Parker rammt die Mondfähre Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker war...
30 downloads
552 Views
570KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Parker rammt die Mondfähre Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker war beunruhigt, wie er später offen zugab. Sein Zustand hing mit einer Rakete zusammen, die an einen überdimensional großen Bleistift erinnerte und eine erschreckende Geschwindigkeit entwickelte. Sie jagte, einen langen Feuerschweif hinter sich herziehend, über die Bäume hinweg, streifte deren Wipfel und geriet eindeutig außer Kontrolle. Sie torkelte ein wenig, beschrieb dann einen weiten Bogen und nahm anschließend genauen Kurs auf das hochbeinige Monstrum des Butlers, der dies verständlicherweise nicht sonderlich schätzte. »Was ist denn das, Mr. Parker?« erkundigte Agatha Simpson sich. Sie saß im Fond des Wagens und hatte den rasenden »Bleistift« inzwischen ebenfalls bemerkt. »Falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen und gemessenen Art, »dürfte es sich um eine Kleinrakete handeln.« »Kommt die nicht direkt auf mich zu?« Lady Simpsons Stimme klang leicht erregt. »Ich fürchte, zustimmen zu müssen«, antwortete der Butler, ein Mann undefinierbaren Alters mit dem Gesicht eines erfahrenen Pokerspielers. »Und was werden Sie dagegen unternehmen?«
»Es empfiehlt sich, Mylady, das zu suchen, was man gemeinhin volle Deckung nennt.« Parker hatte seinen Wagen bereits gestoppt und stieg aus. Er öffnete die hintere Tür und deutete auf einen Wassergraben, der sich an der schmalen Straße entlangzog. »Volle Deckung?« Mylady stieg aus und schaute verärgert auf den »Bleistift«, der sich die Sache inzwischen wohl anders überlegt zu haben schien. Die Rakete war leicht abgeschwenkt und verschwand hinter einer nahen Baumgruppe. Lady Agatha Simpson war eine äußerst stattlich aussehende Dame, die seit ihrem sechzigsten Lebensjahr beschlossen hatte, keine Geburtstage mehr zu feiern. Sie machte einen energischen Eindruck und trug eines ihrer weit geschnittenen Tweed-Kostüme. Auf ihrem Kopf saß ein Hut, der eine skurrile Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Lady Agatha, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, immens vermögend, sehr eigenwillig und tatendurstig, beobachtete die nahe Baumgruppe und schüttelte den Kopf. »Sie waren wieder mal zu vorsichtig, Mr. Parker«, stellte sie dann fest. »Das war natürlich nur ein harmloser Feuerwerkskörper.« Sie hatten ihren Satz kaum beendet, als der angeblich harmlose
Feuerwerkskörper wieder hinter der Baumgruppe kurvte und erneut Parkers Monstrum anvisierte. Bei diesem handelte es sich um den Privatwagen des Butlers, einem ehemaligen Londoner Taxi, das nach seinen ausgefallenen Wünschen und Vorstellungen ausgiebig umgestaltet worden war. Eingeweihte sprachen im Zusammenhang mit diesem Wagen von einer tückischen Trickkiste auf Rädern. »Wenn Mylady sich nun freundlicherweise in Deckung begeben würden?« Parker schritt voraus und deutete auf den Wassergraben. »Es dürfte nur noch eine Frage von Sekunden sein, bis ...« Lady Simpson war erfahren und klug genug, Parker nicht ausreden zu lassen. Die stattliche Dame hechtete ihre nicht unbeträchtliche Körperfülle erstaunlich schnell in den Graben und prustete, als das Wasser um sie herum spritzte. Josuah Parker war nicht weniger schnell. Er, der Hetze überhaupt nicht schätzte, landete ebenfalls im Graben, hatte aber das Glück, eine trockene Stelle zu erwischen. Im gleichen Augenblick war der rasende »Bleistift« auch schon heran, zischte dicht über ihre Köpfe hinweg, verfehlte das hochbeinige Monstrum nur um knapp anderthalb Meter, bog nach links ab und krachte jenseits der Straße gegen den Stamm einer alten Ulme. Die Wirkung war frappierend. Der Baum verwandelte sich in eine hohe Feuersäule. Blechteile flogen durch die Luft, eine Hitzewelle rollte über die beiden Schutzsuchenden hin-
weg. Dann war nur noch die Detonation zu hören, die fast die Trommelfelle sprengte. »Eine harte Landung, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf«, sagte Parker und erhob sich. »Darf ich mich erkühnen, Mylady meine bescheidene Hand zu leihen?« Er durfte, zog und zerrte die ältere Dame aus dem Wassergraben und übersah taktvollerweise erst mal ihr Aussehen. Die Hutschöpfung saß sehr windschief auf ihrem Kopf, das Kostüm hatte die Grundfarbe des zähen braunen Schlammes angenommen. Überdies schien Agatha Simpson plötzlich von Sommersprossen befallen zu sein. Die Ulme brannte inzwischen weiter. Es roch nach Pulver, Treibstoff, nach verbranntem Gummi und nach heißem Metall. Von dem fliegenden »Bleistift« war selbstverständlich nichts mehr zu sehen. Er war in seine Einzelbestand teile zerlegt worden. »Nun sagen Sie schon endlich etwas, Mr. Parker?« grollte die passionierte Detektivin ihren Butler an. »Es bieten sich zwei Möglichkeiten der Erklärung, Mylady«, schickte Josuah Parker voraus. »Entweder wurde die Rakete absichtlich auf Mylady gerichtet, oder aber ...« »Die zweite Möglichkeit interessiert mich nicht, Mr. Parker«, erwiderte sie grimmig. »Selbstverständlich wollte man mich umbringen. Und so etwas lasse ich mir nicht gefallen! Schaffen Sie mir das Subjekt herbei, das diese Rakete abgefeuert hat!« *
Butler Parker wurde jeder Mühe enthoben, diesen nachdrücklichen Wunsch in die Tat umzusetzen. Er hatte bereits hinter der kleinen Baumgruppe das Röhren eines auf Hochtouren arbeitenden Motors gehört. Sekunden später erschien ein Jeep, in dem drei Männer saßen. Sie preschten mit dem Wagen über Stock und Stein und hielten dicht vor dem Wassergraben. Zwei junge Männer, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, sprangen geschmeidig von den Vordersitzen und kümmerten sich um einen recht merkwürdig aussehenden Mann. Dieser Typ, klein, rundlich und in einem schwarzen Anzug, über den ein grauer Laborkittel hing, rückte seine randlose Brille zurecht. Selbst aus einiger Entfernung war zu erkennen, daß die Augengläser von enormer Stärke waren. Der sicher mehr als sechzig Jahre alte Mann übersah Lady Simpson, den Butler und auch das hochbeinige Monstrum. Er beobachtete nur die brennende Ulme und stieg dann mit Hilfe der beiden Begleiter durch den Graben. »Sehr schön, ausgezeichnet«, rief er dann und freute sich wie ein Kind, dem es gelungen ist, ein teures Spielzeug endlich zu zerstören. »Das hat ja hinreißend geklappt.« Die beiden jungen Männer kümmerten sich nicht weiter um den brennenden Baum. Sie beobachteten Lady Agatha und den Butler. Es schien ihnen überhaupt nicht zu passen, daß Augenzeugen existierten. Sie flüsterten leise miteinander. »Haben Sie mich etwa aufs Korn genommen?« Agatha Simpson
marschierte auf den Rundlichen zu. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk war in Schwingungen geraten, was kein gutes Zeichen bedeutete. In diesem Handbeutel, wie ihn die Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende trugen, befand sich nämlich Myladys »Glücksbringer«. Es handelte sich dabei um ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. »Sie sollten weiterfahren«, sagte einer der beiden jungen Männer und baute sich vor Agatha Simpson auf. Der Rundliche hatte bisher noch nicht reagiert. »Und warum sollte ich das?« Lady Simpsons Stimme wechselte in den grollenden Bereich. »Und Sie sollten vergessen, was Sie hier gesehen haben«, fügte der zweite junge Mann warnend hinzu. »Das hier unterliegt der Geheimhaltung: Regierungsauftrag.« Die beiden Männer waren groß, schlank und sportlich durchtrainiert. Sie hatten die ausdruckslosen Gesichter cleverer Profis und kühle, kalte Augen. »Wer ist dieser Kindskopf?« Agatha Simpson deutete auf den Rundlichen, der nach den Trümmern seines Riesenbleistifts suchte. »Kein Kommentar, Madam«, meinte der erste Begleiter. »Bitte, fahren Sie! Und sprechen Sie auf keinen Fall über das, was Sie gesehen haben.« Der zweite Begleiter gab sich ein wenig höflicher, aber es handelte sich um eine Höflichkeit, hinter der viel Härte lauerte. »Sie wagen es, mich wegjagen zu wollen?« Die Lady geriet in Rage, was
bei ihr immer schnell der Fall war. »Sie hetzen eine Rakete hinter mir her, Sie jagen mich um ein Haar in die Luft, und da soll ich weiterfahren?« »In Ihrem eigenen Interesse, Madam«, sagte der zweite Begleiter und beging den Kardinalfehler, nach Myladys Unterarm zu fassen. Eine halbe Sekunde später glaubte er fest daran, von einem auskeilenden Pferdehuf erwischt worden zu sein. Der Pompadour der resoluten Dame war auf seiner linken Wange gelandet, was Folgen zeitigte. Der Mann warf die Beine hoch in die Luft und landete mit seinem verlängerten Rückgrat im Rasen. Dann legte er sich flach hin und schloß die Augen. Der erste jugendliche Begleiter reagierte schnell und geschmeidig wie ein Raubtier. Er wollte mit Sicherheit eine Schußwaffe ziehen, wie Josuah Parker die Geste deutete. Der Mann griff unter sein Jackett, wo sich in manchen Fällen eine Schulterhalfter befand. Der Butler war für eine friedliche Diskussion, deren Grundlagen allerdings erst mal geschaffen werden mußten. Mit der Stahlzwinge seines altväterlich gebundenen UniversalRegenschirms stach er Richtung Magenpartie des Mannes. Als Gegner unnötiger Härte besorgte er das fast beiläufig und ohne viel Nachdruck. Dennoch, der Begleiter blieb wie erstarrt stehen und vermißte die Luft in seinen Lungen. Er knickte in der Hüfte ein und beugte sich tief vor. Er bekam schon nicht mehr mit, daß Parker den bleigefütterten Bambusgriff seines Schirmes auf den Hinterkopf des jetzt höflich wirkenden Begleiters legte.
Bruchteile von Sekunden später lag er neben seinem Begleiter und schloß ebenfalls die Augen. »Was . . . Was treiben denn Sie hier?« fragte der Sechziger und rückte die randlose, dicke Brille zurecht. Er sah irritiert auf die beiden jungen Begleiter und schob dann seinen Kopf ruckartig vor. »Das hier ist Privatgelände.« »Und Ihre Rakete ist eine Frechheit«, raunzte die Detektivin den Rundlichen an. »Wie können Sie sich unterstehen, eine unschuldige und hilflose Frau so zu erschrecken!?« * »Professor Falcon«, stellte der kleine Mann sich vor. »Edwin Falcon, um genau zu sein. Das hier ist wirklich Privatgelände. Sie haben sich unnötig in Lebensgefahr begeben.« »Sie befinden sich noch in Lebensgefahr«, grollte die Lady. Ihr Pompadour pendelte bereits wieder. »Ich verlange eine Erklärung. Wollten Sie mich etwa umbringen?« »Was ist mit ihnen?« Der Professor deutete auf seine beiden Begleiter, die sich gerade aufrichteten. Josuah Parker hatte hinter ihnen Stellung bezogen und war ein Bild der Würde und vornehmen Zurückhaltung. »Zuerst mal Ihre Antwort«, raunzte Lady Agatha den Professor an. »Wollten Sie mich etwa umbringen?« »Aber keineswegs, liebe Frau, keineswegs!« Professor Falcon lächelte schüchtern und rückte sich wieder die schwere Brille zurecht. »Die Fernlenkung scheint noch nicht so zu klappen, wie ich es mir wünsche.«
»Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie sich mit dem Bau von Raketen befassen?« schaltete Parker sich gemessen ein. »Der Augenschein läßt es wenigstens vermuten.« »Raketen, natürlich.« Falcon nickte. »Das Weltall wartet auf uns. Der Raum muß erforscht werden. Das sind wir unserer Intelligenz schuldig.« »Weltall?« Lady Simpson lachte kurz, dafür aber ironisch und deutete auf die Ulme, die inzwischen nur noch qualmte. »Besonders weit sind Sie aber noch nicht gekommen.« »Ein kleines technisches Versehen, gute Frau.« »Ich bin nicht Ihre gute Frau.« Sie strafte ihn mit einem gereizten Blick. »Sie haben die Ehre und das Vergnügen, Lady Agatha Simpson gegenüberzustehen«, erläuterte Josuah Parker und bewegte diskret seinen Regenschirm. Mit dem Bambusgriff, der es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatte, klopfte er noch mal leicht gegen die Hinterköpfe der beiden Männer, die sich daraufhin wieder zurück ins Gras legten. »Lady Agatha Simpson.« Professor Falcon verbeugte sich. »Entschuldigen Sie das Versehen! Aber wie gesagt, die Fernlenkung . . . Daran werde ich noch arbeiten müssen.« »Wahrscheinlich noch jahrelang«, gab die ältere Dame bissig zurück. »Sie scheinen damit erst vor ein paar Stunden begonnen zu haben.« »Es gab auch schon ein paar gelungene Starts, Mylady«, erwiderte Professor Edwin Falcon und kämpfte wieder mit seiner dickglasigen Brille. Er strahlte die Sechzigerin an. »Sie waren wunderbar, hinreißend und technisch eine kleine Sensation.«
»Sie arbeiten an einer, wenn ich so sagen darf, privaten Neuentwicklung?« schaltete Josuah Parker sich ein und lüftete grüßend seine schwarze Melone. »Richtig, vollkommen richtig. Eine Privatentwicklung. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Streng geheim! Aber die Welt der Raumfahrt steht vor einer Sensation. Äh, warum liegen meine beiden Mitarbeiter im Gras?« Falcon bemerkte erst jetzt, daß seine beiden Begleiter immer noch der Ruhe pflegten, die Parker ihnen verordnet hatte. »Wahrscheinlich ein nur vorübergehendes Unwohlsein«, erklärte der Butler höflich. »Darf man erfahren, Sir, wo Ihre Labors sich befinden?« »Streng geheim, alles streng geheim.« Der Professor legte seinen kurzen Zeigefinger senkrecht vor die Lippen. »Ich kann mich auf Ihre Diskretion verlassen, nicht wahr? Sie ahnen ja nicht, wie sehr es hier von Spionen nur so wimmelt. Man will mir selbstverständlich meine Erfindungen stehlen. Wahrscheinlich will man mich sogar entführen. Man muß mit allem rechnen . ..« Während er redete, sah er Lady Simpson und Josuah Parker plötzlich mißtrauisch an. »Sie sind nicht zufällig Spione oder Kidnapper?« wollte er dann wissen. »Keineswegs und mitnichten, Sir!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie können in aller Ruhe das nächste Experiment starten, Sir. . . Möglichst aber erst dann, wenn Mylady und meine bescheidene Wenigkeit das Feld geräumt haben.« *
»Dieser Mann ist doch total verrückt«, stellte Lady Agatha wenige Minuten später fest. »Prüfen Sie mal, ob es hier in der Nähe nicht ein Sanatorium für... Na, Sie wissen schon.« »Professor Falcons Begleiter wären demnach Pfleger, die allerdings mit Revolvern auszugehen pflegen«, erwiderte der Butler. »Ich war so frei, mir den Tascheninhalt der beiden Herren anzusehen. In Schulterhalftern modernster Konstruktion fanden sich diese beiden Waffen« Er präsentierte seiner Herrin die beiden Revolver, um die Waffen dann auf den Beifahrersitz zu legen. »Das sieht allerdings schon erheblich interessanter aus«, fand Lady Simpson. »Was sagen Sie zu dieser Rakete, Mr. Parker?« »Eine Waffe, die man ernst nehmen sollte.« »War sie für mich gedacht?« »Dies, Mylady, möchte ich bezweifeln, wenn es erlaubt ist. Die Herren konnten unmöglich wissen, daß Mylady diesen Weg nehmen würden. Darf ich Mylady daran erinnern, daß Mylady spontan und ohne Vorankündigung diese Abkürzung wählten?« »Ich werde mich selbstverständlich mit diesem seltsamen Professor befassen«, erklärte die Detektivin. »Irgend etwas stimmt an der ganzen Geschichte doch nicht. Oder wollen Sie etwa widersprechen, Mr. Parker?« »Wenn es gestattet ist, würde ich diese Raketenversuche als recht mysteriös bezeichnen.« »Wo stecken wir zur Zeit?« verlangte Lady Simpson zu wissen.
Sie sah aus dem Wagenfenster auf die hügelige, grüne Landschaft, die immer wieder von kleinen Baumgruppen unterbrochen wurde. Es war im Grund ein überdimensional großer Park, durch den man fuhr, ein Park, der so groß war wie eine Grafschaft. Lady Agatha hatte in Swindon eine entfernte Verwandte besucht und war auf dem Weg zurück nach London. Butler Parker war bis vor knapp zehn Minuten auf dem Motorway M 4 geblieben, dann aber abgebogen, weil laut Funkdurchsage mit einem längeren Stau zu rechnen war. Hier in den Ausläufern der Wessex Downs war es dann zu diesem überraschenden Zwischenfall gekommen. »Mylady nähern sich Newbury«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Möchten Mylady vielleicht einen Tee nehmen?« »Ich brauche etwas Stärkeres«, gab sie zurück. »Mein Kreislauf scheint etwas in Unordnung geraten zu sein.« Für den Butler war diese Äußerung das Signal, auf einen der vielen Knöpfe zu drücken, die sich auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett befanden. Daraufhin klappte im Fond des hochbeinigen Monstrums aus der Trennwand zwischen Fahrgast- und Fahrerraum eine Miniaturbar hervor. Agatha Simpson bediente sich selbst. Für ihren Kreislauf bevorzugte sie einen französischen Kognak, der selbstverständlich im Angebot war. Sie goß sich einen recht ordentlichen Schluck ein und fühlte sich danach gleich wieder besser. »Wir halten in Newbury«, sagte sie über die Sprechanlage nach vorn zu Parker. »Ich bin sicher, daß man
diesen verrückten Professor dort kennt.« »Mylady kommen damit meinem bescheidenen Vorschlag zuvor«, gab der Butler über die wageninterne Sprechanlage zurück. »Die sonderbaren Aktivitäten des Professor Falcon müssen dort sicher bekannt sein.« Parker hatte es nicht versäumt, hin und wieder einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Er war bisher absichtlich langsam gefahren, obwohl die Straße ein schnelleres Tempo zugelassen hätte. Er hatte gehofft, schon bald einen Jeep zu sehen. Und seine Hoffnung erfüllte sich jetzt. Das Fahrzeug hatte eine andere Abkürzung genommen und fuhr wesentlich schneller. Er erschien jenseits der Baumgruppe auf einem schmalen Feldweg und näherte sich in jähem Winkel der Straße. Dabei wurde der Jeep sogar noch schneller. Die Absicht lag klar auf der Hand. Lady Simpson und Butler Parker sollte der Weg abgeschnitten werden, um sie daran zu hindern, die nächste kleine Ortschaft zu erreichen. Sie lag hinter der nächsten Hügel- und Baumgruppe. Im Jeep saßen zwei Männer. Wer sie waren, ließ sich leicht bestimmen: Es konnten nur des Professors Begleiter sein, die wohl ein paar deutliche Worte mit den Insassen des hochbeinigen Monstrum zu wechseln gedachten. * »Das ist aber sehr aufmerksam«, freute Lady Simpson sich, als Butler Parker sie auf den Jeep aufmerksam machte. »Man verfolgt mich also?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Und die Absichten der beiden Insassen dürften nicht gerade freundlicher Natur sein.« »Dann hat der kleine Ausflug nach Swindon sich also doch gelohnt.« Agatha Simpson bereute es nun nicht mehr, ihre verwandtschaftlichen Beziehungen gepflegt zu haben. Sie war versöhnt. »Und was werden wir nun tun, Mr. Parker?« »Man könnte eine Präventivmaßnahme ergreifen, Mylady.« »Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus.« »Man könnte vorsichtshalber die Initiative ergreifen und aktiv werden.« »Also schneller sein als die Verfolger, wie?« »So könnte man es natürlich auch ausdrücken, Mylady.« »Dann präventieren Sie mal«, sagte sie grimmig und lachte über ihre neue Wortschöpfung. »Aber nachdrücklich, Mr. Parker, das bitte ich mir aus.« »Mylady können sich ganz auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.« Josuah Parker pflichtete seiner Herrin aus Überzeugung bei. Er dachte nämlich noch immer intensiv an den rasenden »Bleistift« des seltsamen Professors. Sie waren da offenbar Augenzeuge eines Vorgangs geworden, der streng geheim bleiben sollte. Die beiden Männer im Jeep sollten wohl dafür sorgen, daß Mylady und seine bescheidene Wenigkeit von diesen Dingen nichts erzählen konnten. Parker kannte nicht die Waffen der beiden Verfolger, die bereits näher gekommen waren. Gewiß, sein hochbeiniges Monstrum war unter anderem auch eine Art gepanzerter
Kampfwagen, doch auch solch ein Gefährt war durchaus verwundbar, wenn man nur die richtigen Waffen wählte. Seine schwarz behandschuhte Hand glitt zum Armaturenbrett. Butler Parker entschied sich für einen der ebenfalls reichhaltig vorhandenen Kipphebel und drückte ihn nach unten. Es war wieder mal frappierend, was schon eine Sekunde später passierte. Aus Düsen, die unter dem Fahrzeugboden angebracht waren, schoß ein feiner Spray, der unter starkem Druck stand. Er verband sich mit der Außenluft und wurde augenblicklich zu einem dichten Nebel, der das hochbeinige Monstrum einhüllte. Parker hatte selbstverständlich gebremst, hielt dann und legte den Rückwärtsgang ein. Er gab Vollgas und steuerte den Wagen mit traumwandlerischer Sicherheit ein gutes Stück zurück. Er hatte sich eine schmale Abfahrt gemerkt, die auf eine Wiese führte. Er konnte nur hoffen, daß er sie nicht verfehlte. Er verfehlte sie natürlich nicht! Butler Parker war und blieb stets Herr der Situation. Sein ehemaliges Londoner Taxi rutschte zwar ein wenig ab, doch dank der Geländegängigkeit des Wagens war diese kleine Panne schnell behoben. Zwischen dem Jeep und Parkers Wagen stand inzwischen eine massive Nebelwand. Parker hatte diesen Trick in der Vergangenheit schon oft angewendet. Darüber hinaus aber gab es inzwischen noch einige Zusatzeinrichtungen, die er sich in seinem Privatlabor ausgedacht hatte. Bisher fehlte es ihm nur an Gelegenheit, sie auszuprobieren.
Hinter einer kleinen Baumgruppe stoppte Parker seinen Wagen und harrte der Dinge, die mit Sicherheit noch kommen mußten. Die beiden Jeepfahrer gaben seiner Ansicht nach nicht so schnell auf. Es waren Profis der Unterwelt, wie er zu wissen glaubte. Das allein bewiesen schon die Waffen, die er ihnen abgenommen hatte. »Wollen wir uns etwa verstecken, Mr. Parker?« Agatha Simpson war mit der Entwicklung nicht recht einverstanden. Es entsprach mehr ihrem Temperament, die Dinge gleich, um was es sich handelte - auf die Hörner zu nehmen. Dabei kam es zwar immer wieder zu gefährlichen Situationen, doch sie verließ sich stets auf Mr. Parker, der ihrer Ansicht nach einfach alles zu meistern hatte. Parker wollte sich nicht verstecken. Er visierte die nächste Baumgruppe an und fuhr dann plötzlich ohne jede Vorankündigung hart an. Lady Simpson wurde in die Polster gedrückt, sagte aber nichts. Sie war ein wenig perplex. Parker jagte mit dem hochbeinigen Monstrum auf die nächste Baumgruppe zu, hinter der die Straße wieder zu sehen war. Er bremste, durchfuhr vorsichtig einen relativ niedrigen Graben und steigerte dann wieder die Geschwindigkeit. Er hatte sich vorgenommen, das Testgelände des Professors noch mal unter die kritische Lupe zu nehmen. * »Die müssen hier irgendwo sein«, sagte Gene Gate nervös. Er stand neben dem Jeep und hüstelte. Der Nebel reizte seine Atemwege. Er
kochte vor Wut. Er hatte sich bisher für einen ausgemachten Profi gehalten, doch nun fühlte er sich auf den Arm genommen. Er war ein wenig größer und kräftiger als sein Partner Rich Peters, der irgendwie an eine geschmeidige Schlange erinnerte. Rich Peters saß am Steuer des Jeeps und traute sich nicht, auch nur einen einzigen Meter weiterzufahren. Die Sicht war gleich Null, der Nebel schien immer dichter und kompakter zu werden. »Clayburn wird ganz schön toben«, redete Gene Gate weiter. Er hielt eine kurzläufige, zusammenklappbare Maschinenpistole in Händen, die mit einem langen Schalldämpfer versehen war, der die Länge des Laufes weit überragte. »Lassen wir die Karre doch stehen«, schlug Rich Peters vor. »Ich glaube, die müssen da drüben sein. Eben hab' ich doch 'nen Motor gehört.« »Die können überall sein.« Gene Gate war mißtrauisch. »Und das waren keine harmlosen Ausflügler.« »Nee, Konkurrenz.« Rich Peters nickte und hatte Mühe, seinen Partner auszumachen. Der Nebel war fast so dicht wie schaumig gerührte Sahne. Die beiden jungen Männer kamen sich hilflos vor. Überall hier in dieser Schlagsahne konnte die Konkurrenz sich aufhalten. Sie mußten jeden Augenblick mit einem Überfall rechnen. Am liebsten hätten sie sich wieder in den Jeep gesetzt und wären losgefahren, doch sie hatten die Orientierung verloren. In der Nähe befand sich ihrer Erinnerung nach zwar die Straße, aber auch der Wassergraben. Aber wo war das?
»Wir versuchend ganz langsam«, erklärte Gene Gate schließlich. »Häng dich vorn auf den Kühler, Rich, und peil den Boden!« »Aber nur schleichen«, erwiderte der zweite Mann und kroch auf den flachen Kühler des Jeep. »Ich hab' keine Lust, mir den Hals zu brechen.« Gene Gate schlich nicht nur, nein, er kroch mit dem Wagen über den Boden. Seinen Partner vorn auf der Kühlerhaube konnte er nur in vagen Umrissen ausmachen. Er verließ sich auf dessen Zurufe, die wie durch dicke Watte an seine Ohren drangen. Plötzlich, ohne jeden Übergang, als habe man gerade einen Vorhang hochgezogen, befanden sie sich außerhalb des Dunstes und hatten wieder vollkommen freie Sicht. Verblüfft bremste Gate den Jeep ab. »Nicht zu glauben.« Gate schüttelte den Kopf und schaute sich um. Nur etwa anderthalb Meter hinter dem Heck des Jeep war die dichte, weiße Wand zu sehen. Sie ragte etwa zehn Meter hoch, wölbte sich wie eine Kuppel und schien einen Durchmesser von etwa zwanzig oder dreißig Meter zu haben. »Ist ja sagenhaft«, stimmte Rich Peters ihm bei. »Das Ding ist Gold wert.« »Das müssen wir Clayburn erzählen.« Gene Gate war trotz der Niederlage beeindruckt, fast schon begeistert. »Damit könnte man 'ne Menge anfangen.« »Ich hab' mir das Kennzeichen gemerkt«, sagte Rich Peters. »Falls es nicht geklaut ist, werden wir schnell an diesen Mann 'rankommen, der solche Nebelglocken blasen kann.«
»Im Moment hab' ich andere Sorgen.« Gene Gate schaute sich um und verwendete ein Fernglas. Er suchte diese wunderschöne Parklandschaft nach einem hochbeinigen Wagen ab. »Weit und breit nichts zu sehen, Rich.« »Die sind längst in Chilton«, meinte Rich Peters. »Ob wir da mal nachsehen?« »Ich ruf erst mal Clayburn an.« Gene Gate nahm ein schmales Funksprechgerät vom Sitz, schaltete es ein und setzte seinen Spruch ab. Er benutzte selbstverständlich einen Code, der mehr als harmlos klang, dazu noch zusätzlich eine Frequenz, wie sie von CB-Funkern überall verwendet wird. Unauffälliger konnte dieser Funkverkehr gar nicht sein. »Weitersuchen«, lautete die prompte Antwort, die nicht weniger unauffällig war. »Vielleicht liegt die Tasche in Chilton. Fünf Pfund sind eine Menge Geld, Kinder. Daddy wird schimpfen, wenn ihr ohne Geld zurückkommt!« * »Es handelt sich in der Tat um ein Privatgelände, Mylady.« Butler Parker hatte gehalten und studierte das große Schild an dem langen Sperrbalken, der die schmale Straße normalerweise hier enden ließ. Dieser Sperrbalken war nun allerdings zur Seite geschoben worden und wurde von überhängenden Sträuchern fast verdeckt. »Und das dort ist ein Privatweg?« Lady Simpson deutete mit ihrer Lorgnette auf die schmale Straße, die sie gefahren waren. Statt einer Brille benutzte sie selbstverständlich dieses
Relikt einer vergangenen Zeit. Diese Stielbrille, die zusammenklappbar war, machte einen nicht gerade billigen Eindruck. Sie war reich verziert und mit Schildpatt belegt. »Eindeutig ein Privatweg, Mylady. Ich bitte entschuldigen zu wollen, daß die falsche Richtung gewählt wurde.« Während der Butler noch sprach, deutete er auf eine zweite, gut ausgebaute Straße, die von diesem Punkt aus nach links abbog. Sie war nur wegen des zur Seite geschobenen Sperrbalkens verfehlt worden. »Warum sollte ich das entschuldigen, Mr. Parker?« Agatha Simpson schüttelte den- Kopf. Sie machte dabei einen durchaus zufriedenen und geradezu erfreuten Eindruck. »Ohne Ihren Irrtum hätte ich ja diesen verrückten Professor nicht kennengelernt. Wie heißt er noch?« »Edwin Falcon, Mylady.« »Warum fahren wir nicht zu ihm? Ich hätte große Lust, mich noch mal mit ihm zu unterhalten.« »Mylady, ein zweiter Jeep, wenn meine bescheidenen Augen mich nicht trügen.« Parker wartete die Antwort der älteren Dame nicht ab, fuhr sofort wieder an und brachte sein hochbeiniges Monstrum schleunigst von der Kreuzung weg. Er stellte seinen Wagen hinter nahem und dichtem Buschwerk ab. Der Jeep jagte heran. Er hielt knapp vor der Gablung. Drei stämmige Männer in dunklen Overalls stiegen aus und mühten sich anschließend mit dem Sperrbalken ab. Sie taten sich schwer, den Eisenbalken quer über die Straße zu schieben. Es zeigte sich, daß unter dem Balken, der
schon mehr ein T-Träger aus Eisen war, dicht nebeneinander stehende Eisenstäbe bis hinunter zum Boden reichten. Die Enden dieser Stäbe verschwanden in einer gleisähnlichen Vertiefung, die im Straßenbelag eingelassen war. Parker hatte die schmale Vertiefung bisher übersehen, weil- er sie automatisch für eine Wasserrinne gehalten hatte. Nach getaner Arbeit setzten die drei stämmigen Männer sich wieder in den Jeep und jagten zurück. Der Wagen war nach wenigen Minuten hinter einer Baumgruppe verschwunden. »Das verstehe, wer will.« Lady Simpson schüttelte irritiert den Kopf. »Die Straße wird gesperrt, das Gelände links und rechts daneben hingegen nicht. Zu Fuß kann man also jederzeit das Privatgelände betreten.« »Dies, Mylady, möchte ich inzwischen bezweifeln«, gab Josuah Parker zurück. »Dort dürften andere Sicherungen installiert sein.« »Die wir natürlich sofort ausprobieren werden.« Agatha Simpson war in bester Laune. »Darf ich mich erkühnen, Mylady davon abzuraten?« Parker dachte an die beiden bewaffneten Begleiter des Professors und an den Jeep, von dem sie verfolgt worden waren. »Mylady sollten diesen Leuten vielleicht erst ein wenig Ruhe und Sicherheit vorgaukeln.« »Sie sollen glauben, daß wir uns abgesetzt haben?« »Mylady hätten es kaum treffender ausdrücken können.« »Natürlich nicht.« Sie war einverstanden. »Und wann kehren wir zurück?«
»Vielleicht nach Erkundigungen, die man in London über Professor Falcon einziehen könnte, Mylady?« »Papperlapap, Mr. Parker! Warum erst zurück nach London? Es gibt doch Telefon. Nein, nein, wir bleiben hier in der Nähe. Sorgen Sie für eine passende Unterkunft. Noch in dieser Nacht werde ich mir dieses Weltraumunternehmen ansehen.« »Dies, Mylady, könnte mit einigen Gefahren verbunden sein«, warnte Josuah Parker. Er kannte das bedenkenlose Draufgängertum seiner Herrin nur zu gut. Sie erinnerte ihn immer wieder an einen weiblichen Kamikaze-Flieger. »Kommen Sie mir nur nicht mit Bedenken, Mr. Parker!« Sie sah ihn streng an. »Sorgen Sie dafür, daß man mich während dieses Ausfluges nicht unnötig belästigt.« »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Person sich alle erdenkliche Mühe geben wird. Wären Mylady damit einverstanden, in Savernake zu nächtigen?« »Wie der Ort heißt, Mr. Parker, ist unwichtig, ich möchte nur ein Bett haben, um ein paar Stunden vorzuschlafen. Ich habe noch viel vor!« Butler Parker zweifelte keine Sekunde daran. * Der Gasthof hieß »Zum Einhorn« und sah recht einladend aus. Es handelte sich um ein altes Haus mit wunderschönen Stil-Möbeln. Der Wirt, ein freundlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, war nur zu gern bereit, Zimmer bereitzustellen. Lady Simpson erhielt einen recht großen Raum mit
offenem Kamin. Es dauerte nur kurze Zeit, bis in diesem Kamin ein Holzfeuer brannte. Josuah Parker hatte sich für eine mehr als bescheidene Kammer entschieden. Sie besaß allerdings den Vorteil, daß das einzige Fenster auf das Flachdach einer Remise führte. Josuah Parker schätzte solche Räumlichkeiten, die ihm die Möglichkeit boten, ungesehen das Haus zu verlassen. Während Lady Simpson sich für das Dinner zurechtmachte, unterhielt Josuah Parker sich mit dem Wirt, der Paul Comber hieß und seit Jahren hier ansässig war, wie er sagte. »Dann müßten Sie mit einiger Sicherheit auch Professor Edwin Falcon kennen«, steuerte Parker sein Ziel diesmal direkt an. »Und ob ich den kenne!« Paul Comber nickte erfreut. »Er schätzt meine Küche. Er ißt hin und wieder bei mir.« »Ist er immer noch der Einzelgänger, wenn ich fragen darf?« »Ja und nein.« Der Wirt wußte nicht recht, wie er sich ausdrücken sollte. »In letzter Zeit kommt er immer in Begleitung.« »Selbstverständlich, in Begleitung seiner Assistenten. Er ist ja ein ungemein geschätzter Naturwissenschaftler.« »Assistenten?« Paul Comber stutzte, um dann langsam zu nicken. »Richtig -Assistenten sind das wohl. Sie haben geschäftlich mit ihm zu tun?« »Mylady interessiert sich für eine Geldanlage«, antwortete der Butler ausweichend. »Vorher möchte Mylady sich jedoch noch vergewissern, wie solide dieses Unternehmen ist. Man
sagt, auf dem Privatgelände des Professors sei viel gebaut worden.« »Das auch, aber das meiste stand ja bereits.« »Sie denken jetzt wahrscheinlich an die Gebäude, die die Vorgänger errichteten, nicht wahr?« Parker hatte keine Ahnung, worum es sich handelte. »Vorgänger? Das ist gut!« Der Wirt des »Einhorn« lächelte. »Wenn Sie die Luftwaffe als Vorgänger betrachten?« »In der Tat!« Parker nickte verständnisvoll. »Da drüben auf dem Privatgelände bei Chilton hatte die Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges mal Versuche durchgeführt, aber das ist lange her. Der Professor hat das Gelände erst vor knapp einem Jahr aufgekauft und auch 'ne Menge Geld 'reingesteckt.« »Wenn man nur an die erforderlichen Reparaturen der verfallenen Gebäude denkt.« Parkers verständnisvolles Nicken fiel noch verständnisvoller aus. »Gebäude?« Der Wirt winkte ab. »Da gibt's und da gab's so gut wie keine Gebäude, das war und ist alles unter der Erde. So eine Art Bunker, verstehen Sie?« »Mylady hatte heute den Vorzug, bereits eine Rakete zu sehen.« »Eine Rakete?« Der Wirt des »Einhorn« musterte den Butler erstaunt. »Haben Sie sich da auch nicht getäuscht?« »Mit Sicherheit nicht, Mr. Comber.« »Ach so, jetzt weiß ich, was Sie meinen.« Der Wirt lächelte verstehend. »Rakete, nun, das hört sich mächtig kriegerisch an, nicht wahr? Nein, nein, der Professor beschäftigt sich mit Wetterforschung und so. Ich glaube, er hat's mit der Sonne. Wenn Sie mich
fragen, so sagt ein Laubfrosch im Einmachglas das Wetter immer noch am sichersten voraus.« Butler Parker unterhielt sich noch eine Weile mit dem auskunftsfreudigen Gastwirt, bis seine Herrin herunter in die Gaststube kam und sich an den gedeckten Tisch setzte. Sie hatte sich eine strenge Diät ausgebeten. Sie war seit geraumer Zeit fest entschlossen, ihre Körperfülle zu mindern. Parker, der es sich selbstverständlich nicht nehmen ließ, das Dinner zu servieren, hatte dem Wirt also bereits die entsprechenden Diätspeisen vorgeschlagen. Er reichte zuerst eine leichte Geflügelcremesuppe, die mit einer kleinen Portion Sahne verziert war. Anschließend gab es einige sehenswerte Scheiben Roastbeef mit einer leichten Sauce, dann kalte Hühnerbrust und einige nicht weniger ansehnliche Scheiben Fleischpastete. »Ist das alles?« beschwerte die Lady sich grollend, als sie die Speisen vertilgt hatte. Sie sah Parker empört an. »Wollen Sie mich aushungern?« »Es ist noch eine Scheibe Rumkuchen vorgesehen, Mylady, flambiert, wie ich hinzufügen möchte.« »Sie nehmen, was meine Diät betrifft, immer alles zu wörtlich«, behauptete die ältere Dame, als sie drei Scheiben Rumkuchen, natürlich flambiert, verzehrt hatte. »Wie soll ich leistungsfähig bleiben, wenn ich darben muß?« »Auf Mylady warten noch Mokka und Kognak«, antwortete Parker. »Das klingt schon besser«, sagte sie. »Und etwas Gebäck dazu, wenn ich bitten darf.«
Butler Parker verbeugte sich knapp, um vor allen Dingen den Kognak zu holen. Er war besorgt, daß Myladys Kreislauf etwa leiden könne. Paul Comber, der Wirt des »Einhorn«, füllte einen großen Schwenker, den Parker dann anschließend auf einem Tablett servieren wollte. Dabei passierte ihm ein bedauerliches Mißgeschick. Er kam an einem Tisch vorüber, an dem ein junger, sportlich aussehender Mann saß, der etwa dreißig Jahre alt war. Vor knapp zwanzig Minuten hatte er die Gaststätte betreten und bisher recht lustlos zwei Glas Bier getrunken. Nun, Parker stolperte, und der Inhalt des Schwenkers schwappte aus dem bauchigen Glas. Der gute Kognak landete genau im Gesicht des Mannes, der verständlicherweise ein wenig geblendet wurde. Das scharfe Getränk ätzte die Augen. Der Getroffene stöhnte. »Sie ahnen nicht, Sir, wie peinlich mir dieser Zwischenfall ist«, sagte Parker und benutzte die Serviette, um dem Mann die Augen auszutupfen. Der Butler besorgte dies mit der Hingabe eines Mediziners, wobei er weitere Entschuldigungen an den Mann brachte. Er sprach von der Tücke des Objekts, vom Zufall an sich und von der Ungeschicklichkeit eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes, der im Dienst ergraut war. Der Mann wehrte die Bemühungen des Butlers ab, kam gegen dessen Hilfsbereitschaft allerdings nicht an. Butler Parker wischte und putzte, beklagte wortreich den Ärger, den er verursacht hatte, und drückte den Mann immer wieder zurück auf den
Stuhl. Dann zuckte der Gast plötzlich zusammen und gab Ruhe. Er zwinkerte mit den noch leicht brennenden Augen, starrte den Butler an, erhob sich und verließ ohne jeden Kommentar die Gaststätte. Es sah so aus, als sei er leicht unsicher auf den Beinen. »Vergessen Sie meinen Kognak nicht«, erinnerte Lady Simpson, als Parker vor ihrem Tisch stand. »Mylady werden ihn gleich genießen können«, antwortete Josuah Parker. »Im Augenblick aber ist es wohl ein Gebot der Menschlichkeit, sich noch ein wenig um den Gast zu kümmern.« Sie antwortete nicht, sondern sah ihren Butler aus starren Augen an. Sie hatte endlich begriffen. Parker hatte inzwischen den Tisch verlassen und folgte dem Mann, dessen Gesicht er mit Kognak gewaschen hatte. Der Wirt des »Einhorn« wollte seinerseits dem Butler folgen, doch er blieb wie angenagelt stehen, als Lady Simpson ihn zu sich an den Tisch rief. Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Wie unter einem fremden Zwang stehend, marschierte der Wirt zu Lady Agatha hinüber und verbeugte sich dienstbereit. * »Ich möchte endlich wissen, was da gespielt worden ist«, sagte Lady Simpson etwa eine halbe Stunde später, als der Butler in ihrem Zimmer erschien. »Sie haben den Kognak doch absichtlich verschüttet, oder?« »In der Tat, Mylady«, gestand Parker. »Dieses gespielte Ungeschick hatte eine kleine Vorgeschichte.«
»Nämlich?« Sie ärgerte sich, daß sie nicht vorher eingeweiht worden war. »Mr. Paul Comber, der Wirt des >Einhorn