Wissenschaftliche Untersuchungen zwn Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (München) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)
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Stefan° Kräuter
Studi.en ZU Röm 13,1-7 Paulus und der politische Diskurs der neronischen Zeit
Mohr Siebeck
STEFAN KRAUTER, geboren 1973; Studium der ev. Theologie und lateinischen Philologie in Tübingen und Helsinki; 2004 Promotion zum Dr. theol.; 2003-2006 VIkarIPfarrer z.A. der Ev. Landeskirche in Württemberg; 2006-2008 Wiss. Angestellter an der eV.-theol. Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München; 2008-2009 Wiss. Angestellter am Institut für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte der Universität Tübingen; 2009 Habilitation; ab September 2009 Pfarrer der ev. Münstergemeinde inUlm.
ISBN 978-3-16-150099-2 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet dIese Publikation in der Deutschen Nationalbibllographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb. d-nb. de abrufbar. © 2009 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
uxori et filiis carissimis
Vorwort Das vorliegende Buch ist in den Jahren 2006 bis 2008 entstanden und wur-
Qe' iin Sommer!3emeSter 2009 als Habilitationsschrift an der Eyari.gelischtheologischen Fakultät der Ludwig~Maximilians-Unl.versität München angenommen. Für den Druck wurde es geringfügig überarbeitet. Viele Menschen haben mich ,bei meiner Arbeit an dem schwierigen, ja z~weilenenervierenden Text Röm 13,1-7 begleitet und unterstützt. , Von Prof. Dr. Jörg Frey k8.m die Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema, er betreute mich umfassend'durch kritische Lektüre von Entwürfen und Beratungsgespräche, er verfasste als Mitglied des Habilitationsmentoriums eines der Gutachten und er begleitete meine sonstige wissenschaftliep,e Tätigkeit. In seiner Eigenschaft als Herausgeber danke ich ihm zudem 'fiir die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Die beiden anderen Mitglieder des Habilitationsmentoriums, Prof.Dr. I)av'id S. du Toit und Prof. Dr. Klaus Koschorke, gaben mir je aus ihrer Perspektive wertvolle Hinweise und verfassten die weiteren Gutachten. Herrn Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Horn danke ich für die Abfassung des externen Gutachtens. Die Mitglieder des Münchner neutestamentlichen Kolloquiums, von denen ich insbesondere meine Kollegen Dr. Carsten ClaußEm, Juliane Schelling und Jakob Spaeth sowie Sönke Finnern nennen möchte, hörten sich geduldig Semester für Semester die Vorträge zum neuesten Stand von Röm 13,1-7 an und diskutierten sie engagiert. Gelegenheit zum Vortrag meiner Thesen und zur kritischen Diskussion boten mir auch das Religionswissenschaftliche Graduiertenkolleg der Abteilung für Religionswissenschaft der Universität Erfurt und das Althistorische Kolloquium des Seminars für Alte Geschichte der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dafür geht mein herzlicher Dank an Prof. Dr. Joannis Mylonopoulos und Prof. Dr. Jörg Rüpke sowie an Prof. Dr. Monika Bernett und Johannes Bernhardt. Für hilfreiche Gespräche und kritische Rückmeldungen zu den Entwürfen einzelner Kapitel danke ich Martin Bauspieß, Prof. Dr. Hubert Cancik, Prof. Dr. John G. Cook, Dr. Jan Dochhorn, Prof. Dr. Troels EngbergPedersen, Prof. Dr. Martin Hengel, Dr. Claudia Kemper, Antti Mustakallio, Dr. Christian Ronning, Dn Pekka Särkiö und Prof. Dr. Oda Wischmeyer.
VIII
Vorwort
Mein besonderer Dank gilt meinen Arbeitgebern während der Zeit der Habilitation. Prof. Dr. Jörg Frey stand mir auch beruflich in jeder Hinsicht hilfreich zur Seite, auch - was noch immer keineswegs selbstverständlich ist - was meine Elternzeit betrifft. Am Tübinger Institut für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte war ich während der Schlussphase der Arbeit Wissenschaftlicher Angestellter bei Prof. Dr. Hermann Lichtenberger. Einem ,,fremden" Habilitanden eine Stelleanzubieten ist ebenfalls nicht selbstverständlich, und noch weniger "ist es selbstverständlich, dessen Arbeit in solchem Maße zu fördern. In meine Zeit als Pfarrer z. A. im Evangelischen Kirchenbezirk Ditzingen fallen die ersten Anfänge meiner Beschäftigung mit Röm 13,1-7. Mein herzlicher pank gilt allen Kollegen und Kolleginnen, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen dort sowie besonders Frau Dekanin Elisabeth Hege. Sie haben meiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer Offenheit und Interesse entgegengebracht. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat mich für meine wissenschaftliche Arbeit in großzügiger Weise beurlaubt. Auch dafür herzlichen Dank. Für die aufwendige Herstellung der Druckvorlage danke ich meinem Bruder Dr. Peter Krauter - kein Layoutproblem, das er nicht in kürzester Zeit mit akribischer Genauigkeit gelöst hätte. Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Herrn Matthias Spitzner vom Verlag Mohr Siebeck danke ich für die überaus freundliche und kompetente Betreuung der Veröffentlichung. Allen Genannten und noch einigen mehr gilt mein herzlicher Dank. In Liebe gewidmet ist dieses Buch freilich meiner Frau Heike und unseren beiden Söhnen Johannes und Jakob. Stuttgart, im August 2009
Stefan Krauter"
Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 Zur Forschungsgeschichte von Röm 13,1-7 1.1
Überblick über wichtige ,,klassische" Forschungspositionen . 1.1.1 Die katholische naturrechtliche Interpretation ... 1.1.2 Die lutherische ordnungstheologische Interpretation 1.1.3 Die angelologische Interpretation Oscar Cullmanns 1.1.4 Die situativ-paränetische Interpretation Ernst Käsemanns und seiner Schüler ..... 1.1.5 Die theologische Interpretation Rolf Walkers 1.1.6 Modifikationen der lutherischen Interpretation 1.2 Neuere Entwicklungen ................ 1.2.1 Röm 13,1-7 in der New Perspective on Paul 1.2.2 Röm 13,1-7 und der ,,New View of Paul" 1.2.3 Antiimperiale Paulusdeutung · ....... 1.2.4 ,,Konservative" englischsprachige Forschung . 1.2.5 Die südafrikanische Diskussion. . . . . . . . 1.3 Zentrale Probleme der Auslegung von Röm 13,1-7 1.3.1 Von ,,Kirche und Staat" zu "Christen, Juden und Römer" . . . . . . . . . . · ....... 1.3.2 Röm 13,1-7 als Element eines Kommunikationsprozesses 1.3.3 Probleme der Einzelexegese · ......... 1.3.4 Röm 13,1-7 innerhalb der Theologie des Paulus 1.4 Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen
2 Die historische Situation von Röm 13,1-7 2.1
2.2
Das neronische Zeitalter 2.1.1 Nerobilder ......... 2.1.2 Grundzüge der Regierung Neros . Paulus . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Römer Paulus 2.2.2 Der Jude Paulus 2.2.3 Der Jude Paulus und die Römer
1 4 5 5 8 9 12 15 16 20 22 25 28 32 34 39 39 44 46 50 51 55 55 56 81 88 90 98 103
x
Inhaltsverzeichnis
2.3
Die stadtrömischen Christen. . . . 2.3.1 Die stadtrömischen Christen 2.3.2 Die stadtrömischen Christen 2.3.3 Die stadtrömischen Christen und die römischen Behörden
. . . . . . . . . . . .. als Römer. . . . . .. und die Juden in Rom und Juden . . . . . . . . . .
3 Röm 13,1-7 als Teil der Kommunikation zwischen Paulus und den stadtrömischen Christen 3.1 3.2
Epistolographische Aspekte des Römerbriefes . . . . . Der Römerbrief und die historische Situation von Autor und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . • . . '.' . . . 3.2.1 Was konnte Paulus über die Christen in Rom . 7 . WIssen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Verschiedene Theorien zum A.nlass von Röm 13,1-7 3.2.3 Röm 13,1-7 und der Abfassungszweck des Römerbriefes 3.3 ZusammenfaSsung ..
4 Röm 13,1-7 - Exegese 4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
4.6
Annäherung an den Text . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Übersetzung .............. . 4.1.2 Überblick über deri Gang der Argumentation. Beherrschte und Herrscher 4.2.1 7tliocx t\lux~ . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 &~OUO(CXL ö7teptxouoCXL und &pxoV"tec; Herrschaftslegitimation. . . . . . . . . . . . 4.3.1 00 yap &CTtLV &~ouo(cx et !.l~ Ö7tO of)eou 4.3.2 BLCX"tCXY~ ~eou . . . . . . . . Die Normbindung von Herrschaft . 4.4.1 Die Aufgabe von Herrschaft 4.4.2 &:ycxMv - xcxx6v . . . . . '.' 4.4.3 &7tCXLVOC; 4.4.4 !J.!XXCXLpcx 4.4.5 of)eou Bi.&xovoc; . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die grundlegenden Verhalteiisoptionen der Beherrschten 4.5.1 Ö7to"tc1oaeaof)cxL 4.5.2 &:v"tL"tCXOoeaof)cxL . . . . . . . . . 4.5.3 öpy~ und ouve(BT)oLc; . . . . . Konkrete Zeichen der Unterordnung . 4.6.1 öcpeLA~....... 4.6.2 cp6poc; und "t&AOC; 4.6.3 cp6ßoc; und "tL!.l~ . .
125 125 127 131
137 138 146 146 148 154 159 161 162 162 162 170
171 173 179 179 191 192 193 195 201 204 208 215 215 219 221 228 228 229 235
Inhaltsverzeichnis
4.7
Zusammenfassung....................... 4.7.1 Römer 13,1-7 im politischen Diskurs der neronischen Zeit - Ergebnisse und Erträge . . . . . . . . . 4.7.2 Zusammenfassende Auslegung von Röm 13,1-7.
5 Röm 13,1-7 in der Theologie des Paulus 5.1
5.2 5.3
Röm 13,1-7 im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Röm 13,1-7 im Kontext von Röm 12f . . . . . 5.1.2 RÖril 13,1-7 im Kontext weiterer paulinischer Aussagen über Herrschaft . . . Versuche der Erklärung und Deutung . . . . . . . .,. Ausblick: Was bleibt von Röm 13,1-77
XI 238 238 239 243 244 244 252 272 284
Literaturverzeichnis
289
Register
333 333 353 354
Stellen Personen . Sachen. .
Einleitung Nach dem jüdischen und griechisch-hellenistischen ist in den letzten Jahren verstärkt der römische Kontext des Neuen Testaments in das Blickfeld der Exegese geraten. Dieser römische Kontext ist ein, eminent' politischer Kontext. Die Autoren der neutestamentlichen SchIiften und ihre Adressaten erlebten Rom real als römische Herrschaft mit Militärpräsenz, provinzialer Administration und Steuerlast und ebenso, wenn nicht noch mehr, als diese Herrschaft begleitende und stützende Herrschaftsideologie in Texten, iDschriften, Bildern, Bauwerken, Kalendern und Kulten. Dem Einfluss dieser politischen Faktoren kann bzw. muss man selbstverständlich in allen Texten des Neuen Testaments nachspüren. Sich hinsichtlich des Themas "das Neue Testament im Kontext der römischen Herrschaft" von vornherein auf die von der kirchlichen Tradition vorgegebenen ,)dassischen" politischen Texte des Neuen Testaments, wie etwa das Zins'groschenwort Mk 12,13-17, das Schwertwort Lk 22,36-38 oder das "Fürchtet Gott, ehrt den König!" von 1Petr 2,13-17, zu beschränken, wäre falsch. Gilt es doch nicht, Ansichten neutestamentlicher Autoren zum römischen Reich zusammenzustellen oder gar aus derartigen Aussagen eine ,,neutestamentliche Staatslehre" zu abstrahieren, sondern die Auswirkungen - gerade auCh die weniger offensichtlichen - der römischen Herrschaft auf das Leben und die Vorstellungswelt der ersten Christen zu analysieren. Dennoch ist es einleuchtend, dass auch diejenigen Texte des Neuen Testaments, die sich explizit und sozusagen programmatisch mit politischen Gegebenheiten, das heißt zu seiner Entstehungszeit konkret mit römischer Herrschaft, befassen, l noch einmal neu untersucht werden müssen. Will man den römischen Kontext des Neuen Testaments für dessen Exegese fruchtbar machen, muss daher auch - ja sogar insbesondere - "der" politisChe Text des Neuen Testaments schlechthin in den Blick kommen: Röm
13,1-7. 1 Oft - beinahe schon topisch - wird die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung ,Bestritten. Die Anwendung der modemen Kategorie ,,Politik" auf die Antike sei - ebenso ;wie im Falle von ,,Religion" - ein Anachronismus. Richtig daran ist, dass es in der Antike nicht die modemen Ausdifferenzierungen gab. Falsch ist jedoch, dass es überhaupt keine solchen Unterscheidungen gab. Mit dieser Behauptung projiziert man (ebenso anachronistisch) eine reine Negation der Moderne in die Antike, obwohl es doch darum geht, sie in ihrer relativen Andersheit wahrzunehmen. Vgl. dazu ENGBERG-PEDERSEN, Rez. Blumenfeld, 160; RÜPKE, Religion, 13f.
2
Einleitung
Mit der Untersuchung dieses Textes begibt man sich freilich .auf ein ,,Minenfeld"2. Röm 13,1-7 ist wie kaum ein anderer Text des Neuen Testaments mit einer äußerst problematischen Auslegungs- und Wirkungsgeschichte belastet. Über Jahrhunderte hinweg war es gerade dieser Text, der zur Legitimierung und Stabilisierung des politischen Status quo diente, in der Neuzeit insbesondere zur Abwehr der Ideen von Volkssouveränität und Demokratie, kulminierend im 20. Jahrhundert, wo er die Unterwerfung unter oder gar die Kooperation mit Unrechtsregimes rechtfertigte. Wie soll man mit soicheinem schwierigen Text umgehen? '' " Lange hevor die Beschäftigung mit der römischen Welt des Neuen Testaments ihnerhalb dei: Exegese auf größere Aufmerksamkeit stieß, formulierte Hubert' Cancik in einem Aufsatz über den Gebrauch militäi-ischer Titulaturen aus dem rÖinischen Herrscherkult in der frühen christlichen Theologie' als Fazit:' ,,[: .. ] die Moral aus der G:eschichte des Christus Imperator [kann] meines Ei-achtens nicht darin bestehen [... ], die römische Spur aus der christlichen Tradition zu tilgen, sich auf die griechische oder jüdisGhe zurückzuziehen oder garsicli in 'radikaler Unlnittelbarkeit der' ,Sache' der ,Person.' des Nazareners ,an sich' hinzugeben. Könnte es nicht, so möchte 'ich fragen" [', ... ]'nützlich sein, die alten Römeitilgenden sorgfältig zu 1:>etrachten, sie 'im Modell 'ihrer Kultur zu analysieren und, natürlich, zu kritisiereri? [': .. ] Mari wird' bei dieser Betrachtung sich vor pauschaler Verdammung des'Römertums ebenso hüten wie vor der naiven Affirmation der Macht der Romo. Aetema und vor der Versuchung zur eiligen Synthese des RömisChen mit dem. Christlichen."3 ' Eben dies, den in der Geschichte des Christentums vielfach zu politf.. sChen ZweCken gebrauchten Text'Röm 13,1-Tim Ko~teXt der Herrschaft und der' Herrschaftsideologie des römischen Reiches zu seiner Abfassungsze~t sorgfältig historisch zu analysieren - kritisch und doch ohne vorschnelle, sei eSp'osltive, sei es negative Wertung -, ist das Ziel dieser Arbeit. Diese, HeiangeMnsweise ist, obwohl es zunächst so scheinen 'mag,. nicht selbstverständlich und sie ist angreifbar: Die iIi den letzten Jahren langsam mehr ins Bewusstsein gerückte BeschäftigUng mit dem römischen Kontext des Neuen Testaments empfing wichtige Impulse aus der BefreiungstheOlogie und der postkolo~ialen Exegese. Diese spüren mit oft leidvoller ErfahrUng geschultem Scharfsinn nicht nur machtpolitische Implikationender Texte, sondern auch der die Texte auslegenden Exegese auf. Dass Exegese nie in einem politischen Vakuum stattfindet und Neutralität daher eine, Illusion ist, ,dass ,;Wissenschaftlichkeit" Machtinteressen verschleiert, ja selbst eine Form von Machtausübung ist, muss man sich von ihr sagen lassen. Gerade'die Auslegungsgeschichte von Röm 13,1-7 ist voller Beispie-
an
,2 Vgl. VOLLENWElDER;
Theologie,
468.
3 CANCIK, Christus Imperator, 278.
Einleitung
3
le von Interpretationen, die sich als streng wissenschaftlich verstehen und sich doch bei nur etwas genauerem Hinsehen als interessengeleitet entpuppen. Daraus nun den Schluss zu ziehen, dass man eine im Urteil zurückhaltende, auf wissenschaftliche Distanz setzende Herangehensweise gar nicht erst versuchen solle, scheint jedoch nicht generell richtig. Gewiss, es gibt ,Situationen, in denen die Exegese eines Textes wie Röm 13,1-} nicht nur Partei sein' kann, sondern es muss. Allen Auslegern, die den Mut aufgebracht haben und' aufbringen, dies dann auch tatsächlich und öffentlich .tun, schuldet man Bewunderung. Man kann dies jedoch nicht einfach wrallgemeineID'.. Es gibt .nämlich auch Situationen, in denen eine histori~iE~rende, aktuelle Fragen zurückstellende,' von der eigenen Interessensperspektive Abstand nehmende 'Herangehensweise sinnvoll und riützlich ist SItuationen, die es, glücklicherweise, erlauben, soweit möglich einen Schritt ~9n sich seibst weg zu tun . . :' ',Pa dies selbstverständlich niemals so geschehen kann, dass man einfach für sich. wissenschaftliche "Neutralität" postuliert, sondern immer nur so, daSs man die eigene Position in ihrer geschichtlichen Bedingtheit kritisch ..reflektiert, steht am Beginn dieser Arbeit die Aufarbeitung der jüngeren ',und jüngsten Forschungsgeschichte von Röm 13,1-7 (E:apitell). Zunächst . wird dabei chronologisch nach verschiedenen Auslegungstypen vorgegangen ..(Abschnitte 1.1 und 1.2), dann thematisch nach immer wiederkehrenden Fragestellungen und Problemmustern geordnet (Abschnitt 1.3). Aus den Ergebnissen dieses Kapitels werden dann Schlüsse für das weitere Vorg~hen bei der Untersuchung von Röm 13,1-7 gezogen (Abschnitt 1.4).
zu
Kapitell
Zur Forschungsgeschichte von Röm 13,1-7 Die Ausleger von Röm 13,1-7 lebten in unterschiedlichen. politischen Systemen - vom römischen Prinzipat über Monarchien, Diktaturen und totalitäre Regime bis hin zu modernen Demokratien. Sie nahmen in diesen unterschiedliche Rollen ein, waren Vertreter einer geduldeten oder verfolgten Minderheit oder der tonangebenden Mehrheit, Sprachrohr der Herrschenden oder Widerständler, Untertan oder Bürger. Abhängig davon unterscheiden sich ihre Auslegungen und vor allem ihre Schlussfolgerungen für das Verhalten der Christen beträchtlich, ja stehen einander teilweise in scharfer Polemik gegenüber. Nicht wenigen von ihnen ist ein gewisses Unbehagen gegenüber dem abzuspüren, was beim ersten Lesen der Sinn des Textes zu sein scheint, eine gewisse Mühe, ihn in den Griff zu bekommen und zu zähmen. Freilich gibt es auch zahlreiche Ausleger ·und Anwender des Textes, deren politischer Agenda er nur allzu gut zupasskommt. Weite Teile der Auslegungsgeschichte von Röm 13,1-7 lesen sich daher wie eine ,,chronique scandaleuse" der neutestamentlichen Exegese. Die Geschichte der Auslegung und darüber hinaus auch noch der Wirkung von Röm 13,1-7 nachzuverfolgen wäre also gewiss ein lohnendes Unterfangen,l im Rahmen dieser Arbeit ist es aber nicht möglich. 1 An Gesamtüberblicken liegen vor: BAUER, Jedermann; KEIENBURG, Geschichte; REASONER, Romans in Full Circle, 129-142; WILCKENS, Römer, Bd. 3,43-66. Die Darstellung von Keienburg - die einzige Monogz-aphie - ist allerdings kaum befriedigend, da er einerseits das von ihm gesammelte Material weder historisch oder theologiegeschichtlich einordnet noch analytisch durchdringt, andererseits als Doktorand O. Cullmanns einen zu starken Akzent auf die Suche nach Spuren von Vorläufern von dessen- ,,angelologischer" Deutung legt. Zur Kritik an Keienburg vgl. KASEMANN, Generation, 359f; PICCA, Romanos 13,1-7, 31-34. Obwohl sehr knapp, sind daher Bauer und Wilckens vorzuziehen. Daneben gibt es zu verschiedenen Epochen Einzelstudien. Zur Alten Kirche: ALAND, Verhältnis; CLARK, Soul; DENIEL, Omnis potest8S; PARSONS, Influencej REASONER, Exegesis; SCHELKLE, Staat und Kirche; TORrI, Romani 13,1-7; ZSIFKOVITS, Staatsgedankej zum Mittelalter: AFFELDT, Weltliche Gewalt; DENIEL, Omnis potest8S; PARSONS, Influence 11; zu Reformation und Neuzeit: SCHARFFENORrH, Römer 13; STEINMETZ, Calvin and Melanchthon; WHITFORD, Duty; zahlreiche Hinweise zur Auslegung v. a. des 19. Jahrhunderts finden sich bei WALKER, Studie; zum 20. Jahrhundert: GRE-
1.1. Überblick über wichtige "klassische" Forschungspositionen
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Doch selbst eine Forschungsgeschichte im engeren Sinne, also eine Darstellung der wissenschaftlichen Exegese von Röm 13,1-7 im 20. Jahrhundert, kann hier nicht geleistet werden, stellte doch schon Ernst Käsemann in seinem Forschungsbericht aus dem Jahre 1959 fest, dass man dabei ,~n das sich fast unentwirrbar verschlingende Dickicht eines tropisch wuchernden Urwaldes"2 gerate. Zudem gibt es hierzu drei beinahe gleichzeitig ersChienene Monographien,3 die insbesondere die deutschsprachige Forschung bis 1980 abdecken. Im Folgenden soll daher über den dort sehr ausführlich dargestellten Zeitraum eher knapp referiert werden, und zwar in Anlehnung an die von Käsemann entworfene, von Lutz Pohle weiterentwickelte Typologi'e zu Hauptpositionen der Forschung gebündelt. 4 Das Problem derartiger Typologien ist freilich, dass sie es kaum erlauben, der Argumentation einzelner Autoren gerecht zu werden. Darum werden jeweils ein oder mehrere wichtige Vertreter exemplarisch herausgenommen und eingehender gewürdigt, auf weitere wird verwiesen. Dann wird der zeitliche und vor allem auch der geographische Horizont geweitet, indem Entwicklungen der letzten 25 Jahre insbesondere in der englischsprachigen Forschung aufgezeigt werden.
1.1 Überblick über wichtige "klassische" Forschungspositionen .1.1.1 Die katholische naturrechtliche Interpretation
Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts bietet die katholische Exegese zu Röm 13,1-7 ein ziemlich einheitliches Bild: Eine Art ,,8tandardauslegung" wird in den Kommentaren und Aufsätzen immer wieder neu dargeboten, wenn auch in verschiedene Richtungen ausgeformt und vertieft - etwa durch Einbeziehung der Auslegungsgeschichte, in Verteidigung gegenÜber evangelischer Interpretation oder in Abgrenzung gegen modernere Ansätze. Der ausführlichste Beitrag aus dieser Position ist Valentin Zsifkovits' 1964 - also schon gegen Ende dieser Periode - veröffentlichte Studie ,,Der Staatsgedanke nach Paulus in Röm 13, 1-7". Zsifkovits' Schwerpunkt ist ....(
SCHAT, DDR; SCHRÖDER, Frage; zu neueren katholischen Lehrdokumenten: DEBERGE, Rom:a.ins 13,1-7, 300-314. 2 KÄSEMANN, Generation, 316. 3 PICCA, Romanos 13,1-7; POHLE, Christen; RIEKKINEN, Römer 13. 4 Diese Typologie hat in Forschungsüberblicken zum Thema einige Verbreitung gefunden, vgl. z. B. ALVAREZ-CINEIRA, Religionspolitik, 397f; DUCHROW, Christenheit, 140-147. Gegen POHLE, Christen, 19f.23f, wird im folgenden Käsemanns Unterscheidung zwischen katholisch naturrechtlicher und lutherisch ordnungstheologischer Deu.tuilg'aufrechterhalten. Zudem wird die originelle Interpretation von Rolf Walker eigens dargestellt.
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Kapitell. Zur Forschungsgeschichte von Röm 13,1-7
einerseits - durchaus traditionell - die umfassende Verarbeitung der patristischen Auslegung, andererseits die Untersuchung der ,,8taatsauffassUng' in der griechisch-römischen und jüdischen Umwelt des Neuen Testaments. Dies ist innovativ, insbesondere was die Heranziehung von Qumrantexten betrifft, wie auch insgesamt ein neues Problembewusstsein und die vorsichtige Einbeziehung neuerer Ansätze zu beobachten sind. Röm 13,1-7 wird eine einleuchtende, geradezu selbstverständliche Stellung im Aufbau des Römerbriefes zugewiesen. Dieser wird wiederum als klar gegliederter theologischer Traktat verstanden: Nach dem dogmatischen Hauptteil Röm 1-11 behandelt der ethische Hauptteil Röm 12-15 nach einer prinzipiellen Einleitung (12,lf) zunächst die Pflichten des Christen gegenüber der Kirche (12,3-21), dann gegenüber dem Staat (13,1-7)5 und schließlich seine Pflichten betreffend Eigentum und Ehe (13,8-14). Der Staat steht also einerseits als gottgewollte, natur- bzw. schöpfungsgegebene Institution für das irdische Wohl des Menschen der Kirche als der Institution für das überirdische Heil gegenüber, andererseits in einer Reihe mit anderen, dem Menschen als ens sociale 6 naturgemäßen Institutionen wie Eigentum und Ehe bzw. Familie. 7 Mit dieser Einordnung von Röm 13,1-7 ist auch schon klar, dass der Text nicht nur als Anweisung für eine bestimmte historische Situation verstanden wird, sondern als Ausdruck fortwährend gültiger Prinzipien. 8 Das schließt freilich nicht aus, dass die konkrete Gestalt des Textes einen Anlass in der Situation der römischen Gemeinde hatte - mit Thomas von Aquin wird ein sich über weltliche Dinge erhebender Enthusiasmus vermutet. 9 Das heißt, Röm 13,1-7 wird trotz seines prinzipiell gültigen Inhaltes nicht einfach als ein zeitloser Traktat über den Staat verstanden, sondern als durch historische Umstände bedingt und auch geprägt.IO Im Einzelnen wird in der katholischen Auslegung dem Staat eine sehr starke Stellung zugewiesen: Die Lehre vom Gottesgnadentum der Herr5 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 52; vgl. GAUGUSCH, Staatslehre, 529f; SICKENBERGER, Briefe, 279. 6 GAUGUSCH, Staatslehre, 530; LAGRANGE, Romains, 310. 7 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 73f; vgl. GAUGUSCH, Staatslehre, 537. Bezeichnenderweise wird in vielen katholischen Kommentaren 13,1-14 (und eben nicht 13,1-7) als zusammenhängender Abschnitt besprochen; z. B. HUBY/LYONNET, Rom~, "432-446. 8 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 89.111; vgl. HUBY/LYONNET, Romains, 434; KosNETTER, Voraichtsmassregel; LAG RANGE, Romains, 312; POHLE, Christen, 40. 9 HUBY /LYONNET, Romains, 435; LAGRANGE, Romains, 311; ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 5lf; vgl. Thomas, Epistola ad Romanos, 561. Anders GAUGUSCH, Staatslehre, 530; LAGRANGE, Romains, 311, die sich auf eine Nachricht des Hieronymus über den Einfluss jüdischer Zeloten auf die römischen Christen beziehen; vgl. Hieronymus, Epistola ad Titum, 626. 10 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 73. Ausführliche Behandlung dieser Fragestellung bei KOSNETTER, Voraichtsmassregel.
1.1. Überblick über wichtige »klassische" Forschungspositionen
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schenden wird gegen die Idee der Volkssouve.ränität herausgearbeitet. l l Auch bei Missbrauch bleibt die Gottgegebenheit der Macht bestehen,12 so dass - zumindest aktiver oder gar gewaltsamer - Widerstand dem Christen verboten ist. 13 Zsifkovits ist hier schon deutlich vorsichtiger. Er erkennt das Problem, das in der "überwiegenden Positivität" von Röm 13,1-7 liegt,14 und betont darum das in der Auslegungstradition schon immer vorhandene Gegengewicht dazu: die Bindung des Staates an das Naturrecht. 15 Im Text wird sie verankert in der von Paulus dem Staat zugeschriebenen Aufgabe, das Gute zu belohnen und das Böse zu bestrafen (13,3f),16 und vor al~em in der Formulierung aot Etc; 1:0 &:yot'l'}6v, die im Sinne einer Förderung des bonum commune verstanden wird. 17 Für den Christen bedeutet dies, dass er einem Staat, der der Natur des Menschen widersprechende Dinge von ihm fordert, keinen aktiven Gehorsam schuldet. 18 Dass die Herrschaft von Gott (an)geordnet ist, legitimiert sie also, setzt ihr aber auch zugleich eine gewisse Grenze, weil 'man der niedrigeren Macht, also dem irdischen Herrscher, nicht gegen die höhere, also Gott, den Schöpfer, gehorchen darf (Apg 5,29).19 Die katholische naturrechtliche Interpretation von Röm 13,1-7 wurzelt in einer langen, schon in der Alten Kirche beginnenden Auslegungstradition. Sie bettet den Text einerseits in den Kontext des als theologisches Lehrschreiben verstandenen Römerbriefs ein, andererseits in eine aristotelisch geprägte Staatsphilosophie und gelangt so zu einer klaren und - angesichts der Härten des Textes - relativ ausgewogenen Gesamtaussage. 20 Die Studie von Zsifkovits zeigt freilich bei allem Bemühen um Öffnung, wie diese Art von philosophisch-dogmatischer Auslegung angesichts der Erkenntnisse 11 GAUGUSCH, Staatslehre, 537f. Dabei dient der römische Staat zur Zeit des Paulus als negatives Beispiel für falsch verstandene Souveränität des Volkes (HUBY/LYONNET, Romains, 436; LAGRANGE, Romains, 311). Ebenso - allerdings sozusagen mit umgekehrtem Vorzeichen, nämlich für die Volksouveränität und gegen ein wie auch immer verstandenes Gottesgnadentum - argumentiert auch CANClK, Gewalt, 58-71. 12 SICKENBERGER, Briefe, 280; ZSlFKOVITS, Staatsgedanke, 68-71. 13 GAUGUSCH, Staatslehre, 540. 14 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 105-111. 15 ZSIFKOVI:rB, Staatsgedanke, 111-114. 16 ZSIFKOviTS, Staatsgedanke, 77-80. 17 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 84f; vgl. GAUGUSCH, Staatslehre, 544; LAGRANGE, Romains, 313. 18 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 111-114; ebenso wenig einem Staat, der in das Gebiet der Kirche übergreift und religiöse Verehrung fordert; vgl. GAUGUSCH, Staatslehre, 533. 19 ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 66f; vgl. 'GAUGUSCH, Staatslehre, 540; LAGRANGE, Romains, 313. 20 Vgl. auch die - allerdings ironisch gebrochene - Würdigung bei KAsEMANN, Generation, 328. ZSIFKOVITS, Staatsgedanke, 89-93, weist denn auch - wohl nicht ganz fair, aber auch nicht ganz zu Unrecht - deutlich auf die Schwächen der lutherischen Auslegung ,hin.
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Kapitell. Zur Forschungsgeschichte von Röm 19,1-7
der historischen Exegese einerseits und angesichts der Herausforderungen moderner Gesellschaften andererseits an ihre Grenzen stößt. Die nachfolgenden katholischen Exegeten haben sich denn auch von ihr gelöst, so dass sich der konfessionelle Unterschied in der Exegese von Röm 13,1-7 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr verwischt. 2l 1.1.2 Die lutherische ordnungstheologische Interpretation
Wie Zsifkovits in seiner Monographie die katholische Auslegungstradition von Röm 13,1-7 gebündelt hat, so ist Otto Ecks Dissertation "Urgemeinde und Imperium" (1940) eine sorgfaltig gearbeitete Summe der - in sich weit weniger einheitlichen - lutherischen Interpretation. 22 Röm 13,1-7 fordert nach Eck umfassenden Gehorsam gegenüber dem Staat: Niemand ist ausgenommen, kein Lebensbereich ausgespart, ungerechte Herrschaft, ja sogar Tyrannei sind kein Gegengrund, denn jeglicher Widerstand gegen diese Ordnung Gottes ist dem Christen verboten. 23 Der Staat hat als von Gott gegebene Ordnung allerdings auch eine "positive Sinnbestimmung", nämlich durch Gewalt, d. h. letztlich durch die Todesstrafe, für äußere Ruhe und Ordnung zu sorgen und Gottes Zorngericht über die Bösen in dessen Dienst zu vollziehen. 24 Den theologischen Rahmen für diese Interpretation liefert deutlich die lutherische Zwei-Reiche-Lehre, die Eck biblisch auf das Zinsgroschenwort Jesu in Mk 12,17 gründet. Der Christ ist Bürger zweier Welten mit doppelter Gehorsamspflicht. 25 Eck sieht nun allerdings doch den möglichen Konflikt zwischen Christ und Staat, nämlich wenn dieser fordert, was Gottes ist - wie etwa die römischen Kaiser mit ihrer Forderung nach kultischer Verehrung. In diesem Falle schulde der Christ selbstverständlich keinen Gehorsam. Widerstand leisten dürfe er aber nicht; es bleibe nur das Martyrium. 26 Eck weitet diesen Konflikt nun in eine geschichtstheologische Schau aus: Nach Apk 13 werde der Staat der Endzeit sich selbst vergotten, er werde dadurch vom Diener Gottes für das Gute zum Diener Satans für das Böse 21 Vgl. z. B. FlTZMYER, Romans, 661-676; KusS, Briefe, 98-100; DERS., Paulus; LAUB, Christ; LEGASSE, Paul; DERS., Romains, 807-834; MALY, Christ, 273-275; PESCH, Römerbrief, 94f; SCHLIER, Römerbrief, 386-393; DERS., Beurteilung; THEOBALD, Römerbrief, Bd. 2, 80-97; ZELLER, Römer, 213-22l. 22 Zu nennen sind hier z.B. KlTTEL, Christus, 4-6.19-22; NYGREN, Römerbrief, 303-306; SCHLATTER, Gerechtigkeit, 350-356. Zur Auslegung von Röm 13,1-7 in den verschiedenen Auflagen des Römerbriefkommentars von Paul Althaus vgl. MEISER, Althaus, 217-222. Zu Luther selbst vgl. WILCKENS, Römer, Bd. 3, 49-52. 23 ECK, Urgemeinde, 38f; vgl. ALTHAUS, Römer, 121; KITTEL, Christus, 5. 24 ECK, Urgemeinde, 4Of; vgl. KITTEL, Christus, 5; SCHLATTER, Gerechtigkeit, 353. 25 ECK, Urgemeinde, 47f; vgl. KITTEL, Christus, 19-22; NYGREN, Römerbrief, 306f; ähnlich SCHLATTER, Gerechtigkeit, 355. 26 ECK, Urgemeinde, 56.
1.1. Überblick über wichtige "klassische" Forschungspositionen
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werden. Am Ende der Welt stehe der Sieg Christi über diesen Staat. 27 Aus der Antinomie zwischen den Polen Röm 13 und Apk 13 gebe es keinen Ausweg; nach 2Thess 2,3-12 sei zugleich das Imperium das Xet't'€XOV und der vergottete Kaiser der Civo~o
130 SCHMITZER, Tod, 349f; WALLACE-HADRlLL, Rhetoric.
t ':,' 131 SCHMITZER, Tod, 345.
{( ·,A32,LEBEK, Pha.rsalia, 74f; RöMER, Mode, 107. ;\,':.d~1'3 BINDER, Herrschaftskritik, 150; MERFELD, Panegyrik, 9-11.
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Kapiteill. Die historische Situation "Von Röm 13,1-7
Hörerwartung wissen können, tatsächlich nur als lobend verstanden wurde. 134 Schaut man sich auf dieser Grundlage in der Forschung immer wieder angeführte Argumente für eine ironische Interpretation bestimmter panegyrischer Texte an, so wird klar, dass einige von ihnen nicht haltbar sind. Das gilt erstens für den zuweilen behaupteten Unterschied zwischen eingeweihten und uneingeweihten Hörern bzw. Lesern, von denen erstere die Doppelbotschaft verstanden hätten, während letztere, vor allem der Kaiser als Adressat des Lobs, sich von der Oberfläche hätten täuschen lassen. Eine solche Unterscheidung ist nicht verifizierbar und folglich als Argument untauglich. Sie ist nicht einmal plausibel, denn schließlich hatten alle dieselbe rhetorische Bildung genossen und waren folglich in der Lage, bestimmte Textsignale zu deuten. 13S Wenn ein panegyrischer Text ironisch war, dann war er es (potentiell) für alle, auch für den Adressaten, nur dass dieser sich, falls die Ironie gut gemacht war, nicht wehren konnte. Ebenso wenig ist die Argumentation mit einer Diskrepanz zwischen Aussage im Text und (rekonstruierter!) Realität, also mit der Übertriebenheit des Lobes, überzeugend. "Übertriebenheit des Lobes allein ist [...] noch kein Ironiesignal"136 - vor allem da ein gewisses Maß an Übersteigerung der Realität für Panegyrik gattungskonstitutiv ist, sie nach dieser Argumentation folglich immer ironisch wäre. 137 Die vermutlich einzige Möglichkeit, methodisch halbwegs gesichert einen ironischen Nebensinn panegyrischer Texte festzustellen, ist in der durchgehenden Bezogenheit antiker literarischer Werke auf vorausgehende literarische Vorbilder begründet. 13B Zu untersuchen ist also, auf welche Texte in welcher Weise angespielt wird und ob dadurch Ironie erzeugt wird, ob also z. B. Motive des Vorbilds übertrieben und dadurch ad absurdum geführt werden oder ob sich im Vorbild Motive finden, die der scheinbaren Aussage des Textes widersprechen. Dabei ist freilich darauf zu achten, dass sich im Text Signale dafür nachweisen lassen, dass eine solche ironische Bezugnahme dem Leser wirklich nahegelegt wird - d. h. dass sie der Autor tatsächlich ,~ntendiert" hat -, denn eine nur genügend kunstfertige Interpretation könnte vermutlich wieder in jedem Falle eine solche Beziehung zwischen den Texten aufspüren. Dies lässt sich gleich am ersten zu besprechenden Beispiel zeigen, dem Nerolob in Senecas Apocolocyntosis:139 Dazu hat O'Gorman eine post134 LEBEK, Pharsalia, 74-76; MERFELD, Panegyrik, 9; NARDUCCI, Lucano, 23; RöMER, Mode, 113. 135 LEBEK, Pharsalia, 76f; NARDUCCI, Lucano, 23; SCHUBERr, Studien, 112. 136 PAULSEN, Problematik, 189. 137 RöMER, Mode, 104; ähnlich SCHUBERr, Studien, 112. 138 MERFELD, Panegyrik, 11-14. 139 Ein Beispiel für unplausible Argumentation mit modernem Stilempfinden ist die
2.1. Das neronjsche Zeitalter
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strukturalistisch geprägte Interpretation vorgelegt, die den Zitaten und Anspielungen nachgeht, und gezeigt, dass diese des öfteren ein ,,Eigenleben" entwickeln, wodurch die Absicht des Zitierenden geradezu umgekehrt wird. Letztlich werde durch dieses Zitatspiel die verwirrende Mehrdeutigkeit so groß, dass es nicht mehr möglich sei herauszufinden, was ,,ernst" und was ,,ironisch" gemeint sei. Dies gelte auch für das Lob Neros. 140 Klar ist, dass der Text den Leser einlädt, Text und Vorbild zu vergleichen, die Doppelbödigkeit zu erkennen und dadurch ironische Beziehungen zwischen der realen Welt und der Phantasiewelt der menippeischen Satire herzustellen. 141 Klar ist auch, dass man dieses Spiel so weit treiben kann, wie O'Gorman es vorführt. Die Frage ist aber, ob man es so weit treiben soll. Hier ist doch festzustellen, dass der Text ausschließlich hinsichtlich Claudius Hinweise darauf gibt. Ein Vergleich des Nerolobs mit seinen literarischen Vorbildern, also insbesondere Verg. ecl. 4, lässt jedoch zwar zuweilen Komik erkennen,142 nie aber einen Hinweis, das Lob ironisch zu verstehen - sondern panegyrisch und zugleich paränetisch. 143 Noch komplizierter ist die Lage bei dem Nerolob im Proömium von Lucans De bello civili. Hier ist zunächst der Versuchung zu widerstehen, kurzschlüssig Informationen aus externen Quellen über das wechselhafte, schließlich tödliche Verhältnis des Autors zu Nero der Interpretation des Textes zugrunde zu legen. l44 Weder ist eine Datierung der frühen Bücher in die Zeit vor dem Bruch mit Nero ein hinreichender Grund, das Lob für ernst zu halten, noch seine spätere Feindschaft gegen den Kaiser, es ironisch zu lesen. Interpretation dieses Textes bei ROBINSON, Court, 251-254: Die gleichnishafte Sprache des Nerolobs sei platt und formelhaft, es sei ein Fall von mäßiger Poesie und darum nicht ernstgemeint. Selten wurde behauptet, das Nerolob in De Clementia sei (zumiJidest teilweise) ironisch zu verstehen; vgl. z. B. LEACH, Implied Reader. Das führt aber kaum über die Erkenntnis hinaus, dass zwischen dem gezeichneten Idealbild und der Realität eine Differenz besteht - ein Ergebnis, das auch eine Lektüre des Textes als paränetischer ,,Fürstenspiegel" hat. 140 O'GORMAN, Citation, 101. 141 LEACH, Implied Reader, 200-216; ADAMlETZ, Apocoloeyntosis, 378-381 (allgemeiner zur FUnktion des Sprachwitzes); in Sen. apocol. 5,4 findet sich eine beinahe explizite Aufforderung dazu. 142 Etwa bei der Beschreibung der Parzen und Apollos. 143 Vgl. ausführlich MERFELD, Panegyrik, 54--70; SCHUBERT, Studien, 15-33, seltSanl allerdings seine Behauptung, ,,dass bis heute kein Interpret das Nerolob ironisch verstanden oder seine Eingliederung in die Satire überhaupt als Problem empfunden hätte" (op. eit., 18). 144 Diese scheinen - neben der principatskritischen Aussage des Gesanltwerkes, dazu s. im folgenden - der Anlass gewesen zu sein, dass schon die antiken Kommentatoren Lucan. 1,55-57 als ironische Anspielungen auf Neros Schielen und Fettleibigkeit verstanden (Adnotationes ad Lueanum ad. loe.).
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Kapitel 2. Die historische Situation von Röm 19,1-7
Vielmehr ist wieder die Beziehung zu den literarischen Vorbildern genau zu untersuchen, und hier zeigt sich, dass es zwar immer wieder Möglichkeiten für ironische, ja abgründige Deutungen gäbe - z. B. bei der Erwähnung der Apotheose nach dem Tode (Lucan. 1,45f) oder der Anspielung auf den Phaetonmythos (Lucan. 1,47-50) -, dass diese aber regelmäßig durch gezielte Hinweise an den Leser ausgeschlossen werden - z. B. klärt die Einfügung von "seros", dass die Beschreibung der Apotheose kein Todeswunsch ist, und es wird explizit erklärt, dass Nero den Sonnenwagen nicht aus der Bahn werfen wird. 145 Dieses Ergebnis führt freilich zu großen Schwierigkeiten bei der Deutung des Gesamtwerkes. Denn dieses ist eindeutig principatsfeindlich und sieht die Bürgerkriege, ja die Geschichte insgesamt, als sinnlos an, was in sclj.neidendem Gegensatz zur Behauptung des Nerolobs steht, für ihn allein habe sich das Leiden gelohnt. Versuche, einen Bruch in dieser Konzeption zwischen den frühen (noch principatsfreundlichen) Büchern und den späterßn herauszuarbeiten oder die Kritik auf die Person Caesars zu beschränken und nicht auf die Institution des Principats zu beziehen, wodurch eine sinnvolle Integration des Nerolobs möglich würde,146 sind gescheitert. 147 Auch die Erklärung, das Nerolob sei zwar nicht ironisch, aber auch nicht ernstgemeint, sondern eine ,,Pflichtübung", um die Veröffentlichung des Werkes zu sichern,l48 ist nicht ganz befriedigend: Nero wird ja kaum nur die ersten 66 Verse des Epos gelesen haben. Es bleibt kaum etwas anderes übrig, als den Widerspruch festzustellen und zu respektieren, dass seine Intention unerklärlich bleibt. 149 Eher selten wurde eine ironische Deutung des Nerolobes in den Eklogen des Calpurnius Siculus vertreten,150 jedoch ohne durchschlagende Argumente. Diese machen sich meistens an Calp. ecl. 7 fest. Dieses letzte Gedicht der Sammlung sprengt die - schon zuvor z. B. mit Elementen der Lehrdichtung (Calp. ecl. 5) und der Liebeselegie (Calp. ecl. 3) erweiterte und auch spielerisch in Frage gestellte (Calp. ecl. 6) - Gattung Bukolik endgültig: Corydon kehrt aus Rom zurück, wo er Neros Zirkusspiele gesehen hat, und die Hirtenwelt ist für ihn armselig und schmutzig geworden (Calp. ecl. 7,13-18; 7,45f). Er wünschte sich, kein armer Hirte zu sein, denn 145 LEBEK, Pharsalia, 74-107; ebenso GRlMAL, Verherrlichung; NARDUCCI, Lucano, 22f; PAULSEN, Problematik, 190; RÖMER, Mode, 97f. Gegen GRISET, Eloge, 322-324; MERFELD, Panegyrik, 105-111. 146 B. DILKE, View; FANTHAM, Leben, 150f; REITZ, Literatur, 86. 1.47 NARDUCCI, Lucano, 22.25; PAULSEN, Problematik, 197. 146 PAULSEN, Problematik, 198f; SCHUBERr, Studien, 112f; SULLIVAN, Literature, 144-146; ähnlich NARDUCCl, Lucano, 24f, der dies allerdings vorsichtig mit der Entwicklung in Lucans Beziehung zu Nero vom Anhänger zum Feind in Verbindung zu bringen versucht. 149 Vgl. GRIFFIN, End, 157-159. 150 Z. B. bei DAVIS, Structure; LEACH, Pastoral.
z.
2.1. Das neronische Zeitalter
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dann hätte er seinen "Gott" im Theater aus der Nähe sehen können und nicht nur von Ferne erahnen (Calp. ecl. 7,79f). Der gattungskonstitutive Gegensatz Stadt/Land (vgl. Verg. ecl. 1)151 wird hier nicht kritisch umgewertet - so dass sich ein Hinweis auf die Echtheit des Landes gegenüber der künstlichen Scheinwelt im Theater ergäbe oder gar ein sozialkritisches Engagement zugunsten der armen Landbevölkerung -, sondern im literarischen Spiel, um die Wunderwelt von Neros Spielen noch überlegener und herrlicher erscheinen zu lassen. 1S2 Calpurnius bietet also Panegyrik in Reinform - ohne jeden Anflug von Kritik, auch ohne Anzeichen einer paränetischen Absicht - selbst um den Preis der ,ßelbstaufgabe" der von ihm gewählten GattUng Bukolik. 153 Es bleiben die Carmina Einsidlensia, über deren Interpretation eine besonders intensive Forschungsdebatte geführt wurde. Sind auch diese Werke - je nach Wertung - als Gipfel- bzw. Tiefpunkte neronischer Panegyrik zu verstehen oder ist hier hinter dem übersteigerten Lob ironische Kritik an Nero versteckt? In carm. Eins. 1 lassen sich tatsächlich mehrere sehr auffällige Züge entdecken: Derjenige der Hirten, der das Nerolob vorträgt, wird - schon durch seinen Namen Thamyras 1S4 - als unsympathischer Prahler gezeichnet. Er fordert vor dem Sangeswettstreit ein Pfand, ohne selbst eines zu geben (carm. Eins. 1,5-12), weil er sich aufgrund seines Themas Kaiserlob des Sieges sicher ist (carm. Eins. 1,15f), und er fällt seinem Konkurrenten während dessen Lied brutal ins Wort (carm. Eins. 1,36). Gewiss gibt es literarische Vorbilder dafür, dass die Hirten beim Sangeswettbewerb ruppig miteinander umgehen, 155 doch das Verhalten des Thamyras ist ein massiver Bruch mit den Konventionen der Gattung.1S6 151 Zum Zusammenhang zwischen Natursentimentalität und Natmbeherrschung vgl. CANCIK, Gattungen, 267. 152 FEAR, Laus Neronis; NEWLANDS, Urban Pastoral, 219-225; gegen: DAVIS, Structure, 49; LEACH, Pastoral, 140f. 153 MERFELD, Panegyrik, 71-101; SCHUBERr, Studien, 44--83. EFFE/BINDER, Bukolik, 130, reden von ,;Verrat"; SCHMIDT, Leidenschaft, 15 von ,,Lüge". VERDIERE, Culte, geht in seiner Wertung noch weiter und vergleicht Calpurnius mit stalinistischer Propa.gandadichtung. LEACH, Pastoral, 122, weist - auch wenn man ihre ironische Interpretation nicht teilt - zu Recht darauf hin, dass Calpurnius die Gattung Bukolik für lange Zeit an ein Ende gebracht hat. 154 Zu den auffälligen Namen vgl. KORZENIEWSK1, Tendenz, 349f. 155 MERFELD, Panegyrik, 112-119, nennt Verg. ecl. 3 und Calp. ecl. 6 . .156 KORZENIEWSKI, Tendenz, 345f; so auch EFFE/BINDER, Bukolik, 133, obwohl sie eine ironische Deutung ablehnen. Eine Ironisierung der· Hofpanegyrik und evtl. eine Anspielung auf den Sieg Lucans bei den Neronia mit seinen Laudes Neronis sehen auch :AMAT, Humour, 195, und SULLIVAN, Literature, 57-59. Wenig überzeugend ist das Gegenargument VOll MERFELD, Panegyrik, 116, beim Lob des Kaisers gebe es eben nur ·Sieger und keine Verlierer. '
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Kapitel 2. Die historische Situation von Röm 13,1-7
Während der Panegyricus des Ladas sich im herkömmlichen Rahmen bewegt und Nero als apollinischen Sänger rühmt, bewegt sich das Lob des Thamyras, auch an antiken Leseerwartungen gemessen, an der Grenze: Allein das Epos des Kaisers über dieses Thema sei den Untergang Troias wert gewesen (carm. Eins. 1,38-41). Hier wird das aus Lucan schon bekannte, verbreitete Motiv vom ,,Lohn" des Leidens aufgenommen und zugleich die Vorstellung, das besiegte Troia werde durch die iulischen Kaiser als Nachfahren des Aeneas doch noch zum Sieger .157 Aber kann man, was dort noch nachvollziehbar ist, hier, wo der lohnende, der Geschichte ihren Sinn gebende Siegespreis ein von Nero gedichtetes Epos sein soll, ernst nehmen?158 Zu einem geradezu grotesken Höhepunkt kommt das Gedicht, als bei einer Dichterweihe bzw. Dichterkrönung Homer - der Epiker schlechthin - seine eigene vitta, das Zeichen seines Dichtertums, an Nero abgibt und Vergilbei Calpurnius ein auch durch noch so ambitionierte aemulatio nicht überbietbarer "Gott" (Calp. ecl. 4,70) - seine Aeneis vernichtet (carm. Ei.p.s. 1,43-49).159 Der vielleicht die Aussage klärende Schluss des Gedichtes' ist verloren, aber man kommt kaum umhin, es auf dem Grat zwischen erhabenem Lob und Lächerlichkeit eher nach letzterer Seite hin abstürzen zu sehen - und dies wohl mit ironischer Absicht. 160 In carm. Eins. 2 ist es die rätselhafte Traurigkeit des Mystes angesichts der goldenen Zeit,161 die die Ausleger immer wieder beschäftigt hat, äber bislang nicht befriedigend erklärt worden ist. 162 Klar scheint jedenfalls, dass das Gedicht sich auf Calp. ecl. 4 - also einen Zentraltext der NeroMERFELD, Panegyrik, 129. Sehr hypothetisch ist es allerdings (so zu Recht MERFELD, Panegyrik, 129-131), wenn AMAT, Humour, 194f, und KORZENIEWSKI, Tendenz, 347f, hier eine Anspielung auf den Brand Roms sehen. Dafür ist die Datierung sowohl des Gedichts als auch .der Veröffentlichung von Neros Epos zu unsicher. 159 AMAT, Humour, 195; EFFE/BINDER, Bukolik, 134; KORZENIEWSKI, Tendenz, 35~. MERFELD, Panegyrik, 132-135, und SCHEDA, Studien, 22f halten dies hingegen nur für panegyrische Auxesis. 160 AMAT, Humour, 194f; SCHUBERr, Studien, 137-158, versteht den Text vor allem als Parodie auf panegyrische Poetaster am Hofe Neros. 161 Die Beschreibung des Tierfriedens als Zwang (carm. Eins. 2,37) - ein auffli.lliger Kontrast zu dem Bild in Jes 11,6-8 -, die EFFE/BINDER, Bukolik, 140, bemerken, ist wohl kaum kritisch - etwa als Hinweis auf den römischen Imperialismus - zu verstehen. 162 SCHMID, Panegyrik, 64-70, und SCHEDA, Studien, 32-37, sehen hier wenig prägnant das Motiv grundloser Melancholie des Überflusses vorliegen; kaum plausibel ist die Erklärung bei MERFELD, Paneygrik, 144f, Mystes sei besorgt, weil die Hirten Dionysos und nicht Apollo/Nero opferten; absurd die Deutung von BALzERT, Hirtensorgen, 42, Mystes sei enttäuscht weil die Weissagung von Verg. ecl. 4,42-45 nicht eingetreten sei, dass in der goldenen Zeit die Schafe bunte Wolle trügen; am überzeugendsten sind noch die Überlegungen von FUCHS, Friede, es gehe um den Frieden als Gefahr, also darum, dass Menschen zu schwach sind, einen glücklichen Zustand ohne moralischen Verfall tragen zu können. 157 158
2.1. Das neronische Zeitalter
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panegyrik - bezieht und Mystes das goldene Zeitalter in irgendeiner Weise ,,satt hat" (carm. Eins. 2,9).163 Die Carmina Einsidlensia sind also wohl beide nicht der "glatten" Neropanegyrik zuzurechnen, sondern scheinen - bei allen Unsicherheiten der Deutung, die bleiben - ironische, oppositionelle Stimmen zu sein. 164 .
2.1.1. 5 Fazit Die Quellen zur neronischen Zeit - die Zeit, in der der Römerbrief entstanden ist und in deren politischen Diskurs Röm 13,1-7 einzuordnen istgeben ein äußerst vielfältiges Bild von diesem Kaiser und von den Möglichkeiten politischer Äußerungen über seine Herrschaft. Das Spektrum reicht auf der einen Seite vom göttlichen Erlöser bis zum blutigen Tyrannen, auf der anderen von reiner Panegyrik über vorsichtige Paränese und versteckte Ironie bis zu offener Kritik - letzteres aber bezeichnenderweise erst nach dem Tode Neros. Dies alles muss im Blick bleiben, wenn es im folgenden zunächst darum geht, die historischen Bedingungen der Entstehung von Röm 13,1-7 herauszuarbeiten, und es muss auch im Blick bleiben, wenn dieser Text auszulegen ist. Denn viele Themen, die in der Forschungsgeschichte zu Röm 13,1-7 bereits begegnet sind, sind es hier wieder: die Frage religiöser Legitimierung von Herrschaft, die Frage nach Möglichkeiten des Einflusses auf den Herrscher, die Frage nach Widerstand und Kritik, die Frage nach versteckter Kritik mittels Ironie. 2.1.2 Grundzüge der Regierung Neros
Im folgenden soll nicht den zahlreichen Darstellungen der Regierungszeit Neros eine weitere hinzugefügt werden. Beabsichtigt ist vielmehr, die Grundzüge seiner Herrschaft - insbesondere der frühen Jahre -, die für ein Verständnis von Röm 13,1-7 relevant sein können, kurz zu skizzieren. 2.1.2.1 Quinquennium Neronis?
In Beiträgen zu Röm 13,1-7 wird immer wieder die Möglichkeit diskutiert, dass der Text die Erfahrungen des Paulus im "glücklichen" quinquennium Neronis widerspiegele, als Seneca und Burrus im Geiste stoischer Philosophie das römische Weltreich lenkten. 165 163 AMAT, Humour, 196; KORZENIEWSKI, Tendenz, 353f; SULLIVAN, Literature, 57; anders SCHUBERr, Studien, 158-167. 164 AMAT, Humour, 197-199; KORZENIEWSKI, Tendenz, 360; RöMER, Mode, 100. Zu weit geht es freilich, wenn KORZENIEWSKI, Tendenz, 355, aus den verlorenen Schlusspassagen ableitet, es handle sich um heimlich weiterg~eichte Untergrundliteratur. .165 BAUER, Jedermann, 265f; GAUGLER, Christ, 136; JEWETT, Romans, 793; LANE, Christianity, 202; MICHEL, Römer, 400; SANDAYjHEADLAM, Romans, 371; VONCK, Au-
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Kapitel 2. Die historische Situation von Röm 13,1-7
Die Wendung quinquennium Neronis findet sich erst bei Aurelius Victor, Liber de Caesaribus 5,2-4 und in der Epitome de Caesaribus 5,2-5 (4. Jh. n. Chr.), und zwar in einer schwer zu verstehenden Äußerung des Kaisers Traian. Erst bei noch späteren Autoren wird dieser Fünfjahreszeitraum mit den ersten fünf Jahren von Neros Regierungszeit identifiziert. Das Positive an ihnen bleibt unklar, es finden sich u. a. Vermutungen, es handle sich um Neros Bau- oder Außenpolitik. I66 Die an sich 8.J.so rätselhafte Wendung wird nun. allerdings in Zusammenhang gebracht mit der Behauptung des Cassius Dio, dass Seneca und Burrus die eigentlichen Regenten des Reiches gewesen seien (Cass. Dio 61,4,2), und mit der vor allem bei Tacitus, weniger bei Cassius Dio, bei Sueton nur in Spuren erkennbaren Tendenz, eine Entwicklung der Herrschaft Neros zum Schlechteren anzunehmen. I67 Erstere - in der früheren Forschung oft als Beschreibung der Realität genommenI68 - wird heute von der Forschung beinahe einstimmig zurü,ckgewiesen: Ein konkreter Einfluss Senecas, gar seiner philosophischen Konzepte, auf die Maßnahmen und Gesetze der ersten Regierungsjahre Neros ist nicht nachweisbar. I69 Auch letzteres ist problematisch, handelt es sich doch bei der Annahme einer Verschlechterungstendenz um die Deutung v. a. eines antiken Geschichtsschreibers, die nicht richtig zu sein braucht. Noch problematischer ist es, bestimmte Ereignisse - den Tod des Britannicus, der Agrippina, des Seneca, die Scheidung von Octavia - im Anschluss an Tacitus und die übrigen antiken Autoren als Einschnitte in dieser Entwicklung anzusehen und über deren Auswirkungen auf Neros Verhalten oder gar Charakter zu spekulieren. 170 Was bleibt, ist also nur die von diesen problematischen Deutungsmustern möglichst fernzuhaltende Frage nach Entwicklungen innerhalb der Regierungszeit Neros. Hierzu geben die Quellen tatsächlich einige Hinweithority, 339; WITHERINGTON, Romans, 306; dagegen z. B. NIKOLAINEN, Roomalaiskh"je, 227; SCHRAGE, Christen, 52f. 166 CHAMPLIN, Nero, 25; GRIFFIN, End, 37f; WIEDEMANN, Tiberius to Nero, 243f. 167 S. dazu o. Abschn. 2.1.1.1. 168 FUHRMANN, Seneca, 18lf.196; MOMIGLIANO, Nero, 711-715, überschreibt sein Ka.pitel mit "The Policy of Seneca and Burrus". Skeptischer: WARMINGTON, Nero, 27f. 169 GRANT, Nero, 57; GRIFFIN, End, 50f; DIES., Seneca, 67-128; MALITZ, Nero, 26f; WALDHERR, Nero, 66.104, weist darauf hin, dass i=erhin einige von Neros Reden von Seneca st=ten und dass er sich in der Öffentlichkeit als dessen Berater und Lehrer stilisierte. 170 So tendenziell SCHNEIDER, Nero, 81; WALDHERR, Nero, 95-97. Eher ist es aber umgekehrt: Diese Ereignisse wurden von Tacitus ausgewählt, um als Symboldaten für seine Theorie der allmählichen Charakterenthüllung zu dienen; vgl. WIEDEMANN, Tiberius to Nero, 244. Auch FLAIG, Akzeptanz, 352, wertet den Muttermord als ,,zäsur [... ], welche das kulturelle Gedächtnis setzte".
2.1. Das neronische Zeitalter
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se: In den ersten Jahren findet sich eine Häufung von Gesten, die ein gutes, beinahe partnerschaftliches Verhältnis zum Senat beschwören: l7l die ,,Dyarchie" der Antrittsrede - Formel für den respektvollen Umgang mit dem Senat l72 -, der demonstrative Verzicht auf Ehrungen und Titel (Tac. anno 13,10; Suet. Nero 8), das Verhalten gegenüber dem Amtskollegen im Konsulat (Tac. anno 13,11,1), die Rücknahme unbeliebter Bestimmungen des Claudius (Tac. anno 13,5,1), die Niederschlagung von Prozessen wegen maiestas (Tac. anno 13,10).173 Solche Gesten lassen allmählich nach - einen genauen Zeitpunkt dafür kann man allerdings nicht ausmachen und die letzten Jahre Neros sind von offener Feindschaft gegen die senatorische Elite geprägt: der pisonischen Verschwörung, Prozessen, erzwungenen Suiziden,174 der offenen Zurschaustellung von Verhaltensweisen, die das senatorische Ideal verhöhnen. 175 Man darf allerdings nicht den Fehler machen, nun doch die These von einer fortschreitenden Verschlechterung bestätigt zu sehen: Alle geschilderten Maßnahmen und Gesten der ersten Regierungsjahre sind senatsfreundlich - aber dadurch noch lange nicht positiv für die übrige Bevölkerung und die der letzten Regierungsjahre senatsfeindlich - aber darum noch lange nicht bei der gesamten Bevölkerung unbeliebt. Als Beispiele mögen die dementia Neros und seine Griechenlandreise dienen: Neros demonstrative Milde der ersten Jahre richtete sich - trotz der berühmten Anekdote über die zwei Straßenräuber Sen. clem. 2,1,2 - vor allem gegen Mitglieder der Oberschicht, unter anderem gegen ehemalige Provinzstatthalter, die wegen ausbeuterischer Amtsführung in Repetundenprozessen angeklagt waren. 176 Andererseits ist bei Neros Zustimmung zum senatus consultum Silianum (Tac. anno 13,32,1) und zu dessen unbarmherziger Durchführung anlässlich der Ermordung des Pedanius Secundus durch einen seiner Sklaven (Tac. anno 14,42-45) trotz breiter Proteste der Bevölkerung von dementia nichts zu sehen. 177 Neros Griechenlandreise wiederum gilt den römischen Geschichtsschreibern geradezu als Gipfelpunkt seiner Perversion - in Grie-
171 FUHRMANN, Seneca, 181; GRlFFIN, End, 60-62; MALITZ, Nero, 24; MOMIGLIANO, Nero, 704f; WALD HERR, Nero, 67f; WARMINGTON, Nero, 34; WITSCHEL, Verrückte
Kaiser, 111.
172 173
GRIFFIN, End, 59f. Zum ersten solchen Prozess kam es 62 n. ehr. (Tac. anno 14,48f), also erst nach acht Jahren; vgl. dazu GRlFFlN, End, 53. 174 SCHNEIDER, Nero, 82f; WIEDEMANN, Tiberius to Nero, 252f. 175 S. dazu u. S. 87. 176 GRlFFIN, End, 65; LEVICK, Greece, 668; WARMINGTON, Nero, 59f. Es lassen sich freilich auch Anzeichen dafür erkennen, dass tatsächlich der Provinzialbevölkerung geholfen werden sollte; vgl. GRANT, Nero, 59f; WALDHERR, Nero, 68f; WIEDEMANN, Tiberius to Nero, 249. 177 MOMIGLIANO, Nero, 705; WARMINGTON, Nero, 34f.
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Kapitel 2. Die historische Situation von Röm 19,1-7
chenland aber wird er noch nach seinem Tode für seine Freundlichkeit gelobt. 178 Aber auch die einfache Aufteilung in zunächst nerofreundliche, dann nerofeindliche Oberschicht und durchgehend nerofreundliche Unterschicht greift zu kurz. Gewiss soll die Reaktion auf die Nachricht von Neros Tod im Senat Freude, bei der sordida plebs hingegen Trauer gewesen sein - doch das schreibt eben Tacitus, und man sollte es ihm nicht unbesehen glauben. Denn einerseits gibt es durchaus Anzeichen, dass Nero in seinen letzten Jahren auch bei der breiten Bevölkerung unbeliebt war,179 andererseits griffen Otho und Vitellius (und die zahlreichen falschen Nerones) zu ihrer Legitimation auf ihn zurück. 180 Insgesamt ist das Bild also komplex. Eine einfache Erklärung eines Textes wie Röm 13,1-7 mit dem "guten" ersten Jahrfünft Neros ist nicht möglich. 2.1.2.2 Steuern
Eine besondere Rolle in der Diskussion über Röm 13,1-7 spielt die Steuerpolitik Neros, genauer seine geplante ,,steuerreform" 58 n. ehr. ~tus beri gPY
'I'Ie:oO. Oll BE: oöaOl~ lIm> 'I'Ie:oO 1:e:1:OlYlltvOl~ e:ta(v, l:la1:e: b aV1:l"tOlaa6!1EVoc; 1:fi 1:00 'I'Ie:oO 81ot1:OlYfi 1:Ti El;oua(qc av06Ea1:"I}XEv. OL 8t av06e:a1:T}x61:e:c; eotU1:0Lc; xp!lJ.ot Ai}Il ayot'l'l1j> e:py'l> aua "t1j> xOlx1j>. 'I'ItAe:~C; 8t Il~ epo~e:Lcn'lOl~ 1:~V El;oua!otv· EaV 8t 1:0 xolxov ltOlfic;, 1:0 ayOl'l'lov ltO(e:l, epo~oO· xal ~I;e:~c; EltOl~VOV EI; ot0"tiic;· 00 yap e:txfi 1:~V llaxOl~potv epope:L· 'I'Ie:oO yap 8~xov6c; Ea1:~V 'I'Ie:oO yap 8~axov6c; Ea1:W aOL Ex81XOC; e:tc; öpy~v e:tc; 1:0 a.YOl'l'l6v. 1:1j> 1:0 XotXOV 1tpaaaov1:~. 8~0
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4.2 Beherrschte und Herrscher Röm 13,1-7 ist in seiner gedanklichen Struktur zentral von einem Gegensatz zwischen "unten" und "oben", zwischen Beherrschten und Herrschern geprägt. Ein wichtiger Punkt in der Exegese des Textes ist es immer gewesen, die Bedeutung der Begriffe, mit denen diese Positionen bezeichnet werden, nämlich ltiioex ljJux~, ~~OUO(exL um:pe:xouOClL und &pX0V"te:c;; zu klären, sowie zu bestimmen, auf welche außersprachlichen Instanzen sie referieren. Wurden schon diese beiden Aufgaben oft nicht sorgfältig unterschieden, so spielte oft auch noch das theologische Interesse herein, über die Klärung der Begriffe die mögliche Reichweite des Textes - je nach politischer Position - auszuweiten oder einzuengen. So legitim die Frage ist, für welche möglichen (heutigen) Situationen dieser Text Anspruch auf Gültigkeit erheben kann - ob man ihn anerkennt, ist dann noch einmal eine andere Frage -, aus der Klärung der sprachlichen Frage nach der Bedeutung der
4.2. Beherrschte und Herrscher
171
Begriffe in ihm und der historischen Frage nach den Bezugsgrößen dieser Begriffe in seiner Entstehungssituation ist sie möglichst herauszuhalten.
4·2.1 rr:iiaa ljJuxf7 Die Wendung rr:liocx ljJuX~52 bedeutet ,,alle Lebewesen"53 oder ,,alle Menschen/jedermann"54, in Röm 13,1 eindeutig letzteres. Die Idee des Origenes (Orig. ad Rom. 9,25), ljJux~ hier nicht metonymisch für ,,Mensch", sondern als "Seele" zu verstehen, 55 ist eingestandenermaßen genial: In einer Situation von Repression und Verfolgung sichert sie, dass nur der ,,niedere" Teil des Menschen, Leib und Seele, sich den Herrschenden unterzuordnen hat, während der geistliche Mensch ihrem Zugriff entzogen bleibt. 56 Dennoch ist diese Deutung nicht plausibel. Sie setzt die Leib/Seele/GeistAnthropologie des Origenes in einer Weise voraus, wie sie sich bei Paulus nicht finden lässt. Gegenüber einem schlichten ,,alle" (rr:cX:vn:c;; oder EXCXCTtOC;;) hebt rr:liocx ljJux~ eher den Aspekt des Individuellen hervor: Es geht um jeden einzelnen. 57 Eventuell soll außerdem mit der Wendung ein Anklang an die Septuaginta, 58 insbesondere an deren Gesetzestexte,59 geschaffen wer52 p46, D* , F, G, altlateinische Zeugen, Irenaeus in lateinischer Übersetzung und Ambrosiaster lesen in 13,lltcXoar.c; e~ouolar.c; ÖltEpExouoar.c; UltatcXOaEcrf)E und entsprechend in 13,5 6LO (xal) UltatcXOaEcrf)E. Dies wird von einer Minderheit von Exegeten (z. B. BARNIKOL, Ursprung, 69f; HURLEY, Ironie, 48) für ursprünglich geha1ten,lässt sich aber als bewusste Änderung erklären, die den Text zu einer direkten Anweisung (Imp. 2. Pers. PI.) macht. 53 Vgl. Gen 9,10LXX; Lev 11,46LXX; Apk 16,3; vgI. Louw /NIDA, Lexicon, 4.1. 54 VgI. z. B. Gen 12,5LXX; 46,15LXX; Apg 2,43; Jud 15; vermutlich auch Röm 2,9; vgl. Louw /NIDA, Lexicon, 9.20. 55 Das ist sprachlich möglich. Das zeigt der Beleg Epikt. 1,28,4, den BAUER/ ALAND, Wörterbuch, 1783; DANKER, Lexicon, 1099, fälschlicherweise für ltiiaa cjJuX~ in der Bedeutung ,,jedermann" angeben. Wie Plat. soph. 228c (die Stelle, auf die Epiktet anspielt) zeigt, sind hier jedoCh tatsächlich alle Seelen gemeint, nicht alle Menschen (das bemerkt zu Recht schon WALKER, Studie, 11). 56 VgI. dazu REASONER, Romans in Full Circle, 130. 57 So auch in Röm 2,9 und sehr ähnlich in Jud 15. Vgl. auch ECK, Urgemeinde, 38; SANDAY /HEADLAM, Romans, 366; SCHWEIZER, ~. v. cjJuX~ X1:A., 648. 58 Dort steht ltiiaa cjJuX~ regelmäßig für Will Es ist aber wohl kein Hebraismus im engere Sinne (gegen z. B. LOHSE, Römer, 353), also eine Wendung, die in original griechischen, nicht vom Hebräisch beeinflussten 'Iexten nicht vorkommt (vgl. dazu REISER, Sprache, 34-36). Zu I/Jux~ in der Bedeutung ,,Mensch" vgI. die Belege bei LIDDELL/SCOTT, s. v., insbesondere die l/JuxalltoAAal bei Aristoph. Thesm. 864. 59 VgI. Lev 7,27; 17,12.15; 23,29f (mit Apg 3,23). Die darüber hinaus von LEGASSE, Paul, 518, genannten Stellen (Ex 12,4.15.16.19; 16,16; 31,14; Lev 2,1) bieten keinen wirklich guten Vergleich. Sie zeigen zwar, dass I/Jux~ metonymisch für ,,Mensch" stehen kann (und bestätigen insofern das oben Gesagte), sie belegen aber nicht, dass ltiioa cjJuX~ + Imp. 3. Pers. Sg. eine für Gesetzestexte der Septuaginta charakteristische Wendung sei.
"::l.
172
Kapitel 4. Röm 13,1-7 - Exegese
den. 60 Ob wirklich ein Bezug auf diese doch nicht allzu häufigen und allzu ähnlichen biblischen Rechtssätze herausgehört wurde, muss allerdings offen bleiben. 61 In der Frage, auf welche reale Gruppe von Menschen die Wendung in Röm 13,1 referiert, vertritt die Mehrheit der Exegeten die Ansicht, es gehe tatsächlich um "aUe" Menschen, der Satz sei also allgemein zu verstehen,62 während eine Minderheit der Meinung ist, es gehe - aus dem Kontext erschließbar (Röm 12,3: 7tIXVtL"tijS OV"tL €v ~LV) - ausschließlich um Christen. 63 Die Minderheitenposition hat wenig für sich. Röm 13,1-7 hebt sich vom Kontext, in dem tatsächlich ein spezifisch christlicher Lebensstil beschrieben wird oder sogar gezielt die stadtrömischen Christen angeredet werden, ja gerade dahingehend ab, dass auf eine allgemeine, argumentierende Ebene gewechselt wird. 64 Eine Gleichsetzung des Referenten von 7tCialX tjJuX~ mit den Adressaten des Briefes - als ob die Bedeutung dieser Wendung "alle von euch" wäre - ist nicht korrekt. Auch sonst weist nichts an dem Satz in seinem Äußerungskontext darauf hin, dass die Gruppe potentieller Referenten gegenüber ,,allen Menschen" irgendwie eingeschränkt wäre. So richtig es ist, dass die Adressaten des Textes wohl überwiegend einer bestimmten sozialen Schicht angehörten65 und so richtig es ist, dass dieser Text aus der Sicht eines Angehörigen dieser Schicht formuliert ist,66 so unzulässig ist es doch, die potentiellen Referenten von 7tCialX tjJuX~ auf diese bestimmte Gruppe von Menschen zu begrenzen. 67 Der hervorgehobene Einsatz mit 7tCialX tjJuX~ markiert, dass das, was Paulus hier schreibt, seiner Ansicht nach für alle Menschen gelten soll.
GIELEN, Tradition, 441; PESCH, Römerbrief, 94. In Apg 2,43 wird z. B. die Wendung ganz unbetont und ohne Anklänge an solche Texte gebraucht. 62 BORNKAMM, Paulus, 216; DELLING, Römer 13,1-7, 37; DUCHROW, Christenheit, 150; FITZMYER, Romans, 665; GIELEN, Tradition, 441; LOHSE, Römer, 353; PORl'ER, Rhetoric, 120; SCHREIBER, Imperium Romanum, 153; STEIN, Argument, 326; WALKER, Studie, 11; WISCHMEYER, Staat, 160. 63 ECKSTEIN, Syneidesis, 280f; KÄSEMANN, Römer, 342; RACINE, Romains 13,1-7, 197; vermittelnd DUNN, Romans, 760; CASSIDY, Paul in Chains, 27; SCHLIER, Römerbrief, 387; STARNITZKE, Struktur, 390; WrrHERlNGTON, Romans, 309: alle seien gemeint, aber hier besonders die Christen angesprochen. 64 Mit dieser Diskussion oft unterschwellig verknüpfte theologische Debatten über das Spezifikum christlicher Ethik, natürliche Theologie und ähnliche Themen sind trotz ihrer prinzipiellen Berechtigung wie eingangs dargelegt aus der Exegese des Textes herauszuhalten. 65 S. o. S. 125. 66 S. o. S. 90. 67 Gegen MALINA/PILCH, Commentary, 280. 60 61
4.2. Beherrschte und Herrscher
4·2.2
l~oua{az u1CE(JExouaaz
173
und IIpxoJl"CEl)
Die exegetische Forschung zur Bedeutung von tl;oua(cxL tJ1tEpEXOUaa.L und &f>XOV"tEC; war geprägt von dem langdauernden Streit über die sogenannte angelologische Interpretation dieser Begriffe. 68 Der wichtige und sehr einflussreiche Aufsatz von A. Strobel ,,zum Verständnis von Rm 13" aus dem Jahre 1956 steht, zwar nicht chronologisch, aber doch im Sinne eines Ergebnisses an seinem Ende. Strobels These, dass Paulus Elemente einer ,,profanen"69 lateinisch-griechischen Amtssprache aufnehme, so dass tl;oua[cxL ultEpExouacxL ein ,,Hinweis auf die zahllosen obrigkeitlichen Ämter des umfangreichen Staatsapparates des [röznischen] Weltreiches"7o sei, wurde breit rezipiert.n Insbesondere E. Käsemann rechnete sie ,,zu den gesichertesten und fruchtbarsten Ergebnissen der Diskussion"72, ging noch etwas weiter als Strobel, indem er postulierte, es werde nicht vom Staat, sondern konkret von den einzelnen Amtsinhabern, denen der ,,kleine Mann" begegne, gesprochen,73 und machte dies zu einer Grundlage seiner Gesamtinterpretation von Röm 13,1-7. Dass in Röm 13,1-7 nicht allgemein vom "Staat" die Rede sei, sondern es sich um situationsgebundene Paränese handle, ist nach Käsemanns Ansicht auch schon durch die von Strobel ermittelte Bedeutung der Begriffe tl;oua(cxL und &f>XOV"tEC; gegeben. Diese Interpretation wurde wiederum für die weitere Exegese in vieler Hinsicht maßgeblich, so dass Käsemann als ein Multiplikator für die Rezeption Strobels wirkte. Kritische Stimmen sind demgegenüber sehr selten. 74 Dabei ist Strobels Vorgehen, obwohl es innerhalb der Diskussion um die angelologische Deutung von Röm 13,1-7 seine Berechtigung hatte, in vielerlei Hinsicht problematisch. Er erkennt durchaus richtig, dass O. Cullmann bei seiner angelologischen Deutung einen semantischen Fehler macht: Er überträgt eine Bedeutungsvariante, die tl;oua(cxL und &f>XOvtEC; in einem bestimmten Kontext haben können,. nämlich ,,Engelmächte", auf die Verwendung derselben S. dazu o. Abschn. 1.1.3. Man muss bei einer Bewertung die Diskussionssituation des Aufsatzes im Blick behalten: ,,Profan" meint in diesem Kontext wohl kaum mehr als ,,nicht angelologisch". 70 STROBEL, Verständnis, 79. 71 Vgl. z. B. FRlEDRlCH/PÖHLMANN/STUHLMACHER, Situation, 135; LOHSE, Römer, 354; THEOBALD, Römerbrief, Bd. 2, 81; WlTHERlNGTON, Romans, 310. 72 KAsEMANN, Römer, 341. 73 KAsEMANN, Generation, 374. 74 CANCIK, Gewalt, 56, bezweifelt die Existenz einer ,,Behördensprache" im Römischen Reich; DUCHROW, Christenheit, 157, wendet - mehr aus systematischem Interesse als aufgrund sprachwissenschaftlicher Bedenken - ein, !:I;oua[al sei institutionell gemeint, nicht nur ad hoc auf einzelne Menschen zu beziehen; WALKER, Studie, 12f, kritisiert grundsätzlich, das herangezogene Quellenmaterial sei zum Vergleich ungeeignet, und greift statt dessen auf innerbiblische Parallelen zurück. 68 69
174
Kapitel
4.
Röm 13,1-7 - Exegese
Wörter in einem anderen Kontext. 75 Doch verbleibt er ebenso wie Cullmann in den Grenzen der damaligen Forschung zu theologischen Begriffen, vermischt also gegen die Regeln der Semantik Bedeutung, Referent, Übersetzungsäquivalent und enzyklopädische Information zu einem Lexem,76 so dass letztlich zu fragen ist, ob er nicht denselben Fehler wie Cullmann macht. Strobels Argumentation nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Wendung ciPXCXL XCXL g~OUaLCXL in Lk 12,11. 77 Er versucht zu zeigen, dass dies eine feste, ja technische Wendung als Übersetzungsäquivalent zu der lateinischen Formel"imperia et potestates/magistratus" sei. Die dazu angeführten Stellen tragen die Beweislast freilich nicht: Mehrere davon sind schlichte Aufzählungen, in denen unter anderem imperium, potestas oder magistratus vorkommen. 78 In den übrigen ist durchaus nicht jeweils von genau demselben Sachverhalt die Rede, sondern es ist je nach Kontext Unterschiedliches (Amtsvollmachten, militärische Mandate für Amtsträger, Posten auf der Karriereleiter) gemeint. 79 Selbst wenn einige wenige der Belege tatsächlich als relativ festes, geprägtes Begriffspaar zu interpretieren wären - dann wohl ungefähr in dem Sinne ,,(höhere) Militär- und (niedere) Zivilämter"so -, dann gälte dies damit keineswegs ebenso für das griechische &pXCXL XCXL E~oua(cxL.Sl Und selbst wenn dies so wäre, dann stünde doch in Röm 13,1-7 nichts von &pXCXL, sondern von apxovre:1tL6v "tLVOC; als Umschreibung eines Dativs auffassen muss. Sie ergibt sich zudem nur, wenn man 12,17 als in sich geschlossene Einheit versteht. 246 Näher liegt es jedoch, 12,17b in Verbindung zu 12,18 zu bringen, dessen Thema ein friedliches Zusammenleben mit allen ist. Dann kann man 17b so verstehen, wie es sprachlich am plausibelsten ist: "bedacht auf das, was vor allen Menschen als Gut (xaA6v) gilt".247 Damit tut sich freilich innerhalb Röm 12 ein inhaltliches Problem auf, das auf das Problem von Röm 13,3f vorausweist: Wie passt es zusammen, dass das Gute das ist, was die Christen im Kontrast zur Welt als Willen Gottes erkennen und was von der spezifisch christlichen Liebe geprägt ist, und zugleich das, was vor allen Menschen als gut gilt?248 den verschiedenen Handlungen gehe. Sein sprachliches Hauptargument, dass die Partizipien nicht einfach als Äquivalente zu Imperativen angesehen werden dürften, sondern jeweils auf einen Hauptsatz (Nominalsatz oder Satz mit Verbum finitum) hingeordnet seien (in diesem Falle also auf 12,9a), ist ·zwar bedenkenswert, aber letztlich nicht weiterführend. Jeder Versuch, Röm 12 in ,,ordentliche" Satzperioden aufzuteilen, scheitert; SELLIN, Ästhetische Aspekte, 420-422; vgl. auch MICHEL, Römer, 38lf. 244 WILcKENS, Römer, Bd. 3, 24; ähnlich LOHSE, Römer, 348; SODING, Liebesgebot, 248. 245 So z. B. KÄSEMANN , Römer, 336; SCHLIER, Römerbrief, 38lf. Das hat eine gewisse Berechtigung angesichts der ähnlichen Mahnung in 1Thess 5,15. Doch hießt es dort eben ruXV"tO"tE "to ciycxof}ov 5LWXE"tE Eie; ciAA~Aoue; XCXI Eie; lta.V"tCle;. Dabei ist erstens die Fbrmulierung anders und zweitens durch die NebeneinandersteIlung von Verhalten innerhalb der Gemeinde und Verhalten nach außen der Kontext ein anderer. 246 Vgl. dazu die Kritik bei CRANFIELD, Romans 12-13, 54f. 247 So auch JEWETT, Romans, 772f; WINTER, Law, 80; ZAHN, Römer, 553. (Ähnlich verstehen den Vers CRANFIELD, Romans 12-13, 55; REICHERr, Gratwanderung, 265f; STUHLMACHER, Römer, 176, die aber mehr darauf abheben, dass alle Menschen Zeugen des guten Handelns der Gläubigen sein sollen. Wie aber sollen sie das sein, wenn sie es nicht auch als gut erkennen?) Dieses Verständnis legen insbesondere die Parallelen nahe: Prov 3,4LXX, 2Kor 8,21; Polyk 6,1. Denn man kann ja kaum darauf bedacht sein, Gott etwas Gutes zu tun, sondern nur darauf, das zu tun, was vor ihm als gut gilt (gegen WILCKENS, Römer, Bd. 3, 24). Vgl. als argumentative Parallelen bei Paulus 1Thess 4,12 (CVCllte:pL1tCX"t~"tE EöaXTJ!,6vooe; ltpoe; "tobe; E~OO); 1Kor 5,1; 10,32; 14,24.40; Röm 13,13 und auch 1Petr 2,15. Auch dort sollen die Christen tun, 1IY'as allgemein a.Is gut gilt, um Anschuldigungen zu entkräften. Vgl. zu dieser Argumentation VAN UNNIK, Rücksicht. 248 Die Abschreiber und Übersetzer, die ein hwltlov "toO of}EOO einfügten, glichen also keineswegs einfach die Stelle an 2Kor 8,21 an, sondern sie spürten offensichtlich das theologische Problem. Vgl. dazu WOLTER, Ethos, 437f: Paulus formuliert für die von
200
Kapitel 4. Röm 19,1-7 - Exegese
Noch weiter zugespitzt wird dieses Problem durch die das Kapitel abschließende Sentenz Röm 12,21: I.l~ VLX(;) tmo "cou xaxou a),.Aa v(xa tv "Ci;) ayai}i;) "Co xaxov. Diese sprachlich sehr schön gestaltete Mahnung fasst das ganze Vorangehende zusammen, vor allem aber wohl diejenigen Mahnungen, die davon ausgehen, dass den Gläubigen von außen249 Schlechtes getan wird (Röm 12,14.17a.18), und davon insbesondere die letzte Röm 12,19f. Diese beiden Verse stellen freilich eine beinahe unlösbare C7"'UX interpreturn dar: Geht es hier um eine Kombination aus Verzicht auf gewaltsame Vergeltung einerseits und prophetischer Übergabe an das eschatologische Zomgericht andererseits250 oder sind die glühenden Kohlen als Zeichen der Reue und Umkehr zu verstehen?251 Je nachdem, wie man diese Frar ge beantwortet, macht die Sentenz in Röm 12,21 den Kontrast zwischen dem theologisch bestimmten Guten und der "bösen Welt" zur endgültigen Trennung oder deutet eine ,,Brücke" an, diesen Kontrast zu überwinden. 252 Die Unschärfe, die die Untersuchung der Verwendung von ayai}6v/xaMv und xaxov j-ItovT}pov im Gedankengang von Röm 12 zutage treten ließ, ist in derselben Weise das Ergebnis einer traditionsgeschichtlichen Analyse der in Röm 12 aufgeführten konkreten Mahnungen: Die Berührungen mit jüdischen Paränesen (und auch mit aus den Synoptikern bekannten Jesusworten) sind ebenso dicht wie mit popularphilosophischer Ethik253 ~ und dennoch ist das von Paulus hier beschriebene christliche Ethos nicht einfach dasselbe wie das, was nach allgemeinen Maßstäben sowieso "gut" ist. 254 Paulus sieht also sowohl einen gewissen Kontrast (wenn auch keinen Gegensatz) als auch eine große inhaltliche Übereinstimmung zwischen dem, was ,,alle" Menschen - Juden wie Griechen - als gut ansehen und dem spezifischen christlichen Ethos. 255 Je nach den rhetorischen Bedürfnissen seiner Argumentation legt er den Akzent auf das eine oder das andere. ihm exklusiv verstandene christliche Gemeinde ein "erstaunlich inklusives und wenig deviantes Ethos". Einer der wenigen exegetischen Beiträge, die diese Spannung überhaupt wahrnehmen und reflektieren, ist REICHERr, Gratwanderung, 266f. 249 Nicht überzeugend ist die Argumentation von YINGER, Romans 12:14-21, 94--96, Röm 12,14--21 beziehe sich nicht auf Menschen außerhalb der Gemeinde, sondern auf die Streitigkeiten in der Gemeinde (die dann in Röm 14f ausgeführt würden). 250 So z. B. SCHOTTROFF, Gebt dem Kaiser, 196-200; STEGEMANN, Messianismus, 184f. 251 So z. B. STUHLMACHER, Römer, 177; WlLCKENS, Römer, Bd. 3, 26; eine gelungene Zusammenfassung der verschiedenen Argumente bietet REICHERr, Gratwanderung, 268f. 252 Vgl. dazu ADAMS, World, 203f. 253 Zu den jüdischen Parallelen vgl. die Angaben bei STUHLMACHER, Römer, 167-177. Zur Aufnahme popularphilosophischer Gedanken vgl. ENGBERG-PEDERSEN, Paul and the Stoics, 263f; THORSTElNSSON, Roman Stoicism; vgl. auch HORRELL, Community, 92; kritisch: ESLER, Stoicism, 124. 254 SCHRAGE, Ethik, 204--207; STUHLMACHER, Theologie, Bd. 1, 372. 255 ENGBERG-PEDERSEN, Paul and the Stoics, 264f.
4.4. Die Normbindung '/Ion Herrschaft
201
Von hier aus ist nun weiterzugehen und zu klären, was in Röm 13,3f der Maßst"ab für das sittlich Gute ist. Ein Kontrastschema, eine Art vorweggenommene vergröberte Zwei-Reiche-Lehre, scheidet aus: Paulus meint nicht die "Gerechtigkeit der Heiden" neben oder gar im Gegensatz zum wahren christlichen Ethos. Doch ebensowenig darf man vom Kontext her die christliche Liebe als Maßstab des Guten in Röm 13,3f hineinlesen25~ oder gar schließen, der Staat habe die Aufgabe, dem christlichen Ethos durch Zwang allgemeine Gültigkeit zu verschaffen. 257 Man wird vielmehr davon ausgehen müssen, dass Paulus das in Röm 13,3f genannte Gute dem nicht klar definierten, aber sehr breiten Bereich dessen zuordnet, worin zwischen ,,allen" und auch den Christen moralische Übereinstimmung herrscht. 258
4.4.3 rnalll0~ Als Folge guten HandeIns wird ,,Lob" genannt: E~e:Lv ist kein Partizip), d. h. weil sie allen Menschen feind sind - die Mission behindern"; vgl. ähnlich BocKMuEHL, 1Thessalonians 2:14-16, 15. 82 AMPHOUX, Juifs; GILLIARD, Problem; MALHERBE, Thessalonians, 169; ·SMITH, Unmasking, 59; STILL, Confiict, 4lf; TELLBE, Paul, 108. 83 GAVENTA, Thessalonians, 36f. 84 Vgl. dazu AMPHOUX, Juifs, 87f, doch auch die Gegenatgumente bei VERHOEF, Bedeutung. 85 Gegen GILLIARD, Problem, 498-501, der mehrere verschiedene Gruppen ausmachen will. 86 So zu Recht BOCKMuEHL, 1 Thessalonians 2:14-16, 13. Gegen MALHERBE, Thessalonians, 169f; TELLBE, Paul, 108, die beides, die einschränkende Lesart der Pattizipien und den Bezug auf Thessalonike, miteinander vereinbaten wollen. 87 So zu Recht BROER, Antisemitismus, 73-77. Dass Paulus selbst Jude sei und zu seinen Gemeinden Juden gehörten und er folglich so etwas nicht sagen könne (GAVENTA, Thessalonians, 36f; STILL, Confiict, 42), ist ein korrekter Einwand in der Sache, aber kein Argument dafür, wie der Text zu verstehen ist (so zu Recht WITHERINGTON, Thessalonians, 84). Dass man andererseits den Text auch bei einem kollektiven Verständnis nicht zu einer theologischen Grundaussage über ,,alle Juden" machen datf, sondern strikt in seinem Argumentationskontext lesen muss, datauf weist zu Recht HOPPE, Topos, 541, hin.
5.1. Röm 19,1-7 im Kontext
259
aW'6i3mvB8 einen Hinweis auf relativ aktuelle Ereignisse in Thessalonike zu sehen. Zwingend ist das nicht,89 aber angesichts einiger weiterer Andeutungen im Brief (1 Thess 2,2: ev lto)). clyi3VL; 2,17: clltOpcpa.vI.O'6Evte:c:; a.cp' uf1l3v) und des Berichts in Apg 17 durchaus plausibel. 90 Fragt man nun, ob der Konflikt zwischen Paulus, seinen Mitarbeitern und den Juden von Thessalonike eine politische Dimension hatte bzw. welche, dann fällt eine gewisse Diskrepanz zwischen der Darstellung im 1. Thessalonicherbriefund in Apg 17 auf. Dort werden Paulus und seine Mitarbeiter - bzw. an ihrer Stelle Christen, die sie unterstützen - auf Anstoß der Juden von einer aufgebrachten Menge bei den den Politarchen politisch umstürzlerischer Aktivitäten bezichtigt (Apg 17,7).91 Ein solches Vorgehen ist historisch durchaus plausibel, gerade auch für die um gute Beziehungen zu Rom stets bemühte civitas libera Thessalonike. Daraus kann man aber nur schließen, dass das mögliche antirömische Verständnis von Teilen der paulinischen Botschaft im Interesse einer Diffamierung von Außenstehenden auch aktualisiert wurde, nicht aber, dass die Botschaft tatsächlich so gemeint war. 92 Dass man in dieser Hinsicht zurückhaltend sein muss, zeigt nun eben der Vergleich mit dem 1. Thessalonicherbrief, in dem Paulus den Konflikt aus seiner Sicht darstellt. Einen Hinweis auf eine politische oder gar spezifisch römische Dimension des Konflikts gibt dieser nämlich nicht. Eher wird sie durch die (selbstverständlich äußerst problematische) Anschuldigung, die Juden - und nicht die Römer 93 - hätten wie schon die Propheten, so auch Jesus getötet und wollten nun die heilbringende Verkündigung unter den Völkern verhindern, ausgeschlossen. 94 88 Das Partizip Präsens lässt allerdings eher an eine dauerhafte Erfahrung des Paulus denkenj gegen die Übersetzung bei WITHERINGTON, Thessa1onians, 62. 89 So zu Recht SCHREIBER, Früher Paulus, 270. 90 Vgl. die ausgewogene Diskussion bei STILL, Confiict, 126-149j TELLBE, Paul, 107f (dessen sprachliche Argumente allerdings nicht überzeugend sind). ' 91 Den genauen juristischen Gehalt der Vorwürfe, insbesondere die Identität der erwähnten 66Yllet"tO! Ket(aapoc;:, wird man wohl vergeblich suchenj STILL, Conflict, 76fj TELLBE, Paul, 122. Gegen z. B. die Rekonstruktionen von ALVAREZ CINElRA, Religionspolitik, 267-270j DONFRIED, Cults, 31-46 (s. auch DERS., Imperial Cults)j Donfrieds Hinweis auf die Kaisereide ist zwar prinzipiell sinnvoll, über deren praktische Durchführung ist aber viel zu wenig bekannt (vgl. CANClK, Kaiser-Eid), um so weitreichende Schlüsse zu ziehenj vgl. auch die weitaus zurückhaltenderen Ausführungen bei JUDGE, Decrees, 460-462. 92 So auch STILL, Conflict, 77f. - Auf unsicheren Boden begibt man sich mit Spekulationen wie denen bei DONFRIED, Cults, 31-46, die in 1Thess 4,13-18 erwähnten ,,Entschlafenen" seien in einer ,;Verfolgung" aufgrund politischer Opposition zu Tode Gekommenej vgl. die Kritik bei BARCLAY, Confiict, 514j STILL, ConHict, 215-217; TELLBE, Paul, 100-102. 93 Vgl. dazu MALHERBE, Thessalonians, 169. 94 Der Versuch von SMITH, Unmasking, 60-62, eine spezifisch römische Komponente in den Text hineinzulesen, ist nicht überzeugend.
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Kapitel 5. Röm 13,1-7 in der Theologie des Paulus
Der Konflikt der Christen in Thessalonike besteht nach 1Thess 2,14 darin, dass sie ebenso unter ihren oullcpu),.&1:<XL wie die Christen in Judaea unter den 'IouooLOL leiden. 95 Wie die Bedeutung von OUllcpu),.&1:<XL zu bestimmen ist, ist durchaus umstritten. 96 Der Vergleich macht aber ziemlich eindeutig klar, dass nicht Juden gemeint sind, sondern Menschen, die wie die Christen von Thessalonike Nichtjuden sind (lThess 1,9).97 Mögen auch in der historischen Realität in Thessalonike ansässige Juden an den Konflikten beteiligt gewesen sein - und zwar möglicherweise auf beiden Seiten, falls es in der Gemeinde Christen jüdischer Herkunft gab -, dann ist das doch nicht das, was ·Paulus an diesem Konflikt wahrnimmt und was ihn darin leitet, wie er ihn versteht: nämlich als Bedrängnis gegen diejenigen, die sich von dem dem Untergang entgegengehenden Verhalten der Mehrheit abgewandt haben, durch diejenigen, die bei ihm geblieben sind. 98 Inwieweit hat nun dieser Konflikt eine politische, und zwar spezifisch (anti-)römische Komponente? Der Text sagt dazu erst einmal nichts,99 im Gegenteil: Unter den oullcpuM"t<XL wird man sich eher Griechen oder sonstige Bewohner des östlichen Reichsteiles vorstellen, wenn auch Römer nicht gerade ausgeschlossen sind. Man kann freilich.wiederum Apg 17 sowie Informationen über Thessalonike heranziehen ·und mit allgemeinen Erwägungen über Gruppenkonlifkte verbinden. Dann erscheint plausibel, dass den Christen von Thessalonike wegen ihres Bruches mit dem allgemein üblichen Verhalten Ablehnung, ja sogar Aggression entgegengebracht wurde und dass sie verdächtigt wurden sozial und auch politisch subversiv zu sein. IOO Äußerungen wie 1Thess 5,3 konnten dabei von Nichtchristen im Interesse einer Diffamierung politisch antirömisch verstanden werdenlOI und man mag sogar eventuell schließen, dass sie (gerade aufgrund der Er95 Zur Rekonstruktion dieser Ereignisse in Judaea vgl. BOCKMUEHL, 1 Thessalonians 2:14-16, 18-31. 96 MALHERBE, Thessalonians, 168; STILL, Confiict, 218-224; TELLBE, Paul, 112-115. 97 So z.B. HOPPE, 'Ibpos, 540. Gegen z.B. REINMUTH, 1. Thessalonicher, 129; SCHNELLE, Paulus, 186. 9B DE Vos, Conflict, 155-160; MEEKS, Functions, 691. 99 Ebensowenig der Kontext des Briefes. Für 1Thess 5,3 wurde im vorangehenden gezeigt, dass eine ,,antirömische" Deutung keineswegs zwingend ist. Dasselbe gilt für die immer wieder angeführten Parallelen zwischen der Schilderung der Parusie Christi und dem Ritual der Ankunft des Kaisers in einer Polis (vgl. z. B. EISEN, Streitwagen, 31-36; HARRISON, Paul, 82-88; STROHER, Paz, 63; TELBE, Paul, 127-130 - zur politischen Bedeutung des adventus, die in diesen Beiträgen oft zu eindimensional wahrgenomPlen wird, vgl. RONNING, Stadteinzüge). Denn gewiss ist in dieser Schilderung - neben der alttestamentlichen Tradition - die Erfahrung dieses Rituals der Kaiserverehrung aufgenommen, doch wird nirgends ein Gegensatz aufgemacht (so zu Recht GAVENTA, Thessalonians, 66f; OAKES, Re-mapping, 316f; RÄISÄNEN, Kingdom, 18-20). Die angebliche Polemik ist eingetragen, es geht eher um Veranschaulichung und Überbietung. 100 Vgl. die ausführliche und sehr gelungene Diskussion bei STILL, Conflict, 228-267. 101 Vgl. JUDGE, Decrees, 458.
5.1. Röm 19,1-7 im Kontext
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fahrung solcher Diffamierung) von Christen auch so verstanden und auch so gemeint waren. Wie alles, waS die nichtchristlichen Thessalonicher tun und denken, wird auch ihre politische Einstellung, die auf Erhaltung des "Status quo unter der für Frieden und Wohlstand halbwegs zuträglichen Herrschaft des römischen Princeps zielt, angesichts des kommenden Tages des Herrn radikal infrage gestellt. Eine Einengung des Kon:fl.ikts auf diesen Aspekt oder gar die Konstruktion einer antiimperialen Theologie im 1. Thessalonicherbrief legt sich aber keineswegs nahe. Mit diesem größtenteils negativen Ergebnis ist freilich die Auswertung des 1. Thessalonicherbriefes für das Verständnis von Röm 13,1-7 keineswegs erledigt. Die Abschnitte des Briefes, die sich mit dem Verhalten der Oemeinde befassen (lThess 4,1-12j 5,12-24), kommen Röm 12f an vielen Stellen sehr nahe, teilweise bis in die Formulierungen. 102 Übereinstimmend ist, dass dabei Aussagen eine große Rolle spielen, die auf ein friedliches Miteinander mit denen außerhalb der Gemeinde abzielen (lThess 4,llfj 5,15). 1Thess 4,llf scheint dabei für eine Art "Quietismus", ja sogar beinahe einen Rückzug aus sozialen Beziehungen zu plädieren (4,12b), um möglichen Repressionen auszuweichen. 103 Eine vollkommene Trennung ist aber nicht intendiert, wie 4,12a zeigt, wo das moralische Urteil der Außenstehenden als Maßstab für das Verhalten genannt wird. 104 1Thess 5,15 geht darüber noch hinaus, indem der Kreis derer, gegenüber denen man Gutes tun soll, explizit über die Gemeinde hinaus ausgeweitet wird. Im Blick sind hier, wie im ganzen Brief, eher die sozialen Beziehungen zu Mitbürgern bzw. anderen Einwohnern der Stadt,105 nicht so sehr die ,,politischen" Beziehungen zu den Herrschenden - wobei diese, wie dargelegt, im Hintergrund mithereinspielen können. l06 Ganz ähnlich wie in Röm 12f finden sich also Andeutungen von Kon:fl.ikten zwischen der Gemeinde und ihrer Umwelt, damit zusammenhängende sehr scharf abgrenzende, apokalyptische Vorstellungen, aber auch VerhaltenSanweisungen, die dahin gehen, den Konflikt zu entschärfen oder zu vermeiden, indem eine Einordnung in bestehende gesellschaftliche Strukturen 102 1Thess 4,3/Röm 12,2; 1Thess 4,5/Röm 13,13f; 1Thess 4,9/Röm 12,10; 13,8; 1Thess 4,12/Röm 13,13; 1Thess 5,15/Röm 12,17; 1Thess 5,16/Röm 12,15; 1Thess 5,17/Röm 12,12; 1Thess 5,19/Röm 12,11; 1Thess 5,21/Röm 12,2; 1Thess 5,22/Röm 12,9. Bemerkenswert ist, dass bei manchen Anweisungen der Geltungsbereich (in der Gemeinde bzw. gegenüber anderen) wechselt. 103 PARROTr, Political Thought, 217f. 104 MALHERBE, ThessaJonians, 251. Das wird in der zu stark von soziologischen Theorien über ,,honour and shame" geprägten AnaJyse von TELLBE, Paul, 131-137, ausgeblendet; ähnlich auch bei MEEKS, Functions, 692. 105 Vgl. dazu BARCLAY, Conflict, 520-525. 106 Doch ist festzustellen, dass explizite Aussagen über das VerhaJten gegenüber Machthabern wie in Röm 13,1-7 im 1. ThessaJonicherbrief fehlen. Gegen z. B. PARROTT, PoliticaJ Thought, 218.
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verlangt wird. 107 Wie jedoch hinsichtlich Röm 13,1-7 innerhalb von Röm 12f eine Erklärung als rein pragmatische Strategie der Konfliktvermeidung zu kurz greift, weil diese Einordnung auch aus Überzeugung gefordert wird, und wie dort das Nebeneinander von Verhalten innerhalb der Gemeinde und nach außen kein Gegeneinander ist, sondern die Grenzen teilweise unscharf bleiben, so ist es auch im 1. Thessalonicherbrief. Denn dort wird an mehreren Stellen auch innerhalb der Gemeinde zur R.espektierung soziar ler Ordnungsvorstellungen gemahnt. (lThess 4,11: Mahnung zur Arbeit; 5,12f: Mahnung zum Respekt vor Menschen mit Leitungsfunktion in der Gemeinde; 5,14:· Zurechtweisung von &"tCXX"tOL108 ). Paulus ist offensichtlich von Anfang an an "Ordnung" in den Gemeinden interessiert,109 und zwar nicht nur aus pragmatischen Gründen, um Konflikte mit anderen zu vermeiden,11o sondern auch an sich, aus Überzeugung. 5.1.2.2 Der Philipperbrief
Neben dem 1. Thessalonicherbrief hat der Philipperbrief111 als der "politischste" und ,,römischste" aller Paulusbriefe in der Diskussion um die Einstellung des Paulus gegenüber dem Römischen Reich eine wichtige Rolle gespielt. ll2 In der Tat weist der Brief an die colonia Iulia Augusta Philippensis eine auffallende Dichte an Lexemen und Motiven auf, die auch in politischen Diskursen vorkommen (z. B. 1tOAm:ue;0'6cxL, 1tOAL"te;u~cx, Ö~6VOLCX, XUpLOC;),113 dazu - wie auch der entsprechende Abschnitt der Apostelgeschichte (Apg 16,11-40) - ein gewisses ,,römisches" Lokalkolorit. 114 Im folVgl. dazu auch OE VOS, Confiict, 173-175. Vgl. dazu DELLING, Römer 13,1-7,43. 109 BAMMEL, Romans 13, 381. 110 Gegen z. B. CARI'ER, Empire, 53-56. 111 Literarische Einheit, Abfassungsort, Abfassungszeit und Briefanlass bleiben umstritten; vgl. den Überblick bei BOCKMUEHL, Philippians, 25-32; R~:UMANN, s. v. Philipperbrief, 1272. Im folgenden wird von der Einheit des Briefes ausgegangen, doch selbst wenn es sich beim kanonischen Philipperbrief um eine Komposition aus ursprünglich mehreren innerhalb eines nicht allzu großen Zeitraumes entstandenen Briefen des Paulus an die Gemeinde in Philippi handelte, würde das die Argumentation nicht grundlegend stören. Angesichts der Unmöglichkeit, in diesen Fragen zu wirklich gesicherten Ergebnissen zu ko=en, ist ein Versuch wie der von CASSIDY, Paul in Chains, 163-209, den Philipperbrief vor einem sehr spezifischen Hintergrund in Abgrenzung zum Römerbrief politisch zu interpretieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt. 112 Überblick und Diskussion bei STANOHARI'INGER, Theologie; VOLLENWEIDER, Theologie. 113 Auffallend im Vergleich zu den anderen Paulusbriefen, aber auch darum, weil Paulus aus dem Gefängnis schreibt und man daher (anders als beim Römerbrief; s. o. S. 151) durchaus mit politischen Andeutungen und einem ,,hidden transcript" (so HEEN, Resistance, 126f), doch eben nicht mit politischem Klartext rechnen kann; vgl. STANOHART1NGER, Theologie, 375-377. 114 Z. B. in der lateinischen Anrede q,1}..Lltlt~OLO\ Phil 4,15. Zu Philippi als römischer 107
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genden sollen drei besonders relevante Stellen besprochen werden, zunächst das "Bürgerrecht" der Christen und ihr diejenigen beiden, an denen es dementsprechendes Handeln geht (Phi! 1,27; 3,20), dann der sogenannte Philipperhymnus (Phi! 2,6-11). Dass in Phi! 1,27 1tOAL-Ce:Ue:0'6otL nicht blass als "wandeln", sondern prägnant als ,,'lich als Bürger verhalten" zu verstehen ist, ist in der neueren Auslegung beinahe Konsens. 115 Die Bezugsgröße ist dabei sicher nicht die Kolonie Philippi - so dass der Satz im modernen Sinne als ,,'leid als gute Christen politisch engagiert" zu verstehen wäre 116 -, sondern die Gemeinschaft der Christen bzw. das himmlische 1tOAL-Ce:Uflot (Phi! 3,20). 117 Wie es Gegenstand des öffentlichen Lobes ist, sich gegenüber der Polis ange~essen (ci~(cuc;) als Bürger zu verhalten,118 so sollen sich die Christen in Philippi der Grundlage dieses himmlischen 1toA(-ce:uflot, dem Evangelium Christi, angemessen verhalten. Die Angemessenheit besteht, wie der Kontext Phi! 1,27-2,4 zeigt, in der richtigen Einstellung und dem richtigen Verhalten zueinander. Dieses wird mit einem Motiv, das ebenfalls aus dem politischen Diskurs stammt, als Eintracht (Ofl6vOLot) beschrieben.ll9 Eine charakteristisch christliche Note bekommt diese Eintracht durch die Idee der -Cot1t€LVOCPPOcruvT) (Phi! 2,3f). Zur Rhetorik der Ofl6vOLot gehört die Idee der Einheit gegenüber äußeren Feinden. 12o Dieses Motiv wird in Phil1,28-30 aufgenommen. Inwieweit damit freilich eine reale Konfrontation der Christen in Philippi verbunden ist und mit wem, bleibt undeutlich. Aus diesen Versen allzu weitreichende Schlüsse auf ein Leiden oder gar ein Martyrium der philippischen Christen wie Paulus zu ziehen 121 ist nicht ratsam. 122 Es ist eine plausible Vermutung, dass Paulus hier auf Spannungen mit den nichtchristlichen (und
um.
Stadt vgl. BOCKMUEHL, Philippians, 4; BORMANN, Philippi, 11-29; HELLERMAN, Honor, 64-87; PILHOFER, Philippi, 49-113; TELLBE, Paul, 212-219 (mit vielen Fehlern). 115·ALAND, Christen, 255; BOCKMUEHL, Philippians, 97f; O'BRIEN, Philippians, 146f; FEE, Philippians, 161f; MÜLLER, Philipper, 74; STANDHAR:l'INGER, Theologie, 366; VOLLENWEIDER, Theologie, 459. Gegen z. B. DANKER, Lexicon, 846: "to conduct one's life"; DIBELIUS, Philipper, 59; LOHMEYER, Philipper, 73. 116 So BREWER, Meaning, 83; CASSIDY, Paul in Chains, 177f. 117 WALTER, Philipper, 45. 118 PILHOFER, Philippi, 136-139. 119 VOLLENWEIDER, Theologie, 459f; vgl. zum Hintergrund THRAEDE, s. v. Homonoia. 120 VOLLENWEIDER, Theologie, 462; vgl. auch OAKES, Philippians, 80. 121 DE Vos, Conflict, 262f; BLOOMQUIST, Suffering, 193f; TELLBE, Paul, 226-228 (sie nennen wenig überzeugend als weitere Belege Phil1,7; 2,17; 2,30; 3,1; 4,15f); ebenso OAKES, Philippians, 77-84 (der programmatisch Aussagen, die sich allein auf das Leiden des Paulus beziehen, auch auf die Philipper deutet). LOHMEYER, Philipper, 5, behauptet sogar, es spreche ein ,,Märtyrer zu Märtyrern". MÜLLER, Philipper, 80f, zeigt hingegen zu Recht auf, dass Paulus zwar die auch aus Märtyrererzählungen bekannte Agonmotivik aufnimmt, dass daraus aber noch lange nicht folgt, dass die Philipper ,,Märtyrer" seien. 122 STANDHAR:l'INGER, Theologie, 369, warnt zu Recht davor, "die vermuteten Ge-
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nichtjüdischen) Einwohnern Philippis anspielt. 123 Die Auswirkungen von verbaler Aggression, sozialer Isolierung, ökonomischem Boykott, eventuell sogar Diffamierung oder Anzeige bei Behörden darf man sich keineswegs harmlos für die wohl eher kleine Gruppe von Christen in Philippi vorstellen (vgl. auch 2Kor 8,lf). Doch sehr viel mehr und Konkreteres kann man kaum sagen. Es geht Paulus nämlich um eine theologische Deutung seiner Erlebnisse und der der Christen in Philippi: "Leiden für Christus". Darin liegt die Gemeinsamkeit (-tOV <xl'J1:ov eiyApocolocyntosis