Timothy Stahl
SKLAVIN DES LICHTS Türkei, am Fuße des Berges Ararat Mein eigener Schrei stürmte als weitere Marter von a...
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Timothy Stahl
SKLAVIN DES LICHTS Türkei, am Fuße des Berges Ararat Mein eigener Schrei stürmte als weitere Marter von allen Seiten auf mich ein. Aber er war ein Nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der in mir tobte! Etwas wie ein unsichtbares Eisen wurde mir von Geisterhand in den Leib getrieben und schien jede Faser meines Körpers in weißer Glut zu verzehren. Längst war ich zu Boden gestürzt. Ich wälzte mich brüllend im Staub. Jemand, der zur Gänze Mensch war, mußte an dieser Qual unweigerlich zugrunde gehen. Ich wünschte mir in diesen endlosen Augenblicken nichts sehnlicher, als daß mein vampirisches Erbe mich nicht länger vor dem Tod - der Erlösung! - geschützt hätte.
Der Gestank des Blutes und der Toten ringsum vermochte Faysal Yilmaz den Appetit nicht zu verderben. Seine fettigen Finger griffen nach dem nächsten Stück gebratenenen Hammelfleisches, während seine Männer noch immer jedes einzelne Zimmer des Gehöfts nach etwas Brauchbarem durchwühlten. Und brauchen konnten sie beinahe alles - Werkzeug, Wertsachen, Lebensmittel und vor allem natürlich Geld. Sie konnten es einsetzen im Kampf gegen die Unterdrückung ihres kurdischen Volkes in der Türkei. Ein unabhängiges Kurdistan war ihr eigentliches Ziel. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg, der gesäumt sein würde von Gewalt, Leid und Tod. Wie bisher. Wie heute. Das Anwesen der Familie Gordion glich einem Schlachtfeld, in das Yilmaz und seine Anhänger es über Nacht verwandelt hatten. Die Droge, mit der sich die Bande für den Überfall >vorbereitet< hatte, konnte nicht allein die Erklärung für ihr brutales Vorgehen sein. Vielmehr schlug Fanatismus sie mit einer Blindheit, die sie ihre Greueltaten kaum mehr begreifen ließ. Im Hause der Bauernfamilie hatte an diesem Tag ohnehin Blut fließen sollen. Ein bißchen allerdings nur. Mit der Beschneidung seines Gliedes sollte der jüngste Sproß zum Mann gemacht werden. Und dieser heilige Brauch wurde gefeiert wie eine Hochzeit. Faysal Yilmaz und seine Bande hatten ein Blutfest von unvorstellbarem Ausmaß daraus gemacht! Denn das Haus der Gordions war schon in 4
der Nacht voller Gäste gewesen, von denen keiner das Massaker überlebt hatte. Nur ein paar Frauen waren mit einem etwas verzögerten Tod zusätzlich gestraft worden... Hätte nicht der große Tag des jüngsten Sohnes angestanden, wären die kurdischen Terroristen kaum über das Gehöft hergefallen, da die Gordions beileibe nicht wohlhabend waren. Die Aussicht auf die teuren Geschenke, die bei solch einem Fest überreicht wurden, hatte die Mörderbande jedoch zusätzlich zu der Abgeschiedenheit des Anwesens gelockt. »Wir haben alles verladen«, riß eine Stimme Yilmaz aus seinen Gedanken. Kani, ein junger Bursche, dem kaum das erste Barthaar wuchs, dessen Augen aber schon mehr Gewalt gesehen hatten als die der meisten älteren Männer, stand so aufrecht neben Yilmaz, wie sein drogenzerfressener Verstand es gerade noch zuließ. »Seid ihr sicher, daß ihr nichts übersehen habt?« fragte der Bandenführer mit vollem Mund. Die Schwere seiner Zunge ließ das Schlucken zum Kraftakt und Kunststück gleichermaßen werden. Kani nickte lahm. »Gut«, meinte Faysal Yilmaz. Seine Hand knetete nachdenklich das fast taube Gehänge in seinem Schritt, während sein Blick auf den beiden blutbefleckten Mädchen ruhte, die mit starren Augen in einer Ecke der Küche lagen. »Vielleicht sollte ich mir noch ein bißchen Spaß gönnen, bevor wir verschwinden«, murmelte er. »Keine sch-schlechte Idee«, pflich-
Lilith Eden - Tochter eines Menschen und einer Vampirin. 98 Jahre lag sie schlafend in einem lebenden Haus in Sydney, doch sie ist vor der Zeit erwacht. Nun kämpft sie gegen die Vampire, die in ihr einen Bastard sehen, bis sie sich ihrer Bestimmung bewußt wird. Der Symbiont - Ein geheimnisvolles Wesen, das Lilith als Kleid dient, obwohl es fast
jede Form annehmen kann. Der Symbiont ernährt sich von Vampirblut und verläßt seine Wirtin bis zu deren Tod nie mehr. Landru - Mächtigster der alten Vampire. Seit 268 Jahren jagt er dem Lilienkelch nach, dem Unheiligtum der Vampire, der ihm damals von Felidae gestohlen wurde. Felidae - Vampirin im Auftrag einer geheimnisvollen Macht, die Liliths Geburt in die Wege leitete und damit einen Plan verfolgt, der die Welt der Menschen und Vampire verändern wird. Beth MacKinsey - Gleichgeschlechtlich veranlagt, hat sich die Journalistin in Lilith verliebt und ist zur Zeit deren einzige Gefährtin im Kampf gegen die Vampire.
Der schier endlose Korridor unter der Wüstenstadt Uruk führt in vergangene Epochen, die bedeutsam waren für das Vampirgeschlecht. So erfahren Duncan Luther und George Romano, die den Gang beschreiten, daß im alten Ägypten der Pharao Echnaton von der Vampirin Nofretete mittels Lilienkelch zum Blutsauger gemacht wurde, um eine große Gefahr in eine unterirdische Pyramide einzukerkern: den Nexius, ein amorphes Monstrum, das einst dem Kelch entsprang. Und sie erfahren von einer »Dunklen Arche«, die dazu diente, auch die Vampire die Sintflut überleben zu
lassen. Als Luther und Romano beim Bau der Arche umkommen, finden sie sich in Uruk wieder - am Ende des Korridors! Felidae langt im Uruk der Gegenwart an, wo das LICHT ihr eine Vision schickt: Landru wird noch vor Lilith hier eintreffen und deren Mission gefährden! So wird es notwendig, ein Ablenkungsmanöver zu starten. Lilith erhält den Auftrag, den Nexius zu befreien! Doch Grabräuber wurden auf die unterirdische Pyramide aufmerksam und sind dabei, sie zu öffnen. Landru will dies verhindern, kommt aber zu spät: Die amorphe Masse ist erwacht und wütet gnadenlos unter den Eindringlingen. Bei ihr ist eine junge Frau: Nofretete, die damals zusammen mit dem Nexius eingeschlossen wurde! Sie ist es auch, die Liliths
Duncan Luther & George Romano - Zwei Plan letztlich vereitelt. Der Halbvampirin geTote, die Liliths Keim in sich tragen. Sie lingt es zwar, den Eingang hinter Landru zu haben einen Tunnel in Uruk/Irak freigelegt schließen, doch Nofretete kennt eine Möglichund folgen ihm nun. An seinem Ende soll keit zur Flucht. Mit knapper Not gelingt es, sich bald Liliths Bestimmung erfüllen. den Nexius wieder in seinen unterirdischen Die Vampire - Noch kennt niemand ihre Kerker zu bannen. Landru läßt Nofretete bei wahre Herkunft,doch sie leben seit Urzeiten der Kairoer Vampirsippe zurück. Er ahnt nicht, neben den Menschen in Sippen zusammen. daß in ihr ein Teil des Nexius lebt, der eine Symbiose mit der Königin einging... Um einen neuen Vampir zu schaffen, muß ein Menschenkind schwarzes Blut aus dem Lilith ist unterdessen in der Türkei angelangt, Lilienkelch trinken. Der Kodex verbietet wo sie im Ararat-Gebirge ein eiförmiges Gebilde namens »Agrippa« bergen soll, das für Vampiren, sich gegenseitig umzubringen. ihre Bestimmung vonnöten ist. Im »Dunklen Die Dienerkreaturen - Tötet ein Vampir Dom« findet sie das steinerne Ei - und stößt einen Menschen mit seinem Biß, wird dieser auf die bislang unerweckten Kelchhüter, deihm nicht ebenbürtig, sondern eine Kreatur, nen auch Landru angehörte. Sie waren die die dem Vampir bedingungslos gehorcht. Vampire, die damals die Sintflut überlebten! Ihrerseits kann eine Dienerkreatur den Vam- Mit der Agrippa hofft Lilith die Macht, die pirkeim nicht weitergeben und wird - anders hinter allem steht, zu klaren Aussagen zu als die Ur-Vampire - mit zunehmendem zwingen, doch als sie versucht, das LICHT zu erpressen, kommt Schmerz über sie... Alter immer lichtempfindlicher.
tete Kani seinem Führer lallend bei. Im gleichen Moment drang ein entsetzlicher Schrei an ihre Ohren. Yilmaz tappte mit schweren Schritten zum Fenster und sah hinaus. In einiger Entfernung reckte der Große Ararat sein ewig schneebedecktes Haupt in den morgengrauen Himmel. Doch dafür hatte der Killer keinen Blick. »Sieht so aus, als wäre uns noch eine ganze Menge Spaß gegönnt«, griente er dann, bevor er sich seine Kalaschnikow schnappte und Kani bedeutete, ihm zu folgen. Die schwarzhaarige Schönheit, die sich schreiend im Staub wand, konnte ihnen allen noch den Tag versüßen. Und irgendwo, ganz weit hinten in seinem drogenzertrümmerten Denken glaubte Faysal Yilmaz so etwas wie eine offene Rechnung zu entdekken, die er mit diesem Biest da draußen noch zu begleichen hatte.
Als ich die müde klingenden Schritte hörte, wußte ich nicht, wer da auf mich zukam. Aber ich hatte allenfalls eine Ahnung davon, was auf mich zukam. Zwischen den weißglühenden Schmerzwogen, die mein Bewußtsein überschwemmten, wurden Bilder hochgespült. Erinnerungen, die erst wenige Stunden alt waren, die aber auch dann noch frisch gewesen wären, wenn ich sie schon vor langer Zeit gesammelt hätte. Denn Eindrücke von solcher Grausamkeit würden nie verblassen. Nicht 6
in jemandem, der auch nur einen Funken Menschlichkeit in sich trug...
Mein inneres Auge sah den toten Jungen und vor allem das in seinem Blick auf ewig konservierte Grauen, das er in den letzten Sekunden seines jungen Lebens empfunden hatte, unmittelbar bevor sie ihm die Kehle durchgeschnitten hatten. In meinem Kopf wurden die Schüsse wieder laut, die in der Nacht durch das Haus der Gordions gepeitscht waren, in dem ich auf meinem Weg zum Dunklen Dom Zwischenstation gemacht hatte. Schüsse, denen wie verfälschte Echos die Todesschreie aus einem Dutzend und mehr Kehlen gefolgt waren. Das Scheusal, das den Jungen abgeschlachtet hatte, hatte ich gerichtet und dann dieser Orgie des Grauens den Rücken gekehrt; nicht zuletzt, weil ich mir selbst keine Chance gegen die schwerbewaffnete Horde ausgerechnet hatte. Ich zweifelte nicht daran, daß keiner der Familie oder von den Gästen das Gemetzel überlebt hatte. Denn ich erinnerte mich der beklemmenden Totenstille, die mir auf meinem Rückweg hierher aufgefallen war, bevor der Schmerz mein Empfinden für alles andere ausgelöscht hatte.* Daß die Mörderbande sich aber immer noch hier aufhielt, damit hatte ich nicht gerechnet. Doch der unverändert wütende Schmerz ließ mir ohnehin kaum Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen dieser Umstand für mich haben konnte. Ich erfuhr es früh genug. Wenn ich auch die Worte, die jetzt gesprochen wurden, kaum verstand. * siehe VAMPIRA 44 >Das Strafgericht
tankenLiliths Opfer
direkten Konfrontation< gekommen war, die Macht dahinter - eine Kraft von solch fühlbarer Urgewalt, daß Beth sie schlichtweg zu allem fähig hielt.
Das LICHT schien bisher nur mit ihr zu spielen. Möglicherweise versuchte es auch, sie zu zermürben, ihren Widerstand aufzuweichen. Aber vielleicht wartete es auch einfach nur. Wie Beth. Im Warten erschöpfte sich ihre einzige Beschäftigung, während sie dalag. Zum Verlassen des Raumes fehlten ihr die Kraft und der Wille. Wenn sie auch nur daran zu denken begann, aus dem Zimmer zu gehen, um sich in der Mission umzusehen, zerfaserte der bloße Ansatz des Wunsches auf seltsame Weise, so daß sie sich noch nicht einmal darüber wundern konnte. Und so tat sie also nichts anderes, als zu warten - auf Lilith, die Beth vor einiger Zeit in die Obhut dieser koptischen Mission im Stadtteil ElKalifa gegeben hatte. Denn nur an einem Ort wie diesem wähnte sie ihre Freundin sicher vor weiteren Nachstellungen der Kairoer Vampirsippe. Den Leiter der Mission, Pater Greorgius, hatte Lilith dahingehend beeinflußt, daß er sich bis zu ihrer Rückkehr um Beth' Genesung kümmerte, sie pflegte - und ansonsten weder neugierige Fragen stellte noch sonst etwas unternahm, das Aufsehen hätte erregen können*. Mittlerweile wartete Beth nicht einfach nur auf Liliths Rückkehr. Sie sehnte sie förmlich herbei. Sie rief lautlos nach ihr. Aber ihre stummen Schreie blieben unbeantwortet. Doch die Stärke ihres Wunsches, Lilith möge endlich zurückkommen, beantwortete für Beth etwas anderes - eine Frage, die sie sich in den vergangenen Monaten hundertmal und * siehe Vampira 43 >Die ewige Königin
investierteabgezwackt< hatte. Jetzt wollte er nur noch kurz bei Pater Greorgius vorbeischauen, ehe er sich auf den Heimweg machte. Eine Mütze voll Schlaf konnte er nach dem anstrengenden Krankenhausdienst ebenfalls gebrauchen, bis er sich wieder in den berufsmäßigen Kampf um Leben und Tod stürzte. Vor der Tür zu Pater Greorgius' Kammer, die fast am Ende des Korridors lag, blieb der Arzt stehen. Er hatte schon die Faust erhoben, um anzuklopfen, als er einen Moment lang völlig ernsthaft überlegte, ob er am Ende nicht schon schlief. Und träumte. Natürlich hatte er schon Geräusche wie diese gehört. Schließlich genoß er selbst gern die Fleischeslust, und sein verheirateter Sohn, der mit seiner Frau noch im Elternhaus wohnte, schlug zumindest in dieser Beziehung sehr seinem Vater nach. Aber Alschwehe hätte nie und nimmer erwartet, solche Laute jemals an einem Ort wie diesem zu vernehmen. Schon gar nicht in dieser Lautstärke. Und am allerwenigsten aus der Kammer des Paters! Ehe es ihm richtig bewußt wurde, ließ Ismail Alschwehe die Hand sinken und legte sie auf die Klinke. Bevor er es verhindern konnte, öffnete er die Tür. Nur einen Spalt breit. Aber weit genug, um Pater Greorgius sehen zu können - der im Umgang mit Schwester Eman selbst den allergeringsten Rest 23
an Priesterwürde vermissen ließ! Als Ismail Alschwehe den Korridor hinunterrannte, wußte er schon nicht mehr, ob er die Tür nun leise geschlossen oder zugeschlagen hatte. Es war ihm auch völlig egal. Er mußte nur schnellstens das Örtchen am anderen Ende des Flurs erreichen, bevor es zu spät war und sich sein Ekel und seine Erschütterung über das Gesehene und doch Unglaubliche schon hier freie Bahn brachen. Als der Arzt schließlich mit dem Kopf über dem stinkenden Loch in der rohen Holzbank lehnte, revoltierte zwar sein Magen, aber es tropfte nur gallbitterer Speichel über seine Lippen. Und wie von Geisterhand fortgewischt verschwand das Bild aus Pater Greorgius' Kammer hinter seiner Stirn. Ein anderes erschien an seiner Stelle. Eines, das Alschwehe mehr fürchtete als alles andere und das er am liebsten für immer vergessen hätte. Aber er wußte, daß er es nie würde auslöschen können. Daß er damit leben mußte. Bis zum Ende. Eine wahre Flut von Eindrücken ergoß sich in das plötzlich entstandene Vakuum zwischen seinen Schläfen. Er preßte die Lider aufeinander, doch die Bilder flimmerten über die Innenhäute wie über winzige Leinwände. Bilder von einer der größten Katastrophen, die Kairo je heimgesucht hatten. ' Das Erdbeben, bei dem vor einigen Jahren so viele Menschen ihr Leben verloren hatten. Und bei dem auch Ismail Alschwehe gemeint hatte sterben zu müssen. 24
Als er bei den Bergungsversuchen selbst verschüttet worden war und endlose Stunden in beklemmendster Enge seiner Befreiung hatte harren müssen. Seitdem flößten ihm Räume, die kleiner als sechs Quadratmeter waren, panische Angst ein. Jedes Zimmer seines eigenen, neugebauten Hauses verfügte über mehr als großzügige Abmessungen. Selbst in seinem Bad hätte eine zehnköpfige Familie Platz gefunden, ohne sich gegenseitig in der Intimsphäre zu stören. Ismail Alschwehe haßte winzige Räume! Räume wie diese kaum quadratmetergroße Toilette, deren Wände unvermittelt auf ihn zurückten wie die einer Müllpresse! In den ersten drei Sekunden beinahe quälend langsam - und dann plötzlich rasend schnell! »NEIN!!!« Es wäre wohl normal gewesen, wenn Ismail Alschwehe im allerletzten Atemzug seines Lebens an seine Familie gedacht hätte. Oder wenigstens an Freunde oder Kollegen. Oder an einen besonderen Fall seiner beruflichen Laufbahn... Statt dessen dachte er an die seltsame Patientin namens Beth MacKinsay. Und starb.
»Oh, Pater, Ihr wißt wahrlich Wunder zu wirken!« Schwester Eman jauchzte, und in
ihren nachtfarbenen Augen brannten kleine Feuerwerke ab, als sich Pater Greorgius zum dritten Mal in sie ergoß und die Lava des in seinen Lenden eruptierenden Vulkans ihr Innerstes schier entflammte. Mit einem Seufzen, das nicht aus Erschöpfung geboren wurde, zog sich der grauhaarige Pater aus ihr zurück. Er war eisern entschlossen, binnen kürzester Zeit all das nachholen, dem er in den sechzig Jahren seines Lebens entsagt hatte. Denn wer wußte schon, wie lange sie noch in ihm wirken würde - diese Kraft, die alle Hemmschwellen überschwemmte und jede Barriere, die ihn bislang von allem allzu Weltlichen ferngehalten hatte, mit kalter Glut niederbrannte. Schwester Eman unterstützte ihn in seinem Vorhaben nach Kräften. Mit der rechten Hand umfaßte sie seinen noch immer strammen Schaft und verhinderte mit massierenden Bewegungen, daß er sich schon jetzt zur Ruhe legte. Mit den Fingern der Linken preßte sie die Nippel ihrer festen Brüste und entlockte sich selbst kleine Laute, die zwischen süßem Schmerz und Wollust pendelten. Einen Moment lang überlegte Pater Greorgius, ob er nicht Schwester Amira hinzurufen sollte. So sehr ihn Emans wunderschöner, samtener Mädchenkörper auch beglückte, so gelüstete ihn doch nach Abwechslung. Denn seit ihrem Treiben in wilder Dreisamkeit vor einigen Nächten wußte Greorgius, daß Frau nicht gleich Frau war. Im Vergleich zu Eman war Amira geradezu schmal gebaut. Während er sich in Eman wild und rücksichtslos bewegen konnte, verlangte das Eindringen in Amira Behutsamkeit,
wollte er ihr nicht wehtun. Trotzdem er sich ihres Körpers vorsichtig bemächtigt hatte, schien Amira noch nicht einmal einen Teil der Lust zu empfinden, wie es Eman tat. Noch jetzt erinnerte sich der Pater daran, daß er hinter dem tränenfeuchten Schleier in Amiras Augen etwas wie Ablehnung und Widerwillen, fast Ekel gesehen hatte. Ihre Schreie schienen nicht Echo der in ihr pochenden Lust zu sein, sondern bloßes Blendwerk. Offenbar wirkte das Lustweckende in Amira nicht in dem Maße, wie es bei ihm und Eman geschah. Warum Pater Greorgius gerade jetzt an die Frau namens Beth MacKinsay denken mußte, die in erster Linie von ihm und Schwester Eman betreut wurde, wußte er nicht... Es blieb ihm auch keine Zeit, dem Gedanken länger nachzugehen. Eman zog all seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war zu ihm gekrochen und setzte mit den Lippen fort, was sie mit der Hand begonnen hatte. Kurz bevor er die nächste Explosion in sich aufsteigen fühlte, drückte der Pater Emans Kopf sanft zurück. Er drängte sie auf den Rükken, kniete sich über sie und ließ sein Glied im Tal ihres Busens auf und ab wandern. Nachdem er jede andere Stelle ihres Körpers bereits mit allen Sinnen erforscht hatte, war ihm nun nach dieser Art der Befriedigung. Aber noch ehe er sich zwischen Emans milchkaffeefarbene Brüste verströmen konnte, hielt Pater Greor25
gius inne. »Was ist? Warum hört Ihr auf?« fragte Eman verwundert. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr zu schweigen. Dann konnte auch sie hören, was Greorgius schon zuvor vernommen hatte. Schreie. Geboren in höchster Not. In - Todesangst? »Meine Güte!« entfuhr es dem nackten Mädchen. »Das klingt wie...« »... Ismail Alschwehe«, ergänzte Pater Greorgius tonlos. Er saß ab und schlüpfte in seinen zerschlissenen Morgenmantel. Dann verließ er die Kammer und folgte den Schreien zum Ende des Flurs hinab. Eman ging ihm nach, ihre Blöße mit einem Laken bedeckend. Greorgius erkannte die Stimme hinter dem panischen Brüllen nun tatsächlich als die des befreundeten Arztes. Doch sie verstummte, ehe er und Eman den winzigen Toilettenraum am jenseitigen Ende des Korridors erreicht hatten. Trotzdem öffnete der Pater die Tür und sah hinein. Über die rückwärtige Wand des Kämmerleins zog sich eine aus Brettern gezimmerte Bank mit einem Loch darin, daneben lag eine Stapel alter Zeitungen zur Säuberung. »Nichts«, faßte Greorgius seinen Eindruck in ein einziges Wort. Schwester Eman sah an seiner Schulter vorbei. »Vielleicht haben wir uns getäuscht«, meinte sie. »Wahrscheinlich«, erwiderte der Pater und zog die Tür zu. »Wo waren wir stehengeblieben?« Emans fordernde Hand half seiner Erinnerung umgehend auf die Sprünge. 26
Hätte nicht der Nachhall der Lust ihrer beider Sinne noch getrübt, wäre ihnen vielleicht die unnatürliche Maserung der hölzernen Bank aufgefallen. Die dunkelbraunen Linien im Holz schienen die Silhouette eines knienden Mannes nachzuzeichnen. Eines Mannes, der vor Sekunden noch Ismail Alschwehe gewesen war.
Scheinbar gleichgültig wie ein Notschlächter, der schlimmeren Gestank als diesen gewohnt war, fuhr Beth in dem Tun, das nicht das ihre war, fort. Ihre Hände wischten über den im LICHT in Sekundenschnelle verwesten hölzernen Leib und nahmen den leuchtenden Schleim auf, der wiederum in den Poren ihrer Haut versikkerte. Dabei spürte sie, wie sich das Material, aus dem Kreuz und Figur geschaffen waren, verändert hatte. Es fühlte sich mürbe an, schien formbar geworden zu sein und war zugleich rissig und heiß wie gekochter Teer. Jemand kommt. Die Warnung tauchte direkt in ihrem Bewußtsein auf, wie hineingepflanzt. »Was jetzt?« hörte Beth sich selbst leise fragen. Es ist niemand, der uns wirklich schaden könnte. Er wird nicht beunruhigt sein, wenn er dich schlafend im Bett vorfindet. Es wird ihm nicht auffallen, daß das verfluchte Symbol an der Wand fehlt. Tue folgendes... Beth lauschte dem lautlosen Auftrag, der in ihrem Inneren entstand,
und schickte sich an, ihn auszuführen. Mit vier Nägeln war der nun wirklich tote Körper ans Kreuz geschlagen. Zwei steckten in den Handflächen, die beiden anderen in den Risten der Füße. Der Eindruck, sich selbst von außerhalb zu beobachten und zugleich mit den eigenen Augen zu sehen, wurde für Beth wieder stärker. Und ein paar Sekunden später war sie regelrecht froh darüber, daß sich der größere Teil ihrer Wahrnehmung in diesen Momenten auf ihr reduziertes, aus dem Körper verbanntes Selbst konzentrierte. Denn so blieb ihr der schlimmste Schmerz erspart. Beth sah ihren Händen dabei zu, wie sie sich an den Nägeln zu schaffen machten. Wie ihre Fingerspitzen sich um die Köpfe der starken Metallstifte schlössen und sie mit kleinen ruckenden Bewegungen aus dem verfaulten Holz zogen, einen nach dem anderen. Der weitaus unangenehmere Teil folgte noch. Selbst unter der Knute der uralten Macht, die alle Kontrolle über sie an sich gerissen hatte, zögerte Beth einen winzigen Augenblick, es tatsächlich zu tun. Aber es mußte sein. Und sie konnte sich ohnehin nicht wirklich dagegen wehren. Das LICHT verstärkte seinen kaltglühenden Griff um das, was einst ihren eigenen Willen ausgemacht hatte. Beth legte drei der Nägel auf dem Bett ab und setzte die Spitze des verbliebenen an die Haut, die sich wachsbleich über ihren Handrücken
spannte. Ein großer Blutstropfen trat an der Stelle hervor wie eine rote Perle. Es tat nicht einmal wirklich weh, als Beth sich den fast fingerlangen Nagel Millimeter um Millimeter unter die Haut schob. Sie spürte nur ein unangenehmes Ziehen. Beinahe unangenehmer war da das ledrige Schaben, mit dem die Haut an der Einstichstelle über das Metall streifte und das seltsam laut in ihren Ohren klang. Kaum hatte sich der Nagel bis zum Kopf in ihr Fleisch gebohrt, merkte sie, daß etwas mit dem Metall geschah. Ihr vom LICHT durchsetztes Blut reagierte darauf, tat etwas damit. Ein feines Kribbeln entstand an dieser Stelle, als konzentrierte sich dort etwas wie Elektrizität. Als würde der Nagel aufgeladen. Den zweiten Nagel trieb sich Beth auf gleiche Weise ins andere Handgelenk. Die beiden übrigen schob sie sich unter die dünne Haut ihrer Fußrücken. Dann verstaute sie das morsche Kreuz und die rissige Figur unter dem Laken, bevor sie sich selbst ins Bett legte und die Augen schloß. Einen Atemzug, bevor die Tür ihres Zimmers geöffnet wurde.
»Amira?« 27
Sarifs Stimme verwehte in den düster-flackernden Schatten des Kerzenlichts, das den Raum zu füllen suchte. Er erhielt keine Antwort, hörte nur den flachen Atem der blonden Frau mit den europäischen Gesichtszügen, die reglos im Bett lag. Irgend etwas irritierte Sarif in dem Zimmer, das ihm so vertraut war wie jeder andere Raum der kleinen Mission. Ihm war, als fehlte etwas darin. Doch ehe er sich näher damit befassen konnte, hatte er die Tür auch schon wieder geschlossen, und der seltsame Gedanke blieb dahinter zurück. Seltsam erschien ihm manches in dieser Nacht. Eigentlich alles sogar. Es hatte bereits draußen begonnen, noch bevor er die Baracke betreten hatte. Sarif hatte sich auf unbestimmte Weise gewarnt gefühlt und im gleichen Zuge hingezogen. Als wäre er ein Stück Eisen, das zwischen die ungleichen Pole eines Magneten geraten war. Letztlich hatte er das Missionsgebäude natürlich doch betreten, nicht zuletzt deshalb, weil er sich selbst einen Narren schalt wegen seiner eigenartigen Eindrücke. Doch der Merkwürdigkeiten war auch noch kein Ende, als er schließlich in das schlichte Gebäude aus Wellblech, Holz und rohem Stein eintrat. Aus jedem Winkel schien ihm hier das seltsame Fluidum, das er schon draußen gespürt hatte, entgegenzuströmen. Aber das ließ sich mit etwas Selbstüberzeugungskraft seiner überreizten Phantasie zuschieben. Eine unverrückbare Tatsache da28
gegen war die unnatürliche Stille in der Mission. Natürlich ging es an diesem Ort nie wirklich laut zu. Aber es waren doch stets Geräusche zu vernehmen - ein Räuspern hinter einer Tür, das Klappern von Geschirr aus der im rückwärtigen Bereich gelegenen Küche oder Stimmen, die irgendwo leise miteinander sprachen. Heute hörte Sarif nichts, außer seinem eigenen Herzschlag, der ihm in dieser gespenstischen Stille überlaut schien, und seinem Atem, der plötzlich seltsam heftig ging. Dabei hatte er durchaus den Eindruck, es wären Geräusche um ihn herum. Doch irgend etwas schien sie zu schlucken, lange bevor sie sein Ohr erreichten. Etwas Unheimliches... »Amira?« Obwohl Sarif überzeugt war, den Namen des Mädchens nur geflüstert oder allenfalls ganz leise gerufen zu haben, kam ihm sein eigenes Wort in dieser Lautlosigkeit wie ein donnernder Ruf vor, der sogar ein unmögliches Echo erzeugte. Niemand und nichts rührte sich. Auch die scheinbare Menschenleere war ungewöhnlich. An vielen Tagen reichte der Platz in der Mission nicht aus, so viele Menschen hofften darauf, hier Hilfe, eine warme Mahlzeit oder einfach nur Zuspruch zu finden. In dieser Nacht allerdings schien es Sarif, als würde jeder, der nicht unbedingt hier sein mußte, die Mission meiden. »Nun reiß dich zusammen«, mahnte er sich zur Vernunft, während er die ersten Türen öffnete. Die Zimmer waren leer bis auf das, in dem die blonde Frau ruhte.
Er hatte die Tür zu Beth MacKinsays Raum kaum zugezogen, als
ein furchtbarer Verdacht in ihm keimte. Die Erinnerung stürzte sich wie ein mordlüsternes Raubtier auf ihn und fraß alle Gedanken, bis nur noch jene übrigblieben, die ihren Ursprung in jener Blutnacht hatten. Hatte sich hier, an diesem von christlichem Denken ganz und gar durchsetzten Ort, etwa Ähnliches zugetragen wie damals in seinem Elternhaus? Hatten die Vampire diese kleine Bastion der lichten Mächte gestürmt, um die Kraft daraus zu tilgen, ehe sie ihnen gefährlich werden konnte? Und hatten sie mit ihrem Biß alle, die hier lebten und arbeiteten, zu ihren Kreaturen gemacht? Auch... »Amira!« Jetzt schrie Sarif wirklich. Er rannte. Bis er Laute hörte, die ihm so schrecklich vertraut waren. Der junge Ägypter sah sich kurz um und machte dann die Tür aus, hinter der die Quelle der Geräusche liegen mußte. Sie drangen aus der Kammer von Pater Greorgius. Ohne zu zögern trat Sarif ein. Heute nacht würde er sich nicht zur Tatenlosigkeit verdammen lassen. Diesmal würde er handeln. Auch wenn das Erbe seines Vaters nicht wirklich in ihm aufgegangen war, so wußte er doch, wie er der Vampirbrut den Garaus machen konnte. Er hatte es mit seiner Schwester Omohid tun müssen, als sie zu ihm gekommen war und um sein Blut gebettelt hatte. Furchtbareres konnte ihm nie widerfahren. Es würde ihm ein Leichtes sein, jeden anderen Blut-
sauger zu entseelen. Nackt lag Pater Greorgius auf seinem Bett. Seinen Widerstand hatte die Vampirin - oder die Kreatur - offenbar schon gebrochen. Jetzt räkelte sie sich ebenso nackt wie der Geistliche auf ihrem Opfer. Selbst von seiner ungünstigen Warte aus konnte Sarif erkennen, daß er offenbar nicht zu spät gekommen war. Die Kreatur schien den Pater noch nicht gebissen zu haben. Noch spielte sie nur mit der Zunge an der Stelle seines faltigen Halses, in die sie gleich gierig ihre Zähne stoßen würde. Sarif sprang vor und bekam die Nackte an den Schultern zu fassen. Mit einem Wutschrei riß er sie von Pater Greorgius herunter und schleuderte sie quer durch den Raum. Erst jetzt sah er, mit wem er es zu tun hatte. Für Schwester Eman kam seine Hilfe demnach zu spät. Er konnte sie nur noch erlösen. »Sarif, was...?!« Den Schrecken und das Nichtverstehen in ihren nachtschwarzen Augen deutete Sarif als Zorn. Sie würde sich auf ihn stürzen, um sich erst an seinem Blut zu laben, bevor sie sich endgültig dem Pater widmete. Aber er würde es nicht zulassen. Furchtlos trat Sarif der Missionsschwester entgegen und schlang wie hundertmal geübt Arme und Hände um ihren Kopf. Mit einem kräftigen Ruck brach er ihr Genick und ließ sie zu Boden gleiten. Auf den Wandel des verzerrten Ausdrucks auf ihrem Ge29
sieht in ein friedliches Lächeln wartete er allerdings vergebens. Statt dessen spürte er die Berührung einer zitternden Hand an seiner Schulter und hörte die Stimme des Paters dicht hinter sich: »Mein Sohn, was hast du getan?« Sarif drehte sich um und fragte voller Verwunderung: »Was ich getan habe? Ich habe Euch gerettet, Pater!« Pater Greorgius sah hinab auf sein Geschlecht, das jetzt müde und welk zwischen seinen Beinen hing, und wiederholte: »Mich gerettet?« Und nach einer kleinen Weile ergänzte er: »Ja, vielleicht hast du das tatsächlich.« Dann sank auch er zu Boden. Nicht, weil das Bewußtsein aus ihm floh oder Schmerz ihn überwältigte. Sondern weil sein Körper tagelanger, ungewohnter Höchstleistung endlich Tribut zollen mußte.
völlig erlöschen. Dann, wenn Sarif tatsächlich so tot war, wie er ihm schon jetzt bisweilen schien. Umgebracht entweder von dem, was ihn in seinen Träumen quälte, oder durch eigene Hand, weil er dem stummen Leid nicht länger gewachsen war. Zenhum wünschte sich, daß Sarif mit ihm darüber sprechen würde. Vielleicht würde das allein schon genügen, um ihm über den gröbsten Schmerz - oder was immer ihn auch belastete - hinwegzuhelfen. Aber jedesmal, wenn Zenhum dem Freund anbot zu reden, schien Sarif sein dunkles Geheimnis nur noch ein kleines bißchen tiefer in seiner Seele zu vergraben. Schmerz durchtrennte Zenhums Gedankenkette. Etwas Spitzes senkte sich um einige Millimeter in die Haut unter seinem Kehlkopf. Obwohl die Wunde winzig war, konnte Zenhum den einzelnen kleinen Blutstropfen, der hervortrat, spüren wie glühende Lava. Er riß die Augen auf und sah in ein fremdes Gesicht, das einer Drohung gleich über dem seinen schwebte. Im Zenhum lag mit geschlossenen Augen Blick seines etwa gleichaltrigen auf seinem Deckenlager, aber er fand Landsmannes las Zenhum ein Verallem Bemühen zum Trotz keinen sprechen, das von Tod und allen möglichen Qualen kündete. Schlaf. Zwar hatte er Sarif flachsend ver»Was willst du? Wer bist du? Was abschiedet, doch die Sorge um den habe ich dir getan?« preßte Zenhum Freund wucherte hinter der schein- mühsam hervor. baren Leichtigkeit und hielt ihn »Viele Fragen auf einmal, Freund«, wach. erwiderte der andere leise. »Doch ich Der Blick aus Sarif s Augen wurde will sie dir beantworten, so wie ich mit jedem Mal, das Zenhum ihn aus hoffe, daß du mir Antworten auf die den Alpträumen weckte, stumpfer. meinen geben wirst. Mein Name ist Und irgendwann, vielleicht eines Galim...« nicht einmal mehr fernen Tages, das »Ich kenne dich nicht«, sagte wußte der bärtige Ägypter, würde er Zenhum. Erleichtert registrierte er, 30
daß der andere die Dolchspitze ein wenig zurücknahm, so daß er nicht fürchten mußte, sich durch die bloße Bewegung seines Adamsapfels noch ärger zu verletzen. »Ich weiß«, entgegnete Galim, »und wir hätten uns nie kennenlernen müssen, wenn du nicht einen Mann namens Sarif zu deinen Freunden zähltest.« »Sarif? Was ist mit ihm? Ist ihm etwas zugestoßen?« »Noch nicht«, stieß Galim heiser hervor. In seinen Augen explodierte dunkle Glut. »Was soll das heißen?« »Das heißt, daß ich ihn suche. Und finden werde. Und erst dann wird deinem Freund Sarif etwas zustoßen«, zischte Galim und reckte den Dolch drohend zwischen Zenhums Augen, als wollte er an ihm erst ausprobieren, was er später mit Sarif anzustellen gedachte. »Warum?« fragte Zenhum verwirrt. »Was hat er dir getan?« »Was er mir getan hat, fragst du?« Galim hielt seine Stimme nur mühsam im Zaum, um niemanden zu wecken. »Er hat mir das Liebste genommen, was ich auf Erden besaß. Das Beste, was mir je widerfahren ist.« »Sarif? Das ist...« »... unmöglich, willst du sagen?« geiferte Galim. »Nun, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie Sarif zum Mörder wurde.« »Sarif ist kein Mörder! Du mußt dich irren!« beschwor Zenhum den anderen. »Er war es. Ich habe mir die Suche nach ihm nicht leichtgemacht und alles gewissenhaft überprüft. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Der
Mann, der die Frau getötet hat, die ich liebte, ist dein verdammter Freund Sarif!« Zenhum schwieg erschüttert. Handelte es sich bei dem, was Galim ihm hier mit feuriger Stimme vortrug, etwa um Sarifs Geheimnis? War es diese Last, mit der sein Freund kaum leben konnte? Hatte er sein Gewissen tatsächlich mit einem Mord belastet? Nein! schrie alles in Zenhum. Und doch hatte etwas in Galims Worten, in der Art und Weise seines Sprechens, Zweifel in Zenhum gesät. »Wo steckt der Hund?« fuhr Galim ihn an. Dem Maß seiner Ungeduld nach zu urteilen wiederholte er die Frage bereits zum zweiten Mal. »Er - ist nicht hier«, sagte Zenhum zögernd. »Das sehe ich«, zischte Galim. »Aber du weißt, wo er ist. Ihr lebt wie Brüder hier.« »Ich weiß es nicht«, behauptete Zenhum. »Vielleicht verbirgt sich das Wissen ja tief in dir«, meinte Galim. »Was hältst du davon, wenn ich es suche. Damit!« Zenhum spürte brennenden Schmerz über seine Brust sengen, als ihm Galim kurzerhand die Klinge über seine Haut zog. Tiefer ließ Zenhum den anderen nicht suchen. »Ich bin nicht sicher, ob Sarif dort hingegangen ist«, stieß er hervor, »aber es gibt in Ei-Kalif a eine kopti31
sehe Mission, die er ab und zu aufsucht. Möglicherweise findest du ihn
Es ist an der Zeit. Tue folgendes...
Die lautlose Stimme erklärte Beth, was sie von ihr erwartete. Beth tat es, ohne zu zögern. Wieder wurde sie auf seltsame Weise Zeugin ihres eigenen Handelns. Sie stieg aus dem Bett und schlug die Decke zurück. Dann wartete sie, bis das LICHT erneut wie feiner Nebel aus ihren Fingern kroch und sie schließlich umgab wie phosphoreszierende Handschuhe. Erst jetzt griff sie nach dem armlangen Koptenkreuz. Beth fand ihre Vermutung von vorhin bestätigt: Was früher vom Alter steinhart gewordenes Holz gewesen war, hatte sich verändert, war nun formbares Material. So mußte es auch sein. Schließlich sollte etwas Neues, ganz und gar anderes daraus entstehen. Beth legte die unter dem LICHT aufgedunsene und an zahllosen Stellen geborstene Figur zunächst zur Seite und begann die teerartig weiche und doch noch stabile Masse des Beth MacKinsay verharrte bewe- Kruzifixes zu kneten. Fast schien es gungslos, auch als die Tür sich hin- ihr, als würde etwas darin gegen das ter dem fremden jungen Mann längst LICHT um ihre Hände angehen wolwieder geschlossen hatte. Sie spürte len, doch fehlten ihm die Mittel dazu. die Hitze, die von dem veränderten Das Material gab der Kraft ihrer Material des Kruzifixes ausging, das Hände nur widerstrebend nach, doch sie nach wie vor unter dem Laken als schließlich nichts mehr von der verbarg, und das feine Kribbeln, das ursprünglichen Kreuzform zu erkendort seinen Ursprung hatte, wo die nen war, schwand dieser Widerstand. Dann verbanden Beth' Hände die Nägel unter ihrer Haut steckten und beiden unförmigen Klumpen zu eivon ihrem Blut umspült wurden. nem einzigen. Wieder wartete sie. Nicht mehr auf Liliths Rückkehr. Und schließlich begannen sie daSondern auf weitere Anweisungen je- mit, diesen Laib neu zu formen. Etwas daraus zu machen. ner Macht, die ihren Geist durchglühJemanden... te und ihren Körper benutzte. Wann immer sie ihn brauchte. Jetzt zum Beispiel.
da.« »Gut«, erwiderte Galim, nur etwas besänftigt. »Wenn ich ihn dort nicht antreffe, sehen wir uns wieder. Um uns weiter... zu unterhalten.« Er wischte Zenhums Blut an dessen Deckenlager von der Klinge und steckte den Dolch ein. »Was wirst du mit Sarif tun, wenn du ihn findest?« rief Zenhum dem anderen fast wie von selbst nach, als der schon im Weggehen begriffen war. Er wollte die Antwort im Grunde gar nicht hören. Galim blieb stehen und sah noch einmal auf Zenhum hinab. »Ich werde ihm das Genick brechen. Wie er es mit meiner geliebten Omohid getan hat.
inoffiziell< Er verzichtete dann auf eine Begrüßung und mied tunlichst jede Begegnung mit den Schwestern oder gar dem Pater. Und er kannte sich nach all den Jahren in der Mission gut genug aus, um zu wissen, wie man hier problemlos jedermann aus dem Weg ging. Außerdem wußte er natürlich, wo die Lebensmittelvorräte gelagert wurden, und so konnte er sich ebenso mühelos selbst bedienen. Gewissensbisse bereitete Ahmed seine eigene Vorgehensweise nicht. Und als Diebstahl hätte er sie nie und nimmer bezeichnet! Da war schon seine Gabe vor, für jede Lebenslage und Situation flugs einen Wahlspruch zu ersinnen. Einen wie diesen etwa: »Der Herr hat's gegeben - und der Herr Ahmed hat sich's genommen.« Daß in der Mission in dieser Nacht nicht viel los war, kam Ahmed sehr entgegen. So konnte er es sich sparen, in das Rattenloch zurückzukehren, in dem er sonst zu nächtigen pflegte. Er würde heute gewiß niemandem das Bett wegnehmen, wenn er zum Schlafen hierblieb. Er würde einfach die Schuhe ausziehen, dann merkten die Schwestern noch nicht
einmal, daß in dem Bett überhaupt jemand gelegen hatte. Das Ungeziefer, das er trotzdem hinterlassen würde, war mit bloßem Auge ja kaum zu sehen... Im Obergeschoß des Hauptgebäudes betrat Ahmed ein Zimmer, von dem er wußte, daß es ohnehin selten belegt wurde. Man ersparte den Kranken möglichst die Mühe, die steile Treppe hochzusteigen. Er erkor es nicht zum erstenmal zu seiner vorübergehenden Schlafstatt. Sorgfältig schlug Ahmed das Laken zurück. Dann zog er, wie er sich vorgenommen hatte, die Schuhe mit den beiden aufgerissenen Krokodilsrachen aus und stellte sie pedantisch ans Fußende des Bettes. Ähnlich gewissenhaft drapierte er seine zerschlissene Jacke über die Stuhllehne, bevor er sich endlich mit einem genußvollen Seufzen zurücksinken ließ. Doch der Schlaf wollte ihn in dieser Nacht nicht gewohnt rasch in seine Arme schließen. Statt dessen kreisten, wie er selbst meinte, unsinnige Gedanken durch seinen Kopf. Merkwürdige Empfindungen stürzten sich nun, da er ruhig dalag, in seinen schlichten Geist. »Das Haus des Herrn ist seltsam heute nacht«, brabbelte er matt. »Als hätte das Böse den Herrn aus seinem Heim vertrieben...« Als die Schreie losbrachen, war es mit Ahmeds Ruhe völlig vorbei. Wenn er es noch gekonnt hätte, wäre der Alte aufgestanden und hätte den heute so ungastlichen Ort 37
schleunigst verlassen. Aber dazu war es zu spät. Die Schreie - sie lahmten ihn. Denn sie klangen genauso - wie damals... Wie damals, als Ahmed sich nicht nur ungefragt an Orten reiner Menschenliebe einquartiert hatte, sondern auch dort, wo normalerweise pro Übernachtung ein paar hundert Pfund verlangt wurden. Es war der größte Fehler seines Lebens gewesen, sich ausgerechnet in jener Nacht heimlich in das Luxushotel inmitten des Stadtteils Samalek zu schleichen. Vielleicht hätte er aber auch nur einfach nicht im Bett rauchen sollen... Ahmed stutzte und setzte sich auf. Lag da nicht plötzlich Brandgeruch in der Luft? Und die Schreie, die ihm einen Moment lang verebbt schienen, wurden sie nicht wieder laut? Lauter als zuvor? Und vielstimmiger? Wie - damals? Die hölzernen Wände um ihn begannen gespenstisch zu knacken. Nur für ein paar Sekunden. Dann platzte hervor, was dahinter mit feurigen Klauen wütete und alles vernichtete, was sich ihm in den Weg stellte. Wie damals! Jetzt war es Ahmed, der schrie. Wenn auch nicht sehr laut. Und nicht sehr lange. Das Zimmer der Mission wurde kaum einmal belegt. Ahmed wurde erst nach Tagen gefunden. Als Verwesungsgeruch unter der Tür hervor in den Flur hinauswaberte. Wie ein Mensch in einem ansonsten
völlig unversehrten Raum verbrennen 38
konnte, blieb ungeklärt.
Wie so manches andere in der Mission von Pater Greorgius.
Der Weg vom Nord-Friedhof bis nach El-Kalifa war weit, doch Galim kannte keine Erschöpfung. Ihn trieb eine Kraft, die erst dann verbraucht sein würde, wenn er getan hatte, wofür sie ihm gegeben worden war. Wenn er den Tod seiner geliebten Omohid gerächt hatte. Süße kleine Omohid. Eines nachts war sie in sein Leben getreten und hatte ihm seither alle Nächte sündig verschönt. Sie hatte ihm die Augen für die Wunder der Nacht geöffnet, so daß er fortan die Tage an ihrer Seite verschlief, um nur noch zu der Zeit zu leben, zu der das Leben wirklich lohnte. Alles war herrlich gewesen, bis zu jener Nacht, da Omohid ohne ihn gegangen war. Er war ihr dennoch gefolgt, trotzdem sie ihn gebeten hatte, es bleiben zu lassen. Furcht nagte in ihm. Angst, daß er ihr nicht mehr genug zu geben vermochte. Daß sie sich anderswo holte, was sie vermißte. Gut, er hatte sich ein paarmal schwach gefühlt nach den wilden Nächten mit Omohid. Vielleicht hätte er ihr besser nichts davon erzählt... Galim hatte in jener Nacht beobachtet, wie Omohid auf einen jungen Mann traf, wie sie mit ihm sprach um sich ihm dann regelrecht an den Hals zu werfen! In diesem Augenblick hatte Galim
losstürmen wollen, um dieses merkwürdige Paar, dessen bloßer Anblick
sein Herz in kleine Teile riß, zu trennen. Doch was dann geschehen war, hatte mehr als nur sein Herz zerrissen. Und er hatte nichts dagegen tun können. Der Fremde griff nach Omohids Gesicht, nur scheinbar zärtlich denn im nächsten Moment drehte er das bezaubernde Antlitz des Mädchens nach hinten. Das Brechen von Omohids Genick schwang wie ein leiser Pistolenschuß durch jene Nacht. Wie ein Schatten war der Mörder eins geworden mit der Dunkelheit. Zu schnell, als daß Galim, vom Schock ohnehin aller Kraft beraubt, ihm hätte folgen können. Aber er hatte sich das im Silberlicht des Mondes gut zu erkennende Gesicht eingeprägt. Ein befreundeter Künstler hatte nach Galims Beschreibung eine Zeichnung angefertigt und solange Änderungen daran vorgenommen, bis das Bild exakt mit dem seiner Erinnerung übereinstimmte. Galim hatte es in der ganzen Stadt herumgezeigt. Und so hatte er schließlich Sarifs Spur gefunden. Eine Fährte, der Galim folgen wollte, bis er die am Ende wartende Beute erlegt hatte. Jetzt führte sie ihn also quer durch Al-Qahira, die >SiegreicheStoff< des Symbionten hindurch erregt zu reiben. Kurz dachte ich daran, ihn einzulassen, aber nach dem gerade Erlebten stand mir der Sinn nicht nach Sex. Ich benötigte etwas anderes von ihm. Das unter seiner bronzefarbenen Haut in Wallung geratene Blut schürte den Durst in mir. »Du darfst mir auf andere Weise zu Diensten sein«, flüsterte ich und verstärkte den Griff meiner geistigen Hand. Wie ich es zuvor schon Doktor £Cannakale in der Türkei befohlen hatte, hieß ich nun diesem Mann, das Skalpell aus seiner Arzttasche nehmen. In einem Schränkchen des Erste-Hilfe-Raumes fand ich ein Gefäß, das meinen Zwecken genügte. »Schneide hier«, sagte ich nur und wies auf die Pulsader seiner linken Hand. Der Arzt führte gehorsam den Schnitt aus. Rotes, warmes Blut quoll hervor. Ich hielt das Gefäß darunter, um es aufzufangen. Als das Behältnis voll war - ein halber Liter mochte darin sein -, half ich dem Mann, die Blutung zu stoppen. Während ich mich dann meinem Trunk widmete, vernähte er geschickt seine eigene Wunde und verband sie. Aus dem Becher schmeckte das Blut natürlich nicht halb so gut wie frisch aus der Ader, aber es löschte
wenigstens den ärgsten Durst und half mir, weitere Kraft zu finden. Ich leckte die letzten Tropfen vom Rand, ehe ich das Gefäß in der Arzttasche des Mannes verschwinden ließ. In diesem Moment versuchte jemand die Tür zu öffnen und klopfte dann. Die Zeit reichte gerade noch, um meinem Opfer die Erinnerung an das eben Geschehene zu nehmen. Dann schloß er auf und erwiderte den fragenden Blick der Stewardeß mit einem Lächeln. »Ist alles in Ordnung?« fragte sie mißtrauisch. »In bester Ordnung«, behauptete der Arzt und ging an ihr vorbei.
Den Flughafen Heliopolis verließ ich ebenso problemlos, wie ich in Ankara an Bord des Fluges nach Ägypten gelangt war. Per Hypnose ging ich allen lästigen Kontrollen aus dem Weg. Meinen falschen Paß englischer Staatsbürgerschaft, den mir Robert Craven hatte anfertigen lassen, hatte ich in all den Wirrnissen leider nicht mitnehmen können. Jetzt lehnte ich mich in die ramponierten Polster eines unübersehbar verkehrserprobten Taxis zurück. »Wohin darf's gehen, Schönste des Abendlandes?« fragte mich der junge Bursche am Steuer. Ich achtete darauf, so weit zur Seite zu rutschen, 57
daß er mich - beziehungsweise meinen verwaschenen Schemen - nicht
im Rückspiegel erfassen konnte. »Nach Kairo«, entgegnete ich. »Stadtteil Ei-Kalif a.« Auf den zwanzig Kilometern, die zwischen dem Flughafen und der Stadt lagen, die von den Einheimischen >Mutter aller Söhne< genannt wurde, fühlte sich mein Fahrer zum Fremdenführer berufen. Er plapperte in einem fort: was man in Kairo tat und was besser nicht, was man unbedingt sehen mußte und was man sich sparen konnte, wo man am günstigsten unterkam... Es interessierte mich keinen Deut, aber ich ließ ihn reden. Es tat gut, eine Stimme zu hören, die nicht von Dingen wie Gefahr, Tod und Bestimmung sprach. Im Verkehrsgewühl der staubigen Straßen von Kairo war fahrerisches Können nicht sehr gefragt. Viel wichtiger waren Geduld - und eine funktionierende Hupe. Das Taxi schwamm im zähen Blechstrom mit, aber irgendwann kam ich zu der Überzeugung, daß ich zu Fuß mindestens doppelt so schnell am Ziel sein würde. »Ich danke dir«, hauchte ich dem Fahrer ins Ohr und strich ihm sanft über den Nacken. Dabei suggerierte ich ihm, daß meine Berührung mehr wert war als alles Geld der Welt, was er mir entrückt lächelnd glaubte. Mein rätselhaftes Mitbringsel aus der Türkei in der Hand stieg ich aus, entging nur knapp einigen Kamikaze-Fahrern und erreichte schließlich das verwinkelte Gassenlabyrinth des Stadtteils Ei-Kalif a. Hier, im Schütze der koptischen Mission von Pater Greorgius, würde 58
Beth mich schon sehnsüchtig erwarten.
Glaubte ich. Eine vage Ahnung von Unheil beschlich mich schon, als ich erst auf Sichtweite an die Mission heran war. Ich leugnete die Warnung meines Unterbewußtseins, indem ich mir einredete, daß meine überreizten Nerven schuld daran waren. Außerdem hatte ich ganz einfach keine Lust mehr, hinter allem und jedem eine Gefahr zu vermuten. Ich wollte nur noch eines: Beth wiedersehen, sie gesund und munter in die Arme schließen und wenigstens für ein paar Stunden vergessen, was das, was ich bislang für mein eigenes Leben gehalten hatte, noch für mich bereithielt. Ich hätte besser auf meinen Instinkt gehört...
Galim hatte die Wunde an Schwester Christines Hals so gut versorgt, wie es die spärlichen Mittel hier zuließen. Dann hatte er die Frau in ihrem Bett zugedeckt, um sich Sarifs Leichnam anzunehmen. Einen Moment lang fragte er sich, weshalb der Tote, nachdem er ihm doch das Genick gebrochen hatte, nicht zu Staub zerfallen war, wie es seiner Art zueigen war. Doch noch bevor er sich wirklich fragen konnte, was es mit dem Begriff >seine Art< auf sich hatte, zerstob der Gedanke. Etwas in ihm wußte, wie sich all dies verhielt, und das genügte Galim.
Er schleifte den Toten aus dem Zimmer, damit die Schwester ihren Peiniger nicht sehen mußte, wenn sie wieder zu Bewußtsein kam. In einem unratübersäten Winkel hinter der Baracke ließ Galim die Leiche einfach liegen. »Sollen sich die Ratten um dich kümmern. Du hast kein anderes Ende verdient«, zischte er. Dann kehrte er in die Mission zurück - obwohl er doch vollbracht hatte, weswegen er in der Nacht hergekommen war. Sarif war tot, sogar auf die Weise gestorben, die er ihm vorbestimmt hatte - wie Omohid. Eigentlich gab es hier nichts mehr für ihn zu tun. Das andere, das Neue in Galim wußte es besser. Etwas würde hierherkommen, das es aus der Welt zu tilgen galt. Eines dieser Wesen, deren Ausrottung seine Aufgabe war. Er mußte die Blutsauger bekämpfen, wo immer er auf sie traf. So wie hier. Der Vampir war schon ganz nahe. Und jetzt betrat er das Gebäude! Mit einem Schrei auf den Lippen stürzte Galim sich auf den verhaßten Blutsauger - eine Bestie, die sich mit sündiger Schönheit zu tarnen suchte, deren wahre Natur er aber sofort durchschaut hatte!
Es mochte an der Erschöpfung der beschwerlichen Reise und den Torturen liegen, die ich ausgestanden 59
hatte, daß ich nicht sofort reagierte.
größeren Gefallen erweisen, als mein
Aus den Schatten, die den Flur vor mir erfüllten, tauchte etwas wie eine Furie auf und warf sich brüllend auf mich. Der Ägypter war zwar nicht gerade von schmächtiger Gestalt, wie ich rasch erkannte, aber die Kraft, mit der er mich ungestüm zu Boden schleuderte, hätte ich trotzdem nicht in ihm vermutet. Keuchend schob er sich über mich. Seine Hände schnappten wie Schlangenmäuler nach meinem Hals. Ich bekam seine Handgelenke zu fassen, bevor er seine Finger um meine Kehle schließen konnte. Doch seiner ungeheuren Kraft hatte ich trotz meines vampirischen Erbes kaum etwas entgegenzusetzen. »Verdammte Bestie!« brüllte er. »Blutsauger! Dein Ende ist gekommen!« Speichel sprühte von seinen Lippen in mein Gesicht. Und tief in seinen Augen loderte wahrhaft heiliger Zorn. Als wäre es seine schicksalsgewollte Bestimmung, Wesen meiner Art zu vernichten... Ich überließ mich ganz meinen Instinkten, stemmte die Füße unter seinen Bauch und stieß ihn von mir. Wie von einem Katapult geschleudert flog der Fremde nach hinten. Das verschaffte mir gerade eine Sekunde Pause; mehr nicht. Einem Kastenteufel gleich kam er wieder hoch, sprang mich ein weiteres Mal an und rang mich erneut zu Boden. Und diesmal ging mir ein bizarrer Gedanke durch den Sinn. Was war, wenn ich ihn einfach gewähren ließ? Ich wollte doch sterben! Konnte er mir in der Situation, in der ich verzweifelt gefangen war, einen
Genick zu brechen? Ich stellte alle Abwehr ein. »Erlöse mich«, flüsterte ich. Das Lächeln auf meinen Lippen irritierte ihn für einen Moment, dann aber schlössen sich seine Hände um meinen Hals und drückten zu. Da drang eine fremde Stimme an mein Ohr. »Du hast den Erlöser getötet«, sagte sie. »Stirb dafür!« Ich hörte einen dumpfen Schlag, das Knirschen zermalmter Knochen. Blut sprenkelte mein Gesicht. Das Feuer in den Augen meines Mörders erlosch. Etwas versuchte mich aus seinem Blick zu erreichen. Wie ein Funke, der verzweifelt neue Nahrung suchte. Doch mich verschmähte er.
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Die Frau, deren aufgelöstes Haar von silbrigem Grau durchwoben war, stand mit hängenden Armen da. Der schwere Kandelaber, mit dem sie Galim den Schädel zertrümmert hatte, entglitt ihrer kraftlos gewordenen Hand. »Ich habe den Erlöser gerächt«, sagte sie mit fast kindlichem Stolz, der nicht zu der Leere in ihren Augen passen wollte. Erst als sie sich mir zuwandte, trat ein Ausdruck in ihren Blick, den ich aber nicht ergründen konnte. »Wer sind Sie, daß er auch Sie töten wollte?« fragte die Frau, die ihre Blöße nur unzureichend hinter einem Bettlaken verbarg. Aus einer Wunde
an ihrem Hals floß Blut und tränkte das Tuch. »Wer ich bin?« erwiderte ich leise. »Jemand, der offenbar zum Leben verdammt ist.« Im gleichen Maße, in dem sich die Ernüchterung in mir breitmachte, festigte sich auch der Verdacht, daß sich während meiner Abwesenheit etwas Grundlegendes in der koptischen Mission verändert haben mußte. Etwas, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ich hatte es plötzlich sehr eilig, das Zimmer aufzusuchen, in dem ich Beth MacKinsay zurückgelassen und Pater Greorgius aufgetragen hatte, meine Freundin gesundzupflegen und auf meine Rückkehr zu warten. Ich öffnete die Tür und...
mal des Anblicks der aus schwarzem Material geformten Figur bedurft, die mir bis aufs Haar glich. Es genügte, Beth' Augen zu sehen. Kaltes LICHT hatte darin den Platz von Iris und Pupillen eingenommen, viel heller als das verbliebene Weiß ihrer Augäpfel. Das Leuchten ließ sie seltsam blind erscheinen. »Nein, Beth!« schrie ich. »Tu es nicht!« Wahrscheinlich hörte sie mich nicht einmal. v Ich wünschte, ich hätte den Scout noch besessen, jenes Tattoo, das mir Felidae vermacht hatte. Ihn hätte ich losschicken können, um Beth zu entwaffnen oder zumindest abzulenken. Doch die schattenhafte Fledermaus hatte mir im Dunklen Dom ihren allerletzten Dienst erwiesen, als sie die ... Beth zog den letzten noch verblie- Agrippa aus dem Altarstein geholt benen Nagel aus dem Fleisch ihres hatte, ehe sie mit diesem mystischen Fußes. Wie einen Stift aus reinem Ort untergegangen war. * So gab es nichts, was ich noch tun LICHT hielt sie ihn zwischen ihren Fingern. Sie bewegte ihn provozie- konnte. Hinter Beth' maskenhaft starren rend langsam, in der Gewißheit, daß nichts und niemand sie hindern Zügen formte die Macht, die ihren konnte, zu tun, was ihr aufgetragen Körper erobert hatte, einen Ausdruck grimmiger Zufriedenheit. worden war. Und ganz zuletzt glaubte ich soDie Spitze des weißglühenden Metalls berührte die Puppe über der Na- gar noch, so etwas wie Belustigung senwurzel, genau zwischen den dahinter zu entdecken. Dann zog das LICHT wieder an Augen - und genau an dieser Stelle mei- den Fäden seiner Marionette, zu der nes eigenen Körpers spürte auch ich es Beth gemacht hatte. Und sie rammte den Nagel tief in die Berührung des Nagels. Das Verstehen brach wie eine den Schädel der schwarzen Figur. Springflut in meinen Kopf. Im Grunde hätte es dazu nicht ein- * siehe VAMPIRA 44 61
Ich versuchte mich irgendwie gegen den Schmerz zu wappnen, der diesmal noch fürchterlicher sein mußte als die Male zuvor. Aber er blieb aus. Zumindest spürte ich ihn nicht. Ich spürte - gar nichts mehr. Ich lebte, aber genauso gut hätte ich tot sein können. Ich war so wenig aus eigener Kraft in der Lage, mich zu bewegen wie die Puppe, die Beth in Händen hielt. Das LICHT hatte meinen eigenen Willen gelähmt. Daß ich trotzdem handeln konnte, verdankte ich Beth. Sie übernahm die Führung meines Körpers. Ich durfte nur noch denken. Und das war das eigentlich Grausame an meiner neuen Lage.
freut mich. Ich wünsche Ihnen alles Gute!«
Fast erwartete ich, daß die Macht, die Beth und nun auch mich lenkte, die Frau töten würde. Nur einfach so, weil ihr danach war... Ich war zumindest noch fähig, Erleichterung zu verspüren, daß sie es nicht tat. Offenbar mordete das LICHT nur dann, wenn es seinen Zwecken diente. Wir verließen die Baracke durch einen Hinterausgang. Etwas abseits sah ich die Leiche eines jungen Mannes liegen. Seiner verrenkten Kopfhaltung nach konnte er nur auf eine Weise gestorben sein. Was mochte hier nur geschehen sein? Im Grunde war ich froh, es nicht zu wissen. Allein was ich wußte und selbst erlebt hatte, genügte, um das Entsetzen in meinem ferngelenkten Körper noch lange wachzuhalten. Beth streckte den Arm aus und wies auf einen japanischen Jeep ohne »Laß uns gehen.« Verdeck. Nur Rost und das GottverAuch wenn es wie eine Aufforde- trauen seines Besitzers schienen ihn rung klang, so waren Beth' Worte noch zusammenzuhalten. Ob das Ding auch fuhr, stand auf einem ganz nichts anderes als ein Befehl. Ich reagierte darauf, als hätte ich anderen Blatt. meine Beine selbst veranlaßt, sich zu »Steig ein«, befahl Beth mit einer bewegen. Meine Finger hielten die Stimme, aus der das LICHT sprach. Agrippa umschlossen, doch spüren Ich gehorchte ohne eigenes Zutun. konnte ich die rissige Oberfläche des Wohin würde unsere Fahrt führen? Eies nicht. Beth wandte mir den Kopf zu, und Hinter Beth trat ich aus dem Zim- ich erkannte, daß das LICHT auch mer. meine Gedanken kontrollierte. Draußen auf dem Flur stand noch »Dein Weg«, erklärte sie kalt, immer die Frau neben dem Erschla- »führt uns nach Uruk.« genen. Ein von Wahnsinn erfülltes Ich mußte mich ans Steuer des Lächeln erschien auf ihren Lippen, Jeeps setzen; Beth nahm neben mir als sie Beth sah. Platz. Im vierten Versuch gelang es »Sie sind wieder ganz gesund? Das mir, den Motor zu starten. 62
Obwohl ich im Autofahren ungeübt war, hatte ich keine Probleme, den Geländewagen durch das Kairoer Hier fiel mein miserabler Fahrstil gar nicht erst auf...
Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis wir mit dem altersschwachen Vehikel dem Zentrum der ägyptischen Hauptstadt soweit entronnen waren, daß man zumindest nicht ständig an anderen Fahrzeug entlangschrammte. Wir erreichten die Bezirke der Stadt, in die kaum ein Tourist seinen Fuß setzte. Weil es hier nichts zu sehen gab außer der orientalischen Wirklichkeit. Die Männer, die sich im Schatten der armseligen Häuser um blubbernde Wasserpfeifen scharten, wirkten noch am idyllischsten. Weniger ansehnlich waren die verwesenden Eselsbäuche, die hier und da mitten auf der Straße lagen, plattgefahrene Hunde und nackte Katzen, deren Gestank sich mit dem Smog mischte, der anderswo entstand und sich hier niedersetzte, als gäbe es nichts, was diesen Ort noch verderben könnte. »Dort hinein«, sagte Beth und wies auf eine enge Gasse, die von der staubigen Hauptstraße abzweigte und gerade breit genug war, um Pater Greorgius' Jeep aufzunehmen. Als wäre sie hier aufgewachsen, lotste Beth mich durch ein Labyrinth, in dem jeder andere sich nach kürzester Zeit hoffnungslos verfahren
hätte. Schließlich ließ sie mich den Wagen irgendwo inmitten der lehmbraunen und scheinbar menschenverlassenen Gegend stoppen. »Du mußt durstig sein«, erinnerte sie mich an ein Bedürfnis, das mein Körper nicht mehr zu empfinden in der Lage war. Doch Beth1 Worte schienen zu genügen, es zu wecken. Weil sie es wollte. Sie veranlaßte mich sogar zu einem roboterhaften Nicken. Ich haßte sie! Oder vielmehr das, was in sie gefahren war. Das bösartige Lächeln, das wie von unsichtbaren Fingern geformt in ihren Mundwinkeln erschien, weckte mein Mißtrauen. Doch es gab nichts, was ich hätte unternehmen können, um das Geschehen abzuwenden. Und fast kam es mir so vor, als würde die Macht in Beth den Verdacht, der tief in mir keimte, noch schüren. »Geh voraus«, wies sie mich an. Ich schwang die Beine aus dem Jeep und schritt vor Beth her auf eines der einstöckigen Lehmgebäude zu. Meine >Freundin< schob mich unsanft durch die Türöffnung in das schattige Halb dunkel dahinter. Eine Weile geschah nichts. Dann hörte ich Geräusche von dort, wo die Schatten vollends zu Dunkelheit gerannen, und einen Moment später trat ein Junge auf uns zu. Er konnte nicht älter als fünfzehn Jahre sein, auch wenn der Ausdruck 63
in seinem schmalen Gesicht etwas anderes vortäuschen mochte.
Plötzlich wußte ich, wozu Beth mich zwingen würde. Und vielleicht wäre ich ihr ungeachtet der Tatsache, daß ihr Körper nur tat, was das LICHT ihm auftrug, an die Gurgel gegangen, wenn ich auch nur das kleinste Glied hätte rühren können. Das Geschöpf, das wie Beth aussah, erlaubte mir nicht einmal, dem Jungen seine Angst zu nehmen. »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?« Auch seine Fragen blieben unbeantwortet. Der Gewalt, zu der Beth mich trieb, hatte der Junge nichts entgegenzusetzen. Roh stieß ich seinen schmalen Körper auf den festgestampften Lehmboden und warf mich mit einer animalischen Wildheit auf ihn, die ich mir bisher verboten hatte. Das Ungeheuerliche in meinen Zügen brachte wenigstens den Nutzen, daß der Junge vor Schreck wie ge-
lähmt dalag und vielleicht nicht wirklich bewußt mitbekam, was ich ihm antat. Ohne daß ich es wollte, waren meine Eckzähne gewachsen. Ich senkte sie nicht in die Ader, sondern hieb sie hinein, als gelte es, durch Beton zu beißen. Ich trank. Doch ich saugte längst nicht alles aus, was an Blut in dem Jungen war. Der geringe Verlust hätte ihn nicht getötet. Doch sein Schicksal war bereits beschlossen. »Töte ihn«, befahl Beth mitleidlos. Unter dem Willen, den sie mir aufzwang, legten sich meine Hände um den Kopf des Jungen und brachen ihm das Genick. Im allerletzten Moment seines Lebens schien er doch noch zu begreifen, was ihm da widerfuhr. Die in seinen Augen erstarrte Anklage verfolgte mich noch, als wir Ägypten im Flugzeug hinter uns ließen.
ENDE
Sie lasen einen Roman mit der Bastei-Zinne.
Wo gute Unterhaltung zu Hause ist. Auch wir wollen zum Umweltschutz beitragen. Deshalb verwenden wir Papier für unsere Romanhefte, das bis zu 70% aus Altpapier besteht. So wird wesentlich weniger Holz benötigt, Energie wird gespart, und die Deponien und Müllverbrennungsanlagen werden entlastet. 64