Butler � Parker � Nr. 254 � 254
Günter Dönges �
PARKER stört die � ›Totengräber‹ �
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Butler � Parker � Nr. 254 � 254
Günter Dönges �
PARKER stört die � ›Totengräber‹ �
2
Butler Parker zuckte mit keiner Wimper, als Lady Agatha Simpson, seine Herrin, aus dem Landhaus kam und auf die Teilnehmer der Jagd zuging. Sie schien sich für einen harten Kampf gerüstet zu haben und bot einen beeindruckenden Anblick. Die ältere Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, war groß, füllig und erinnerte an eine Amazone, die allerdings eindeutig in die Jahre gekommen war. Dennoch war sie bemerkenswert vital, wirkte energisch und zog wie selbstverständlich alle Blicke auf sich. Lady Agatha trug eines ihrer stets zu weiten Tweedkostüme, dazu derbe Stiefel und einen Hut, der diesmal eine Kreuzung aus Südwester und Robin-Hood-Kappe darstellte, wozu die kecke Feder beitrug, die an diesem seltsamen Gebilde befestigt war. Bemerkenswert war ihre waffenmäßige Ausrüstung. Sie hatte einen Patronengurt umgehängt und zwei Gewehre mitgenommen. Besonders auffällig war der lange Sauspieß, den sie sich über die Schulter geschoben hatte. »Sind Sie bereit, Mister Parker?« erkundigte sie sich leutselig bei ihrem Butler, der wie üblich gekleidet war.
Die Hauptpersonen: Sir Patrick Simmons veranstaltet leichtsinnigerweise eine Treibjagd. Walter Trenda will Buchhändler und Geheimagent sein. Benny und Carlos vergraben eine Teppichrolle mit Inhalt. Peter Fennebran wird das Opfer während der Treibjagd. James Alanford soll angeblich ein Agentenführer sein. Dave Flattere verkauft Chips, Fisch und Schläger. Norman Willings handelt mit Altpapier und Drogen. Lady Agatha Simpson lehrt ein Wildschwein das Fürchten. Butler Parker entlarvt den ›Totengräber‹. Als hochherrschaftlicher Bediensteter verzichtete Parker auch jetzt nicht auf seinen schwarzen Zweireiher, den weißen Eckkragen, den schwarzen Binder und die Melone. Über seinem angewinkelten linken
Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm, für den sich mit Sicherheit jedes Museum interessiert hätte. Josuah Parker war ein altersloser Mann, etwas über mittelgroß, fast 3
schlank, und präsentierte ein glattes, ausdrucksloses Gesicht, um das ihn ein professioneller Pokerspieler zutiefst beneidet hätte. Er war die Selbstbeherrschung in Person und so gut wie durch nichts aus der Fassung zu bringen. Es gehörte zu seiner Berufsauffassung als Butler, keine Gefühlsregungen zu zeigen. »Mylady brauchen über meine Wenigkeit nur zu verfügen«, erklärte Parker auf die Frage seiner Herrin und deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie werden heute viel lernen können, Mr. Parker«, versprach Agatha Simpson und nahm den Sauspieß von der Schulter, »ich werde das Schwarzwild selbstverständlich waidgerecht jagen.« »Mylady fühlen sich erfreulicherweise der Tradition verpflichtet«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art. »Sie sollten dicht an meiner Seite bleiben«, redete die ältere Dame munter weiter, »mit diesem Jagdspieß hier werde ich das Wild erlegen.« »Meine bescheidene Wenigkeit ist bereits jetzt tief beeindruckt.« »Es sollen hier sehr wehrhafte Schwarzkittel herumlaufen«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme, »aber sie werden natürlich keine Chance haben.« »Es wird sich unter dem zu jagenden Wild schnell herumsprechen«,
vermutete der Butler. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. Lady Agatha stutzte leicht und beäugte ihren Butler mißtrauisch. Dann wandte sie sich ab und schritt auf die Teilnehmer der Treibjagd zu, die sich ihr sehr höflich widmeten. Lady Agatha war eine vermögende Frau, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng liiert war. Als Respektsperson war sie gefürchtet wegen ihrer unkonventionellen Offenheit. Sie sagte stets ungeniert das, was sie dachte. Und sie dachte oft zu schnell. Josuah Parker befaßte sich mit den Treibern und Meuteführern. Der Ausrichter dieser Jagd im Süden von London hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, um das Ereignis würdig auszurichten. Unter den Eingeladenen gab es hochgestellte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und dem kulturellen Leben. Die lokalen Zeitungen hatten bereits im vorhinein auf diese gesellschaftliche Veranstaltung hingewiesen. Die Treiber kamen aus einigen nahe gelegenen Ortschaften. Es waren recht handfest aussehende Männer, die kräftige Holzknüppel in Händen hielten. Die Hundemeute bestand aus ausgesuchten Hetztieren, die nicht zum ersten Mal an solch einer Jagd teilnahmen. Ihre Hundeführer konnten sie nur mühsam unter Kontrolle halten. Die Vierbeiner fieberten danach, endlich 4
losgelassen zu werden. Parker musterte die Treiber und Hundeführer automatisch. Ein besonderer Anlaß hierfür lag sicher nicht vor. Lady Agatha hatte sich zur Zeit nicht mit der Unterwelt angelegt, was sie allerdings bedauerte. Sie wartete schon seit Tagen darauf, sich endlich wieder mal mit einem interessanten Kriminalfall befassen zu können. Parker fiel auf, daß einer der Treiber sich wie zufällig abwandte, als er sich beobachtet fühlte. Dieser Mann trug Jeans, einen Parka und Wanderschuhe, die wohl gerade erst angeschafft worden waren. Das Haar dieses Treibers war kurz geschnitten. Der Butler war bereits versucht, sich diesen Treiber mit den neuen Schuhen aus der Nähe anzusehen, als zum Aufbruch geblasen wurde. Jagdhörner schmetterten, die Hunde brachen in lautes Gekläff aus. Lady Agatha ballte die rechte Hand zur Faust, stieß sie energisch in die Luft und deutete dann auf die vielen Geländewagen, die die Jagdteilnehmer zu ihren Positionen bringen sollten. »Mir nach«, rief sie mit Stentorstimme, »ich erwarte, daß jeder seine Pflicht tut!« Sie schritt auf einen funkelnagelneuen Range Rover zu und blickte den Fahrer fast hohnvoll an. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich mich Ihnen anvertrauen werde,
junger Mann, wie? Selbstverständlich werde ich das Steuer übernehmen. Machen Sie Platz! Ich zeige Ihnen, wie man solch einen Wagen durchs Gelände bewegt.« »Es… Es ist ein ziemlich schwieriges Gelände, Mylady«, sagte der Fahrer, der aber bereits zur Seite rückte. »Ausgezeichnet, junger Mann«, antwortete Agatha Simpson, »Sie werden gleich viel lernen können, Moment, auf dem Beifahrersitz nimmt selbstverständlich Mr. Parker Platz.« »Ich setze mich auch durchaus gern in einen anderen Wagen, Mylady«, warf Parker ein und hoffte auf eine Chance. »Papperlapapp, Mr. Parker.« Sie sah ihn verweisend an. »Ich werde Ihnen gleich einige besondere Finessen der Fahrkunst zeigen. Sie sollten mir dankbar sein.« »Wie Mylady wünschen.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos, obwohl er bereits wieder ahnte, daß einiges auf ihn zukommen würde! * Josuah Parker war es gelungen, sich von der Jagdgesellschaft abzusetzen. Er wollte später Lady Simpson gegenüber erklären, er habe sich verlaufen. Parker hielt nichts davon, auf aufgescheuchte Tiere zu schießen. Die Jagd interessierte ihn nicht. 5
Zudem hatte er einige Erlebnisse hinter sich, die sich auf die einmalige Fahrkunst der älteren Dame bezogen. Er brauchte jetzt Ruhe, um seine Selbstbeherrschung zu stabilisieren. Josuah Parker saß auf einem Hochstand und freute sich über den aufkommenden Nebel. Die Tiere, denen die Jagd galt, hatten eine echte Chance, sich den Schüssen zu entziehen. Parker blickte aiuf eine kleine Lichtung, über die bereits erste dichte Schwaden zogen. Strauchwerk umgab die kleine Wiese, die sich nach dem Fällen einiger Bäume neu gebildet hatte. Das Gras stand bereits recht hoch und überwucherte Baumstümpfe, Wurzelreste und verrottetes Astwerk der abgeholzten Stämme. Parker hörte von weit her das Geschrei der Treiber, Hämmern und Klopfen ihrer Holzprügel gegen Baumstämme, Schüsse und halbverwehte Zurufe. Er befand sich hier bereits außerhalb der Treibjagdzone und brauchte mit Störungen nicht zu rechnen. Deshalb gestattete er sich sogar den leisen Anflug eines amüsierten Lächelns, als er plötzlich ein Wildschwein bemerkte, das aus dem Kessel der Treibjagd ausgebrochen sein mußte. Dieser Schwarzkittel hatte die Lichtung erreicht, nahm Witterung und fühlte sich sicher. Das Wildschwein setzte sich auf die Hinterhand und kratzte sich mit
dem linken Vorderlauf das Ohr. Josuah Parker dachte nicht im Traum daran, diesen Frieden zu stören, blieb regungslos sitzen und entdeckte bald darauf weitere Versprengte, die sich in Sicherheit gebracht hatten. Einige Wildschweine erschienen, Hasen hoppelten über die Lichtung, schließlich kreuzte sogar für wenige Augenblicke ein Fuchs auf, der kurz hustete und bellte, um dann aber wie ein Schemen wieder zu verschwinden. Die Schwarzkittel – inzwischen waren es fünf geworden – grunzten, schienen untereinander Verbindung aufzunehmen und quiekten dann ohne jeden Übergang. Sie verschwanden in panischer Flucht, spritzten förmlich auseinander und brachen sich Bahn durch das dichte Unterholz. Der Butler hörte, wie kleine trockene Zweige und Äste auf dem Boden brachen und knackten, und dachte unwillkürlich an Lady Agatha. Sollte sie sich ebenfalls abgesetzt haben? Oder war sie einem der Schwarzkittel auf der Spur? Wollte sie noch mal erneut ihren mächtigen Sauspieß einsetzen? Parker erlebte eine Überraschung. Zuerst erschien nur eine männliche Gestalt, die sichernd nach allen Seiten schaute, dann tauchte ein zweiter Mann auf und warf dem ersten eine Schaufel zu. Die beiden Männer machten sich anschließend daran, 6
eine Art Grube auszuheben. Sie schienen genau zu wissen, daß gerade jetzt während der Treibjagd kaum mit Störungen zu rechnen war. Sie arbeiteten ungeniert und schnell und hoben das weiche Erdreich aus. Selbstverständlich rührte Parker sich nicht. Steif und senkrecht, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er auf dem schmalen Sitz des Hochstandes und beobachtete die Männer, die ihn unwillkürlich an Totengräber erinnerten. Sie schienen in der Tat ein Grab auszuheben… Sie gönnten sich kaum Ruhe, schauten hin und wieder hoch und arbeiteten dann weiter. Doch plötzlich warf einer der beiden die Schaufel auf das ausgehobene Erdreich und näherte sich schnurstracks dem Hochstand. Parker rührte sich nicht und setzte auf seine schwarze Kleidung und den dunklen Waldhintergrund, vor dem dieser Hochstand errichtet worden war. Der Mann, der aus noch unerfindlichen Gründen seine Arbeit beendet hatte, erreichte den Hochstand und wollte über die festgenagelte Leiter steigen, als sein Partner ihn anrief. »Laß doch den Quatsch«, rief der Mann ungeduldig, »hier ist weit und breit kein Mensch, Benny.« »Bist du sicher, Carlos?« erwiderte Benny von der Leiter her.
»Nun mach endlich weiter, wir haben nicht viel Zeit.« Benny, der Mann am Hochstand, löste sich widerstrebend vom Holz und ging zurück zur Erdgrube. Er nahm die Schaufel und arbeitete weiter. Er unterhielt sich dabei leise mit Carlos. Der Butler hatte inzwischen seinen Universal-Regenschirm gehoben und visierte mit der Spitze des Schirmstocks die beiden Männer an. Er wollte bereit sein, falls einer von ihnen zurückkehrte. Parker war innerlich durchaus erfreut, daß eine gewisse Lady Simpson weit entfernt war. Sie hätte sonst wahrscheinlich überreagiert und auf weitere Beobachtungen verzichtet. * Agatha Simpson dachte nicht im Traum daran, auch nur einen einzigen Gedanken an ihren Butler zu verschwenden. Sie hielt den langen Sauspieß mit der nadelspitzen Klinge in beiden Händen und näherte sich energisch einem dichten Gebüsch, um das eine Hundemeute tobte und geiferte. Die Spürnasen der Tiere hatten einen mächtigen Keiler ausgemacht, der sich in diesem Dickicht verbarg und hin und wieder grunzte. »Mylady, ich bitte Sie noch mal, uns das zu überlassen«, sagte der Gastgeber, ein mittelgroßer, stämmi7
ger Mann, der Patrick Simmons hieß und dem englischen Kleinadel angehörte. Er war nicht allein, rechts und links von ihm standen andere Teilnehmer der Treibjagd, die ihre Gewehre durchgeladen hatten und damit rechneten, daß der Keiler einen wütenden Ausfall versuchte. »Stören Sie mich nicht, Patrick«, antwortete Agatha Simpson kurz angebunden, »ich werde Ihnen zeigen, wie meine Vorfahren dieses wehrhafte Wild erlegten.« »Was Sie da machen wollen, ist lebensgefährlich!« Sir Patrick schnaufte vor Erregung. »Für mich ist das eine Bagatelle, mein Lieber«, behauptete die ältere Dame leichthin, »einen Schwarzkittel jagt man stilgerecht nur mit einem Sauspieß.« Die aufkommende Diskussion wurde jäh beendet, als der Keiler aus dem Gebüsch schoß. Er sah aus wie eine riesige, dunkle Masse, die mit viel Kraft und Energie erst mal zwei Hunde hochwirbelte, die sofort heulten und in den umliegenden Sträuchern landeten. Die übrigen Hunde zogen sich zurück und verbellten das Wild. »Nicht schießen!« Lady Agathas Stimme übertönte das Geheul der Vierbeiner. Sie baute sich vor dem Keiler auf, der sie erst sah und annehmen wollte. Doch dann stemmte das wehrhafte Tier sich mit den Vorderläufen gegen den Boden
und bremste den wilden Schwung. Der Schwarzkittel, ein Wildschwein, das schon viel erlebt hatte, zeigte deutliche Verblüffung. Es maß die ältere Dame aus rot unterlaufenen Augen und grunzte dann verwirrt. »Nicht schießen!« kommandierte Agatha Simpson noch mal, senkte den langen Sauspieß und eröffnete ihre Attacke. Sie nahm einen Anlauf, stieß einen Kampfruf aus und lief dann auf den Keiler zu, der seinen Augen nicht trauen wollte. Die Lady bewies gerade in diesem Moment, wie energisch und vital sie noch war. Die Mitglieder der Jagdgesellschaft ließen atemlos ihre diversen Waffen sinken und blickten fasziniert auf das einmalige Schauspiel. »Sau tot!« brüllte die feine Dame im Vorgriff und visierte den hohen, speckigen Rücken des Wildschweines an. Der Schwarzkittel konnte die ältere Dame zwar nicht verstehen, doch er interpretierte den Ausruf völlig richtig. Der Keiler fühlte sich angegriffen und zeigte keine Neigung, sich als Demonstrationsobjekt anzubieten. Der Schwarzkittel wurde sogar zusätzlich noch ein wenig wütender, drückte sich ab und jagte seinerseits auf Lady Agatha zu, die keinen Zentimeter von ihrem Kurs abwich. Das Wildschwein begriff fast zu spät, daß die Gegnerin Ernst zu machen gedachte. Es hatte keine Lust, sich die Klinge in den Rücken8
speck jagen zu lassen und trollte sich im entscheidenden Moment nach links. Mit Kraft und Nachdruck landete die Spitze der Lanze im Erdreich, ritzte sogar noch ein wenig die Flanke des Keilers und brachte Agatha Simpson aus dem Gleichgewicht. Die ältere Dame stolperte über den Sauspieß und landete in den Zweigen des Strauches. Ihr nicht gerade geringes Körpergewicht wurde elastisch abgefedert, was zur Folge hatte, daß Lady Agatha wie von einem Trampolin hochgeworfen wurde. Als sie sich wieder senkte, landete sie auf der linken Seite und sah sich dem nun gereizten Wildschwein gegenüber, das folgerichtig seine Chance zu nutzen gedachte. Die völlig überraschten Jagdteilnehmer waren zurückgewichen, konnten nicht schießen, weil sie sonst Lady Agatha gefährdet hätten, und mußten nun so gut wie tatenlos zusehen, daß der Schwarzkittel mit seinen mächtigen Hauern zulangen wollte. Doch Lady Agatha war nicht waffenlos, wie sich zeigte. Gewiß, sie hatte ihre einzige Waffe, nämlich den Sauspieß, verloren, doch sie verfügte noch über ihren perlenbestickten Pompadour, in dem sich ihr sogenannter Glücksbringer befand. Dabei handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich von dünnem Schaumstoff
umgeben war. Die ältere Dame reagierte bemerkenswert. Als der Keiler den Kopf gesenkt hatte und bereits glaubte, mit den gekrümmten Hauern sein Opfer erwischt zu haben, donnerte Lady Agatha dem Schwarzkittel den Pompadour auf die Schnauze. Der Keiler sah mit Sicherheit Sterne, obwohl er sich dazu nicht äußern konnte. Er taumelte, riß den mächtigen Kopf hoch, schielte die ältere Dame an und brach mit den Vorderläufen kurzfristig ein. Dann raffte das wehrhafte Tier sich wieder auf und… ergriff die Flucht. In langen Sätzen jagte es grunzend den verwirrten Jagdteilnehmern entgegen, die sich in Sicherheit brachten und erst mit einer Verspätung einige Schüsse abfeuerten, die aber alle nicht trafen. Lady Agatha war inzwischen aufgestanden und klopfte sich Blätter und abgebrochene Zweige vom Kostüm. Dann räusperte sie sich explosionsartig und lenkte damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. »Wer von Ihnen hat mich behindert, meine Herren?« erkundigte sie sich grollend bei den verlegenen Männern. »Ich glaube kaum, Mylady, daß Sie behindert wurden«, äußerte Sir Patrick dummerweise und erntete dafür einen eisigen Blick. 9
»Ich weiß, was ich weiß«, erklärte die Lady, »ich wurde abgelenkt und behindert. Wagen Sie es nicht, mir zu widersprechen, Patrick!« »Um ein Haar hätte es Sie erwischt«, sagte Sir Patrick. »Unsinn«, fuhr Lady Agatha ihn an, »ich hatte mich selbstverständlich auf Überraschungen eingestellt. Eine Lady Simpson ist allzeit bereit! Ich weiß, daß dieser Schwarzkittel nicht weit gekommen sein kann. Kümmern Sie sich um das waidwunde Tier, es soll nicht unnötig leiden.« »Waidwundes Tier?« Patrick Simmons war mehr als verblüfft. »Was denn sonst? Sie haben doch gesehen, daß ich es paralysiert habe«, raunzte die ältere Dame den Gastgeber an, »worauf warten Sie denn noch?« Lady Agatha zog und zerrte den langen Sauspieß aus dem Erdreich und nahm dann die Verfolgung auf. Sie glich gerade in diesem Augenblick einer Walküre auf dem Weg nach Walhall! * Das Warten hatte sich gelohnt. Parker, nach wie vor auf dem Hochsitz, beobachtete die beiden Männer, die ihre Erdarbeiten für einige Minuten eingestellt hatten und nun wieder zurückkehrten. Sie schleppten sich mit einer Tep-
pichrolle ab, die sie offensichtlich hier eingraben wollten. Der tiefere Sinn eines solchen Unternehmens war dem Butler nicht ganz klar, bis er plötzlich eine schreckliche Entdeckung machte. Aus der Teppichrolle ragte ein männliches Beinpaar. Die Hosenbeine, Fußgelenke und schwarzen Schuhe dieses Opfers waren deutlich auszumachen. Die beiden Männer legten die Teppichrolle neben dem ausgehobenen Erdreich ab und begannen erneut mit ihrer unterbrochenen Arbeit. Das Grab war ihnen vermutlich noch nicht tief genug. Josuah Parker hielt es für an der Zeit, die beiden ›Totengräber‹ nachhaltig zu stören. Er hatte seinen Universal-Regenschirm bereits gehoben, führte das Regendach höher und nahm es in Schulteranschlag, als habe er es mit einem ganz normalen Gewehr zu tun. Durch einen Druck auf einen versteckt angebrachten Clip am Schirmstock hatte er seine Waffe entsichert und war in der Lage, einen chemisch präparierten Pfeil zu verschießen. Als Treibladung benutzte er dazu komprimierte Kohlensäure, die in einer Stahlpatrone im Schaft untergebracht war. Durch einen zweiten Druck auf den Clip konnte Parker den Pfeil geräuschlos verschießen. Er verzichtete darauf, die beiden Männer durch einen kurzen Anruf zu warnen, und wollte sie so schnell 10
wie möglich außer Gefecht setzen, um sie an einer Flucht zu hindern. Die Spitze des Pfeiles war mit einer Chemikalie bestrichen, die sofort eine Lähmung auslöste, die allerdings nur kurze Zeit dauerte. Der erste Pfeil sirrte fast unhörbar durch die Luft, senkte sich und bohrte sich in die linke Gesäßhälfte des ersten Mannes. Der Getroffene richtete sich kerzengerade auf, schaute verwirrt nach allen Seiten und langte fast zögernd nach seinem Gesäß. Als er den stricknadellangen Schaft des Blasrohrpfeiles ertastete, stieß er einen halberstickten Schrei aus stemmte sich aus der Erdgrube und rannte davon. Er nahm sich noch nicht mal die Zeit, seinen Partner zu warnen. Parker hatte einen neuen Pfeil eingelegt, den bleigefütterten Bambusgriff des Schirmes wieder einrasten lassen und verschoß den zweiten Pfeil. Der Anvisierte aber machte im letzten Moment eine kleine seitliche Bewegung und entging so einem Volltreffer. Der Pfeil streifte nur den rechten Hüftknochen des Mannes, der zusammenfuhr und dann entsetzt auf das bunt gefiederte Etwas starrte, das dicht neben ihm im Erdreich gelandet war. Parker kam leider nicht mehr dazu, einen dritten Pfeil zu verschießen. Auch der zweite Mann hechtete förmlich aus der Grube und rannte davon. Es dauerte nur wenige
Sekunden, bis er im dichten Strauchwerk verschwunden war. Parker bedauerte es ungemein, nicht voll getroffen zu haben, doch er machte sich keine Vorwürfe. Er kannte die Wirkung des chemischen Präparates und wußte, daß er die beiden Männer bald wiedersehen würde. Er brauchte schließlich nur ihren Spuren zu folgen. Sicherheitshalber aber blieb er auf dem Hochsitz, denn er wußte nicht, ob es da noch einen dritten »Totengräber« gab, der sich bisher noch nicht hatte sehen lassen. Erst nach einigen Minuten, als sich nichts rührte, stieg Josuah Parker in seiner gemessenen Art vom Hochsitz und näherte sich der Teppichrolle, die seine Reaktion ausgelöst hatte. Er ging davon aus, daß der Mann im Teppich längst tot war und wurde in seiner Vermutung leider bestätigt. Nachdem er die Lederriemen geöffnet hatte, die die Rolle zusammenhielten, schaute er ins Gesicht eines Mannes, der seiner Schätzung nach etwa funfundvierzig war. Um Einzelheiten wollte Parker sich später kümmern, jetzt ging es ihm erst mal um die beiden Männer, die dieses Opfer vergraben wollten. Sie hatten deutlich erkennbare Spuren hinterlassen. Parker brauchte nur ihren Fußtritten zu folgen, die sie im weichen Erdreich verursacht hatten. Diese endeten überraschend auf einem schmalen Waldweg, auf dem frische Spuren von Autoreifen 11
zu sehen waren. Einiges deutete daraufhin, daß dieser Wagen mit durchdrehenden Reifen in Bewegung gesetzt worden war. Den Männern war es also gelungen, ihr Fahrzeug zu erreichen. Die Frage war, wie weit sie wohl gekommen sein mochten. Falls einer der beiden Männer den Wagen fuhr, mußte das Fahrzeug schnell zu finden sein. War es also sinnvoll, den Reifenspuren zu folgen? Oder, so fragte sich Parker, sollte er zu dem Toten zurückgehen? Parker entschied sich für eine Verfolgung, legte den bleigefütterten seines UniversalBambusgriff Regenschirmes über den angewinkelten linken Unterarm, prüfte den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone, entfernte einige Blätter vom schwarzen Covercoat, den er über dem Zweireiher trug, und schritt dann würdevoll den schmalen Weg hinunter. Unnötige Eile war dem Butler fremd. Würde bedeutete ihm viel, sie war ein Teil seines Wesens. Daher haderte Parker auch nicht mit sich, als er den Wagen nicht finden konnte. Der schmale Waldweg mündete nach einigen hundert Metern in eine ausgebaute Waldstraße, die man auf große Entfernung einsehen konnte. Auch hier war der Wagen nicht auszumachen. Es war den beiden ›Totengräbern‹ also doch gelungen, die Flucht zu ergreifen, oder aber gab es noch einen dritten Mann, der
den Wagen gesteuert hatte! Parker kehrte zurück zu Teppichrolle und zur Leiche. Er konnte nur hoffen, daß sie nicht auch inzwischen verschwunden war! * »Eine Leiche?« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »Sehr schön, Mr. Parker. Und wo finde ich sie?« »Wenn Mylady meiner Wenigkeit vielleicht folgen wollen?« Parker hatte seine Herrin mit wenigen Worten informiert. Sie machte bereits einen animierten Eindruck und witterte einen neuen Fall. Die Treibjagd war beendet, und die Jagdgesellschaft hatte sich vor einer Scheune eingefunden, die zu einer Farm gehörte. Die Strecke war nicht besonders üppig ausgefallen, worüber gerade Parker sich insgeheim freute. Den Vierbeinern in Wald und Flur war es also gelungen, sich den mörderischen Nachstellungen zu entziehen. Der Ausrichter der Jagd, Patrick Simmons, lud zu einem Umtrunk und zu einem kleinen sogenannten Schüsseltreiben ein. Treiber und Jäger umstanden zwei Lagerfeuer und löffelten Gulaschsuppe, zu der Brandy gereicht wurde. Die Stimmung war beachtlich. Es fiel nicht weiter auf, daß Parker die Lady geschickt von den übrigen Gästen separiert hatte. 12
»Ist es sehr weit?« erkundigte sich Lady Simpson und brannte darauf die gefüllte Teppichrolle zu inspizieren. »Mylady sollten sich auf einen kleinen Fußmarsch einrichten«, antwortete der Butler. »Ich werde einen Wagen nehmen«, sagte sie energisch, »ich darf keine Zeit verlieren. Übrigens will ich nicht weiter davon reden, daß Sie es nicht geschafft haben, die beiden Subjekte zu stellen, die die Leiche vergraben wollten.« »Mylady sehen meine Wenigkeit dankbar«, behauptete Parker. »Mir wäre so etwas selbstverständlich nie passiert«, redete sie munter und anzüglich weiter, »aber das hängt wohl mit meiner Erfahrung zusammen, Mr. Parker.« »In der Tat, Mylady!« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Er hatte seine Herrin zu dem Geländewagen bugsiert und öffnete die vordere Beifahrertür. Lady Agatha ließ sich überrumpeln und stieg ein. Als Parker um den Wagen ging, entdeckte er den Treiber, der ihm schon mal aufgefallen war. Dieser Mann in Jeans und Parka hatte sich von den übrigen Leuten abgesondert und hielt einen Teller in der Hand. Sein Appetit schien aber nicht besonders groß zu sein. Er beobachtete seinerseits Lady Simpson und den Butler, wandte sich wieder hastig um, als er Parkers Blick bemerkte, fuhr sich mit
der freien Hand über das kurz geschorene Haar und verschwand zwischen den übrigen Treibern. »Was ist denn, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha ungeduldig. »Wenn Mylady meine Wenigkeit für wenige Sekunden entschuldigen wollen?« Parker wartete die Erlaubnis nicht ab, löste sich vom Geländewagen und ging hinüber zu den Treibern, wo der Mann sich aufhalten mußte. Als Parker die Gruppe erreichte, war der Mann mit dem kurz geschorenen Haar nicht mehr zu sehen. Parker ahnte, wo er diesen scheuen Treiber fand und ging zur Scheune, in der einige landwirtschaftliche Geräte standen, die wegen der schlechten Lichtverhältnisse allerdings nur in Umrissen zu erkennen waren. Parker riskierte es, die Tenne zu betreten und… erhielt sofort eine böse Quittung. Auf seiner schwarzen Melone landete ein überaus wuchtiger Schlag, der ihn unwillkürlich in die Knie gehen ließ. Parker verlor jedoch nicht das Bewußtsein, denn die stahlgefütterte Wölbung seiner Kopfbedeckung wirkte wie ein Sturzhelm. Dennoch ließ Parker sich scheinbar haltlos gegen die Innenwand der Scheune fallen und langsam nach unten wegrutschen. Er wollte den Angreifer dazu bringen, sich weiter mit ihm zu befassen. Unter dem Rand der Melone beob13
achtete Parker die nähere Umgebung. Noch rührte sich nichts. Er schien es mit einem mißtrauischen Gegner zu tun zu haben. Dann aber war endlich Bewegung zu erahnen. Neben einem Mähdrescher rührte sich etwas, was nach einer menschlichen Gestalt aussah. Danach löste sich dieses Schemen aus der Deckung und kam mit schnellen Schritten auf den Butler zu. Parker ließ sich auf nichts ein, da er die letzten Absichten des Mannes nicht kannte. Aus seiner Schräglage stach der Butler mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes blitzschnell zu und traf den Solarplexus des Gegners, der einen Kiekslaut ausstieß und dann sofort zusammenbrach. Mit erstaunlicher Leichtigkeit stemmte Parker sich hoch und befaßte sich mit dem Mann, der nach Luft rang, kniete und nicht in der Lage war, auch nur eine Hand zu rühren. »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie Verständnis für meine Reaktion aufbringen werden«, sagte Parker in seiner bekannt höflichen Art und hatte endlich Gelegenheit, die leicht verrutschte Melone wieder in korrekte Lage zu bringen. Parker beugte sich zu dem Treiber hinunter und ließ dabei seine Finger spielen, die zwar in schwarzen Handschuhen steckten, aber ungemein beweglich waren. Ein Kenner hätte bei dieser Gelegenheit feststellen können,
daß Parker die Fingerfertigkeit eines hochklassigen Taschendiebes besaß. Dieser Ausflug seiner Hände lohnte sich durchaus. Parker fand und sicherte eine flache Schußwaffe und ein Springmesser. Danach übereignete er sich auch noch den Ausriß einer Wanderkarte. »Sie müßten inzwischen in der Lage sein, sich wieder zu erheben«, meinte Parker, nachdem er den Mann mit geradezu spielerischer Leichtigkeit hinter das landwirtschaftliche Gerät gezogen hatte, »falls Sie Neigung und Lust verspüren sollten, Widerstand zu leisten, möchte ich Ihnen dringend davon abraten.« »Okay«, antwortete der Mann mit angestrengter Stimme, »ich stecke auf.« »Hoffentlich entspricht dies den Tatsachen«, gab der Butler zurück, »ich würde vorschlagen, durch die Seitentür dort zu gehen. Lady Simpson möchte Sie sicher kennenlernen.« »Sie machen einen Fehler«, hechelte der Mann, der sich vorsichtig die schmerzende Magenpartie rieb, »vergessen Sie mich! Sie werden morgen dafür eine saftige Prämie kassieren können.« »Meine Wenigkeit ist an materiellen Gütern so gut wie gar nicht interessiert«, machte Parker dem Treiber klar, »wenn Sie jetzt freundlicherweise vorausgehen würden?« 14
Der Treiber nickte und setzte sich in Bewegung. Parker ging davon aus, daß der Mann versuchte, das Blatt noch mal zu wenden. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der andere sich in sein Schicksal ergab. Parkers Verdacht bestätigte sich. Plötzlich warf der Treiber sich herum und trat nach Parker. Da der Butler mit solch einem Angriff gerechnet hatte, konnte er dem Tritt mit Leichtigkeit ausweichen. Parker revanchierte sich mit einem gezielten Schlag und setzte den bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirmes auf die Stirn des Treibers, der daraufhin kommentarlos zu Boden sank und die Besinnung verlor. * »Was halte ich von diesem Subjekt, Mr. Parker?« wollte die passionierte Detektivin eine Viertelstunde später wissen. Sie wandte sich zu dem Treiber um, der noch immer benommen war und auf dem Hintersitz saß. Parker hatte dem Mann die Hände gefesselt und dazu Bindegarn benutzt, das er in der Scheune gefunden hatte. »Mylady werden und wollen sich bestimmt noch nicht festlegen«, gab Josuah Parker zurück, »Mylady aber werden schon bald zur Kenntnis nehmen können, daß der Fahrgast mit eindeutig fremdem Akzent
spricht.« »Sehr verdächtig«, urteilte die ältere Dame umgehend, »ein normaler Treiber kann das unmöglich sein.« »Dagegen sprechen allerdings die neuen und mit Sicherheit teuren Wanderschuhe, Mylady. Zudem werden Mylady längst bemerkt haben, daß die Jeans und der Parka ebenfalls neu sein müssen.« »Das fiel mir natürlich sofort auf«, schwindelte Agatha Simpson, die überhaupt nichts bemerkt hatte. »Mylady fragen sich inzwischen, aus welchem Grund dieser Mann sich unter die Treiber gemischt haben könnte.« Während Parker redete, steuerte er den ausgeliehenen Range Rover über die Waldstraße, die er bereits zu Fuß hinter sich gebracht hatte, als er nach den beiden ›Totengräbern‹ Ausschau hielt. »Ich spüre, daß dieses Subjekt Dreck am Stecken hat«, meinte Agatha Simpson, »es wollte natürlich mich umbringen…« »Eine Möglichkeit, Mylady, die man nicht ausschließen sollte.« Parker legte sich keineswegs fest. »Wie lange beabsichtigt dieser Lümmel noch, ohnmächtig zu bleiben?« fragte sie grimmig, »ich hätte Lust, ihn mit ein paar Ohrfeigen zu wecken.« »Dann besteht allerdings die Gefahr, Mylady, daß der Fahrgast 15
erneut in tiefe Ohnmacht fällt«, prophezeite der Butler. »Nun ja, meine Handschrift ist nicht von schlechten Eltern«, lobte sich die ältere Dame kokett, »ich werde also noch einige Minuten warten.« Parker hatte inzwischen den Punkt erreicht, um in den schmalen Waldweg einzubiegen, minderte das Tempo und brachte den Range Rover auf neuen Kurs. Nach einigen Minuten war die Stelle erreicht, von wo aus die »Totengräber« mit dem Wagen davongefahren waren. Parker hatte es tunlichst vermieden, die Reifenspuren des Wagens zu zerstören. »Wenn er jetzt nicht zu sich kommt, werde ich mit meiner Hutnadel nachhelfen«, kündigte Agatha Simpson grollend an und wandte sich zu dem Treiber, der mit einiger Sicherheit keiner war. Während sie redete, zog sie eine der BratspießNadeln aus ihrem neckischen Hutgebilde und beugte sich nach hinten. »Okay, Lady«, sagte der angebliche Treiber plötzlich und öffnete die Augen. »Na also, es geht doch«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest, »und jetzt will ich wissen, wer Sie sind!« »Sie sollten sich einer möglichst schnellen Antwort befleißigen«, warnte Josuah Parker. »Ich bin sehr ungeduldig«, fügte
die Detektivin hinzu. »Ich… ich bin Buchhändler in London«, sagte der angebliche Treiber mit schwacher Stimme, »ich heiße Walter Trenda.« »Sie stammen aus Ungarn, Mr. Trenda?« fragte Parker, der den Akzent inzwischen hatte einordnen können. »Stimmt«, lautete die Antwort, »meine Eltern kommen von dort, aber ich wurde bereits in London geboren.« »Und warum, wenn man fragen darf, schlugen Sie meine Wenigkeit nieder?« »Ich soll Sie niedergeschlagen haben? Da irren Sie sich aber! Ich habe nur mitbekommen, daß man Sie niederschlug, mehr nicht. Aber den Täter habe ich nicht erkannt.« »Ich denke, ich werde mich gleich ärgern«, kündigte die ältere Dame an, »ich hasse es, wenn man mich belügen will.« »Mein Wort darauf, Lady, alles stimmt, was ich gesagt habe!« »Vielleicht sollte man sich zu einem späteren Zeitpunkt noch mal mit diesen Angaben befassen«, schlug Parker vor, um seine Herrin abzulenken, »unter Umständen ist jetzt vielleicht die mehrfach erwähnte Teppichrolle wichtiger.« »Selbstverständlich«, meinte die ältere Dame und sah den Butler streng an, »genau das wollte ich gerade vorschlagen. Oder hatte ich 16
es sogar bereits gesagt? Gehen wir, ich möchte mich überraschen lassen…« »Sie sind eingeladen, sich an der Exkursion zu beteiligen«, sagte Parker zu dem Mann, der ein Buchhändler sein wollte, »etwas Bewegung dürfte Ihrem Kreislauf nicht schaden.« »Wohin soll ich mitgehen?« fragte der Mann mit ungarischem Akzent. »Man wird Ihnen einen Erdaushub zeigen, den man ohne Phantasie als eine Art Grab bezeichnen könnte«, lautete die Antwort des Butlers, »lassen Sie sich von den Ereignissen überraschen!« * »Bekennen Sie Farbe, junger Mann«, forderte Agatha Simpson den angeblichen Buchhändler streng auf und deutete auf den Toten, der auf dem ausgerollten Teppich lag, »ich weiß, daß Sie ihn kennen!« Parker beobachtete den Mann, der den Toten betrachtete. Die Augen des Gefesselten wurden starr, die Lippen preßten sich fest aufeinander. Lady Agatha schien mit ihrer Behauptung ins Schwarze getroffen zu haben. »Ich kenne den Mann nicht«, reagierte Walter Trenda bewegt, »ich habe ihn noch nie gesehen.« Der Tote trug einen Sportanzug aus grobem, teurem Tweed, die
schwarzen Schuhe waren ebenfalls nicht billig gewesen. Zwei Schüsse in den Rücken, aus nächster Nähe abgefeuert, hatten den Tod verursacht. »Wann wurde der Bedauernswerte erschossen?« erkundigte sich die ältere Dame bei ihrem Butler. »Meiner bescheidenen Schätzung nach, Mylady, wurde die Bluttat vor wenigstens zwölf Stunden ausgeführt«, schätzte Josuah Parker, »Mylady sollten diese Zeit aber nicht als verbindlich betrachtete.« »Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es mir nicht an«, sagte sie wegwerfend und widmete sich dann wieder dem Mann, der sich Walter Trenda nannte. »Sie haben ihn erschossen, nicht wahr?« »Ich protestiere«, antwortete Trenda, »ich kenne den Mann gar nicht und verlange, daß. Sie mich endlich freilassen! Sie haben kein Recht, mich wie einen Verbrecher zu behandeln.« »Ich hoffe, Sie beleidigen mich gerade«, meinte Agatha Simpson und rieb ihre Hände, »falls das so ist, werde ich sie nämlich sofort einsetzen.« »Papiere, Mylady, waren nicht zu finden«, lenkte Josuah Parker ab und deutete auf den Toten. »Damit habe ich auch nicht gerechnet«, erklärte die Detektivin, »aber das wird mich nicht daran hindern, diesen Kriminalfall zu lösen, Mr. 17
Parker. Im Grund kenne ich ja bereits den Mörder.« »Ich habe damit nichts zu tun«, sagte Walter Trenda noch mal, »ich verlange, daß Sie die Polizei einschalten.« »Was halte ich davon, Mr. Parker?« Sie sah den Butler abwartend an. »Man wird die Behörden mit letzter Sicherheit ins Vertrauen ziehen müssen«, erwiderte Parker. »Das paßt mir aber gar nicht«, räsonierte Agatha Simpson, »schließlich geht es um meine Person.« »Wie Mylady meinen.« Parker verzichtete auf eine Frage, die sich förmlich aufdrängte. »Dazu später mehr«, redete sie weiter, »ich werde meine Karten noch nicht auf den Tisch legen. Ich denke übrigens, daß man den Toten schnell identifizieren wird. Sehen Sie sich doch die kleine Narbe an der linken Oberlippe an.« »Ein in der Tat unverwechselbares Kennzeichen«, äußerte Josuah Parker, »darüber hinaus dürfte meine Wenigkeit in der Lage sein, die beiden Totengräber wiederzuerkennen.« »Sehr schön.« Agatha Simpson nickte. »Okay, verständigen wir die Polizei, Mr. Parker, ich möchte den offiziellen Ermittlungen nicht im Weg stehen, doch diesen Mr. Trenda, oder wie immer er auch hei-
ßen mag, gebe ich nicht aus der Hand.« »Was soll das heißen?« fragte Walter Trenda nervös. »Mylady sprach gerade eine Einladung aus«, übersetzte Butler Parker, »Sie haben die Ehre und den Vorzug, Myladys Haus in London besuchen zu dürfen.« »Das ist… Das ist ja eine Entführung!« »Da Sie mit diesem Toten nichts zu tun haben, Mr. Trenda, ist und bleibt es eine Einladung.« »Ich verlange, daß Sie mich zur Polizei bringen!« »Sie sind noch ein wenig durcheinander, junger Mann«, fand die Lady mitfühlend, »aber das wird sich im Verlauf der nächsten Stunden bestimmt wieder geben. Im Grund sind Sie ja froh, daß Sie mein Gast sein dürfen. Sie wissen es nur noch nicht!« »Ich will nicht Ihr Gast sein!« Er sah sie wütend an. »Das macht ja nichts.« Sie lächelte mild und verzeihend. »Es wird Ihnen bei mir gefallen. Möglicherweise werde ich Sie sogar auf meine besondere Art verwöhnen.« Agatha Simpson blickte betont auf ihre Hände. »Meine Wenigkeit könnte den Transport nach London übernehmen, Mylady«, regte Josuah Parker an. »Okay ich werde mich mit den 18
Behörden auseinandersetzen, was diesen Toten angeht«, erwiderte Agatha Simpson. »Sie wissen ja, wie gut ich mit der Polizei auskomme.« »Mylady werden wieder mal für ein besonders herzliches Verhältnis sorgen«, gab Parker zurück. In seiner Stimme war keine Spur von Ironie zu erkennen. »Ich weiß«, sagte sie huldvoll, »ich bin die geborene Diplomatin.« »Eine Tatsache, die sich inzwischen herumgesprochen haben dürfte«, behauptete Parker. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. * »Wir sind endlich unter uns«, sagte Walter Trenda, der im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen saß, »kann man sich mit Ihnen mal vernünftig unterhalten?« »Durchaus, Mr. Trenda. Sie haben die Absicht, meiner Wenigkeit einen Vorschlag zu unterbreiten?« »Unterstellen wir mal, daß ich Sie doch niedergeschlagen habe«, redete Trenda weiter, »dafür würde ich Sie entschädigen, ich denke da an eine Art Schmerzensgeld.« Die Unterhaltung erfolgte über die Wechselsprechanlage, mit der Parkers Wagen ausgestattet war. Die Trennscheibe – übrigens schußsicher – war zwischen Fond und Vordersitzen geschlossen. Das ehemalige Londoner Taxi, das nach den eigenwilli-
gen Plänen des Butlers technisch völlig neu gestaltet worden war, bewies wieder mal seinen Nutzeffekt. Trenda hatte keine Möglichkeit, den Fahrgastraum aus eigenem Willen zu verlassen. Die beiden hinteren Türen waren elektrisch verriegelt. »Bevor man sich über ein sogenanntes Schmerzensgeld unterhalten sollte, Mr. Trenda, müßte man wissen, warum Sie meine bescheidene Wenigkeit niederschlugen. Ich gehe davon aus, daß Sie meine Person bereits kannten und kennen.« »Ich würde Ihnen hundert Pfund bieten«, sagte Trenda, ohne auf Parkers Frage einzugehen. »Sie wollen mir noch die Gründe für Ihren Kraftakt nennen«, erinnerte der Butler. »Ich… Ich hatte Sie verwechselt«, log Trenda. »Ihnen war und ist bekannt, wer Mylady und meine Wenigkeit sind«, stellte der Butler höflich ist. »Warum bauschen Sie diesen kleinen Zwischenfall so auf, Mr. Parker?« fragte Walter Trenda. »Weil Sie den Ermordeten kannten«, erwiderte Josuah Parker. »Wie kommen Sie denn darauf?« Trenda beugte sich vor. »Die Starrheit Ihrer Augen verriet Sie, Mr. Trenda«, redete der Butler gelassen und höflich weiter, »zudem preßten Sie Ihre Lippen unwillkürlich aufeinander. Sie waren mehr als peinlich berührt, als Sie den Verbli19
chenen plötzlich vor sich sahen. Sie dürften mit seiner Ermordung nicht gerechnet haben.« »Das reden Sie sich doch ein, Mr. Parker.« Die Behauptung Walter Trendas klang nicht sehr überzeugend. »Sie nahmen offensichtlich an der Treibjagd teil, um den Toten zu treffen«, vermutete Parker. »Was Sie sich da zusammenreimen!« Trenda ließ sich wieder zurücksinken und schloß für einen Moment die Augen. Er wirkte erschöpft. »Diese Treibjagd war mit einiger Sicherheit dazu ausersehen, einen sogenannten Treff wahrzunehmen«, schlußfolgerte Parker weiter. »Sie haben die beiden Totengräber gesehen?« fragte Trenda nach einer Weile. »In der Tat«, lautete die Antwort des Butlers, »meine Wenigkeit könnte sie jederzeit identifizieren.« »Wie sahen die beiden Männer aus?« »Darf man Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie noch immer nicht die Fragen beantworteten, die zu stellen ich mir erlaubte?« »Mann, Sie schlittern da in eine Affäre, die Sie überhaupt nicht überblicken können«, seufzte Trenda. »Mylady liebt solche Affären.« »Diese Affäre kann für Lady Simpson und Sie tödlich sein.« »Sie kennen Myladys Namen,
obwohl meine Wenigkeit ihn bisher nicht nannte?« »Verdammt, lassen wir doch die Spiegelfechterei«, schlug ganze Trenda vor, »kann ich mich auf Ihre Diskretion verlassen?« »Meine Wenigkeit lebt von der Diskretion!« »Werden Sie auch Lady Simpson davon überzeugen können? Ich habe sofort mitbekommen, daß Sie es sind, der die Dinge im Griff hat.« »Sie schmeicheln meiner bescheidenen Wenigkeit.« »Ich sage nur, was ich denke und spüre. Ohne Sie wäre diese Lady Simpson doch erledigt. Sie reden ihr doch nur ein, gut zu sein.« »Sie erlauben, daß meine Wenigkeit nicht weiter zuhört?« »Bringen Sie Lady Simpson, dazu, die Mordgeschichte nicht weiter zu verfolgen. Warum wollen Sie sie in Lebensgefahr bringen? Das lohnt sich doch nicht.« »Sie gaben an, ein Buchhändler zu sein«, erinnerte der Butler. »Das stimmt auch. Ich habe eine Buchhandlung in der City. Sie können das jederzeit nachprüfen. Ich bin auf internationale Literatur spezialisiert und führe jede wichtige ausländische Zeitung.« »Handelt es sich um ein sogenanntes Tarnunternehmen, Mr. Trenda?« »Sie kommen der Sache ziemlich nahe, Mr. Parker, Sie schalten sehr schnell. Also gut, ich werde Ihnen 20
einen Tip geben: Ich arbeite für den britischen Geheimdienst!« »Was sich sicher beweisen läßt, Mr. Trenda.« »Natürlich, Mr. Parker, das ist eine Kleinigkeit. Und der Tote war ein Kurier, mit dem ich mich hier draußen auf dem Land treffen wollte. Er hatte wichtige Unterlagen aus dem Ostblock bei sich und wollte sie mir übergeben.« »Eine Geschichte, Mr. Trenda, die an einen Spionageroman erinnert, wenn man so sagen darf.« »Sie hat den Vorzug, in allen Einzelheiten zu stimmen. Sie können das nachprüfen, ich werde Ihnen die Möglichkeit dazu verschaffen. Halten Sie an der nächsten Telefonzelle und rufen Sie eine bestimmte Nummer an! Im Interesse unseres Landes werden Sie das tun müssen!« * Lady Agatha befand sich im Landhaus des Sir Patrick Simmons und beabsichtigte, wenn auch schweren Herzens, die örtliche Polizei anzurufen. Im nachhinein bedauerte sie es, Parker dies zugesagt zu haben. Sie wollte sich diesen aufregenden Fall nicht aus der Hand nehmen lassen. Mehr denn je glaubte sie, daß es um ihre Person ging. Mit der Unterwelt hatte sie schließlich fast ununterbrochen Ärger. Sie mischte sich mit Vorliebe in Dinge, die sie im Grund
nichts angingen. Sie fühlte sich allerdings als Anwältin der Hilflosen und nutzte jede Gelegenheit, sich für sie einzusetzen. Agatha Simpson hatte die große Halle des Landhauses passiert und begab sich in die Bibliothek, um von dort aus die Polizei anzurufen. Als sie den Hörer in die Hand nahm, zögerte sie, die Nummer anzurufen, und war geradezu erleichtert, als dann plötzlich, die Tür geöffnet wurde und ein Angestellter des Hauses erschien. »Lassen Sie sich nicht stören, junger Mann«, empfahl die Detektivin ihm in einer erstaunlich freundlichen Art, die eigentlich nicht so recht zu ihr paßte. »Tu’ ich auch nicht«, sagte der Angestellte und… ließ Agatha Simpson in die Mündung einer Faustfeuerwaffe blicken. Es handelte sich um eine Automatik beachtlichen Kalibers, auf die ein moderner Schalldämpfer montiert war. »Was soll das?« fragte die Lady erleichtert. Sie wußte bereits jetzt, daß man sie daran hindern wollte, den Anruf zu tätigen. »Sie können sich ‘ne blaue Bohne einfangen«, sagte der Mann, der etwa dreißig Jahre zählte, »Sie brauchen nur Zicken zu machen.« »Was stellen Sie sich darunter vor?« erkundigte sich die ältere Dame. »Wenn Sie schreien, zum Beispiel.« 21
»Sie glauben doch hoffentlich nicht im Ernst, daß eine Lady Simpson schreit«, wunderte sie sich, »Sie gehören zu diesen Subjekten, die den Toten verscharren wollten, nicht wahr?« »Gehöre ich!« Der junge Mann nickte, »kommen Sie, Lady, hauen wir ab! Auf der Rückseite steht mein Wagen.« »Sie wollen mich entführen, junger Mann?« Ihre Augen blitzten. »So ungefähr, ich will Sie nur zu ‘ner kleinen Unterhaltung einladen. Das is’ schon alles. Sie gehen vor… Und noch mal: keine Zicken, sonst sind Sie hin!« »Ich weiche der Gewalt«, verkündete die ältere Dame und langte nach ihrem perlenbestickten Pompadour, der auf dem kleinen Beistelltisch lag. Der junge Mann hatte nichts dagegen und grinste abfällig. Er hielt diesen altertümlich aussehenden Handbeutel mit Sicherheit für harmlos. Lady Agatha setzte sich in Bewegung und wurde von dem jungen Mann zu einer Seitentür dirigiert, die sie öffnen mußte. Die resolute Dame betrat eine steinerne Wendeltreppe und mußte nach unten in Richtung Souterrain gehen. Der junge Mann blieb ihr dicht auf den Fersen und übersah die Schwingung des Pompadours. »Draußen steht mein Wagen«, sagte der junge Mann, der es plötzlich eilig hatte, »Sie setzen sich ans
Steuer und spielen nicht verrückt. Können Sie überhaupt fahren?« »Einigermaßen«, lautete Agatha Simpsons Antwort, »ich habe allerdings Ärger mit den Kupplungen.« »Der Wagen hat nur eine«, sagte der junge Mann, der keineswegs die Absicht hatte, witzig zu sein. »Tatsächlich?« wunderte sich Agatha Simpson. Im Gegensatz zu dem jungen Mann war Ironie in ihrer Stimme. Sie überlegte, ob sie ihren Pompadour einsetzen sollte, unterließ es dann jedoch. Sie witterte eine Möglichkeit, Kontakt mit jenen Gangstern aufnehmen zu können, die ihrer Ansicht nach ausschließlich hinter ihr her waren. Die ältere Dame hatte inzwischen das Souterrain erreicht und stieß die schmale Seitentür auf. Sie prallte fast gegen einen der Geländewagen, die die Teilnehmer an der Treibjagd ins Gelände befördert hatten. Lady Agatha setzte sich ans Steuer des Wagens und wartete erstaunlich geduldig, bis der junge Mann sich in die Rückpolster drückte. Doch dies war erst der Anfang. Der Gangster hatte keine Ahnung, was noch auf ihn zukam, sonst hätte er sich wohl rechtzeitig in Sicherheit gebracht. * »Nun? Haben Sie angerufen?« fragte Walter Trenda, als Josuah Parker zum Wagen zurückkehrte. 22
»Die Verbindung kam sofort zustande«, antwortete der Butler, »es meldete sich ein gewisser Mr. James Alanford.« »Er hat das bestätigt, was ich Ihnen sagte, nicht wahr?« »Bis in alle Einzelheiten, Mr. Trenda«, redete Josuah Parker weiter, »Mr. James Alanford schlägt vor, sich in London zu treffen, um letzte Zweifel aus dem Weg zu räumen.« »Das ist gut«, meinte Walter Trenda, der nun Agent des britischen Geheimdienstes sein wollte, »und wo werden wir uns treffen, Mr. Parker?« »Meine Wenigkeit schlug Ihre Buchhandlung vor, Mr. Trenda.« »Bestens«, lobte Trenda und lehnte sich zufrieden zurück, »ich denke, jetzt werden wir alles noch hinbekommen. Übrigens, Mr. Parker, diesen Niederschlag in der Scheune sollten Sie wirklich entschuldigen. Er geht tatsächlich auf mein Konto.« »Welche Gründe hatten Sie, meine Wenigkeit außer Gefecht zu setzen, wenn ich mich mal so volkstümlich ausdrücken darf?« »Weil Sie mich fixiert und beobachtet hatten, Mr. Parker. So einfach ist das! Ich hatte Angst, Sie könnten sich zu intensiv mit mir befassen. Wäre es so gekommen, hätten Agenten der anderen Seite auf mich aufmerksam werden können. Das mußte ich unter allen Umständen vermeiden.«
»Eine Interpretation, die man nur als bemerkenswert bezeichnen kann, Mr. Trenda.« »Sie glauben mir doch, oder?« »Bestehen Sie nicht unbedingt darauf«, antwortete der Butler höflich, »meine Wenigkeit geht aber davon aus, daß Mr. James Alanford Ihre Erklärung bestätigen wird. Könnten Sie mir vielleicht bereits jetzt sagen, wie der ermordete Kurier heißt?« »Es sollte aber unter uns bleiben, Mr. Parker.« »Sie können sich auf meine unbedingte Diskretion verlassen.« »Der Kurier heißt Peter Fennebran.« »Und er kam, wenn man weiter fragen darf, aus welchem östlichen Land?« »Aus Südosteuropa, mehr darf ich dazu nicht sagen, Mr. Parker. Bitte, haben Sie Verständnis dafür.« »Nun werden Sie sich gewiß Sorgen wegen des Kuriergepäcks machen, wie man vermuten darf.« »Kuriergepäck, Mr. Parker?« »Mr. Peter Fennebran wollte Ihnen doch eine gewisse Post übergeben.« »Richtig, jetzt verstehe ich erst, was Sie meinten, Mr. Parker. Ja, diese Post ist verschwunden. Oder sollten Sie sie vielleicht gefunden haben?« »Wie könnte meine bescheidene Wenigkeit an solche Unterlagen herangekommen sein?« Während Parker diese Frage stellte, steuerte er 23
sein hochbeiniges Monstrum über die gut ausgebaute Fernstraße in Richtung London. Der Butler vergewisserte sich immer wieder, ob man ihm folgte. Er rechnete mit unangenehmen Überraschungen. »Wissen Sie, Mr. Parker, ich könnte mir vorstellen, daß Sie die beiden Männer ausgeschaltet haben, bevor sie den Kurier eingraben konnten. Und diese beiden Totengräber, wie die Lady sagte, müssen doch die Unterlagen bei sich gehabt haben.« »Eine interessante Schlußfolgerung, Mr. Trenda.« »Falls Sie die Kurierpost haben, Mr. Parker, sollten Sie sie an meinen Agentenführer weiterreichen.« »Sie sprechen jetzt von Mr. Peter Fennebran?« »Das ist mein Agentenführer«, bestätigte Trenda, »die besagte Kurierpost ist von allergrößter Wichtigkeit. Sie hat mit der Sicherheit unseres Landes unmittelbar zu tun.« »Davon geht meine Wenigkeit grundsätzlich aus, Mr. Trenda. Warum, so erhebt sich bei einem Laien wie mir die Frage, warum sollte die Übergabe dieser Kurierpost ausgerechnet auf dem sogenannten flachen Land geschehen?« »Aus Sicherheitsgründen«, erwiderte Trenda, »unser Kurier…« »… Mr. Peter Fennebran?« »… Peter Fennebran«, wiederholte Trenda den Namen, »er wurde ver-
folgt und quer durch den Kontinent gehetzt. Sie haben ja keine Ahnung, Mr. Parker, wie hartnäckig, gerissen und gefährlich die Gegenagenten sind.« »Zudem sollte wohl Ihre Identität gewahrt bleiben, Mr. Trenda.« »Richtig, Mr. Parker. Darum hatte ich mich ja auch unter die Treiber gemischt.« »Dennoch dürften die Agenten der Gegenseite etwas gemerkt haben«, stellte Josuah Parker fest, »falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, wird man seit etwa zwanzig Minuten verfolgt. Es handelt sich um einen Morris, in dem zwei Personen sitzen. Nein, Mr. Trenda, Sie sollten sich nicht umwenden und die Verfolger unnötig warnen. Noch dürfte nicht mit scharfen Schüssen zu rechnen sein!« * Lady Agatha fühlte sich äußerst wohl. Nun hatte sie doch endlich mal die Gelegenheit, die Geländegängigkeit des Wagens zu testen. Sie schien die Anwesenheit des jungen Beifahrers völlig vergessen zu haben. Die ältere Dame hatte sich bisher zwar an die knappen Anweisungen des Begleiters gehalten, doch nun strich sie ihn aus ihrem Gedächtnis. Sie visierte eine Bodenwelle an und verließ die schmale Straße. 24
»Was ist denn?« Der Beifahrer richtete sich auf und starrte dann entsetzt auf die ältere Dame, die den Geländewagen bereits durch den Straßengraben jagte. Der Gangster, der seine Waffe auf Lady Agatha richten wollte, beging den Kardinalfehler, sich nicht abzustemmen und festzuhalten. Der Wagen hüpfte wie ein munterer Ziegenbock durch den Graben und brachte den jungen Mann dazu, sich mit dem Kopf am Wagendach abzufangen. Der so Behandelte stieß einen erstickten Schrei aus und wurde zusammengestaucht, bevor er sich abfedern konnte. Um einige Zentimeter kleiner landete er wieder auf seiner Sitzfläche und machte einen benommenen Eindruck. Lady Agathas Augen funkelten. Sie fühlte sich in ihrem Element. Ihr Augenmerk richtete sich auf die Bodenwelle. Sie gab Vollgas und freute sich bereits im vorhinein auf den Weitsprung, den sie zu absolvieren gedachte. Myladys Fahrgast freute sich weniger, als die Landung absolviert worden war. Der junge Mann krachte erneut mit dem Kopf gegen das Wagendach und zog sich eine weitere ansehnliche Beule zu. Dann stauchte es ihn noch mal auf dem Fahrersitz ein. Er fiel mit der Stirn gegen die Windschutzscheibe und gab quiekende Laute von sich. »Was ist denn, Junge?« erkundigte sich die ältere Dame munter. »Prä-
gen Sie sich für die Zukunft ein: Hindernisse muß man mit Vollgas nehmen! Nur so überwindet man sie und bleibt nicht stecken.« Während die resolute Fahrerin diese Weisheit von sich gab, hielt sie bereits auf das nächste Hindernis zu, das sich in Form eines kleinen Steilhanges anbot. Lady Agatha gab erneut Vollgas und preschte mit dem Geländewagen durch die tiefe Sandspur, ließ die Räder durchdrehen, den Sand spritzen und nahm so gut wie gar nicht zur Kenntnis, daß der Wagen sich bedrohlich auf die Seite legte. »Wir kippen um… Hiiilfe!« Der Gangster war bereits völlig entnervt und schickte insgeheim einige Stoßgebete zum Himmel. Agatha Simpson maß den Entnervten abfällig und mit eisigem Blick und verbat sich weitere Hilferufe. »Zweifeln Sie etwa an meiner Fahrkunst?« fragte sie dann grollend. Der Wagen hatte inzwischen endgültig den Steilhang genommen und zögerte, sich wieder nach unten wegrollen zu lassen. Lady Agatha prüfte den Abhang kritisch und gab wieder Vollgas. »Nein… Nein«, stammelte der Gangster und schloß die Augen, »das haut nicht hin… Wir werden uns überschlagen.« »Reißen Sie sich gefälligst zusammen«, donnerte die Lady aufgebracht, »Sie stören mich in meiner 25
Konzentration!« Sie kniff die Augen zusammen und genoß die wildverwegene Abfahrt. Ihr Mitfahrer hatte sich klein gemacht, klammerte sich an allem fest, was einen Halt versprach, und stemmte sich mit den Füßen gegen das Trennblech zwischen Motor und Fahrgastraum. »Ich werde jetzt zeigen, wie man Wasserlöcher durchfährt«, kündigte Agatha Simpson an, »hören Sie mir überhaupt zu, junger Mann?« »Reden Sie nicht, halten Sie! Bitte!« Der Gangster litt längst für alle kleinen und großen Gaunereien, die er bisher begangen hatte. Er starrte auf eine teichähnliche Pfütze, die eindeutig in einen Sumpf überging. »Ist das denn nicht der Weg, den Sie einer alten und hilflosen Frau aufgezwungen haben?« fragte Lady Agatha genußvoll und jagte den Geländewagen in das Wasser. Es spritzte an beiden Seiten fontänenartig hoch. »Wir werden im Sumpf landen«, brüllte der junge Mann. »Okay, dann steigen Sie aus!« Agatha Simpson hielt jäh, worauf der junge Mann sich eine weitere Beule einhandelte. Er nutzte jedoch seine Chance, drückte die Wagentür auf und hechtete nach draußen. Das Wasser spritzte auf und schlug dann über ihm zusammen. Als er sich endlich mühsam aufgerichtet hatte, reichte die lehmige Brühe bis an sei-
nen Bauchnabel und schäumte bedrohlich um ihn herum. »Jetzt die Adresse, wohin Sie mich bringen sollten, Sie Lümmel«, verlangte die Detektivin zu wissen, »wenn Sie nicht sofort antworten, werde ich Sie überrollen und dabei noch nicht mal Gewissensbisse haben!« Sie hatte den Rückwärtsgang eingelegt, und die vier Räder schoben den schweren Wagen zurück. Lady Agatha richtete den breiten Kühler auf den Gangster, der die Flucht ergreifen wollte, schaltete um auf Vorwärtsgang und ließ den Vierradantrieb erneut arbeiten. Der Geländewagen nahm sofort Fahrt auf und schob sich an den Flüchtenden heran. Der junge Mann hörte den Motor, drehte sich um und warf dann hilfesuchend beide Arme hoch. Er rief Lady Agatha etwas zu, was sie allerdings nicht verstand. Als sie den jungen Mann fast erreicht hatte, kuppelte sie kurz aus. »Die Adresse und den Namen des Subjekts, das mich sprechen will«, forderte sie von dem Burschen, »beeilen Sie sich, ich bin eine ungeduldige Frau!« Der Gangster wurde zu einem Schnellredner… * Josuah Parker kam den Verfolgern
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freundlich entgegen. Um die Verkehrsteilnehmer auf der breiten Schnellstraße nicht zu gefährden, lenkte er sein hochbeiniges Monstrum nach links in eine Seitenstraße, die einen durchaus stillen und kaum benutzten Eindruck machte. Sie führte auf ein Waldstück zu. »Jetzt haben Sie sich selbst ‘ne Schlinge um den Hals gelegt«, meinte Walter Trenda nervös. »Könnte es sich um Mitarbeiter Ihres Amtes handeln?« erkundigte Parker sich. »Kaum«, erwiderte Trenda, »ich bin allein geschickt worden, aber es könnten feindliche Agenten sein, Mr. Parker. Hören Sie, können Sie nicht wenigstens etwas schneller fahren?« »Sie möchten nicht in Erfahrung bringen, wer Ihnen und meiner Wenigkeit nachstellt?« wunderte sich der Butler. »Ich habe was gegen scharfe Schüsse«, erwiderte Trenda über die Wechselsprechanlage, »hören Sie, Mr. Parker, was passiert, falls es Sie erwischt? Wie komme ich hier aus dem Wagen?« »Eine Frage, die man nur als ausgesprochen gut bezeichnen kann«, schickte Parker voraus, »die Scheiben bestehen aus schußsicherem Glas und dürften mit Sicherheit nicht einzuschlagen sein.« »Und wenn der Wagen in Flam-
men aufgeht?« »Dies ist eigentlich bisher noch nie passiert, Mr. Trenda. Woher kennen Sie übrigens Mylady und meine Wenigkeit? Falls ich danach schon mal gefragt haben sollte, bitte ich mir vergeben zu wollen.« »Mein Agentenführer hat mich gerade auf Sie und die Lady aufmerksam gemacht.« »Sie reden jetzt von Mr. James Alanford, nicht wahr?« »Den Mann, den Sie eben angerufen haben«, bestätigte Trenda und nickte. Dabei wandte er sich halb um und spähte durch das Rückfenster nach hinten, »Mr. Parker, der Morris holt auf.« »Wogegen nichts einzuwenden ist, Mr. Trenda. Warum wurden Sie auf Lady Simpson und meine Person hingewiesen?« »Alanford sagte, Sie und die Lady wären eine Art Amateurdetektive. Sie wurden genau beschrieben. Und als ich Sie dann sah, als ich merkte, wie Sie mich fixierten, hatte ich einfach Angst, Sie könnten alles durch Übereifer vermasseln. Aber das erklärte ich Ihnen doch schon.« »Man hört es immer wieder gern, Mr. Trenda«, lautete Parkers gemessene Antwort, »übrigens scheinen die Verfolger jetzt aktiv werden zu wollen. Man ist weit genug entfernt von der Hauptstraße.« Parkers Prognose erwies sich als richtig. 27
Der Morris schob sich schnell ans Heck des hochbeinigen Monstrums heran. Walter Trenda, der Agent des britischen Geheimdienstes sein sollte, machte sich klein und rückte sich in die rechte Wagenecke. Er hatte eindeutig Angst vor Geschossen, mit denen er rechnete. Butler Parker behielt das verfolgende Fahrzeug genau im Auge. In dem Augenblick, als der Beifahrer sich streckte, betätigte Parker einen versteckt angebrachten Hebel. Die Wirkung war frappierend! Unter der hinteren Stoßstange des ehemaligen Londoner Taxis schossen pechschwarze Nebelwolken hervor, die in Sekunden alles einnebelten. »Was… Was war denn das?« fragte Trenda überrascht und richtete sich wieder auf. »Eine kleine Nebelwand aus sehr fettigem Ruß«, erwiderte der Butler, »bestehen Sie nicht darauf, Mr. Trenda, daß ich Ihnen die genaue Zusammensetzung verrate.« »Nichts mehr zu sehen! Das ist unglaublich! So was habe ich noch nie erlebt…« »Sehen Sie den Morris noch, Mr. Trenda?« »Nichts, rein gar nichts! Der Fahrer muß total entnervt worden sein!« »Er hat wahrscheinlich einen leichten Unfall erlitten, was den Wagen betrifft«, antwortete der Butler. »Ihr Agentenführer wird noch ein wenig
warten müssen, Mr. Trenda. Es dürfte zweckmäßig sein, erst mal Ausschau nach dem Wagen der Marke Morris zu halten.« * Er hing in gefährlicher Schräglage in einem relativ tiefen Straßengraben. Der Kühler hatte innigen Kontakt mit einer niedrigen Steinmauer und produzierte Wasserdampf. Parker schloß daraus, daß der Kühler mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einigen Schaden erlitten hatte. Die Frontscheibe des Morris war pechschwarz und machte einen klebrigen Eindruck. Sie war überdies zersplittert und ausgebeult. Parker, der neben dem Fahrzeug stand, hörte im Wageninnern intensives Fluchen. Es dauerte jedoch noch eine Weile, bis der Beifahrer endlich die eingebeulte Wagentür aufbekam und vorsichtig ausstieg. »Darf man sich erlauben, Ihnen bescheidene Hilfe anzubieten?« erkundigte sich der Butler und setzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes auf die Stirn des Mannes. Der Getroffene verdrehte die Augen, lächelte ein wenig töricht und nahm dann neben dem Wagen Platz. Dabei rutschte die Schußwaffe aus seiner Hand. Es handelte sich um eine Automatik großen Kalibers. 28
Der Fahrer des Morris hatte nichts bemerkt. Fluchend schob nun auch er sich nach draußen und trat dabei auf die Schulter seines Beifahrers. Er rutschte ab und taumelte danach auf den Butler zu, der seinen Schirmgriff diesmal nicht einzusetzen brauchte. Der Fahrer war unbewaffnet, er schien sogar die rechte Hand verstaucht zu haben. Sie hing ein wenig nutzlos an seinem Körper. »Auch Ihnen gilt mein Gruß«, sagte Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone, »offensichtlich sind Sie vom geraden Weg abgekommen.« »Was ist mit ihm?« Der Mann deutete auf seinen Beifahrer, der flach auf dem Boden lag. »Man scheint eine Ruhepause eingelegt zu haben«, antwortet der Butler, »wie ist das werte Befinden, was Sie betrifft?« »Verdammt, Sie haben uns ganz schön geleimt«, beschwerte sich der Mann wütend, »das mit der schwarzen Wolke war’n gemeiner Trick.« »Man wird sich mit dem Auspuff meines bescheidenen und betagten Wagens befassen müssen«, erwiderte Parker, »Sie hatten die Absicht, auf meine Wenigkeit zu schießen?« »Wie… Wie kommen Sie denn darauf?« Der Mann schien erstaunt. »Ihr Beifahrer zeigte mir eine Waffe, deren Gefährlichkeit nicht in Abrede gestellt werden kann.« »Er glaubte wohl an ‘nen
Überfall.« Der Fahrer blickte auf die Waffe, auf die Parkers Regenschirmspitze zeigte. »Es ist vielleicht angebracht, die Polizei zu verständigen«, schlug Josuah Parker vor, »zudem müßte Ihr Wagen abgeschleppt werden.« »Nu’ mal langsam«, erwiderte der Mann hastig, »wir wollen doch nichts an die große Glocke hängen, wie?« »Sie haben unter Umständen die Absicht, mit einem anderen Vorschlag zu dienen?« »Hören Sie, regeln wir das unter uns, klar? Sie könnten uns ja nach London mitnehmen. Was halten Sie davon? Falls Sie einverstanden sind, ist die Sache damit für uns erledigt.« »Geht daraus hervor, daß der Morris gestohlen wurde?« »Mann, wie kommen Sie denn darauf? Sie haben ‘ne tolle Phantasie! Nee, ich lasse den Schlitten später von meiner Werkstatt abholen. Sie brauchen uns nur nach London zu bringen.« »Galt die Verfolgung meiner Wenigkeit? Oder legen Sie gesteigerten Wert auf meinen Mitfahrer?« »Wer sind Sie?« Der Fahrer des Morris sah den Butler aufmerksam an. Seine linke Hand schob sich langsam nach unten. Eine Sekunde später bückte sich der Mann blitzschnell und langte nach der herrenlosen Automatik. Parkers linke Schuhspitze aber war 29
wesentlich schneller. Sie kickte die Schußwaffe einen halben Meter zur Seite, und der Fahrer griff ins Leere. Er wollte dennoch nicht aufgeben und seinen Kopf in Parkers Unterleib rammen. Doch er erlebte eine peinliche Überraschung, denn der Butler bewegte sich gewandt zur Seite und legte den Bambusgriff auf den Hinterkopf des Mannes, der sofort zusammenbrach und sich quer über seinen Beifahrer legte, der gerade vorsichtig aufstehen wollte. »Schütteln Sie Ihren Fahrer ab«, riet der Butler, »es wird sich meiner bescheidenen Ansicht nach ohne Schwierigkeiten bewerkstelligen lassen. Danach möchte ich einige Worte mit Ihnen wechseln, die sich auf Ihren Auftraggeber beziehen.« »Auftraggeber?« Der Beifahrer brauchte einige Zeit, bis er sich endlich aufrichten konnte. Er starrte den Butler irritiert an, wußte aber mit dem höflichen und beherrschten Mann nichts anzufangen. »Sie werden meinem betagten Wagen ja nicht gerade aus Langeweile gefolgt sein«, meinte Parker, »möglicherweise waren und sind Sie an meinem Fahrgast interessiert. Über ihn könnte man reden.« »Rücken Sie ihn raus«, sagte der Mann, »rücken Sie ihn raus und vergessen Sie, was passiert ist!« »Könnte man freundlicherweise erfahren, warum Sie sich so hartnäckig für ihn interessieren?«
»Es geht da um ‘ne persönliche Sache«, äußerte er, »man hat uns ein paar Dinge geklaut, die wir zurückhaben wollen. Das is’ schon alles.« »Ein Stichwort dazu würde meiner bereits..« Wenigkeit »Vereinsgelder«, lautete die für Parker überraschende Antwort, »dieser Dreckskerl hat wenigstens fünftausend Pfund abgesahnt. Und die wollen wir wieder zurückhaben.« »Sie provozieren die nächste Frage«, schickte Josuah Parker in seiner höflichen Art voraus, »um welch einen Verein handelt es sich?« »Mann, was wollen Sie denn noch alles wissen?« Der Beifahrer sah Parker wütend an. »Halten Sie sich lieber aus der Sache raus!« »Meine Neugier übersteigt das normale Maß«, erklärte der Butler. »Okay, wir sind ein Sparverein«, reagierte der Mann widerwillig, »reicht das endlich? Kommen Sie, rücken Sie mit dem Kerl raus, der in Ihrem Schlitten ist. Damit ist dann für Sie alles gelaufen.« »Ihr Einverständnis voraussetzend, werde ich Sie mit meinem Fahrgast zusammenbringen«, schlug Josuah Parker vor, »auf diese Art werden Sie Gelegenheit haben, London komplikationslos zu erreichen.« »Zusammenbringen? Was soll das heißen?« »Meine Wenigkeit bietet Ihnen die kostenlose Mitfahrt an.« »Nee, lassen Sie, ich komme auch 30
so zurecht. Außerdem kann ich meinen Freund ja hier nicht rumliegen lassen.« »Er wird in kürzester Zeit wieder zu sich kommen«, beruhigte Parker den Mann, »ich möchte meine Einladung hiermit wiederholen. Ich gehe davon aus, daß Sie ihr folgen werden.« Der Beifahrer musterte den Butler und kam schnall zu der Erkenntnis, daß ihm keine andere Wahl blieb. Parker strahlte Autorität aus, der er sich nicht entziehen konnte. Der Mann senkte den Kopf, schielte noch mal sehnsüchtig nach der Schußwaffe, seufzte und setzte sich dann in Bewegung. Josuah Parker folgte dem Beifahrer und ließ ihn wenig später in den Fahrgastraum seines hochbeinigen Monstrums steigen. Trenda und der Beifahrer sahen sich stumm an, sie schienen sich noch nie gesehen zu haben. Parker hoffte, daß sie im Lauf der Weiterfahrt noch einige Worte oder sogar Sätze tauschten. Er rechnete jedoch nicht mit Überraschungen. * Lady Agatha musterte den jungen Kerl, der zum Schnellredner geworden war. Er hockte auf einer winzigen Insel inmitten der trüben Brühe und wurde wohl von einer Baumwurzel gehalten. Der Mann machte
einen erschöpften und ängstlichen Eindruck. Er war von der älteren Dame noch tiefer in Richtung Sumpf gedrängt worden und hatte sicher nicht den Mut, so ohne weiteres dieses rettende Eiland wieder zu verlassen. »Ich werde zurückkommen, mein Junge, falls die Adresse nicht stimmt«, rief Lady Agatha ihm zu, »und dann dürfte ich ärgerlich sein. Sie können sich noch korrigieren.« »Ich hab’ gesagt, was ich weiß«, antwortete der Gangster kleinlaut, »mehr hab’ ich nich’ auf Lager.« »Nun gut.« Agatha Simpson befaßte sich wieder mit dem Getriebe des Geländewagens und malträtierte den Motor. Es dauerte eine Weile, bis die Räder faßten und den Wagen langsam aus der zähen Masse schoben. Die Detektivin verzichtete auf jedes Feingefühl, was das Gasgeben betraf. Sie setzte auf Kraft und schaffte es tatsächlich, den Geländewagen wieder auf festen Boden zu bringen. Hier hielt sie noch mal kurz und warf einen Blick auf den Mann, der sie hatte entführen wollen. Der Gangster saß bis zu den Hüften fest und schien sich vorerst mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Lady Agatha war im Grund mehr als nur zufrieden, daß Josuah Parker sich auf dem Weg nach London befand. Sie war allein und konnte endlich unter Beweis stellen, wie gut 31
sie als Detektivin war. Sie hatte vor, es Mr. Parker mal gründlich zu zeigen. Sie brannte förmlich darauf, ihm diesen abgeschlossenen Fall zu präsentieren und war fest entschlossen, jenen Hinweisen zu folgen, die der junge Mann gerade geliefert hatte. Sie hoffte, dort die beiden sogenannten Totengräber zu finden, die von Parker beobachtet worden waren. Danach war immer noch Zeit, die Polizei zu verständigen. Ihr Ziel war eine kleine Farm, deren Lage der Mann genau beschrieben hatte. Lady Agatha steuerte den Geländewagen über die schmale Straße und hielt auf ein parkähnliches Wiesengelände zu, an das sich ein Waldstück anschloß. Der Wagen hatte inzwischen eine Art Tarnfarbe angenommen. Das tiefe Eintauchen in die Schlammbrühe hatte den Lack mit brauner Farbe überzogen, die teilweise bereits trocknete. Nach den Aussagen des jungen Mannes, der sich auf seinem Eiland langweilte, befanden sich zwei Männer im Farmhaus, die auf Lady Simpson warteten. Die ältere Dame hatte sich vorgenommen, die beiden Subjekte völlig zu überraschen. Sie wollte so schnell wie möglich an das Farmhaus heran, scharf bremsen und dann das Haus im Sturm nehmen. Die beiden Wartenden durften keine Gelegenheit haben, nach ihren Waffen zu greifen. Die Lady kannte diese Taktik von
Parker und wollte ihn darin übertrumpfen. Sie hielt sich für eine perfekte Fahrerin, die die Technik unter Kontrolle hatte. Als sie das Waldstück erreichte, hielt sie kurz und nahm Maß. Sie konnte die Farm deutlich ausmachen. Diese lag in einer weiten Talsenke. Eine schmale Zufahrtsstraße führte direkt zum Haus hin, an das sich eine Feldscheune anschloß. Das Steinhaus schien unbewohnt. Lady Agatha rückte sich auf dem Fahrersitz zurecht, räusperte sich und visierte das Ziel an. Anschließend knallte sie förmlich die Gänge ins Getriebe und jagte los. Der schwere Geländewagen wurde unter ihrer eigenwilligen Regie munter, der Motor sang in den höchsten Touren. Lady Simpsons Lippen umspielte bereits jetzt ein triumphierendes Lächeln. Sie war bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Und auch mit einem Gatter… Dieses Gatter, das zu einem Zaun gehörte, hatte die ältere Dame nämlich großzügig übersehen. Es war geschlossen und stellte ein Hindernis dar, das erst mal genommen werden mußte. Es sah recht solide aus, bestand aus Rundhölzern und Brettern und versperrte den Weg zum Farmhaus. Lady Agatha dachte nicht im Traum daran, die Fahrt des Geländewagens zu mindern. Ja, das Gegenteil schien sogar der Fall zu sein. Sie 32
witterte erneut eine Möglichkeit, die Solidität dieses Wagens zu testen. Und sie tat es! Freudig funkelten ihre Augen, als das Gatter immer größer und massiver wurde. Sekunden später krachte die Stoßstange mit der aufgesetzten Gitterrohrkonstruktion gegen das Gatter und ließ die einzelnen Bestandteile durch die Luft sausen. Als sie zu Boden flatterten, war Lady Agatha bereits nahe am Farmhaus und visierte den Eingang an. Sie hatte schon verschiedentlich erlebt, wie ihr Butler in solch einer Situation sich verhielt. Parker bremste stets knapp vor dem Ziel, riß das Steuer herum und ließ das Heck der fahrbaren Untersätze seitlich ausbrechen. Die leidenschaftliche Detektivin wollte natürlich besser sein als Parker und trat erheblich spät aufs Bremspedal. Es gelang ihr auch nicht so recht, das Lenkrad blitzschnell zu bewegen. Der schwere Geländewagen knallte mit viel Schwung gegen die schwere, solide aussehende Tür des Farmhauses und drückte sie nachhaltig nach innen. Dabei zersplitterte sie und wurde samt Rahmen aus der Halterung gerissen. Eine Wolke aus Staub und Mörtel wallte auf und nahm Mylady die Sicht. Was sie aber keineswegs störte. Da der Wagen zwangsläufig aufgehalten worden war, konnte sie nun aus-
steigen, rückte sich den neckischen Hut zurecht und stürmte das Haus. Und die Lady war überhaupt nicht überrascht, zwei Männer zu sehen, die einen verständlicherweise recht irritierten Eindruck machten. »Sie wollten mich sprechen«, sagte die Sechzigerin mit weithin tragender Stimme, »hier wäre ich! Also, ich höre! Genieren Sie sich nicht!« * Sie wechselten nicht mal einen Gruß. Walter Trenda, der Buchhändler und Agent des britischen Geheimdienstes, hatte sich in die rechte Ecke des Fond geschoben und starrte beharrlich auf die Landschaft. Der Beifahrer hatte in der linken Wagenecke Platz genommen und übersah seinen Mitfahrer. Parker, der die beiden Männer beobachtete, die doch wohl miteinander verfeindet waren, konnte noch nicht mal feststellen, daß sie sich vorsichtig durch versteckte Zeichen miteinander verständigten. Man schien sich noch nie im Leben gesehen zu haben. »Sollten Sie nicht die Zeit nutzen und sich verständigen?« schlug Josuah Parker nach einer Weile vor und benutzte dazu die Wechselsprechanlage. »Dieses sogenannte Fünftausend-Pfund-Mißverständnis mußte sich doch aus der Welt schaffen lassen.« »Schon gut, schon gut«, meinte der 33
Beifahrer hastig und beugte sich vor, »das regeln jetzt andere Leute.« »Aber Sie behaupten doch, Mr. Trenda habe fünftausend Pfund unterschlagen«, gab Parker höflich zurück, »meine Wenigkeit bietet sich als ehrlicher Makler an.« »Ich soll fünftausend Pfund unterschlagen haben?« Trenda beugte sich seinerseits vor. »Sie müssen einen sogenannten Sparverein empfindlich geschädigt haben.« »Unsinn, das ist doch ein Ablenkungsmanöver.« Trenda sah seinen Mitfahrer zum ersten Mal äußerst giftig an. »Oder sollte es vielleicht doch um Kurierpost gehen?« Parkers Ton blieb höflich. »Kurierpost?« fragte der Beifahrer und bemühte sich um ein verständnisloses Gesicht. »Mr. Trenda, falls dies der richtige Name ist, behauptet, Agent des britischen Geheimdienstes zu sein«, fuhr Parker fort. »Sind Sie wahnsinnig?« brauste Trenda auf. »Wie können Sie so etwas nur sagen!? Das saugen Sie sich doch glatt aus den Fingern.« »Geheimdienst?« Der Beifahrer lachte amüsiert. »Ich bekomme einen Lachkrampf! Der und Geheimdienst? Ein ganz mieser Gauner ist das!« »Sie bringen meine bescheidene Wenigkeit in einige Verlegenheit«,
behauptete Josuah Parker, »könnte es sich nicht um eine Verwechslung handeln?« »Nee, bestimmt nicht! Er heißt Trenda, aber er ist ein kleiner, mieser Gauner«, stellte der Beifahrer fest. »Und was bist du?« ereiferte sich Walter Trenda. »Wer spielt denn den Schläger und kommt sich wie ein Profi aus den Staaten vor?« »Sind Sie darauf erpicht, meine Wenigkeit zu verwirren?« fragte der Butler. »Habe ich es mit zwei Vertretern der sogenannten kriminellen Szene zu tun?« »Was diesen komischen Trenda angeht, ganz bestimmt«, sagte der Beifahrer nachdrücklich. »Und was ihn angeht, so ist das sogar völlig sicher«, gab Walter Trenda giftig zurück. »Halten Sie sich an das, was ich Ihnen gesagt habe, Mr. Parker. Es hat alles seine Richtigkeit.« »Was hat dieser Mistkerl Ihnen denn aufgebunden?« erkundigte sich der Beifahrer hohnlächelnd. »Mistkerl?« Trenda verlor die Nerven und attackierte seinen Mitfahrer mit den Fäusten. Der junge Mann reagierte selbstverständlich und blieb Trenda nichts schuldig. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis beide Männer voll aus sich herausgingen und körperliche Schäden verursachten. Josuah Parker beobachtete diese spezielle Art der Konversation eine gewisse Zeit, um 34
dann allerdings beruhigend einzugreifen. Er legte einen der vielen Kipphebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett herum und brauchte dann nicht mehr lange zu warten, bis die Kampfhähne sich beruhigten und fast übergangslos einschliefen. Aus versteckt angebrachten Düsen im Fond des Wagens strömte eine spezielle Lachgasmischung und sorgte für wohltuende Ruhe. Parker hatte vorn nichts zu befürchten. Die Trennscheibe war absolut dicht. Er konnte sich deshalb voll auf seine Begegnung mit einem gewissen Mr. James Alanford konzentrieren, der Walter Trendas angeblicher Agentenführer sein sollte. * Lady Agatha begnügte sich selbstverständlich nicht nur mit einer Ansprache. Sie ermunterte auf ihre eigenwillige Art die beiden irritierten Männer, sich ihr anzuvertrauen. Dazu benutzte sie ihren perlenbestickten Pompadour, den sie in mittelstarke Schwingungen versetzt hatte. Ein breitschultriger Mann, der links von ihr stand, hatte plötzlich den Eindruck, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Dies kam der Wahrheit immerhin nahe, denn Myladys sogenannter Glücksbringer, nämlich das echte
Pferdehufeisen, setzte sich auf seine rechte Kinnlade und brachte ihn sofort zu Boden. Ihn erreichte er aber erst nach Absolvierung einer leicht gekrümmten Flugbahn. Dabei streifte der Körper des Mannes einen Stuhl, der umkippte, und ließ dann einen leichten Tisch und eine kleine Anrichte zusammenbrechen. Erst danach breitete der Mann sich auf dem Fußboden aus Dielenbrettern aus und schloß die Augen. Der zweite Mann, einen Kopf größer als sein Partner und erheblich schlanker, beging den Kardinalfehler, Lady Agatha mit der rechten Faust traktieren zu wollen. Er schaffte es jedoch gerade, seine Hand zu einer Faust zu ballen. Dann trat die ältere Dame, die sich gern als hilflos bezeichnete, nach dem rechten Schienbein des Faustkämpfers und traf voll. Der Mann heulte auf wie eine verbitterter Steppenwolf, ließ die Hand sinken und faßte nach der schmerzender Stelle. Dabei hüpfte er auf dem gesunden Bein hin und her. Agatha Simpson beendete die kleine tänzerische Einlage mit ihrem Handbeutel. Sie setzte den Glücksbringer auf die Brust des Tänzers, der es sich daraufhin im überdachten Kamin bequem machte und gegen eine aufsteigende Ohnmacht ankämpfte. »Sie wollen mich doch sprechen«, wiederholte Lady Agatha, »kommen 35
Sie also endlich zur Sache, ich habe meine Zeit nicht gestohlen.« »Verdammt«, sagte der Untersetzte und fingerte äußerst vorsichtig an seiner Kinnlade herum. Er hatte sich aufgerichtet und starrte die ältere Dame entgeistert an. »Sie sollen nicht fluchen, sondern endlich sagen, weshalb Sie mich sprechen wollen«, raunzte die Detektivin, »und kommen Sie erst gar nicht auf den Gedanken, etwa nach einer Waffe greifen zu wollen. Ich würde dann sehr ärgerlich werden.« »Wo… Wo ist Ihr Butler, Lady?« fragte der Mann langsam und ziemlich undeutlich. Er hatte eindeutig Schwierigkeiten, gewisse Worte zu formulieren. Das Hufeisen hatte seine Wirkung getan. »Mr. Parker befindet sich auf dem Weg nach London, junger Mann«, antwortete Agatha Simpson, »haben Sie etwas dagegen? Falls ja, sollten Sie es sagen.« »Er… Er hat da doch einen von den Treibern mitgenommen, ja?« »Was geht das Sie an!?« Lady Agatha blickte nach dem Mann, der im offenen Kamin Quartier bezogen hatte. Er atmete flach und massierte vorsichtig sein Brustbein. »Wir sind hinter diesem Treiber her«, sagte der Geschädigte, »er hat uns bestohlen.« »Um was handelt es sich?« wollte Agatha Simpson sofort wissen.
»Geld… Geld«, lautete die etwas zu schnelle Antwort, »wir… äh… Also, das war so: Wir hatten zusammen ‘ne Firma aufgezogen, und dann setzte der Kerl sich plötzlich mit der Kasse ab.« »Ich sollte Sie ohrfeigen«, schickte die ältere Dame grimmig voraus, »und zwar wegen mangelnder Phantasie! Lassen Sie sich gefälligst eine andere Geschichte einfallen!« Der Mann im Kamin kroch auf allen vieren aus der Feuerstelle, die nicht in Betrieb war, und langte nach seiner Schulterhalfter. Seine Absicht war eindeutig. Er wollte die Waffe ziehen, die sich im Futteral unter seinem Sakko befand. Er hätte mit Sicherheit liebend gern schneller gezogen, doch sein gestauchtes Brustbein und die leicht verschobenen Rippen ließen das nicht zu. Agatha Simpson war allerdings auch dagegen. Sie hatte sich plötzlich umgedreht und sah, was der Mann beabsichtigte. Aus dem Handgelenk schleuderte sie ihren Pompadour durch den großen Raum und wartete dann genüßlich auf die Landung, die umgehend erfolgte. Der Handbeutel landete samt Hufeisen auf der Nase des Mannes, der daraufhin nichts als bunte Sterne sah und sich für eine gewisse Zeit abmeldete. Die ältere Dame schritt energisch auf ihn zu, barg zuerst ihren Pompadour und sicherte dann die Schußwaffe. Es 36
handelte sich um eine Automatik, die sie freudig in die Hand nahm. Dabei richtete sich der Lauf zufällig auf den Untersetzten, der trotz gewisser Schmerzen sich hastig zur Seite beugte. »Ich will jetzt Ihre nächste Geschichte hören«, sagte sie, »und erschrecken Sie nicht, falls sich ein Schuß lösen sollte. Ich kann mit diesem neumodischen Zeug nur schlecht umgehen.« »Lady, bitte, passen Sie auf, machen Sie keinen Blödsinn«, keuchte der Untersetzte, »das Ding ist bestimmt entsichert.« »Tatsächlich«, stellte die ältere Dame überrascht fest, nachdem sich ein Schuß gelöst hatte… * Die Buchhandlung war klein und sah düster aus. Es gab neben dem schmalen Eingang ein ebenfalls schmales und hohes Fenster, in dem verstaubte Bücher ihr Dasein fristeten. An einer Schnur baumelten ausländische Zeitungen, die mit Wäscheklammern befestigt waren. Im Ladenlokal brannte eine Lampe, deren Schein zum Eintreten nicht gerade einlud. Josuah Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum in einer nahen Tiefgarage abgestellt, und zwar an einer Stelle, die von mächtigen Betonpfeilern förmlich abgegrenzt wurde. Um
die beiden Insassen hatte er sich weiter nicht zu kümmern brauchen. Sie gaben sich nach wie vor der Entspannung und Ruhe hin. Die Buchhandlung hatte der Butler in einer unscheinbaren Seitenstraße von Piccadilly Circus gefunden. Er ging erst mal am Ladenlokal vorüber, verschaffte sich ein allgemeines Bild und kehrte dann wieder zurück. Hier erwartete ihn also der angebliche Agentenführer namens James Alanford. Auf dem kleinen Firmenschild entdeckte Parker den Namen von Walter Trenda. Sein Gast im Wagen benutzte also zumindest einen Namen, den es tatsächlich gab. Parker drückte die Ladentür auf und roch den frischen Rauch einer Zigarette. Er hörte Schritte, die aus einem schmalen Korridor kamen, kurz darauf erschien ein kleiner, rundlicher Mann mit einem leidenden Gesicht. »Man wünscht einen angenehmen Nachmittag«, schickte Parker voraus, »können Sie mit dem Roman ›Üppiges Gras‹ von Ricardo Geneti dienen? Es handelt sich um den vorjährigen Literaturpreisträger.« »Aha«, sagte der Rundliche und nickte, »äh, ich weiß… leider Sir, ausverkauft.« »Wie schön für Mr. Geneti«, meinte Butler, »gäbe es ihn, hätte er diesen Roman je geschrieben, könnte er mit erfreulichen Tantiemen rech37
nen.« »Den gibt’s gar nicht?« Der Mann hinter der winzig kleinen Theke schluckte und lächelte dann hilflos, »wissen Sie, Sir, ich bin hier nur zur Aushilfe.« »Sie sind vielleicht zufällig Mr. James Alanford?« »Moment mal, dann sind Sie Mr. Parker?« »In der Tat, Parker, mein Name, Josuah Parker.« »Sie haben mit mir gesprochen«, bestätigte der Rundliche, »ich bin James Alanford. Ich habe hier einen Brief für Sie. Warten Sie, wo habe ich ihn denn nur?« »Ihre Schußwaffe, nach der Sie mit Sicherheit zu suchen gedenken, Mr. Alanford, befindet sich in Ihrer rechten Jackentasche.« »Schußwaffe?« Der Mann, der sich als James Alanford vorgestellt hatte, beeilte sich, an die Schußwaffe heranzukommen, doch Josuah Parker ließ es dazu erst gar nicht kommen. Er stach mit der Schirmspitze nach dem Handrücken des Mannes, traf natürlich und löste so einen Schrei aus. James Alanford ließ seine Hand sinken und sah den Butler entgeistert an. »Sie sollten sich nicht unnötig echauffieren, Mr. Alanford«, schickte Parker dann voraus, »kommen Sie zur Sache, wenn ich vorschlagen darf! Mr. Trenda war bereits so freundlich, meiner Wenig-
keit seine Geschichte zu erzählen.« »Was hat er denn gesagt?« fragte Alanford und bewegte probeweise seine Hand. Er fand heraus, daß die Finger sich nicht recht bewegen ließen. »Was könnte Trenda Ihrer Ansicht nach meiner Wenigkeit erzählt haben, Mr. Alanford?« wollte der Butler wissen. »Nun, daß er Mitglied einer Organisation ist, die, sagen wir mal, für unser Land arbeitet.« »Könnten Sie sich etwas deutlicher ausdrücken, Sir? Am Telefon gaben Sie sich sehr geheimnisvoll und zurückhaltend.« »Ich möchte Ihnen gern meinen Ausweis zeigen. Haben Sie etwas dagegen? Ich muß dann aber nach meiner Brieftasche greifen.« »Sie sollten sich befleißigen, die Bewegungen sehr langsam auszuführen, Mr. Alanford.« »Das habe ich inzwischen begriffen«, antwortete James Alanford, »unsere Ermittlungen haben sich als richtig erwiesen, was Sie betrifft. Sie sind ein zielbewußter Mensch.« »Sie könnten inzwischen damit beginnen, vorsichtig nach Ihrem Ausweis zu suchen«, schlug Josuah Parker vor. Alanford nickte, war sogar besonders vorsichtig und präsentierte dem Butler schließlich seinen Ausweis. * 38
»Diese Buchhandlung ist so etwas wie eine Anlaufstelle«, sagte James Alanford, »übrigens, einen Moment, wenn ich bitten darf, ja? Ich muß meine Leute in der Etage über uns informieren.« Während Alanford noch redete, langte er nach dem Hörer eines altmodisch aussehenden Telefonapparates und klopfte mit dem Zeigefinger einige Male auf die Gabel. Endlich schien man oben abgehoben zu haben. »Zwei von meinen Mitarbeitern«, sagte Alanford, nachdem er seinen Spruch abgesetzt hatte, »ich denke, sie sollten Ihre Geschichte hören, was Trenda betrifft.« »Sie gehören laut Ausweis also tatsächlich dem britischen Geheimdienst an«, sagte Josuah Parker, »ich möchte einräumen, daß meine Wenigkeit in der Tat überrascht ist.« »Man sieht’s Ihnen aber nicht gerade an, Mr. Parker.« Alanford lächelte. »Es wäre vulgär, Gefühle zu zeigen, Sir«, gab der Butler zurück und langte durch den vorn geöffneten Covercoat und den Zweireiher nach seiner Weste. Wie zufällig legten die schwarz behandschuhten Finger sich auf einen der vielen Kugelschreiber. Parker hörte Schritte auf einer Treppe, die sich wohl am Ende des Korridors befand. »Ich bin Agentenführer, wie man
so sagt«, meinte James Alanford, »Trenda sollte sich tatsächlich mit einem unserer Kuriere treffen.« »Könnte es sich um einen gewissen Peter Fennebran gehandelt haben?« »Richtig, Peter Fennebran. Woher haben Sie diesen Namen? Hat Trenda ihn genannt?« »So sollte man sagen, Mr. Alanford.« »Und wo steckt der Mann jetzt?« »Er weilt eindeutig nicht mehr unter den Lebenden, Sir.« »Wie war das?« Alanford sah den Butler entgeistert an, während Parker zum schmalen Korridor blickte. »Mr. Fennebran dürfte möglicherweise das sogenannte Zeitliche gesegnet haben«, erklärte der Butler, »meine Wenigkeit konnte aus einiger Entfernung beobachten, daß man besagten Mr. Fennebran zu verscharren gedachte.« »Guter Gott! Das ist ja schrecklich. Erzählen Sie weiter. War Trenda dabei, als Sie das beobachteten?« »Mit Sicherheit nicht, Mr. Alanford. Er erfuhr von diesen Dingen erst durch meine Wenigkeit.« »Konnten Sie nichts gegen dieses Verscharren tun?« In Alanfords Stimme klang fast so etwas wie ein Vorwurf durch. »Meiner Wenigkeit gelang es in der Tat, die beiden Männer, die man als ordinäre Totengräber bezeichnen sollte, zu vertreiben.« »Und? Ich meine, konnten Sie die39
sen Totengräbern etwas abjagen? Oder haben Sie bei dem Toten etwas gefunden?« »Mr. Trenda, der ja Ihr Mitarbeiter ist, glaubt, meine Wenigkeit sei in den Besitz von Kuriergepäck gelangt. Er sprach in diesem Zusammenhang von wichtigen Papieren.« »Das stimmt. Fennebran sollte wichtige Informationen nach London bringen. Man war ihm seit Tagen auf den Fersen und wollte ihm diese Unterlagen wieder abjagen. Deshalb wurde Fennebran ja auch aufs flache Land umgeleitet. Während der Treibjagd sollte er das Material unauffällig an Trenda weiterreichen.« »Unterlagen, nach denen dringend gesucht wird, Mr. Alanford?« »Wenn Sie sie haben, Mr. Parker, dann müssen Sie sie an meine Dienststelle weiterleiten, verstehen Sie? Noch eine Frage: Wo sind die Totengräber, wie Sie die Männer nennen? Haben Sie eine ungefähre Ahnung, wo sie sein könnten?« »Sie dürften meiner bescheidenen Meinung nach untergetaucht sein«, gab Josuah Parker zurück, »sie werden doch sicher versuchen, die Insel zu verlassen, um das Material in ihr Heimatland zurückzuschaffen.« Während Parker redete, hatte er den Kugelschreiber in die rechte Hand genommen und deutete ein knappe Verbeugung in Richtung der beiden drahtigen Männer an, die
gerade langsam und wachsam das Ladenlokal betraten. Sie hatten harte Gesichter, schnelle Augen und machten einen durchtrainierten Eindruck. »Sie wissen also wirklich nicht, wo die beiden Totengräber sein könnten?« wiederholte Alanford. »Es gibt gewisse Hinweise darauf, daß die beiden Männer meiner Wenigkeit gefolgt sind«, schickte Parker voraus, »sie glauben, daß die Unterlagen sich in meinem Besitz befinden. Handelt es sich bei diesen Totengräbern möglicherweise um Mitglieder ausländischer Geheimdienste?« »Aber selbstverständlich«, sagte Alanford und nickte nachdrücklich. Dann aber sprang er einen halben Schritt zurück und schaute den Butler fragend an. Parker hatte seinen Patent-Kugelschreiber mit einigem Nachdruck zu Boden geworfen und für eine dichte Nebelwand gesorgt, die zwischen ihm und den beiden jungen Männern hochschoß. Parker lüftete höflich die Melone in Richtung James Alanford und verließ durchaus würdevoll die kleine Buchhandlung. Als er die Tür hinter sich schloß, hörte er ein dreistimmiges Husten und Würgen. Der Wirkstoff im Nebel tat seine Wirkung! »Ganz schön aufregend«, urteilte Mike Rander, »und ich hatte leichtsinnigerweise mit Ruhe gerechnet, 40
als Sie zur Treibjagd fuhren, Mylady.« Mike Rander, groß, schlank und sportlich, ein wenig dem JamesBond-Darsteller ähnlich, war der Vermögensverwalter der Lady Simpson. Früher mal hatte Josuah Parker für ihn als Butler gearbeitet. Die beiden Männer hatten in den USA viele Abenteuer erlebt, bis der Anwalt dann eines Tages radikal umgestiegen war. Mike Rander war es satt gewesen, sich weiter mit Gangstern herumzuschlagen und hatte nur noch als Anwalt britischer Firmen gearbeitet. Damals hatte er Parker an Lady Simpson empfohlen. Nach eingehender Prüfung war der Butler dann bereit gewesen, in die Dienste der eigenwilligen Dame zu treten. Nach Randers Rückkehr aus den Staaten war der junge, etwa vierzigjährige Anwalt wie selbstverständlich von Lady Agatha »vereinnahmt« worden und wurde von Parker betreut. Mike Randers Entschluß, sich wieder in ein abenteuerliches Leben zu stürzen, hatte viel mit einer gewissen Kathy Porter zu tun. Sie war etwa achtundzwanzig, etwas über mittelgroß, schlank und sehr attraktiv. Kathy Porter war die Sekretärin und Gesellschafterin der älteren Dame, die schnell herausgefunden hatte, daß sich zwischen den jungen Leuten, wie sie die beiden nannte, eine Beziehung angebahnt hatte. Die
junge Frau befand sich am frühen Morgen zusammen mit Mike Rander, Lady Simpson und Butler Parker in der Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market. Die Detektivin war in ihr Stadthaus zurückgekehrt und berichtete gerade von den beiden Männern, die sie im Farmhaus getroffen hatte. Sie vibrierte noch immer vor Kampfeslust und Abenteuerfreude. »Ich habe die beiden Lümmel noch im Kofferraum meines Wagens«, redete Agatha Simpson weiter, »Mr. Parker, Sie können die Subjekte bei Gelegenheit in eines der Gästezimmer sperren.« »Sehr wohl, Mylady«, gab der Butler zurück, »man war bereit, Ihnen eine Erklärung zu liefern, was den Treff im Farmhaus betrifft?« »Eine unmögliche Geschichte«, erwiderte Agatha Simpson, »es soll angeblich um Kokain gehen. Lächerlich! Selbstverständlich glaube ich kein Wort.« »Vielleicht bin ich leichtgläubiger als Sie, Mylady«, warf Mike Rander ein, »könnte man einige Details erfahren?« »Man glaubt, Mr. Parker und ich hätten eine Drogenlieferung abgefangen«, sagte die ältere Dame, »schön wär’s ja, aber wie gesagt, ich nehme diesen beiden Subjekten die Geschichte nicht ab. Selbstverständlich geht es um Spionage!« 41
»In der Tat, Mylady«, schaltete der Butler sich ein und nickte andeutungsweise, »der verblichene Mr. Peter Fennebran dürfte eindeutig ein Mitglied des hiesigen Geheimdienstes sein. Darüber hinaus aber scheint er auch private Geschäfte abgewickelt zu haben.« »Das wird ja immer besser.« Rander hatte sich eine Zigarette angezündet. »Und woher beziehen Sie Ihr Wissen, Parker?« »Von einem Mann, der sich James Alanford nennt«, gab der Butler Auskunft, »er will Agentenführer sein.« »Und wo steckt dieses Subjekt, Mr. Parker?« wollte die ältere Dame umgehend wissen. »Mr. Alanford wird mit letzter Sicherheit bald erscheinen«, sagte Josuah Parker, »dann wird sich übrigens erweisen, ob er meiner Wenigkeit gegenüber die Wahrheit gesagt hat.« Josuah Parker lieferte den Anwesenden die Stichworte, die man brauchte, um sich ein Bild von den Vorfällen machen zu können. Lady Agatha hörte besonders aufmerksam zu, zumal sie ja den Mann kannte, der sich Walter Trenda nannte. »Ich verstehe da etwas nicht so recht, Parker«, sagte Mike Rander schließlich, »warum, zum Teufel, riefen Sie nur Alanford an? Sie kennen doch einige Leute vom Geheimdienst. Die hätten Ihnen ein Licht
aufstecken können, was diesen angeblichen Agentenführer betrifft.« »Dazu reichte nicht die Zeit«, lautete Parkers gemessene Antwort, »in Kreisen der Geheimdienste neigt man leider zur Bürokratie, Sir. Es hätte sehr lange gedauert, bis man meiner Wenigkeit eine Angabe zur Person des Mr. James Alanford gemacht hätte. Darum setzte meine Wenigkeit auf den persönlichen Kontakt mit Mr. Alanford.« »Ich hätte dieses Subjekt sofort zu mir eingeladen«, warf die ältere Dame kriegerisch ein, »aber im Grunde hat sich das bereits erledigt, denke ich. Ich habe es wieder mal mit einem Drogenring zu tun, vom Geheimdienst kann überhaupt keine Rede sein, das alles sind Ausreden und Lügen. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Sie wollten gerade etwas fragen, Miß Porter?« Parker wandte sich an die Gesellschafterin seiner Herrin und umging so eine Antwort, die die Lady von ihm erwartete. »Ich versuchte gerade, das alles in einen Zusammenhang zu bringen«, meinte Kathy Porter lächelnd, »dieser Trenda und Mr. Alanford sind also die Gegenspieler der Männer, die Sie in eine Falle locken wollten, Mylady?« »So ist es, Kindchen.« Sie nickte wohlwollend. »Sie haben die komplizierten Zusammenhänge sofort durchschaut. Ich werde es noch ein42
facher machen und das ganze Beiwerk übergehen. Dieser Fennebran aus der Teppichrolle sollte das Kokain an Trenda und Alanford weiterreichen, doch er wurde abgefangen und ermordet. Seine Totengräber gehören zu den Subjekten, die ich im Farmhaus überraschte. Mein Gott, Mr. Parker, habe ich etwa die Namen behalten?« »In einer Weise, die man nur als präzise bezeichnen kann«, antwortete der Butler. »Und die Lümmel, die Sie beschossen, Mr. Parker, gehören ebenfalls zur Bande dieses Alanford«, faßte die ältere Dame weiter zusammen, »jetzt frage ich mich natürlich, wo sich dieses verschwundene Rauschgift befindet. Habe ich da bereits eine vage Vorstellung, Mr. Parker?« »Mylady denken mit einiger Sicherheit an die Region, in der die Treibjagd stattfand.« »Richtig«, bestätigte sie, »nur dort kann sich das Zeug befinden. Es dürfte klar sein, daß ich es finden werde, nicht wahr, Mr. Parker?« »Mylady werden gewiß noch mal aufs Land zurückkehren.« »Das ist tatsächlich meine Absicht«, entgegnete sie, »und Sie, Mr. Parker, sollten dort nach Beweisen buddeln.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine Verbeugung an, wollte noch etwas hinzufügen, horchte dann aber zum verglasten Vorflur
hinüber. Die Türglocke hatte, sich gerade gemeldet. Der Butler verließ den großen Kamin, um den man sich versammelt hatte, öffnete neben dem Vorflur einen kleinen Wandschrank und schaltete die Fernsehkamera ein, die über der Haustür angebracht war. Nach einer Sekunde war auf dem Monitor bereits ein klares Bild zu sehen. »Nun?« fragte die Detektivin munter, »ich hoffe doch sehr, daß die Gangster erschienen sind, Mr. Parker?« »Chief-Superintendent McWarden und Mr. James Alanford«, meldete Josuah Parker höflich, »vielleicht ergeben sich aus diesem Besuch einige Korrekturen dessen, was gerade intensiv erörtert wurde, Mylady.« »Es wird sich zeigen, daß ich wieder mal auf der ganzen Linie recht behalten habe«, sagte sie nachdrücklich, »einer Lady Simpson kann man keinen Sand in die Augen streuen!« * Chief-Superintendent McWarden war ein untersetzter, stämmiger Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, der wegen seiner leichten Basedowaugen an eine stets gereizte Bulldogge erinnerte. Er leitete im Yard ein Sonderdezernat, das dem Innenministerium direkt unterstellt war, befaßte sich mit Banden-Krimi43
nalität und hatte in diesem Zusammenhang immer wieder mit Lady Simpson und Butler Parker zu tun. McWarden schätzte vor allen Dingen den Butler, der für ihn ein ausgezeichneter Kriminalist war, weil er ungewöhnliche Methoden bevorzugte. Zu Lady Agatha hatte McWarden eine Art von Haßliebe entwickelt. Sie reizte ihn, wo immer sie es vermochte, stichelte und machte ihm klar, wie wenig erfolgreich er war. McWarden widerstand diesen Anzüglichkeiten nie lange, auch wenn er sich immer wieder vornahm, sich nicht provozieren zu lassen. Oft schon hatte er gedacht, auf eine Zusammenarbeit mit der älteren Dame zu verzichten, doch da war eben Butler Parker. Und dann gab es die finanziellen Mittel, die Agatha Simpson einsetzen konnte, wenn sie ermittelte. Sie brauchte keinen komplizierten und endlos langen Dienstweg einzuhalten und konnte sich Dinge leisten, an die er als Diener der Krone noch nicht mal zu denken wagte. Parker hatte inzwischen die Tür entriegelt und ließ die beiden Männer eintreten. James Alanford sah sich im verglasten Vorraum neugierig um, entdeckte Parker und nickte grüßend. Der Butler öffnete nun die Glastür des Vorraumes und deutete eine Verbeugung an. »Sie wundern sich, wie?« fragte Alanford und schnaufte. Er hatte
gerötete Augen und machte einen leicht angegriffenen und hinfälligen Eindruck. »Sie verfügen über eine erstaunliche Konstitution, Sir«, antwortete der Butler, »Sie haben mein Fortgehen bemerkenswert gut überstanden.« »Dieses Nebelspray sollten Sie dem Geheimdienst verkaufen«, antwortete James Alanford, »ich habe Chief-Superintendent McWarden mitgebracht. Er wird dafür bürgen, daß ich das bin, was ich Ihnen bereits sagte, Mr. Parker.« »Man wird die Herren melden.« Parker ließ sich vorerst auf keine Diskussion ein, schritt gemessen zu seiner Herrin hinüber und meldete die Ankunft der Herren McWarden und Alanford. Lady Agatha nickte huldvoll. »Ich glaube, daß ich einige Minuten Zeit habe«, sagte sie dann, »die Besucher können von mir aus Platz nehmen.« McWarden stellte James Alanford vor und verwies noch mal darauf, daß dieser kleine und rundliche Mann Mitglied des britischen Geheimdienstes war. »Sind Sie sicher, mein lieber McWarden«, flötete Agatha Simpson, »ich weiß schließlich, wie leicht man Sie düpieren kann.« »Mylady, er ist sogar Gruppenleiter oder so«, antwortete McWarden und bekam prompt einen roten 44
Kopf, »ich kenne Mr. Alanford schon seit langem.« »Was nichts besagt«, stichelte die ältere Dame munter weiter, »aber gut, ich werde so tun, als ob unser Gast Geheimdienstler wäre. Sie haben ja sicher nichts dagegen, Mr. Alanford, nicht wahr?« »Ich kann Ihnen nachfühlen, Mylady, daß Sie mißtrauisch sind«, schickte James Alanford voraus, »ich gebe zu, daß da während der Treibjagd einiges schiefgegangen ist. Es gab unnötige Verwirrungen.« »Es gab sicher nichts, was klappte«, meinte Agatha Simpson, »aber das wundert mich nicht weiter. Reden wir vom Rauschgift, junger Mann. Um das geht es doch wohl, oder? Einer Ihrer Kuriere dürfte da Drogen mit ins Land geschmuggelt haben.« »Ausgeschlossen.« James Alanford schüttelte nicht gerade entschieden den Kopf. »Ich gehe davon aus, daß diese angeblichen Drogengangster Mitglieder fremder Nachrichtendienste sind. Der Hinweis auf Rauschgift soll sicher nur ablenken.« »Darf man fragen, Mr. Alanford, aus welchem Land Ihr Kurier Fennebran kam?« erkundigte sich der Butler in gewohnt höflicher Weise. »Ich weiß nicht, ob ich befugt bin, darüber…« »Dann erkundigen Sie sich gefälligst«, raunzte die ältere Dame Alanford an und deutete auf das Telefon,
»dort ist der Apparat! Ich kann diesen Fall endgültig nur lösen, wenn ich alle Einzelheiten kenne, nicht wahr, Mr. Parker?« »Mylady treffen wieder mal den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf«, pflichtete Parker der Lady bei. »Wenn Sie aber nicht anrufen wollen, Alanford, dann sollten Sie gehen«, grollte Agatha Simpson lustvoll weiter, »dann sind Sie für mich nämlich nicht kompetent. Stimmt es, McWarden?« »Ich halte mich da raus«, sagte der und hob Chief-Superintendent abwehrend die Hände. Alanford, der einen tiefroten Kopf bekommen hatte, hüstelte und gab sich einen Ruck. »Nun gut, ich werde die Verantwortung übernehmen«, schickte er voraus, »Fennebran kam aus dem Mittleren Osten. Soviel kann ich wohl sagen.« »Demnach könnte er also durchaus Drogen mitgebracht haben, Sir«, ließ der Butler sich vernehmen, »auf welche Art gelangte er auf die Insel?« »Als normaler Reisender«, erwiderte Alanford. »Der aber mit Sicherheit wohl kaum einer intensiven Zollkontrolle unterzogen wurde.« »Sicher nicht«, warf der ChiefSuperintendent ein, »Fennebran dürfte wohl ein Codewort genannt haben, um schnell durch die Kon45
trollen zu kommen. Wird das nicht so gehandhabt, Alanford?« »Hin und wieder«, räumte der Geheimdienstler widerwillig ein, »das geschieht dann durch ein vorher vereinbartes Zeichen. Bitte, ersparen Sie mir Einzelheiten. Ich gebe ja zu, daß theoretisch die Möglichkeit bestand, Drogen auf die Insel zu schmuggeln, aber das traue ich gerade Fennebran nicht zu. Traute, um genau zu sein. Nein, die Rauschgiftgangster sind Agenten fremder Staaten. Sie wollten Fennebran die Unterlagen abjagen und haben es vielleicht sogar geschafft. Oder doch nicht, Mr. Parker?« »Die Ausdrucksweise der Agenten, mit denen Mylady es bisher zu tun hatte, deutete darauf hin, daß es sich um einheimische Gangster handelt«, stellte der Butler fest. »Ich wiederhole, daß ich für meinen Kurier Fennebran die Hand ins Feuer lege«, sagte James Alanford. »Würden Sie dies auch im Fall des Mr. Trenda tun, Sir?« wollte der Butler wissen. »Selbstverständlich, Mr. Parker, aber das ist im Augenblick nicht mein Problem. Mir geht es um die Unterlagen, von denen ich gesprochen habe. Sie sind wirklich ungemein wichtig für unser Land.« »Sie wiederholen sich, junger Mann«, räsonierte die Detektivin, »ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«
»Sie wissen also, wo das Kuriergepäck sich befindet?« Alanford sah Agatha Simpson hoffnungsfroh an. »Mir reichen bereits einige Andeutungen, Mylady, damit ich meine Spezialisten einsetzen kann.« »Spezialisten laufen mit Scheuklappen in der Welt herum«, entgegnete Agatha Simpson abfällig, »was Sie brauchen, mein lieber Alanford, ist eine Lady Simpson, die noch einen Blick für das Wesentliche hat. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Mylady würden sich niemals von Nebensächlichkeiten ablenken lassen«, sagte der Butler ernst und mit Nachdruck, »die Vergangenheit hat dies immer wieder bestätigt.« »Ich weiß«, lächelte sie und nickte wohlwollend, »dennoch höre ich es immer wieder gern, mein lieber Mr. Parker!« * Agatha Simpson hatte sich in ihr Studio zurückgezogen, das sich im Obergeschoß des alten Fachwerkhauses befand. Sie wollte wieder mal meditieren, wie sie gesagt hatte. Tatsächlich aber ging es ihr um ein Mittagsschläfchen. Danach wollte die Hausherrin sich mit ihren Gästen ins Benehmen setzen und mit den Verhören beginnen. Chief-Superintendent McWarden und James Alanford hatten das Haus schon vor einer halben Stunde ver46
lassen. Alanford hatte noch einige Male nach Walter Trenda gefragt, jedoch keine Auskunft bekommen. Lady Agatha hatte behauptet, er sei unterwegs abhanden gekommen, was immer man sich darunter auch vorzustellen vermochte. Und Alanford hatte danach nicht weiter gefragt. Ihm war wohl aufgegangen, daß er vorerst mit einer echten Antwort nicht rechnen konnte. Kathy Porter und Mike Rander befanden sich in der Bibliothek des Hauses und bereiteten für Lady Simpson eine Art Schaubild, das sich auf den gegenwärtigen Fall bezog. Dadurch sollte ihr erleichtert werden die Übersicht zu behalten. Darüber hinaus aber war diese Übersicht auch für Parker, Rander und Kathy Porter von einiger Wichtigkeit. Man konnte die bisherigen Figuren im Spiel mit einem Blick erfassen und einander zuordnen. Josuah Parker nutzte seine Freizeit, um ins Souterrain des Hauses zu gehen, wo sich seine Privaträume befanden. Hier hatte er neben dem Schlafraum ein großes Wohnzimmer, das mit alten Mahagonimöbeln ausgestattet war. Hier unten befand sich auch sein Privatlabor, wie er einen Raum nannte, in dem er seine kleinen technischen Überraschungen herstellte. Technisch war diese Werkstatt mit allen Raffinessen ausgestattet. Was immer Parker sich auch einfallen ließ, konnte hier in
die Tat umgesetzt werden. Parker bereitete in seiner kleinen Küche Tee und erschien damit zuerst bei Walter Trenda, der sich in einem der Gästezimmer befand. Diese Gästezimmer lagen noch unter dem Souterrain, im eigentlichen Keller, und waren recht komfortabel ausgestattet. Es gab in diesen Räumen Bettcouches, Waschräume und ausgestattete apartmentähnlich Wohnräume. Trenda, der auf der Bettcouch lag, richtete sich träge auf, als Parker eintrat. »Man wünscht einen guten Tag«, sagte der Butler, »ich habe mir erlaubt, Ihnen frischen Tee zu machen. Darf man sich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« »Wo bin ich hier?« fragte Trenda und nahm die Beine von der Couch. Er setzte sich auf. »Sie haben den Vorzug, sich als Gast betrachten zu Myladys können«, antwortete der Butler, »da Sie schliefen, war es nicht möglich, Sie zu einem Gespräch mit Mr. James Alanford einzuladen.« »Schliefen? Ich wette, Sie haben mich betäubt«, gab Trenda fast gleichgültig zurück, »wie soll’s jetzt weitergehen? Wer ist der Mann, der mit mir im Wege war?« »Er genießt ebenfalls Myladys Gastfreundschaft, Mr. Trenda. Es hat sich übrigens inzwischen herausgestellt, daß Sie tatsächlich dem britischen Geheimdienst angehören.« 47
»Das hab’ ich doch die ganze Zeit über gesagt«, beschwerte sich Trenda und lächelte versonnen, »wie hat denn der große Käfer reagiert?« »Von welchem Insekt sprechen Sie, Mr. Trenda?« »Vom Käfer«, wiederholte Walter Trenda, »so nennen wir Alanford. Und wissen Sie auch, wie er zu diesem Spitznamen gekommen ist?« »Ich gehe davon aus, daß Sie mir umgehend eine Erklärung dazu abgeben werden.« »Alanford rennt ziellos herum wie ein Käfer, mal hierhin, mal dorthin. Sie müßten ihn mal in unserem Büro sehen, Mr. Parker.« »Keine Anekdoten, wenn ich bitten darf«, sagte Parker, »Mr. Alanford würde, wie er sich ausdrückte, seine Hand für den verblichenen Mr. Fennebran ins Feuer legen, was den Transport von Drogen betrifft.« »Drogen?« Trenda stutzte. »Wie kommen Sie auf Drogen?« »Nach Myladys Informationen wurde der teure Tote von Gangstern gejagt, die ihm eine Kokainsendung abluchsen wollten.« »Fennebran und Koks?« Trenda dachte nach, um dann andeutungsweise zu nicken. »Ich will nicht schlecht über meinen Kollegen reden, Mr. Parker, aber ich weiß von einigen Gerüchten.« »Die Sie meiner Wenigkeit mitteilen sollten.« »Es wurde unter der Hand
behauptet, Fennebran arbeite nicht nur für den britischen Geheimdienst, verstehen Sie?« »Noch nicht sonderlich viel.« Parker dachte nicht daran, Hilfestellung zu leisten. »Er soll von seinen Kurierfahrten immer Rauschgift mitgebracht haben«, sagte Trenda nun deutlich, »bewiesen konnte das zwar nie werden, aber immerhin. Sie kennen ja das Sprichwort: Wo Rauch ist, ist auch Feuer, oder?« »Ein Sprichwort, das man nur als ausgesprochen gefährlich bezeichnen kann«, stellte Josuah Parker klar, »damit kann man jedem Gerücht neue Nahrung verschaffen, Mr. Trenda. Sie kennen den Mann, der neben Ihnen im Fond meines bejahrten Wagens saß?« »Wie kommen Sie denn darauf?« »Sie nahmen keine Verbindung auf, Mr. Trenda. Es kam noch nicht mal zu einer einzigen Frage. Sie bemühten sich zu offensichtlich, diesen Mann nicht zu kennen.« »Das sehen Sie völlig falsch, Mr. Parker. Ich weiß ja noch immer nicht, wer das war. Sollte ich mich verraten? Ich kann ja schließlich nicht herumposaunen, daß ich dem Geheimdienst angehöre.« »Wie war Ihr Verhältnis zu Mr. Fennebran, Mr. Trenda?« »Nicht besonders«, räumte der Mann ohne weiteres ein, »er hatte immer einen besseren Draht zu 48
unseren Vorgesetzten als ich. Und Fennebran bekam schließlich den Job als Kurier, der eigentlich mir zugestanden hätte. Ich war nicht gerade begeistert.« »Damit wäre die Unterhaltung bereits beendet«, sagte Parker, »Mylady wird sich noch von Ihnen verabschieden, danach steht Ihrem Weggang nichts mehr im Weg.« »Ich kann nicht sofort gehen?« »Selbstverständlich können Sie das, Mr. Trenda, doch Lady Simpson würde dies als einen Affront betrachten.« »Wie lange muß ich denn noch warten?« Trenda blickte auf seine Armbanduhr. »Es geht langsam auf Mittag zu.« »Mylady wird in aller Kürze erscheinen«, versicherte Josuah Parker dem Geheimdienstler, »laben Sie sich inzwischen am Tee, wenn ich dies vorschlagen darf.« »Okay, Hauptsache, Sie pauken mich bei Alanford heraus, falls er mir Vorwürfe machen sollte.« »Sie können sich auf meine Wenigkeit verlassen, Mr. Trenda.« »Eine Frage, Mr. Parker: Sie haben doch die beiden ›Totengräber‹ gesehen, wie Sie gesagt haben, ja? Okay, Sie würden sie auch wiedererkennen?« »Mit letzter Sicherheit.« »Sie haben keine Ahnung, wo das Kuriergepäck von Fennebran sein könnte?«
»Ich muß zutiefst bedauern.« »Es war ja nur ‘ne Frage«, meinte Trenda achselzuckend, »wie die Dinge stehen, werde ich mich wohl darum kümmern müssen. Wetten, daß Alanford mich jetzt auf die verschwundenen Unterlagen ansetzen wird?« »Falls Sie diese Unterlagen finden sollten, Mr. Trenda, würde Ihr Ansehen in Kreisen des Geheimdienstes wahrscheinlich steigen.« »Dann werde ich plötzlich der große Macher sein«, erwiderte Trenda ironisch, »vielleicht habe ich dann endlich mal eine echte Chance, mich im Ausland bewähren zu können. Dieser ewige Innendienst geht mir langsam auf die Nerven.« Parker war nachdenklich, als er das Gästezimmer verließ. Ihm drängten sich förmlich einige Fragen auf, die mit dem Mord an Peter Fennebran zusammenhingen. * Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr durch die Straßen der City. Er hatte die Unterhaltung mit Myladys übrigen Gästen aufgeschoben und bot sich als Köder an. Seiner Ansicht nach waren die beiden Männer, die Agatha Simpson ins Haus gebracht hatte, keine Geheimdienstler aus dem Mittleren Osten. Dazu gehörte auch der junge Mann aus dem Mor49
ris, der auf das Konto des Butlers ging. Für Parker waren die drei Männer eindeutig Gangster. Ihre Namen taten nichts zur Sache. Sie waren austauschbar wie die Männer selbst. Parker kannte sich in der kriminellen Szene gut aus. Schläger und Handlanger dieser Art konnte man in jeder einschlägigen Bar mieten. Wichtiger waren da die beiden sogenannten Totengräber, die die Leiche des Peter Fennebran verscharren wollten. Sie galt es aufzuspüren, denn sie mußten einen direkten Draht zu den Leuten haben, die den Mord veranlaßt hatten. Parker hielt wenig von Mr. Alanfords Versicherung, Fennebran habe nie Rauschgift geschmuggelt. In diesem Zusammenhang dachte der Butler an Trendas Bemerkung. Danach glaubten einige Personen durchaus, daß Fennebran sein Privileg als Kurier nutzte, um Drogen ins Land zu bringen. Der Butler bemerkte übrigens schon bald, daß er verfolgt wurde. Es handelte sich um einen Motorradfahrer, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte. Der schlanke und offensichtlich junge Mann saß auf einer schweren japanischen Maschine. Das Visier seines JetHelms war geschlossen. Parker kurvte gemessen durch einige schmale Straßen, doch der Motorradfahrer folgte hartnäckig. Ihm
schien es sogar gleichgültig zu sein, ob er entdeckt wurde oder nicht. Daraus zog ein Mann wie Josuah Parker seine Schlüsse. Er sollte abgelenkt werden und sich voll auf den Motorradfahrer konzentrieren. Und wenn er dann glaubte, ihn abgeschüttelt zu haben, würden die wirklichen Verfolger sich einstellen und zur Sache kommen wollen. Parker scheute solch einen Kontakt auf keinen Fall, er hoffte sogar, daß errecht schnell erfolgte. Nur über weitere Gangster erreichte er die wirklichen Hintermänner, auf die es schließlich ankam. Diese Hintermänner suchten noch immer nach Dingen, die Fennebran transportiert hatte. Ob es sich dabei tatsächlich um Rauschgift oder nur um Spionagematerial handelte oder nicht, war im Augenblick nicht weiter wichtig. Parker beschloß, die Dinge ein wenig zu beschleunigen. Als der Motorradfahrer gerade wieder etwas aufgeholt und sich ans Heck des hochbeinigen Monstrums gesetzt hatte, gab er plötzlich Gas, als habe er diesen Verfolger jetzt erst ausfindig gemacht. Anschließend bemühte sich der Butler, seinen Verfolger abzuschütteln, und spielte diese Rolle überzeugend. Der Butler riß das ehemalige Londoner Taxi einige Male ausgesprochen riskant in schmale Seitenstraßen, überholte verwegen, schien manchmal sogar 50
fast die Kontrolle über den Wagen zu verlieren und zauberte dem jungen Mann auf dem Motorrad einiges vor. Endlich war es dann soweit! Der Motorradfahrer war plötzlich nicht mehr zu sehen. Natürlich hatte er sich absichtlich zurückfallen und narren lassen. Er wollte Parker suggerieren, daß das Ablenkungsmanöver Erfolg hatte. Josuah Parker aber wußte es besser. Während der ganzen Verfolgung hatte der Motorradfahrer per Sprechfunk Kontakt mit seinen Leuten gehalten und alles Weitere an sie abgegeben. Parker machte sich daran, den nächsten Teil dieser privaten Jagd in Szene zu setzen. Er wußte auch schon, wo er die wirklichen Gangster stellen konnte. Es gab in der Nähe der West India Docks einige Flecken Erde, wo man völlig unter sich war… * Sie wollten ihn um jeden Preis aus dem Verkehr ziehen. Ein grauer Ford, dessen Kennzeichen kaum zu identifizieren war, näherte sich in langsamer Fahrt einer längst stillgelegten Lagerhalle, die sich an eine ebenfalls abbruchreife Fabrik anschloß. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und stand neben einem der vielen Fenster, deren Scheiben aus-
nahmslos eingeworfen waren. Vor seinen Füßen standen verrostete Container und war Schrott aller Art gelagert worden. In Parkers schwarz behandschuhten Händen war die berühmt-berüchtigte Gabelschleuder zu sehen, mit der er virtuos umzugehen verstand. Dabei handelte es sich um die Weiterentwicklung einer ganz normalen Schleuder, wie sie von Jungen fast überall auf der Welt immer noch verwendet wird. Parkers Gabel aber bestand aus starkem Stahl, die beiden Gummistränge wären von einem durchschnittlichen Menschen wohl kaum zu straffen gewesen. Sie waren fast daumendick und konnten eine erstaunliche Energie aufnehmen. Die Schlaufe zur Aufnahme der jeweiligen Munition bestand aus zähem Leder und verband die beiden Gummistränge miteinander. Parker beobachtete die Insassen des Ford. Er zählte drei Männer, die ausstiegen und sich reckten. Sie mochten im Schnitt etwa dreißig Jahre zählen, waren von normaler Größe, schlank und machten einen durchtrainierten Eindruck. Sie redeten miteinander, schätzten dann die Lagerhalle und die alte Fabrik ab und überlegten, wo ihr Opfer sich wohl aufhalten könnte. Zwei Männer gingen auf den Eingang zur alten Fabrik zu, der dritte Mann hatte die Absicht, Parkers hochbeiniges Monstrum zu untersu51
chen. Der Butler wußte bereits im vorhinein, was passieren würde, und nahm sich die Freiheit, andeutungsweise zu lächeln. Der Junge brach in Parker durch. Er fühlte sich zurückversetzt in alte Zeiten, als er mit einer Gabel-Schleuder aus einer Astgabel Holunderbeeren und Erbsen verschoß. Der dritte Mann hatte Parkers Privatwagen erreicht und griff automatisch nach der Fahrertür. Er wollte nachprüfen, ob sie abgeschlossen worden war. Er langte also herzhaft zu und… stieß dann einen unterdrückten Schrei aus. Dazu sprang er gleichzeitig zurück. Er schaffte aus dem Stand eine Entfernung von etwa achtzig Zentimeter. Diese ungewöhnliche Reaktion war durchaus erklärbar. Parker hatte nach dem Verlassen des Wagens die Türgriffe unter Strom gesetzt. Gesundheitliche Schäden löste solch ein Stromstoß zwar nicht aus, aber er war äußerst unangenehm bis schmerzhaft. Der Mann rieb sich die rechte Hand, schaute sich verstohlen nach allen Seiten um und hoffte, daß man ihn nicht beobachtet hatte. Dann versuchte er sein Glück noch mal. Möglicherweise glaubte er, daß der Wagen sich elektrisch aufgeladen hatte und geerdet worden war. Dennoch war er vorsichtig und griff mit spitzen Fingern zu. Und er hüpfte erneut wie ein
Frosch nach hinten, fluchte ausgiebig und rieb sich wieder die Hand. Daraufhin erfolgte der verstohlene Blick, der seinen beiden Partners galt, doch die waren bereits unten in der Fabrik. Der dritte Mann wollte sich rächen. Er bückte sich nach dem rechten Hinterreifen und hatte die finstere Absicht, die Luft herauszulassen. Damit aber war Josuah Parker nicht einverstanden. Er hatte sich inzwischen für eine gewisse Art von Munition entschieden. In der Lederschlaufe lag eine hart gebrannte Tonmurmel. Parker strammte langsam die beiden Gummistränge und visierte den Mann an, der sich inzwischen gebückt hatte und Parker ungewollt die Kehrseite zeigte. Zischend jagte die Tonmurmel durch die Luft und nahm hohe Fahrt auf. Sie landete genau auf der anvisierten Hinterbacke des Mannes, der aus der Hocke fast senkrecht in die Luft sprang und dabei einen Brüller produzierte. Anschließend rieb sich der Getroffene ausgiebig die schmerzende Stelle, schaute betroffen nach allen Seiten und konnte sich diesen Treffer einfach nicht erklären, zumal er nichts gehört hatte. Nachdem er seinen Schock überwunden hatte, ging er vorsichtig noch mal in die Hocke. Fast zögernd streckte er seine Hand aus nach dem Reifenventil. 52
Die Finger hatten dieses Ventil noch nicht ganz erreicht, als eine zweite Tonmurmel traf. Sie landete auf dem Handrücken des Gangsters und schleuderte die Hand fast wie ein leichtes Blatt zur Seite. Der Mann stand blitzschnell auf, nahm die getroffene Hand in die gesunde, hüpfte auf der Stelle und krümmte sich. Parker sah deutlich, daß der Getroffene Schmerzen hatte. Der Butler war gespannt, wie der Gangster reagieren würde. Er machte das auch sehr schnell deutlich, denn er verzichtete darauf, länger in der Nähe des hochbeinigen Monstrums zu bleiben. Der Mann trottete hinüber zum Eingang der Fabrik und war eindeutig erst mal bedient. Josuah Parker konnte sich jetzt den beiden ersten Männern widmen, die er bereits unten im Erdgeschoß hörte. * »Dieser Mann ist und bleibt leichtsinnig«, räsonierte die ältere Dame. Sie hatte ihre Meditation vorzeitig unterbrochen und ihr Studio verlassen. Sie hatte gerade von Kathy Porter und Mike Rander gehört, daß Parker unterwegs war, um einige Einkäufe für das Dinner zu tätigen. »Rechnen Sie mit Überraschungen, Mylady?« erkundigte sich Rander lächelnd. »Natürlich, Mike«, sagte sie, »man
glaubt doch, daß ich und Mr. Parker die Drogen beiseite geschafft haben. Also wird man sich jetzt an Mr. Parker hängen. Warum hört dieser Mann nur nicht auf mich? Er weiß doch, daß er ohne mich völlig verloren ist.« »Er wollte wohl Ihre Meditation nicht stören, Mylady«, sagte Kathy Porter. »Hat er gesagt, wohin er wollte?« fragte Agatha Simpson. »Nichts«, bedauerte Mike Rander. Er hielt im Gegensatz zu Lady Agatha den Butler keineswegs für leichtsinnig. Und ohne die ältere Dame war er ganz sicher nicht verloren. Das Gegenteil war eher der Fall. »Ich werde herausfinden, wo meine Gegner sind«, verkündete die Detektivin inzwischen energisch, »ich werde die beiden Lümmel von der Farm verhören. Und diesmal werde ich gnadenlos sein!« Sie setzte sich sofort in Bewegung, um hinunter in die Gästezimmer zu gehen. Dabei langte sie nach ihrem perlenbestickten Pompadour, der auf einem kleinen Beistelltisch lag. Der Handbeutel kam unmittelbar darauf in Schwingung. Kathy Porter und Mike Rander nickten sich nur knapp zu, um der älteren Dame dann zu folgen. Sie hielten es doch für angebracht, in der Nähe zu sein, falls ihr ungestümes Temperament überschäumte. Sie riß förmlich die Tür auf, hinter 53
der die beiden Männer aus der Farm Quartier bezogen hatten. Sie saßen auf ihren Bettcouches und starrten Lady Simpson in einer Mischung aus Wut und Neugier an. Dann aber sprangen sie auf und wollten ihre Chance nutzen, die sie witterten. Lady Agatha ließ sich auf nichts ein, benutzte ihren perlenbestickten Pompadour wie einen Morgenstern und setzte den sogenannten Glücksbringer auf das rechte Ohr des ersten Angreifers. Der Mann jaulte auf, verdrehte die Augen und fiel gegen seinen Partner, der daraufhin ein wenig behindert wurde. Es wiederholte sich das, was die beiden Männer bereits im Farmhaus über sich hatten ergehen lassen. Agatha Simpson trat zu wie ein Gassenjunge, setzte ihren Pompadour noch mal ein und schaffte es mit geradezu spielerischer Leichtigkeit, die Männer auszuknocken. Nach wenigen Augenblicken saßen die beiden wehleidig und entnervt auf dem Boden. »Wagen Sie es nicht noch mal, sich an einer schwachen Frau vergreifen zu wollen«, drohte die ältere Dame sichtlich zufrieden, »ich könnte sonst meine Mädchenerziehung aus dem Internat vergessen.« Kathy Porter und Mike Rander, die hinter Lady Agatha standen, lächelten amüsiert. Sie bewunderten allerdings auch Lady Simpson, die alles andere als schwach war.
Die beiden Männer aus dem Farmhaus blickten inzwischen scheu zu der resoluten Frau hoch und wagten nicht, sich zu den Couches zu schleppen. Lady Agatha ließ ihren Pompadour kreisen und lächelte plötzlich fast freundlich. »Ich kann nur hoffen«, schickte sie voraus, »daß Sie nicht zu schnell antworten. Ich möchte Ihnen meinen Pompadour zu gern noch mal um die Ohren schlagen.« »Nein, nein«, sagte der Untersetzte hastig und hob abwehrend die Arme, »wir sind bedient, Lady.« »Dann zur Sache«, grollte Agatha Simpson enttäuscht, »für wen arbeiten Sie? Und wo finde ich dieses Subjekt, das mich ins Farmhaus verschleppen wollte?« »An Ihrer Stelle würde ich verdammt schnell antworten«, schaltete Mike Rander sich ein, »Sie haben Lady Simpson noch nicht erlebt, wenn sie erst mal so richtig ungemütlich wurde!« »Wir arbeiten für Dave Flatters«, sagte der Untersetzte und befingerte ungemein vorsichtig seine Nase, die eine leichte Schräglage hatte. »Und wo finde ich dieses Subjekt?« fragte die ältere Dame umgehend. »In Hackney«, führte der Schlanke weiter aus, hastig und ängstlich, »in Hackney, in der Nähe vom Clapton Stadion.« »Genauer, junger Mann, genauer«, forderte die Detektivin 54
ungnädig, »keine vagen Beschreibungen! Ich bin es gewöhnt, daß man mir präzise Auskünfte erteilt!« »Flatters hat da einen Stand für Fish and Chips. Können Sie gar nicht verfehlen.« »Und was verkauft dieses Subjekt außer Fish and Chips?« »Nichts«, erwiderte der Schlanke und tat erstaunt, »was sollte er denn sonst noch verkaufen?« »Ich glaube, ich werde meine nächsten Fragen ein wenig nachdrücklicher stellen«, sagte die ältere Dame und wandte sich zu Kathy Porter und Mike Rander. »Vielleicht später, Mylady«, schlug der Anwalt vor, »Sie können ja jederzeit über die Gäste verfügen.« »Richtig«, entschied Lady Agatha und nickte, »falls ich belogen worden sein sollte, werden die Flegel einen Notarzt brauchen. Mir nach jetzt! Ich werde sofort nach Hackney fahren!« »Sie glauben, daß Parker dort ist?« Rander runzelte die Stirn. »Wo denn sonst, mein Junge?« Sie lächelte mild und besserwissend. »Natürlich hat man Mr. Parker längst gekidnappt und nach Hackney gebracht. Für mich ist alles sonnenklar!« * Josuah Parker sah die beiden Männer, die vor einer verrosteten, wind-
schiefen Eisentreppe standen, die ins erste Obergeschoß führte. Die beiden Gangster hatten ihre Waffen gezogen, wie deutlich auszumachen war. Es handelte sich um schwere Automatics mit überlangen Schalldämpfern. Die Männer dirigierten sich durch Handzeichen, schauten aufmerksam nach oben und warteten wohl nur darauf, einen Schuß abfeuern zu können. Parker war schneller als sie. In der Lederschlaufe seiner Gabelschleuder lag eine Perle aus Stahl, die wesentlich gefährlicher aussah als die Tonmurmel. Parker hatte sich nicht ohne Grund für diese Art von Munition entschieden. Es ging darum, die Gangster daran zu hindern, Schüsse auf ihn abzufeuern. Er strammte die beiden Gummistränge und visierte den Mann an, der links am Geländer vorsichtig nach oben ging. Parker konnte die Treppe von einem großen, rechteckigen Ausschnitt aus sehen, den man in den Beton geschnitten hatte. Möglicherweise war früher mal hier ein Lastenaufzug installiert gewesen. Der Mann wurde voll getroffen. Die kleine Stahlkugel hatte seinen Handrücken erwischt und dort in dem Gewirr von Sehnen und Knochen eine kleine Sensation ausgelöst. Der Mann warf seine schwere Waffe förmlich lustvoll über das eingedrückte Geländer und starrte dann entsetzt auf seine Hand, die einen 55
leblosen Eindruck machte. Dann stellte sich der stechende Schmerz ein und löste weitere Reaktionen aus. Der Mann jaulte, hechelte und traute sich kaum, seine Hand zu heben. Sein Partner hatte prompt die Nerven verloren und schoß in schneller Folge. Die Geschosse ›ploppten‹ aus dem Lauf, schrammten dann wesentlich lauter gegen den Beton und pfiffen als gefährliche Querschläger durch die untere Halle. Man hatte Parkers Position noch nicht ausgemacht. Der Butler ›lud‹ also die Lederschlaufe nach und visierte den zweiten Mann an, der geschossen hatte. Er war gerade dabei, ein neues Magazin einzuschieben, doch das schaffte er nicht mehr. Die zweite Stahlkugel traf ebenfalls seinen rechten Handrücken. Erneut wurde eine Waffe aus der Hand geprellt und landete scheppernd auf dem Betonfußboden. Der getroffene Mann brüllte entsetzt auf und musterte dann erst seine Hand. Auch sie ließ sich so gut wie nicht bewegen. »Weg! Nichts wie weg«, rief der erste Mann und wollte die Flucht ergreifen. Parker schickte eine dritte Stahlkugel auf die Luftreise und traf das linke Knie des Mannes.Der Getroffene knickte ein, setzte sich gegen seinen Willen und rutschte dann auf dem Hosenboden über die
rostigen Stufen weiter nach unten. Der zweite Mann blickte sich kurz um, setzte sich freiwillig und schob sich Stufe für Stufe nach unten. Daß dabei die Hose litt, schien ihn nicht weiter zu stören. Er wollte sich um jeden Preis möglichst schnell in Sicherheit bringen. Parker trat neben das Fenster und blickte nach unten. Der Mann, der sich mit einem der Reifen des hochbeinigen Monstrums befaßt hatte, lief bereits mit der Behendigkeit eines aufgescheuchten Rehs hinüber zum Ford. Er hatte darauf verzichtet, sich mit dem Butter anzulegen. Kurz danach erschienen die beiden Stahlkugelgeschädigten. Einer von ihnen humpelte nachdrücklich und war schlecht zu Fuß. Er wurde von dem Mann überholt, dessen Hose nur noch aus Fetzen bestand. Parker registrierte bei dieser Gelegenheit, daß dieser Mann geblümte, lange Unterhosen trug, die überhaupt nicht zu ihm paßten. Dieser Mann also überholte seinen humpelnden Partner und rannte zum Ford. Er entwickelte dabei eine durchaus beachtliche Geschwindigkeit. Parker schickte zur Abwechslung eine hart gebrannte Tonmurmel hinterher. Sie zischte durch die Luft und landete auf dem Hinterkopf des Humpelnden, der wie ein gefällter Baum zu Boden stürzte. 56
Parker ›lud‹ nach und nahm nun wieder eine der Stahlkugeln. Er wollte gewappnet sein, falls man mit dem Ford heranfuhr, um den dritten Mann aufzupicken, doch dies war erstaunlicherweise nicht der Fall. Die beiden Männer kümmerten sich nicht weiter um ihn, sie dachten ausschließlich nur an ihre eigene Haut. Als sie endlich im Ford saßen, jagten sie davon, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her. * Lady Agatha befand sich in Hochform. Sie war in Hackney, genauer gesagt hinter dem Tresen eines Trailers, den man zum Verkauf von Fish and Chips hergerichtet hatte. Dieser lange Wagen stand auf einem unbebauten Grundstück in Stadionnähe und bot außer den beiden bekannten Köstlichkeiten noch Bratwürste, Schaschlik und warmen Apfelkuchen, von Getränken ganz zu schweigen. Lady Agatha nutzte die Gunst der Stunde. Sie war überraschend durch die Seitentür in den Trailer gestiegen und sah sich einem dicken Mann gegenüber, der ihr überhaupt nicht sympathisch war. Der Fünfzigjährige hatte eine Glatze und ein gedunsenes Gesicht. Sie hatte sich nach dem Namen des Verkäufers
erkundigt und den Namen Dave Flatters gehört. Daraufhin brachte sie Flatters in die richtige Stimmung. Er sollte ihr später einige Fragen möglichst schnell und ehrlich beantworten. Lady Agatha langte mit der rechten Hand in eine große Schüssel, die mit Mayonnaise gefüllt war. Sie diente eigentlich dazu, Kartoffelchips oder auch Pommes frites geschmacklich abzurunden. Die resolute Dame griff herzhaft und tief in die weiß-gelbe Masse und füllte ihre Handfläche. Dann holte sie aus und klatschte die Superportion ins Gesicht des verdutzten Mannes. Dave Flatters wurde von dieser zweifelhaften Köstlichkeit völlig überrascht und fast geblendet. Die Mayonnaise verklebte seine Augen. Und da er den Mund zum Protest geöffnet hatte, verschluckte er sich noch zusätzlich. Die kalorienreiche Creme füllte auch seine Mundhöhle und veranlaßte ihn zu einem hastigen, unkoordinierten Schlucken. »Das ist die erste Quittung für meine geplante Entführung«, sagte die ältere Dame genußvoll, während Flatters zurückwich und sich mit dem Rücken gegen ein Getränkeregal lehnte. Agatha Simpson betrachtete ihr Werk, doch sie war noch keineswegs zufrieden. Sie langte erneut zu. Diesmal interessierte sie sich für Pommes frites. Ihre Hand fuhr wie 57
eine Schaufel in die Kartoffelstäbchen und legte diese dann auf die zähe Masse, die noch nicht mal schlecht roch. Die Kartoffelstäbehen blieben in der Mayonnaise hängen, bedurften aber noch des Nachsalzens, wie Lady Agatha fand. Sie holte das umgehend nach und benutzte dazu ein überdimensional großes Salzfaß, das an einen Wäschesprenger erinnerte. Schwungvoll verabreichte sie Flatters eine gehörige Portion Salz und betrachtete dann ihr Werk. Sie nickte zufrieden, während Dave Flatters schluckte, würgte und hustete. Er machte einen hinfälligen Eindruck auf die ältere Dame, die sich veranlaßt sah, Flatters ein wenig aufzumuntern. Sie schaute sich nach einem geeigneten Stimulans um und entschied sich für frittierten Fisch, der portionsweise in einer Riesenpfanne schwamm. Diesmal benutzte Agatha Simpson einen Schöpflöffel, denn sie wollte sich nicht die Finger verbrennen. Sie fischte zwei Kabeljauportionen aus dem Öl und näherte sich Flatters, der noch nichts von seinem Glück ahnte. Der Mann wischte an seinen verklebten Augen und bekam eindeutig nicht mit, daß Lady Agatha ihm das Hemd über der Brust öffnete. Der fritierte Fisch glitt ohne größere Schwierigkeiten durch das geöffnete Hemd hinunter auf die
Unterwäsche. Darauf schien Flatters sich für eine Art Break-Dance entschieden zu haben. Die nicht gerade kalten Fischportionen durchbluteten seine Brust. Der Mann zappelte, stieß kleine, spitze Schreie aus, gestikulierte mit den Händen in der Luft und faßte erst mit erheblicher Verspätung nach den beiden Fischportionen auf seinem Unterhemd. Mike Rander lachte Tränen, Kathy Porter schnappte vor Vergnügen nach Luft. Agatha Simpson war zurückgetreten und beobachtete Flatters, der sich die Fischportionen bröckchenweise vom Hemd kratzte. »Ist Ihnen etwas zu heiß geworden, junger Mann?« erkundigte sich die ältere Dame. »Dem kann abgeholfen werden!« Mit geübten Händen riß sie die Verschlüsse einiger Coladosen auf und löschte Flatters ab. Der Mann stand wie ein begossener Pudel in einer Ecke des Trailers und ließ alles über sich ergehen. Dann tastete er mit den Händen herum, fand einen Hocker und setzte sich. »Nun zur Sache«, schickte Lady Agatha voraus, »bisher habe ich nur Spaß gemacht, aber das kann sich sehr schnell ändern… Für wen wollten Sie mich entführen lassen? Antworten Sie ganz schnell, sonst werde ich Sie fritieren!« »Nein, nein«, keuchte Dave Flatters, »ich werde reden… Lassen Sie mich in Ruhe, Sie bringen mich noch 58
um.« »Die Antwort«, verlangte die Lady grollend, »ich glaube, ich werde bereits etwas ungeduldig.« »Norman Willings hat mich gekauft«, kam schnell die Antwort, »Norman Willings… Mehr weiß ich nicht. Ich hab’ ihm nur ein paar Leute vermittelt, sonst weiß ich nichts.« »Norman Willings also«, wiederholte die Lady, »das ist doch schon recht nett, junger Mann, aber nun zu den Einzelheiten. Oder möchten Sie noch etwas Fisch?« Dave Flatters war dagegen. * Josuah Parker sah auf den ersten Blick, daß etwas passiert sein mußte. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und näherte sich einem langen, modernen Verkaufstrailer, der von einer Menschenmenge umgeben war. Er sah rechts vom Verkaufswagen einen reichlich ramponiert wirkenden Landrover, den er sofort identifizierte. Solch einen Wagen benutzte Lady Simpson, um sich durch den Verkehr zu boxen. Josuah Parker stieg aus und schritt würdevoll auf den Trailer zu. Er hörte das spöttische und schadenfrohe Lachen der Zuschauer und entdeckte dann einen glatzköpfigen Mann, dessen Gesicht allerdings
nicht auszumachen war. Der Mann sich eine eigenwillige schien Gesichtsmaske aufgetragen zu haben, die er nun aber unbedingt wieder loswerden wollte. Er wischte mit beiden Händen die Mischung von seiner Haut. Er merkte nicht, daß diese Gesichtsmaske stetig erneuert wurde. Hinter ihm stand Agatha Simpson, die immer neue Portionen von Mayonnaise auf die Glatze klatschte. Parker wußte Bescheid. Seine Herrin befand sich wieder mal auf Kriegspfad und unterhielt sich bestens. Der Beifall der Zuschauer ermunterte sie, gründlich zu arbeiten. »Darf man fragen, wer der Mann dort ist?« erkundigte sich Parker bei einem Zuschauer und deutete mit der Schirmspitze nach vorn. »Flatters«, sagte der Mann, »ein Dreckskerl, der hier die ganzen Straßen beherrscht. Und das da gönne ich ihm!« »Er beherrscht die Straßen?« wunderte sich Parker gespielt. »Er hat so ‘ne kleine Gang, sagt man«, redete der Mann weiter, »alles Leute, die er bezahlt…« »Wirft solch ein Verkaufswagen tatsächlich soviel ab?« wunderte sich Parker weiter. »Keine Ahnung.« Der Mann wurde vorsichtig und zuckte die Achseln. Er musterte den Butler und wunderte sich nun seinerseits. 59
»Eine streitbare Dame«, stellte der Butler fest und deutete auf Lady Simpson. »So was hab’ ich noch nie gesehen«, freute sich der Mann. »Die geht ran, die hat keine Angst!« »In der Tat«, bemerkte Josuah Parker, »sie scheint eine persönliche Rechnung mit Mr. Flatters zu begleichen.« »Von mir aus kann sie noch stundenlang weitermachen«, sagte der Zuschauer und grinste, denn Agatha Simpson legte gerade eine Portion Fisch auf die Glatze. Der so Behandelte verlor daraufhin endgültig die Nerven, kroch über die Verkaufstheke, ließ sich an der Glasvitrine hinunter und ergriff die Flucht. Die Zuschauer johlten vor Vergnügen und spendeten reichlich Beifall. Dave Flatters rannte zu einem nahen Haus, riß die Tür auf und verschwand. Danach zerstreuten sich die Zuschauer und räumten das Feld. Josuah Parker wartete am hinteren Ausgang des Trailers auf seine Herrin, die wenig später zusammen mit Kathy Porter und Mike Rander erschien. Die ältere Dame machte einen ungemein zufriedenen Eindruck. Als sie Parker sah, zog sie erstaunt die Augenbrauen hoch. »Sie hier?« fragte sie erstaunt. »Die freundlichen Auskünfte eines kleinen Gangsters lenkten meine bescheidene Aufmerksamkeit hier-
her auf Hackney, Mylady«, antwortete der Butler, »geht man recht in der Annahme, daß Mylady einen gewissen Dave Flatters um einige Auskünfte bat?« »Woher kennen Sie diesen Namen?« fragte Mike Rander. »Meine Wenigkeit wurde von drei Männern kontaktiert, die man nur als Mitglieder der sogenannten Unterwelt bezeichnen kann«, schickte der Butler voraus, »einer der drei Männer war so entgegenkommend, auf einen Mr. Dave Flatters hier in Hackney zu verweisen. Er sprach sogar eindeutig von einem Verkaufstrailer.« »Das trifft sich ja bestens«, erwiderte der junge Anwalt, »damit dürfte dieser Kreis sich geschlossen haben.« »Und durch wen?« fragte die ältere Dame streng. »Selbstverständlich dank Ihrer Initiative«, meinte Rander, »nur durch Sie, Mylady, wurde auf einen gewissen Norman Willings hingewiesen.« »Um den ich mich sofort ebenfalls kümmern werde«, verkündete die Lady, »ich glaube, ich befinde mich in sehr guter Stimmung. Und das werde ich nutzen!« * »Nein, nein, nicht schon wieder«,
schrie Dave Flatters, als Lady Aga60
tha plötzlich vor ihm stand. Der Glatzköpfige stand unter der Dusche, um sich die Mayonnaise und den fritierten Fisch abzuspülen. Dann erst ging ihm auf, daß er nackt war, und er nahm schleunigst seine Hände hinunter. Er machte einen ungemein verlegenen Eindruck. »Haben Sie sich gefälligst nicht so«, raunzte die ältere Dame, »ziehen Sie sich Ihren Bademantel über und kommen Sie! Ich habe noch einige Fragen.« »Hauen Sie ab«, brüllte Dave Flatters entnervt, »wie sind Sie überhaupt ins Haus gekommen? Ich weiß genau, daß ich…« »Sie müssen vergessen haben, die Haustür zu schließen«, schaltete Josuah Parker sich in seiner höflichen Art ein, »man rief nach Ihnen, doch Sie antworteten nicht.« »Raus«, brüllte Flatters weiter und langte hastig nach einem Badetuch, das er sich um die fetten Hüften schlang, »ich rufe die Polizei, wenn Sie sich nicht augenblicklich verziehen!« »Bin ich gerade beleidigt worden, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler. »Mr. Flatters drückt sich in der Tat ein wenig ordinär und unflätig aus«, urteilte Parker. »Noch ein Wort, junger Mann, und Sie werden mich richtig kennenlernen«, drohte die ältere Dame, »und nun kommen Sie endlich! Ich habe
meine Zeit schließlich nicht gestohlen.« »Das ist Hausfriedensbruch und Nötigung«, schimpfte Dave Flatters, allerdings ohne jeden Nachdruck. Er hatte sich schamvoll abgewandt und wickelte das Badetuch noch mal und sehr fest um die Hüfte. »Wo finde ich diesen Norman Willings?« fragte Agatha Simpson, »im Verkaufswagen haben Sie mir etwas zu schnell geantwortet.« »Willings wohnt nur ein paar Straßen weiter«, sagte Flatters, »er hat eine Wohnung am Victoria Park über einem italienischen Gemüseladen.« »Das sagten Sie bereits, junger Mann«, erinnerte Agatha Simpson, »und womit verdient dieses Subjekt sein Geld?« »Keine Ahnung«, behauptete Flatters achselzuckend, dann aber sah er das Glimmen in den Augen der Lady und hüstelte. »Moment, warten sie doch, ich glaube, ich kann Ihnen da ‘nen Tip geben.« »Haben Sie ein Glück, junger Mann«, wunderte sich Agatha Simpson, »ich wollte Sie gerade ohrfeigen. Sie müssen das geahnt haben!« »Willings macht in Altpapier«, redete Flatters munter weiter, »er beliefert damit Kartonagenfabriken und so, wie das genau funktioniert, weiß ich wirklich nicht.« »Wozu besorgten Sie ihm diese Lümmel, die mich kidnappen soll61
ten?« »Von Kidnapping habe ich nichts geahnt«, leugnete Flatters energisch, zog aber sicherheitshalber den Kopf ein und machte sich sehr klein, »ich heuere für Willings immer wieder mal junge Arbeitslose an. Willings hat dann Großaufträge, die er mit seinen eigenen Leuten nicht schafft.« »Was halte ich von diesen Lügen, Mr. Parker?« erkündigte sich Lady Agatha bei Parker. »Haben Sie bereits Mr. Willings angerufen und von Ihrem Besuch berichtet?« fragte Parker den Mann. Er schien die Frage seiner Herrin nicht gehört zu haben. »Willings angerufen? Nee, dazu hatte ich noch keine Zeit. Ich mußte doch erst mal die verdammte Mayonnaise vom Gesicht bekommen. Hören Sie, Lady, was Sie da mit mir getan haben, hat bisher noch kein Mensch riskiert.« »Diese Behandlungsmethode wird sich hoffentlich herumsprechen«, antwortete Agatha Simpson, »Sie sind doch nur ein Papiertiger.« »Warten Sie’s ab«, meinte Flatters wütend, »es kommen auch mal andere Zeiten. Und dann werde ich…« »Ich fühle mich zutiefst beleidigt«, stellte Lady Agatha fest und… verabreichte Flatters eine ihrer sattsam bekannten Ohrfeigen. Daraufhin fiel Flatters vom Hocker und entblößte sich. Das Badetuch löste sich von sei-
nen Hüften. »Sehen Sie sich das an, Mr. Parker«, entrüstete sich die ältere Dame, »ich habe es mit einem Exhibitionisten zu tun! Muß ich mir so etwas bieten lassen?« »Stopp, Lady!« Flatters langte hastig nach seinem Badetuch, zog die Beine an und hüllte sich ein. »Sie machen mich restlos fertig… Was soll ich denn tun? Warum gehen Sie nicht endlich?« »Womit verdient Mr. Norman Willings sein Geld?« schaltete der Butler sich höflich ein. »Mit Altpapier allein ist wohl kaum ein Vermögen zu machen.« »Nun ja, er verdient wirklich nicht schlecht«, räumte Flatters ein. Er hatte nicht gemerkt, daß Parker bluffte, als er von einem Vermögen gesprochen hatte, »man sagt, Willings würde mit…« »… Rauschgift handeln«, redete Parker weiter, als Flatters stockte. »Das haben Sie gesagt, nicht ich«, verwahrte sich Flatters hastig, »Mann, glauben Sie, ich wollte umgebracht werden? Ich bin doch nicht lebensmüde!« * »Willings ist eindeutig ein Rauschgifthändler«, sagte Chief-Superintendent McWarden. Er war Gast im Haus der Lady in Shepherd’s Market und genoß sichtlich das Privileg, 62
den alten, trockenen Sherry trinken zu dürfen, zu dem Agatha Simpson ihn überraschenderweise eingeladen hatte. »Welche Rolle spielt er in der sogenannten Szene?« wollte Josuah Parker wissen. »Norman Willings ist schon so groß geworden«, redete McWarden weiter, »er dürfte den gesamten Norden von London kontrollieren, doch bisher konnten wir ihm nichts nachweisen. Wie das eben so ist! Er bleibt stets im Hintergrund und zieht von daher seine Fäden. Die gefährliche Arbeit überläßt er Mitarbeitern.« »Denken Sie in diesem Zusammenhang möglicherweise an Mr. Dave Flatters, Sir?« fragte der Butler weiter, während Lady Agatha wohlwollend zuhörte. Sie saß in einem der großen Sessel vor dem Kamin und belebte ihren Kreislauf mit französischem Kognak. »Flatters ist so ein Zwischenhändler«, antwortete der Chief-Superintendent und nickte, »er bezieht die Drogen von Willings und verteilt sie dann an die kleinen Dealer, die für den Umsatz sorgen. Übrigens erstaunlich, Mylady, wie Sie mit diesem Flatters umgesprungen sind. Man hat mir bereits davon berichtet.« »Dieses Subjekt war und ist eine Null«, urteilte die ältere Dame wegwerfend.
»Wenn Sie sich da mal nur nicht täuschen, Mylady«, hielt McWarden dagegen, »er ist bekannt für seine Brutalität. Sie müssen ihn auf dem falschen Bein erwischt haben, sonst hätten Sie ihn wohl niemals geschafft.« »Papperlapapp, McWarden«, gab sie leichthin zurück, »er hatte überhaupt keine Chance. Ein nackter Mann ist hilflos. Er hat nur zu gern von diesem Willings gesprochen. War es nicht so, Mr. Parker?« »Er war ausgesprochen redselig, wenn man so sagen darf«, pflichtete der Butler ihr bei, »leider konnten Mylady sich nicht mit dem bereits mehrfach erwähnten Mr. Willings ins Benehmen setzen.« »Willings ist nicht in der Stadt«, wußte der Chief-Superintendent, »unsere V-Leute geben das als gesichert weiter. Willings muß irgendwo unterwegs sein.« »Wo soll dieses Subjekt sich schon aufhalten, McWarden?« fragte die ältere Dame ironisch, »er ist natürlich hinter diesem ominösen Kuriergepäck her. Wie hieß der Mann noch, Mr. Parker, den man einscharren wollte?« »Mr. Peter Fennebran, Mylady, ein Kurier aus dem Mittleren Osten.« »Sagte ich doch.« Sie sah ihn strafend an. »Willings ist also hinter diesem Fennebran her. Ich meine, hinter dessen Drogen, die er ins Land schmuggelte.« 63
»Was James Alanford nach wie vor energisch bestreitet«, warf McWarden ein. »Wer ist schon Alanford?« stichelte die Detektivin. »Er hat natürlich keine Ahnung, was sich hinter seinem Rücken abspielt. Ist es nicht so, Mr. Parker? Sehe ich das nicht richtig?« »Mylady bestechen immer wieder durch Klarsichtigkeit«, behauptete der Butler in seiner höflichen Art, »und Mylady wollen sicher nun auch in Erfahrung bringen, ob der Tote in der Teppichrolle tatsächlich Mr. Peter Fennebran ist.« »Will ich das?« wunderte sie sich prompt und hüstelte. Dann nickte sie allerdings nachdrücklich. »Es ist Peter Fennebran, ein Irrtum ist ausgeschlossen«, erklärte der Chief-Superintendent, »meine Leute haben das noch mal genau durchgecheckt.« »Ich möchte eben letzte Gewißheit haben«, sagte die ältere Dame, sich geschickt anpassend, »was wünsche ich noch zu haben, Mr. Parker? Ich sagte Ihnen ja erst eben noch, worauf es mir bei meinen Ermittlungen ankommt, nicht wahr?« »Mylady drückten sich ausgesprochen deutlich aus«, schwindelte Parker in seiner höflichen Weise. »Also, was muß ich noch wissen?« Sie lächelte wohlwollend. »Genieren Sie sich nicht, entsprechende Fragen zu stellen, Mr. Parker!«
»Es soll Gerüchte gegeben haben, die besagten, Mr. Fennebran habe bereits in jüngster Vergangenheit Drogen geschmuggelt.« »Ich habe ausführlich mit Alanford gesprochen«, räumte McWarden ein, »er wußte von diesen Gerüchten und hatte sogar schon eine interne Untersuchung eingeleitet. Woher wissen Sie von diesen Gerüchten, Mr. Parker?« »Mr. Trenda war so entgegenkommend, sie zu erwähnen.« »Was halten Sie von Trenda?« fragte McWarden. Er sah zwar Mylady an, erwartete doch von Parker die Antwort. »Mr. Trenda dürfte jetzt wohl endlich eine gewisse Chance erhalten, als Kurier eingesetzt zu werden, Sir. Dabei dürfte es sich um einen sehnlichen Wunsch handeln.« »Ist Trenda astrein?« »Solch eine Frage sollte und müßte man auch in Richtung Mr. Alanford stellen, Sir.« »Moment mal, Mr. Parker! Sie sich auch mit beschäftigen Alanford?« »Natürlich tue ich das«, schaltete Lady Agatha sich hastig ein, »für mich ist jeder verdächtig, auch dieser Alanford. Warum sollte er nicht versuchen, schnell an Geld zu kommen?« »Alanford ist ein hohes Tier im Geheimdienst«, meinte McWarden, doch er war nachdenklich gewor64
den. »Verräter, Sir, gibt es in allen Etagen«, warf Josuah Parker gemessen ein. »Mein Gott, das eröffnet ja völlig neue Perspektiven«, stöhnte der Chief-Superintendent und stand auf, »an so etwas habe ich überhaupt nicht gedacht.« »Nur keine Panik, mein lieber McWarden, ich habe alles fest im Griff«, beruhigte Lady Agatha ihren Besucher, »ist es nicht so, Mr. Parker?« »Mylady verlieren nie die Gesamtübersicht«, stellte der Butler höflich fest. »Ich weiß, ich weiß.« Sie lächelte selbstzufrieden. »Mr. Parker und ich werden zurück aufs Land fahren, lieber McWarden.« »Sie wollen dort nach Beweisen buddeln, nicht wahr?« fragte der Mann vom Yard und lächelte. »Dieses Kuriergepäck muß sich noch draußen auf dem Land befinden«, sagte die ältere Dame nachdrücklich. »In der Tat, Sir«, meinte Josuah Parker, »laut Mr. Trenda sollte dieses Gepäck während der Treibjagd an Mr. Trenda weitergereicht werden. Mr. Alanford vom Geheimdienst bestätigte dies. Da sowohl der Geheimdienst als auch die Rauschgiftgangster nach diesem Gepäck suchen, müssen die Unterlagen, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben,
dort zu finden sein, wo der verblichene Mr. Fennebran sich zuletzt aufhielt.« »Bitte, ich möchte nicht mißverstanden werden«, sagte McWarden und blickte die ältere Dame betont an, »aber wer ist eigentlich der Ausrichter der Treibjagd gewesen? Der Name allein sagt mir noch gar nichts.« »Sir Patrick Simmons«, sagte der Butler, »führt einmal im Jahr eine Treibjagd durch, die sich eines recht guten Zuspruches erfreut, wenn man so sagen darf.« »Sir Patrick ist ein netter, aber im Grund unwichtiger Mann«, urteilte die Detektivin, »finanziell dürfte er abgesichert sein, aber so genau weiß ich das nicht.« »Ob man sich mit ihm mal befassen sollte?« fragte der Chief-Superintendent. »Unsinn«, gab die ältere Dame scharf zurück, »er hat von dieser Gepäckübergabe doch mit Sicherheit nichts gewußt, oder, Mr. Parker?« »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady.« »Eben.« Sie nickte nachdrücklich, stutzte dann aber und wurde plötzlich nachdenklich. »Auf der anderen Seite könnte er eine günstige Gelegenheit beim Schopf gefaßt haben.« »Sie haben also nichts dagegen, wenn wir vorsichtig recherchieren, Mylady?« vergewisserte sich McWarden. 65
»Aber sehr diskret«, sagte sie streng, »zumal ich mich ab sofort mit Sir Patrick befassen werde, mein lieber McWarden. Ich werde ihm auf den Zahn fühlen!« * »War es richtig, diesen Trenda aus dem Haus zu lassen?« fragte Agatha Simpson zwei Stunden später. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen und ließ sich aufs flache Land bringen. Ihr Ziel war der Landsitz von Sir Patrick Simmons. Angekündigt dort hatte sie sich allerdings nicht. Sie wollte Sir Patrick überraschen. »Mylady trafen wie stets und immer genau die richtige Entscheidung«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Das ist richtig.« Sie nickte beruhigt, um dann jedoch erneut gewisse Zweifel anzumelden. »Und wie war das mit den anderen Subjekten? Ich denke da an die beiden Flegel aus der Farm und an den Mann, den Sie aus dem Morris mitgebracht hatten.« »Es sind im Grund unwichtige Handlanger, wie Mylady es im übertragenen Sinn auszudrücken beliebten«, gab Parker zurück. »Sagte ich das?« wunderte sie sich. »Nun gut, es stimmt in jedem Fall. Was meine ich zu Sir Patrick, Mr. Parker?« »Mylady wollen Sir Patrick auf
den sprichwörtlichen Zahn fühlen«, erinnerte Parker. »Ich denke, ich halte ihn für unschuldig, oder täusche ich mich da?« »Mylady werden in einigen Stunden mehr wissen.« »Natürlich, Mr. Parker. Ich werde dieses Rätsel lösen. Aber wo setze ich den Hebel an? Wo finde ich die beiden Totengräber?« »Sie dürften sich noch in der Nähe des Landsitzes herumtreiben, um es mal so salopp auszudrücken, Mylady. Es geht nach wie vor um das Kuriergepäck des ermordeten Mr. Fennebran.« »Ob diese beiden Totengräber auch zu diesem Subjekt aus Hackney gehören, Mr. Parker?« Lady Agatha zeigte eindeutig eine gewisse innere Unsicherheit, wie deutlich herauszuhören war. »Mylady sprechen von Mr. Norman Willings, der laut Chief-Superintendent McWarden die Stadt verlassen hat?« »Willings«, bestätigte sie, »ich meine diesen Rauschgiftgroßhändler.« »Diese beiden sogenannten Totengräber, Mylady, sind vorerst kaum richtig einzuordnen«, fand Parker, »Mylady drückten sich bereits bei anderer Gelegenheit entsprechend aus.« »Tat ich das?« Sie nickte zögernd. »Diese beiden sogenannten Toten66
gräber könnten natürlich auch das Kuriergepäck längst in ihren Besitz gebracht haben.« »Aha.« Sie nickte und schüttelte anschließend den Kopf. »Wenn das so ist, Mr. Parker, dann arbeiten sie aber ganz sicher nicht für die Rauschgifthändler.« »Dann könnten sie Gegenagenten sein, Mylady, die Mr. Fennebran die Unterlagen abjagen wollten.« »Alles sehr klar«, behauptete die Detektivin, »im Grund habe ich auch diesen Fall bereits gelöst.« »Mylady brauchen nur noch die Unterlagen zu finden, falls sie sich noch im Land befinden.« »Das kann ja wohl nicht besonders schwer sein«, gab sie entschlossen zurück, »diese Kleinigkeit überlasse ich Ihnen, Mr. Parker, damit auch Sie endlich mal ein Aha-Erlebnis haben.« »Mylady sind wieder zu gütigst.« »So bin ich eben«, erklärte sie in aller Bescheidenheit, »ich will mir nicht schließlich alle Lorbeeren an den Hut heften, Sie könnten sonst die Lust an weiteren Ermittlungen verlieren.« Diesmal verzichtete Parker auf eine Antwort. Sein glattes Gesicht zeigte keine Regung. Er war die Selbstbeherrschung in Person. * Josuah
Parker
inspizierte
Gästehaus des Landsitzes. Es handelte sich um ein ehemaliges Kutscherhaus, das man selbstverständlich umgebaut und den modernen Erfordernissen angepaßt hatte. Dieses hübsche kleine Fachwerkhaus stand am Ende des Parks und war von hohen Hecken umgeben. Vom Gewächshaus aus konnte man gerade noch die vielen Schornsteine des Landsitzes ausmachen. Lady Agatha hatte die Räume inspiziert und war soweit zufrieden. Sie verfügte über einen Wohn- und Schlafraum, über ein großes Badezimmer und einen kleinen Umkleideraum, in dem die Garderobe untergebracht werden konnte. Josuah Parker war ähnlich versorgt, verfügte allerdings noch zusätzlich über eine kleine Küche, in der er gerade Tee aufbrühte. Er nahm sich dazu viel Zeit und servierte ihn dann zusammen mit Kognak. Agatha Simpson hatte kurz nach dem Einzug in das kleine Haus von ihrem leicht angegriffenen Kreislauf berichtet. »Sehr eigenartig, daß Sir Patrick unterwegs ist, finden Sie nicht auch?« Sie nickte wohlwollend, als Parker sie mit der Köstlichkeit aus Frankreich versorgte. »Sir Patrick will aber noch im Verlauf der Nacht zurückkehren«, erinnerte Josuah Parker. »Nach dem Tee werde ich einen das
Spaziergang unternehmen«, sagte 67
die ältere Dame, »ich werde noch mal die Lichtung inspizieren, wo ich die Leiche fand.« Parker dachte nicht im Traum daran, eine kleine Korrektur der Tatsachen vorzunehmen. Natürlich hatte er Fennebrans Leiche gefunden, aber in seinen Augen war dies nicht so wichtig. Er wollte gerade Tee nachgießen, als das Wandtelefon sich meldete. Parker schritt würdevoll an den Apparat, hob ab und sprach. »Parker, nicht wahr?« fragte eine undeutliche Stimme. »Parker mein Name, Josuah Parker«, bestätigte der Butler, »mit wem hat man das Vergnügen, wie ich vorerst noch unterstellen möchte?« »Hören Sie mal genau zu«, sagte die undeutliche Stimme, »ich schlage Ihnen einen Tausch vor, klar?« »Sie finden meine ungeteilte Aufmerksamkeit.« »Sie rücken da einige Papiere raus, mit denen Sie ohnehin nichts anfangen können, klar? Und dafür bekommen Sie von mir einen ganz bestimmten Aktenkoffer.« »Ein Tausch, der interessant klingt.« »Es kommt noch besser«, redete die undeutliche Stimme weiter, »wir packen noch einen zweiten Aktenkoffer dazu. Mit Inhalt natürlich! Was sagen Sie jetzt?« »Sie zeigen sich ungemein großzü-
gig.« »An Aktenkoffern sind wir nicht interessiert«, meinte die undeutliche Stimme. »Demnach sind die Papiere von eminenter Wichtigkeit.« »Sie haben sie bereits durchgeblättert, wie?« »Eine gewisse Neugier ließ sich einfach nicht unterdrücken.« »Kann ich verstehen. Aber Sie werden gemerkt haben, daß das Zeug für Sie überhaupt nichts bringt.« »Vorerst wenigstens, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Es gibt noch eine andere Möglichkeit, Parker.« »Meine Wenigkeit rechnet jetzt mit der längst fälligen Drohung.« »Damit liegen Sie völlig richtig, Parker. Falls Sie auf meinen Vorschlag, nicht eingehen, sind Sie geliefert! Denken Sie an die Waldlichtung und an die Teppichrolle! So etwas kann sich verdammt schnell wiederholen…« »Wie wäre es mit einem dritten, wohlgefüllten Aktenkoffer?« »Sie sind verrückt, Parker, das wäre dann schon ein sagenhaftes Vermögen. Zudem können wir so schnell keinen dritten Aktenkoffer füllen.« »Sie könnten sich selbstverständlich Zeit lassen, meiner Wenigkeit eilt es nicht.« »Zwei Koffer, das ist und bleibt mein Angebot, haben Sie mich ver68
standen?« »Wann und wo sollte der Tausch stattfinden?« »Um Mitternacht«, kam prompt die Antwort, »kommen Sie raus zu der alten Wassermühle!« »Sind Sie sicher, daß meine Wenigkeit sie finden wird?« »Fragen Sie nach, Parker. Also, um Mitternacht bei der alten Wassermühle. Und versuchen Sie nicht, mich reinzulegen.« »Sie sehen in mir einen fast ehrlichen Makler«, erklärte Josuah Parker. »Sie sind ein gerissener Bursche«, sagte die undeutliche Stimme, »warum wären Sie sonst wohl zurückgekehrt? Sie können mit den Papieren eben nichts anfangen und haben damit gerechnet, daß wir uns melden würden.« »So könnte man es allerdings auch ausdrücken«, schwindelte Parker. »Um Mitternacht«, betonte die Stimme noch mal, dann wurde aufgelegt. Parker ging zurück zu seiner Herrin, die längst hellhörig geworden war. Stichwortartig berichtete er, und Lady Agathas Augen funkelten. »Ich wußte, daß die beiden Totengräber sich melden würden«, behauptete sie dann, als Parker geendet hatte, »und damit schnappt die Falle zu!« *
Agatha Simpson sah kriegerisch aus, was wohl mit dem mächtigen Sauspieß zusammenhing, mit dem sie sich unter anderem ausgerüstet hatte. Dazu hatte sie noch Pfeil und Bogen. Der Sauspieß stammte aus dem Landsitz, Pfeil und Bogen aus dem Kofferraum von Parkers hochbeinigem Monstrum. Die ältere Dame wollte ebenso lautlos Krieg führen wie Parker, den sie um die Gabelschleuder beneidete. In der Vergangenheit hatte Lady Agatha schon wiederholt versucht, mit besagter Gabelschleuder zu schießen, doch daraus war bisher nichts geworden. Was den Sportbogen betraf, war sie in der Tat wesentlich geschickter. Sie nahm regelmäßig an einschlägigen Wettbewerben teil und war dort eine gefürchtete Schützin. Jedesmal, wenn sie die Sehne straffte, spritzten die übrigen Teilnehmer schnell und angstvoll zur Seite, um nicht getroffen zu werden. Einigen Gerüchten zufolge sollte die ältere Dame allerdings hin und wieder auch das Ziel getroffen haben. Es war längst dunkel geworden. Lady Agatha befand sich auf Kriegspfad und hatte die Führung der kleinen Expedition übernommen. Ausgerüstet mit einer Wanderkarte und einem Kompaß suchte sie den kürzesten Weg zur alten Was69
sermühle, die auf der Karte eingezeichnet war. Parker folgte und überließ sich vorerst der Sachkenntnis seiner Herrin. »Ohne Kompaß ist man in der Dunkelheit völlig verloren«, dozierte Lady Agatha, und blieb stehen, »sehen Sie Sterne, Mr. Parker? Ich nicht!« »Der Himmel macht einen verhangenen Eindruck, Mylady«, antwortete Parker. »Sehen Sie, Mr. Parker, wie wollen Sie sich also ohne Kompaß orientieren?« »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Mylady die Führung übernommen haben«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Natürlich! Wer denn sonst?« Sie hatte den Deckel des Kompasses aufgeklappt und verlangte nach Licht. Parker holte einen seiner Patent-Kugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und schaltete das kleine, punktförmige Licht ein. »Dort ist also Norden«, behauptete Agatha Simpson und drehte sich um ihre Längsachse, »man muß die Nadel einspielen, verstehen Sie?« »Sehr eindrucksvoll«, fand Parker höflich. »Ich war Pfadfinder«, redete die ältere Dame munter weiter, »ich habe nie mein Ziel verfehlt.« »Davon geht meine Wenigkeit aus.« »Wenn dort also Norden ist, Mr.
Parker, dann ist dort Süden.« Nach dieser Feststellung breitete die ältere Dame ihre Arme waagerecht aus und drehte sich entsprechend. »Die Mühle aber dürfte sich im Osten befinden, Mylady.« »Lassen Sie mich gefälligst ausreden«, herrschte sie den Butler ungehalten an, »natürlich weiß ich jetzt, wo Osten ist! Eine Kleinigkeit!« »Vielleicht dort, Mylady?« Parker deutete in die Dunkelheit. »Tatsächlich?« Erstaunen war in ihrer Stimme. »Nun, warum eigentlich nicht? Warten Sie, ich werde das nachkontrollieren… Richtig, dort ist also Osten. Und nun braucht man sich nur hoch einen sogenannten Hilfspunkt zu merken. Haben Sie das begriffen?« »Mylady könnten sich nicht deutlicher und instruktiver ausdrücken.« »Ich brauche also einen Hilfspunkt«, wiederholte sie, »aber, wo zum Teufel, bietet sich so etwas an? Es ist pechschwarz.« »Vielleicht sollten Mylady erst mal generell gen Osten schreiten.« »Was sonst, Mr. Parker!« Sie war unwillig. »Folgen Sie mir, damit Sie sich nicht verlaufen, aber treten Sie mir nicht in die Hacken!« Sie marschierten los und verirrten sich schon bald hoffnungslos. Man befand sich immerhin in einem Waldstück. Einige Male war ein ungeniertes Schimpfen zu vernehmen, wenn Mylady gegen einen 70
Baumstamm gerannt war. Endlich blieb sie stehen. »Wir müßten längst aus dem Wald heraus sein«, sagte sie gereizt, »ich glaube, der Kompaß ist nicht in Ordnung.« »Erlauben Mylady, daß meine Wenigkeit den Vortritt übernimmt?« »Okay, versuchen Sie Ihr Glück«, sagte sie erleichtert, »viel wird ohnehin nicht herauskommen, aber Sie sollen Ihr Erfolgserlebnis haben.« Parker schritt voraus, dicht gefolgt von der älteren Dame, die ziemlich eng aufschloß. Mit nachtwandlerischer Sicherheit umging Parker die Hindernisse und brauchte nur wenige Minuten, bis sie den Rand des Waldstückes erreichten. »Zufall«, sagte die Detektivin verärgert, »ein blindes Huhn findet manchmal auch ein Korn.« »Das Glück schmeichelt meiner Wenigkeit«, erklärte der Butler und deutete dann mit der Schirmspitze in eine weite Talsenke, »dort Mylady, dürfte sich die gesuchte Wassermühle befinden.« »Wo sonst?« gab sie zurück. »Ich war also auf dem richtigen Weg, oder wollen Sie das etwa abstreiten?« »Dies käme meiner Wenigkeit niemals in den Sinn«, meinte Josuah Parker, »wollen Mylady jetzt wieder die Führung übernehmen?« »Selbstverständlich«, sagte sie, »ich möchte nicht noch mal in die
Irre geführt werden!« * Parker servierte heißen Tee mit Rum. Er hatte eine kleine Thermosflasche geöffnet und erquickte seine Herrin. Sie saß auf einem Bretterstapel und wartete auf die Ankunft der Totengräber. Bis Mitternacht fehlten noch fünfundvierzig Minuten. »Hoffentlich waren Sie nicht zu leichtgläubig«, sagte sie zu Parker, »glauben Sie wirklich an einen Tausch?« »Damit ist kaum zu rechnen, Mylady«, antwortete der Butler, »man dürfte einen Doppelmord planen.« »Wie seltsam«, fand sie und nickte zufrieden, »man will mich also wieder mal umbringen. Was halte ich eigentlich von diesen beiden Totengräbern?« »Sie dürften auch die Mörder des verblichenen Mr. Fennebran sein.« »Selbstverständlich, das liegt doch auf der Hand, Mr. Parker. Sie glauben, daß sich in beiden Aktenkoffern Rauschgift befindet?« »Zumindest in einem der beiden angesprochenen Koffer, Mylady. Dabei dürfte es sich um den handeln, den Mr. Fennebran mit ins Land brachte.« »Denke ich jetzt an Kokain oder Heroin, Mr. Parker?« 71
»Möglicherweise an beide Drogen«, antwortete der Butler, »der Handelswert muß beträchtlich sein, sonst hätte sich Mr. Willings dafür nicht interessieren lassen.« »Richtig, dieses Subjekt gibt es ja auch noch«, sagte sie seufzend, »wie gut, daß ich nie die Übersicht verliere. Die beiden Totengräber sind also feindliche Agenten?« »Dies wäre durchaus möglich, Mylady.« »Wie gut Sie mich doch verstanden haben«, lobte die Detektivin jetzt den Butler, »ich merke, daß Sie mitdenken, mein lieber Mr. Parker. Nur weiter so!« Sie ließ sich eine zweite Portion Tee mit Rum geben und schaute in die Dunkelheit. Die Wassermühle, längst nicht mehr in Betrieb, bestand nur noch aus den Außenmauern und Teilen des Daches. Das Wasserrad hing windschief und verrottet am Mauerwerk. Das nicht mehr aufgestaute Wasser plätscherte schwach. »Jetzt könnte aber endlich etwas passieren«, räsonierte die ältere Dame nach einer Weile, »wieviel Zeit habe ich noch?« »Noch etwa dreißig Minuten, Mylady.« »Ich hoffe, daß die Totengräber pünktlich sind«, meinte sie, »erstaunlich, daß die nicht schon hier waren, als wir ankamen.« »Man dürfte erst mal Myladys
Räume durchsuchen.« »Wie war das?« Sie richtete sich auf. »Mylady rechneten sicher damit, daß man das Gästehaus durchsuchen würde.« »Ach so! Selbstverständlich, Mr. Parker, damit habe ich sogar fest gerechnet. Die Totengräber hoffen doch, dort die Unterlagen zu finden.« »Nach der Durchsuchung wird man hier erscheinen, Mylady.« »Nur so kann es sein.« Sie nickte und gähnte. »Ich brenne darauf, einige Pfeile zu verschießen.« »Die Gegner werden mit letzter Sicherheit sehr beeindruckt sein.« »Still, Mr. Parker, ich habe gerade etwas gehört…« »Ein Frosch, Mylady!« »Unsinn, Schritte!« »Wie Mylady meinen.« Parker reagierte nicht, doch Agatha Simpson griff nach dem Sportbogen und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Sie stand auf und strammte die Sehne. Parker duckte sich diskret und suchte Schutz hinter einer halbhohen Quermauer. »Jetzt!« Agatha Simpson verschoß den langen Pfeil und wartete auf eine akustische Reaktion. Nun, man hörte das Aufschrammen des Pfeils am Mühlrad, mehr jedoch nicht. »Sicher ist sicher«, sagte sie, »wenn dort aber ein Gangster gewesen wäre, Mr. Parker, hätte ich ihn mit 72
Sicherheit ausgeschaltet.« »Mit geradezu tödlicher Sicherheit«, antwortete Parker und richtete sich wieder auf. Akute Gefahr bestand nicht mehr. »Dies war gerade nur eine Probe«, versicherte die ältere Dame, »ich wollte zudem Ihre allgemeine Aufmerksamkeit testen.« »Erfüllte meine Wenigkeit Myladys Testerwartungen?« »Nun ja«, gab sie zurück, »etwas mehr Hellhörigkeit wäre wohl angebracht, aber Sie sind eben nicht perfekt.« Während sie redete, blickte Parker in die Dunkelheit und konzentrierte sich auf den Bachlauf, der zu beiden Seiten mit Weiden und Büschen bestanden war. Ihm war aufgefallen, daß der Frosch, der sich bisher immer wieder mal gemeldet hatte, nicht mehr quakte. Aus irgendwelchen Gründen schien er ins Wasser gesprungen zu sein. »Höre ich etwas?« fragte Agatha Simpson. »Nichts«, sagte Parker, was diesmal sogar der Wahrheit entsprach. Dann langte Parker nach seiner Gabelschleuder und holte eine hart gebrannte Tonmurmel aus einer seiner Westentaschen.
tige Klinge des Sauspießes. Lady Agatha stand vor dem am Boden liegenden Mann und war bereit zuzustoßen. »Nein«, flehte der Mann, »nur das nicht!« »Wer hat Sie geschickt?« fragte Parker, der den Mann mit einer einzigen Tonmurmel erwischt hatte. Dies war geschehen, als der Mann versucht hatte, den Bach zu durchqueren. Er war nach dem geglückten Treffer auf die Böschung zurückgefallen und für einen Moment ohnmächtig gewesen. »Wer mich geschickt hat?« Der Mann zitterte vor Panik und schielte nach dem Sauspieß, »Willings… Willings!« »Wo findet man diesen Willings?« fragte Parker überraschend knapp. Er wollte den Schock für sich nutzen. »Der sitzt da drüben im Geländewagen.« »Und wie lautete Ihre Aufgabe?« »Ich… Ich sollte Sie abfangen und rüberschaffen. Bestimmt, mehr sollte ich nicht.« »Ich hätte Lust zuzustoßen«, erklärte die ältere Dame grimmig. »Vielleicht später, Mylady«, schlug Josuah Parker vor, »jetzt werden Mylady sich gewiß mehr für Mr. * Willings interessieren.« »Wer ist Willings?« wollte sie wisDie Gestalt stöhnte erstickt auf und
sen. Sie hatte wieder mal die Namen starrte dann entsetzt auf die mäch- vergessen. 73
»Mr. Norman Willings«, erinnerte der Butler höflich und ohne jede Ungeduld, »Mr. Willings ist Rauschgiftgroßhändler aus Hackney.« »Natürlich, wer sonst sollte es sein?« Sie sah Parker ungnädig an. »Und dieses Subjekt werde ich mir jetzt kaufen, Mr. Parker. Kommen Sie!« »Wenn Mylady erlauben, wird man diesen Abgesandten schnell ein wenig binden.« »Aber beeilen Sie sich«, sagte sie, »ich denke, ich werde schon mal vorausgehen. Verlaufen Sie sich später aber nicht!« »Wenn Mylady vielleicht doch warten würden…« »Schnickschnack«, sagte sie unternehmungslustig, »ich bin jetzt nicht mehr aufzuhalten, ich möchte diesen Fall endlich abschließen!« Parker hatte keine Möglichkeit, seine Herrin zu bremsen. Sie hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und verschwand kurz darauf in der Dunkelheit. Parker holte eine seiner privaten Handschellen aus der Innentasche seines schwarzen Covercoats und schloß den Gangster an das Eisengestell der Mühlradschaufeln. Dann beeilte er sich, der älteren Dame zu folgen. Er fand schnell heraus, daß sie vom rechten Weg abgekommen war. Dort nämlich, wo sie hätte sein müssen, war sie nicht. Parker mußte also ein schnelle Entscheidung treffen.
Und er traf sie! Er entschied sich für Norman Willings… Durchaus schnell, jedoch ohne Verzicht auf Würde, schritt der Butler durch die Dunkelheit und näherte sich der schmalen Straße, wo Willings’ Geländewagen stehen sollte. Als er die Straße fast erreicht hatte, schlug der Butler einen leichten Bogen, um sich dem Wagen von der Flanke aus zu nähern. Bald darauf entdeckte er dessen Umrisse und sah dann eine Gestalt, die vorn neben dem Kühler stand. Handelte es sich um Norman Willings? Parker nahm seinen UniversalRegenschirm hoch und entsicherte die Treibladung. Kurz danach verschoß er einen der kleinen ›Giftpfeile‹. Er landete im Rücken des Mannes, der deutlich zusammenzuckte, dann nach dem Pfeil fingerte und sich dann hastig in Bewegung setzte. Der Getroffene schaffte es zwar noch, sich ans Steuer zu setzen, doch dann trat die Wirkung des ›Pfeilgiftes‹ ein. Der Mann legte sich mit dem Oberkörper auf das Lenkrad und schlief übergangslos ein. Bevor Parker sich um ihn kümmern konnte, hörte er einen unterdrückten Aufschrei von der Weide her. Er dachte sofort an Lady Agatha, änderte die Richtung und setzte sich in Bewegung. Er konnte nur hoffen, daß der älteren Dame nichts passiert war. 74
Es war nichts passiert! Sie stand neben einem am Boden liegenden Mann, der stöhnte und unter einem Pfeil zu leiden hatte, den die Detektivin verschossen hatte. Dieses Geschoß hatte sich in den linken Oberschenkel des Mannes gebohrt und verursachte Schmerzen. »Schuß und Treffer«, sagte Lady Agatha, »dieses Subjekt wollte mich angreifen!« »Nein, nein«, stöhnte der Getroffene, »das stimmt doch überhaupt nicht. Sehen Sie denn nicht, wer ich bin?« »In der Nacht sind alle Katzen grau«, zitierte Agatha Simpson. »Ich bin Walter Trenda«, stöhnte der Mann, »warum haben Sie auf mich geschossen? Ich war dicht hinter einem der Agenten her… Und jetzt ist er weg!« * »Nun haben Sie sich nicht so«, sagte Agatha Simpson, die sich als Krankenschwester betätigen wollte, »ich werde Erste Hilfe leisten.« »Rufen Sie lieber einen Arzt«, stöhnte Trenda. »Bis dahin verbluten Sie vielleicht«, übertrieb die Lady und wandte sich an Josuah Parker, der den Sanitätskasten aus seinem Wagen geholt hatte, »ich werde Ihnen jetzt zeigen, Mr. Parker, wie
man solche Pfeilwunden behandelt. Glühen Sie ein Messer an!« »Ein Messer, Mylady?« »Ein Messer«, wiederholte sie knapp, »sehen Sie sich denn keine Wildwestfilme an? Darin werden Pfeilwunden immer mit einem glühenden Messer behandelt.« »Glühendes Messer!?« Trenda richtete sich auf und starrte die ältere Dame entsetzt an. »Wollen Sie mich umbringen?« »Papperlapapp, junger Mann, legen Sie sich wieder hin!« Sie schlug ihm mit der rechten Hand gegen die Brust. Daraufhin erlitt Trenda einen halben Erstickungsanfall und landete mit dem Kopf tief im Kissen. Lady Simpson, die den Pfeil längst aus der Wunde gezogen hatte, musterte den tiefen Hautriß. »Sehr schön«, sagte sie dann, »ich werde nachher wohl nähen müssen.« »Mylady sind darin geübt?« erkundigte sich Parker. »Selbstverständlich«, gab sie verächtlich zurück, »ich kann doch zum Beispiel Knöpfe annähen… Und wo ist da der Unterschied?« »Eine durchaus berechtigte Frage, Mylady«, sagte Josuah Parker, »aber vielleicht denken Mylady auch an eine eine Jodkur, um eventuellen Infektionen vorzubeugen.« »Damit werde ich beginnen.« Sie ließ sich von Parker eine dunkelbraune Flasche reichen und entstöp75
selte sie. Dann goß sie ungemein großzügig dieses Desinfektionsmittel in die lange Fleischwunde. Der Erfolg war frappierend! Walter Trenda konnte plötzlich wieder laufen. Er war aufgesprungen, jaulte wie ein Hund und lief dann ziellos durch den großen Wohnraum. Dabei legte er fast graziös zu nennende Tanzschritte ein, weinte dicke Krokodilstränen und hüpfte wie eine Zikade. »Sehen Sie, junger Mann, es geht doch schon wieder«, meinte Agatha Simpson freundlich, »man muß nur wollen! Und nun werde ich Ihnen einen Preßverband anlegen… Legen Sie sich wieder hin!« Es dauerte eine ganze Weile, bis Walter Trenda sich endlich wieder legte. Er hatte die Jodkur überstanden und erwartete keine weiteren Sensationen. Lady Agatha ließ sich von Parker diverse Mullbinden reichen und umwickelte das getroffene Bein. »Ein Meisterwerk«, sagte sie zu Trenda, »stehen Sie auf und versuchen Sie ein paar Schritte! Ich glaube, der Verband ist etwas zu stramm ausgefallen.« Trenda erhob sich zögernd, tat einige Schritte und schielte dann nach dem Verband, der nach Myladys Meinung wohl ein wenig zu fest saß. Genau das Gegenteil war der Fall. Der Verband rutschte bereits zum Fußknöchel hinunter.
»Dann gibt es wenigstens keine Stauungen«, meinte die ältere Dame, die sich der neuen Situation augenblicklich anpaßte, »setzen Sie sich jetzt! Ich denke, ich werde Ihnen ausnahmsweise einen Kognak reichen lassen. Oder haben wir noch etwas Tee, Mr. Parker?« »Nicht hier, Mylady.« »Dann wird’s ein Schluck Wasser auch tun«, fand die Operateurin in Richtung Trenda, »Alkohol würde Ihren Kreislauf nur in Unordnung bringen. Warum haben Sie sich eigentlich in der Dunkelheit herumgetrieben? Sie können froh sein, daß ich Sie absichtlich nur leicht streifte.« »Ich bin für meine Dienststelle hier draußen«, sagte Trenda, »Mr. Alanford weiß Bescheid.« »Und wonach, wenn man fragen darf, suchen Sie, Mr. Trenda?« schaltete der Butler sich ein. »Nach dem Kuriergepäck, Mr. Parker, das liegt doch nun wirklich auf der Hand.« »Sie suchen während der Nacht danach?« wunderte sich der Butler. »Ich war hinter einem Geländewagen her«, redete Walter Trenda weiter, »ich dachte an die Agenten der Gegenseite. Klar, daß ich ihnen folgte. Und dann wurde ich leider angeschossen.« »Sie waren nicht zufällig mit Mr. Willings verabredet?« »Willings? Wer sollte das sein?« »Ein Rauschgiftgroßhändler aus 76
Hackney, Mr. Trenda.« »Ich kenne diesen Mann nicht, habe seinen Namen noch nie gehört.« »Hoffentlich kann Mr. Willings das bestätigen«, sagte der Butler. »Wieso Willings?« Trenda war verblüfft. »Mr. Willings wird sich Ihnen sofort zeigen«, sagte der Butler, »er befindet sich zur Zeit in Myladys Badezimmer und schläft noch.« »Wieso ist er im Badezimmer?« Trenda zeigte Wirkung. »Mylady fingen Mr. Willings draußen an der Wassermühle ab«, erwiderte der Butler, »genauer gesagt, an der schmalen Landstraße, als er dort auf einen seiner Mitarbeiter wartete. Die Fahrt hierher legte er im Kofferraum seines Wagens zurück, während ein zweiter Mann sich noch am Rad der Wassermühle befindet.« »Was soll das alles?« fauchte Trenda, »was habe ich mit fremden Leuten zu tun? Da könnte ja schließlich jeder behaupten, mich zu kennen. Wollen Sie mir einen Strick drehen, Mr. Parker? Was unterstellen Sie mir eigentlich? Ich habe den Auftrag von Mr. Alanford erhalten, hier draußen nach dem Kuriergepäck von Fennebran zu suchen. Ich protestiere gegen diese Behandlung!« »Ich glaube, ich sollte die Wunde doch mit einem glühenden Messer ausbrennen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen.
»Sie werden mich auch damit nicht weich kriegen«, redete Trenda wütend weiter, »warum- und wieso sollte ich diesen Willings kennen? Was habe ich mit Rauschgift zu tun?« »An sich wohl kaum etwas«, schickte Josuah Parker voraus, »aber Sie haßten Fennebran… Er wurde Ihnen vorgezogen, er wurde Kurier. Und Sie mußten weiterhin Innendienst machen. Also kamen Sie auf die Idee, Ihren Konkurrenten Fennebran auszuschalten.« »Das reimen Sie sich doch zusammen. Wie wollen Sie das beweisen?« »Sie kennen sich als Geheimdienstler auch in der kriminellen Szene aus«, redete Parker gemessen weiter, »also setzten Sie sich mit Willings in Verbindung und offerierten ihm eine Sendung Rauschgift. Sie gaben sich wahrscheinlich als Fennebran aus und lieferten Willings mit Sicherheit eine Kostprobe des Rauschgiftes. Dann vereinbarten Sie als Fennebran einen Treff mit Willings und zwar am Tag der Treibjagd. An diesem Nachmittag sollte Willings den Aktenkoffer mit dem Rauschgift übernehmen.« »Beweise«, sagte Trenda fast müde, »Beweise!« »Sie sollten sich noch ein wenig gedulden«, schlug Josuah Parker vor. »Fennebran erschien in Sachen Geheimdienst verabredungsgemäß hier auf dem Landsitz. Er war 77
ahnungslos und hatte die Absicht, Ihnen das Kuriergepäck zu übergeben, doch dazu kam er nicht mehr. Er wurde nämlich ermordet!« »Und von wem, wenn man fragen darf?« erkundigte sich Trenda jetzt hohnvoll, »was Sie da sagen, sind doch Hirngespinste!« »Sie ermordeten Fennebran«, stellte Parker fest, »und Sie ließen die Kurierpost verschwinden. Sie konnten davon ausgehen, daß die Ermittlungen früher oder später auf Willings hindeuteten. Er befand sich ja mit seinen Leuten hier in der engeren Region. Und wäre man auf ihn nicht aufmerksam geworden, dann hätten Sie schon dafür gesorgt, daß die Behörden einen Hinweis erhalten hätten.« »Ich höre nicht mehr hin«, behauptete Trenda wegwerfend. »Aber Sie hatten noch einen zusätzlichen Trumpf im Ärmel, wie es im Volksmund so treffend heißt«, sagte Parker höflich. »Sie konnten darauf setzen, daß Mr. Willings Mitarbeiter glauben würden, Mylady habe das Rauschgift abgefangen, eine Rechnung, die tatsächlich aufging. Mr. Willings Leute beschäftigten sich ab sofort mit Mylady. Ich möchte sagen, daß gerade Myladys Teilnahme an der Treibjagd Sie zum spontanen Mord an Ihrem Kollegen Fennebran ermunterte.« »Klingt alles sehr logisch«, sagte in diesem Moment eine dunkle Stimme
von der Tür her. * »Einer der beiden sogenannten Totengräber, wie meine Wenigkeit mit einiger Sicherheit erklären möchte«, sagte Josuah Parker und ignorierte die schwere Automatic in der Hand des Mannes, »hatte ich Ihren Namen richtig verstanden? Sie heißen mit Vornamen Carlos, nicht wahr?« »Sie haben gute Ohren«, antwortete der Mann und lächelte fast freundlich, »bald werden Sie sie nicht mehr haben.« »Sie sind einer der beiden Teppichrollenträger?« staunte die ältere Dame sichtlich. »Das klingt besser als Totengräber«, sagte der Mann und grinste amüsiert, dann deutete er auf Trenda, »und das ist der Knabe, der Fennebran aus nächster Nähe umgebracht hat. Mein Partner und ich haben das genau gesehen.« »Das ist eine Lüge!« Trenda bekam einen hochroten Kopf. »Das ist die Wahrheit«, sagte der Mann, der Carlos hieß, »Ihr Freund oder Bekannter war völlig ahnungslos. Es war verdammt dreckig, wie Sie ihn umnieteten. Er hatte keine Chance.« »Sie suchen sicher noch immer nach dem Kuriergepäck, nicht wahr?« vermutete der Butler. 78
»Wonach denn sonst?« fragte Carlos, »mein Partner und ich sind schon seit Genua hinter Fennebran her, aber der Bursche konnte uns immer wieder geschickt abwimmeln, bis wir plötzlich einen Tip bekamen.« »Doch nicht Sie persönlich«, warf Josuah Parker ein. »Sondern?« fragte Carlos amüsiert. Er hatte die Situation dank seiner Waffe fest im Griff. »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Ihre Dienststelle, wie immer sie auch heißen mag und wo immer sie sich befindet, daß Ihre Dienststelle also über den Treff hier während der Treibjagd verständigt wurde, nicht wahr?« »Treffer«, sagte Carlos und nickte, »und nun raten Sie mal, wer sich dafür bezahlen ließ?« »Mr. Trenda, wie man vermuten darf und muß.« »Trenda«, sagte Carlos und nickte, »er hat seinen Kollegen verraten und verkauft. Verdammt, wie sehr muß er ihn gehaßt haben…« »Immer war er besser«, brach es da aus Trenda hervor, »immer bekam er die Chance, niemals ich! Ich war nur der Handlanger und Aktenträger, aber Fennebran glänzte! Und dabei war er nur Durchschnitt!« »Das würde ich aber nicht sagen«, widersprach ausgerechnet Carlos, »Fennebran war ein raffinierter Fuchs. Immerhin hat er uns immer
wieder abgeschüttelt.« »Auch Mr. Trenda zeichnet sich durch eine gewisse Durchtriebenheit aus«, schaltete Josuah Parker sich ein, »er rief vor einigen Stunden erst an und wollte Mylady suggerieren, er sei einer der Totengräber.« »Warum wollten Sie Fennebran eigentlich begraben?« fragte die Detektivin. »Um die Behörden erst mal auszuschalten«, erwiderte Carlos, »wie gesagt, Lady, wir suchen noch immer nach dem Kuriergepäck. Wir wollen die Unterlagen zurückbringen, sagen wir mal, zurück in den Mittleren Osten.« »Und was ist mit Trenda?« fragte die ältere Dame grollend weiter, »Sie allein können doch beweisen, daß er seinen Kollegen Fennebran ermordet hat. Soll er ungeschoren davonkommen?« »Das ist nicht unser Problem«, meinte Carlos wegwerfend. »Trenda braucht uns nur zu sagen, wo wir die Unterlagen finden können. Er hat sie nämlich weggeschafft, verstehen Sie? Mann, Parker, Sie haben Trenda mit nach London genommen, darum sind wir überhaupt noch hier. Wir können diese verdammten Sachen nicht finden. Aber das ändert sich ja jetzt.« »Ich mache Ihnen ein Angebot«, sagte Trenda hastig, »ich liefere Ihnen die Unterlagen, und Sie werden für klare Verhältnisse sorgen.« 79
»Was verstehe ich denn darunter?« Carlos tat ahnungslos. »Putzen Sie diese Amateure hier weg«, redete Trenda hastig weiter, »für Sie ist das doch nur eine Kleinigkeit.« »Wir sind keine Mörder«, erwiderte Carlos verächtlich, »aber Sie werden ‘ne Waffe bekommen, sobald wir das Kuriergepäck haben.« »Einverstanden«, sagte Trenda und blitzte dann Lady Simpson an, »jetzt haben Sie verspielt, Sie alte Krähe!« »Sind Sie einverstanden, daß ich dieses Subjekt ohrfeige?« fragte Agatha Simpson in Richtung Carlos. Sie wartete diese Erlaubnis allerdings nicht erst ab, sondern setzte ihre rechte Handfläche auf Trendas Gesicht… * »Waffe gegen Kurierpost«, sagte Carlos, als Trenda sich von der mächtigen Ohrfeige erholt hatte. »Sie müssen sich jetzt entscheiden, Trenda! Wir haben nicht mehr viel Zeit…« »Wer garantiert mir, daß Sie Wort halten werden?« »Darauf müssen Sie’s ankommen lassen, Trenda.« »Ich traue Ihnen nicht.« Trenda war nervös geworden. Seine Augen musterten den Butler eingehend.
»Sie müssen ja nicht mitmachen«, sagte Carlos fast beiläufig, »mein Partner Benny ist unten. Der holt das alles in etwa zehn Minuten aus Ihnen raus, Trenda, vielleicht sogar in acht Minuten. Benny ist darin Spezialist.« »Ich vertraue Ihnen«, meinte Trenda, »die Kurierpost steckt unter einer Weide, draußen am Bach, ganz in der Nähe der Mühle.« »Dort also, wo wir Fennebran fanden«, sagte Carlos und nickte, »so etwas dachten wir uns fast schon, aber wir wollten nicht unnötig suchen.« »Und jetzt die Waffe«, verlangte Trenda. »Klar doch«, antwortete Carlos, »sobald wir die Kurierpost haben, Trenda. Zug um Zug!« »Und was passiert mit diesen Amateuren?« fragte Trenda gereizt. »Sie sehen doch, daß ich angeschossen worden bin.« »Die sperren wir im Keller ein«, sagte Carlos und wandte sich an Lady Agatha und Butler Parker, »okay, gehen wir, ja? Zwingen Sie mich nicht, auf Sie zu schießen, ich bin wirklich nicht scharf darauf. Ihre Angelegenheiten kümmern mich nicht.« »Aber mich«, war in diesem Moment Mike Randers Stimme zu vernehmen, »Carlos, nehmen Sie die Hände hoch!« »Ach nee«, sagte Carlos und ließ 80
die Hände unten, »Sie haben Benny überrascht? Darauf können Sie sich was einbilden.« »Das war meine Partnerin«, korrigierte Mike Rander. Er stand hinter Carlos und drückte ihm eine Automatic gegen den Rücken. »Kathy, das gute Kind«, lobte die ältere Dame erleichtert. »Wenn Sie abdrücken, Rander, habe ich immer noch Zeit, die Lady zu erwischen«, sagte Carlos. »An dieser Feststellung ist einiges dran, wenn ich es so salopp ausdrücken darf«, schaltete der Butler sich ein, »man scheint ein gewisses Patt erreicht zu haben.« »Wie soll’s also weitergehen?« erkundigte sich Carlos gelassen und zeigte keine Angst. »Machen Sie Vorschläge«, antwortete Mike Rander. »Lassen Sie meinen Partner und mich gehen, dann wird kein Blut fließen«, sagte Carlos. »Und damit verschwinden dann wichtige Unterlagen«, schlußfolgerte die ältere Dame grimmig, »oder sind sie gar nicht so schrecklich wichtig?« »Keine Ahnung, Lady«, meinte Carlos und zuckte die Achseln, »wir sollen nur die Post holen, was drin ist, interessiert uns überhaupt nicht.« »Sie sollen doch nur reingelegt werden«, brüllte Trenda aufgebracht. »Merken Sie das denn nicht? Die
alte Krähe ist doch durchtrieben!« »Ich lasse mich einfach nicht beleidigen«, sagte die Lady und ging auf Trenda zu. Ihr Pompadour war in wilde Schwingung geraten. Sie holte aus und… ließ den Handbeutel fliegen. Das Ziel des Pompadours aber war nicht Trenda, sondern Carlos. Der Gegenagent wurde völlig überrascht. Mit solch einer Waffe hatte er nicht gerechnet. Während er noch abdrückte, wurde seine Hand zur Seite geschleudert. Trenda brüllte auf, wurde wie von einer unsichtbaren Faust zur Seite geschleudert und fiel auf das Sofa. Auf seiner Brust breitete sich ein Blutfleck aus. Carlos stieß den Anwalt zur Seite und rannte dann die Treppe hinunter. Mike Rander hob zwar die Waffe auf, schoß jedoch nicht. Er ließ die Automatic sogar achselzuckend sinken. »Alles in Ordnung?« rief er dann in Richtung Kathy Porter, die unten irgendwo sein mußte, »geben Sie freie Bahn!« »Ich glaube, daß ich damit durchaus einverstanden bin«, sagte sie, »hoffentlich denken auch Sie so, Mr. Parker.« »Dieser Post wird neue folgen, Mylady«, antwortete der Butler, »man sollte die beiden Agenten nicht weiter verfolgen. Sie waren keineswegs Totengräber, wie man anfangs vermutete.« 81
»Ich wußte es gleich«, gab sie wie üblich zurück, »aber auf mich wollte man ja nicht hören.« Parker verzichtete auf eine Antwort, sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. * »Trenda hat gestanden«, sagte ChiefSuperintendent McWarden am anderen Morgen, nachdem Parker ihm die Tür des altehrwürdigen Fachwerkhauses geöffnet hatte, »er hat seinen Kollegen Fennebran erschossen, er hat als Fennebran Kontakt mit Willings aufgenommen und sogar als Doppelagent gearbeitet. Er hat die Gegenseite auf die Treibjagd aufmerksam gemacht, während der die Post übergeben werden sollte.« »Wie ist sein unwertes Befinden, wenn man fragen darf, Sir?« »Die Brustwunde wird schnell verheilen«, meinte McWarden, »Trenda wird sich vor einem Gericht verantworten müssen.« »Und was wird mit Norman Willings geschehen, Sir?« »Es erfolgt selbstverständlich eine Anklage, doch er dürfte mit einem blauen Augen davonkommen. Er
wird sich mittels einiger guter Verteidiger herausreden, schätze ich.« »Mylady wird sofort erscheinen«, sagte Parker, »meine Wenigkeit darf Ihnen aber bereits jetzt vermelden, daß Mylady Sie, Sir, zum Frühstück einlädt.« »Einladung zum Frühstück?« wunderte McWarden sich und schüttelte konsterniert den Kopf, »bringen Sie mein Weltbild nicht ins Wanken, Mr. Parker.« »Mylady denkt an eine Art Arbeitsfrühstück«, redete Josuah Parker in seiner höflichen Art weiter, »Mylady will mit Ihnen, Sir, über den Fall Norman Willings reden.« »Über den Fall Norman Willings?« staunte der Chief-Superintendent. »Für den Fall eines Freispruches, Sir, gedenkt Mylady, sich mit Mr. Willings zu befassen«, sagte Josuah Parker, »in diesem Zusammenhang will Mylady sich auch mit Mr. Dave Flatters auseinandersetzen.« »Guter Gott«, seufzte McWarden und verdrehte die Augen, »damit kündigt sich ja bereits die nächste Aufregung an.« »Davon, Sir, sollten Sie in der Tat ausgehen«, ließ der Butler sich vernehmen, »Mylady geruht stets, Langeweile nie aufkommen zu lassen!«
ENDE �
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