Such erst dich, dann deinen Mann Sonya Friedman
TOMUS VERLAG MÜNCHEN
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Such erst dich, dann deinen Mann Sonya Friedman
TOMUS VERLAG MÜNCHEN
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Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingeborg Endres. Bearbeitet von Heinz Sponsel. Titel des amerikanischen Originals: »Men are just desserts«, erschienen bei Warner Books, Inc. New York, 1982, ISBN 0-446-51255-9, © 1983 Sonya Friedman. Deutsche Ausgabe: © 1984 Tomus Verlag GmbH, München 19. Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Fernsehen, Funk, Film, fotomechanische Wiedergabe, Bild- und Tonträger jeder Art, sowie auszugsweiser Nachdruck vorbehalten. Printed in Italy Scannen: blaupausen 06/2006 k-lesen: ya39eu 11/2006 Druck und Bindung L·E·G·O, Vicenza ISBN 3-920954-26-2
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INHALT
EINLEITUNG
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1. SUCH ERST DICH, DANN DEINEN MANN
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2. REGELN SIND DA, UM GEBROCHEN ZU WERDEN
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3. DIE MITGIFT DER MÜTTER
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4. VÄTER UND TÖCHTER
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5. BEISS DIE HAND, DIE DICH FÜTTERT
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6. MÜTTER UND SÖHNE
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7. VERSCHWOMMENE EINDRÜCKE
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8. WENN ER DICH »SCHLAMPE« NENNT, SAG »DANKE«
204
9. NORMAL BLEIBEN IN EINER VERRÜCKTEN WELT
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FÜR ONKEL JACK, EINFACH SO ... Für Dr. Leah Hecht, die ich mit vierzehn kennenlernte, lange bevor sie meine Schwiegermutter wurde, und die Ja sagte zu Erfolg und Ausbildung, wo so viele andere Nein sagten. Für meinen Mann, Dr. Stephen Friedman, der sagte: »Ich habe immer gewußt, daß einiges in dir steckt«, und der mich in meinen Versuchen unterstützt hat, auch danach zu leben. Für meine inzwischen erwachsenen Kinder, Sharon und Scott, die mir stets das Gefühl gaben, daß sie stolz sind, mich zur Mutter zu haben. Für Diane Braun, die während der vergangenen sieben Jahre meine rechte Hand war und mich an trüben Tagen meistens aufgemuntert hat. Für C. B. Abbott, die meine bunte Notizensammlung lesbar zu Papier brachte. Für Dr. Andy Yang, Dr. Bill Baker, Phil Bergman, Henry Baskin und Alan Frank, die meine berufliche Laufbahn großzügig und einfühlsam unterstützten. Und für die über tausend Männer und Frauen, die mich an ihrem Leben teilhaben ließen. Ich hoffe, ich habe eure Geschichten so erzählt wie sie gemeint waren.
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Einleitung Mit Einundzwanzig erkannte ich plötzlich, daß eine Frau die Probleme, vor die das Leben sie stellt, nicht allein durch eine Heirat lösen kann. Da war ich aber bereits verheiratet! Ich arbeitete, um meine Familie durchzubringen; mein Mann studierte nämlich noch, Medizin. Ich begriff, wie wenig Sinn eigentlich darin lag, wenn ein Mädchen nur aufwuchs, um zu heiraten, Kinder zu kriegen und in der Hingabe an einen Mann ihre einzige Erfüllung zu finden. Diese Erkenntnis hat mein ganzes Leben verändert. Zwar dauerte es Jahre, bis ich die Konsequenzen daraus zog. Die Entwicklung aber ließ sich nicht aufhalten. Ich wußte nun: verheiratet zu sein, ist nicht die Lösung. Und ich handelte danach. Ich war auf der Suche nach meinem Standort im Leben. Das beste, überlegte ich mir, was eine Frau für sich tun kann, ist eines allein: sie muß die Fähigkeit entwickeln, für sich selbst sorgen zu können. Die Freuden einer Ehe sind allzu oft von Enttäuschungen getrübt. Illusionen zerplatzen wie Seifenblasen. Und die phantastische Hoffnung, ein Mann könnte das Leben von unsereins völlig verwandeln, ihm Kontur und Inhalt geben, ein Gefühl andauernder Sicherheit vermitteln, diese schöne Hoffnung zerschlägt sich gewöhnlich auch irgendwann. Nur zu rasch verwandelt sich unser Traumprinz in einen schlecht gelaunten Ehemann, der krank wird, wenn man ihn braucht, und um jeden ausgegebenen Pfennig jammert. Damit kann man sich noch abfinden. Schwierig wird es aber mit der Tatsache, daß kein Mann seiner Frau die Verantwortung für ihr Leben abnehmen 8
und es sozusagen für sie leben kann. Sie muß ihr eigenes Leben führen! Ich meine, wir Frauen sollten unsere Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen! Das bedeutet, daß wir die Illusion vom Umsorgt werden aufgeben und uns dafür eine eigene, reiche Wirklichkeit schaffen: wir sorgen selber für uns! Das ist, ganz nebenbei gesagt, etwas sehr Schönes! Viele Frauen halten an Vergangenem fest und finden eine Menge Gründe, warum sie nicht unabhängig sein können. Sie sagen: »Ich bin, wie ich bin, ich kann mich nicht ändern«, oder: »Man hat mich eben dazu erzogen, nur für andere da zu sein.« Ich aber finde, daß das Leben eine Sache der Einstellung ist. Wenn ein Mensch erwachsen wird, kann er über seine Vergangenheit nachdenken, Grenzen und Mängel überprüfen und zu neuen Schlußfolgerungen gelangen. Oft erweist sich eine erzieherische Maßnahme, die zuerst nur dazu angetan erschien, eine Frustration auszulösen, unter einem anderen Blickwinkel als Gewinn. Dazu möchte ich ein Beispiel erzählen: Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich noch sehr klein war, und ich kannte meinen Vater eigentlich nicht richtig. Erst mit vierzig Jahren fuhr ich in der Absicht zu ihm, mich auszusöhnen und gewissermaßen Balsam auf die Narben zu träufeln, die von Verletzungen stammten, die er mir tatsächlich oder in meiner Vorstellung zugefügt hatte. Wild entschlossen, alles aufzuklären, machte ich dabei eine ganz faszinierende Entdeckung. Mein Vater berichtete mir nämlich eine Geschichte, die sich zugetragen hatte, als ich drei Jahre alt war. Damals hatte er mit mir einen Ausflug gemacht. Wir standen an einer Bushaltestelle, und er hielt mich bei der Hand. Als der Bus kam, klammerte ich mich ganz fest an die Hand meines Vaters – er sollte mir beim Einsteigen helfen! Aber was tat mein Vater? Er machte sich von mir los und sagte: »Wenn du mitfahren willst, mußt du selbst 9
einsteigen. Versuch's, du kannst es allein.« Wie er mir erzählte, war ich tief bekümmert, daß er mir nicht helfen wollte. Aber ich schaffte es, die hohen Stufen in den Bus ganz allein zu erklettern. Ich habe schon erwähnt, daß ich vierzig war, eine selbständige, berufstätige Frau, als mir mein Vater diese Geschichte erzählte. Zunächst wurde ich unheimlich wütend. Was fiel ihm ein, mit einem dreijährigen Kind so umzugehen! Mich so allein zu lassen! Wahrscheinlich hatte mich diese frühe Erfahrung tief getroffen, vielleicht hatte ich die ganzen folgenden siebenunddreißig Jahre meines Lebens unbewußt an dieser Enttäuschung gelitten! Ich war bereits auf dem Nachhauseweg, als ich plötzlich die Botschaft begriff, die mir diese Geschichte vermitteln sollte: mein Vater hatte in jener Situation meine Hand losgelassen – möglicherweise war dies das Großartigste, was er je für mich hatte tun können! Natürlich war ich mit drei Jahren noch nicht in der Lage, das so zu interpretieren, aber offenbar hat mich die eigentliche Bedeutung dieses Erlebnisses entscheidend geprägt. Was mir mein Vater auf seine Weise mitgeteilt hatte, war folgendes: Wenn du etwas willst, sorg selber dafür, daß du es bekommst. Mach dir klar, daß es einen Menschen gibt, auf den du dich in jedem Fall verlassen kannst – auf dich selbst! In diesem Buch will ich mich mit einem Verhalten auseinandersetzen, das jede Frau irgendwann einmal an sich selbst beobachten kann. Es geht darum, daß Frauen die Schuld für alles, was in ihrem Leben schief läuft, ihren Männern zuschieben und folglich aufhören, selbst zu handeln. Genau das habe auch ich getan. Ich war unzufrieden und machte alles mögliche dafür verantwortlich – die Männer, mein Zuhause, meine Mutter, meine Freunde und das mißgünstige Schicksal. Mit einundzwanzig ging mir dann endlich ein Licht auf, das 10
meinen Weg in die Selbständigkeit beleuchtete. Ich fing an, mir Fragen zu stellen: Was trug ich eigentlich selbst zur Gestaltung meines Lebens bei? Wie konnte ich mein eigenes Leben und das der Leute um mich herum reicher und schöner machen? War es möglich, zur gleichen Zeit meine Bedürfnisse, die meines Mannes und meiner Kinder zu befriedigen? Was war besser – in festen Strukturen steckenzubleiben, die andere mir aufgezwungen hatten, oder mich auf eine Zukunft zu konzentrieren, die ganz meine eigene war? Ich war froh: denn ich spürte, in welche Richtung ich gehen wollte. Dieses Buch habe ich für Frauen geschrieben, die herausfinden wollen, was für sie am besten ist. Ich möchte euch dazu anregen, über eure Kindheit nachzudenken und über die vielfältigen und oft verwickelten Beziehungen zwischen euch und euren Eltern, Liebhabern, Ehemännern; vielleicht erfahrt ihr dabei ganz neue Dinge über euch selbst. Es wird leicht sein für euch, einen eigenen Standort zu finden, sobald ihr Vertrauen in eure Fähigkeiten gewinnt und euch akzeptieren lernt. Den Männern erzählt man: »Nimm dir eine Frau, aber mach sie nicht zu deinem Ein-und-Alles.« Auch wir Frauen sollten die Männer nicht zu unserem Ein-und-Alles machen, sondern ihnen den richtigen Platz in unserem Leben zuweisen. Eine Frau, die mit sich selbst zufrieden ist und bewußt ihre Entscheidungen trifft, wird die Partnerschaft mit einem Mann als schöne Bereicherung empfinden. Sie kann mit einem Mann leben, ohne die eigene Persönlichkeit aufgeben zu müssen. Also: Seht die Männer im richtigen Licht, dann werdet ihr ihnen nicht in die Hände fallen, selbst wenn ihr euch in ihre Arme werft!
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1. Such erst dich, dann deinen Mann »Ich fühlte mich, als ob in mir zwei Personen steckten. Da war zunächst die sensible Frau um die vierzig mit den üblichen, recht angenehmen Familienpflichten, Hausfrau und Mutter, die ihre Familie liebte und glücklich machen wollte. Aber hinter dieser gut gekleideten, normalen, gesunden Frau stand eine andere, eine, die keine Ruhe fand, eine, die einsam und schwach war und voll von heftigen Wünschen und gierigen, nie erfüllten Sehnsüchten und Träumen.« Barbara Goldsmith, nach Gertrude Vanderbilt Whitney, in LITTLE GLORIA: HAPPY AT LAST. »Ich wäre damit zufrieden gewesen, ein Nichts zu sein, wenn ich nur nicht gezwungen wäre, mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.« Helen Lawrenson in STRANGER AT THE PARTY. »Die meisten Romane, die ich kenne, enden mit einer Heirat, also mit einem Zustand absoluter Glückseligkeit, wo es nichts mehr weiter zu sagen gibt... Ich war zutiefst darüber erschüttert, wie viele Ungerechtigkeiten die Ehe für die Frau mit sich bringt, und wenn ich mir dazu noch die Geschichte meiner Eltern vor Augen halte, dann gibt es für mich nur eines: mein ganzes Leben lang gegen die Ehe und für die Emanzipation der Frau zu kämpfen – ebenso wie für ihren eigenen Wert, ihre Rechte und ihre freie Entscheidung für oder gegen ein Kind.« Isadora Duncan in MY LIFE. 12
Vor einigen Jahren besuchte ich eine Kirche, in der gerade eine Hochzeit stattfand. Ein wohlmeinender Pfarrer predigte dem jungen Paar übers Eheleben, und ich beschloß, eine Weile zuzuhören. Die Ansprache war hauptsächlich an die Braut gerichtet. Der Pfarrer ließ keinen Zweifel daran, daß sie ab heute aufhören mußte, sich als Jane Roberts zu fühlen – von nun an war sie Jane Brooks. In wohlgesetzten Worten wurde der jungen Frau erklärt, daß sie in dieser Stunde alles abzustreifen habe, was mit Jane Roberts zusammenhing, damit sie fortan ganz und gar Frau Richard Brooks sein konnte. Sie würde den Namen ihres Mannes tragen und Teil seiner Identität werden. Derselbe Name, ein gemeinsames Schlafzimmer, alles zusammen tun, miteinander verschmelzen, »eins sein« auf immer und ewig – das sollte das Schicksal dieser beiden Menschen sein. Das Wort Individualität durfte für sie nicht mehr existieren, vor allem nicht für die junge Frau. Was dieser Pfarrer predigte, machte mich unruhig und ärgerlich. Wozu dieses Gerede vom Verschmelzen, vom Einssein – eigentlich hieß dies doch nur, daß die Frau ihre Eigenständigkeit zugunsten des Mannes aufgeben sollte. Warum wurde denn nicht davon gesprochen, wie wichtig es ist, daß beide Partner sich in der Ehe weiterentwickeln, reifer und selbständiger werden können? Sollte es nicht möglich sein, etwas gemeinsam zu tun, ohne daß einer der beiden Partner gleich seine Persönlichkeit aufgeben mußte? Jede Frau, die sich an die Ideologie vom »Eins-Sein« verliert, wird ihr Leben als Marionette ihres Mannes verbringen. Sie wird in der Regel nicht einmal erfahren, wer sie selber eigentlich ist. Sie ist gefangen in einem Netz von Enttäuschungen, abhängig vom Wohlwollen dieses »Einen«, dessen Teil sie geworden ist. Die Vorstellung, mit dem Partner ganz und gar zu verschmelzen, mag auf den ersten Blick romantisch erscheinen. Aber hinter dieser Fassade wartet ein 13
bitterer Alltag. Sobald ein Mann den ersten Platz in unserem Leben einnimmt, unser Ein-und-Alles geworden ist, geraten wir Frauen in Gefahr, unser Selbstwertgefühl zu verlieren. Einen Mann anbeten, weil er eben ein MANN ist, heißt, sich ihm völlig zu unterwerfen und wie ein kleines Kind auf gute Worte von ihm zu warten. Wenn eine Frau erst einmal daran glaubt, ohne Mann ein Nichts zu sein, dann wird sie eines Tages auch tatsächlich zu einem Nichts werden. Also: Die Männer nicht überbewerten! Wachsen, reifen, sich entwickeln, zu den eigenen Gefühlen stehen – so kann unser Frauenleben losgehen. Ich finde, daß jede Frau geradezu verpflichtet ist, sich materiell und geistig unabhängig zu machen, bevor sie sich einen Partner sucht. Eine Frau sollte nicht damit rechnen, von einem Mann zu bekommen, was ihr an Entschlossenheit, Erfolg, Anerkennung und finanzieller Sicherheit noch fehlt. Sie wird bestimmt enttäuscht! Indem sie ihren Mann zum Mittelpunkt ihres Lebens macht, bringt sie sich um die Chance, ihre eigenen Begabungen und Fähigkeiten zu entwickeln. Solch eine Frau ist keine gleichberechtigte Partnerin, sondern ein Opfer. Wenn eine Frau gelernt hat, für sich selbst zu sorgen, wird sie sich mit dem passenden Mann belohnen – mit einem, der das Leben versüßt, bei dem es sich nachts gut liegt, der einfach da ist und sich genießen läßt. Kein Mann kann uns grenzenlos glücklich machen oder uns zeigen, wozu wir auf der Welt sind – das ist allein unsere Sache. Wie kommen wir überhaupt dazu, den Männern eine solche Sonderstellung einzuräumen? Wir haben nun einmal gelernt, daß sich die Frau dem Mann unterzuordnen hat, daß Frauen schon immer so gelebt haben und es also auch für uns richtig ist, uns genauso zu verhalten. Und es sind beileibe nicht nur altmodische Frauen, die unter diesem Zwang stehen! 14
Nehmen wir zum Beispiel Linda, eine attraktive Frau, die im Beruf steht und gut verdient, geschieden, kinderlos. Zur Zeit ist sie in eine Beziehung zu einem Mann verstrickt, den sie nur einoder zweimal im Monat sieht. Aus der anfänglichen Freundschaft der beiden wurde inzwischen ein dauerndes Gerangel, bei dem sich sie wie er ständig verletzen und kränken, ohne es zu wollen. »Als wir uns das letztemal sahen«, erzählte mir Linda, »brach Jack sehr spät zum Flughafen auf. Am nächsten Tag rief ich ihn an, weil ich wissen wollte, ob er seine Maschine noch erreicht hat. Er sagte mir, er habe seinen Flug verpaßt und auf die nächste Maschine warten müssen. Er fügte hinzu: ›Und soviel Zeit vergeudet!‹ Mir wurde klar, wie er die Sache sah: ich war es, die seinen Zeitplan durcheinander gebracht hatte! Er trauerte um die anderthalb Stunden verlorener Arbeitszeit – daß es schön gewesen wäre, wenn wir auch diese anderthalb Stunden hätten zusammen verbringen können, auf diese Idee kam er gar nicht erst. »Ich gehe im Kreis«, meinte Linda düster, »ich dachte, Sex sei mir nicht mehr so wichtig, aber das stimmt nicht. Und was viel schlimmer ist, ich warte wie ein Teenager, ob er vielleicht anruft. Ich grüble nach, was er wohl gerade macht, und wenn er da war und wieder geht, weiß ich nicht, wohin mit mir vor lauter Trostlosigkeit. Und immer wieder lasse ich mich mit ein paar Brosamen abspeisen.« Linda gehört zu einer Gruppe von Frauen, die begriffen haben, in welcher Abhängigkeit viele ihrer Geschlechtsgenossinnen leben und sich deshalb schworen: »Mir soll so was nicht passieren.« Aber selbst in diesen fortschrittlichen Frauen ist das Gefühl ganz tief verankert, ohne Mann nichts wert zu sein. Linda hatte sich auf materieller Ebene unabhängig gemacht, hier war sie zweifellos vorwärts gekommen. Aber ihre Emotionalität gehorchte nach wie vor alten Mustern, hier 15
machte sie sich immer wieder von Männern abhängig, statt selbst für ihr Wohlbefinden zu sorgen. Und wie steht es mit Anna? Anna ist jetzt fünfundfünfzig, sie hat sehr jung geheiratet – ein schönes, gutmütiges Mädchen aus einer Arbeiterfamilie, die stolz darauf war, einen Studierten, einen Arzt, zu bekommen. Ein Jahr später bekam sie ein Kind, eine Tochter. Nach vier Jahren hatte sie sich ihrem Mann gänzlich entfremdet und reichte entschlossen die Scheidung ein. Sie wollte sich zur Buchhalterin ausbilden lassen. Doch ihre Eltern waren dagegen – sie fanden, es wäre besser, wenn sie weiterhin als Schreibkraft arbeite. »Heirate wieder«, so tönten die Warnungen aus ihrer Familie. »Heirate so schnell wie möglich, bevor du zu alt bist. Und wenn deine Tochter erst einmal größer ist, will dich sowieso keiner mehr.« Verunsichert durch die Befürchtungen ihrer Eltern und unzufrieden, weil es beruflich nicht so klappte, wie sie gehofft hatte, beschloß Anna, wieder zu heiraten. Sie redete sich ein, daß sie ihrem Mann zuliebe ihren Beruf aufgeben müsse und bekam weitere zwei Kinder. Ihr Mann und ihre Kinder hatten keinen Blick für ihr liebenswürdiges Wesen oder zumindest für das, was davon noch geblieben war. Anna hatte zwar wieder einen Mann, doch es war wieder nicht der richtige. Und sie war so weit weg von sich selbst. Sie wußte nicht, was ihr eigentlich fehlte, war unzufrieden, unausgefüllt von ihren Hausfrauenpflichten. Das Schlimmste aber: Es gab niemanden, der sie wirklich schätzte und gern hatte. Die Beziehung zu ihrer Familie erschöpfte sich in Streitigkeiten, Zorn und Ärger. Sie schimpfte über ihre Kinder, beklagte sich über ihren Mann und haderte mit ihrem Schicksal. Jetzt, mit Mitte Fünfzig, hat sie Angst, ihr Mann könnte sie verlassen. Sobald er aus der Wohnung geht, hat sie keine ruhige 16
Minute mehr, sie gerät schon in Panik, wenn er nur zur Arbeit fährt. In ihrer Verfassung kann sie weder richtig für ihren Haushalt noch für ihren Mann sorgen, geschweige denn für sich selbst. Sie meint, es sei das Leben, das sie fertiggemacht habe. Eine Frau, die es nicht schafft, ihre Chancen wahrzunehmen und sich in jeder Hinsicht selbständig zu machen, muß sich den Launen und Stimmungen anderer unterwerfen. Eine Frau, die, so wie Anna, ihre Möglichkeiten ungenützt verkümmern läßt, muß damit rechnen, sich womöglich ganz einem Mann auszuliefern. Sie hat sich zu sehr von ihren Eltern beeinflussen lassen, die ihr immer wieder einredeten, daß sie ohne Mann ein Nichts sei und als Mensch nur zähle, wenn sie verheiratet sei.
SICH NICHTS MEHR VORMACHEN Fälle, wie der gerade geschilderte, sind leider häufig. Viele Frauen heiraten in der Hoffnung, auf diese Weise alle Eigenverantwortung loszuwerden und keine Probleme im Leben mehr zu haben. Ihr Verhalten wird von der Vorstellung bestimmt, sie seien nur halbe Menschen und hätten demnach gar nicht die Kraft, auf eigenen Füßen zu stehen; also suchen sie sich einen Mann, der auf sie aufpaßt, sie umsorgt, einen strahlenden Helden, einen Liebhaber, einen Mann, der möglichst »Alles« verkörpert. So eine Frau, die sich selbst als unvollständig erlebt und deshalb auf der Suche nach ihrer »besseren Hälfte« ist, betrachtet den Mann als natürliches Mittel, ihre eigene Persönlichkeit zu vervollständigen. Heiraten ist ja ganz schön – aber diese heilige Gemeinschaft sollte einer Frau mehr Freiraum zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit geben, statt sie mit dem falschen Anspruch, eine 17
»vollkommene Einheit« mit ihrem Mann zu bilden, zu versklaven. Was hat man uns Frauen eigentlich beigebracht? Daß unverheiratete Frauen keine richtigen Frauen sind, daß wir nur durch eine Heirat zeigen können, was wir wert sind. Gewöhnlich ändert die langersehnte Hochzeit aber gar nichts: das Gefühl, nicht zu zählen, bleibt. Wie kommt das eigentlich? Die Ehe sollte uns doch glücklich machen – und nun all die Enttäuschung! Was läuft da denn schief? Wenn Mädchen während ihrer Entwicklung zur Frau nur wenig Selbständigkeit ausbilden konnten, stürzen sie sich meist Hals über Kopf in eine Ehe. Sie geben die eigenen Ziele auf, um die ihres Mannes zu unterstützen, und lassen es zu, daß ihr ganzes Leben um seine Bedürfnisse und Interessen zu kreisen beginnt. Als Gegenleistung für so viel Opferwillen erwarten sie dann Respekt und Aufmerksamkeit, Treue und eheliches Glück von ihm. Diese Hoffnung ist und bleibt meistens trügerisch. Der Ehemann entwickelt sich ganz anders als vorausgesehen und behandelt auch seine Frau nicht so gut, wie sie es sich erträumt hatte. Darüber ärgert sie sich, offen oder versteckt. Und bei vielen kommt, je älter sie werden, die Angst hinzu, eines Tages womöglich verlassen zu werden. Ein Teufelskreis beginnt: um sich ihrer Qualitäten als Ehefrau zu versichern und als Beweis seiner Treue und Liebe fordert sie immer mehr Zuwendung und Anerkennung von ihrem Mann. Der empfindet das als lästig – und schon beginnen die Frustrationen. Die unerfüllten Bedürfnisse machen verletzlich, und diese Verletzlichkeit kann noch stärkere Abhängigkeit erzeugen. Also, wenn du dich nur noch gut fühlst, solange ein Mann bei dir ist, solltest du schleunigst etwas ändern! Dann ist es höchste Zeit, dich auf eigene Fähigkeiten, auf dein eigenes Selbst zu besinnen! Man könnte es auch so ausdrücken: Je mehr du bist, desto weniger brauchst du. Je mehr du selbst bist, desto weniger 18
hast du es nötig, dich nach anderen zu richten. Du spürst, daß du nicht durch die anderen glücklicher und heiler werden kannst, sondern nur durch dich selbst. Und um so deutlicher siehst du auch, daß ein Mann zwar deine Lebensfreude beeinträchtigen oder steigern kann – aber noch lange nicht die Verantwortung trägt für das, was aus dir wird. Deswegen: Such erst dich, dann deinen Mann! Diese Erkenntnis gewann ich nicht nur von einer Stunde zur anderen. Sie kam mir nicht plötzlich, sondern ist die Summe aller Erfahrungen, die ich aus meinen intensiven Gesprächen mit vielen Frauen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft gewann. Und noch etwas: Ich glaube, jede Frau bekommt den Mann, den sie verdient. Meiner Meinung nach suchen sich nicht die Männer ihre Frauen aus, sondern die Frauen ihre Männer. Und komischerweise erwischen die Frauen häufig genau den falschen – weil sie sich bei ihrer Wahl von dem leiten lassen, was ihnen fehlt, statt von dem, was sie haben. Wenn du glaubst, du seist nur eine halbe Portion, wirst du kaum einen Mann finden, der gleich anderthalbmal zählt und aus euch beiden zwei ganze Personen machen könnte. Du wirst viel eher eine andere halbe Portion wählen. Wenn du dich selbst für ein Nichts hältst, wird der Mann, auf den deine Wahl fällt, auch ein Nichts sein – und sollte er nach außen hin noch so glänzend, charmant und sicher erscheinen. Betrachte dich selbst als eine Frau, die sich erkämpft, was sie will, und dein Mann wird dir entsprechen! Siehst du dich aber von vornherein als eine, die immer vernachlässigt sein wird, so kannst du nach Wärme und Geborgenheit rufen, so viel du willst: dein Mann wird lächelnd auf Distanz bleiben. Hältst du dich aber für ein hilfloses Weibchen, das eine starke Schulter zum Anlehnen braucht – du wirst garantiert einem aufgeblasenen Tyrannen in die Hände fallen, der dir genau sagt, wo's lang geht, und sich sogar um die Farbe deiner Nylonstrümpfe kümmert! 19
Verhaltensprinzip Nummer 1: DER PARTNER, DEN DU WÄHLST, BEWEGT SICH AUF DEMSELBEN NIVEAU PSYCHISCHER GESUNDHEIT WIE DU SELBST Du kannst noch so sehr nach jemandem suchen, der genau das hat, was dir fehlt, am Ende wirst du dich doch mit einem Mann einlassen, der an denselben Stellen Lücken hat wie du. Und wo sind deine Lücken? Die meisten Frauen haben denselben Weg vor sich: sie gehen zur Schule und absolvieren, wenn's hochkommt, noch ein paar Semester Studium, und – schwupp – schon landen sie im ehelichen Bett, noch ehe sie Gelegenheit hatten, sich selbst darüber klar zu werden, wer sie eigentlich sind und was sie überhaupt wollen. Dann wird die Entwicklung ihrer Persönlichkeit von dem Mann bestimmt, den sie bekommen. Sich darüber klar zu werden, wer man ist und was man will, heißt auch, sich Fragen zu stellen: Woran habe ich Spaß? Und was macht mir Unbehagen? Was macht mir zu schaffen? Wo liegen meine besonderen Fähigkeiten? Gibt es ein Ziel, das mir wichtig ist, und auf welche Weise könnte ich es erreichen? Kann ich meine Eltern so akzeptieren, wie sie jetzt sind, unabhängig davon, was sie mir als Kind angetan haben? In welcher Hinsicht muß ich noch an mir arbeiten? Gibt es ungesunde Verhaltensmuster, nach denen ich immer wieder handle, und was kann ich tun, sie zu überwinden? In Zusammenhang mit der Entwicklung seiner »rationalemotiven Therapie« nennt Albert Ellis zwölf wichtige Argumente, die wir vorschieben, um uns nicht mit uns selbst 20
auseinandersetzen und erwachsen werden zu müssen. Von diesen Argumenten erscheinen mir folgende besonders wichtig: - »Es ist schrecklich, aber die Dinge sind einfach anders als ich sie gern hätte.« - »Es liegt an meiner Umwelt, daß es mir so schlecht geht. Da kann ich ja doch nichts machen.« - »Ich weiß, daß es mir besser geht, wenn ich meine Probleme nicht so genau anschaue.« - »Ich kann auch glücklich werden, ohne selbst dafür was zu tun.« - »Darüber, wie's mir geht, hab' ich keine Kontrolle.« Diese fünf Aussagen laufen alle auf dasselbe hinaus: »Ich kann über mein Leben so gut wie gar nicht bestimmen. Deshalb bin ich darauf angewiesen, daß die anderen mir sagen, wer ich bin, und mir zeigen, wo's lang geht.« Aber Probleme und Pflichten verschwinden nicht, wenn man sie leugnet und verdrängt. Garantiertes Lebensglück gibt es nicht, man muß schon etwas dafür tun. Eleanor Roosevelt sagte einmal: »Niemand kann mir etwas anhaben – außer ich selbst erlaube es ihm.« Das sich selbst einstellende Glück in der Ehe gibt es nicht, stimmt's? Woher sollte dieses Glück denn auch kommen, wenn wir nichts anderes tun, als davon träumen, daß irgendwann alles ganz anders wird! (Irgendwann werde ich alles haben, was ich mir wünsche. Irgendwann wird mein Mann sich schon ändern. Irgendwann wird er mich wirklich lieben. Irgendwann werden sie schon merken, was eigentlich in mir steckt ...) Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, um auf die Männer zu schimpfen. Kein Mann soll verächtlich gemacht oder in seinen guten Eigenschaften in Frage gestellt werden. Im Gegenteil, ich möchte, daß wir Frauen, den Mann ernst nehmen, indem wir 21
versuchen, ihn so zu sehen, wie er tatsächlich ist, und nicht, wie wir ihn gern hätten. Dann erst wird es möglich, daß beide ihre Fehler zugeben und sich gemeinsam weiterentwickeln können. Dieses Buch möchte daran erinnern, daß ein Mann nicht das Zentrum ist, um das das Leben einer Frau beständig kreisen sollte. Wenn eine Frau ihren Mann zum Mittelpunkt all ihres Denkens und Handelns macht, wird sie sich selbst verlieren und schließlich bitter enttäuscht darüber sein, daß er sie nicht ebenso verzweifelt braucht wie sie ihn. Die Formen, einen Mann zum Mittelpunkt des eigenen Lebens zu machen, sind vielfältig. Die folgende Entwicklung ist aber typisch: Ein junges Mädchen bindet sich bereits sehr früh an den erwählten Mann und stimmt zu, so lange für den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sorgen, bis er seine Ausbildung abgeschlossen und im Beruf Fuß gefaßt hat. Dann hört sie oft auf zu arbeiten, weil »meine Frau das nicht nötig hat« – sagt der Mann. Der Mann steht also im Leben, lernt ständig neue Leute kennen, nimmt seine Chancen wahr und meistert alle möglichen schwierigen Situationen. Seine Frau bleibt still im Hintergrund und sorgt für ein gemütliches Zuhause. Wenn Kinder da sind, ist sie dafür zuständig, daß er abends seine Ruhe hat und niemand ihn stört. Es wird immer schwieriger für sie, mit ihm zu reden, ihm etwas von sich zu erzählen, und sie muß mit dem bißchen Aufmerksamkeit zufrieden sein, das er neben all seinen Verpflichtungen noch für sie übrig hat. Seine Welt bleibt ihr verschlossen, und sie darf sich nicht einmal beklagen über ihre Einsamkeit, denn schließlich tut er das alles doch auch für sie. Während der Mann ziemlich rasch vorwärtskommt und Erfolg hat, bleibt seine Frau, was sie mit fünfzehn oder sechzehn oder zwanzig war, als sie ihn kennenlernte: ein unerfahrenes Mädchen, das seine Fähigkeiten nie ausprobieren konnte und also auch nicht das Selbstvertrauen welterfahrener Leute besitzt. 22
Falls ihrem Mann etwas zustoßen oder die Ehe in die Brüche gehen sollte, wäre sie nicht einmal in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Je erfolgreicher ein Mann in seinem Beruf ist, um so weniger ist er zu Hause; der alltägliche Kleinkram wird mehr und mehr zur Sache der Frau. Bald hat sie keine andere Aufgabe mehr als ihren Haushalt, und natürlich kann sie nicht sagen: »Hilf mir bei der Hausarbeit, ich habe auch noch wichtigere Dinge zu tun.« Er würde sofort kontern: »Was hast du schon zu tun? Du kennst doch nichts außer deinen vier Wänden!« So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Irgendwann einmal wird er seine Sekretärin oder die Frau, mit der er am engsten zusammenarbeitet, attraktiver finden, weil sie mehr von dem versteht, was ihn am meisten beschäftigt. Sie wird zu seiner Partnerin während des Tages und wächst dadurch in die Rolle seiner Frau hinein. Die eigene Frau dagegen kommt ihm allmählich eher wie eine Fremde vor, die jede Woche Haushaltsgeld bekommt. Schließlich wird er seine Frau der anderen wegen verlassen. Die Ehefrau ist plötzlich allein auf sich gestellt, ist bestürzt, enttäuscht und fühlt sich verletzt. Sie hat nichts gelernt, womit sie sich durchbringen könnte. Zwar war sie verheiratet, aber die Beziehung zu ihrem Mann war die eines Kindes, das zu seinem Vater aufblickt – die wenigsten Kinder verkraften es, plötzlich im Stich gelassen zu werden! Kann man eine solche Entwicklung überhaupt aufhalten? Ich glaube schon! Es ist doch so: Wenn man keine gemeinsamen Ziele und Interessen verfolgt und sich nicht mehr genügend Zeit füreinander nimmt, hat man sich sehr bald nichts mehr zu sagen. Ich denke, die wenigsten Männer interessieren sich für das neueste Wort ihres Sprößlings, wenn er »Papi« schon kann; sie wollen auch nicht wissen, warum der eine Weichspüler besser ist als der andere. Und was die Schwiegermutter heute am Telefon erzählt hat, beschäftigt sie allenfalls am Rande. Der 23
Hausfrauenalltag liefert eben wenig Gesprächsstoff, und wenn der Mann abends nach Hause kommt, kennt er schon alle Neuigkeiten, die ihn heute wieder erwarten. Damit will ich nicht sagen, daß eine Mutter keine wichtige Aufgabe zu erfüllen hätte. Auch nicht, daß eine Frau nicht für ihr Kind da sein sollte, solange es noch klein ist. Diese ersten Jahre mit dem Kind können einer Frau sehr viel geben; während sie dem kleinen Menschen hilft, seine Persönlichkeit zu entwickeln, bringt sie ihm etwas bei. Zu dieser Zeit ist es faszinierend für die Mutter, zu beobachten, wie rasch sich das Kind verändert und dazulernt. Entscheidend dabei ist, daß sich der Ehemann auch an der Kindererziehung beteiligt und beide Partner versuchen, gemeinsam die verschiedenen Aufgaben zu bewältigen, damit sich die starre Verteilung der Rollen in »Frauenarbeit« und »Männerarbeit« erst gar nicht einschleichen kann. Denn eine solche Aufteilung wird dazu führen, daß man sich allmählich auseinanderlebt. Es ist, als hörtest du dich selbst sagen: »Wenn ich auf die Kinder aufpasse, sorge ich für sie. Tust du das, dann ist das nicht mehr als Babysitting.« Oder: »Wenn ich einen Beruf ausübte, wäre ich eine schlechte Ehefrau, und ich zerstörte das Familienleben. Wenn du deiner Karriere nachgehst, ist das dein gottgegebenes Recht.« Kürzlich sprach ich mit einem Mann, der eine sehr gute Stellung hat. Seine Frau arbeitet nicht. Ich fragte ihn aus Neugier, wie sich seine Frau bei einem solchen Leben fühle. »Ach, sie ist krankhaft eifersüchtig«, erwiderte er lächelnd, um dann schnell ernst zu werden: »Ich komme kaum zur Tür herein, da fährt sie schon auf mich los. Es kann schon sein, daß sie mich liebt, aber sie haßt mich mindestens ebenso sehr. Und ich verstehe nicht einmal, warum.« Ich kann sehr gut verstehen, was in dieser Frau vorgeht. Es ist unerträglich für sie, daß ihr Mann ständig mit Leuten zusammen ist, die in der Welt etwas bewegen. Morgens kann er gar nicht 24
schnell genug zur Arbeit aufbrechen. Das spürt sie genau, und es tut ihr weh, daß er kaum an etwas anderes denkt als an seinen Beruf. Warum wohl? Sein Beruf ist eben die Quelle seiner Lebenskraft! Wo aber nimmst du deine Lebenskraft her? Was hast du von deinen Kindern? Gut, solange sie klein sind und dich brauchen, ist es ganz schön, aber dann? Wie oft mußt du aufräumen und saubermachen. Das Essen, für das du stundenlang in der Küche warst, ist in ein paar Minuten verzehrt, und keiner sagt etwas dazu. Ist dieses dein Leben mit Kindern und Haushalt denn wirklich alles? Ich war einmal bei einer Bekannten zum Abendessen eingeladen. Das Steak, das serviert wurde, war kaum zu genießen. Zu meiner Überraschung ließ die Gastgeberin den von ihr engagierten Koch an den Tisch kommen und lobte ihn überschwenglich für seinen kulinarischen Ausrutscher. Welche Hausfrau bekommt so viel Lob für ein Steak – noch dazu, wenn es nicht einmal schmeckt? Manchmal denke ich, daß wir die Männer für allen Unsinn bewundern und an ihnen Dinge schätzen, die wir bei uns selbst und bei anderen Frauen unmöglich fänden. Es scheint uns ganz natürlich, die Männer auf ein Podest zu heben und unseren eigenen Wert herunterzuspielen. Zum Teil liegt das Problem darin, daß viele von uns mit romantischen Vorstellungen in die Ehe gingen. Früher war es so, daß Ehen aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen geschlossen wurden, oder auch, um bestimmte Familien und Sippen miteinander zu verbinden. Das Eheleben basierte auf gewissen Notwendigkeiten. Die Partner mußten zusammenhalten und zusammenarbeiten, um überleben zu können. Gemeinsam verschafften sie sich einen bestimmten Freiraum, Sicherheit und Stabilität. Allmählich entwickelte sich die Ehe aber zu einer Institution, 25
die mit romantischen Träumen überfrachtet wurde, von der man sich das große Glück erhoffte; sie wurde nicht mehr länger als eine Arbeitsgemeinschaft betrachtet, in der beide Partner mitverantwortlich waren für ein gemeinsames Ziel. Die Zahl der Scheidungen stieg. Was aber kann nicht alles passieren, wenn wir uns romantischen Träumen hingeben?
DAS KLISCHEE VOM ROMANTISCHEN LIEBESGLÜCK Romantisches, schwärmerisches Verliebtsein hat nicht immer etwas mit echter Liebe zu tun, wird aber meistens dafür gehalten. Was geschieht denn, wenn man sich so himmlisch verliebt? Zunächst und vor allem fühlt man sich dem Alltag gänzlich entrückt. Verliebte sehen sich mit anderen Augen und stilisieren sich gegenseitig zum Ideal. Sie blenden einen Teil ihrer Umwelt aus und nehmen nur das wahr, was für die zärtliche Stimmung und die Erotik anregend ist. Jeder kennt das doch: Wein, Blumen, vielsagende Blicke, Schmeicheleien, Kerzenlicht, womöglich schmeichelnde Geigenklänge im Hintergrund. Liebesbriefe, kleine Aufmerksamkeiten und endlich stürmische Geständnisse ewiger Liebe. Man hält sich umschlungen und hofft, es könnte immer so bleiben. Eine Frau, die so galant umworben und begehrt wird, glaubt sich natürlich geliebt. Eine wundervolle Beziehung: Er ist so großartig, du bist so glücklich, was willst du noch mehr? Das Happy-End selbstverständlich! Zu jeder Romanze gehört doch ein Happy-End! Und wenn der Mann dich nicht nur verführen, sondern auch noch heiraten will, glaubst du dich am Ziel deiner Wünsche. Du sinkst in die Arme eines liebenden Mannes, der dich für wertvoll genug hält, seine Frau zu werden. 26
Die Feministinnen haben gezeigt, daß früher eine Frau nur dann etwas wert war, wenn sie von einem Mann begehrt wurde. Inzwischen haben Frauen begonnen, sich in allen möglichen Lebensbereichen eine eigene Stellung zu erkämpfen, auch in der Geschäftswelt, und trotzdem hängen viele von uns an diesen romantischen Vorstellungen fest. Sie träumen von leidenschaftlicher Hingabe, von einem Helden, der sie befreit und ihnen alles zu Füßen legt. Und wenn dein Märchenprinz dann von dir fordert, daß du ihm entsagst, so tust du es auch. Ist das vielleicht Liebe? Bestimmt nicht! Das ist ein Abklatsch wirklicher Romantik. In schwärmerische Liebe kann man sich hineinsteigern, an einem besonderen Wochenende, in den Flitterwochen, bei einem Stelldichein am Nachmittag als spontane Gefühlsäußerung in einer besonderen Situation. Aber in einem Zustand der Schwärmerei kann niemand auf Dauer leben. Wenn die Menschheit das tatsächlich versucht hätte, wäre sie bereits zugrunde gegangen, zu einem Zeitpunkt, als sie noch im Lendenschurz herumlief. Wenn du in Schwärmerei verharrst, wirst du eingehen, weil du zwangsläufig dem natürlichen Streben nach gutem Auskommen, nach Schutz und Schirm, nach Weiterbildung nicht näher kommst, weil du all deine persönlichen Ziele für das tägliche Aufheizen deiner ekstatischen Liebe verbrauchst. Und das Ergebnis? Ihr beide, du und dein Partner, klebt so stark aneinander, daß jedem von euch die Fähigkeit abgeht, Kräfte für den Lebenskampf zu speichern oder eine eigene Persönlichkeit zu entfalten. Der Wunsch nach einem romantischen Ideal kann sich als sehr ungesund erweisen, besonders, wenn wir diese Liebe mit der Hoffnung durcheinander bringen, die wahre Liebe zu finden. Während romantische Liebesbeziehungen nicht ohne Phantasien denkbar sind, gründet Liebe allein in der Realität.
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Wenn zwei Menschen sich lieben und gegenseitig ernst nehmen, müssen sie ihre Leidenschaft füreinander nicht ständig aufflammen lassen. Wieviel sie einander bedeuten, können sie ohne leidenschaftliche Liebesschwüre oder dramatische Auftritte beweisen. Wahre Liebe und schwärmerische Romanze sind zwei grundverschiedene Dinge. Der Schwärmer sagt: »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich nicht mehr liebst. Sag mir, daß du mich liebst!« Jemand, der den anderen liebt, sagt: »Ich bin froh, daß es dich gibt. Es ist mir wichtig, zu wissen, daß du da bist und daß ich dir etwas bedeute.« Der Schwärmer: »Du bist mein ganzes Leben – bedeute auch ich alles für dich?« Jemand, der liebt: »Ich bin glücklich mit dir.« Der Schwärmer: »Du hast mich nie wirklich geliebt; und wenn du mich jetzt verläßt, wird es dir noch leid tun!« Jemand, der liebt: »Laß uns darüber reden, was zwischen uns los ist. Ich möchte nicht, daß unsere Beziehung einfach so zu Ende geht.« Die Sprache des Schwärmers klingt manchmal verrückt und verzweifelt. Seine Wünsche müssen auf der Stelle erfüllt werden, sonst meint er, er werde nicht mehr geliebt. Wir Frauen sollten nie vergessen, daß wir uns nur zu schnell der schönen Vorstellung hingeben, das ganze gemeinsame Leben könne so verlaufen wie die Zeit des ersten Kennenlernens: Jeder gibt sich Mühe, für den anderen begehrenswert zu sein, alles ist makellos, perfekt und wunderbar harmonisch. Man schwebt auf Wolken. Natürlich wird es nicht immer so sein. Ob du nun willst oder nicht, du mußt dich mit der Realität auseinandersetzen. Wenn du also eine echte Partnerschaft haben möchtest, überleg dir, was hinter deinen romantischen Träumen eigentlich steckt, und mach dir klar, daß für eine gute 28
Partnerschaft zwei Menschen nötig sind, die zusammenhalten und sich in schlimmen Zeiten unterstützen, aber auch ihre großen und kleinen Erfolge und Freuden gemeinsam teilen. James Ramey sagt in seinem Buch »Intime Freundschaften«, daß du nur eine einzige wichtige Verpflichtung gegenüber deinem Partner hast: ihn oder sie nicht in einer schlechteren Verfassung zu verlassen als beim Kennenlernen. Du mußt also dafür sorgen, daß der andere nicht dadurch, daß er dich kennt, Kräfte verliert oder sich zu seinem Nachteil verändert. Das Beste, was der eine für den anderen tun kann, ist, ihm nicht die Verantwortung für die Erfüllung aller Wünsche aufzubürden. Mütter erziehen Töchter anders als Söhne. Die Söhne werden nicht darauf getrimmt, in einer romantischen Beziehung die letzte Erfüllung zu suchen, aber die Töchter wachsen auf mit dem Traum vom Prinzen, der eines Tages kommen wird, um all ihre Sehnsucht zu stillen. Solange wir Frauen uns bei der Partnerwahl jedoch von so unrealistischen Vorstellungen und phantastischen Wünschen leiten lassen, können wir nur Enttäuschungen erfahren. Wann werden wir endlich lernen, nicht länger Träumen nachzujagen? Es ist verwirrend und betäubend, begehrt und umworben zu werden. Wenn du dich verliebst, wird dein ganzes Wahrnehmungsvermögen verschwommen und ungenau: Du siehst und hörst nur, was du sehen und hören willst. Du ignorierst jede der Warnungen, die sich in den Äußerungen des geliebten Mannes verstecken. Was sagen romantisch-schwärmende Männer nicht alles den Frauen! Aber was in Wirklichkeit dahinter steckt, mögen drei Beispiele beweisen: »Er sagte mir immer, ich sei die einzige Frau, die ihn wirklich verstehe und bei der er sich wohl fühle. Aber seit wir verheiratet sind, spricht er kaum noch mit mir. Wenn ich ihn etwas frage, fährt er mich an, ich solle mich um meine eigenen 29
Angelegenheiten kümmern.« Dieser Fall beweist, daß dieser Mann schon immer Probleme hatte, mit anderen in echter Gemeinschaft zu leben. Seine Frau aber hatte sich eingeredet, sie könne ihn ändern. »Bevor wir verheiratet waren, konnte er gar nicht genug von mir bekommen. Jetzt behandelt er mich wie ein Möbelstück.« Dies zeigt, daß der Mann schon vor der Ehe seine Frau als sein persönliches Eigentum betrachtete, und sie war anfangs davon ganz hingerissen. Jetzt leidet sie darunter, weil sie allmählich begreift, was das bedeutet. »Als wir uns kennenlernten, machte er sich über Leute lustig, die nur ihre Karriere im Kopf hatten. Er schien immer guter Laune zu sein. Inzwischen hat er sich in seiner Arbeit festgebissen und schimpft ständig über seinen Chef.« Dieser Mann hatte in Wirklichkeit nie genügend Selbstvertrauen. Sie redete sich aber ein, daß er eben »ganz normal« und nicht so auf Erfolg versessen sei wie andere. Inzwischen hat sie gemerkt, daß er ein Versager ist und weder seine Grenzen kennt noch Verantwortung übernehmen kann. Wenn der erste Zauber der Verliebtheit nachläßt, erscheint der Partner in einem ganz anderen Licht. Es fällt dir wie Schuppen von den Augen, daß seine Versprechungen nicht zu seinem Verhalten passen. »Ohne dich kann ich nicht leben«, sagte er, und auch jetzt behauptet er noch, dich zu lieben, sieht sich gleichzeitig aber nach anderen Frauen um. Einige Frauen haben mir auch erzählt, daß ihre Männer sie schlugen und dabei schrien: »Ich liebe dich, verlaß mich nicht!« Wie können diese Frauen bei solchen Männern bleiben? Ich glaube, sie ignorieren einfach das brutale Tun ihrer Männer und klammern sich verzweifelt an das, was sie ihnen sagen – an diese Worte von Liebe und Anhänglichkeit. Nell, eine berufstätige Frau aus Chicago, erzählte mir, daß es in ihrer Ehe nicht mehr gut gehe, obwohl sie erst ein Jahr 30
verheiratet war. Ich fragte sie, wie ihr Mann vor der Heirat gewesen sei. Prima! sagte sie. Ganz großartig! Es gab nur ein Problem: Wenn im Gespräch ein intimes Thema berührt wurde, begann er zu trinken. Sprach sie von Heirat, gab es meistens Auseinandersetzungen. Ihm machte dieses Thema Angst, also trank er, wurde ausfallend und sogar gemein. Sie verzieh ihm diese Ausbrüche, weil sie ihn ja heiraten wollte. Irgendwann hatte sie ihn dann soweit. Aber es wurde nach der Hochzeit nicht besser. Sein Verhalten änderte sich nicht. Von Verpflichtungen wollte er nichts wissen, ernsthaften Gesprächen ging er aus dem Weg und betrank sich. So hatte sie keine Chance, ihm klarzumachen, was sie von ihm brauchte. »Was willst du eigentlich noch von mir? Ich habe dich doch geheiratet, oder?« war alles, was er zu sagen hatte. Nell hatte sich früher nie überlegt, diesen Mann besser doch nicht zu heiraten. Sie hoffte, durch die Heirat würden sie sich näher kommen. Sie hoffte vergebens: denn ihr Mann glaubte, er habe ihr das Beste gegeben, das er geben konnte: seinen Namen. Wenn du glaubst, ein Mann werde sich nach der Heirat ändern – zu seinem Besseren –, wirst du enttäuscht werden. Es gibt Männer, die es bewußt darauf anlegen, in der Ehe möglichst viel Macht zu besitzen. Meist bekommen sie auch, was sie wollen. Wir Frauen bemühen uns ja nicht darum, selbst Entscheidungen zu treffen, unser Leben in die Hand zu nehmen und die Konsequenzen unseres Verhaltens zu tragen. Wir ordnen uns unter und passen uns an. Manche Frau gibt lieber sich selbst auf als ihren Mann. Wenn du schlau bist, achtest du darauf, was dein Mann tut. Wenn es dem widerspricht, was er dir sagt, stelle ihn sofort zur Rede! Er soll wissen, was dich beunruhigt. Wenn sich ein Mann zum Beispiel mit dir um acht Uhr verabredet hat und er kommt erst um neun Uhr, ohne dich vorher anzurufen, muß er wissen, 31
daß er sich unmöglich benommen hat. Du brauchst ihm zwar weder die Tür vor der Nase zuzuschlagen noch eine große Szene machen oder dich mit seiner fadenscheinigen Entschuldigung zufriedenzugeben. Mit ihr will er vielleicht nur testen, wie weit er bei dir gehen kann. Eine Frau, die sich und ihren Partner ernst nimmt, könnte ihm etwa folgendes sagen: »Ich habe mir Sorgen gemacht, wo du bleibst. Es ist nicht schön, auf jemanden warten zu müssen, und ich möchte nicht die Rolle einer Frau spielen, die immer nur wartet. Wenn du das nächstemal merkst, daß du dich verspätest, rufe bitte an. Sonst müßte ich annehmen, daß du mich absichtlich warten läßt.« So machst du ihm klar, worauf es dir ankommt, ohne ihn für sein Verhalten zu bestrafen. Es könnte sein, daß er so reagiert: »Ich wurde auf der Straße aufgehalten (oder »es war im Büro etwas los« oder »ich habe zufällig einen alten Freund getroffen«) und konnte dich nicht anrufen... und was macht das schon, jetzt bin ich ja da!« Ein Mann, der so auf deine Bitte reagiert, ist nicht viel wert. Du würdest diese Antwort jedesmal zu hören bekommen, wenn du etwas von ihm forderst oder ihn kritisierst. Möglicherweise reagiert er auch so: »Gut, es tut mir leid. Ich weiß, wie lästig es ist, warten zu müssen, und ich werde dich nächstesmal anrufen, falls es später wird.« Diese Antwort gefällt mir. Er scheint auf andere Rücksicht zu nehmen. Ich habe dieses Beispiel nicht nur so erzählt. Ich denke, ein Mann, der zu jeder Verabredung zu spät kommt, wird sich nach der Hochzeit kaum ändern. Einer, der dich vor Freunden bloßstellt – »Hört nicht auf Tina, sie hat doch keine Ahnung von Filmen« – wird dich immer als kleines Dummerchen behandeln. Ein Mann, der darauf besteht, mit einer »süßen kleinen Frau« verheiratet zu sein, wird sich von ihren Versuchen, selbständiger zu werden, höchstens bedroht fühlen: 32
»Kommt gar nicht in Frage, daß Joanie studiert. Wie kann sie sich einbilden, mich zu übertrumpfen!« Frauen heiraten oft genug Männer, die sie schäbig behandeln. Trotzdem sind sie bereit, ihnen immer wieder schnell zu verzeihen. Warum? Diese Frauen glauben, die eigene Individualität aufzugeben, sei der rechtmäßige Preis dafür, immer gesagt zu bekommen, was man denken und wie man leben solle. Und sie ertragen es aus Angst, verlassen zu werden. Keine sehr romantische Vorstellung! Statt zu versuchen, ihre Männer zu ändern, ihnen beispielsweise klar zu machen, daß es kein Ausdruck von Schwäche ist, auf andere Rücksicht zu nehmen, geben sie oft viel zu schnell auf und fügen sich. Es ist klar, daß sie dann unter dem schwierigen Verhalten ihrer Männer weiterzuleiden haben. Was tun wir Frauen eigentlich, wenn wir uns einem Mann unterordnen, gleichzeitig aber nie vergessen, was wir alles für ihn tun? Wir machen uns selbst abhängig von ihm, abhängig von dem Gefühl, gebraucht zu werden, lebensnotwendig für ihn zu sein. Aber das zahlt sich meist nicht aus. Wir nehmen nicht nur in Kauf, daß man uns unfreundlich behandelt, sondern lassen es sogar zu, daß wir gar nicht mehr beachtet werden. Jackie, eine Ehefrau aus Detroit, berichtete mir, daß ihr Mann nie etwas über ihr Aussehen sagte – außer, wenn ihm etwas an ihr nicht gefiel. Das passierte vielleicht einoder zweimal im Jahr. Während der letzten zehn Jahre ihrer Ehe war sein Schweigen der einzige Hinweis darauf, daß sie ihm gefiel. Warum konnte er ihr nicht einmal ein Kompliment machen? Wahrscheinlich deswegen, weil sie es im Grunde gar nicht erwartete. Sie beklagte sich ja nicht bei ihm, und dadurch bestärkte sie ihn wohl in seiner Ansicht, es sei Kompliment genug, daß er in ihr Leben getreten war. Nur zu gerne vergessen wir Frauen die negativen Seiten unserer Männer, wir trösten uns lieber mit den positiven. 33
»Schließlich hat er mich geheiratet«, sagen wir uns. Aber geheiratet zu werden, ist keine besondere Auszeichnung, sondern einfach eine Tatsache. Auch wenn die Männer offenbar anderer Meinung sind!
Verhaltensprinzip Nummer 2: DU MÖCHTEST GLÜCKLICH WERDEN? –DAS LIEGT AUCH IN DEINER HAND! Du solltest dir von Anfang an überlegen, wieviel du in einer Beziehung zu tolerieren bereit bist. Und vor allem: Geh' nicht in die »romantische Falle«, um dich später, verstrickt in die Phantasien deines Mannes, zu erinnern, wer du eigentlich sein solltest. Dann müßtest du dir klar machen, daß auch du deinen Teil dazu beigetragen hast, daß sich eure Beziehung so entwickeln konnte: Du hast seinen Phantasien Nahrung gegeben in der Hoffnung, deine eigenen mögen sich erfüllen. – Du kannst dich eigentlich nicht beschweren: Du hast den Mann bekommen, den du wolltest. Und wenn du jetzt unglücklich darüber bist, versuche herauszufinden, woran es liegen kann, denk einmal darüber nach, welche Rolle du in seinem Leben spielst und wann eure Beziehung anfing, für euch falsch zu laufen. Je mehr du dich an romantische Vorstellungen klammerst, desto weniger wirkliche Zufriedenheit wirst du in deinem Leben finden. Tief versunken in deinen romantischen Traum, bist du ein Jemand. Aber je länger du mit den Aufgaben des täglichen Lebens konfrontiert bist, deinen Ehepflichten nachkommst und deine Kinder erziehst, desto eher kann es passieren, daß dieser Traum zerbricht und du – in deinen Augen – zu einem Niemand wirst. 34
EINE FRAU OHNE MANN ... oder: VOM JEMAND ZUM NIEMAND Ruth, seit zwei Jahren verheiratet, hatte den Verdacht, ihr Mann wäre untreu. Sie wußte nicht, mit wem sie darüber reden sollte. Freunden oder Verwandten wagte sie sich nicht anzuvertrauen: denn, hätte sie unrecht, würde man sagen, sie verdiene ihren Mann nicht. War ihr Verdacht aber berechtigt, dann würden bald alle über seine Untreue reden und sie als Frau nicht mehr ernst nehmen. Dann wäre sie ein Niemand. Ruth ist ein typisches Beispiel für all jene Frauen, die nur ein Bild sehen, wenn sie in den Spiegel schauen, aber keine Person. Sie lebt in dem Glauben, eine Frau zähle nur, wenn sie einen Mann habe. Daher konnte sie sich gar nicht vorstellen, auch ohne Mann eine vollwertige Person zu sein. Mir fällt dazu der Ausspruch einer Frau ein, die unserer Ruth wohl sehr ähnlich war: »Wenn ich keinen Mann finden kann, der mich zum Abendessen einlädt, dann geschieht es mir ganz recht, wenn ich verhungere.« Wer sind eigentlich diese Frauen, die sich selbst so gering einschätzen? Wie verhält sich so ein Niemand? Eine NiemandFrau ist unfähig oder fürchtet sich, sich positiv zu äußern. Sie würde zum Beispiel sagen: »Ich habe meine FührerscheinPrüfung bestanden. Es wundert mich selber, wahrscheinlich ist ihnen ein Fehler unterlaufen.« – So eine Frau kann über sich selbst auch nur in allgemeinen, vagen Wendungen reden: »Ja, ich glaube eigentlich schon, daß ich gerne koche.« Jemand, der eine gute Beziehung zu sich selbst hat, würde sagen: »Ich hab's geschafft! Ich hab' meinen Führerschein!«, oder: »Ich bin eine gute Köchin.« Ein Niemand hat natürlich auch keine besonderen Stärken: »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt gute Eigenschaften habe …« Ein 35
Jemand würde dagegen feststellen: »Ich weiß genau, daß ich vier gute Eigenschaften habe – ich kann gut zuhören, ich bin eine treue Freundin. Ich bin zuverlässig und kann ein Geheimnis für mich behalten.« Ein Niemand signalisiert den Mitmenschen, daß er deren Zustimmung dringend braucht und bereit ist, alles zu tun, um eine Freundschaft aufrechtzuerhalten. »Ich hab dein Auto in die Werkstatt gebracht. Soll ich es auch für dich abholen, wenn es fertig ist?« – »Ach, das macht nichts, daß du meinen Geburtstag vergessen hast. Ich möchte sowieso nicht daran erinnert werden, wie alt ich schon bin.« Ein Jemand dagegen kennt sehr genau die Grenze zwischen einer Gefälligkeit für jemanden, den er mag, und dem unterwürfigem Werben um Freundschaft: »Ich habe dein Auto zur Werkstatt gefahren«, würde er sagen, »sie rufen dich an, sobald es fertig ist.« Er hat es auch nicht nötig, die kleinen Fehler und Vergeßlichkeiten anderer zu entschuldigen: »Du hast meinen Geburtstag vergessen. Das macht mich doch ein bißchen traurig.« Ein Niemand denkt, jeder Mann sei ihm allein schon deswegen überlegen, weil er eben ein Mann ist. Er unterwirft sich den starren Regeln über die Rollenverteilung unter den Geschlechtern und bekräftigt damit seine untergeordnete Stellung: »Männer sind eben doch das starke Geschlecht. Wir Frauen sollten nachgeben.« Ganz unter der Fuchtel ihres Mannes stehend, sieht sie nicht mehr, daß sie ja den ganzen Haushalt macht, und sie fühlt sich gleich schuldig, wenn sie etwas mehr von ihrem Leben haben möchte: »Ach, ich darf mich nicht beklagen. Ich sollte froh sein, daß ich überhaupt einen Mann habe.« Ein Jemand dagegen fühlt sich nicht minderwertig. Eine solche Frau glaubt auch nicht, daß ein Mann ihr einen unschätzbaren Gefallen erweist, wenn er sie heiratet. Über sich und ihren Mann würde sie etwa sagen: »Wir haben beide nicht immer 36
recht, aber wir sind bereit, die Meinung des anderen anzuhören. Und jeder von uns hat seine starken und guten Seiten, mit denen wir uns gegenseitig stützen können.« Ein Niemand traut seinem Urteil nicht und ist jederzeit bereit, seine Sicht der Dinge in Frage zu stellen, um die Ansichten anderer aber ohne weiteres Nachdenken zu übernehmen: »Irgend etwas gefällt mir nicht an Larry – doch wenn du meinst, er ist in Ordnung, dann wird es schon stimmen«, oder: »Eigentlich hätte ich schwören können, daß Ägypten in Afrika liegt, aber wenn du meinst, das stimmt nicht, hab' ich es mit einem anderen Land verwechselt.« Viel schwerer als solches Nachgeben in äußeren Dingen wiegt dagegen, daß eine Niemand-Frau nicht zu ihren Gefühlen stehen kann. Sie mißachtet, was in ihr vorgeht, und findet sich mit billigen Ausreden der anderen ab. »Ich dachte, du magst mich nicht mehr. Aber wenn dein Freund in einer Krise steckt und jemanden zum Reden braucht, Nacht für Nacht, kann ich das gut verstehen.« Ein Jemand verläßt sich auf sein eigenes Urteil und erwartet von anderen Achtung. Eine solche Frau sagt: »Irgendwas stört mich an Larry, und ich werde mir sehr genau überlegen, wie weit ich ihm vertraue.« Oder: »Ägypten ist in Afrika« und »Wenn dein Freund in einer Krise steckt, ist das noch lange kein Grund, mich so zu vernachlässigen. Also erklär mir bitte, was los ist!« Ein Niemand fühlt sich mit sich selbst nicht wohl und kann sich gar nicht vorstellen, daß es auch Spaß macht, einmal allein ins Kino oder allein zum Essen zu gehen. »Die Leute würden denken, mit mir stimmt was nicht, wenn ich allein ausginge.« »Es macht wirklich keinen Spaß, allein in der Stadt zu spazieren es beängstigt mich jedesmal.« »Ich hasse es, allein zu Hause zu sein, die Wohnung ist so furchtbar still.« Aber – wer kann überhaupt gern mit mir zusammen sein, wenn nicht einmal ich selber mich mag? Ist es nicht manchmal sogar erholsam, ganz für sich allein zu sein und das zu tun, was 37
man möchte? Hören wir wieder der selbstbewußten Frau zu: »Vom ›Winde verweht‹ läuft nur diesen einen Abend, und ich habe keine Lust, es zu versäumen, bloß weil niemand Zeit hat, mich zu begleiten.« »Es ist herrlich, allein durch die Stadt zu streifen.« Eine Niemand-Frau stellt keine Forderungen, sei es nun in sexueller, finanzieller oder emotionaler Hinsicht. Sie gibt sich mit den Krümchen zufrieden, die ihr die anderen zuwerfen und hat Angst davor, die Umwelt würde ihr sofort die Zuneigung entziehen, sollte sie es einmal wagen aufzubegehren, Forderungen zu stellen oder eine Bitte abzuschlagen. Das hört sich dann etwa so an: »Er lacht mich aus, wenn ich zu weinen anfange, aber er hat ja recht – ich sollte keinen Streit vom Zaun brechen«, oder: »Mein Mann wäre wütend, wenn ich ihm sagte, daß ich's im Bett gern anders hätte«, oder: »Ich bete zum Himmel, daß ich im Dezember eine Gehaltserhöhung bekomme.« Wie reagiert in solchen Fällen eine selbstbewußte Frau? Sie fordert, was ihr zusteht, und sagt frei heraus, wenn sie etwas nicht möchte oder wenn ihr etwas zuviel wird. Zum Beispiel: »Deine Anschuldigung hat mich sehr getroffen, und daß du jetzt auch noch lachst, macht mich noch viel trauriger.« »Laß uns im Bett mal was anderes ausprobieren.« »Ich habe die letzten drei Monate sehr gute Arbeit geleistet und den Umsatz gesteigert. Jetzt möchte ich mehr Geld.« Eine Niemand-Frau wagt es nie, Nein zu sagen. Sie ist so aufgeregt, daß ihr überhaupt jemand etwas vorschlägt, und greift auf jeden Fall zu, auch wenn es gar nicht ganz das ist, was sie ursprünglich wollte. Sie sagt: »Natürlich will ich dich heiraten«, und denkt sich vielleicht: »Er ist immer noch besser als gar keiner.« Oder sie sagt: »Ja, ich nehme die Stelle an«, und denkt sich: »Es ist zwar nicht das, was ich wollte, aber ich darf nicht wählerisch sein.« 38
Oder sie sagt: »Gut, wir sagen die Einladung bei den Smiths ab«, denkt dabei jedoch: »Wieder ein Abend vor dem Fernseher, aber immer noch besser, als wenn er allein in eine Bar hingeht!« – Eine Frau, die weiß, was sie will, läßt sich dagegen nicht auf jedes x-beliebige Angebot ein, nur aus Furcht, es könnte das letzte sein. Sie würde zum Beispiel sagen: »Ich mag dich sehr gern auf meine Weise, aber ich kann dich nicht heiraten. Laß uns gute Freunde sein!« Oder: »Danke, aber das ist nicht die Arbeit, die ich mir vorgestellt habe.« Oder: »Wenn du lieber daheim bleiben willst, tu das. Ich werde noch ein bißchen ausgehen.« Eine Frau, die glaubt, ein Nichts zu sein, hat also das Gefühl, nicht zu zählen und auch nichts Gutes zu verdienen. Oft führt sie sogar unbewußt genau solche Situationen herbei, die ihr negatives Selbstbild bestätigen: Sie sucht sich beispielsweise einen Mann aus, der sie schlecht behandelt, weil sie glaubt, dieser Mann schaue bis in den Grund ihrer Seele und habe erkannt, wie wenig wert sie sei. Ein Mann, der gut zu ihr sei, wäre nach ihrer Meinung ein Dummkopf. Eine Niemand-Frau gibt sich auch der Illusion hin, ein Mann könne ihren Mangel an Selbstvertrauen ausgleichen. Sie redet sie sich selbst ein: »Ach, er ist ja so stark. Wenn er bei mir ist, wird niemand merken, wie unsicher und ängstlich ich wirklich bin.« Statt von einem Mann Vertrauen zu lernen und mit ihm in puncto Selbstbewußtsein zu wetteifern, machen sich diese Niemand-Frauen selbst klein. Sie ertragen es nicht, mit ihrem Partner auf gleicher Ebene zu stehen, sie brauchen jemanden, zu dem sie aufschauen können. Eine der Wahrheiten, mit der wir Frauen leben müssen, sollten wir nicht vergessen: Wir können eines Tages plötzlich allein dastehen. Tod, Scheidung oder »Weggehen« hat uns den Partner genommen. Wir sollten uns rechtzeitig darauf vorbereiten, ehe es zu spät ist. 39
Jede Frau hat die Pflicht, sich wirtschaftlich und emotional unabhängig zu machen, bevor sie sich bindet, sonst bleibt sie ihr ganzes Leben lang »ein kleines Kind«. Sie wird sich selbst daran hindern, erwachsen zu werden, wenn sie alle Entscheidungen ihrem Mann überläßt und ihm ihr ganzes Leben anvertraut. Je mehr sie jedoch ihr Leben in die eigene Hand nimmt, desto mehr wird sie für sich und die anderen zu einem »Jemand«. Sobald sie anfängt, selbständig zu werden, hört sie auf, ein »Niemand« zu sein – ob verheiratet oder nicht. Nun kann sie endlich tiefe menschliche Beziehungen aufnehmen – ohne Angst, sich dabei selbst zu verlieren. Und nun muß sie nicht länger befürchten, nur das Anhängsel eines Mannes zu sein.
DER WEG ZURÜCK ZUM JEMAND Gute Ehen funktionieren so: Beide Partner fühlen sich zueinander hingezogen. Beide arbeiten gemeinsam daran, das Positive in ihrer Beziehung zu erhalten. Sie lieben sich, fühlen sich aber als zwei eigenständige Persönlichkeiten. In einer Ehe kann nichts Schlimmeres geschehen, als wenn zwei Partner beschließen »Eins« zu werden. Solange beide Individuen bleiben, besteht keine Gefahr, daß sie in unguter Weise miteinander verschmelzen. Es wäre gut, den Sinn der Ehe neu zu überdenken und sich zu fragen: »Was erwarte ich von einer Heirat? Will ich mit jemanden leben, der mir sehr viel bedeutet, oder möchte ich wie ein kleines Kind versorgt werden? Will ich gemeinsam mit einem Partner Ziele bestimmen und verfolgen, oder will ich einen Mann, der an meiner Stelle etwas erreicht? Möchte ich mich innerhalb der ehelichen Gemeinschaft weiterentwickeln, oder bin ich bereit, mich für einen anderen aufzugeben?« 40
Was nützt es denn, 25 Jahre verheiratet zu sein, wenn du dich trotzdem verlassen, allein und elend fühlst! Wozu eine Ehe aufrechterhalten, die längst nicht mehr in Ordnung ist – das könnte doch nur jemand, der einfach deshalb geheiratet hat, weil es eben so üblich ist! Du kannst nichts Besseres für dich tun, als auch in der Ehe dich zu einer eigenen Persönlichkeit zu entwickeln. Bleibe nicht der Vergangenheit verhaftet, sie kommt nicht wieder. Nichts, was war, läßt sich ungeschehen machen. Sinnvoller ist es, Kräfte für die Zukunft zu sammeln, um manches besser zu machen.
Verhaltensprinzip Nummer 3: WENN ES DIR GELINGT, DEIN VERHALTEN ZU ÄNDERN, WIRD SICH AUCH DEINE EINSTELLUNG ÄNDERN Wenn du zuviel über dein Verhalten nachdenkst, wirst du dich schließlich so sehr in Selbstzweifel verstricken, daß du völlig tatenlos wirst. Du kannst die Zeit nicht um zwanzig Jahre zurückdrehen und deine Ehe ungeschehen machen. Wenn du die Beziehung zu deinem Mann verbessern willst, mach dich von alten Ansichten und Gewohnheiten frei. Keiner von euch beiden kann wegwischen, was in den letzten zwanzig Jahren passiert ist, aber es wäre ziemlich unsinnig, sich weitere zwanzig Jahre lang gegenseitig Vorwürfe zu machen. Viele Frauen betrachten ihre Ehe als eine Art Vertrag, den zu halten sie sich auch dann noch verpflichtet fühlen, wenn das 41
erwartete Eheglück ausbleibt. Für solche Frauen ist es sehr schwer, etwas zu verändern – immer vorausgesetzt, sie wollen das überhaupt. Aber für jene Frauen, die Mut zum Risiko haben, die nicht zu Hause versauern wollen und ihre Ehe neu beleben möchten, gibt es Möglichkeiten, für sich selbst und ihre Partnerbeziehung etwas zu tun. Aber wie? Am besten, du fängst gleich heute an! Stelle dir ein klares Ziel vor. Ein Ziel, das dir eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit gibt und es dir ermöglicht, deine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Peile dieses Ziel Schritt für Schritt an! Habe Vertrauen zu dir und bestimme selbst die Regeln! Höre nicht auf andere, die dich verunsichern wollen, und widerstehe jedem Druck mit aller Kraft deines Willens! Um dein Ziel zu erreichen, suche jemanden, der dir zur Seite steht. Kaum jemand schafft den Sprung ganz allein. Am besten wäre es, wenn dein Mann dich dabei unterstützte. Aber wenn er sich weigert, weil er keine selbständige Frau haben will, schau ob nicht eine gute Freundin oder ein Freund dir Mut machen und dir helfen will. Und dein Mann? Es gibt ein Mittel, das vielleicht seltsam erscheint, aber funktioniert: Sei nett zu ihm! Nimm dir morgens, sobald du aufwachst, vor, heute das Beste aus deiner Ehe zu machen und eine gute Atmosphäre zu schaffen. Sag deinem Mann etwas Liebes, und sei es nur: »Ich mag, wie du lächelst.« Wahrscheinlich wird er nicht mit einem ähnlichen Kompliment antworten, aber das macht nichts. Laß dich nicht entmutigen. Vielleicht brauchst du zehn Jahre, um deine Ehe umzukrempeln; über Nacht wird es sicher nicht gehen. Und wenn du ihn bisher zum Mittelpunkt deines Lebens gemacht hast, erwarte nicht, daß er sich ändert. Er wird seine Machtposition nicht kampflos aufgeben. Wenn er jedoch nach einiger Zeit immer noch nicht bereit ist, eure Ehe als gleichberechtigte Partnerschaft zu betrachten, deine 42
Komplimente anzunehmen und dir die Nähe zu geben, die du brauchst, liegt es an dir, zu entscheiden, was besser ist – mit oder ohne ihn. Wenn du ein gewisses Maß an Selbstwertgefühl erreicht hast, wird es leichter sein, ihn zu verlassen. Du wirst ihm leichter in aller Ruhe klarmachen können, daß du nicht bereit bist, die Rolle eines Niemands zu spielen, nur damit er die Rolle eines Jemands für sich hat. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mir meinen Mann gesucht, noch ehe ich mich selbst gefunden hatte. Als ich vierzehn war, traf ich einen Jungen und beschloß: Das ist der Mann, den ich heiraten will! Während seiner College-Zeit schrieb ich ihm jeden Tag, vier Jahre lang, um ihn beständig daran zu erinnern, wie sehr er mich brauchte. Ich »erdrückte« ihn mit meiner Liebe – über eine Entfernung von 1500 Kilometern hinweg. Dieser Mann hatte nur zwei Möglichkeiten: entweder von dieser Erde zu verschwinden oder mich zu heiraten. Er heiratete mich. Während er Medizin studierte, half ich ihm beim Pauken, hielt uns finanziell über Wasser und versorgte unser kleines Kind. Heute ist mir bewußt, daß in den ersten Tagen unserer fünfundzwanzigjährigen Ehe keiner dem anderen eine Chance gab, sich weiter zu entwickeln. Damals hatte mein Leben nur durch ihn einen Sinn. Er wiederum lebte in solcher Furcht, mich zu verletzen, daß er gar nicht mehr wußte, wie er mit mir umgehen sollte. Es war mein Glück, daß sein berufliches Engagement eine gewisse Distanz zwischen uns schuf: Ich war gezwungen, selbständiger zu werden. Und ich schaffte es aus eigener Kraft! Auf einen Universitätsabschluß war ich nie direkt aus, der Gedanke daran war mehr eine Spielerei. Denn ich arbeitete ja, hatte nun zwei Kinder zu versorgen und half meinem Mann vorwärtszukommen. Daß ich mein Studium abschließen könnte, glaubte ich selbst nicht so recht. Zwar belegte ich Seminare, 43
aber nicht mit dem bewußten Ziel, einen Abschluß zu machen. Ich schob den Gedanken auch immer weiter von mir, als meine Mutter anfing, sich aufzuregen: »Laß doch das Studieren. Wer sorgt denn für deinen Mann? Und wer paßt auf die Kinder auf?« Mir war auch nicht ganz klar, wie mein Mann dazu stand: »Schon wieder ein Seminar?« Aber, Wunder über Wunder, ich schaffte es schließlich! Wenn du dieses Buch liest und schon verheiratet bist, solltest du bedenken, daß es nicht leicht ist, mit der Vergangenheit und ihren zementierten Grundsätzen zu brechen, aber es ist zu schaffen! Bist du noch nicht verheiratet, mach dir bewußt, was es bedeutet, eine Ehe einzugehen, solange du dich selbst noch nicht gefunden hast. Mit diesem Buch möchte ich dir helfen, dich selbst als die Hauptsache in deinem Leben zu betrachten und deinen Mann als Tüpfelchen auf deinem Ich zu genießen. Denn niemand kann wirklich leben, wenn er sich immer nur auf einen anderen stützt: irgendwann einmal zerbricht die Krücke und er fällt hin. – So, stell dir vor, wie schön es ist, auf eigenen Füßen zu stehen, selbst die Richtung zu bestimmen, in die du gehst, und auf deinem Weg schließlich dem Mann zu begegnen, der wirklich zu dir paßt!
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2. Regeln sind da, um gebrochen zu werden »Mein Vater sprach es zwar nie aus, aber ich wußte von klein auf, daß es für mich gut war, möglichst selbständig zu sein.« Barbara Walters, in einem Interview. »Für meine Tante Lou war es ganz klar: die heiratswilligen jungen Männer würden mir später nur so nachlaufen. Keine Sekunde lang dachte sie daran, daß ich vielleicht sitzen bleiben könnte. Meine Mutter allerdings meinte, keiner, der so aussehe wie ich, würde überhaupt etwas zu Ende bringen...« Margaret Altwood in LADY ORACLE. Ganz gleich, ob wir an alte Ehe-Konventionen gebunden sind oder uns in der Frauenbewegung engagieren, die »goldenen« Lebensregeln hören wir immer noch in den Ohren: - Gib nach und mach ihn nicht wütend. - Wenn du Wellen schlägst, ertrinkst du. - Haltet zusammen und vermeidet Schande. - Er ist der Kapitän auf dem Schiff, also mach' das Deck sauber und lächle dabei. - Heirate einen Niemand und mach' einen Jemand aus ihm. - Sei sicher: deine Meinung ist seine. - Du bist nur so gut, wie du aussiehst. - Niemand soll sagen: Du hast glücklich verheiratet zu sein. Es könnte auch schlecht gehen – und dann bist du allein.
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Diese Regeln haben oft schmerzliche Folgen: Eine zweiundvierzigjährige Frau aus Detroit berichtete mir erschüttert, daß die Sekretärin ihres Mannes bei ihr anrief: »Ich habe ein Verhältnis mit ihrem Mann«, sagte die Sekretärin keck, »Sie haben keine andere Möglichkeit, als ihn freizugeben.« Obwohl die Ehefrau in heller Angst war, er könnte sie verlassen, versuchte sie ihn zu entschuldigen. »Es ist ja verständlich, daß er Ja zu einer jüngeren Frau sagt, die ihn haben will. Man kann einen Mann auch nicht zwingen, sich an seine Familie gebunden zu fühlen.« Und sie sagte weiter: »Die ganze Welt ist voll von Versuchungen und dafür kann er ja nichts. Wenn einer Schuld hat, dann seine Sekretärin!« Als ich nachfragte, ob ihr Mann schon früher einmal untreu gewesen sei, zögerte sie zuerst, gab dann aber zu, daß sie von zwei anderen Frauen weiß, die er hatte. Warum sie sich dann nicht von ihm getrennt habe, frage ich. Da bricht es aus ihr heraus: Sie liebe ihn und sei nichts ohne ihn: er sei das einzige, was sie habe! Die Schlußfolgerung: Jeder Mann betrügt seine Frau. Sei froh, daß du überhaupt einen hast. Eine New Yorkerin, die fünfmal so viel verdient wie ihr Vater, heiratete zum drittenmal – es war die zweite Ehe mit einem Mann, der nichts taugte. Nach allem, was sie im Laufe ihres Lebens mit verwandten und bekannten Männern erlebt hatte, kam sie zu dem Schluß, daß es kaum psychisch stabile und zuverlässige Männer gäbe. Allerdings versicherte sie mir sofort, diese Männer könnten einiges leisten mit einer Frau an ihrer Seite, die ihnen Mut und Kraft spende. Sie selbst wäre in ihrer früheren Ehe wohl nicht ausdauernd genug gewesen; wenn sie sich mit ihrem jetzigen Mann nur lang genug Mühe gebe, könne sie bestimmt etwas aus ihm machen. Hier heißt die Regel: Alle Männer sind so schwach und unfähig wie dein Vater. 46
»Deine Kleider brauchst du gar nicht erst mitzunehmen«, sagte eine Mutter aus Kansas zu ihrer fünfundzwanzigjährigen Tochter, die heiraten wollte, »er wird dich sowieso zurückschicken.« Die Tochter lachte nervös, kämpfte ihre Selbstzweifel nieder und redete sich ein, ihre Mutter sage so etwas nur aus Liebe zu ihr und wolle sie auf diese Weise vor etwaigen Enttäuschungen schon im voraus schützen. Sicher aber wollte ihr die Mutter mit dieser Warnung mitteilen, daß sie jederzeit zurückkommen könne, wenn sie unglücklich sei. Die Ahnung der Mutter sollte wohl bedeuten, daß der junge Mann, sobald er ihre Tochter nur richtig kennengelernt habe, rasch die Nase voll hätte von ihr. Die Erkenntnis der Mutter: Wer will dich schon haben!? Eine junge, geschiedene Mutter aus einer Chicagoer Vorstadt betrachtete ihr Leben als sinnlos, als ihr neuer Freund sie nach einem Monat schon wieder verließ. Solange er bei ihr war, fühlte sie sich glücklich und geborgen. Jetzt, ohne ihn, kam sie sich völlig wertlos vor. Ihre zwei kleinen Kinder sind eine Plage für sie. Den Anforderungen, die sie stellen, fühlt sie sich nicht mehr gewachsen. Drei Tage, nachdem der Mann weggegangen war, schluckte sie eine Handvoll Pillen und trank eine Flasche Schnaps hinterher. Sie wurde gerettet und bereute den Selbstmordversuch. Die Lebensregel hier: Wenn du einen Mann nicht halten kannst, bist du ein Nichts. All diese Beispiele, die zeigen sollen, was Frau-Sein bedeutet, machen uns am Ende nur klar, wie wenig wir ohne einen Mann doch wert sind. In ihrem Buch »Morgen ruf ich bei dir an und andere Lügen zwischen Mann und Frau« legt Erica Abeel dar, daß die Rolle der Frau noch immer fragwürdig ist, während die Rolle des Mannes sich nicht verändert hat. Obwohl die gesellschaftliche Stellung der Frau im Wandel ist, obwohl wir inzwischen mehr Rechte haben und neue Lebensformen erproben können, obwohl es »Frauengruppen« und »softe« 47
Männer gibt – die alten Regeln unserer Mütter sind noch immer lebendig in uns. So tief sind manche dieser Botschaften in uns verwurzelt, daß wir gar nicht merken, wie stark sie uns steuern. Was immer wir uns vormachen über uns selbst – unter bestimmten Bedingungen reagieren wir wieder wie kleine Kinder. Wir geben uns selbstbewußt, ducken uns aber vor dem Mann, den wir lieben. Wir gewöhnen uns an die Forderungen anderer und hören auf, für uns selbst überhaupt noch etwas zu wollen. Wir opfern fünfzehn Jahre unseres Lebens dem Erfolg unseres Mannes und werden dann halb verrückt, wenn er uns wegen einer »richtigen« Frau verläßt – als ob wir während der ganzen Zeit, in der wir ihm halfen, Karriere zu machen, keine »richtigen« Frauen gewesen wären. Aber die Männer sind auch ganz schön verwirrt. Sie halten daran fest, daß die Frauen doch immer das bekommen haben, was sie sich offenbar so sehr wünschen und als Erfüllung ihres Lebens ansehen: versorgt zu sein, Kinder zu haben, innerhalb der Tradition zu stehen. Sie, die Männer, verhalten sich ja auch nicht anders als schon ihre Väter und Großväter; also, wozu das Gerede! Bekommt eine Frau nicht von klein auf zu hören, was ihre Aufgabe ist: für den Mann da zu sein? Und wenn dann später der Mann die Entscheidungen trifft und sie ihm nur zu folgen braucht, ist das etwa nicht genau das, was sie will, weswegen sie ihn eigentlich geheiratet hat? Noch vor zwanzig Jahren war die Familie keine so zerbrechliche Einheit wie heute. Damals wußte ein Mann, wer seine Socken wusch. Er brauchte nur daran zu denken, wie die Knie seiner Mutter ausgesehen hatten, wie sie gerötet waren vom vielen Herumrutschen auf dem Fußboden, den sie blitzeblank geschrubbt hatte. Und eben diese arbeitsame Frau sorgte auch für seine Wäsche. Eine derartige Selbstaufopferung wollte er von seiner eigenen Frau gar nicht erwarten; aber sie 48
sollte immerhin wissen, wo der Putzkübel steht und wie sie mit dem Schrubber umgehen muß. Und vor allem sollte sie ihn nicht dafür verantwortlich machen, daß sie nun einmal dazu da war, diese Arbeit zu tun. Wenn sie ihre eigenen Ziele hinten anstellte und ihren Ehrgeiz darauf richtete, für sie beide etwas zu erreichen – im Klartext: für ihn eine nimmermüde Hilfe zu sein – so war das doch nur ihre Pflicht und Schuldigkeit als Ehefrau! Daß sein Weiterkommen auf ihre Kosten ging, ließ sich eben nicht ändern. Ein Grundgedanke der Frauenbewegung war, sich der alten Verteilung der Geschlechtsrollen zu widersetzen: Schluß mit der Plackerei, Schluß mit der bedingungslosen Unterordnung! Es ist Zeit, sich gegen eine Form der Ehe, in der die Frau nur ausgenutzt wird, zu wehren! Wir wollen nicht länger Opfer sein, wir wollen unsere Bedürfnisse nicht länger unterdrücken, wir wollen statt dessen unseren Mut zusammennehmen und endlich Stellung beziehen! Von diesen Gedanken aufgerüttelt, fingen einige Frauen an, mit der Tradition zu brechen und begannen, ihre Rolle neu zu definieren. Andere hingegen hielten an den Konventionen fest, in der Hoffnung, die Ideen der Frauenbewegung würden sie nicht tangieren. Aber ihre Männer fühlten sich von »diesen Emanzen« ebenso angegriffen wie die Junggesellen. »Meine Ehe ist ein Wohlfahrtsstaat im Kleinen«, sagte mir ein Ehemann vom alten Schlag; »die Feministinnen ruinieren doch das Leben einer jeden Frau. Es führt bestimmt zu nichts Gutem, wenn die Frauen plötzlich auf eigenen Füßen stehen wollen.« Wenn die traditionelle Frauenrolle nichts anderes war als eine üble Gewohnheit, dann mußte das Abstreifen dieser Gewohnheit und das Entdecken der eigenen Identität ein atemberaubendes Erlebnis sein. Dazu mußte man sich nur weigern, die Vorstellungen anderer, was und wie eine Frau sein sollte, zu erfüllen! Die Feministinnen begannen, dies zu tun. 49
Und langsam trat eine Veränderung ein. Was den beruflichen Bereich betrifft, konnte sich eine zielstrebige, selbstbewußte Frau ihre Karriere erkämpfen. Sie lernte, wie sie sich am besten verkaufte, machte sich die ungeschriebenen Regeln der Geschäftswelt zu eigen und gehörte dann irgendwann dazu. Eine weniger ehrgeizige Frau war vielleicht schon damit zufrieden, eine Anstellung zu haben, die ihr eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit bot und sie davon befreite, mit ihrem Mann um jedes neue Kleidungsstück für sich oder die Kinder zu feilschen. Im emotionalen Bereich jedoch, wo es um Selbstwertgefühl, um Lieben und Geliebtwerden geht, setzten sich manche der alten Rollenvorstellungen weiterhin durch. Stellen wir uns zum Beispiel eine Frau vor, die zwar beruflich sehr erfolgreich ist, sich innerhalb aber nicht von dem gelöst hat, was man ihr als kleines Mädchen beigebracht hat. Sobald es um einen Mann geht, ist sie nicht mehr in der Lage, sich zu behaupten, und gleicht einem weinerlichen Kind. Das kann so ablaufen: ihr Freund hat sich – wie gewöhnlich – um Stunden verspätet. Sie sitzt zu Hause, wartet, starrt aufs Telefon, ist unruhig, schaut nach, ob die Türklingel funktioniert. In ihrem Büro ist jeder pünktlich, mit dem sie einen Termin vereinbart hat, und sie würde hier ein Zuspätkommen auch nicht so leicht entschuldigen. Ihrem Freund gegenüber unterdrückt sie jedoch alle Wut, ist sogar erleichtert, wenn er endlich erscheint, und gibt sich mit billigen Entschuldigungen zufrieden. Was hat die Mutter ihr wohl beigebracht? Wenn du einen Mann hast, wird er dich ausnützen. Willst du ihn behalten, so mußt du das schon in Kauf nehmen.
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KOMMUNIKATIONSKANÄLE Natürlich ist es nicht so, daß die Mutter sich mit ihrer Tochter zusammensetzt und sagt: »Hör zu, Kind, das solltest du übers Leben wissen ...« Statt dessen werden Fotoalben hervorgeholt. Auf diese Weise lernt die Tochter, was sie tun muß, um in den Reigen ihrer weiblichen Verwandten zu passen. In kleinen Portionen erhält sie ihre geistige Mitgift. Es kann sein, daß die Mutter eine Menge alte und neue Geschichten zu den Bildern erzählen muß, bis die Tochter alle Regeln gelernt hat. Hier zum Beispiel, Tante Betty – sagt man dir – die machte eine gute Partie! Und dabei war sie so unscheinbar! (Aber sie wußte die Männer zu nehmen!) Tante Margret war die Schönheit der Familie, und hier, schau, was aus ihr geworden ist – ein fürchterliches Leben hat sie bei diesem schrecklichen Friseur! (Er hat sie wegen ihres Aussehens geheiratet und jetzt schaut er sie nicht mehr an.) An dieser Stelle bist du vielleicht schon verwirrt: Heißt das nun, daß schöne Frauen immer unglücklich sind, während diejenigen, die weniger gut aussehen, die besten Männer bekommen? »Stirb unvermählt, so stirbst du ganz, und rasch vergißt man, daß du je gelebt«, heißt es bei Shakespeare. Dieses Schicksal wollen die meisten Eltern ihrer Tochter ersparen und bereiten sie von Kindesbeinen an auf die Ehe vor. Sie vermitteln ihr, wie wichtig es ist zu heiraten, erzählen ihr aber meist nichts davon, wie es in der Ehe dann weitergehen soll. Ein Mädchen hat die ersten Verabredungen. Die Eltern wollen natürlich wissen, mit wem sie sich trifft: »Hat er eine anständige Arbeit?« »Woher stammt seine Familie?« »Mußt du dich denn mit einem Katholiken treffen (oder einem Juden oder einem Presbyter)?« Aus ihren Fragen und Reaktionen kann man heraushören, welchen Mann sie sich für ihre Töchter vorstellen. Und nach und nach setzt sich das Bild des Mannes zusammen, 51
den die Tochter sich aussuchen soll. Es gibt Eltern, die sehr stark an die Familientraditionen gebunden sind und strenge Maßstäbe anlegen: »Heirate nur innerhalb deiner Klasse (oder Religion oder Rasse).« »Benimm dich richtig, zieh dich nicht billig an, sprich nie zu laut.« »Dunkelblau paßt immer. Sei ja nicht zu auffällig.« »Überleg dir gut, wen du heiratest, damit du nicht ins Gerede kommst.« Von einigen Ausnahmen abgesehen, lassen unsere Mütter uns meist im Unklaren darüber, was sie nun eigentlich von uns möchten. Hofft deine Mutter, daß du es einmal besser hast als sie, oder möchte sie, daß es dir genauso ergeht wie ihr? Deine Mutter behauptet, sie liebe deinen Vater; warum verachtet sie dann Männer, die ihm ähneln? – Eine Mutter, deren Ehe unglücklich ist, will sicher nicht, daß ihre Tochter genauso enttäuscht wird wie sie. Andererseits muß sie befürchten, die Tochter als Verbündete zu verlieren, falls es dieser gelänge, eine gute Partnerschaft aufzubauen. Wie schön wäre es doch, in der Tochter eine Schicksalsgenossin zu haben! Wie schön wäre es aber auch, eine so dynamische und starke Tochter zu haben, daß bald schon sie bei ihrer Tochter anrufen und um Rat fragen könnte. Die Frauen, die es wirklich genossen haben, Hausfrau und Mutter zu sein, werden Töchter erziehen, die sie darin nachahmen: Diese Mädchen haben ein sicheres Gespür für die Wahl ihres Ehemannes, und sie werden jemanden finden, der ähnlich über den Wert der Familie denkt wie sie. Ihre Mütter haben ihnen die Botschaften über das Frau-Sein gleichzeitig vorgelebt. Wir können gute und schlechte Botschaften über unsere Rolle als Frau mitbekommen. Die positiven Botschaften können echte Entscheidungshilfen sein, sie betonen unseren Wert als Frau und bejahen die Möglichkeiten, die uns offenstehen. Sie zeigen 52
uns, was in einer guten Beziehung steckt: Geborgenheit statt dramatischer Szenen, gemeinsam verbrachte Zeit und Zeit, die wir für uns allein haben, ohne Schuldgefühle oder die Angst, deswegen zurückgestoßen zu werden. Diese Botschaften lehren uns, daß es gut ist, für uns selbst etwas zu tun, einen Beruf zu haben, eigene Interessen zu entwickeln, sei es nun als verheiratete Frau oder als Junggesellin. Die negativen Botschaften präsentieren sich uns als mächtige Warnungen, die uns sensibel machen für Dinge, die wir nicht tun dürfen, und für Dinge, die wir auszuhalten haben. Sie erzählen uns in dem Moment, daß wir für unser Leben ausgesorgt hätten, wo wir einen Mann ergattern, egal, was für einen, nur ein Verbrecher sollte es nicht gerade sein. Etliche versuchen uns auch einzureden, eine Frau habe sowieso keinen Einfluß darauf, wie ihr Leben verlaufe und was sich alles in ihrem Dasein abspiele. Vieles von dem, was wir mitbekommen, ist widersprüchlich verwirrend. Auf der einen Seite wird zum Beispiel verlangt, daß wir uns wie ein Erwachsener benehmen und eigene Entscheidungen treffen, auf der anderen Seite betrachtet die Mutter uns immer noch als ein kleines Kind, das von ihr abhängig ist. Das ist eine Doppelbotschaft, eine richtige Beziehungsfalle: Werden wir selbständig, beweisen wir damit, daß unsere Mutter ihre Aufgabe gut erfüllt hat. Gleichzeitig verletzen wir sie aber auch: sie fühlt sich überflüssig, im Stich gelassen, wird krank. Das alte Lied – »Bleib mein liebes kleines Kindchen, oder ich gehe zugrunde.« Botschaften mögen unterschiedlich sein, aber gewöhnlich erinnern sie dich daran, daß du es ohne deine Mutter doch nicht schaffst. Mit langerprobten Mitteln untergräbt sie dein Selbstbewußtsein. Vielleicht läßt sie dich spüren, daß sie die einzige ist, die wirklich weiß, wie viel (oder wie wenig) du wert bist, oder sie teilt dir mit, daß du ruhig gehen kannst, dann aber auch nie 53
mehr zurückzukommen brauchst, vor allem nicht, wenn es dir schlecht geht. Jeder von uns kennt solche Doppelbotschaften und Beziehungsfallen: »Wenn du Bob heiraten willst – bitte! Aber komm nicht zu mir gelaufen, wenn du dann unglücklich bist.« »Warum hast du dir auswärts Arbeit gesucht? Kannst du hier etwa keine finden?« »Ich weiß schon, daß du selbst für dich sorgen kannst. Aber wenn du jetzt ausziehst, rege ich mich nur auf, und du kennst meinen schwachen Kreislauf.« »Ich glaub' nicht, daß er dich wirklich heiraten will. Hol' Harry ans Telefon, ich will ihn selber fragen.« »Was soll das heißen, du hast 100 Mark Gehaltserhöhung bekommen? Warum nicht 200?« Solche doppeldeutigen Aussagen zeigen, in welchem inneren Konflikt die Mutter sich befindet. Sie möchte ihr kleines Kind behalten, möchte aber gleichzeitig, daß es erwachsen wird. Wahrscheinlich sind ihr die verschiedenen Botschaften und ihr Zweck überhaupt nicht bewußt. Aber sie erschüttert damit dein Selbstwertgefühl gerade so stark, daß du sie weiterhin brauchst. Und weil sie darauf besteht, daß sie nur dein Bestes will, kannst du auch nicht ergründen, was hinter ihren Mitteilungen eigentlich steckt. Sehen wir uns die erste von den oben angeführten Doppelbotschaften noch einmal genauer an: Sollst du Bob heiraten? Die eine Hälfte der Botschaft bedeutet, daß du richtig gewählt hast und daß die Entscheidung nur bei dir liegt (Wenn du willst – bitte!). Die zweite Hälfte jedoch besagt, daß Bob Mutters Meinung nach nicht der Richtige für dich ist und daß sie nichts mehr von dir wissen will, falls du gegen ihren Willen handelst (Wenn du nicht auf mich hörst und es geht schief, dann sollst du auch leiden!). Eine Frau erzählte mir, sie habe einen Mann geheiratet, mit dem ihre Mutter nicht einverstanden war. Die Mutter fand, er 54
stamme aus einer zu einfachen Familie. Nach zehn Jahren ging die Ehe in die Brüche, die Frau bat ihre Mutter, ihr das Geld für die Scheidung zu leihen. Die Mutter reagierte verbittert: »Ich hab dir damals gesagt, daß es mit ihm Ärger geben wird. Jetzt hast du von mir keine Hilfe zu erwarten.« Alle Doppelbotschaften sind ihrer Natur nach unklar: Du weißt nicht, was du nun eigentlich tun sollst, um es richtig zu machen. Mit direkten Aussagen ist es einfacher: Du brauchst nur die Anweisungen deiner Mutter zu befolgen. Irgendwann mußt du dir aber klarmachen, daß du nicht dein Leben lang Regeln befolgen kannst, die andere für dich ausgedacht haben. Der Einfluß der Eltern ist stark, aber du hast nicht die Pflicht, dein Leben ihren Wünschen zu opfern. Wenn das, was sie dir vermittelt haben, nicht gut für dich ist, wirf es weg! Es ist bedrückend und sinnlos, Eltern und Ehemann für vertane Chancen anzuklagen. Wenn du frei sein willst, löse dich vor allem von dem, was deine Eltern dir eingeredet haben, sonst werden sie dein Leben auch noch bestimmen, wenn sie schon längst gestorben sind. Drei der stärksten Botschaften, die uns Frauen übermittelt werden, möchte ich nun untersuchen. Sie lauten: 1) Ein Mann macht deinen Wert. 2) Schütze deinen Mann vor sich selbst. 3) Heirate den Mann, dann ändere ihn. Laßt uns prüfen, welche Lügen hinter diesen drei »goldenen« Lebensregeln stehen, und was wir tun können, sie zu überwinden.
EIN MANN MACHT DEINEN WERT Es gibt einen Witz, der an dieser Stelle gut paßt: Zwei Frauen 55
mittleren Alters sitzen zusammen. Die eine fragt die andere, wie es ihren Kindern gehe. »Oh«, antwortet diese, »meine Tochter könnte es gar nicht besser haben. Morgens schläft sie, so lange sie Lust hat, dann bringt ihr das Mädchen das Frühstück ans Bett. Ein anderes Mädchen erledigt die Hausarbeit. Der Mann meiner Tochter hatte auch gar nichts dagegen, daß sie die Kinder ins Internat gegeben hat. Er verwöhnt sie mit tausend Aufmerksamkeiten und nimmt sie sogar auf seine Geschäftsreisen mit. Er versteht es wirklich, auf mein Mädchen aufzupassen.« »Und wie geht es Ihrem Sohn?« fragt die andere. »O Gott, der arme Junge«, antwortet die Mutter, »er führt eine schreckliche Ehe. Seine Frau kommt morgens nicht aus dem Bett, sie frühstückt sogar im Bett. Im Haushalt macht sie keinen Finger krumm, mein Sohn muß eine Putzfrau bezahlen, damit sie sich die Hände nicht schmutzig macht. Die Kinder hat sie ins Internat gesteckt, von ihren Mutterpflichten will sie überhaupt nichts wissen. Ständig liegt sie ihm in den Ohren, daß sie dies und jenes haben möchte, sie verlangt sogar, daß er sie auf seine Geschäftsreisen mitnimmt. Sie wird den armen Jungen noch um alles bringen.« Es ist nicht leicht, sich über das Gespräch dieser Mütter hinwegzusetzen. Ein großer Teil der Verwirrung und Schuldgefühle, die uns befallen, sobald wir etwas für uns selber tun, hat verschiedene Ursachen. Kein Mann will eine selbständige Frau. Du bist nichts, solange keiner dich liebt. Ehrgeiz paßt nicht zu einer Frau, und wenn du schon ehrgeizig sein mußt, dann für ihn, nicht für dich selbst. Nur ein Gigolo will eine Frau, die genauso viel oder mehr verdient als er selbst. Ein richtiger Mann sucht sich eine Frau, die in der Küche eine gute Figur macht, nicht eine, die hinterm Studierpult hockt. Eine Frau macht sich am besten als Lehrerin, Krankenschwester oder Sekretärin; sei der Copilot, niemals der Pilot; damit fährst du 56
am besten. Diese Regeln sind geschickt konstruiert. Wir erfüllen sie und richten unser Leben danach aus, für die Bedürfnisse anderer da zu sein, unserem Mann die Socken zusammenzulegen und festen Willens den 25. Hochzeitstag anzustreben. Natürlich ist der alltägliche Kleinkram für ein harmonisches Familienleben wichtig. Aber er sollte nicht die einzige Erfüllung, das ganze Leben einer Frau ausmachen. Die Mädchen werden erzogen mit dem Bild der idealen Frau und Mutter, die sich ihrem Mann nähert wie ein Diener seinem Meister. Erinnern wir uns an Edith Bunker, eine der schönsten Verkörperungen selbstloser Mutterliebe und Hingabe als Ehefrau. Selbst sie behauptete sich gegen ihren Mann Archie, als er sie davon abbringen wollte, sich eine Stelle in einer Privatklinik zu suchen. Ihren Schritt in die Unabhängigkeit versuchte er zu verhindern, indem er ihr vorhielt, so ein »Schmuddelkind« wie sie könne sowieso keine anständige Arbeit verrichten. Alles, was er erreichte, war, daß Edith von ihm eine Entschuldigung forderte und im übrigen nicht daran dachte, nachzugeben. Dieses Beispiel sollte bald überall Schule machen. Was Archie zu schaffen machte, beunruhigt viele Männer. Eine finanziell unabhängige Frau, sei es nun, daß sie in einer Fabrik arbeitet oder selbst eine besitzt, bedroht den Mann in seiner Rolle als Ernährer und Versorger, als Familienoberhaupt. John Stuart Mill erklärte, daß es den Männern nicht reiche, wenn die Frau ihnen gehorcht; sie wollen auch von ihr geliebt werden. Es genügt nicht, Sklavin zu sein, die Männer wollen eine bewundernde Sklavin. Viele Frauen müssen sich von ihren Eltern (oder ihrem Ehemann) Aussprüche gefallen lassen wie etwa: »Es langt, wenn du für einen Rechtsanwalt arbeitest; du brauchst selbst 57
keiner zu werden.« Oder: »Kannst du auf der Kunstakademie einen anständigen Mann finden, oder laufen dort nur Nichtstuer rum?« Oder: »Ich weiß, was am besten für dich ist, und ich sage dir: du brauchst nicht auf die Universität zu gehen.« Wir Frauen hören zu und bemühen uns, es allen recht zu machen, unsere Rolle gut zu spielen, und darüber vergessen wir uns selbst. Judith Wax, die erst spät zu schreiben begann, berichtet in ihrem Buch »Anfang in der Mitte«, wie sie nach jahrelangen Ausweichmanövern endlich das tat, was sie fürchtete und sich zugleich so verzweifelt wünschte – schreiben! Was sie 42 lange Jahre davon abgehalten hatte, war Verwirrung über sich selbst. Wir wachsen alle auf mit dem Traum vom Happy-End einer Liebe. Wir glauben an das Liebespaar, das sich begegnet, dann wieder getrennt wird, um schließlich nach langem Leiden glücklich vereint im Reich der grenzenlosen Seligkeit zu landen. In Wirklichkeit ist dieses Happy-End – die Ehe – der Beginn einer ganzen Reihe von Prüfungen und Problemen. Die Kluft zwischen den süßen Träumen und der rauhen Wirklichkeit wird spätestens in dem Augenblick sichtbar, wenn Windeln gewechselt werden müssen oder der Ehemann plötzlich arbeitslos wird. Manche Frauen arbeiten, weil es finanziell notwendig ist und wundern sich dann über die Reaktion ihrer Männer, wenn sie befördert werden. Oft schlägt eine tüchtige Frau die Chance aus, beruflich weiterzukommen, weil sie befürchtet, ihre Ehe aufs Spiel zu setzen, wenn sie mehr verdient oder eine höhere Position innehat als ihr Mann. Zu Hause wird sie auf ihre Rolle als Hausfrau festgelegt und steht mit dem Wunsch, etwas für sich selbst zu erreichen, ganz allein. Elaine ist solch ein Fall. Elaine heiratete einen Zahnarzt und glaubte, ihr Glück sei gemacht. Ihre Mutter hatte ihr oft genug erzählt, wie wichtig es für eine Frau sei, eine gute Partie zu machen, und Elaine glaubte ihr – aber mit Vorbehalten. Da sie nun einen Mann hatte, der 58
selbst gut ausgebildet und dessen eigene Mutter Rechtsanwältin war, glaubte sie, ihr Wunsch, ein Studium zu beginnen, würde kaum auf Widerstand stoßen. Dem war nicht so. Zuerst verhielt sich ihr Mann gönnerhaft. Er war der Ansicht, die Rückkehr zur Schule sei eine Zerstreuung für sie, eine Möglichkeit, sich vom täglichen Kleinkram im Haushalt und mit den Kindern abzulenken. Sobald er merkte, daß sie einen Schulabschluß mit Zeugnis anstrebte, verschlechterte sich die Lage. Er verlangte von ihr, das Studium sofort aufzugeben und nur noch für ihn und die Kinder da zu sein. Ihre Ambitionen, behauptete er, seien lachhaft. Als sie nicht nachgab, versteifte er sich auf ihre vorrangigen Pflichten als Ehefrau und Mutter. Sie reichte die Scheidung ein. Als er sah, daß es ihr ernst damit war, berief er einen Familienrat ein in der Hoffnung, die Verwandten würden Elaine zur Vernunft bringen. Tanten und Schwestern bestürmten sie mit ihren Argumenten: »Kein Mann will dich haben, über dreißig, mit drei Kindern und einem akademischen Titel«, hieß es. Sie solle doch an ihre eigene Mutter denken, die geschieden war und es schwer genug gehabt habe, sich und ihre Tochter durchzubringen. Elaine kapitulierte: sie zog die Scheidungsklage zurück, studierte allerdings weiter. Fünf weitere Jahre hielt sie die Ehe aufrecht, denn »es war einfacher so. Zumindest hatten die Kinder und ich eine gewisse Sicherheit, wenn ich mich auch gefühlsmäßig längst von meinem Mann distanziert hatte«. Das schlimmste ist, daß Mädchen in dem Bewußtsein aufwachsen, nichts wert zu sein. Jedes Selbstwertgefühl wird ihnen ausgetrieben, damit sich ihre späteren Männer desto bedeutender fühlen können. Solange wir Frauen nichts sind, brauchen wir natürlich einen, der etwas aus uns macht. Wie entmutigend ist es, nie um seiner selbst willen geschätzt zu werden und unsere Talente und Fähigkeiten nur danach 59
bewertet werden, ob sie einer günstigen Verheiratung dienlich sind oder nicht. Warum heiraten wir überhaupt? Doch nicht, um uns zu unterwerfen, sondern um einen Partner zu haben. Die Verwirklichung eigener Ziele kann überaus belebend für eine Beziehung sein. Aber um so weit zu kommen, müssen wir unseren Männern erst beibringen, wieviel ihnen entgeht, solange wir abhängig und unterdrückt sind. Denn was wir durch die Entwicklung unseres Selbstbewußtseins gewinnen, kommt ihnen genauso zugute: statt den Männern unser Leben lang auf der Tasche zu liegen, verdienen wir unser eigenes Geld. Es ist doch viel leichter, sich etwas anzuschaffen, wenn beide Partner dazu beitragen. Und sollte der Mann eine berufliche Pechsträhne haben, dann kann die Frau für die finanzielle Sicherheit der Familie sorgen. Das Schönste, was eine Frau einem Mann anbieten kann, ist sie selbst: sie selbst, ein erwachsener Mensch, eine Partnerin, die ihn genauso gut stützen kann wie er sie.
SCHÜTZE DEINEN MANN VOR SICH SELBST T. S. Eliot glaubte zu beobachten, daß die Menschen nicht allzuviel Wahrheit ertragen können. Unsere Mütter haben sich das zu Herzen genommen und – in etwas veränderter Form – eine Lebensweisheit daraus gemacht: Männer brauchen Schutz vor der Wahrheit über sich selbst. Oder kürzer gesagt: Männer ertragen die Wahrheit nicht. Diesen Satz kennen wir in vielen Versionen. Vielleicht so: »Männer sind im Grunde schwach. Sie wissen sich nicht zu helfen.« Vielleicht geben sie sich tyrannisch, sie warten darauf, daß du sie bewunderst. Du mußt aber wissen, daß eines Mannes 60
Tyrannei Zeichen von Zerbrechlichkeit ist. Männer können eben nicht zugeben, daß sie einen Fehler gemacht haben, wie belanglos er auch sein mag. »Also gib ihm lieber recht, sonst findet er bestimmt eine andere, die ihm sagt, daß er im Recht ist.« Ein Mann tut sich am schwersten mit Gefühlen – mit seinen, mit deinen, mit jenen anderen, das ist nun mal so. Also verschone ihn um Himmels willen damit, daß er dich verletzt hat. Sollte er sich verletzt fühlen, so laß ihn rasen, trinken, fluchen, schmollen, solange er will; und wenn er dich angreift, körperlich oder mit Worten, halt still, das ist »eines der Opfer, die du dafür bringen mußt, daß du einen Mann hast«. Sorge dafür, daß das Familienleben funktioniert, biete all deine Kraft auf, von ihm fernzuhalten, was ihn beunruhigen könnte. Ersticke alle Probleme in Freundlichkeit, erspar ihm jeden Ärger, und sei sicher, er lernt nichts von sich selbst. – So lautet die Botschaft. »Was hat es für einen Sinn, meinen Mann darauf anzusprechen, daß er immer dann, wenn ich mit ihm Zusammensein möchte, dringende Anrufe erledigen oder am Auto herumbasteln muß?« beklagt sich eine Frau über die Gleichgültigkeit ihres Mannes. »Er würde ja doch alles abstreiten und mir sagen, ich bilde mir das nur ein.« Eine andere berichtet mit düsterer Entschlossenheit: »Nach zwanzig Ehejahren habe ich gelernt, mit meinem Mann auszukommen. Glücklich bin ich nicht, es ist eher eine Art Waffenstillstand. Er ist von Natur aus jähzornig und streitsüchtig. Ich würde alles nur schlimmer machen, wenn ich ihn auf seine Probleme hinweisen wollte.« Offenbar bekommt ein Mann, vor dem man die Wahrheit verbirgt, den man auf seine Probleme nicht hinweist, genau das, was er will: er fühlt sich stark, weise und bedeutend – zu beschäftigt mit wichtigen Dingen, als daß man ihn mit so banalen Dingen wie der eigenen Ehe belästigen könnte. Vor 61
allem bleibt ihm die angenehme Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Aber wozu führt das letzten Endes? Irgendwann einmal kommt die große Ernüchterung, und möglicherweise zerbricht die Ehe dann an den inzwischen unlösbar gewordenen Problemen. Das schlimmste an der Sache ist, daß die Frau, die ihren Mann so vor sich selbst schützt, ihre Kraft verschleißt und leidet. Es gibt nichts Sinnloseres, als ein ganzes Leben lang zu klagen, »er ändert sich einfach nicht«, und gleichzeitig tausend Entschuldigungen für ihn zu finden. Mit diesen Entschuldigungen versuchen wir einerseits, unsere eigene Verwirrung über die Männer zu bewältigen und andererseits unsere Ehe funktionsfähig zu halten. Nach einiger Zeit werden aus ihnen regelrechte Rituale zum Schutz des Mannes, die sich wiederholen wie das Menü auf dem Speisezettel: jeden Freitag Huhn und: »Belästige deinen Vater nicht mit deinen schlechten Noten; er hat genug Ärger im Betrieb und braucht zu Hause seine Ruhe.« Dienstags Hackbraten und: »Wie soll ich es nur meinem Mann sagen, daß ich mir einen eigenen Bekanntenkreis aufbauen möchte? Aber vielleicht hat er recht: Ich habe ja gar keine Zeit, neue Leute kennenzulernen.« »Was kannst du tun?« fragt Tina, eine fünfundzwanzigjährige Ehefrau und Mutter. »Wenn du einen Mann liebst, versuchst du dich nach seinen Wünschen zu richten.« »Du kannst etwas tun. Wer sagt denn, daß du dich nach dem richten mußt, was andere dir vorschreiben? Du, dein Mann oder ihr beide? Wie kommt es, daß du dich mehr für ihn als für dich verantwortlich fühlst? Was bewegt dich dazu, alles für ihn zu tun, obwohl du dabei nicht glücklich bist?« Am Beispiel zweier Frauen, die mir ihre Geschichte erzählten, möchte ich klarmachen, was ich meine. Laura und Jane führten beide eine ähnliche Ehe, obwohl die äußeren Lebensumstände der beiden Frauen sehr verschieden 62
sind. Laura ist fünfundzwanzig, halb so alt wie Jane. Laura lebt in einer kleinen Stadt im mittleren Westen, Jane in einer Großstadt im Süden. Laura hat früh geheiratet und nie ihren Lebensunterhalt verdient. Jane hat einen Universitätsabschluß und unterrichtet Sprachen. Laura's Mann ist Lastwagenfahrer, Jane ist mit einem Rechtsanwalt verheiratet. Beide haben Kinder, Laura drei Söhne, Jane Zwillingstöchter. Laura ist eine seltsame Mischung zwischen einer erwachsenen Frau und einem schlaksigen Teenager. Ihren Haushalt und einige ehrenamtliche Tätigkeiten handhabt sie energisch und selbstbewußt. In der Beziehung zu ihrem Mann ist sie nachgiebig und voll unterdrückter Angst. »Zum zweitenmal innerhalb eines Jahres hat Tim ein Verhältnis«, erzählte sie mir mit zitternder, aber mühsam kontrollierter Stimme. »Beim erstenmal rief die Frau sogar an, um mich kennenzulernen. Ich wußte nicht, was ich machen sollte, also ging ich zu meiner Mutter. Ich mußte einfach mit jemandem reden.« Laura's Mutter hatte Ratschläge zur Hand, die keine Frau je befolgen sollte. »Als ich ihr von der Sache erzählte«, berichtete Laura, »lachte sie und meinte: ›Ist das alles? Ich dachte, du wolltest mir etwas Schlimmes sagen!‹ Wie konnte sie seine Untreue nur so auf die leichte Schulter nehmen? Aber sie meinte, jeder Mann sei ab und zu untreu. ›Laß den Dingen ihren Lauf‹, riet sie mir, ›und zeig ihm vor allem nicht, daß du etwas weißt. Das hört von selbst wieder auf.‹« Als pflichtbewußte Tochter und in diesen Dingen gänzlich unerfahren, fügte sich Laura dem mütterlichen Rat. Ich fragte Laura, warum sie nicht mit ihrem Mann gesprochen habe, um zu sehen, wie es mit ihrer Ehe denn eigentlich stand. Sie ging auf diese Frage überhaupt nicht ein. Statt dessen erzählte sie mir, Tim stehe wohl unter einer ungeheuren Belastung und brauche »ein Ventil«. Meistens sei er 63
ja treu gewesen, und diese Affäre würde wohl auch vorübergehen, wie bisher. »Ich kann eigentlich nicht sagen, daß er auf meine Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt«, meinte sie nachdenklich. »Ich frage mich wirklich, warum ich hier sitze und jammere. Denn so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Er schlägt mich nicht. Und er kümmert sich ja auch um die Kinder.« Offensichtlich tröstete sich Laura mit dem Rat ihrer Mutter und fand dementsprechend eine Reihe von Entschuldigungen für Tim's Untreue. Jane's Geschichte ist dramatischer. In ihrem Fall war der Mechanismus, ihren Mann zu schonen, schon so eingefahren, daß es nicht mehr möglich gewesen wäre, ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren. Jane ist eine vitale, rothaarige Frau. Mit Fünfzig bekam sie Beschwerden im Unterleib und sollte zur Untersuchung in eine Klinik. Sie erzählte ihrem Mann davon, versicherte ihm aber zugleich, daß es bestimmt nichts Ernstes sei. »Meine Mutter hatte mir immer gesagt, daß Männer es nicht mögen, wenn man ihnen mit Krankheiten die Ohren volljammert. Mike war auch von der Sorte. Hätte ich ihm erzählt, es sei etwas Ernstes, hätte ich ihn nur erschreckt. Die Ärzte wußten noch nichts Genaues. Wozu ihn also unnötig aufregen?« Es stellte sich heraus, daß Jane Krebs hatte. Ihre Gebärmutter mußte herausgenommen werden. Zunächst sagte man ihr nicht, daß möglicherweise eine zweite Operation nötig sein könnte, um die Eierstöcke zu entfernen. »Ich bat den Arzt, in Mikes Anwesenheit nicht von der Operation zu sprechen. Wenn er mich besuchte, erzählte ich ihm, es gehe mir gut.« Jane erklärte mir, daß es ihr lieber war, auf direktem Weg über ihren Zustand informiert zu werden, um ihrem Mann die schlechten Nachrichten zu ersparen. »Ich wußte, wie ich mit ihm umgehen 64
mußte, und ich wollte nicht, daß er sich aufregte. Als ich dann erfuhr, was los war – Krebs, noch eine weitere Operation, Strahlentherapie – merkte ich plötzlich, wie entsetzlich allein ich war. Es gab niemanden, auf den ich mich in diesem Moment hätte stützen können. Mit Mike wollte ich nicht reden. Ich hatte Angst, er könnte mich wegschicken, gerade jetzt, wo ich ihn doch dringend brauchte, um mit allem fertigzuwerden. Meine Töchter waren beide verheiratet und hatten eigene Probleme. Was sollte aus mir werden? Ich fühlte mich sehr alleine.« Was diese beiden Frauen erlebt haben, sollte uns zu denken geben. Warum verschonen wir unsere Männer vor der bitteren Wahrheit? Denken wir vielleicht, daß sie zunächst alles abstreiten und dann den Spieß umdrehen und uns die Schuld zuschieben könnten? Würden sie möglicherweise nicht mehr mit uns sprechen, uns einen Tag, eine Woche oder einen Monat mit Schweigen dafür bestrafen, daß wir es gewagt haben, sie zu belästigen? Oder fänden sie gar, wir seien ihrer keinen Moment länger wert und beschlössen, nicht mehr, wie gewöhnlich, spät nach Hause zu kommen, sondern ganz wegzubleiben? Trotz aller Ausflüchte gestehen sich manche von uns doch die Wahrheit ein: Wir behaupten zwar, unseren Mann zu schonen, aber in Wirklichkeit schonen wir uns selbst. Wir üben auch ein ziemliches Maß an Kontrolle über ihn aus, wenn wir ihn behandeln wie ein verängstigtes kleines Kind. Und wir gewöhnen uns an seine Fehler und tragen dazu bei, daß er sich ändert. Offen gesagt, viele Frauen wie Laura und Jane versäumen selbst die Chance, ihren Männern zu helfen, echte Ehepartner zu werden. Sie vermeiden Gespräche, verheimlichen die Wahrheit und halten so bestimmte Tatsachen von ihm fern; damit machen sie ihn zum Kind und nehmen ihm jede Möglichkeit, erwachsen zu werden. Wenn eine Frau glaubt, ein falsches Wort oder eine kleine Kritik könne die Beziehung zerstören, dann hätte sie 65
besser erst gar nicht geheiratet. Die Ehe sollte eine Freundschaft sein; und Freunde sagen sich auch unangenehme Dinge; denn das bedeutet nicht, daß sie sich nicht mögen. Solange du also denkst, dein Mann könne die Wahrheit nicht ertragen, schadest du nur dir selbst. Ich kenne viele Frauen die diese bittere Erfahrung in ihrer Ehe gemacht haben – leider aber zu einem Zeitpunkt, an dem es meist schon zu spät war. Den Schaden hatten sie dann ganz allein.
HEIRATE DEN MANN, DANN ÄNDERE IHN Einen Mann zu ändern, ist weiß Gott keine einfache Sache für eine Frau. Wenn man sie fragt, warum sie es überhaupt versucht, antwortet sie vielleicht: »Ich begegne einem Mann und sehe seine Fehler, ich sehe aber auch, welche Möglichkeiten in ihm stecken. ›Möchte er es zu etwas bringen?‹, überlege ich dann und wäge ab, ob es sich lohnt, Kraft zu investieren und etwas aus ihm zu machen.« Andere Frauen halten weniger von solchen Erfolgsversuchen. Sie fühlen sich hingezogen zu Luftikussen, Trinkern, Schlägern oder Unterdrückern. »Wie soll ich meinem Mann dazu bringen, sich Arbeit zu suchen, statt vor dem Fernseher rumzuhängen?« fragt eine Frau, seit 29 Jahren mit einem Mann verheiratet, der immer noch nicht »zu sich selbst« gefunden hat. »Seit fünfzehn Jahren bin ich es, die die Familie durchbringt, jetzt habe ich keine Kraft mehr. Es ist schlimm, aber er hat wenig Selbstvertrauen. Wie kann ich ihm bloß helfen?« Traurig genug – aber man kann dieser Frau nur sagen: sie hat es selbst so gewollt! Wenn er verspricht, sich zu bessern und es dann doch nicht tut, nimmt sie es eben so hin. Mag sein, daß sie sich Vorwürfe macht, einen solchen Mann geheiratet zu haben. 66
Aber sie kämpft weiter, versucht mit gutem Zureden oder auch mit Schimpfen und Nörgeln, ihn zu ändern. Die Wahrheit ist: Sie braucht ihn so, wie er ist unter ihrer Kontrolle! Wenn du einen Mann wählst, der erst noch geändert werden muß, wirst du bald merken, daß du dich auf eine Sisyphusarbeit eingelassen hast. Ich habe von vielen Frauen gehört, sie wollten ihren Mann aus purer Liebe umkrempeln; ich glaube aber, daß es eher eine Art Besessenheit ist, noch dazu eine gefährliche. Solch gefährliche Pläne bringen Unsicherheit und Anspannung mit sich, und zwar eine Art von Anspannung, die Erfolg von vornherein ausschließt. Die meisten Frauen, die sich vornehmen, aus ihrem Mann etwas zu machen, wären in dem Augenblick völlig hilflos, indem ihnen das gelänge. Sie wären unglücklich darüber, daß nach all ihren Opfern ihrer selbstlosen Liebe der Mann vielleicht so stark und unabhängig geworden ist, daß er sie nicht mehr braucht. Und was dann? Wird er sie verlassen? Wird er sie noch mögen? Wozu ist sie jetzt überhaupt noch da? Schrecklich, an all diese Möglichkeiten zu denken! »Wenn meine Liebe nur stark genug ist«, heißt es, »wird er aufhören zu trinken (wird er nett zu mir sein ... sich mehr um mich kümmern ... nicht so oft krank werden ... sich Arbeit suchen ... die Kinder und mich nicht mehr schlagen ... abends heimkommen, statt in Kneipen rumzusitzen ... nicht mehr an allem herumnörgeln ... verträglicher sein).« Und wie sagte – nein bettelte – er damals? »Wenn du nur bei mir bist.« Aber es ändert sich gar nichts! Wie geraten wir in eine solche Klemme? Wir machen zunächst den Fehler, zu meinen – heiraten ist das wichtigste, egal wieviel der Mann oder die Beziehung taugt. Unser zweiter großer Fehler ist, das Verhalten eines Mannes und seine Aussagen über sich selbst nicht als Hinweise auf seinen wirklichen Charakter zu erkennen. Karen ist ein gutes Beispiel. Ihre Schwäche sind gefühllose, 67
emotional unreife und bindungsunfähige Männer. Immer wieder gerät sie an solch einen Typ, immer wieder rennt sie in ihr Unglück. Diese Männer mögen sehr unterschiedlich sein; gemeinsam ist ihnen jedoch eine tiefe Angst vor Nähe und die Fähigkeit, Frauen wie Karen bis aufs Blut zu quälen. »Das ist nun mal so«, sagt Karen, »ich weiß auch nicht warum.« Vor etwa sechs Monaten lernte Karen einen Rechtsanwalt kennen. Fünfeinhalb Monate erschöpfte sie sich damit »ihn in mich verliebt zu machen«. Was trieb sie dazu? An einem romantischen Abend hatte er tief in ihre großen, braunen Augen geblickt und ernst gesagt: »Ich habe nichts, was ich dir geben könnte.« Wäre Karen weniger selbstzerstörerisch veranlagt, dann hätte sie sich für das Abendessen bedankt, sein Appartement verlassen und tief aufgeatmet. Aber nein! »Liebling«, meinte Karen und überhörte, was er über sich gesagt hatte, »du hast mir viel mehr zu geben als ich dir!« Sie redete sich ein, daß er gar nicht wußte, wie wertvoll er war. Wahrscheinlich war er nie wirklich geliebt worden, nie der richtigen Frau begegnet, der er sich hätte öffnen können. Sie wollte seine Gefühle erwecken, ihn mit der Kraft ihrer Liebe aus seiner Starre erlösen und schließlich, wenn er erst merkte, wie schön es mit ihr war, würde er sie heiraten. Der Rechtsanwalt nahm also, was Karen zu geben hatte – Aufmerksamkeit, kleine Geschenke, Sex, wann immer er wollte – bis sie ihn eines Morgens anrief, um ein Rendezvous zu verabreden. »Ich bin grade dabei, das Auto zu waschen, ich kann jetzt nicht mit dir reden«, sprach er barsch und legte auf. Sie probierte noch einmal, ihn anzurufen, aber er nahm gar nicht mehr ab. Die nächsten paar Wochen versuchte sie, ihn in der Kanzlei zu erreichen, wurde aber jedesmal von seiner Sekretärin abgewiesen. Er war nie zu sprechen und hat sich auch nie wieder gemeldet. Die klassischen Verlierer in dem Spiel »Heirate den Mann, dann 68
ändere ihn«, sind die Frauen von Alkoholikern, Spielern, Frauenjägern und Rohlingen. Diese Ehemänner geloben immer wieder Besserung, halten ihr Versprechen vielleicht auch für kurze Zeit, fallen dann aber wieder in den alten Trott zurück. Warum halten Frauen Beziehungen aufrecht, in denen sie ausgenutzt werden? Die Kinder erziehen sie in den meisten Fällen ohnhin allein, weil die Väter physisch oder psychisch nicht verfügbar sind. Die Entschuldigungen, die dafür gefunden werden, dienen nicht nur der Entlastung des Ehemannes. Es gehört zu den Prinzipien dieser Frauen, ihre Ehe auf keinen Fall aufzugeben. »Er kann sehr verständnisvoll sein, wenn er will.« »Es ist schwer für meinen Mann erwachsen zu sein – aber Schwächen sind eben menschlich.« »Er liebt die Kinder und mich, er kann es halt nur nicht so zeigen.« »Scheidung ist auch keine Lösung. Was soll aus ihm werden, ohne mich? Er hat doch sonst niemanden.« »Er hat versprochen, sich mir zuliebe wirklich zu ändern!« Seien wir ehrlich: Keinen Menschen kann man ändern, außer er sieht selber ein, daß es notwendig ist. Mit Liebe wirst du jedenfalls nichts erreichen. Wenn seine Fehler eure Beziehung zerstören, dann überlege dir knallhart, was du von dieser Ehe hast. Jemanden auf den richtigen Weg zu bringen, sollte man Therapeuten und Sozialarbeitern überlassen. Viele Frauen glauben, sie könnten ihrem Mann helfen, sich zu ändern, indem sie verschiedene Regeln und Richtlinien für ihn aufstellen, alles, was er tut, argwöhnisch überwachen und ihm ab und zu mit Scheidung drohen. Ich weiß nicht, was demütigender ist – ein ganzes Leben lang Krankenschwester aus Liebe zu spielen, oder, wie ich es bei einer Frau erlebte, dem süchtigen Ehemann selbst den Stoff zu kaufen, um ihn vor der Kriminalität zu bewahren, ihm damit aber gleichzeitig jede Möglichkeit zu nehmen, sich zu ändern. Was geht eigentlich in den Frauen vor, die einen Mann 69
umkrempeln wollen? Seine Probleme, wenn es ernsthafte Probleme sind, machen ihn attraktiv für die Frauen! Sie finden einen großen Teil seiner Anziehungskraft darin, daß er gefühllos oder schrecklich bedürftig ist. Er ist ein Versager, hat Angst vor seinen Gefühlen, ist in seinen eigenen Augen heruntergekommen. – Und der Mann, den du wählst, zeigt auch, für welche Frau du dich hältst. Es kann ein nobler Zug sein, sich auf die Seite des zu kurz Gekommenen zu stellen; aber Tisch und Bett mit ihm zu teilen, ist nicht die Lösung. Außenstehende fühlen sich oft veranlaßt, das traurige Schicksal einer solchen Frau zu bedauern: »Arme Margret. Ernst behandelt sie wie den letzten Dreck.« »Arme Louise. Al gönnt ihr keinen Pfennig.« Aber es wird nicht gesagt, daß du ihn frei gewählt hast. Sicher spielt es eine Rolle, daß viele Frauen – bewußt oder unbewußt – glauben, sie seien einen besseren Mann gar nicht wert. Andererseits verschaffen sie sich gerade dadurch ein gewisses Machtgefühl, daß sie jemanden neben sich haben, der noch weniger ist als sie selbst. Frauen in dieser Lage sollten mit dem Ändern bei sich anfangen, nicht bei ihrem Mann. Um es zu wiederholen: Ein haltloser Mann, der Hilfe braucht, wird dich nicht so schnell verlassen, vor allem nicht, solange du ein verläßlicher Rettungsanker bist. Etwas ändern hieße: riskieren, daß er geht. Aber dieses Risiko wollen die meisten Frauen nicht eingehen. Die Botschaft »Heirate ihn, er wird sich schon ändern«, gehört für mich in den Bereich der romantischen Vorstellungen. Wir werden nicht dazu erzogen, einen wirklichen Mann zu lieben, sondern ein Klischee: den zähen Burschen, den Helden, den Piraten. Läßt so ein wilder Bursche sich dann zähmen, wird die Frau, der dies gelungen ist, ihn angähnen und sich aufmachen, den nächsten Räuber zu zivilisieren. Romantische Liebe lebt aus dem, was nicht erfüllt wird, meint der Soziologe Philip Slater, und er hat recht. Nur wenn der Mann sich entzieht, 70
psychisch oder physisch, kann die Beziehung als tragisch, unerfüllt – eben als romantisch – erlebt werden. Möchte dein Mann sich wirklich ändern, so unterstütze ihn dabei! Er muß jedoch bereit sein, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen und sich Hilfe bei Fachleuten zu holen, falls nötig. Und paß auf, daß du dir nicht selbst die Rolle der leidenden Ehefrau überstülpst – sonst bleibt keinem eine Chance, weder dir, noch ihm!
SINNVOLLE REGELN BEFOLGEN Soweit ich es beurteilen kann, können wir Frauen im Prinzip alles erreichen, was wir wirklich wollen. Wir bekommen nur dann Probleme, wenn wir nach den längst überholten Regeln handeln, die uns unglücklich und unzufrieden machen Wir sind jemand. Wir brauchen uns nicht in Liebe aufzuopfern für einen schwachen, ernstlich gefährdeten Mann. Wir können unsere eigene Meinung haben und uns auch innerhalb der Familie durchsetzen. Wir können wir selbst werden, indem wir die alten Regeln durch neue, positive ersetzen. Dies sind meine goldenen Regeln für alle Frauen: Wenn ich wirklich will, werde ich einen Weg finden, es zu erreichen. Vielleicht habe ich manches falsch gemacht; aber ich bin kein Versager. Vergiß die alte Regel: Wozu es überhaupt versuchen; bei mir läuft doch nur alles schief! Ich werde mir jeden Tag auch Zeit für mich nehmen. Es ist wichtig, daß ich neben den Pflichten als Hausfrau und Mutter noch einen eigenen Bereich habe. Vergiß die alte Regel: Mein Leben bekommt erst Sinn, wenn ich für andere da bin. Es wäre selbstsüchtig, wenn ich mich zurückziehen wollte. Wenn mir etwas nicht paßt, werde ich es denen, die es angeht, 71
klar und offen sagen. Ich will zu dem stehen, was ich empfinde. Vergiß die alte Regel: Wenn ich zeige, wie es mir geht, wird es mir später leid tun. Ich werde andere verletzen, und sie werden mir sagen, ich solle dankbar sein, wenn sie überhaupt da sind. Ich erinnere mich an eine Patientin, deren Mutter ihr beigebracht hatte, das wichtigste im Leben sei, eine gute Ehefrau und eine gute Tochter zu sein. Nora, ein Einzelkind, wurde von ihrer Mutter verwöhnt, besonders wenn sie krank war. Ihre Mutter wusch und bediente sie und behandelte sie wie ein Wickelkind. Sogar als Nora verheiratet war, fuhr sie, wenn sie krank war, zu ihrer Mutter. Zum Glück hatte Nora einen sehr liebevollen Mann, der sie ermunterte, ihre eigenen Interessen zu entwickeln. Was passierte? Nora bekam eine rätselhafte Lähmung; sie konnte nicht mehr laufen. Und schon ging's ab nach Hause! Ihre Mutter war aufgeregt: das Kind war wieder da, hilflos wie ein Säugling. Nora – eine Lehrerin, brauchte nicht mehr zu unterrichten, sie war ihrer Pflichten als Ehefrau enthoben. Sie, ihre Mutter, konnte jetzt das tun, was sie am besten verstand: ihr Kind bemuttern! Während der Therapie entdeckte Nora, daß ihre mysteriöse Krankheit dazu diente, ihrer Mutter einen Lebensinhalt zu verschaffen. Sie haßte es, hilflos an den Rollstuhl gefesselt zu sein; gleichzeitig zwang eine innere mächtige Kraft sie dazu, weiterhin krank zu sein. Schließlich wurde ihr aber bewußt, daß sie nicht ihr Leben lang das Baby ihrer Mutter bleiben konnte. Die Botschaft der Mutter war endlich entschlüsselt: Wenn du auf deinen eigenen Beinen stehst, verliere ich mein Kind. Nora's Mann hatte ihr die Gelegenheit gegeben, sich ihren eigenen Weg zu suchen und zu erreichen, was immer sie wollte. Aber statt erleichtert der mütterlichen Fürsorge zu entlaufen, erschrak Nora vor all der Freiheit und verfiel gänzlich der Botschaft ihrer Mutter. Zu behaupten, wir hielten uns aus Liebe an die alten, früh 72
gelernten Regeln, hieße, die Tatsachen zu verfälschen. Liebe wird oft in Worten beschrieben, die ebenso für eine Tropenkrankheit, eine religiöse Besessenheit oder die Beschreibung eines lebensbedrohlichen Ringkampfes passen würden: »Wenn ich ihn nur ansehe, kann ich nicht mehr atmen; ich kann nichts mehr essen, mich nicht mehr konzentrieren; ich fühle mich wie im Fieber.« »Man ist verpflichtet, die Menschen, die man liebt, glücklich zu machen.« »Wenn ich nicht tue, was mein Mann (oder meine Mutter oder mein Vater) von mir fordert, dann ist der Teufel los; sie bringen mich um, wenn ich mache, was ich für richtig finde.« Was ist eigentlich Liebe? Harry Stack Sullivan gibt eine Definition, die mir mit am besten gefällt: Liebe heißt, die Bedürfnisse des anderen so wichtig nehmen wie die eigenen. Diese Definition gilt in einer Partnerschaft, in der nicht die Bedürfnisse des einen geopfert werden müßten, um die des anderen zu befriedigen. Viel zu oft wird etwas »aus Liebe« verboten oder gefordert. Zum Beispiel sagte eine Mutter: »Ich will dich nur davor bewahren, dieselben Fehler zu machen wie ich; deshalb will ich nicht, daß du Schauspielerin wirst.« Und ein Ehemann stellte fest: »Wenn du mich wirklich liebst, dann schläfst du mit mir, egal, ob du Lust hast oder nicht.« Daß Verbote befolgt und Forderungen erfüllt werden, hat meist wenig mit Liebe zu tun. Das Mädchen, das so gerne Schauspielerin werden möchte, ist vielleicht so abhängig von der Mutter, daß es gar nicht anders kann als seinen Wunsch ihrem Willen zu opfern. Und die Ehefrau, die ihren Mann nicht abweist, tut dies vielleicht nur, weil sie fürchtet, bei nächster Gelegenheit dann selbst abgewiesen zu werden. Wenn das Liebe ist, möchte ich kein bißchen davon haben! Wo sind denn hier Anteilnahme, Achtung voreinander, gemeinsame Ziele, Geborgenheit und die Sorge, daß es dem andern genauso gut geht wie mir? Hier sind sie 73
bestimmt nicht zu finden. Untersuche die Regeln, nach denen du lebst, schreib sie auf und schau sie dir an. Überleg dir genau, ob du dich um deinetwillen an sie hältst oder um jemand anderen zufriedenzustellen. Welche Regeln möchtest du ändern? Welche sind gut für dich? Welche Regeln verhindern, daß du du selbst bist? Welche Regeln schreiben dir vor, was du zu tun und zu denken hast, und rufen Angst und Schuldgefühl hervor, wenn du sie nicht befolgst? Versuche, die negativen Regeln zu erkennen, sie zu löschen und an ihre Stelle positive zu setzen, die dir gut tun. Wenn du die Regeln, die dir schaden, nicht aufgibst, betrügst du dich selbst um dein Leben; dann kannst du weiterhin an deinem Mann auslassen, was dein Vater dir angetan hat, und deine Mutter für all das verantwortlich machen, was du nicht bekommen hast. Fang damit an, für dich selber zu sorgen! Möglicherweise hast du einen schmerzvollen Weg vor dir, erwachsen zu werden. Aber es lohnt sich! Nora zum Beispiel fand heraus, daß das Kind in ihr wagte, sich zur Frau zu entwickeln. Fast ein Jahr ihres Lebens opferte sie, um ihrer Mutter mit einer Krankheit zu beweisen, daß sie sich nie von ihr trennen würde. Um gesund zu werden und wieder laufen zu können, mußte Nora eines begreifen: daß ihre Mutter sie auch dann liebte, wenn sie kein hilfloses, anhängliches kleines Mädchen mehr war; daß es in Ordnung war, erwachsen zu sein. Wie Nora solltest auch du dir bewußt machen, was dich davon abhält, dein Selbst zu entwickeln. Das bedeutet auch, Widerständen zu trotzen, Ärger und die Drohung, verlassen zu werden, in Kauf zu nehmen. Nora fand den Mut zu diesem Wagnis, und weder sie noch ihre Mutter gingen daran zugrunde. Also?!
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3. Die Mitgift der Mutter »Kaum hab ich ›Guten Morgen, Mutter‹ gesagt, da hör ich mich auch schon sagen ›Mutter, gute Nacht‹.« Emily Dickinson in DIE BRIEFE DER EMILY DICKINSON. »Was uns so sehr an unsere Mütter bindet«, führt Judith Arcana in ihrem Töchter unserer Mütter aus, »ist die stumme Erkenntnis, daß unser Leben einförmig verlauft wie das ihre. Und viele von uns fürchten diese Wiederholung.« Eine tiefe und dauernde Mutterbindung sich zu wünschen, ist normal. Aber die »Wiederholung« ihres Lebens, die uns Angst macht, geschieht oft aus einem unwiderstehlichen Zwang heraus; es ist nicht nur unsere moralische Verpflichtung, ihrem Vorbild nachzuleben, sondern es ist auch unser Schicksal. Ihr Beispiel zu mißachten, könnte bedeuten, ihre Liebe zu verlieren. Noch bis vor gar nicht langer Zeit gab es keine Diskussion über die Identität der Frau. Ein junges Mädchen brauchte nur in die Küche zu gehen und ihre Mutter anzuschauen. Eintönigkeit machte ein Mädchen zur Frau. Im Unterschied zu ihren Brüdern wurde ein junges Mädchen nicht dazu erzogen, eigene Entscheidungen zu treffen und sich in der Welt umzutun. Sie lebten für ihre Mütter, und ihre Mütter lebten für sie. Alles war vorherbestimmt: ein Mädchen wuchs auf, um Hausfrau und Mutter zu sein. Auch unsere Mütter waren Töchter und somit Opfer derselben Eintönigkeit, die sie jetzt an uns weitergeben. Und um zu zeigen, daß sie auch tun, was man von ihnen erwartet, erfüllen sie ihre Pflicht meist mit wilder Hingabe: sie hätscheln und zärteln, steuern und lenken, 75
lieben und nähren, und sie lehren ihre Töchter, später auch richtige Mütter zu sein. Der Alltag einer Mutter spiegelt die tief verwurzelten Regeln wider, die sie an die Vergangenheit und an ihre eigene Mutter binden. So stellen sie zugleich sicher, daß das, was man ihr beigebracht hat, weitergegeben wird an ihre eigenen Töchter und an die Töchter ihrer Töchter. Und was ist das, was da weitergegeben wird? »Meine Mutter hatte eine große Fotografie meiner Großmutter auf ihrem Büfett«, erzählte mir eine Frau. »Ich sah sie oft vor diesem Bild stehen und beten. Sie bat den Geist ihrer Mutter um Hilfe, wenn jemand in der Familie krank war, und sie bat ihre Mutter um Kraft und Ruhe für sich. Sie sagte, Großmutter sei ein Engel gewesen. Das Schlimmste, was meine Mutter sich vorstellen konnte, war, daß ihre Kinder von ihr nicht auch einmal als von einem ›Engel‹ sprechen würden.« Eine andere Frau berichtete: »Meine Mutter hielt ihr elendes Leben für unvermeidlich. Sie glaubte nämlich, daß alle Frauen ihrer Familie verflucht seien. Verflucht, das bedeutete, sie würden sicher einen Tyrannen, einen Trinker oder einen, der ständig andere Frauen hatte, zum Mann bekommen. Für mich wünschte sie sich zwar etwas Besseres, aber sie gab zu, daß sie im Grunde nicht daran glaubte.« Hören wir eine dritte Frau: »Meine Mutter schien immerzu beunruhigt durch die Äußerungen und Wünsche ihrer Kinder. Zum Beispiel erzählte ich ihr im Alter von vierzehn Jahren, daß ich einmal Ärztin werden wollte. ›Was‹, rief sie, ›wie kommst du denn auf diese Idee? Wer hat dir eingeredet, du könntest Ärztin werden?‹ Ihrer Ansicht nach war ich wohl nur dazu fähig, mich von anderen beeinflussen zu lassen. Genau wie sie auch.« In ihrem Buch Eine andere Frau stellt Jane Howard – die übrigens eine recht gute Beziehung zu ihrer Mutter hat – zur
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Generation unserer Mütter fest, daß sie uns in der besten Absicht ein Leben vormachten, das »in engen, geschützten Bahnen verlaufe. Wir haben zwar lange gebraucht, um es zu merken«, meint sie weiter, »aber selbst in dieser Enge gab es noch Raum genug, eine selbstkritische Haltung einzunehmen. Unsere Mütter waren verblüfft: ›Von uns habt ihr das bestimmt nicht geerbt‹, schienen sie zu sagen.« Wenn wir einmal versuchen, unsere Mutter ohne Vorurteile anzusehen, werden wir merken, wie geringschätzig sie über sich selbst denkt. Ausgenommen den Fall, daß sie mit ihrer Hausfrauenrolle wirklich zufrieden ist, sich einen gewissen Ehrgeiz bewahrt und auch das Selbstwertgefühl ihrer Töchter gestärkt hat – teilt sie uns nicht auf hunderterlei Arten mit, eine Frau sei nicht viel wert? Wie kam sie zu dieser Einstellung? Wie ist sie erzogen worden? Mutter wuchs in einer Zeit auf, in der das Guthaben einer Frau in Keuschheit, Pflichtbewußtsein und der Fähigkeit Ungemach auszuhalten – materiell oder seelisch – bestand. Ein sexuelles Abenteuer vor der Heirat konnte ihren guten Ruf zerstören, ein uneheliches Kind ruinierte ihr Leben, eine Scheidung bedeutete Schande für immer. Eine Frau war Eigentum des Mannes, und ihr Wert hing davon ab, wie gut sie ihre Sache machte – erst als gehorsame Tochter ihres Vaters, später als Ehefrau und Mutter. Welch eine Qual! Wie zermürbend, in ständiger Furcht vor einer Familie und einer Gesellschaft zu leben, in der jede Frau geächtet wurde, die nicht durch und durch gut war! Dieses Gut-Sein war Teil der Mitgift ihrer Eltern, und sie erhoffte das Wohlwollen ihres Mannes dafür. Und wenn sie kein Ass in der Küche war, nicht das Benehmen einer Dame hatte und keine prächtigen Töchter großzog – wer war sie dann überhaupt? »Schlechte Mutter«, war ein Schimpfwort, das eine Frau entweder zum Weinen brachte oder sie zum Angriff auf ihr 77
Gegenüber reizte. Nenne sie zänkisch, hypochondrisch, geizig, aber wage es nicht, zu behaupten, sie habe in ihrer rechtmäßigen und einzigen Aufgabe versagt. Viele Mütter zogen sich in die kleine Welt ihres Haushalts zurück und hofften hier Belohnung und Anerkennung von Mann und Kindern zu erhalten. Es war alles, was sie hatten, und sie wünschten sich dasselbe für uns, »wenn wir groß sein würden«. Die meisten von uns erlebten als Kinder jedoch mit, welch unbefriedigende Beziehung unsere Mutter zum Vater hatte. Unsere Mütter warteten verzweifelt auf Zuwendung, die sie nie bekamen, und fürchteten schließlich, sie seien es nicht wert, geliebt zu werden. Wir hörten beängstigende Geschichten von der Grausamkeit der Welt und von der Notwendigkeit, die Frauen davor zu beschützen. Jeden Tag bekamen wir von neuem erzählt, was unsere Mutter alles für uns getan hatte und wie dankbar wir dafür sein sollten. Wenn du sie lieb hattest und es ihr zeigtest, es war nicht genug. Mit ihr zu streiten, war Verrat: Trost bei deinem Vater zu suchen, Betrug an ihr. Weil deine Mutter davon ausging, daß du mit ihr identisch seiest, bis hin zu körperlichen Empfindungen, tat sie manchmal verwirrende und lächerliche Aussprüche wie: »Ich bin müde. Geh jetzt ins Bett.« Oder: »Ich bin nicht hungrig. Warum ißt du?« Es war ihr Privileg, dich klein zu machen, und Ehrensache für dich, Mutters Partei gegen deinen Vater zu ergreifen. So sehr sie nach Komplimenten lechzte, so verwirrt war sie, wenn sie tatsächlich eines erhielt, fragte aber gleich mißtrauisch: »Wie meinst du das, ich sollte dieses Kleid immer tragen? Willst du damit sagen, ich sehe sonst ungepflegt aus?« Leben mit der Mutter war Erziehung! Aber leider wußte sie über ihr Fach – Frausein – nicht allzugut Bescheid. Die Gesellschaft hatte strenge Vorstellungen darüber, wie eine richtige Frau sein sollte, und Mutter erhob sie zum Gesetz.
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Dieses Gesetz besagte: Widme dich ganz deinem Mann, sein Wohlbefinden steht an erster Stelle. Gestalte dein Leben danach, was andere von dir erwarten. Sei so, wie sie dich brauchen und lieben können. Doch, wenn du nur durch andere lebst, weil deine Familie alles ist, was du je erfahren hast, kann es geschehen, daß du deine eigene Individualität aufgibst.
MUTTERS TRÄUME Es ist demütigend, sich sein Leben von Mann oder Familie vorschreiben zu lassen, und muß zur grenzenlosen Enttäuschung führen. Frauen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind und sich selbst für wertlos halten, geben diese düsteren Vorstellungen auch weiter. Manche Mutter hofft vielleicht, die Tochter möge ihr Ebenbild werden. Gleichzeitig wird sie sich ein anderes, besseres Leben für sie wünschen. Dann wäre die Tochter eine Art Retter für sie. Signe Hammer schreibt in ihrem Buch Töchter und Mütter, daß es ein Wunsch der Mütter sei, in ihren Töchtern »zu einem besseren Leben wiedergeboren« zu werden. Damit stünde das Schicksal nicht mehr festgeschrieben in den Sternen, sondern wäre veränderbar, machbar. Um ihren Traum davon, wer und was sie eigentlich hätte sein wollen, in der Tochter verwirklicht zu sehen, muß eine Mutter ihr Kind nur dazu bringen, ihre eigenen Phantasien zu teilen: War Mutter ihr Leben lang zu Kompromissen gezwungen, wird sie ihre Tochter lehren, hart und kompromißlos zu sein. Ist ihr selbst eine gute Ausbildung versagt geblieben, soll die Tochter das mit einem ausgezeichneten Schulabschluß wieder wettmachen. War Mutter eine stets ängstliche Person, so soll die Tochter ganz das Gegenteil werden: mutig und couragiert. Hatte sie immer fremde Regeln befolgt, hofft sie nun, daß die Tochter nach eigenen Regeln lebe – natürlich innerhalb der Grenzen von 79
Legalität und Moral. War Mutter nie mutig genug gewesen, etwas auszuprobieren oder zu reisen, so soll die Tochter jetzt alles nachholen: unternehmungslustig sein, Abenteuer und Spaß erleben. »Die Gefahr bei solchen Wunschträumen«, sagt Signe Hammer, »ist, daß die Mutter sich zu stark mit ihrer Tochter identifiziert und sie mit ihren unerfüllbaren Erwartungen erdrückt.« Mütterliche Erwartungen können auf zweierlei Weise wirksam werden: Die eine Mutter glaubt fest, es sei bereits festgelegt, was aus ihrer Tochter einmal würde; die andere Mutter bedrängt ihr Kind unaufhörlich, noch besser und noch perfekter zu sein. In beiden Fällen handelt die Mutter aus mangelndem Selbstwertgefühl heraus und verwischt dabei die Grenzen zwischen ihrer Persönlichkeit und der ihrer Tochter. Die Mutter, die an ein unabwendbares Schicksal glaubt, zeigt ihrer Tochter nicht auf, wie viele Möglichkeiten ihr offenstehen, sondern wie sinnlos alles ist. Sie übernimmt verschiedene Rollen, die ihre Tochter ihr nachspielen soll: das ewige Opfer: Aschenbrödel; das unschuldige, sexuell mißbrauchte Mädchen; die Heilige; die eifersüchtige Rivalin, die mit ihrer Tochter um den Vater kämpft; Dulderin unzähliger Krankheiten; Meisterin im Erzeugen von Schuldgefühlen. – Sind uns die folgenden Sätze nicht sehr vertraut: »Es ist sinnlos, mehr zu wollen. Es GIBT einfach nicht mehr!« »Cousine Babs hat nie geheiratet, und was hat Tante Jane um ihretwillen durchgemacht! Das ist jetzt der Dank.« »Wenn du nicht unterwegs gewesen wärst, hätte ich deinen Vater ja nie geheiratet.« »Ich bin zwanzig Minuten gelaufen, um diese Äpfel zu besorgen, und du willst jetzt nicht einmal einen probieren.«
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»Du solltest dich schämen, so mit mir umzugehen. Ich hoffe nur, du hast mit deinen Kindern einmal dieselben Sorgen!« »Was kümmerst du dich um Sex? Ich begreife sowieso nicht, warum man so viel Aufhebens davon macht.« »Zeig dich deinem Vater nie im Nachthemd!« »Wenn ich daran denke, daß du Auto fährst, bricht mir der kalte Schweiß aus. Willst du wirklich den Führerschein machen?« »Hier hast du fünf Mark, aber sag's nicht deinem Vater.« Solche Mütter sind, weil sie sich selbst als wertlos betrachten, in ihren Schicksalsglauben eingesponnen. Sie sind unzufrieden, wenn sie zusammenrechnen, was sie in ihrem Leben gehabt haben, denn es kommt nie etwas heraus. Ihr einziger Halt ist die Tochter, die ihnen nacheifert und ihnen dadurch so etwas wie Sinn und Erfüllung verschafft. Wie heimtückisch ihr Vermächtnis ist, sehen diese Mütter nicht. »Heirate«, sagen sie dir, »dann wirst du glücklich.« Aber wenn du die Ehe deiner Eltern betrachtest, mußt du dich sehr anstrengen, um das Glück zu sehen, das sie einander gebracht haben – besondere Gelegenheiten wie Ferien oder Geburtstage einmal ausgenommen. Stell dir vor, du kommst als verheiratete Frau mit Eheschwierigkeiten zu deiner Mutter und flehst sie an, dir das Geheimnis zur Lösung deiner Probleme zu verraten – ihre Antwort würde alle früheren Versprechungen Lügen strafen: »Sei erwachsen! Keiner hat gesagt, Ehen seien immer glücklich. Du muß halt das Beste daraus machen!« Im Film Liebende und andere Freunde wurde ein Elternpaar vom alten Schlag gefragt: »Seid ihr glücklich?« »Nein«, sagten beide im Chor, als ob sie es vorher abgesprochen hätten. »Was verbindet euch dann?« hieß die nächste Frage, und der Vater antwortete: »Uns verbindet eine ganze Menge. Wir essen gerne. Ein hübsches Roastbeef mit kleinen Kartoffeln, ein gebratenes Hühnchen...« 81
Vielleicht bringt ein herzhaftes Essen Trost in diese Ehe, aber, kaum vom Tisch aufgestanden, fangen die Schwierigkeiten auch schon an. Von den Müttern, die nicht glauben, daß man je etwas verändern kann, lernen wir noch mehr: daß Männer nicht vertrauenswürdig sind, daß unser Wohlergehen ihnen gleichgültig ist, daß sie notwendige Übel mit Brieftaschen seien. Der Mann bietet Versorgung und Schutz, dafür gibt die Frau ihren Körper und ihr Herzblut. Wir hören auch, daß der Mann der Herr im Hause ist und lernen, so Judith Arcana, »daß wir gerade deswegen nicht offen und ehrlich mit den Männern umgehen dürfen, sondern hinterlistig und intrigant sein müssen, um etwas zu erreichen«. Auf diese Weise zeigen uns unsere Mütter ihre tiefe Verachtung für die Männer. Was noch schlimmer ist, viele Mütter mißbrauchen ihre Töchter als Verbündete, um den Vater in eine bestimmte Rolle zu drängen: »Was dein Vater nicht weiß, macht ihn nicht heiß.« »Männer sind wie Tiere, aber tu deine Pflicht und gib ihnen Sex.« »Ich mache alles für deinen Vater und was tut er: er quält mich nur.« »Ich sage dir, du bekommst keine neuen Schuhe, du brauchst deinen Vater gar nicht erst um Geld zu bitten.« »Du kannst dem Himmel danken, wenn ich deinem Vater nicht erzähle, daß du mit Tommy geschlafen hast.« Oft werden wir mit unseren Geschwistern verglichen und müssen mit ihnen um die Liebe der Mutter wetteifern. In ihren Augen sind wir alle gleich; Individualität wird nicht gestattet. Um ihre Tochter unter Kontrolle zu halten, kann die Mutter sie bloßstellen und beschämen: »Deine Schwestern haben mir nie Kummer gemacht. Warum bist du nicht wie sie?« »Deine Schwester ist hübsch, sie gerät ganz nach meiner Familie. Du siehst leider deinem Vater ähnlich.« »Deine Schwester hätte nie die kostbare Vase zerbrochen. Hör auf zu lügen und gestehe, daß du es warst.« »Dein Bruder ist so beliebt. Warum bist du 82
nur so anders?« »Dein Bruder hat nur eine Zwei in Mathe. Wie kommt es, daß du eine Eins hast?« Weil Mutter überzeugt ist, Frauen seien minderwertig, redet sie uns ein, daß es für uns kein höheres Ziel gäbe, als einen Mann zu ergattern. Auch ihr mangelndes Vertrauen in die eigene Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, gibt sie an uns weiter. Sie glaubt, daß für alles, was außerhalb der Wohnung liegt, die Männer zuständig sind. Damit begründet sie, warum sie sich und ihre Töchter von der Welt abschottet. Gleichzeitig klammert sie sich verzweifelt an ihre Töchter, um sicherzustellen, daß sie so werden wie sie. Neue Erfahrungen und Einflüsse von außen, das spürt sie ganz genau, sind gefährlich: »Wenn du zu keinem Mann gehörst, dann bist du keine richtige Frau.« »Männer haben es gern, Frauen einzuladen.« »Männer wollen keine vorlaute Frau. Also widersprich ihm nie.« »Frauen, die Karriere machen, sind nicht normal.« »Wie muß er sich fühlen, wenn du genausoviel verdienst wie er!« »Das einzige, was du brauchst, sind ein netter Mann und ein Kind.« »Macht nichts, wenn du nicht befördert wirst. Du kannst ja immer noch heiraten.« (Dieser letzte Satz könnte auch heißen: »Wenn du jetzt keinen Erfolg hast, bist du später schon daran gewöhnt.«) Die Mutter, die durch den Erfolg ihrer Tochter erlöst werden möchte, ist im Grunde der anderen Mutter, die Schicksale für unvermeidlich hält, sehr ähnlich. Auch ihr fehlt es an Selbstvertrauen, aber eigentlich hätte sie gern mehr aus sich gemacht. Also hofft sie, daß es ihre Tochter an ihrer Stelle zu etwas bringt. Von Anfang an wird die Tochter unter Erfolgszwang gesetzt: »Ich habe deinem Vater zuliebe meine Karriere aufgegeben. So etwas soll dir nicht passieren.« »Natürlich wirst du Schauspielerin. Du hast meine Ausstrahlung und meine Begabung geerbt.« »Meine Mutter hat mich nicht studieren lassen. Ich werde das bei dir ganz anders machen.« 83
»Bleib ledig! Du findest sowieso keinen Mann, der zu schätzen weiß, wie klug du bist.« »Wenn du nicht Klassenbeste wirst, darfst du nicht in Urlaub fahren.« »Ich will, daß du Mannequin wirst! Was soll das heißen, du hast keine Lust dazu?« Um Liebe und Zuwendung zu erhalten, tut die Tochter ihr Bestes, den mütterlichen Forderungen zu entsprechen. Versagt sie, werden entsetzliche Schuldgefühle sie quälen. Falls deine Mutter dich auf die eine oder die andere Weise unter Kontrolle halten will, was geschieht dann mit dir? Wahrscheinlich weißt du selbst am besten, wie sie reagiert, wenn du einmal zu protestieren wagst. Die Mutter, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, durch dich, ihre Tochter, eigene Träume zu verwirklichen, wird ihre gesamte Existenz in Frage gestellt sehen, sobald du versuchst, von ihr unabhängig zu werden. Hat sie nicht alles für dich getan? Warum machst du sie dann so unglücklich? Was hat sie falsch gemacht? Was ist denn passiert, daß du plötzlich eine eigenständige Person sein willst? All diese Zweifel spuken in Mutters Kopf herum. Sicherlich wirst du dich bedrückt und schuldig fühlen, wenn du lange Zeit die Vorstellungen deiner Mutter geteilt hast, nun aber sie anzuzweifeln beginnst, und die alten Regeln umstoßen möchtest. Du kannst natürlich versuchen, ihr alles zu erklären. (»Ich möchte nicht mein ganzes Leben als Hausfrau zubringen. Was für dich gut war, muß für mich nicht auch gut sein.«) Wahrscheinlich wird sie dir dann folgendes antworten: »Ich habe mich aufgeopfert, dich großzuziehen. Warum glaubst du, du seist anders als ich?« Und jedesmal, wenn sie dir vorwirft: »Ich habe ein Vermögen für deine Ausbildung ausgegeben, und jetzt willst du alles aufgeben und heiraten?«, wirst du dich mies fühlen, deine Mutter so zu enttäuschen und statt Karriere zu machen, eine Familie gründen zu wollen! Deine Mutter müht sich ab für dich und erwartet dafür, daß 84
du sie glücklich machst, indem du ihre Weisungen befolgst. Es spielt keine Rolle für sie, ob durch ihren Einfluß vielleicht deine Persönlichkeit deformiert wird, die Hauptsache ist: du erfüllst ihre Träume!
MUTTERS FREUD, MUTTERS LEID Es gibt kaum eine Frau, die von ihrer Mutter nicht irgendwann einmal als ihr gutes Kind oder als »Mühlstein um ihren Hals« bezeichnet wurde. Unsere Mütter sind nie richtig »reif« geworden. Ihr Denken bewegt sich daher in den extremen Kategorien entweder/oder. Eine goldene Mitte gibt es nicht, die Zwischentöne fehlen. Sie selbst ist entweder gut oder böse; ihre Tochter ist entweder gut oder böse. Unser Verhalten liegt wohl in der Mitte, aber wer erinnert sich nicht an Episoden, in denen er entweder in die Rolle von Segen oder Fluch gedrängt wurde? Man hat uns gesagt: »Tu, was ich sage, oder ich habe dich nicht mehr lieb.« Es hängt also einiges davon ab, ob wir uns Mutters Vorstellungen von einer guten Tochter anpassen oder nicht. Und da wir schon sehr früh erfahren, was sie von uns erwartet, wissen wir auch genau, wie wir gefallen können. Solange unser ganzes Sinnen und Trachten darauf abzielt, die Wünsche unserer Mutter zu erfüllen, betrügen wir uns um unsere eigene Entwicklung und Zufriedenheit. Aber dies ist nicht alles. Die Beziehung zur Mutter – zu dieser Person, die ganz am Anfang unseres Lebens steht, die wir lieben, die uns lieben soll – prägt unsere Beziehung zu den Männern. Was für ein Kind warst du? Warst du widerspenstig, boshaft, frech? Hast du deiner Mutter viel Leid bereitet durch deinen Trotz? Warst du eine Streunerin, mit der es garantiert ein schlechtes Ende nehmen würde? Oder warst du ein gutes, gehorsames Mädchen, brav und so ordentlich, daß man dich 85
getrost im weißen Kleidchen auf den Spielplatz schicken konnte? Warst du eines von jenen Kindern, die nur sprachen, wenn sie gefragt wurden? Hat deine Mutter dir erzählt, du warst ihr Ein-und-Alles? Zahllose Frauen wurden als Kinder in solche Gut/BöseRollen gedrängt und von ihnen beeinflußt. Sie suchen sich später Freunde, Liebhaber und Ehemänner aus, die ebenso mit ihnen umspringen wie ihre Mutter das tat. Das »böse« Mädchen wird an einen Mann geraten, der sie entsprechend schäbig behandelt und in ihrem mangelnden Selbstwertgefühl bestätigt. Das »gute« Mädchen sucht sich einen Mann, der ihr alles abnimmt und sie um ihre eigene Entwicklung betrügt, indem er ihr einredet, wie sehr andere sie brauchen. Er wird sie beherrschen, weil sie Angst hat, auch nur einen Schritt zu tun, der ihm mißfallen könnte. Ich möchte an einigen Beispielen zeigen, welche Folgen so eine »Entweder-Oder-Beziehung« zwischen Mutter und Tochter haben kann: Alice erhielt in ihrer Familie die Rolle des »bösen Mädchens«, weil sie nicht den Vorstellungen ihrer Mutter entsprach: »Meine Mutter wollte immer, daß man sie braucht. Aber was sie sagte, war doppelzüngig, etwa so: ›Sei von mir abhängig, aber erwarte nicht, daß ich da bin, wenn du mich brauchst.‹ Ohne sich dessen bewußt zu sein, lehrte sie mich auf diese Weise Selbständigkeit. Als ich vielleicht acht Jahre alt war, bat ich sie, mir eine Bluse zu bügeln, die ich fürs Schulfest brauchte. Sie sagte mir, wenn ich eine gebügelte Bluse anziehen wolle, dann müsse ich eben bügeln lernen. Sobald ich mit einem Problem zu ihr kam, hieß es: ›Denk selber darüber nach.‹ Wenn ich sie um Hilfe bei den Schulaufgaben bat, sagte sie mir: ›Du bist helle genug, du wirst es schon allein schaffen.‹ Aber in dem Moment, wo ich etwas machte, ohne sie zu fragen, kam sie an und zeterte: ›Nie läßt du dir was sagen! Immer weißt du alles 86
besser!‹ Unsere Beziehung war gekennzeichnet durch eine gelassene Gleichgültigkeit ihrerseits und einem ›selbst darüber nachdenken‹ meinerseits. Warum, weiß ich selber nicht, aber schon mit drei Jahren war ich die Böse. Natürlich spürte ich, wie wenig ich ihr bedeutete, und ich trotzte ihr bei jeder Gelegenheit. Je älter ich wurde, desto geschickter konnte ich sie treffen. Das Gefühl, nicht geliebt zu werden, ob es nun stimmt oder nicht, drängt einen dazu, eine Entscheidung zu treffen. Ich entschied mich, nie jemanden zu brauchen – das war meine Auffassung von Unabhängigkeit. Meine Mutter übertrug mir schon als Kind eine Menge Verantwortung im Haushalt, weil sie fand, ich solle auch etwas zu meinem Unterhalt beisteuern. In ihren Augen trug ich damit zum Gemeinwohl bei, für mich war es ein Training, mich selber zu versorgen, ein Training für den gelobten Tag, an dem ich endlich von zu Hause ausziehen konnte! Als ich das College beendet hatte, war es dann soweit: ich verließ das elterliche Haus. Zehn Jahre lang fragte meine Mutter, warum ich ausgezogen sei. Hatte sie etwas falsch gemacht? Schämte ich mich meiner Eltern? Hatte ich vielleicht Liebschaften mit Farbigen? War ich überhaupt normal? Warum hatte ich nicht geheiratet, wie meine Schwester? Irgendwann sagte ich ihr, was ich von unserer Erziehung halte, und riet ihr auch, einmal ›selbst darüber nachzudenken‹. Ich bin zwar froh, daß ich durch sie gelernt habe, selbständig und couragiert zu sein; aber meine Mutter ist auch schuld an meiner höllischen Angst, von jemandem abhängig zu werden. Ich fürchte Beziehungen und mißtraue jedem Mann, der sagt, daß er mich liebt. Liebe hat für mich immer bedeutet, erstickt zu werden, alle Freude am Leben ausgetrieben zu bekommen. Liebe, das war meine Mutter, die so lange zeterte, intrigierte und klagte, bis man ihren Willen tat. Sobald ein Mann vom 87
Heiraten sprach, löste er bei mir Panik aus. Alles, was mir bei diesem Wort einfiel, war die familiäre Situation, in der ich aufgewachsen war – eine Situation also, in der mir andere Befehle erteilen und mich bestrafen, wenn ich sie nicht befolge. Ich mußte 36 Jahre alt werden, ehe ich mich wirklich von meiner Mutter lösen und sie so akzeptieren konnte, wie sie war. Ich glaube, daß ihre Unfähigkeit, auf andere einzugehen und Gefühle zu zeigen, davon kam, daß sie selbst so frustriert wurde. Je älter sie wird, desto mehr versucht sie, eine liebevolle Mutter zu sein – teilweise, um vielleicht wieder etwas gutzumachen, teilweise, um in das Leben ihrer Kinder mit einbezogen zu sein und nun die ›große, glückliche Familie‹ zu haben, die sie früher nie besessen hat.« Alice war »böse«, weil sie zielstrebig handelte und schon früh wußte, was sie wollte. Toni dagegen wurde zum »schlimmen Mädchen«, weil sie sexuelle Neugier zeigte. Toni's Karriere als böses Kind begann, als sie sieben Jahre alt war; damals überraschte ihre Mutter sie beim Onanieren. »Sie schleifte mich zur Badewanne, schrubbte mich ab und hielt mir dabei einen Vortrag über die Gefahren der Lust«, erinnerte sich Toni. »Von diesem Tag an war ich gezeichnet. Mein Vater hatte meine Mutter verlassen, und nun bekam ich all ihre Verbitterung zu spüren, vielleicht, weil ich ihm so ähnlich war, vielleicht, weil ich so eine ›schmutzige Angewohnheit‹ hatte. Für meine Mutter war ich eine ausgemachte Hure. Sie wollte, daß ich die Schule verlassen, mir Arbeit suchen und sie nicht weiter belasten sollte. Sie begann, schwer zu trinken, und ich hatte keine andere Wahl, als von der Schule abzugehen. Meine Alternative war: zu arbeiten oder ohne Kleidung und Essen auszukommen. Also suchte ich mir einen Job als Kellnerin. Mit achtzehn wurde ich schwanger – von einem Mann, den ich später heiraten sollte. Tom verlangte damals von mir, das Kind abzutreiben, aber ich weigerte mich. Ich hatte Kinder 88
schon immer gern, und ich freute mich sehr auf das Baby. Toni blieb während der ganzen Schwangerschaft sehr zierlich, und nicht einmal ihre Mutter, bei der sie immer noch wohnte, bemerkte ihren Zustand. Als eines Nachts die Wehen einsetzten, bat Toni ihre Mutter, einen Arzt zu rufen: sie behauptete einfach, krank zu sein. ›Der Arzt kam in die Wohnung‹, erzählte Toni, ›ich erklärte ihm, was los war, und bat ihn, meine Mutter zu informieren. Ich brachte es einfach nicht fertig.‹ Er ging zu ihr, und zwei Sekunden später kam sie wie eine Verrückte in mein Zimmer gestürzt, schrie mich an, sie habe ja schon immer gewußt, daß ich ein Stück Dreck sei; aus der Klinik brauche ich gar nicht erst wiederzukommen. Ich kam auch nicht wieder. Aber nun begann der Ärger mit Tom. Er verlangte von mir, das Kind zur Adoption freizugeben. Sollte ich mich weigern, würde er die Vaterschaft abstreiten. Ich überlegte nicht lange und brachte ihn vor Gericht. Es ging mir um das Wohl meines Sohnes; deswegen wollte ich offiziell feststellen lassen, daß Tom der Vater war. Tom versuchte, mir einen schlechten Lebenswandel anzuhängen. Einige seiner Freunde sagten vor Gericht aus, ich sei ein Flittchen und habe mit jedem von ihnen geschlafen. Glücklicherweise hatte ich alle Briefe von Tom aufbewahrt und konnte damit beweisen, wie dauerhaft unsere Beziehung gewesen war. Ich bekam recht, und er mußte Alimente zahlen. Mein Sohn war drei Jahre alt, als Tom wieder in meinem Leben auftauchte. Wir hatten uns zwischenzeitlich überhaupt nicht gesehen. Jetzt rief er mich an, weil er von gemeinsamen Bekannten gehört hatte, daß ich heiraten wollte. Das schien ihn wachzurütteln. Er sagte, es täte ihm leid, was geschehen war, er habe bemerkt, daß er ohne mich nicht leben könnte und – ich solle ihn heiraten! Ich ging auf seinen Vorschlag ein, damit mein Sohn bei seinem leiblichen Vater aufwachsen konnte. 89
Außerdem redete ich mir ein, Tom immer noch zu lieben. Einige Jahre nach unserer Hochzeit wurde mir die Wahrheit über ihn und mich allmählich klar. Tom behandelte mich schlecht, schimpfte mich Flittchen und sagte mir, ich sei nichts wert – genau wie meine Mutter! Ich hatte zu der Zeit eine gute Anstellung, verdiente nicht schlecht und war erfolgreich. Aber meinem Mann konnte ich nichts recht machen – ich taugte eben nichts. Meine Arbeit hielt mich aufrecht und gab mir Selbstvertrauen. Dort war ich beliebt und respektiert, und man sagte mir, ich sei tüchtig und zuverlässig. Zu Hause hörte ich nur, was für eine Niete ich sei. Kürzlich habe ich Tom verlassen. Wir waren 25 Jahre verheiratet. Es war nicht einfach, mich von ihm zu trennen. Ein langer, schmerzlicher Prozeß. Aber mir war eines klar: entweder er oder ich.« Und wie ergeht es dem »braven Mädchen«? Das brave Kind kann sich genauso im Netz der mütterlichen Erwartungen verfangen, mit ebenso schlimmen Folgen, wie die zwei »bösen Mädchen« sie erlebt haben. Ellas Mutter wünschte sich ein vollkommen gehorsames Kind, das ihre Moralvorstellungen übernehmen und sich gesellschaftlichen Konventionen beugen sollte. Ella hatte keine persönliche Freiheit, sie durfte nichts selber entscheiden und lernte so natürlich auch nicht, was für sie wirklich wichtig war und was nicht. »Mir ist, als hätte ich meine Mutter nur mit erhobenem Zeigefinger gesehen«, sagte Ella. »Aber sie warnte nicht nur mich, sondern auch sich selbst. Sie lebte in ständiger Furcht, irgendein göttliches Gesetz zu verletzen; sie machte sich Sorgen, was ›die Leute sagen‹ und ›die Nachbarn denken‹. Ich durfte die Haare nicht offen tragen, weil ›man das nicht tut‹. Ich mußte gut in der Schule sein, nicht um zu zeigen, was für ein helles Köpfchen ich war, sondern mehr, um der Familie keine 90
Schande mit meiner Dummheit zu machen. Man schärfte mir ein, mich nicht mit Jungen einzulassen und bis zur Ehe Jungfrau zu bleiben. ›Komm, sei ein braves Mädchen‹, pflegte meine Mutter zu sagen, ›lauf schnell zum Einkaufen für mich.‹ Oder: ›Sei ein liebes Kind und mach mir keinen Kummer.‹ Oder: ›Gute Kinder besuchen ihre Großmutter auch dann, wenn sie keine Lust dazu haben.‹ Ich wuchs auf, ständig die guten Ratschläge und Warnungen meiner Mutter im Kopf. Einmal machten wir einen Klassenausflug, ich war vielleicht zwölf. Ich mußte dringend aufs Klo. Meine Mutter hatte mich immer davor gewarnt, öffentliche Toiletten zu benutzen, jetzt tat ich es, mit einer bohrenden Angst, sie könnte erfahren, daß ich eine ihrer Gesundheitsregeln übertreten hatte. Meine Mutter gab vor, Antworten auf alle Fragen des Lebens zu haben, und ich glaubte ihr. Sobald ich etwas auf eigene Fast tat, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich schlief mit meinem Mann bereits vor der Hochzeit und plagte mich deshalb mit entsetzlichen Schuldgefühlen herum: Was würde sie von mir denken, wenn sie das wüßte? Ich wollte so gerne ich selber sein, aber ein Teil meiner Person war im Labyrinth der mütterlichen Vorschriften verlorengegangen. Mein ›Ausbruchsversuch‹ bestand darin, daß ich einen Mann heiratete, der mir ebenfalls alle Entscheidungen abnahm und mich mit Hilfe von Schuldgefühlen gefügig machte. ›Ich schufte den ganzen Tag für dich, und du gibst mir nicht, was ich brauche‹. Das hieß: Ich gab ihm nicht genug Sex. Als ich klein war, mußte ich ›gut‹ sein, damit meine Mutter mich liebte und nicht ins Waisenhaus steckte, wie eine Tante das mit ihrem Kind getan hatte; während meiner Ehe mußte ich gut sein, damit mein Mann mich achtete. Ich spürte genau, daß ich selbst bei all dem ›Gut-Sein‹ auf der Strecke blieb. Weder meine Mutter noch mein Mann kümmerten sich um 91
meine Bedürfnisse. Ihre Wünsche standen an erster Stelle, und ich war da, um sie zu erfüllen. Die anderen entschieden, was für mich richtig war und was für mich falsch war! Mit der Zeit verlor ich all meine Selbstachtung, und ich versuchte, sie wiederzugewinnen, indem ich mich noch mehr bemühte, ›gut‹ zu sein. Ich stecke immer noch in diesen alten Verhaltensmustern; aber so langsam versuche ich, mich zu befreien. Die Mitgift meiner Mutter hat mir eigentlich nur Unglück gebracht!«
WIE MÜTTER MÄNNER ZUR »HAUPTSACHE« MACHEN Die Kindheit vieler Frauen ist geprägt von den unterschwelligen Mitteilungen, daß man als Mädchen eben abhängig ist – erst von der Mutter, später vom Mann. Daß Frauen nun mal nicht tonangebend seien und keine Autorität besäßen. Und daß sie ihr ganzes Leben lang eine Stütze, einen sicheren Halt brauchen. Frau sein bedeutet – nach Ansicht unserer Mütter – niemals selbst für sich sorgen zu müssen. – So werden uns die Männer schmackhaft gemacht. Wenn ein Mädchen auch nur einen Funken Verstand besitzt, ist sie froh, einen Ernährer zu finden; denn dann hat sie ausgesorgt. Daß sie dafür ein Stück ihrer Persönlichkeit aufgeben muß, ist nicht so schlimm. Es bleibt genug Stoff für schöne Träume übrig. Und die kann dir niemand nehmen! Bediene deine Mutter, bediene deinen Mann – so heißt die Zauberformel des Lebens. Aber wer sich am tiefsten verneigt, wird am heftigsten getreten! Die Möglichkeit, selbständig Entscheidungen zu treffen - und zwar ohne die Befürchtung, damit als Tochter oder Ehefrau zu versagen –, wird uns Frauen grundsätzlich vorenthalten. Und 92
das Ergebnis? Wir fangen an, uns selbst nicht mehr zu mögen, vielleicht sogar uns selbst zu hassen, und wir wenden uns den Männern zu in der Hoffnung, von ihnen zu bekommen, was wir selbst uns nicht geben können. Aber gerade das ist die Zwickmühle: Wer sich selbst nicht mag, muß alle Zuwendung, die er erfährt, sofort in Frage stellen. »Warum sollte jemand sich um ein Nichts wie mich bemühen? Das bin ich doch gar nicht wert. Wer mich mag, ist ein Narr.« Solange wir glauben, daß wir Liebe, Zuwendung und Wohlstand nicht verdienen, können wir unmöglich eine gesunde Partnerschaft aufbauen. Es hat keinen Sinn, sich selbst in einem anderen zu suchen. Mit der eigenen Persönlichkeit einverstanden zu sein, ist nötig, um die Achtung und Liebe anderer Menschen überhaupt annehmen zu können. Wie war das doch gleich? Wenn du dich selbst nicht magst, warum sollte dann irgendein anderer dich mögen! Als Töchter lernen wir von unseren Müttern, daß Männer die Hauptsache sind. Wir brauchen einen Versorger, um überhaupt leben zu können, und wir müssen auch dann zufrieden sein, wenn nur Brosamen für uns abfallen; Frauen müssen eben auch mit wenig auskommen können. Lieber entwickeln wir uns zu wahren Hungerkünstlerinnen, als daß wir selbst zum Messer greifen und uns vom großen Kuchen des Lebens abschneiden, was wir brauchen! Man bringt uns bei, daß die Forderungen anderer vernünftig, unsere eigenen Bedürfnisse aber lächerlich seien. Wir hören, daß wir unserem Gespür nicht vertrauen, daß wir unsere untergeordneten und schlecht bezahlten Jobs nicht wechseln können. Allmählich bezweifeln wir, überhaupt etwas zu können. Gibt es ein Entrinnen aus diesem Netz der mütterlichen Verhaltensregeln? Zeigt sich eine Alternative zur Unzufriedenheit, zum unausweichlichen Schicksal der Frau? Oder verlieren wir unsere Männer, sobald wir versuchen, nicht 93
länger mit Krücken, sondern mit unseren eigenen Beinen zu gehen? HERAUS AUS DEM TEUFELSKREIS! Ich erinnere mich an folgende Szene aus einer GruppentherapieSitzung: Ich arbeitete mit etwa zehn Frauen, einige waren geschieden, andere alleinstehend. Alle wollten lernen, mit ihrer Situation fertig zu werden. Sie erzählten mir von den Reaktionen ihrer Mütter auf ihren Versuch, ohne Mann zu leben. Dabei spürte ich ganz deutlich, was sich hinter den Geschichten meiner Klientinnen verbarg: eine verzweifelte Sehnsucht danach, von der Mutter so angenommen zu werden wie sie waren. Die Mütter begannen, sich in der Phantasie zu verwandeln – sie wurden zärtlicher, freundlicher und empfingen die Töchter mit offenen Armen und mit vor Freude geröteten Wangen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, stellte ich der Gruppe die Frage: »Wer von euch liebt seine Mutter?« Neun von zehn Händen fuhren hoch. Ich fragte weiter: »Und wer von euch würde sich seine Mutter als Freundin aussuchen, wenn er die Wahl hätte?« Eine einzige Hand hob sich. Dieses Erlebnis ließ mich begreifen, daß wohl die meisten Frauen das Gefühl haben, ihre Mutter zu lieben, und gleichzeitig um jede Minute froh sind, die sie nicht in ihrer Nähe verbringen müssen. War ich verrückt, anzunehmen, die Töchter könnten sich mit den Müttern zusammentun, könnten der Frau, die sie zur Welt gebracht hat, vertrauen und mit ihr im Einvernehmen leben? Ein erster Schritt, um dich von deiner Mutter und ihren verderblichen Botschaften zu befreien ist, dir eines klarzumachen: sie hat dich immerhin überleben lassen! Und dann frage dich weiter: Was willst du eigentlich von ihr? Muß sie gutheißen, was du tust? Mußt du gutheißen, was sie tut? 94
Mußt du ihre Werte übernehmen? Jetzt, wo du erwachsen bist, kannst du auch verstehen, daß keiner deine Mutter dazu zwingen kann, dich zu mögen, erst recht nicht, dich zu lieben. Das klingt vielleicht hart, aber es ist die Wahrheit. Die Kernfrage lautet: Was kann ich tun, damit meine Mutter mein Erwachsen-Sein akzeptiert? Wie mache ich ihr klar, daß ich eigene Entscheidungen treffen und trotzdem von ihr gern gehabt werden möchte? Es wäre nicht gut, sich jetzt wieder auf die alten Machtkämpfe aus der Kindheit, auf das alte Spiel, »Wer liebt wen mehr?«, einzulassen. In vielen von uns steckt immer noch das kleine Mädchen, das sich nach der bedingungslosen Liebe einer alles verzeihenden, grenzenlos zärtlichen Mutter sehnt. Traum-Mutter gibt es nicht! Deine Mutter ist ein Mensch mit seinem eigenen Recht, ein »Produkt« ihrer Zeit und ihrer Erziehung. Wir haben heute die Chance, über unsere Gefühle zu reden, wir brauchen nichts zu leugnen und zu verdrängen, um überleben zu können. Unseren Müttern ging es da nicht so gut. Schau deine Mutter an und überlege, ob sie nicht dein Mitgefühl verdient, der selbst vielleicht nur ein kleiner Spielraum in ihrem Leben gegeben wurde. Natürlich waren auch Frauen unter ihnen, die ihre Rolle als Frau und Mutter wirklich liebten und keine Konflikte mit ihren Töchtern hatten. Sie waren mit ihrer Rolle zufrieden und sahen keinen Grund, ihre Kinder unglücklich zu machen, ihnen etwas aufzuzwingen, was diese gar nicht wollten. Eine Mutter, die mit ihrem Leben zufrieden ist, wird leicht akzeptieren, daß du das Recht auf dein eigenes Leben hast. Was uns manchmal hindert, erwachsen zu werden, ist die Tatsache, daß wir uns unseren Müttern gegenüber weiterhin noch wie Kinder verhalten. Jedesmal, wenn wir nach Hause kommen, bilden wir uns ein, »diesmal wird es ganz anders sein«. Aber es ist jedesmal das gleiche: überschwengliche Begrüßung, wie war die Fahrt, und – peng – schon fangen die 95
alten Spielchen wieder an. Unsere Wunschmutter existiert nicht, auch wenn wir uns so sehr nach ihr sehnen! Mutter ist nicht schön, einfühlsam, großzügig, einfallsreich und gutgelaunt; sie trinkt nicht, ist lasch und unsportlich, und was sie kocht, schmeckt immer noch nicht besser. Sie ist unfähig mit uns über sexuelle Probleme zu reden, und wir müssen uns endlich daran gewöhnen, daß sie die Lockenwickler nicht abmacht, wenn andere kommen. Die wenigsten von uns hatten Traummütter; und vielleicht wäre es noch viel schwerer, sich von solchen idealen Müttern zu lösen. Eine gute Mutter tut zwei Dinge: sie bringt zuerst ihrer Tochter das Laufen bei, und dann das Weg-Laufen von ihr. Weglaufen wird zum Test für das »Erwachsen-werden«. Dazu gehört auch die Einsicht, daß Mutters Ratschläge vielleicht an Bedeutung für uns verlieren. Wir möchten die Anerkennung unserer Mütter; aber solange sie nicht auch unsere Anerkennung verdienen, wird es für uns schwierig sein, ihrem Einfluß zu entrinnen. Versuchen wir also, unsere Mutter so zu nehmen, wie sie tatsächlich ist. Erstens: Bemühe dich, mit dem Weltbild deiner Mutter in Kontakt zu kommen. War es sicherer? War es gerecht? Vertraut sie in deine Urteilskraft? Hat sie dich früher überwacht? Wolltest du »ihre Liebe testen«, indem du ihr drohtest? (»Ich werde mir schlechte Gesellschaft suchen, dann wird sie schon sehen!« »Wenn ich erst richtig durchdrehe, soll sie mal versuchen, mich zur Besinnung zu bringen!«) Hast du soviel Kraft darauf verwendet, sie zu verletzen, daß du schließlich selbst am Ende warst? Untersuche im einzelnen die Regeln, die sie dir gab. Waren sie unangenehm, oder wurden sie nur auf unangenehme Weise weitergegeben? Strahlte deine Mutter solche Bitterkeit aus, weil sie selbst so unglücklich war? Vielleicht drängte sie dich, jung 96
zu heiraten, weil sie wußte, wie schwer es alleinstehende Frauen in unserer Gesellschaft haben. Möglicherweise hätte sie dir gern eine gute Ausbildung ermöglicht, konnte es aber nicht, weil zu wenig Geld da war. Machst du deine Mutter für deine unglückliche Ehe verantwortlich? Ein Teil unseres Kampfes mit Mutter hat seinen Grund darin, daß wir uns noch immer von ihrer Sicht der Welt und von ihren Erwartungen an dich beeinflussen lassen. Wenn du dich ändern willst, fang an zu unterscheiden zwischen dem, was sie dir sagte, und dem, was sie tatsächlich erreichen wollte. Zweitens: Lerne, die Ähnlichkeiten zwischen dir und deiner Mutter zu erkennen. Urteile dich nicht selber ab. »Du bist wie deine Mutter«, ist eine Feststellung, die die meisten Frauen erschauern läßt. Aber wie ist es wirklich? Hast du ihr Temperament, ihre Ungeduld, ihre Einstellung zum Geld geerbt? Oder glaubst du wie sie, daß dir zusteht, was immer du dir wünschst? Kannst du etwas freundlicher zu ihr sein? Welche anderen mütterlichen Vorbilder hattest du außer ihr? Selbst die allerschlimmste, gleichgültigste, gemeinste und egoistischste Mutter hat auch gute Eigenschaften, die es wert sind, genauer betrachtet zu werden. Welche guten und welche schlechten Seiten der Mutter hast du übernommen? Akzeptiere sie! Es wird dir bereits besser gehen, wenn du sie nur einmal aufzählst. Denn es sind genau diese gemeinsamen Eigenschaften, die dich ständig in Konflikt mit deiner Mutter bringen. Und wenn du dir einmal genau anschaust, worüber ihr eigentlich in Streit geratet, wirst du merken, daß hinter dem äußeren Anlaß der Auseinandersetzungen euer beider Wunsch nach Anerkennung steht. Wir neigen dazu, den Menschen, die wir als Autoritätsperson aufgebaut haben, eher zu glauben als unserem eigenen Gefühl. Wie oft hast du gesagt: »Ich würde ja gerne arbeiten, aber mein Mann meint, ich hätte weder die Energie noch den Sinn zum 97
Geldverdienen.« Passiv zu bleiben, bedeutet doch, sich nach anderen zu richten. Deine Selbstunsicherheit wurde dir von Mutter eingeimpft. Dein Ehemann verstärkt sie weiter. Fang an, dir selbst einen Weg zu suchen und laß dir nur dann eine Richtung vorschlagen, wenn es zu deinem Besten ist. Drittens: Nimm dir Zeit, dich zu fragen, wo du im Augenblick eigentlich stehst. Das ist wichtig. Nach wem richtest du dich am meisten? Nach dir selbst, nach deiner Mutter oder deinem Mann? Das ist eine kritische Frage – sei ehrlich! Welche Einstellung zum Leben und zu deinem eigenen Wert hat dir deine Mutter mitgegeben? Hast du ihre Forderungen erfüllt? Mag sie dich, weil du ein braves Kind warst? Hat deine Mutter ihre Botschaften zu einem bestimmten Zeitpunkt plötzlich geändert? Hast du dich je gegen ihre Wertmaßstäbe gewehrt? Wenn ja, nach welchen Maßstäben lebst du jetzt? Nützen sie dir? Überdenke einmal dein ganzes Leben. Bist du jetzt zufrieden? Falls du jetzt unzufrieden bist, kannst du sagen warum? Was müßte geschehen, damit es dir besser geht? Was könntest du selber dazu beitragen? Was wünschst du dir für die nächsten fünf Jahre, was möchtest du gerne erreichen? Und mit welchen Mitteln könntest du dieses Ziel verwirklichen? Schreib dir fünf Punkte auf, die dir an dir gefallen, und fünf Eigenschaften, die du nicht magst. Benenne fünf Dinge, die du ändern möchtest, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit für dich. Was sollte als erstes geändert werden? Geh die nächsten Punkte durch. Was kannst du zu einer Veränderung beitragen? Kann es sein, daß du dir dabei Hilfe von Fachleuten holen mußt? Viele unserer Stärken werden zu Schwächen, wenn unsere Mütter und Männer uns dazu benutzen, sich selbst besser zu machen. Welches sind deine Stärken und Schwächen? Hast du vielleicht als eine Schwäche notiert, daß du weinst? Ich finde, das ist kein Zeichen von Schwäche – außer, es ist dein einziges 98
Mittel, mit anderen in Kontakt zu kommen. Auch Offenheit und Verletzlichkeit sind nur dann Schwächen, wenn du anderen dadurch erlaubst, dich einfach zur Seite zu schieben – nicht aber, wenn du dich damit anderen so zeigst, wie du wirklich bist. Fange an, deine Handlungen selbst zu bewerten. Sei selbstbewußt genug zu sagen: »Ich habe mich nicht in den Vordergrund gedrängt. Ich habe nur meine Rechte verteidigt.« »Ich war nicht gemein. Ich habe mich selbst geschützt.« »Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Ich wollte einfach hören, was er zu sagen hat.« »Ich war keine schlechte Tochter, ich habe nur auf meine Weise gehandelt.« Wir selbst müssen die Mütter werden, die wir uns immer gewünscht gewünscht haben: sonst suchen wir unser Stimmung und Anerkennung bei anderen – vergeblich. Es hat keinen Sinn, darauf zu warten, daß deine Mutter sich ändert, sie aber gleichzeitig dafür zu hassen, daß sie es nicht tut. Dann bleibst du ewig machtlos und änderst gar nichts. Und solange du in deiner Enttäuschung über Mutter verharrst, wirst du niemals erwachsen. Wenn du also unzufrieden bist mit deiner Beziehung zur Mutter – was kannst du tun, um sie zu verbessern? Es ist ganz einfach: Trenn' dich von dem kleinen Mädchen, das in dir steckt, mach' dich unabhängig von den mütterlichen Forderungen, schneid' die Nabelschnur durch! Es wird schlimm sein am Anfang, schmerzlich, enttäuschend, verwirrend – aber sobald du erkennst, welche Beziehungen dich und sie aneinandergekettet haben, wirst du auftauchen als ein Erwachsener, voller Vertrauen zu sich selbst.
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4. Väter und Töchter Ich wollte bis in den Tod von deiner Liebe belebt werden -kurz gesagt: Ich bin ein Mann, der dein Vater wurde. Eugene O'Neill, STRANGE INTERLUDE. Meine größte Angst war, ich könnte so werden wie mein Vater. Im Laufe der Jahre hatte ich mir ein ganz bestimmtes Bild von ihm gemacht, das ich auszulöschen versuchte. Sobald ich ein paar Ähnlichkeiten zwischen ihm und mir entdeckt hatte, fürchtete ich, ihm völlig zu gleichen. Aber ich wollte nicht sein wie er. Anäis Nin, THE DIARY OF ANÄIS NIN, VOLUME I. Ich erinnere mich an eine Freundin, die zwar eine lebhafte Vorstellung von ihrem Vater hatte, aber – aus Zwang an eine Gewohnheit – beide Eltern als »meine Mutter« bezeichnete. Das hörte sich zum Beispiel so an: »Meine Mutter fährt für zwei Wochen weg.« »Meine Mutter ist morgen zu einer Hochzeit eingeladen.« »Meine Mutter läßt mich dieses Jahr nicht in ein Ferienlager fahren.« Obwohl Irenes Vater ein recht munterer Mann war, nahmen wir alle an, daß er nie mit seiner Frau ausging, und daß er auch ihren Ansichten über die Erziehung der Tochter nicht widersprach. Als Irene heiratete, blieb sie bei ihrer Gewohnheit, nur »meine Mutter« zu sagen: »Am Samstag fahren wir zu meiner Mutter!« »Mutter hat meinem Jungen ein Fahrrad geschenkt.« »Meine Mutter überlegt, ob sie umziehen soll.« Zu dieser Zeit waren wir schon sehr vertraut mit ihrer Ausdrucksweise. Alles, was sie von ihrer Mutter berichtete, schloß automatisch ihren Vater mit ein.
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Warum waren Irenes Eltern so zu einem einzigen Wesen – zur Mutter – geworden? Warum konnte der Mann, der doch ständig zu Hause gegenwärtig war, für seine Tochter zu einem so verschwommenen Wesen werden? Warum konzentrierte sich der Begriff »Eltern« nur auf die untersetzte, blonde Frau, deren Worte die einzigen waren, die Irene hörte, anerkannte und achtete. Wie konnte es dazu kommen? Welche Rolle spielte der Vater überhaupt für sie? Und warum geht es so vielen Frauen wie Irene? Als, wir Kinder waren, wurde die Mutter für uns zur ersten Bezugsperson, die wir liebten und deren Zuwendung und Anerkennung wir brauchten. Der Vater ist für ein Kind meist nicht in dem Maße verfügbar wie die Mutter; aber wenn seine Liebe und sein Einfluß sich auch ganz anders bemerkbar machen, so bleibt er für die Entwicklung seines Kindes doch sehr wichtig. Welche Rolle spielt also der Vater in der Entwicklung seiner Tochter? Über dieses Vater-TochterVerhältnis habe ich viel nachgedacht. Zunächst einmal ist der Vater eines Mädchens erster Liebhaber. Man kann sagen, daß die Beziehung der Tochter zu ihm entscheidend für ihre späteren Beziehungen zu Männern ist. Zweitens lernt die Tochter vom Vater – direkt oder indirekt – Selbstbewußtsein. Daraus, wie Vater und Mutter miteinander umgehen, leitet das kleine Mädchen seine Vorstellungen vom Wert einer Frau ab. Und zum dritten wird wahrscheinlich der Vater darüber entscheiden, was für eine Ausbildung die Tochter erhält, Die meisten Mütter arbeiten ja nicht um des Berufes willen, sondern aus materieller Notwendigkeit; also wird nicht die Mutter zum Vorbild für Erfolg, sondern der Vater. Die Wechselwirkungen zwischen der Rolle des Vaters und jener der Mutter wird bei einem Mädchen entweder das Gefühl stärken, selbst eine Persönlichkeit zu sein oder aber eine Reihe von Konflikten in ihm auslösen. Nur sehr wenige Frauen 101
kommen aus einer Familie, in der das Verhältnis zwischen Mutter, Vater und Tochter ausgeglichen war. Die meisten von uns wurden schon als kleine Mädchen in ihrem Selbstwertgefühl verletzt. Dann mögen wir das Gefühl haben, daß nicht nur die Mutter uns im Stich gelassen hat, sondern auch der Vater. Es ist ein lebenslanger Prozeß, unsere Beziehung zum Vater auszuloten. Wir tragen eine Reihe von Jahren ein bestimmtes Bild von dieser »ersten Liebe« mit uns herum -zusammengesetzt aus realen Erlebnissen mit ihm, aus Gefühlen und aus Vermutungen und Phantasien über seine Person. Wir bewundern ihn vielleicht und fürchten ihn zugleich – ein gütiger Tyrann. Oder wir empfinden, daß er der einzige Mann ist, der uns je wirklich geliebt hat – dann verblassen alle anderen Männer neben ihm, er wird zum Helden, und wir sind Pappi's kleines Mädchen. Es kann auch sein, daß wir ihn als ewigen Taugenichts sehen, als Mann, der nie erwachsen wird – er ist der liebenswerte Versager. Wir mögen uns zu ihm hingezogen fühlen und trotzdem nicht gern bei ihm sein, weil es fast nichts mit ihm zu reden gibt – er ist der Starke, der Schweiger. Vielleicht hat die Beziehung zu ihm uns so verunsichert, daß wir nicht einmal in der Lage sind, mit jemandem darüber zu reden – er wird zum Monster. Möglicherweise waren wir ihm so nahe, daß wir die Mutter nur noch als Störung unserer Beziehung zu ihm wahrnehmen konnten – er war ein Gott. Oder wir haben ihn geliebt, ohne es ihm je zu sagen; wir haben ihn verachtet und es ihm auf jede Art und Weise gezeigt; wir haben ihn angebetet von einem bestimmten Alter an und ihm nicht verziehen, als wir merkten, daß er nicht der war, den wir in ihm sehen wollten; dann fühlten wir uns hereingelegt von ihm.
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DIE FRÜHE BEZIEHUNG: ANBETUNG DURCH DEN VATER Studien über die menschliche Sexualität haben folgendes ergeben: der Vater beeinflußt das Bewußtsein der Tochter von der weiblichen Geschlechtsrolle stärker als das Bewußtsein des Sohnes von der männlichen Geschlechtsrolle. Wie kommt das? Ein liebevoller, zugewandter Vater wird, wenn er als Vertreter des männlichen Geschlechts auf seine kleine Tochter eingeht, bei ihr das Gefühl erzeugen, daß sie für Männer attraktiv und interessant ist. Der Vater freut sich an ihr und hat Spaß daran, mit ihr zu flirten und ihre Zuneigung ohne Verlegenheit oder Ärger zu erwidern. Ein Vater, der spöttisch oder abweisend auf die kindlichen Annäherungsversuche reagiert, erschüttert das Selbstbewußtsein seiner Tochter. Dr. William S. Appleton schreibt in seinem Buch Väter und Töchter: »Zu wenig oder gar keine Wärme von Seiten des Vaters kann ein Mädchen auf vielfache Weise verletzen. Meist wird aus so einem Kind eine selbstunsichere Frau oder eine, die sich abkapselt. Sie sieht keine Möglichkeit, einem Mann nahe zu kommen und erwartet erst gar nicht, daß einer sie lieben, ihr Nähe, Wärme, Geborgenheit geben könnte.« Die erste Vater-Tochter-Beziehung beginnt, sobald das Kind einen Unterschied zwischen ihren Eltern feststellen kann. Je beweglicher und ausdrucksfähiger das kleine Mädchen wird, desto offener bringt es seine Gefühle für den Vater zum Ausdruck. Und wenn der Vater diese Zuneigung erwidert, sind die ersten fünf Lebensjahre vielleicht die allerschönsten für die Tochter. Sie ist Vati's liebes kleines Mädchen – wahrscheinlich wird sie nie mehr solch uneingeschränkte Anerkennung bei ihm finden wie in dieser Zeit. Sie muntert ihn auf, bewundert ihn 103
und besteht darauf, daß sein Schoß der einzige bequeme Platz im ganzen Haus ist. Und wenn der Vater nach Hause kommt, wird die sonst heißgeliebte Mutter zur Nebenbuhlerin. Sie, die Kleine, ist Vati's Augenstein, und Vati ist der Mann, den sie heiraten und ganz für sich allein haben will. Mutter kann eine Wanderung machen. Im Schulalter dann erweitert sich der Horizont des kleinen Mädchens. Der Vater ist zwar noch wichtig, aber sie ist nicht mehr seine süße Kleine. Eine kühle Phase der Distanzierung beginnt – aber das Band der Beziehung ist noch voll Wärme. Während der Pubertät, wenn sie ihre Periode bekommt und anfängt, sich mit Jungen zu verabreden, wird ihr Vater begreifen, daß sie nun allmählich zur Frau wird. Vielleicht fühlt er sich tief in seinem Innersten recht zwiespältig angesichts ihres physischen und psychischen Wachstums. Einerseits möchte er die Tochter nicht an einen anderen Mann verlieren, gleichzeitig weiß er aber, daß er sie gehen lassen muß. Er darf gar nicht daran denken, daß sie ihre Jungfräulichkeit verlieren wird, und ist sich doch im klaren, wie bald ein Mann – ein fremder Mann – Anspruch auf ihre sexuelle Zuwendung erheben wird. Falls der Vater ein Mensch ist, den eine gesunde und befriedigende Beziehung mit seiner Frau verbindet, kann er seine Tochter behutsam und mit dem nötigen Einfühlungsvermögen auf sexuelle Erfahrungen vorbereiten. Vielleicht lehrt er sie, daß Sex in Ordnung ist, aber erst nach der Hochzeit, oder er vermittelt ihr, daß Sexualität etwas Schönes ist, was mit der nötigen Besonnenheit auch vor der Ehe genossen werden kann. Was er im einzelnen sagt, hängt von seiner psychischen Gesundheit und von seinen Moralvorstellungen ab. So erscheint der liebende, verständige Vater als ein Mann – zu gut, um wahr zu sein. Und er ist auch, bevor seine TeenagerTochter ihn als ein menschliches Wesen mit Fehlern und 104
Grenzen erkennt, kein göttliches Wesen, immer gut und immer zur Stelle. Dies ist für sie eine schmerzliche Zeit, Hier steht also Vati vor ihr, eine rohe und enttäuschende Version des früheren Mannes: er trinkt zuviel; er hat ständig Freundinnen, um sich zu beweisen, daß er ein richtiger Mann ist. Seine berufliche Karriere ist nicht ganz so verlaufen, wie er es eigentlich geplant hatte, und das Leben, ganz allgemein betrachtet, findet er trostlos und grau. Seine Frau sieht nicht mehr aus wie einst, wird dicker um die Hüften und erinnert ihn an sein eigenes Alter; und seine Tochter geht schon ihre Wege, kämpft zwar noch mit den Stürmen des Erwachsenwerdens, braucht ihn aber längst nicht mehr wie früher. Wenn es ihr gelingt, ihren Vater so zu sehen, wie er ist, hat das entscheidenden Einfluß auf ihr Verhältnis zu den Männern. Wenn sie es fertig bringt, den Vater als jemanden zu akzeptieren, der zwar seine schwachen Seiten hat, im Grunde aber ganz in Ordnung ist, kann sie aufhören, ihn anzubeten und absolute Größe von ihm zu erwarten. Sie wird dabei eine wertvolle Erfahrung machen: In jeder Liebesbeziehung gibt es auch negative Erfahrungen, niemand ist perfekt, auch sie selbst nicht. Das bedeutet, daß sie einen Mann lieben kann, obwohl er ihr manchmal auf die Nerven geht; sie kann sich nach seiner Gegenwart sehnen und dann den Klang seiner Stimme nicht ertragen; und sie weiß und akzeptiert, daß er manchmal eben ohne ein Wort von ihr genau das Richtige tut, und ein anderes Mal übersieht, was sie braucht. Das ist ganz normales menschliches Verhalten. Die Tochter, die eine gesunde Beziehung zu ihrem Vater hatte, wird sich einen Mann suchen, der ihm ähnlich ist. Diese Ähnlichkeit besteht wahrscheinlich darin, daß er ebenfalls die Fähigkeit hat, sich normal zu verhalten. Der Vater war so etwas wie ein Freund; also wird auch der Ehemann sie nicht entmutigen und erniedrigen, sondern sie bestärken in ihren 105
Versuchen, sich selbst zu verwirklichen. Ihrem Vater konnte sie vertrauen; auch ihr Mann wird vertrauenswürdig sein. Ihr Vater brachte ihr echtes Interesse entgegen, ebenso wird ihr Mann sich verhalten. Ihr Vater hatte seine Fehler; auch ihr Mann wird gewisse erträgliche Schwächen haben. Viele Frauen bleiben in einer frühen Form der Vater-TochterBeziehung stecken, vor allem dann, wenn sie einen beschützenden, aufmerksamen und liebevollen Vater hatten. Für sie ist es schwerer, erwachsen zu werden, weil sie die Kindheit schwerer vergessen können. Dies kann dazu führen, daß die Selbstachtung einer solchen Frau ganz vom Beifall anderer Leute abhängt. Sie kann nicht leben ohne einen Mann, der sie beschützt und bewundert. Oft will sie eine Generation überspringen und eine Vaterfigur heiraten, einen Mann, der sie mit so rückhaltloser Hingabe hätschelt und tätschelt wie sie es ersehnt. Unglücklicherweise beraubt sie sich damit selbst einer echten Partnerschaft. Eine solche Frau erliegt der Selbsttäuschung und findet viele Gründe, warum es gut ist, gerade diesen Mann zu heiraten. Dina zum Beispiel, zum zweitenmal verheiratet, zuerst mit einem um 20 Jahre, dann mit einem 28 Jahre älteren Mann. Sie erzählt: »Einen älteren Mann zu heiraten, hat nichts mit den Gefühlen für meinen Vater zu tun, sondern damit, daß solche Männer mehr Lebenserfahrung haben. Sie wissen so viel mehr, haben so viel mehr erlebt und erfahren. Von so einem Mann kann auch ich mehr lernen. Wahrscheinlich gebe ich dafür auch nicht mehr auf als die Frauen mit jüngeren Männern aufgeben müssen.« Die emotionellen Beweggründe, die Dina und andere Frauen ihrer Art anführen, stürzen sie aber auch oft in Schwierigkeiten. Schon eine kleine Kritik von seiten des Mannes kann zutiefst verletzen Vati hätte sein Mädchen niemals so bloßgestellt. Und vielleicht fragt sie sich, ob sie die Fehler wirklich beging oder 106
ob der Mann, der sie ihr vorwirft, ihr nur weh tun will. Was solch eine Frau dann am meisten aus der Fassung bringt, ist die Aufforderung, »erwachsen« zu werden, Partnerin zu sein und sich wie ein unabhängiger Mensch zu verhalten. »Was soll das alles. Vor unserer Hochzeit hast du nie so mit mir geredet«, lautet ihr Protest. Oder: »Ich mag nicht allein einkaufen gehen. Früher bist du doch auch mitgegangen und hast mir geholfen, meine Kleider auszusuchen.« Da Vati in allem unfehlbar war, was er auch tat, kann die kindliche Ehefrau Fehlentscheidungen ihres Mannes nicht begreifen. Und sei es nur, daß er auf der Autobahn die falsche Ausfahrt nimmt: sie wird ihm sofort Unfähigkeit vorwerfen. Alle Fehler sind ihr unerträglich. Weil sie eine überzogene Vorstellung von der eigenen Wichtigkeit hat – im Grunde ein Beweis für ihr verletztes Selbstwertgefühl –, übertreibt sie zumeist ihre Reaktionen, »Kürzlich war ich auf einer Gartenparty«, hört man sie jammern, »es gab dreihundert Gäste und eine Biene; und wen mußte diese Biene sich zum Stechen aussuchen?« Eine Frau, die in ihrem gefühlsmäßigen Erleben auf einer frühkindlichen Stufe stehengeblieben ist, braucht immerzu den Beifall anderer. Also wird sie sich in ihrem Handeln nach anderen richten statt eigene Entscheidungen zu treffen. Sie kleidet sich, wie »man« sich kleidet, macht sich keine eigenen Gedanken und wagt es nicht, ihre Individualität in irgendeiner Weise zu betonen; es könnte ja dazu führen, daß die Umwelt sie meidet! Und was ihren Mann betrifft? Er ist natürlich mit ihrem Vater nie und nimmer vergleichbar. Gehen wir nochmals in die Kindheit zurück. Was passiert, wenn die Tochter sich während der Pubertät nicht in der richtigen Weise vom Vater löst und fortfährt, ihn als vollkommenen Mann zu vergöttern? Beide werden dann voneinander abhängig, der Vater braucht sie, ebenso wie sie ihn. Eine enge Bindung 107
entsteht. Mit Worten und durch sein Verhalten zeigt der Vater der Tochter, daß kein Mann ihr je das gebellt wird, was er ihr gibt. Wie zärtlich und großzügig ein Liebhaber auch sein mag – er wird ihr nie bieten können, Was sie vorn Vater erhält, sei es auf emotionaler oder materieller Ebene. Der alles-verstehende, alles-verzeihende Väter läßt seine Tochter nicht los. Warum sollte er auch? Er würde keinen anderen Menschen mehr finden, der ihn so vorbehaltlos anbetet. Aber mit dieser Einstellung erweist der Vater seiner innig geliebten Tochter einen schlechten Dienst, ja – ich möchte sagen: diese Einstellung ist fast verantwortungslos. Diese Bindung kann dazu führen, daß eine Frau ihr ganzes Leben lang die Hilfe ihres Vaters in Anspruch nimmt -gleichgültig, ob sie verheiratet ist oder nicht. Die Ehe, mag ihr zunächst als Mittel erscheinen, sich vom Vater zu lösen, räumliche Distanz zwischen sich und ihn zu bringen. Dann treten die ersten Probleme mit dem Mann auf. Was hat Vati immer gesagt? Sie wird es nirgends so gut haben wie bei ihm. Wie recht er hatte! »Ich möchte einen neuen Pelzmantel«, bittet sie ihren Mann. Er weigert sich, den Mantel zu kaufen -Vati tut es mit dem größten Vergnügen. So eine Frau, denkt, es genüge, einem Mann ihre bloße Anwesenheit zu schenken, damit er sie liebt; zu Hause bei Vater war es so, und sie hat doch nichts anderes gelernt, als einfach da zu sein. Irgendwann entdeckt sie wohl die schwachen Seiten ihres Vaters und nützt sie für sich aus. Und Vati spielt nur zu gern mit, obwohl er sie genau durchschaut. Soll sie ihn um sein Vermögen bringen, soll sie seine Ehe zerstören – er wird sie nicht aufgeben, sie darf nicht erwachsen werden. Dieser Vater weiß, sie wird immer wieder zu ihm zurückkommen, solange er bereit ist, alles für sie zu tun. Und »Vati's Mädchen« weiß, er wird ihr immer wieder verzeihen, egal was sie getan hat, solange er nur der erste Mann in ihrem Leben bleibt. Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist 108
Nebensache. DIE FRÜHEN JAHRE: WENN VATER UNERREICHBAR IST Während kleine Mädchen auf einen liebevollen, zugewandten Vater in wilder Freude zustürmen, sobald sie ihn nur sehen, klammern sich Kinder, denen der Vater fehlt – tatsächlich oder im übertragenen Sinn –, stark an die Mutter. Ein Mädchen, dessen Vater gestorben ist oder die Familie verlassen hat, wird kaum mehr die Chance erhalten, in einer Atmosphäre der Geborgenheit auszuprobieren, wie ein Mann auf sie reagiert. Falls es nicht eine andere männliche Bezugsperson in der Familie gibt – zum Beispiel einen Onkel oder Großvater, der auf das kleine Mädchen eingeht –, bleibt dem Kind nur die Mutter, die aber den schweren Verlust auch nicht ganz ausgleichen kann. Wenn der Vater stirbt, fühlt sich die kleine Tochter unendlich traurig und verlassen. Allerdings kann die Mutter ihr klarmachen, daß sein Fortgehen nichts mit ihr, dem Kind, zu tun hat. Es ist nichts verloren, wenn die Tochter weiß, daß er sie wirklich geliebt hat. Eine Scheidung kann für ein Kind sehr viel verletzender sein. Der Vater lebt weiter, aber er ist für seine Kleine nicht mehr ohne weiteres erreichbar. Der Kontakt zwischen Vater und Kind wird oft von der Mutter gesteuert. Falls diese durch die Trennung verbittert ist, wird sie versuchen, ihre schlechte Meinung vom Vater an die Tochter weiterzugeben. Schließlich hat er sie beide verlassen. Möglicherweise konzentriert eine enttäuschte Mutter ihre ganze Energie darauf, die Zuneigung ihrer Tochter zum Vater zu zerstören, nur um in ihrem Elend nicht allein zu sein: »Er besucht dich nur, weil er nichts anderes zu tun hat.« »Er holt dich ab, weil er muß, nicht, weil er dich gern hat.« »Wie 109
kommst du darauf, diesem Mann könnte irgend etwas an dir liegen?« So erschüttert die Mutter das Selbstwertgefühl des Mädchens, untergräbt die Beziehung zum Vater, den das Kind eigentlich gern haben und bewundern möchte, und errichtet dadurch wahrscheinlich eine Mauer zwischen sich und der Tochter, ohne es zu wissen und zu wollen. Manche Väter sind so sehr mit sich selbst oder mit ihrer Arbeit beschäftigt, daß sie sich kaum mehr um ihre Töchter kümmern. Sie sind zwar körperlich anwesend, aber mit ihren Gedanken und Gefühlen weit weg. Die Bemühungen einer Tochter um solch einen Vater werden entweder entschieden zurückgewiesen oder gleichgültig hingenommen: »Ja, das hast du nett gezeichnet, aber jetzt geh draußen spielen.« »Ich hab' dir doch gesagt, daß du mich nicht stören sollst. Sei jetzt ruhig!« Über kurz oder lang wird die Tochter wütend auf ihren Vater. Je älter sie wird, desto zorniger wird sie. Und weil sie es so schmerzlich vermißt, sich in dieser Zeit selbst zu testen, wird sie später kaum ein Gefühl des Vertrauens zu ihrem Vater und zu anderen Männern in sich spüren. Dr. Appleton meint, daß bei vielen Frauen diese Vater-Konflikte auch zu sexuellen Schwierigkeiten mit anderen Männern führen. »Ein Mädchen, dem es nie gelang, die Anteilnahme des Vaters zu gewinnen, kann kaum starke sexuelle Gefühle als Frau entwickeln. Sie wird erwachsen und schläft zwar mit einem Mann, aber im Grund bedeutet er ihr nichts.« Ein Mädchen, das mit einem Vater aufwuchs, ohne im. Grunde etwas von ihm zu haben, wird als Frau vielleicht Spaß daran finden, einen Mann nach dem anderen zu erobern, um ihn dann fallenzulassen, Ihr Vater hat sie fallenlassen, denkt sie rachsüchtig, andere Männer sollen dazu erst gar keine Gelegenheit erhalten. Immer wieder braucht sie die Erregung, ein neues Gesicht, einen neuen Körper, ein andersartiges Verhalten. Länger dauernde Beziehungen sind aber nicht ihre 110
Sache. Meist findet sie genug Gründe, von einem Liebhaber schnell zum nächsten zu wechseln. Oft hatten die Mütter dieser Frauen, die sich im Umgang mit Männern stets zu kurz gekommen fühlen, ganz ähnliche Erlebnisse. Da der Ehemann auch »unerreichbar« blieb, wenn er zu Hause war, haben solche Mütter möglicherweise ihre ganze Unerfülltheit an den Töchtern ausgelassen; ihnen beigebracht, daß Männer Feinde sind, die ihre Gefangenen bewachen und versorgen, daß alle Männer Lüstlinge sind und Sex ein Verbrechen an den Frauen ist. Und trotz allem werden diese Mütter ihre Töchter drängen, so früh wie möglich zu heiraten! Es ist nicht leicht für ein Mädchen, von beiden Eltern im Stich gelassen zu werden – vom Vater nicht beachtet, von der Mutter mit Verbitterung verfolgt. »Mein Vater zeigte mir deutlich, daß er kein Interesse an mir hatte«, erzählte mir eine Klientin, »und meine Mutter machte mir klar, daß alles, was mein Vater zu geben hatte, ihr gehörte. Ich mißtraute Männern zutiefst, und wollte gleichzeitig so gern von einem Mann gemocht werden – das hätte doch bewiesen, daß ich ein richtiges Mädchen war. Irgendwann gegen Ende der Schulzeit hatte ich dann einen Freund. Aber ich lud ihn nie zu Parties ein. Ich war davon überzeugt, daß ich ihn verlieren würde, wenn ich ihn anderen Frauen zeigte. Das aber wollte ich nicht. Mit 22 heiratete ich einen Mann, den ich regelrecht anbetete. Ich erzählte ihm die ganze Zeit, wie sehr ich ihn liebte – von ihm hörte ich etwas Derartiges zum erstenmal, als wir bereits vier Jahre verheiratet waren. Meine Ehe war die Hölle, aber ich blieb bei meinem Mann. Ich ging in Therapie und erkannte schließlich, was ich eigentlich von ihm wollte. Er war so eine Art Erlöserfigur für mich – Liebhaber, Ehemann, Freund, Vater, alles zugleich sollte er sein. Ich idealisierte ihn und konnte seine Schwächen nicht ertragen. Ich machte ihm das Leben zur Qual 111
und fand, er tue dasselbe mit mir. Er war ein guter, zuverlässiger Mann, der mich wirklich gern hatte – aber ich wollte einen Helden, einen Typ Mann, der er nicht war und nicht sein konnte.« Das Mädchen, welches während der frühen Kindheit keinen rechten Halt am Vater hatte, macht eine stürmische Pubertät voller Zweifel und Probleme mit dem Erwachsenwerden durch. Sie rebelliert, ist ungehorsam, probiert ständig aus, wie weit sie gehen kann – und ist gleichzeitig von der Zuwendung ihrer Eltern abhängig. Sie fühlt sich unerwünscht und häßlich und glaubt nicht, daß es je anders sein könnte. Ihre Ehe wird ein einziger Kampf sein. Da ihr Selbstbewußtsein sehr gering ist, will sie ständig bestätigt werden, drängt vielleicht ihren Mann zum Erfolg, um sich mit seiner Karriere zu schmücken. Sie lebt nach den Maßstäben anderer; sich selbst und ihre Ehe beurteilt sie danach, was andere Frauen von ihren Männern bekommen. Sie will Kontrolle über ihren Mann: »Janet's Mann ist mit ihr zum Hochzeitstag nach Paris gefahren. Du gehst mit mir immer nur essen!« Sie verlangt von ihrem Mann einen gewissen beruflichen Status und sorgt dafür, daß er mit anderen Männern in Wettbewerb tritt: »Ken ist erst zwei Jahre in der Firma und man hat ihn schon befördert. Wie kommt es, daß er mehr schafft als du?« Wird solch einer Frau die Ehe zu langweilig, ist sie einer kleinen Affäre nicht abgeneigt. Aber wahrscheinlich wählt sie sich einen Liebhaber, der fordernd und indiskret mit ihr umgeht – einen, der nicht zögert, bei ihr anzurufen wegen eines Schäferstündchens, obwohl er genau weiß, daß ihr Mann in der Nähe ist. Die Ehe sterbenslangweilig, der Liebhaber brutal und rücksichtslos: diese Frau braucht extreme Beziehungen. Und wenn sie in sexuellen Abenteuern nicht die nötige Ablenkung findet, wird sie sich zu Hause den entsprechenden Streß schaffen. 112
Andere Frauen, die ihre unbefriedigende Vaterbeziehung nicht verarbeiten konnten, stürzen sich vielleicht in eine Karriere. Sie hoffen, endlich die Anerkennung des Vaters zu erringen, wenn sie sich auf einem Gebiet hervortun, das Männer verstehen: also ergreifen sie einen Beruf und arbeiten sich nach oben mit einer bitteren Sehnsucht nach Rache im Herzen. Vorwärtskommen heißt die Devise. Die geglückte Karriere ist vielleicht genau das, was ihr hilft, eine neue, befriedigendere Einstellung zu Männern zu finden. Die Frau, die sich mit dem Erfolg ihres Mannes schmückt, hat nie die eigenen Fähigkeiten ausprobiert. Selbstbewußtsein gewinnt nur die Frau, die ihre Chancen wahrnimmt und etwas aus ihrem Leben macht. Was sie erreicht, rechtfertigt schließlich ihr Handeln. Manche von uns hatten vielleicht Väter, die sich im Hintergrund hielten, solange wir sehr klein waren, aber sich desto mehr kümmerten, je älter wir wurden, Anderen erging es möglicherweise so, daß der Vater sie geradezu vergötterte, bis sie fünf oder sechs waren und sich dann allmählich in kalte, kritische, konfliktbeladene Männer verwandelten. »Ich weiß noch, was für ein Gesicht mein Vater machte, als Mutter ihm erzählte, daß ich meine Periode bekommen hatte«, berichtet eine Frau. »Er wurde bleich und sah schockiert aus, als hätte man ihn hintergangen oder so. Ich war damals erst zehn, noch ein richtiges Kind, aber ich sah vier Jahre älter aus. In meiner Familie war es so, daß ich zu meinem Vater gehörte, meine Schwestern zu meiner Mutter. Von diesem Tag an war jedoch meine Beziehung zu Vater zerbrochen. Die nächsten acht Jahre sprach er fast nur noch mit mir, wenn er mir etwas vorzuwerfen hatte. Meine Mutter hatte mir erzählt, ich sei nun eine Frau, da ich doch meine Blutung bekommen hatte. Aber ich wollte keine Frau sein, wenn das bedeutete, daß ich meinen Vater verlor. Noch Jahre später wagte ich keine Beziehung 113
einzugehen, aus Angst, ich könnte zurückgestoßen werden, weil ich eine Frau war.« WER WAR DEIN VATER? Wie würdest du deine Kindheit mit deinem Vater einschätzen? Warst du ein vergöttertes kleines Mädchen oder eine Tochter ohne Vater? Suchst du auch jetzt noch nach einem Vater? Kannst du deinen Vater sehen, wie er ist – mit all seinen Schwächen – oder ist er ein unantastbarer Held für dich? Bist du eine Frau, die ständig beachtet werden möchte? Denk' auch darüber nach, wie dein Vater deine Mutter behandelte. Wie sah die Beziehung zwischen deinen Eltern aus? Waren deine Wünsche ihm wichtiger als jene deiner Mutter? War er besonders liebevoll und zärtlich zu dir? Oder gab er sich abweisend und kalt? Und wie steht es mit deinem Mann? Gibt es Ähnlichkeiten zwischen der Ehe deiner Eltern und deiner eigenen? Forderst du mehr, als dein Mann geben kann und will? Ist dir, was du von ihm bekommst, immer zu wenig? Bist du fast ständig wütend auf ihn? Kennst du die Gründe deiner Wut? Siehst du dich manchmal nach Liebhabern um? Spielst du die Rolle des kleinen Mädchens und erwartest von deinem Mann, daß er alles für dich tut, während du keinen Finger für ihn rührst? Konkurrierst du mit deinem Mann, in der Hoffnung, du könntest es ihm schon zeigen? Möchtest du, daß dein Mann deinen Vater übertrumpft, damit alle Welt sieht, um wieviel besser dein Mann als dein Vater ist? Es steht fest, daß wir uns sehr unterschiedlich verhalten, je nachdem, mit welchen Menschen wir zusammen sind. Manche halten uns für zurückhaltend, für andere sind wir wahre Energiebündel. Welche Männer hast du dir ausgesucht und was haben sie dir gegeben? Sehnst du dich danach versorgt zu 114
werden? Wirst du fröhlich, wenn du bei deinem Mann bist, oder streitsüchtig, gleichgültig, mißtrauisch? Fühlst du Sehnsucht, Freundschaft, Ekel? Wie waren die Männer, die deine positiven Eigenschaften lobten? Ist dein Ehemann jemand, der dich dazu anregt, Neues auszuprobieren, zu sehen, was in dir steckt? Wenn du dich im Zusammensein mit deinem Partner zu deinem Nachteil entwickelst, versuche nicht, ihn zu rechtfertigen. Gesteh dir die Wahrheit ein. Wenn ihr tatsächlich wie Feuer und Wasser seid, hättest du vielleicht mehr von ihm als Freund statt als Ehemann. Falls du mit deinem Mann die Beziehung zu deinem Vater nachspielst, eine Beziehung, die dich daran hindert, erwachsen zu werden, überleg dir, ob du diese Beziehung wirklich brauchst! Verhältst du dich deinem Vater gegenüber immer noch so, als ob du ein kleines Mädchen oder ein Teenager wärst? Weißt du, wie du ihn ärgern, deinen Willen bei ihm durchsetzen kannst? Drohst du, ihm deine Liebe zu entziehen? Nützt du seine Schwächen für dich aus? Eine alleinstehende Frau, die ich kenne, kabbelt sich mit ihrem Vater, so oft sie ihn nur trifft. »Vati, ich habe einen Mann kennengelernt«, sagt sie ihm zum Beispiel und wappnet sich dabei für den Kampf, der nun kommen wird. »Du wirst ihn nicht mögen, er ist ein arbeitsloser Schauspieler und lebt in einem Campingbus, aber er ist ganz großartig!« Vati reagiert wie erwartet auf die Stichelei, stürzt sich in die Schlacht und brüllt los: »Hast du den Verstand verloren? Das ist doch wohl nichts Ernstes? Ich hab' keine Lust, euch beide durchzubringen!« Dein Vater ist, wie er ist, er kennt wahrscheinlich keine andere Art zu leben. Aber Du hast die Chance, dich zu ändern, dazuzulernen und Interesse für ihn als Mensch zu gewinnen. Das ist der Anfang, um dich aus der Abhängigkeit von ihm zu lösen. Wenn er abweisend und kalt war, akzeptiere, daß es ihm nicht möglich war, väterliche Gefühle zu zeigen – damals nicht 115
und heute vielleicht auch noch nicht. Der Wunsch, auf seinem Schoß zu sitzen, wird die Zeit nicht zurückdrehen. Manchmal nehmen Frauen, die unter der Distanziertheit ihres Vaters gelitten haben, ihren ganzen Mut zusammen, um ihm zu sagen, daß sie ihn trotz allem lieben, ihm alles verzeihen. Ein solches Bekenntnis mag den Vater veranlassen, in ähnlicher Weise zu antworten; aber es kann ihn auch dazu bringen, desto abweisender zu reagieren, weil er sich schuldig und ertappt fühlt. Eine Freundin hat mir einmal ein Beispiel erzählt. »Vati«, sagte eine Frau zu ihrem Vater, den sie zehn Jahre lang nicht gesehen hatte, »ich möchte, daß du weißt, wie gern ich dich habe. Ich möchte, daß wir Freunde sind.« Er antwortete: »Ich habe dich nicht in meinem Testament bedacht.« Der nachsichtige Vater begrüßt es vielleicht gar nicht, wenn seine Tochter einen Mann heiratet, der ihr alles bieten kann, was sie braucht. Er gehört zu jenen Vätern, die ins Kaufhaus gehen, um sich eine Krawatte zu kaufen – und am Ende eine Wohnzimmereinrichtung für ihre Tochter bestellen: Hatte sie nicht kürzlich erwähnt, daß sie und ihr Mann auf neue Möbel sparen? Es ist gar nicht leicht, so grenzenlose Großzügigkeit auszuschlagen, wenn es bereits alte Gewohnheit geworden ist, sie abzunehmen; aber »Vati's Kleine« wird ihre Ehe zugrunde richten – außer, sie lernt, zu ihrem Vater »nein« zu sagen. Sollte er dann wütend werden, so ist das sein Problem. Er, will die Tochter ja nicht um ihretwillen an sich binden, sondern zu seinem eigenen Nutzen. Es mag zunächst schmerzlich sein, sich von der erstickenden Vaterliebe zu befreien, aber die Tochter sollte sich klarmachen, daß ihr Ehemann jetzt an erster Stelle steht. Warum ist es so wichtig für eine Frau, ihre Beziehung zum Vater zu durchleuchten? In einer Ehe werden sehr rasch bestimmte Rollen verteilt, die nur schwer wieder abgelegt werden können, wenn erst einmal Zeit vergangen ist. In meiner 116
Praxis erlebe ich es oft, daß Frauen mir von einem Ehestreit erzählen, der fünfzehn Jahre zurückliegt, oder von einem Verhältnis, das er vor zehn Jahren hatte, oder von einer Beleidigung, die man ihnen vor drei Jahren zugefügt hatte. Für diese Frauen spielt es keine Rolle, ob fünfzehn, zehn oder drei Jahre vergangen sind – es ist, als wäre ihnen alles erst gestern passiert. Wie kommt das? Sie haben sich nie Auseinandersetzungen gestellt, wenn es nötig gewesen wäre. Nun wurde sozusagen ihr Rücken krumm ob aller Ungerechtigkeiten, die ihnen angetan wurden und die sie nun schon ein ganzes Leben lang mit sich herumschleppen. Die wenigsten von uns klären ihre Probleme mit ihren Eltern, ebensowenig jene mit ihrem Mann. Möchtest du, daß dein Vater sich dir gegenüber anders verhält? Er wird sein Verhalten ändern, aber nicht aus heiterem Himmel und einfach so. Du mußt deinem Vater so gegenübertreten, wie du es auch von ihm erwartest, du mußt aufhören, nach den alten Regeln zu reagieren, dann wird er es auch tun. Hören wir noch einmal, was unsere spöttische Freundin ihrem Vater von ihrem arbeitslosen Schauspieler sagen könnte. Natürlich ist es dem Vater nicht gleichgültig, welche Leute seine Tochter trifft. Das Beste wäre, sie erzählte ihm gar nicht erst Dinge, die ihn ganz offensichtlich ärgern, sondern wartete ab, bis er selbst Fragen stellt. »Hast du zur Zeit einen Freund?« könnte er zum Beispiel fragen. Und als erwachsene Frau müßte sie ehrlicherweise antworten: »Nein, es gibt niemanden, der mir zur Zeit so wichtig ist, daß ich ihn dir vorstellen wollte.« Damit wäre das Thema dann erledigt. Wenn du erwachsen wirst, kannst du die zwiespältigen Gefühle gegenüber deinen Eltern verkraften. Gesteh dir ein, daß sie Fehler haben, akzeptiere ihre Schwächen, und arbeite daran, dich zu verändern. Du wirst dich nie glücklich fühlen, solange du sie als die einzigen Autoritäten betrachtest. Eine 117
Frau, die ihren Eltern gegenüber empfindet, was Dr. Appleton »Haßliebe« nennt, wird sich nicht von ihnen lösen können. Solange sie sich aus dieser Art Abhängigkeit nicht befreit, wird sie auch nicht fähig sein, eine befriedigende Partnerschaft aufzubauen. Sie wird von ihrem Mann grenzenlose Zuwendung, Aufmerksamkeit, Liebe erwarten; sie wird Geld und Schmeicheleien fordern, aber keinerlei Kritik ertragen. Erst wenn die unglückliche Vaterbindung aufgearbeitet ist, werden die alten Wunden heilen. Die meisten Väter erwarten von ihren Töchtern nicht mehr, als daß sie warmherzige, verantwortungsbewußte Frauen werden. Unsere Erwartungen an die Väter gehen meist über das hinaus, was sie uns wirklich erfüllen können. Dein Vater hat wahrscheinlich getan, was er konnte. Jetzt hast du deine Chance!
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5. Beiß die Hand, die dich füttert »Mein Gott, all diese Schriftsteller, die von ihrer Kindheit erzählen«, sagte sie bitter. »Wenn ich jemals über meine Kindheit schreiben sollte – du möchtest nicht mehr mit mir im gleichen Zimmer bleiben.« John Keats, YOU MIGHT AS WELL LIVE/ THE LIFE AND TIMES OF DOROTHY PARKER. »Du machst dich kaputt, wenn du Tag für Tag das Gegenteil von dem sagst, was du empfindest, wenn du dich vor dem beugst, was du ablehnst, und dich freudig Dingen zuwendest, die dir Unglück bringen... Unsere Seelen können wir nicht immerzu straflos vergewaltigen.« Boris Pasternak, DOCTOR SCHIWAGO. Wir gewöhnen uns nicht nur an die Art, wie unsere Eltern mit uns umgehen, nein, wir wiederholen diese Beziehung meist mit dem Mann, den wir heiraten. Obwohl man es nicht generell sagen kann, fühlen sich viele Frauen, die mit ihren Eltern Schwierigkeiten hatten, auf ganz ähnliche Weise unglücklich in ihrer Ehe. Sie bleiben im Netz der elterlichen Beziehung gefangen; sind ängstlich, enttäuscht, wütend, fühlen sich wertlos; bleiben auf der Suche nach der Anerkennung der Eltern und übertragen schließlich all ihre Verbitterung auf ihren Mann. Solange wir in der problematischen Bindung an die Familie steckenbleiben, werden wir zwangsweise einen Partner suchen, der die autoritäre Rolle der Eltern übernimmt.
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Der Unterschied zwischen unserem Verhalten als Tochter und als Ehefrau ist gering. Manche Frauen spürten, welch untergeordnete Rolle sie bei ihren Eltern spielten. Sie nahmen sich zwar vor, einen Mann zu finden, der ihnen die entbehrte Liebe geben sollte. Doch bewußt oder unbewußt laufen sie Männern in die Arme, die ihren Eltern nur zu ähnlich sind. In der Ehe lebt die Vergangenheit wieder auf. Du hast dich vielleicht danach gesehnt, die negative Bindung zu deiner Familie zu lösen, aber es gelang dir nicht. Ich kenne Frauen, die jeden Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen haben, in der Hoffnung, damit alle Konflikte zu lösen. Aber es half nichts. Diese Frauen können ganze Berge Familienfotos verbrennen, den Hörer auf die Gabel werfen, sobald sie Mutters oder Vaters Stimme am Telefon hören, sie können sogar so weit gehen, ihre Eltern für tot zu erklären – trotzdem bleiben Vati und Mutti ihnen bedrückend nahe. Räumliche Trennung löst noch lange nicht gefühlsmäßige Bindungen. Manche Frauen verlieren endgültig die Geduld mit ihren Eltern und lassen sich auf die verschiedenartigsten Machtkämpfe ein. Wieder andere erkennen, was für ein Spiel gespielt wird, nehmen aber alle Schuld auf sich: »Es tut mir leid, Mutti und Vati. Ich bin nicht die Tochter, die ihr verdient hättet.« Es ist schwierig, sich aus der negativen Bindung an die Eltern zu lösen. Aber jede von uns kann es schaffen, überholte Gewohnheiten und bei den Eltern übliche Lebensregeln zu vergessen. Wir müssen vor allem bereit sein, in Ruhe über die Ehe der Eltern und über unsere Erfahrungen mit ihnen nachzudenken. Wenn du mit der Vergangenheit Frieden schließt, entziehst du dich ihrem zerstörerischen Einfluß. Wenn dir das nicht gelingt, wirst du unweigerlich deinem Mann und deinen Kindern dieselben neurotischen Lebensregeln aufzwingen, in denen du selbst in deiner Familie ausgeliefert 120
warst. Aber positive Erfahrungen können wir erst machen, wenn die bedrückende Vergangenheit bewältigt wurde. Ein Beispiel: Du warst in deiner Familie das ständig unterdrückte Opfer, der Sündenbock. Der Mann, an den du dich bindest, wird wahrscheinlich weder großzügig noch liebevoll sein, sondern dich so behandeln, wie du es schon immer gewohnt warst. Du selbst wirst dieses Spiel mitspielen, weil du kein anderes kennst. Eltern, die selber immer hilflos und unzulänglich waren, an sich selber zweifelten, werden ihren Kindern nichts anderes vermitteln können. Ein trauriges Vermächtnis, werden wir zugeben müssen. Sicher hatten unsere Eltern auch gute Seiten, aber sie kamen im schwierigen Familienalltag nicht zur Entfaltung. Offen gesagt, wir vergeuden zu viel Zeit damit, den Eltern ihre Fehler immer wieder vorzuwerfen; wir sollten lieber versuchen, ihre Stärken ausfindig zu machen. Und es gab sie! Es ist sinnlos, wenn du ein Leben lang mit deinen Eltern haderst oder hoffst, sie könnten sich ändern. Versuche doch dein Verhalten ihnen gegenüber zu ändern. Wie? Beginne mit dem Versuch, sie zu verstehen. Bemühe dich, dir Klarheit über ihre Ehe zu verschaffen – nicht mehr mit den Augen eines Kindes, sondern mit den Augen einer erwachsenen Frau. Und dann überleg' dir, wie die Ehe deiner Eltern dich bei deiner Partnerwahl beeinflußt haben könnte. Beschreibe deine Mutter und deinen Vater – nicht, wie sie aussahen, sondern welche Art von Menschen sie waren. Verhielten sie sich beide in der gleichen Weise, oder reagierten sie völlig unterschiedlich? »Mein Vater war ein tyrannischer Mann«, erzählte mir eine Frau von Mitte Vierzig, »mit strengen und festen Ansichten über das Leben. Meine Mutter war das genaue Gegenteil – ein wenig zerstreut, künstlerisch veranlagt, in kritischen Situationen manchmal sehr schlagfertig. Die beiden lagen in ständigem Kampf; aber ich wußte, es ging ihnen nicht darum, sich 121
gegenseitig zu zerstören, sondern darum, immer wieder von neuem ihre ›Mädchenhaftigkeit‹ und seine überlegene Stärke zu festigen. Ich wuchs auf in dem Glauben, daß Ärger und Feindseligkeit eines Mannes Zeichen einer starken Liebe seien. Bei meinen Eltern mag es so gewesen sein; für meine eigene Ehe hat es nicht gestimmt.« Eine andere Frau berichtet: »Mein Vater war ein sanfter, zurückhaltender Mann, dem viel daran lag, daß alle ihn mochten. Er verzieh jeden Fehler. Meine Mutter hatte die Hosen an. Sie erledigte die Geldangelegenheiten, suchte die Kleider für uns aus und kaufte sogar das Rasierwasser für ihn. Ich wünschte mir zwar einen Mann, der so lieb war wie Vater, aber etwas mehr Mumm sollte er schon haben.« Haben dir deine Eltern eine gewisse Lebensweisheit vermittelt? Zum Beispiel: »Nimm, so viel du kannst, und leiste so wenig wie möglich dafür; keiner tut doch etwas für den anderen, jeder nur für sich selbst.« »Das Leben ist Mühsal und Kampf.« »Sei nicht zu neugierig – das bringt nur Schwierigkeiten.« »Werde so wie wir!« »Suche in allen Menschen das Beste und laß' dich durch Enttäuschungen nicht entmutigen!« Wie denkst du über die Ehe deiner Eltern? Ist sie so, wie du sie dir auch wünschst? Oder wie du sie schon hast? »Meine Eltern«, sagte mir eine Klientin, »fürchteten nichts so sehr wie Armut und geizten mit jedem Pfennig. Uns Kindern wurde ständig erzählt, wie arm wir seien. Später fand ich heraus, daß sie ein Vermögen auf der Bank hatten. Geld war ihr Gott. Wenn ich etwas haben wollte, mußte ich dafür arbeiten – seit ich vierzehn bin, habe ich immer arbeiten müssen! Ich heiratete einen Mann, der genau das Gegenteil war. Er hat keine Beziehung zum Geld, geht verantwortungslos damit um; statt die Hypothek fürs Haus zu bezahlen, kauft er ein neues Auto. Und ehe er an Schuhe für die Kinder denkt, kleidet er sich selbst 122
neu ein. Obwohl meine Eltern geizig waren, mein Mann aber gern Geld ausgibt, ist meine Situation nach wie vor dieselbe: ich habe nie genug Geld und muß auf jeden Pfennig schauen.« Was meinst du, welchem Elternteil ähnelst du mehr? »Ich bin wie meine Mutter.« – »Ich fühle mich genauso wie mein Vater – ich kann mich anstrengen, soviel ich will: irgend jemand kommt mir bestimmt zuvor!« – »Ich bin so selbstsüchtig wie meine Mutter.« – »Von meinem Vater habe ich die Fähigkeit geerbt, rasch Freunde zu finden.« Wen von den Eltern magst du lieber, und warum? »Mein Vater war abenteuerlustig und phantasievoll. Es war schön, mit ihm zusammenzusein; aber Mutter hat unserem Spaß meist ein Ende bereitet.« – »Meine Mutter war sehr gütig. Jeder hatte sie gern, und ich war stolz, daß sie so beliebt war.« – »Mein Vater war ein höflicher Mann. Er konnte seine Gefühle nicht gut zeigen, aber man wußte, daß er für einen da war. Meine Mutter dagegen hatte einen hinterhältigen Zug: man wußte bei ihr nie, woran man war.« Sagte ein Elternteil zu dir: »Du bist genau wie deine Mutter/dein Vater!« – »Du bist stur und trotzig, ganz dein Vater!« – »Ich weiß nicht, woher du diesen Spleen hast, Tänzerin werden zu wollen. Von mir jedenfalls nicht.« – »In meiner Familie ist niemand solch ein Träumer« (oder »ist zu dick« oder »hat eine depressive Veranlagung«). Welche frühesten Erinnerungen verbindest du mit deinen Eltern? »Meine Eltern hatten einen entsetzlichen Streit, bevor sie sich trennten«, berichtete eine Frau, »damals war ich vielleicht vier. Meine Mutter saß auf dem Bett und weinte, und ich weiß noch, daß ich meine Finger in ihre Ohren steckte, damit sie nicht hören sollte, wie mein Vater sie anbrüllte. Dann sah ich meinen Vater zum Spiegel gehen. Er klebte sich ein Pflaster ins Gesicht. Ich muß ihn wohl gefragt haben, was er da mache, denn ich 123
höre ihn noch sagen, meine Mutter habe einen Stuhl nach ihm geworfen und ihn verletzt.« Worüber haben sich deine Eltern beklagt? »Dein Vater gibt mir nicht genug Geld.« – »Diese ewige Gefühlsduselei deiner Mutter!« – »Mit deinem Vater kann ich nirgendwo hingehen. Er bringt mich dauernd in Verlegenheit.« – »Deine Mutter ist frigide.« Wurdest du ständig mit deinen Geschwistern verglichen? Eine New-Yorkerin erzählte mir, daß sie ganz im Schatten ihres Bruders Roger aufwuchs. »Er war das Schmuckstück der Familie – klug, gutaussehend, ein richtiger Sunny-Boy! Meine Eltern verglichen mich andauernd mit ihm. Es hieß sogar, ich hätte zuviel Make-up aufgelegt und würde wie ein leichtes Mädchen aussehen; so wolle Roger bestimmt nicht mit mir gesehen werden.« Besteht eine Diskrepanz zwischen dem, was deine Eltern dir sagten, und dem was sie taten? »Meine Mutter war richtig sexbesessen«, vertraute mir eine Freundin an, »aber sie warnte mich, vor der Ehe mit einem Mann zu schlafen. Sie trichterte mir ein, der Sexualtrieb sei die niedrigste menschliche Regung. Irgendwann fand ich dann heraus, daß sie mit meinem Vater ins Bett gegangen war, ohne mit ihm verheiratet zu sein – ich hätte sie erwürgen können! An der schlechten sexuellen Beziehung zu meinem Mann war sie schuld. Ich hörte immer ihre Stimme, die mir ›nein, nein, nein‹ sagte. Eine Frau mit normalem Sex zu werden – dies ist fast mein Hauptanliegen geworden.« Konntest du mit deinen Eltern Dinge besprechen, die dir unklar waren, ohne befürchten zu müssen, sie würden dich bestrafen, lächerlich machen oder noch mehr verwirren? »Ich wollte heiraten«, berichtet eine Frau, »denn ich sehnte mich nach einem eigenen Zuhause und nach einem Partner. Gleichzeitig hatte ich Angst, daß mein Mann mir vielleicht alle 124
Entscheidungen aus der Hand nehmen könnte. Ich sprach mit meiner Mutter darüber. ›Ach Lieblings sagte sie, ›er wird dir deine Entscheidungen nicht abnehmen. Er wird dir nur helfen, genauso wie wir!‹« Wußten deine Eltern immer, was das Beste für dich wahr? Oder verunsicherten sie dich? Brachten sie dich vielleicht sogar um die Chance, deinen eigenen Weg zu gehen? »Warum willst du Sängerin werden?« fragte eine Mutter ihre Tochter, die beabsichtigte, von zu Hause wegzugehen und Gesang zu studieren. »Du solltest lieber Lehrerin werden. Sonntags kannst du ja im Kirchenchor singen. Denk darüber nach, mein Vorschlag wird dir manche Enttäuschungen ersparen.« Und ihre Tochter sang im Kirchenchor mit... Was haben deine Eltern vom Leben erwartet, bevor sie einander heirateten? Sind sie zufrieden damit, wie alles gekommen ist? Und wenn nicht, warum? »Meine Mutter wollte einen erfolgreichen Mann haben, der ihr ein angenehmes Loben bereiten konnte«, erzählte eine Frau. »Mein Vater wollte ihrem Wunsch zwar nachkommen, aber er versagte immer wieder. Sie bedrängte ihn ständig, er solle etwas aus sich machen. Als er fünfundfünfzig war, fühlte er sich verbittert und ausgelaugt, und sie dachte, daß sie ihre Jugend an einen Versager vergeudet habe. Sie sagte so oft, sie hätte ihren ersten Freund heiraten sollen; er war Apotheker geworden. Ich weiß, daß mein Vater sie geliebt hat, vielleicht brauchte er sogar eine Frau, die ihn vorwärts stieß. Aber irgendwann war das Maß voll, und er verließ sie. Jetzt arbeitet er als Vertreter für eine Maschinenfabrik, und es macht ihm großen Spaß, weil ihn nun niemand pausenlos bedrängt.« Fühltest du dich geliebt und liebenswert? Akzeptierte man dich trotz deiner Fehler und Schwächen? Oder warst du ein Niemand, der immer Probleme hatte?
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»Meine Mutter erlaubte mir nie, etwas allein für mich zu machen«, berichtete ein Frau, »gleichzeitig warf sie mir vor, ich sei unbeholfen, schwerfällig, dumm und faul. Mein Vater verhielt sich nicht viel besser. Er meinte, ich könne froh sein, wenn mich überhaupt jemand heirate. Ich spürte, daß ich ihnen nichts recht machen konnte; und wenn sie doch einmal zufrieden schienen, wartete ich auf den nächsten Schlag.« Brachtest du es fertig, Situationen zu vermeiden, von denen du den Eindruck hattest, sie seien nicht gut für dich? Wurdest du belohnt für Dinge, die dir eigentlich zuwider waren? Hattest du das Gefühl, du müßtest deine eigenen Vorstellungen von dem, was richtig und angemessen ist, verleugnen? »Meine Mutter wollte nicht, daß ich Freunde hatte, sie fand an allen etwas auszusetzen. Ich durfte keine anderen Kinder besuchen und niemanden zu uns einladen. Dafür ging sie dann mit mir in die Stadt, um mir etwas zu kaufen, was ich gar nicht brauchte.« Unterstützten deine Eltern deine Ansprüche und Reaktionen? »Ich wollte schon immer Malerin werden«, erzählte eine Frau aus New York. »Für meine Eltern war ›Künstler‹ gleichbedeutend mit ›verkommen‹. Um mich zu entmutigen, kaufte man mir kein Handwerkszeug zum Zeichnen. Aber ich wollte unbedingt die Kunstakademie besuchen. Meine Eltern weigerten sich, mich gehen zu lassen. Ich fälschte die Unterschrift meiner Mutter, damit ich mich zur Aufnahmeprüfung anmelden konnte, und entwarf Probezeichnungen – heimlich, bei einer Freundin. Ich bestand die Aufnahmeprüfung, aber mein Vater sagte weiterhin ›nein‹. Zum zweitenmal fälschte ich eine Unterschrift und erteilte mir selbst die Erlaubnis, auf die Akademie zu gehen. Als das Semester begann, erzählte ich meinen Eltern, was ich getan hatte. Sie schämten sich, dem Direktor der Akademie zu erklären, daß die Unterschrift gefälscht war, und ich hatte 126
gewonnen. Jetzt fangen sie an, mich zu bewundern – aber nur, weil sie von allen Seiten hören, wie talentiert ich sei!« Wie kamen deine Eltern miteinander aus? Respektierten sie sich? Achteten sie die Persönlichkeit des Partners? »Meine Eltern waren immer verschiedener Meinung«, berichtet eine junge Frau, »sie wollten beide immer recht behalten. Es gab nie einen Kompromiß, sie kannten nur Sieg oder Niederlage. Erst wenn es hart auf hart ging, pflegte einer von beiden nachzugeben. Sie stritten sich über die lächerlichsten Kleinigkeiten. Einmal stellte meine Mutter die Bierflasche zu weit vom Platz meines Vaters entfernt auf den Tisch. Er brüllte sie an, sie könne wohl nicht einmal einen Tisch richtig decken. Es gab zwischen ihnen nichts als Sticheleien, Zank und offenen Streit.« Wie würden deine Eltern dich beschreiben? Deine Mutter? »Mutter versteht zwar nicht, warum ich allein lebe, aber ich glaube, im Grunde ist sie stolz auf mich.« Dein Vater? »Mein Vater hätte nie geglaubt, daß ich einmal mehr Geld verdiene als er. Aber er macht sich Gedanken, warum ich nicht verheiratet bin.« Was erwartest du jetzt von deinen Eltern? »Ich möchte, daß sie endlich aufhören, an mir herumzunörgeln, und mich so akzeptieren, wie ich bin.« – »Ich wünschte, sie würden friedlich miteinander leben und uns Kinder nicht mehr als Vermittler brauchen.« Du hast nun all diese Fragen beantwortet – oder zumindest begonnen, darüber nachzudenken. Nun kannst du vielleicht auch ermessen, was du von der Lebensphilosophie deiner Eltern übernommen hast. Du kennst ihre Ehe und weißt, ob deine Ehe Ähnlichkeit mit der Ehe deiner Eltern hat. Falls du mit deinem Eheleben unzufrieden bist, weil es zu sehr an das bittere Leben deiner Eltern erinnert, du kannst es sehr wohl ändern. Stell dir deine Eltern vor, und vergleiche dich mit ihnen, Punkt für 127
Punkt. »Zerpflücke« die Ehe deiner Eltern – nur dann wirst du einem ähnlichen Schicksal entgehen und dir viel Kummer ersparen. Hier noch einige Beispiele, wie die alten Erfahrungen nachwirken können. Deine Eltern nannten dich vielleicht habgierig oder selbstsüchtig, wenn du etwas haben wolltest. Inzwischen bist du verheiratet und zögerst, irgend etwas für dich zu tun; dein Mann und deine Kinder könnten ja ebenso reagieren wie deine Eltern. Also gönnst du dir weder kleine Freuden noch große Erfolge. All deine Gefühle wurden von deinen Eltern zerredet. Wenn du verletzt warst, hieß es entweder, du würdest dir das alles nur einbilden, oder man sagte dir, du sollest endlich erwachsen werden und aufhören, so empfindlich zu sein. Mit deinem Mann ergeht es dir genauso. Sobald du zeigst, daß er dir weh getan hat, wirst du lächerlich gemacht. Vielleicht glaubst du schon selbst, du seiest übersensibel, statt zu sehen, wie gefühllos die sind, die sich über dich lustig machen. Vielleicht hast du beschlossen, Gefühle nur noch zu zeigen, wenn dich etwas freut. Aber mit der Zeit wird alles in dir ersticken, auch die Freude. Wie verhielten sich deine Eltern bei Meinungsverschiedenheiten? Stritten sie tagelang miteinander, schwiegen sich an, enthielten sich gegenseitig etwas vor, sei es Geld, Sex oder Zuwendung? Vielleicht machst du es mit deinem Ehemann genauso, wenn es Unstimmigkeiten gibt? Oder gleicht dein Mann deinen Eltern und verwickelt dich immer wieder in ähnliche Auseinandersetzungen, die du aus deiner Kindheit nur allzu gut kennst? Nennt dich hysterisch, überempfindlich oder auch egoistisch.
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ERWACHSEN WERDEN: WIE WILLST DU SEIN? Selbst als Erwachsene wünschen sich viele, ihre Eltern möchten sich weiter um sie kümmern. Das Kind in uns lebt eben immer noch weiter, obwohl wir erwachsen sind. Je nachdem, welche Erfahrungen wir als Kinder mit den Eltern hatten, wollen wir den Zustand des Kind-Seins aufrechterhalten oder nicht. Manche Frauen ziehen es vor, ihr Leben lang passiv zu bleiben und sich alle Entscheidungen abnehmen zu lassen – erst von den Eltern, dann vom Ehemann, schließlich von allen dreien zusammen. »Ich wollte nicht erwachsen werden«, gestand mir eine Frau. »Ich wollte die Vorteile des Kindseins nicht aufgeben. Meine Eltern verhätschelten mich, alles, was ich tat, fanden sie großartig. Die Pubertät war furchtbar für mich. Ich hätte die Zeit anhalten mögen! Meine Regelblutung war mir zuwider. Mit Abscheu sah ich, daß meine Brüste sich entwickelten. Ich wurde reizbar wie ein vierjähriges Kind. Mit siebzehn wurde ich zwar ruhiger, aber ich erwartete immer noch, daß meine Eltern alles für mich regeln sollten. Sie wollten mich zur Ausbildung in eine andere Stadt schicken, damit ich lernte, auf eigenen Füßen zu stehen. Sie mußten mich quasi an den Haaren hinschleifen, so sehr sträubte ich mich dagegen, von ihnen getrennt zu werden. Mit zwanzig heiratete ich einen fünf Jahre älteren Mann. Ich erwartete von ihm, daß er für mich sorgte. Wir sind jetzt fünfzehn Jahre zusammen, und ich habe all die Zeit mich nur geärgert, daß ich so abhängig bin. Gleichzeitig hatte ich immer Angst, ich könnte eines Tages auf mich allein gestellt sein. Ich brauche einen Mann, an den ich mich anlehnen kann, der mir ständig versichert, wie wunderbar ich bin. Ich bin wie meine Mutter und verlange von meinem Mann, daß er so zu mir ist wie 129
mein Vater zu meiner Mutter: immer für mich da!« In der Psychologie gibt es eine sehr bekannte, meiner Meinung nach aber irrige Theorie, nach der Kinder sich mit einem Elternteil identifizieren: das Mädchen mit der Mutter, der Junge mit dem Vater. Ich dagegen glaube, daß unsere Persönlichkeit sich nur formt, wenn wir Eigenschaften beider Eltern übernehmen. Wenn wir in einem gesunden Klima aufwachsen, orientieren wir uns an den positiven Seiten von Mutter und Vater. Vielleicht haben wir die Bewegungen unseres Vaters und den feinen Gaumen unserer Mutter; oder wir erben vom Vater die stattliche Haltung und von der Mutter die Sensibilität. Der Soziologe Philip Slater macht sich in seinem Buch Halt finden auch Gedanken zum Prozeß der Identifikation. Er unterscheidet zwischen »personaler« und »positionaler« Identifikation. Personale Identifikation findet nach Slater dann statt, »wenn ein Kind sich die Eigenschaften und Werturteile der Eltern zu eigen macht, einschließlich deren Meinung über das Kind selbst...« Personale Identifikation entspringt der Liebe des Kindes für die Eltern. Das Kind sagt: »Ich möchte sein wie ihr und mich selbst so lieben wie ich euch liebe.« Die personale Identifikation beruht also auf dem Wunsch des Kindes, das zu übernehmen, was es an den Eltern bewundert. Bei der positionalen Identifikation geht es darum, sich die Verhaltensmuster und Merkmale anzueignen, welche die elterliche Macht symbolisieren. Slater sagt: »Positionale Identifikation beruht auf der Vorstellung, man könnte den Platz eines anderen Menschen einnehmen, indem man sein Verhalten nachahmt. Dieser Prozeß wird nicht von Liebe gesteuert, sondern von Angst und Neid. Im Kind läuft etwa folgende Gedankenkette ab: »Ich wollte, ich steckte in deiner Haut; dann würde es mir nicht mehr so schlecht gehen wie jetzt; wenn ich mich so verhalte wie du, werde ich vielleicht deine 130
begehrenswerte Position besitzen können.« Erhält das Kind genügend Zuwendung von den Eltern, wird es sich wahrscheinlich nach diesen geliebten Vorbildern richten; der Prozeß der personalen Identifikation kommt in Gang. Wenn die elterliche Liebe fehlt oder nicht ausreicht, setzt die positionale Identifikation ein. Das Kind ahmt dann jene Verhaltensweisen nach, von denen es glaubt, sie könnten ihm Macht verschaffen. Genau diese Verhaltensweisen sind es aber, die uns später so viele Probleme machen. Möglicherweise glauben wir, Macht sei gegründet darauf, im Streit unnachgiebig zu sein, oder darauf, jemandem emotionale oder materielle Zuwendungen zu verweigern, Gefühle und Bedürfnisse anderer zu übersehen, leere Versprechungen zu machen, Drohungen auszustoßen, zu lügen, zu intrigieren, narzißtisch zu sein. Das Kind, das sich wünscht: »Steckte ich doch in deiner Haut«, wird, um in seiner Familie zu überleben, mit äußerster Sorgfalt diejenigen von diesen Strategien auswählen, mit denen es seine Eltern bekämpfen kann. Zwingen die Eltern dem Kind bedrohliche Machtkämpfe auf, wird es sich mit gleichen Mitteln wehren, und die Fronten werden sich rasch verhärten. Leider wird uns mit zunehmendem Alter mehr und mehr zur zweiten Natur, was wir durch positionale Identifikation erworben haben. Besonders in der Ehe zeigt sich das. Sollte ein Ehemann irgendwelche emotional überfrachteten Machtspiele versuchen, werden wir ihm automatisch so kontern wie unseren Eltern – mit Streiterei, Verweigerung, Böswilligkeit, oder indem wir unser Gegenüber erniedrigen. Aber obschon wir vielleicht mit unseren Männern die Konflikte der Eltern nachspielen, haben sich doch die meisten von uns vorgenommen, ihre Kinder anders zu behandeln als sie selbst von ihren Eltern behandelt wurden. Es überrascht daher überhaupt nicht, daß die alten Verhaltensmuster trotzdem wieder zum Vorschein kommen. 131
Marcia, eine Mutter aus Los Angeles, erzählte mir: »Ich hatte geschworen, meine Kinder nicht zu schlagen, denn ich selbst habe als Kind oft Schläge bekommen. Als dann meine Tochter geboren wurde, hatte ich ihr wenig zu geben. Damals glaubte ich noch an den Satz, daß ein Mensch, der keine Liebe erfährt, auch nicht so leicht Liebe geben kann. Sobald meine Tochter zu mir kam, packte ich sie an den Schultern, schleuderte sie förmlich ins Zimmer hinein, biß die Zähne zusammen und sagte mir: ›Ich bin dabei, dein Leben zu retten. Wenn ich Hand an dich lege, kommst du niemals durch.‹ In mir war diese Angst, ich könnte so quälerisch werden wie meine Mutter. Was steckte dahinter? 42 Jahre brauchte ich, um herauszufinden, daß das Leben meiner Mutter eine Tragödie war, von ihr selbst inszeniert. Wann immer ich sie um etwas bat, fühlte sie sich so beraubt und eifersüchtig, daß sie nichts anderes mehr tun konnte, als es mir zu verweigern, es mir widerwillig zu geben oder mich zu schlagen. Sie war voller Zorn über ihr Leben und fürchtete ständig, ich könnte etwas haben, was sie nicht hatte.« In den negativen Botschaften der Eltern sind oft indirekte Aussagen der Eltern über sich selbst versteckt. Eine Mutter oder ein Vater sagt vielleicht: »Kannst du nicht mal irgend etwas richtig machen?« Die unausgesprochene Botschaft lautet aber: Ich habe Angst, alles falsch zu machen. Oder es heißt: »Männer wollen von dir nur das eine!« Die nicht ausgesprochene Botschaft: Ich habe mich an einen Mann weggeworfen, den ich nicht liebte. Dasselbe wird dir nicht passieren. Oder: »Du taugst nichts!« Die unausgesprochene Botschaft: Ich tauge nichts, also kannst du auch nicht viel wert sein. Viele Kinder wurden von ihren Eltern mißbraucht, mißhandelt und vernachlässigt. Aber sie überstanden alles und führen ein glückliches Leben. Sie sind die »Unverwundbaren«, – Kinder, denen es dank ihrer inneren Stärke und ihres unerschütterlichen Willens gelang, sich eine eigene Identität zu erkämpfen. Wie 132
haben sie es geschafft? An einem kritischen Punkt ihrer Entwicklung distanzierten sie sich von ihren Eltern und schworen sich: »Ich werde nicht sein wie sie, ich werde es schaffen!« Als Kinder erhielten sie negative Botschaften von ihren Eltern. Die Behandlung, die ihnen widerfuhr, war vielleicht noch schlimmer. Grund genug für sie, so könnte es scheinen, mit einem so geringen Selbstwertgefühl ins Leben zu gehen, das kaum ausreicht, um einen Job zu erhalten. Aber nicht diese mißhandelten Kinder werden zu Ausgestoßenen und Rückfälligen – auch wenn sie als schwarze Schafe, Abtrünnige, Verbrecher abgeurteilt wurden. Einige von ihnen verwandelten sich in einen positiven Typ. Weniger extrem ausgedrückt: viele Frauen, die als Kinder gequält wurden, haben beherzt die Erwartungen ihrer Eltern übertroffen. »Man sagte mir, ich würde bestimmt nie etwas erreichen, außer ein Mann heiratete mich, und dann könnte ich mich schon glücklich schätzen«, bekennt eine Geschäftsfrau aus New York. »Aber ich wußte, in mir war etwas, das mir zum Erfolg verhelfen würde; woher das kam, könnte ich nicht sagen. Ich bin Geschäftsführerin bei einer großen Aktiengesellschaft, und jetzt fragt meine Mutter meine jüngeren Schwestern: ›Warum könnt ihr nicht so sein wie Franny?‹ Die Ironie dabei ist, daß meine Mutter mir keine Ausbildung gönnte! Sie wollte, daß ich gleich nach der Schule arbeiten und Geld verdienen sollte. Also arbeitete ich Teilzeit und ging nebenbei weiterhin zur Schule. Meine Mutter fand, ich sei rebellisch, wolle zu hoch hinaus, sei eine Unruhestifterin. Mein Vater ignorierte oder kritisierte mich. Jetzt, da ich es zu etwas gebracht habe, liegen meine Eltern meinen Schwestern in den Ohren, sie sollten sich anstrengen wie ich. Natürlich nehmen meine Schwestern mir die Möglichkeiten übel, die ich als das älteste Kind hatte. Aber was waren das für Möglichkeiten? Alles habe ich allein geschafft, mir meinen Weg erkämpfen müssen. Ich habe mich 133
oft gefragt, wo ich jetzt wohl wäre, wenn ich nicht ein Zuhause gehabt hätte, wo mir Freundlichkeit und Unterstützung durch die Eltern versagt wurden. Wenn ich mir meinen Lebensweg ganz objektiv anschaue, erkenne ich, daß ich meinen Kampfgeist von ihnen beiden habe, aber anders als sie damit umgehen konnte.« Widerwärtigkeiten wandelte Franny in positive Kraft um, so veränderte sie ihr Leben zum Besseren. Anstatt den negativen Botschaften zu glauben, und Bestätigung in einer Ehe zu suchen, zweifelte sie diese Botschaften an – und gewann. Erinnern wir uns: es gibt nur ein paar Themen, die uns zum Kämpfen provozieren, und diese Themen haben etwas mit Macht zu tun – wer schafft es, wen zu kontrollieren. In seinem Buch »Jenseits von Ehe und Partnerwahl« vertritt David Klimek den Standpunkt, daß gestörte Personen, »die das Gefühl haben, niemand kümmere sich um sie und sie seien für niemanden wichtig, fast dauernd in Machtkämpfe verstrickt sind. Es gibt ein natürliches und voraussagbares Phänomen im Bereich menschlichen Verhaltens: Leute, die sich besonders unbedeutend fühlen, versuchen mit aller Kraft, Machtpositionen einzunehmen. Kontrolle über andere zu haben, bedeutet wichtig zu sein«. Inwiefern spielt diese Theorie für uns eine Rolle? Wenn eine Frau in einer Familie aufwuchs, in der sie den Prozeß positionaler Identifikation durchmachte, also sich mit dem gefürchteten oder dem beneideten Elternteil identifizierte –, schwingen die alten, negativen Botschaften in ihr nach. Als Erwachsene verhält sie sich anderen gegenüber oft nicht großzügig, sondern ist kaltherzig. Ein Teil dieser Reaktion läuft automatisch ab; zum Teil versucht sie aber auch bewußt, sich selbst Befriedigung zu verschaffen, weil sie den anderen vorenthält, was ihr vorenthalten wurde. Als Kind hatte sie vielleicht ihren Eltern gesagt: »Der Lehrer meinte, ich soll euch 134
mitteilen, daß ich ein Gewinn für die Klasse bin.« Die Antwort der Eltern mag dann wohl gelautet haben: »Niemand mag eine, die sich Liebkind macht.« Und wenn nun heute ihr Ehemann sie fragt: »Hast du nicht versprochen, diesen Samstag Blaubeerpfannkuchen zu machen?«, reagiert sie vielleicht wie ihre Eltern und sagt: »Warum sollte ich mich für dich zerreißen! Für mich tut ja auch keiner was!« Was steckt hinter diesem Zorn? Solche Antworten sind ja von Zorn motiviert. Kommt er aus dem Glauben, daß man glücklich wird, wenn man andere erniedrigt und ihnen etwas entzieht? Entspringt er der Überzeugung, das Verhalten und die Gefühle anderer zu beherrschen, sei der einzige Weg, sich wichtig zu fühlen? Wenn du dich selbst wichtig nimmst und um dich sorgst, kannst du solche negativen Einstellungen loswerden. Sobald du merkst, daß es zwischen dir und deinem Vater oder deiner Mutter, deinem Mann oder deinem Kind brenzlig wird, kämpfe deine negativen Gefühle nieder. Frag nach den Beweggründen der anderen. Welche Reaktion versuchen die Eltern, der Partner, das Kind bei dir hervorzulocken? Sollst du dich im Unrecht fühlen? Oder nicht liebenswert? Unvernünftig? Uninformiert, also auch dumm? Eigensüchtig? Unfähig, eine einzige Entscheidung zu fällen? Was du im Kopf behalten solltest, ist die Tatsache, daß du ja gar nicht so reagieren mußt, wie man es von dir erwartet. Oft halten wir die Eltern für stark, in Wirklichkeit aber sind sie schwach und unsicher. Wenn Eltern zurückstehen und dem Sohn oder der Tochter den Vortritt lassen müssen, werden sie in ihre Trickkiste greifen, um zu beweisen, daß sie doch noch gebraucht werden, nützlich sind und etwas Macht haben. Je mehr Kind noch in uns steckt, desto wahrscheinlicher ist es, daß wir zwar von unseren Eltern Anweisungen erwarten, aber gleichzeitig versuchen, ihre kontrollierende Macht an uns zu 135
reißen. Die Wahrheit kann niemand bezweifeln: Sie können nicht die Gewalt über unser Leben übernehmen. Irgendwann mußt du erkennen, daß deine Eltern anders sind als du dir erhofft hattest. In diesem Moment bist du auf dem Weg zu Weisheit und psychischer Gesundheit. Die Zehn Gebote sind sehr geschickt abgefaßt. Es heißt nicht »Du sollst Vater und Mutter lieben!«, sondern »Du sollst Vater und Mutter ehren!« Deine Eltern haben immerhin für dein Überleben gesorgt, sich um dich gekümmert, als du klein und hilflos warst. Jetzt kannst du ihrem Leben eine gewisse Würde geben. Zu lieben brauchst du sie nicht, aber du kannst ihnen in allen Ehren Mitgefühl anbieten, sogar mitleidigen Ärger. Die Gefühle, die sie in dir geweckt haben – gute oder schlechte – sind deine Gefühle, du kannst sie ändern oder auch nicht. Wie auch immer, erkenne, die Vergangenheit ist vorbei. Deine Eltern haben dich großgezogen, so gut sie es eben konnten. Ob du andere, bessere Eltern vorgezogen hättest, spielt keine Rolle mehr. Dein gesamtes genetisches Erbgut kommt von deinen Eltern. Wenn du sie so verstehst, wie sie sind, und dich selbst ebenso, ist die einzige Pflicht, die du hast, ihnen zu sagen: »Danke, ab hier ist es meine Sache.« Ich lernte Frauen kennen, die, obwohl in den Vierzigern, mit ihren Eltern immer noch kein Mitgefühl haben, auch nicht darüber nachdenken, was das Leben ihnen alles vorenthielt. Diese Frauen können nicht vergessen, was ihnen einst von den Eltern verweigert wurde. Einige aber finden Genugtuung darin, sich auf wenig anständige Weise ihren Eltern gegenüber zu »rächen«. »Schau, was mein Mann mir alles kauft«, mag so eine Frau sich ihrer Mutter gegenüber brüsten. »Was bekommst du von deinem?« Andere, durch ein starkes Gefühl der Verachtung an ihren Vater gebunden, werden sich so zu ihm äußern: »Behalt deine Ratschläge für dich! 136
Was weißt du schon, wie man eine Frau behandeln sollte.« Auf diese grausamen Spötteleien sollten Frauen um die Vierzig verzichten. Deine Erfahrungen mit deinen Eltern können weder berichtigt noch abgeändert werden. Aber irgendwann sollte Vergangenheit vergessen werden können.
DICH SELBST BETREUEN LERNEN Gute Elternschaft beruht auf einem ganz einfachen Rezept: Bring den Kindern das Gehen bei, dann das Weggehen. Eine gute Mutter macht sich selbst überflüssig, wenn sie ihrem Kind beibringt, die Stürme des Lebens zu bewältigen. Gute Elternschaft besteht aus Liebe, Führung und Disziplin. Keines dieser drei Hilfsmittel sollte mißbraucht werden. Nicht wenige Eltern versuchen, ihre Kinder unter ständiger Kontrolle zu halten. Und manche Kinder haben sich ihnen – aus falsch verstandener Liebe – unterworfen. Andere Eltern mißbrauchen das Konzept der Führung dazu, den Lebensmut des Kindes zu zerstören und seinen Willen zu brechen. Disziplin aber bedeutet nach Meinung mancher Eltern: Schläge, Erniedrigung, Entzug bestimmter Privilegien über längere Zeiträume hinweg. Ein Kind braucht doch so wenig! Es möchte sich erwünscht und beschützt fühlen. Es möchte die Welt erkunden und erforschen dürfen, und zwar unter kluger Anleitung. Und das wichtigste: Ein Kind braucht das Gefühl, daß es so, wie es ist, in Ordnung ist – Fehler und alles mitinbegriffen. Der Vater oder die Mutter, welche dem Kind keine Fehler erlauben, gestatten sich selbst ja auch keine. Und doch haben sie Fehler (wer hätte sie nicht), aber sie werden ihre Existenz einfach leugnen. Was darf ein Kind berechtigterweise von seinen Eltern erwarten? Dem Säugling steht es zu, während dieser 137
ungeschütztesten Periode in vollkommenster Weise versorgt und behütet zu werden. Im Krabbelalter hat das Kind ein Anrecht darauf, mit verschiedenen Situationen zu experimentieren, vor Gefahren aber geschützt zu werden. Im Schulalter erwartet das Kind mit Recht Antwort auf viele Fragen. Sie betreffen das soziale Verhalten, Hilfe beim Lernen, das Einschätzen von Autoritäten. Später erwartet das Kind, über sexuelle Vorgänge genau aufgeklärt zu werden und auch bei der Vorbereitung auf die Arbeitswelt oder auf ein Berufsziel Beistand zu finden. In diesem letzten Stadium sollten Vater und Mutter Verständnis dafür haben, daß ein Teenager eine ganze Reihe von Rollen testet: die Rebellin, das brave Mädchen, die Kluge, die Schauspielerin, das scheue Mauerblümchen. In dieser Zeit der Verwirrung können hilfreiche Eltern ihrer Tochter beim Entdecken ihrer wahren Rolle entscheidend helfen, so daß sie vertrauensvoll in die Welt hinausgehen kann. Auf die Frage, wie ideale Eltern sein sollen, gibt es wohl nicht nur eine einzige Antwort. Je mehr ein Kind aber heranwächst, desto mehr erwartet es, daß die Eltern es wie einen Erwachsenen behandeln; sie tun es aber oft nicht. Also müssen »Kinder« beginnen, sich wie Erwachsene zu verhalten, wenn sie die Bindung lockern wollen. Wenn eine Frau Konflikte mit einem Elternteil hat, geschieht es oft, daß sie einen Mann findet, den sie formen kann, um ihre Vergangenheit zu bewältigen. Ein Beispiel soll es zeigen. Während der Verlobungszeit kümmerte sich Brad, der Mann, den Judy mochte, darum, was sie abends unternahmen. Judy war froh darüber, weil ihr eigener Vater passiv war und ihrer Mutter die Organisation des Familienlebens überließ. Nach einer gewissen Zeit begann es Judy zu stören, daß Brad alles plante; sie wollte ebenfalls Einfluß haben. Also ließ sie Tische zum Abendessen reservieren und nahm eine Einladung – ohne Brad zu fragen – zu einer Mitternachtsparty an. Brad war lange 138
mit ihren Entscheidungen einverstanden. An diesem Punkt hatten Judy und Brad ein gutes Gleichgewicht gefunden, beide brachten etwas ein. Aber Judy dachte immer öfter: Warum tun, was Brad will? Warum nicht, was ich will – und zwar immer? Langsam, aber sicher begann Judy, die Initiative zu ergreifen – oft ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie begann ihre Mutter nachzuahmen, trotz ihres Schwures, das niemals zu tun. Und Brad – ein netter, angenehmer Bursche –, hatte keine Ahnung, in welches Drama er verwickelt wurde. Nach kurzer Zeit traf Judy alle Verabredungen, während Brad leutselig blieb und froh war, ihr zu gefallen. Eines Tages aber machte Judy ihm Vorwürfe, passiv zu sein. Sie sagte: »Wann hast du eigentlich zum letztenmal versucht, irgendeine Verabredung zu treffen? Warum liegt das immer bei mir?« Trifft Brad irgendeine Schuld? In diesem Fall sicher nicht. Ein weniger kompromißbereiter Mann als Brad hätte wohl dagegen protestiert, daß jemand anderes sein ganzes Leben zu verplanen anfing, aber das lag nicht in seiner Art. Die Frage, wer Verabredungen arrangierte, war für ihn weniger wichtig als die Gelegenheit, mit Judy zusammenzusein. Judy zeigte mit ihrem Verhalten, daß sie den Regeln ihres Elternhauses noch immer verhaftet war. Brad wurde zu einem Werkzeug ihrer Versuche, zu ihren Eltern zurückzukommen. Welchen Sinn soll es haben, sich einen Mann zu suchen und ihn durch solche Spielchen krank zu machen? Gar keinen! In einer normalen Ehe können die Partner die Rollen austauschen. Sie akzeptieren, daß es Zeiten gibt, in denen einer von ihnen selbstbewußter als der andere ist und die Zügel in die Hand nimmt. Zum Beispiel: einer macht Haushalt und Kinderpflege, der andere geht arbeiten. Ein solches Paar verwickelt sich auch kaum in Machtkämpfe, sondern eher in Bedürfniskonflikte.
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Da sagt nicht der dem anderen, was gemacht wird, sondern beide erörtern, wie sie am besten zu ihren persönlichen Bedürfnissen kommen. Deine leiblichen Eltern konnten dir vielleicht kein gutes Vorbild sein, mit dem du dich hättest identifizieren können. Aber vielleicht hast du dann das Glück »geistige« Eltern zu finden, die dich zu einem positiven Menschen machen. Wer kann aber ein »geistiger« Vater, eine »geistige« Mutter für dich sein? Ein Beispiel mag es deutlicher machen: Diana fand ihre geistigen Eltern mit fünfzehn Jahren. Ihre eigenen Eltern ließen sich scheiden, als sie vier war, und hatten nur wenig Kontakt zueinander. Diana sah ihren Vater alle vier oder fünf Jahre. Jedesmal, wenn sie ihn traf, wurde ihr bewußt, daß er sie nicht lieb hatte und sich nichts aus ihr machte. Ihre Mutter aber litt unter der Scheidung und behandelte Diana wie ein Nichts. »Ich freundete mich mit einem Mädchen aus der Schule an, sie lud mich zu sich nach Hause zum Abendessen ein«, erzählte Diana. »Dieses Abendessen veränderte mein Leben. Helens Mutter war berufstätig, sehr freundlich zu ihren Kindern. Daß sie nicht hübsch aussah, war für mich damals sehr wichtig, weil ich mir so häßlich vorkam. Helens Vater schien seine Frau anzubeten. Helen erzählte mir, er habe seine Tochter nur einmal geschlagen, weil sie eine ungezogene Bemerkung über ihre Mutter machte. Für mich war Helens Mutter eine nahezu vollkommene Frau. Da war eine Frau, eine Mutter, die mich ermutigte, mit meinem Leben etwas anzufangen. Ich hatte Ehrfurcht vor ihr. Da gab es einen Mann, einen Vater, der seine Frau schätzte und es auch zeigte! Ich war in ihn verliebt. Die beiden wurden die Eltern, die mir fehlten, und der Gedanke an sie ließ mich die Hölle zu Hause überstehen. Als ich sie kennengelernt hatte, war ich entschlossen, zu werden wie sie.«
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Es wäre zwar ideal, einen täglichen, beständigen Kontakt zur psychischen Elternfigur zu haben, aber es ist nicht notwendig. Wenn du dir alle guten Erfahrungen (die tatsächlichen und die imaginären) so einprägst, daß du sie jederzeit abrufen kannst, bleibt die Intensität der Beziehung erhalten, selbst falls du die Person nur ein- oder zweimal im Jahr sehen solltest. Negative Botschaften haben eine außerordentliche Wirkung auf uns, oft sind sie stärker als die positiven. Dein leiblicher Vater ist vielleicht überzeugt, daß du ein Nichts bist. Dein geistiger Vater hat nie geglaubt, du könntest ein Versager sein. Wem sollst du glauben? Wer kennt dich am besten? Wie erkennst du, was die Wahrheit ist? Hör' auf die positiven Botschaften, nimm sie dir zu Herzen, fang an, sie zu leben! Aber nicht nur geistige Eltern können uns helfen. »Die größte Entdeckung meiner Generation«, sagte William James um die Jahrhundertwende, »ist die, daß menschliche Wesen ihr Leben selber bestimmen können, indem Sie ihre geistige Einstellung ändern.« Für viele ist es schwierig, daran zu glauben. Bedenke aber auf jeden Fall folgendes: Wenn du meinst, andere hätten Macht über dich, und die Ungerechtigkeiten deiner Eltern oder der Gesellschaft hätten dich gezwungen, so zu werden, wie du bist, dann hast du völlig die Kontrolle über dich verloren. Dann hast du dich nicht mehr in der Hand. Mangelndes Selbstwertgefühl hat meist folgende Ursachen: Enttäuschung, Untätigkeit, die eigene Fehleinschätzung dessen, was wir erreichen können und was nicht, und die Angst, wir könnten den Ansprüchen anderer nicht genügen, egal, wie hoch oder niedrig diese auch gesteckt sein mögen. Eine Person mit geringem Selbstwertgefühl sieht sich selbst als ein minderwertiges Wesen, hofft aber gleichzeitig, die anderen mögen es nicht bemerken. Dieses Minderwertigkeitsgefühl spiegelt sich wider in Äußerungen wie: »Nichts, was ich anpacke, gelingt, wozu also etwas Neues 141
versuchen?« Oder: »Meine Eltern haben mich nicht geliebt. Warum sollte ich jemandem Liebe zeigen?« Oder: »Was macht's, wenn ich jemanden verletze? Ich bin auch oft verletzt worden.« Ich besuchte einmal eine Frau, auf deren Schreibtisch ein ganzer Stapel von Kindergeschichten lag. Sie hatte aber nicht den Mut, sie an einen Verlag zu senden. Was hält sie zurück? Die Angst, ihre Geschichten könnten abgelehnt werden. Dies wäre für sie eine Katastrophe. Diese Frau hält sich von vorneherein für eine Versagerin. Aber wie kann sie eine Versagerin sei, wenn sie noch nie versucht hat, eine ihrer Geschichten an den Mann zu bringen? Sogar eine Ablehnung ihres Werkes könnte doch dazu führen, daß sie sich verbessert und dann Erfolg hat. Um deine Selbsteinschätzung zu verändern, mußt du dein Verhalten und deine Einstellung ändern. Benimm dich wie jemand, der es verdient, respektiert, geliebt und bewundert zu werden. Man wird dir dann auch entsprechend Begegnen. Mach dir klar, daß Fehler, die du gemacht hast, nicht dein ganzes Selbst sind. Kein erfolgreicher Mensch hat sich in einem Hui, wie aus der Pistole geschossen, vom Namenlosen in eine Berühmtheit verwandelt. Dazwischen liegen Jahre der Planung und Vorbereitung, des Ausprobierens und Lernens, des Versagens, SichZurückziehens, Wiederlernens und Noch-einmal-Versuchens. Aber vor allem hatten diese Menschen den Mut, nicht untätig zu bleiben. Kein erfolgreicher Mensch – erfolgreich bedeutet hier, zufrieden mit dem selbstgewählten Leben – hat je seinen Eltern vorgeworfen, sie hätten ihn daran gehindert, vorwärts zu kommen. Oft haben sie gerade den Eltern zum Trotz gehandelt. Vielleicht haben sie ihren Eltern das kostbarste von allem geschenkt, indem sie ihnen dankten und sich verabschiedeten. 142
Wenn sie erwachsen sind und sich innerlich frei gemacht haben von elterlichen Forderungen, können sie anderen geradeheraus und offen begegnen. Wenn von ihnen Respekt gefordert wird, werden sie wünschen, ebenfalls respektiert zu werden. Darum gebeten, ihre Liebe zu beweisen, werden sie von anderen auch Liebe erwarten. Wenn man von ihnen verlangt, die Bedürfnisse anderer zu befriedigen, so werden sie auch auf ihre Bedürfnisse achten. Dies alles gehört zum Erwachsensein – der Mut, zu den Eltern höflich zu sein und das Gewünschte zu erreichen, indem du dein Verhalten änderst. Deine Eltern haben ihre Pflicht erfüllt; du bist nun alt genug, um dich auf gereifte Art um sie zu kümmern und trotzdem dein Leben zu leben. Das bist du dir selbst schuldig.
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6. Mütter und Söhne »Nur eine Frau, die ohne Romantik gelebt hat, weiß sie zu schätzen... Das kann ich für mein Leben nicht sagen. Ich habe nicht ohne Romantik gelebt. Ich habe sie gefunden... und ich bin stolz, sie in einem Bereich gefunden zu haben, wo sie – wie man sagt – gar nicht hingehört... im Mutter-Sein. Ich habe sie bei meinen beiden (Söhnen) gefunden. Zuerst bei Dave und vier Jahre später bei Robin.« Sidney Howard, THE SILVER CORD. »Mein Vater«, schrieb Garp, »war ein erledigter Mann. Das muß ihn in den Augen meiner Mutter sehr attraktiv gemacht haben. Kein Haken bei der Sache...« John Irving, THE WORLD ACCORDING TO GARP. »Er setzte sich ans Bett, war unglücklich. (Seine Mutter) hatte so eine Art, sich zusammenzuringeln und auf der Seite zu liegen wie ein Kind. Das graue und braune Haar hing über ihrem Ohr... Sein Gesicht war dem ihren nahe. Ihre blauen Augen strahlten direkt in die seinen, wie die eines jungen Mädchens -warm, lächelnd, voll zärtlicher Liebe. Dies erfüllte ihn mit Schrecken, Pein und Liebe.« D. H. Lawrence, SONS AND LOVERS. Als Frau haben wir mit anderen Frauen vieles gemeinsam. Selbst wenn wir einer Frau begegnen, zu der wir wenig Zuneigung und Nähe spüren, können wir doch ihre Erfahrungen mit Männern oder mit Vater und Mutter noch nachvollziehen. Wir können uns vielleicht nicht in sie einfühlen, wissen aber, 144
worüber sie spricht; wir waren selbst auch schon in dieser Lage. Unser Einfühlungsvermögen in Männer allerdings geht weniger tief. Fast sind sie fremde Wesen für uns – da gibt es wenig, womit wir uns identifizieren könnten. Oder doch? Die Unterschiede zu ihnen erscheinen uns bemerkenswerter als Ähnlichkeiten. Während der Pubertät verändert sich ihr Körper nicht so dramatisch wie der unsere – Männer werden einfach nur größer. Die meisten Männer wachsen mit der Vorstellung auf, Anspruch auf die Reichtümer dieser Welt zu haben, und jeder einzelne von ihnen hat auch Zugang zu allem, was er wünscht, Ehrgeiz und Ausdauer vorausgesetzt, allein deswegen, weil er ein Mann ist. Natürlich haben sie Eltern wie wir. Aber vor allem ihre Beziehung zur Mutter ist einigermaßen unklar, obwohl ein Mann seinen ersten Eindruck von Weiblichkeit von ihr erhält. Sicherlich werden Männer auch geformt. Sie erschienen nicht einfach auf der Bildfläche mit der angeborenen Gewißheit, daß sie Herren über zwei Leben seien – über ihr eigenes und das ihrer Frau. Im Laufe der Zeit wurde ihre Persönlichkeit und ihre Lebensphilosophie geformt. Und dies war das Werk einer Mutter. Das Ergebnis ihres Einflusses ist der Mann, so wie du ihn jetzt vor dir siehst. Vielleicht liebst du ihn, aber seine Verachtung für Frauen hat verheerende Folgen für dein Leben. Du liebst ihn, doch er gestattet dir nicht, irgendwelche Kritik an seinem Verhalten zu üben. Statt dessen wirft er dir vor, du wolltest ihm seine Männlichkeit nehmen. Du liebst ihn, aber kannst dich nicht an den Tag erinnern, da er einen klaren Beschluß gefaßt oder Verantwortung für sein Handeln übernommen hätte. Du liebst ihn, doch die Aussicht, mit ihm eine feste Beziehung zu haben, erscheint zweifelhaft – er ist ein notorischer Frauenjäger. Wer ist er?
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Welche Botschaften übermittelte ihm seine Mutter? Wieviel Kummer hat er ertragen müssen? Was war dem Sohn seine Mutter wirklich? »Meine Mutter griff kaum in mein Leben ein. Ich fühlte, sie stand nie auf meiner Seite – sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Meine Mutter glücklich machen hieß: ihr aus dem Weg gehen. Es war ihr mehr um ihre Ruhe und ihren Frieden zu tun als um mich.« »Ich war vielleicht acht Jahre alt, als ich meine Mutter fragte, ob sie an Gott glaube. Sie sagte mir, das sei eine persönliche Frage, und es sei unhöflich von mir, sie zu stellen.« »Meine Mutter war in den frühen Zwanzigerjahren eine emanzipierte Frau. Sie glaubte an progressive Erziehung, an das Stimmrecht für die Frauen und an das, was man damals als ›freie Liebe‹ bezeichnete. Am Ende war sie entsetzt darüber, was dabei herauskam – sie hatte mich. Mein Vater war zu dieser Zeit mit einer anderen Frau verheiratet. Ich wuchs auf, maßlos enttäuscht von ihr, zornig auf sie. Sie war exzentrisch und verrückt und überhaupt nicht das, was ich eine anständige Frau nennen könnte.« »Es gab fast nichts, womit ich meine Mutter aus der Ruhe bringen konnte. Daß ich neben drei Schwestern der einzige Sohn war, trug viel dazu bei. Meine Mutter war interessiert an allem, was ich tat, ertrug meine Launen, und wollte vor allem, daß ich gesund und glücklich sei. Sie war eine sehr gütige Frau vom alten Schlag.« Um die Mutter-Sohn-Beziehung zu verstehen, muß man untersuchen, welche Bedeutung die traditionelle Ehe für eine Frau hatte. Es gehörte zu ihrer Welt, die Nachkommenschaft großzuziehen, während sie gleichzeitig versuchte, den Mann an ihrer Seite zu halten. Und sie hielt sich mit nie wankendem Glauben an die strenge Rollentrennung innerhalb der Ehe. »Um den Mann am Weggehen zu hindern und die Kernfamilie zu 146
erhalten«, stellt George Gilder in Sexueller Selbstmord fest, »wird nicht einmal Liebe auf die Dauer genügen. Er muß sich in praktischer, materieller Weise gebraucht fühlen.« Männer gingen zur Arbeit und waren dafür verantwortlich, die Familie zu ernähren und das Zuhause zu schützen. Aber das war in Wirklichkeit nicht alles. Da er nur selten zu Hause war, strahlte er nur einen kleinen Teil seines Gefühlslebens auf die Familie aus. Vom Arbeitsalltag erschöpft, wollte er abends nicht mit den Einzelheiten des Tagesablaufs von Frau und Kindern belästigt werden. Und wenn die Kinder zurechtgewiesen werden mußten -»Wir werden sehen, was dein Vater dazu sagt!« –, so konnte man schauen, wie man mit ihnen fertig wird. Die Familie war wichtig, aber für ihn war sie nicht so wichtig wie sein Job und das, was er »männliches Image« nannte. Es ist ein allgemein bekanntes Problem, daß eine Frau von der Ehe enttäuscht ist, weil sie ihren Mann nie wirklich prüfen konnte. Während der Verlobungszeit haben sie wahrscheinlich Begeisterung, Interessen, Träume geteilt. Er hat ihr viele Aufmerksamkeiten erwiesen. Nach der Heirat schrumpften sie dann oft zu einem schieren Nichts zusammen. Vielleicht betrachtet er die Ehe als eine Falle, fühlt sich von seiner Frau gefangen. So kann ihre Enttäuschung vielerlei Gründe haben. Ihr Mann war für sie nicht ansprechbar, denn er war müde. Am Wochenende zog er es vor, mit Freunden herumzuziehen. Ihr Sexualleben war mehr Qual als Verzückung; sie war für ihn zur Selbstverständlichkeit geworden, seine »Bändigerin« hatte er nicht mehr gern, und vielleicht fühlte er sich oft nur dazu da, Geld abzuliefern. Ein interessanter Kreislauf beginnt, wenn die Gefühle des Mannes für seine Frau nachlassen. Häufig wendet sie sich den Kindern zu, um Trost und Nähe zu erfahren. Vielleicht erinnert sie sich an die negativen Botschaften ihrer Eltern und zweifelt 147
an sich selbst. Der Sohn wird ein wundervoller Trost, was ihre Angst vor Nähe angeht. Im Bereich der körperlichen Intimität wird er nicht an die Stelle des Vaters treten, aber er gibt ihr die Möglichkeit, eine warme, sichere Beziehung zu einem männlichen Wesen aufzubauen, von dem sie gebraucht wird. Da sie sich für einen Menschen zweiter Klasse hält, wird sie ihre geheimen Sehnsüchte nicht an sich selbst verwirklichen. Ihr Mann hat sie enttäuscht, nun überträgt sie ihren Ehrgeiz auf den Sohn. Eine Tochter nützt hier nichts – sie wächst ja auf, um so zu werden wie die Mutter. Ein Sohn jedoch kann die Welt erobern, er wird tun, was sie selbst gerne getan hätte, wäre sie ein Mann, er wird das Gegenstück sein zu ihr, der hilflosen, machtlosen Frau. All ihr Ehrgeiz gilt dem Sohn, der möglicherweise mit all dem gar nicht einverstanden ist, was die Mutter sich für ihn wünscht. Sie idealisiert ihren Sohn und festigt das Band zwischen ihm und ihr, er aber entwickelt sein Frauenbild. Manche Mütter sind in ihrer Einstellung zu anderen Frauen von einer gewissen Großzügigkeit. Andere dagegen bauen – wie das in jeder unterdrückten Gruppe der Fall ist -einen gewissen Selbsthaß in sich auf. Da diese Mütter sich selbst nicht mögen, verachten sie auch andere Frauen. Diese Mütter ziehen also Söhne groß, die voller Ablehnung, Furcht oder Mißtrauen gegenüber den Frauen werden. Oft sind sie dann die Männer, die wir heiraten. Wie steht es nun mit der gesunden Mutter? Sie sagt ihrem Sohn, daß Frauen geliebt und respektiert werden müssen. Sie sagt ihm, daß zu ihm besser eine Frau paßt, die ihm von Erziehung, Geschmack und Lebensstil her ähnlich ist. Sie bittet ihn, sich die Wahl einer Partnerin aus blinder Verliebtheit heraus lange zu überlegen, weil sich hier Gegensätze anziehen. Wenn die Mutter ihre Gefühle offenbart, will sie ihrem Sohn zeigen, daß Gefühle wirklich natürlich und wichtig sind, aber nicht 148
unbedingt ein Vorspiel zum Sex sein müssen. Eine gute Mutter bereitet ihren Sohn darauf vor, sich um andere zu kümmern. Sie vermittelt ihm das Gefühl, wertvoll zu sein, gibt ihm eine klare Vorstellung von seinem Platz in der Welt – weder überzogen noch minderwertig. Sie hilft ihm herauszufinden, wieviel Ehrgeiz er hat und worauf sich dieser Ehrgeiz richtet. Schließlich verdankt er seiner Mutter, daß er weiß, was eine Frau sich wünscht und wessen sie bedarf. Es ist leicht, einem Sohn eine gesunde Mutter zu sein, aber in erster Linie mußt du eine gesunde Frau sein. Wenn du es nicht bist, so kann es sein, daß du den Sohn haßt, dich an ihm festklammerst, daß du ihn für den Rest des Lebens an dich bindest. Egal, was aus ihm wird, du wirst es nicht fertig bringen, ihn loszulassen, damit er sein eigenes Leben führen kann. Warum? Du brauchst ihn zu sehr für deine Selbstbestätigung. Jede Frau, die in ihrer Ehe unglücklich ist, weil sie eitlen unbrauchbaren Mann hat, könnte sich denken: Ich bin kein Mann, ich habe keinen Mann, meinen Sohn darf ich nicht auch noch verlieren. Er ist alles, was ich habe! Alle Mütter, die von ihrem Lebensschicksal enttäuscht sind, verewigen diese Enttäuschung, wenn sie ihre Söhne zu sehr beschützen und idealisieren. Warum tun sie's aber? Aus Angst, sie könnten ihren Sohn verlieren, besonders an eine andere Frau. Aus dieser Angst heraus mag manche Mutter ihrem Sohn vorhalten, wie rein doch ihre Liebe zu ihm sei im Vergleich mit den gierigen fleischlichen Gelüsten aller anderen Frauen, die ihn haben wollen. Sie sagt ihm damit auch, daß niemand ihn mehr lieben wird als sie. Für diese Liebe fordert sie weder seinen Körper noch sein Geld, sondern nur, daß er da ist. Ein Junge, der über seine Mutter sehr bestürzt ist, erwartet vielleicht von seinem Vater Hilfe. Wenn sie ausbleibt, sitzt er in der Falle. Wenn eine Mutter den Vater schlecht macht, kann der Sohn nicht werden wollen wie er – aber sicher will er auch 149
seiner anmaßenden Mutter nicht gleichen. Wie könnte er eine Frau bewundern, die seinen Vater herabsetzt? Nun ist keine von uns so vollkommen, daß sie nicht manchmal sagte: »Schau, was für einen Unsinn dein Vater heute gemacht hat!« Wird dieses Verhalten jedoch ein Dauerzustand und führt es zu einer gefühlsmäßigen Entfremdung, kann der Sohn nur hoffen, da herauszukommen. Gegen seinen Willen wird der Sohn seiner Mutter ähneln, der eigentlich zu Hause herrschenden Macht – es sei denn, er identifiziert sich wirklich mit seinem Vater.
MUTTERS EINFLUSS Eine frustrierte Mutter kann ihrem Sohn auf vielerlei Weise beibringen, Frauen nicht zu mögen. Eine Möglichkeit ist das eigene Beispiel. Wie reagiert sie auf die Art, in der der Vater mit ihr umgeht? Akzeptiert sie Vaters Umgangston einfach, nicht aus Feinfühligkeit oder mit Absicht, sondern aus Unterwürfigkeit und Schwäche? Ist sein Vater schwach und seine Mutter tyrannisch? Ist die Einheit der Familie zerbrechlich, so spürt der Sohn das sehr genau. Wenn Mutter ihm auseinandersetzt, daß Vater hart arbeitet und aus diesem Grund nicht immer für seinen Jungen da sein kann, weiß der Sohn, daß die Abwesenheit des Vaters nichts mit ihm zu tun hat. Solch eine Antwort ist normal. Hört der Junge statt dessen: »Dein Vater ist ein Nichts, ein Versager!«, bestärkt die Mutter damit seine Überzeugung, Männer könnten den Bedürfnissen der Frauen nicht gerecht werden. Wenn ein Vater gleichgültig ist oder keine Gefühle zeigt, lernt sein Sohn nicht, sich mit ihm in positiver Weise zu identifizieren; in Wirklichkeit will er sich dann auch nicht mit ihm identifizieren. Er lernt aber auch, wie er über die Mutter seinen gleichgültigen Vater manipulieren kann, um zu 150
erreichen, was er möchte. (Sohn: »Vati will mich am Wochenende nicht zum Zelten lassen, und alle meine Freunde dürfen gehen.« Mutter: »Ich weiß, wie man mit ihm reden muß. Du wirst gehen dürfen.«) Der Mutter macht dieses heimliche Einverständnis nichts aus – an erster Stelle steht nicht ihr Mann, sondern ihr Sohn. Er ist der Mittelpunkt ihrer Welt. Rasch gewinnt diese Mutter Einfluß auf das Leben ihres Kindes, das meist zu spät merkt, was passiert. Jetzt hat er Macht in der Familie. Dies erschreckt ihn. Womöglich fürchtet er während der Pubertät, seine Mutter könnte ihm, sobald sie nur ein wenig die Kontrolle über die Liebe zu ihm verliert, sexuelle Angebote machen. Schließlich läuft Mutti nackt herum und verhält sich, bewußt oder unbewußt, sehr verführerisch. Und zur selben Zeit warnt Mutter ihn vor Mädchen: »Wir wollen doch nicht, daß eine schwanger wird, oder?« – »Wirf dein Geld nicht für Mädchen raus. Du kannst was Besseres damit anfangen.« »Als mein Vater von uns wegging«, erzählte mir ein Mann, »ließ mich meine Mutter kaum mehr aus den Augen. Damals war ich acht Jahre alt. Ein paar Jahre später kam ein alter Freund von ihr in die Stadt zurück, und sie fingen ein Verhältnis an. Sie ließ keinen Zweifel daran, daß er nie zwischen uns stehen würde. Dies geschah auch nicht. Als ich mit Mädchen mich verabredete, sah sie das nicht sehr gern. Sie durfte einen Freund haben, aber ich sollte keine Freundin haben. Einmal wollte mich abends eine Freundin anrufen. Meine Mutter war am Telefon und sagte ihr, daß ich jetzt nicht sprechen könne, weil ich meine Hausaufgaben mache. Janet rief eine Stunde später zurück, und meine Mutter sagte, ich sei jetzt beim Abendessen. Nach zwei Stunden versuchte Janet es nochmals, meine Mutter sagte: ›Es ist jetzt zu spät zum Telefonieren, und legte den Hörer auf die Gabel. In allen drei Fällen hatte meine Mutter gelogen.
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Von den Anrufen erfuhr ich erst am nächsten Tag, durch Janet.« Die Mutter, die ihren Sohn verehrt, löst zwiespältige Gefühle in ihrem Sohn aus. Er liebt sie und verachtet sie; er sucht ihre tröstliche Nähe und fürchtet sich davor; er will keine Frau, die ihn auch nur im geringsten an sie erinnert, und fühlt sich doch auch schuldig, daß er nicht ihr »Freund« im wahrsten Sinne des Wortes sein kann; er sehnt sich nach einer Frau, die sich so um ihn kümmert wie Mutter, und wünscht sich gleichzeitig eine Frau, die sich nicht so »anstrengend« um ihn sorgt wie seine Mutter. Auch die Gefühle der Mütter können zwiespältig sein. Ihr Sohn soll zwar erwachsen werden, aber lieber wäre es ihr, er bliebe ein kleiner Junge, der sie braucht. Gleichzeitig hat sie Angst, daß er nicht erwachsen wird, wenn er sie zu sehr braucht. Sie will, daß er als Mann seine Entscheidungen trifft, aber er soll seine Entscheidungen nicht treffen, ohne sie vorher zu fragen. Sie weiß, daß er zu anderen Frauen geht, und haßt ihn für die sexuellen Stunden mit ihnen, die ihn von ihr trennen. Vivian ist mit einem Mann verheiratet, der immer der Mittelpunkt in der Welt seiner Mutter war und es blieb. Wenn seine Mutter ruft, kommt er ohne zu zögern. Zehn Jahre ist Vivian, Jacks Frau, und immer verglich er sie mit seiner Mutter – zu Vivians Nachteil. Vivian begann an sich selbst zu zweifeln. Hatte Jack nicht vielleicht doch recht? Möglicherweise ist sie doch eine unfähige Hausfrau, eine phantasielose Köchin, eine undankbare Ehefrau und eine schlechte Mutter. »Meine Schwiegermutter besteht darauf, daß Jack Samstags zum Mittag- und Abendessen zu ihr kommt, damit er wenigstens ›zwei anständige Mahlzeiten in der Woche hat‹. In meiner Wohnung nimmt sie sich das Privileg heraus, die Schränke zu öffnen und nachzuschauen, ob Handtücher und Bettücher ordentlich gefaltet sind und ob die Kleider auch in Reih und 152
Glied hängen - Jackett bei Jackett, Hose bei Hose, und so weiter. Sie guckt sogar in die Ohren meiner Kinder, um zu sehen, ob sie sauber sind. Wenn ich mich bei meinem Mann über ihr Verhalten beklage und ihn bitte, ihr zu sagen, sie solle damit aufhören, dann streitet er es ab oder sagt mir, sie denke sich nichts dabei.« Überraschenderweise verlangt Jack von Vivian in allen Bereichen Passivität, nur nicht beim Sex – hier will er sie aggressiv, willfährig allen seinen Wünschen. Als Vivian Jack heiratete, hielt sie ihn für stark, liebevoll und mitfühlend. Vor allem hoffte sie, daß er sich um sie kümmern würde. Bald jedoch forderte er, sie solle sich um ihn kümmern – die gleiche Forderung, die seine Mutter an ihn immer gestellt hatte. Aber diese Rolle wollte Vivian nicht spielen. Auch Lorraines Erfahrungen in ihrer Ehe beziehen sich auf einen Mann, dessen Idol seine Mutter war. Er hieß Stan. »Das größte Problem in meiner Ehe mit Stan ist seine Mutter«, berichtete Lorraine. »Etwa zweimal im Jahr besuchen wir seine Eltern. Wir dürfen nicht in einem Hotel übernachten, was ich vorziehen würde, denn seine Mutter besteht darauf, uns bei sich zu Hause zu haben. Kaum sind wir angekommen, läuft alles automatisch ab. Stan wird wieder zum Kind. Er nimmt seinen Platz als Baby der Familie ein. Ich könnte schwören, daß sich sogar seine Sprechweise verändert. Seine Mutter benimmt sich als ob eine Gottheit durch ihr Wohnzimmer schwebte! Und wer bin ich? Ich bin die Person, die er bei sich hat. Stans Mutter bringt kaum den Mund auf, um mir ›Hallo‹ zu sagen.« Lorraine erzählte weiter: »Von diesen Besuchen hätte ich so schnell als möglich weglaufen wollen, aber Stan erlaubt mir nicht einmal ein paar Leute zu treffen, die ich kenne. Ich muß auf dem Sofa sitzen und mit Stan's Vater plaudern, während er und seine
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Mutter miteinander ›gurren‹. Hier wird es für mich unerträglich. Beim Abendessen diskutieren Stan und seine Mutter dann darüber, ob ich eine gute Hausfrau war, seitdem wir das letztemal bei seinen Eltern waren. Wenn Stan bei seiner Mutter ist, bin ich noch weniger als nichts.« Letzten Endes ist immer die Mutter dafür verantwortlich, ob ihr Sohn ein guter Liebhaber und Ehemann sein wird oder nicht. Wenn sie den Sohn für ihre Zwecke ausnutzt und manipuliert, bindet sie ihn so eng an sich, daß andere Frauen nur als Eindringlinge gelten. Eine Mutter, die ihren Sohn so leidenschaftlich liebt, fordert fast täglich die Antwort auf ihre Frage: »Wen liebst du am meisten? Sie oder mich?« Lorraines und Stans Geschichte ist nicht untypisch. Ellen hat mir folgendes von ihrem Mann Richard erzählt: »Jeden Morgen um sechs ruft sie an. Sie sagt jedesmal dasselbe: ›Der Kaffee ist fertig. Komm rüber.‹ Und Richard verläßt mich morgens um sechs, geht zu seiner Mutter und dann zur Arbeit. Nach der Arbeit geht er wieder zu seiner Mutter, ißt eine Kleinigkeit, erst dann kommt er heim zu mir und den Kindern. Ich bin verzweifelt darüber. Aber ich habe nicht den Mut, ihm deswegen Vorhaltungen zu machen. Doch das ist noch nicht alles. Am Wochenende hat sie immer etwas für ihn zu tun. Es spielt keine Rolle, daß Richard und ich abends weggehen wollen. Einmal rief sie Samstagabends um sieben noch an und bat Richard, er möchte kommen und den Ofen richten. Sie versprach, ihn nicht lange aufzuhalten, tat es natürlich trotzdem. Als er ankam, hatte sie ein Menü mit drei Gängen für ihn bereit. Mich rief er an und teilte mir mit, er würde ›ein wenig später‹ kommen. Ich konkurriere ständig mit seiner Mutter um seine Zeit und Aufmerksamkeit. Aber ich weiß, daß ich schon verloren habe.« Jede gute Mutter weiß, daß ihr Sohn, sobald er verheiratet ist, sich vor allem seiner Frau verpflichtet fühlen sollte. Einige 154
Mütter wollen sich damit nicht abfinden, und ihre Söhne können sich nicht ändern. Natürlich schmeichelt einem »Muttersöhnchen« das Entzücken, das Mami zeigt, wenn er auftaucht. Hier kann er nichts falsch machen. Hier erlebt er eine bedingungslose Liebe – wie damals, als er ein Baby war. Es werden kaum Forderungen an ihn gestellt, und wenn es doch geschieht, dann nur solche, die er leicht erfüllen kann. Er wird überschwenglich gelobt. Daß er zur Mutter läuft, bedeutet in Wahrheit, daß er damit seinen Erwachsenen-Pflichten gegenüber seiner Frau, seinem Leben, sogar seiner Arbeit zu entkommen sucht. Bei Mutter zu Hause hat er nur geringe Verpflichtungen – er braucht sich nur sehen zu lassen, und schon wird er verhätschelt. Wenn ein Mann älter wird, gefällt ihm die Rolle des verzärtelten Baby's oft nicht mehr, aber er merkt, daß es schwierig ist, sich davon zu befreien. Seine Mutter erinnert ihn an all das, was sie für ihn getan hat. »Ja, ja«, predigen solche Mütter, »er hat eine Frau, aber die Mutter steht an erster Stelle. Frauen kannst du viele finden, aber du hast nur eine Mutter.« Als Mutter ihren Sohn in der Wiege schaukelte, gab sie ihm viele Botschaften über ihn, über die Frauen, über die Welt mit. Man sagt, bei Männern gebe es zwei vorherrschende Charaktertypen – der aggressiv erobernde und der passiv abhängige Typ. Die Mütter erzögen ihre Söhne so, daß sie mit einem von beiden übereinstimmten. In Wirklichkeit lassen sich die meisten Männer irgendwo zwischen diesen beiden Extremen einordnen und tragen Züge von beiden Typen. Freud hat gesagt, daß der Lieblingssohn der Eroberer wird. Diese Rolle hat ihre Vor- und Nachteile. Dieser überschwenglich von seiner Mutter geliebte Sohn kann sehr schnell, wenn er erwachsen ist, zum Draufgänger werden, der Frauen unterjochen wird, um zu beweisen, daß er härter ist als seine aggressive Mutter und sein passiver Vater. Solche Männer 155
suchen keine ebenbürtigen Partnerinnen, Frauen, die für ihre Rechte einstehen und von den Männern Rücksicht auf ihre Gefühle verlangen. Solche Männer interessieren sich nur für eine Frau, die das falsche Selbstbild beweihräuchert, das ihnen ihre Mutter mitgegeben hat. Der Eroberer strebt nach den Zielen, die seine Mutter nicht erreichen konnte oder wollte. Der passive, abhängige Sohn befriedigt die Bedürfnisse ihres Gefühlslebens. Sollte die Mutter mit ihrer Sexualität nicht klarkommen, wird sie diese Konflikte auf den Sohn übertragen. Entweder vermittelt sie ihm überhaupt keine vernünftige Botschaft bezüglich seines Sexuallebens, oder sie macht die Sexualität schlecht, so daß er sie nicht als natürlichen, gesunden Vorgang betrachten kann. Sexualität, so warnt sie ihn vielleicht, kann die psychische oder berufliche Weiterentwicklung eines Mannes behindern. Wieso? Weil die Frauen, sagt sie ihm, unerfüllbare Forderungen stellen, sobald du anfängst, dich um sie zu kümmern. Manche Männer heiraten gar nicht oder erst spät, weil sie die bedingungslose Bewunderung ihrer Mutter nicht missen möchten. Im Theaterstück Die Silberschnur von Sidney Howard lernen wir eine solche »hauptberufliche« Mutter kennen. Sie ist anmaßend und kann es nicht ertragen, einen ihrer Söhne an eine andere Frau zu verlieren. Sie erkennt das Recht ihrer Söhne auf Sexualität nicht an, auch kein anderes Bedürfnis, das sich ihrem Machtbereich entzieht. Ihr ältester Sohn David ist mit einer Frau verheiratet, die sich der Konfrontation mit ihrer Schwiegermutter stellt und die Bindung zwischen David und seiner Mutter zerreißt. In panischer Angst will die Mutter ihren jüngeren Sohn Robert, der kurz vor seiner Hochzeit steht, nicht auch noch verlieren. Verbissen kämpft sie gegen die schwächere Hester, Roberts Verlobte, und gewinnt diese Schlacht. Robert ist für immer der »Liebe« seiner Mutter erlegen und hört demütig zu, wie sie mit beinah religiöser 156
Überzeugung ihn beschwört: »Du mußt dich immer erinnern an das, was David in seiner Blindheit vergessen hat. Mutterliebe ist duldsam und freundlich, sie ist nicht neidisch, bläht sich nicht auf, läßt sich nicht reizen; sie hört alles, sie glaubt alles, sie hofft alles; sie erträgt alles... zumindest glaube ich, daß meine Liebe so ist.« Und Robert antwortet, völlig in ihrem Bann: »Ja, Mutter.« Manche Mütter begegnen den Mädchen, die ihre Söhne mit nach Hause bringen, auch weniger ablehnend. Aber dieses Mädchen ist zu groß, jenes zu exzentrisch; die eine ist zu freimütig, die andere hat Eltern, die »nicht die Art Leute sind, die zu uns paßt«. Andere Mütter werden nicht mit der aufkeimenden Sexualität des Sohnes fertig und machen ihm Vorwürfe wegen Frauen, mit denen er ein Verhältnis hat. »Meine Mutter hatte eine höhnische Art, mit mir über Frauen zu sprechen«, sagte mir ein Mann. »Erstens ließ sie an keinem Mädchen, das ich heimbrachte, auch nur ein gutes Haar. Zweitens sagte sie meist irgend etwas wie ›War das wirklich mein Sohn mit diesem Mädchen?‹, als ob eine Verabredung an sich schon etwas Ehrenrühriges wäre. Ich glaube, sie hätte mich am liebsten als Pfarrer gesehen – eine Garantie dafür, daß ich niemals Frauen haben würde.« Die Botschaft der unerbittlichen Mutter an ihren Sohn ist klar: »Deine Wahl einer Frau taugt nicht viel, und du selbst auch nicht. Solltest du sie heiraten, werde ich sehr auf sie aufpassen, um sicher zu sein, daß sie eine gute Hausfrau und Mutter ist.« Sollte der Sohn eine Frau heiraten, die der Mutter nicht paßt, kann es sein, daß Mutter bei der Schwiegertochter aufkreuzt und über sie so viele Lügen verbreitet, daß sie oft ihr Ziel erreicht: Ihr unglücklicher Sohn kehrt zu Muttern zurück. Manche Mutter versucht ihren Sohn emotionell an sich zu binden. Sie gibt ihm nur so viel Spielraum, daß er Karriere machen kann. Eine andere Mutter zwingt ihren Sohn, seinen 157
Ehrgeiz zu mäßigen, indem sie ihn sabotiert und ein Nichts aus ihm macht. Hier zeigt sich am wirksamsten ihre Macht. Der Sohn kann sagen: »Ich will es zu etwas bringen; ich werde zu einem Fortbildungslehrgang fahren.« Und Mutter antwortet: »Als Handwerker verdienst du gutes Geld. Was willst du machen, wenn deine Pläne fehlschlagen?« So fleht sie ihn an: »Bleib, wie du bist. Greife nicht nach Höherem, um deine Fähigkeiten auszutesten; du brauchst nicht zu beweisen, daß du ein Risiko eingehen und gewinnen kannst; sei mit weniger zufrieden und, vor allem, habe mich nötig!« Eine Mutter, die in einer unglücklichen Ehe lebt (»Du kümmerst dich nicht richtig um mich. Du bist grausam. Du liebst mich nicht!«), richtet ähnliche Vorwürfe an ihren Sohn. (»Du wirst es nie zu etwas bringen. Was hast du einer Frau schon zu bieten?«) Dieser Sohn möchte zwar gern etwas erreichen, fühlt sich aber machtlos angesichts ihrer ständigen Kritik. Er haßt seine Mutter, wagt aber nicht, ihr das zu sagen. Den Verlust ihrer Zuneigung könnte er nicht ertragen, sei sie auch noch so gering. Also überträgt er seinen Zorn auf die nächste Frau, die in seinem Leben eine Rolle spielt – auf seine Ehefrau. Eine Frau, die ihren Sohn sehr verwöhnt hatte, erzählte mir, daß er oft bei ihr mit seinen außerehelichen Verhältnissen prahlte. »Ich weiß nicht, was ich ihm sagen, wie ich ihm antworten soll«, meint sie, »ich möchte nicht gemein sein und ihm sagen, daß er damit seiner Frau weh tut und daß er nicht tun sollte, was er tut. Meine Schwiegertochter tut mir leid, aber wer bin ich, daß ich ihm sagen könnte, er solle damit aufhören?« Ich fragte sie, warum sie ihm denn nicht rate, treu zusein. »Ich finde, was er macht, ist schrecklich, aber er erzählt es mir wenigstens. Mir kann er vertrauen. Aber ich werde ihn nie bitten, aufzuhören. Ich will meinen Sohn auf keinen Fall verlieren.« 158
Diese Mutter liebt ihren Sohn immer noch bedingungslos – egal, was er macht, wie sehr er andere verletzt, es ist schon in Ordnung – und akzeptiert sein Verhalten. Auf vielerlei Weise bleibt er an sie gebunden. Er spricht mit ihr über andere Frauen und sagt ihr: »Du bist nicht die einzige, auch meine Ehefrau nicht, die mich ja an dich erinnert.« Aber was er meint, ist folgendes: »Ich brauche diese Frauen, um mit ihnen ins Bett zu gehen, aber die Frau, die ich eigentlich liebe, bist du.« Er braucht die selbstlose Art, in der seine Mutter sich um ihn kümmert, denn seine Frau kann ihn hier nicht zufriedenstellen. Wenn seine Frau etwas für ihn tut, fühlt sich dieser Mann vielleicht verpflichtet, ihr den Gefallen zu erwidern. Seine Mutter allerdings verlangt nichts von ihm als seine Gegenwart. Hat ein Mann nie eine liebevolle, hilfreiche, ermutigende Beziehung zu seiner Mutter erfahren, war seine Mutter nie willens, ihn als von ihr getrennte Person zu betrachten, hat sie ihm nie erlaubt, in die Welt hinauszulaufen, sondern ihn festgehalten, damit er die emotionalen Bedürfnisse, auf die ihr Mann nicht eingehen konnte, erfüllen sollte, so werden Frauen für ihn immer ein Problem bleiben. Aus Angst, er könnte sich von dem, was er liebt, losreißen, ist solch ein Mann wie ein anhängliches Kind. Falls er der »Eroberer«-Sohn ist, wird er versuchen, stark zu wirken, um seine Männlichkeit zu beweisen. Ist er der passive Typ, wird er sich eine Frau nehmen, die wie seine Mutter ist. Mit ihr braucht er keine lebhafte, spannende Beziehung aufzubauen, sondern kann ganz einfach der kleine Junge bleiben, der versorgt wird – genau wie er bei Mutter versorgt würde.
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DER TYP MANN, DEN DU VIELLEICHT KENNST Der »Eroberer« braucht natürlich ständig Lob und Beifall. Kritiklose Liebe lernte er auf den Knien seiner Mutter kennen. Die Mutter eines Eroberers hat ihn von Anfang an in Schutz genommen. (Der Lehrer: »Ihr Sohn hat auf dem Spielplatz ein anderes Kind geschlagen.« Die Mutter: »Er muß entsetzlich provoziert worden sein, denn mein kleiner Junge würde so etwas nie tun.«) Eine andere Mutter verteidigte ihren »Eroberersohn« vor Gericht und sagte: »Mein Sohn hat die siebzehn Menschen nicht ermordet. Sie standen zufällig vor seinem Gewehr, als er die Schüsse abgab.« Jede Mutter eines solchen Sohnes hat eine Entschuldigung für ihn. Wenn er älter wird, zahlt sie seine Strafzettel, läßt das demolierte Auto reparieren, dem Vater verschweigt sie alles. Von dieser Mutter lernt der Sohn, die Schuld immer bei anderen zu suchen: »Was starrst du mich so an? Jetzt hab' ich die Tasse fallen lassen.« – »Ich habe nur mit dir sexuelle Probleme. Bei anderen Frauen war das nie so.« – »Du hast gesagt, ich solle diese Arbeit annehmen, und jetzt hasse ich sie. Warum höre ich auch auf einen Versager wie dich?« – »In unserer Ehe stimmt alles. In deinem Kopf stimmt nichts.« Der Eroberer erkennt seine Fehler nicht, er kann auch nicht zugeben, daß er im Unrecht war, sich unpassend oder rücksichtslos verhalten hat. Immer sind die anderen schuld: »Ich tue alles für meine Frau, aber sie beklagt sich nur. Nichts ist ihr gut genug.« – »Was soll das heißen – beruhige dich! Mir sagt keiner, was ich zu tun habe!« Der Eroberer ist oft rücksichtslos, er testet, wie weit er gehen 160
kann. Frauen gegenüber verhält er sich brutal und ausbeuterisch, da er denkt, sie seien dazu da, ihm zu dienen. Wenn ihm etwas gelingt, nimmt er allen Erfolg für sich in Anspruch, die Schuld für Mißgeschicke schiebt er anderen zu. Oft hat er grandiose Ideen, aber er kann sie nicht verwirklichen, sein Verstand reicht dafür nicht aus. Er hat vielleicht nur ein kleines Cafe, glaubt aber, ein Gastronom von internationalem Ruf zu sein. Er gilt zwar als Eroberer-Typ, aber er hat keinen Mut, sich selbst zu testen. Seine Mutter hat es versäumt, ihm zu sagen, daß man auch für sich selbst verantwortlich ist. Wenn er heiratet, will er eine unterwürfige Frau. Es gibt aber auch den passiven Mann. In der Familie ist er meist der jüngste Sohn, das verhätschelte Baby. Seine Mutter trägt die Schuld daran, daß er nie lernte, für sich zu sorgen und eigene Entscheidungen zu treffen. Sie verhinderte, daß er ein Mann wurde. Er blieb immer der liebenswerte Junge voller Charme und so entsetzlich hilflos. Ein solcher »Mann« appelliert an die mütterlichen Instinkte der Frauen, die er kennenlernt: »Verstehst du etwas vom Knöpfe-annähen?« – »Meinst du, du könntest einmal für mich kochen? Das fände ich ganz toll!« In strahlender Unschuld schaut er die Frauen an, als ob er sagen wollte: »Es ist wunderbar, sich bei dir so sicher zu fühlen.« Er ist der »gutmütige Schatz«, erlaubt einer Frau auch, eigene Wege zu gehen. Anpassungsfähig wie er ist, weicht er allen Entscheidungen aus – sie könnten ja falsch sein. Eine starke Frau ist daher sein Ideal. Sie kann die Führung übernehmen. Vielleicht verübelt er ihr, daß sie der »Mann im Hause« ist, aber er fühlt sich ja zu schwach, um selber zu bestimmen. Eine Frau, die einen solchen passiven Mann hatte, erzählte mir: »Eines Tages hielt mein Mann mitten auf der Straße sein Auto an und verursachte ein Verkehrschaos. Er wußte nicht, in welche Richtung er weiterfahren sollte, also fuhr er überhaupt nicht 161
weiter. Ich konnte ihm auch nicht helfen, also blieb er einfach stehen.« Ein passiver Mann hat in seiner Ehe auch sexuelle Probleme. Er ist gewohnt, daß man ihm sagt, was er tun soll. Und immer quält ihn dann beim Geschlechtsverkehr die Frage: »Mache ich es so auch richtig?« Als der passive Mann noch ein kleiner Junge war, mag er oft von seiner Mutter folgendes gehört haben: »Ich habe mich für dich geopfert. Mir hast du es zu verdanken, daß es dich gibt.« Die Folge: Er fühlt sich in ihrer Schuld, aber wie kann er ihr jemals dieses Opfer vergelten? Er bemitleidet sich selbst, heult und erreicht, was er will. Seine Persönlichkeit wird zum Spiegelbild der Mutter – er fühlt sich als Märtyrer, als einer, der sich selbst opfert. Viele Tricks versucht er, um seinen Weg zu gehen. Selbst Krankheit täuscht er vor: »Wie kannst du nur in die Abendschule gehen und mich hier allein Abendbrot machen lassen, wo ich doch so rasende Kopfschmerzen habe.« – »Oh, geh' jetzt nicht mit deinen Freunden weg. Bleib zu Haus und leiste mir Gesellschaft.« Jämmerlich und schwach lehnt er sich an seine Frau an, aber er stillt seine eigenen Bedürfnisse, indem er die »weiblichen« Listen seiner Mutter anwendet. Hüte dich vor den Waffen der Schwachen. Der passive, emotional zurückhaltende Mann kann kaum Mitgefühl zeigen. Krampfhaft selbstbewußt zeigt er sich als jemand, der seine Gefühle im Griff hat, und das hat er auch. Frauen gegenüber ist er mißtrauisch und befürchtet, sie könnten ihn behandeln wie seine Mutter – ihn für ihre Zwecke ausnutzen. Frauen sind zum sexuellen Vergnügen da, aber er scheint nicht viel Vergnügen am Sex zu haben. Seine Mutter hat ihm Wärme, Liebe und Zärtlichkeit versagt. Jetzt kann er all dies auch nicht mit seiner Frau teilen. Er neigt dazu, in tiefe Depressionen zu verfallen. Vom 162
Intellekt her ist er sich seiner Traurigkeit bewußt, er will sich aber gefühlsmäßig nicht mit ihr auseinandersetzen. Obwohl er oft von gefühlsbetonten Frauen angezogen wird, fürchtet er doch auch, sie könnten von ihm ein ähnliches Verhalten fordern. »Ich liebe dich«, ist ein Satz, der ihm nicht leicht über die Lippen geht, er meint, er könne Liebe zeigen durch finanzielle Großzügigkeit oder dadurch, daß er einfach da ist. »Hier hast du Geld. Kauf dir ein nettes Geburtstagsgeschenk.« – »Brauchst du mich, damit ich dir sage, daß du hübsch bist? Schaust du denn nicht in den Spiegel?« Er wirkt gefestigt, ruhig und kontrolliert, aber das ist nur das Ergebnis seiner eintönigen Gefühlsskala. Die Frau, die ihn heiratet, muß ihn so nehmen, wie er ist, und begreifen, daß er nicht viel mehr zu bieten hat. Und was ist mit dem tyrannischen Mann? Seine Mutter ließ ihn im Stich, als er noch sehr klein war, sie vernachlässigte ihn oder war grob zu ihm, und hat so den möglicherweise agressiven Mann geformt. Gibt er sich nach außen auch jungenhaft, so ist der Tyrann im Innersten seines Herzens einer, der die Frauen ausbeutet. Oft spielt er den Don Juan, der die Frauen in dem Moment wegwirft, wenn sie anfangen, sich um ihn zu bekümmern. Gewalt ist sein Markenzeichen; sie ist seine Antwort darauf, daß seine Mutter ihn verlassen hat – körperlich oder seelisch. Wenn der Vater die Mutter verläßt, so gibt sie, weil sie begehrt sein möchte, ihren Sohn vielleicht emotional auf, und stürzt sich in die Arme von Liebhabern. Heftige sexuelle Aktivität spielt sich in Mutters Schlafzimmer ab, und der Sohn hört vielleicht oder stellt sich vor, was geschieht. So kann es dazu kommen, daß auch der Sohn die Sexualität als Werkzeug im Umgang mit Frauen benutzt. Auf seine Mutter ist er zornig, weil sie permanent ihre Sexualität in Beziehungen zu Männern austestet. Er kann es ihr nur schwer verzeihen, daß sie ihn 163
vernachlässigt, fremden Männern aber erlaubte, sie auszunützen. Allerdings hat er von seiner Mutter auch gelernt, wie austauschbar Partner sind. In seinem Leben werden Frauen dieselbe Rolle spielen wie die Männer im Leben seiner Mutter – eine ist so gut wie die andere. Vielleicht hat seine Mutter ihm Liebe gegeben, aber zu inkonsequent und sparsam, Vielleicht war sie im einen Augenblick leidenschaftlich und liebevoll und brutal im nächsten. Er wußte nie, worauf er sich bei ihr verlassen konnte. Oft war sie eine Frau ohne Freiraum, verwirrt über sich selbst, und ihr Sohn verfing sich im Spinnennetz ihrer Hysterie. Von Frauen gleichzeitig angezogen und abgestoßen, kann er ein grausamer, tödlicher Gegner sein. Sei es nun im sexuellen oder in einem anderen Bereich: er hat daran Vergnügen, Frauen zu quälen und Macht über Männer auszuüben. Aber es fehlt ihm die Gemütstiefe in seinen Beziehungen zu Frauen; so sind sie für ihn austauschbar. Oft ist er ein sexueller Kraftprotz, er will es der Frau recht machen – aber nicht um ihretwillen, sondern um sein eigenes Ich zu befriedigen. Ein solcher Mann hat mir einmal gesagt: »Ich will eine Frau, die mehrere Orgasmen hintereinander hat, weil es mich befriedigt, sie zu befriedigen.« Das ist der klassische Mythos, an den der Tyrann in Sachen Sexualität glaubt. Damit die Welt sich weiterdrehen kann, braucht sie einen – ihn. Weder den Eroberer noch den passiven Mann gibt es in ihrer reinsten Form. Unter starker Belastung kann aus dem Tyrannen der tragische, tränenreiche, geschlagene werden, der Fürsorge braucht. Der Mann, der sich selbst in den Schatten stellt, vollbringt in einer Notsituation womöglich heroische Taten. Und weil die Männer Widersprüche in sich tragen – sie stecken in jedem von uns –, gibt es auch Widersprüchlichkeiten in ihren Beziehungen zu den Frauen in ihrem Leben. Viele Männer, die von ihrer Mutter nicht angebetet wurden, 164
haben eine zwiespältige Beziehung zu ihr. Sie lieben und verachten sie; sie sehen klar, wer sie ist, und sind dennoch verwirrt; sie wünschen, sie möchte stärker mit einer Idealvorstellung von Weiblichkeit übereinstimmen, finden sie aber toll, so wie sie ist. Ein solcher Mann, den ich kenne, hat eine Mutter – eine Frau, die ausgezeichnet zu verdienen verstand. Als ich Gary's Mutter zum erstenmal traf, dachte ich, er habe eine gute Beziehung zu ihr. Jeder, der Gary und seine Mutter kannte, war derselben Ansicht. Aber was Gary mir dann erzählte, bewies, daß dies nicht der Fall war. »Es gab keine wirkliche Wärme«, sagte Gary. »Meine Mutter umarmte oder küßte mich kaum, sondern spielte die Rolle der guten Mutter so, wie sie sich eben eine gute Mutter vorstellte: eine, die sich kümmert und dafür sorgt, daß ihre Söhne anständig, gesund und arbeitsam sind. Wie sich herausgestellt hat, sind wir das auch geworden. Ich liebe sie, aber ich mag sie nicht besonders. Das ist es.« Seine Frau erzählte mir von einem Erlebnis, das zeigte, wie Gary's Mutter ihre Söhne kontrolliert: »Zwei Wochen, nachdem wir geheiratet hatten und umgezogen waren«, sagte mir Toby, »besuchten uns Gary's Eltern. Seine Mutter teilte mir mit, sie wollten bei uns übernachten, nicht im Hotel. Ich erklärte, daß wir nur ein Schlafzimmer hätten. ›Ach, das kriegen wir schon hin‹, meinte sie. Das bedeutete dann, daß meine Schwiegereltern in unseren Betten schliefen, während Gary und ich drei Wochen lang getrennt schlafen mußten – ich auf der Couch und Gary in einem ausgeborgten Feldbett! Gary und ich waren ja zu eingeschüchtert von ihr, um zu protestieren. Aber das war noch nicht alles. Sie fing an, unsere Wohnung zu schmücken. Alle möglichen Staubfänger brachte sie an – Wandteller und Figürchen und so weiter, alles Dinge, die wir beide haßten. Sie kümmerte sich gar nicht darum, ob es 165
uns gefiel oder nicht, die Hauptsache war, daß sie und mein Schwiegervater sich einig waren, wohin das Zeug sollte. Ungefähr zwanzig Minuten, nachdem sie wieder abgefahren waren, wurde ich schwanger. Für mich war das eine lehrreiche Erfahrung«, fügte Toby noch hinzu. »Ich hatte Gary's Familie immer als Idealfamilie angesehen. Ich war hingerissen von der Persönlichkeit seiner Mutter, von ihrem Einsatz für das Wohl der Familie und von dem Interesse seines Vaters an seinen Söhnen. Aber vor diesem Besuch hatte ich eben nicht gewußt, wie sehr sie ihren Sohn, meinen Mann, als kleinen Jungen behandelte.« Gary stand immer noch unter dem Einfluß seiner Mutter. Er bestand nicht auf seinen und Toby's Rechten. Und seine Mutter tat, was sie immer getan hatte – sie führte das Kommando. Er duldete es stillschweigend. Zwölf Jahre später hatten Toby und Gary eine zweite Chance, dieses Problem zu lösen. Gary's Eltern kamen mit einer riesigen antiken Truhe. »Ich knirschte mit den Zähnen«, berichtete Toby, »und sah zu Gary hinüber, der mich hilflos ansah. Schließlich fragte ich, warum sie die Truhe mitgebracht hätten, sie sei doch sicher nicht für uns. Aber doch, natürlich! Ich bedankte mich zwar bei meiner Schwiegermutter, sagte ihr dann aber ganz offen, ob sie sich keine Gedanken gemacht hätten, uns ein Geschenk zu machen, ohne uns vorher zu fragen, einfach in der Annahme, wir würden in jedem Fall begeistert sein. Das solle sie aber nicht beunruhigen und sie solle die Truhe einfach wieder mitnehmen. Der Preis für meine Offenheit waren zehn Jahre Schweigen. Meine Schwiegereltern sprachen zehn Jahre nicht mehr mit uns.« Es kann eine lähmende Erfahrung sein, sich gegen eine Schwiegermutter durchzusetzen. Aber es ist möglich. Du brauchst nicht rücksichtslos oder grob zur Mutter deines Mannes zu sein, aber sie muß eines begreifen: sie kann ihren 166
Sohn nicht länger unter Kontrolle halten, oder durch ihn seine Frau. Allerdings hat sie ihrem Sohn auch etwas mitgegeben, was du liebst, sonst wäre es dir keine Ehe wert. Falls die Schwiegermutter aber ihre Grenzen überschreitet, ist es eine Ehefrau sich selbst und ihrer Ehe – mit der Zustimmung und Hilfe ihres Mannes – schuldig, sie in ihre Grenzen zurückzuweisen. Und je früher du dies tust, desto besser! In Toby's Fall erniedrigte die Schwiegermutter den frischverheirateten Sohn und seine Frau zu geschlechtslosen Kindern, als sie sie aus ihrem Ehebett vertrieb. Beide ließen es damals zu, da sie in gewisser Weise sexuell unerfahren waren und noch unter dem elterlichen Einfluß standen. Toby aber begriff, daß diese Mutter von Anfang an, von seiner Kindheit an, keine sexuellen Beziehungen ihres Sohnes zu anderen Frauen wünschte. Und nichts war ihr wichtiger, als ihren Sohn von seiner Frau körperlich zu trennen.
ALSO, BEVOR DU IHN HEIRATEST... Versuche, bevor du einen Mann heiratest, das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter zu ergründen. Deshalb stelle dir, bevor du dich für einen Mann entscheidest, folgende Fragen: Wie beschreibt er seine Mutter? Was empfindet er ihr gegenüber? Möchte er gern jemanden finden, der ihr gleicht? »Meine Mutter war passiv und unmotiviert«, erzählte ein Mann. »Mein Vater kümmerte sich sehr um sie, aber sie lehnte alles ab. Nichts war in Ordnung, niemand war wertvoll, alles wurde kritisiert. Ich bevorzuge Frauen, die vital sind, Interessen und Ziele haben. Ich spürte immer, daß meine Mutter keine Beziehung zu Freude und Glück hatte.« Was sucht er in einer Frau? Hat sein Vater seine Mutter mißbraucht? Hielt er dies für 167
die richtige Art, mit einer Frau umzugehen – Gewalttätigkeit? Kann er ertragen, wenn du ihn kritisierst? Schlägt er gnadenlos zurück, weil du es gewagt hast, Kritik an ihm zu üben? Muß er immer recht haben? Ertappst du dich dabei, daß du Entschuldigungen für ihn findest, damit er recht behalten kann? Ist er vertrauenswürdig, zuverlässig und zu gegenseitigem Sichaufeinander-Verlassen fähig? Eine Ehefrau berichtete einmal über ihren Mann: »Er pflegte zu sagen, eine gute Beziehung sei die schöpferischste Erfahrung, die ein Mann je machen könne. Das sagt er wohl, aber wenn ich ihn brauche, ist er nicht da, er kommt immer zu spät, ändert Verabredungen mit unseren Freunden und sagt mir nichts davon. Wenn ich mich niedergeschlagen fühle, sagt er meist: ›Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll! Oder: ›Das ist wirklich ein Problem!‹, oder: ›Was erwartest du von mir?‹ So viel zu schöpferischen Beziehungen.« In einer guten Beziehung kann die Rolle des Liebhabers ausgetauscht werden. Könnt ihr eure Rollen so verändern, daß der eine mehr in den Vordergrund und der andere mehr in den Hintergrund tritt? Mag er Frauen wirklich? Muß er mit jeder Frau im Zimmer flirten? Interessiert ihn, was du erzählst, oder schaltet er ab? Ist er an dir interessiert wegen deiner Formen oder wegen deines Innenlebens? Spielt Aussehen für ihn eine wichtige Rolle? Erwartet er von dir auffällige Kleidung, so daß er dich anderen Männern vorzeigen kann? Betrachtet er dich im Grunde als seinen Besitz? Sieht er jedes Fältchen, jedes graue Haar, das du bekommst, und erinnert er dich in schneidendem Ton daran, daß du alterst? Ist er ein Hypochonder? Betrachtet er jeden Schmerz als Krebserkrankung? Bekommt er Kopfschmerzen, sobald du ein unangenehmes Thema zur Sprache bringst? Sagt er dir regelmäßig: »Darüber sprechen wir ein andermal.«? Schläft er in deiner Gesellschaft ein, weil er auf diese Weise der Auseinandersetzung mit 168
bestimmten Themen zu entgehen hofft? Wenn du ihm vorschlagen willst, welche Art von Sex du lieber hättest, fühlt er sich dann beleidigt, weil er doch die größere Erfahrung hatte und offensichtlich mehr weiß? Fällt es ihm leicht, zu sagen: »Du bedeutest mir etwas... Ich liebe dich!« Mit den Worten einer mir bekannten Frau ausgedrückt: »Mein ExMann sagte nur dreimal in seinem Leben ›Ich liebe dich‹, je einmal zu mir, zu seiner Mutter und zu unserer Tochter. Er meinte immer, er vergebe sich etwas, wenn er diese Worte gebrauchte – als ob er mit einer begrenzten Ration von ›Ichliebe-dich's‹ geboren wäre, die irgendwann erschöpft sein könnte.« Empfindet er Äußerungen von Liebe als Forderungen, die du ihm auferlegst? Glaubt er, daß sein früheres Selbst in Stücke gerissen wird oder er etwas verliert, wenn er gibt? Kann er über sich lachen? Kann er zum Beispiel, sobald er in Zorn gerät, wieder aufhören und sagen: »Was mach ich denn? Das ist doch wirklich nicht so wichtig.« Beklagt er das Schicksal, glaubt, alles passiere nur ihm? Mußt du ihm seine Wunden küssen? Mußt du ihn immer stützen, damit du ihn in die Welt hinausschicken kannst? Ist eure Beziehung tragfähig? Ist es eine abwechslungsreiche Beziehung, mit einer Vielzahl von Gefühlen und Sehnsüchten, eine, in der es wirkliche Nähe geben kann? Deine Antworten auf diese Fragen zeigen, ob ein Mann eine gewisse Zuversicht und Würde besitzt. Hat er das nicht, dann erwarte auch nicht von ihm, er werde dir erlauben, eine eigenständige Person zu sein. Er wird von dir verlangen, ihn zum Ein-und-Alles zu machen. Es überrascht nicht, wenn er enttäuscht ist, sobald etwas von dem, was du tust, nicht dazu dient, ihm das Leben leichter zu machen. In sehr vielen Beziehungen zwischen zwei Menschen ist oft nur Platz für einen Erfolgreichen. Falls du also auf Erfolg aus bist, bedeutet 169
das, daß er weniger wichtig erscheint. Wenn er aber von seiner Wichtigkeit überzeugt ist, wird er deine Anstrengungen, mehr zu erreichen, unterlaufen. Damit er sich bedeutend fühlen kann, mußt du unbedeutend sein. Ideale Beziehungen gibt es kaum. Es ist unrealistisch, von einem Mann zu erwarten, er könne alles sein oder die ganze Zeit emotionale Hilfe geben. Zwiespältigkeiten machen den Kern der meisten Beziehungen aus, sei es nun zwischen Mutter und Sohn oder zwischen Frau und Mann. Es ist nicht möglich, perfekt zu sein. Was nun den Mann in deinem Leben betrifft: akzeptiere ihn, wie er ist, dann kannst du ihm helfen, seine starken, Seiten zu entwickeln, und wirst seine Schwächen verstehen. Vor allem mach dir klar, daß du das, was du siehst, nachher auch hast.
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7. Verschwommene Eindrücke »Einen Mann ›einzufangen‹ ist eine Kunst, ihn ›festzubinden‹ ist ein Handwerk, und zwar eines, das von Grund auf gelernt sein will.« Simone de Beauvoir, THE SECOND SEX. »Vielleicht muß man einfach heiraten, um zu erfahren, was man nicht will.« A. Alvarez, LIFE AFTER MARRIAGE: AN ANATOMY OF DIVORCE. »Heute ist Hochzeitstag, lächle ihn an, süßes Mädchen. Gib ihm die Hand heute und hebe die Faust erst für später auf.« Frank Loesser, ›Marry the Man Today‹. Man sagt, daß Selbstvervollkommnung der Fluch der alleinstehenden Frau sei, aber sicherlich ist sie ein Fortschritt im Vergleich zur »Liebe auf den ersten Blick«. Die Beweggründe, etwas aus sich zu machen, haben meist eine zuverlässige Grundlage – du hast ein Ziel, du möchtest deine Lebensweise verändern und etwas haben, wo du bisher nichts hattest. Gar kein so schreckliches Schicksal. Da ist die Grundlage einer Liebe auf den ersten Blick schon etwas nebelhafter. Man begegnet einander, ein Funke springt über, man sieht den anderen an – und überall überflutet einen ein romantisch schimmernder Glanz. Es gibt nur den einen, die eine, vom hellsten Licht überflutet. Viele Liebesromane versuchen zu beschreiben, was bei der Liebe auf den ersten Blick passiert. Da 171
ist sein magischer Blick, ihr bebender Körper, ihr flatterndes Herz, seine elektrisierende Berührung, und sie weiß genau, daß er »der Mann ihres Lebens« ist. Diese Begegnung hat etwa 30 Sekunden ihres Lebens gedauert. Er hat weder ihren Nachnamen erfahren, noch kann er sich schon eine Vorstellung davon machen, was sie vom Leben erwartet. Sie weiß nur, daß er bestimmt kein Wahnsinniger ist, der ihr weh tun will. In so kurzer Zeit können Gefühle uns so stark packen. Wir halten sie für bedeutsam, echt und endgültig. Bedeutsam sind sie, echt auch, aber bestimmt nicht endgültig. Wenn überhaupt etwas, so demonstriert die Liebe auf den ersten Blick die Illusion der Liebe. Worin liegt das Geheimnis dieser Art Liebe? Würdest du einen Menschen, in den du dich verliebt hast, näher betrachten, könntest du vielleicht entdecken, daß er die Verkörperung eines Traums ist, der allzu ähnliche Doppelgänger einer verflossenen Liebe, ein Mann, der dich körperlich oder durch seine Einstellungen und Neigungen an jemanden aus deiner Vergangenheit erinnert. Womöglich ist er eine kraftvolle Erscheinung, die du lieben möchtest, wenn nicht für immer, so doch für eine Nacht; und nach dieser Nacht ist er dann einer, den du für immer willst. Aber auch solch ein Ablauf ist nicht viel mehr als Illusion. Celia's Geschichte zeigt, welche Fallgruben die Liebe auf den ersten Blick verbirgt. Während eines Flugs von New York nach Los Angeles am frühen Morgen beschloß Celia, Modeeinkäuferin, sich zusammenzuringeln und ein Nickerchen zu machen. Als sie aufwachte, entdeckte sie, daß ihr jemand eine Flasche Champagner unter den Arm gesteckt hatte. Sie rief die Stewardeß, um nach der Herkunft des mysteriösen Geschenks zu fragen, und erfuhr, der fragliche Spender werde sich ihr in der Gepäckhalle auf dem Flughafen Los Angeles vorstellen.
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»Ich war entsetzlich aufgeregt«, berichtete Celia, »und konnte mir nicht denken, wer so großzügig gewesen war. Als ich in die Gepäckhalle kam, war ich ganz schön gespannt. Niemand sprach mich an, bis ich meinen Koffer vom Förderband nahm. Eine Stimme von hinten sagte: ›Lassen Sie, ich nehme ihn.‹ Ich drehte mich um und blickte einem vornehmen, elegant gekleideten Mann ins Gesicht. Er lächelte verführerisch. ›Der Champagner...‹, sagte er und brach ab, als ob es sonst nichts zu erklären gebe. Ich dankte ihm und fühlte mich schon zu ihm hingezogen. Er fragte, wo ich wohnen würde, und bot mir an, mich heimzubringen. Ich nahm an. Ich rechnete mit einer Taxifahrt vom Flughafen aus, aber draußen wartete eine Limousine. Es war sein Wagen. Wir stellten uns einander vor, er überreichte mir seine Visitenkarte. Ich hatte schon von ihm gehört. Wir hatten auf dem Rücksitz des Wagens vielleicht fünfzehn Minuten geplaudert, da schlug er plötzlich vor, ich solle mit ihm in sein Hotel kommen und dort auspacken, was ich für die Nacht brauchte. Dann würde er seinen Fahrer anweisen, mich zu meinem Hotel zu bringen. Er drückte meine Hand und sah mir tief in die Augen. Er war keck, sehr zuversichtlich, aber überzeugend. Ich war wie gelähmt. Ohne viel Aufhebens sagte ich zu. In seinem Hotel gab er mir schnell einen Kuß«, erinnerte sich Celia. »Er sagte: ›Laß uns um halb acht zu Abend essen. Wir werden später entscheiden, wo.‹ Auf dem Weg in mein Hotel fragte ich mich, worauf ich mich da eingelassen hatte. Ich wunderte mich, warum ich mich so passiv verhielt. Am meisten aber dachte ich darüber nach, wie oft ich ihn wohl treffen werde. Eine Nacht? Zwei? Aber das spielte jetzt keine Rolle. Für mich war es ein Abenteuer – vielleicht sogar mehr als das. Man würde ja sehen... Am späten Nachmittag ging ich zu einer geschäftlichen Besprechung und konnte mich auf diese kaum konzentrieren. 173
Der Einfluß des Mannes auf mich war verwirrend. Innerhalb weniger Stunden hatte ich mich in einen schwärmerischen Teenager verwandelt. Bedenkenlos war ich einem Mann gefolgt, einem völlig fremden Menschen, dem ich nur aufgrund seiner Position vertraute, und mit dem ich mich geeinigt hatte, neun Stunden im voraus, daß wir die Nacht zusammen verbringen würden. Er hatte mich bezaubert, und als sei ich hypnotisiert, tat ich, worum ich gebeten wurde. Das Abendessen sollte in seinem Hotel stattfinden. Er meinte, es sei einfacher so, und bat mich, ihn in seinem Zimmer abzuholen. Na gut, dachte ich, ein Hotel-Speisesaal ist so gut wie der andere. Der hier ist seinem Bett um so näher. Dann erschreckte mich etwas. Als ich mich umzog, wurde mir klar, daß ich keine Angst davor hatte, mit ihm zu schlafen, sondern daß ich befürchtete, er könnte seine Meinung ändern und mich nicht mehr begehrenswert finden, sobald er mich diesen Abend sah. Eine Stunde später«, fuhr Celia fort, »klopfte ich mit zitternder Hand an seine Tür. Er öffnete und stand mit einem jungenhaften Lächeln vor mir. Ein feuchtes Handtuch war um seine Hüfte geschwungen. Würde er es gleich wegreißen und über mich herfallen? So brutal konnte er nicht sein. Er erklärte mir, daß er sich verspätet habe, und meinte, ich solle mir doch einen Drink zurechtmachen, während er sich anzog. Wie konnte ich nur an ihm zweifeln! In diesem Augenblick klopfte es an die Tür. Er rief mir vom Ankleidezimmer aus zu, ich möge doch nachschauen: es war der Zimmerservice. Interessant, dachte ich, er hatte das Abendessen aufs Zimmer bestellt. Wahrscheinlich war er verheiratet, dachte ich, und konnte sich mit einer anderen Frau nicht in der Öffentlichkeit zeigen, auch nicht in Restaurants. ›Du bist wunderschön‹, sagte er zu mir, als er aus dem Ankleideraum kam. Er war lässig angezogen, ich hatte mich zu 174
fein gemacht. Aber das machte mir nicht viel aus, und ihm offensichtlich auch nicht. Was mir am Herzen lag, war er – ich fühlte, daß ich mich verliebt hatte.« Celia konnte kaum das Ende des Abendessens abwarten, so sehr sehnte sie sich danach, daß das Unvermeidliche passierte. Als er sie endlich berührte, erlebte sie, wie sie die Kontrolle über sich ziemlich verlor. »Es war beinahe so, als ob zwei Persönlichkeiten in mir steckten. Die eine Persönlichkeit kämpfte darum, wenigstens einen Anschein von gesundem Verstand zu bewahren – diese Persönlichkeit wußte, es würde sehr schmerzlich sein, das Fortgehen dieses Mannes zu verwinden, wenn ich mich jetzt emotional auf ihn einließ. Das andere Selbst jedoch war erfüllt von rücksichtsloser Begierde und kümmerte sich nicht viel um das, was meine Vernunft sagte. Während der nächsten drei Tage«, sagte Celia, »wanderte meine Garderobe Stück für Stück in seinen Schrank. Am Morgen des vierten Tages küßte er mich beim Weggehen wie gewöhnlich und wünschte mir einen erfolgreichen Tag. Am Nachmittag kam ich in sein Hotel zurück, rief in meinem Hotel an, ob irgendwelche Nachrichten für mich da seien, und beschloß, eine Dusche zu nehmen. Als ich den Schrank öffnete, um meinen Morgenmantel herauszunehmen, entdeckte ich, daß alle seine Sachen weg waren. Ich lief ins Badezimmer, nichts war von ihm mehr da. Zitternd rief ich beim Portier an. Man informierte mich, er sei abgereist, die Rechnung bezahlt, und ob ich bitte bis vier Uhr das Zimmer freimachen könnte? Hatte er eine Nachricht für mich hinterlassen? Nein, das hatte er nicht, antwortete der Portier. Ich stöberte in allen Schubladen, durchsuchte mein Gepäck, schlug den Teppich zurück – er mußte mir doch irgendwo eine Notiz zurückgelassen haben! Nichts. Was konnte ich machen? Ich stieß einen Schrei der 175
Verzweiflung aus und brach zusammen. Ich war eine komplette Närrin gewesen. Ich hatte ihn von der ersten Nacht an geliebt, und er wußte es wahrscheinlich. Schließlich fand ich meine Fassung wieder, suchte meine Sachen zusammen und warf den Sektkorken, den ich als Erinnerung aufbewahrt hatte, in den Abfallkorb. Ich dachte, ich müsse sterben, wenn ich ihn nie mehr wiedersah, aber auch, daß ich ihn umbringen wollte, wenn er mir noch einmal begegnete.« Geheimnisvoll wie er in Celia's Leben getreten war, verschwand er auch wieder. Celia »verknallte« sich in einen geübten Lebemann; viele gehen auf diese Weise Männern auf den Leim, die viel weniger Ausstrahlung haben, aber genauso verlockend sind. Was hat das aber nun mit Liebe zu tun? Sich verlieben – nein, das hat nichts damit zu tun, daß man plötzlich von einem Blick fasziniert wird, daß man einen Abend, eine Nacht oder mehrere Nächte mit einem Mann verbringt. Eine kurze Begegnung gewinnt dadurch, daß man sie Liebe nennt, scheinbar an Bedeutung, aber wenn keine echte Liebe dabei ist, bleibt alles nur eine Form des sexuellen Sports. Liebe ist ein langsamer allmählich fortschreitender Prozeß. Er beginnt damit, daß zwei Fremde sich treffen. Jeder erfährt etwas vom anderen. Irgendwann kommt der Tag, an dem beide wissen, daß ihr Leben durch den anderen bereichert wird. Ein Band hat sich geknüpft, ein Gefühl tiefer Liebe ist gewachsen. Man träumt vom anderen, wenn er nicht da ist. Echte Liebe bedarf tiefen Einfühlungsvermögens in den anderen Menschen. Es entfaltet sich nicht, ohne daß jeder fähig ist, die Welt auch mit den Augen des Partners zu betrachten und anzuerkennen. Sexuelle Erfahrungen verstärken dieses Band. Liebe ist für manche Frauen ein Traum, eine unwiederbringliche Erinnerung an die Vergangenheit. Für andere Frauen bedeutet sie Sicherheit, Abenteuer oder Bereitschaft, dem anderen zu dienen. 176
Diese verschwommenen Vorstellungen von Liebe gehen auf ein nebelhaftes Bild von Intimität zurück. Man lernt einen Mann kennen, beginnt ihn zu mögen, wird mit ihm vertraut und beschließt, ob die Beziehung von Dauer sein soll oder nicht. Romantikerinnen glauben, eine klare Vorstellung von der Liebe zu haben und täuschen sich meist selbst. Oft stürzen sie sich in Beziehungen hinein. Oft sind sie in ihren Gefühlen chaotisch: entweder gibt es wenig Ordnung in ihrem Leben oder sie sind verletzlich, weil eine Krise sie aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Verzweifelt versuchen sie, die Balance wiederzufinden, halten sie sich an die Phantasie, an diese atemlose Romantik. Aber Liebe ist weder Füllsel, Ersatz noch Allheilmittel. »Wer aus Liebe heiratet, muß in Leid leben«, sagt ein spanisches Sprichwort. Freilich zweifeln viele Frauen mit einem Hang zur Romantik diesen scheinbaren Zynismus an. Liebe ist vielleicht etwas Nebelhaftes, denken sie, aber besser so, als überhaupt keine Liebe. Wenn die Liebe sie schon nicht umwirbt, versuchen viele Frauen, die Liebe zu umwerben, indem sie Männern nachlaufen. Während der letzten fünfzehn Jahre haben sich die Spielregeln geändert. Die Feministinnen betonen, es sei ganz in Ordnung, einen Mann anzurufen und ihn einzuladen, bevor er es tut. Dem kann ich nicht zustimmen. Es ist richtig, daß die Männer sich um die Frauen bemühen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Wenn ein Mann Initiative ergreift, zeigt er seine Absicht, sich etwas stärker zu engagieren. Das heißt auch, daß er, falls Liebe im Spiel ist, dich womöglich mehr liebt als du ihn. Ergreifen die Frauen die Initiative, schaffen sie eine Situation, die dem Mann keine Chance läßt. Er kann nie den ersten Schritt tun, weil du ihm dies beim allererstenmal schon nicht zugetraut hast. Und solltest du den Mann, um den du dich bemüht hast, heiraten, mußt du damit rechnen, daß du immer die aktive Rolle spielen mußt. Er legt seine Füße auf den Tisch, stellt sich auf beiden 177
Ohren taub und bleibt unerreichbar, während du hinter seiner Zuneigung herjagst. Wenn du dich übertrieben verausgabst, um ihn zu bekommen, wird er dies auch in der Zeit der Ehe von dir erwarten. Nur wenn er sich um dich bemüht, wird er fähig sein, Verantwortung zu übernehmen, Pläne zu schmieden. Er wird sich anstrengen, dich zufriedenzustellen. Vielleicht ist er nach der Heirat nicht mehr ganz so aufmerksam wie in der Zeit eures Kennenlernens, aber er wird sich immer Mühe geben. Wenn er dir den Hof macht, will er auch wissen, was du von ihm erwartest, und falls sein Interesse groß genug ist, findet er Mittel und Wege, dich zu bekommen. Zum zweiten ist es gut, wenn er dich sexuell begehrt. Es ist für ihn wichtig, daß sein Verlangen dem deinen gleichkommt oder es übertrifft, damit er im Stande ist, eine Frau zu befriedigen. Für eine Frau ist es einfacher, mit einem Mann zusammenzusein, dessen Verlangen nach ihr größer ist als ihre nach ihm. Anderenfalls wird er Schwierigkeiten haben, eine Erektion zu bekommen oder aufrechtzuerhalten, egal, ob sein Sexualtrieb nun stark oder schwach ist. Jede Frau kann im sexuellen Bereich schwindeln – und das meine ich nicht böse; es hat etwas mit ihrem Wunsch zu tun, dem Partner nahe zu sein oder ihn zufriedenzustellen. Ein Mann dagegen muß körperlich funktionieren, um ein befriedigendes sexuelles Erlebnis zu haben, er kann da einer Frau nichts vormachen. Er kann nicht passiv sein. Wenn Männer nicht zur Ejakulation kommen, fühlen die meisten sich als Versager. Aber welcher Mann will sich das nachsagen lassen?
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KOMMUNIKATION: ZU IHM DURCHDRINGEN Freud betrachtete Sexualität und Zorn als die beiden Kardinaltriebe menschlicher Wesen. Schuldgefühl, Neid, Niedergeschlagenheit, Angst und sexuelle Schwierigkeiten lassen sich alle in irgendeiner Weise von diesen zwei Grundtrieben ableiten. Sex wird oft zum Trick, um Probleme in einer Beziehung zu lösen, unangenehme Gefühle abzureagieren, sie zu übertünchen oder ihnen ganz aus dem Weg zu gehen. Die Sexualität kann uns meist nicht helfen, zum Kern eines Problems vorzudringen, aber Zorn kann es. Viele von uns können mit ihrem Zorn nicht umgehen. Ein Gefühlsausbruch kann uns so erschrecken, daß wir ihn entweder unterdrücken (»Nein, ich bin nicht wütend, daß Burt mich verlassen hat. Ich habe damit gerechnet! Soll sie ihn haben, den Versager!«) oder das Schicksal und andere Menschen für unser Unglück verantwortlich machen und in einem Zustand dauernder Unzufriedenheit leben (»Das Leben ist ein einziges Elend...«) oder Zorn fälschlicherweise mit Gewalttätigkeit in Zusammenhang bringen (»Wenn ich wütend werde, verliere ich die Kontrolle und bringe ihn um.«). Tatsächlich ist Zorn eine Form der Kommunikation – ein Mittel, einem anderen Menschen mitzuteilen, wie du dich fühlst. Einfach gesagt: Zorn richtet sich nicht gegen einen Menschen, sondern gegen sein Verhalten. Zorn kann sich positiv auswirken, wenn man versucht, mit ihm Probleme klarzustellen, nicht aber, wenn man mit ihm diese Probleme verschlimmert oder ihre Lösung verhindert. Die Wahrheit ist: Wenn du zornig wirst, bekümmert dich eine Sache wirklich. Viele von uns erleben leider Tage sinnloser Herumbrüllerei mit dem Partner. Falls zwischen einem Paar 179
Freundschaft besteht, wird jeder nur Gutes für den anderen wollen. Es müssen Strategien erlernt werden, um dieses Gute auch zu erreichen, man muß zu Kompromissen bereit sein, dann kann Zorn dazu beitragen, einander die Wahrheit zu sagen. Wenn du zornig bist, sage es offen, dann brauchst du dich vor den Folgen nicht zu fürchten. Frauen haben damit oft Schwierigkeiten, sie tragen alte Ungerechtigkeiten jahrelang mit sich herum. »Warum hast du mir nicht eher gesagt, daß wir doch nicht ins Kino gehen? Willst du mich immer unglücklich machen... wie damals, als du unsere Reise nach Italien ausfallen ließest... und was ist mit dem Ledermantel, den du mir schon vor drei Jahren versprochen hast?« Wenn du deinem Ärger nicht Luft machst, kannst du mit dem Mann, der dich wütend gemacht hat, auch nicht mehr in Liebe leben. Du hältst ihn für einen gefühllosen Menschen, einen, der dich quält. Er wird für dich zu einem Mann mit schlechten Eigenschaften, für den du nichts mehr empfindest. Leider verstehen wir mehr vom Herumschreien und SzenenMachen, aber wenig vom positiven Zorn. Manche Frauen kommen aus Familien, in denen kein wichtiger Streitpunkt je gelöst wurde. Diese Frauen wurden entweder schrill und aufbrausend, oder sie haben aus Angst ihren Zorn völlig unterdrückt. Wenn Männer zornig sind, wollen sie nach einer Auseinandersetzung die Sache oft beilegen. Wir Frauen lieben das nicht sehr. Da wir – im Gegensatz zu ihnen – unsere Gefühle noch nicht ganz losgeworden sind, macht es uns desto wütender, wenn sie vorschlagen, wir sollen miteinander schlafen. Und das hassen wir. Männern fehlt es oft an Erfahrung, sich emotional in einer Weise zu äußern, die wir annehmen können. Es fällt ihnen schwer zu sagen »Es tut mir leid«, und noch mehr Anstrengung kostet es sie, zuzugeben »Ich habe einen Fehler gemacht«. Männer, die nach einem Streit Sex wollen, meinen es aber 180
wirklich gut mit uns. Sie kennen nur keinen anderen Weg. Statt zu sagen »Laß uns wieder nahe beisammen sein«, sagen sie eben »Laß uns zusammen ins Bett gehen«. In unserem Zorn halten wir dieses Ansinnen fast für eine Vergewaltigung. Und was ist daran so schlimm? Ich meine, selbst wenn du noch zornig bist und eigentlich nicht nachgeben möchtest – versage dich ihm nicht. Sprich aus, was dich ärgert, ohne ihn oder seinen Wunsch nach Sex mit dir zu kritisieren. Wenn du jemanden, den du liebst, durch ständige persönliche Angriffe Unrecht tust, wird die Liebe darunter leiden. Zusammenstöße sind in einer Partner-Beziehung normal. Wenn ihr füreinander Sorge tragt, gibt es nichts, was nicht gelöst werden könnte. Oft glauben wir Frauen, daß Männer nie über uns nachdenken, daß wir uns aber die ganze Zeit Gedanken um sie machen. Das stimmt nicht. Sie denken nur auf eine Weise über uns nach, die uns nicht vertraut ist. Obwohl wir alle dieselbe Muttersprache haben, benutzen wir nicht unbedingt die gleichen Worte. Männer können ihre Gefühle weniger klar beschreiben. Im geschäftlichen Bereich und unter Freunden sprechen sie oft in einem Jargon, der mehr auf den Fußballplatz paßt. Wir erwarten von ihnen vielleicht ähnliche Sätze, wie wir sie von den Helden mit dem verächtlichen Lächeln in Romanen und Filmen kennen. Und weil wir oft nicht wissen, was sie meinen, zweifeln wir bisweilen an ihnen. Sie wiederum haben oft Schwierigkeiten, uns zu verstehen. Du hast vielleicht eine Vorliebe für endlose Worte der Zärtlichkeit, aber er ist schon erschöpft, wenn er »Ich hab' dich sehr gern« gesagt hat. Trotzdem sollte sich eine Basis finden lassen, auf der eine Verständigung möglich ist. Frauen neigen dazu, ihre Männer mit ihrem Wortschwall zu überfordern, ja zu erschrecken. Wir können sie mit unseren Worten aufheitern, umschmeicheln, bestätigen. Sie haben nur selten die Fähigkeit, ebenso zu reagieren und über ihre Lippen kommen dann nur 181
wenige Worte, die wir für widerwillige Komplimente halten. Ein Mann hat Schwierigkeiten seine Gefühle auszusprechen. Obwohl er weiß, was er dir sagen sollte, hat er vielleicht keine Lust. Er denkt, daß du überschwengliche Schmeicheleien erwartest, und womöglich hat er damit recht. Er denkt, daß du Anerkennung möchtest für das, was du für ihn getan hast, und das möchtest du bestimmt. Aber du mußt schon genau hinhören, um zu ahnen, was er meint. Wenn wir kein Kompliment bekommen, gehen wir vielleicht mit Witzen wie »Würde es dich umbringen, mir zu sagen, daß ich hübsch bin?« zum Angriff über. Dann sagt er es, möglicherweise ohne dich anzusehen, was dich zu einer bissigen Erwiderung inspiriert: »Das war schwer, nicht wahr?« Dies ist nur ein Beispiel, wie zwei Leute zur selben Zeit zwei verschiedene Spielchen spielen. Im Grunde bestrafst du ihn dafür, daß er dir Komplimente macht. Wenn du einem Mann in klaren Worten sagst, was du hören möchtest, wird er es verstehen: »Es würde mich freuen, wenn du mir sagtest, daß ich hübsch bin.« Gehen wir noch einen Schritt weiter. Nehmen wir an, eine Frau möchte einen Mann gern öfter sehen. Wie bringt sie ihn dazu, bei ihr anzurufen? Sicher nicht, indem sie – wenn er schon einmal anruft – auf folgende Weise reagiert: »Oh, hattest du nichts Besseres zu tun als mich anzurufen? Was ist los? Keine da, die du heute abend treffen könntest?« Ich erinnere mich an einen bestimmten Fall. Marcia hängt an Ken und möchte ihn vom Fleck weg heiraten. Er aber ist sich noch im unklaren über sie. Sie ärgert sich darüber. Nun ruft Ken bei Marcia an und möchte sich Samstagabend mit ihr treffen. Um ihn eifersüchtig zu machen, hat Marcia sich mit einem anderen Mann verabredet. »Tut mir leid, ich hab' schon was vor«, erzählt sie Ken, wartet einen Moment und fügt dann hinzu: »Aber wo wolltest du mit mir hingehen?« Ken antwortet schnell: »Du wirst ja doch nicht deine andere Verabredung 182
absagen, um mich zu sehen.« Das bringt Marcia in die Defensive: »Ich habe nicht die Absicht«, sagt sie. Beide wissen, daß sie es getan hätte, weil es nicht das erstemal gewesen wäre. Warum fragen, wo Ken mit ihr hingegangen wäre? Dabei hätte sie nur zu sagen brauchen: »Tut mir leid, ich würde dich sehr gern ein andermal sehen.« Aber Marcia macht hier nicht halt. »Ich habe überhaupt nichts vor am Samstag«, säuselt sie. »Ich schon«, antwortet Ken. Den Rest soll Marcia sich selbst denken: Und dich werde ich nicht einladen. Wie Marcia sind viele von uns allzu impulsiv, allzu unzugänglich, und viele von uns versuchen durch Tricks von den Männern zu bekommen, was wir wollen. In Wirklichkeit leidet Marcia mehr darunter, daß sie eine Verabredung mit einem anderen Mann angenommen hat und so nicht mehr verfügbar ist, als darunter, allzu verfügbar zu sein. Nun will Ken sie nicht mehr. Marcia möchte am liebsten alles haben, aber so geht das nicht. Marcias Fehler liegt darin, daß sie Huldigungen, Anbetung, honigsüße Worte von einem Mann erwartet! Wenn jemand ihr antwortet »Das ist nett«, ist das nicht gut genug. »Du bist eine Wucht... das Essen war himmlisch... Ich hatte eine unglaublich schöne Zeit«, sind dagegen Sätze, die ihren Erwartungen schon eher entsprechen. Wenn sie nicht gesprochen werden, dann »war der Abend eine Katastrophe«, sie ist »verdammt« und ihr Leben »liegt in Trümmern«. Sie gleicht der verwirrten, nach jungen Männern verrückten Heldin in Ring Lardnus Geschichte Ich kann nicht atmen. Hier wird die Frau, die aus allem eine Katastrophe macht, in Vollendung gezeigt. Während sie Spaß dabei hat, drei Männer an der Nase herumzuführen, um ihre Verachtung vor ihnen zu verbergen, vertraut sie ihrem Tagebuch erbittert und der Welt überdrüssig folgendes an: »Ich weiß, ich werde die Nacht nicht überstehen ... Ich kann es nicht ertragen, ich kann nicht atmen, es ist unmöglich zu leben... Ich 183
darf einfach nicht mehr daran denken, oder ich werde sterben... Ein ganzes Jahr vergangen und (Merle) hat noch Lust auf mich und ich auf ihn. Das zeigt, daß wir schon immer füreinander bestimmt waren und für niemand anderes. Ihn will ich nicht bis Dezember warten lassen... Und wenn ich am Sonntag nach Hause komme und Walter und Gordon rufen mich an, werde ich sie beide zum Essen einladen, und Merle kann es ihnen dann selber mitteilen (daß wir heiraten). Solange sie zu zweit da sind, wird es jedem nur halb so weh tun, als wenn er allein wäre ... Ich kann es nicht ertragen.« Es gibt Abstufungen positiver Gefühle – eine Sache mag angenehm sein, eine andere unangenehm. Es gibt Momente, in denen man sich behaglich fühlt, und solche, in denen einem unbehaglich zumute ist: das Leben besteht nicht aus Extremen von Freude und Schmerz. Frauen wie Marcia geben sich nicht zufrieden mit mäßigem Lob, sie meinen, man könne nur maßlos begeistert oder zutiefst niedergeschlagen sein, um andere von der Echtheit ihrer Gefühle zu überzeugen. »Hübsch« ist ein Kompliment und kein Verweis. Sollte ein Mann also von der Sorte sein, die nur ein »hübsch« aufzubieten vermag, dann sag ihm das »Dankeschön«, das ihm zusteht.
VERWIRRUNGEN DER LIEBE »Nie sind Menschen so verletzlich wie unmittelbar nach dem Orgasmus«, behauptet James Ramey in seinem Buch Enge Freundschaften. Er fährt fort: »Dies ist ein Hauptgrund, warum viele mit sexueller Intimität versuchen, enge Freundschaften aufzubauen – es ist ein Abkürzung zu dem Punkt, an dem jemand verletzlich wird. Aber die Bereitschaft, sich dem Partner verletzlich zu zeigen, stärkt Vertrautheit und Liebe.«
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Solche Abkürzungswege zu Vertrautheit und Liebe führen oft weit am Ziel vorbei. Sexuelle Nähe ist ganz einfach ein Vergnügen für ein paar Stunden, vielleicht für die Dauer einer Nacht. Morgen wird der Mann nicht mehr da sein. Vielleicht willst du ihn sogar los sein und wirfst ihn hinaus. Diese Beziehungen für eine Nacht stellen ein Dilemma dar für manche Frauen, die glauben, man brauche nur Sex zu geben, um Liebe zu gewinnen. Aber so funktioniert das nicht. Warum gehen Frauen mit Männern ins Bett, die sie erst eine oder zwei Stunden kennen? Wenn eine Frau vom Ehemann oder einem langjährigen Liebhaber zurückgewiesen wird, wenn ein Verhältnis zerbricht oder wenn sie den Schock erleiden muß, nach einer Scheidung in die Welt der Alleinstehenden zurückzukehren, dann hat eine Frau vielleicht das Gefühl, daß ihr Leben so nicht in Ordnung ist und daß sie eine Bestätigung dafür braucht, begehrenswert zu sein. Vielleicht ist ihr Leben aber auch ganz in Ordnung, aber sie hat niemanden, mit dem sie es teilen könnte. Vielleicht hat ein Fremder ihr geschmeichelt und gesagt, er müsse sie haben, und sie meint, daß eine solche Chance nie mehr wiederkommt. All dies sind mögliche Gründe für spontane Intimität. Sexuelle Hingabe ist keine Garantie für Liebe. Falls beide Beteiligten wissen, daß einer dem anderen ein paar Stunden menschliche Nähe und Wärme schenken will, mag es für eine Frau erträglich sein, wenn ihr Liebhaber ihr Bett wieder verläßt. Aber selbst dann, so haben mir Frauen erzählt, existiert eine bedrückende Traurigkeit, ein Gefühl der Leere. Er war vielleicht ein »Ran-und-weg«-Typ, und sie hat sich ihm in die Arme geworfen in der Meinung, sie sei unverletzbar, wenn sie es nur bewußt tue. Viele von uns wundern sich dann, warum er nicht anruft, obwohl wir – wie eine Frau es ausdrückte – wissen, »daß es ja doch nicht viel zu reden gäbe, wenn er es täte«. Und über die Beziehungen für eine Nacht fährt sie fort: »Wir können niemandem die Schuld geben außer uns selbst. 185
Instinktiv spüren wir, daß ein Mann überhaupt nicht der Richtige für uns ist, und wundern uns oft, wie wir es geschafft haben, so viel zu plaudern, bevor wir mit ihm ins Bett gingen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich mit Männern, die ich nur körperlich begehrte, nichts gemein hatte außer daß wir auf derselben Party waren.« Nicht alle intimen Begegnungen mit einem »Fremden« müssen auf eine Nacht beschränkt werden. Kontinuierliche Beziehungen, in denen ein Partner gefühlsmäßig vom anderen entfremdet ist, können genauso unbefriedigend sein und bei weitem schmerzlicher. Ich möchte von Patty erzählen. Patty ist sechsundzwanzig und geschieden. Sie trifft sich mit einem Mann, dem sie sexuell hörig ist. Während des letzten Jahres ist ihre Beziehung zu ihm immer gleich geblieben. Rob kommt nachts um eins oder zwei von einer Verabredung zurück und ruft dann Patty an, sie solle zum Bumsen rüberkommen. Sie ist einverstanden. Patty wälzt sich also aus dem Bett, fährt ein paar Kilometer bis zu ihm, zieht sich aus, schläft mit ihm, und macht sich morgens um fünf wieder auf den Heimweg, denn »er mag niemanden bei sich haben, wenn er aufsteht«. Bis beide ins Bett fallen und schlafen, bleibt weniger Zeit, miteinander zu reden und sich umeinander zu kümmern, als für den Sex. Patty wird dir erzählen, sie sei »verrückt« nach Rob, besessen von ihm, aber als ich ihr begegnete, sah ich mich einer Frau gegenüber, deren Selbstwertgefühl so gering war, daß sie dem Selbstmord schon gefährlich nahe gekommen war. Als ob Robs nächtliche Aufforderungen nicht schon zerstörerisch genug wären, fügt Patty sich weiteren Schaden zu, indem sie ihre Wochenenden damit verbringt, an Robs Appartement vorbeizufahren und nachzuschauen, ob die Lichter brennen und sein Wagen vor dem Haus geparkt ist. Das bedeutet gewöhnlich, daß eine andere Frau bei ihm ist. Hätte sie die Wahl, Patty würde nicht mit Rob brechen wollen, sondern sich 186
ein Baby von ihm wünschen. Ihre Begründung dafür ist jämmerlich kindlich: »Ich würde dann etwas von ihm haben, was er nicht zurücknehmen, sehen oder berühren könnte. Vielleicht wäre ich dann soweit, ihn nicht mehr zu wollen, sondern nur noch sein Kind!« Da Rob klar zum Ausdruck gebracht hat, Sexualität sei der Bereich, in dem sie ihm Befriedigung verschaffe, glaubt Patty fälschlicherweise, sie könne diese Befriedigung auf andere Bereiche ausdehnen. Rob, nur zu glücklich, sie herbeizitieren zu können, wenn er sie will, hat kein Interesse, zu erfahren, wer sie ist. Ebensowenig bekümmert ihn ihr Wohlergehen. Er begleitet sie nie zu ihrem Auto mitten in der Nacht und schlägt ihr auch nie vor, sie solle ihn anrufen, damit er weiß, daß sie sicher zu Hause angekommen ist. Patty ist nicht die erste Frau, die von einem Mann zwar besessen ist, aber sonst kaum Interesse an ihm findet. Patty ist ihm verfallen – kein anderer Mann bringt es fertig, daß sie sich gut, begehrenswert, lebendig fühlt, wenn er bei ihr ist. Ohne ihn leidet sie unter »Entzugserscheinungen«: sie ist niedergeschlagen, bekommt Angst, kann sich nicht konzentrieren. Jede Tasse Kaffee erinnert sie an eine, die sie mit ihm zusammen getrunken hat – in jener fernen Vergangenheit, in der er sie tatsächlich ausführte, bevor er sie in sein Bett trug. Da sie jetzt nichts mehr für ihn bedeutet, behandelt er sie auch wie ein Nichts und läßt sie fallen, sobald er sein Vergnügen gehabt hat. Stanton Peele hat ausführlich über Suchtverhalten geschrieben. In Liebe und Sucht, das er zusammen mit Archie Brodsky herausgebracht hat, sagt er: »Sucht besteht, wenn ein Mensch an eine Empfindung, ein Objekt oder an eine andere Person so gebunden ist, daß es ihm nicht mehr viel bedeutet, ob er noch fähig ist, sich mit anderen Dingen in seiner Umgebung oder mit sich selbst zu beschäftigen. Er befindet sich also in 187
wachsender Abhängigkeit von jener Erfahrung, die ihm als einzige Befriedigung zu verschaffen vermag. Und Liebe«, so schreibt er, »ist das Gegenteil von zwischenmenschlicher Abhängigkeit. Eine liebevolle Beziehung gründet sich auf das Verlangen, zu wachsen und sich durch das Leben heiterer zu machen, und auf den Wunsch, daß es beim Partner genauso sei.« In der Ehe kann es sein, daß die Besessenheit oder Abhängigkeit des einen Partners sich weniger auf den anderen konzentriert als auf eine bestimmte Handlung. Arthur und Jeanne, seit 13 Jahren verheiratet, sind ein hervorragendes Beispiel für »Liebe an der falschen Stelle«. Sie lernten sich kennen, als sie noch sehr jung waren. Beide hatten eine unglückliche Kindheit. Arthur war das jüngste von fünf Kindern. Seine Mutter hatte die Familie verlassen, als er noch ein Baby war. Jeanne war das vierte Kind der Familie, sie hatte drei ältere Brüder, die alle Ermutigung und emotionale Unterstützung erhielten, und das ganze Geld, das die Familie für Erziehung erübrigen konnte. Arthur und Jeanne identifizierten sich miteinander aufgrund ihrer glücklosen Kindheit – das heißt, jeder konnte den Kummer des anderen verstehen. Arthur, ein Arbeiter, ist klug und auch ehrgeizig. Jeanne blieb bis vor einigen Jahren zu Hause, um den Haushalt und die beiden Kinder zu versorgen. Sobald beide Kinder zur Schule gingen, beschloß Jeanne, sich eine Maklerlizenz zu verschaffen. Als sie mit ihrem neuen Unternehmen Erfolg hatte, wurde Arthur nervös, fühlte sich bedroht. Jeanne liebte ihre Arbeit, aber sie brauchte Arthur's Hilfe, um die Kinder großzuziehen – er war ein guter Vater, und das schätzte sie an ihm. Jeanne konnte den Gedanken, alleinerziehende Mutter zu sein, nicht ertragen. Sie brauchte die Stabilität, welche die Ehe ihr gab. Arthur hatte keine anderen Frauen, er spielte und trank nicht. Dennoch hatten sie ein Problem: Arthur war fast brutal in seiner 188
Sexualität und forderte, Jeanne solle ihm jede Nacht zu Willen sein. Aber Jeanne war sexuell viel weniger vital als Arthur. Nach jedem sexuellen Verkehr war Jeanne den Tränen nahe. Sie wußte, Arthur würde sie nun zwingen, die Beine zu spreizen, um oral mit ihr zu verkehren. Dieser Akt verletzte sie. Da Jeanne Arthur's Forderungen nicht zurückweisen konnte, hörte sie mit den Jahren auf, ihn zu lieben. Arthur leugnete, daß er im Grunde genommen seine Frau vergewaltigte. Für ihn war es so, daß er ihr auf die einzige Art, die er kannte, mitteilte, wie sehr er sie brauchte. Jeanne, eine Frau, die sich nicht in erster Linie mittels Sexualität ausdrückte, war verzweifelt. Sex war für Arthur die einzige Möglichkeit, ihr zu gefallen und, was wichtiger ist, sie bei sich zu behalten. Tief im Innersten quälte ihn der Gedanke, er könnte seine Frau verlieren. Er wollte kein sexuelles Vergnügen außerhalb der Ehe suchen. Untreue fand er moralisch verwerflich, seine eigene Frau zu vergewaltigen dagegen nicht. Arthur wußte, daß Jeanne ihn nicht liebte, aber er war sich auch im klaren über ihre Bedenken, ihn zu verlassen. So lange sie bei ihm blieb, war er zufrieden. Als ich Jeanne sah und ihre Geschichte hörte, fragte ich sie, wie sie sich eine Lösung des Problems vorstellen würde. Sie zweifelte, ob sich eine finden ließ. Sex war ihr zum Greuel geworden. Wie oft in der Woche, wollte ich wissen, konnte sie Sex ertragen. Zweimal, antwortete sie. Ich schlug vor, sie solle mit Arthur sprechen, um herauszufinden, wie oft in der Woche er unbedingt Sex brauche. Sie kam zurück mit der Nachricht: zweimal. Jeanne bestimmte daraufhin die Tage, an denen sie sich lieben sollten – mittwochs und sonntags –, und schloß mit ihrem Mann einen Vertrag, daß es keine Abweichung von diesem Plan geben durfte. Wenig später forderte Arthur wieder Sex zu seinen Bedingungen. »Er hat eine Abmachung mit mir getroffen«, sagt Jeanne, »und jetzt wollte er sie brechen. Vor 189
einem Jahr hätte ich mich damit abgefunden. Jetzt habe ich mich geweigert. Als er jeden Tag mit mir schlafen wollte, dachte ich, es sei deswegen, weil er es unbedingt brauche. Als er mir dann sagte, daß ihm zweimal pro Woche genug sei, war ich überrascht – und wütend.« Wie Arthur haben viele Männer wenig Erfahrung mit Frauen, die Sex von ihnen wollten, aber nicht wissen, wie man dieses Verlangen in einer Frau wecken kann. Solche Männer merken nicht, wenn ihre Frauen – oder auch andere Frauen, das spielt keine Rolle – sie sexuell begehren. Im Grunde genommen sind sie kleine Jungen, die – außer mit ihrer Frau – nur kärgliche Erfahrungen gemacht haben. Und da die Frau eines solchen Mannes ihm gehört, wird von ihr erwartet, daß sie ihn will – oder besser: sie täte gut daran, ihn zu wollen. Andere Männer haben ihre Frauen nie wirklich geliebt. Diese Frauen wissen nicht, wie es ist, sich mit jemandem zu lieben – sie wissen nur, wie es ist, mit jemandem Sex zu haben. Sexuelle Begegnungen werden damit zur Aggression, nicht zur Leidenschaft, zu einem Machtkampf, bei dem Sex die Waffe ist, um die Frau zu überwältigen. Und Sex sollte doch nur eines beweisen: Begehren und Liebe.
BETRIFFT: SEXUALITÄT Eine Freundin erzählte mir folgende Geschichte. Vor Jahren hatte sie allein eine Party, die ein wohlhabender Geschäftsmann gab, besucht. Als es für sie Zeit wurde, zu gehen, begleitete der Gastgeber sie zu ihrem Wagen und küßte sie zärtlich. Andrea berichtete, daß sie sich zugleich geschmeichelt und irritiert fühlte durch den Kuß – sie schätzte die Geste, glaubte aber, es sei ein Spiel für ihn. Ihr überraschter Blick brachte ihn nicht aus der Fassung. Er war erfahren genug, ihre unausgesprochenen 190
Gedanken zu erspüren: Machen sie das mit jeder Frau? Bin ich nur die Frau, die im Moment erreichbar ist? Rasch sagte er: »Egal, was wir in unserem Leben für Erfahrungen gemacht haben, jede Verbindung ist einmalig. Diese vier Lippen haben sich niemals zuvor berührt.« Sie lachte und erkannte die Wahrheit. Dies war eine unschuldig sexuelle, liebevolle Geste, die nur sein Interesse an ihr zum Ausdruck brachte, ohne daß er die Absicht hatte, weiter zu gehen. Wie meine Freundin sind wir oft verwirrt, denken an Erfahrungen aus der Vergangenheit und machen uns Sorgen für die Zukunft: Was will er? Was meint er damit? Auch Andrea, von der ich erzählte, war verwirrt. Sie glaubte, den Annäherungsversuch eines Mannes abwehren zu müssen – vielleicht weil sie zu wenig über ihre Sexualität wußte und daher unsicher war. Um Sexualität voll und ganz genießen zu können, muß man sich zu allererst entspannen, eine Beziehung zu seinem eigenen Körper haben und sich von alten Vorurteilen lösen, nach denen Sexualität etwas Verbotenes ist. Nicht der Orgasmus ist das Wichtigste, sondern die Freude, sich gegenseitig zu entdecken. Vielen Frauen wurde gesagt, Sex sei ekelhaft oder Sex sei nur akzeptabel, wenn man ein Kind haben wolle. Sie müssen nun umdenken. Ihre Männer wollen vielleicht gar keine Frau, die Sex nur über sich ergehen läßt – ihre Passivität empfinden sie als Herabsetzung der eigenen Person. Männer möchten eine Frau, die Spaß am Sex hat, erfahren ist und auch fähig, einen Orgasmus zu haben. Manche Frauen haben Schwierigkeiten mit der »Freude am Sex«. Um Sexualität genießen zu lernen, braucht man Zeit, zärtliches Bemühen und die Bereitschaft, die eigene Sexualität zu akzeptieren. Die Einstellung zur Sexualität kann man ändern.
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Sexualität ist der einzige Trieb, der unter »normalen« Umständen unterdrückt wird. Wenn man Hunger hat, ißt man, wenn man Durst hat, trinkt man. Die Sexualität ist für das unmittelbare Überleben nicht wichtig – ohne Sex kann man leben, wie jeder mit seinem Zölibat zufriedene Mönch bestätigen wird, nicht aber ohne Brot. Vom Sex kann man sich durch andere Aktivitäten ablenken: Arbeiten, Kinder hüten, zwanghaft das Haus putzen, sogar in sich hineinfressen – dies sind nur ein paar Beispiele. Gegen seine sexuellen Bedürfnisse kann man ankämpfen, indem man aufhört, sie zu beachten. Sexualität kann auch zu einem Rätsel gemacht werden (»Ich weiß nicht, was man von mir erwartet, was soll ich empfinden, wie soll ich es empfinden?«) oder zu einem Abenteuer, das von einem Regisseur in die Hand genommen werden muß (»Jetzt wollen wir mal sehen, ob du heute nacht einen Orgasmus bekommst oder nicht!«) oder zu einem Wettbewerb (»Ich habe ein bißchen mehr sexuelle Bedürfnisse als du.«). Wir schaffen uns selbst Probleme, wenn wir Sex nicht als ein schönes, leichtes, fröhliches und warmherziges Zeichen von Vertrautheit betrachten. Kein Wunder, daß Männer die Regeln in der Sexualität aufstellen – seltener die Frauen – und ihre Partnerinnen zwingen, es »so zu machen wie ich will und nicht anders«. Ich hörte von einem sehr extremen Fall: Der Mann pflegte seine Frau ins Gesicht zu schlagen, wenn sie es wagte, sich während des Koitus zu bewegen. Teil der Erziehung dieses Ehemannes war es gewesen, daß man ihm beibrachte, Frauen sollten Sex verabscheuen, dabei nicht beteiligt sein und während des Verkehrs keine Leidenschaftlichkeit zeigen. Wenn seine Frau auch nur ein wenig erregt wurde oder gar – der Himmel behüte sie – sich der Lust hingab, konnte jeder andere Mann seiner Ansicht nach auch seinen Platz einnehmen. Seinem zerbrechlichen männlichen Ich zuliebe, hatten die Frauen gefühllos dazuliegen und nur zu empfangen. 192
Manche Frauen wagen es nicht, über ihre sexuellen Wünsche zu sprechen, aus Angst, sie könnten ihren Mann verletzen oder sie schämen sich, offen zu sagen, was ihnen gut tun würde. »Wenn ihm etwas an mir liegen würde, wüßte er schon, was ich gern hätte«, ist die häufigste Klage. Erzählt allerdings eine Frau ihrem Mann nie, wie sie es möchte und hat er sie bis jetzt noch nicht danach gefragt, wie soll er es dann je wissen? Es gibt auch Frauen, die nur zu glücklich wären, ihren Platz mit einer passiven Frau zu tauschen. Sie wären zufrieden, einfach dazuliegen und es über sich ergehen zu lassen. Wenn sie trotzdem sehr aktiv beim Sex werden, so hat dies nichts mit Lust und Leidenschaft zu tun. Ihre Aktivität hat einen ganz egoistischen Grund: Wenn alles vorbei ist, werden sie die Ohrringe erwähnen, die sie heute gesehen haben, das Auto, das sie sich zu Weihnachten wünschen, oder, wie eine Frau es ihrem Mann gegenüber ausdrückte: »Kann ich jetzt eine neue Wohnzimmereinrichtung bekommen?« Unfähig oder nicht willens, eine emotionale Verbindung zu ihrem Mann herzustellen, distanzieren solche Frauen sich von der sexuellen Erfahrung und verhalten sich mechanisch, während sie in ihren Gedanken ganz woanders sind. Häufiger als man denkt, stellen sich Frauen beim Sex aber einen anderen Mann vor als ihren Ehemann, mit dem sie gerade im Bett liegen. Dazu ein Beispiel: Eine verheiratete Frau, gar nicht direkt auf der Suche nach einem Liebhaber, begegnet eines schönen Tages einem Mann, der mit ihr gern das alte Spiel spielen möchte. Sie bedenkt das Risiko, aber auch das Ende der Langeweile zu Haus. »Warum nicht?« fragt sie sich. Ihr künftiger Liebhaber ruft am Montag an – er weiß, ihr Mann ist nicht zu Haus –, macht ihr verführerische und reizende Komplimente und schlägt vor, sie sollten sich am Donnerstag punkt zwei im Hotel soundso treffen. Während der nächsten drei Tage schwebt sie in einer himmlischen Wolke von 193
Phantasien. Sie richtet sich dafür her, wie sie sich einstmals für ihren Mann hergerichtet hatte – kauft Reizunterwäsche, läßt sich eine Gesichtsmassage geben und schaut sich nackt im Spiegel an, um festzustellen, was sie innerhalb von 72 Stunden noch für ihr Aussehen tun kann. Wenn sie dann endlich das Hotel-Zimmer betritt, hat sie ihre Kleider praktisch schon abgeworfen, ist atemlos vor Verlangen nach ihrem Liebhaber. Nun stellt euch eine andere Frau vor: Sie hat keinen Liebhaber, keine Gelegenheit, sich einen zu angeln, auch keine Neigung, sich ein sexuelles Abenteuer außerhalb der Ehe zu suchen. Ihr Mann ruft sie nachmittags an und bittet sie, die Kinder an diesem Abend zu ihrer Mutter zu geben, damit sie einen romantischen Abend für sich allein hätten. Schrill antwortet sie: »Machst du Witze? Ich habe viel zu viel zu tun. Bobby hat Schnupfen... und ich habe Rosalie versprochen, ihr beim Säumen ihrer Tücher zu helfen... Ich habe keine Lust, mich bei diesem Wetter zu verausgaben, und überhaupt, wie kannst du so egoistisch sein?« Der zurückgewiesene Ehemann schluckt die Beleidigung und seinen Stolz hinunter, startet ein paar Monate später den nächsten Versuch. Morgens um elf ruft er an und sagt: »Ich hab' einen ruhigen Nachmittag. Ich könnte heimkommen, zu einem gemütlichen ausgedehnten Essen!« Mehr braucht er gar nicht zu sagen. Die uninteressierte Ehefrau antwortet: »Wer weiß, was in einer Stunde zu tun ist? Und außerdem habe ich keine Lust, am hellen Nachmittag mit dir zu schlafen. Ich erwarte einige Anrufe und... und... und...« Verhältnisse haben leider die Tendenz, ihre erotische Intensität zu verlieren – für einen Partner oder für alle beide. Erotische Anziehung über die Jahre hinweg aufrechtzuerhalten, bedarf ziemlicher Anstrengung. Sexualität ist nicht voraussagbar, wir können eine Zeitlang sexuell sehr aktiv sein, dann aber kommt eine ganz inaktive Phase. In den meisten Ehen steigt und fällt die sexuelle Aktivität. Der Sexualforscher John Money glaubt, 194
daß die romantische Verliebtheit, dieses Ungestüme, erotische Ineinander-Aufgehen, nur ungefähr zwei Jahre dauert. Vermutlich hat die Natur der Erotik eine zeitliche Begrenzung gesetzt. Während dieses Zeitabschnittes entsteht eine starke Bindung zwischen dem Paar. Meist kommt auch ein Kind zur Welt. Nach zwei Jahren läßt die erotische Anziehung zwischen den Partnern nach. In zunehmendem Ausmaß basiert die Beziehung auf Freundschaft und Sicherheit. Das Nachlassen der Erotik kann außer mit der Zwei-JahresTheorie mit einer ganzen Reihe von anderen Gründen erklärt werden. Einer davon hat weniger mit Biologie, dafür aber mehr mit Psychologie zu tun. Eine Frau, die in der Beziehung zu ihrem Ehemann keinerlei Macht hat, wird sich irgendwo anders eine Machtposition suchen. Sie macht das Schlafzimmer zu ihrer Festung. Wenn der Mann über das Geld, seine Freundschaften, seine Kinder entscheidet, auch darüber, wie oft er mit ihr schlafen will, bleibt ihr logischerweise als einziges die Entscheidung über ihren Körper und über ihre Gedanken. In einer Ehe, der es an echter Vertrautheit fehlt, mag die Frau dem Mann erlauben, mit ihr zu schlafen. Aber sie wird weder Lust dabei empfinden noch einen Orgasmus haben. Daß sie sich um ihr eigenes Vergnügen bringt, wenn sie während des Verkehrs an alltägliche Dinge denkt, kümmert sie nicht – sie ist befriedigt, daß sie ihren Mann das versagt, was er gern von ihr möchte: ihre Lust durch seinen Körper. Angst vor Intimitäten kann einem Partner dabei helfen, die Sexualität des anderen zu unterdrücken. Normalerweise besteht ein tiefverwurzeltes Bedürfnis, nach dem Orgasmus gehalten und gestreichelt zu werden – bei Männern und bei Frauen. Diejenigen, welche Nähe fürchten, rollen sich vielleicht sofort zur Seite, stehen auf, fangen an zu plaudern, als ob nicht gerade eine sexuelle Erfahrung geteilt worden wäre, oder schaffen irgendwelche anderen Umstände, die eine Distanz zwischen sie 195
und ihren Partner bringen. Je größer die Angst vor der Nähe und je stärker das Bedürfnis, beim Partner zu sein, desto eher wird solch eine verängstigte Seele einen Weg finden, die Beziehung in Frage zu stellen. Die Feststellung »Ich liebe dich, aber ich begehre dich nicht mehr« ist eine bittere Pille. Sex ist dann alles, was von der schwindenden Vertrautheit noch bleibt. Manche Paare behaupten, sie hätten ein wundervolles Sexualleben gehabt bis zur Eheschließung. Von da an ging es mit der Sexualität bergab. Solche Paare wurden in dem Glauben erzogen, daß vorehelicher Sex Sünde und verboten sei, und fanden ein außerordentliches Vergnügen daran, dieses Tabu zu brechen, bis sie heirateten. Männer, die den Komplex von der »Heiligen« und der »Hure« mit sich herumtragen, leiden vielleicht am meisten. Durch Heirat wird eine Frau zur »guten Frau«, das heißt zur »Heiligen«, und ihr Status erhöht sich noch, wenn sie Kinder zur Welt bringt. Und dann ist sie auf einmal zu »rein« für Sex. Um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, sucht der Mann außereheliche Beziehungen mit »niedrigen« Frauen. Gewöhnlich geht im Kopf eines solchen Mannes folgendes vor: er identifiziert seine Frau unbewußt mit seiner Mutter und bringt so das Inzesttabu ins Spiel, welches ihn davon abhält, sexuelle Gefühle seiner Frau gegenüber in die Tat umzusetzen. Frauen mit harten oder kritischen Ehemännern verlieren an ihnen oft das sexuelle Interesse. Solche Frauen betrachten ihre Männer als autoritäre Vaterfiguren und haben für sie keinerlei sexuelle Empfindungen mehr. In seinem Buch Kinder einer Utopie beschreibt Bruno Bettelheim ein faszinierendes Phänomen bei Menschen, die in einem israelischen Kibbuz aufwuchsen. Selbst wenn es in der Kindheit sexuelle Spiele zwischen Jungen und Mädchen gab, fanden doch nie Heiraten zwischen solchen Paaren statt. 196
Bettelheim vertritt nun die Theorie, daß sie sich einem freiwilligen Inzesttabu unterwarfen. Dieses Tabu hielt sie im Erwachsenenalter davon ab, sich als Sexualpartner zu betrachten. Wir können diese Theorie auch auf uns anwenden. Viele heiraten, wenn sie fast noch Kinder sind. Sie wachsen zusammen auf, und über die Jahre hinweg entwickelt sich eine geschwisterliche Bindung, die Sexualität natürlich ausschließt. Wieder kommt das Inzesttabu ins Spiel. Man geht nicht mit seiner Schwester oder mit seinem Bruder ins Bett. Sind jedoch beide Partner psychisch gereift, wenn sie die Ehe eingehen, ist die Möglichkeit, daß so etwas passiert, geringer.
WARTEN AUF DIE EHE Dies ist der Traum von der vollkommenen Ehe: Zuerst wächst man zusammen auf, man wird zusammen erwachsen, dann wird man zusammen Eltern und schließlich dann Großeltern. Zur Jahrhundertwende, als die durchschnittliche Lebenserwartung ungefähr 47 Jahre betrug, war es selbstverständlich, mit 17 zu heiraten, schnell Kinder zu bekommen – viele Kinder – und sein Leben bis zum Tod gemeinsam zu verbringen. Heute liegt die durchschnittliche Lebenserwartung um ein Vielfaches höher. Immer mehr wird es zu einem Prüfstein der Treue, zusammenzusein, »bis daß der Tod uns scheidet«. Wahrscheinlich müßte diese Formel umgeschrieben werden in »bis daß der Tod unsere Gefühle scheidet«. Sir A. Levitan und Richard S. Belous drücken es in ihrem Buch Was geschieht mit der amerikanischen Familie? so aus: »Wenn die ehelichen Gelübde sich nach den Tatsachen (Scheidungszahlen) richten würden, müßte mindestens ein Drittel aller Hochzeitspaare das Versprechen ›Bis in den Tod‹ umändern in ›Bis daß wir unsere Partner wechseln‹. Obwohl die 197
Gesellschaft Experimente erlaubt und toleriert, bevorzugen anscheinend die meisten Menschen den traditionellen Ehevertrag mit all seinen Verpflichtungen und Zwängen.« Das Problem liegt nicht darin, daß wir uns für das traditionelle Wertesystem der Familie entscheiden, sondern darin, daß wir in allzu jungem Alter uns ins Familienleben stürzen. Unsere Eltern wollten, daß wir Kinder sein sollten, die vom Lauf der Welt nichts wissen. Mit sechzehn mußten wir einen Verlobungsring am Finger haben, mit einundzwanzig verheiratet sein, oder wir galten schon als alte Jungfern, zumindest waren wir auf dem besten Weg dahin. Wir waren also, als wir heirateten, Kinder – kaum informiert und übermäßig behütet. So experimentierten wir, zwei junge Menschen mit wenig sexueller Erfahrung, herum und versuchten, das Geheimnis dieser »heißen Sache« Sexualität, zu ergründen. Ein Jahr später oder zwei waren wir noch immer Kinder, die schon ihre eigenen Kinder hatten. Die Hochzeit war ein Ritus auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Sie sollte uns Weisheit und emotionale Stärke verleihen. Eine neue Familie wurde gegründet, in der die alten Fehler, die unsere Eltern in ihrem Leben gewöhnlich machten, vermieden werden sollten. »Weißt du noch, was für einen Anfall deine Mutter bekam, wenn das Geschirr nicht sofort nach dem Essen abgespült wurde... wie dein Vater eine Abrechnung über jeden Pfennig wollte, den er dir gab?« Durch unsere Heirat entkamen wir den elterlichen Fesseln, körperlich zumindest, und versuchten, Neues auszuprobieren, so gut wir konnten. Und auf einmal sind die zwei Jahrzehnte zwischen der Hochzeit mit Zwanzig und der Unzufriedenheit oder Verwirrung mit Vierzig auch schon vorbei. Es ist, als würden diese zwanzig Jahre, vor denen die Kindheit liegt und hinter denen das Alter wartet, von riesigen Klammern zusammengehalten. In diesen zwanzig Jahren wußten wir nicht 198
wer wir sind. »Ich traf den Mann, den ich später heiraten sollte, als ich noch zur Schule ging. Ich kannte ihn nicht, aber das spielte keine Rolle«, berichtete Debby. »Ich wollte nur weg von zu Hause und mir durch einen Ehemann einen gewissen Wert verschaffen. Einige von Lou's Freunden heirateten jung -Neunzehn- oder Zwanzigjährige, die sich dachten: ›Warum nicht?‹. Also beschloß ich, ihn zu drängen. Lou würde nicht der erste sein aus seiner Clique, der heiratete, und ich wußte, er würde auch nicht der letzte sein wollen. Wir heirateten also. Ich war neunzehn, Lou war einen Tag über seinen einundzwanzigsten Geburtstag hinaus. Wir machten Pläne«, erzählte sie weiter. »Diese Ehe sollte stabil sein und uns beiden Sicherheit bieten. Ich war einverstanden, solange zu arbeiten, bis Lou beruflich mehr verdiente. Sex war in diesem ersten Jahr eine Katastrophe für mich. Ich hatte keine Ahnung, was da passierte und fürchtete mich, Fragen zu stellen. Eines war trotz allem wunderbar. Lou bemühte sich immer, Schwierigkeiten zu besprechen, es gab kein Herumbrüllen und unvernünftiges Anschreien. Ich war froh über den Frieden, in dem ich mit Lou leben konnte.« Debby's Geschichte begann bald der Geschichte vieler anderer Frauen zu ähneln. Sie fragte ihren Mann um Erlaubnis, wenn sie etwas tun wollte. »Ist es in Ordnung, daß ich Ros treffe?« (Oder »ein Taxi nehme?« oder »mir ein Kleid kaufe?«) Lous Ziele waren ihre Ziele. Sie sah ihn als beschützender Vater. Wie viele kluge Frauen, die sich selbst prüfen, verstand auch Debby nicht, warum sie mit ihrem Leben immer unzufriedener wurde, bis sie neununddreißig war – nach zwanzig Jahren Eheleben also. »Glücklicherweise hatte ich gut gewählt. Lou war in seinem Beruf erfolgreich und nach wie vor ein sehr guter Ehemann«, erzählte sie. »Je weiter er es brachte, desto schneller versuchte ich, aus mir die Frau zu machen, als die er mich haben wollte. 199
Manchmal kam ich seinem Ideal nicht so ganz nahe. In manchen Situationen war ich nicht intellektuell genug, in anderen nicht gut genug informiert. Ich wollte nur die Frau sein, die es ihm gemütlich machte, und war bereit, alles zu tun, um dies zu schaffen. Ich wollte nicht in einer Weise sprechen oder mich benehmen, die ihn in Verlegenheit gebracht hätte. Als wir ungefähr fünfzehn Jahre verheiratet waren, merkte ich, wie einsam ich war. Es war nicht Lous Schuld. Ich hatte auf Heirat gedrängt. Es war mir kein Opfer zu groß gewesen – aber ich wurde verbittert. Ich weinte jeden Tag, fühlte mich wütend und ausgeraubt – genau wie ich mich als Kind gefühlt hatte. Ich hatte jung geheiratet. Ich wollte aus dem Haus meiner Eltern weg, aber ich fand mich in einer anderen Art von Gefängnis. Kein Mensch hatte mich auf die Realität, die mich im Leben erwartete, vorbereitet.« Viele von uns hatten so eine Kindheit und ein scheinbares Erwachsenenleben in ihrer Ehe. Nie gab man uns die Möglichkeit, mit Sex, mit Berufszielen, mit Reisen oder gar mit Religion zu experimentieren. Es ist in Ordnung, nichts Neues auszuprobieren, solange auch die Gesellschaft dieselbe bleibt. Aber wenn sie sich ändert, kann man verstehen, daß ein Mensch diese Veränderungen kennenlernen möchte. Viele Frauen sprechen aus, was sie denken: »Ich bin nichts als jemandes Tochter, jemandes Frau und jemandes Mutter. Wo im Leben gibt es einen Platz, der ganz allein mir gehört?« Manche Frauen finden diesen Platz nicht, bevor sie 47 oder 50 Jahre alt sind. Das Problem besteht dann nicht darin, einen eigenen Platz zu haben, sondern darin, etwas damit anzufangen. Gewöhnlich haben wir wie in einzelnen Etappen gelebt: Kindheit, Ehe, Elternschaft, die Kinder verlassen das Nest, Selbstfindung durch eine Ausbildung oder einen Beruf. Vielleicht wäre es sinnvoller, einen anderen offeneren Zugang zum Leben zu wählen: Kindheit, Selbstfindung, 200
unterschiedliche sexuelle Erfahrungen sammeln, Ehe, weitere Selbstfindung, Elternschaft, stärkeres emotionales Wachstum, die Kinder verlassen das Nest, neue Ziele bestimmen. »Behalte deine Zwanzigerjahre dir selbst vor«, riet einer meiner Freundinnen ihr Vater. Er meinte, sie sollte mit dem Heiraten warten, bis sie mindestens dreißig war und sich eine gewisse Vorstellung davon machen konnte, was das Leben eigentlich sei. »Ich fand, das war eine radikale Philosophie für einen Mann, der mit einundzwanzig eine ein Jahr ältere Frau geheiratet hatte – meine Mutter. Ich wuchs in den fünfziger Jahren auf. Damals heirateten die Mädchen nicht nur sehr jung, sondern rümpften die Nase über diejenigen von uns, die sich für ein eigenes Appartement und einen Beruf entschieden. Ich nahm den Rat meines Vaters an, denn ich wußte unbedingt, es würde immer jemanden zum Heiraten geben, sollte die Ehe mein Hauptziel sein. Ich schob es hinaus, bis ich achtunddreißig war. Es war zugleich ein Segen und ein ernstlicher Schock für mich. Vor allem wußte ich, wer ich war und was ich von einem Mann wollte, auf der anderen Seite war ich es, die aufhören mußte, nach eigenem Plan zu leben, die sich den Bedürfnissen eines anderen Menschen anpassen mußte.« In einem Magazin las ich interessante Interviews mit Frauen, die über fünfunddreißig waren, als sie das erstemal heirateten. Die Überschrift hieß: »Warum ich jetzt geheiratet habe.« Mario Thomas, in Sachen Ehe ein Spätzünder, schrieb über ihre Heirat mit Phil Donahue: »Als erstes mußte ich erkennen, daß eine Heirat nicht etwas ist, was einem zustößt, sondern etwas, das zwei Menschen gemeinsam gestalten können. Zum zweiten mußten sich die alten Vorstellungen über die Ehe ändern, damit Männer und Frauen sich nicht mehr schuldig fühlten, wenn sie sie brachen. Drittens mußte ich einem Mann begegnen, der auf einem anderen Weg zu denselben Schlußfolgerungen gekommen war...« Und Esther Margolis sagte über die Wahl 201
ihrer Männer: »Ich glaube, vor zwei Jahren hätte ich (Stan) links liegen lassen, weil er nicht wie die anderen Männer war, mit denen ich ausging. Ich war Männern wie Stan ausgewichen. Mir war nicht klar, wie stark sie waren. Ich habe wohl angenommen, es sei ein Zeichen von Schwäche, daß sie ihre Frauen so unterstützten.« Frau Margolis, die im Alter von 42 Jahren heiratete, beschreibt den Mann, den sie genommen hat, als jemanden, von dem sie zuerst glaubte, er sei »zu nett«. Wenn wir wissen, wer wir sind, ist es wahrscheinlich, daß die Männer, die wir wählen, auch wissen, wer sie sind. Sobald wir einmal dreißig sind, ist es vernünftig von einem Mann, uns zuzutrauen, daß wir finanzielle Dinge handhaben können. Außerdem haben wir zu dieser Zeit auch schon eine Reihe sexueller Begegnungen gehabt. Ein Mann muß also akzeptieren, daß es unsere Entscheidung ist, wenn wir jetzt das Bett mit ihm teilen. Nur dann hat die Sexualität jenen Platz, der ihr als Teil der Beziehung zusteht, und ist nicht der einzige Grund für eine Ehe. Und sollte unser Mann rohen Fisch mögen, während wir ihn ekelhaft finden, brauchen wir nicht zu befürchten, daß auf uns eingeredet wird, wir sollten ihn »zur Gesellschaft« probieren. Wir können auch »nur so« bei ihm sein, während er sich seinen Genuß gönnt. Das bedeutet, der Mann respektiert unsere Vorlieben und wir die seinen, wie unterschiedlich sie auch sein mögen. Aber heiratest du jung und paßt dich einem Mann an, wirst du bald entdecken, daß wenig von dir übrigbleibt, was du dein eigen nennen könntest. Wir sehen die Familie gerne als liebesspendenden, friedlichen Rückzugsort an, wo jedes Mitglied ohne die Spannungen des Lebens sein kann. In Wirklichkeit kann die Familie genausogut ein Ort der Gewalt sein. Wie Studien zeigen, treten Gewalttätigkeiten mit größerer Wahrscheinlichkeit in Familien auf, in denen eine Person die Macht in Händen hat und alle Entscheidungen trifft. Dagegen zeigen demokratische 202
Haushalte, in denen am Entscheidungsprozeß alle beteiligt sind, deutlich weniger Gewalttätigkeiten. Also kann man bei einer Heirat auf partnerschaftlicher Ebene mit weniger Gewalt rechnen. Wenn man aber auf einer ElternKind-Ebene heiratet – der Mann in der Eltern-Rolle, die Frau in der Position des Kindes – und sich unabhängig zu machen versucht, ehe der Partner zustimmt, wächst die Gefahr der Gewalt. Mit ihr wollen manche Männer ausdrücken: »Ich habe sehr viel in diese Beziehung investiert, und jetzt fürchte ich, dich zu verlieren – an einen anderen Mann, an einen Beruf, oder an irgend etwas anderes, das dich verlockt.« Stört die Frau den neurotischen Charakter einer Beziehung, so bekommt der Mann womöglich Angst, seine Macht zu verlieren. Die wenigsten Menschen bleiben taktvoll, wenn sie ihre Macht verlieren. Ehen zwischen zwei Erwachsenen gehen mit viel höherer Wahrscheinlichkeit gut, denn es gibt weniger Machtkämpfe und kein so starkes Bedürfnis, Streitfragen mit Gewalttätigkeiten zu klären. Erwachsenen-Ehen lassen beständige Veränderungen der Beziehungen zu. Indem man sich eine Chance gibt, vor der Ehe Erfahrungen zu sammeln, beginnt man diese Gemeinschaft mit mehr Wissen darüber, wer man selbst ist und was man von einem Partner braucht. Wenn du weißt, wer du bist und auch finanziell für dich sorgen kannst, setzt du dich selbst und deinen Partner weniger unter Druck. Warte mit dem Heiraten, bis du weißt, daß du dich gefunden hast, dann werden deine Möglichkeiten, sexuelle und emotionale Erfüllung zu finden, größer. Wer die Ehe erwartet wird reif für die Ehe.
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8. Wenn er dich »Schlampe« nennt, sag »Danke« »Vor langer Zeit hielten die Männer Frauen für eine Art von Dschungelkatzen, bereit, sich gegenseitig zu zerreißen, wenn sie bei seltenen Gelegenheiten – wie zum Beispiel bei BridgePartien – ohne ihrem Dompteur ausgehen durften. Die Methode war einfach: Entzweie und erobere; halte die Mädels in Atem; solange sie sich gegenseitig die Augen auszukratzen versuchen, merken sie nicht, wer den Käfig verriegelt.« Anne Beatts, aus »Women, Friendship, an Bitchiness«, einem Artikel in VOGUE. »Männer beunruhigt die Vorstellung, Frauen könnten sie vielleicht besser durchschauen. (Männer) können ziemlich sichersein, daß ihnen ihre männlichen Kollegen den entsprechenden Respekt innerhalb der Hierarchie zollen; darüber hinaus nehmen diese sie kaum als menschliches Wesen wahr und können so ihre körperlichen oder emotionalen Besonderheiten besser akzeptieren oder ignorieren. Würde eine Frau sie nicht deutlicher wahrnehmen? Michael Korda, Power! How to Get It, How to Use It. Berufstätige Frauen oder jene, die daran denken, beruflich einen neuen Anfang zu machen, haben wohl gute Absichten; aber bevor sie ihr Ziel nicht klar umreißen, müssen sie mit Ärger rechnen. Es gibt Fatalistinnen unter ihnen, die nehmen, was sich ihnen bietet. Es mag der falsche Job für sie sein, aber er gibt 204
ihnen jedenfalls Sicherheit. Andere Frauen hängen Wunschträumen nach, hören schon den künftigen Beifall, aber wissen nicht, wie sie zum Erfolg kommen können. Hier ein Beispiel, wie man eine neue Karriere nicht anpacken sollte. Sarah hatte die Idee, in einer beliebten Einkaufspassage eine Gesundheits-Imbiß-Stube zu eröffnen. Die Gäste sollten an Theken sitzen, es gab weder Kellner noch Kellnerinnen, auch keinen Küchenchef (also auch keine Küche), sondern nur schnell zubereitete Salate, Getränke und Joghurt-Speisen. Alle Gerichte sollten von ein paar Hilfskräften hinter den Theken zusammengestellt werden. Sarah wollte ihren Beruf als Sozialarbeiterin nicht aufgeben, bis sie mit ihrer Salatstube Erfolg hatte. Falls alles gut lief, konnte sie immer noch voll einsteigen oder einen Teil der Gewinne in ein ähnliches Projekt investieren. Bis dahin aber, so beschloß sie, brauchte sie einen Partner. Sie sprach mit Louise, einer Frau, die von Beruf Diätassistentin war. Louise war von der Idee begeistert, hatte aber ein paar Vorschläge, wie man Sarah's Konzept »verbessern« könnte: Sie war gegen die Einkaufspassage. Warum nicht einen großen Tennis-Club als Standort nehmen? Wenn es aber ein Tennis-Club sein sollte, dann – so sagte Louise und bewies, wie logisch sie dachte dann wollten die Gäste nicht an Theken sitzen. Also Tische! Das hieß natürlich, man muß Kellnerinnen einstellen. Aber vor allem die Männer eines Tennis-Clubs würden sich mit Salaten und Joghurt nicht zufrieden geben, sondern nach einem kräftigen Essen verlangen. Bis hierhin hatte Sarah's bescheidenes Erfolgsrezept für eine Gesundheits-Imbiß-Stube sich bereits zu einem detaillierten Plan für ein teures Restaurant ausgeweitet. Louise meinte, man brauchte einen dritten Partner, der Sinn fürs Praktische haben müßte. Sarah plante das Ganze teilweise zu finanzieren und einen Manager einzustellen – ihr Beruf erlaubte nicht, daß sie ganztags dort war. Louise, ebenfalls berufstätig, konnte den 205
Betrieb auch nicht beaufsichtigen. Sie suchten einen Partner, der alles am Laufen hielt und fragten Joanna, ob sie mitmachen wollte. Joanna hatte den Traum, eine zweite Julia Child zu werden, allerdings mit ungarischem Einschlag. Ihre Spezialitäten waren Gulasch und Sahnetorten. Und sie meinte: »Große Portionen sind wichtig!« Da Joanna für die Küche und die Organisation zuständig sein sollte, mußten Sarah und Louise sicher sein, daß sie mit Geld umgehen konnte. Joanna war zwar keine Buchhalterin, aber sie versicherte, sie habe ein gutes Gedächtnis für Zahlen und Rechnungen. Obwohl Joannas Finanzsystem auf Zufall und Improvisation aufbaute, waren Sarah und Louise damit einverstanden. Sie fanden einen Tennis-Club und schlossen mit dem Inhaber einen Vertrag ab, so daß sie das Restaurant dort einrichten konnten. Um sicherzustellen, daß der Eigentümer ihnen die Miete nicht erhöhte, war Sarahs Louises und Joannas nächster Schritt der, daß sie die Frau des Eigentümers, Liz hieß sie, einluden, ihr vierter Partner zu werden. Nun war Sarah schon weit weg von Karottenkuchen und Joghurtbechern. Jede der vier Frauen investierte 6000 Dollar. Von der Gesamtsumme, 24000, verschlang die Einrichtung schon 20000. Das Restaurant wurde Ende August eröffnet. Ende Oktober kündigte Liz an, sie werde demnächst mit ihrem Mann in ihren alljährlichen viermonatigen Urlaub nach Florida fahren. »Das Geschäft«, meinte sie, »hält mich nicht davon ab. Ich verbringe den Winter immer in Florida, und dieses Jahr wird es nicht anders sein.« Ungefähr zur gleichen Zeit machten sich die drei anderen Partner Sorgen um die Gewinne – es gab nämlich keine. Das Lokal war bekannt und bot eine zwar kleine, aber ziemlich gute Auswahl von Gerichten, aber der Gewinn blieb aus. Joanna, Küchenchef und Manager, war am meisten entsetzt. Ihr Finanzsystem funktionierte gewöhnlich, wenn sie 206
auch jedesmal lange suchen mußte, um die Rechnungen der Lebensmittellieferanten zwischen allen anderen zu finden. Louise, noch als Diätassistentin beschäftigt, ärgerte sich am meisten. Sie beschimpfte Joanna, nannte sie einen Dummkopf und stürmte aus dem Restaurant. Sarah, die noch am besten die Nerven behielt, versuchte Joanna bei ihrem Papierkram zu helfen – das heißt, wenn Joanna die Unterlagen fand. In gewisser Weise veranschaulicht das originelle Quartett, was gut und was schlecht ist, wenn Frauen im Geschäftsleben herumpfuschen. Insgesamt hatten sie 24000 investiert, acht Monate später waren sie mit 48 000 verschuldet. In weniger als einem Jahr verloren sie 72000, eine Schuldensumme, die hauptsächlich zustande gekommen war durch die schlechte Geschäftsführung, durch mangelnde Zusammenarbeit und durch Egoismus. Jede hatte eine andere Vorstellung, das Projekt mit dem Restaurant mußte schiefgehen, weil es keine Zusammenarbeit gab. Im November brach Joanna unter dem Druck zusammen, war nur noch ein nervliches Wrack. Im Dezember war das Restaurant-Projekt um zwei Partner ärmer. Sarah und Liz suchten fieberhaft nach jemandem, der den Betrieb weiterführte. Im folgenden April hatten sie wieder 48000 Dollar Schulden. Sarah sagte: »Wenn ich jetzt zurückschaue, erkenne ich, daß wir alle nicht verantwortungsvoll miteinander umgingen, obwohl wir ein gemeinsames Ziel hatten – wir wollten ein Restaurant eröffnen. Keine von uns wußte, wie wir dieses Ziel erreichen sollten; wir übersahen auch den Punkt, an dem wir hätten aufgeben und die Tür mit Würde schließen sollen. Unser schlimmster Fehler war: Wir stürzten uns in ein Geschäft, von dem wir nichts verstanden, wir hatten nicht einen Schimmer von Erfahrung.« Zur mangelnden Erfahrung stellt Carola Hyatt in ihrem Buch Frauen & Arbeit folgendes fest: »Leute, die blind fliegen, 207
stürzen ab. Du mußt bereit sein, dir Zeit für eine Lehre zu nehmen, damit du weißt, was du tust, wenn du allein fliegst... Die beste Idee der Welt verwandelt sich in einen Alptraum, wenn man vergißt, seine Hausaufgaben zu machen und sicherzustellen, daß man von dem, was man tun will, auch leben kann. Die Begeisterung setzt sich oft über den gesunden Menschenverstand hinweg... Die Leute, die ihre Motivation nicht genauso sorgfältig untersuchen wie die Marktlage, gehen bankrott.« Und über Geschäftspartner sagt sie: »In vielerlei Hinsicht ist ein Geschäftspartner dasselbe wie ein Ehepartner. Man muß fähig sein, im Alltag sehr eng zusammenzuleben... Obwohl die irritierenden persönlichen Angewohnheiten deines Partners wirklich nicht deine Sache sind, mußt du immerhin dafür sorgen, daß sie eure Beziehung nicht beeinträchtigen, wie du es in einer Ehe auch tun würdest.« Eine Binsenwahrheit, die auf Sarah's geschäftliches Abenteuer und auf viele ähnliche Fälle paßt, ist die, daß Frauen andere Frauen nicht unterstützen. Dieser Mangel an gegenseitiger Hilfe hat, ebenso sehr wie die Unerfahrenheit, ihr Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Noch vor zwanzig Jahren etwa hätten sich viele Frauen lieber den Kopf kahlgeschoren, als in einem rein weiblichen Team ein konstruktiver Partner zu werden. Obwohl sich die Gefühle von Frauen füreinander von Mißtrauen und Rivalität offensichtlich zu Mitgefühl und Hilfsbereitschaft hin verändert haben, fielen Sarah und ihre Geschäftspartnerinnen in die alten Klischees von weiblicher Zusammenarbeit zurück. Das Restaurant war kein Geschäft mehr, sondern wurde Kulisse für einen harten Kampf. Jede blutete. Rivalität wird sogar bei Frauen, die als Gleichberechtigte zusammenarbeiten, zum Problem. Ein noch stärkerer Konkurrenzkampf läßt sich zwischen Frauen beobachten, die 208
bereits Erfolg haben, und jenen, die noch auf dem Weg dahin sind. Erfolgreiche Frauen haben oft keine Lust, die Talente anderer Frauen, welche erst auf dem Weg nach oben sind, zu unterstützen. Und diejenigen, die auf dem Weg nach oben sind, verhalten sich oft nicht fair gegen die auf dem Gipfel. Sandy hat eine leitende Stellung in einer Werbeagentur. Während des letzten Jahres hatte sie Angebote von anderen Firmen erhalten und überlegt, ob sie wechseln sollte. Wenn jemand in einer guten Stellung offen oder versteckt andeutet, sie habe noch bessere Möglichkeiten, wird der gegenwärtige Arbeitgeber oft mit ihr verhandeln. Man wird etwa sagen: »Wir hören, daß Sie andere Angebote haben. Wir möchten Sie gerne bei uns behalten, also reden wir darüber, was Ihnen nicht gefällt und was Sie möchten.« In Sandys Fall wurde nicht mit ihr geredet. Die Firma stellte eine jüngere Person ein, die Sandys Position übernehmen sollte.« Sandy hatte zuerst nicht gewußt, daß Iris eingestellt worden war, um sie zu ersetzen. Sie erfuhr davon durch das Getratsche im Büro. »Natürlich ging ich zu meinem Chef«, erzählt Sandy, »und fragte ihn, warum er mich hinausdrängen wolle. Er stritt das ab. Ich bin lange genug im Geschäft, um zu merken, was da vorgeht. Ich sehe, wie Iris ausgebildet wird. Vor allem eines ist verdächtig: Iris spricht überhaupt nicht mit mir. Sie ignoriert mich, außer sie braucht etwas, das einen Kunden betrifft. Warum sollte sie sich so verhalten, wenn sie nicht Mitglied dieser Firmenverschwörung wäre? Sie käme in Verlegenheit, wenn sie mir ins Gesicht sähe, weil sie weiß, daß sie meinen Platz übernehmen wird, wenn ich weggehe. Ich glaube, sie hat sich von der Firma kaufen lassen mit dem Versprechen, in meine Position befördert zu werden, sobald mein Vertrag abläuft, in einem Jahr also. Nun ist sie unerträglich selbstzufrieden.« Sandys Denken weicht vom Denken der Firma ab. »Mein 209
Chef hat mich gebeten, Iris' Arbeit zu kritisieren, um mir zu helfen, hieß es. Aber das mache ich nicht. Sie schlagen vor, ich solle ein guter Mitspieler sein und Iris den Platzvorteil lassen. Wenn ich Iris' Arbeit verbessere, schneide ich mir natürlich ins eigene Fleisch. Obwohl es nicht ausgesprochen wird, sagt mir die Firma: ›Sind Sie nicht Mitglied dieser Firma? Und wenn Sie das sind, warum wollen Sie Iris nicht hochkommen lassen? Neue Talente tragen zum Wachstum der Firma bei. Wollen Sie die Firma nicht wachsen sehen?‹ Sicher will ich das, aber nicht ohne mich, und nicht mit Iris an meinem Platz.« Sandy erzählt weiter: »Daß die Firma das alte Spiel gespielt hat, Frauen gegen Frauen aufzuhetzen – ein tödlicher Fehler. Vielleicht finden sie, daß ich mir allmählich zu viel herausnehme, und wollen mir jetzt zeigen, was für eine kleine Nummer ich eigentlich bin, indem sie jemanden für meinen Posten ausbilden. Weil sie Iris deswegen angestellt haben, sehe ich keine Veranlassung, ihr dabei noch zu helfen. Wenn mich die Leute fragen, was ich von Iris halte, sage ich immer, daß ich sie schrecklich finde. Aber ich würde keinen Finger krumm machen, um ihre Fehler zu korrigieren.« Iris beging einen großen Fehler. Sie nahm an, daß Sandy schon halb draußen sei und es sich deswegen nicht lohne, sie als Freundin und Beraterin zu gewinnen. »Wenn sie eine gute Strategin wäre«, fügt Sandy weise hinzu, »würde sich Iris mit der Firma gut stellen und mit mir auch. Hätte sie einen Versuch gemacht, mir entgegenzukommen, ich hätte ihr die Beförderung in der Firma bestimmt nicht mißgönnt – falls es dazu gekommen wäre. Unter anderen Umständen wäre ich glücklich gewesen, als ihre Beraterin ihr zu helfen. Als älteres Mitglied des Personals hätte ich sie mit den Gesetzen der Firma vertraut machen können. Ich hätte ihr beibringen können, was sie alles wissen muß. So wie es jetzt steht, hat sie sich von den Versprechungen der Firma blenden lassen, aber ich verspreche 210
Ihnen, sie werden sie an die Wand drücken.« Iris beging einen typisch weiblichen Fehler. Wie Männer sich anderen Männern gegenüber beweisen wollen, so wollen sich die Frauen den Männern gegenüber beweisen. Hätte sie an sich selbst geglaubt, hätte sie sich den männlichen Stil, durch Intrigen vorwärtszukommen, nicht zu eigen gemacht und eine Verbündete für sich gefunden. Stattdessen ging Iris der Firma auf den Leim wie eine naive Neunzehnjährige. Mary Cunningham sagte in einer Ansprache im Commonwealth Club of San Francisco: »Sich einem Unternehmen anschließen ist dasselbe wie in eine Familie hineingeboren werden oder eine Staatsbürgerschaft annehmen. Mit dem Eintritt in die Firma übernimmt man neue Verantwortungen, vor allem die sehr ernste, stets zum Wohl des Betriebes zu arbeiten. Das entbindet einen nicht davon, sich an bestimmte Grundsätze zu halten. Dadurch werden auch die persönlichen Rechte des einzelnen nicht geleugnet. Sie werden nur ergänzt ... Ich bin überzeugt, sobald sich eine Vorstellung von der gemeinsamen Absicht gebildet hat, werden wir auch eine ganz neue Form der Zusammenarbeit aufbauen. Das Unternehmen wird menschlicher werden, mehr wie eine Familie sein – und das ist meiner Meinung nach notwendig, um der Tendenz zur Gleichgültigkeit entgegenzusteuern. Für eine Frau ist es riskant, diese Analogie zur Familie herzustellen – es beschwört sentimentale, stereotype Vorstellungen herauf, die nicht in die Geschäftswelt passen. Aber Familien haben während der ganzen Geschichte auch als wirtschaftliche Einheiten funktioniert. Und weil alle Mitglieder am selben Strang ziehen mußten, um zu überleben, wurde Zusammenarbeit zur Notwendigkeit.« Wäre Iris klug und menschlicher gewesen, hätte sie sich nicht von einem möglichen Bluff der Firmenleitung in die Falle locken lassen, sondern bedacht, daß ihren eigenen Interessen 211
durch die Übernahme von Sandy's Platz vielleicht gar nicht am besten gedient war. Iris hätte in Sandy eine wertvolle Verbündete und Ratgeberin finden können, wenn sie sich als Teil einer Familie betrachtet hätte. So wie die Dinge nun stehen, sind jedoch Sandy's Fähigkeiten für die Firma wahrscheinlich verloren, weil sie nicht weitergegeben wurden, wie das mit einem Vermächtnis innerhalb einer Familie geschieht. Und sollte Sandy, im Einvernehmen mit der Firma, doch bleiben, kann es sein, daß Iris auf der Straße steht. »Was, wenn ich mir ausbedinge, daß Iris gehen muß, damit ich bleibe?«, spekuliert Sandy. »Vielleicht feuern sie sie nicht gern, aber es kann sein, daß es ihnen noch lieber ist, sie zu verlieren als mich. Ich weiß nicht, ob ich imstande wäre, Iris hinauswerfen zu lassen, aber offensichtlich geht mir der Gedanke durch den Kopf. Ich habe immer gedacht, daß ein Mensch eigentlich seine Lektion über die Welt am besten durch Freundlichkeit lernt, aber jetzt weiß ich nicht mehr, ob das auch stimmt.« Sandys Chef und wahrscheinlich auch Iris halten Sandy zweifellos für ein Miststück, weil sie nicht mitmacht und aufgibt. Wäre Sandy kein Miststück, so wie sie das definieren gefestigt in ihrer Stellung, selbstsüchtig in ihrer Motivation, entgegen den Firmeninteressen handelnd, indem sie Iris nicht unterstützt –, dann müßte sie bereit sein, als »guter Kumpel« Iris Anwesenheit zu akzeptieren. Wie fühlt sich Sandy, wenn sie diese Bezeichnung hört? »Verärgert«, sagt sie. »Ich denke über meine Stellung mehr unter dem Gesichtspunkt nach, mich selbst zu schützen. Aber so ist es nun mal.« Ich möchte gerne noch eine andere Bedeutung für das Wort Miststück anbieten. Wenn das nächstemal im Büro ein Mann dieses »Miststück« ausspuckt oder es mit halbem Atem grade laut genug murmelt, daß zu zweifelst, ob du es überhaupt gehört hast, dann kannst du dir gratulieren, falls er dich gemeint hat. 212
Du hast ein Kompliment bekommen. Es bedeutet wahrscheinlich, daß du Kompetenz, Kraft und Durchsetzungsvermögen bewiesen hast. Deswegen fühlt der Mann sich unzulänglich und in die Ecke getrieben. Da er nicht darauf vorbereitet ist, sich mit einer Frau auseinanderzusetzen, die weiß, wovon sie redet, fühlt er sich bedroht, besonders, wenn sie ihm nachweist, daß er nicht recht hat. Fühlt er sich bedroht, steht seine Macht auf dem Spiel. Und wird dieses Spiel von einer Frau bestimmt, so ist sie, in seinen Augen, ein »Miststück«. Michael Korda schreibt in seinem Buch »Macht! Wie man sie bekommt, wie man sie gebraucht«: »Wenn man sie hart genug bedrängt, werden (Männer) auf Geld, Titel, große Büros verzichten – auf alles außer auf ihre Macht. Solange ein Mann das letzte Wort haben kann, wird es ihm vernünftig scheinen, alles andere aufzugeben, wenn auch nicht kampflos.« Die Frau, die auf ihrem Weg nach oben andere Frauen wohlüberlegt behindert und boshaft ist, die Frau, die sich schuldig gemacht hat, vorsätzlich die Karriere einer anderen Frau sabotiert zu haben, die Klatsch verbreitet, um sich ernsthafte Rivalen vom Leib zu halten, eine solche Frau ist in der Tat ein »Miststück«. Das ist nicht die Art Frau, an die ich mich wende. Solche Frauen müssen ihr Ringen um Macht vor ihrem eigenen Gewissen verantworten – und sehen, was es sie selbst und andere in ihrer Umgebung kostet. Ich wende mich vielmehr an die Frau, die ihre Arbeit versteht, die einen vernünftigen Begriff davon hat, was Macht ist und wie man sie gebraucht. Ein Mann wird bewundert, wenn er guten Geschäftssinn entwickelt. In der Industrie haben die Männer seit langem Größe gleichgesetzt mit der Fähigkeit, »harte Geschäfte durchzustehen«, »mit eiserner Faust zu regieren«, »die Ohren überall zu haben«, »ein zäher Verhandlungspartner zu sein«, 213
»zu sagen, wie es ist«. Was ist mit den Frauen, die solche Fähigkeiten besitzen? Männer halten immer noch an der Vorstellung fest, Selbstsicherheit und die Fähigkeit, logisch zu denken, seien biologisch determinierte Merkmale – männliche Merkmale. Die Frau, die es wagt, diese Vorstellung anzugreifen, ist deshalb ein »Miststück«. »Sie meint, sie weiß schon alles.« Tatsächlich mag sie, in den Augen eines Mannes, zu viel wissen, oder eben gerade genug, um seinen Job zu bekommen. Ein Mann mit so viel Macht, daß er einen anderen Mann zum Versager stempeln kann, ist eine Sache; eine Frau mit so viel Macht, daß sie ebenfalls einen Mann zum Versager degradiert, ist die schlimmste aller Kreaturen... ein »Miststück«. Dieser Meinung begegnet man nur zu oft. Ein Mann fühlt sich wohl enttäuscht, wenn eine Frau beweist, daß sie genauso tüchtig ist wie er in einem Bereich, den er als sein eigenes Territorium betrachtet. Es überrascht nicht, wenn er mit Zorn reagiert. Frauen haben jedoch eine Verpflichtung sich selbst gegenüber, ihre Fähigkeiten ganz und gar zu beweisen. Es ist nicht klug, wenn man versucht, Männer aus reinem Spaß zu übertreffen, aber eine Frau sollte sich selbst treu bleiben und ihrer Fähigkeiten sicher sein. Und sollte ein Mann merken, daß ihm seine Felle wegschwimmen, so ist das eben sein Pech. Idealerweise müßten die Qualitäten, die in der Geschäftswelt hochgeschätzt werden, so umdefiniert werden, daß sie sowohl auf Männer als auch auf Frauen zutreffen. Die Wahrheit sollte sein: Eine Frau kann konkurrieren und gleichzeitig weiblich sein. Niemand macht verächtliche Bemerkungen über einen männlichen Geschäftsführer, der am Tage »aus der Hüfte schießt« und sich abends bei der Familie zu Hause zärtlich und gefühlvoll gibt. Bei einer Frau reagieren viele aber noch ganz anders. Eine solche Frau gilt als sexuell frustriert, unnatürlich, unbarmherzig – ein »Miststück« also. Gut, wenn sie dafür, daß sie intelligent ist und erfolgreich arbeitet, »Miststück« genannt 214
wird, sollte ihre einzige Antwort sein: »Danke schön!« RAUS AUS DEM NEST Wenn eine »Vollzeit-Hausfrau« einen Beruf anfängt, muß sie in drei Punkten ihre bisherige Einstellung ändern: ihre Energien in eine ganz neue Richtung lenken, mit unbekannten Schwierigkeiten fertig werden, den Unterschied zwischen einem Job und einer Karriere begreifen. Einfach wird diese Umstellung nicht sein. Ich will versuchen, dabei zu helfen. Am einfachsten ist es, den Unterschied zwischen Job und Karriere zu erklären. Wenn du dich an einem Schreibtisch abmühst, die Minuten zählst, bis es endlich Freitag wird, und den Angestellten mit den Lohnlisten entdeckst, der mit einem Scheck in der Hand auf dich zuschlendert, dann hast du einen Job. Wenn du kein Interesse an der Geschäftslage deiner Firma hast, außer daß du hoffst, sie möge gewinnbringend sein, so daß du weiterhin freitags lächeln kannst, dann hast du einen Job. Wenn du keinen Ehrgeiz hast, deine Stellung zu verbessern, sondern nur Bestätigung und Dankbarkeit suchst, dann hast du einen Job. Wenn du Karriere machen willst, dann wachst du jeden Morgen auf mit dem Drang vorwärtszukommen. Eine Karriere ist so sehr Teil deiner Identität wie der Klang deiner Stimme oder die Art, wie du dein Haar trägst. Eine Karriere aber bedeutet, viele Stunden opfern und Verabredungen mit Freunden absagen. Es bedeutet auch, daß es Momente gibt, wo du für eine Arbeit bezahlt wirst, die du auch ohne Bezahlung sehr gern tun würdest. Eine Karriere hat mehr als einen Heimatort – man schließt sie nicht punkt fünf Uhr in eine Schreibtischschublade ein, um sie am nächsten Tag weiterzuordnen. Eine Karriere begleitet dich auf dem Nachhauseweg, zu Hause, während des Essens – ab und zu 215
sogar über das Wochenende. Ein Gefühl für die Richtung zu entwickeln – das heißt, herauszufinden, was du wirklich tun möchtest – ist schwieriger. Manche Frauen improvisieren, indem sie eine Reihe von Jobs annehmen, bis einer ihren Neigungen entspricht. Vielleicht ist bei einer Versicherungsgesellschaft gerade eine Stelle frei und man macht einen Eignungstest mit, obwohl man gar kein Interesse an Versicherungen hat. Manche Frauen besuchen Kurse wie »Mich selbst erforschen«. Solche Kurse können für Frauen, die noch keine Richtung haben, oft wertvoll sein. Im Rahmen dieser Kurse gibt es Eignungstests, die ihr Geld wert sind. Die Tests zeigen, welche Interessen und Fähigkeiten man hat. Nach einem solchen Kurs sollte man mit einem Berater sprechen. Folgende Fragen könnte er dir stellen: Was kannst du in deinem Alter noch erreichen? Wie ist deine häusliche Situation – die Finanzen, die Verpflichtungen Mann und Kindern gegenüber, die gemeinsamen Ziele von dir und deinem Partner? Falls du zu einer Entscheidung gekommen bist, kann sie sofort in die Tat umgesetzt werden? Eine Frau in den späten Dreißigern erzählte mir, daß sie beschlossen hatte, eine Rechtsanwaltsschule zu besuchen – allerdings hatte sie seit ihrem 22. Lebensjahr nicht mehr gearbeitet. »Ich war mir nicht sicher, wie ich es meiner Familie beibringen sollte«, sagte sie mir. »Sollte ich es sofort sagen, sollte ich sie erst ein paar Wochen vor Kursbeginn mit der Nachricht konfrontieren? Eine Sache war sicher – ich brauchte die finanzielle Unterstützung meines Mannes. Ich hatte etwas Geld von meinem Vater geerbt, aber es reichte gerade, um die Schule ein Jahr lang zu bezahlen. Ich beschloß, ihnen sofort zu sagen, was ich vorhatte. Mein Mann zeigte sich zuerst amüsiert über meinen Plan; er sagte: ›Du kannst dich ja nicht einmal selbst herausreden, wenn du in der Tinte sitzt. Wie, zum Teufel, willst du einen Klienten herausboxen?‹ Ich beherrschte mich 216
und antwortete: ›Vielleicht hast du recht. Wenn ich versage, dann war ich eben im Unrecht. Es wird dich keinen Pfennig kosten. Wenn ich aber nicht versage, hilfst du mir dann über die nächsten zwei Jahre hinweg?‹ Er sagte, das sei für ihn in Ordnung. Jetzt schließe ich mein zweites Schuljahr ab, und die Kinder und mein Mann sind ganz auf meiner Seite.« Nicht wenige Frauen betrachten einen Beruf oft als Strafe, so, als hätten sie ihr Leben für Geld verkauft. Virginia Valian, eine Psychologin, erzählt ihre Geschichte als berufstätige Frau, berichtet von ihrem Kampf, etwas zu erreichen, und davon, wie sie die Probleme schließlich löste. Sie schreibt: »Ich ging gewöhnlich mit gemischten Gefühlen zur Arbeit. Auf der einen Seite spürte ich Ärger und Unwillen, daß ich arbeiten mußte. Zum anderen hatte ich ein Gefühl von Kampf auf Leben und Tod – entweder würde ich die anderen umbringen, oder sie würden mich umbringen. Gewinnen bedeutete, das Leben derer zu verraten, die in den Augen der Welt als Versager dastanden; es bedeutete auch, daß andere neidisch und eifersüchtig auf mich waren, mich vernichten wollten. Den größten Teil meines Lebens war es so, daß ich weder ganz gewann noch ganz verlor. Ich war geschickt, aber ich erreichte nichts. Sobald du über Widersprüche, Unwillen und Ängste hinwegkommst, wirst du erkennen, daß Arbeit dein Leben bereichern kann. Du hast das Gefühl, eine Sache gut gemacht zu haben, einen erfolgreichen Tag gehabt zu haben. Du fühlst, du bist mehr.« Bevor Frauen das Nest verlassen, haben viele von ihnen keine Ahnung, was für sie besser ist: ein eigenes Geschäft aufbauen oder in eine Firma eintreten? Andere springen einfach ins »kalte Wasser« und gewinnen. Solch eine Frau ist Heidi Stein, ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie sehr es sich lohnen kann, seinem eigenen Stern zu folgen. Von der Geburt her Libanesin, kam Heidi mit 15 Jahren in die 217
USA; sie war kindliche Braut bei einer Heirat, die von ihren Eltern für sie arrangiert worden war. »In dem Kulturkreis, in dem ich aufwuchs, galt die ganze Erziehung der Vorbereitung auf die Ehe«, sagte sie. »Ich wuchs in einem Haus mit drei Brüdern auf, die tun konnten, was sie wollten. Ich hätte auch gern getan, was ich wollte. Als ich nach Amerika kam, änderte sich daran nur wenig. Mein Mann wollte mich als Frau vom alten Schlag, aber ich war mehr daran interessiert, mich zu befreien und Karriere zu machen. Hoffnung und Ehrgeiz hielten mich am Leben. Ich nahm an einem Friseurlehrgang teil, und das änderte mein Leben von Grund auf. Ich hatte meine Laufbahn gefunden. Als ich neunzehn war, beschloß ich, meinen eigenen Schönheitssalon aufzumachen. Ich hatte für einen anderen Salon gearbeitet und Geld gespart, aber nicht genug, um selber ins Geschäft einzusteigen. Mein Mann weigerte sich, mir seine Unterschrift für ein Darlehen zu geben, aber ich ging meinen Weg. Ich hatte mich mit dem Pächter der Tankstelle nahe bei unserem Haus angefreundet und bat ihn, für mich zu unterschreiben. Er tat es. Ich eröffnete meinen Salon. Sechs Monate später wurde er bei den Detroiter Krawallen niedergebrannt. Ich brauchte einen anderen Salon und ein anderes Darlehen. Ich ging zur Bank, diesmal auf eigene Faust, um mich zu erkundigen. Der Kredit-Beamte machte mich zur Schnecke. Ich verlangte nach dem Bankdirektor. Ich legte ihm dar, daß ich ein Geschäft führen und meine Schulden, die ich vom ersten Darlehen noch hatte, bezahlen könne. Ich bekam mein Geld. Nach drei Monaten hatte ich alle Schulden getilgt. Wenig später eröffnete ich einen neuen Salon. Jetzt besitze ich sieben Salons in Michigan und sieben andere, über das Land verstreut.« Heidi charakterisiert sich selbst als jemanden, der sich an ein Ziel gebunden fühlt, als eine Frau, die wegen ihres 218
Temperaments und Talents in einer Position sein muß, in der sie die Regeln aufstellt und nicht denen folgt, die andere ausgedacht haben. Sie ist eine typische Unternehmerin geworden. Ganz anders als Heidi war Zena. Geld bedeutete für sie alles. Sie war in einer Arbeiterfamilie geboren. Oft reichte das Geld nicht, um Brot zu kaufen. Mit Siebzehn heiratete Zena einen Mann, von dem sie glaubte, er könne ihr Sicherheit bieten. Aber auch sein Gehalt war zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben. Zwei Kinder mußten versorgt werden. Zena, jetzt einundzwanzig, wußte, sie mußte Arbeit finden, schon um ihrer Kinder willen. »Ich wollte nicht arbeiten, aber ich schwor mir, nie wieder arm zu sein. Ich hatte nur eine einfache Schule besucht und noch nie gearbeitet. Ich konnte nicht viel, aber wenn ich mich im Spiegel ansah, wußte ich, was ich hatte, ein gutes Gesicht. Ich arbeitete als Fotomodell. Reich wurde ich nicht; ich war nicht der Typ, der damals ›in‹ war. Ich suchte nach einem anderen Job, der mehr einbrachte und auch interessanter war als die Arbeit als Modell. Ich besuchte eine Schule für Radioansagerinnen. Man gab mir zuerst einen Job beim Rundfunk, dann wechselte ich zum Fernsehen über. Es war reines Glück – die Ansagerin einer Show hörte auf, und man fragte mich, ob ich ihre Nachfolgerin werden wolle. Nun verdiente ich gut, außerdem liebte ich meinen Job. Man machte mich sogar zur Sendeleiterin. Nach ein paar Jahren beim Fernsehen«, erzählt Zena, »traf ich einen Mann, der Geschäftsführer bei einer Werbeagentur war. Ich begann mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich brachte seine Sendung ins Fernsehen, hatte aber außerdem noch meinen Job als Sendeleiterin. Innerhalb von sechs Jahren war ich von einem Verdienst von 100 Dollar die Woche auf ein paar Millionen Provision im Jahr gekommen. Schließlich verließ ich das 219
Fernsehen. Nun lebe ich mit einem Mann zusammen. Wir wollen gemeinsam eine Werbeagentur gründen. Ich wundere mich noch immer darüber, daß ich meine Karriere überhaupt nicht geplant habe. Ich hatte einfach Glück, und ich nahm jede Chance wahr, um vorwärtszukommen. Ich betrachte neue Situationen als Herausforderung. Ich arbeite gerne, löse gerne Probleme – und freue mich natürlich, wenn der Erfolg nicht ausbleibt.« Ich fragte, was sie über Macht denkt. Sie antwortete: »Ich kann nicht viel dazu sagen. Ich fühle mich nicht mächtig, obwohl ich weiß, daß ich eine Machtposition innehabe. Für mich ist die Wahrheit über Macht die, daß sie mir erlaubt, eigene Entscheidungen zu fällen. Wenn sich meine Fähigkeiten verbessern, so gibt mir das die Möglichkeit, mein Leben auf meine Weise zu planen. Die Geschäftsleute nennen mich ›Samthammer‹, weil ich mich zwar sehr sanft gebe, aber unnachgiebig und aufrichtig bin. Eines aber weiß ich: Hinter all meinem Erfolg lauert die alte Angst, nicht genug zu haben. Es zwingt mich, nicht aufzuhören.« Nicht jede Frau, die Karriere machen will oder einen Job sucht und dann zufällig eine Karriere findet, hat den Ehrgeiz, ganz nach oben zu kommen. Meist geben sie sich mit mittleren Positionen zufrieden. Ein Titel auf der Visitenkarte bedeutet ihnen weniger als Verzicht auf ganz persönliche, private Interessen. Andere Frauen, die ganz von vorne anfangen, haben immer noch Probleme mit ihren Ehemännern. Ruth ist solch ein Fall. »Vor einem Jahr noch dachte ich überhaupt nicht an einen Job. Aber nun, da ich einen Job habe, wird meine Ehe zum Problem. Mein Mann sagte mir eines Tages sehr ernst: ›Die wirtschaftliche Situation ist schlecht, meine Geschäfte gehen nicht gut. Wenn du unseren jetzigen Lebensstandard beibehalten möchtest, wirst du etwas dafür tun müssen.‹ Ich war es gewöhnt 220
zu Haus zu bleiben bei meinem Sohn, der jetzt sechs ist, und mein Leben um ihn herum aufzubauen, mich um Mittag- und Abendessen mit Freunden zu kümmern. Die Idee, außer Haus zu gehen bedrückte mich. Schließlich aber kam ich zu der Überzeugung, es sei an der Zeit, erwachsen zu werden, für mich selbst zu sorgen, nicht nur von Tim abhängig zu sein. So suchte ich Arbeit und fand eine Anstellung in einem Bekleidungsladen in einer Einkaufspassage. Man brauchte mich nur drei Tage die Woche, und zum Glück waren meine Arbeitszeiten flexibel genug, daß ich kommen konnte, wenn mein Sohn zur Schule gegangen war, und ich gehen konnte, wenn die Schule aus war. Gut, es wurde nicht viel bezahlt dafür, aber was soll's? Es war ein Versuch – und ich glaube, ich machte meine Arbeit nicht schlecht.« Nach drei Monaten schlug man Ruth vor, Schaufensterdekorationen zu entwerfen und ab und zu als Vorführdame zu agieren. Sie begann, ihren Job zu lieben. »Da war ich nun eine Art von ›Supermammi‹«, sagt sie. »Ich hatte eine Beschäftigung, die etwas Geld einbrachte. Ich konnte Rechnungen bezahlen und auch noch etwas auf die hohe Kante bei meiner Bank legen. Natürlich kümmerte ich mich auch noch um den Haushalt – aber nicht mehr so wie früher, Tim konnte das alles kaum begreifen. Sein kleines ›Trottelchen‹, wie er mich zärtlich nannte, arbeitete und verdiente tatsächlich Geld. Und nun begann er sich plötzlich wie ein alter Patriarch zu verhalten. Auf einmal fing er an, Forderungen an mich zu stellen. Dieser Mann, der früher zu sehr in Eile gewesen war, um zu Haus zu frühstücken, dieser Mann verlangte nun von mir, ich solle Frühstück für ihn machen, bevor ich zur Arbeit eilen wollte. Und schlimmer noch: Ich war für ihn ›kein Vergnügen mehr‹. Auf einmal war ich eine ›lausige Partnerin beim Sex‹. In einem Augenblick der Enttäuschung und Verzweiflung fragte ich ihn, ob er die Scheidung wolle. Er sagte: ›Wenn du es willst, 221
mach's gleich und warte nicht. ‹« Tim war im Grunde ein sehr sachlicher Mann. (»Wir brauchen ja das Geld, das du verdienst.«) Nun aber wehrte er sich gegen die Unabhängigkeit seiner Frau. Er begann mit Vorwürfen, daß sie ihm gegenüber gleichgültig geworden sei. (»Warum bist du nicht da, wenn ich dich brauche? Wer kümmert sich ums Geld?«) Tim hätte nichts dagegen gehabt, wenn Ruth Geld verdient hätte, aber gleichzeitig wollte er, daß sie zu Hause blieb. In dieser Situation trat Ruth – wie viele Frauen in einer ähnlichen Lage – die Flucht nach vorne an. Sie beschuldigte Tim, Unruhe in ihr Leben zu bringen und drohte ihm mit der Scheidung – obwohl sie diese Scheidung nicht wollte. Aber sie hatte Gründe, die sie bewogen, ihren Job nicht aufzugeben: 1. Tim sollte sie nicht für ein »Trottelchen« halten, sondern für eine tüchtige Frau. 2. Tim könnte irgendein Unglück zustoßen. Dann könnte sie ihm mehr helfen, wenn sie einen Job hätte. 3. Statt sich auf dem Arbeitsmarkt durchboxen zu müssen, wenn sie in den Vierziger-, Fünfziger- oder Sechzigerjahren ist und es vielleicht weniger Möglichkeiten für Frauen ohne Berufserfahrung gibt, hat sie jetzt die Chance, ihre Fertigkeiten zu entwickeln, ohne dafür das Wohlergehen ihrer Familie zu opfern. 4. Sie wünschte sich, daß Tim sich freut, eine gleichwertige Ehepartnerin zu haben statt eine jemand, die von ihm abhängig ist. Schwierigkeiten ganz anderer Art hat Norma. Sie weiß nicht, wie sie sich richtig auf dem Arbeitsmarkt verkaufen soll. Ihr Mann hatte nichts dagegen, daß sie so erfolgreich wie nur irgend möglich werden wollte. Im Alter von 40 Jahren beschloß Norma, die während der vergangenen 15 Jahre ihrer Ehe stundenweise gearbeitet hatte, freiwillig für den lokalen Radiosender zu arbeiten. Man war beeindruckt von ihren organisatorischen Fähigkeiten und bat 222
sie, für einen krankgewordenen Sendeleiter einzuspringen. Norma lernte schnell; innerhalb weniger Monate übernahm sie sämtliche Aufgaben. Dann hörte Norma von einer freiwerdenden Stelle bei einer lokalen Fernsehanstalt. Obwohl sie mit Fernsehproduktionen keine Erfahrung hatte, meinte Norma, daß sie es mit einer Bewerbung versuchen könnte. Die Stelle, die zu vergeben war, betraf die Einbeziehung des Publikums bei Life-Shows. Man bat sie zu einem Vorstellungsgespräch, aber den Job erhielt sie nicht. Ich fragte sie, was sie gesagt habe. Norma erzählte mir, sie habe es nicht für unangebracht gehalten, in dem Vorstellungsgespräch zu erwähnen, daß ihre wirklichen Interessen der Sendeleitung gälten: »Ich sagte ihnen, wenn sie mir den von ihnen vorgesehenen Job gäben, würde ich zusätzlich und ohne Bezahlung noch für sie arbeiten, um zu lernen, wie man eine Fernsehshow produziert.« Norma war überzeugt, dies sei eine geniale Strategie. Aber sie lag falsch. Ein Unternehmen mag an deiner Bewerbung interessiert sein, aber man hört nicht gerne, daß du eine offene Stelle dazu benutzen willst, um eine wichtige Position zu erreichen. Genau das hatte Norma angedeutet. Wäre sie klüger gewesen, hätte Norma genau die Fähigkeiten verkauft, welche ihr ihre Stelle beim Rundfunk eingebracht hatten – sie konnte koordinieren, und zwar ausgezeichnet. Das Ziel des Vorstellungsgesprächs war, diesen Job zu erhalten, aber nicht, sich einen besseren zu erhandeln. Jane Adams gibt uns in ihrem Buch Frauen ganz oben einen guten Ratschlag: »Erfolgreiche Frauen sprechen darüber, was sie beruflich erreicht haben, aber nicht über berufliche Träume, die sie haben.«
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EIN PAAR WORTE ÜBERS VERSAGEN »Lieber möchte ich ein Versager sein, als nicht zu den Größten zu zählen«, schrieb der Dichter John Keats in einem Brief. Viele mögen das gleiche denken wie Keats, der tatsächlich zu den Größten gehörte. Er dachte in Extremen – entweder groß sein oder ein Nichts. Er hatte Glück. Die Furcht zu versagen, ist für manche Frauen so groß, daß sie eine Aufgabe (eine Beziehung, eine Diät) lieber nicht übernehmen und vorziehen, zu bleiben, wo oder wie sie sind, nur um keine mögliche Niederlage in Kauf nehmen zu müssen. Wenn sie Mißerfolg haben, schreiben sie ihn sich selber zu. Erfolgsgeschichten sind zum Teil immer auch Geschichten von Fehlschlägen: ein verlorener Job, eine verpaßte Gelegenheit, ein finanzieller Rückschlag, falsche Zeiteinteilung, schlechte Organisation, für eine Beförderung übersehen werden, irgendwie einfach nie genau für den Job geeignet sein, den man haben möchte. Geschichten von Mißerfolgen, die Leute erzählen, die sich vor dem Versagen fürchten, beinhalten selten Geschichten von Erfolgen: aus der Erfahrung lernen, die eigenen Grenzen und Fähigkeiten erkennen lernen, das Gelernte gebrauchen, um das nächstemal etwas zustande zu bringen, Instinkt entwickeln, wenn man vorwärts gehen soll und wann es besser ist, auf der Stelle zu treten. Erfolgsgeschichten rufen sowohl Bewunderung als auch Neid hervor. Wahre Erfolgsgeschichten handeln gewöhnlich von geistig oder körperlich beeinträchtigten Personen, die auf irgendeine bemerkenswerte Weise über ihr Unvermögen triumphieren. In »Bearbeiten« legt Virginia Valian dar, daß sie manchmal sich einbildete, körperlich behindert und doch erfolgreich zu sein. »Denn wer könnte«, schreibt sie, »dann noch eifersüchtig auf mich sein, wenn ich vom Hals an abwärts gelähmt wäre?« Erfolgsgeschichten von Leuten, die nicht unglücklicher sind 224
als wir selbst, rufen im allgemeinen Neid hervor. Und das ist gut so. Das Problem besteht darin, daß wir uns im Vergleich zu denen, die erfolgreich waren, als Versager betrachten. Viele Frauen, die Angst haben, zu versagen, halten sich psychisch für behindert. Aus diesem Grund machen sie keine Anstrengungen mehr. Viele glauben sich vor Erfolg und Mißerfolg geschützt, wenn sie nicht mehr versuchen, etwas zu erreichen – sie balancieren auf einem schmalen Grat, bewegen sich vorsichtig, um ja keinen zu offensichtlichen Erfolg zu haben und auch nicht zu deutlich sichtbar als Versager dazustehen. Sie bleiben, wo sie sind, und brauchen so nicht auszuprobieren, wie weit ihre Fähigkeiten reichen, brauchen sich nicht einer dauernden Furcht zu stellen, daß sie den Maßstäben eines anderen nicht genügen. Sie gehen über den Punkt, an dem sie zufällig stehen, nie hinaus, können dann natürlich auch nie erfahren, ob sie vielleicht nicht zum Versager, sondern zu einer sehr erfolgreichen Person werden. Am Anfang dieser Furcht vor Mißerfolg steht die Vorstellung, eines Erfolgs gar nicht würdig zu sein: »Wenn sie merken, daß ich das eigentlich gar nicht kann, ist es aus mit mir!« – »Wie komme ich zu dieser Auszeichnung? Ist das Komitee verrückt?« – »Es war reines Glück, daß ich befördert wurde.« Unsere Einstellung zum Erfolg wird beeinflußt von starken Gefühlen der Unsicherheit. Manche Theoretiker vermuten, daß die Angst vor dem Versagen und die Angst vor Erfolg austauschbar sind. Erfolg, das schließt Verantwortung, Anspannungen, Herausforderungen, sekundenschnelle Entscheidungen ein. Wird diesen Erfolgs-Bedingungen nicht Rechnung getragen, ist Versagen die Konsequenz. Erfolgreiche Leute haben ausnahmslos eine treibende Kraft in sich, die sie zu ihrer Suche nach Erfolg motiviert – Anerkennung, Reichtümer, ein Bedürfnis, hervorragend zu sein, die Liebe zu erfüllter Arbeit, 225
sogar Rachsucht. Wenn die Triebkraft groß genug ist, bedeutet eine vorläufige Niederlage nicht das Ende des Kampfes. Man rüstet sich wieder zum nächsten Gefecht. Menschen, die davon überzeugt sind, Versager zu sein, werden unfähig sein, eine Erfolgschance, sollte sie sich ergeben, wahrzunehmen, und sich unbewußt selbst ein Bein stellen: »Schlußtermine haben mir schon immer zu schaffen gemacht.« – »Ich wäre groß herausgekommen, wenn da nicht meine Unfähigkeit wäre, irgendwelche Zeiten einzuhalten.« – »Nie sagt mir einer, wie ich's machen soll. Man kann nicht von mir erwarten, daß ich es selbst herausfinde.« – »Ich mache doch keine Überstunden für die unsichere Möglichkeit, befördert zu werden. Sie wollen mich ja nur ausbeuten.« Eines habe ich im Leben gelernt: Wenn du einen Platz in der Sonne willst, dann mußt du auch mit einem Sonnenbrand rechnen. Willst du auf deinem Weg etwas erreichen, wirst du erfahren, daß kleinere Verbrennungen rasch heilen. Die größte Schwierigkeit, die sich den Frauen stellt, liegt darin, sich für Unabhängigkeit zu entscheiden; und sie ist eine Vorbedingung für Erfolg. Unabhängigkeit bedeutet, daß andere nicht länger bestimmen können, wer du bist – du weißt, wer du bist. Das braucht Wagemut. Susan B. Anthony sagte: »Behutsame, vorsichtige Leute, die stets darauf bedacht sind, ihr gutes Ansehen zu wahren, können keine Verbesserungen bewirken. Die, welche ernsthaft alles oder nichts wollen, sei es öffentlich oder privat, bekennen ihre Sympathie für tiefere Ideen und sind bereit, die Konsequenzen zu tragen.« Die Dinge voranzutreiben und dein Leben zu verbessern, erfordert immer Mut. Aber wenn du Vertrauen in dich selbst hast – und das kannst du entwickeln –, können keine »behutsamen, vorsichtigen Leute« dich aufhalten. Es steht in deiner Macht, mehr zu sein, und niemand weiß das besser als du! 226
9. Normal bleiben in einer verrückten Welt »Kurz gesagt: Leute mit Selbstachtung legen eine gewisse Zähigkeit an den Tag, haben eine Art moralischer Kraft. Sie entfalten etwas, das früher einmal Charakter genannt wurde; diese Qualität wird rein theoretisch zwar begrüßt, verliert manchmal aber an Stellenwert gegenüber anderen Vorzügen, die sich direkter umsetzen lassen. Ein Maß ihres sinkenden Prestiges ist, daß man dazu neigt, an sie nur noch im Zusammenhang mit schlichten Kindern und amerikanischen Senatoren zu denken, welche, vorzugsweise ganz am Anfang, von der Wiederwahl ausgeschlossen wurden. Nichtsdestoweniger ist Charakter – die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen – die Quelle der Selbstachtung.« Joan Didion, »On Self-Respect«, aus SLOUCHING TOWARDS BETHLEHEM. Gesund bleiben in einer kranken Welt, das ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Wir leben in unruhigen Zeiten, alles scheint in Fluß zu sein. Die Werte der Vergangenheit werden allesamt in Frage gestellt. Man sagt, die Welt habe sich während der letzten 50 Jahre stärker verändert als in der ganzen vergangenen Geschichte. Was ist wirklich passiert? Leben wir in einer Welt sterbender Werte, in einer Welt, in der ethische Grundsätze nicht mehr gefragt sind, und niemand mehr bereit ist, Verantwortung für seine oder ihre Handlungen zu tragen – in einer Welt, die durch Veränderungen so brüchig geworden ist, daß es keinen Zusammenhalt mehr gibt? Haben wir auf der Suche nach 227
Freiheit Grenzen überschritten, um dann nur Chaos zu finden? War unser größtes Mißverständnis das, menschliche Freiheit gleichzusetzen mit narzißtischer Zügellosigkeit und Absonderung, statt mit Verbundenheit den anderen gegenüber? Viele Menschen, denen ich begegnete, sind voller Angst, Unsicherheit und Selbstzweifeln. Das Buch mit den alten Lebensregeln gilt nichts mehr – mit jenen Lebensregeln, die verlangen, daß wir die Pflicht vors Vergnügen stellen, daß Erfolg aus harter Arbeit kommt, daß Sex rechtmäßigerweise in eine feste Beziehung gehört (bevorzugt die Ehe), daß es wichtig ist, erst die Hauptspeise zu verzehren, bevor man sich auf den Nachtisch stürzt. Aber im Kampf zwischen den alten und den neuen Werten haben einige von uns schwere Verwundungen davongetragen. Manche haben die Kontrolle über sich selbst verloren, wir laufen herum und »suchen nach uns selbst«. Wo bleibt bei all dem die Freiheit? Die Wahrheit ist, daß es sie nicht gibt. Und auch nicht das Glück. Wir alle haben Träume, die nie verwirklicht werden können. Werden wir uns auf dieser Spirale des Wahnsinns weiterbewegen oder zurückfinden zu einem gesunden Leben? Wir müssen wählen. Können wir uns noch einmal zu unseren traditionellen Vorstellungen von Liebe, Arbeit und Familie bekennen und unserem Leben einen Sinn geben? Jeder braucht einen Anker in seinem Leben; ein Gleichgewicht, das die Arbeit, die Familie und Bindungen an die Gemeinschaft mit einschließt. Über dieses Selbst-Konzept möchte ich gern ausführlicher sprechen. Ich weiß, daß es viele Dinge gibt, über die wir wenig oder gar keine Kontrolle haben. Allerdings weiß ich auch, es gibt vieles, was wir tatsächlich kontrollieren können. Für Frauen, die unabhängig werden wollen, ist die Fähigkeit wichtig, jene Dinge zu erkennen, über die wir Kontrolle haben. Es war mein Lebensziel, eine selbständige Frau zu werden – 228
eine Frau, die wenig braucht und vieles wünscht. Eine Frau, die von dem, was sie braucht, beherrscht wird, wird von anderen abhängig sein, um zu bekommen, war ihr fehlt oder wovon sie zumindest glaubt, es fehle ihr. Eine von ihren Wünschen motivierte Frau kann sich eigene Ziele vorstellen, sich Strategien ausdenken, um sie zu erreichen, und diese Strategien dann durchführen. Und warum trete ich so für die Unabhängigkeit ein? Wenn du über deine Bedürftigkeit hinauskommst und beginnst, nach deinen Wünschen zu leben, so bestärkst du dadurch dein Selbstgefühl und festigst deine Beziehungen zu anderen. Vor ungefähr drei Jahren hatte ich ein Gespräch mit meinem Rechtsanwalt, Michael Stein. Wir diskutierten darüber, daß Frauen Geld eher als Geschenk betrachten und nicht so sehr als Lohn für ihre harte Arbeit. Es ist meine Ansicht, daß eine gesunde finanzielle Planung zusätzlich zu einer sinnvollen Arbeit oder Karriere einer Frau ein gutes Maß an Stärke und Unabhängigkeit abverlangt. Ganz einfach gesagt, jede Frau sollte ein Konto eröffnen – ein persönliches Ruhestands-Konto. Das würde ihr soziale Sicherheit garantieren und sie gegen Zahlungsunfähigkeit schützen. Wenn du verheiratet bist, brauchst du es vielleicht um so dringender. Stell dir vor, du legst 2000 Dollar jährlich auf ein Konto, nur auf deinen Namen, so daß dein Mann das Geld nicht anrühren kann. Sollte es dann nach dreiundzwanzig Jahren passieren, daß eure Ehe auseinandergeht, hast du immerhin dein Konto auf der Bank. In dieser Zeit haben deine jährlichen 2000 Dollar Zinsen getragen und sind zu einer Summe von mehr als 50 000 Dollar geworden. Das ist eine Menge Trost, und er gehört dir allein. Michael und ich sprachen auch über Frauen, die zusammenarbeiten, und über die Probleme, die dabei auftauchen. »Frauen verstehen nicht«, sagte Michael, »daß Männer immer ein Team auf ihrer Seite hatten. Männer haben 229
schon immer Rechtsanwälte, persönliche Buchhalter, Kontakte gehabt. Sie wissen, zu wem sie gehen müssen, wenn sie etwas wollen, und wie man Geschäfte – persönliche oder berufliche – bei einem Drink über die Bühne bringt. Jetzt kommt es darauf an, daß auch Frauen lernen, solche Teams zu haben. Sie werden überrollt werden, wenn sie es nicht lernen.« Doch es wird nicht leicht sein, weibliche Kolleginnen für ein Team zu finden. Sind sie vertrauensvoll? Stehen sie wirklich auf deiner Seite? Werden sie erreichbar sein, wenn du unten bist, und dir nicht grollen, wenn du oben bist? Wir alle sind mit dem Wunsch aufgewachsen, eine Freundin zu haben, aber man hat uns auch beigebracht, daß im Falle eines Falles unsere beste Freundin nicht zögern würde, mit dem Mann, den wir lieben, auf und davon zu gehen, uns von einem Arbeitsplatz zu verdrängen, oder uns nicht zu verteidigen, wenn wir angegriffen werden. Ich sehe, daß die Frauen sich ändern, einander gegenüber einfühlsamer und rücksichtsvoller werden, aber immer noch macht sich dieses alte, eingefleischte Rivalitätsgefühl bemerkbar. Zum größten Teil arbeiten Frauen im Alleingang und wollen von einem Team nichts wissen – das haben wir schon auf Mutters Schoß gelernt. Wir rivalisieren, weil man uns beigebracht hat, es könne nur einen Gewinner geben – das heißt, nur eine Frau kann sich den Jungen angeln, nur eine Frau kann den guten Job bekommen. In diesen Zeiten müssen wir im Team arbeiten und lernen, zu geben und zu nehmen. Dann hätten wir Frauen Macht. Schließlich sind wir 52% der Bevölkerung. Weißt du von irgendeiner anderen Mehrheit, die wie eine Minderheit behandelt wird! Mit den Frauen wird das gemacht. Traurigerweise ermutigen die Frauen die Männer, sich gegen die Frauenrechtlerinnen zu wehren. Heutzutage haben die Frauen mehr als die Männer daran Schuld, daß wir ZweiterKlasse-Menschen sind. 230
Frauen halten andere Frauen klein, sabotieren sich gegenseitig, schwärzen sich an und weigern sich, einen einzigen Satz zu Papier zu bringen, der die Gleichberechtigung der Frau bestätigt. Ist das nicht Wahnsinn? Die Frauenrechtsbewegung wird zwar nicht alles ändern, aber ihr Versagen beweist doch: Wir trauen noch immer nicht uns und unseresgleichen. Wie es für alle Minderheiten charakteristisch ist, hat diese Haltung ihre Wurzel in unserem negativen Selbstbild. Wir haben zu viele negative Botschaften über uns selbst beachtet, sind unsicher geworden und haben das Gefühl, unbedeutend zu sein. Aber das sind wir nicht! Wenn wir uns von diesen negativen Botschaften lösen und unser Selbstwertgefühl entwickeln, werden wir auch aufhören, uns selbst zu zerfleischen. Wir können haben, was wir wollen. Ich wuchs in einer Familie vom alten Schlag auf und lernte eines dabei: Frauen müssen in die Muster passen, die für alle Frauen vor ihnen schon üblich waren. Ich sagte nein dazu. Als ich das erstemal in einer Fernsehshow auftrat (Die »Mike Douglas Show«), war meine Tochter sechzehn und mein Sohn zwölf. Ich war seit 17 Jahren verheiratet. Ich erschien in den letzten fünf Minuten der Show und unterhielt mich während dieser Zeit mit Otto Preminger. Als die Show ausgestrahlt wurde, hockte ich in meiner Bude in Detroit und meine Mutter sah von ihrem Wohnzimmer in New York aus zu. Ich rief sie an, sobald die Show vorbei war. »Na«, sagte ich, »wie hat es dir gefallen?« Die Antwort meiner Mutter war gut und schlecht zugleich. »Deine Show hat mir gefallen«, sagte sie zuerst. Dann fragte sie: »Wann wirst du endlich zu Haus bleiben und dich um deine Kinder kümmern?« Ich habe vor langer Zeit meinen Entschluß gefaßt: Ich wollte mein Leben wertvoll machen, wollte etwas Sinnvolles damit anfangen. Ich wollte nach meinen eigenen Gesetzen leben, meinen eigenen Weg bestimmen, meine eigenen Ziele 231
verfolgen. Natürlich war ich immer um meine Familie und ihr Wohlergehen besorgt. Ich habe ein hilfreiches Familien-Team hinter mir, und das ist, ehrlich gesagt, kein glücklicher Zufall. Über die Jahre hinweg habe ich mich bemüht, bei ihnen Verständnis für mich zu wecken und ein solches Team aufzubauen. Meine Kinder hatten nie eine Vollzeit-Mama. Mein Mann mußte wahrscheinlich zu oft allein zu Abend essen. Trotz alledem sind wir einander als Familie nahe geblieben. Immer haben wir gegenseitig unsere Ziele respektiert. Mein Sohn Scott, jetzt 22 Jahre alt, erzählte mir kürzlich, er wolle eine Frau mit starkem Selbstbewußtsein, mit Interessen und einem eigenen Beruf heiraten. »Ich will nicht dafür verantwortlich sein, meiner Frau das Leben nach Haus zu bringen.« Als ich das hörte, hatte ich das Gefühl, als Mutter und Freundin erfolgreich gewesen zu sein. Wie ich schon erwähnte, habe ich zu Beginn meiner Ehe meine Familie unterstützt. Ich wollte meine Kinder nicht der Fürsorge anderer überlassen, um arbeiten zu können, aber ich hatte keine andere Wahl, wenn wir überleben wollten. Ich denke jetzt an die Kindermädchen zurück, die ich einstellte, ohne etwas über sie zu wissen. Leute, die uns wunderbarerweise geholfen haben, ans Ziel zu kommen. Ich bedaure, daß ich nicht öfter mit meinen Kindern zusammen war, als sie klein waren, und – das ist die Wahrheit – ich habe es meiner Familie und mir selbst zeitweise schwer gemacht aus einem Schuldgefühl heraus. Ich war keine »gute« Mutter. Manche dieser Tage waren zum Verrücktwerden, total frustrierend. Manchmal kommen uns die trüben Tage vor, als ob sie nie enden wollten. Während solch schlechter Zeiten funktionieren wir nicht, sind unruhig, rücksichtslos, ängstlich, zerstreut. Wir glauben, wir könnten nicht weitermachen. Aber wir können und wir müssen. Wie? Das möchte ich jetzt beschreiben.
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TRÜBE TAGE ÜBERSTEHEN Man muß es akzeptieren: trübe Tage sind unvermeidlich. Wenn wir 75 Jahre alt werden, beträgt unsere Lebenszeit 27 393 Tage; so mancher trübe Tag wird darunter sein. Diese trüben Tage können viele Gründe haben: der Verlust einer Liebe, finanzielle Schwierigkeiten, Einsamkeit, Streit mit einem Partner oder einem Kind. Oder noch einige andere Beispiele: Zweifel an einem Partner, der schlaflose Nächte bereitet; Läden, in denen alles, was wir kaufen wollten, ausgegangen ist; von Fremden auf der Straße beleidigt werden; Zurückweisungen durch die, deren Anerkennung wir suchen – all die ungezählten Enttäuschungen des Alltags. In Grace Paley's Erzählung Interesse am Leben stellt die Heldin mit berechtigtem Ärger fest: »Mein Mann hat mir zu Weihnachten einen Besen geschenkt. Das war nicht nett. Keiner kann mir einreden, es sei freundlich gemeint gewesen.« Sie hatte zweifellos einen trüben Tag, und wir brauchen nicht erst selbst einen Besen und eine Müllschaufel geschenkt zu bekommen, um zu wissen, warum. Wenn trübe Tage rasch aufeinander folgen, scheinen sie sich endlos hinzuziehen, wir empfinden sie nicht mehr als Tage, sondern als Ewigkeiten: Werden die Kinder sich jemals beruhigen? Warum fallen uns auf einmal ständig Gläser aus der Hand? Warum stolpern wir auf der Treppe? Warum ist das Abendessen immer ein verkohltes Kuddelmuddel? Wird unsere Arbeit je etwas anderes sein als monoton? Wann werden die Dinge nach unseren Wünschen gehen? Keiner von uns kann Mißgeschicke hinwegzaubern. Ich nicht, und du sicher auch nicht. Und wenn wir in eine entfernte Ecke der Welt reisen wollten, um einen Weisen zu finden, der den Sinn des Lebens erkannt hat, gäbe auch er wohl zu – das möchte ich wetten –, daß er Tage voll Zweifel, Mühsal und geistiger 233
Unzufriedenheit kennt. Niemand kann in einem vollkommen glückseligen Zustand leben. Irgendwie aber muß man versuchen, mit den trüben Tagen fertig zu werden. Sehen wir uns einmal an, wie wir uns und andere an trüben Tagen erleben. Vor drei Fehlern müssen wir uns hüten: zu glauben, vollkommen zu sein, alles persönlich zu nehmen, sich als Opfer zu fühlen. Bist du ein vollkommener Mensch? Mit einer Alles-oderNichts-Einstellung zum Leben erlegst du dir selbst und anderen eine unerträgliche Last auf. Wer sich um etwas bemüht, setzt sich realistische Ziele und arbeitet hart, um sie zu erreichen. Eine solche Frau möchte mehr sein, möchte sich verbessern. Sie gewinnt Befriedigung aus einer Aufgabe, löst sich dann davon und wendet sich etwas anderem zu. Die »vollkommene Frau« jedoch möchte alles auf einmal sein. Sie läßt sich von Kleinigkeiten einschüchtern und erträgt alle Fehler standhaft. Fehler beweisen ihr, daß sie noch nicht gut genug ist. Da ihre Erwartungen schon von Anfang an unrealistisch waren, bleibt sie immer unzufrieden mit sich selbst und hat das Gefühl, ihre Ausrutscher vor anderen verbergen zu müssen. Und da sie dauernd etwas an sich selbst auszusetzen findet, kann man sich ja vorstellen, welche Probleme sie erst im Umgang mit den »unvollkommenen« Mitmenschen hat. Diese »anderen« kommen häufig als Störenfriede in ihre ordentliche kleine Welt: »Tritt nicht auf den Teppich. Ich hab' ihn erst heute morgen saubergemacht«, sagt sie. Sie gerät schnell aus dem Häuschen, wenn das Leben nicht geordnet abläuft. Und weil sie besessen ist von Einzelheiten, hat sie Schwierigkeiten, irgend etwas zu vollenden: »Ich muß diese Steppdecke noch einmal beiseite legen. Sie ist noch nicht ganz in Ordnung.« Wenn du einen zu großen Teil deiner Zeit mit Kleinigkeiten vertändelst und zuviel von dir selbst und von anderen verlangst, solltest du dir klarmachen, daß es den 234
perfekten Partner, das perfekte Leben und den perfekten Ort, an dem immer die Sonne scheint, nicht gibt. Fehler gehören zum Leben. Lerne, Fehler einfach als Fehler zu nehmen, und nicht als Beweise, daß du »nichts recht machen kannst«. Wenn es dir gelingt, dir und den anderen Fehler zu verzeihen, sind die trüben Tage bald vorbei. Nimm die Dinge wie sie sind. Ein leicht angebrannter Apfelkuchen sollte nicht so viel Ärger verursachen wie ein Herd, der in die Luft fliegt. Die »Vollkommene« kann die Dinge nicht aus der richtigen Perspektive betrachten. Dies wird auch das Hauptproblem der Frau sein, die alles persönlich nimmt. Nimmst du alles persönlich? Kannst du unterscheiden zwischen dem, was tatsächlich geschieht, und den Gefühlen, die du dabei hast? Wenn Gefühle aufkommen, hat Vernunft einen schweren Stand. Sobald wir erschrocken, verletzt, ärgerlich oder enttäuscht sind, verwandeln wir uns alle in empfindsame Nervenbündel. Aber wir müssen alle lernen, sachlich zu sein; das fällt uns leichter, wenn wir ruhig und vernünftig bleiben. Nehmen wir zum Beispiel Al und Betty. Es schneit. Al und Betty haben spät nachts eine Party verlassen. Al fährt, und Betty sitzt neben ihm und brütet in sich hinein; Al hat nämlich auf der Party einige Zeit sich mit einer alten Freundin unterhalten, die er jahrelang nicht gesehen hatte. Al ist bester Laune, obwohl er nicht gern bei Schnee fährt. Es schneit jetzt stark. Betty bleibt still. Al wird allmählich gereizt. Schließlich fragt er sie, warum sie ihn mit ihrem Schweigen bestraft; da schlägt Betty nach ihm. Al macht eine jähe Bewegung nach rechts und schlittert gegen einen Baum. Obwohl Betty und Al nur leicht durchgeschüttelt werden und der Wagen kaum einen Kratzer hat, verliert Betty die Kontrolle. Sie beschuldigt Al, er habe versucht, sie zu »töten«. Al nennt sie ein eifersüchtiges, zänkisches Weib. Betty weint nun und sagt: »Du liebst mich nicht.« 235
Al ignoriert das und beschuldigt Betty, sie habe seine Konzentration auf die tückische Straße gestört. Das Pärchen fährt schließlich weiter und kommt im Streit zu Haus an. Wir wollen nun analysieren, was hier eigentlich geschah. Was wäre gewesen wenn Al seine alte Freundin nicht beachtet hätte? Was hätte Betty dann wohl gedacht? (»Warum tut Al so, als ob Marcy nicht existierte? Gibt er sich nur zum Schein so lässig?«) Hätte Betty besser beobachtet, sie hätte Al's Begegnung mit Marcy als harmloses Zusammentreffen von zwei früher einmal verliebten Leuten gesehen, die sich jetzt erzählen, wie ihr Leben verlaufen ist. Al hat Betty keinen Grund gegeben, an seiner Treue zu zweifeln. Warum also fühlte sich Betty so verletzt? Kommt es daher, daß Betty meint, Al und sie seien sich nicht so nahe, wie sie es eigentlich sein könnten? Hat es mit Betty's Zweifeln und ihrer Angst zu tun, in ihrer Beziehung könnte etwas fehlen? Wenn Betty ruhig beobachtet hätte, was vor sich ging, und wenn sie es richtig gedeutet hätte, wäre ihr klar geworden, daß Al's Zusammentreffen mit Marcy keine Gefahr für ihre Beziehung war. Im Gegenteil, dieses Zusammentreffen hätte als Mahnung dienen können, daß alle Beziehungen ständiger Erneuerung bedürfen. Dann wäre es schließlich nicht solch ein trüber Tag geworden. Hätte Betty die Ereignisse im richtigen Rahmen gesehen, hätte sie nicht alles persönlich genommen, so wäre sie sich nicht hilflos vorgekommen. Kurz gesagt, sie hätte sich selbst nicht als Opfer gesehen. Alle Opfer betrachten sich als hilflos. Bist du ein Opfer? Muß »immer alles« dir »passieren«? Die Kassiererin im Supermarkt gibt dir zu wenig Wechselgeld heraus. Deine Schwester oder dein Bruder oder dein Mann kommen mit ihren Problemen zu dir und bringen es so weit, daß du dich für alles, was schiefgegangen ist, verantwortlich fühlst. Du bist jedermanns »bester Kumpel«, aber wenn eine Zeit kommt, in der du einmal dein müdes Haupt betten und ein 236
wenig Zuwendung finden möchtest, zeigt man dir die kalte Schulter. Opfer zögern, zu widersprechen, oder sich durchzusetzen oder zu verteidigen. Sie machen sich Sorgen, die anderen könnten sie nicht mögen. Aber statt nach Fehlern bei sich selbst zu suchen, geben sie die Schuld den anderen, die immer zu viel von ihnen zu verlangen scheinen. »Wenn nur...«, sagt das Opfer. »Wenn ich nur nicht dort gewesen wäre, als...« -»Wenn ich nur nicht zu alt wäre für...« – »Wenn die anderen mich nur respektieren würden...« – »Wenn nur das Leben besser mit mir umgehen würde...« Es macht keinen Spaß, das Opfer zu sein. Opfer sind oft psychisch gelähmt und fühlen sich nicht in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. Eine Sache ist ganz sicher – niemand kann die Uhr anhalten. In Selbstmitleid zu schwelgen, ändert gar nichts. Wenn du es bei dem Wunschgedanken bewenden läßt, das Leben werde die Dinge für dich ändern, wird nichts besser. Diese »Wenn-nur...«-Haltung wird dich zu einer Frau machen, der das Schicksal nur wenig Erfolg beschert. Du mußt daran arbeiten, daß das Leben für dich arbeitet und dir gibt, was du dir wünschst. Tu für dich selbst, so viel du kannst. Und tu es jetzt. Mit trüben Tagen kann man fertig werden. Betrachte sie nicht als vorbestimmtes Schicksal. Mach aus Enttäuschungen nicht Katastrophen. Meist sind es doch nur Verärgerungen – betrachte sie auch so, und du wirst merken, daß selbst die grauesten der trüben Tage eine rosigere Färbung bekommen. Ein Hauptgrund für mich, »Such erst dich, dann deinen Mann« zu schreiben, war meine Überzeugung, daß das, was jeder einzelnen Frau widerfährt, was in ihrer Ehe und in ihrer Familie geschieht, die Gesellschaft als Ganzes betrifft. Um als Frauen so etwas wie Glück zu erreichen, brauchen wir wechselseitige 237
Bindungen, Flexibilität und ein Gefühl der Verpflichtung. Aber wenn wir als Frauen ein Gefühl persönlicher Erfüllung und Würde haben wollen, müssen wir fähig sein, uns selbst in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen. Wir müssen eine Vorstellung von unseren emotionalen, finanziellen und beruflichen Zielen und von unserer Unabhängigkeit entwickeln. Das können wir nur erreichen, indem wir nach unseren eigenen Regeln leben und uns selber Ziele setzen. Das ist der Grund, warum ich wieder und wieder die Selbständigkeit betone. Unabhängig zu leben und sich trotzdem noch anderen verpflichtet fühlen, das gibt unserem Leben Gleichgewicht und Gesundheit in einer Welt, die zunehmend krank erscheint. Ein Magazin nannte die achtziger Jahre »das Jahrzehnt der Frau«. In vielerlei Hinsicht haben die Frauen die Männer überholt, was soziale und emotionale Entwicklung angeht. Aber dadurch haben wir uns auch viele Männer entfremdet. Es bringt uns nicht weiter, auf Spaltung zu bestehen. Wir sollten nicht beweisen wollen, daß wir es mit den Männern aufnehmen können, indem wir gegen sie dieselben Waffen gebrauchen, die sie jahrhundertelang gegen uns angewandt haben. Statt dessen müssen wir alle zusammenarbeiten, wenn wir die Welt einigermaßen sicher und gesund erhalten wollen. Ich weiß, daß Frauen die Kraft in sich tragen, das zu tun. Der Soziologe Ashley Montagu sagte, wir sollten »jung sterben – und spät«. Das bedeutet, daß wir fürs Leben offen bleiben müssen, daß wir in unserem Lebensmut jünger werden, während wir an Jahren zunehmen. Wir müssen bereit sein, Risiken einzugehen und sollten nie unsere Abenteuerlust verlieren. Ist es nicht das, was eine Frau wirklich ausmacht? Ist es nicht das, was du wirklich sein kannst? Ich denke an dich!
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