Butler � Parker � Nr. 439 � 439
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Butler � Parker � Nr. 439 � 439
Günter Dönges �
PARKER reinigt � die ›Entsorger‹ �
2
Josuah Parker mißbilligte, was er sah. Er befand sich auf einem Parkplatz im Stadtteil Paddington von London und legte gerade einige Päckchen in den Kofferraum seines hochbeinigen Wagens. In einem Spezialgeschäft für elektronische Bauteile aller Art hatte er eingekauft und wollte zurück nach Shepherd’s Market, um für Lady Agatha den Nachmittag-Tee zu richten. Nun aber ließ er sich gerne ablenken. Zwei stämmige Männer, die aus dem Fahrerhaus eines Kastenlieferwagens gestiegen waren, bauten sich links und rechts an den vorderen Türen einer Ford-Limousine auf und hatten die Absicht, auf die beiden Insassen einzuschlagen. Der Butler stand stets auf der Seite der Schwächeren. Außerdem hielt er nichts von Gewaltanwendung. Seiner Ansicht nach ließen sich alle Probleme durch klärende Gespräche regeln. Parker hatte sich in Bewegung gesetzt. Gemessen und würdevoll schritt er zu dem Ford, der neben einigen Müll-Containern auf dem Parkplatz abgestellt war. Parker trug seinen schwarzen Covercoat, die Melone und war im Besitz seines altväterlich gerollten Regenschirms, der über dem angewinkelten Unterarm hing. »Darf man sich die Freiheit nehmen, vielleicht als Vermittler aufzutreten?« erkundigte er sich, als er den Schauplatz der Auseinandersetzung erreichte. Die Hauptpersonen: Peter Colbert ist hinter Sondermüll her und schießt peinliche Fotos. Jessica Wilburn kommt einer üblen Sache auf die Spur und lernt das Leben als Geisel kennen. Lester Carting vermittelt dubiose Teilzeit-Jobs an Profis besonderer Art. Ralph Lorrey flüchtet vor einer Lady und liebt vage Andeutungen. Ernest Mulligan hat ein Monopol in Sachen Müllentsorgung, gibt sich aber harmlos. Ben Williams schaukelt auf einer rettenden Insel in einem merkwürdigen See. Lady Agatha heult wie eine Fabriksirene und landet gegen ihren Willen in einer Pfütze. 3
Josuah Parker weiß, was im rechten Moment eine Ölspur bedeutet, die sein hochbeiniges Monstrum produziert. Ihm war nicht entgangen, daß im Ford zwei Personen saßen, die ausgesprochen hilflos wirkten. Sie hatten sich geduckt, um gewissen Schlägen zu entgehen. Einer der beiden Männer wandte sich langsam und überlegen um und musterte sein Gegenüber. »Setz dich schleunigst ab«, sagte er dann, »oder bist du scharf auf ‘ne eingeschlagene Nase?« »Keineswegs und mitnichten«, lautete Parkers Antwort. Er hatte die schwarze Melone grüßend gelüftet und setzte plötzlich die Kopfbedeckung gezielt auf das Riechorgan des Schlägers. Da die Wölbung des Bowlers mit Stahlblech gefüttert war, wurde die Nase des rüden Mannes nachhaltig gedrückt und ein wenig deformiert. Die Augen des Getroffenen füllten sich augenblicklich mit Tränen und nahmen ihm die Sicht. Dadurch entging ihm, daß Parker die Spitze seines Universal-Regenschirmes auf die Jogging-Schuhe fallen ließ. Dies wiederum verursachte eine zweite Irritation. Die Nerven revoltierten, meldeten zusätzlichen Schmerz und ließen den Mann zehn Zentimeter hoch in die Luft springen. »Entschuldigen Sie das Ungeschick eines alten, müden und relativ ver-
brauchten Mannes«, meinte Parker. »Möglicherweise lösten Sie eine Panik in meiner bescheidenen Wenigkeit aus.« Der andere ging auf Parkers Hinweis nicht weiter ein. Er hatte wieder Boden unter seinen JoggingSchuhen, sah durch einen Tränenschleier den Butler und wollte sich revanchieren. Er riß die rechte Hand hoch und zeigte bei der Gelegenheit einen ansehnlichen Hammerstiel. Mit diesem Gegenstand hatte er auf den Beifahrer im Ford eindreschen wollen. Der Butler ließ dem Mann keine Zeit zur Entfaltung. Er setzte die Spitze seines Schirmes auf den Solarplexus des Schlägers, der unmittelbar darauf unter Luftmangel litt und sich tief verbeugte. Dann fiel der Mann auf die Knie und hatte nur noch mit sich selbst zu tun. Der zweite Schläger war verständlicherweise aufmerksam geworden. Er ließ vom Fahrer des Ford ab und umrundete die Frontpartie des Wagens. Dabei schwang er ebenfalls einen respektablen Hammerstiel und rechnete sich Chancen gegen Parker aus. Seine persönliche Bilanz ging allerdings nicht auf, denn er blieb auf der Strecke. Josuah Parker erledigte auch ihn mit einem Stich in die 4
Magenpartie. Der zweite Schläger kniete ebenfalls nieder und schnappte verzweifelt nach Luft. Er bekam überhaupt nicht mit, daß Parker ihn mit geschickten Fingern durchsuchte. Der Butler barg eine Art Brieftasche und ließ sie erst mal in seinem Covercoat verschwinden. Dann widmete er sich den beiden Personen im Ford. Sie hatten sich aufgerichtet und starrten ihn an. Zur Überraschung des Butlers entpuppte sich der Beifahrer als eine junge Frau, die eine leichte Platzwunde an der linken Schulter davongetragen hatte. Ihre Hemdbluse war an dieser Stelle zerrissen. »Sie sollten sich vorerst keine Sorgen mehr machen«, schlug Parker ihr und dem Fahrer vor. »Darf man Sie zu einer Tasse Tee oder zu einem Espresso einladen?« »Vielen Dank«, antwortete der Fahrer, der etwa fünfundzwanzig Jahre zählte. Er konnte nur mühsam sprechen, denn sein Unterkiefer zeigte eine erste Schwellung. »Wir setzen uns sofort ab. Tun Sie’s besser auch, Sir.« »Meine Karte.« Parker reichte ihm seine Visitenkarte. »Sollten Sie Schwierigkeiten haben, kann Ihnen möglicherweise geholfen werden.« Dann trat er zur Seite und wartete, bis der Ford anfuhr. Parker, der sich das Kennzeichen des Wagens einge-
prägt hatte, grüßte höflich, als er von dem davonjagenden Fahrzeug passiert wurde. * Agatha Simpson war eine imponierende Erscheinung. Sie war groß, nicht gerade schlank und beherrschte die Szene, wo immer sie erschien. Sie erinnerte an eine Bühnen-Heroine längst vergangener Zeiten und hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten. Mylady verfügte dennoch über die ungebändigte Energie einer außer Kontrolle geratenen Dampflokomotive und hatte eine sehr baritonal gefärbte Stimme, die Konzertsäle füllte. Die ältere Dame lebte im Stadtteil Shepherd’s Market in der Nähe des Hyde Park in einem ansehnlichen Fachwerkhaus, das von zwei Häuserzeilen in gleicher Bauweise flankiert wurde. Lady Agatha war immens vermögend und hatte sich der Kriminalistik verschrieben. Sie witterte überall interessante Fälle und ging jedem Verdacht entschlossen nach. Dabei trat sie grundsätzlich in jedes Fettnäpfchen und scheute kein Risiko. Ein gnädiges Schicksal kam ihrem Hobby entgegen und bescherte ihr tatsächlich Kriminalfälle, die allerdings grundsätzlich von Parker gelöst wurden. Er war ihr diskreter Butler und hielt stets seine schüt5
zende Hand über sie. An diesem Nachmittag nahm sie ihren Tee und hörte sich Parkers Bericht sehr aufmerksam an. »Selbstverständlich geht meine Wenigkeit davon aus, einige schwerwiegende Fehler begangen zu haben«, schloß der Butler seinen Hinweis. »Das kann man wohl sagen, Mistet Parker.« Sie schaute ihn ausgesprochen mißbilligend an. »Sie hätten die beiden Schläger natürlich mitbringen müssen.« »Meine Wenigkeit erlaubt sich, an die dadurch anfallenden Kosten für Unterkunft und Verpflegung denken«, gab der Butler zurück. Er kannte die Sparsamkeit seiner Herrin, die den sprichwörtlichen Geiz der Schotten weit übertraf. »Zudem können Mylady jederzeit Kontakt mit den beiden Kriminellen aufnehmen. Ihr Aufenthaltsort ist bekannt.« »Sie haben sie verfolgt?« Ihre Mißbilligung schlug in ein gewisses Wohlwollen um. »Die beiden erwähnten Personen wohnen in einer Hotel-Pension in Soho«, gab der Butler Auskunft. »Nun gut, man wird sehen.« Sie nickte zögernd. »Und was ist mit den jungen Leuten, die geschlagen wurden?« »Der Wagenhalter des Ford ist ein gewisser Peter Colbert«, antwortete Parker. »Er arbeitet als freier BildReporter und wohnt in Pimlico.«
»Hoffentlich stimmt das auch«, unkte die ältere Dame. »Und wer ist die junge Frau?« »Ihr Name konnte bisher hoch nicht festgestellt werden, Mylady«, meinte Parker. »Die Angaben zum Wagenhalter stammen übrigens von der Zulassungsstelle, müßten also den Tatsachen entsprechen.« »Ich lasse mich überraschen, Mister Parker«, entgegnete sie skeptisch, »und ich frage mich darüber hinaus, ob ich es hier mit einem neuen Fall zu tun habe.« »Man könnte den geschilderten Vorfall selbstverständlich auf sich beruhen lassen, Mylady.« »Wie, glauben Sie, denke ich darüber, Mister Parker?« wollte die Hausherrin wissen. »Mylady pflegen den Dingen stets auf den Grund zu gehen«, gab Parker zurück. »Das ist allerdings richtig.« Sie nickte bekräftigend. »Damit sind die Würfel bereits gefallen, Mister Parker. Treffen Sie die erforderlichen Vorbereitungen.« »Mylady haben spezielle Wünsche oder Vorstellungen?« »Natürlich«, meinte die energische Dame, »aber die Reihenfolge überlasse ich diesmal Ihnen.« »Mylady könnten demnach vielleicht erst mal die beiden Schläger aufsuchen.« »Umgehend.« Sie reckte und dehnte sich. »Ich dulde es einfach 6
nicht, daß man wehrlose Menschen bedroht oder ihnen Gewalt antut.« Agatha Simpson schritt energisch durch die große Wohnhalle ihres Hauses, bestieg die geschwungene Treppe, die ins Obergeschoß führte, und rief Parker zu, sie habe die Absicht, wieder mal besondere Akzente zu setzen. Parker zweifelte keine Sekunde daran. * Das Apartment-Hotel im Bereich von Soho machte einen leicht heruntergekommenen Eindruck. Es hatte mit Sicherheit schon bessere Zeiten gesehen. In der Empfangshalle gab es noch viel Plüsch und Stuck. Die frühere Rezeption war geschlossen. Dafür gab es so etwas wie einen Hauswart, der auf einer Leiter stand und die Glühbirnen einer Deckenlampe auswechselte. »Könnten Sie möglicherweise diese beiden Pfundnoten verloren haben?« fragte Parker und präsentierte dem Mann zwei Geldscheine. Der Angesprochene auf der Leiter stützte und stieg dann ungewöhnlich schnell nach unten. »Möglicherweise fielen Sie aus der Tasche Ihres Kittels«, lockte der Butler. »Bestimmt«, behauptete der Mann und griff nach den beiden Banknoten, ohne sie allerdings zu erha-
schen. Parker hatte seine ausgestreckte Hand im entscheidenden Moment ein wenig zurückgenommen. »Vielleicht könnten Sie vorher noch sagen, wo man zwei jüngere Männer treffen kann, die wohl als ausgesprochen aggressiv zu bezeichnen sind. Sie zeichnen sich durch ein gewisses Muskelgefüge aus.« »Jack und Art?« kam spontan die Antwort. »Die beiden Herren dürften sicher auch einen Nachnamen haben«, vermutete der Butler in seiner höflichen Art. »Jack Finton und Art Belfay«, ergänzte der Hausmeister. »Die wohnen oben unterm Dach.« »Und sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Ihren Apartments?« »Ich hab’ sie nich’ ‘rauskommen sehen«, lautete die Antwort. »Versuchen Sie mal Ihr Glück.« Josuah Parker reichte die angebliche Fundsache an den Hausmeister weiter und geleitete die altere Dame zum altersschwachen Fahrstuhl Sie schnaufte und zeigte Mißmut. »Sie haben wieder mal maßlos übertrieben, Mister Parker«, sagte sie dann in der Kabine. »Sie werfen mit meinem Geld förmlich um sich, Mister Parker.« »Es handelte sich um zwei Pfund, Mylady«, erinnerte der Butler. »Ein Pfund hätte gereicht«, erwi7
derte sie. »Sie wissen doch, daß ich mit jedem Penny rechnen muß.« »Könnte es Mylady versöhnlich stimmen, wenn meine Wenigkeit eine der beiden Pfundnoten übernehmen würde?« »Das klingt schon besser.« Ihre Miene entspannte sich, Sie lächelte Wohlwollend. »Sie unterstellen mir hoffentlich keinen Geiz, Mister Parker, oder?« »Meine Wenigkeit würde noch nicht mal andeutungsweise daran zu denken wagen, Mylady.« »Schließlich ist meine Großzügigkeit bereits sprichwörtlich«, lobte sie sich. »Aber jetzt zur Sache, Mister Parker. Ich werde diese beiden Subjekte überraschen.« »Falls der Hauswart nicht bereits die Herren Finton und Belfay per Telefon alarmiert hat, Mylady.« »Daran dachte ich gerade auch«, behauptete sie. »Wie werde ich also reagieren?« »Man sollte vielleicht vorzeitig aussteigen und die Neugier der beiden Kriminellen wecken.« Während Parker dies sagte, drückte er bereits die Stopp-Taste und ließ den Fahrstuhl vorzeitig anhalten. Er geleitete seine Herrin ins Treppenhaus, das sich unter dem obersten Geschoß befand, und baute sich dann in der Nähe des Geländers auf. Parker griff in die linke Außentasche seines schwarzen Covercoats
und holte seine bewährte HighTech-Gabelschleuder hervor. Dabei handelte es sich um die konsequente Weiterentwicklung jener Schleudern, wie sie von Jungen ab einer gewissen Altersklasse immer noch aus Y-Förmigen Astgabeln geschnitten werden. Parker lud die Lederschlaufe mit einer mehrfach perforierten Plastikkapsel, die er einer Art Pillendose entnommen hatte. In der Kapsel befand sich eine Glasampulle, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war. Er zerbrach die Ampulle, bevor er das seltsame Geschoß auf den Treppenabsatz zur nächsten Etage schickte. Danach wartete er. Erfahrungsgemäß war schon bald mit röchelndem Husten zu rechnen. * Die Fensterscheiben im Treppenhaus vibrierten, als die Hustenorgie ihren ersten Höhepunkt erreichte. Zwei erkältete Seehunde schienen förmlich um die Wette zu röcheln. Zwischendurch war immer wieder das verzweifelte Einatmen und Sammeln von Luft zu vernehmen. Schließlich hörte man das Zuschlagen einer Wohnungstür. »Die Herren Finton und Belfay dürften sich zurückgezogen haben, Mylady«, meldete der Butler. Seine Rechnung war aufgegangen. Die 8
beiden Schläger hatten Mylady und ihn oben am Fahrstuhl erwartet und sich darauf eingerichtet, die beiden Besucher gebührend in Empfang zu nehmen. »Wann kann ich hinauffahren?« wollte die ältere Dame ungeduldig wissen. »Falls Mylady einverstanden sein sollten, könnte meine Wenigkeit die allgemeine Lage sondieren«, schlug der Butler vor. »Ich werde mitkommen«, entschied Lady Agatha resolut. »Mylady könnten möglicherweise von den Reizdämpfen inkommodiert werden«, warnte Parker. »Papperlapapp«, sagte sie lässig. »Ich bin nicht empfindlich, Mister Parker.« Sie setzte ihre majestätische Fülle bereits in Bewegung und stieg die Stufen empor. Parker hingegen entnahm einem Lederetui eine völlig normal aussehende Zigarre, die an einen kleinen Torpedo erinnerte. Er schob sie zwischen die Lippen und hielt sich mit der linken Hand die Nase zu. Dann folgte er Mylady, die bei dieser Treppenbesteigung deutlich zeigte, wie beweglich sie war. Sie hatte den oberen Absatz noch nicht erreicht, als sie bereits leicht hüstelte. Sie stieg jedoch tapfer weiter und produzierte kurz danach einen ersten Hustenanfall. Lady Agatha schnappte nach Luft und blickte dann vorwurfsvoll auf ihren
Butler. »Was haben Sie denn da versprüht?« fragte sie und hustete wie eine defekte Dampfmaschine. Dann blieb sie stehen und blickte Parker nach, der sie überholte. Er hatte nichts zu befürchten. Die täuschend echt aussehende Zigarre war nichts anderes als eine Atempatrone, die die geschwängerte Luft filterte. Parker erreichte ohne jede Schwierigkeit die obere Etage und orientierte sich kurz. Er öffnete zwei Schiebefenster und sorgte für einen gewissen Durchzug, Anschließend blieb er vor einer Tür stehen, auf deren Schild der Name Jack Finton zu lesen war. Daß es die richtige Tür war, hörte man deutlich. Hinter dem Türblatt war ein Husten in Duettform zu vernehmen. Parker bemühte sein kleines Spezialbesteck und brauchte nur wenige Augenblicke, bis er das Schloß aufgesperrt hatte. Finton und Belfay saßen auf einer einfachen Couch und ließen sich von ihrem Husten durchschütteln. Als sie Parker in der Tür ausmachten, wollten sie zwar reagieren, doch dazu fehlte es ihnen an Kraft und Konzentration. Der Butler öffnete auch hier ein Fenster und widmete sich dann den beiden Schlägern. Finton und Belfay waren eindeutig die Männer, die er auf dem Parkplatz unschädlich gemacht hatte. Sie hatten auch ihn 9
wiedererkannt, und einer von ihnen mühte sich, nach der Schußwaffe zu greifen. »Sie sollten sich nicht unnötig echauffieren«, schlug Parker ihm vor, »Konzentrieren Sie sich lieber bereits jetzt auf das Verhör, das Sie in wenigen Minuten erwartet, Lady Simpson wünscht einige Auskünfte von Ihnen, die Sie nicht verweigern sollten.« Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als er vom Treppenabsatz her ein klatschendes Geräusch und unmittelbar darauf einen erstickten Aufschrei hörte. Er wußte, daß Mylady gerade sehr aktiv geworden war. * Die ältere Dame hüstelte, hatte Tränen in den Augen und trieb den Hausverwalter vor sich her. Der Mann machte einen recht angeschlagenen Eindruck und hielt sich die linke Brustpartie. Dort schien ihn ein harter Gegenstand getroffen zu haben. Mylady hatte ihren perlenbestickten Pompadour in Schwingung versetzt. In diesem fast neckisch anmutenden Handbeutel, der an langen Schnüren an ihrem linken Handgelenk hing, befand sich das Hufeisen eines stämmigen Brauereipferdes. Agatha Simpson versäumte keine Gelegenheit, diese morgensternähn-
liche Waffe einzusetzen. Sie war damit ungewöhnlich zielsicher und hatte schon manchen hartgesottenen Gegner zu Boden geschickt. »Dieses verkommene Subjekt wollte mich anfallen«, sagte die resolute Dame. »Das hat man nun von seiner Großzügigkeit.« »Ich… ich wollte nur mal nachsehen, ob…« Der Hausbesorger hustete und flüchtete ans Fenster, Lady Agatha hingegen räusperte sich explosionsartig und musterte die beiden Schläger, die sich langsam erholten. »Sie haben die Herren Finton und Belfay telefonisch vorgewarnt?« fragte Parker ihn. »Na… natürlich«, entgegnete der Hausbesorger. »Mußte ich doch. Das halten wir immer so hier im Hotel.« »Zuerst einmal die fünf Pfund zurück«, verlangte Agatha Simpson streng, »und zwar ein bißchen plötzlich. Ich bezahle keine Verräter.« »Zwei Pfund«, widersprach der Hausverwalter. »Fünf Pfund, junger Mann«, wiederholte die energische Dame ihre Forderung. »Oder muß ich erst nachhelfen?« Da sie ihren Pompadour in Schwingung hielt, verzichtete der Hausbesorger auf weitere Einwände und zahlte Mylady aus. Sie nickte ausgesprochen zufrieden und ließ die Banknoten in einer Tasche ihres viel zu weiten Tweed-Kostüms ver10
schwinden. Finton und Belfay, die fast wieder normal atmen konnten, glaubten fest daran, das Blatt noch mal wenden zu können. Parker hatte sie noch nicht entwaffnet und schien inzwischen vergessen zu haben, daß sie Schußwaffen mit sich führten. Die beiden Schläger holten tief Luft und wollten zur Sache kommen, doch Parkers Universal-Regenschirm war wesentlich schneller. Der Butler stach mit der Schirmspitze blitzschnell zu und traf die Armbeugen der beiden Männer. Sie stöhnten und merkten, daß ihre Arme durch die gezielten Stiche wie paralysiert waren. Erst jetzt zupfte der Butler ihnen die Waffen aus den Schulterhalftern und legte sie korrekt und ohne Hast auf ein Wandbord. »Sie beschäftigten sich auf dem Parkplatz mit zwei Personen«, erinnerte Parker dann höflich. »Es war eindeutig Ihre Absicht, diesen Zeitgenossen körperlichen Schaden zuzufügen. Man darf in diesem Zusammenhang an die Hammerstiele erinnern. Wie lautete Ihr Auftrag, und für wen wurden Sie tätig?« »Die… die hatten unseren Wagen gerammt«, log einer der beiden. Durch Nachfrage erfuhr der Butler, daß er es mit Jack Finton zu tun hatte. »Und die wollten nicht zahlen«,
fügte Belfay hinzu. »Mylady wurden gerade eindeutig zutiefst beleidigt«, stellte Josuah Parker fest. »Mylady wurden in einer Art und Weise belogen, die man nur als schamlos apostrophieren kann und muß.« »Und so etwas läßt sich eine Lady Simpson nicht bieten.« Sie holte aus und knallte ihren Pompadour auf die Platte des kleinen Couchtisches. Die Platte splitterte. Ein schwerer Aschenbecher stieg senkrecht in die Luft und erreichte eine Gipfelhöhe von annähernd fünfzehn Zentimetern. Eine Blumenvase aus Preßglas nahm eine andere Richtung, legte sich zuerst schräg und verwandelte sich dann in eine Art Boden-Rakete, die quer durch den Wohnraum in eine Batterie von Trinkgläsern fuhr. Letztere stand auf einem Beistelltisch. Die beiden Kriminellen starrten auf die ältere Dame und begriffen, in welch akuter Gefahr sie sich befanden. »Stopp, Lady«, bat Finton mit belegter Stimme, »wir drehen bei. Wir… wir waren für Lester Carting unterwegs… Und wir sollten die beiden Typen mal kurz aufmischen.« »Mister Lester Carting dürfte mit Sicherheit eine Adresse haben«, fragte Parker. Art Belfay, der sich angesprochen fühlte, antwortete umgehend und gab sie preis. 11
Parker wunderte sich, daß die beiden Männer so ohne weiteres bereit waren, ihren Auftraggeber zu nennen. Wahrscheinlich hatten sie die Absicht, Mylady und ihn in spezielle Schwierigkeiten zu bringen. Er ging hinüber zum Telefon, das an der Wand im Durchgang zur kleinen, Küche angebracht war, und langte nach dem Telefonbuch, das in einer Lade darunter lag. Er suchte nach einem Lester Carting, fand den Namen und die entsprechende Nummer. »Was… was haben Sie vor?« fragte Belfay, der nervös geworden war. »Meine Wenigkeit wird sich in Myladys Auftrag mit Mister Lester Carting in Verbindung setzen«, antwortete der Butler. »Oder erheben Sie möglicherweise Einwände?« »Na ja, Carting braucht nicht unbedingt zu wissen, daß wir ihn in die Pfanne gehauen haben«, sorgte sich Belfay. »Sie fürchten eine negative Reaktion des Mister Carting?« »Sie kennen Carting nicht«, lautete die Antwort. »Dem will meine Wenigkeit ja gerade abhelfen«, entgegnete der Butler. »Carting ist ein knochenharter Bursche«, meinte Belfay. »Der macht uns glatt fertig.« »Sie stehen auf Mister Cartings Gehaltsliste, wie man in Ihren Krei-
sen zu sagen pflegt?« wollte Parker wissen. »Nur hin und wieder«, schaltete Jack Finton sich ein. »Fest angestellt sind wir bei ihm nicht.« »Sie üben sicher einen interessanten Beruf aus«, tippte der Butler höflich an. »Wir sind LKW-Fahrer«, lautete die Antwort. »Carting vermittelt uns manchmal ‘nen Job.« »Geht Mylady recht in der Annahme, daß Mister Lester Carting eine Arbeitsvermittlung betreibt?« »Genau«, bestätigte Finton und schien erleichtert zu sein. »Der stellt Arbeitskolonnen zusammen und vermietet sie.« »Und welche Lastwagen fahren Sie, junger Mann?« schaltete die ältere Dame sich ein. Ihre tiefe Stimme ließ die beiden Kriminellen zusammenfahren. »Ich wünsche genaue Angaben!« »Eben Lastwagen und so«, erwiderte Finton. »Alles, was so kommt.« »Für ‘ne Menge Firmen, die Ausfälle an Fahrern haben«, fügte Belfay hinzu. »Da gibt’s immer was.« »Und in Ihrer Freizeit belästigen Sie dann noch harmlose Passanten«, stellte Lady Agatha fest. »Es wird Zeit, daß man Ihnen Manieren beibringt.« Josuah Parker, der sich die Telefonnummer des Lester Carting eingeprägt hatte, drehte die Wählerscheibe. 12
* � Lester Carting war etwa vierzig, mittelgroß und schlank. Sein Gesicht war knochig, die Augen waren ungewöhnlich klein und hellgrau. Carting trug einen gut geschnittenen, grauen Straßenanzug und hatte sich ganz auf seriös getrimmt. Er war allein gekommen, wie man es am Telefon miteinander vereinbart hatte. Wenigstens behauptete er, allein zu sein, doch der Butler nahm ihm dies nicht ab. Man hatte sich in einem italienischen Restaurant im Stadtteil Paddington getroffen, wo Carting auch sein Büro unterhielt. »Kommen wir doch sofort zur Sache«, schlug er vor, nachdem man sich begrüßt und vorgestellt hatte. »Natürlich kenne ich Finton und Belfay, wird überhaupt nicht bestritten, Mister Parker. Aber ich sage Ihnen gleich, daß das zwei verdammt faule Kunden sind. Völlig unzuverlässig, wenn Sie mich fragen. Mal kommen sie, mal kommen sie nicht. Ich werde den Verdacht nicht los, daß Finton und Belfay so nebenher dunkle Geschäfte treiben, was mich im Grund natürlich nichts angeht.« »Die Herren Finton und Belfay sind Lastwagenfahrer, Mister Carting?« vergewisserte sich der Butler. »Richtig. Und an sich erstklassige
Fahrer, die mit jedem Schwertransport zurechtkommen, aber eben unzuverlässig.« »Am Telefon deutete meine Wenigkeit Ihnen bereits in Lady Simpsons Auftrag an, daß die Herren Finton und Belfay behaupten, in Ihrem Auftrag zwei Mitbürger mißhandelt zu haben.« »Reiner Schwachsinn«, widersprach Carting umgehend. »Warum sollte ich so etwas veranlaßt haben?« »Mylady wundert sich darüber, daß Sie sofort bereit waren, zu diesem Stelldichein zu erscheinen«, meinte der Butler. »Die Andeutung am Telefon muß Sie demnach sehr interessiert haben.« »Zeigen Sie mir Finton und Belfay«, gab Carting zurück. »Die sollen ihre Behauptung dann noch mal wiederholen. Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, daß die sich das nicht zutrauen werden.« »Sie haben natürlich etwas zu verbergen, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich in diesem Moment ein. »Sie können einer Lady Simpson nichts vormachen.« »Was… was sollte ich zu verbergen haben, Mylady?« Carting tat treuherzig. »Die Herren Finton und Belfay ließen sich zu gewissen Andeutungen hinreißen«, bluffte der Butler. »Ihre Geschäftspartner sind demnach nicht in allen Fällen das, was man seriös nennt.« 13
»Unsinn, Mister Parker. Ich habe nichts zu verbergen. Was haben Finton und Belfay denn angedeutet?« »Aha, junger Mann, Sie wollen jetzt wohl auf den Busch klopfen«, sagte Lady Agatha und lächelte ironisch. »Denken Sie mal daran, welche Lastwagen Ihre beiden Kriminellen bereits gefahren haben.« »Warum interessieren Sie sich eigentlich so für diese beiden Leute?« wollte Carting leicht gereizt wissen. »Sie sind doch überhaupt nicht betroffen, wenn ich das alles richtig verstanden habe. Warum mischen Sie sich in Dinge, die Sie nichts angehen?« »Ich gehe grundsätzlich jedem kriminellen Delikt nach«, erklärte die ältere Dame. »Ist es nicht so, Mister Parker?« »Mylady haben wieder mal eine Spur aufgenommen, wenn meine Wenigkeit es so volkstümlich ausdrücken darf.« »Welche Lastwagen wollen Finton und Belfay denn gefahren haben?« Carting schien an diesem Thema sehr interessiert zu sein. »Es handelt sich um Frachten und Touren, Mister Carting, die man keineswegs als regulär bezeichnen kann«, bluffte der Butler noch mal. »Wo stecken Finton und Belfay?« Carting war aufgestanden und zeigte Ärger. »Ich will von Ihnen hören, was sie da behauptet haben.« »Die beiden angesprochenen Her-
ren sind zur Zeit das, was man gemeinhin unabkömmlich zu nennen pflegt«, lautet die Antwort des Butlers. »Mylady wünscht noch zusätzliche Details von ihnen zu hören.« »Haben Sie die beiden Typen irgendwo… untergebracht?« »Sie genießen zur Zeit Myladys Gastrecht«, antwortete der Butler. »Bringen Sie mich doch zu ihnen«, forderte Carting. »Ich will aus ihrem Mund hören, welchen Unsinn sie da in die Welt setzen.« »Dies läßt sich selbstverständlich arrangieren, Mister Carting«, erwiderte der Butler. »Eine entsprechende Bereitschaft deutete meine Wenigkeit bereits am Telefon an.« »Sie dürfen mir Gesellschaft leisten, junger Mann«, sagte die ältere Dame gefährlich freundlich. »Kommen Sie, mein Bester. Worauf warten Sie noch?« Carting war tatsächlich mit der Einladung einverstanden. Er schien sich eine Chance auszurechnen. * Er hatte neben Lady Simpson im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen und musterte immer wieder verstohlen die ältere Dame. Sie nestelte an ihrem abstrakten Hutgebilde herum und zog dann eine der beiden Hutnadeln. Diese Hutnadel war mehr als nur 14
modisches Beiwerk, sie erinnerte durchaus an einen gebrauchsfähigen Bratspieß. Lady Agatha behielt ihn in der rechten Hand und stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Lassen Sie sich nur nicht irritieren, mein Bester«, meinte sie zu ihrem Fahrgast. »Ich hatte mir meinen Hut wohl doch etwas zu fest gesteckt.« »Ihr Wagen wirkt nicht gerade neu«, erwiderte Carting in Richtung Parker, der das Gefährt steuerte. Carting übersah die Hutnadel und ahnte wohl auch nicht, wie gefährlich dieses Instrument sein konnte. »Der Wagen ist in der Tat das, Mister Carting, was man gemeinhin betagt zu nennen pflegt«, antwortete der Butler vom Lenkrad her. »Es handelt sich, wie Sie sicher bereits bemerkt haben dürften, um ein ehemaliges Taxi, das meine Wenigkeit recht günstig erwerben konnten.« »Nun ja, Platz genug ist vorhanden«, spottete Carting verhalten. »Ich liebe bequeme Wagen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Offen gesagt, auf mich wirkt er wie ein Museumsstück«, stellte Carting fest. »Man wollte ihn meiner Wenigkeit tatsächlich bereits für ein AutoMuseum abkaufen, Mister Carting«, erwiderte »Parker in gewohnter Höflichkeit. Er verschwieg seinem Fahrgast natürlich, daß dieser Wagen eine Trickkiste auf Rädern
war. Das Gefährt war nach seinen sehr eigenwilligen technischen Vorstellungen völlig umgestaltet worden. Unter der eckigen Motorhaube befand sich ein Hochleistungsmotor, um den ihn ein Rennfahrer beneidet hätte. Auffallend am Armaturenbrett waren die vielen Knöpfe und Hebel, die fast schon in eine Raumkapsel gepaßt hätten. Selbstverständlich war Parkers Privatwagen schußfest und geländegängig. Der Butler hatte schon vor einigen Minuten festgestellt, daß man – wie erwartet – verfolgt wurde. Er war davon ausgegangen, denn so ohne weiteres wäre Carting wohl kaum zugestiegen. Er wollte sich gewiß zu seinen Mitarbeitern Finton und Belfay bringen lassen, um sie dann befreien zu können. Hinter dem hochbeinigen Monstrum, wie Parkers Wagen von Freund und Feind genannt wurde, hatten zwei Verfolgerwagen aufgeschlossen, die sich wechselseitig ablösten, um nicht erkannt zu werden. Parker hatte es mit einem Austin und mit einem GM zu tun. In jedem der beiden Wagen saßen zwei Männer, die sich um Unauffälligkeit bemühten. »Wohin fahren wir eigentlich?« erkundigte sich Carting nach einer Weile. »Ihre Angestellten Finton und Belfay befinden sich jenseits der 15
Themse in Lambeth«, gab der Butler Auskunft, was zwar nicht der Tatsache entsprach, Carting aber vorerst beruhigte. »Haben sie über die Laster gesprochen, die sie gefahren haben wollen?« stellte Carting die nächste Frage. Dieses Thema schien ihn besonders zu interessieren. »Die Herren Finton und Belfay erwiesen sich als ungewöhnlich aussagefreudig«, erwiderte Parker ernst. »Aber damit dürften Sie ja sicher kaum etwas zu tun gehabt haben, Mister Carting.« »Ganz bestimmt nicht.« Carting nickte. »Wie schon gesagt, ich vermittle Spezialisten an Firmen, die Aushilfen suchen. Das allein ist mein Job.« »Demnach waschen Sie Ihre Hände also in Unschuld, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha. »Aber sicher, Mylady«, versicherte der Job-Vermittler ihr mit Nachdruck. »Sagen Sie, wieso genießen sie Ihr Gastrecht?« »Ich habe die beiden Flegel bei einer Freundin untergebracht«, meinte die ältere Dame. »Was ich übrigens noch fragen wollte, Mister Parker: Werde ich eigentlich verfolgt?« »In der Tat, Mylady«, entgegnete der Butler. »Ein Austin und ein GM geben sich alle Mühe, nicht aufzufallen, um es mal pauschal auszu-
drücken.« »Wie schön!« Sie wandte sich Carting zu und lächelte wohlwollend. »Wir… wir werden verfolgt?« staunte Carting und tat ahnungslos. »Seit dem Verlassen des Restaurants, Mister Carting«, erklärte Josuah Parker. »Ihre Mitarbeiter sind in der Kunst einer Observation allerdings noch recht unerfahren, wie festgestellt werden muß.« »Meine Mitarbeiter?« Carting schüttelte den Kopf. »Wie kommen Sie denn darauf?« »Ohne die betreffenden Herren wären Sie sicher kaum freiwillig mitgefahren, Mister Carting«, sagte der Butler. »Falls Sie darauf bestehen, kann man dieses Thema selbstverständlich gern vertiefen.« »Okay, Parker.« Carting beugte sich vor und griff wie unbeabsichtigt nach seinem rechten Hosenbein. Er tat so, als habe er die Absicht, den Strumpf zurechtzurücken. Lady Agatha aber mißverstand gründlich diese Bewegung und drückte ihm die Spitze ihrer Hutnadel gegen die Hüfte. »Sie Wagen es, eine hilflose Frau anzugreifen?« fragte sie entrüstet. Carting erstarrte. Er wagte keine zusätzliche Bewegung mehr. »An… angreifen?« stotterte er dann verhalten. »Natürlich haben Sie eine Schußwaffe an der Wade festgeklebt«, fuhr die ältere Dame fort. »Ich habe so 16
etwas erst vor einigen Tagen in einem Fernseh-Krimi gesehen. Eine Lady Simpson kann man nicht täuschen, junger Mann.« »Kein Mensch… wollte… nach ‘ner Waffe langen«, verteidigte sich Carting. »Ziehen Sie ganz vorsichtig Ihr Hosenbein hoch«, ordnete die passionierte Detektivin energisch an, »und denken Sie daran, daß ich gnadenlos zusteche, wenn Sie mich ärgerlich machen.« Carting schnaufte vor Aufregung und hielt sich an die Anweisung der älteren Dame. Zentimeterweise lupfte er sein Hosenbein an und… präsentierte dann tatsächlich eine Art flache Halfter, die mit einem Dolch bestückt war. »Dachte ich es mir doch«, sagte Lady Agatha zufrieden. »Und da sagt man immer, daß Fernsehen nicht bildet.« * Nach etwa zehn Minuten war Carting nur noch ein nervliches Wrack. Er hing bleich und mit kaltem Schweiß bedeckt in seiner Wagenecke und schnappte nach Luft. Parker hatte die verfolgenden Wagen abgeschüttelt und war dazu ein wenig schneller als sonst gefahren. Er hatte sich eine relativ günstige Region ausgesucht und die Kraft des Motors und die Straßen-
lage des Wagens genutet. In einigen Fällen war er wie ein Rennfahrer um Kurven gedriftet, hatte Überholmanöver ausgeführt und die Verfolger abgehängt. Nun fuhr er wieder normal durch ein Gewirr enger Straßen, bog plötzlich ab und bugsierte sein hochbeiniges Gefährt durch einen schmalen Torweg auf einen Hinterhof, der zu einem kleinen Betrieb gehörte. »Mir… mir ist schlecht«, japste Carting, stemmte sich ein wenig hoch und fiel zurück in den Sitz. »Sie können von Glück sagen, junger Mann, daß nicht ich gefahren bin«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. Sie rückte den verrutschten Hut zurecht und rammte ihren Ellenbogen in Cartings Seite. »Werden Sie nicht zudringlich!« Der Gemaßregelte quiekte auf und machte sich klein. Er starrte seine Sitzgenossin an und wischte sich dann mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. »Ich dachte schon, ich würd’ das nicht überleben«, stöhnte er. »Mann, haben Sie überhaupt einen Führerschein?« »Sie können den Wagen verlassen, Mister Carting«, erwiderte der Butler, ohne auf die Frage einzugehen. Carting hatte einige Mühe, die Tür zu öffnen. Er stieg mit unsicheren Beinen aus dem Fond und hielt sich an der geöffneten Tür fest. Sein Gleichgewicht war empfindlich 17
gestört. »Waren Sie mal Stuntman oder Crashfahrer?« fragte der Job-Vermittler und blickte den Butler, der um den Wagen herumkam, zweifelnd an. »Sollten Sie mit dem Fahrstil meiner bescheidenen Wenigkeit nicht sonderlich zufrieden gewesen sein?« fragte Parker. »Wie… wie sind Sie um den Laster ‘rumgekommen?« fragte Carting weiter. »Der stand doch bereits quer auf der Straße.« »Es gab da noch den Gehweg«, erinnerte der Butler in seiner höflichen Art. »Ich glaub’s einfach nicht«, meinte Carting und atmete tief durch. Dann blickte er um sich und wich sicherheitshalber einen Schritt zurück, als Lady Agatha auf ihn zumarschierte. »Was soll ich hier?« fragte Carting. »Mylady erwartet von Ihnen eine wahrheitsgemäße Aussage, Mister Carting«, informierte Parker. »Mylady geht davon aus, daß Sie sehr wohl die Herren Finton und Belfay auf die beiden Bürger ansetzen.« »Pinton und Belfay sind nicht hier?« »Sie sollten sich überraschen lassen, Mister Carting.« Der Job-Vermittler nickte langsam, äugte verstohlen zum nahen Torweg hinüber und schätzte seine Chancen für einen schnellen Sprint ab.
»Es steht Ihnen selbstverständlich frei, Mister Carting, einen Fluchtversuch zu unternehmen«, meinte der Butler. »Warum sollte ich?« Carting rang sich ein Lächeln ab und… lief dann los. Er ging davon aus, daß sowohl Lady Simpson als auch Butler Parker seinem Spurt nichts entgegenzusetzen hatten. Carting brachte das hochbeinige Gefährt hinter sich und hielt auf den schmalen Torweg zu. Verständlicherweise blickte er dabei nicht zurück, und deshalb sah er auch nicht die schwarze Melone, die Parker geworfen hatte. Sie drehte sich um ihre Achse, verwandelte sich in eine FrisbeeScheibe und sirrte dem Flüchtenden nach. Natürlich erreichte sie ihn auch, landete mit dem Rand auf dem Hinterkopf des Mannes und veranlaßte ihn auf diese Weise, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Lester Carting segelte seinerseits etwa anderthalb bis zwei Meter durch die Luft, landete auf einigen leeren Kartonnagen und blieb dann regungslos zwischen Holzwolle und Altpapier liegen. »Was für ein Dummkopf«, mokierte sich Lady Simpson. »Hat er wirklich geglaubt, einer Lady Simpson entkommen zu können?« »Wenn Mylady erlauben, wird man sich umgehend um ein geeignetes Transportmittel bemühen, um 18
Mister Carting wegzuschaffen«, antwortete der Butler. »Danach könnte man Myladys Gast dann einer intensiven Befragung unterziehen.« »Wo bin ich hier eigentlich?« fragte sie und schaute sich neugierig um. »Der Betreiber dieser kleinen, mittelständischen Firma stellt Spielzeug aller Art her«, erwiderte der Butler. »Er ist Mylady verpflichtet und wird sicher einen geeigneten Raum für die Befragung zur Verfügung stellen können.« »Er ist mir verpflichtet?« staunte sie. »Mylady konnten in einem der früheren Kriminalfälle die Unschuld des Betreffenden nachweisen«, erläuterte der Butler. »Natürlich, natürlich«, behauptete sie und nickte selbstbewußt, obwohl sie keine Ahnung hatte. * Mike Rander, seines Zeichens Anwalt, groß, schlank und um die vierzig Jahre alt, hätte als James Bond in jedem einschlägigen Film eine mehr als nur gute Figur gemacht. Er verfügte über eine fast schon aufreizende Lässigkeit, die darüber hinwegtäuschte, daß er ein mit allen Wassern gewaschener Einzelkämpfer war. Rander, der vor Jahren mit Parker in den USA gelebt hatte, verwaltete
inzwischen das Vermögen der Lady Simpson und betrieb eine Anwaltspraxis in der nahen Curzon Street. Seine Mitarbeiterin dort war Kathy Porter, die offiziell noch immer als Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame fungierte. Sie lebte aber längst in dem Haus, in dem sich Randers Praxis befand und war mit ihm eng befreundet. Kathy Porter war eine eindrucksvolle Erscheinung, ebenfalls groß, schlank und sportlich. Sie mochte etwa dreißig sein und zeigte einen unwiderstehlichen exotisch angehauchten Charme, wozu ihre hohen Wangenknochen und die etwas schräg stehenden Augen noch beitrugen. Sie wirkte nach außen hin damenhaftzurückhaltend, doch sie konnte zu einer Pantherkatze werden, wenn man sie angriff. Kathy Porter war, wie viele Gegner in der Vergangenheit bereits erfahren mußten, in so gut wie allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung beschlagen. An diesem Abend hatten sie sich im altehrwürdigen Haus in Shepherd’s Market eingefunden. Parker reichte einen Imbiß, dem vor allen Dingen Mylady zusprach. Darüber hinaus berichtete der Butler vom bisherigen Stand der Dinge. »Mister Lester Carting zeigte sich von Mylady ungemein beeindruckt«, sagte Parker. »Er erwies sich als ein wertvoller Informant.« 19
»Ich mußte ihn allerdings ohrfeigen«, warf die ältere Dame ein. »Er besaß doch die Frechheit, mich angreifen zu wollen.« »In der Tat, nachdem man ihn in einen Raum der Spielwaren-Firma eingewiesen hatte«, erzählte der Butler weiter. »Mister Carting kam nach der erwähnten pädagogischen Maßnahme seitens Myladys zur Sache und nannte dann den Namen seines Auftraggebers, für den er die beiden Schläger Finton und Belfay einsetzte.« »Er redete sich nicht auf den berühmten Unbekannten heraus?« wunderte sich Mike Rander. »Mister Carting sprach von einem sogenannten Entsorger, Sir«, gab Josuah Parker zurück. »Entsorger?« staunte der Anwalt und blickte Kathy Porter an. »Entsorger, Sir«, bestätigte der Butler. »Unter diesem Namen will Mister Carting angerufen worden sein.« »Und er ging auf dieses Geschäft natürlich sofort ein, nicht wahr?« wunderte sich Kathy Porter. Sie lächelte skeptisch. »Mister Carting behauptete, von diesem Entsorger bereits mehrfach gehört zu haben«, redete der Butler weiter. »Diese Person muß bereits eine bekannte Größe innerhalb der Unterwelt sein.« »Sie haben sich bestimmt schon mit Mister Pickett in Verbindung
gesetzt«, wußte Kathy Porter im vorhinein. »In der Tat«, bekannte der Butler. »Mister Pickett streckt bereits seine Fühler aus, um es mal so auszudrücken.« »Der gute Pickett«, seufzte Lady Agatha prompt und löste damit ein verstohlenes Lächeln bei Mike Rander und Kathy Porter aus. Sie kannten die Reaktion der Dame des Hauses, wenn Picketts Name fiel. Und sie warteten darauf, daß Lady Simpson ihren Standardsatz sprach. Was sie auch prompt tat. »Mister Parker«, sagte sie, »erinnern Sie mich daran, daß ich ihn bei Gelegenheit zum Tee einlade.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker, der diesen Hinweis auch nur zu gut kannte, verzog keine Miene. Er wandte sich wieder Mike Rander und Kathy Porter zu. »Mister Carting behauptete, nicht zu wissen, warum seine beiden Schläger Mister Peter Colbert und dessen Begleiterin körperlich schädigen sollten, um auch dies noch ergänzend zu sagen.« »Wer ist dieser Colbert?« erkundigte sich der Anwalt. »Ein sogenannter freischaffender Bild-Journalist«, gab der Butler Auskunft. »Meine Wenigkeit setzte sich bereits mit einigen Zeitungsredaktionen in Verbindung. Mister Peter Colbert gilt als Spezialist für besonders heiße Themen. Er arbeitet oft 20
mit einer gewissen Jessica Wilburn zusammen. Miß Wilburn ist Reporterin, die ebenfalls freiberuflich arbeitet.« »Demnach dürfte sie in Colberts Wagen gewesen sein, wie?« fragte Mike Rander. »Davon sollte man ausgehen, Sir«, entgegnete der Butler. »Ließe es sich möglicherweise einrichten, daß Miß Porter und Sie Kontakt mit ihr aufnehmen?« »Aber gern.« Mike Rander nickte Kathy Porter zu. »Ihre Adresse haben Sie natürlich längst ausgegraben, wie?« »Sie steht zu Ihrer Verfügung, Sir.« Parker reichte dem Anwalt einen Zettel. »Miß Porter und ich werden ab sofort eine Zeitschrift herausgeben«, schlug Rander vor. »Und dazu brauchen wir einige heiße Themen«, fügte die attraktive junge Dame hinzu. »Sehr schön, meine Lieben«, freute sich Agatha Simpson. »Genau das wollte ich gerade vorschlagen.« »Miß Porter und ich hatten auch gar nichts anderes erwartet«, antwortete Mike Rander und lächelte. »Sie werden bestimmt herausfinden, warum die beiden Journalisten belästigt wurden«, redete die ältere Dame weiter und widmete sich dann ihrem Butler. »Und was werde ich unternehmen, Mister Parker?« »Mylady planen sicher, nach dem
bereits mehrfach erwähnten Entsorger zu fahnden«, meinte der Butler. »Dazu haben Mylady die Absicht, einige entsprechende Clubs und Lokale aufzusuchen.« »Richtig«, bestätigte die Hausherrin und nickte Parker wohlwollend zu. »Ich werde wieder mal initiativ sein. Und nichts in der Welt wird mich dabei aufhalten.« »Der Versuch allein, Mylady, würde bereits an Dummheit grenzen«, wußte der Butler. Sein Gesicht drückte keine Regung aus. * Ralph Lorrey zählte etwa vierzig Jahre, sah in seinem Smoking sehr gut aus und war sich seines Wertes wohl bewußt. Er hielt Hof in seiner Nische und hatte Mylady und Butler Parker bisher noch nicht gesehen. Das skurrile Paar aus Shepherd’s Market hatte vor wenigen Minuten erst den Nachtclub betreten und wurde vom Geschäftsführer gerade an einen Tisch geleitet. »Man sieht es diesem Subjekt schon an der Nasenspitze an, daß es zur Unterwelt gehört«, meinte die passionierte Detektivin nicht besonders leise. »Mister Ralph Lorrey dürfte das Haupt einer Gang sein, die sich auf Diebstähle spezialisiert hat«, erklärte der Butler. »Nach außen hin betätigt Mister Lorrey sich als der Inhaber 21
eines Transportunternehmens.« »Sehr verdächtig«, gab die ältere Dame zurück. »Denken Sie an die beiden Lümmel, die aushilfsweise als Lastwagenfahrer arbeiten.« »Diese Tatsache sollte man keineswegs vergessen, Mylady.« »Es war ein großer Fehler, daß Sie diese Subjekte nicht festgesetzt haben«, räsonierte die energische Dame verhalten. »Das gilt auch für diesen Lümmel, den ich verhörte.« »Mylady sprechen von Mister Carting?« »Eben den.« Sie nickte. »Nun, wie lange soll ich hier übrigens noch herumsitzen, Mister Parker?« »Man dürfte Mylady bereits bemerkt haben«, gab Parker zurück. »Mister Ralph Lorrey zeigt bereits erste Andeutungen einer gewissen Unruhe.« Was durchaus stimmte. Der Transportunternehmer tuschelte mit zwei jungen Männern, die an seinem Tisch saßen. Sie standen gerade auf und verließen die Nische. Lorrey erhob sich wenig später und wollte ebenfalls gehen. Er schien die Anwesenheit Lady Simpsons und des Butlers überhaupt nicht zu schätzen. »Hallo, junger Mann«, rief die ältere Dame ungeduldig. »Wann wollen Sie mir endlich meine hundert Pfund zurückgeben? Wie lange muß ich Sie denn noch mahnen?!« Lorrey war stehengeblieben und
zeigte Wirkung. Auf solche Art war er bisher noch nicht in aller Öffentlichkeit angesprochen worden. Natürlich schuldete er Mylady nicht ein einziges Pfund, doch dies zählte nicht. Man befand sich immerhin in einem Club, der einen gewissen Namen hatte. Hier verkehrten Mitglieder der sogenannten Snobiety, Personen aus dem künstlerischen Bereich, aber auch halbseidene Männer und Frauen aus dem kriminellen Dunstkreis. Lady Agatha war längst aufgestanden und marschierte auf Ralph Lorrey zu, der sein Heil in der Flucht suchte. Er tat mit einiger Verspätung so, als wäre er nicht angesprochen worden und steuerte eine Tür an, die mit geraffter dunkelbrauner Seide bespannt war. Lady Agatha ließ Lorrey nicht, entkommen. Trotz ihrer Fülle war sie erstaunlich beweglich. Zudem verfügte sie über eine Wurftechnik, die man nur als beachtlich bezeichnen konnte. Sie hatte die Schnüre ihres Handbeutels vom Gelerik gelöst und warf den perlenbestickten Pompadour kraftvoll durch den Raum. Er landete mit dumpfem Laut auf dem Rücken von Ralph Lorrey, der einen zusätzlichen Schub erhielt und gegen die seidenbespannte Tür fiel. »Sie trinken eindeutig zuviel, junger Mann«, stellte die ältere Dame 22
fest. Sie erreichte Lorrey und blickte auf den völlig entnervten Mann, der eine solche Behandlung noch nie erlebt hatte. »Wenn Sie erlauben, Sir, wird man Ihnen eine hilfreiche Hand leihen«, ließ Parker sich vernehmen. Er tauchte bereits neben Lady Agatha auf, beugte sich zu Lorrey hinunter und zog den völlig Irritierten hoch. Dabei untersuchte Parker ihn mit schnellen und geübten Fingern nach etwa vorhandenen Waffen. Die Suche blieb ergebnislos, wie sich zeigte. Parker drückte die seidenbespannte Tür auf und schob Lorrey in einen Korridor. Noch leistete der Gangster keinen Widerstand. Ja, er schien sogar Angst zu haben. Er war ohne Leibwächter und fühlte sich einsam und verlassen. »Eine unglückliche Verkettung ungewöhnlicher Umstände«, meinte der Butler und drückte Lorrey in einen Raum, dessen Tür halb geöffnet war. Wie sich zeigte, befand sich hinter der Tür eine Art Vorratslager für die Club-Küche. »Ich weiß, junger Mann, daß Sie jetzt eine kleine Erfrischung brauchen«, sagte Lady Agatha. Sie schritt zielsicher auf ein Regal zu, griff nach einer Brandyflasche und schraubte den Verschluß ab. Parker reichte seiner Herrin ein Glas, das zu einem entsprechenden Vorrat gehörte. Mylady goß eine
gehörige Portion ein und kostete dann den Brandy fachmännisch. »Nicht gerade besonders, aber immerhin trinkbar«, fällte sie ihr Urteil. »Nur setzen Sie sich endlich, junger Mann. Es kann etwas länger dauern.« Lorreys Gesicht hatte sich inzwischen puterrot gefärbt. Er war wieder zu sich gekommen und stieß die ersten Drohungen aus. * »Ich hoffe doch sehr, daß Sie mich beleidigen wollen, junger Mann«, sagte Lady Agatha. »Parker, was Sie sich da geleistet haben, hat Konsequenzen«, giftete Lorrey den Butler an. »Seit damals hab’ ich Sie in Ruhe gelassen, aber das wird sich verdammt ändern.« »Es gab ein damals?« fragte die ältere Dame. Sie kostete erneut vom Brandy und blickte ihren Butler an. »Die Wege Mister Lorreys und die meiner Wenigkeit kreuzten sich vor geraumer Zeit«, erklärte Parker. »Mister Lorrey mußte bei dieser Gelegenheit eine Niederlage hinnehmen, die aus seiner Sicht wohl als empfindlich zu bezeichnen war.« »Davon will ich mehr hören«, gab Lady Agatha zurück, »aber nicht jetzt, Mister Parker. Ich habe da einige Fragen an diesen Mann.« »Sie haben mich im Club unmöglich gemacht«, brauste Lorrey auf. 23
»Das war auch meine Absicht«, gestand Lady, Simpson froh. »Ich hoffe, das hat Nachwirkungen für Sie, junger Mann. Sie sollen ein Gangster sein und sich auf Diebstahl spezialisiert haben?!« »Wer das behauptet, der…« »Mylady interessiert sich für eine Person, die sich Entsorger nennt«, unterbrach der Butler den Gangster. »Selbstverständlich werden Sie bereits von dieser Person gehört haben, Mister Lorrey.« »Entsorger…?« Lorrey runzelte die Stirn und erweckte den Anschein angestrengten Nachdenkens. »Dieser erwähnte Entsorger muß im Milieu und damit auch Ihnen bekannt sein, Mister Lorrey.« »Nun, ich denke, ich habe schon von ihm gehört.« »Welchem Beruf geht dieser Entsorger nach, Mister Lorrey?« »Was weiß ich!« Lorrey zuckte die Achseln. »Kann sein, daß er mit seiner Kanone entsorgt.« »Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus«, herrschte die ältere Dame ihn prompt an. »Na ja, vielleicht erledigt er heikle Aufträge für zahlende Kunden«, bot Lorrey als Erklärung an. »Ein Killer, junger Mann, nicht wahr?« Lady Agatha schnappte sofort zu. »Ich will nichts gesagt haben.« Lorrey winkte ab. »Man kann zu schnell in eine gefährliche Schußli-
nie geraten, wenn Sie verstehen, was ich meine.« »Ein Killer also«, hielt die resolute Dame fest. »Das dachte ich mir eigentlich schon. Wo finde ich dieses Subjekt?« »Keine Ahnung, Mylady.« Lorrey winkte ab. »Diese Leute arbeiten ohne jedes Aufsehen und hinterlassen keine Spuren.« »Seit wann arbeiten die Herren Finton und Belfay aushilfsweise für Sie, Mister Lorrey?« Parker wechselte unvermittelt das Thema und brachte die Namen der beiden Schläger ins Spiel. »Finton und Belfay?« Lorrey versuchte angestrengt, Zeit zu gewinnen. Die Frage des Butlers hatte ihn kalt erwischt. »Mister Carting war so hilfreich und entgegenkommend, darauf zu verweisen«, setzte der Butler in seiner höflichen Art hinzu. »Sie haben mit Carting…? Ich meine, er hat davon gesprochen?« »In der Tat, Mister Lorrey.« Parker nickte andeutungsweise. »Wie häufig beschäftigen Sie diese beiden erwähnten Personen, die ja Lastwagenfahrer sind?« »Nur… hin und wieder«, gab Lorrey zurück, »nicht oft. Was ist mit ihnen? Haben die was ausgefressen? Oder haben die was behauptet?« »Noch mal zurück zum sogenannten Entsorger, Mister Lorrey«, bat der Butler, der die Fragen überhört 24
zu haben schien. »Sie könnten nicht mit der Andeutung eines Hinweises dienen? Mylady würde Ihnen dies anzurechnen wissen.« »Kreuzen Sie bei Budd Streamers auf«, flüsterte der Gangsterchef, der überraschend entgegenkam. »Fragen Sie dort nach ihm. Fragen Sie nach Rob. Aber mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Ich will mein Leben nicht jäh beenden.« * »Nun, Mister Parker, was halte ich von dieser Aussage?« wollte Agatha Simpson fünf Minuten später wissen. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und blickte nochmal auf Lorrey, den man neben dem Privatclub zurückgelassen hatte. »Mylady sind selbstverständlich mehr als nur mißtrauisch«, beantwortete der Butler die Frage. »Mylady wissen natürlich, daß man Mylady in eine unter Umständen tödliche Falle schicken möchte.« »Aha.« Sie stutzte sichtlich. »Das heißt, dieser Verdacht wurde in mir bereits zur Gewißheit. Und warum?« »Mister Lorreys plötzliche Hilfsbereitschaft und sein Hinweis auf die beiden Personen können nur diesem Zweck dienen.« »Richtig.« Sie hatte wieder Boden unter den Füßen. »Dieses Subjekt
will mich ausschalten lassen, Mister Parker. Ich fürchtete schon, Sie darauf hinweisen zu müssen.« »Mylady denken ferner an eine interessante Verbindung zwischen den beiden Schlägern Finton und Belfay, die von Mister Lorrey beschäftigt wurden und sicher auch immer noch werden.« »Das fiel mir sofort auf.« »In diesem Zusammenhang muß natürlich auch an Mister Carting gedacht werden, Mylady.« »Keine Namen«, verwahrte sie sich. »Die Details können Sie sich meinetwegen merken, Mister Parker, ich denke in größeren Zusammenhängen«, behauptete sie. »Sie haben mich absichtlich zu diesem Gangster gebracht?« »Ohne zu wissen, Mylady – der Wahrheit die Ehre – daß er die beiden Schläger Finton und Belfay kennt«, erwiderte der Butler. »Mister Lorrey ist ein sehr gut orientierter Unterweltler, der in diesem Club häufig anzutreffen ist.« »Wie auch immer.« Sie winkte ab. »Jetzt gibt es diesen Zusammenhang. Und der reicht mir vollkommen, Mister Parker. Werde ich übrigens verfolgt?« »Mister Lorrey dürfte Mister Budd Streamers bereits telefonisch vorgewarnt und Myladys Besuch angekündigt haben.« »Budd Streamers?« Sie konnte sich wirklich keine Namen merken. 25
»Ein Mitglied der Unterwelt, Mylady, das in Clerkenwell eine Gymnastikschule betreibt, wie Mister Lorrey erklärte. Dort soll man nach einem gewissen Rob fragen.« »Sehr verdächtig.« Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Ich werde darüber nachdenken, Mister Parker. Ich möchte vorerst nicht gestört werden.« »Meine Wenigkeit wird Myladys Meditation zu schützen wissen«, entgegnete der Butler. Er hatte jetzt Zeit, sich gewisse Dinge zu überlegen. Natürlich beschäftigte er sich mit dem sogenannten Entsorger, was immer man sich darunter auch vorzustellen hatte. Lorrey kannte diesen Spitznamen, daran war nicht zu zweifeln. Und es war mehr als aufschlußreich, daß die beiden Schläger Finton und Belfay für diesen Mann zumindest aushilfsweise arbeiteten und wohl auch Lastwagen fuhren. Parker hatte aus einem wachen Instinkt heraus Lorrey nach den beiden Schlägern gefragt und war erstaunlicherweise sofort fündig geworden. Der berufliche Zusammenhang, hier Lastwagenfahrer, dort Transportunternehmer, war der Anlaß zu dieser Frage gewesen. Hatte Lorrey vielleicht die beiden Schläger auf die Journalisten angesetzt? War er vielleicht sogar der Entsorger, den Carting erwähnt hatte?
Was hatte Lorrey dann zu verbergen? Waren die beiden Journalisten ihm lästig oder gar gefährlich geworden? Hattes sie etwas aufgedeckt, was ihm gefährlich werden konnte? Parker hatte inzwischen den Stadtteil Clerkenwell erreicht und passierte den langgestreckten Wohnblock, in dem die Gymnastikschule Budd Streamers’ untergebracht war. Sie befand sich im Souterrain dieses Blocks und machte keineswegs einen einladenden Eindruck. Über der Treppe, die von der Straße zum Eingang hinunterführte, gab es ein Transparent, auf dem Streamers’ Name zu lesen war. Doch das Schild war verwaschen und wurde nur noch von einem der drei Tiefstrahler beleuchtet. Sportbegeisterte schienen sich hier nicht gerade die Klinke in die Hand zu geben. Josuah Parker wollte wissen, ob seine Vermutung zutraf, ob man Mylady und ihn bereits ungeduldig erwartete. Er hielt in der Nähe des Treppenabgangs und stellte den Motor ab, doch er stieg nicht aus. Er verriegelte per Knopfdruck die Wagentüren und harrte der Dinge, die da möglicherweise kamen. * Es dauerte nur wenige Minuten, bis ein Sportbegeisterter auf der Treppe erschien, den Wagen völlig übersah 26
und die Straße erreichte. Er zündete sich eine Zigarette an, warf sich den Sportsack über die Schulter und ging schnell die Straße hinunter. Ein zweiter Sporttreibender tauchte auf der Treppe auf. Er klemmte sich ein kleines Bündel unter den linken Arm und lief dann in der Manier eines Joggers davon. Sein entsprechender Anzug sollte die Harmlosigkeit wohl noch unterstreichen. Parker war ein geduldiger Mensch. Lady Agatha meditierte nach wie vor, wovon einige baßartig klingende Schnarchlaute zeugten. Ungeduld von ihrer Seite aus konnte also gar nicht aufkommen. Ein dritter Gymnastiker erschien auf der Bildfläche. Er brachte die Treppe hinter sich und hatte dann augenscheinlich einigen Ärger mit dem Schnürsenkel seines Tennisschuhs. Er kniete nieder und nestelte herum. Parker war gespannt, wann der Generalangriff erfolgen würde. Die beiden ersten Sportler mußten inzwischen wohl ihre Position bezogen haben. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis man sich mit dem Wagen und seinen Insassen befassen würde. Und dann geschah es auch bereits… Sie waren plötzlich an der Fahrerseite, und hatten sich erstaunlich geschickt und unauffällig herangear-
beitet. Sie hatten die inzwischen herrschende Dunkelheit und die parkenden Wagen genutzt, um unsichtbar zu bleiben. Sie langten fast synchron nach den Türgriffen und wollten sie aufreißen. Der dritte Mann, der seinen Schnürsenkel endlich fixiert hatte, lief auf seine beiden Partner zu, um ihnen wohl Hilfestellung zu geben. Parkers hochbeiniges Gefährt wurde nicht umsonst auch eine Trickkiste auf Rädern genannt. Er hatte vom Armaturenbrett aus längst sämtliche Türgriffe unter Strom gesetzt, damit diverse Muskeln in eine gewisse Ekstase versetzt wurden. Gesundheitliche Schäden waren natürlich auszuschließen, denn das gesamte System arbeitete nach Art eines elektrischen Weidezauns. Es gab allerdings keine Intervalle im Stromfluß. Das Resultat war fast schon bestürzend. Die beiden Männer, die nach den Türgriffen gelangt hatten, wurden wie von unsichtbaren Händen zurückgerissen und zu Boden geworfen. Sie blieben in mehr oder weniger verkrampfter Haltung auf dem Gehweg liegen und schnappten nach Luft. Aus Berichten wußte Parker, daß die Betroffenen so gut wie ohnmächtig waren. Es würde Minuten dauern, bis ihre verspannten Muskeln und Gliedmaßen sich wieder eini27
germaßen bewegen ließen. Der dritte Mann war wie ein in Panik geratener Frosch zurückgesprungen und starrte auf die beiden Männer, die eben noch so munter waren. Dann wandte er sich hastig ab und wollte zur Treppe zurücklaufen. Er hatte sie fast schon erreicht, als er von einer Ton-Erbse am Hinterkopf getroffen wurde. Sie stammte aus der Lederschlaufe, die die beiden Gummistränge miteinander verband, die ihrerseits zu Parkers HighTech-Gabelschleuder gehörten. Der Mann absolvierte einen mißglückten Salto und blieb am Geländer liegen. Er zuckte noch mit dem linken Bein, bevor er vollends Ruhe gab. »Was ist denn, Mister Parker?« Die passionierte Detektivin war hochgeschreckt, gähnte ungeniert und schaute sich erstaunt um. »Mylady erreichten soeben die Gymnastikschule des Mister Streamers«, meldete der Butler. »Einem ungestörten Besuch dieses Instituts dürfte wohl kaum noch etwas im Weg stehen.« »Schade«, sagte die ältere Dame. »Etwas mehr Spannung hätte ich mir, schon gewünscht, Mister Parker. Hoffentlich tut sich noch etwas.« *
Sie brauchte sich nicht zu beklagen. Josuah Parker hatte sein Gefährt verlassen und inzwischen die Treppe erreicht, die zum Eingang hinunterführte. Er kümmerte sich nur kurz um den Mann, den er mit einer Ton-Erbse niedergestreckt hatte, stieg nach unten und blieb dann an der Tür stehen. Sie war angelehnt und ließ schnelle Schritte und Stimmen nach außen dringen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Tür vollends aufgestoßen wurde. Zwei Männer traten ins Freie. Einer von ihnen konnte hur Budd Streamers sein. Dieser Mann war gerade noch mittelgroß zu nennen und schmal. Er mochte fünfundvierzig sein, trug einen teuren grauen Anzug und wurde von seinem Begleiter respektvoll behandelt. Dieser Begleiter, ein bodygebildeter Leibwächter offenbar, hielt ihm die Tür auf und starrte dann Parker an, der überaus höflich die schwarze Melone lüftete. »Mister Streamers, wenn man nicht irrt?« fragte der Butler. »Streamers«, erwiderte der schmale Mann knapp. Dann erst ging ihm auf, wer da gegrüßt hatte. Lorrey schien ihm eine genaue Beschreibung der Person des angekündigten Besuchers geliefert zu haben. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich aber 28
sicherheitshalber vor. »Wahrscheinlich haben Sie bereits messerscharf geschlossen, daß Ihre Mitarbeiter erfolglos blieben, Mister Streamers.« »Schnapp ihn dir!« verlangte Streamers und wandte sich halb zu seinem Leibwächter um. Der Mann mit den ausgeprägten Muskelpartien, der eine lange, weiße Hose und nur ein T-Shirt trug, grinste ein wenig dümmlich, kam sich überlegen vor und wollte dem Verlangen seines Arbeitgebers umgehend nachkommen. Er griff nach Parker, doch – wie er feststellte – erst mal ins Leere. Bevor der Muskelbepackte erneut zugreifen konnte, beendete Parker das Intermezzo. Er bediente sich dazu seines Universal-Regenschirmes und setzte den bleigefüllten Bambusgriff auf die Stirn des jungen Kämpfers. Der verdrehte daraufhin die Augen, schnaufte kurz und rutschte anschließend an der rauhen Außenwand zu Boden. Hier lagerte er sich zu Streamers’ Füßen. »Sie sollten davon ausgehen, Mister Streamers, daß meine bescheidene Wenigkeit in friedlicher Absicht gekommen ist«, sagte Parker. »Dies gilt selbstverständlich auch für Lady Simpson.« »Aber nur in Grenzen«, ließ sich die energische Dame von der Treppe grollend vernehmen. Sie drückte mit der linken Hand zwei schallgedämpfte Revolver gegen ihren gut
ausgebildeten Busen. »Ich… ich verstehe kein Wort«, behauptete Streamers. »Eine Feststellung, die dem üblichen Standard Ihrer Branche entspricht«, erwiderte der Butler. »Sie hatten eindeutig die Absicht, Mylady und meine Wenigkeit mit Gewalt in Ihre Gymnastikschule zu bringen.« »Wagen Sie es ja nicht, dies abzustreiten, junger Mann«, blaffte Agatha Simpson den Sportschulenbetreiber an. »Sie werden mir einige Fragen beantworten.« Ob es ein Zufall war, daß die ältere Dame dabei eine Waffe auf Streamers richtete, ließ sich nicht entscheiden. Der Inhaber der Gymnastikschule schluckte vor Aufregung und machte sich klein. »Mylady lädt Sie zu einer Ausfahrt ein«, sagte Parker. »Sie werden diese Auszeichnung hoffentlich zu würdigen wissen, Mister Streamers.« »Falls nicht junger Mann, werde ich Ihnen Dankbarkeit beibringen«, kündigte die resolute Dame an. »Was, zum Teufel, wollen Sie überhaupt von mir?« brauste Streamers auf. »Einige Auskünfte, die sich auf einen gewissen Entsorger beziehen«, entgegnete der Butler. »In diesem Zusammenhang sollte auch von einem Mann die Rede sein, dessen Vorname Rob ist.« »Rob…? Rob Poulsen?« Streamers 29
blickte unwillkürlich auf seinen Leibwächter, der sich wieder zu rühren begann. »Was ist mit ihm?« »Er wurde im Zusammenhang mit dem erwähnten Entsorger genannt und soll das sein, was man in Ihren Kreisen einen Vollstrecker oder Killer zu nennen pflegt, Mister Streamers.« »Rob ein Killer? Daß ist nicht lache!« Streamers Verblüffung war nicht gespielt, wie Parker fand. »Worauf warte ich noch, Mister Parker?« fragte die Detektivin ungeduldig. »Ich brauche endlich Informationen.« »Der Wagen steht bereit«, meinte Parker in Richtung Streamers. »Und wenn ich mich weigere, mitzukommen?« »Sie würden mir einen Gefallen tun, junger Mann«, antwortete die ältere Dame erfreut. Streamers überlegte kurz und entschied sich dann dafür, dem Wunsch nicht nachzukommen. * Schon an der nächsten Ampel, vor der Parker hielt, wollte Streamers den Wagen schleunigst verlassen. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt neben Mylady im Fond gesessen und witterte jetzt seine Chance. Dies erwies sich aber als völlig falsch. Die Wagentür ließ sich nicht öff-
nen, denn Parker hatte sie vom Fahrersitz aus zentral verriegelt. Lady Agatha reagierte darüber hinaus recht empfindlich und rammte dem Mann ihren rechten Ellbogen kraftvoll gegen die Rippen. Daraufhin litt Streamers unter allgemeinen Konditionsschwierigkeiten, sackte in sich zusammen und schnappte nach Luft. Er sagte kein Wort mehr, bis Parker sein Fahrtziel erreicht hatte und den Wagen auf einem weiten Parkplatz abstellte, der zu einem Supermarkt gehörte. Man war hier völlig unter sich und wurde durch große Müll-Container gegen Sicht von der Straße geschützt. »Mylady geruhen davon auszugehen, Mister Streamers, daß Sie sich inzwischen einige Gedanken gemacht haben«, schickte der Butler voraus. »Sie haben jetzt die Gelegenheit, sie auch zu äußern.« »Was Sie hier mit mir veranstalten, ist Kidnapping«, beschwerte sich der Mann. »Unsinn, junger Mann«, fuhr die ältere Dame ihm über den Mund. »Ich habe genau gehört, daß Sie mich baten, um jeden Preis mitgenommen zu werden.« »Mister Lorrey verständigte Sie per Telefon und bat Sie um einen Gefallen«, sagte der Butler. »Sie sollten Mylady und meine Wenigkeit festhalten und später Mister Lorrey zur Verfügung stellen, nicht wahr?« 30
»Mehr aber auch wirklich nicht«, räumte der Sportschulenbetreiber ein und nickte. »Worum es da geht, weiß ich nicht.« »Sie fühlen sich Mister Lorrey gegenüber verpflichtet, wie man wohl unterstellen darf?« »Man… man hilft sich schon mal gegenseitig aus«, sagte Streamers. »Mylady wünscht zu erfahren, bei welchen Gelegenheiten dies der Fall ist.« »Nun ja, eben so«, kam die mehr als vage Antwort. »Ich glaube, junger Mann, ich werde Sie zur Wahrheit ermahnen müssen«, Schaltete die Detektivin sich ein. »Nicht nötig, Lady«, gab Streamers hastig zurück. »Sie haben einen verdammt spitzen Ellbogen. Also, Lorrey braucht manchmal Leute für seinen Laden. Die ruft er dann bei mir ab. Das ist aber auch schon alles.« »Und um welche Hilfsdienste genau handelt es sich dabei, Mister Streamers?« »Transporte und so«, entgegnete der Schmale. »Lorrey hat ja ein Unternehmen in dieser Branche.« »Mylady würde es ungemein schätzen, Mister Streamers, wenn Sie ein wenig mehr in die Details gehen würden«, sagte der Butler höflich wie stets. »Also schön, es geht da um die Begleitung von wertvollen Frachten«, erklärte Streamers wider-
willig. »Sie wissen ja, was so alles auf den Straßen verschwindet.« »Mylady geht davon aus, daß Sie mit einem gewissen Mister Lester Carting ebenfalls zusammenarbeiten.« »Den kenne ich nur vom Namen her«, informierte Streamers. »Kann sein, daß wir uns auch schon mal gesehen haben, mehr aber wirklich nicht.« »Es wäre wünschenswert, Mister Streamers, wenn Sie Mylady etwas über den bereits erwähnten Entsorger berichten würden. Er wird in Ihren Kreisen eindeutig hinter vorgehaltener Hand erwähnt, wie auch Mister Lorrey bereits einräumte.« »Der soll im großen Stil absahnen«, lautete die Antwort. »Ich glaube, der hat mit Müll oder so zu tun. Lorrey hat das mal angedeutet.« »Der Entsorger muß einen bürgerlichen Namen haben, Mister Streamers«, sagte Parker. Er hatte sich seine Überraschung nicht ansehen lassen, als er das Stichwort Müll hörte. »Hat er bestimmt, aber den kenne ich nicht. Halten Sie sich an Lorrey, der weiß vielleicht Bescheid. Hören Sie, ich habe mit diesem ganzen Kram nichts zu tun. Ich wollte Lorrey doch nur einen Gefallen tun, als ich auf die Lady und auf Sie wartete, ich bin in ‘ner völlig anderen Branche tätig.« »Die Sie wie bezeichnen würden,
Mister Streamers?« »Na schön, sage ich auch das noch«, meinte der Sportschulenbetreiber Seufzend. »Ich habe mit Models und so zu tun.« »Was verstehe ich darunter, Mister Parker?« verlangte die ältere Dame zu wissen. »Mister Streamers dürfte Models an bestimmte Kunden vermitteln, Mylady«, erwiderte der Butler. »Man könnte dazu auch Call-Girls sagen.« »Er ist also ein Zuhälter?« fragte sie sehr direkt. »So könnte man allerdings auch sagen, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Scheußlich.« Agatha Simpson rümpfte die Nase. »Mit Ihnen, junger Mann, werde ich mich noch näher befassen, verlassen Sie sich darauf.« »Kann ich jetzt endlich ‘raus?« wollte Streamers wissen. »Dem steht nichts im Weg, Mister, Streamers«, entgegnete der Butler, »aber Sie haben sicher Verständnis dafür, wenn man Ihre Person so unterbringt, daß Sie vorerst keine Kontakte herstellen können.« »Welche Kontakte meinen Sie?« Streamers wurde unruhig. »Kontakte zu den Herrn Lorrey oder Carting«, präzisierte der Butler. »Könnten Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, in einen dieser Groß-Container zu steigen?«
»Sie wollen mich in den Müll stecken?« Empörung beherrschte seine Stimme. »Da gehören Sie doch hin, junger Mann«, fuhr die ältere Dame ihn an. »Kommen Sie, ich werde einen besonders hübschen Container für Sie aussuchen.« Streamers protestierte nur sehr verhalten. Er hatte Respekt und auch Angst vor einer energischen Gegnerin. * Chief Superintendent McWarden war etwa fünfundfünfzig, mittelgroß, gedrungen und hatte das Gesicht einer stets leicht gereizten oder übelnehmerischen Bulldogge. Seine leichten Basedow-Augen unterstrichen diesen Eindruck nur noch. McWarden leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte und war ein hervorragender Kriminalist. Dennoch suchte er immer wieder den Rat des Butlers, wenn es um eine vertrackte Sache ging. Es passierte sehr oft, daß man gemeinsam an einem Fall arbeitete. Und dann schätzte der Chief-Superintendent es ganz besonders, wenn Lady Agatha zusätzlich tätig wurde. Sie war eine Dame der besten Gesellschaft, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert war. Ihr immen-
ses Vermögen erlaubte es ihr, kostspielige Hilfsmittel einzusetzen, von denen McWarden nur träumen konnte. Ob Hubschrauber, Privat-Jet oder Motoryacht – Lady Agatha brauchte nur zu ordern und darüber zu verfügen. Außerdem waren sie und Parker nicht an dienstliche Vorschriften gebunden. Sie konnten sich völlig frei bewegen und in Fettnäpfchen treten, die der Chief-Superintendent im weiten Bogen umgehen mußte. McWarden war der Freund des Hauses und nahm die kleinen boshaften Sticheleien der älteren Dame in Kauf. Er revanchierte sich damit, ihre sprichwörtliche Sparsamkeit zu unterlaufen. An diesem Morgen erschien er rechtzeitig zur Frühstückszeit im altehrwürdigen Haus in Shepherd’s Market und erklärte treuherzig, er sei wirklich rein zufällig vorbeigekommen. »Demnach haben Sie also bereits gefrühstückt, mein lieber McWarden«, stellte Agatha Simpson erleichtert fest. »Eben nicht, Mylady«, gab McWarden zurück. »Ich bin schon seit Stunden unterwegs. Gegen eine Tasse Tee und ein Sandwich hätte ich absolut nichts einzuwenden.« »Ich wollte es Ihnen eigentlich schon immer mal sagen«, reagierte die ältere Dame grollend, »Sie nehmen deutlich zu. An Ihrer Stelle
würde ich eine kleine Hungerkur machen.« »Irgendwann bestimmt, Mylady«, versprach der Chief-Superintendent, »aber momentan habe ich dazu keine Zeit. Könnte es übrigens sein, daß Sie in der vergangenen Nacht unterwegs waren?« »Fragen Sie, aus einem bestimmten Grund, mein Lieber?« wollte die ältere Dame wissen, Sie bedachte Parker mit einem mißbilligenden Blick, denn er legte für den Gast ein Gedeck auf und versorgte ihn anschließend mit Tee. »Mir wurde berichtet, daß ein gewisser Budd Streamers in einem Container gefunden wurde«, sagte McWarden. »Der Mann soll geradezu bestialisch gestunken haben. Er saß in Gemüseabfällen und verdorbenen Milchprodukten.« »Wer ist Peamers?« fragte Lady Simpson und lächelte versonnen. »Ein bekannter Zuhälter, Mylady«, entgegnete McWarden. »Er heißt übrigens Streamers und hat eine Gymnastikschule in Clerkenwell, aber die unterhält er nur zur Tarnung.« »Könnte Mylady möglicherweise erfahren, warum Sie in diesem Zusammenhang auf eine nächtliche Exkursion Myladys schließen, Sir?« schaltete der Butler sich ein. »Der Container war mit zwei Plastikfesseln verschlossen«, sagte der Chief-Superintendent. »Diese Fes-
seln findet man nicht gerade häufig, und ich weiß, daß Sie, Mister Parker, gern mit diesen Plastikstreifen arbeiten.« »Muß Mylady davon ausgehen, Sir, daß Sie sich für Mister Streamers näher interessieren?« Parker ging auf die Plastikfesseln nicht ein. Er hatte sie tatsächlich verwandt, um den Verschluß des Container Deckels zu sichern. »Streamers ist für uns nicht aktuell, Mister Parker«, beantwortete der Chief-Superintendent die Frage. »Oder doch?« »Befaßt der erwähnte Mister Streamers sich ausschließlich mit CallGirls, Sir?« Parker blieb reserviert. »Darf es noch etwas Tee sein?« »Nein, danke«, wehrte McWarden ab. »Ob er sich nur mit Call-Girls befaßt? Nun ja, ich habe mir seine Akte angesehen, aus reiner Neugier, da man ihn ja schließlich im Container fand… Streamers und seine Leute arbeiten manchmal mit einem gewissen Ralph Lorrey zusammen, den Sie natürlich auch nicht kennen, wie?« »Sie dürften jetzt Myladys Neugier geweckt haben, Sir, wenn meine Wenigkeit sich erkühnen darf, Mylady, darauf zu verweisen.« »Ich bin sogar sehr neugierig… und auch hellhörig geworden, McWarden«, warf die ältere Dame ein. »Was ist also mit dieser Person?«
»Lorrey hat ein kleines Transportunternehmen, aber er ist tatsächlich der Kopf einer Bande, die Diebstähle in großem Stil ausführt. Er läßt Lastwagen, Geschäfte und Privatwohnungen ausräumen. Gefaßt haben wir ihn bisher leider nicht. Er ist sehr raffiniert und vorsichtig.« »Ich werde mich der Sache bei Gelegenheit annehmen«, versprach Lady Agatha großzügig. »Ich merke, daß Sie wieder mal meine Hilfe brauchen, Allein kommen Sie ja doch nicht zurecht.« »Ich werde gern darauf zurückkommen, Mylady«, bedankte sich McWarden. »Aber zurück zu Streamers: Tut sich da etwas in Verbindung zu Lorrey? Kündigt sich vielleicht eine große Diebstahlkiste an?« »Davon ist Mylady mit Sicherheit nichts bekannt, Sir, erwiderte der Butler wahrheitsgemäß.« »Sie haben Streamers doch nicht ohne Grund in den Container gepackt, Mister Parker«, tippte McWarden noch mal treuherzig an. »Sollte der erwähnte Mister Streamers behauptet haben, Sir, sein Aufenthalt im Container habe er meiner bescheidenen Wenigkeit zu verdanken?« wunderte sich der Butter. »Er hat überhaupt nichts gesagt«, gestand der Chief-Superintendent. »Anders herum gefragt, Mister Parker: Sie arbeiten an einem neuen Fall?« »Ich schlage mich ununterbrochen 34
für die Gerechtigkeit, mein lieber McWarden«, erklärte Agatha Simpson, »und daran sollten auch Sie sich ein Beispiel nehmen.« »Streamers räumt in jüngster Zeit wieder ab«, meinte McWarden. »Ich habe ihn im Verdacht, daß er wieder auf den Landstraßen tätig werden wird.« »Und in welcher Form, Sir, wenn man diese Frage stellen darf?« Parker hatte längst herausgehört, daß der Chief-Superintendent auf der falschen Spur war. Von Müll hatte er bisher nichts gesagt. »Man stiehlt Lastwagen mit teurer Pracht, räumt sie aus und verkauft die Ware an Großhehler«, erklärte McWarden. »Sie haben solch einen Fall ja mal geklärt, nicht wahr?« »Es war eine aufreibende Arbeit«, seufzte die passionierte Detektivin. »Und ich werde so etwas gern wieder auf mich nehmen, wenn ich gebraucht werde, mein lieber McWarden, Informieren Sie mich rechtzeitig.« »Ich spüre es, daß Sie mir etwas verschweigen«, erwiderte McWarden. »Könnte ich Sie je belügen, mein Bester?« wollte die Hausherrin wissen. »Natürlich«, lautet McWardens lakonische Antwort. »Sie würden sich sogar einen Spaß daraus machen.«
* � Er hatte das Fachwerkhaus gerade erst verlassen, als das Telefon sich meldete. Parker hob ab und nannte seinen Namen. »Hier spricht Peter Colbert«, sagte eine Männerstimme. »Sie erinnern sich hoffentlich, Mister Parker. Sie gaben mir Ihre Visitenkarte.« »Meine bescheidene Wenigkeit war in der glücklichen Lage, Ihnen und Ihrer Begleiterin ein wenig beistehen zu dürfen«, gab der Butler zurück. »Ich weiß inzwischen, wer Sie sind, Mister Parker, Ihr Name kam mir auf dem Parkplatz gleich so bekannt vor. Sie beschäftigen sich mit der Unterwelt, nicht wahr?« »Unterstützend, Mister Colbert«, untertrieb Josuah Parker. »Mylady pflegt die eigentlichen Ermittlungen zu leiten.« Er hatte auf den Raumverstärker geschaltet, und Lady Agatha bekam die Unterhaltung deutlich mit. Nach Parkers Bemerkung nickte sie und lächelte wohlwollend. »Meine Kollegin und ich würden Sie gern mal sprechen«, sagte der Bild-Journalist. »Wir sind da auf eine Riesenschweinerei gestoßen.« »Könnte es sich möglicherweise um das Generalthema Müll handeln?« fragte Parker aus dem Impuls heraus. Er dachte an Streamers, der diesen Begriff ins Spiel 35
gebracht hatte, und zwar im Zusammenhang mit dem sogenannten Entsorger. Auf der, Gegenseite herrschte plötzlich Stille. »Sind Sie möglicherweise noch am Apparat, Mister Colbert?« erkundigte sich der Butler. »Doch ja, natürlich. Aber offen gesagt, ich wundere mich, wieso Sie auf Müll kommen!« »Eine Assoziation, Mister Colbert, die später erklärt werden kann, falls Sie darauf bestehen sollten. Ihr plötzliches Schweigen läßt den Schluß zu, daß meine Wenigkeit das Thema nannte, über das Sie reden möchten.« »Über Müll«, bestätigte Peter Colbert. »Haben Sie früher nicht schon mal damit zu tun gehabt?« »In der Tat, Mister Colbert«, bestätigte der Butler. »Mylady ermittelte gegen einen Umweltverschmutzer, der giftbefrachtetes Altöl ins Meer leitete.« »Wir haben in unserem Archiv nachgeblättert«, sagte Peter Colbert. »Sie und die Lady haben damals für ziemlich viel Aufsehen gesorgt.« »Geht es momentan um ähnliche Dinge?« erkundigte sich Parker. »Grundsätzlich schon«, meinte der Bild-Journalist. »Die Sache ist nur noch gemeingefährlicher, weil begrenzter, aber am Telefon läßt sich das alles nicht sagen. Können wir uns treffen?«
»Sie sollten den Zeitpunkt und den Ort bestimmen, Mister Colbert. Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie sich vorerst nicht mehr in Ihrem Büro aufhalten.« »Wir haben uns natürlich nach dieser Sache auf dem Parkplatz abgesetzt und sind untergetaucht«, sagte der Journalist. »Wir können uns gut vorstellen, daß wir gejagt werden.« »Sagen Ihnen die Namen Lorrey und Streamers etwas? Können Sie mit einem gewissen Mister Carting etwas anfangen, Mister Colbert?« »Lorrey ist uns bekannt. Und er hat direkt mit dieser Müllgeschichte etwas zu tun, wenn auch nur am Rand. Nein, nein, es geht um ganz andere Namen, Mister Parker. Sie werden Augen machen!« »Sie wollten Zeit und Ort eines gemeinsamen Stelldicheins nennen, Mister Colbert«, erinnerte der Butler diskret. Der Journalist schien sich auf diese Angaben bereits vorbereitet zu haben und antwortete entsprechend. Parker wiederholte die Angaben und legte dann auf. »Eine Falle, Mister Parker«, sagte die Detektivin umgehend. »Dieser Journalist wurde natürlich gezwungen, mich anzurufen.« »Solch eine Möglichkeit sollte man in der Tat nicht ausschließen, Mylady«, gab der Butler zurück. »Vielleicht sind Miß Porter und Mister Rander in der erfreulichen Lage, 36
dazu Stellung zu nehmen. Sie könnten über andere Informationen verfügen.« »Ich werde mich inzwischen auf die Ausfahrt vorbereiten, Mister Parker«, meinte die ältere Dame unternehmungslustig. »Ob Falle oder nicht, für eine Lady Simpson spielt das letztendlich überhaupt keine Rolle.« Parker schwieg und zeigte sein glattes, ausdrucksloses Gesicht, wie man das von ihm gewohnt war. * Josuah Parker stoppte verabredungsgemäß am Eingang einer kleinen Verkaufspassage und hielt Ausschau nach dem Bild-Journalisten. Während der Fahrt nach Paddington hatte er sich wiederholt nach Verfolgern umgesehen, doch niemand entdeckt. Die Gegenseite, mit der man es bisher zu tun hatte, schien noch immer unter einem gewissen Schock zu stehen und sich noch nicht organisiert zu haben. »Mister Peter Colbert«, meldete der Butler nach wenigen Augenblicken und deutete auf den jungen Mann, den er sofort wiedererkannt hatte. Colbert schaute sich verstohlen nach allen Seiten um, winkte Parker knapp zu und lief dem Wagen entgegen. Der Butler, der die Türen entriegelt hatte, ließ Colbert einschlüpfen.
»Mylady ging davon aus, daß Sie Ihre Begleiterin mitbringen würden, Mister Colbert«, sagte Parker. »Die will ich erst gar nicht in Schwierigkeiten bringen«, erwiderte Colbert. »Sie befindet sich in Sicherheit.« »Wie ausgesprochen beruhigend für Sie, Mister Colbert.« Parker ließ sein hochbeiniges Gefährt bereits wieder anrollen und warf den obligaten Blick in den Rückspiegel. Er wurde dabei auf einen kleinen Honda aufmerksam, der sich gerade vom Straßenrand löste. Dies mochte ein Zufall sein, konnte aber auch den Beginn einer Verfolgung bedeuten. Der Butler behielt sein Wissen für sich. Lady Agatha, die auf Parkers Wunsch hin auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, wandte sich ein wenig mühsam zum Fahrgast um. Da die Trennscheibe zwischen den Vordersitzen und dem Fond versenkt war, konnte man sich direkt unterhalten. »Ich hatte schon mit einer Falle gerechnet, junger Mann«, sagte Lady Agatha. »Eigentlich irre ich mich sehr selten.« »Man könnte sich während einer kleinen Rundfahrt ungestört austauschen und über das sprechen, was Sie mit einer sogenannten Riesenschweinerei bezeichneten, Mister Colbert«, sagte Parker. »Ich… ich will Ihnen Beweise 37
anbieten, Mister Parker«, erwiderte Peter Colbert, der einen nervösen Eindruck machte. »Beweise, die welche Behauptung belegen könnten, Mister Colbert?« »Ja, junger Mann, Sie sollten sich schon etwas deutlicher ausdrücken«, schaltete die ältere Dame sich ein. Sie war bereits leicht ungeduldig geworden. »Sie haben von Müll geredet, Mister Parker«, erinnerte der Bild-Journalist. »Um den geht’s tatsächlich. Es handelt sich um Giftmüll, um genau zu sein, um Rückstände aus chemischer Produktion ganz allgemein gesprochen. Da geht es um hochgiftige Verbindungen, um Schwermetalle und um Ascherückstände aus Filtern.« »Das dachte ich mir«, behauptete Agatha Simpson prompt. »Sie sind in der Lage, dies alles zu belegen, Mister Colbert? Sie wissen auch, wer ein gewisser Entsorger ist?« »Sie… Sie haben schon von ihm gehört?« wunderte sich der Journalist. »Man spielte Mylady diesen Namen zu, Mister Colbert.« Parker blickte wieder unauffällig in den Rückspiegel. Der kleine Honda folgte nach wie vor, hatte sich jedoch ein wenig zurückfallen lassen. Parker bog daraufhin in eine Seitenstraße ab und war gespannt, ob der Wagen wieder erschien.
Er wischte tatsächlich um die Straßenecke und blieb für kurze Zeit hinter einem Austin. »Ist etwas, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, gab der Butler zurück und wandte sich wieder Colbert zu. »Wo, bitte, ist das Ziel dieser Fahrt, Mister Colbert? Wo möchten Sie die angekündigten Beweise anbieten, die sich sicher in einem Versteck befinden?« »Sie… Sie sind genau richtig«, versicherte Colbert ihm. »Fahren Sie dort auf den Parkplatz, ja, den dort hinter dem Bürohaus… Dann werde ich Ihnen die Fotos zeigen.« »Sie haben Fotos, junger Mann?« Agatha Simpson nickte beifällig. »Ich werde sie Ihnen schon jetzt zeigen«, sagte Colbert und langte in eine Innentasche seines Jacketts. Als er die Hand wieder hervorzog, umspannten die Finger den Griffkolben einer automatischen Waffe. * Peter Colbert zuckte zusammen, als die Trennscheibe plötzlich blitzschnell aus ihrer Versenkung nach oben jagte und die Vordersitze sicherte. »Machen Sie keinen Unsinn, Parker«, war Colberts Stimme über die Wechselsprechanlage zu vernehmen. »Bitte, fahren Sie auf den Parkplatz. Es geht um meine Freundin.« 38
»Miß Jessica Wilburn?« fragte der Butler über die Anlage nach hinten. »Sie… Sie kennen sie?« »Nur den Namen, Mister Colbert. Kann Mylady davon ausgehen, daß man Miß Jessica Wilburn als Geisel hält?« »Diese Dreckskerle haben uns aufgespürt«, gestand Colbert. »Ich muß tun, was die verlangen, sonst bringen sie sie um.« »Und wie lautet Ihr Auftrag genau, Mister Colbert?« »Ich soll Sie in Schach halten, bis die Verfolger am Wagen sind. Mehr brauche ich nicht zu tun.« »Trug man Ihnen auf, unter Umständen zu schießen?« »Das könnte ich nicht. Das schaffe ich einfach nicht… Hören Sie, ich weiß nicht, was ich tun soll… Helfen Sie mir!« »Sie können sich fest auf eine Lady Simpson verlassen«, schaltete die ältere Dame sich optimistisch ein. »Mister Parker, ich wünsche eine angemessene Reaktion.« »Mylady und meine Wenigkeit wird Ihren Wünschen und Ihrem Auftrag nachkommen«, sagte der Butler. »Sie werden den beiden Verfolgern deutlich demonstrieren, daß Sie Herr der Lage sind. Dazu sollten Sie im entscheidenden Moment Ihre Waffe zeigen.« »Die… die wollen Sie im Wagen erschießen«, brach es aus dem jungen Mann hervor.
»Und Sie selbstverständlich dazu, Mister Colbert«, fügte Parker, gemessen und würdevoll wie stets hinzu. »Doch darüber sollten Sie sich keine Sorgen machen. Man wird potentiellen Mördern schon zu begegnen wissen.« Der Butler hatte den Parkplatz inzwischen erreicht und bog von der Straße ab. Er passierte einige parkende Wagen, steuerte eine Baubaracke an und hielt neben ihr. »Ich soll Sie jetzt auffordern, beide Wagentüren zu öffnen«, sagte Colbert mit heiserer Stimme. »Diesem Wunsch kann selbstverständlich entsprochen werden«, erwiderte der Butler, der nun sehr aufmerksam den Honda beobachtete. Der kleine Wagen hatte vorn am Parkplatz gehalten, setzte sich gerade wieder in Fahrt und preschte auf das hochbeinige Monstrum zu. Als der Wagen noch fünfundzwanzig bis dreißig Meter entfernt war, betätigte der Butler einen der vielen Kipphebel auf dem Schaltbrett und löste eine erstaunliche Irritation aus. Unter dem Wagen versteckt angebrachten Düsen entfleuchten unter hohem Druck Nebelfinger, die sich schnell zu einer kompakten undurchsichtigen Wolke vereinten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Parkers Wagen nicht mal mehr in Konturen auszumachen war. Der Fahrer des Honda sah plötz39
lich die Nebelwolke vor sich, hatte Angst, den Wagen zu rammen, verriß das Lenkrad und ließ den Honda gegen die Baubaracke donnern. Kreischendes Blech, splitterndes Glas und brechendes Holz waren zu vernehmen. Parker, der seinen Wagen bereits verlassen hatte, blickte auf den Honda, der noch kleiner geworden war, wie sich zeigte. Die beiden Insassen versuchten verzweifelt, die Türen zu öffnen, doch die hatten sich verklemmt. »Darf man sich erlauben, den Herren Erste Hilfe anzubieten?« fragte Parker überaus höflich. »Sie sollten davon ausgehen, daß der Wagen jeden Augenblick in Flammen aufgehen kann.« Die beiden Insassen waren unverletzt, von Prellungen und Verstauchungen abgesehen. Sie konnten sich kaum bewegen und kamen schon gar nicht an ihre Schußwaffen heran. Der Beifahrer hatte sich tief über den Lauf einer Maschinenpistole gebeugt, die zwischen seinen hochgewinkelten Knien zu sehen war. Sie blickten ihn aus weit geöffneten Augen an. Angst und Schrecken spiegelten sich darin. »Vielleicht sind die Herren in der Lage, bereits ausfließendes Benzin wahrzunehmen«, meinte Parker in seiner höflichen Art. »Holen Sie uns hier ‘raus«, nuschelte der Fahrer des Honda.
Seine Nase war leicht nach links verbogen worden. »Können Sie vorher vielleicht sagen, wo man Miß Jessica Wilburn gefangen hält?« schlug der Butler vor. »Keine Ahnung«, erwiderte rasch der Fahrer. »Red doch keinen Blödsinn«, brüllte der Beifahrer. »Willst du hier verbrennen? Okay, Mann, Sie bekommen die Adresse.« Und er nannte sie postwendend! * Es handelte sich um ein schmales Reihenhaus im Stadtteil Paddington. Der Vorgarten war gepflegt, die Fenster waren hübsch herausgeputzt. Nichts deutete darauf hin, daß in diesem Haus Jessica Wilburn als Geisel festgehalten wurde. Seit einiger Zeit besuchte ein mittelgroßer, rundlicher Mann die einzelnen Häuser und unterhielt sich kurz mit jenen Personen, die die Türen geöffnet hatten. Der Betreffende trug einen weißen Arbeitskittel und hielt ein Clip-Board in der linken Armbeuge. Er machte sich Notizen, bedankte sich jedesmal artig und besuchte dann das nächste Reihenhaus. Er schien in offiziellem Auftrag zu handeln, denn er wies bei jedem Türöffnen einen in Plastik verschweißten Ausweis vor. 40
Dieser rundliche Mann, der überaus eifrig wirkte, hatte das bewußte Reihenhaus erreicht und betätigte den Türklopfer. Überraschend schnell wurde geöffnet. Ein vielleicht Dreißigjähriger baute sich breitbeinig und irgendwie abwehrend vor dem Weißkittel auf und fragte barsch nach seinem Wunsch. »Bloomer, Harry Bloomer von der Seuchenbekämpfung«, staatlichen stellte der Rundliche sich vor und nestelte an seiner einfachen Nickelbrille. »Wenn Sie bitte einen Blick auf den Ausweis werfen würde, Sir?« »Schon gut, was wollen Sie?« wiederholte der Mann ungeduldig. »Haben Sie in Ihrem Haus mit der Blatta orientalis zu tun?« erkundigte sich Harry Bloomer. »Mit wem?« Der Dreißigjährige blickte den Seuchenbekämpfer überrascht an. »Mit der Blatta orientalis«, wiederholte Harry Bloomer. »Sie kennen sie wahrscheinlich unter der Bezeichnung: gemeine Küchenschabe.« »Küchenschabe?« Der Mann runzelte die Stirn. »Und die soll’s hier geben?« »Sie ist ein nachtaktives Insekt, wenn man so sagen darf«, erläuterte Harry Bloomer. »Und sie ist ein Allesfresser, die liebend gern angefeuchtete und leicht verdorbene Stoffe zu sich nimmt, Sie sondert bei
Gefahr ein ausgesprochen übelriechendes Sekret ab.« »Küchenschabe also«, meinte der Hausbewohner und grinste plötzlich wissend. »Nein, nein, haben wir hier nicht, ich hab’ wenigstens noch keine gesehen.« »Was ist denn?« fragte aus der Tiefe des schmalen Hauses eine zweite Stimme. »Haben wir hier Küchenschaben?« erkundigte sich der Mann an der Tür und wandte sich halb um. Dadurch entging ihm, daß der Seuchenbekämpfer mit der rechten Hand unter dem Clip-Board einen sogenannten Personal-Protector hervorzog und die beiden Stahlstifte auf den linken Oberarm des Türöffners legte. Es war sehr beeindruckend, wie prompt dieser »Protector« wirkte. Der Mann empfing einen elektrischen Schlag und wurde zu Boden geworfen. In verkrümmter Haltung blieb er auf dem Boden liegen und rang verzweifelt nach Luft. Er gab dadurch den Blick frei auf einen zweiten Mann, der weiter weg im Korridor stand und schleunigst seine Hand in Deckung hinter einen Türrahmen brachte. »Guter Gott«, sagte das Mitglied der staatlichen Seuchenbekämpfung, »leidet der Herr etwa an krampfartigen Anfällen?« Während er noch redete, beugte er sich über den am Boden liegenden Mann, der etwas 41
sagen wollte, es jedoch nicht schaffte. »Schnell, bitte, ein Glas Wasser oder etwas Brandy«, bat der Kontrolleur in Richtung Hausbewohner, der einen unentschiedenen Eindruck machte. Dann löste er den Hemdkragen und fächelte dem Betroffenen mit dem Clip-Board frische Luft zu. Der zweite Hausbewohner verschwand im Zimmer, in dessen Tür er gestanden hatte und bekam nicht mit, daß der Kontrolleur, dessen Interesse Küchenschaben galt, sich aufrichtete und dann mit wenigen Schritten zur Tür ging. Als der zweite Hausbewohner dann tatsächlich zurückkehrte und ein Glas Wasser präsentierte, schlug der Schabenbekämpfer kurz und kommentarlos mit seinem Clip-Board zu. Der Getroffene ging in die Knie und blickte den Kontrolleur fast anklagend an. »Entschuldigen Sie freundlicherweise eine mögliche Überreaktion meinerseits«, sagte der Kontrolleur und schlug erneut zu. Diesmal kniete der zweite Hausbewohner nieder und fiel dann seitlich zu Boden. Der Schabensucher langte über das Jackett des Mannes und barg eine schallgedämpfte Waffe. Eine erste hatte er bereits gefunden. Sie stammte aus dem Besitz des Türöffners. Der Kontrolleur zog unter seinem Kittel zwei Plastikfesseln hervor und verschnürte damit
die Handgelenke der beiden Männer, die noch immer ohne Bewußtsein waren. Dann machte er sich auf die Suche nach einer dritten Person, die seiner Ansicht nach im Haus sein mußte. Er fand sie in einem engen Raum neben der Küche. Es handelte sich um eine junge Frau, die identisch mit jener Person war, die auf einem Parkplatz von den beiden Schlägern Finton und Belfay mehr als nur belästigt worden war. Sie war an Händen und Füßen gefesselt und hatte einen Knebel im Mund. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Kontrolleur sich formvollendet vor und nahm die einfache Brille ab. »Ihr momentanes Ungemach, Miß Wilburn, dürfte hiermit beendet sein. Eine Tasse Tee dürfte Sie umgehend wieder erfrischen.« Sie nickte und schaute ihn starr an. Parker holte die junge Frau vorsichtig aus der engen Kammer, band sie los und überließ es ihr, den Knebel aus dem Mund zu nehmen. »Mister Peter Colbert befindet sich wohlauf, Miß Wilburn«, sagte der Butler weiter. »Er wird in wenigen Minuten zusammen mit Lady Simpson hier eintreffen.« Sie wollte sich bedanken, doch sie weinte erst mal vor Erleichterung. * 42
»Mich hätten Sie mit dieser Maskerade natürlich niemals täuschen können, Mister Parker«, mokierte sich die ältere Dame eine Viertelstunde später. Sie war mit dem BildJournalisten Peter Colbert im schmalen Reihenhaus eingetroffen und musterte ihren Butler. »Ich hätte Sie nicht wiedererkannt«, erklärte der Journalist dagegen und schüttelte den Kopf. »Woher nahmen Sie so plötzlich den weißen Kittel?« »Gewisse Utensilien entstammen jenem kleinen Kostümfundus, der sich stets einsatzbereit im Kofferraum des Wagens befindet«, erklärte der Butler. »Ein offizielles Aussehen öffnet in fast allen Fällen Tür und Tor, wenn meine Wenigkeit sich mal so ausdrücken darf.« »Nehmen Sie noch einen kleinen Schluck, Kindchen«, schlug Lady Agatha der Journalistin vor. »Ihr Kreislauf muß ja völlig in Unordnung geraten sein.« Jessica Wilburn hatte sich inzwischen wieder gefaßt und lächelte. Sie hielt das Glas hoch, aus dem sie bereits getrunken hatte und wartete, bis auch Agatha Simpson sich bedient hatte. »Sie wurden von Ihren Gegnern wo aufgespürt, um diese Frage zu klären«, wandte sich der Butler an Peter Colbert. »Wir waren bei einer Freundin von
Miß Wilburn«, antwortete der BildJournalist. »Die Dame ist drüben auf dem Kontinent und hatte uns ihre Wohnung zur Verfügung gestellt.« »Dennoch hat man Miß Wilburn und Sie aufgespürt«, gab Josuah Parker zurück. »Da die allgemeine Lage bereinigt sein dürfte, sollte man sich vielleicht dem Müll-Thema widmen.« »Gift-Müll«, steigerte Jessica Wilburn. »Es geht um diesen Entsorger, wie er genannt wird.« »Könnte es sich dabei möglicherweise um Mister Ralph Lorrey handeln?« tippte Parker an. »Erstaunlich«, ließ der Bild-Journalist sich vernehmen. »Sie befassen sich auch damit?.« »Mylady stieß auf einige interessante Hinweise«, meinte der Butler. »Der Name des Mister Lorrey sagt Ihnen also etwas, Mister Colbert?« »Der karrt mit einigen anderen Transportunternehmern den Giftmüll durch die Gegend«, sagte Colbert. »Lorrey ist einer der Haupttransporteure.« »Sie haben herausgefunden, wohin der Giftmüll verbracht wird?« »Es gibt da verschiedene kleine Deponien im Umland von GroßLondon«, berichtete der Bild-Journalist. »Es handelt sich dabei um Ablageplätze für den normalen Hausmüll. Dennoch wird dieses Gift einfach abgekippt, ohne jede Siche43
rung.« »Es dürfte demnach keine Kontrollen geben, wie anzunehmen ist.« »Die wenigen Leute an den Deponien sind entweder bestochen oder werden bedroht«, fügte Colbert hinzu. »Wie das genau funktioniert, weiß ich noch nicht, aber das dürfte ja auch kaum erheblich sein. Es geht um dieses Giftzeug, das mit Sicherheit im Boden versickert und das Grundwasser verseucht.« »Man schafft sich tickende Zeitbomben, Mister Colbert, um es mal so zu umreißen«, sagte Parker. »Sie wissen, woher der angesprochene Giftmüll stammt?« »Jessica… ich meine, Miß Wilburn… Wir also haben da recherchiert und eine Menge Material zusammengetragen«, erklärte Peter Colbert. »Wir kennen Firmen, bei denen Giftmüll anfällt.« »Und diese Firmen kümmern sich nicht darum, wo ihr Gift landet?« empörte sich die Detektivin. »Die geben sich blauäugig und verweisen auf entsprechende Verträge mit Entsorgern«, schaltete Jessica Wilburn sich ein. »Damit ist für die Firmen der Fall erledigt.« »Sie sprachen gerade von Entsorgern«, hakte der Butler in seiner bekannt höflichen Art nach. »Könnten Sie sich freundlicherweise näher dazu äußern?« »Die Entsorger sind im Normalfall Firmen, die sich auf den Giftmüll
spezialisiert haben«, gab Peter Colbert Auskunft, »selbstverständlich sind das in der Regel seriöse Unternehmen. Aber es gibt eben Ausnahmen. Die Entsorgung von Giftmüll ist sehr teuer. Die schwarzen Schafe in der Branche kassieren zwar hohe Entsorgungspreise, kippen den Müll dann aber einfach irgendwo weg. Sie können sich vorstellen, welchen Schnitt sie dabei machen. Es geht um Millionen, wenn man das alles hochrechnet.« »Es muß eine Person geben, die nach dem geschilderten Verfahren horrende Summen verdient«, sagte Josuah Parker. »Ergaben sich in dieser Hinsicht bereits Verdachtsmomente?« »Wir denken schon.« Colbert sah seine Partnerin und Freundin kurz an. »Nennen Sie gefälligst Namen, junger Mann«, grollte die ältere Dame den Bild-Journalisten an. »Ich hasse Heimlichkeiten.« »Es gibt einen Großunternehmer hier in London«, schickte Peter Colbert voraus. »Er kontrolliert fast die gesamte Branche.« »Ihre Gabe, die Dinge spannend zu machen, ist bemerkenswert«, stellte der Butler fest. »Er heißt Ernest Mulligan«, platzte Jessica Wilburn heraus, »aber an ihm haben wir uns bisher die Zähne ausgebissen. Er hat sich wasserdicht abgeschottet.« 44
»Das wird ihm nicht viel helfen«, machte die ältere Dame deutlich. »Er ist also dieser Besorger!« »Entsorger, Mylady«, korrigierte Jessica Wilburn. »Wie auch immer, mein Kind.« Sie machte eine Handbewegung. »Ich werde diesen Besorger entlarven.« »Uns fehlen die Beweise, Mylady«, erinnerte der Bild-Journalist. »Sie gehen von der Annahme aus, daß die Firma des Mister Ernest Mulligan zweigleisig geführt wird, Mister Colbert?« schickte Josuah Parker voraus. »Da wäre dann mal der offizielle Transport von Giftmüll aller Art und…« »… die heimliche Entsorgung, die wesentlich billiger ist und leicht verdientes Geld bedeutet«, führte der Journalist weiter aus. »Sie kennen gewiß einige Deponien, die mit diesem erwähnten Giftmüll bedacht werden«, unterstellte der Butler. »Wir haben ganze Serien von entsprechenden Fotos«, erwiderte Jessica Wilburn. »Auf diesen Bildern sind die Fahrzeuge mit ihren Zulassungskennzeichen zu sehen. Dann haben wir Fotos aus den Deponien. Auf ihnen sind Giftfässer und Schlämme festzustellen.« »Sie und Mister Colbert müssen sich ein wenig exponiert haben«, sagte der Butler. »Anders kann man sich Ihre Verfolgung nicht erklären.« »Natürlich hat man uns einige
Male erwischt. Daher auch die telefonischen Drohungen, die danach kamen. Und schließlich der Überfall, den Sie ja mitbekommen haben, Mister Parker.« Er wollte noch etwas hinzufügen, doch das läutende Telefon unterbrach ihn. Parker ging an den Apparat, der im Wohnhaus des schmalen Reihenhauses stand, hob ab und nannte seinen Namen. »Parker?« fragte eine verdutzte Stimme. »In der Tat«, gab der Butler zurück. »Richten Sie Ihrem Auftraggeber möglichst umgehend aus, daß die beiden Journalisten sich wieder ihrer Freiheit erfreuen und Mylady und meiner Wenigkeit ihr Beweismaterial freundlichst zur Verfügung gestellt haben. Auf den sogenannten Entsorger kommen damit Zeiten zu, die man nur als ausgesprochen unangenehm und bedrückend bezeichnen kann.« Josuah Parker legte auf und widmete sich wieder den beiden Journalisten. * Die Deponie, die Parker und Mylady erreicht hatten, erinnerte zwar keineswegs an einen gepflegten Golfplatz, doch sie sah auch nicht besonders abstoßend oder wüst aus. Sie befand sich in einer ausgeräumten Tongrube weit im Londoner Norden 45
und war umgeben von einem Kranz hoher Laubbäume. Die Zufahrt machte einen aufgeräumten Eindruck. Die gut geschotterte Straße endete vor einem soliden Schlagbaum, zu dem eine Art Pförtnerhaus gehörte, das aus einem Wohn-Container bestand. Parker und seine Herrin hatten das hochbeinige Gefährt auf einem Parkplatz zurückgelassen und näherten sich dem schwarzen Lastwagen, der Stahlfässer geladen hatte. Der Fahrer unterhielt sich mit dem Wachmann, zeigte ihm Papiere und folgte ihm dann in den Container. »Ihnen sind hoffentlich nicht die Fässer entgangen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame. »Sie dürften das enthalten, Mylady, was man gemeinhin mit Sondermüll bezeichnet.« »Ich werde sofort eine Kontrolle vornehmen, Mister Parker«, fuhr sie streng fort. »Natürlich sind die Papiere gefälscht und ist der Wachmann bestochen. So etwas spüre ich einfach.« Im Verlauf ihrer Feststellung hatte man sich dem Container genähert. Der Fahrer kam gerade heraus, blickte kurz auf die beiden Besucher und stieg dann in sein Fahrerhaus. Der Wachmann erschien ebenfalls und kam auf Mylady und Parker zu. Er winkte mit der linken Hand abwehrend und vertrat der passionierten Detektivin leichtsinniger-
weise den Weg. »Privatbesitz«, sagte er. »Hier geht’s nicht weiter… Sperrzone!« »Haben Sie etwas zu verbergen, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson gereizt. »Verbergen? Wie kommen Sie denn darauf?« »Lassen Sie gerade nicht verbotenen Giftmüll durch?« blaffte die energische Dame sofort. »Verbotener Giftmüll?« Der Wachmann runzelte die Stirn. »Selbst wenn, was geht Sie das an, Madam? Wie gesagt, hier ist Sperrzone… Privatbesitz.« »Kann man davon ausgehen, daß es sich um eine genehmigte Deponie für sogenannten Sonder- oder auch Giftmüll handelt?« schaltete der Butler sich höflich ein. »Wer sind Sie eigentlich?« rief der Fahrer des Lastwagens und kletterte wieder nach unten. »Sie sehen sich einer an Umweltinteressierten Bürgerin fragen gegenüber«, antwortete der Butler. »Ihre Stahlfässer enthalten Hausmüll?« »Das geht Sie doch einen feuchten Dreck an«, brauste der Fahrer auf. »Hauen Sie mit Ihrer Tante ab, sonst werde ich sauer!« »Verschwinden Sie endlich«, meinte der Platzwart nervös. »Wie leicht kann hier was passieren!« »Enthalten die Stahlfässer womöglich giftige Industrieschlämme?« 46
erkundigte sich Parker weiter. »Jetzt platzt mir aber der Kragen«, brüllte der Lastwagenfahrer und ging auf den Butler los. Er holte zum Schlag aus und hatte die Absicht, seine Faust auf Parkers Gesicht landen zu lassen. Einen Augenblick später brüllte der Lastwagenfahrer allerdings und stierte entsetzt und fassungslos auf seine Hand, die nicht mehr verwendungsfähig war. Parker hatte den Schlag mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes abgeblockt. »Sie sollten sich nicht an einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann vergreifen«, tadelte der Butler mit durchaus höflichem Unterton. »Es könnte sonst zu nachhaltigeren Komplikationen führen.« Der Lastwagenfahrer wollte indes keine Ruhe geben. Er verfügte schließlich noch über die intakte linke Faust. Und die sollte nun ins Ziel gelangen. Dabei übersah er allerdings die ältere Dame, die ihren Pompadour in Schwingung versetzt hatte. Krachend landete der perlenbestickte Pompadour auf dem Rücken des Aggressiven. Der Mann machte einen gewaltigen Satz nach vorn, verlor das Gleichgewicht und taumelte gegen den Wachmann, der in typischer, unmißverständlicher Geste nach einer Schußwaffe griff. Er wurde aber in seiner Absicht
stark behindert und nahm anschließend auf dem Schotter Platz, nachdem Parker mit dem Schirmgriff bei ihm in Stirnhöhe angeklopft hatte. Die beiden Männer waren erst mal ausgeschaltet, und der Butler versorgte sie mit Plastikfesseln. Danach entwaffnete er den Platzwart und barg einen kurzläufigen Revolver. Der Lastwagenfahrer war bis auf ein Klappmesser unbewaffnet. »Sie sehen, Mister Parker, daß ich mich auf meinen untrüglichen Instinkt verlassen kann«, sagte Agatha Simpson und lächelte selbstzufrieden. »Und nun werde ich eine Sichtung der Ladung vornehmen.« »Vielleicht sollte Mylady dies noch ein wenig verschieben«, schlug der Butler vor. »Man scheint auf Mylady aufmerksam geworden zu sein.« Während er noch sprach, deutete er mit der Schirmspitze auf zwei junge Männer, die Jeans, bunt karierte Hemden und Gummistiefel trugen. Sie kamen über eine Rampe aus der Tiefe der Deponie. »Es empfiehlt sich, Mylady, die Herren vielleicht in ein Gespräch zu verwickeln«, schlug Parker vor. »Man könnte seiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, zwei niedergestreckte Personen hier vorgefunden zu haben.« »Sie werden mich als überzeugende Schauspielerin erleben«, kündigte Lady Agatha erfreut an. »Las47
sen Sie mich nur machen.« Die resolute Dame holte tief Luft und heulte wie eine Fabriksirene. Selbst Parker, den kaum etwas zu erschüttern vermochte, zuckte unwillkürlich zusammen. * Sie ließen sich täuschen, rannten aus dem Stand los und sprinteten auf Mylady und Parker zu. »Mord!… Mord!« Agatha Simpson deutete auf die beiden am Boden liegenden Männer. »Hier scheint ein Verbrechen verübt worden zu sein«, fügte Parker bedeutend ruhiger hinzu. Die Jeansträger blickten auf die fraglichen Männer und schöpften verständlicherweise keinen Verdacht. Sie hatten es schließlich mit zwei Besuchern zu tun, die die Mitte ihres Lebens eindeutig überschritten hatten. So beugten sie sich vor und… legten sich anschließend über ihre Verbündeten. Parker hatte mit dem Schirmgriff, Mylady mit ihrem Pompadour zugeschlagen. »Gimpel«, meinte die ältere Dame verächtlich. »Wie kann man sich nur so leicht täuschen lassen?« »Mylady waren ungemein überzeugend«, sagte der Butler. »Nun ja, das entschuldigt vielleicht einiges«, räumte sie ein. Parker durchsuchte auch diese bei-
den Männer, fand aber keine Waffen. Er opferte zwei weitere Plastikfesseln und betrat dann den Container. Hier fand er auf Anhieb die Papiere, die der Lastwagenfahrer dem Platzwart überreicht hatte. Es handelte sich um Frachtpapiere, auf denen eindeutig der Transport von regulärem Hausmüll bescheinigt wurde. Die Kerle waren inzwischen wieder zu sich gekommen und rissen und zerrten an den Plastikbändern. Sie merkten erst mit einiger Verspätung, daß die Fesseln dadurch nur noch enger wurden. »Ihr Benehmen ist das, was man besucherfeindlich nennen muß«, stellte der Butler fest. »Sollten Sie tatsächlich etwas zu verbergen haben?« Der Lastwagenfahrer fluchte, die beiden Jeansträger bissen sich auf die Lippen, der Platzwart wich Parkers Blick aus. »Sie dürfen in meinem Sinn eine Überprüfung der Fässer vornehmen, Mister Parker«, sagte die Detektivin. Sie hatte die Höhe der Ladefläche abgeschätzt und sie für zu hoch eingestuft. »Mit Myladys Erlaubnis.« Parker stieg erstaunlich geschmeidig und leichtfüßig über das Trittbrett des Fahrerhauses auf die Ladefläche und nahm eine erste Inspektion der Fässer vor, die in Sechserreihen und 48
dreifach übereinander gestapelt die Ladefläche ausfüllten. Aus Gründen der Einfachheit hebelte er mit seinem UniversalRegenschirm ein Faß an und ließ es auf den Schotter springen. Es platzte erwartungsgemäß auf und ließ eine zähe gelbbraune Flüssigkeit austreten. Innerhalb weniger Sekunden beherrschte der Geruch nach Lack und Teer die Luft. Lady Agatha hüstelte und verzog angewidert das Gesicht. »Woher stammt der stinkende Schlamm, junger Mann?« wandte sie sich an den Lastwagenfahrer. »Das fehlte gerade noch, daß ich hier ‘ne Auskunft gebe«, wurde der Mann giftig. »Mylady können davon ausgehen, daß die Person freiwillig Auskunft geben wird«, versicherte der Butler seiner Herrin. Er trat mit dem rechten Fuß gegen das Faß und rollte es auf den Fahrer zu. Aus dem Riß schwappte und gluckerte die zähe Flüssigkeit und hinterließ eine deutlich sichtbare Spur auf dem Schotter. Der Fahrer zog unwillkürlich die Beine an und fühlte sich unwohl. »Sie brauchen regulären Hausmüll keineswegs zu fürchten«, beruhigte Butler den Mann. »Sollte es sich allerdings um Gifte handeln, müßten Ihnen einige Bedenken kommen. Sie selbst dürften einschätzen können, wie gefährlich der Faßinhalt ist.«
»Ich… ich weiß es doch nicht«, brüllte der Fahrer. »Hören Sie auf, Mann, lassen Sie das verdammte Faß stehen.« »Das Faß, das woher stammt, wenn man fragen darf?« »Ich… ich habe den Laster nur übernommen«, behauptete der Fahrer hastig. »Woher der stammt, weiß ich nicht.« »Sie sollten dies freundlicherweise genauer erklären«, schlug Josuah Parker vor. »Der Laster stand auf ‘nem Parkplatz an der Hundertdreizehn. Mehr weiß ich nicht. Ich sollte den Zug hierher bringen. Das ist alles.« »Man kann sicher davon ausgehen, daß Sie Mitarbeiter einer Firma sind«, fragte Parker unbeirrt freundlich weiter. »Eigentlich bin ich arbeitslos«, lautete die nächste Erklärung. »Ich helfe hin und wieder mal bei Clarkson aus.« »Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Spezialbetrieb, der sich der Müllentsorgung verschrieben hat, nicht wahr?« »Was hat er?« Der Lastwagenfahrer war zu nervös und ängstlich geworden, um sofort zu verstehen. »Die Firma Clarkson transportiert Müll aller Art?« übersetzte sich der Butler. »Genau«, erwiderte der Fahrer erleichtert, »genau das ist es.« »Nun wäre noch zu klären, durch 49
wen Sie an diese Firma vermittelt wurden«, meinte der Butler. »Daran werden Sie sich sicher erinnern.« »Das ist das Job-Büro Carting«, fiel die Antwort aus, die den Butler keineswegs verblüffte. * Josuah Parker hatte eine Schlammprobe gezogen und eine gehörige Portion davon in eine Art Einmachglas geschoben, die er mit einem auslaufsicher Bügelverschluß machte. Die vier Männer, die ihn dabei wohl nur gestört hätten, befanden sich zu dieser Zeit bereits im Wohn-Container, dessen Fenster der Butler mit den außen angebrachten Schlagläden aus Blech gesichert hatte. Die Tür hatte er verschlossen und anschließend die Rückkante des Lastwagens gegen die Türgesetzt. Die vier Männer saßen vorerst in einer Falle, die sie aus eigener Kraft wohl kaum verlassen konnten. »Ich plane bereits den nächsten Schritt«, kündigte die ältere Dame energisch an. »Mylady haben bereits bestimmte Vorstellungen?« »Nun ja, alles hübsch der Reihe nach«, redete sie munter weiter. »Eigentlich ist alles gleich wichtig. Sie dürfen entscheiden, Mister Parker. Auch Sie sollen mitdenken.« »Man sollte vielleicht zuerst mal
die Probe einem entsprechenden Institut anvertrauen, Mylady«, gab Parker zurück, ohne eine Miene zu verziehen. »Anschließend könnte man Mister Dan Clarkson aufsuchen und ihm einige gezielte Fragen stellen.« »Richtig«, entgegnete die Detektivin und nickte wohlwollend. »Anders hätte auch ich nicht entschieden, Mister Parker.« »Dann wäre da noch jene Firma, deren Sondermüll entsorgt werden soll, Mylady.« »Aha. Und wie heißt sie?« »Dies geht aus den Unterlagen hervor, die meine Wenigkeit sicherzustellen sich erlaubte.« Parker zeigte seiner Herrin die Papiere, die der Lastwagenfahrer dem Platzwart übergeben hatte. »Es handelt sich um einen Betrieb, in dem SpezialAkkus hergestellt werden. Der Name dieser Firma lautet ›Bull Power‹.« »Keine Details«, verbat sich die ältere Dame umgehend. »Aus allem geht ja hervor, daß ich überall wieder gebraucht werde. Was kann ich hier noch tun?« »Mylady haben sicher die Absicht, einen Blick auf die eigentliche Deponie zu werfen.« »Ich weiß bereits jetzt, daß ich sehr entrüstet sein werde«, meinte die ältere Dame, »aber das wird mich erst recht in die richtige Stimmung versetzen.« 50
Parker übernahm die Führung. Zuerst war der Fahrweg hinüber und dann über die Rampe hinunter in die Deponie noch einigermaßen geschottert und begehbar. Doch dann änderte sich das. Es gab tiefe Spurrinnen, Pfützen und Schlamm. Parker dirigierte Agatha Simpson unauffällig auf eine Art Wendeplatz, von dem aus man auf den Müll blicken konnte. »Das sieht aber durchaus nach Hausmüll aus«, stellte Lady Agatha enttäuscht fest. »Meine bescheidene Wenigkeit möchte sich erlauben, Mylady vollinhaltlich beizupflichten«, gab der Butler zurück. »Den Sondermüll dürfte man geschickt getarnt haben.« »Ich habe keine Lust, durch den ganzen Unrat zu waten«, sagte die passionierte Detektivin. »Könnten Mylady sich dazu entschließen, den Verdichter zu besteigen?« Parker deutete mit der Schirmspitze auf einen Schaufellader, dessen Räder durch Stahlwalzen mit kräftigen, stumpfen Noppen ersetzt waren. Lady Agatha musterte das seltsame Gefährt und war sofort Feuer und Flamme. »Ich werde dieses Ungetüm steuern«, entschied sie. »Bei der Gelegenheit werde ich Ihnen zeigen, Mister Parker, wie man mit Spezialfahrzeugen umgeht.« »Mylady werden bei meiner
Wenigkeit mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck hinterlassen«, vermutete der Butler. Er war und blieb ein Meister der völligen Selbstbeherrschung. * »Und Sie täuschten sich nicht, Parker?« fragte Mike Ränder und lächelte amüsiert. Er und Kathy Porter befanden sich im Haus der älteren Dame, die in ihre Privaträume gegangen war, wie Parker gerade gemeldet hatte. »Mylady zeigte ein ungewöhnliches Verständnis für diese neue Technik«, berichtete der Butler. »Mylady entwickelte darüber hinaus sportliche Eigenschaften, die man nur als ungewöhnlich bezeichnen kann.« »Es kam also zu einigen Zwischenfällen, Mister Parker?« tippte Kathy Porter an. »Mylady bremste nicht rechtzeitig, um es mal so auszudrücken«, berichtete der Butler trocken. »Vielleicht war aber auch das Bremssystem defekt. Der Schaufellader rutschte über die Kante des Schuttberges nach unten. Mylady vermochte sich gerade noch durch einen beachtlichen Sprung vom Fahrzeug in Sicherheit zu bringen.« »Könnten Sie dabei ein wenig nachgeholfen haben, Parker?« wollte der Anwalt lachend wissen. Er sah 51
die Szene genau vor seinem geistigen Auge. »Meine Wenigkeit möchte keineswegs verhehlen, Sir, daß es meinerseits zu einer reflexartigen Reaktion kam, als die erwähnte Abrißkante sich bedrohlich näherte«, gestand Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Dabei könnte meine bescheidene Wenigkeit Mylady durchaus vom Fahrersitz gestoßen haben.« »Und sie landete wo?« Rander und Kathy Porter glucksten verhalten. »Mylady schien von einer Schlammpfütze geradezu magnetisch angezogen worden zu sein«, meinte Parker, »Mylady hatten aber das, was man gemeinhin eine weiche Landung zu nennen pflegt. Aus diesem Grund befinden Mylady sich auch in ihren privaten Gemächern, um sich umzukleiden.« »Sie haben dennoch die Stelle ausgemacht, wohin der Sondermüll gekippt wurde?« fragte Rander, nachdem er sich von einem mittelschweren Lachanfall erholt hatte. »Der Schaufellader, Sir, landete in einem Giftsumpf, wie man diesen Teil der Deponie wohl nennen muß«, berichtete der Butler weiter. »Es muß deutlich gesagt werden, daß man den Sonder- und Giftmüll in eine tiefe Senke fließen ließ. Der erwähnte Schaufellader war nach dem Eintauchen nicht mehr zu sehen.« »Eine unerhörte Schweinerei«,
stellte Mike Rander fest. »Haben diese Entsorger eigentlich keine Moral? Sie vergiften doch konsequent das Grundwasser und gefährden ihre Mitmenschen.« »Das Gewinnstreben gewisser Personen ist eindeutig größer als ihr Verantwortungsgefühl«, unterstrich der Butler. »Man muß wohl davon ausgehen, daß es noch viele solcher Deponien gibt, die mißbraucht werden.« »Miß Porter und ich haben ja versucht, Kontakt mit den beiden Journalisten aufzunehmen«, schickte Mike Rander voraus. »Leider ist daraus nichts geworden.« »Mister Peter Colbert und Miß Jessica Wilburn zogen es vor, erst mal unterzutauchen. Sie fürchten nicht ohne Grund um ihr Leben. Dazu später vielleicht mehr, Sir.« »Mister Rander und ich haben uns mit dem zuständigen Spitzenbeamten für die Müllbeseitigung unterhalten«, warf Kathy Porter ein. »Dieser Mann und seine engeren Mitarbeiter glauben fest an die ordnungsgemäße Beseitigung von Sondermüll. Sie kamen uns recht blauäugig vor.« »Möglicherweise gehen die betreffenden Personen von der Maxime aus, daß nicht sein kann, was nicht sein, darf, Miß Porter.« »Das könnte stimmen.« Kathy Porter nickte. »Diese Verantwortlichen verwiesen Mister Rander und mich 52
an einige Entsorger, für die man sogar bereit ist, die Hand ins Feuer zu legen.« »Wurde in diesem Zusammenhang der Name der Firma Ernest Mulligan genannt, Miß Porter?« »An erster Stelle«, entgegnete sie. »Dann fiel aber auch noch der Name eines gewissen Clarkson. Auch diese Firma muß groß im Geschäft sein.« »Ein mehr als nur interessanter Hinweis.« Parker dachte an den Lastwagenfahrer, der für diese Firma die Giftfässer transportiert hatte. »Sie nehmen aber nach wie vor an, Parker, daß die Scheinentsorgungen zentral geleitet werden?« wollte der Anwalt wissen. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, erwiderte der Butler. »Der Entsorger, wie er genannt wird, dürfte die Transporte auf die verschiedenen Deponien verteilen.« »Und wie werden Sie nun vorgehen, Parker?« »Mylady brennt darauf, Mister Mulligan einen Besuch abzustatten«, sagte Josuah Parker. »Aber auch Mister Dan Clarkson kann mit einiger Aufregung rechnen, wenn man es mal so ausdrücken darf. Mylady ist nach dem Sprung in die Schlammpfütze das, was man verärgert nennen sollte.« *
Agatha Simpson schritt wie eine regierende Monarchin die Treppe hinunter und winkte Parker huldvoll zu. »Ich habe mich entschlossen, Ihnen zu verzeihen«, sagte sie mit ihrer tiefen, sonoren Stimme, die die Wohnhalle des Hauses spielend ausfüllte. »Mylady dürfen versichert sein…« »Obwohl ich weiß, daß Sie mich absichtlich vom Schaufellader gestoßen haben«, warf die ältere Dame dazwischen. »Nur im Interesse von Myladys Sicherheit«, erwiderte der Butler. »Ich wäre schon rechtzeitig abgestiegen«, meinte sie, »Auf mein Timing kann ich mich verlassen, Mister Parker. Sie hingegen haben schlechte Nerven.« »Könnten Mylady sich unter Umständen dazu durchringen, meiner bescheidenen Wenigkeit noch mal zu verzeihen?« fragte der Butler. »Das sagte ich ja gerade«, entgegnete sie. »Ich werde dieses Thema also nicht weiter vertiefen. Die lieben Kinder waren da?« »Miß Porter und Mister Rander«, bestätigte der Butler. »Sie nahmen Kontakt zu amtlichen Stellen auf, die für Londons Müllentsorgung zuständig sind. Man kann sich dort nicht vorstellen, daß die normalen Deponien mißbraucht werden.« »Das habe ich auch nicht anders erwartet«, erklärte die ältere Dame. 53
»Ich werde diesen Leuten aber beweisen, wie vertrauensselig sie sind. Haben Sie bereits die Fotos der beiden Journalisten ausgewertet, Mister Parker? Oder muß ich das auch noch tun?« »Es handelt sich um ein Beweismaterial von besonderer Güte, Mylady«, versicherte der Butler ihr und nickte andeutungsweise zu ihrer Frage. »Mister Peter Colbert und Miß Jessica Wilburn haben eine Dokumentation vorgenommen, die man nur als bestürzend bezeichnen kann, was die Tatsache betrifft.« »Sie haben auch Lastwagen verschiedener Firmen fotografiert?« »Das Material ist als lückenlos zu bezeichnen. Man sollte es umgehend der Polizei übergeben, Mylady.« »Ausgeschlossen, Mister Parker«, entschied Lady Agatha. »Ich will diesen Besorger enttarnen.« »Miß Wilburn und Mister Colbert nehmen an, daß der Entsorger mit Mister Lester Carting identisch ist.« »Aha! Und wer ist das?« »Mister Carting vermittelt TeilzeitJobs, um es mal im Jargon auszudrücken, Mylady. Er setzte die beiden Schläger Finton und Belfay auf die Journalisten an.« »Dieses Subjekt halte ich für sehr verdächtig«, meinte Agatha Simpson. »Spricht überhaupt etwas gegen diese Vermutung, Mister Parker?« »Mister Lester Carting war jene Person, Mylady, die zum ersten Mal
vom sogenannten Entsorger sprach.« »Ein rein taktisches Manöver, Mister Parker«, gab die Detektivin zurück. »Mit dieser Nennung wälzte er den Verdacht von sich ab, doch damit kann man eine Lady Simpson nicht täuschen. Nun gut, was habe ich jetzt vor? Da war doch etwas, oder?« »Mylady wünschen, der AkkuFabrik ›Bull-Power‹ einen Besuch abzustatten«, behauptete der Butler. »Die giftigen Abfälle dieser Firma wurden von dem Spezialisten Dan Clarkson zur Deponie verbracht, die Mylady zu inspizieren geruhten.« »Erinnern Sie mich nur nicht an Ihr Attentat auf mich«, verwahrte sich die ältere Dame grimmig. »Vielleicht war es doch etwas zu voreilig, Ihnen zu verzeihen, Mister Parker.« Das Gesicht des Butlers blieb gerade jetzt ausdruckslos und glatt. * Wie nicht anders zu erwarten war, wurde die Gegenseite aktiv. Als das hochbeinige Gefährt des Butlers sich in den Verkehr auf der Durchgangsstraße eingefädelt hatte, tauchten zwei Motorradfahrer auf, die vermutlich bereits sehnsüchtig auf das hochbeinige Monstrum gewartet hatten. »Ausgezeichnet, Mister Parker«, meinte die ältere Dame und nickte 54
wohlwollend, nachdem Parker sie vom Steuer her informiert hatte. »Stellen Sie fest, wer die beiden Subjekte sind. Verzichten Sie auf jede unnötige Rücksichtnahme.« Parker lockte die Verfolger, die auf schnellen Yamahas saßen, in eine Tiefgarage der Innenstadt. Er suchte sich die unterirdischen Parkplätze eines Warenhauses aus, und die beiden Männer blieben arglos. Sie wußten nicht, was sie erwartete. Möglicherweise glauben sie sogar fest daran, ihre Opfer gerade in einer Tiefgarage lautlos und ungesehen aus dem Weg räumen zu können. Parker fuhr über die enge Wendel hinunter in das tiefste der drei ParkDecks und beschleunigte dabei stets. Er forderte so die Motorradfahrer heraus, es ihm nachzutun. Nun, die Kerle sahen darin keine Schwierigkeit, denn mit einer Dosis mehr Gas, schlossen sie schnell auf. Sie legten sich dabei geradezu verwegen und fast schon lustvoll in die engen Kehren. Da die Beleuchtung nicht gerade üppig war, entging ihnen, daß auf dem Betonboden der Wendel plötzlich ein leichter Ölfilm erschien. Er stammte aus feinen Düsen, die unter dem Wagenboden des hochbeinigen Monstrums angebracht waren. Parker hatte sie durch einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett aktiviert.
Erneut legten sich die beiden Yamaha-Fahrer in die enge Kurve und vermißten plötzlich jede Haftung ihrer Reifen. Die schweren Maschinen machten sich selbständig und rutschten seitlich weg. Sie donnerten gegen die Betonwand, wurden zurückkatapultiert, bäumten sich auf wie wilde Mustangs und flogen an die gegenüberliegende Wand. Die beiden Fahrer lagen inzwischen längst auf dem Rücken und segelten auf ihrer Ledermontur wie auf Skeleton-Schlitten weiter nach unten. Obwohl sie große Fahrt hatten, schafften sie es nicht, Parkers Wagen einzuholen. Der Butler hatte unten auf dem Park-Deck gebremst, hielt und stieg aus. Er nahm seinen UniversalRegenschirm in die rechte Hand und erwartete die beiden Sportler wider Willen, die gerade heransegelten und keine Möglichkeit hatten, ihre Fahrt zu stoppen. Als sie schließlich gegen einen Betonpfeiler prallten, blieben sie benommen liegen. Parker brauchte den bleigefüllten Griff seines Schirmes nicht mehr einzusetzen. Bevor sie sich von ihrer Schlittenfahrt aber erholten, legte der Butler ihnen seine bewährten Plastikfesseln an. »Nun Mister Parker, sind einige Knochen gebrochen?« wollte die ältere Dame in ihrer bekannten Direktheit wissen. 55
»Die Rutschpartie, Mylady, hinterließ keine körperlichen Schäden, von einigen Prellungen und Verstauchungen abgesehen.« »Sehr bedauerlich, Mister Parker.« Sie blickte neugierig auf die Yamaha-Fahrer, die gerade wieder zu sich kamen und leicht stöhnten. »Die beiden Herren dürften mehr darunter leiden, Mylady, daß ihre Maschinen nachhaltig deformiert wurden«, vermutete der Butler. »Immerhin etwas.« Sie wandte sich den jungen Männern zu, deren Helm-Visiere Parker hochgeschoben hatte. »Sie also wollten mich ermorden! So etwas bleibt natürlich nicht ungestraft.« Die Kerle belegten die ältere Dame mit wüsten Schimpfworten und wollten aufstehen, doch erst jetzt merkten sie, daß sie gefesselt waren. Sie spuckten förmlich Gift und Galle, als Parker sie durchsuchte und dabei erstaunlich fündig wurde. Er barg insgesamt vier Eierhandgranaten, zwei schallgedämpfte Pistolen und zwei Wurfmesser. »Mylady haben es offensichtlich mit ausgesuchten Spezialisten zu tun«, sagte der Butler, als er seiner Herrin die diversen Fundstücke präsentierte. »Ich werde die beiden Lümmel mitnehmen«, entschied sie. »Verstauen Sie sie im Kofferraum, Mister Parker. Ich weiß bereits, wo ich diese Subjekte hinbringe.«
»Man sollte vor dem Verlassen des Parkkellers die Aufsicht darüber verständigen, daß es auf der Wendel eine ausgesprochen tückische Ölspur gibt«, antwortete der Butler. »Außerdem müssen dann noch die beiden Motorrad-Wracks geborgen werden.« Die Yamaha-Fahrer belegten den Butler mit Blicken, die fast tödlich waren. * Die Fahrt dauerte knapp eine Stunde, denn man mußte sich durch den Mittagsverkehr quälen. Parker hatte sich anhand der Unterlagen der beiden Journalisten für eine Deponie in der Gegend von Dagenham entschieden. Die entsprechenden Fotos bewiesen eindeutig, daß man auch hier Sonder- und Giftmüll einfach ausgekippt hatte. Die Bilder ähnelten sich. Eine riesige Kiesgrube war in eine Müll-Deponie verwandelt worden. Um die Augen empfindlicher Bürger zu schonen, hatte man sie eingegrünt und für entsprechenden Sicherheitsabstand zu zwei Straßen gesorgt. Dies alles sah, was eine reguläre Deponie betraf, recht unverfänglich aus. Der Bürger sollte eben das Gefühl haben, daß der unvermeidliche Müll ordnungsgemäß gelagert wurde. 56
Als man sich dem Kontrollhäuschen näherte, das hinter einem geöffneten Zufahrtstor stand, erschienen von der Deponie her zwei Lastwagen, deren Ladeflächen leer waren. »Ich möchte wetten, Mister Parker, daß man gerade wieder mal Giftmüll an Ort und Stelle gebracht hat«, sagte Agatha Simpson. »Meine bescheidene Wenigkeit möchte auf keinen Fall widersprechen, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Mylady wollen sicher die gefälschten Ladepapiere sehen.« »Ich bestehe darauf«, sagte sie grimmig. »Haben Sie sich die Kennzeichen der Lastwagen gemerkt?« »Sie gehören der Firma Clarkson, Mylady«, antwortete der Butler. »Die entsprechenden Aufschriften waren vorn an den Fahrertüren vermerkt.« »Das fiel mir sofort auf«, behauptete die Detektivin umgehend. »Ich dachte schon, Sie hätten sie übersehen, Mister Parker.« Der Butler hatte das geöffnete Gittertor erreicht, das gerade vom Platzwart geschlossen wurde. Er stieg aus und schritt gemessen auf den vierschrötigen Mann zu, lüftete die schwarze Melone und erkundigte sich nach den Bedingungen für eine private Entsorgung. »Mann, wie stellen Sie sich das vor?« fragte der Platzwart amüsiert. »Dazu brauchen Sie ‘ne Genehmi-
gung, dann die entsprechenden Papiere und ‘ne Deklarierung.« »Ob der Privatmüll meiner Wenigkeit auch tatsächlich keine verbotenen Stoffe enthält?« fragte Parker. »Richtig«, bestätigte der Mann. »Überhaupt, Privatleute dürfen hier nicht abkippen. Das is’ ‘ne städtische Deponie und die ist nur für zugelassene Vertragsfirmen.« »Die beiden Fahrzeuge der Firma Clarkson verfügten selbstverständlich über die von Ihnen aufgezählten Unterlagen?« »Natürlich. Warum fragen Sie? Was geht das Sie überhaupt an?« »Die beiden Fahrzeuge haben selbstverständlich keinen giftigen Sondermüll gebracht und gelagert?« »Jetzt hauen Sie aber ab, Mann, bevor ich sauer werde«, giftete der Platzwart ihn umgehend an. Er blickte zum hochbeinigen Gefährt hinüber und war nervös. Parkers Frage schien aber der Grund für die Nervosität zu sein. »Der oft zitierte Zufall sorgte dafür, daß man die beiden Lastwagen vor etwa einer halben Stunde sah«, schickte Parker voraus. »Auf den Ladeflächen befanden sich Fässer und Blech-Container. Gehört solche Fracht zum Hausmüll? Sie werden verstehen, daß ein besorgter Staatsbürger eine derartige Frage stellt, nicht wahr?« »Sind Sie mit der Frau da allein hier?« wollte der Platzwart wissen. 57
»Sollte dies möglicherweise für Sie von Belang sein?« fragte der Butler zurück, ohne auf die Frage des Mannes zu antworten. »Eigentlich schon«, reagierte der Platzwart. »In letzter Zeit treiben sich hier komische Figuren ‘rum. Kommen Sie, ich zeige Ihnen ausnahmsweise mal die Papiere, die man für Abkippen vorlegen muß. Sie werden Bauklötze staunen, wie genau das alles gehandhabt wird.« »Sie sind von ungewöhnlicher Liebenswürdigkeit«, meinte Josuah Parker und folgte dem Platzwart in Richtung Kontrollhäuschen. Parker war natürlich klar, warum man ihn so entgegenkommend behandelte. * Der Mann, der vorausgegangen war, betrat den kleinen Bau, wartete, bis Parker die Tür passiert hatte, deutete auf einen einfachen Arbeitstisch und bückte sich dann nach einer offenen Lade links an der Wand. Er langte hastig hinunter, griff zu und wandte sich blitzschnell um. Dabei riß er die Hand hoch, in der jetzt ein gefährlich aussehendes Stemmeisen lag. Parker drückte ihm kommentarlos den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes unter die Kinnlade, worauf der Platzwart das Stemmeisen zu Boden warf und in die Knie ging. Er bedachte den Butler mit einem schie-
lenden Blick, seufzte irgendwie tragisch und legte sich dann über eine Holzkiste, die mit Kohlestücken gefüllt war. Parker beugte sich über den und sichtete die Arbeitstisch Papiere, die dort lagen. Er brauchte nicht lange nach den Unterlagen der Firma Dan Clarkson zu suchen. Sie lagen zuoberst und waren mit Eingangsstempel und handschriftlich vermerkter Uhrzeit versehen. Laut Angabe war regulärer Hausmüll transportiert worden. Parker griff nach dem Telefon und wählte die Nummer der Firma Dan Clarkson. Auf der Gegenseite wurde schon nach wenigem Durchläuten abgehoben. »Deponie Dagenham«, sagte Parker und verlieh seiner Stimme eine gewisse Aufgeregtheit. »Hier gibt es Schwierigkeiten mit Ihren Lastern. Ich brauch’ den Disponenten.« Eine junge, freundliche Frauenstimme kündigte an, durchzustellen. Es knackte einige Male in der Leitung, dann meldete sich eine harte Männerstimme. »Wake, was gibt es?« fragte sie. »Ärger«, gab Parker zurück und verzichtete auf seine sonst übliche barocke Ausdrucksweise. »Hier treiben sich zwei Typen ‘rum, die fotografieren. Die haben Ihre Laster aufgenommen.« »Ist das Zeug bereits ausgekippt?« »Das schon, aber…« 58
»Schiebt Dreck drüber«, ordnete die barsche Stimme an, »und schnappt euch die beiden Typen. Sorgt für ‘nen Unfall oder so. Verdammt, laßt euch was einfallen! – Noch was, Wake: Wie sehen die beiden Typen denn aus? Journalisten oder so?« »Kaum«, erwiderte Parker als Platzwart Wake. »Da ist ‘ne Alte mit so ‘nem Typ, der wie ‘n Butler aussieht.« Auf der Gegenseite blieb die erwartete Reaktion aus. »Hallo…?« fragte Parker. »Moment mal, Wake«, reagierte die harte Männerstimme hastig. »Vereinnahmt die beiden Typen. Haltet sie fest, aber verrollt sie erst mal gründlich. Ich komme ‘raus.« Auf der Gegenseite wurde aufgelegt. Josuah Parker tat es ebenfalls, wandte sich dann zum Platzwart um und griff nach einer mit Wasser gefüllten Kanne. Er goß den Inhalt über den Kopf des Mannes, der plötzlich nach Luft schnappte und hustete. »Sie sollten Ihre Benommenheit nicht übertreiben, Mister Wake«, sagte der Butler. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, meine Wenigkeit noch mal zu attackieren.« Der Platzwart hatte sich aufgerichtet und blickte den Butler scheu an. »Wer… wer sind Sie?« fragte er dann und tastete vorsichtig nach der
Schwellung, die sich an seinem Unterkiefer bildete. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Meiner Wenigkeit wurde gerade von einem Verantwortlichen der Firma Clarkson bestätigt, daß Sie Giftmüll passieren ließen. Und mit Gewißheit wohl kaum zum ersten Mal, Mister Wake.« »Sind Sie… von… der Polizei?« »Sie wird sich mit Sicherheit Ihrer noch annehmen, Mister Wake«, antwortete der Butler, »Sie haben eine Vertrauensstellung schamlos mißbraucht.« »Ich… ich bin erpreßt worden.« »Könnten Sie freundlicherweise erklären, auf welche Art dies geschehen sein soll?« »Verdammt einfach. Die haben mich ein paarmal zusammengeschlagen. Und dann haben sie mich geschmiert.« »Was erhalten Sie für jede Ladung, die Sie passieren lassen?« »Mal hundertfünfzig, mal zweihundert Pfund«, lautete die Antwort. »Und wie viele Transporte an Giftmüll ließen Sie bereits passierten?« »Höchstens zwanzig oder so…« »Ein offenes Geständnis könnte sich für Sie als ungemein hilfreich und vielleicht strafmildernd erweisen.« »Gut fünfzig Ladungen mußte ich durchlassen«, kam die Steigerung, 59
»mehr aber bestimmt nicht.« »Und in sämtlichen Fällen lieferte die Firma Clarkson an, um auch dies noch zu klären?« »Nein, nein, da kommen auch andere Firmen«, erweitere der Platzwart sein Geständnis. »Das geht in buntem Wechsel…« »Sagen Ihnen die Namen Mulligan und Lorrey etwas?« »Die haben auch angeliefert«, bekannte der Platzwart umgehend. »Dieser ganze Sondermüll ist aber sicher gelagert, glauben Sie mir. Dafür gibt es einen besonderen Platz.« »Den Sie von Fall zu Fall mit Normalmüll abdecken, wie meine Wenigkeit gerade hörte.« »Damit… damit sich keiner unnötig aufregt«, schwindelte der Platzwart. »Hören Sie mal, der Mulligan weiß doch genau, was er alles ankarren läßt, der ist doch Spezialist.« »Demnach arbeiten die übrigen Firmen als Zulieferungsbetriebe, Mister Wake?« »Als Sub-Unternehmer«, bestätigte der Platzwart. »Das steht ja auf den Papieren.« »Sie sollten vielleicht noch sagen, wie der Disponent der Firma Clarkson heißt, Mister Wake.« »Ben Williams«, antwortete der Platzwart eifrig. »Der hat früher mal für Mulligan gearbeitet, glaub’ ich.« »Sie sind allein hier auf der Deponie?«
»Nein, unten in der Grube sind noch vier Stauer tätig.« »Die heute anwesend sind?« wunderte sich der Butler. »Die arbeiten da nur alle zwei Tage, heute nicht.« »Dies, Mister Wake, dürfte einiges erklären«, meinte Josuah Parker. »Würden Sie jetzt die Freundlichkeit haben, meine Wenigkeit und Lady Simpson zu jener Stelle zu führen, an der die Giftfässer gelagert wurden?« »Klar doch.« Der Mann langte erneut nach dem Stemmeisen und wollte zudringlich werden. Es blieb allerdings bei diesem Versuch. * Die beiden Yamaha-Fahrer blinzelten in das Tageslicht, nachdem sie sich steifbeinig aus dem recht engen Kofferraum geschoben hatten. Sie blickten sich neugierig um und verstanden wohl nicht recht, warum sie auf eine Deponie gebracht worden waren. Kreischende Möwen stritten sich um Abfälle, die wirklich in reicher Menge herumlagen, strichen wieder ab, vereinigten sich in der Luft zu Schwärmen und segelten dann wieder hinunter auf den Müll. Papierfetzen und kleine StyroporStücke wurden vom leichten Wind über die bereits feste Müllfläche geweht. Es roch penetrant nach 60
Abfall. Parker war mit seinem Wagen bis hinüber zu zwei Schaufelladern gefahren. Die beiden Motorradfahrer wurden von ihm durch leichte Hinweise mit dem Regenschirm auf eine Abrißkante dirigiert. Etwa zehn Meter tiefer war im Müll eine stinkende Brühe auszumachen, die bereits alles durchtränkt hatte. Sie schimmerte in den Farben eines beschädigten Regenbogens und sah bereits optisch hochgiftig aus. Unter dem oben vom Rand heruntergefallenen Hausmüll konnte man rostige Fässer und Blech-Kanister ausmachen, die teilweise aufgebrochen waren. Aus ihnen stammte mit Sicherheit die schlammige Masse. »Was sollen wir hier?« fragte einer der beiden Yamaha-Fahrer mit belegter Stimme. »Die Herren dürfen sich mit dem Medium vertraut machen, in das Sie gleich eintauchen werden«, gab Josuah Parker zurück. »Und zwar kopfüber«, fügte Lady Simpson grimmig hinzu. Sie bückte sich, nahm einen halben Ziegelstein und wog ihn in der Hand. Dann holte sie aus und warf das Stück nach unten Schmatzend klatschte der Stein in den weichen Schlamm, Versank und hinterließ einige Luftblasen, die sich über der Einschlagstelle bildeten. Diese Luftblase schillerte giftig und wirkte abstoßend.
»Sie… Sie wollen uns da ‘reinwerfen?« Der zweite Motorradfahrer blickte Agatha Simpson entgeistert an. »Wer wollte mich denn umbringen?« raunzte die ältere Dame ihn an. »Wer wollte mir denn diese Eierhandgranaten in den Wagen werfen, junger Mann? Ich kann zwar nicht vergessen, dafür verzeihe ich aber auch niemals.« »Da ‘runter?« Der erste YamahaFahrer wich entsetzt zurück. »Unter Umständen tragen Sie nur leichte körperliche Dauerschäden davon«, tröstete Parker ihn. »Meine Wenigkeit sieht sich außerstande, die Zusammensetzung dieses zähen Schlamms zu nennen.« »Es kann natürlich auch sein, daß man später nur noch ein Skelett von Ihnen finden wird«, meinte die ältere Dame. »Ich hätte nichts dagegen.« »Das ist… doch… glatter Mord«, entsetzte sich der zweite Motorradfahrer Umgehend. »Das können Sie doch nicht machen!« »Für wen sollten die Herren denn, wenn man überhaupt fragen darf, Lady Simpson und meine Wenigkeit in das sprichwörtliche Jenseits befördern?« erkundigte sich der Butler. »Für Carting… Lester Carting«, erfolgte prompt das Geständnis. Es kam derart spontan, daß Parker ihm dies ohne weiteres abnahm. »Mister Carting selber erteilte 61
Ihnen diesen Auftrag?« setzte Parker nach. »Natürlich«, erwiderte der Mann und nickte heftig. »Aber wir sollten Sie nicht umbringen, wirklich nicht… Wir sollten mit den Eierhandgranaten nur bluffen und so… Wir hätten die Dinger doch niemals geworfen und gezündet.« »Papperlapapp, junger Mann«, fuhr Mylady ihm über den Mund, »natürlich wollten Sie mich umbringen. Mister Parker, worauf warten Sie eigentlich noch? Oder soll ich die beiden Subjekte nach unten stoßen?« Sie drehten förmlich durch, warfen sich zu Boden, strampelten mit den Beinen herum und robbten zurück zu Parkers Wagen. Da ihre Hände auf den Rücken gebunden waren, erinnerten sie allein schon wegen ihrer schwärzen Lederkleidung an Robben. »Waschlappen«, meinte Josuah Parker verächtlich. »Wer übrigens ist dieses Subjekt, das die beiden Mörder engagiert hat?« »Mister Lester Carting, der Teilzeit-Jobs vergibt, wie Mylady sich erinnern werden.« »Natürlich«, gab sie zurück. »So etwas vergißt man nicht.« »Mister Carting setzte die beiden Schläger Finton und Belfay auf die jungen Journalisten an, Mylady«, fügte Parker noch hinzu, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
»Der Besorger also«, machte sie deutlich. »Ich wußte es von Beginn an, Mister Parker, aber Sie wollten mir ja wieder mal nicht glauben.« Parker verzichtete auf eine Antwort und kümmerte sich um die beiden Yamaha-Fahrer, die bereits eine erstaunliche Strecke in Richtung Kontrollhäuschen zurückgelegt hatten. Sie entwickelten eine Schnelligkeit, die durchaus beachtenswert war. * Er kam nicht allein. Knapp eine Stunde war verstrichen, als ein Geländewagen heranpreschte und mit quietschenden Bremsen vor dem Kontrollhäuschen hielt. Ein großer, fast schlanker Mann stieg aus, der etwa vierzig sein mochte. Er war in Begleitung von zwei Schlägern, die dem Butler nicht unbekannt waren. Es handelte sich um Jack Finton und Art Belfay, die man auf die beiden Journalisten angesetzt hatte. Die beiden Freizeitarbeiter waren also wieder von Lester Carting eingespannt worden und sollten jetzt wohl für vollendete Tatsachen sorgen. Parker, der über diverse Schußwaffen verfügte, ließ sich auf kein Risiko ein. Er erschien in der Tür des Kontrollhäuschens und richtete die 62
beiden schallgedämpften Waffen auf die drei Männer, die ihren Schwung jäh bremsten und Parker anstarrten. »Mister Ben Williams, wie zu vermuten ist.« Parker nickte dem großen Mann zu. »Parker, wie?« fragte er zurück und gab sich lässig. »Parker mein Name, Josuah Parker«, bestätigte der Butler. »Sie haben sich ungemein beeilt, Mister Williams.« »Warum machen Sie uns eigentlich diese verdammten Scherereien, Mister Parker?« wollte Williams wissen. »Was haben Sie davon? Was hier über die Bühne geht, ist doch nicht Ihr Bier.« »Sie sind das, Mister Williams, was man einen Umweltvergifter nennen muß und kann«, erwiderte der Butler. »Möglicherweise sind Sie auch mit dem sogenannten Entsorger identisch.« »Sie glauben doch wohl nicht, daß Sie uns unser Geschäft vermiesen können, wie?« Williams lachte leise. »Ausgerechnet zwei Amateure lassen hier ihre Muskeln spielen. Das nehme ich Ihnen nicht ab.« »Demnach haben Sie die feste Absicht, das Schicksal herauszufordern, Mister Williams?« »Sie werden doch niemals schießen, Parker! Dazu haben Sie einfach zu große Hemmungen.« »Lady Simpson ist in Erster Hilfe ausgebildet«, gab der Butler in sei-
ner höflichen Art zurück. »Sie brauchen sich also keine unnötigen Sorgen zu machen.« »Los, Jungens, nehmt ihn euch vor«, verlangte Ben Williams von seinen beiden Begleitern. Finton und Belfay nickten zwar bestätigend, doch sie trauten sich nicht so recht. »Los, hab’ ich gesagt«, fuhr Williams seine Leute an. »Würden Sie freundlicherweise den Vortritt übernehmen, Mister Williams?« schlug Josuah Parker vor. »Sie werden niemals schießen, ich weiß es.« »Dann sollten Sie auch die Initiative ergreifen, Mister Williams. Welchen Oberschenkel bevorzugen Sie übrigens? Sie haben die freie Wahl.« »Warum einigen wir uns nicht?« wollte Williams wissen. »Sie könnten eine Menge verdienen, Parker!« »Hatten Sie nicht die feste Absicht, meine Wenigkeit zu attackieren?« erinnerte der Butler. Ben Williams hatte den Butler nur in Sicherheit wiegen wollen, denn plötzlich drückte er sich ab und warf sich auf Parker. Der Butler feuerte zwei schallgedämpfte Schüsse ab. Die Geschosse landeten dicht vor den Schuhspitzen des Angreifers und ließen kleine Erdfontänen aufspringen. Williams blieb sofort stehen und blickte den Butler irritiert an. Dann zog er sich vorsichtig wie63
der einen Schritt zurück. »Gehen Sie davon aus, daß es sich nicht um Zufallstreffer handelt, Mister Williams«, sagte Parker. »Eine Steigerung meinerseits ist sicher.« »Worauf wollen Sie hinaus, Parker?« fragte Williams. »Was haben Sie vor? Wollen Sie die Polizei einschalten?« »Mylady hat die Absicht, den sogenannten Entsorger zu stellen, Mister Williams«, erwiderte der Butler, »und dazu muß herausgefunden werden, ob nicht Sie es sind.« »Wie kommen Sie denn darauf?« Williams lächelte verkniffen. »Erwarten Sie etwa, daß ich dazu was sage?« »Mit letzter Sicherheit, Mister Williams«, wußte der Butler bereits im vorhinein. »Würden Sie sich freundlicherweise auf den Boden legen? Dieser Wunsch ergeht auch an die Herren Finton und Belfay. Es gilt, einige Vorbereitungen zur Begehung der Deponie zu treffen.« Finton und Belfay dachten nicht daran, Parker anzugreifen. Sie gehorchten aufs Wort und legten sich auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten. Williams bedachte den Butler mit einem giftigen Blick und tat es den beiden Schlägern nach. Er hatte sich diesen Besuch hier wahrscheinlich ganz anders vorgestellt. *
»Sie also sind dieser Besorger?!« Lady Agatha trat hinter einem der Schaufellader hervor und musterte Williams angewidert. »Mister Williams bestreitet, der gesuchte Entsorger zu sein«, meinte Josuah Parker. »Das wird sich noch zeigen.« Sie winkte den Mann zu sich heran. Der Disponent der Firma Clarkson folgte dem Wink und fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut, zumal seine Handgelenke auf dem Rücken mittels einer Plastikfessel verschnürt waren. »Das dort erwartet Sie, junger Mann«, kündigte die ältere Dame an und deutete nach unten. Williams blickte über die Abrißkante der Müllmasse hinunter in den schillernden Sumpf. Die beiden Yamaha-Benutzer saßen in verkrampfter Haltung auf einem zerbeulten Kühlschrank und hatten; die Beine angezogen. Sie schienen sich auf einem kleinen Rettungsfloß zu befinden. Um sie herum schmatzte der Giftsumpf und warf übelriechende Blasen. »Möglicherweise sehen Sie zum ersten Mal, Mister Williams, wo der Giftmüll landet«, wandte sich Parker an den Disponenten. »Die Giftstoffe versickern mit tödlich zu nennender Gewißheit im Erdreich und schädigen das Grundwasser irreparabel. Die Konsequenzen sind nicht auszudenken.« 64
»Damit… damit habe ich nichts zu tun«, behauptete Williams. »Sie sind zumindest der verantwortliche Handlanger des sogenannten Entsorgers«, redete Josuah Parker weiter. »Da Sie vom Fach sind, wissen Sie sehr wohl, wie man Giftmüll lagern muß.« »Was… was kann ich dafür, wenn hier geschlampt wird?« brauste der Mann auf. »Beweisen Sie mir erst mal, daß ich davon gewußt habe!« »Mister Parker, schicken Sie das verkommene Subjekt nach unten«, ordnete die ältere Dame an. »Sie… Sie wollen mich da ‘runterschicken?« Williams trat schleunigst von der Abrißkante zurück. »Und die Herren Finton und Belfay«, fügte der Butler hinzu. »Sie dürften sich damit in bester Gesellschaft befinden.« »Das Zeug da unten ätzt uns ja glatt die Schuhe weg«, stöhnte der Disponent. »Hoffentlich auch die Füße«, meinte die energische Dame boshaft. »Mister Parker, walten Sie Ihres Amtes!« »Moment noch, Parker.« Der verängstigte Mann holte tief Luft. »Was ist, wenn ich Ihnen sage, wer der Entsorger ist?« »Es dürfte sich um Mister Carting handeln, nicht wahr?« tippte der Butler an. »Richtig«, kam die erleichterte Zustimmung, die von heftigem
Kopfnicken begleitet wurde. »Carting!« »Das weiß ich doch bereits seit Tagen«, übertrieb Lady Agatha. »Das sind nun wirklich keine Neuigkeiten mehr für mich, junger Mann.« »Im Grund hat Carting mich erpreßt«, log der Disponent weiter. »Was hätte ich denn gegen ihn machen können? Er schickt doch die Schläger los.« »Und auch Sie, Mister Williams, nicht wahr?« Parkers Gesicht blieb glatt wie stets. »Sie kamen völlig gegen Ihren erklärten Willen hierher und wollten Mylady und meine Wenigkeit ausschalten. Dies hätten Sie auch mit den beiden Journalisten getan, wie anzunehmen ist.« »Carting ist der Entsorger«, behauptete Williams erneut. »Der besorgt doch auch die Aushilfsfahrer und besticht die Platzwarte. Gegen den kamen wir nicht an.« »Mister Parker, tun Sie Ihre Pflicht«, verlangte die resolute Dame erneut und deutete nach unten. »Die Lümmel sollen im Schlamm baden. Und denken Sie nun ja nicht, ich sei boshaft.« »Zu solch einer Gemütsregung wären Mylady mit Sicherheit kaum fähig«, gab der Butler zurück und hielt plötzlich eine der erbeuteten Handgranaten in seinen schwarz behandschuhten Händen. Er machte sie scharf und warf sie den drei Männern vor die Füße. 65
* � Sie hüpften wie aufgeschreckte Frösche schleunigst über die Abrißkante nach unten und landeten im aufspritzenden Schlamm. Sie versanken bis zu den Knien in der stinkenden Brühe und wateten auf eine Art Insel zu, die aus Bauschutt bestand. Nacheinander retteten sie sich auf dieses Stück Festland, das sich allerdings als sehr zerbrechlich erwies. Unter der Last der Männer tauchte die Insel tiefer in den weichen Schlamm. Und es gab erneut Blasen, die der Sumpf aufwarf. »Dafür bring’ ich Sie um, Parker«, brüllte Williams wütend. »Werfen Sie endlich eine wirklich gezündete Handgranate nach unten, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame. »Dies würde den Erziehungseffekt allerdings nachhaltig verkürzen, Mylady«, warnte der Butler. »Nun gut.« Sie räusperte sich explosionsartig. »Daran dachte ich allerdings auch. Warten wir also noch etwas.« Agatha Simpson genoß die Szene. Die beiden Yamaha-Fahrer schaukelten auf dem ausgedienten Kühlschrank herum und bemühten sich um ihr Gleichgewicht. Williams, der Disponent der Firma Clarkson, saß auf der Spitze seiner Rettungsinsel
und trat nach den beiden Schlägern Finton und Belfay, die ihre Beine aus dem Schlamm ziehen wollten. Man war sehr mit sich beschäftigt. »Sie dürfen mir Schadenfreude unterstellen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame und lächelte zufrieden. »Meine Wenigkeit möchte keineswegs verhehlen, Mylady, daß solch ein Gefühl in meiner Wenigkeit sich ausbreitet.« »Was habe ich jetzt vor, Mister Parker? Werden die Subjekte sich retten können?« »Mylady denken sicher daran, die Polizei zu verständigen.« »Sie kann sich dann mit diesem Gesindel befassen, während ich den Besorger stelle«, meinte sie und war erstaunlicherweise sofort mit dem Vorschlag einverstanden. »Mister McWarden könnte die Bergung der Personen dort unten hinauszögern«, empfahl der Butler. »Der Chief-Superintendent dürfte mit einer solchen Verfahrensweise sicher einverstanden sein.« »Und ich fahre jetzt wohin?« wollte die Detektivin wissen. »Mylady haben die Absicht, Mister Carting einen Besuch abzustatten.« »Das ist das Subjekt, das die beiden Motorradfahrer auf mich gehetzt hat?« »In der Tat, Mylady.« In Parkers Stimme klang Überraschung mit. Die ältere Dame hatte eine richtige 66
Zuordnung genannt. »Dieses Individuum ist der Besorger«, redete Lady Agatha munter weiter. »Sorgen Sie dafür, daß dieser Gangster ebenfalls dort unten im Schlamm landet.« »Einem solchen Verlangen wird meine Wenigkeit mit ausgesprochenem Vergnügen nachkommen«, erwiderte der Butler. Er blickte noch mal auf den kleinen See aus Schlamm und Brühe. Die beiden Yamaha-Fahrer hatten sich inzwischen einige Bretter besorgt und stabilisierten damit den Kühlschrank, der allerdings langsam unter ihnen wegsackte. Ben Williams, der Disponent der Firma Clarkson, verteidigte nach wie vor die Mitte seiner Insel gegen die beiden hochkriechenden Motorradfahrer, die inzwischen aber aggressiv geworden waren und auf Williams einschlugen. Die schwankende Insel geriet dadurch immer mehr aus dem Gleichgewicht. Es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis sie umkippte oder ganz versank. Parker geleitete seine Herrin zurück zum Wagen. Vom Pförtnerhaus aus wollte der Butler den Chief-Superintendenten anrufen. Er hatte jedoch das kleine Haus noch nicht ganz erreicht, als er weit unten von der Deponie her einige spitze Schreie hörte. Es schien dort zu gewissen Kom-
plikationen gekommen zu sein. * Josuah Parker brauchte keinen großen Umweg zu machen, um die Firma Mulligan aufzusuchen. Der Monopolist in Sachen Müllentsorgung hatte seine Firmenräume im Umfeld der Millwall-Docks und präsentierte sich als ein Betrieb, der schon rein äußerlich dokumentieren wollte, wie sauber es bei ihm zuging. Das neue, dreistöckige Bürogebäude war strahlend weiß gestrichen. Blaue Schriftzüge an geeigneter Stelle vermittelten den Eindruck von sauberem Wasser und von strahlender Frische. Schräg versetzt hinter diesem Bürogebäude befand sich der riesige Fuhrpark des Monopolisten. Auch hier herrschten Sauberkeit, Klarheit und kühles Weiß. Die Spezial-Müllfahrzeuge, die zur Wartung oder Reparatur vor langgestreckten Hallen standen, sahen aus wie überdimensional große Kühlschränke. Man mußte schon sehr genau hinschauen, wenn man erkennen wollte, daß mit diesen Fahrzeugen Hausmüll transportiert wurde. Man hatte eher den Eindruck, Tiefkühlkost würde ausgefahren. »Beachtenswert, Mister Parker«, stellte die ältere Dame klar und nickte wohlwollend, als der Butler 67
vor dem Verwaltungsgebäude hielt. Auf dem Parkplatz standen Wagen nobler Marken. Die beiden jungen Damen in der Empfangshalle trugen Messe-Jacketts, schwingende Röcke und vermittelten kühle Frische. »Lady Simpson wünscht Mister Ernest Mulligan zu sprechen«, sagte Butler Parker zu einer der beiden jungen Damen. Man nahm diesen Wunsch fast heiter, auf jeden Fall strahlend entgegen und bat die Herrschaften, in der Lounge Platz zu nehmen. »Dieser Mann, wie immer er auch heißen mag, ist natürlich unschuldig, Mister Parker«, sagte die Detektivin. »Ein solcher Unternehmer hat es wirklich nicht nötig, mit Gangstermethoden zu arbeiten.« »Mylady kennen allerdings nicht die Bilanz dieses Unternehmens«, warnte Parker höflich und verhalten. »Schnickschnack, Mister Parker«, gab sie zurück. »Der Betrieb ist grundsolide, lassen Sie sich das von einer Kennerin sagen. So etwas spürt man einfach.« Agatha Simpson war zusätzlich angenehm überrascht, als man sie und Parker in die oberste Etage geleitete und dann dem Sekretär Ernest Mulligans übergab. Dieser junge, alerte Mann stellte keine Fragen und führte die beiden Besucher gleich zum Boß. Der Müllentsorger entpuppte sich als ein etwa fünfundfünfzigjähriger
Mann, der mittelgroß, schlank und sportlich war. Er trug einen grauen Straßenanzug und war die LiebensWürdigkeit in Person. Er bot erst mal eine Erfrischung an. »Vielleicht Champagner, Mylady, oder einen Whisky? Selbstverständlich kann ich auch mit Cognac dienen.« »Ja«, erwiderte die ältere Dame. »Fangen wir mit dem Champagner an, mein Bester.« Mulligan, der ein gebräuntes Gesicht und kluge, dunkle Augen hatte, versorgte die Gäste und behandelte den Butler keineswegs herablassend, wie Parker es recht häufig erlebte. Er war schließlich nur ein Bediensteter in den Augen vieler Gesprächspartner. »Ich stehe Ihnen voll und ganz zur Verfügung, Mylady«, versicherte Mulligan anschließend seiner Besucherin. »Mylady sucht nach einem sogenannten Entsorger, Sir, der normale Deponien mit Gift- oder Sondermüll beliefert«, schickte der Butler für Lady Simpson voraus. »Mit gefälschten Papieren verschafft er sich Zugang zu solchen Deponien und dürfte darüber hinaus auch viele Platzwarte bestochen haben.« »Von solchen Machenschaften ist mir bereits berichtet worden«, antwortete Mulligan, »und offen gesagt, wegen solcher Dinge wurde ich bereits einige Male von zwei Journa68
listen befragt.« »Mister Peter Colbert und Miß Jessica Wilburn, Sir?« warf der Butler ein. »Ja, ich denke daß sie sich so nennen«, redete Mulligan weiter. »Man glaubt, mein Unternehmen würde unter dem Mantel der Seriosität auch verbotenerweise Sondermüll auf die normalen Deponien verbringen. Was natürlich nicht stimmt.« »Sollte Ihnen der Name der Firma Lorrey etwas sagen, Sir?« »Ein Sub-Unternehmer von mir«, erwiderte der Müll-Spezialist. »Auch Clarkson und andere fahren für mich. Sie ahnen ja nicht, wieviel Müll London täglich produziert. Wir würden von einer Riesenlawine begraben, wenn wir diesen Unrat nicht täglich wegschaffen würden. Wir haben völlig neue Systeme für die Entsorgung entwickelt und sind inzwischen führend auf der Insel.« »Es gibt Beweise dafür, Sir, daß sowohl die Firma Lorrey als auch Clarkson Giftmüll auf reguläre Deponien kippen«, sagte Parker. »Das wäre ungeheuerlich«, meinte Mulligan. »Haben Sie sich bereits mit der Polizei in Verbindung gesetzt?« »Mylady sucht erst noch nach wasserdichten Beweisen, Sir, um es mal so auszudrücken. Die Firmen Lorrey und Clarkson kann man allerdings inzwischen als überführt betrachten.«
»Sub-Unternehmer von Ihnen, mein Bester«, warf die ältere Dame ein. »Diesen Gangstern muß sofort das Handwerk gelegt werden«, entgegnete Ernest Mulligan entrüstet. »Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einem sogenannten Entsorger, Mister Parker. Was stelle ich mir darunter vor?« »Es handelt sich um eine noch unbekannte Person, die die GiftTransporte zentral steuert«, lautete die Antwort des Butlers. »Können Sie sich möglicherweise an einen Mitarbeiter namens Ben Williams erinnern?« »Mein Chef-Disponent, den ich aber entlassen mußte.« Ernest Mulligan nickte. »Williams dirigierte die Reinigungsfahrten und wurde dabei ertappt, als er Sondermüll auf eigene Rechnung übernahm und ihn dann auf Normal-Deponien schaffen ließ. Guter Gott, sollte er etwa der Entsorger sein?« »Würden Sie ihm solch eine Handlungsweise zutrauen, Sir?« erkundigte sich der Butler. »Ersparen Sie mir bitte eine Antwort«, sagte Mulligan und streckte abwehrend die Hände aus. »Auch ich habe Beweise, was Williams betrifft.« »Sie machen Mylady mit Sicherheit ausgesprochen neugierig«, wußte der Butler. »Könnte man Einblick in diese Unterlagen nehmen, 69
Sir?« »Kein Problem«, versicherte Mulligan. »Aber das alles muß unter uns bleiben! Wissen Sie, ich möchte jeden öffentlichen Skandal vermeiden. Die Medien würden über mich herfallen und meine ganze Branche in Mißkredit bringen, dabei handelt es sich schließlich nur um einige schwarze Schafe.« »Die Unterlagen, mein Bester«, drängte die passionierte Detektivin. »Dazu müßten wir hinüber auf meinen Landsitz fahren«, gab Mulligan zurück. »Das macht gar nichts«, sagte Lady Agatha. »Ließe es sich ermöglichen, Sir, Mister Lorrey vielleicht noch zusätzlich zu Ihnen zu bitten?« fragte Parker. »Und auch Mister Lester Carting?« »Ich werde das sofort veranlassen, Mister Parker«, entgegnete der Müllentsorger. »Um Mister Williams wird Mylady sich kümmern«, versprach der Butler. »Man könnte sofort fahren.« »Wer, bitte, Mister Parker, ist übrigens Carting, dessen Name Sie gerade nannten?« wollte Mulligan plötzlich wissen. »Ein sogenannter Job-Vermittler, der eine entscheidende Rolle spielt«, gab der Butler zurück. »Meine Wenigkeit wird ihn ebenfalls bitten, auf Ihrem Landsitz zu erscheinen.« »Ich glaube, mein Bester, ich bin
der Lösung dieses Falles bereits mehr als nahe«, sagte die ältere Dame. »Es kann sich nur noch um einige Stunden handeln.« * Die Fahrt dauerte höchstens eine halbe Stunde. Nachdem man eine Allee durchfahren hatte, schien man sich in einer anderen Zeit zu befinden. Der Landsitz des Müll-Mannes entpuppte sich als ein kleines Schloß mit Zinnen und Türmchen. Ein weiter, sattgrüner Rasen und dekorativ angelegte Baumgruppen schufen einen passenden Rahmen dazu. Von Müll war hier weit und breit nichts zu sehen oder gar zu riechen. »Wer hätte gedacht, daß man mit Müll soviel Geld verdienen kann«, wunderte sich die ältere Dame, als Parker den Parkplatz vor dem Ländsitz ansteuerte. Mulligan war vorausgefahren und stand bereits neben seinem Daimler, um die nachfolgenden Gäste in Empfang zu nehmen. »Es dürfte sich um eine Branche mit riesigem Wachstum handeln, Mylady«, antwortete Parker. »Die Müllberge wachsen von Monat zu Monat an.« »Mit wem telefonierten Sie vor der Abfahrt?« fragte sie unvermittelt. »Mit Mister Horace Pickett«, gab Parker zurück. »Er ist bereits im Sinne Myladys tätig.« 70
»Der gute Pickett«, kam ihre Standard-Antwort. »Man kann sich wirklich auf ihn verlassen, Mister Parker. Glauben Sie übrigens, daß dieser Mulligan, oder wie immer er auch heißen mag, unschuldig ist?« Parker wurde einer Antwort enthoben. Er hielt und half seiner Herrin formvollendet aus dem Fond des Wagens. Dann ging man auf Mulligan zu. »Mein Refugium«, sagte er stolz. »Hier kann man in aller Ruhe entspannen.« »Sie haben die Herren Lorrey und Clarkson verständigt, Sir?« erkundigte sich Parker. »Per Auto-Telefon«, bestätigte Mulligan und… richtete plötzlich einen Revolver auf den Butler. »Sie werden gleich hier sein.« »Was soll denn das?« blaffte die resolute Dame den Müllentsorger an. »Das sehen Sie doch, Lady Simpson«, erwiderte Mulligan und lächelte mokant. »Es wird höchste Zeit, Sie und Ihren Butler aus dem Verkehr zu ziehen. Sie sind mir einfach zu neugierig und zu hartnäckig.« »Sie fragten mit zeitlicher Verspätung nach der Person des Mister Carting«, ließ Parker sich vernehmen. »Vorher war dieser Name Ihnen völlig geläufig.« »Um ein Haar wäre mir da ein Fehler unterlaufen«, bestätigte der
Müllentsorger. »Aber das spielt ja jetzt keine Rolle mehr, denke ich.« »Sie müssen mit dem falsch entsorgten Giftmüll bereits ein Vermögen gemacht haben«, schätzte der Butler und deutete mit der Schirmspitze auf den Landsitz. »Soviel kann mit der regulären Entsorgung gär nicht verdient werden«, gab Mulligan zurück. »Die Firmen zahlen für den Sondermüll erhebliche Gelder, ich hingegen kippe ihn einfach auf die normalen Halden.« »Und diese Firmen schöpfen keinen Verdacht, junger Mann?« wunderte sich Lady Agatha. »Die zahlen und vergessen ihn«, meinte Mulligan und lächelte erneut. »Ich hatte Ihren Besuch übrigens längst erwartet.« »Sie wurden vorgewarnt, Mister Mulligan?« fragte Parker. »Williams rief mich an, nachdem er aus dem Giftschlamm geklettert war«, lautete Mulligans Antwort. »Er brennt darauf, Sie und die Lady entsorgen zu können.« »Williams ist demnach Ihre Kreatur, nach wie vor?« »Selbstverständlich. Williams und andere haben meine Subunternehmen durchsetzt und arbeiten in meinem Sinn, Parker. Eine nahtlose Zusammenarbeit, wie Sie sich vorstellen können. Da wäre dann noch etwas, Parker. Ich denke an die beiden Journalisten. Ich will natürlich 71
wissen, wo sie sich versteckt halten und wo das Beweismaterial ist. Auch da brauche ich jetzt reinen Tisch.« In diesem Augenblick wurde Ernest Mulligan abgelenkt. Nahe der linken Ecke des Landsitzes war zuerst ein schwerer Lastwagenmotor zu vernehmen. Kurz danach schoß ein schwerer Kasten um die Ecke, dessen Ladefläche mit Fässern und Kanistern beladen war. Mulligan ließ sich verständlicherweise ablenken. Er blickte nur für einen Augenblick zur Seite, doch das reichte dem Butler bereits. Aus der Spitze seines UniversalRegenschirmes schoß ein bunt gefiederter Pfeil und bohrte sich in den Unterarm des Entsorgers. Mulligan schrie auf, ließ den Revolver fallen und blickte völlig entgeistert auf den Blasrohrpfeil, der in diesem Fall allerdings von komprimierter Kohlensäure in Bewegung gesetzt worden war. Mulligan stöhnte, verlor die Nerven und hielt anklagend seinen Arm hoch. »Der gute Pickett«, sagte die Detektivin, als der Lastwagen stoppte und der ehemalige Eigentumsübertrager aus dem Fahrerhaus kletterte. Der große, schlanke Mann, der an einen ehemaligen KolonialOffizier erinnerte, zog grüßend seinen karierten Traveller-Hut. »Wie auf ein Stichwort hin, Mister
Pickett«, lobte der Butler. »Sie haben alles mitgebracht?« »Eine hübsche Auswahl an Giftmüll, Mister Parker«, antwortete Horace Pickett. »Und Williams und die übrigen Typen sitzen auf der Deponie fest. Meine Freunde haben sie eingesammelt, bevor sie Verschwinden konnten.« »Mari wird hier gleich noch mehr zu tun haben«, kündigte der Butler gemessen an. »Es werden noch einige enge Mitarbeiter des sogenannten Entsorgers erwartet.« »Mir wird schlecht«, ließ Mulligan sich vernehmen. Er hatte sich noch nicht entschließen können, den kleinen, stricknadellangen Pfeil aus dem Unterarm zu ziehen. »Das ist erst der Anfang«, meinte die ältere Dame, wobei ihre Augen boshaft funkelten. »Die Vergiftung wird sich immer weiter ausbreiten, Sie Lümmel.« * »Mulligan war kaum ansprechbar«, sagte McWarden am späten Nachmittag. Er besuchte Lady Agatha in ihrem Haus in Shepherd’s Market. Parker servierte ungefragt Tee und reichte dazu Cognac und einiges Gebäck. »Nur nicht gleich übertreiben, Mister Parker«, meinte sie schließlich. »Es geht ja nur um eine kleine Erfrischung. Erzählen Sie, McWarden. 72
Wie träfen Sie diesen Besorger an?« »Er saß auf einem Giftfaß, hatte die Hände gefesselt und litt Höllenqualen«, erzählte der Chief-Superintendent. »Vielleicht hat der Gangster zum ersten Mal am eigenen Leib erlebt, was Giftmüll ist. Er kam sich völlig verseucht vor.« »Und legte, wie man wohl annehmen darf, ein umfassendes Geständnis ab, Sir?« »Bis in alle Einzelheiten«, berichtete McWarden genüßlich. »Seine Aussagen reichen völlig, um auch die Sub-Unternehmer Lorrey, Clarkson und andere zu überführen. Das gilt natürlich auch für Williams, der tatsächlich die zentrale Lenkung vornahm. Damit ist diese Schweinerei erst mal beseitigt.« »Er saß also auf einer Gift-Tonne«,
freute sich die ältere Dame. »Haben Sie Fotos von ihm aufgenommen?« »Jede Menge, Mylady«, antwortete der Chief-Superintendent. »Sie sind bereits auf dem Weg zu den Zeitungen. In ein paar Stunden wird man diese seltsamen Entsorger auf einem Giftfaß sehen, beschmiert und bekleckert.« »Sehr schön.« Die ältere Dame lächelte wohlwollend. »Mister Parker, noch einen kleinen Cognac für meinen lieben Gast. Aber dann ist Schluß, Sie müssen schließlich noch fahren. Zu dem hasse ich Exzesse.« Parkers Gesicht blieb glatt. Er behielt eben in allen Lebenslagen die Fassung, wie es sich für einen hochherrschaftlichen, britischen Butler geziemte.
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