PARKER stört die „Wühlmäuse“
Ein Roman von Curd H. Wendt
Anstrengende Tage und Nächte in Edinburgh lagen hinter Lad...
18 downloads
399 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PARKER stört die „Wühlmäuse“
Ein Roman von Curd H. Wendt
Anstrengende Tage und Nächte in Edinburgh lagen hinter Lady Agatha. Zwar waren die künstlerischen Höhepunkte des Opern festivals ohne ihre Anwesenheit über die Bühne gegangen, aber dafür hatte sich die majestätische Dame um so vehementer den gesellschaftlichen Ereignissen gewidmet. Jetzt schlummerte die strapazierte Opernfreundin im behaglich gepolsterten Fond des hochbeinigen Monstrums und vertraute darauf, daß Josuah Par ker, ihr Butler, sie wohlbehalten nach London zurückchauffieren würde. Der größte Teil der Strecke war bewältigt. Doch je näher die Themsemetropole rückte, desto dichter wurde der Nebel, der wie graue Watte über dem Land lag und das Licht der Scheinwer fer förmlich aufsaugte. Auf der schmalen Landstraße, die Parker als Abkürzung gewählt hatte, war zu dieser Nachtstunde niemand sonst unterwegs – bis auf den jugendlichen Mopedfahrer, der unvermittelt von links in die Fahrbahn einbog. Die Hauptpersonen: Buddy Tyler erregt durch nächtliche Arbeit das Mißfallen einer konservativen Dame. Jennifer Bradley macht sich Sorgen und ist froh, daß sie Par kers Telefonnummer besitzt. Phil Graham geht einem makabren Broterwerb nach und be kommt es dabei mit Konkurrenz zu tun. Keith Dobber betreibt ein Baugeschäft und verdient an Erdar beiten besonderer Art. Fred Ashford zettelt Streit an, bei dem er den kürzeren zieht. Gary Hunter fühlt sich als Herr der Lage, solange er eine Waffe im Anschlag hält. Lady Agatha inspiziert im Mondschein einen Friedhof und hat einen fulminanten Auftritt als »Hamlet«. Butler Parker befördert lebende Fracht in einer Baggerschaufel und sieht sich genötigt, auf wenig pietätvolle Weise mit einem Totenschädel umzugehen.
Der Butler reagierte schnell und brachte sein altertümliches Ge fährt rechtzeitig zum Stehen. Der junge Mann wurde durch das plötzlich auftauchende Auto allerdings derart irritiert, daß er die Gewalt über sein Zweirad verlor und stürmisch einen Baum um armte. Auch für Lady Simpson hatte die unverhoffte Begegnung im Ne bel unerfreuliche Folgen: Beim Bremsen geriet ihre beeindru ckende Körperfülle ins Rutschen. Die Trennscheibe zwischen Fond und Fahrerplatz hielt dem Aufprall zwar stand, aber der nicht ge rade sanfte Kontakt mit dem Panzerglas riß die ältere Dame ab rupt aus ihren Träumen. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Mister Parker?« monierte sie. »Man bittet um Nachsicht, Mylady«, erwiderte Parker ebenso höflich wie gelassen. »Der Hinweis dürfte erlaubt sein, daß die Situation eine Notbremsung unvermeidlich erscheinen ließ.« »Was ist denn los, Mister Parker? Bin ich in eine Straßensperre geraten?« erkundigte sich die passionierte Detektivin. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, machte der Butler deut lich. »Schade«, fiel ihm die resolute Dame ins Wort, ehe er weiterre den konnte. »Ich hätte den Wegelagerern gezeigt, was eine Har ke ist, Mister Parker.« »Was man kaum bezweifeln möchte, Mylady«, versicherte Par ker. »Unter den obwaltenden Umständen dürfte es sich jedoch eher empfehlen, Erste Hilfe zu leisten.« Er machte seine Herrin auf den Mopedfahrer aufmerksam, der in gekrümmter Haltung am Fuß des Baumes lag. Das ramponierte Zweirad des jungen Mannes war im Straßengraben gelandet und momentan nicht sichtbar. »Das ist garantiert eine Falle, Mister Parker«, befand Agatha Simpson. »Auf so was fällt eine Kriminalistin nicht herein.« »Mylady wünschen, die Fahrt fortzusetzen?« vergewisserte sich der Butler. »Nein, nein, sehen Sie ruhig mal nach, Mister Parker«, wider sprach die gewichtige Dame. »Ich werde meine schützende Hand über Sie halten, wenn es nottut.« »Eine Ankündigung, die ungemein beruhigend wirkt, Mylady«, entgegnete Parker, verließ den Platz hinter dem Lenkrad und
schritt in würdevoller Haltung auf den verunglückten Mopedfahrer zu. Als er die verhalten stöhnende Gestalt näher in Augenschein nahm, zeigte sich, daß der Verletzte höchstens zwanzig Jahre alt war. Die schmächtige Gestalt steckte in zerschlissenen Bluejeans. Darüber trug der Unbekannte, der seine langen, dunklen Haare zu einer Art Pferdeschwanz gebunden hatte, einen ausgemuster ten Armee-Parka. Schuhe und Hände waren unübersehbar mit Lehm beschmiert. »Darf man möglicherweise das Angebot unterbreiten, Sie ins nächste Krankenhaus zu befördern?« erkundigte sich der Butler in seiner stets höflichen Art. »Nicht nötig«, lehnte der Verunglückte mit schwacher Stimme ab und richtete sich mühsam auf. »Ich komme schon klar.« Immerhin glitt ein dankbares Lächeln über sein schmerzverzerr tes Gesicht, als Parker ihm behutsam auf die Beine half. »Ein Glück, daß Sie so schnell reagiert haben«, meinte der Schmächtige und musterte den schwarz gewandeten Butler mit neugierigen Blicken. »Sonst wäre ich jetzt vielleicht schon im Jen seits.« »Eine Feststellung, der man mitnichten widersprechen möchte«, erwiderte Parker und verneigte sich andeutungsweise. »Darf man die Frage anschließen, woher Sie kamen und welches Ihr Ziel ist, Mister…?« »Graham. Phil Graham«, nannte der Parka-Träger seinen Na men. »Ich…ich habe hier in der Nähe meine Freundin besucht und wollte zurück nach Finchley.« »Sofern Ihnen damit gedient ist, würde man Sie gern bis Finch ley mitnehmen, Mister Graham«, bot der Butler an und versuchte sich vorzustellen, woher der Lehm an Schuhen und Händen des jungen Mannes stammte. Schon war er geneigt, an überstürzten Rückzug beim Auftauchen eines wutschnaubenden Vaters zu den ken, da fiel sein Blick wie zufällig auf die andere Fahrbahnseite. Dort, wo Graham auf seinem Moped hergekommen war, gab es keine Straßeneinmündung. Nur die langgestreckte Mauer eines alten Kirchhofs mit schmiedeeisernem Tor, dessen Flügel of fenstanden. »Vielen Dank«, erwiderte der Schmächtige mit dem Pferde schwanz. »Ich fahre lieber mit meinem Moped weiter.«
»Dem dürften technische Schwierigkeiten entgegenstehen, falls man nicht grundsätzlich irrt, Mister Graham«, gab Parker zu be denken und deutete auf das im Graben liegende Zweirad, das einen alles andere als fahrtüchtigen Eindruck machte. »Ich flick die Karre schon wieder zurecht. Da hab’ ich Übung drin«, behauptete Graham und wollte sich mit einem Kopfnicken verabschieden. Parker hingegen ließ sich nicht so leicht abschütteln. Höflich a ber bestimmt bestand er darauf, beim Bergen des lädierten Ge fährts zu helfen. Der lehmverklebte Klappspaten auf dem Gepäck träger hatte ebenso sein Interesse geweckt wie die Einkaufsta sche am Lenker. * »Wo stecken Sie denn, Mister Parker?« drang Agatha Simpsons baritonal gefärbte Stimme durch die Nebelschwaden. Von Neugier und Ungeduld geplagt, hatte sie den Wagen verlassen und kam mit energischem Schritt näher. »Hier und stets zu Diensten, Mylady«, meldete sich der Butler. »Meine bescheidene Wenigkeit war damit befaßt, Mister Graham bei der Bergung seines fahrbaren Untersatzes zu helfen.« »So«, gab die passionierte Detektivin unwirsch zurück. »Da bin ja gerade zur rechten Zeit gekommen.« »Darf man um Auskunft bitten, wie Mylady diese Äußerung kon kret verstanden wissen möchten?« fragte Parker und verneigte sich andeutungsweise. »Ohne meine Aktion hätten Sie einem vermutlich lange gesuch ten Gangster zur Flucht verholfen, Mister Parker«, ließ Lady Agat ha verlauten und bedachte den irritiert wirkenden Mopedbesitzer mit strengem Blick. »Vermutet man recht, daß Mylady Mister Graham zu meinen geruhen?« vergewisserte sich der Butler. »Wen denn sonst?« bestätigte die füllige Dame ungehalten. »Haben Sie nicht die Tasche und den Spaten bemerkt, den der Lümmel mit sich führt?« »Na und?« meldete sich Graham in patzigem Ton zu Wort. »Das sind meine Privatsachen. Die gehen Sie nichts an.«
»Papperlapapp, junger Mann«, widersprach Agatha Simpson. »Als Detektivin bin ich verpflichtet, den Inhalt dieses verdächti gen Behältnisses zu inspizieren.« »Sie… Sie sind Detektivin?« wiederholte der junge Mann verdat tert. »Eine Frage, die man nur mit einem eindeutigen Ja beantworten kann, Mister Graham«, bestätigte Parker. »Nun öffnen Sie schon endlich Ihre Tasche, junger Mann«, ver langte die majestätische Dame. »Oder muß ich erst ungehalten werden?« »Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank«, protestierte der Schmächtige und… ließ im nächsten Moment einen langgezoge nen Heulton hören. Schlagfertig, wie sie war, hatte Agatha Simpson die unbotmäßi ge Äußerung mit einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen beantwortet. Und da sie ihre Armmuskulatur regelmäßig durch Golf und Bo gensport stählte, blieb der handfeste Ordnungsruf nicht ohne Wirkung. Wimmernd betastete Phil Graham seinen Unterkiefer und wich etliche Schritte zurück, um weiteren Liebkosungen dieser unge stümen Art zu entgehen. Dabei stolperte er allerdings über das im Weg liegende Moped, verlor den Boden unter den Füßen und lan dete nach einer schwungvollen Rolle rückwärts nun selbst im Straßengraben. »Wahrscheinlich ist die Tasche voller Schmuck, der aus einem Einbruch stammt«, tat Mylady ihre Einschätzung kund, ohne Phil Graham eines weiteren Blickes zu würdigen. »Und mit dem Spa ten wollte der Schurke seine Beute irgendwo vergraben.« »Eine Möglichkeit, die man nicht um jeden Preis ausschließen sollte, Mylady«, gab Parker zur Antwort. »Andererseits…« »Papperlapapp«, fiel die ältere Dame ihm ins Wort. »Kontrollie ren Sie die Tasche dieses zwielichtigen Subjekts, und Sie werden sehen, daß ich wieder mal recht habe, Mister Parker.« »Wie Mylady wünschen«, erwiderte der Butler höflich und kam der Aufforderung nach. »Nun, Mister Parker?« fragte Lady Agatha erwartungsvoll und kam neugierig näher, um in die Einkaufstaschen zu blicken, die Parker geöffnet hatte. Doch im nächsten Moment fuhr die ältere Dame mit einem spitzen Aufschrei zurück und verzog angewidert das Gesicht.
»Was… äh… was ist das, Mister Parker?« erkundigte sie sich. »Nach der unmaßgeblichen Meinung meiner bescheidenen We nigkeit dürfte es sich um Totenschädel handeln, die noch vor kur zem in der Erde ruhten, Mylady«, reagierte der Butler gelassen. »Totenschädel?« wiederholte Lady Agatha entgeistert. »Was will der Lümmel damit, Mister Parker?« »Diese Frage sollte man unter Umständen an Mister Graham richten, Mylady«, antwortete der Butler und wandte sich dem etwas entnervt wirkenden jungen Mann zu, der gerade aus dem Graben krabbelte. »Vermutet Mylady möglicherweise recht, daß die Schädel auf dem nahen Friedhof ausgegraben wurden, Mister Graham?« woll te er wissen. Ein stummes Nicken war die Antwort. Phil Graham schien einzu sehen, daß Leugnen bei diesem Stand der Dinge nichts nützte. »Schämen Sie sich nicht, die heilige Ruhe der Toten zu stören, junger Mann?« zeigte sich die resolute Dame tief entrüstet. »Wieso stören? Die sind doch längst im Himmel – oder in der Hölle«, entgegnete der Schmächtige. »Und wenn ich die halb vermoderten Knochen heraushole, sind sie wenigstens noch zu etwas zu gebrauchen.« »Darf Mylady auf eine Erklärung hoffen, von welcher Art Nutzen Sie zu sprechen belieben, Mister Graham?« hakte Parker nach. »Ich lebe davon, daß ich die Schädel verkaufe«, gab der Mann unumwunden zu. »Unglaublich! Wie kann man nur so ein makabres Gewerbe ausüben!« empörte sich die Detektivin. »Was bleibt einem denn anderes übrig, wenn man gleich nach der Schule arbeitslos wird und arbeitslose Eltern hat?« ließ Gra ham trotzig verlauten. »Im übrigen ist das kein schlechtes Ge schäft. Von fünf bis sechs Schädeln, die ich in einer Nacht aus grabe, kann ich den ganzen Monat leben.« »Das ist doch von A bis Z gelogen«, reagierte Lady Simpson wütend. »Ich würde für diese… diese… Knochen keinen Penny bezahlen.« »Sie vielleicht nicht. Aber es gibt genug Jugendliche, die in ob skuren Sekten mitmachen und schwarze Messen feiern«, gab der Jüngling im Parka zur Antwort. »Die zahlen locker hundert Pfund für einen echten Totenkopf.«
»Der Lümmel will mir einen Bären aufbinden, Mister Parker«, konstatierte Mylady und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich wer de ihm eine Lektion erteilen müssen.« »Was ich sage, stimmt hundertprozentig«, beteuerte Graham. »Inzwischen gibt es schon Leute, die das Geschäft in ganz gro ßem Stil betreiben. Die rücken nachts auf einsamen Friedhöfen sogar mit dem Bagger an.« »Eine Mitteilung, die man nicht ohne Interesse entgegennimmt, Mister Graham«, schaltete Parker sich wieder ein. »Ich hab’ es selbst gesehen«, fuhr der junge Mann fort. »Vor drei Wochen in Bournefield. Da habe ich mich wieder auf mein Moped geschwungen und bin zehn Meilen weiter nach Blakehill gefahren.« »Ist Ihnen möglicherweise bekannt, wo eine derartige Ware in größerem Stil abgesetzt werden kann, Mister Graham?« erkundig te sich der Butler. »Vieles läuft privat unter der Hand. Aber es gibt auch regelrech te Basare, wo alles mögliche Zubehör für schwarze Messen und ähnlichen Spuk angeboten wird«, antwortete sein Gegenüber. »Der nächste Termin ist morgen abend in einer ehemaligen La gerhalle an der Narrow Street in Limehouse. Da will ich auch hin.« »Und man hat Sie richtig verstanden, daß bei der erwähnten Gelegenheit auch Totenschädel angeboten werden, Mister Gra ham?« vergewisserte sich Parker. »Natürlich nicht öffentlich. Nur unter der Theke«, schränkte der Schmächtige ein. »Aber die Jugendlichen, die da hinkommen, wissen Bescheid.« »Man dankt für das erhellende Gespräch, Mister Graham«, sag te der Butler und deutete eine Verbeugung an. »Ansonsten darf man sich erlauben, eine möglichst angenehme Heimfahrt zu wün schen.« Höflich lüftete Parker die schwarze Melone und geleitete Lady Agatha zum hochbeinigen Monstrum zurück. Phil Graham sah dem skurrilen Paar ungläubig nach und wartete ab, bis der Nebel die Rücklichter des schwarzen Gefährts ver schluckt hatte. Dann erst schickte er sich an, sein ramponiertes Zweirad wieder flottzumachen.
*
»Nun, wie war’s in Edinburgh, Mylady? Haben Ihnen die Auffüh rungen gefallen?« fragte Anwalt Mike Rander und sah die ältere Dame erwartungsvoll an. Der schätzungsweise vierzigjährige Jurist, dessen sportlich markantes Aussehen an einen beliebten James-Bond-Darsteller erinnerte, unterhielt an der Curzon Street, nicht weit von Lady Simpsons Stadtwohnsitz, eine Kanzlei. Seine wichtigste Aufgabe bestand jedoch darin, das kaum schätzbare Vermögen der ex zentrischen Dame zu verwalten. »Ich glaube, es ist das letzte Mal, daß ich. hingefahren bin, mein Junge«, antwortete die leidenschaftliche Opernfreundin. »Was einem heutzutage geboten wird, ist ein Skandal.« »Die Kritiken, die ich in den Zeitungen gelesen habe, hörten sich aber durchweg positiv an«, erwiderte Rander, während der Butler ihm Tee einschenkte. »Diese Schreiberlinge haben doch keine Ahnung, Mike«, gab Lady Agatha verächtlich zurück. »Die hätten mich mal erleben sollen. Da wäre ihnen Hören und Sehen vergangen.« »Das glaub’ ich Ihnen aufs Wort, Mylady«, versicherte der Be sucher und dachte an die Kostproben ihrer Sangeskunst, mit de nen Agatha Simpson bei passender und unpassender Gelegenheit wehrlose Zuhörer beglückte. »Ich hatte eine glänzende Karriere als Operndiva von mir, mein lieber Junge«, geriet die ältere Dame ins Schwärmen. »Die Inten danten rissen sich förmlich nach mir.« »Und warum haben Sie kein Angebot angenommen, Mylady?« fragte der Anwalt. »Aus Verantwortungsbewußtsein, Mike«, gab die Hausherrin mit pathetischer Gebärde Auskunft. »Wer hätte denn das organisierte Verbrechertum in die Schranken weisen sollen, wenn nicht ich? Die Polizei ist doch dazu nicht in der Lage.« »Heißt das etwa, daß Sie schon wieder auf Gangsterjagd sind, Mylady?« fuhr der Anwalt interessiert fort. »Eigentlich schön«, teilte Lady Simpson zögernd mit. »Aber lei der hat Mister Parker durch seine Ungeschicklichkeit alles Verdor ben.« »Wirklich?« reagierte Rander überrascht. »Das müssen Sie mir erzählen Mylady.« Dabei warf er dem Butler einen belustigten
Blick zu, doch Parkers Miene blieb glatt und ausdruckslos wie im mer. »Nun, Mister Parker hat den Schurken mitsamt seiner Beute einfach entwischen lassen«, behauptete die passionierte Detekti vin. »Deshalb habe ich nicht mal eine Spur.« »Ein Umstand, den man zutiefst bedauert, Mylady«, versicherte der Butler, legte seiner Herrin noch ein Stück Nougattorte vor und trat dann in seiner unvergleichbaren Art einen halben Schritt zu rück. »Um was für eine Beute handelte es sich denn?« wollte der Be sucher wissen. »Gold, Juwelen… vielleicht auch Rauschgift«, erwiderte Agatha Simpson. »Das konnte ich in der Kürze der Zeit nicht feststellen. Jedenfalls hatte er die heiße Ware raffiniert versteckt.« »Wo denn, Mylady?« »In Knochen, mein Junge.« »Knochen?« »Ich meine natürlich in Knochenköpfen, Mike«, ergänzte Lady Agatha. »Mylady dürfte Totenschädel zu meinen geruhen, Sir«, griff Parker erläuternd ein und erreichte damit, daß Randers ratlose Miene sich ein wenig aufhellte. »Und diese Totenschädel hatte der Schurke auf einem Friedhof vergraben«, nahm Lady Agatha den Faden wieder auf. »Ist das nicht ein perfektes Versteck?« »Kann man wohl sagen«, stimmte der Anwalt zu. »Und wie sind Sie dem Gangster auf die Spur gekommen, Mylady?« »Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt, mein Junge«, gab die Hausherrin Auskunft. »Also zufällig«, vergewisserte sich Rander. »Aber wo denken Sie denn hin, Mike!« reagierte die majestäti sche Dame entrüstet. »Ich überlasse nichts dem Zufall. Wie im mer war es mein kriminalistischer Instinkt, der mich an den Ort des Geschehens geführt hat.« »Und dann ist er Ihnen doch entwischt, Mylady?« fragte der Anwalt teilnahmsvoll. »Mir nicht«, stellte die füllige Dame klar. »Ich habe ihn überwäl tigt, aber Mister Parker hat ihn dann entkommen lassen.« »Unglaublich«, meinte Rander.
»Mister Parker hat dem Strolch sogar noch geholfen, sein Mo torrad aus dem Graben zu ziehen«, setzte Mylady empört hinzu: »Stimmt es, Mister Parker?« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Mylady zu widersprechen«, ließ der Butler sich aus dem Hintergrund ver nehmen. »Aber irgendwie verstehe ich immer noch nicht recht, was da abgelaufen ist«, gestand der Anwalt und wandte sich hilfesuchend um. »Meinen subtilen Gedankengängen zu folgen, ist nicht jeder manns Sache, Mike«, ließ die Detektivin durchaus entschuldigend verlauten. »Mister Parker kann Ihnen die Details berichten. Viel leicht ist das dem Verständnis förderlich.« »Kann schon sein«, räumte Rander ein. »Dabei kann ich dann gleich überprüfen, ob Mister Parker die Zusammenhänge verstanden hat«, ergänzte die Hausherrin und ließ sich ein Stück Torte nachlegen. »Man dankt für den ehrenvollen Auftrag und wird sich befleißi gen, Mylady nicht zu enttäuschen«, sagte der Butler und deutete eine Verbeugung an. »Der junge Mann, von dem Mylady zu sprechen geruhte, führte in einer Einkaufstasche mehrere Totenschädel mit sich, die er im Schutz der Dunkelheit auf einem abgelegenen Friedhof ausgegra ben hatte«, begann Parker seinen Bericht. »Der Erwähnte, der seinen Namen mit Phil Graham angab, behauptete im übrigen, die Schädel zum Stückpreis von hundert Pfund auf einem einschlägi gen Basar verkaufen zu wollen.« »Etwa an Jugendliche, die einem obskuren Sektenkult frönen?« meldete sich der Anwalt mit einer Zwischenfrage zu Wort. »In der Tat, Sir«, bestätigte Parker.»Des weiteren wußte Mister Graham zu berichten, daß mittlerweile, schon Bagger eingesetzt werden, um Schädel in größeren Mengen ans Tageslicht zu beför dern.« »Muß ja ein Bombengeschäft sein«, merkte Rander nachdenk lich an. »Erst neulich habe ich einen Zeitungsartikel über Jugend sekten gelesen. Da stand, daß schon bis zu zweihundert Pfund für einen echten Totenschädel bezahlt würden, weil. die ständig wachsende Nachfrage kaum zu befriedigen ist.« »Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Interesse, daß nach Mister Grahams Angaben eine einschlägige
Verkaufsveranstaltung heute abend in einer ehemaligen Fabrik halle an der Narrow Street Limehouse stattfindet«, ergänzte er Butler. »Vielleicht sollte man sich das mal ansehen«, schlug der Anwalt vor. »Genau das habe ich geplant«, meldete sich Agatha Simpson mit einer etwas überraschenden Ankündigung zu Wort. »Immer hin sind solche Geschäfte nicht nur geschmacklos, sondern auch illegal.« »Was man nur mit Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei und schenkte Tee nach. * »Wie spät ist es, Mister Parker?« wollte Lady Agatha wissen, während der Butler sein eckiges Gefährt vom Highway nach rechts in die Narrow Street lenkte. »In zwei Minuten neun Uhr, sofern Mylady keine Einwände er heben«, teilte Parker in seiner ungemein höflichen Art mit. »Im übrigen dürfte der Hinweis genehm sein, daß man das Ziel der Fahrt bereits gesichtet hat.« Augenblicke später brachte der Butler das hochbeinige Monst rum auf einem schotterbedeckten Parkplatz zum Stehen, öffnete den hinteren Wagenschlag und half der Detektivin beim Ausstei gen. Obwohl Agatha Simpson die Sechzig überschritten hatte, war sie noch immer eine beeindruckende Erscheinung. Ausgestattet mit einer Leibesfülle, die schon mancher Waage den Garaus ge macht hatte, wußte sie sich in der pathetischen Manier einer Bühnenheroine in Szene zu setzen. Darüber hinaus verstand sie es, Ihre Auftritte durch eine Garde robe zu unterstreichen, die an Extravaganz nichts zu wünschen übrigließ. Nur die aktuelle Mode ignoriert sie souverän. Vor allem ihre phantasievolle Kopfbedeckung, die entfernt an Hüte erinnerte, war immer wieder ein Ereignis. Bemerkenswert war auch der perlenbestickte Pompadour, den die majestätische Dame bei jeder Ausfahrt am Handgelenk trug: Sein Format ließ eher an einen zu heiß gewaschenen Seesack denken als an die zierlichen Damenhandtäschchen vergangener
Zeiten. Dafür enthielt er auch keine Kosmetikutensilien, sondern Myladys geliebten Glücksbringer. Es handelte sich dabei um ein massives Hufeisen, das von ei nem stämmigen Kaltblüter stammte. Dieses schmiedeeiserne Souvenir pflegte die resolute Dame auf ungemein wirkungsvolle Art in ihren Auseinandersetzungen mit der Unterwelt zu aktivie ren. Und obwohl der Glücksbringer aus humanitären Gründen in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt war, hatte er den Adres saten bislang alles andere als Glück gebracht. Josuah Parker stellte in mancher Hinsicht das genaue Gegenteil seiner überaus spontan agierenden Herrin dar. Während Agatha Simpson lustvoll in jedes erreichbare Fettnäpfchen trat, sah der Butler sich immer wieder genötigt, mit Geduld und Phantasie die Fäden zu entwirren. Bekleidet mit schwarzem Covercoat, dezent gestreiften Bein kleidern und steifem Bowler, den altväterlich gebundenen Univer sal-Regenschirm am angewinkelten Unterarm, stellte Parker das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers dar, wie man ihn auch im traditionsbewußten England nur noch selten sieht. Würdevolles Auftreten und die schier unerschütterliche Höflichkeit entsprachen dem äußeren Bild. Seine Statur war eher durchschnittlich zu nennen, sein Alter schwer zu schätzen. Eher als das glatte, meist ausdruckslose Ge sicht ließen ergraute Schläfen und ein leichter Bauchansatz auf Parkers Jahrgang schließen. »Der von Mister Graham erwähnte Basar scheint bereits in vol lem Gang zu sein«, bemerkte der Butler und geleitete Lady Agat ha auf die andere Straßenseite. Vor der halb verfallenen Fabrikhalle waren etwa zwei Dutzend Fahrzeuge abgestellt. Allerdings handelte es sich überwiegend um Zweiräder und betagt wirkende Kleinwagen, von denen etliche eine phantasievolle Bemalung aufwiesen. Um so deutlicher fiel der brandneue Volvo-Kombi ins Auge, der gleich am Straßenrand parkte. Das skurrile Paar war nur noch wenige Schritte vom Eingang entfernt, als zwei Männer, die Parker auf Mitte Dreißig schätzte, die breite Kellertreppe heraufhasteten. Einer von ihnen hatte eine Platzwunde über der linken Augenbraue, gegen die er ein Ta schentuch preßte. Der zweite wischte die Blutstropfen, die aus seiner Nase rannen, am Jackenärmel ab.
»Darf man sich unter Umständen erlauben, Ihnen Hilfe oder Verbandsmaterial anzubieten?« sprach der Butler in seiner stets höflichen Art das Duo an. Doch die Antwort, die er erhielt, fiel alles andere als höflich aus. »Kümmer’ dich um deinen eigenen Kram, Opa!« knurrte der Mann mit der Platzwunde und bedachte Parker mit einem gehäs sigen Blick. Die Unbekannten eilten weiter, ohne sich noch mal umzusehen. Gleich darauf saßen beide in dem nagelneuen Volvo. Hektisch wurde der Motor gestartet, und der schwere Wagen jagte auf durchdrehenden Reifen davon. »Flegel!« kommentierte Lady Simpson den Vorgang entrüstet. »Am besten hätte ich ihnen gleich eine Lektion erteilt.« »Die. Gelegenheit dazu dürfte sich noch ergeben, sofern man sich nicht gründlich täuscht, Mylady«, erwiderte der Butler und geleitete seine Herrin treppabwärts ins Untergeschoß. * In dem nur spärlich beleuchteten Kellergewölbe, wo ein Dutzend meist junger Händler ihre Stände aufgebaut hatten, herrschte helle Aufregung. Kunden und Verkäufer rannten mehr oder weni ger kopflos durcheinander. Überall wurde debattiert und gestiku liert. Trotzdem entdeckte Parker schon beim Eintreten den langhaari gen Phil Graham, der gerade damit beschäftigt war, einen umge kippten Tapeziertisch aufzurichten, der ihm offensichtlich als Ver kaufstheke gedient hatte. »Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen und umsatz starken Abend zu wünschen, Mister Graham«, sagte der Butler und lüftete andeutungsweise seine Melone. Der junge Mann wirkte zunächst ein wenig verdattert, als er das skurrile Paar erblickte. Doch dann huschte ein flüchtiges Lächeln über sein vor Anstrengung gerötetes Gesicht. »Ach, Sie sind es«, sagte er.»Sie hätten fünf Minuten früher kommen sollen. Dann hätten Sie was erlebt.« »Darf man gegebenenfalls um Auskunft bitten, wovon Sie kon kret sprechen, Mister Graham?« fragte Parker.
»Zwei Typen, die heute zum ersten Mal hier waren, wollten frech werden«, antwortete der Schmächtige. »Aber wir haben Ihnen gezeigt, daß so was nicht läuft.« »Vermutet man recht, daß die Herren gemeint sind, die vor we nigen Augenblicken mit leichten Verletzungen das sprichwörtliche Weite suchten, Mister Graham?« hakte der Butler nach. »Genau«, nickte sein Gegenüber. »Einer von ihnen hat meinen Tisch umgeworfen. Da habe ich ihm hiermit eins über die Rübe gezogen.« Gleichzeitig deutete er auf ein schweres, schwarz la ckiertes Holzkreuz, das zu seinem Sortiment zu gehören schien. »Mylady wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie den Hergang des unerfreulichen Geschehens berichten könnten, Mis ter Graham«, bemerkte Parker. »Also gut. Die Kerle kamen rein und brachten zwei große Holz kisten mit«, leistete Graham der Aufforderung Folge. »Die waren bis oben hin mit Schädeln vollgepackt. Mindestens fünfzig Stück, würde ich schätzen.« »Eine Anzahl, die man nur als beträchtlich bezeichnen kann«, warf der Butler ein. »Ja, und sie wollten zweihundert Pfund pro Stück haben«, fuhr der Verkäufer fort. »Als sie merkten, daß ich meine Ware für den halben Preis anbiete, kamen sie herüber und fingen an zu stän kern.« »Sie verlangten von Phil, daß er auch zweihundert nimmt«, meldete sich ein junges Mädchen mit schwarzen Haaren und blas sem Gesicht zu Wort, das in der Nähe gestanden und der Unter haltung gelauscht hatte. »Als ich mich weigerte, wurden sie richtig frech«, setzte Gra ham seinen Bericht fort. »Sie sagten, ich solle schleunigst einpa cken und verschwinden. Sonst hätte ich mit Unannehmlichkeiten zu rechnen.« »Aber Phil hat nur gelacht«, schaltete sich das junge Mädchen wieder ein. »Da haben sie seinen Verkaufstisch umgeworfen.« »Klar, daß mich die Wut packte«, erzählte Graham weiter. »Oh ne lange zu überlegen, habe ich das Kreuz genommen und zuge schlagen. Im Nu war eine wüste Schlägerei im Gang. Aber wir haben alle zusammengehalten und die Kerle in die Flucht gejagt.« »Das war ein Fehler, junger Mann. Ihnen mangelt die Erfahrung im Umgang mit hartgesottenen Gangstern«, griff Lady Simpson in
die Unterhaltung ein. »Sie hätten die Lümmel bis zu meinem Ein treffen hinhalten sollen.« »Das ist leicht gesagt, Madam«, erwiderte der Langhaarige. »Wir waren heilfroh, als die Burschen die Flucht ergriffen.« »Allerdings sollte man keinesfalls ausschließen, daß die betrof fenen Herren mit Verstärkung zurückkehren, Mister Graham«, gab Parker zu bedenken. »Kann schon sein«, nickte der junge Mann. »Ihre Kisten haben sie ja auch stehenlassen.« »Na und?« warf sich das junge Mädchen in die kaum vorhande ne Brust. »Gemeinsam sind wir stark. Wenn sie wieder auftau chen, lassen wir sie gar nicht erst rein.« »Nach der unmaßgeblichen Meinung meiner bescheidenen We nigkeit dürfte es sich bei den schon mehrfach erwähnten Herren um Berufsverbrecher handeln, die auch vor dem Einsatz von Feu erwaffen nicht zurückschrecken, Miß«, ließ der Butler sich in ers tem Ton vernehmen. »Meinen Sie wirklich?« vergewisserte sich Graham. »Unbedingt, junger Mann«, bekräftigte Agatha Simpson. »Als Kriminalistin erkenne ich solche Subjekte schon von weitem.« »Dann wäre es vielleicht besser, ich würde das Feld räumen und nach Hause fahren«, meinte der Schmächtige, der plötzliche An zeichen von Nervosität zeigte. »Eine Einschätzung, der man sich nur anschließen kann, Mister Graham«, pflichtete Parker ihm bei. »Für mich wäre es natürlich ein leichtes, die Schurken zu über wältigen und dingfest zu machen«, trumpfte die Detektivin auf. »Aber wenn ich noch lange in diesem Keller stehe, hole ich mir einen Schnupfen. Und krank zu werden, kann ich mir bei der Viel zahl meiner Verpflichtungen nicht leisten.« »Darf man aus dieser Äußerung schließen, daß Mylady umge hend nach Shepherd’s Market zurückzukehren wünschen?« er kundigte sich der Butler. »Natürlich, Mister Parker«, bestätigte Agatha Simpson. »Ich will mich nur noch kurz umsehen, ob ich ein hübsches Souvenir fin de.« Das tat die ältere Dame denn auch. Aber weder an den reichlich angebotenen Teufelsmasken und wehenden Gewändern noch an Kreuzen, Kerzen und sonstigem Altargerät fand sie Gefallen.
»Die düsteren Farben sind nicht nach meinem Geschmack«, be fand Lady Agatha nach einem kurzen Rundgang durch das Keller gewölbe. »Außerdem sind die Preise unverschämt. So was kann sich eine alleinstehende Dame, die mit jedem Penny rechnen muß, nicht erlauben.« Wenig später verließen Parker und Mylady unter den neugieri gen Blicken von Verkäufern und Kunden den Raum und kehrten zum hochbeinigen Monstrum zurück. Vorher hatte der Butler Phil Graham allerdings eine Visitenkarte übergeben und Hilfe für den Fall angeboten, daß er in ernsthafte Schwierigkeiten käme. * Behaglich lehnte Agatha Simpson sich im Sessel zurück, hob ein kostbar geschliffenes Glas an die Lippen und ließ genießerisch den ersten Schluck Sherry die Kehle hinunterrinnen. Nach der Heim kehr hatte Parker das Kaminfeuer in der Wohnhalle entfacht und seiner Herrin eine wärmende Kamelhaardecke über die Knie ge breitet. Jetzt war er damit beschäftigt, daß aufzutragen, was My lady unter einem »kleinen Abendimbiß« zu verstehen pflegte. »Eigentlich ist das alles wirklich kindisch«, bemerkte die Detek tivin, nachdem sie ihr Wohlbefinden durch ein genüßliches Schnalzen dokumentiert hatte. »Wirklich unter meinem Niveau, Mister Parker.« »Darf man um Aufklärung bitten, worauf Mylady sich mit dieser Äußerung beziehen?« erkundigte sich der Butler höflich. »Na, die Geschichte mit den Totenköpfen«, meinte die Hausher rin wie beiläufig. »Ein paar Verrückte, die nachts als Wühlmäuse auf Friedhöfen unterwegs sind und sich aus Konkurrenzneid die Nase blutig schlagen.« »Mylady schließen also aus; daß es sich bei den in die Flucht geschlagenen Herren um Berufsverbrecher handelt?« vergewis serte sich Parker und schnitt gleichzeitig eine Scheibe köstlich duftenden Räucherlachs ab, den er mit Meerrettichsahne und fri schen Dillspitzen garnierte. »Berufsverbrecher? Auf keinen Fall«, bekräftigte die majestäti sche Dame, während sie mit begehrlichem Blick den routinierten Handbewegungen des Butlers folgte.
»Darf man fragen, woraus Mylady möglicherweise diesen Schluß zu ziehen geruhen?« »Ich will es Ihnen sagen, Mister Parker. Schließlich sollen Sie ja auch was lernen bei mir«, tat Agatha Simpson mit gönnerhafter Geste kund. »Wenn es echte Gangster gewesen wären, hätten sie gleich die Pistolen gezogen, statt sich von schmächtigen Jugendli chen verprügeln zu lassen.« »Andererseits dürften Mylady in Erwägung ziehen, daß die frag lichen Herren auf Auseinandersetzungen vielleicht nicht vorberei tet waren«, wandte der Butler in seiner höflichen Art ein. »Vielleicht, vielleicht…« äffte die Detektivin ihn nach. »Was in der Kriminalistik zählt, sind Tatsachen, Mister Parker. Das sollten Sie schon bei mir gelernt haben.« »Mylady stellen immer ein Vorbild dar, das man nur als leuch tend bezeichnen kann«, versicherte Parker und schob der Haus herrin den gedeckten Tisch in bequeme Reichweite. Wie bald man es mit »Tatsachen« zu tun bekommen sollte, ahnte in diesem Moment noch keiner von beiden. »So spät noch ein Anruf?« wunderte sich die passionierte De tektivin wenig später und sah indigniert von ihrem Teller auf. »Wer kann das sein, Mister Parker?« »Eine Frage, auf die man im Augenblick keine verläßliche Ant wort zu geben weiß«, erwiderte der Butler. »Sofern Mylady keine Einwände erheben, wird man sich jedoch unverzüglich zum Tele fon begeben, um sich Gewißheit zu verschaffen.« Da die ältere Dame nickend ihr Einverständnis bekundete, ver neigte er sich andeutungsweise und schritt in würdevoller Haltung davon. »Hier bei Lady Simpson. Josuah Parker am Apparat«, meldete er sich in seiner stets korrekten Art. »Mensch, was für’n Glück, daß Sie noch auf sind«, war eine aufgeregte Stimme zu vernehmen, die Parker sofort als die des jungen Phil Graham erkannte. »Ich hab’ vielleicht ‘nen Bammel!« »Hinter diesem sogenannten Bammel verbirgt sich wohl eine erste Notlage. Unter diesen Umständen wäre man interessiert zu erfahren, wo Sie sich momentan befinden und welche Umstände diesen Bammel verursachen, Mister Graham«, erwiderte der But ler gelassen.
»Ich bin zu Hause in meiner Wohnung«, teilte der Anrufer mit. »Unten vor dem Haus steht aber seit zehn Minuten ein Wagen, in dem zwei Männer sitzen.« »Sollte man davon ausgehen, daß es sich um die Herren han delt, die nach der Auseinandersetzung mit Ihnen unter Zurücklas sung ihrer Ware die Flucht ergriffen?« erkundigte sich Parker. »Nein, es sind andere Kerle«, widersprach Graham. »Das er kenne ich genau.« »Demnach handelt es sich auch nicht um einen Kombi der Mar ke Volvo?« vergewisserte sich der Butler. »Nein, ein dunkelblauer Porsche ist das«, teilte Graham mit. »Darf man um Auskunft bitten, ob die erwähnten Herren wäh rend der vergangenen zehn Minuten irgendwelche Aktivitäten entwickelt haben, Mister Graham?« lautete Parkers nächste Fra ge. »Nein, sie sitzen nur da und rauchen eine Zigarette nach der anderen«, meldete der Schädelverkäufer. »Insofern könnte es sich um eine Maßnahme handeln, die ledig lich den Zweck verfolgt, Sie einzuschüchtern, Mister Graham«, teilte Parker seine Einschätzung mit. »Hoffentlich«, gab der junge Mann ohne große Zuversicht zu rück. »Aber wie haben die bloß herausgefunden, wo ich wohne?« »Die Herren dürften Ihnen während der Heimfahrt gefolgt sein, falls man eine naheliegende Vermutung äußern darf, Mister Gra ham.« »Aber dann müssen sie ja auch gesehen haben, wie ich die Kis ten in Jennifers >Ente< eingeladen und an meiner Haustür wieder ausgeladen habe«, ließ der Anrufer zu Parkers nicht geringer Ü berraschung verlauten. »Vielleicht sollte ich sie ihnen freiwillig zurückgeben.« »Vermutet man möglicherweise recht, daß Sie von den Kisten sprechen, die Ihre Kontrahenten im Basarkeller zurückließen?« erkundigte sich der Butler. »Genau«, bestätigte Graham deprimiert. »Ich dachte… äh… weil die Kerle sich so aufgeführt haben, geht das schon in Ordnung. Als Denkzettel sozusagen.« »Ein Verhalten, das man bedauerlicherweise nur als leichtfertig bezeichnen kann, Mister Graham«, entgegnete Parker. »Gibt es übrigens einen Weg, auf dem Sie Ihre Wohnung unbe merkt verlassen können?«
»Eben nicht«, teilte der Anrufer ratlos mit. »Das Haus hat kei nen Hinterausgang. Und außer mir wohnt niemand hier. Im Erd geschoß ist nur eine Kneipe, die schon ein halbes Jahr leersteht.« »Unter diesen Umständen kann man Ihnen nur raten, sorgfältig die Tür zu verschließen und eventuell mit Hilfe eines Schrankes zu verbarrikadieren«, wies der Butler ihn an. »Man wird sich be mühen, in kürzester Frist bei Ihnen zu sein.« »Ja, prima. Schönen Dank«, sagte Graham. »Das ist wirklich nett von Ihnen.« »Sollten die Herren allerdings unübersehbar Anstalten treffen, sich Zutritt zu Ihrer Wohnung zu verschaffen, dürfte es sich emp fehlen, unverzüglich die Notrufnummer der Polizei zu wählen«, mahnte Parker, bevor er sich kurz verabschiedete, den Hörer auf legte und in die Wohnhalle zurückkehrte. »Papperlapapp, der Junge sieht Gespenster, Mister Parker«, be fand die tafelnde Hausherrin, nachdem der Butler ihr Bericht er stattet hatte. »Darf man gegebenenfalls um Aufklärung bitten, worauf Mylady diese Annahme stützen?« wollte Parker wissen. »Wenn es sich tatsächlich um Gangster handeln würde, die dem Jungen gefolgt sind, hätten sie doch spätestens beim Ausladen der Kisten vor seiner Wohnung eingegriffen«, ließ Agatha Simp son mit Bestimmtheit verlauten. »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Mylady zu widersprechen«, meldete der Butler auf seine ungemein höfli che Art Widerspruch an. »Andererseits sollte man die Tatsache in Betracht ziehen, daß Mister Grahams Verfolger lediglich über ein sportliches Fahrzeug von geringer Transportkapazität verfügen.« »Und was folgere ich aus dieser Tatsache, Mister Parker?« »Die Herren dürften telefonisch oder per Funk einen größeren Wagen angefordert haben, bevor Mister Graham ihre Anwesenheit bemerkte«, führte Parker aus. »Einen größeren Wagen? Wozu denn, Mister Parker?« »Die mit Schädeln gefüllten Holzkisten, die sich derzeit in Mister Grahams Wohnung befinden, dürften sich wohl kaum mit einem Sportwagen abtransportieren lassen, falls der Hinweis gestattet ist«, gab der Butler zur Antwort. »Genau«, nickte die Detektivin. »Mir war das sofort klar, Mister Parker. Ich wollte nur überprüfen, ob sie die Zusammenhänge verstehen.«
»Darum ist man stets eingehend bemüht, Mylady«, versicherte Parker und verneigte sich höflich. »Das heißt, daß die Gangster vor der Haustür des Jungen jeden Augenblick Verstärkung erhalten können«, dachte die ältere Da me laut, während sie einen Käsewürfel aufspießte und zum Mund führte. »In der Tat, Mylady.« »Also muß ich mich beeilen, wenn ich nicht zu spät kommen will«, dämmerte es der Detektivin. »Eine Feststellung, der man nichts hinzuzufügen hat, Mylady.« »Ist der Wagen startklar, Mister Parker?« »Jederzeit, Mylady.« * Es traf sich gut, daß die Stadtautobahn wie leergefegt wirkte. So konnte Parker die Möglichkeiten des Zusatztriebwerks, das seinem Vehikel ungeahntes Temperament verlieh, voll ausschöp fen. Dennoch dauerte es zwanzig Minuten, bis man den Stadtteil Finchley am nördlichen Rand der Themsemetropole erreichte. Immerhin war die Penford Lane dank Grahams Wegbeschrei bung schnell gefunden. Doch vor dem Haus Nr. 38, wo der junge Mann über einer leerstehenden Gaststätte wohnte, stand kein dunkelfarbener Porsche mehr. Dafür sichtete der Butler, als er in die Straße einbog, ein ande res Fahrzeug. Kein Zweifel: Es handelte sich um den nagelneuen Kombi schwedischer Fabrikation, den die rabiaten Schädelverkäu fer benutzt hatten. Der Wagen parkte unmittelbar vor dem Hauseingang und war unbesetzt, wie Parker beim Näherkommen feststellte. Demnach lag die Vermutung nahe, daß die Gangster sich gerade in Gra hams Wohnung befanden, um sich das zu holen, was sie als ihr Eigentum betrachteten. »Um so besser«, frohlockte die Detektivin, als Parker ihr seine Wahrnehmungen meldete. »Dann kann ich die Strolche überwäl tigen, ehe sie dein jungen Mann ein Haar krümmen.« »Was eindeutig zu hoffen steht, Mylady«, erwiderte der Butler und stellte seinen schwarzen Wagen sichtgeschützt in eine Hof
einfahrt. Die letzten fünfzig Schritte legte das Paar aus Shepherd’s Market zu Fuß zurück. Der Eingang des Hauses Nr. 38 war fast erreicht, als Parker auf Geräusche aufmerksam wurde, die aus der offenen Haustür dran gen. Dicht an die Wand gedrückt, lauschten der Butler und die Detektivin auf die scharrenden Schritte im Hausflur, die sich lang sam näherten. Augenblicke später wurden zwei Männer sichtbar, die gemein sam eine der Holzkisten schleppten, die Phil Graham sich auf nicht ganz legale Weise angeeignet hatte. Auch wenn das Pflas ter, das einer von ihnen über der linken Augenbraue trug, nicht gewesen wäre, hätte Parker die Männer sofort wiedererkannt. Die Gesichter des Duos, das sein freundliches Hilfsangebot so barsch abgelehnt hatte, waren unauslöschlich in sein Gedächtnis geprägt. »Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Abend zu wün schen«, machte der Butler sich bemerkbar. Die Wirkung, die die harmlose Grußformel zeitigte, war frappierend. Ruckartig wandten die Kistenträger sich um und… erstarrten. Der Anblick des skurrilen Paares schien sie derart zu faszinieren, daß sie darüber ihre Traglast völlig vergaßen. Postwendend ent glitt die Holzkiste ihren Händen und folgte ungehindert den Ge setzen der Schwerkraft. Sekunden später wurde ein zweistimmiges Geheul hörbar, das an Wölfe in einsamer Steppe erinnerte. In Wahrheit signalisierten die gequälten Laute jedoch nur, daß beide Ganoven unter Hüh neraugen litten und es versäumt hatten, rechtzeitig ihre Zehen in Sicherheit zu bringen. Lady Agatha wollte gerade bei diesem Anblick lachen, als die Männer schlagartig ihren Schmerz vergaßen und wütend zum Angriff übergingen. Parker, der mit der Zuspitzung des Gesche hens gerechnet hatte, war jedoch auf der Hut und durchkreuzte die unfreundlichen Absichten des Breitschultrigen ebenso wirksam wie nachhaltig. Zu diesem Zweck ließ er seinen Universal-Regenschirm mit ei ner kaum merklichen Bewegung in die Horizontale wippen und stellte sich in würdevoller Haltung dem ersten Angreifer in den Weg.
Von Wut und Schmerz gepeinigt, ging der Mann mit dem Pflas ter auf ihn los und bemerkte das Hindernis erst, als es schon zu spät war. Parkers Gegner reagierte mit gequältem Stöhnen und gab fau chend seinen gesamten Vorrat an Atemluft von sich, als die blei gefüllte Schirmspitze eingehend seinen Solarplexus massierte und dadurch einen Kurzschluß im vegetativen Nervensystem auslöste. Anschließend klappte er wie ein Taschenmesser in sich zusam men und suchte den Boden auf, um erst mal eine Verschnaufpau se einzulegen. Angesichts dieser Entwicklung hielt sein Komplize es nicht für ratsam, die Entscheidung im Nahkampf zu suchen und wich blitz schnell einige Schritte zurück. Dabei langte er mit der Routine eines mit allen Wassern gewaschenen Profis in den Jackenaus schnitt. In seiner tief verwurzelten Abneigung gegen Feuerwaffen sorgte Parker jedoch dafür, daß der Mann nicht mehr dazu kam, den schallgedämpften Revolver zu ziehen, der in seiner Schulterhalf ter steckte. Gelassen griff der Butler mit der schwarz behandschuhten Rech ten nach seinem Bowler und ließ ihn wie eine schwarze Frisbee scheibe davonschwirren. Im nächsten Moment jaulte der Bewaff nete wie ein Hund, der mit dem Schwanz in eine Drehtür geraten ist, und zog ruckartig die Hand zurück, als hätte er sich ver brannt. Nach kurzem Anflug hatte sich die halbkugelförmige Kopfbede ckung das Handgelenk des Gangsters zum Landeplatz auserkören und für eine unangenehme Sensation gesorgt. Sirrend war die Stahlkrempe der Melone über Handrücken und Unterarm des Mannes geglitten und hatte ihm eine Radikalrasur verpaßt. Schlagartig vergaß der Ganove sein stählernes Mordinstrument und widmete sich hingebungsvoll der rasch anschwellenden Hand, die er durch eifriges Blasen zu kühlen versuchte. Dadurch entging dem Mann, daß Parker erneut sein altväterlich gebundenes Regendach aktivierte. Röchelnd knickte er in Knien und Hüften gleichzeitig ein, als der bleigefüllte Schirmgriff auf seiner Schädeldecke landete. »Müssen Sie sich denn immer dazwischendrängeln, Mister Par ker«, reagierte die leidenschaftliche Detektivin ungehalten, nach dem auch der zweite Gangster hastig den innigen Kontakt zu
Mutter Erde gesucht und gefunden hatte. »Ich wäre mit den Fle geln auch allein fertig geworden.« »Was man mitnichten im Traum bezweifeln würde, Mylady«, versicherte der Butler und verneigte sich höflich. Anschließend schleifte er die Männer in den Hausflur zurück und versorgte sie mit Handfesseln aus Plastik, die sich um so enger zusammenzo gen je energischer man daran zerrte. »Wo steckt eigentlich der junge Mann mit den langen Haaren?« wollte Agatha Simpson unvermittelt wissen. »Dieser… dieser… wie hieß er noch, Mister Parker?« »Mylady dürften Mister Phil Graham zu meinen geruhen, falls man nicht sehr irrt«, half Parker dem Gedächtnis seiner Herrin auf die Sprünge. »Richtig, Bill Graham«, nickte die majestätische Dame. »Der Name lag mir auf der Zunge, Mister Parker. Falls die Gangster ihn nicht gleich umgelegt haben, wird er sich wohl irgendwo in seiner Wohnung versteckt haben.« »Eine Möglichkeit, die man keinesfalls von vornherein aus schließen sollte, Mylady«, ließ der Butler sich vernehmen und schritt steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, auf der Treppe voran, die zur Wohnung des jungen Mannes führte. Dort fand sich zwar erwartungsgemäß auch die zweite, mit To tenschädeln gefüllte Holzkiste, aber von Phil Graham war nir gendwo eine Spur zu entdecken. »Dann wird es ihm doch gelungen sein, vor den Gangstern zu flüchten«, mutmaßte die füllige Dame, nachdem Parker erfolglos jeden Winkel der bescheiden möblierten Räume durchsucht hatte. »Eine Hoffnung, der man sich gern anschließen möchte, falls es genehm ist, Mylady«, entgegnete der Butler. »Allerdings sollte man auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß Mister Graham von den Insassen des dunkelblauen Porsche entführt wurde.« »Darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam machen, Mister Par ker«, behauptete Agatha Simpson umgehend. »Am besten frage ich die Lümmel, die unten im Flur liegen.« »Ein Verfahren, das sich geradezu anbieten dürfte«, pflichtete Parker ihr bei. »Darf man in diesem Zusammenhang um Auskunft bitten, wo Mylady das geplante Gespräch zu führen beabsichti gen?« »Ich werde die kriminellen Subjekte erst mal nach Shepherd’s Market mitnehmen, Mister Parker«, entschied die ältere Dame
nach kurzem Nachdenken. »Dann kann ich den unterbrochenen Imbiß beenden und meinen Kreislauf therapieren, ehe ich mit der Vernehmung beginne.« »Wie Mylady wünschen«, erwiderte der Butler. »Vermutet man übrigens recht, daß Mylady konkrete Anordnungen treffen möch ten, was die mit Totenschädeln gefüllten Kisten angeht?« »Die nehme ich natürlich auch mit, Mister Parker«, ließ Lady Agatha ihn wissen. »Immerhin handelt es sich um Beweismittel von beträchtlichem Wert.« »Eine Feststellung, der man mitnichten widersprechen möchte«, bemerkte Parker, lud sich gleich die erste Kiste auf die Schulter und trug sie nach draußen. Wenig später hatte er beide Behält nisse in seinem eckigen Gefährt verstaut und schickte sich an, auch das Gangsterduo zu verladen. Mylady runzelte zwar mißbilligend die Stirn, weil sie die Rück bank mit einem der Gangster teilen mußte. Aber beide auf dem Beifahrersitz unterzubringen, erwies sich nun mal als unmöglich. »Was man nicht alles an Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, wenn die Pflicht es gebietet«, murmelte sie mürrisch, während der Butler am Lenkrad Platz nahm und den Motor startete. Au genblicke später setzte sich das schwarze Monstrum in Bewegung und nahm rasch Fahrt auf. * »Und jetzt ist mein Kreislauf an der Reihe, Mister Parker«, machte die Hausherrin deutlich, sobald sie mit gesundem Appetit das unterbrochene Nachtmahl beendet hatte. »Darf man höflich um Auskunft bitten, welchem Therapeutikum Mylady den Vorzug geben?« fragte Parker. »Ein Schlückchen Cognac würde mir bestimmt guttun, Mister Parker«, ließ die ältere Dame ihn wissen. »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit Befehl«, erwiderte der Butler, verneigte sich andeutungsweise und schritt würdevoll zur Anrichte, um den gewünschten Kreislaufbeschleuniger zu ho len. »Haben Sie alles für die Vernehmung vorbereitet, Mister Par ker«? wollte Agatha Simpson wissen, nachdem sie das erste Glas geleert hatte.
»Falls man nicht sehr irrt, dürften die Herren schon voller Unge duld auf das klärende Gespräch mit Mylady warten«, gab Parker Auskunft und schenkte erneut ein. »Dann will ich die Sache auch hinter mich bringen«, entschied Lady Simpson nach einem weiteren Schluck von dem Kreis lauftherapeutikum. »Ich habe Wichtigeres zu tun und denke nicht daran, diesen Wühlmäusen eine ganze Nacht zu opfern.« »Eine Einschätzung, der man nicht unbedingt widersprechen möchte, Mylady«, erwiderte der Butler, half seiner fülligen Herrin aus dem Sessel und ging gemessen und würdevoll voran. Das Gästezimmer, in dem er die Männer gleich nach der Heim kehr untergebracht hatte, lag im Souterrain des repräsentativen Fachwerkhauses im idyllischen Londoner Stadtviertel Shepherd’s Market, das der vermögenden Witwe als Hauptwohnsitz diente. Der behaglich eingerichtete Raum – übrigens nicht der einzige seiner Art – verfügte über angemessenen Komfort, wozu auch ein Farbfernseher und ein mit alkoholfreien Getränken gefüllter Kühl schrank gehörten. Nur Fenster gab es nicht. Und auch kein Tele fon. Darüber hinaus hatte Josuah Parker die stählernen Feuerschutz türen mit komplizierten Sicherheitsschlössern und sogenannten „Türspionen ausrüsten lassen. Die ältere Dame schätzte es nun mal nicht, wenn ihre meist unfreiwilligen Gäste sich grußlos emp fahlen. Vorsichtshalber warf der Butler einen Kontrollblick durch den Türspion, ehe er aufsperrte und Lady Agatha eintreten ließ. Dabei stellte er fest, daß die Männer inzwischen aus ihren unruhigen Träumen erwacht waren. Daß sie noch immer auf dem Sofa saßen, wo Parker sie hinge legt hatte, war nicht weiter verwunderlich. Schließlich hatte der Butler ihre Bewegungsfreiheit durch Fußfesseln zusätzlich einge schränkt, um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein. »Man erlaubt sich, einen möglichst unbeschwerten Aufenthalt unter Myladys gastlichem Dach zu wünschen«, sagte Parker beim Eintreten und löste damit unwilliges Murren aus. »Was soll der Quatsch?« beschwerte sich der Gangster mit dem Pflaster über der Augenbraue. »Darf man fragen, worauf Sie mit dieser Äußerung anzuspielen geruhen?« erkundigte sich der Butler in seiner stets höflichen Art.
»Sie haben kein Recht, uns hier einzusperren«, wurde sein Ge genüber deutlich. »Das ist glatte Freiheitsberaubung.« »Ja, Freiheitsberaubung!« fiel sein Komplize ein. »Wir werden Sie anzeigen.« »Eine Ankündigung, die Mylady mit der größten Gelassenheit zur Kenntnis nehmen dürfte«, erwiderte Parker unbeeindruckt. »Immerhin ist den Delikten, die Ihnen zur Last gelegt werden, ein wesentlich größeres Gewicht beizumessen, falls man sich diese persönliche Anmerkung erlauben darf.« »So?« gab der Bepflasterte ärgerlich zurück. »Da bin ich aber mal gespannt.« »Unter anderem dürfte es sich um Nötigung, Einbruch und Ent führung handeln, um nur die schwerwiegendsten Vorwürfe zu nennen«, teilte der Butler mit unbewegter Miene mit. »Unsinn! Wie kommen Sie denn darauf?« protestierte sein Ge sprächspartner. »Wir haben nur unser Eigentum zurückgeholt, das der dreiste Hippie uns geklaut hat.« »Ruhe jetzt!« fuhr Agatha Simpson unvermittelt dazwischen. »Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden, junger Mann.« »Moment mal. Was’ wird denn hier überhaupt gespielt?« wollte der zweite Gangster wissen und bedachte die füllige Dame mit einem abschätzigen Blick. »Gespielt wird hier überhaupt nicht, junger Mann«, mußte er sich umgehend belehren lassen. »Dies ist ein Verhör, und wenn Sie nicht umgehend mit der Wahrheit herausrücken, haben Sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben.« »Verhör?« wiederholte der Unterweltler und setzte ein spötti sches Grinsen auf. »Sie wollen uns doch nicht etwa einreden, daß Sie von der Polente sind?« »Mylady ist als Privatdetektivin tätig und genießt einen Ruf, den man nur als beispiellos bezeichnen kann«, setzte Parker ihn ins Bild. »Daß ich nicht lache!« platzte der Mann heraus. »Die fette Vo gelscheuche will ‘ne Detektivin sein? Dann bin ich der Kaiser von China.« »Ich glaube, der Lümmel hat mich soeben in unverschämter Weise beleidigt, Mister Parker«, stellte die Detektivin überrascht fest. »Ich werde ihm Manieren beibringen.« »Ein Vorhaben, dem man den Beifall keineswegs versagen möchte, Mylady«, urteilte der Butler und verneigte sich andeu
tungsweise. Da er die spontane und handfeste Art Agatha Simp sons seit Jahren kannte, war ihm klar, was jetzt kam. Den Gangs ter hingegen traf es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Mit energischem Schwung schickte Mylady ihren geliebten Glücksbringer auf Strafexpedition und erzielte auf Anhieb einen Volltreffer. Mit dumpfem Klatschen ging der perlenbestickte Pompadour nieder und schmiegte sich mit dem Zartgefühl einer Dampframme an die rechte Schläfe des Mannes. Postwendend bäumte der Ge troffene sich auf und ließ einen unartikulierten Laut hören, der an das Brüllen eines verwundeten Kampfstieres erinnerte. Unter dem entgeisterten Blick seines Komplizen sackte er an schließend haltlos in sich zusammen und verstummte. Einmal, zweimal pendelte der Kopf des Ganoven hin und her, dann kippte er zur Seite. Jetzt war nur noch ein heiseres Röcheln zu verneh men, das aus dem halb geöffneten Mund des Mannes drang. »Die kleine Demonstration hat Ihnen hoffentlich gezeigt, daß man eine Dame meines Standes nicht ungestraft beleidigt, junger Mann«, wandte Agatha Simpson sich umgehend an den Bepflas terten. »Andernfalls bin ich gern bereit, auch Ihnen eine Lektion zu erteilen.« »Um Himmels willen!« reagierte der Gangster entsetzt. »Ich bin doch nicht lebensmüde.« »Das wird sich zeigen«, meinte die Detektivin lächelnd und ließ kokett den ledernen Handbeutel wippen. »Sie sind also bereit, wahrheitsgemäß zu antworten?« »Klar«, beteuerte ihr Gegenüber eilig. »Ich erzähle Ihnen alles, was Sie hören wollen.« »Die Wahrheit will ich hören, und nichts als die Wahrheit«, schärfte Lady Agatha ihm ein. »Und wenn ich Ihnen einen wohl gemeinten Rat geben darf: Versuchen Sie es gar nicht erst mit Ausflüchten. So was verfängt bei einer Kriminalistin nicht.« »Okay«, signalisierte der unfreiwillige Gast sein Einverständnis. »Was wollen Sie denn wissen?« »Erst mal Ihren Namen«, verlangte die füllige Dame in dienstli chem Ton. »Fred Ashford«, gab der Ganove zu Protokoll, ein Name der e benso richtig wie falsch sein konnte.
»Nun gut, ich werde das überprüfen. Und wehe, Sie haben ge logen«, warnte die Hausherrin. »Die weiteren Fragen wird Mister Parker Ihnen stellen. Er weiß worauf es mir ankommt.« »In erster Linie wünscht Mylady, über den Verbleib von Mister Phil Graham unterrichtet zu werden, Mister Ashford«, kam Parker der Aufforderung unverzüglich nach. »Graham? Wer soll das sein?« fragte Ashford und setzte eine Miene auf, die Ahnungslosigkeit ausdrücken sollte. »Mister Graham ist Inhaber der Wohnung in Finchley, zu der Sie und Ihr Komplize sich widerrechtlich Zutrittverschaffen, Mister Ashford«, ließ der Butler verlauten. »Ach so«, nickte der Mann mit dem Pflaster. »Keine Ahnung, wo der Bengel steckt. Als wir da ankamen, war die Wohnung leer, und die Tür stand offen. Da wollten wir uns nur eben die Kisten holen, die er uns geklaut hat.« »Eine Darstellung, die man nur mit unverhohlener Skepsis zur Kenntnis nehmen kann, Mister Ashford«, entgegnete Parker. »Immerhin dürfte in diesem Zusammenhang die Frage von Inte resse sein, wie es Ihnen gelang, Mister Grahams Anschrift ausfin dig zu machen.« »Die hat er uns selbst gesagt«, war Ashford um eine Antwort nicht verlegen. »Noch während des Basars, bevor der Streit los ging.« »Merken Sie denn nicht, daß der Lümmel lügt wie gedruckt, Mister Parker?« schaltete sich Lady Agatha unwirsch ein. »Nein, das ist die Wahrheit«, beharrte Ashford. »Da gebe ich Ihnen mein heiliges Ehrenwort.« »Leider sieht meine Wenigkeit sich nicht in der Lage, diesem Ehrenwort nennenswertes Gewicht beizumessen, Mister Ashford«, entgegnete der Butler kühl. »Mylady liegen eindeutige Informati onen vor, nach denen Mister Graham während der Heimfahrt von zwei Männern in einem dunkelblauen Porsche verfolgt wurde.« »Wennschon. Ich hab’ jedenfalls keine Ahnung, wer das gewe sen sein könnte«, gab Ashford trotzig zurück. »Leute, die einen dunkelblauen Porsche fahren, kenne ich nicht.« »Jetzt reicht’s aber«, fuhr die resolute Dame dazwischen, und sorgte durch den Einsatz des Pompadours dafür, daß keine weite ren Lügen über Ashfords Lippen kamen.
Mitten in dem sirenenähnlichen Heulton, mit dem der Unterwelt ler sich aus dem Geschehen verabschiedete, drang das Läuten des Telefons an Parkers Ohr. »Schauen Sie mal nach, wer dran ist, Mister Parker«, verlangte Agatha Simpson, die das Läuten ebenfalls vernommen hatte. »Ich passe in der Zwischenzeit auf die Subjekte auf.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, erwiderte der Butler und steuerte gemessen und würdevoll seine privaten Räume an, die unmittelbar an das Gästezimmer grenzten. »Hier bei Lady Simpson. Josuah Parker am Apparat«, meldete er sich. * »Tut mir leid, daß ich Sie so spät in der Nacht noch störe«, ver nahm Parker die dünne, zittrige Stimme eines jungen Mädchens am anderen Ende der Leitung. »Aber ich mache mir solche Sor gen, Mister Parker.« »Darf man vorab um Auskunft bitten, mit wem man die Ehre hat?« fragte der Butler. »Mein Name ist Jennifer Bradley«, teilte die Anruferin mit. »Ich bin mit Phil befreundet und stand neben Ihnen, als Sie nach der Prügelei im Basarkeller mit ihm sprachen.« »Man erinnert sich Ihrer, Miß Bradley«, erwiderte Parker, dem die Stimme sofort bekannt erschienen war, ob wohl das junge Mädchen nur wenige Worte zu dem Gespräch mit Graham beige tragen hatte. »Darf man fragen, ob es für Ihren Anruf einen kon kreten Anlaß gibt?« »Ja, eigentlich wollte ich Sie schon vor einer Stunde anrufen, weil ich auf der Heimfahrt eine merkwürdige Geschichte erlebt habe«, antwortete Jennifer. »Und jetzt mache ich mir zusätzlich Sorgen, weil Phil verschwunden ist.« »Demnach vermutet man wohl recht, daß Sie sich in Mister Grahams Wohnung befinden, Miß Bradley?« vergewisserte sich der Butler. »Ja, aber er ist nicht hier«, gab das Mädchen verzweifelt zu rück. »Was mache ich nur, Mister Parker?« »Sie sollten Ruhe und Nerven bewahren, falls man eine persön liche Empfehlung geben darf, Miß Bradley«, antwortete Parker.
»Des weiteren wäre meine bescheidene Wenigkeit Ihnen dankbar, wenn Sie der Reihe nach berichten und auch das konkret ausfüh ren könnten, was Sie soeben >eine merkwürdige Geschichte< zu nennen beliebten.« »Das war so: Nachdem ich Phil nach Hause gebracht hatte, fuhr ich noch mal zum Basar zurück und blieb da bis kurz vor Mitter nacht«, erzählte die Anruferin. »Anschließend bin ich nach Barnet gefahren, wo ich wohne. Dabei kam ich an dem alten Friedhof vorbei, der drei Meilen vor Barnet auf freier Strecke liegt.« »Der fragliche Ort ist meiner Wenigkeit durchaus vertraut, Miß Bradley«, warf der Butler ein. Es war genau der Friedhof, auf dem Phil Graham noch in der Nacht zuvor seinem makabren Broter werb nachgegangen war. »Zufällig sah ich von weitem, wie ein Bagger von der Straße abbog und durch das Friedhofstor fuhr«, setzte das junge Mäd chen seinen Bericht fort. »Da mir das komisch vorkam, habe ich angehalten, um zu sehen, was die Männer dort mitten in der Nacht wollten. Aber gleich kam einer von ihnen angelaufen und brüllte, ich solle sofort weiterfahren, sonst könnte ich was erle ben.« »Man darf doch wohl davon ausgehen, daß Sie der Aufforderung unverzüglich nachkamen, Miß Bradley?« wollte Parker wissen. »Ja, sicher. Der Mann hat mir einen großen Schrecken einge jagt«, bestätigte Jennifer. »Und kaum war ich in Sicherheit, fiel mir Phil wieder ein. Ich beschloß, ihn von zu Hause aus anzuru fen.« »Ein Versuch, der vermutlich nicht von Erfolg gekrönt war, Miß Bradley?« erkundigte sich der Butler. »Er hat sich nicht gemeldet, obwohl ich es bestimmt eine Vier telstunde lang versucht habe«, gab die Anruferin zur Antwort. »Da bin ich einfach losgefahren zu seiner Wohnung. Aber die Tür stand offen, und Phil war nicht da.« »Leider sieht man sich nicht in der Lage, Auskunft über den Verbleib von Mister Graham zu geben, Miß Bradley«, erwiderte Parker. »Und da ist noch was, das ich Ihnen sagen muß, Mister Parker«, fuhr das junge Mädchen fort. »Die Sache ist zwar ein bißchen peinlich. Aber wenn Sie wissen, was ich meine, verstehen Sie bestimmt, warum ich solche Angst um Phil habe.«
»Darf man möglicherweise die Vermutung äußern, daß es sich um die Kisten mit Totenschädeln handelt, bei deren Abtransport Sie Mister Graham behilflich waren, Miß Bradley?« fragte der But ler. »Wie… Sie wissen davon?« reagierte Jennifer überrascht. »Mister Graham war so freundlich, meine Wenigkeit von diesem Vorgehen telefonisch zu unterrichten«, ließ Parker sie wissen. »Und diese Kisten sind auch weg«, berichtete Grahams Freun din, was der Butler ohnehin wußte. »Sie wurden auf Myladys Anordnung als Beweismittel sicherge stellt«, klärte Parker das Mädchen auf. »Im übrigen darf man Ih nen versichern, daß die Fahndung nach Mister Graham auf Hoch touren läuft und bereits erste Erfolge gezeitigt hat.« »Davon hatte ich ja gar keine Ahnung« sagte Jennifer. »Aber Sie wissen hoch nicht, wo Phil ist?« »Bislang handelt es sich um Spuren, denen es zu folgen gilt, Miß Bradley«, gab der Butler ausweichend zur Antwort. »Mit ei nem Erfolg der Fahndung dürfte aber innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden fest zu rechnen sein.« »Glauben Sie wirklich, Mister Parker?« fragte die Anruferin, wo bei nur wenig Hoffnung in Ihrer Stimme mitschwang. »Unbedingt, Miß Bradley«, bekräftigte Parker, obwohl er sich insgeheim keineswegs so sicher war. »Sie sollte jetzt nach Hause fahren und am Telefon auf Nachricht warten, sofern Sie es nicht vorziehen, sich zur Ruhe zu begeben.« »Ich kann sowieso kein Auge zumachen. Da bleibe ich lieber am Telefon«, antwortete Grahams schwarzhaarige Freundin. »Ach, ich bin ja so froh, daß Phil mir Ihre Telefonnummer gegeben hat. Als ob er was geahnt hätte… Gute Nacht, Mister Parker! Und ent schuldigen Sie nochmals die Störung.« »Man hat Ihren Anruf keineswegs als Störung empfunden«, ver sicherte der Butler. »Gute Nacht, Miß Bradley!« »Das würde doch einen kleinen Ausflug lohnen«, befand Agatha Simpson, nachdem Parker ihr den Inhalt des Telefonats übermit telt hatte. »Da könnte ich die kriminellen Wühlmäuse auffrischer Tat stellen.« »Mylady beabsichtigen also, den Friedhof in der Nähe von Bar net aufzusuchen?« erkundigte sich der Butler.
»Wäre doch eine hübsche Abwechslung, Mister Parker«, ent gegnete die ältere Dame. »Bewegung an frischer Luft könnte mir guttun.« »Was man mitnichten in Zweifel ziehen möchte, Mylady.« »Außerdem kann ich genausogut die Lümmel mit dem Bagger fragen, wo sie Mister… wie hieß der junge Mann noch, Mister Par ker?« »Mylady dürften Mister Phil Graham meinen, falls man sich nicht gründlich täuscht.« »Richtig. Wo sie den armen Bill Graham hingeschafft haben.« »Demnach neigen Mylady der Annahme zu, daß die von Miß Bradley Beobachteten derselben Organisation angehören wie die Herren, die derzeit Myladys vielgepriesene Gastfreundschaft ge nießen?« »Ohne Frage, Mister Parker. Derartige Zusammenhänge bleiben einer Kriminalistin nicht verborgen.« »Eine Feststellung, der man keineswegs und mitnichten wider sprechen möchte, Mylady«, erwiderte Parker höflich und geleitete seine Herrin aus dem Gastzimmer, während Fred Ashford und sein Komplize friedlich schlummernd zurückblieben. Sorgfältig verschloß er die stählerne Feuerschutztür, ehe man sich wieder ins Erdgeschoß begab, um sich für die überraschend anberaumte Ausfahrt zu rüsten. * »Bin ich denn nicht bald da, Mister Parker?« wollte die passio nierte Detektivin voller Ungeduld wissen. »In wenigen Minuten dürften Mylady das Ziel erreicht haben«, meldete Parker, der würdevoll am Lenkrad saß und sein hochbei niges Monstrum in scharfem Tempo über die nächtliche Landstra ße in Richtung Barnet steuerte. Äußerlich glich der Wagen, dessen Qualitäten nur Eingeweihte kannten, einem betagten Londoner Taxi. In der Tat hatte er viele Jahre zur Beförderung von Fahrgästen gedient. Seit der Butler das altertümliche Vehikel erworben und nach seinen ganz speziel len Vorstellungen umgerüstet hatte, war daraus jedoch eine Trickkiste auf Rädern, geworden, um die ihn selbst James Bond beneidet hätte.
Neben schußsicherer Panzerung und einem leistungsstarken Zu satztriebwerk verfügte der schwarze Kasten über ein hochbeini ges Spezialfahrwerk, das sich im Gelände wie auf der Autobahn gleichermaßen bewährte. Zusätzlich stand Parker eine ganze Pa lette an Überraschungseffekten zu Gebote, die der Abwehr von Verfolgern dienten und durch Kipphebel am Armaturenbrett aus gelöst wurden. Seit der vergangenen Nacht, als man diese Straße in der Ge genrichtung befahren hatte, war ein deutlicher Wetterumschwung eingetreten: Keine Spur mehr von Nebel. Statt dessen goß der helle Vollmond sein silbriges Licht über die sanft gewellte Land schaft. »Darf man höflich um Auskunft bitten, wie Mylady am Zielort vorzugehen beabsichtigen?« fragte Parker, kurz bevor der abge legene Kirchhof in Sicht kam. »Natürlich enthält mein taktisches Konzept mehrere Varianten, Mister Parker«, zögerte die Detektivin. »Unter diesen Umständen dürfte der Hinweis erlaubt sein, daß eine unbemerkte Annäherung durch den Mondschein unverhält nismäßig erschwert wird«, gab der Butler zu bedenken. »Ich hatte ohnehin nicht vor, über Weidezäune zu klettern und mich durch Dornenhecken zu zwängen, Mister Parker«, ließ Lady Agatha vorsichtshalber verlauten. »Indianerspiele passen nicht für eine Dame meines Standes.« »Eine Feststellung, der man nur beipflichten kann, Mylady«, er widerte Parker und nahm allmählich den Fuß vom Gaspedal. »Ich werde eine frontale Taktik bevorzugen und die kriminellen Subjekte durch einen Überraschungsangriff in die Knie zwingen, Mister Parker«, teilte die majestätische Dame ihre Überlegungen mit. »Mylady dürften die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die Ar beiten durch einen bewaffneten Wachposten abgeschirmt wer den«, wandte der Butler ein, obwohl er aus Erfahrung wußte, wie seine Herrin darauf reagieren würde. »Na und?« meinte sie keck. »Habe ich schon jemals Angst vor einem Gangster mit Pistole gehabt, Mister Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, versicherte Parker durchaus wahrheitsgemäß. In der Tat hatte die ältere Dame schon öfter im Angesicht entsicherter Schußwaffen eine geradezu beneidenswerte Unbefangenheit an den Tag gelegt.
Mittlerweile war der Friedhof in Sicht gekommen, und der Butler ließ sein eckiges Gefährt ausrollen. Daß wenige Augenblicke zuvor eine Gestalt vom Straßenrand weggehuscht war und sich hinter den Pfosten des Tores verborgen hatte, war ihm dann der natürli chen Lichtquelle am Nachthimmel nicht entgangen. Unmittelbar vor der Zufahrt brachte Parker den schwarzen Wa gen zum Stehen, ließ die Maschine aber noch mit Standgas wei terlaufen. Er brauchte nicht lange zu warten. Wie ein Schatten löste sich die dunkel gekleidete Gestalt aus ih rem Versteck, glitt in gebückter Haltung am hochbeinigen Monst rum entlang und bezog hinter dem Heck des Fahrzeuges Posten. Im Rückspiegel registrierte Parker, daß der Unbekannte einen langläufigen Revolver aus dem Jackenausschnitt zog, den er um gehend entsicherte. Gelassen legte der Butler einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett um, deren Funktion nur ihm bekannt war. Eine schwarze, ölige Rußwolke quoll aus dem Auspuff seines al tertümlichen Gefährts und hüllte den Bewaffneten im Handum drehen ein. Sekunden später reagierte der Gangster mit krampfartigen Hustenanfällen auf die rapide Verschlechterung seiner Atemluft und signalisierte damit, daß es an der Zeit war, das Fahrzeug zu verlassen. »Wo steckt der Lümmel denn?« fragte die Detektivin irritiert und sah sich suchend um, nachdem Parker ihr behutsam beim Aussteigen geholfen hatte. Sie hörte zwar das Husten, das all mählich in gequältes Röcheln überging, konnte aber niemand entdecken. In diesem Moment taumelte der Gangster, der in der zähen Qualmwolke jegliche Orientierung verloren hatte, auf einknicken den Knien aus den finsteren Schwaden. Den Revolver hielt er zwar noch im Anschlag, aber seine Augen waren derart mit Ruß verklebt, daß er auch bei Sonnenschein kein Ziel erkannt hätte. »Mister Parker, den nehme ich!« verkündete die resolute Dame und ließ ihren geliebten Glücksbringer rotieren. Klatschend lande te der Pompadour in der Nackenbeuge des ohnehin nicht mehr standfesten Ganoven und fegte ihn förmlich von den Beinen. »Gekonnt ist gekonnt, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson befriedigt fest, sobald der Unbekannte die Horizontale aufgesucht und alle viere von sich gestreckt hatte.
»Mylady wurden in einer Weise tätig, der man nur tiefste Be wunderung zollen kann«, spendete Parker das Lob, auf das die ältere Dame Anspruch zu haben glaubte. Dem Baggerführer, der im hinteren Teil des Friedhofes seiner nächtlichen Beschäftigung nachging, schien der kleine Zwischen fall entgangen zu sein. Jedenfalls waren das Tuckern der Diesel maschine und das Quietschen der Schaufel weiterhin deutlich zu hören. Mit routinierten Handgriffen legte der Butler dem schlummernden Wachposten Plastikfesseln an. Er hob ihn vom Boden auf und ließ ihn in einen der geräumigen Kompostbehälter gleiten, die in unmittelbarer Nähe des schmiedeeisernen Tores aufgestellt wa ren. Anschließend sicherte er den Deckel des Behältnisses mit zähem Paketklebeband und folgte seiner Herrin, die bereits wacker aus schritt und es nicht erwarten konnte, dem Baggerführer das Handwerk zu legen. Immer lauter wurden die Arbeitsgeräusche, während das skurri le Paar über den knirschenden Kies schritt, der im hellen Mond licht wie frisch gefallener Schnee glänzte. Den Bagger gewahrten Parker und Mylady jedoch erst, als sie der letzten Wegbiegung gefolgt und nur noch knapp zwanzig Me ter entfernt waren. Angesichts der Beleuchtung von oben hatte der Lenker es vor gezogen, seiner Tätigkeit bei ausgeschalteten Scheinwerfern nachzugehen. Verborgen hinter einer dichten Zypressenhecke, registrierte der Butler, daß die Arbeiten schon weit gediehen waren. Ein tiefer Graben, der an den uralten, bemoosten Grabsteinen entlangführ te, zog sich über das ganze Gräberfeld hin. Das aufgeworfene Erdreich war reichlich mit Schädeln und an deren Skeletteilen durchsetzt, von denen ein fast gespenstisches Leuchten ausging. * »Das ist ja wirklich der Gipfel der Pietätlosigkeit«, empörte sich die ältere Dame. »Folgen Sie mir bitte, Mister Parker.« Anschlie ßend steuerte sie mit forschen Schritten auf den Bagger zu.
Der Mann, der das schwere Gerät bediente, war voller Konzent ration bei der Sache. Deshalb wurde er auf die Ankömmlinge erst aufmerksam, als Lady Simpson energisch an die Kabinentür poch te. »He! Aufhören, junger Mann!« übertönte sie mit ihrem baritonal gefärbten Organ fast mühelos das Motorengeräusch. »Sonst ler nen Sie mich kennen.« Wie von einer Tarantel gestochen, fuhr der korpulente, etwa fünfzigjährige Glatzkopf auf seinem Sitz herum und starrte die unerwarteten Besucher fassungslos an. Doch seine Verblüffung währte nur Bruchteile von Sekunden. Mit einem Ruck öffnete er die Tür und griff gleichzeitig in die vordere Tasche seiner blauen Latzhose. Parker, der mit einer un freundlichen Begrüßung ohnehin gerechnet hatte, war jedoch um die entscheidenen Sekundenbruchteile schneller. Er ließ seinen schwarzen Universal-Regenschirm durch die Luft wirbeln und pochte mit der bleigefüllten Spitze nachdrücklich auf das Handgelenk des Mannes. Postwendend jaulte der Kahlköpfige wie ein getretener Hund und ließ den kurzläufigen Revolver fallen. Doch trotz des Schmerzes in seiner rechten Hand dachte er nicht an Aufgeben. Wütend drückte er sich aus dem Sitz hoch und wollte seine er höhte Position benutzen, um sich mit aller Wucht seines massigen Körpers auf den Butler zu stürzen. Die Hoffnungen, die der Latz hosenträger in diese Aktion setzte, erwiesen sich jedoch schnell als trügerisch. Statt zurückzuweichen, trat Parker noch einen Schritt auf den heranfliegenden Baggerführer zu und verneigte sich andeutungs weise. Daß dies alles andere als eine Geste der Höflichkeit war, wurde dem Angreifer erst bewußt, als es für ihn kein Zurück mehr gab. Ungeniert machte sich die stahlverstärkte Halbkugel des Bow lers in der Magengrube des Mannes breit und entlockte ihm ein heiseres Fauchen, das an eine betagte Dampflok erinnerte. An schließend blieb der bullige Gegner wie ein nasser Sack über der Schulter des Butlers hängen und stöhnte nur noch verhalten. Ohne Mühe trug Parker den Ganoven einige Schritte nach links und ließ ihn in der Baggerschaufel Platz nehmen. Anschließend hob der Butler den Revolver auf, der dem Mann bei seinem mißglückten Anflug abhanden gekommen war, und ließ ihn in
einer der unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Cover coats verschwinden. »Jetzt simuliert der Lümmel auch noch«, ließ Lady Agatha ent rüstet verlauten und bedachte die schlaffe Gestalt mit finsteren Blicken. »Sorgen Sie dafür, daß das Subjekt mir unverzüglich für eine Vernehmung zur Verfügung steht, Mister Parker!« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Parker höflich und hielt im nächsten Moment ein Fläschchen mit Glasstöpsel in der Hand. Bei den gelblichen Kristallen, die sich darin befanden, handelte es sich um ein bewährtes Hausmittel, das schon die Urahnen un ter dem Namen »Riechsalz« schätzten und bei Ohnmachtsanfällen wirksam einsetzten. Auch jetzt taten die stechenden Dämpfe, die das Salz absonder te, unverzüglich ihre Wirkung. Unwillig verzog der Schlummernde das Gesicht und wurde durch explosionsartiges Niesen förmlich in den Wachzustand zurückkatapultiert. »Schämen Sie sich denn gar nicht, die Ruhe der Toten zu stö ren, junger Mann?« herrschte die Detektivin den Latzhosenträger an, während er noch damit beschäftigt war, sich in der radikal veränderten Situation zurechtzufinden. Statt einer Antwort stieß der Korpulente ein wütendes Knurren aus und wollte sich aus seiner unbequemen Spitzgelegenheit hochdrücken, um gleich wieder zum Angriff überzugehen. Doch die füllige Gestalt hatte sich derart in der schmalen Baggerschau fel verklemmt, daß das Vorhaben schnell schwand. Dafür erhob der Mann drohend die Faust gegen Parker, der ihm mit seiner kugelschreibergroßen Stiftlampe ins Gesicht leuchtete. »Was haben Sie überhaupt hier zu suchen?« wollte der Kahl köpfige wutschnaubend wissen. »Dieselbe Frage könnte meine Wenigkeit stellen«, entgegnete der Butler seelenruhig. »Mylady geht wohl recht in der Annahme, daß Sie ohne behördliche Genehmigung hier arbeiten, Mister…?« »Na und?« gab der eingeklemmte Baggerführer patzig zurück. »Geht Sie das vielleicht was an?« »Illegale Aktivitäten gehen mich immer was an, junger Mann«, setzte Agatha Simpson ihn ins Bild. »Und wenn Sie nicht prompt wahrheitsgemäß auf meine Fragen antworten, kann ich für nichts garantieren.«
»Was für Fragen denn?« erkundigte sich ihr Gesprächspartner argwöhnisch. »Zuerst will ich Ihren Namen wiesen«, machte die passionierte Detektivin deutlich. »Aber wagen Sie es nicht zu lügen! Damit haben Sie bei einer Kriminalistin kein Glück, junger Mann.« »Sie können mich kreuzweise«, gab der Latzhosenträger bissig zurück. »Haben Sie das gehört, Mister Parker?« empörte sich Lady Simpson. »Der Lümmel hat die Stirn, eine Dame zu beleidigen.« Gleichzeitig ließ sie demonstrativ den perlenbestickten Pompa dour wippen. »Die Manieren, die der Herr an den Tag legt, sind in der Tat be klagenswert«, pflichtete Parker ihr bei. »Allerdings dürfte es sich empfehlen, eine etwaige Belehrung auf später zu verschieben. Andernfalls wäre mit einer länger dauernden Vernehmungsunfä higkeit zu rechnen, falls der Hinweis gestattet ist.« »Was soll der Quatsch?« fuhr der Korpulente aufgebracht da zwischen. »Was wollen Sie von mir?« »Zunächst Ihren Namen, junger Mann«, beharrte die majestäti sche Dame. »Und zwar den richtigen.« »Na schön, ich heiße Bob Miller«, behauptete der Gangster. »Sind Sie nun zufrieden?« »Der Schurke lügt, Mister Parker«, kommentierte Mylady wü tend. »Eine Einschätzung, der man sich vorbehaltlos anschließen möchte, falls es genehm ist, Mylady«, ließ der Butler mit teil nahmslos wirkender Miene verlauten. »Dann werde ich eben meine Vernehmungsmethoden ein wenig verschärfen«, entschied die resolute Dame. »Das hat der Lümmel sich selbst zuzuschreiben.« Unter den mißtrauischen Blicken des Baggerführers zog Agatha Simpson mit einem Ruck die martialischen Hutnadeln aus dem Filzgebilde, das ihr ergrautes Haupt krönte. Sie besaßen das For mat mittlerer Grillspieße und hatten geschliffene Spitzen, die be drohlich im Mondlicht funkelten. »Was… was haben Sie vor?« stammelte der Glatzköpfige, des sen Aufmüpfigkeit schlagartig verflogen war. »Ich will nur Ihrem Gedächtnis ein wenig nachhelfen, junger Mann«, teilte die ältere Dame mit und ließ ein freundliches Lä
cheln sehen, das den Gangster zusätzlich beunruhigte. »Wie lau tet also Ihr richtiger Name?« »B… B… Buddy Tyler«, gab der Korpulente hastig Auskunft. »Sehen Sie? Es hat geholfen«, frohlockte Mylady. »Die weiteren Fragen wird Mister Parker Ihnen stellen.« »Mylady wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Namen und An schrift Ihres Auftraggebers zu Protokoll geben würden, Mister Tyler«, führte der Butler nahtlos die Unterredung weiter. »Da müssen Sie schon jemand anders fragen«, wich Tyler aus. »Ich bin doch nicht lebensmüde.« »Wirklich nicht, junger Mann?« schaltete sich die Detektivin er neut ein. Dabei trat sie nahe an den Eingeklemmten heran und sorgte dafür, daß er die Hutnadeln aus nächster Nähe betrachten konnte. Vor Entsetzen riß Tyler Mund und Augen weit auf, während die stählernen Spitzen immer näher kamen. »Nun, wird’s bald, junger Mann?« drängelte die füllige Lady. »Ich zähle bis drei. Eins… zwei…« »Halt!« unterbrach der Baggerführer, von dessen Stirn der kalte Schweiß perlte. »Er… er heißt Keith Dobber und wohnt in Isling ton.« »Warum nicht gleich so, Mister Pyler?« bemerkte Lady Agatha lächelnd und ließ die Hutnadeln sinken. »Darf man gegebenenfalls erwarten, daß Ihnen auch Straße und Hausnummer bekannt sind, Mister Tyler?« hakte Parker nach. »Dobber hat ein Baugeschäft an der Lofting Road Nummer 138«, verriet Tyler, in dessen Augen immer noch blanke Panik flackerte. »Geht Mylady recht in der Annahme, daß Mister Dobber auch den Auftrag erteilte, einen gewissen Phil Graham zu entführen, Mister Tyler?« schloß der Butler gleich die nächste Frage an. »Sie meinen den jungen Kerl, der sich mit Fred und Glen ange legt hat?« vergewisserte sich Tyler. »Niemand anderen hatte meine Wenigkeit im Sinn, Mister Ty ler«, bestätigte Parker. »Ja, da ist irgendwas gelaufen«, teilte der Kahlköpfige mit. »Aber das hab’ ich nur am Rand mitbekommen. So was ist nicht mein Job.« »Man darf aber davon ausgehen, daß Sie über den derzeitigen Aufenthaltsort von Mister Graham Auskunft geben können, Mister
Tyler?« bohrte der Butler weiter, doch sein Gesprächspartner schüttelte entschieden den Kopf. »Da hab’ ich wirklich keine Ahnung«, beteuerte der Gangster. »Am besten fragen Sie den Chef selbst.« »Was man keinesfalls versäumen wird, Mister Tyler«, erwiderte Parker und wollte noch eine Frage nachschieben, doch in diesem Augenblick wurde er auf das Motorengeräusch eines Autos auf merksam, das sich langsam auf der Landstraße näherte. Konzentriert lauschend registrierte der Butler, daß der Wagen unmittelbar dem Eingang zum Friedhof zum Stehen kam. Türen klappten. Wenig später waren zwischen Büschen und Bäumen die tanzenden Lichtkegel zweier Taschenlampen auszumachen. »Möglicherweise darf man Mylady empfehlen, vorübergehend einen sichtgeschützten Platz aufzusuchen«, sagte Parker mit ge dämpfter Stimme und geleitete seine Herrin zu einer uralten Fich te, deren herabhängende Zweige ein ideales Versteck bildeten. * »Hallo, ist hier jemand?« war im nächsten Moment eine kalkige Stimme zu vernehmen. Aber weder das Paar aus Shepherd’s Mar ket noch der Baggerführer gaben Antwort. In seiner Deckung beobachtete der Butler, wie Tyler mit aller Macht versuchte, sich aus der Baggerschaufel zu winden. Von Erfolg war sein Bemühen allerdings nicht gekrönt. »Nanu, wen haben wir denn da?« war die Stimme von eben er neut zu hören, diesmal aber deutlich näher. Gleich darauf er schienen zwei Bobbies in Uniform auf der Bildfläche, die ihre Lampen auf Tyler und den Bagger richteten. Hatte er eben noch verzweifelt versucht, aus der Schaufel he rauszukommen, so wäre der Baggerführer jetzt am liebsten darin verschwunden. Doch er mochte sich zusammenkauern, wie er wollte – die Polizisten hatten ihn längst entdeckt. »Endlich haben wir mal Glück«, freute sich einer. »Ist ja schon das zweite Mal, daß hier auf dem Friedhof gebuddelt wird.« »Wie sind Sie denn da reingekommen?« wandte der Kollege sich an den Kahlköpfigen und grinste schadenfroh.
»Meine Wenigkeit war so frei, Mister Tyler diese Sitzgelegenheit anzuweisen«, sagte Parker und trat gleichzeitig hinter dem Baum hervor. »Wer… wer sind Sie denn?« wollten die Bobbies wissen und machten dabei einen ausgesprochen verdatterten Eindruck. »Mein Name ist Josuah Parker, Butler in den Diensten Lady Simpsons«, stellte Parker sich vor. »Im übrigen erlaubt man sich, einen möglichst angenehmen Dienst zu wünschen.« »Lady Simpson? Lady Simpson?« wiederholte der schätzungs weise fünfundvierzigjährige Streifenführer und dachte ange strengt nach. »Den Namen habe ich schon mal gehört.« »Mylady ist Privatdetektivin und genießt einen Ruf, den man nur als außergewöhnlich bezeichnen kann«, klärte der Butler ihn auf, und verneigte sich vor der majestätischen Dame, die in diesem Augenblick höchstpersönlich ins Blickfeld trat. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mylady«, versicherte der un tersetzte Beamte und setzte ein etwas schiefes Lächeln auf. »Darf man fragen, was sich hier eigentlich abgespielt hat?« »Wie Sie sehen, hab ich dem Lümmel das pietätlose Handwerk gelegt, junger Mann«, gab die Detektivin ungehalten Auskunft. »Ein Geständnis hat er auch schon abgelegt. Sie können ihn also gleich mitnehmen.« »Wissen Sie denn auch, wonach der Kerl hier gebuddelt hat, Mylady?« erkundigte sich der Bobby. »Selbstverständlich«, nickte Lady Agatha und lächelte geheim nisvoll. »Dreimal dürfen Sie raten.« »Vielleicht Goldzähne? Oder Schmuck, den man den Toten mit ins Grad gegeben hat?« mutmaßte der Uniformierte. »Natürlich falsch!« frohlockte die leidenschaftliche Detektivin. »Sie kommen wohl nicht drauf. Deshalb wird Mister Parker es Ihnen sagen.« »Ziel der nächtlichen Aktion dürfte es gewesen sein, möglichst viele Totenschädel an die Oberfläche zu befördern, Sir«, setzte Parker den staatlichen Ordnungshüter ins Bild. »Wie man zuver lässig in Erfahrung bringen konnte, werden in Kreisen obskurer Jugendsekten bis zu zweihundert Pfund pro Exemplar gezahlt.« »Nicht möglich«, fiel der Polizist aus allen Wolken. »Und wir ha ben uns schon den Kopf zerbrochen.« »Ohne Erfolg natürlich«, bemerkte Lady Agatha spöttisch.
»Heute mittag hat nämlich der alte Küster, der hier hin und wieder für Ordnung sorgt, Anzeige erstattet«, fuhr der Streifen führer fort, ohne die Stichelei zur Kenntnis zu nehmen. »Ihm war aufgefallen, daß ein Unbekannter in der vergangenen Nacht meh rere Gräber geöffnet hat – allerdings mit einem Spaten.« »Da erzählen Sie absolut nichts Neues, junger Mann«, ließ die ältere Dame herablassend verlauten. Der Bobby stutzte. »Wie sind Sie denn überhaupt auf die Sache aufmerksam geworden, Mylady?« wollte er wissen. »Sie wohnen doch gar nicht in der Nähe.« »Das ist Ermittlungsgeheimnis«, gab Mylady lächelnd zurück. »Seien Sie zufrieden, daß ich Ihnen dieses kriminelle Subjekt sozusagen auf dem silbernen Tablett serviere.« »In diesem Zusammenhang darf man sich wohl erlauben, Ihnen die Waffe auszuhändigen, die Mister Tyler in offenkundig feindse liger Absicht auf Mylady richtete«, schaltete Parker sich ein und präsentierte den kurzläufigen Revolver, den der Bobby mit spit zen Fingern entgegennahm. »Dann ist das ja ein richtig gefährlicher Bursche«, dämmerte es dem Uniformträger. »Aber einer Kriminalistin war er natürlich nicht gewachsen«, warf Agatha Simpson sich in die ohnehin üppige Brust. »Cooper, legen Sie dem Kerl sofort Handschellen an«, schickte der Streifenführer seinen jüngeren Kollegen los, der bisher mit offenem Mund und ehrfürchtigen Blicken der Unterhaltung ge lauscht hatte. »Zusätzlich dürfte der Hinweis genehm sein, daß sich ein Kom plize Mister Tylers im ersten Kompostsilo neben dem Fried hofseingang aufhält, Sir«, flocht der Butler beiläufig ein. »Die Waffe des Genannten wurde sichergestellt und befindet sich in Myladys Fahrzeug, das Sie wohl kaum übersehen haben dürften.« »Was, noch einer?« klappte dem Bobby förmlich die Kinnlade herunter. »Da haben Sie aber ganz Arbeit geleistet.« »Papperlapapp, das Wichtigste kommt erst noch«, konnte Lady Simpson das Prahlen nicht lassen. Doch im nächsten Moment biß sie sich auf die Lippe. »Wie meinen Sie das?« hakte der Ordnungshüter erwartungs gemäß nach. »Ach, nichts weiter«, wich die resolute Dame aus.
»Ich wollte nur andeuten, daß die Wühlmäuse für mich kleine Fische sind.« »Na, ich bitte Sie«, widersprach der Bobby. »Für uns sind be waffnete Gangster keine kleinen Fische.« »Das glaube ich gern«, nickte die ältere Dame. »Aber ich habe jetzt wirklich Wichtigeres zu tun.« »Dann herzlichen Dank und gute Heimfahrt«, sagte der Strei fenführer, nachdem er sich von Parker eine Visitenkarte hatte geben lassen. »Und passen Sie gut auf, daß die Lümmel Ihnen nicht entwi schen«, mahnte Agatha Simpson, schon im Gehen. »Noch mal fange ich sie Ihnen nicht.« »Sicherheitshalber werden wir per Funk Verstärkung anfor dern«, teilte der Uniformträger mit. »An Ihrer Stelle würde ich das auch tun, junger Mann«, rief My lady über die Schulter zurück und brach anschließend in fröhli ches Kichern aus. * Das Gelände an der Lofting Road 138 im nördlichen Stadtrand bezirk Islington, auf dem Buddy Tylers Brötchengeber Keith Dob ber sein Baugeschäft betrieb, bestand im wesentlichen aus einer weitläufigen, betonierten Fläche, auf der mehrere Lastwagen und diverses Gerät abgestellt waren. An drei Seiten war das Areal von Lagerschuppen und einem fla chen Bürogebäude umgeben. Zur Straße hin wurde es von einer mannshohen Ziegelmauer mit breitem Tor abgeschlossen, das trotz der vorgeschrittenen Nachtstunde offenstand! Beim Näherkommen registrierte Parker, daß hinter der Einfrie digung nur wenige trübe Lampen brannten. Doch als er sein hochbeiniges Monstrum im gemächlichem Tempo an der Einfahrt vorbeirollen ließ, flammten im hinteren Hofbereich unvermittelt die Scheinwerfer eines Autos auf. Gleichzeitig wurde das gequälte Heulen eines überdrehten Motors hörbar. Geistesgegenwärtig legte der Butler einen der zahlreichen Kipp hebel am Armaturenbrett um und startete durch. Während das plötzlich aktivierte Zusatztriebwerk den schwarzen Wagen förm lich nach vorn katapultierte, öffnete sich am Heck eine Klappe,
und eine Handvoll sogenannter Krähenfüße rieselte auf die Fahr bahn. Fünfzig Schritte weiter brachte Parker sein hochbeiniges Gefährt zum Stehen und konzentrierte sich auf den Rückspiegel. Da schoß der Wagen auch schon aus der Einfahrt und legte sich in rasan tem Tempo in die Kurve. Es handelte sich um ein sportliches Fahrzeug der Nobelmarke Jaguar, das dieses Lenkmanöver unter normalen Umständen nicht übelgenommen hätte. Wären da nicht die Krähenfüße gewesen… Diese im Winkel miteinander verschweißten Stahlnägel konnten auf die Straße fallen, wie so wollten – immer zeigte eine der na delscharfen Spitzen nach oben und wartete nur darauf, sich in einen prall gefüllten Pneu bohren zu können. Mylady, die leicht eingenickt war, fuhr unwillkürlich zusammen, als alle vier Reifen des Jaguar sich schlagartig von ihrem inneren Druck befreiten und dabei Geräusche produzierten, die an eine Gewehrsalve erinnerten. »Was war das, Mister Parker?« erkundigte sie sich umgehend. »Ein Feuerüberfall?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, mußte der Butler seine Herrin enttäuschen. »Man erlaubte sich lediglich, einen kleinen Verkehrsunfall zu inszenieren.« Und der war bereits in vollem Gang. Dem Jaguarlenker war das unerwartete Knallen mindestens e benso in die Glieder gefahren wie Lady Agatha. Für ihn aber folg te der zweite Schock gleich hinterher: Schlagartig entwickelte sein zuverlässiges Gefährt einen Starrsinn, den es nie zuvor ge zeigt hatte. Der Mann am Lenkrad mochte kurbeln, wie er wollte – der Wa gen gehorchte nicht und schlitterte unaufhaltsam mit der Breitsei te auf einen Straßenbaum zu. Schon flogen die Reifen in Fetzen davon, doch weiter ging die Rutschpartie auf blanken Felgen, die unter häßlichem Lärm über den Asphalt schrabbten. Sekunden später schmiegte sich der Jaguar derart ungestüm an den Baumstamm, daß keine Scheibe ganz und kein Blech in der ursprünglichen Form blieb. Parker setzte zurück und stoppte auf der Höhe des gestrande ten Sportwagens. Da die beiden Männer auf den Vordersitzen nur verhaltene Lebenszeichen zeigten, verließ der Butler sein alter
tümliches Gefährt und näherte sich gemessen und würdevoll dem Wrack. Mit routiniertem Griff langte er erst dem Fahrer, dann dem Bei fahrer unter die Jacke und förderte zwei Automatic-Waffen zuta ge, die mit modernen Schalldämpfern bestückt waren. Die Männer ließen ihn bereitwillig gewähren und stöhnten nur leise. Aber außer ein paar Beulen und Schrammen schienen sie nicht viel abbekommen zu haben. Jedenfalls fand Parker bei einer kurzen Untersuchung nichts, was auf schwerwiegende Verletzun gen hingedeutet hätte. Während er das Duo mit Handfesseln aus Plastik versorgte, nahm der Butler die Gesichter der Unbekannten näher in Augen schein. Beide waren kaum älter als Mitte Zwanzig und trugen bil lige Anzüge von der Stange. Daß es sich bei einem von ihnen um Bauunternehmer und Gangsterboß Keith Dobber handelte, war nicht gerade wahrscheinlich. »Mister Parker!« machte Mylady sich in diesem Augenblick un wirsch bemerkbar. »Helfen Sie mir nicht aus dem Wagen?« »Meine Wenigkeit eilt, Mylady«, antwortete Parker. Er kehrte in würdevoller Haltung zum hochbeinigen Monstrum zurück und as sistierte der gewichtigen Dame behutsam beim Aussteigen. »Was sind das für Lümmel, die ich da gestellt habe?« fragte die Detektivin und nahm die Jaguar-Insassen neugierig in Augen schein. »Eine Frage, auf die man zur Zeit noch keine verläßliche Ant wort zu geben weiß«, erwiderte der Butler. »Allerdings dürfte die Vermutung nahe liegen, daß es sich um Kriminelle handelt die in Mister Dobbers Diensten stehen.« »Jobber? Wer ist das, Mister Parker?« wollte die majestätische Dame irritiert wissen. »Bei Mister Keith Dobber, den Mylady fraglos zu meinen geru hen, handelt es sich dem Vernehmen nach um den Arbeitgeber des kahlköpfigen Baggerführers Buddy Tyler«, erläuterte Parker geduldig. »Steve Dobber? Natürlich weiß ich, wer Steve Dobber ist. Mein Namensgedächtnis ist über jeden Zweifel erhaben, Mister Par ker«, behauptete die passionierte Detektivin im Brustton der Ü berzeugung.
»Meine bescheidene Wenigkeit weiß Myladys Vorzüge immer zu schätzen«, versicherte Parker. »Darf man im übrigen um Aus kunft bitten, wie Mylady mit den Herren zu verfahren gedenken?« »Nun ja, Sie dürfen mir gern ein paar hübsche Vorschläge un terbreiten, Mister Parker«, bot Agatha Simpson an. »Mylady dürften erwägen, die Herren zunächst sichtgeschützt zu lagern«, schlug der Butler vor. »Anschließend wäre gegebe nenfalls an eine Inspektion von Mister Dobbers Gelände und Bau lichkeiten zu denken.« »Genau das hatte ich auch im Sinn, Mister Parker«, schwindelte die majestätische Dame ungeniert. »Nachdem ich Mister Jobbers Leibwächter ausgeschaltet habe, wird es ein Kinderspiel sein, das kriminelle Subjekt zu überrumpeln und dingfest zu machen.« »Demnach gehen Mylady davon aus, daß Mister Dobber sich in einem der Gebäude aufhält?« vergewisserte sich Parker. »Todsicher, Mister Parker«, nickte Lady Simpson. »Das sagt mir mein krimineller Instinkt, und der ist unfehlbar.« »Was man unter keinen Umständen bezweifelt, Mylady«, gab der Butler höflich zurück. »Allerdings dürften Mylady die Möglich keit in Betracht ziehen, daß Mister Dobber bereits gewarnt ist.« »Papperlapapp. Wodurch denn, Mister Parker?« widersprach die ältere Dame. »Sofern der schon mehrfach Erwähnte sich tatsächlich auf sei nem Firmengelände aufhält, dürften ihm die durch den Unfall verursachten Geräusche keineswegs entgangen sein«, gab Parker zu bedenken. »Gut mitgedacht, Mister Parker«, ließ Mylady sich zu einem für ihre Verhältnisse überschwenglichen Lob hinreißen. »Natürlich war mir das auch klar. Ich wollte Sie nur auf die Probe stellen.« »Man dankt für das völlig unverdiente Lob, Mylady«, entgegnete der Butler und verneigte sich andeutungsweise. Anschließend begann er damit, die Jaguar-Insassen zu bergen, die allmählich aus ihren unruhigen Träumen zurückkehrten, aber noch ausge sprochen benommen wirkten. Nacheinander verstaute Parker die Männer in einem wenige Schritte entfernten Gebüsch, legte ihnen zusätzlich Fußfesseln an und zog dann eine kleine Sprühdose aus der linken Außentasche seines schwarzen Covercoats. Ausgiebig ließ er die beiden an dem feinen, betäubenden Nebel schnuppern, der auf Knopfdruck der
Düse entströmte, und bescherte ihnen damit etliche Stunden un gestörten Schlummers. Bevor er seine Herrin, die schon ungeduldig mit den Füßen scharrte, auf die andere Straßenseite geleitete, warf Parker noch einen kritischen Blick auf den lädierten Jaguar. Da das Fahrzeug nur mit einer kleinen Ecke in die Fahrbahn ragte, stellte es keine akute Gefahr für ahnungslose Verkehrsteilnehmer dar. * Am linken Torpfosten der Einfahrt blieb der Butler kurze Zeit stehen und nahm das Gelände, soweit es sich überblicken ließ, in Augenschein. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Nichts regte sich. Dennoch schritt Parker erst weiter, nachdem er sorgfältig auf seine geheimnisvolle innere Stimme gelauscht hatte. Sie pflegte sich durch elektrisierendes Kribbeln in der Nackengegend be merkbar zu machen und hatte ihn schon mehrfach vor tödlichen Fallen gewarnt. Aber bis jetzt blieb die Stimme stumm. So leise, wie Myladys rustikale Schnürstiefel es erlaubten, betrat das skurrile Paar den spärlich beleuchteten Hof. Es glitt an der Innenseite der Mauer entlang und schob sich dann von Schuppen zu Schuppen, von Lastwagen zu Lastwagen weiter. Erst jetzt war zu erkennen, daß in einem der Büroräume Licht brannte. Allerdings waren innen die Jalousien heruntergelassen, so daß an Hineinschauen nicht zu denken war. Von außen waren keine Geräusche zu hören. Erst als Parker ei ne Art Stethoskop aus der Tasche zog und es vorsichtig gegen die Scheibe drückte, nahm er die tiefen, hastigen Atemzüge zweier Menschen und das leise Ticken einer Uhr wahr. »Bestimmt steckt der Lümmel in einem der dunklen Zimmer und hat hier das Licht angelassen, um mich in eine Falle zu lo cken«, mutmaßte die Detektivin. »Aber auf derart plumpe Tricks falle ich natürlich nicht herein.« Besorgt legte Parker den Finger an die Lippen, um seine Herrin zum Schweigen zu bewegen. Selbst er ahnte nicht, wie überflüs sig es war, hier und jetzt besonders leise auftreten.
Die Tür des Gebäudes war nur angelehnt. Erneut befragte der Butler seine innere Stimme, um kein Risiko einzugehen. Doch wieder bestand die Antwort aus Schweigen. Gleich darauf stand das skurrile Paar aus Shepherd’s Market im finsteren Hausflur und spitzte aufmerksam die Ohren. Nichts war zu hören außer dem Tropfen eines Wasserhahns. Parker knipste für einen Moment seine zierliche, aber immens lichtstarke Bleistiftlampe an und ließ den scharf gebündelten Strahl rasch von links nach rechts gleiten. Die Türen zu den unbeleuchteten Räumen standen allesamt of fen. Derweil Mylady ihm neugierig über die Schulter schaute, leuchtete der Butler kurz in jedes Büro, ohne allerdings etwas Bemerkenswertes zu entdecken. Verschlossen war nur die Tür am Ende des Ganges, durch deren Ritzen gedämpfter Lichtschein schimmerte. Geräuschlos schritt Parker an der Seite seiner Herrin weiter und registrierte aufmerk sam, daß von außen der Schlüssel steckte. Behutsam begann er zu drehen und stellte fest, daß die Tür nicht nur ins Schloß gefallen, sondern verriegelt war. Also waren die Personen, deren Atemzüge er vorhin wahrgenommen hatte, in dem Raum eingesperrt. Oder handelte es sich doch um eine ge schickt gestellte Falle? »Warum machen Sie nicht endlich auf, Mister Parker?« monierte Lady Agatha und ließ herausfordernd den perlenbestickten Pom padour wippen. »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit Befehl«, erwiderte der Butler, verneigte sich höflich und klinkte die inzwischen ent riegelte Tür auf. In dem von Neonlampen grell erleuchteten Raum saßen zwei Männer auf hölzernen Stühlen. Allerdings trafen sie nicht die ge ringsten Anstalten, Parker und die Detektivin zu begrüßen. Sie erhoben sich nicht mal, als sie die unangemeldeten Besucher ein treten sahen. Allerdings war das Duo auch sonst zu keiner Bewegung fähig. Dafür sorgten kräftige Hanfseile, mit denen der untersetzte Mitt fünfziger und sein breitschultriger, wesentlich jüngerer Leidens genosse an ihre Sitzgelegenheiten gefesselt waren. Zusätzlich hatten man ihnen Knebel in den Mund gestopft, und Taschentücher davorgebunden.
»Vermutet man gegebenenfalls recht, Mister Keith Dobber vor sich zu haben?« erkundigte sich der Butler, nachdem er zunächst den Älteren von seiner Sprechbehinderung befreit hatte. »Da… da unten«, stammelte der Mann zu seiner Überraschung und versuchte, mit dem Kopf in die Richtung zu deuten, die er meinte. Dabei stand das blanke Entsetzen in seinen Augen. Dem Gefesselten war es noch nicht gelungen, einen zusam menhängenden Satz herauszubringen, da wurde Parker schlagar tig klar, was der Mann meinte. Unter dem Stuhl stand eine graue Blechschachtel von der Größe einer Zigarrenkiste. Und genau aus dieser Richtung kam das Ti cken des Weckers, das der Butler mit Hilfe des Stethoskops von außen wahrgenommen hatte. Unter den völlig entgeisterten Blicken seines sprachlosen Ge sprächspartners hob Parker das Kästchen auf, öffnete seelenruhig den Deckel und… nahm den Wecker heraus, der darin lag. Im übrigen war das Behältnis leer. Während der Untersetzte hektisch nach Luft schnappte, wandte der Butler sich kommentarlos ab und befreite nun auch den jün geren Mann von seinem Knebel. »Name?« herrschte Mylady den Älteren an, der das Japsen ein stellte. »D… Dobber«, brachte er nach ein paar vergeblichen Anläufen heraus. »Keith Dobber.« »Hieß so nicht der Lümmel, den ich suche, Mister Parker?« woll te Agatha Simpson stirnrunzelnd wissen. »In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker. »Dann sind Sie also der Schurke, der auf pietätlose Weise die Ruhe der Toten stört?« nahm Mylady sich den immer noch vor Angst schlotternden Dobber erneut vor und baute sich in einer Haltung vor ihm auf, die man als bedrohlich empfinden mußte. »Die Ruhe der Toten?« wiederholte der Untersetzte und machte ein Gesicht, als hätte er wirklich nicht verstanden, wovon die älte re Dame sprach. »Mylady geruht auf die Tätigkeit eines Baggerführers anzuspie len, der in Ihrem Auftrag heute nacht auf dem alten Friedhof bei Barnet Totenschädel exhumierte, Mister Dobber«, griff der Butler erläuternd ein. »Sie… Sie wissen?« stieß sein Gegenüber nervös hervor.
»Mister Tyler war so freundlich, alle Fragen, die Mylady zu stel len beliebte, umfassend zu beantworten, Mister Dobber«, setzte Parker ihn ins Bild. »Allerdings sah der Genannte sich nicht im stande über den derzeitigen Aufenthaltsort eines gewissen Phil Graham Auskunft zu geben, der am späten Abend aus seiner Wohnung in Finchley entführt wurde.« Eine gesunde Färbung hatte Dobbers Gesicht auch vorher nicht gezeigt, aber jetzt wurde er bleich wie eine frisch gekalkte Wand. Die Mundwinkel zuckten unübersehbar. »Raus mit der Sprache, Mister Robber!« fuhr Agatha Simpson unvermittelt wie eine Rachegöttin dazwischen. »Was haben Sie mit dem armen Jungen gemacht?« »Ich… ich…« verfiel der Gangster wieder ins Stottern. »Wenn Sie ihn umgelegt haben, sagen Sie’s lieber gleich«, fiel Mylady ihm ungeduldig ins Wort. »Das bekomme ich sowieso her aus. Und dann gnade Ihnen Gott!« »Nein, nein, er lebt«, versicherte der Bauunternehmer hastig. »Ich habe ihn nur aus dem Verkehr gezogen, um ein ernstes Wort mit ihm zu reden.« »Man wird abzuwarten haben, ob Mister Graham diese Darstel lung bestätigt, Mister Dobber«, schaltete Parker sich wieder in die Unterhaltung ein. »Im übrigen wäre Mylady ihnen sehr verbun den, wenn Sie unverzüglich den Aufenthaltsort des Genannten preisgeben würden.« »Er befindet sich im Keller unter dem letzten Schuppen links«, gab der Gangster nach kurzem Zögern Auskunft. »Gleich hinter der alten Mischmaschine sind ein paar Bohlen, die man nur anzu heben braucht.« »Sehen Sie nach, ob das wirklich stimmt, Mister Parker«, ordne te die resolute Dame an. »Ich werde solange auf die zwielichtigen Subjekte achtgeben.« »Wie Mylady wünschen«, sagte der Butler, verneigte sich an deutungsweise und verließ gemessen und würdevoll den Raum. Parker überquerte den Hof, steuerte den von Keith Dobber be schriebenen Lagerschuppen an und schob die Bohlen beiseite, mit denen der Zugang des versteckt gelegenen Kellerraumes abge deckt war. Postwendend drangen undeutliche Laute an sein Ohr, die sich verstärkten, sobald er die steinernen Stufen hinabstieg. Gleich darauf hatte er den jungen Mann gefunden. Phil Graham saß am Boden und blinzelte gequält in den grellen Schein der
Bleistiftlampe, die Parker auf ihn richtete. Der langhaarige Schä delverkäufer war mit Nylonstricken gefesselt und hatte einen Knebel im Mund. »Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie körperlich unversehrt sind, Mister Graham?« fragte der Butler höflich. Erst jetzt erkann te der junge Mann wer vor ihm stand. »Mensch, das hätte ich im Leben nicht geglaubt, daß Sie mich hier rausholen«, jubelte er, kaum daß Parker den Knebel entfernt hatte. »Sie sind wirklich ein Supertyp.« »Man erlaubt sich, in aller Bescheidenheit für das unverdiente Lob zu danken, Mister Graham«, erwiderte der Butler mit unbe wegter Miene und löste mit flinken Handgriffen die Fesseln. »Was ist mit den Gangstern?« wollte Phil Graham wissen, wäh rend man Seite an Seite die Stufen hinaufstieg. »Haben Sie sie geschnappt?« »Mister Dobber, der in dringendem Verdacht steht, Ihre Entfüh rung angeordnet zu haben, befindet sich mittlerweile unter Myla dys Aufsicht«, gab Parker Auskunft. »Allerdings fand meine We nigkeit den Genannten nebst einem Leibwächter gefesselt im Bü ro vor, als man hier eintraf.« »Wie? Er war schon gefesselt?« reagierte der junge Mann ent geistert. »Aber wie ist das möglich?« »Eine Frage, die man Mister Dobber stellen sollte«, entgegnete der Butler und ließ den Schmächtigen in den Flur des Bürogebäu des eintreten. »Die Antwort dürfte für Myladys weitere Ermittlun gen von entscheidender Bedeutung sein.« »Also hat der Lümmel wenigstens in dem einen Punkt nicht ge logen«, stellte Agatha Simpson befriedigt fest, als sie den schmächtigen Phil hinter Parker in der Tür auftauchen sah. »Aber die Geschichte, die er gerade aufzutischen versucht hat, ist ein fach haarsträubend.« »Aber das ist alles wahr«, bekräftigte der Untersetzte. »Papperlapp, Sie wollen sich doch nur herausreden und das be dauernswerte Opfer spielen, Mister Jobber«, widersprach die lei denschaftliche Detektivin. »Verzeihung, Madam. Ich heiße nicht Jobber, sondern Dobber«, stellte ihr Gesprächspartner klar. »Nichts anderes habe ich gesagt, Mister Jobber«, gab die reso lute Dame in einem Ton zurück, der jeden Widerspruch als ge
fährlichen Leichtsinn erscheinen ließ. »Sie müssen sich verhört haben.« »Kann sein«, räumte Keith Dobber vorsichtshalber ein. »Aber trotzdem entspricht alles der Wahrheit, was ich berichtet habe.« »Dann erzählen Sie’s mal Mister Parker«, forderte Agatha Simp son ihn auf. »Er wird genauso lachen wie ich.« »Soll ich wirklich?« vergewisserte sich der Bauunternehmer und sah Parker fragend an. »Meine Wenigkeit bittet ausdrücklich darum, Mister Dobber«, ermunterte der Butler ihn. »Ich wollte gerade zusammen mit AI das Haus verlassen«, be gann Dobber. »Vermutet man recht, daß der junge Mann zu Ihrer Rechten auf den Namen AI hört, Mister Dobber?« fragte Parker dazwischen. »Ja. Er ist mein Chauffeur«, bestätigte der gefesselte Gangster boß. »Jedenfalls wollten wir gerade hier rausgehen, da standen zwei Typen mit entsicherten Kanonen vor uns.« »Man darf wohl annehmen, daß die Herren Ihnen nicht persön lich bekannt waren, Mister Dobber.« »Nein, nie gesehen. Sie befahlen uns wieder reinzugehen, und dann wollten sie wissen, wo das Lager ist.« »Kann und muß man davon ausgehen, daß die Herren nach ei nem speziellen Lager fragten, Mister Dobber? Ihrem Baustofflager dürfte das Interesse der Unbekannten wohl kaum gegolten ha ben, falls man sich nicht täuscht.« »Nein, sie meinten den Raum, in dem die Schädel unterge bracht sind.« »Sie verfügen also über Vorräte, mit deren Hilfe sie aus den makabren Bedürfnissen obskurer Jugendsekten Profit zu ziehen beabsichtigen, Mister Dobber?« »Glaube kaum, daß noch was da ist«, antwortete der Unterwelt ler. »Kurz nach den beiden Typen kam nämlich noch ein Liefer wagen auf den Hof, der anscheinend dazugehörte. Während die einen uns fesselten, haben die anderen das Lager leergeräumt und alles verladen.« »Worauf die Herren sich mit unbekanntem Ziel entfernten?« »Genau«, bestätigte Parkers Gesprächspartner. »Vorher erlaub ten sie sich noch den üblen Scherz mit der Bombe, die gar keine war.«
»Wären Sie möglicherweise in der Lage, eine Beschreibung der erwähnten Personen zu liefern, Mister Dobber?« hakte der Butler nach. »Gesehen habe ich nur die Typen mit den Schießeisen«, ant wortete Dobber. »Die waren so Mitte Zwanzig, hatten graue An züge an und sahen irgendwie unauffällig aus.« Das Muster einer hilfreichen Personenbeschreibung war das nicht gerade. Dennoch wußte Parker genau, von wem der in ille gale Geschäfte verwickelte Bauunternehmer sprach. Augenblicke später fiel auch bei Lady Agatha der Groschen. »Das können doch nur die Flegel sein, die ich bei der Ankunft ge stellt und überwältigt habe, Mister Parker«, meinte sie. »Eine Einschätzung, der man sich unbedingt anschließen möch te, falls es genehm ist«, bestätigte der Butler und verneigte sich andeutungsweise. »Vermutet man im übrigen recht, daß Mylady mit den fraglichen Herren ein klärendes Gespräch zu führen wün schen?« »Was? Sie haben die Kerle erwischt?« wunderte sich Dobber. »Man nahm sich die Freiheit, zwei bislang unbekannte Herren, die mittels eines sportlichen Fahrzeugs der Marke Jaguar fluchtar tig Ihr Grundstück verließen, zu einem kleinen Zwischenaufent halt zu nötigen, Mister Dobber«, klärte Parker ihn auf. »Die Er wähnten erhoben keinerlei Einspruch, als man ihnen ein Gebüsch am Straßenrand als Ruheplatz anwies.« »Am besten holen Sie die Lümmel herein, Mister Parker«, ent schied die passionierte Detektivin. »Eine Gegenüberstellung ist immer ein probates Mittel, um die Wahrheit herauszufinden.« »Was man nur vorbehaltlos bestätigen kann, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei und wollte schon den Raum verlassen, aber Keith Dobber hielt ihn noch einen Moment zurück. »Ich kann Ihnen ja helfen, die Männer hier reinzuschaffen, Mis ter Parker«, bot er scheinheilig an. »Sie müßten nur meine Fes seln lösen.« »Man dankt für das überaus freundliche Angebot, Mister Dob ber«, erwiderte Parker höflich. »Allerdings möchte man aus nahe liegenden Gründen davon absehen, Ihnen zu uneingeschränkter Bewegungsfreiheit zu verhelfen.« »Aber ich könnte Ihnen doch helfen, Mister Parker«, machte Phil Graham auf sich aufmerksam.
»Meine Wenigkeit fühlt sich der Aufgäbe durchaus gewachsen, Mister Graham«, schlug der Butler auch dieses Angebot aus. »Hingegen darf man Ihnen möglicherweise empfehlen, telefonisch Kontakt zu Miß Jennifer Bradley aufzunehmen. Die junge Dame macht sich beträchtliche Sorgen, falls der Hinweis erlaubt ist.« Während Graham ins benachbarte Büro ging, um sich bei seiner Freundin zurückzumelden, verließ Parker ohne Hast und in ge wohnt würdevoller Haltung das Haus. Der mittelschwere Schaufellader, der in der Nähe des Büroge bäudes abgestellt war, kam ihm wie gerufen. Behende, wie man es ihm nie zugetraut hätte, schwang sich der Butler in den Fah rersitz, startete den Motor und tuckerte los. Gerade wollte Josuah Parker mit seinem Gefährt das Tor passie ren, da gewahrte er zwei Männer, die sich eingehend für den ver unglückten Jaguar zu interessieren schienen und mit Taschen lampen in das Wrack leuchteten. Beide trugen sandfarbene Wettermäntel über grauen Straßen anzügen und hatten graue Filzhüte auf. Irritiert blickten die Unbekannten auf, als sie das schwergewich tige Baufahrzeug aus der Einfahrt rollen sahen. Einen Moment wirkte das Duo unschlüssig, doch dann griffen beide Männer wie auf Kommando in die Schulterhalfter und rissen schallgedämpfte Trommelrevolver heraus. Für den Butler war die eindeutig feindselige Geste das Signal, zum Angriff überzugehen. Mit einem Ruck zog er den stahlblechverstärkten Bowler tief ins Gesicht, duckte sich hinter das Lenkrad, so daß er gerade noch über das Armaturenbrett hinwegsehen konnte, und gab Vollgas. Sekundenbruchteile später zuckte bläuliches Mündungsfeuer auf. Ein Hagel von Projektilen prasselten gegen die zum Glück solide Verkleidung des Schauffelladers. Gleich darauf ging die Frontscheibe klirrend zu Bruch. Parker ließ sich durch die vehemente Begrüßung nicht sonder lich beeindrucken und hielt weiter auf das schießwütige Paar zu. Buchstäblich im letzten Moment – die breite Schaufel des hoch rädrigen Baufahrzeugs war keine zehn Schritte mehr von ihnen entfernt – dämmerte den Gangstern, daß sie auf verlorenem Pos ten standen und mit ihren stählernen Mordmaschinen nichts aus richten konnten.
Augenblicklich ließen sie die Waffen fallen, machten auf dem Absatz kehrt und nahmen im übertragenen Sinn die Beine in die Hand. Der Butler war ihnen jedoch derart dicht auf den Fersen, daß an ein Entkommen nicht zu denken war. Die Männer reagierten mit hysterischen Schreien, als sie unvermittelt den Rand der Lade schaufel in den Kniekehlen spürten. Anschließend ließen sie sich hintenüberfallen, landeten in den wannenförmigen Behältnis und kugelten dort haltlos durcheinan der. Parker hatte sich inzwischen wieder aufgerichtet und seine ge wohnt würdevolle Haltung eingenommen. Jetzt ließ er die Schau fel mit dem menschlichen Ladegut in luftige Höhe gleiten und be tätigte den Rüttelmechanismus, der unter normalen Arbeitsbedin gungen beim Entleeren der Schaufel hilft. Das panische Geschrei, das er damit auslöste, verstummte je doch schnell wieder, und als der Butler das Gefährt zum Stehen brachte und die Schaufel wieder senkte, hatten die Männer sich eng aneinandergekuschelt. Sie schlummerten friedlich. Die Fahrt in der schwankenden Stahlwanne hatte ihren über strapazierten Nerven den Rest gegeben, so daß sie kurz ent schlossen den Rückzug aus der unerfreulichen Realität angetreten hatten. Routiniert versorgte Parker das verhalten schnarchende Duo mit Plastikfesseln an Händen und Füßen und packte die Männer, die er eine halbe Stunde zuvor in dem nahe gelegenen Gebüsch de poniert hatte, dazu. Anschließend schwang er sich wieder auf den Fahrersitz, wendete den Schaufellader und fuhr auf den Hof zu rück. Mit tatkräftiger Unterstützung durch den schmächtigen Phil Graham, der inzwischen seine Freundin erreicht und in aller Kürze seine Erlebnisse geschildert hatte, schaffte der Butler das Quar tett ins Haus, wo Agatha Simpson ihn schon ungeduldig erwarte te. Die majestätische Dame machte allerdings große Augen, als nach dem zweiten auch noch ein dritter und vierter Gangster her eingetragen wurde. »Habe ich mich vorhin verzählt, Mister Parker?« wollte sie mit ungläubiger Miene wissen. »Ich erinnere mich doch genau, daß es nur zwei Lümmel waren.«
»Eine Feststellung, die man nur als ungemein zutreffend be zeichnen kann, Mylady«, antwortete Parker. »Bei den neu hinzu gekommenen Herren dürfte es sich um Komplizen der Jaguarin sassen handeln, die hier nach dem Rechten sehen wollten.« »Hm«, meinte die ältere Dame und musterte die Männer, die der Butler in Reih und Glied auf ein Sofa gesetzt hatte, mit nach denklichen Blicken. »Mylady dürften der Annahme zuneigen, daß das Ausbleiben der Männer im Jaguar deren Auftraggeber alarmierte, so daß er einen Suchtrupp in Marsch setzte«, teilte Parker seine Einschät zung mit. »Sie dachten wohl, das wäre mir nicht klar, Mister Parker?« gab die passionierte Detektivin unwirsch zurück. »Solches anzudeuten, lag keineswegs in der Absicht meiner be scheidenen Wenigkeit, Mylady«, versicherte der Butler und deute te eine Verbeugung an. »Dann wird der Schurke vermutlich bald den nächsten Such trupp losschicken«, ließ Agatha Simpson verlauten und vergewis serte sich vorsichtshalber, daß ihr geliebter Glücksbringer sich noch am angestammten Platz befand. »Eine Möglichkeit, mit der man unbedingt rechnen sollte, Myla dy«, stimmte Parker mit unbewegter Miene zu. »Aber meiner überlegenen Taktik ist der Lümmel garantiert nicht gewachsen«, demonstrierte die ältere Dame ihre fast schon sprichwörtliche Zuversicht. »Ich werde ihm nämlich durch einen Überraschungsangriff zuvorkommen, Mister Parker.« »Ein solches Vorgehen würde allerdings voraussetzen, daß der augenblickliche Aufenthaltsort des Gesuchten bekannt ist, Myla dy«, gab der Butler zu bedenken. »Genau«, nickte die majestätische Dame. »Deshalb werde ich mir die Flegel auf dem Sofa auch unverzüglich vorknöpfen. Wa rum haben Sie diese jämmerlichen Simulanten nicht schon längst in einen vernehmungsfähigen Zustand versetzt, Mister Parker?« »Meine Wenigkeit eilt, das Versäumte umgehend nachzuholen, Mylady«, erwiderte Parker gelassen, griff in die Tasche und för derte das Fläschchen mit dem Riechsalz zutage. Der Reihe nach ließ er das behaglich schlummernde Quartett an den stechenden Dämpfen schnuppern, die dem Flaschenhals ent strömten. Zwei Minuten später hatte auch der letzte Mann die Augen aufgeschlagen.
Die vier machten allerdings einen einigermaßen verwirrten Ein druck. Die Mühe, sich in der radikal veränderten Situation zu rechtzufinden, stand ihnen deutlich im Gesicht geschrieben. Einer nach dem andern ruckte verstohlen an den Fesseln. Dabei merkten die Gangster jedoch rasch, daß sie auf diese Weise ihre ohnehin geringe Bewegungsfreiheit nur noch weiter einschränken und ließen von dem frustrierenden Vorhaben. »Raus mit der Sprache, junger Mann«, nahm Lady Agatha sich den ersten vor. »Wie heißt der Schurke, der Sie entsandt hat?« Ihr Gegenüber verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grin sen. »Aus mir kriegen Sie nichts raus, Madam«, ließ er die ältere Dame wissen. »Und aus den anderen auch nicht.« »Das werden wir ja sehen«, entgegnete die resolute Lady in ei nem Ton, der wie fernes Donnergrollen klang. »Wenn Sie mich zwingen, meine Vernehmungsmethoden zu verschärfen, haben Sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben.« »Eine Ankündigung, die man mitnichten auf die sprichwörtliche leichte Schulter nehmen sollte«, schaltete Parker sich warnend ein. Er wußte aus Erfahrung, was seine Herrin unter verschärften Vernehmungsmethoden verstand. Da kam am Ende immer ein Geständnis heraus. Auch bei Leuten, die eigentlich gar nichts zu gestehen hatten. Doch der Gangster schlug den wohlgemeinten Hinweis in den Wind. »Quatsch keine Opern, alte Fregatte«, fauchte er wütend. »Wenn du nicht…« Mitten im Satz brach Myladys ungalanter Gesprächspartner ab und ließ statt weiterer Worte einen sirenenähnlichen Heulton hö ren. In ihrer spontanen Art hatte Agatha Simpson die Kränkung mit einer ihrer berüchtigten Ohrfeigen geahndet. Wimmernd versuchte der Mann, den aus den Angeln geratenen Unterkiefer wieder in die gewohnte Position zurückzubefördern. »Das war nur ein kleiner Ordnungsruf, junger Mann«, setzte La dy Simpson den Gemaßregelten ins Bild. »Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen auch gern eine gründliche Lektion erteilen.« »Nein, das reicht schon. Besten Dank«, wehrte der Unterweltler das Angebot eilig ab. »Aber trotzdem werden Sie nichts rausbe kommen.« »An Ihrer Stelle würde ich schleunigst verschwinden«, schaltete sich der Sitznachbar des Mannes ein. »Der Chef hat Verstärkung losgeschickt, und wenn die eintrifft, sind Sie geliefert.«
»Wenn das ähnliche Anfänger sind wie Sie, nehme ich es mühe los mit einem Dutzend auf«, grollte die resolute Dame. In diesem Augenblick fiel ihr Blick auf die beiden Trommelrevol ver, die der Butler von seinem Ausflug mit dem Schaufellader mitgebracht und auf Keith Dobbers Schreibtisch deponiert hatte. »Reichen Sie mir doch mal eins der Schießeisen, Mister Parker«, verlangte Agatha Simpson. »Was… was haben Sie vor?« erkundigte sich der Mann, auf des sen Wange Myladys gespreizte Finger rote Striemen hinterlassen hatten. »Ich will die Sache ein wenig abkürzen, junger Mann«, teilte die füllige Dame wie beiläufig mit und nahm die Waffe in Empfang, die der Butler ihr mit einer Verbeugung übergab. »Meine Zeit ist nämlich zu kostbar, als daß ich mich stundenlang mit Ihnen her umärgern könnte.« »Und… wie wollen Sie das machen?« fragte der Gangster arg wöhnisch. »Ganz einfach, junger Mann«, verriet die Detektivin ihr Rezept. »Ich werde Sie der Reihe nach höflich um Namen und Anschrift Ihres Arbeitgebers bitten. Wer schweigt oder lügt, spürt die Ku gel. Der letzte wird dann schon auspacken.« »Nein! Um Himmels willen! Das können Sie doch nicht ma chen!« redeten plötzlich alle vier durcheinander, bis die majestä tische Dame sich energisch »Ruhe«! verschaffte. »Also?« wandte sie sich lächelnd erneut dem ersten der Riege zu. »Haben Sie sich überlegt, was Ihnen lieber ist?« »Ich packe aus«, lenkte der Mann mit zitternder Stimme ein. »Das war auch höchste Zeit, denn Nervosität hat schon man ches Unheil angerichtet«, erwiderte Agatha Simpson. »Wie heißt denn nun das Subjekt, von dem Sie Ihren Einsatzbefehl erhiel ten?« »Hunter. Gary Hunter«, gab ihr Gesprächspartner Auskunft. »Ist das auch nicht gelogen, junger Mann?« fragte die stämmi ge Dame. Dabei fuchtelte sie mit dem Revolver vor dem Gesicht des Gangsters herum, daß es Parker angst und bange geworden wäre, hätte er nicht vorher die Patronen aus dem Magazin ent fernt. »Nein, wirklich. Ehrenwort«, beteuerte der Mann mit der gerö teten Wange. »Ja, Ehrenwort«, fielen seine Kumpane ein.
»Darf man in diesem Zusammenhang die Frage nach Mister Hunters derzeitigem Aufenthaltsort anschließen?« schaltete der Butler sich an dieser Stelle wieder ein. »Er wird in seinem Betrieb an der Cuba Street sein«, lautete die Antwort. »Das ist in Millwall.« »Geht man recht in der Annahme, daß Sie über die Art des Be triebes Auskunft geben können?« schob Parker gleich eine zweite Frage nach. »Hunter handelt mit allem möglichen, vor allem Importen aus Übersee«, antwortete sein Gegenüber. »An der Cuba Street ist sein Lager. Gleich nebenan wohnt er auch.« »Das ist alles, was ich im Moment wissen muß, Mister Parker«, setzte Lady Agatha der Unterredung ein Ende. »Die Zeit drängt.« »Ein Umstand, dessen meine Wenigkeit sich in vollem Umfang bewußt ist, Mylady«, entgegnete der Butler. »Allerdings dürfte die Frage erlaubt sein, wie Mylady mit den anwesenden Herren zu verfahren gedenken.« »Mitnehmen kann ich sie beim besten Willen nicht. Dazu sind es zu viele«, sah die Detektivin sofort ein. »Unterbreiten Sie mir ein paar hübsche Vorschläge, Mister Parker.« »Mylady dürften erwägen, die Herren der Obhut von Scotland Yard anzuvertrauen«, ließ Parker sich vernehmen. »Natürlich. Das wollte ich auch gerade sagen«, versicherte A gatha Simpson. »Nachdem ich das Verbrechen aufgeklärt habe und die Täter geständig sind, kann die Polizei nicht mehr viel falsch machen.« »Eine Einschätzung, der man sich anschließen möchte, falls es erlaubt ist«, sagte der Butler und entfernte sich gemessen und würdevoll, um nebenan zu telefonieren. »Der leitende Beamte, mit dem meine Wenigkeit sprach, äußer te die Zuversicht, daß binnen fünf Minuten die ersten Streifenwa gen hier eintreffen, Mylady«, meldete Parker gleich darauf. »Dann wird es Zeit, daß ich aufbreche«, verkündete die ältere Dame. »Wenn ich Uniformierte von weitem sehe, dreht sich mir der Magen rum.« »Soll ich denn hierbleiben und auf die Gangster aufpassen, bis die Polizei eintrifft?« bot der schmächtige Phil Graham an. »Eher möchte man Ihnen vorschlagen, die Beamten an der Straße zu erwarten und einzuweisen, Mister Graham«, sagte der Butler. »Bei einem Aufenthalt in diesen Räumen bestünde das
Risiko, daß Sie noch vor der Ankunft der Polizei von einem Einsatzkommando Mister Hunters überrascht werden.« »Okay, alles klar. Und weiterhin viel Erfolg«, wünschte Graham, bevor er nach einem schadenfrohen Blick auf das bewegungsun fähige Gangstersextett das Büro verließ. Auch Parker und Mylady traten den Rückzug an. »Man dankt für die Auskunftsbereitschaft und erlaubt sich, noch angenehme Stunden zu wünschen«, sagte der Butler beim Hinausgehen und lüftete höflich den schwarzen Bowler. * Als Josuah Parker kurze Zeit später von der breiten Westfeerry Road in die Cuba Street einbog, machte sich schon das erste Morgengrauen bemerkbar. Die Straßen lagen noch ruhig und menschenleer. Der Butler ließ sein schwarzes Gefährt über das. holprige Kopf steinpflaster rollen und machte die vor Tatendrang förmlich vib rierende Detektivin auf den verwinkelten Komplex altertümlicher Speicher aufmerksam, über dessen Einfahrt ein Schild mit der Aufschrift »Hunter & Gie.« zu erkennen war. »Ein richtiger Fuchsbau«, kommentierte die ältere Dame. »Aber der Fuchs entwischt mir nicht.« »Eine Hoffnung, der man sich nur anschließen kann«, bemerkte Parker und registrierte beim Vorbeifahren, daß in einem der hin teren Gebäude Licht brannte. »Darf man um Anweisung bitten, wie Mylady im einzelnen vorzugehen gedenken?« »Rechne ich mit bewaffneten Wachposten, Mister Parker?« woll te Lady Agatha wissen. »Entsprechende Vorsicht . dürfte sich empfehlen, falls die An merkung erlaubt ist, Mylady«, antwortete der Butler und hielt nach einem Platz Ausschau, wo er seinen Privatwagen sichtge schützt abstellen konnte. »Gut, dann werde ich von einem Frontalangriff absehen und zu einer List greifen«, entschied die passionierte Detektivin nach kurzer Denkpause. »Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mister Parker. Darum kann ich mich beim besten Willen nicht küm mern.«
»Meine bescheidene Wenigkeit dankt für den ehrenvollen Auf trag und wird Mylady keinesfalls enttäuschen«, versprach Parker, bog in eine schmale Seitengasse und brachte sein hochbeiniges Monstrum zum Stehen. Anschließend half er seiner Herrin diskret beim Aussteigen. »Hoffentlich vergessen Sie nicht, daß Sie sich in Begleitung ei ner Dame befinden, Mister Parker«, mahnte Mylady, während man sich in der Richtung in Bewegung setzte, die der Butler an gab. »Darf man höflich um Auskunft bitten, worauf Mylady mit dieser Äußerung anzuspielen belieben?« fragte Parker. »Nicht, daß Sie mich wieder über Mauern und Zäune jagen wie unlängst, Mister Parker«, sprach die majestätische Dame ihre Befürchtung aus. »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, Mylady«, konnte der Butler sie beruhigen. »Soweit man sich während der Anfahrt überzeugen konnte, dürfte der Torweg unter dem Fir menschild den einzigen Zugang zum Gelände darstellen.« Inzwischen hatte man sich der finsteren Röhre, die auf den nur wenig helleren Innenhof führte, bis auf wenige Schritte genähert. Immer wieder waren Parkers Blicke über die Front des an der Straße liegenden Speicherhauses geglitten. Hinter den überwie gend glaslosen Fensterhöhlen hätten sich Heckenschützen in ge nügender Zahl verbergen können. Etwas Verdächtiges war ihm jedoch nicht aufgefallen. Auch die geheimnisvolle innere Stimme hatte sich bisher nicht zu Wort gemeldet. Unmittelbar vor der Toreinfahrt hielt der Butler inne, zog die Melone vom Kopf und stülpte sie auf die bleigefütterte Spitze sei nes schwarzen Universal-Regendaches. Unter den neugierigen Blicken Lady Simpsons schob er die improvisierte Vogelscheuche langsam weiter vor, bis sie eine Handbreit in die Einfahrt ragte. Sekunden verstrichen. Nichts geschah. Gleich darauf hatte sich das skurrile Paar bis zum hofseitigen Ende des Torwegs vorgepirscht. Erneut setzte Parker den Popanz auf der Schirmspitze als Vorhut ein und… verspürte ein leises Kribbeln in der Nackengegend. Augenblicke später wurde das sanfte »Plopp!« einer schallge dämpften Waffe und fast gleichzeitig ein etwas blechern klingender Glockenton hörbar, den die Melone erzeugt hatte. Mitgerissen
von der Wucht des Projektils, segelte die halbkugelförmige Kopf bedeckung durch den Torweg in Richtung Straße zurück. Agatha Simpsons Schauspieltalent, das sie in dieser Situation souverän unter Beweis stellte, machte die Täuschung für den noch unsichtbaren Schützen komplett: Das schmerzliche Stöhnen, das die gewichtige Dame sich abrang, konnte gut und gern als letzter Laut eines Sterbenden durchgehen. Inzwischen stand der Butler auf Posten und wartete geduldig darauf, dem Wächter einen wahrhaft umwerfenden Empfang be reiten zu können. Das erste, was nach etlichen Sekunden hinter der Mauerecke auftauchte, war der schallgedämpfte Lauf einer großkalibrigen Pistole. Parker, der sein altväterlich gebundenes Regendach mittlerweile an der Spitze gefaßt hatte, gab dem Schützen noch eine Sekunde Frist – bis auch die Hand sichtbar wurde, die den Griff der Waffe umklammert hielt. Im selben Moment senkte sich der Bambus griff und schlug dem Schützen die hochtechnisierte Bleispritze aus der Hand. Ehe der Unbekannte seinen Schmerz in den frühen Morgen hi nausschreien konnte, setzte der Butler nach und vollendete das Werk, indem er den gekrümmten Bambusgriff des Schirmes auf die Schädeldecke des Mannes legte. Schlagartig sackte der Überrumpelte in sich zusammen und ging unter verhaltenem Röcheln zu Boden. Dort streckte er alle viere von sich und legte erst mal eine Nickerchen-Pause ein. Ausgiebig ließ Parker den Mann an der kleinen Sprühdose schnuppern, die er stets mit sich führte, und verstaute ihn dann in einer halbleeren Mülltonne, deren Deckel er mit einigen Strei fen zähem. Paketklebeband sicherte. Anschließend setzte das Paar aus Shepherd’s Market auf leisen Sohlen seinen Weg fort. Die alten Gemäuer, von denen der Hof umgeben war, wirkten zum größten Teil ungenutzt und zeigten schon deutliche Anzei chen von Verfall. Überall bröckelte der Putz, halb abgerissene Dachrinnen hingen an den Wänden herunter. Fenster mit intakten Scheiben bildeten die Ausnahme. Geschäftliches Leben schien sich nur in dem mehrgeschossigen Block abzuspielen, der als Querriegel die vielfach verwinkelte Flä che begrenzte. Dort gewahrte der Butler eine großformatige Schiebetür, unter der schwacher Lichtschein nach draußen sickerte. Unmittelbar
davor lag eine Laderampe, die von der Seite her über ein halbes Dutzend Stufen zu erreichen war. Oben angekommen, blieb Parker stehen, bat Mylady mit einer stummen Geste um Geduld und lauschte auf die Stimmen, die nach draußen drangen. Allem Anschein nach handelte es sich um drei Männer, die gerade eine Meinungsverschiedenheit austrugen – allerdings mit rein verbalen Mitteln. * »Mir wird’s allmählich zu bunt«, war ein junger, offensichtlich erregter Mann zu vernehmen. »AI und John haben sich nicht zu rückgemeldet. Und Eddie und Dean sind auch schon über ‘ne hal be Stunde weg.« »Hör mit dem blöden Gequatsche auf!« fuhr ein anderer ihm über den Mund. »Du machst dir noch vor Angst in die Hosen.« »Schluß jetzt!« ertönte eine dritte Stimme, deren Besitzer um etliches älter sein mußte. »Seht zu, daß ihr den Kram verpackt kriegt. Der geht heute abend raus nach Manchester.« »Aber ich hab’ so ‘n verdammt blödes Gefühl, Chef«, fing der erste wieder an. »AI und John werden noch einen trinken gegangen sein. Sie hatten nach dem Einsatz bei Dobber frei«, mutmaßte der als Chef Angeredete. »Auf Eddie und Dean ist auch absolut Verlaß. Das sind meine besten Leute.« »Wenn das Ihre besten Leute waren, kann ich nur lachen, jun ger Mann«, funkte Lady Simpson ungeniert mit ihrer baritonal gefärbten Stimme dazwischen. »Ich habe die Schwächlinge inzwi schen bei der Polizei abgeliefert.« Postwendend wurden innen Schritte hörbar. Jemand drückte die Schiebetür zur Seite, und zwei Köpfe erschienen in der Öffnung. So einfach hatten Parker und Mylady es sich nicht vorgestellt. Aber da die Dummheit ihrer Gegner geradezu herausfordernd wirkte, langten beide ungeniert zu. Mit einem heiseren »Wuff!« ging einer der Männer auf intensive Tuchfühlung zu Lady Agathas geliebtem Glücksbringer. Dem zweiten blieb völlig die Sprache weg, als der Bambusgriff des Schirmes sein Hinterhaupt traf.
Sofort trat das Duo den Rückzug an, allerdings auf einknicken den Knien und mit deutlichen Orientierungsproblemen. Das Absetzmanöver endete damit, daß die beiden Strolche rückwärts, in eine geräumige Holzkiste kippten, die sich umge hend in eine erstaunliche Zahl von Einzelheiten auflöste und ihren makabren Inhalt preisgab: Totenschädel… Überall rollten die Überreste längst Verstorbener über den beto nierten Boden und stießen mit leisem Klicken wie überdimensio nale Billardkugeln aneinander. Dem Butler und der Detektivin blieb jedoch keine Zeit, sich die ser nicht alltäglichen Darbietung zu widmen. Denn noch war der dritte Mann im Spiel. Und er fühlte sich eindeutig als Herr der Lage. »Die Hände hoch!« verlangte der schätzungsweise Fünfzigjähri ge, der einen langläufigen Revolver im Anschlag hielt. »Und dann kommt langsam rein.« »Was soll der Unsinn? Werfen Sie gefälligst das lächerliche Ding weg«, meldete Agatha Simpson Protest an, hob aber vorsichts halber doch die Hände. »Das Gelände ist umstellt.« »Kein langes Palaver«, fuhr der Bewaffnete ihr über den Mund. »Kommt rein und schiebt die Tür hinter euch zu. Aber keine dummen Tricks! Ich habe den Finger am Abzug!« Notgedrungen leistete man der Aufforderung Folge. Seite an Seite überschritten Parker und Lady Agatha die Schwelle. Und während Parker weisungsgemäß die Schiebetür ins Schloß schob, legte die resolute Dame gleich wieder los. »Ihnen sieht man doch von weitem an, daß Sie Anfänger sind, junger Mann«, blaffte sie den rundlichen Gangster mit den grau melierten Schläfen an. »Gegen eine Kriminalistin haben Sie nicht den Hauch einer Chance.« »Solange ich als einziger ‘ne Waffe habe, stehen meine Chancen nicht schlecht«, teilte ihr Gegenüber herablassend mit. »Wenn das alles ist, womit Sie mir imponieren möchten, dann tun Sie mir wirklich leid«, reagierte Mylady prompt und zog eine verächtliche Miene: »Worauf es ankommt, ist die taktische Über legenheit.« Und die war auch in dieser wenig erfreulichen Situation auf der Seite des eingespielten Teams aus Shepherd’s Market.
Während Agatha Simpson mit entnervendem Redeschwall die Aufmerksamkeit des Gangsters an sich zu fesseln versuchte, traf Parker mit einer kaum merklichen Bewegung des rechten Fußes konkrete Vorbereitungen für einen Überraschungsangriff. Viel Zeit blieb nicht, um das unerfreuliche Blatt zu wenden. Jeden Moment konnten die zu Boden gegangenen Mitarbeiter des Mannes wieder auf den Beinen sein. Dann standen die Karten noch schlechter als im Moment. Insgeheim bedauerte Parker, daß er seit der Schulzeit an kei nem Fußballtraining mehr teilgenommen hatte, aber beim ent scheidenden Schuß zeigte sich, daß er kaum etwas verlernt hatte. Aus dem Augenwinkel sah der bewaffnete Gangster den blei chen Schädel auf sich zufliegen und zog unwillkürlich den Kopf ein. Dadurch entging ihm allerdings, daß ein zweiter Flugkörper dem ersten auf dem Fuß folgte. Mit einer ruckartigen Bewegung hatte der Butler seinen steifen Bowler hinterhergeschickt, der in elegantem Bogen auf den irri tierten Gegner zusegelte und zielsicher Kurs auf dessen rechte Hand nahm. Reflexartig spreizte der Mann die Finger und ließ den Revolver fallen, als die Stahlkrempe über seinen Handrücken glitt und da bei nicht allein die Haare abrasierte. Das Jaulen, das er anschlie ßend produzierte, erinnerte an einen liebeskranken Wolf in ein samer Tundra. Die Jammertöne verstummten jedoch schlagartig, als die reso lute Dame mit Hilfe ihres perlenbestickten Pompadours nach drücklich um Ruhe bat. * Nur dem Riechsalz, das Parker unverzüglich einsetzte, war es zu verdanken, daß der Mann schon nach zwei Minuten wieder zu sich kam. Allerdings fiel es ihm nicht leicht, sich in der gründlich ver änderten Situation zurechtzufinden. Seine beiden Mitarbeiter waren inzwischen zu handlichen Pake ten verschnürt, wozu der Butler die hier reichlich vorhandenen Handseile benutzt hatte. Er selbst saß mitten zwischen den To tenschädeln am Boden, hatte die Hände auf dem Rücken gefes
selt und mußte zu Parker und Lady Agatha aufsehen, als wären es Monumentalstatuen. »Geht Mylady recht in der Annahme, Mister Gary Hunter per sönlich vor sich zu haben?« fragte der Butler in seiner stets höfli chen Art. »Ja, ich bin Gary Hunter«, bestätigte der »Chef« deprimiert. »Und wer sind Sie?« »Lady Simpson genießt einen beispiellosen Ruf als Privatdetek tivin, Mister Hunter«, setzte Parker ihn ins Bild. »Meine Wenigkeit steht als Butler in Myladys Diensten, falls der Hinweis erlaubt ist.« Mühsam hob der Mann den Kopf. »Sie sind die berühmte Agatha Simpson?« vergewisserte er sich. »Dann wundert’s mich nicht, daß meine Leute nicht mit Ihnen fertig geworden sind.« »Wir sollten zur Sache kommen, junger Mann«, fiel Mylady ihm ins Wort, obwohl Hunters Bewunderung ihr sichtlich schmeichelte. »Ich erwarte ein umfassendes Geständnis von Ihnen. Und wehe, ich ertappe Sie bei einer Lüge. Dann werde ich ausgesprochen ungemütlich.« »Es ist besser, Sie fragen und ich antworte«, wich Hunter aus, als die passionierte Detektivin ihn erwartungsvoll von oben herab ansah. »Na schön«, ging Lady Simpson auf den Vorschlag ein. »Sie ge ben also zu, daß Sie Killerkommandos in Marsch gesetzt haben, die nicht nur einen Ihrer Konkurrenten, sondern auch mich und Mister Parker ins Jenseits befördern sollten?« »Die Jungs, die ich zuerst zu Dobber geschickt habe, hatten keinen Auftrag, jemanden umzulegen, Mylady«, widersprach der Gangsterboß. »Sie sollten Dobber nur einen gründlichen Schre cken einjagen und den Abtransport der Ware sichern.« »Was man von den Herren, die Sie anschließend entsandten, nicht unbedingt behaupten kann, Mister Hunter«, schaltete Parker sich ein. »Die machten von ihren Feuerwaffen ausgiebigen Gebrauch, ohne allerdings einen Treffer zu erzielen.« »Auf wen haben Dean und Eddie geschossen? Auf Sie?« wollte Hunter wissen. »In der Tat, Mister Hunter«, bestätigte der Butler. »Aber im Grund hatten die Lümmel es auf mich abgesehen jun ger Mann«, fiel die majestätische Dame ein. »Da können Sie von Glück sagen, daß ich nicht Gleiches mit Gleichem vergelte.«
»Immerhin werden jetzt einige Jahre Knast auf mich warten«, erwiderte ihr Gesprächspartner. »Bei Anstiftung zum Mord dürfte es wohl kaum mit einigen Jah ren, wie Sie sich auszudrücken belieben, sein Bewenden haben, Mister Hunter«, stellte Parker klar. »Stimmt«, nickte Hunter und wurde plötzlich sehr nachdenklich. »Also – wenn ich höchstens als Tattergreis wieder rauskomme, seh’ ich nicht ein, warum ich meinen Kopf allein hinhalten soll«, fuhr er gleich darauf fort. »Darf man gegebenenfalls um Aufklärung bitten, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Mister Hunter?« hakte der Butler sofort nach. »In Wirklichkeit ist das gar nicht mein Betrieb hier«, packte der Gangster mit den grauen Schläfen aus. »Die Leute glauben zwar, ich wäre der Chef. Aber im Grund bin ich nicht mehr als ein Ange stellter, der jeden Tag rausgeworfen werden kann.« »Eine Mitteilung, die man nicht ohne Überraschung entgegen nimmt, Mister Hunter«, merkte Parker an. »Früher war ich mal wirklich selbständig und habe einen eini germaßen florierenden Handel mit Kunstgewerbe aus Übersee betrieben«, erzählte der Untersetzte weiter. »Aber dann kam die Zeit, als ich in die Casinos ging und das Spielen anfing.« »Man vermutet wohl recht, daß nach anfänglichen Gewinnen die Verluste überhandnahmen, Mister Hunter?« erkundigte sich der Butler, und sein Gesprächspartner nickte trübsinnig. »Irgendwann lernte ich Brian Small kennen, der mir Geld zum Weiterspielen lieh«, setzte der Gangster seinen Bericht fort. »Da ich nicht genug zurückzahlen konnte, gehörte ihm bald meine Firma. Schließlich mußte ich in seinem Auftrag illegale Geschäfte tätigen und konnte nur noch die Leute einstellen, die er mir schickte.« »Darf man um Auskunft bitten, welcher Art von illegalen Ge schäften Sie sich im Auftrag es erwähnten Mister Brian Small widmeten, Mister Hunter?« stellte Parker eine Zwischenfrage. »Geschmuggelte und gestohlene Sachen aller Art«, gab der auf Abwege geratene Kaufmann Auskunft. »Von Diamanten bis zu… zu Totenschädeln.« »Jetzt versucht der Lümmel doch noch, mit einem plumpen Trick den Kopf aus der Schlinge zu ziehen«, griff die passionierte
Detektivin an dieser Stelle ein. »Aber damit ist er bei mir an der falschen Adresse, Mister Parker.« »Es stimmt, Mylady«, beteuerte Hunter und hätte die Hände zum Schwur gehoben, wenn ihm das möglich gewesen wäre. »Ich bin kein Gangster von Haus aus. Ich bin dazu gezwungen wor den.« »Dennoch kann man Ihnen ein gewisses Talent keineswegs ab sprechen, Mister Hunter«, sagte Parker kühl. »Darf man im übri gen die Frage stellen, wo der von Ihnen erwähnte Mister Small anzutreffen ist?« »Um diese Zeit wird er wohl zu Hause sein«, mutmaßte der Graumelierte. »In Chelsea, Markham Street 20. Aber passen Sie auf! Seine Villa wird rund um die Uhr bewacht.« »Womit man ohnehin gerechnet hätte, Mister Hunter«, entgeg nete der Butler. »Dennoch dankt man für den freundlichen Hin weis.« »Ich gehe also davon aus, daß der Lümmel die Wahrheit sagt?« wandte Lady Simpson sich an Parker. »Gewißheit dürfte durch ein klärendes Gespräch mit Mister Small zu erlangen sein, falls man sich nicht gründlich täuscht«, gab der Butler zur Antwort. »Dann fahre ich jetzt also nach Chelsea?« vergewisserte sich die Detektivin. »Ein solches Vorgehen dürfte sich geradezu anbieten«, sagte Parker und deutete eine Verbeugung an. »Na schön, aber der Lümmel hier kommt mit«, entschied die resolute Dame. »Und wenn sich herausstellt, daß er gelogen hat, zieh’ ich ihm sofort die Ohren lang.« * Das Haus Nr. 20 an der Markham Street im piekfeinen Stadtteil Chelsea entpuppte sich als repräsentative Villa der Gründerzeit, die von einem parkähnlichen Gelände umgeben war. Durch einen Mauerpfeiler gedeckt, standen der Butler und die Detektivin an einer Ecke des Grundstücks, spähten durch das schmiedeeiserne Gitter und versuchten, sich einen Überblick zu verschaffen. Gary Hunter schlummerte auf dem Beifahrersitz des hochbeini gen Monstrums, das Parker in einer schmalen Seitenstraße abge
stellt hatte. Seine Lagerarbeiter hatte man wohlverwahrt in einem fensterlosen Kellerraum in Millwall zurückgelassen. »Von wegen rund um die Uhr bewacht«, meinte Agatha Simp son. »Weit und breit ist kein Mensch zu sehen.« Das stimmte zwar, war aber nur die halbe Wahrheit, denn in diesem Augenblick kam ein gut gebauter Schäferhund über den kurzgeschorenen Rasen angehetzt. Der Butler löste einen Sicherungshebel am Griff seines schwar zen Universal-Regenschirmes und klappte anschließend die blei gefüllte Spitze rechtwinklig zur Seite. Dadurch wurde der hohle Schaft zum Lauf, aus dem Parker kleine, bunt gefiederte Pfeile verschießen konnte. Die nötige Schubkraft lieferte eine Patrone mit komprimierter Kohlensäure, die in den Falten der Schirmseide verborgen war. Der vierbeinige Wächter war noch knapp zwanzig Schritte ent fernt und stimmte bereits ein bedrohliches Knurren an, da legte Parker den gebogenen Schirmgriff wie einen Gewehrkolben an die Wange und schickte das erste der kaum stricknadelgroßen Ge schosse auf die Reise. Sekundenbruchteile später zuckte der Vierbeiner wie elektrisiert zusammen, stemmte die Vorderläufe in den Boden und absolvier te eine beeindruckende Notbremsung, bei der die Rasenfetzen nur so flogen. Unbeirrbar hatte sich der kleine Pfeil seih Ziel ge sucht und war mit der Spitze im aufgerissenen Rachen des Hun des steckengeblieben. Klägliches Wimmern war zu hören, während der gestoppte An greifer heftig den Kopf schüttelte, um sich von dem störenden Stäbchen zu befreien. Von Erfolg gekrönt war sein Bemühen allerdings nicht, denn schon begann das hochkonzentrierte Betäubungsmittel pflanzli cher Herkunft zu wirken, mit dem der Butler die Pfeilspitze präpa riert hatte. Unversehens geriet der Hund ins Torkeln, drehte sich dreimal auf einknickenden Läufen um die eigene Achse und ging dann erschöpft zu Boden. Mit letzter Kraft versuchte das Tier noch mal auf die Beine zukommen, doch die Pfoten rutschten ihm weg. Hechelnd ließ der vierbeinige Wächter sich auf die Seite fallen und streckte alle viere von sich.
Lady Agatha wollte unverzüglich den Vormarsch fortsetzen, doch Parker hielt sie noch einen Moment zurück – aus gutem Grund, wie sich gleich darauf herausstellte. Unvermittelt ertönte ein schriller Pfiff, dann noch einer. Doch der Hund, dem diesen Signal gegolten hatte, reagierte nicht. Im grauen Morgenlicht gewahrte der Butler, wie sich eine dun kel gekleidete Gestalt aus dem Eingangsbereich des Hauses löste. Der Mann hielt eine Automatic mit modernem Schalldämpfer im Anschlag und kam langsam näher, wobei er Bäume und Busch werk als Deckung benutzte. Daß Parker erneut sein altväterlich gebundenes UniversalRegendach in Schußposition gebracht hatte und jeden seiner Schritte konzentriert verfolgte, konnte der Unbekannte nicht ah nen. Deshalb reagierte er auch mit einem unterdrückten Laut der Verblüffung, als er unverhofft einen zierlichen, mit bunten Federn bestückten Pfeil auf sich zuschwirren sah. Im letzten Moment traf der bewaffnete Wächter Anstalten, dem lautlosen Geschoß auszuweichen, doch da bohrte sich die Pfeil spitze schon durch das Tuch seiner Hose und blieb im Oberschen kel stecken. Augenblicklich ließ der Gangster die schon entsicherte Automa tic zu Boden fallen und wollte das unheimliche Geschoß mit bei den Händen herausziehen. Seine verständliche Hektik führte je doch dazu, daß das dünne Holz mittendurch brach und die mit Widerhaken versehene Spitze nur noch tiefer ins Fleisch drang. Dennoch zeigte der Mann keine Neigung aufzugeben – bis das Betäubungsmittel auf dem Weg über den Blutkreislauf die Ner venzentren im Hirn erreichte und dort seine entspannende Wir kung entfaltete. Die Folge war, daß dem Wächter Kräfte und Sinne gleichzeitig schwanden. Wie ein Baum im Wind schwankte der athletische Körper hin und her, wobei die Knie unaufhaltsam einknickten. Wenig später schraubte sich der Wächter in einer etwas mißglückten Pirouette zu Boden und schied mit erlösendem Seufzer aus dem Gesche hen. Das doppelflügelige Tor aus kunstvoll gearbeitetem Schmiedeei sen, das den einzigen Zugang zum Park der Villa darstellte, war nur angelehnt. Die rostigen Angeln ließen ein leises Quietschen hören, als der schwarz gewandete Butler und die ältere Dame hindurchschlüpften.
Von Busch zu Busch, von Baum zu Baum setzte das skurrile Paar unbehelligt seinen Weg fort, bis das breite Vordach über dem Eingang des Hauses erreicht war. »Nun machen Sie schon«, monierte Lady Agatha ungeduldig, als Parker lauschend sein Ohr an die massive Eichentür legte. »Ich stehe mir doch die Beine nicht in den Leib.« »Eine Entwicklung, die es um jeden Preis zu verhindern gilt, My lady«, gab der Butler gedämpft zurück und zog sein handliches Universalbesteck aus der Tasche. Auf den ersten Blick glich dieses zierliche Werkzeug dem Reini gungsgerät eines passionierten Pfeifenrauchers. Es war jedoch ungleich vielseitiger einzusetzen und hatte sich schon oft als re gelrechtes »Sesam-öffne-dich« bewährt. Mit sicherem Griff wählte Parker die passende Stahlzunge aus und ließ sie geräuschlos in den Schlitz des neuzeitlichen Zylinder schlosses gleiten. Ein paar Sekunden leistete der aufwendige Schließmechanismus passiven Widerstand, doch dann unterwarf er sich den Überredungskünsten des Butlers und gab unter kaum hörbarem Klicken den Weg frei. Danach standen Parker und Lady Simpson in einem geräumi gen, mit Marmor gefliesten Hausflur, der schon eher die Bezeich nung »Foyer« verdiente. Kostbare Teppiche, antike Gemälde in schweren Goldrahmen und ein imposanter Kronleuchter doku mentierten die Wohlhabenheit des Besitzers. Durch ein großes Bogenfenster fiel das matte Morgenlicht her ein. Eine der zahlreichen Türen, die von hier abzweigten, stand ei nen Spaltbreit offen. Als Parker vorsichtig spähte, gewahrte er eine junge Farbige, die mit einer karrierten Kittelschürze beklei det war und am Herd hantierte. Neben der jungen Frau, die ihm den Rücken zukehrte und ah nungslos ein Lied summte, stand ein Tablett mit den Frückstücks zutaten für zwei Personen. »Man erlaubt sich, einen möglichst heiteren Morgen zu wün schen«, sagte der Butler und lüftete beim Eintreten höflich die schwarze Melone. Wie von der Tarantel gestochen, fuhr die Köchin auf dem Absatz herum und starrte die schwarz gewandete Gestalt entgeistert an.
»Kein Laut, Kindchen. Es passiert Ihnen nichts«, mahnte die Detektivin, die nun ebenfalls die Küche betrat und die Tür hinter sich zuzog. »Geht Mylady möglicherweise recht in der Annahme, daß Mister Small sich im Hause aufhält?« erkundigte sich Parker höflich. »Na, wird’s bald, Kindchen?« setzte die energische Dame auf munternd hinzu und ließ demonstrativ den perlenbestickten Handbeutel wippen. »Mister Small ist im Bad«, gab die Köchin mit zitternder Stimme Auskunft. »Oben im ersten Stock.« »Man dankt für die freundliche Auskunft, Miß«, sagte der Butler, verneigte sich andeutungsweise und holte die kleine Sprühdose hervor, die er in dieser Nacht schon mehrfach eingesetzt hatte. Kurz ließ er die junge Dame an dem betäubenden Nebel schnup pern und legte sie dann behutsam auf eine gepolsterte Eckbank. Die unangemeldeten Besucher stiegen Stufe für Stufe die breite Holztreppe hinauf, die über eine Galerie ins Obergeschoß führte. * Unüberhörbares Plätschern wies dem Paar aus Shepherd’s Mar ket den Weg. Zusätzlich war in Abständen das Kichern einer jun gen Frau zu vernehmen. »Der Lümmel scheint nicht allein im Bad zu sein, Mister Par ker«, stellte die ältere Dame mißbilligend fest. »Ein beklagenswerter Eindruck, den man nur bestätigen kann, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Hab’ ich dir übrigens erzählt, daß sich das Geschäft mit den Totenschädeln zu einem Renner entwickelt, Brenda?« war in die sem Augenblick eine dunkle, sonore Männerstimme zu hören. »Da werde ich noch groß einsteigen.« »Ih, diese ekelhaften Totenschädel«, gab die Gespielin des Gangsterbosses angewidert zurück. »Ich will davon nichts hören, Brian.« »Ach was, Geschäft ist Geschäft«, fuhr der Mann fort, bei dem es sich nur um den gesuchten Brian Small handeln konnte. »Hauptsache, die Kasse stimmt. Demnächst werde ich sogar To tenschädel containerweise aus der dritten Welt importieren. Da soll es riesige Massengräber geben, Schätzchen.«
»Pfui, Brian! Wie kannst du nur so reden«, ließ die junge Dame sich in vorwurfsvollem Ton vernehmen. »In der Tat, junger Mann. Ihre Pietätlosigkeit schreit zum Him mel«, setzte Lady Simpson halblaut hinzu. Anschließend pochte sie vernehmlich an die Tür. »Ja?« kam die Antwort von innen. »Ergeben Sie sich!« verlangte die Detektivin mit grollender Stimme. »Ihr Haus ist umstellt. Sie haben keine Chance.« Für Momente wurde es still hinter der Tür. Dann war wieder hef tiges Plätschern zu vernehmen, anschließend das Geräusch nack ter Füße auf blanken Fliesen. »Aber ziehen Sie sich gefälligst was an, ehe Sie herauskom men«, setzte Lady Simpson hinzu. »Unbekleidet können Sie einer Dame meines Standes nicht unter die Augen treten.« Das hatte Brian Small offensichtlich auch nicht geplant. Er zog es vor, der unangemeldeten Besucherin gar nicht gegenüberzu treten, was Parker aus der Tatsache schloß, daß der Gangsterboß offensichtlich ein klemmendes Fenster zu öffnen versuchte. Parker wollte die Tür öffnen. »Nein, nicht hier durch!« Mylady stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor die Tür. »Der Anblick eines schamlosen Frauenzim mers würde Sie aus dem Konzept bringen, Mister Parker. Ich kenne die Männer.« »Was man mitnichten bestreiten möchte, Mylady«, versicherte der Butler höflich und trat gemessen und würdevoll den Rückweg in Richtung Haustür an. Brian Small schien den Sprung aus dem ersten Stock gut über standen zu haben. Jedenfalls hörte Parker schon eine Autotür klappen, als er ins Freie trat. Unverzüglich griff der Butler in die linke Außentasche seines konservativ geschnittenen Covercoats und förderte die stählerne Gabelzwille nebst einer hartgebrannten Tonmurmel zutage. Die lautlose Distanzwaffe, mit der er die Flucht des Gangsters zu stoppen gedachte, entsprach im Prinzip jenen mit Einweck gummis bestückten Astgabeln, die Buben eines gewissen Alters zur verbotenen Jagd auf allerlei Gerät und Getier benutzen. Allerdings war Parkers High-Tech-Version den primitiven Vorbil dern haushoch überlegen in Reichweite und Treffsicherheit. Kaum hatte der Butler die lederne Schlaufe mit der Tonmurmel »geladen«, da heulte auch schon die Maschine einer schweren
Limousine auf. Sekunden später schoß der Wagen, ein silbergrau er Bentley, um die Hausecke. Kurz visierte Parker sein Ziel an, strammte die Gummistränge bis zum äußersten und schickte seinen tönernen Gruß auf die Reise. Mit vernehmlichem Knall schlug die kleine Kugel gegen das Seitenfenster und zersprang dabei in tausend Stücke. Die Schei be, die offensichtlich aus Panzerglas bestand, blieb hingegen un versehrt. Reflexartig hatte der Gangster, mit dessen Nerven es anschei nend nicht zum besten bestellt war, das Lenkrad herumgerissen und war dadurch vom asphaltierten Fahrweg auf den Rasen gera ten. Haltlos schlingerte die Limousine querbeet durch den Park, drehte sich elegant um ihre Achse und streifte anschließend den mächtigen Stamm einer jahrhundertealten Ulme. Völlig entnervt verwechselte der Fahrer Gaspedal und Bremse, was zu weiteren unsanften Begegnungen mit einer Reihe von Parkbäumen führte. Erst der schmiedeeiserne Zaun an der Grundstücksgrenze brachte das schleudernde Gefährt abrupt zum Stehen. Als Parker wenig später zur Stelle war und die Fahrertür öffnete, saß Small heftig atmend im Sitz und starrte den Butler aus ver schleierten Augen benommen an. Er leistete keinen Widerstand, als Parker ihm Handfesseln aus Plastik anlegte, und ihn mit sanf ter Gewalt aus dem demolierten Bentley zog. Der Gangster ließ sogar die Andeutung eines dankbaren Lä chelns sehen, als Parker seinen Covercoat auszog und ihm anbot. Brian Small stand nämlich im taunassen Gras, wie er aus der Ba dewanne gekommen war: splitternackt. Seite an Seite kehrten die Männer ins Haus zurück, ohne ein Wort zu wechseln, und stiegen die Treppe zum Obergeschoß hin auf. Sie wären kaum auf der Galerie, als gellende Schreie hörbar wurden. Gleich darauf stürzte Smalls Freundin Brenda durch den Flur. Die junge Frau erblickte den Butler, der ihr wie eine Erschei nung aus einer anderen Welt vorkam, und sank mit einem Seuf zer zu Boden. Sekunden später erschien auch Agatha Simpson auf der Bildflä che, lächelte vielsagend und präsentierte einen Totenschädel, den
sie nach dem Besuch bei Gary Hunt als Souvenir mitgenommen hatte. »Mein Auftritt muß sehr eindrucksvoll gewesen sein, Mister Par ker«, ließ die majestätische Dame verlauten. »Sonst wäre diese Person nicht vor Begeisterung in Ohnmacht gefallen.« »Darf man gegebenenfalls fragen, welche Art von Auftritt Myla dy zu meinen geruhen?« erkundigte sich Parker höflich und bette te die junge Dame auf ein in der Nähe stehendes Sofa, wobei er sorgfältig darauf achtete, daß der Bademantel nicht ungebührlich verrutschte. »Nun ich hab’ ihr die berühmte Szene aus >Macbeth< vorge spielt, Mister Parker«, gab Agatha Simpson Auskunft. »Den Text hatte ich noch genau im Kopf: >Sein oder Nichtsein – das ist hier die FrageHamlet< meinen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, merkte der Butler höflich an. »Sagte ich das nicht, Mister Parker?« reagierte die ältere Dame überrascht. »Je denfalls ist mir klar geworden, daß ich als Schauspielerin eine glänzende Karriere vor mir habe. Gleich morgen werde ich mit dem Rollenstudium beginnen.« »Ein Entschluß, zu dem man Mylady nur beglückwünschen kann«, gab Parker mit der undurchdringlichen Miene eines pro fessionellen Pokerspielers zurück und verneigte sich höflich.
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 468 Edmund Diedrichs
PARKER säubert den Rummelplatz Lady Agatha verblüfft einen Budenbetreiber mit ihren Künsten. Zwei Herren, die einen Schausteller erpressen wollen, müssen sich entnervt zurückziehen. In Parkers neuem Fall lockt eine ansehnliche Prämie der Erpreß ten. Der Butler lenkt geschickt gewisse Gangster auf eine Fährte, die dazu dient, die Burschen auszuheben. Mylady übersieht souverän alle Gefahren und merkt nicht, wie Parker seine schützende Hand über sie hält. Man trifft sich in der
Geisterbahn, wo einige »Monster« Jagd auf Mylady und Parker machen. Doch Parker kennt Mittel und Wege, um die Herren »Monster« zur Räson zu bringen. Ein sogenannter »Fliegender Teppich« testet ausgiebig die Magenpartien nicht ganz freiwilliger Fahrgäste. Ein neuer BUTLER PARKER-Krimi von Edmund Diedrichs. Sie sollten ihn lesen!