und voller Verlangen, während der Puls an seinem Hals heftig pochte. Jacinta legte den Finger darauf und ließ dann die Hand über seine Brust bis zur Hüfte gleiten. Schließlich streichelte sie seine muskulösen Oberschenkel. Obwohl sie es vermied, ihn zu intim zu berühren, erregte sein Anblick sie so sehr, daß sie deutlich spürte, wie sehr ihr Körper danach verlangte, Paul in sich aufzunehmen. Und als er die Hand auf ihre empfindsamste Stelle legte, begehrte sie ihn mit allen Sinnen. Zärtlich und behutsam streichelte er sie und erforschte, was er erforschen wollte. Ihr Verlangen durchflutete sie wie ein Feuer, das sie unbarmherzig zu verzehren schien. Sie bog sich ihm entgegen, rief ihn beim Namen und zog ihn zu sich hinunter. Dabei bewegte sie verführerisch die Hüften.
Mit Paul zu schlafen bedeutete für Jacinta, sich ganz ihrer Sehnsucht und ihren Gefühlen hinzugeben. Außer ihm existierte nichts und niemand mehr für sie. Völlig verloren im Überschwang der Begeisterung und im Taumel der Lust, glaubte sie, sich in einem Grenzbereich jenseits von Raum und Zeit zu befinden, wo es nur noch sie beide gab. Während er sie langsam und geschickt dazu brachte, sich ihm immer mehr zu öffnen, erbebte sie und preßte sich noch dichter an ihn. Und schließlich kam er zu ihr und drang in sie ein. Dabei lagen sie beide ganz still. Plötzlich bewegte auch Jacinta die Hüften wieder. Sie nahm ihn noch tiefer in sich auf und umklammerte ihn mit den Oberschenkeln, so wie sie ihn an anderer Stelle auch zu umklammern schien. "Ja", sagte Paul, zog sich kurz zurück, um noch tiefer in sie einzudringen. Jacinta paßte sich seinen rhythmischen Bewegungen an. Mit den Händen umfaßte sie seinen Po und spürte, wie sich Pauls Muskeln spannten und wieder entspannten. Sie freute sich darauf, mit ihm und durch ihn Erfüllung zu finden. Irgendwann wurde ihr bewußt, daß er sich zurückhielt, damit er nicht vor ihr zum Höhepunkt kam. Und das wollte sie nicht, obwohl es ihr gefiel, daß er soviel Rücksicht nahm. Aber er sollte sich dem, was da mit ihnen passierte, genauso vorbehaltlos und uneingeschränkt hingeben wie sie. Er sollte an nichts anderes denken als an das Wunder, das sie gemeinsam erlebten. Leidenschaftlich und grenzenlos erregt, faßte sie ihn an den Hüften und hielt ihn fest, während sie sich an ihm rieb. Und als er die Augen öffnete, lächelte sie ihn an. Ihre Erregung steigerte sich ins Unermeßliche, er führte sie über alle Grenzen hinaus. Schließlich schrie sie auf und erschauerte unter ihm. Paul umfaßte ihre Hüften mit seinen kräftigen, starken Händen und folgte ihr dahin, wo außer ihnen beiden nichts
existierte. Danach blieben sie noch eine ganze Zeitlang engumschlungen liegen. Als er sich aufrichtete und auf die Ellbogen stützte, protestierte Jacinta leise und öffnete so langsam die Augen, als würde sie von weit her zurückkommen. Er sah angespannt aus, obwohl er lächelte und sie sanft küßte. "Es ist alles in Ordnung", sagte er. Dann legte er sich auf die Seite, ließ jedoch Jacinta nicht los. Wenig später stellte sie leicht belustigt fest, daß er eingeschlafen war. Es machte ihn irgendwie menschlicher, außerdem war sie selbst auch müde. Eigentlich bin ich froh, daß seine Exverlobte Aura nie in diesem Haus gewesen ist, dachte sie im Halbschlaf, ehe ihr die Augen zufielen. Als Jacinta viele Stunden später aufwachte, schaute sie sich irritiert um. Weiches Licht fiel durch die breiten Fenster, und die Vorhänge waren zurückgezogen. Aber es war nicht ihr Zimmer. Plötzlich erinnerte sie sich wieder. Paul stand am Fenster. Offenbar war er schon länger auf, denn er war vollständig angezogen. "Paul?" sagte sie vorsichtig. Es war ihr auf einmal peinlich, daß sie noch nackt war. "Ich bin hier." "Ja, ich weiß." Sie zupfte nervös an der Decke. "Was hast du?" "Ich überlege, wie ich meinem Cousin beibringen soll, daß ich sein Vertrauen mißbraucht und mit seiner Verlobten geschlafen habe." Er sprach klar und deutlich, und seine Stimme klang hart und vorwurfsvoll.
8. KAPITEL Jacinta verstand überhaupt nichts mehr. All ihre Hoffnungen und Träume waren plötzlich zerstört. "Was hast du da gesagt?" fragte sie. Er drehte sich nicht um. "Du hast es gehört", erwiderte er ruhig. Sie bemühte sich, die Worte seht sorgsam zu wählen. "Vielleicht habe ich mich verhört, aber wer hat dir diese absurde Idee in den Kopf gesetzt?" "Gerard natürlich", antwortete er verächtlich. Jacinta atmete tief ein und richtete sich auf. Dabei verschränkte sie die Arme vor der Brust und hielt die Bettdecke krampfhaft fest. "Das kann ich nicht glauben. Gerard würde so etwas nie behaupten, denn er weiß selbst am besten, daß es nicht wahr ist." "Er hat mir anvertraut, daß ihr es geheim halten wollt, weil Beziehungen zwischen Studentinnen und Tutoren an Universitäten nicht gern gesehen werden." Er sprach jetzt völlig emotionslos, als hätten sie nie zusammen im Bett gelegen und sich geliebt. Sie schüttelte den Kopf. "Aber ich bin doch gar nicht mehr seine Studentin", wandte sie ein. "Stimmt, er wird sich jedoch um deine Doktorarbeit kümmern." Paul rührte sich nicht von der Stelle.
"Glaubst du wirklich, ich wäre hier bei dir, wenn ich heimlich mit Gerard verlobt wäre?" Seine Verachtung tat ihr weh. Meinte er es ernst, oder suchte er nur einen Grund, sie loszuwerden? "Es kommt darauf an, weshalb du mit ihm verlobt bist. Wenn du nur finanzielle Sicherheit suchst, kann ich mir vorstellen, daß ich dir deiner Meinung nach mehr bieten kann als er. Ich werfe es dir nicht vor, denn du bist ja in finanziell schwierigen Verhältnissen aufgewachsen." "Ist ja großartig!" stieß sie ironisch hervor. "Zufällig hast du aber einmal nicht recht. Meine Mutter hat alles für mich getan und mich sehr geliebt. Und diese Art von Sicherheit brauchen Kinder am allermeisten." Auf einmal fiel ihr etwas ein. "Wahrscheinlich hast du auch gedacht, ich würde gründlich prüfen, was Dean und Laurence Perry mir bieten könnten." "Warum nicht?" erwiderte er hart. Tränen stiegen ihr in die Augen. "Offenbar war ich viel zu arglos. Deshalb hast du also immer wieder Deans Verlobte erwähnt." "Das ist jetzt egal. Es geht nur um Gerard." "Ich kann es nicht glauben." Jacinta war zu erschöpft, um logische Argumente zu finden. "Er hat mich nie angefaßt, nie, und auch nicht geküßt", erklärte sie schließlich. "Wenn ich geahnt hätte, daß er in mich verliebt ist, hätte ich den Computer nicht angenommen und auch nicht für ihn gearbeitet." "Und dir auch nicht einen Teil der Wohnungsmiete von ihm bezahlen lassen?" warf Paul ein. "Wie bitte?" Sie hob entsetzt den Kopf. "Jede Woche hat er zu deiner Miete fünfzig Dollar hinzubezahlt. Und er will dich im nächsten Jahr noch großzügiger unterstützen." "Er wollte sich dafür einsetzen, daß ich aus einem bestimmten Fonds Beihilfen erhalten würde", antwortete sie nachdenklich.
"Ja, aus Gerards Fonds." Paul versuchte gar nicht mehr, seine Verachtung zu verbergen. "Und die Wohnung? Hast du ihm wirklich die Geschichte geglaubt?" "Ich hatte doch gar keinen Grund, es nicht zu tun", rief sie aus. Ihr wurde schmerzlich bewußt, wie naiv sie die ganze Zeit gewesen war. "Hast du dir nie überlegt, warum ein Mann, der sich sexuell für dich interessiert, dir eine Wohnung anbietet?" Jacinta sprang aus dem Bett, stürzte auf Paul zu und hob die Hand. "Er war nie ... oh!" Er packte sie am Handgelenk, drehte ihr den Arm auf den Rücken und hielt ihre Hand fest. Jacinta stand jetzt so dicht vor ihm, daß ihr seine Erregung nicht entging. Sie begriff, daß die Situation nicht ungefährlich war. Ihr Zorn und ihre Wut lösten sich auf. Jacinta begegnete seinem unversöhnlichen Blick und fühlte sich zutiefst gedemütigt. Nackt, wie sie war, erschauerte sie in der kühlen Morgenluft, die durch das geöffnete Fenster hereindrang. "Versuch nie wieder, mich zu schlagen", forderte er sie leise auf. "Warum würde Gerard das alles für dich tun, wenn er dich nicht heiraten wollte? Er hat sich noch nie auf flüchtige Affären eingelassen, und er ist viel zu intelligent, Geld für eine Frau mit niedriger Gesinnung auszugeben. Er hat dir geholfen, weil er dich liebt und dich heiraten will", erklärte Paul. "Nein", sagte sie leise. Ihr kam das alles auf einmal völlig unwirklich vor. "Ich kenne meinen Cousin schon sein ganzes Leben lang, und ich weiß, daß er nicht lügt." "Offenbar hat er uns beide belogen. Aber vielleicht nur deshalb, weil er nicht wußte, wie er mich sonst vor dir schützen sollte!" fuhr sie Paul ärgerlich an. "Vergebens, wie man sieht", antwortete er sarkastisch. "Wenn er tatsächlich geglaubt hat, man müsse dich vor mir
schützen, beweist es, daß eure Beziehung enger ist, als du zugeben willst. Ein Mann fühlt sich nur für die Frau verantwortlich, die zu ihm gehört." Jacinta zog den Arm zurück. Sogleich ließ Paul sie los, als hätte er sich an ihr schmutzig gemacht. Sie wollte ihm noch viel mehr an den Kopf werfen, begriff jedoch, daß nichts und niemand ihn würde überzeugen können, daß Gerard gelogen hatte, "Du liebe Zeit, zieh dir doch endlich etwas an", forderte Paul sie auf, Verlegen und peinlich berührt hob sie hastig ihre Sachen vom Boden auf und schlüpfte hinein. Es half ihr nicht, daß sie verstand, was in ihm vorging. Pauls Exverlobte hatte ihn mit seinem besten Freund betrogen, und er hatte jetzt dasselbe getan. Er hatte mit der Verlobten seines Cousins geschlafen, jedenfalls stellte es sich für ihn so dar. Und dafür verachtete er sich und auch sie, Jacinta. "Frauen sind nicht Eigentum irgendeines Mannes", erklärte sie ruhig. Er lächelte. "Sag das einem eifersüchtigen Liebhaber." "Du weißt genau, daß ich recht habe. Niemand kann einen anderen Menschen jemals besitzen. Außerdem hat Gerard gelogen", erwiderte sie heftig. "Das behauptest du." Es ist sinnlos, er glaubt nur seinem Cousin, ich brauche gar nicht zu versuchen, ihn von meiner Unschuld zu überzeugen, überlegte sie schmerzerfüllt. "Ich werde es ihm sagen müssen." "Es geht ihn überhaupt nichts an." Ihre Stimme klang wenig überzeugend. Er haßte sich, weil er das Vertrauen seines Cousins mißbraucht hatte. Deshalb bestrafte er sich und sie so hart und unerbittlich, wie es seinem Ehrenkodex entsprach.
"Ich kann es nicht zulassen, daß er dich heiratet, nachdem wir..." begann er. "Miteinander geschlafen haben?" fiel sie ihm ins Wort, während sie die Sandaletten anzog und zur Tür ging. "Überleg es dir, ob du meinetwegen dein gutes Verhältnis zu deinem Cousin zerstören willst", warf sie ihm über die Schulter hinweg an den Kopf. "Ich werde ihn nicht heiraten und niemals mit ihm schlafen. Was er dir erzählt hat, sind reine Hirngespinste. Er sollte eine Therapie machen." Es war kein besonders guter Abgang, doch etwas Besseres fiel ihr so rasch nicht ein. Sie eilte auf ihr Zimmer, setzte sich hin und versuchte, die Gedanken zu ordnen. Aber nach einer Weile überließ sie sich ihrem Schmerz. Sie warf sich aufs Bett und weinte sich aus. Warum hatte Gerard gelogen? Und warum hatte er sie getäuscht, als er merkte, daß sie kein Geld von ihm annehmen wollte? Hatte er sich wirklich eingebildet, sie wäre in ihn verliebt, weil sie seine Hilfe akzeptiert hatte? Würde er etwa eines Tages eine Rechnung aufstellen und ihr vorhalten, wieviel er für sie bezahlt hatte, um dann eine Gegenleistung zu verlangen? Sie stand auf und stellte sich ans Fenster. Irgendwie ist Gerard krank, und ich bin auf ihn hereingefallen, dachte sie. Um Gerard das Geld zurückzuzahlen, das sie ihm schuldete, würde sie auf das Erbe ihrer Mutter zurückgreifen müssen. "Es tut mir so leid, Mam", sagte sie leise und lehnte den Kopf an das kühle Fenster. Sie beobachtete, wie die Sonne über dem Meer aufging. Schließlich entschloß sie sich, zu duschen und sich fertig zu machen. Als sie sich vor dem großen Spiegel im Badezimmer abtrocknete, betrachtete sie die roten Flecken auf ihren Brüsten. Plötzlich verspürte sie ein Kribbeln im Bauch. Es war herrlich gewesen, von Paul in die Liebe - nein, in Sex eingeführt zu
werden. Er war geschickt und erfahren und überwältigend leidenschaftlich. Im Grunde seines Herzens mißtraute er jedoch allen Frauen. Weil seine Exverlobte ihn mit seinem besten Freund betrogen hatte? Nein, die Erklärung wäre zu einfach. Es mußte andere Gründe dafür geben, daß er so mißtrauisch war und so starr an seinem Ehrenkodex festhielt. Wieder in ihrem Zimmer, stand ihr Entschluß fest. Sie würde die Universität verlassen, nicht promovieren und sich einen Job suchen. Als sie anfing, ihre Sachen einzupacken, mußte sie sich sehr beherrschen, nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. Plötzlich klopfte es an der Tür, Und Jacinta zuckte zusammen. Ich brauche mich nicht so anzustellen, er tut mir schon nichts, sagte sie sich und öffnete. "Wir müssen reden", erklärte Paul mit verschlossener Miene und betrachtete den Koffer neben ihrem Bett. "Aber nicht jetzt, Jacinta. Es ist ein Notruf eingetroffen, auf See steht ein Boot in Flammen. Dean und ich fliegen in einem Suchflugzeug raus. Warte hier, bis ich zurückkomme. Und triff bitte keine Entscheidungen, bis du gehört hast, was ich dir sagen möchte." Ein Fünkchen Hoffnung keimte in ihr auf. "Ja, okay", versprach sie ihm. "Danke." Er nickte. Höflich wie immer, fuhr es Jacinta durch den Kopf. Dann drehte er sich um und verschwand. Der Vormittag schien sich endlos hinzuziehen. Nachdem Jacinta alles eingepackt hatte, speicherte sie das, was sie geschrieben hatte, auf zwei Disketten ab und löschte die Dateien im Computer. Niemand sollte ihr Manuskript lesen. Dann ging sie in die Küche und zwang sich, ein Stück Toast zu essen und eine Tasse Kaffee zu trinken. "Das wird nicht lange vorhalten", meinte Fran. "Ich habe keinen Appetit. Warum muß man das Boot suchen, auf dem Feuer ausgebrochen ist?"
"Weil der Idiot keine Ahnung hat, wo genau er sich befindet", erwiderte Fran. "Wie lange sind Sie eigentlich schon bei Paul?" fragte Jacinta betont beiläufig. "Seit fünf Jahren, gleich nach meiner Scheidung", erzählte die Haushälterin bereitwillig. "Mein Vater hat schon für seine Eltern gearbeitet, ich kenne ihn sein Leben lang. Er war ein liebenswertes Kind, etwas ernst und immer zuverlässig und verantwortungsbewußt. Und sein Lächeln - Sie wissen ja selbst, wie es wirkt." O ja, daran werde ich mich immer erinnern, dachte Jacinta. " Seine Eltern sind tot, oder?" "Ja. Sein Vater war sehr streng, aber alle mochten und respektierten ihn. Er war ein guter Mensch, ein bißchen wie Paul. Den Charme hat Paul von seiner Mutter. Sie war eine ausgesprochen nette Frau, jedoch sehr zurückhaltend. Sie schien in einer anderen Welt zu leben." Fran schaute zum Fenster hinaus. "Sehen Sie sich die Wolken an, die sich dahinten zusammenballen. Ich habe doch geahnt, daß es heute regnen wird." Mittags regnete es dann heftig. Jacinta hatte keine Lust, etwas zu essen. Sie fühlte sich ruhelos und unausgeglichen, ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Fran hatte es offenbar gemerkt, denn als sie ins Frühstückszimmer kam, wo Jacinta mit einem Buch in der Hand saß, schlug sie vor: "Sehen Sie sich doch ein Video an." "Gute Idee." Vielleicht würde ein interessanter Film sie von den quälenden Gedanken ablenken. "Sie finden einen ganzen Stapel dort im Schrank unter dem Bücherregal", erklärte Fran. Nachdem Jacinta sich eine hitzige politische Debatte angeschaut hatte, die einige Monate zuvor ausgetragen worden war, legte sie das nächste Video ein. Mit einem Camcorder hatte jemand eine Party gefilmt. Die Leute waren Jacinta unbekannt,
bis sich die Kamera plötzlich auf Paul richtete. Neben ihm stand eine schöne Frau mit glänzendem rotem Haar. Das war also Aura, seine Exverlobte. "Stell das verdammte Ding ab", ertönte auf einmal Pauls Stimme hinter ihr. Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. "Stell es ab", wiederholte er. Seine Stimme klang so kühl und verheerend wie ein arktischer Sturm. Jacinta schaltete das Gerät aus und stand auf. "Habt ihr das Boot gefunden?" Sekundenlang zögerte er. Sie dachte schon, er würde nicht antworten. Doch dann erwiderte er: "Ja. Woher hast du das Video?" "Es war hier, mit all den anderen. Ich habe es nur zufällig angesehen." "Ach so." Er beherrschte sich wieder. Aber die Gleichgültigkeit, die er jetzt an den Tag legte, war eigentlich noch schlimmer als sein Ärger. "Es ist über fünf Jahre alt", sagte er, als wäre er ihr eine Erklärung schuldig. "Es tut immer noch weh, stimmt's?" fragte sie. "Nein." "Warum hast du dann so gereizt reagiert?" "Jacinta, vergiß es." Seine Stimme klang müde. Das würde ich nur allzu gern, aber ich kann es nicht, überlegte sie. Sie wollte die Wahrheit erfahren, eher würde sie keine Ruhe haben. Deshalb wartete sie und betrachtete sein markantes Gesicht. "Ich habe sie einmal geliebt. Es ist vorbei - schon seit Jahren", sagte er schließlich ungeduldig. "Warum hast du dich dann nicht mit ihr versöhnt?" Er runzelte die Stirn. "Weil es keinen Streit gegeben hat." "Triffst du sie denn ab und zu? Ich meine Aura und ihren Mann?" "Nein."
"Weil du es nicht ertragen kannst, sie zusammen zu sehen." "Falsch", antwortete er ruhig und übertrieben höflich. "Es hat mir nicht gefallen, daß man mich lächerlich gemacht hat. Mein Stolz ist verletzt, deshalb sind wir nicht mehr befreundet." "Ich glaube, du liebst sie immer noch", sagte Jacinta ruhig. Er ging auf sie zu, hielt jedoch inne, als sie sich versteifte. Dann fluchte er leise vor sich hin. Aber wenige Sekunden später wirkte er wieder so beherrscht und diszipliniert wie immer. "Das ist eine ziemlich kühne Behauptung. Nur weil du dir einen alten Film angesehen hast, glaubst du, es beurteilen zu können?" fragte er reserviert. "Nein. Ich schließe es aus deiner Reaktion." Mutig fügte sie hinzu: "Wenn du sie nicht liebst, haßt du sie bestimmt." "Überhaupt nicht", antwortete er betont höflich. Diese übertriebene, beinah spöttische Höflichkeit verletzte Jacinta mehr als ein Wutausbruch. "Ich wünsche ihr viel Glück." Jetzt wurde Jacinta endgültig klar, daß sie ihn verlassen mußte. Er konnte keine andere Frau lieben, weil sein Herz immer noch Aura gehörte. "Ach, es geht mich sowieso nichts an." "Stimmt. Außerdem ist es lange her. Was hast du jetzt vor?" "Ich fahre nach Auckland zurück." "Aber nicht im strömenden Regen." Sie zuckte die Schultern. "Ich fahre mit dem Bus. Ich habe mich telefonisch erkundigt, es sind noch Plätze frei. Wenn es dir recht ist, bitte ich jemanden, mich zur Haltestelle zu fahren." "Du könntest morgen mit mir fahren", schlug er vor. "Es wäre mir lieber, heute noch abzureisen." "Wo wirst du unterkommen?" Darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht. Sie betrachtete ihre Hände, die sie im Schoß verschränkt hatte. "Beim YWCA, dem Christlichen Verein Junger Frauen", behauptete sie schließlich.
"Hast du alles, was du besitzt, in den beiden Koffern untergebracht?" "Nein. Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern, Paul, ich komme schon zurecht. Ich war naiv, was Gerard angeht, aber sonst kann ich mein Leben gut allein bewältigen." Er verzog die Lippen. "Wie denn? Du hast keinen Job ..." "Ich werde einen finden", unterbrach sie ihn. "... und nur wenig Geld. Natürlich mache ich mir deinetwegen Sorgen. Und Gerard auch", fügte er hinzu. "Glaubst du etwa immer noch, ich sei mit ihm verlobt?" fuhr sie ihn zornig an. Sekundenlang schwieg er. "Ich weiß nicht, was ich glauben soll", antwortete er dann mit ausdrucksloser Miene. "Einer von euch beiden lügt. Wenn Gerard gelogen hat, ist er seelisch nicht in Ordnung. Aber dafür habe ich bisher keine Anzeichen entdecken können. Ich weiß jedoch, daß viele Frauen bewußt oder unbewußt finanzielle Sicherheit suchen. Das ist so in unserer Gesellschaft, Männer legen auf Schönheit Wert, Frauen auf Geld und Status." Auf die zynische Feststellung fiel ihr keine Antwort mehr ein. Seine Stimme klang anders, als er fortfuhr: "Ich werde dich nicht zum Christlichen Verein Junger Frauen fahren und dich dort deinem Schicksal überlassen. Laß dir also etwas Besseres einfallen, wo du unterkommen willst. Jacinta, ich habe dich doch nicht hinausgeworfen. Ich werde in meinem Apartment in der Stadt bleiben, bis du eine ordentliche Unterkunft in Auckland gefunden hast. Momentan habe ich sowieso viel zu tun, so daß es sich anbietet." Sie schüttelte den Kopf. "Es ist für alle Beteiligten besser, wenn ich heute noch wegfahre." "Für mich ist es nicht besser", antwortete er kühl. "Sei doch vernünftig. Sagen wir, in einer Woche? Bis dahin hast du
bestimmt etwas gefunden. Und ich weiß dann, daß du sicher untergebracht bist." "Das bin ich auch beim YWCA", entgegnete sie verzweifelt. "Vielleicht ist dort kein Zimmer frei", wandte er ein. Offenbar war er nicht bereit aufzugeben. Sie hätte auch Gerards Wagen benutzen können, aber das wollte sie nicht mehr. "Okay, einverstanden", gab sie schließlich nach. Sie war zu erschöpft, und außerdem hatte er recht. Wenn sie sich eine Woche Zeit ließ, konnte sie alles viel besser organisieren. "Du mußt mir natürlich versprechen, daß du nicht wegläufst, sobald ich zur Tür hinaus bin." Sie errötete und sah ihn nicht an. "Warum sollte ich dir etwas versprechen? Du glaubst mir sowieso nichts." "Doch, ich weiß, daß du hältst, was du versprichst", erwiderte er sanft. "Das hast du mir selbst erzählt." "Angeblich bin ich mit Gerard verlobt", erwiderte sie leicht verächtlich. "Ist das etwa kein Versprechen?" "Gut, wenn du dich weigerst, muß ich dafür sorgen, daß Gerards Auto nicht anspringt und das du nicht heimlich und unbemerkt verschwinden kannst." Sprachlos blickte sie ihn an. Er meinte es ernst, obwohl es eigentlich ungeheuerlich war. "Willst du mich einsperren?" fragte sie empört. "Ja, wenn es sein muß", erklärte er entschlossen. "Du brauchst mir nicht mehr zu drohen. Ich bleibe hier, bis ich alles geregelt habe." "Danke. Und es tut mir leid." "Was?" "Das, was letzte Nacht passiert ist..." "Mir aber nicht", fiel sie ihm hitzig ins Wort. "Ich habe jede Sekunde genossen. Ob du es glaubst oder nicht, es gab keinen Grund, weshalb wir uns nicht hätten lieben sollen. Wir wollten es beide, und wir sind nicht dafür verantwortlich, was Gerard
geplant und sich ausgedacht hat oder ob er uns nur manipulieren wollte." "Ich muß jetzt weg und komme erst spät zurück. Und morgen fahre ich sehr früh nach Auckland. Wir sehen uns also in einer Woche", erklärte Paul nur und ignorierte ihren Einwand. Jacinta schaute nicht hinter ihm her. Sie wollte sich darauf konzentrieren, rasch eine Unterkunft zu finden. Als sie hörte, wie Paul den Wagen anließ und davonfuhr, ging sie in ihr Schlafzimmer. Sie war froh, daß sie sich in seinem Bett geliebt hatten und nicht in ihrem. So erinnerte sie wenigstens nicht alles an ihn. Der Schmerz und der Kummer raubten ihr jede Energie. Schließlich zwang sie sich, im Frühstückszimmer die Wohnungsangebote in der Zeitung durchzusehen. Erleichtert stellte sie fest, daß die Auswahl ziemlich groß war. Die Stellenangebote waren nicht so zahlreich. Kurz vor Weihnachten suchten nur wenige Firmen neues Personal. Die Jobs, die angeboten wurden, fand Jacinta ziemlich uninteressant. Sie legte die Zeitung weg und stand auf. Was soll's, egal ob interessant oder nicht, ich muß meinen Lebensunterhalt verdienen, sagte sie sich. Dann ging sie zum Telefon und fing an zu wählen.
9. KAPITEL Nachdem Jacinta telefoniert hatte, eilte sie auf ihr Zimmer und stellte einen Scheck aus, steckte ihn in einen Briefumschlag und schrieb Gerards Namen in großen Buchstaben darauf. Sie würde das Kuvert neben dem Computer liegen lassen. Paul würde dafür sorgen, daß sein Cousin es bekam. Plötzlich hielt sie es im Haus nicht mehr aus. Sie sagte Fran Bescheid und wanderte durch den Garten und stundenlang am Strand entlang. Erst kurz vor dem Dinner machte Jacinta sich auf den Rückweg. Während sie zwei artengeschützte Vögel beobachtete, spürte sie instinktiv, daß sie nicht mehr allein war. Sie schaute auf und sah, daß Paul ihr entgegenkam. Sogleich schlug ihr das Herz bis zum Hals. Nie hätte sie sich vorstellen können, daß die eine Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte, einen so tiefen Eindruck hinterlassen würde, daß sie sich ihr Leben lang daran erinnerte. Wahrscheinlich würde sie sich irgendwann wieder neu verlieben, aber nie mehr so ungestüm und leidenschaftlich wie in Paul. "Du bist früh zurückgekommen", sagte sie ruhig und ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie sich freute. "Entschuldige bitte." "Warum entschuldigst du dich? Es ist doch dein Zuhause. Übrigens, ich habe eine Unterkunft gefunden." "Wo?" Seine Stimme klang etwas aggressiv.
"In einer Wohngemeinschaft in Grey Lynn mit zwei Männern und drei Frauen", erwiderte sie kühl. "Ah ja. Kennst du die Leute?" "Ja, mit einer der jungen Frauen bin ich befreundet." Nadia war in Urlaub, aber einer der Mitbewohner hatte sie angerufen und dann Jacinta mitgeteilt, sie könne Nadias Zimmer benutzen, solange sie wolle. "Wann fährst du?" fragte er uninteressiert. "Morgen früh mit dem Bus." Er schüttelte den Kopf. "Ich fahre doch sowieso nach Auckland, ich nehme dich mit." Er blickte an ihr vorbei aufs Meer. "Ich muß Gerard sagen, was passiert ist." "Warum?" Paul zuckte die Schultern. "Weil er es wissen sollte." "Damit er dich haßt?" Sie wußte genau, daß sie sich die Worte sparen konnte. Es würde sowieso nichts ändern. "Du hast ihm nichts getan." Sekundenlang schwieg er. "Du machst es dir zu leicht. Selbst wenn sich zwischen euch nichts abgespielt hat, wie du behauptest, wollte er, daß ich mich von dir fernhalte. Sonst hätte er mir gar nicht erzählt, er sei mit dir verlobt." "Das ist eine komplizierte Konstruktion. Um dich von einer vermeintlichen Schuld zu befreien, willst du das freundschaftliche Verhältnis zu deinem Cousin zerstören." Er antwortete nicht, sondern schaute in die Ferne. Seine Miene wirkte streng, und Jacinta spürte, wie unabhängig und unzugänglich er war. Sie fühlte sich ohnmächtig und hilflos, weil sie nicht zu ihm durchdringen konnte und er sich ihren Argumenten verschloß. "Ich möchte gern wissen, warum er gelogen hat. Er hätte sich doch denken können, daß wir es früher oder später herausfinden würden. Und wenn er geglaubt hat, ich würde irgendwann mit ihm schlafen, nur weil er ohne mein Wissen Geld für mich ausgegeben hat, dann lebt er im falschen Jahrhundert", erklärte
sie gereizt. "Heutzutage lassen Frauen sich nicht mehr kaufen", fügte sie schließlich hinzu. "Wie sehen deine Pläne aus?" fragte Paul, ohne auf ihre Worte einzugehen. "Ich habe einen Job gefunden und ein Zimmer. Du brauchst dir also um mich keine Gedanken mehr zu machen, Gerard auch nicht", fuhr sie ihn wütend an. "Ich habe es satt, mich von Männern manipulieren zu lassen." "Aber ich will dich doch gar nicht manipulieren", entgegnete er betont ruhig. "Und daß ich mich um dich sorge, kann ich nicht ändern." "Weil ich so naiv war?" fragte sie zornig. "Ich lerne schnell und werde auf jeden Fall zurechtkommen." "Und wenn du schwanger bist?" Jacinta schüttelte den Kopf. "Das ist sehr unwahrscheinlich. Wir haben uns doch geschützt." "Manchmal passiert es trotzdem." Kaum merklich hob sie die Schultern und blickte vor sich hin, ohne etwas wahrzunehmen. "Dann werde ich mich damit auseinandersetzen, wenn es soweit ist." "Das werden wir gemeinsam tun", erklärte er energisch. "Okay." Natürlich war es nicht okay. Aber darüber brauchte sie wirklich noch nicht nachzudenken. "Ich gehe jetzt ins Haus und esse auf meinem Zimmer." Nach der Unterhaltung mit ihm war sie völlig erschöpft. "Du brauchst dich nicht zu verstecken", sagte er spöttisch. "Ich gehe heute abend sowieso aus." Ich hätte mir denken können, daß er nicht meinetwegen so früh zurückgekommen ist, dachte sie, während sie an ihm vorbei langsam zum Haus ging. Paul blieb am Strand stehen, und Jacinta hatte das Gefühl, ihr Herz bei ihm zurückzulassen. Am nächsten Morgen setzte Jacinta sich zu Paul an den Frühstückstisch. Nach der schlaflosen Nacht hatte sie dunkle
Ränder unter den Augen. Sie wünschte, darauf bestanden zu haben, mit dem Bus zu fahren. Der sich endlos hinziehende Abschied war unerträglich gewesen. Nachdem Jacinta das Couvert für Gerard neben den Computer gelegt hatte, verabschiedete sie sich von Fran. Sie bedankte sich bei der Haushälterin und bat sie, Dean zu grüßen. Fran bemerkte Pauls gleichgültige Miene und blickte erst ihn und dann Jacinta prüfend an. Schließlich bat sie Jacinta liebevoll: "Passen Sie gut auf sich auf, und essen Sie regelmäßig!" Jacinta umarmte die Frau und ging hinaus. Während der Fahrt nach Auckland schwieg sie beharrlich. Sie schaute zum Fenster hinaus, ohne etwas zu sehen, und hing ihren Gedanken nach. "Nennst du mir bitte die Adresse?" sagte Paul, während sie die Hafenbrücke überquerten. "Setz mich in der Stadt ab, ich fahre mit dem Bus weiter." "Mit den beiden Koffern und den Kartons? Also, wohin?" Sie gab nach und nannte ihm die Adresse. "Konntest du nichts Besseres finden?" fragte Paul, als er vor dem ziemlich verkommenen Haus anhielt. "Es ist für Studenten bestens geeignet", erwiderte sie scharf. "Innen ist es richtig gemütlich." Er stieg aus und hielt ihr die Tür auf. Dann lud er die Koffer und Kartons mit den Büchern aus. Sogleich griff Jacinta sich die ziemlich schweren Koffer und schleppte sie durchs Tor bis zur Treppe, die auf die Veranda führte. Dort setzte sie sie ab und ging die Stufen hinauf. Noch ehe sie angeklopft hatte, öffnete ein junger Mann die Haustür. "Hallo, Jacinta", begrüßte er sie. Dann bemerkte er Paul, der die Kartons brachte. "Laß dein Gepäck hier stehen, ich bringe es dir aufs Zimmer." "Danke, Carl", sagte sie. Rasch verdrängte sie ihre plötzliche Verzweiflung und drehte sich zu Paul um. "Auf Wiedersehen."
"Wir bleiben in Verbindung", sagte er kurz angebunden und verschwand, weil sein Autotelefon läutete. Jacinta wartete, bis er den Motor angelassen hatte. Dann winkte sie ihm noch einmal zu. Er hupte und fuhr los. Als der Wagen nicht mehr zu sehen war, lächelte sie Carl höflich an. "Mit ein bißchen Glück bin ich heute abend schon wieder weg." "Nimm dir ruhig Zeit", antwortete er freundlich. "Mein Bekannter soll nicht wissen, wo ich wohne." "Dann sag es mir erst gar nicht. Aber er bekommt es bestimmt heraus. Er ist so ein Typ, der sich Informationen beschaffen kann. Egal, was ich nicht weiß, kann ich ihm auch nicht verraten." "Und sag ihm bitte auch nicht, wo Nadia ist." Eigentlich war es sehr unwahrscheinlich, daß Paul sich an ihre Freundin wenden würde. Aber sie wollte vorsichtig sein. Er zuckte die Schultern. "Auch das weiß ich nicht. Als ich gestern mit ihr sprach, erwähnte sie, sie würde nach Sydney fliegen." Carl half ihr, das Gepäck hineinzutragen. Sie würde ihre Spuren gut verwischen, denn sie wollte nicht, daß Paul sich nur aus einem Verantwortungsgefühl heraus um sie kümmerte. "Darf ich das Telefon benutzen? Und hast du einen Busfahrplan?" fragte sie Carl. Noch am selben Nachmittag packte Jacinta ihre Sachen in einem Zimmer am anderen Ende der Stadt aus. Das Haus war gemütlich, hell und von einem hübschen Garten umgeben. Es gehörte einer jüngeren, freundlichen Frau. "Ich habe noch eine andere Mitbewohnerin", hatte sie erklärt, als sie sich in der Mittagspause trafen. "Wollen wir es einen Monat versuchen und sehen,, ob wir miteinander auskommen?" "Ja, gern", hatte Jacinta zugestimmt. Jetzt setzte sie sich aufs Bett. Wenn ich wenigstens weinen könnte, würde es nicht mehr so schrecklich weh tun, überlegte
sie und hatte das Gefühl, den Schmerz und den Kummer nicht mehr ertragen zu können. Aber die Tränen wollten nicht fließen. Nach einer Woche hatte Jacinta auch einen Job gefunden. Sie arbeitete in einer Buchhandlung nicht weit von ihrer Wohnung. Obwohl zunächst eine Probezeit von vier Wochen vereinbart war, hatte sie zumindest vorerst keine finanziellen Probleme. Sie hatte sich vorgenommen, jeden Tag zwei Stunden an dem Manuskript zu arbeiten. Weil sie keinen Computer mehr hatte, würde sie alles mit der Hand schreiben müssen, was wesentlich länger dauerte. Aber irgendwann würde der Roman fertig sein. Als sie merkte, daß ihr die Arbeit im Buchladen Spaß machte und sie Talent hatte, mit den Kunden umzugehen und sie zu beraten, schöpfte sie Hoffnung. Und als man ihr dann auch noch kurz vor Weihnachten eröffnete, man würde sie fest einstellen, freute sje sich sehr. Plötzlich wußte sie, was sie wollte: den Roman zu Ende schreiben und einen eigenen Buchladen haben. Und sie wollte an Paul höchstens noch mit leichtem Bedauern denken. Ihr Schmerz saß noch viel zu tief und tat körperlich weh. Nachts träumte sie von Paul, und wenn sie freudig erregt aufwachte, hatte sie das Gefühl, in ein tiefes Loch zu stürzen. Immer wieder fielen ihr tausend Kleinigkeiten ein, wie er die Lippen verzogen hatte, wenn er belustigt gewesen war, oder wie sein Haar in der Sonne geglänzt hatte. Auch an seinen kaum wahrnehmbaren männlichen Duft erinnerte sie sich viel zu oft und an seine kräftigen gebräunten Hände. Genauso wenig konnte sie vergessen, wie geschmeidig er sich bewegt und welche Stärke, Kraft und Macht er ausgestrahlt hatte. Eines Tages erhielt sie die Nachricht, daß sie das Staatsexamen bestanden habe. Damit war ihr Studium beendet und dieser Lebensabschnitt endgültig vorbei. Die Weihnachtsfeiertage waren für sie so qualvoll, wie sie befürchtet hatte. Obwohl die Vermieterin und die andere junge
Frau Jacinta eingeladen hatten, die Feiertage mit ihnen und ihren Familien zu verbringen, zog sie es vor, allein zu sein und an dem Roman zu schreiben. . An einem heißen Wochenende im Januar läutete es heftig an der Tür. Da sonst niemand im Haus war, öffnete Jacinta und war seltsamerweise nicht überrascht, Paul vor sich zu sehen. Insgeheim war sie überzeugt gewesen, er würde sie finden. "Komm herein", forderte sie ihn auf und wich unwillkürlich zurück, als er so zielstrebig und mit so viel elementarer Kraft hereinstürmte, als wollte er sie einschüchtern, was ihm jedoch nicht gelang. Jacinta fühlte sich statt dessen wie im siebten Himmel. "Wie geht es dir?" fragte sie ihn und ging ihm voraus ins Wohnzimmer. "Interessiert dich das?" Sie atmete tief ein und hob energisch das Kinn. "Natürlich." "Offenbar so sehr, daß du mich ganz bewußt belogen hast. Du hast mich sehr geschickt getäuscht mit deiner angeblichen Unterkunft", erklärte er verächtlich. "Setz dich doch. Wie hast du mich gefunden?" Nur mühsam gelang es ihr, die Fassung zu bewahren. "Ich habe einen Privatdetektiv engagiert. Er hat versucht, dich in Bibliotheken aufzuspüren. Aber erst vor drei Tagen bist du dort aufgetaucht." "War das nicht zuviel Aufwand?" fragte sie vorsichtig. "Ich bin nach Massachusetts geflogen und habe mit Gerard geredet." Er sah sie unverwandt an. "Warum? Nein, sag es nicht. Ich will von dem ganzen Zeug nichts mehr hören." "Setz dich", antwortete er nur. Sekundenlang schaute sie ihn herausfordernd an, doch schließlich ließ sie sich in den Sessel sinken.
"Ich war nie in ihn verliebt und werde es auch nie sein", kam sie ihm zuvor. "Es ist einfach unglaublich, daß er behauptet hat, er sei mit mir verlobt." Ihre Stimme klang ruhig und sachlich, obwohl Jacinta schrecklich aufgeregt war. "Er hat dich begehrt", stieß Paul hervor. "Ich habe eher das Gefühl, er hat sich mit hinterhältigen Tricks an mich heranmachen wollen." "Deinen Ärger kann ich verstehen." Paul runzelte die Stirn. Die Unterredung mit Gerard ist sicher nicht angenehm für ihn gewesen, überlegte Jacinta. "Er hatte Angst, sein Glück zu versuchen." "Wie bitte? Das verstehe ich nicht." Immer noch reagierte sie hilflos und gereizt, wenn sie an Gerards Tricks dachte. "Warum hat er nicht offen und ehrlich zugegeben, was er wirklich gewollt hat?" "Weil er kein Selbstvertrauen hat, obwohl das keine Entschuldigung sein kann. Er hatte eine schwierige Kindheit und Jugend. Ich nehme an, er wollte nicht riskieren, zurückgewiesen zu werden." "Trotzdem muß er gewußt haben, daß das, was er tat..." "Gemein und schlecht war? Er sieht es anders. Er wollte dir helfen, und weil ihm klar war, daß du von ihm kein Geld angenommen hättest, hat er auf andere Weise für dich getan, was er konnte." Paul zögerte und fügte dann hinzu: "Er behauptet, du seist verzweifelt gewesen und hättest nicht in deine Wohnung zurückgehen wollen." "Ich ..." begann sie und atmete tief ein. "Ja, es stimmt. Aber ich hätte auch bei Nadia unterkommen können. Sie war jedoch nicht zu Hause, und ich mußte bis zu ihrer Rückkehr eine Woche überbrücken. Deshalb war ich so verzweifelt." "Hat dein damaliger Freund dich geschlagen?" fragte er so kühl, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren.
"Nein. Mark hat mich eher seelisch mißhandelt. Ich habe ihn kurz nach dem Tod meiner Mutter kennengelernt. Ich habe ihm vertraut, er war sehr nett und mitfühlend, und ich war ..." "Sehr verletzlich." Sekundenlang schloß sie die Augen. "Ja", gab sie zu. "Er hat mir das Apartment beschafft, und erst als ich einzog, stellte ich fest, daß er auch darin wohnte. Damals war ich nicht in der Lage, mich auf eine richtige Beziehung einzulassen, dazu war ich seelisch viel zu müde und erschöpft." "Wart ihr kein Liebespaar?" "Nein. Erst schien alles in Ordnung zu sein, er hat mich immer zum Lachen gebracht. Aber nachdem ich in die Wohnung gezogen war, veränderte er sich. Er hat alles für mich getan, mir alles abgenommen. Er hat mich sogar zur Uni gefahren und mich wieder abgeholt und mich in jeder Hinsicht verwöhnt, jedenfalls schien es so. Ich konnte gar nicht verstehen, weshalb ich mich dabei so unbehaglich fühlte und die Situation nicht genießen konnte. Schließlich habe ich begriffen, daß er mich manipulierte. Wenn ich etwas tat, was ihm nicht gefiel, setzte er eine traurige Miene auf, so daß ich ein schlechtes Gewissen bekam. Die Sache eskalierte, als ich mit Nadia auf eine Party ging ..." Sie unterbrach sich. "Erzähl weiter", forderte Paul sie auf. "Mark wollte es mir verbieten. Ich bin trotzdem gegangen. Und dann hat er mir schreckliche Vorwürfe gemacht, als hätte ich etwas Unrechtes getan. Danach wurde mir bewußt, daß er es mir übelnahm, wenn ich eigene Ideen hatte und eigene Entscheidungen traf. Und dann fand ich auch noch heraus, daß er meine Post gelesen und meine Anrufe überwacht hatte. Er hat eigenmächtig entschieden, mit wem ich sprechen durfte und mit wem nicht. In dem Moment hatte ich nur noch den einen Wunsch, die Wohnung schnellstens zu verlassen." "Und Gerard hat dir eine Unterkunft angeboten." Paul verzog keine Miene.
"Ich wollte nicht vom Regen in die Traufe kommen, deshalb habe ich sein Angebot abgelehnt. Das leerstehende Apartment hat Gerard erst etwas später erwähnt. Eines Abends erklärte ich Mark, ich würde ausziehen. Er hat mich zu erpressen versucht und behauptet, er würde mich lieben und könne ohne mich nicht leben. Die ganze Nacht hat er gebettelt und mich angefleht. Ich wußte nicht mehr, was ich machen sollte. Deshalb war ich am nächsten Abend so erschöpft, daß ich in der Bibliothek eingeschlafen bin, wo Gerard mich entdeckt hat. Mark habe ich ihm gegenüber nie erwähnt. Ich habe mich viel zu sehr geschämt, weil ich mich auf die ganze Sache eingelassen hatte." "Gerard hat es trotzdem gewußt." "Scheint so. Aber er hätte nicht glauben dürfen, er könne mich kaufen. Warum hat er dir erzählt, er und ich seien verlobt?" "Er hat mich immer beneidet. Obwohl Aura mich sitzen gelassen hat, scheint er überzeugt zu sein, ich könnte so ungefähr jede Frau haben", erwiderte er. "Vielleicht hat er ja recht", wandte sie betont liebenswürdig ein. "Das ist doch lächerlich, und gerade du müßtest es wissen. Er kennt mich ziemlich gut und weiß, daß ich mich immer bemühe, loyal zu sein. Deshalb war er sich ziemlich sicher, daß ich nicht seine angebliche Verlobte verführen würde. Ob er es selbst geglaubt hat oder nicht, sei dahingestellt, jedenfalls hat er behauptet, du würdest finanzielle Sicherheit suchen. Natürlich habe ich daraus geschlossen, du würdest ihn nur benutzen. Und das war der Grund, weshalb ich dich zu Anfang so schlecht behandelt habe." "Das hast du nicht getan, du warst nur sehr zurückhaltend", entgegnete sie. "Ich habe dich schon begehrt, als ich dich zum erstenmal auf der Fidschiinsel gesehen habe. Und als wir zusammen tanzten, dachte ich, ich wäre dir nicht gleichgültig. Doch dann habe ich
eingesehen, daß du ganz andere Sorgen hattest. Ich wollte dir und deiner Mutter ein bißchen helfen, ihr hattet jedoch so ein inniges Verhältnis, daß ich mir wie ein Eindringling vorgekommen wäre. Da ich deine Adresse hatte, habe ich dich nach sechs Wochen angerufen und die Auskunft erhalten, deine Mutter, sei gestorben und du seist zu einem Freund gezogen." Jacinta schaute ihn verblüfft an. Er lächelte ironisch. "Danach habe ich dich abgeschrieben und gedacht, du wolltest nichts mit mir zu tun haben. Und plötzlich bist du als Gerards Verlobte aufgetaucht. Ich hätte ihn umbringen können, als er deinen Namen nannte." "Das klingt alles so unglaublich", sagte sie. "Wieso? Du weißt doch sicher, wie du auf Männer wirkst." Verblüfft schüttelte sie den Kopf. Paul fuhr fort: "Als ich dir gegenüber erwähnte, Dean sei verlobt, war ich nur schrecklich eifersüchtig, weil ich den Eindruck hatte, du würdest mit ihm flirten, und später auch mit Harry Moore und Laurence." "Ich habe mich doch nur freundlich mit ihnen unterhalten." "Und ich konnte nicht mehr klar denken. Ich war überzeugt, du würdest mit allen anderen flirten, nur nicht mit mir. Dean durfte dich sogar anfassen, und du hast gelacht, als er dich am Fuß gekitzelt hat, während du jedesmal zurückgewichen bist, wenn ich dich nur mit dem Finger berührt habe." "Ja, weil ich Angst vor meinen Gefühlen für dich hatte", erwiderte sie ruhig. "Das hatte ich auch. Schon bald nach deiner Ankunft auf Waitapu wurde mir bewußt, daß ich mich zu sehr auf dich eingelassen hatte. Ich habe versucht, mich zurückzuziehen, und bin sogar so oft und so lange herumgereist wie sonst nie. Aber ich habe mich immer nach dir gesehnt. Und als ich feststellte, daß du auch noch intelligent, lustig und eine angenehme Gesprächspartnerin bist, konnte ich es abends kaum erwarten, nach Hause zu kommen und mich mit dir zu unterhalten."
Jacinta preßte die Hände so fest zusammen, daß die Knöchel ihrer Finger weiß hervortraten. Sie konnte einfach nicht glauben, daß es wirklich wahr war, was er da sagte. "Und dann", fuhr er rauh fort, "haben wir uns geliebt. Es war wunderschön, so etwas hatte ich noch nicht erlebt. War ich der erste Mann für dich, Jacinta?" "Ja", antwortete sie leise. Sie schaute ihn an und begegnete seinem betroffenen, beinah schmerzerfüllten Blick. "Ich wußte es nicht. Erst später ist mir aufgefallen, wie überrascht und wie unschuldig du warst. Aber du warst schon weg, und ich konnte dich nicht finden. Kannst du dir vorstellen, wie verzweifelt ich war?" Sie sah ihn nicht an. "Ich mußte weggehen." "Weil ich dir nicht geglaubt habe, daß Gerard gelogen hatte?" "Deshalb auch." Paul stellte sich ans Fenster und betrachtete die Rosen im Garten, "Eine Woche nach deiner Abreise bin ich nach Massachusetts zu Gerard geflogen. Als ich ihn in dem Apartment besuchte, das er gemietet hat, war er nicht besonders glücklich, mich zu sehen. Ich kam sogar sehr ungelegen, denn er hatte gerade eine Frau im Bett. Irgendwie eine Ironie des Schicksal, findest du nicht auch?" Er drehte sich zu Jacinta um. "Wer war sie?" fragte sie verblüfft. "Eine Amerikanerin. Später, als sie weg war, gab er zu wenn auch ungern -, mich belogen zu haben und nicht mit dir verlobt zu sein. Er hat geglaubt, in dich verliebt zu sein, und wollte mit der Lüge erreichen, daß ich mich von dir fern hielt. Offenbar liebt er die Frau wirklich, er will sie heiraten." "Dieser verdammte Kerl!" rief Jacinta empört aus. "Weiß er, was er angerichtet hat?" Es ist seine Schuld, daß ich mich wochenlang so elend und unglücklich gefühlt habe, fügte sie insgeheim hinzu.
"Jetzt weiß er es jedenfalls. Ich habe es ihm schonungslos beigebracht." Er setzte sich neben sie und nahm ihre kalten Hände in seine. "Jacinta, komm bitte mit mir zurück nach Waitapu", bat er sie. Seine Stimme klang zärtlich, und in seinen blauen Augen leuchtete es auf. "Ich vermisse dich so sehr, daß es körperlich weh tut. Du fehlst mir überall, ohne dich erscheint mir das Leben farblos und leer." Er meint es ernst und ist sich sicher, daß ich zurückkomme, dachte sie. "Es geht nicht", erwiderte sie ruhig. "Warum nicht?" fragte er so leise, daß sie ihn kaum verstehen konnte. "Weil du immer noch eine andere liebst." "Du liebst mich also", stellte er zufrieden fest und lächelte. Sie zog die Hände zurück und preßte sie wieder zusammen. "Ja, ich liebe dich, sonst hätte ich nicht mit dir geschlafen. Aber es geht einfach nicht. Vielleicht merkst du gar nicht, daß du Aura immer noch liebst. Seit damals hast du keine Frau mehr an dich herangelassen." "Doch, dich", antwortete er und schaute sie aufmerksam an. Jacinta errötete. Sie war sich plötzlich unschlüssig, fuhr aber hartnäckig fort: "Bin ich etwa die erste Frau, mit der du geschlafen hast, seit Aura dich verlassen hat?" "Nein. Und was beweist das? Ich kann dir nur noch einmal versichern, ich liebe Aura nicht mehr." Allzu gern hätte sie ihm geglaubt und es sich und ihm leichtgemacht. Sie konnte jedoch seine Reaktion auf das Video nicht vergessen, das sie sich angesehen hatte, als er überraschend hereingekommen war. Egal, was er noch für Aura empfand, er mußte sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzen. Jacinta liebte ihn von ganzem Herzen, und sie wollte bei ihm sein, aber sie wollte keine zweite Wahl sein. Wenn sie jetzt nachgeben würde, ohne daß er die Vergangenheit bewältigt und sich endgültig von seiner
Exverlobten gelöst hatte, würde ihre Liebe langsam zugrunde gehen, und außer Leidenschaft und unerfüllter Sehnsucht würde nichts übrigbleiben. Diese Erkenntnis gab ihr Kraft. "Sprichst du mit ihr, wenn du ihr auf Partys und bei anderen Anlässen begegnest?" "Nein. Seit dem Tag, an dem Aura mir verkündet hat, sie würde mich nicht heiraten, habe ich weder mit ihr noch mit ihrem Mann geredet", erklärte er kühl. "Er war dein bester Freund, trotzdem hast du fünf Jahre kein Wort mit ihm geredet. Selbst wenn du sie nicht mehr liebst, was ich dir nicht glaube, beeinflußt sie immer noch dein Leben", wandte Jacinta ein. "Was, zum Teufel, soll das denn heißen?" fragte er. "Würdest du dich freuen, wenn sie jetzt hereinkommen würde?" Seine entsetzte Miene sagte ihr alles, und Jacintas Fünkchen Hoffnung schwand. "Nein", erwiderte er. "Paul, es hat keinen Sinn." In seinen Augen blitzte es zornig auf. "Was willst du sonst noch? Ich liebe dich, aber ich werde nicht ..." "Es würde nicht funktionieren", unterbrach sie ihn. "Es tut mir wirklich leid." "Dann kann ich es nicht ändern", antwortete er gefährlich ruhig. Gib nach, ehe es zu spät, schien ihr plötzlich eine innere Stimme zuzurufen. "Vermutlich bist du nicht schwanger." Seine Stimme klang kühl. "Nein." "Gut. Du brauchst nicht mehr vor mir davonzulaufen, ich werde dich nicht mehr belästigen." Jacinta war überrascht, wie gut sie mit der neuen Situation zurechtkam.
Es half ihr, daß die Arbeit ihr Spaß machte. Sie schloß neue Freundschaften, ging oft aus und verdrängte die quälende Sehnsucht, in Pauls Armen zu liegen, seine Stimme zu hören und ihn zu sehen. Natürlich dachte sie oft an ihn, und manchmal war sie nahe daran, nach Waitapu zu fahren und ihn zu fragen, ob er sie noch haben wolle. Sie tat es jedoch nicht, denn es widerstrebte ihr, eine Beziehung auf Kompromissen aufzubauen. Außerdem hatte sie ihm bereits gesagt, daß es keinen Zweck mit ihnen beiden hätte. Sie verstand sich gut mit den beiden Frauen, mit denen sie im Haus wohnte, und fand sich damit ab, daß sie mit sich selbst Geduld haben mußte. Als der Herbst ins Land zog, die Tage und Nächte kühler wurden und die Luft nicht mehr so feucht war, konnte Jacinta endlich den Roman beenden. Eines Tages entdeckte sie in der Zeitung einen Artikel über einen neuen Wein. Normalerweise interessierte sie sich nicht dafür, aber ihr fiel der Name "Aura" auf. Obwohl sie sich darüber ärgerte, las sie den Artikel durch und erfuhr, daß Aura Jansen, die Frau des Winzers, den neuen Wein mit großem Aufwand vorgestellt hatte. Sogar auf dem Foto kann man deutlich erkennen, wie schön diese Frau ist, dachte Jacinta und betrachtete den Mann an ihrer Seite. Das war also Pauls bester Freund Flint Jansen. Er sah nicht unbedingt gut aus, erregte aber Aufmerksamkeit, weil er wie ein Abenteurer oder Seeräuber wirkte. Jacinta legte die Zeitung beiseite und verglich die beiden Männer, die äußerlich so verschieden waren. Paul war außergewöhnlich attraktiv, man spürte jedoch etwas Wildes, Ungestümes, das ihn anzutreiben schien und das er mit eisernem Willen beherrschte. Es wäre herrlich, an seiner Seite zu leben, überlegte sie. Doch sie würde sich nie an einen Mann binden, für den sie nur zweite Wahl war.
Zwei Tage später kündigte sich der Winter mit kaltem Südwind und heftigen Regenschauern an. Jacinta hatte Lebensmittel eingekauft, die sie in zwei großen Tüten nach Hause trug. Sie war völlig durchnäßt, und genau vor der Haustür fiel eine der Tüten zu Boden. Ärgerlich brachte sie die andere ins Haus und ging wieder hinaus, um die Sachen einzusammeln. Ausgerechnet auf der letzten Stufe rutschte Jacinta aus, fiel hin und landete in einer Pfütze. "O verdammt!" stieß sie hervor. Plötzlich packte sie jemand an den Schultern, zog Jacinta hoch und drückte sie an sich. Irritiert blickte sie in Augen, die so blau waren wie der Sommerhimmel. In dem Moment wurde ihr klar, daß sie sich die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte, und sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. "Hast du dich verletzt?" fragte Paul. Und als sie nicht aufhörte zu weinen, forderte er sie auf: "Jacinta, sag schon, was du hast!" "Ich bin nicht verletzt", erwiderte sie schluchzend. "Jedenfalls nicht körperlich. Verdammt, weshalb kommst du einfach und..." "Wir müssen reden. Soll ich dich hinauftragen?" "Nein." Sie stieß ihn von sich. Sogleich bereute sie es, denn es hatte sich herrlich angefühlt, von ihm umarmt zu werden. Sie ging Paul voraus ins Haus. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und ihr Magen schien sich zu verkrampfen. Paul nahm die Lebensmittel mit und brachte alles in die Küche. Dann musterte er Jacinta von oben bis unten. "Gut. Offenbar bin ich nicht der einzige, der gelitten hat. Kommst du mit mir nach Waitapu zurück?" Mit tränenüberströmtem Gesicht schüttelte sie den Kopf. "Aber du liebst mich." . Jacinta nickte, es war sowieso sinnlos, es abzustreiten.
"Ich habe mit Aura und Flint gesprochen", sagte er. "Warum?" fragte sie leise. "Weil ich nicht mehr ausschließen wollte, daß du recht haben könntest." "Ich habe recht, das weiß ich", erwiderte sie undeutlich. "Höchstens teilweise", wandte er ein. "Ich habe mir selbst bewiesen, daß ich Aura nicht mehr liebe. Du hattest nur insofern recht, daß ich zu ihr gehen und mit ihr reden müßte." Werden sich meine Träume doch noch erfüllen? überlegte sie hoffnungsvoll und bekam Herzklopfen. Hastig drehte sie sich um und fing an, die Lebensmittel wegzuräumen. "Du liebe Zeit, laß die Sachen doch erst einmal stehen", forderte er sie auf. "Ich muß mit dir reden. Komm, laß uns rausfahren." Jacinta konnte nicht mehr klar denken und wagte kaum zu atmen. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sie auf den Mann hinter ihr. Sie spürte jede seiner Bewegungen im voraus und versteifte sich schon, ehe er sie am Arm packte und zu sich herumdrehte. "Du bist ganz blaß", stellte er besorgt fest und zog sie an sich. Auf einmal fühlte sie sich in seinen Armen wunderbar geborgen und nahm seinen aufregend männlichen Duft wahr. "Mein Liebling", flüsterte er zärtlich und liebevoll. "Was habe ich dir nur angetan? Wie kann ich dich überzeugen, daß ich dich inniger, heftiger und leidenschaftlicher liebe, als ich Aura jemals geliebt habe? Sie ist übrigens eine nette Frau..." "Was ist sie?" fragte Jacinta verblüfft. In seinen Augen blitzte es belustigt auf. "Eine sehr nette Frau sogar", sagte er ernst, verzog aber etwas spöttisch die Lippen. "Durch die Ehe ist sie noch Schöner geworden, aber der betörende Glanz und die auffällige Aufmachung beeindrucken mich nicht mehr. Ich habe sie lange betrachtet und festgestellt, wie schön sie ist, doch das ist auch schon alles. Sie interessiert mich nicht und berührt mich nicht, ich glaube, wir könnten
Freunde werden. Du hattest recht, unbewusst hatte ich mir eingeredet, nach der geplatzten Verlobung keine Frau mehr lieben zu können. Jetzt bin ich froh, daß alles so gekommen ist." "Warum?" Jacinta wollte es genau wissen. "Weil ich sonst vielleicht schon früher geheiratet und dich nicht kennengelernt hätte." Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er sie so eindringlich und liebevoll anschaute, daß ihr bewußt wurde, wie sehr er sie liebte. Endlich war sie überzeugt. "Dann bin ich auch froh", erwiderte sie leise. Er neigte den Kopf, doch plötzlich hörten sie Schritte im Flur. Paul fluchte leise vor sich hin und ließ Jacinta los. "Laß uns gehen, hier können wir nicht reden", sagte er. Sie nickte und folgte ihm. Es regnete nicht mehr, und von Westen her klarte der Himmel auf. "Wir können zu meiner Wohnung fahren", schlug Paul vor, als sie im Auto saßen. Die Idee gefiel ihr nicht. "Nein, ich möchte lieber zum One Tree Hill." Paul warf ihr einen leicht spöttischen Blick zu und fuhr mit ihr die schmale, kurvenreiche Straße hinauf bis zum Parkplatz auf dem Gipfel des erloschenen Vulkans, wo Paul den Wagen abstellte. Hier waren sie ungestört und bewunderten eine Weile das herrliche Panorama. "Ich habe mich gleich nach deiner Ankunft auf Waitapu in dich verliebt", sagte Paul. "Du hast mich nur verachtet." "Mich selbst viel mehr, weil ich dich begehrte, obwohl ich der Meinung war, du würdest Gerard ausnutzen. Es hat aber nicht lange gedauert, bis ich anfing, dich in einem anderen Licht zu sehen." "Trotzdem hast du mir nach unserer gemeinsamen Nacht alles mögliche an den Kopf geworfen."
Er schaute sie an. "Wie ein Feigling bin ich vor meinen Gefühlen davongelaufen. Ich konnte Gerard nicht mehr glauben, aber ich wußte auch, daß ich die Kontrolle über meine Gefühle verloren hatte. Von Anfang an habe ich einen Kampf gegen mich selbst geführt, den ich nicht gewinnen konnte. Immer wieder habe ich versucht, mir einzureden, du würdest nur finanzielle Sicherheit suchen. Zugleich war ich mir jedoch sicher, daß du durch und durch ehrlich und geradlinig bist. Aber ich wollte nicht wahrhaben, daß ich mich rettungslos in dich verliebt hatte und es mir egal war, ob du mit ihm verlobt warst oder nicht." "Weil du nicht ertragen kannst, die Kontrolle zu verlieren, hast du gegen deine Gefühle angekämpft. So war es mit Aura sicher auch." Paul schüttelte den Kopf. "Nein, und das hat mich etwas erschreckt", gab er zu. "Ich habe damals geglaubt, ich würde sie lieben, doch mit dir war alles ganz anders, viel intensiver. Was ich für dich empfand, war so überwältigend, so aufregend und tat beinah körperlich weh, daß ich Angst vor mir selbst bekam." "Und ich habe mir immer wieder eingeredet, ich würde dich nicht lieben, sondern mich nur zu dir hingezogen fühlen und dich begehren", gestand sie ein. "Ich habe nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt." "Wir haben uns beide ziemlich dumm benommen. Weil ich zu feige war, zu akzeptieren, daß ich mich in dich verliebt hatte, habe ich dich nicht zurückgehalten. Aber ich wollte dich nicht aus den Augen verlieren." "Ja, ich weiß", erwiderte sie und blickte hinüber zum Hafen. "Ich habe begriffen", fuhr er angespannt fort, "daß das bißchen Ehre, das ich gerettet hatte, überhaupt nichts wert war und mich nicht für die vielen schlaflosen Nächte entschädigen konnte, in denen ich mich in meinem Bett herumwälzte, in dem ich immer noch den Duft deines Körpers wahrnahm. Deshalb habe ich den verdammten Schnüffler auf dich angesetzt und bin
zu Gerard geflogen. Und als ich dich endlich gefunden hatte, hast du mich zurückgewiesen." "Ich wollte nicht zweite Wahl sein", erklärte sie ruhig, "obwohl ich immer wieder daran gedacht habe, nachzugeben und zu dir zu fahren." "Gut", sagte er zufrieden und beinah etwas arrogant. "Natürlich hattest du recht, ich mußte Aura wiedersehen." "Und jetzt bist du dir sicher?" "Ja, soweit es mich betrifft. Aber was ist mit dir?" Seine Stimme klang leicht unsicher. "Willst du mich heiraten? Ohne dich erscheint mir alles sinnlos. Als du gegangen bist, Jacinta, hast du das Lachen und die Fröhlichkeit mitgenommen." Plötzlich wurde seine Miene finster. "Ach, zum Teufel. Was nützt es mir, wenn ich mir etwas vormache? Ich brauche dich so sehr, daß ich mich völlig hilflos und wehrlos fühle. Das fing schon auf den Fidschiinseln an, und ich konnte nichts dagegen tun. Dabei wollte ich mich nicht noch einmal in eine schöne Frau verlieben, die mich vielleicht am Ende wieder sitzen lassen würde." "Warst du nicht mit einer Freundin auf der Insel? Ab und zu habe ich dich mit ihr gesehen. Das stimmt doch, oder?" fragte Jacinta. "Ja. Sie ist wirklich nur eine gute Freundin, zwischen uns läuft nichts. Sie war damals in einer schwierigen Situation und brauchte Zeit zum Nachdenken, deshalb ist sie einfach mitgekommen." Jacinta glaubte ihm, wollte aber noch mehr wissen. "Gerard hat mir erzählt, daß du in Ponsonby..." "Nach meinem Urlaub habe ich mit ihr Schluß gemacht, wir waren über ein Jahr zusammen. Ich habe sie nie geliebt, sie mich auch nicht. Die ganze Sache hatte sowieso keine Zukunft. Es fiel mir schwer, ohne dich zurückzufliegen. Am liebsten hätte ich dich mitgenommen, aber das ging natürlich nicht."
"Nein. Meine Mutter brauchte mich. Sie ist dann viel früher gestorben, als die Ärzte und wir angenommen hatten." "Ich habe die Todesanzeige in der Zeitung nicht gesehen, sonst hätte ich dir geschrieben." "Sie ist auch nur im Lokalblättchen erschienen." "Und dann bist du als Gerards Verlobte aufgetaucht." Er lachte bitter auf. "Schon am ersten Abend war mir klar, daß ich Probleme bekommen würde." "Du hast deine Gefühle perfekt verborgen." "Wirklich? Ich dachte, ich wäre sehr leicht zu durchschauen gewesen." Er verzog spöttisch die Lippen. "Ganz besonders beunruhigt hat mich, wie leicht ich die meiste Zeit Gerard vergessen habe." "Manchmal hast du dich an ihn erinnert", wandte sie sanft ein. "Dann habe ich dich angeschaut und mir gesagt, daß du ganz anders bist als Aura. Vielleicht ist das einer der Gründe, daß ich mich vom ersten Moment an in dich verliebt habe. Du bist ganz das Gegenteil von ihr." Jacinta fühlte sich verletzt, ließ es sich jedoch nicht anmerken. Mit dem Bild dieser schönen Frau vor Augen, erwiderte sie: "Ja, das sehe ich auch so." Paul verstand offenbar, was sie meinte. "Das sollte eigentlich ein Kompliment sein", sagte er. "Na ja, an dem Abend auf der Party wurde mir dann klar, daß du auf alle Männer genauso anziehend und verführerisch wirkst wie Aura, und ich dachte, ich hätte schon wieder einen Fehler gemacht." "Ich bin nicht..." "Du hast genauso ausgesehen wie die Frau auf dem Gemälde, das Laurence Perry erwähnt hat", unterbrach er sie. "Als er mir den Druck zeigte, wußte ich sogleich, wie du auf ihn gewirkt hast - in jeder Hinsicht außergewöhnlich, aufregend verführerisch und ungemein erotisch. Auf der Party hätte ich dich am liebsten von allen anderen ferngehalten und dich ins
Bett gezerrt. Und ich habe mich selbst verachtet, weil ich dich so sehr begehrt habe. Alle Männer auf der Party waren begeistert von dir. Ich bin besitzergreifend, kann mich jedoch normalerweise gut beherrschen. Doch an dem Abend war ich schrecklich eifersüchtig und habe dich wie wahnsinnig begehrt." "Deshalb hast du mich also so gleichgültig behandelt." "Ja." "Hast du mit Meriam Anderson geschlafen?" fragte Jacinta. Er schaute sie an. "Nein, das wollte ich gar nicht, und selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich es nicht getan. Ich würde nie eine Frau benutzen, nur um mein sexuelles Verlangen zu befriedigen." Jacinta schämte sich, weil sie wirklich vermutet hatte, er hätte mit Meriam geschlafen. "Sie hat den Eindruck erweckt, sie würde zu dir gehören. Und du hast mitgespielt", hielt sie ihm vor. "Das stimmt in gewisser Weise. Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte, und verstand mich selbst nicht mehr. Deshalb habe ich Meriam benutzt. Niemand sollte ahnen, was ich wirklich empfand." Sie lachte. "Dabei habe ich dich für vernünftig und ausgeglichen gehalten." "Ich mich auch. Manchmal verliert man offenbar den Verstand. Es war alles so kompliziert, ich wollte Gerards Vertrauen nicht mißbrauchen und mit dir ins Bett gehen. Aber ich habe mich viel zu sehr nach dir gesehnt, ich war besessen von der Vorstellung, dich zu besitzen, und am Ende hätte mich nichts und niemand mehr zurückhalten können." Jacinta bekam eine Gänsehaut. "Genauso habe ich auch empfunden, und ich wußte auch, wie kompliziert alles war." "Und dann habe ich dich vertrieben." Schweigend beobachteten sie ein Passagierflugzeug, das in geringer Höhe die Stadt überflog, um auf dem Flugplatz weiter außerhalb zu landen.
Ohne Jacinta anzuschauen, fuhr Paul schließlich fort: "Als ich dich endlich aufgespürt hatte, dachte ich, du würdest mir um den Hals fallen, und wir könnten endlich Zusammensein. Doch du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben, und ich bin wütend zurückgefahren. Danach war ich zehn Tage geschäftlich unterwegs und habe gehofft, du hättest über alles nachgedacht und wärst bereit nachzugeben. Es hat eine Zeitlang gedauert, bis ich begriffen habe, daß du mir nicht entgegenkommen würdest. Deshalb habe ich mir eine Einladung zu Flints und Auras Weinpräsentation besorgt." "Haben sie sich gefreut, dich wiederzusehen?" fragte Jacinta. Er nahm ihre Hand in seine und hielt sie fest. "Ich glaube, wir können wieder gute Freunde werden, worüber ich mich sehr freuen würde, denn ich habe beide vermißt. Und dich habe ich nicht nur vermißt, sondern mich die ganze Zeit nach dir gesehnt. Letzte Nacht bin ich am Strand entlanggewandert, weil ich wieder einmal nicht schlafen konnte. Ich wurde die Erinnerungen nicht los, wie wir uns geliebt haben. Sogar deinen geheimnisvollen und verführerischen Duft glaubte ich wahrzunehmen, und ich konnte die Sehnsucht und das wahnsinnige Verlangen kaum noch ertragen." "Ja, ich weiß, wie es ist. Man hat das Gefühl, einen Teil von sich selbst verloren zu haben und in einer entsetzlichen Leere zu leben", sagte sie. Paul zog sie an sich, und sie fühlte sich geborgen in seiner liebevollen Umarmung. "Das wird uns nie wieder passieren", versprach er ihr. "Nie wieder, mein wunderbarer Liebling, das schwöre ich dir."
10. KAPITEL Jacinta McAlpine schlüpfte in das lange, enge Kleid aus goldfarbener Seide und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Haar, das sie auf dem Kopf zusammengesteckt hatte, glänzte im warmen Licht, das die Lampe verbreitete. Sie wußte, daß sie gut aussah. Noch vor einem Jahr hätte sie nicht den Mut gehabt, dieses Kleid zu tragen, denn es war ziemlich gewagt und zeigte sehr viel Haut. Aber vor einem Jahr war sie erst sechs Monate verheiratet gewesen und hatte noch große Mühe gehabt, sich so zu sehen, mit welchen Augen Paul sie sah. Jetzt wußte sie, daß ihr die warmen, intensiven Farben, die an Sonnenuntergänge erinnerten, gut standen. Sie kam sich auch nicht mehr ungeschickt vor, sondern bewegte sich mit einer natürlichen Anmut und strahlte Selbstbewußtsein aus. Man spürte, sie wurde geliebt und war glücklich. "Bist du fertig, mein Liebling?" Paul kam aus dem Schlafzimmer und blieb auf der Türschwelle stehen. "Du siehst aus wie ein in üppigem Glanz strahlender Sommertag", sagte er und schaute sie bewundernd an. "Wir sind ein gutaussehendes Paar", erwiderte sie und rückte seine Fliege zurecht. "Abendanzüge passen besonders gut zu deinem Haar und deinen Augen", fügte sie weich hinzu und berührte leicht seine Lippen. "Ja, ich bin fertig."
"Noch nicht ganz." Er zog die Hand hinter dem Rücken hervor, und Jacinta sah die Kette. "Dreh dich um", forderte er sie auf. Die Goldkette mit den funkelnden Steinen war wunderschön. Paul legte sie ihr um den Hals und umfaßte ihre Schultern. "Paul, du verwöhnst mich. Das sind ganz phantastische Steine. Was sind es für welche?" Jacinta lehnte sich an ihn und betrachtete sie beide im Spiegel. Paul war wie ein Fels in ihrem Leben, weil seine dynamische Stärke, seine Energie und seine Liebe zum Risiko gepaart waren mit außergewöhnlicher Selbstbeherrschung. "Padparadscha-Saphire", antwortete er. "Es ist ein singhalesisches Wort und bedeutet Lotosblume. Die Steine passen gut zu dir, an deinem schlanken Hals wirken sie wie kleine Flammen." Da sie ihm etwas Wichtiges sagen wollte, schob sie seine Hände bis zu ihrer Taille hinunter und hielt sie fest. "Heute habe ich einen Anruf aus Amerika bekommen." "Aus Amerika?" wiederholte er und küßte ihre nackte Schulter. Dann hob er den Kopf. "Ja." Sie begegnete seinem Blick im Spiegel. "Von dem Verlag, dem ich das Manuskript geschickt habe. Paul, sie wollen den Roman herausgeben." "Ich habe es doch gewußt", triumphierte er. "Ich habe immer gewußt, daß du es eines Tages schaffst. Wann?" "Soweit ich weiß, einige Monate nachdem unser Baby zur Welt gekommen ist", erwiderte sie sanft. Sekundenlang schwieg er. "Ich wußte nicht, daß du schwanger bist", sagte er schließlich. "Ich bis heute auch nicht. Freust du dich nicht?" "Wenn ich dich anschaue, habe ich das Gefühl, daß du alles bist, was ich mir jemals erträumt habe." Er legte die Arme fest um sie. "Ich bin begeistert, entzückt, hingerissen, fühle mich wie in einem Rausch, aber das alles drückt noch nicht aus, was ich
wirklich empfinde. Ich fühle mich wie im siebten Himmel vielleicht ist das die beste Beschreibung." Er drehte sie zu sich um und küßte sie erst sanft und zärtlich, dann immer leidenschaftlicher, bis sie beinah keine Luft mehr bekam. Gut, daß ich noch keinen Lippenstift aufgetragen hatte, dachte sie wie betäubt. Und danach dachte sie lange Zeit gar nichts mehr. Sie hatte oft gehört, daß allzu große Vertrautheit zu Geringschätzung und Abnutzungserscheinungen führen würde. Aber die achtzehn Monate ihrer Ehe hatten ihr das Gegenteil bewiesen. Jacinta erbebte immer noch insgeheim vor Glück und leidenschaftlichem Begehren, wenn sie ihren Mann ansah. Sie liebten sich zärtlich und innig, aber auch wild und ungestüm, immer wieder war es eine stürmische Vereinigung ihrer Körper und Seelen. "Wie fühlst du dich?" fragte Paul später. "Großartig. Sollen wir es allen erzählen, oder soll es unser Geheimnis bleiben?" Er lachte. "Mein Liebling, das überlasse ich dir." Er küßte sie aufs Haar. "Ich liebe dich", sagte er mit fester Stimme. "Du hast mich verzaubert." Jacinta seufzte. "Wenn Aura und Flint nicht die Auszeichnung feiern würden, die man ihnen für ihren Wein verliehen hat, würde ich lieber mit dir zu Hause bleiben. Aber eines Tages sollen sie auch mit uns das Buch feiern, deshalb laß uns jetzt gehen. Sobald wir wieder zu Hause sind..." Hand in Hand machten sie sich auf den Weg.
- ENDE