Günter Dönges
PARKER neckt
die „Todesnarren“
Die stattlich aussehende Spanierin befand sich im Zustand höchster Au...
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Günter Dönges
PARKER neckt
die „Todesnarren“
Die stattlich aussehende Spanierin befand sich im Zustand höchster Ausgelassenheit. Sie hielt eine sogenannte Narrenpritsche in der rechten Hand und teilte damit neckische Schläge aus, deren Wirkung mehr als beachtlich war. Kostümierte Männer, die fast durchweg als Cowboys herumliefen, gingen nach diesen Schlägen leicht in die Knie und litten unter Atembeschwerden. Die temperamentvolle Südländerin hielt sich zusammen mit anderen Narren in einem festlich geschmückten Ballsaal auf, wo man sich dem Genuß süffigen Weines hingab. Auf dem Podium spielte eine Tanzkapelle und forderte die Anwesenden immer wieder zu einer Tätigkeit auf, die am Rhein als Schunkeln bezeichnet wurde. Dabei hakten die Anwesenden sich kollektiv ein und bogen ihre Oberkörper nach bestimmtem Rhythmus von rechts nach links und dann wieder zurück. Dazu sangen die Menschen, die offiziell als Narren bezeichnet wurden, fröhliche Lieder- und zwar in einem Deutsch, mit dem die füllige Spanierin nichts anzufangen wußte. Ihr machte das jedoch nichts aus. 2
Die Hauptpersonen: Leo Kirchner verschenkt einen Taschenrechner und verscheidet
im Karnevalstrubel von Köln.
Kramer und Heidemann bezeichnen sich als Privatdetektive.
Kölbel und Vetter wollen angeblich Journalisten sein.
Peter Baumann bekommt eine Augenfüllung mit Senf.
Joan Milford spielt überzeugend eine US-Agentin.
Sylvia Werra bietet gewisse Dienste sehr freizügig an.
Lady Agatha lernt den rheinischen Karneval kennen und trinkt
Kölsch.
Butler Parker studiert Narren aller Art und pikante Fotos.
Sie beteiligte sich energisch an diesem Vergnügen und schaffte es leicht, die schunkelnden Personen in Unordnung zu bringen. Ihre Seitwärtsbewegungen fielen derart kraftvoll aus, daß einige Narren von den Bänken rutschten und auf dem Parkett landeten. Dort lag Konfetti fast schon zentimeterhoch. Bunte Luftschlangen wirbelten durch die Luft, die zum Schneiden dick war. Frenetischer Beifall wurde ausgelöst, als ein Herr vor dem Mikrofon erschien und auf der Gitarre klimperte. Er hielt eine kurze Ansprache, die immer wieder von Gelächter unterbrochen wurde. Dann intonierte der Mann, der wie ein trauriger Clown aussah, eine Art Vorspiel und sang mit angerauhter Stimme ein Lied, das lauthals mitgesungen wurde. Als es zum Refrain kam, fühlte die Spanierin sich belästigt. Die beiden Cowboys links und rechts von ihr faßten nach ihren Ohrläppchen. Die Südländerin betrachtete das als einen körperlichen Angriff und setzte ihren perlenbestickten Pompadour auf die Wange des links von ihr zupfenden Mannes. Die Begegnung zwischen Pompadour und Wange war im wahrsten Sinn des Wortes niederschmetternd. Der Westmann verdrehte die Augen und hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er wurde förmlich von seinem Sitz gefegt und hielt sich instinktiv am Tischtuch fest. Dadurch gerieten einige Dinge in Bewegung. Zuerst war es das besagte Tischtuch. Es rutschte ruckartig mit dem niedergehenden Mann von der Tischfläche und nahm dabei Weinflaschen und Gläser mit. Sekunden später hatte der Mann total abgedeckt und lag unter dem Tischtuch. Der zweite Cowboy sah die Spanierin entgeistert an und ... setzte 3
sich dann schleunigst ab, während der Mann auf der Bühne mikrofonverstärkt die Frage an die begeisterte Menge richtete, warum es am Rhein eigentlich so schön sei, um dann zu behaupten, er habe einen gewissen Vater Rhein in seinem Bett gesehen. Er mißverstand das Tischabräumen und die gewisse Unruhe und deutete alles als überschäumende Begeisterung. Er pries ohne Übergang eine gewisse Mosella und beförderte einige Luftschlangen in den Saal. Die Spanierin hatte sich erhoben und rauschte majestätisch davon. Zwei Kellner in Lederschürzen wollten sie stoppen und offensichtlich zur Kasse bitten. Sie redeten auf die Dame aus dem südlichen Europa energisch ein und sprachen einen Dialekt, dem die Temperamentvolle nicht zu folgen vermochte. Um sich freie Bahn zu verschaffen, benutzte sie erneut ihre Narrenpritsche und ließ sie um die Ohren der beiden Hartnäckigen knallen. Sie gingen tief in die Knie und schienen sich zu verneigen. Während die Narren in der Nähe sich vor Lachen ausschütteten und Tränen der Freude aus den Augen wischten, strebte die Südländerin dem Ausgang zu. Hier wurde sie von einem Herrn erwartet, der wie ein englischer Butler aussah. Er trug einen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Auf seinem Kopf saß ein ebenfalls schwarzer Bowler, im Volksmund auch Melone genannt, und am linken angewinkelten Arm hing ein altväterlich gebundener Re genschirm. Dieser Mann, dessen Alter unbestimmbar war, der das glatte und ausdruckslose Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers hatte, lüftete höflich die schwarze Kopfbedeckung und näherte sich der Dame. Bevor er sie erreicht hatte, steuerten vier bunt gekleidete Männer auf ihn zu und schnitten ihm den Weg ab. Auf ihren Köpfen saßen Narrenkappen mit wippenden Fasanenfedern. Die Orden, die diese Herren trugen, mußten insgesamt kiloschwer sein. Sie umringten den Mann, der wie ein Butler aussah, und erklärten feierlich, ihn sprechen zu wollen. Sie machten einen entschlossenen Eindruck und deuteten auf vier Gardisten, die Gewehre trugen. Ì »Ist das ein Überfall?« erkundigte sich die Spanierin, die ein vorzügliches Englisch sprach. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, antwortete der Butler, der 4
tatsächlich ein Vertreter dieses Berufsstandes war, »die Herren gehören dem sogenannten Festausschuß an und hegen die friedliche Absicht, meine bescheidene Wenigkeit in Form eines Ordens auszuzeichnen.« »Sie sollen einen Orden bekommen, Mister Parker?« Die Spanierin, die eine Lady war, stutzte. »Einen sogenannten Karnevalsorden, Mylady«, erläuterte Josuah Parker, wie der Butler hieß, »die Herren sind der irrigen Ansicht, meine bescheidene Person trage ein Kostüm.« »Allmächtiger Gott«, erwiderte Agatha Simpson, »in welch ein Land haben Sie mich verschleppt?« »Es war Mylyadys ausdrücklicher Wunsch, echten Karneval aus nächster Nähe zu studieren«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Wie zu beobachten ich mir erlaubte, haben Mylady sich außerordentlich vergnügt.« »Man wollte mich angreifen, Mister Parker«, sagte sie streng, während Parker von den Gardisten hinter die Bühne geleitet wurde. »Darf ich mich erkühnen, Mylady zu widersprechen?« schickte der Butler voraus, »der Griff nach Myladys Ohren ist eine Steigerung der sogenannten Schunkelbewegungen. Anschließend wäre man möglicherweise noch auf die Bänke gestiegen.« »Und warum diese strapaziöse Gymnastik?« fragte sie. Die ältere Dame, die die Sechzig überschritten hatte, zeigte neues Interesse am Brauchtum rheinischer Menschen. »Das Ersteigen von Stühlen und Bänken, Mylady, ist die höchste Form der hier praktizierten Heiterkeit«, erläuterte Butler Parker, der sich vor Antritt der Reise an den Rhein selbstverständlich umfassend informiert hatte. »Es war mein Fehler, wie ich bekennen muß, Mylady nicht entsprechend vorgewarnt zu haben.« »Sie sind Engländer?« fragte der Narr, der die längste Fasanenfeder trug. »Untertan Ihrer britischen Majestät«, antwortete Parker, der ein sehr passables Deutsch sprach, »und dies ist Lady Agatha Simpson.« »Da bringen Sie uns aber in Schwierigkeiten«, meinte der Obernarr und runzelte die Stirn, »bei uns im Karneval muß alles seine Ordnung haben.« »Ein lobenswerter Standpunkt, Sir.« »Ich weiß nicht, ob wir einen Ausländer prämieren können«, redete der Obernarr weiter, »da müssen wir erst mal in den Statuten nachlesen, wie Sie bestimmt verstehen werden.« 5
»In der Tat!« Parker nickte bestätigend. »Humor ist eine zu ernste Sache, um ihn sich selbst zu überlassen.« »Aber Ihre Maske ist einmalig gut«, lobte der Narr. »Sie beschämen mich, Sir«, antwortete Parker, »würde es Ihnen helfen, wenn ich freiwillig auf die zugedachte Auszeichnung verzichten würde?« »Überhaupt nicht«, meinte der Narr, »Sie sind von der Jury gewählt worden. Das ist bereits aktenkundig. So etwas läßt sich nicht mehr vom Tisch wischen. Wenn Sie hier im Festzimmer einen Augenblick warten wollen? Die Lady ist selbstverständlich einge laden.« Die Gardisten bildeten Spalier, als Josuah Parker und seine Herrin in einen mittelgroßen Raum geführt wurden, der wie ein Hotelzimmer eingerichtet war. Danach setzten die fa sanenfedergeschmückten Männer sich schleunigst ab, wobei ihre vielen Orden melodisch klingelten. Parker erklärte der Lady, welche Probleme sich ergeben hatten. Agatha Simpson lachte dunkel und nicht gerade damenhaft. »Diese Narren erinnern mich an gewisse Burschen drüben auf der Insel«, meinte sie dann, »aber immerhin, auch hier scheint man Sinn für Tradition zu haben.« Josuah Parker wollte gerade antworten, als er hinter einem Paravent ein seltsames Geräusch hörte. Er ging sofort zu dem Wandschirm hinüber und warf einen Blick hinter ihn. Nach wenigen Sekunden wandte er sich zu der älteren Dame um. »Stören wir?« fragte sie und kam neugierig näher. »Nicht direkt, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, »der Herr dort, falls es sich um eine Person männlichen Geschlechts handeln sollte, dürfte gerade verschieden sein.« »Wiederholen Sie das noch mal?« Sie blieb keineswegs beeindruckt, verängstigt oder gar geschockt stehen, sondern warf ebenfalls einen Blick hinter den Wandschirm, über dem Kostüme und normale Kleidungsstücke hingen. Lady Agatha musterte eine Gestalt, die einen weiten, weißen Satinmantel trug und deren Gesicht nach Clowns-Art geschminkt war. Störend wirkte allerdings der noch nicht mal große Blutfleck über der Herzgegend. »Sie sind hoffentlich meiner Meinung, Mister Parker, daß es sich hier um Mord handelt«, sagte Lady Agatha. »Von dieser Arbeitshypothese, Mylady, sollte man in der Tat ausgehen«, lautete Parkers Antwort, der dann mit der Spitze seines 6
rechten Schuhs einen rechteckigen, schwarzen Gegenstand wegkickte. Dieser Gegenstand segelte über den Boden und ver schwand unter einem schmalen Wandtisch, dessen Decke heruntergezerrt worden war. Parker hatte dies nicht ohne Absicht getan, denn im Moment hörten er und Lady Agatha hinter sich eine Art knurrendes Räuspern. Sie wandten sich um und sahen sich zwei seltsamen Beobachtern gegenüber, die rote Knollennasen trugen. Die Colts in den Händen dieser beiden Witzblattfiguren machten einen äußerst echten Eindruck. Ì »Hallo«, sagte Josuah Parker und| verbeugte sich höflich. »Die Flossen hoch«, befahl der Untersetztere der beiden. »Hallo«, sagte nun auch Lady Agatha, die vorerst noch einen recht friedlichen Eindruck machte. »Rüber an die Wand«, reagierte die zweite Knollennase gereizt. »Man ist der deutschen Sprache leider nicht mächtig«, antwortete Josuah Parker in Englisch. »Auch das noch«, unkte der Untersetzte zu seinem Begleiter, »das müssen Ausländer sein.« »Engländer«, meinte der zweite Mann, »und jetzt? Die haben den da gesehen.« »Polizei, du verstehen?« Der erste Mann reagierte blitzschnell. »Polizei, klar? Abhauen, verschwinden, ab durch die Mitte. . .« Er deutete auf die zweite Tür, durch die sie offenbar gekommen waren. Der Colt in seiner Hand unterstrich die Aufforderung. »Die Herren dürften Angehörige der hiesigen Polizei sein, Mylady« sagte Josuah Parker würdevoll zu Lady Simpson, obwohl er es natürlich besser wußte. »Sind Sie sicher?« fragte sie zweifelnd. »Die ausgesuchte Höflichkeit läßt darauf schließen, Mylady. Man sollte der Aufforderung Folge leisten, wenn ich vorschlagen darf.« Er lüftete die schwarze Melone höflich in Richtung der beiden Waffenträger und ... ließ die stahlblechgefütterte Wölbung dann blitzschnell auf die Knollennase des ersten Mannes fallen. Gleichzeitig benutzte der Butler seinen altväterlich gebundenen Regenschirm, die waffentragende Hand seines Gegners hochzuschlagen. Lady Agatha blieb selbstverständlich nicht untätig. 7
Sie setzte den zweiten Mann mit einer erstaunlich schnellen Aktion ebenfalls außer Gefecht. Ihr Pompadour beförderte den Colt zur Zimmerdecke. Der Mann stöhnte und wußte sofort, daß wenigstens ein Finger angebrochen war. Der »Glücksbringer« im perlenbestickten Handbeutel war nämlich ein echtes Hufeisen und hatte wieder mal ganze Arbeit geleistet. Mit der Narrenpritsche »ohrfeigte« die ältere Dame dann den leidenden Mann, der nur noch Sterne sah. Mit der Spitze seines Regenschirms angelte Parker den schwarzen, flachen und rechteckigen Gegenstand unter dem schmalen Wandtisch hervor. Er wußte, daß er dabei nicht beobachtet wurde, denn die beiden Teilnehmer am Narrentreiben, das im Festsaal herrschte, waren nicht ganz bei der Sache. Sie hatten mit sich selbst zu tun und wurden zudem noch von Agatha Simpson scharf beobachtet. Parkers schwarz behandschuhte Hand hob einen Taschenrechner auf, der einen völlig normalen, durchschnittlichen Eindruck machte. Er ließ ihn in der rechten Tasche seines Zweireihers verschwinden und widmete sich dann den beiden Männern, die klassische Smokings trugen mit allerdings roten Schleifen am Hemdkragen. Sie merkten nicht, daß sie durchsucht wurden. Parkers Fingerfertigkeit hätte jeden professionellen Taschendieb zutiefst beschämt. Die Männer bekamen überhaupt nicht mit, daß sie ihre Brieftaschen verloren, und sie merkten ebenfalls nicht, daß Josuah Parker sich noch mal mit dem Toten befaßte. Er hob den Satin mantel und durchsuchte die Taschen. »Falls es angenehm ist, könnte man jetzt suchen, Mylady, was man gemeinhin das Weite zu nennen pflegt.« Die energische Dame war einverstanden, aber deutete auf die beiden Smokingträger, die inzwischen auf dem Boden saßen und geradezu gefährlich schielten. »Was geschieht mit diesen Subjekten?« erkundigte sie sich. »Ob ich sie noch mal kurz betäube?« Die passionierte Detektivin brachte ihren Pompadour bereits in die entsprechenden Schwingungen. »Die Jury scheint zu einer Entscheidung gekommen zu sein, Mylady«, erwiderte der Butter und deutete auf die Haupttür. Sie wurde aufgedrückt und einige Fasanenfedern wippten bereits wie zur Vorankündigung. Daraufhin zogen Lady Agatha und der Butter es vor, schleunigst die zweite, wesentlich schmalere Tür zu benutzen. Ihr Bedarf an närrischem Treiben war vorerst mal gedeckt. 8
»Sagen Sie mir gefälligst, was ich von dieser Stadt zu halten habe, Mister Parker?« verlangte Agatha Simpson, als sie das große Gebäude verließen, in dem sich der Festsaal befand. Sie deutete auf mehr oder weniger originell gekleidete Menschen, die trotz der Nachtstunde noch auf den Straßen waren und sich nicht gerade leise benahmen. »Darf ich höflichst noch mal darauf verweisen, Mylady, daß es sich um den sogenannten rheinischen Karneval handelt?« antwortete Josuah Parker, »in diesem Fall sogar um eine spezifisch Kölner Art.« »Das sind doch keine Deutschen, Mister Parker!« Agatha Simpson wunderte sich. »Mylady hegen bestimmte Vorstellungen, was den Deutschen an sich ausmacht?« Sie hatten eine schmale Geschäftsstraße erreicht, die grell beleuchtet war. Abenteuerlich verkleidete Menschen beiderlei Geschlechts wogten hin und her. Die Stimmung war ausgelassen. »Die Deutschen sind diszipliniert, ernst und humorlos«, sagte die ältere Dame. »Möglicherweise ein Vorurteil, Mylady, wenn ich so sagen darf. Falls es aber zutreffen sollte, so schlüpfen diese Menschen aus ihrer Normalhaut und sind das, was sie wohl gern sein möchten.« »Ob man den Mord bereits entdeckt hat?« Lady Agatha wollte nicht weiter philosophieren. »Und wer waren diese beiden Subjekte? Die Mörder etwa?« »Wenn Sie erlauben, Mylady, gewann ich mehr den Eindruck, daß die beiden Männer nach dem Toten Ausschau hielten.« »Wir hätten wenigstens einen von ihnen mitnehmen sollen, Mister Parker.« »Dazu reichte die Zeit wohl nicht, Mylady«, antwortete der Butler und wurde auf einen Pulk maskierter Männer aufmerksam, die sich der älteren Dame näherten. Sie umringten sie und tanzten eine Art Ringelreigen. Sehr laut, aber nicht gerade melodisch sangen sie dazu ein Lied und gaben sich ausgelassen. Parker war zurückgetreten, um eventuell besser eingreifen zu können. Bisher bot sich keine Mög lichkeit, nach Verfolgern Ausschau zu halten. Die Straße war einfach zu belebt, die Maskeraden zu vielfältig. Parker erstarrte. Die Männer machten sich daran, Lady Agatha zu küssen. Das Alter der Dame schien sie überhaupt nicht zu interessieren. Und Lady Simpson war ebenfalls nicht schockiert. Sie kassierte einige 9
Wangenküsse und lachte dröhnend dazu. Die Männer formierten sich zu einer Reihe und marschierten weiter die enge Geschäftsstraße hinunter. Dazu sangen sie ein anderes Lied. »Ich bedaure diesen Vorfall ungemein«, sagte Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Schnickschnack«, gab die Lady zurück und lächelte, »unterschätzen Sie meinen Humor nicht! Wovon singen die Herren übrigens?« »Ein erstaunlicher Text, soweit ich ihn übersetzen konnte«, schickte Josuah Parker voraus, »die Herren beabsichtigen demnach, einer gewissen Oma, wie die Dame zu heißen scheint, ihren Grundbesitz verkaufen zu wollen, um den Erlös dann anschließend zu vertrinken.« »Haben Sie das auch richtig verstanden?« Agatha Simpson sah ihn mißtrauisch an. »Es dürfte sich um ein heimisches Trink- und Scherzlied handeln. Darf ich Mylady zurück ins Hotel geleiten?« »Fürchten Sie etwa um meinen Ruf?« fragte sie boshaft. »Ich möchte irgendwo noch etwas trinken.« »Haben Mylady spezielle Wünsche?« »Dieses Getränk, wie heißt es noch. . .« »Man nennt es >KölschSchabauMemory< ist dort oben links im Anzeigenfeld auszumachen, Mylady«, erläuterte der Butler, »erfreulicherweise wird der Speicherinhalt auch nach dem Ausschalten des Rechners nicht gelöscht.« »Wem sagen Sie das ?« Die Detektivin grollte ein wenig und fühlte sich überfordert. Josuah Parker schaltete das Gerät ein und drückte die entsprechenden Tasten. Wie durch Zauberei erschien promt eine Reihe von Zahlen im Sichtfeld. »Und jetzt?« fragte sie fast triumphierend, »ich wußte doch gleich, daß die Spielerei nichts einbringt.« »Diese Zahlen sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ohne Grund gespeichert worden, Mylady.« »Sie glauben, der Sterbende habe sie mit letzter Kraft eingegeben?« »Davon sollte Mylady erst mal ausgehen. Es könnte sich um einen Code, um eine Telefonnummer oder um eine Kombination für ein Zahlenschloß handeln. Parker prägte sich die sechsstellige Nummer ein und nahm dann seinerseits eine kleine Manipulation vor. Er löschte die Speichereingabe, griff nach dem Telefonbuch und brauchte einige Minuten, bis er eine passende Nummer gefunden hatte. Sie bezog sich auf ein Lokal, das zu einer internationalen Kette gehörte, in der vor allen Dingen nur »Hamburger« angeboten wurden. Er hatte sich für eine Gaststätte in der unmittelbaren Nähe des Hauptbahnhofs entschieden. Butler tippte diese Telefonnummer ein und ließ sie durch einen entsprechenden Tastendruck in den Speicher fließen. Dann schaltete er das Gerät ab, erneut ein und nahm zur Kenntnis, daß 16
die Speichereingabe nicht mehr zu sehen war. Er tippte auf den AusSchalter und ließ den flachen Taschenrechner wieder in seinem schwarzen Zweireiher verschwinden. »Ich halte mich lieber an diese beiden Subjekte, die mich mit der Waffe bedroht haben«, sagte Agatha Simpson grollend. »Worauf warten wir eigentlich noch, Mr. Parker? Es wird höchste Zeit, daß ich diesen Mordfall löse!« Ì Josuah Parker tat selbstverständlich nicht das, was man von ihm erwartete. Er hatte keine Lust, sich mitsamt der Lady in eine möglicherweise tödliche Falle zu begeben. Es gab andere Methoden, um ans Ziel zu gelangen. Er hatte ein Taxi kommen lassen. Lady Agatha sah den Butler irritiert an, als Parker die Adresse eines Hotels nannte. Es handelte sich um das Haus, in dem Kramer und Heidemann wohnten. Die Fahrt war kurz, es war etwa eine halbe Stunde verstrichen, seitdem der Butler sich mit dem Mann namens Kramer per Telefon unterhalten hatte. In der Lobby des Hotels herrschte trotz der späten Stunde noch lebhaftes Treiben. Damen und Herren in Abendkleidern und Smokings ließen sich noch Drinks servieren und schienen absolut keine Lust zu haben, schon ihre Zimmer aufzusuchen. Die Hotelbar war gut besucht, die Stimmung auf dem Höhepunkt. »Wie Sie bereits vorschlugen, Mylady, werde ich Mr. Heidemann jetzt einen Besuch abstatten«, sagte Parker, nachdem er seine Herrin in eine Nische geführt hatte. »Darf ich darüber hinaus anregen, daß Mylady den Hoteleingang überwachen?« »Sie rechnen mit einer Flucht der beiden Lümmel?« fragte sie, machte einen unternehmungslustigen Eindruck und griff automatisch nach ihrem Pompadour. »Mit solch einer Reaktion ist durchaus zu rechnen, Mylady.« Parker deutete eine Verbeugung an, lüftete seine Melone und schritt gemessen hinüber zur Rezeption. Hier erkundigte er sich nach den Herren Kramer und Heidemann. Er erfuhr das, was er eigentlich bereits erwartet hatte. Kramer und Heidemann hatten das Hotel vor knapp zehn Minuten verlassen, ohne allerdings ihr Gepäck mitzunehmen. Waren sie auf dem Weg zum Museum, oder hatten sie es vorgezogen, ihre Adresse zu wechseln? Parker war für Genauigkeit und entschloß sich, einen Blick in die Zimmer der beiden Coltträger zu werfen. 17
Er wußte zwar nicht, wo sie wohnten, doch das war kein Hindernis. Er schritt zu den Fahrstühlen und winkte einen schon recht erwachsenen Pagen. »Neuseeländische Botschaft«, sagte Parker in seiner Muttersprache, »zu den Herren Kramer und Heidemann.« Der Page – er war immerhin schon fast dreißig – nahm die Banknote, die Parker ihm diskret überreichte, noch diskreter entgegen und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden. Er entschuldigte sich kurz, eilte zur Rezeption und erkundigte sich an einem Schalter, an dem die Zimmerschlüssel ausgegeben wurden, nach den betreffenden Zimmern. Dann kurvte er zurück und bat Parker in den Fahrstuhl. Während der Fahrt in den sechsten Stock musterte der Angestellte neugierig den Butler. Solch eine würdevolle und stimmige Erscheinung mochte er noch nie gesehen haben. »Die Zimmer 604 und 605«, sagte er dann, »werden Sie sich zurechtfinden, Sir?« »Vielen Dank für Ihre Hilfe.« Parker lüftete den Bowler und wartete, bis der Fahrstuhl wieder nach unten fuhr. Dann schritt er den Korridor hinunter und erreichte die Zimmer, die er suchte. Er dachte jedoch nicht daran, sie mit seinem Spezialbesteck zu öffnen, was für ihn eine Kleinigkeit gewesen wäre. Josuah Parker war ein Mensch, der sich gezielt in die Gedankenwelt seiner Gegenspieler zu versetzen vermochte. Der Butler interessierte sich für den Raum, in dem die Putzutensilien für diese Etage verwahrt wurden, und benutzte einen der seltsam geformten Nachschlüssel, um diese Tür zu öffnen. Der Raum war nicht groß und angefüllt mit Putzgeräten aller Art. Parker ging zurück zu den beiden Türen Nr. 604 und 605, pochte dort kurz an und begab sich wieder in den kleinen Raum. Er schloß die Tür bis auf einen schmalen Spalt und ... brauchte nicht lange zu warten, bis die Tür Nr. 605 geöffnet wurde. Der Mann, der auf ihn untersetzt und muskulös gewirkt hatte, schaute vorsichtig nach draußen in den Korridor, drückte dann allerdings weit die Tür auf und machte einen etwas nachdenklich verdutzten Eindruck. Er änderte seinen Gesichtsausdruck erheblich, als er von Parkers Geschoß getroffen wurde, und riß weit die Augen auf, bevor es ihm die Beine unter dem Körper wegzog. Dann nahm der Mann auf dem Teppichboden des Korridors Platz und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Von diesem Moment an übersah er alles, was wei terhin passierte. 18
Butler Parker lud seine Waffe nach, die seltsam genug aussah. Es handelte sich um eine sogenannte Gabelschleuder, wie sie von Jungen nur zu gern verwendet wird. Parkers Gerät allerdings war eine Spezialkonstruktion, die sich zusammenklappen ließ. Die beiden Gummistränge der Schleuder waren besonders stark und daher in der Lage, die »Geschosse« selbst über weite Entfernungen zu befördern. Als Munition benutzte Josuah Parker, je nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel, Tonkugeln, die oberflächlich oder hart gebrannt waren, aber auch durchaus Stahlkörner bis zur Größe einer Erbse. Der Vorteil dieser ein wenig unheimlichen Waffe bestand in der völligen Geräuschlosigkeit. Parker wartete auf den zweiten Coltträger. War auch er ins Hotel zurückgekehrt? Oder hatten die beiden Männer sich getrennt? Butler verfügte über die Geduld eines besonders höflichen Asiaten und wartete erst mal ab. Falls der zweite Mann tatsächlich auch noch anwesend war, mußte er sich ja bald blicken lassen... Er tat es nicht. Nach gut einer Minute erst verließ Parker sein Versteck und begab sich hinüber zu dem immer noch schlafenden Mann. Mit erstaunlicher Kraft zog Parker ihn hoch und schob ihn vor sich her ins Hotelzimmer. Er ließ ihn in einen Sessel gleiten und inspizierte erst mal das benachbarte Zimmer. Es war durch eine Verbindungstür zu erreichen und leer. Viel Gepäck hatten die beiden Männer nicht aufzuweisen. Jeder von ihnen war mit einer Reisetasche gekommen, in denen nur Ersatzwäsche, Fotoapparate und Filmkameras waren. Mit geübtem Blick stellte der Butler fest, daß diese Aufnahmegeräte bereits intensiv genutzt wurden. Die Markierungen zeigten an, daß man die jeweils eingespannten Filme bis weit über die Hälfte belichtet haben mußte. Parker packte um. Er verstaute die Geräte in eine der Taschen und stellte sie an der Tür bereit. Dann widmete er sich dem untersetzten Mann, der nun leicht stöhnte und mit fahriger Bewegung nach seinem Hinterkopf langte. »Betrachten Sie meine Handlungsweise nicht als einen unfreundlichen Akt«, sagte Parker und lüftete grüßend die schwarze Melone, »ich sah leider keine andere Möglichkeit, mich mit Ihnen ins Benehmen zu setzen.« Der Mann war schnell wieder bei Besinnung., Er starrte den Butler an das Glasige in seinen Augen war heller Aufmerksamkeit gewichen. 19
»Man hielt es für richtig, nicht hinaus zum Museum zu fahren«, redete Parker weiter. »Ihr Partner wird das inzwischen festgestellt haben.« »Sie... Sie sind ganz schön raffiniert«, erwiderte der Mann. »Sie haben sich nicht reinlegen lassen.« »Ihnen war schließlich bekannt, daß ich den Ort Ihres Aufenthalts kannte, sonst hätte man nicht anrufen können«, sagte Parker höflich, »also erlaubte ich mir zu schlußfolgern, daß wenigstens einer von Ihnen hier auf mein Erscheinen warten würde.« »Hören Sie, ich weiß nicht, ob Sie überhaupt ahnen, in was Sie sich da einmischen«, gab der Mann zurück und setzte sich aufrecht, »aber noch können Sie verduften, Sie und diese Dame.« »Sind Sie Mr. Kramer oder Mr. Heidemann?« »Kramer«, lautete die knappe Antwort. Während der Mann seinen Namen nannte, warf er einen schnellen Blick auf die gepackte Tasche in der Nähe der Tür. »Wie könnte man Ihren Hinweis in die Tat umsetzen?« fragte Parker, der so tat, als habe er den Blick nicht bemerkt. »Vergessen Sie den Toten im Festsaal, vergessen Sie mich und meinen Partner!« »Und damit wäre bereits alles ausgestanden, wie es so trefflich heißt? Sind Sie sicher?« »Sie sind schließlich wohl zufällig in die Geschichte reingeschlittert«, meinte der Mann, der sich Kramer nannte und laut Ausweis in Bonn lebte. »In der Tat, eine passende Umschreibung.« Parker nickte. »Und Ihnen dürfte man zuvorgekommen sein, was den erschossenen Mann betrifft.« »Sie oder die Dame sind es auf keinen Fall gewesen«, erwiderte Kramer, »und mein Partner und ich kamen leider zu spät, um diesen Mord zu verhindern.« »Demnach ist der Tote Ihnen nicht unbekannt.« »Natürlich nicht. Mein Partner und ich sind ... Privatdetektive. Es geht um eine Wirtschaftssache. Steuerhinterziehung, verstehen Sie?« Kramer hatte sich blitzschnell eine passende Ausrede einfallen lassen und baute sie konsequent aus. »Ihr Partner Heidemann sprach von einem kleinen Vermögen, das zu verdienen sei.« »Richtig, wir nehmen an, daß Sie doch etwas bei dem Toten gefunden haben, was für uns von Interesse ist.« 20
»Keine Ahnung... Vielleicht einen Zettel... Papiere... Ein Schlüssel oder sogar ein Kennwort, das er noch von sich geben konnte.« »Was verstehen Sie, wenn man fragen darf, unter einem kleinen Vermögen, Mr. Kramer?« Das wollte der Mann aus Bonn nicht sagen. Er war soweit wieder in Ordnung, um einen Angriff zu wagen. Mit erstaunlicher Schnelligkeit und Kraft warf er sich auf den Butler und zeigte bei dieser Attacke, daß er über gute Kenntnisse in Karate verfügte. Sie, die Kenntnisse, reichten allerdings nicht aus. Der Butler, der mit einem plötzlichen Angriff gerechnet hatte, parierte ihn fast beiläufig und ohne Verzicht auf Gemessenheit oder Würde. Er benutzte seinen Universal-Regenschirm, um dem raffinierten Fußtritt zu entgehen. Dadurch geriet der Angreifer aus dem Gleichgewicht und konnte nichts gegen die stahlblechgefütterte Melone unternehmen, deren Rundung sich auf seine Stirn legte. Der Mann, der sich Kramer nannte, landete relativ weich auf dem Teppichboden und stieß ächzende Töne aus. Dann setzte er sich mühsam hoch und starrte den Butler aus wieder leicht verglasten Augen an. »Ich bedaure außerordentlich diesen erneuten Zwischenfall«, sagte Josuah Parker, »sollte man die begonnene Unterhaltung nicht in aller Form fortsetzen?« »Mann, Sie sind verdammt gut!« Kramer rieb vorsichtig die Stirn. »Sie sind ein gerissener Hund.« »In der Wahl Ihrer Worte sind Sie nicht gerade vornehm, Mr. Kramer.« »Wer hat Sie auf Kirchner angesetzt?« Kramer merkte nicht, daß er den Namen des Ermordeten nannte. Es konnte allerdings auch sein, daß er den Butler inzwischen für eingeweiht hielt. »Würden Sie mir sagen, für wen Sie arbeiten?« fragte Josuah Parker, um dann kaum merkbar den Kopf zu schütteln, »Diskretion dürfte auch für Sie das oberste Gebot sein, nicht wahr?« »Sind Sie vom britischen Geheimdienst?« Kramer stand vorsichtig auf und nahm wieder Platz. Dabei benutzte er die Gelegenheit, einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen. »Arbeiten Sie möglicherweise für den Ostblock, um es mal pauschal auszudrücken?« stellte Josuah Parker die Gegenfrage. »Wir sind Privatdetektive«, behauptete Kramer noch mal, »und wer sind Sie und die alte Dame?« »Sie haben es mit Lady Agatha Simpson zu tun«, antwortete Parker, »und was meine bescheidene Wenigkeit anbetrifft, so habe 21
ich die Ehre und den Vorzug, der Butler Myladys sein zu dürfen.« »Das... Das ist der tollste Schwindel, den ich je gehört habe.« Krämer lächelte ein wenig gequält, was wohl mit seiner schmerzenden Stirn zu tun hatte. »Sie wollen ein Butler sein? Mann, ich wette, Sie sind... Aber lassen wir das.« »Wenn Sie erlauben, Mr. Kramer, möchte ich mich jetzt zurückziehen.« Parker ging gemessen zur Tür und griff nach der Reisetasche, in der sich Fotoapparate und kleine, handliche Filmkameras befanden. »Moment noch«, sagte Kramer hastig, »hören Sie, könnte man sich nicht verständigen oder einigen?« »Ich bin sicher, daß Sie meiner Wenigkeit entsprechende Vorschläge unterbreiten werden.« »Warum teilen wir uns nicht die Beute?« »Ohne Gegenleistung – wenn ich dies so offen sagen darf?« »Sie und die angebliche Lady waren vor mir und meinem Partner bei Leo Kirchner. Ich glaube, Sie haben da Beute gemacht... Aber auch wir haben was zu bieten.« »Ich fürchte, Sie machen mich nicht mal neugierig, Mr. Kramer.« »Sie wollen also nicht wissen, mit wem Kirchner zusammengearbeitet und woher er sein Material bezieht?« »Sie sprechen von Schnee, der bereits getaut ist«, erwiderte der Butler höflich, »verzeihen Sie, daß ich es so umschreibe, Mr. Kramer. Haben Sie wirklich nicht mehr zu bieten?« »Sie bluffen und wissen überhaupt nichts.« Das stimmte zwar, doch Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Wie Sie zu meinen belieben.« Parker wandte sich wieder der Tür zu, ohne dabei die Reisetasche zu vergessen. »Aber Sie kennen die Lieferanten des Materials nicht!« Kramer trumpfte eindeutig auf. »Falls Sie hoffen, daß Ihr Begleiter wieder erscheint, möchte ich Sie darauf verweisen, daß er dieses Zimmer mit Sicherheit nicht erreichen wird«, meinte Parker, »was den Lieferanten betrifft, Mister Kramer, so wird es Ihnen sicher ein leichtes sein, sich neues Material zu beschaffen.« Parker war wirklich überaus höflich. Er lüftete noch mal die schwarze Melone und... warf sie dann aus dem Handgelenk wie eine Wurfscheibe auf den Mann, der noch mal versuchte, ihn zu stoppen. Ì
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»Ich verstehe Sie nicht, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, als der Butler vor ihr stand, »warum haben Sie dieses Subjekt nicht mitgebracht?« »Eine Unterhaltung wäre nicht sonderlich ergiebig ausgefallen, Mylady«, antwortete der Butler, »die Herren Kramer und Heidemann dürften das sein, was man gemeinhin Profis nennt. Sie wissen genau, was sie verschweigen müssen, falls ihnen an einem längeren Leben gelegen ist.« »Profis?« fragte die passionierte Detektivin, »glauben Sie, daß es Killer sind, Männer aus der Unterwelt?« »Aus der Welt der internationalen Spionage, wie zu vermuten ich mir erlaube, Mylady. Mister Heidemann blieb bisher unsichtbar, wie ich unterstellen darf?« »Dieser Agent wird sich noch am Museum herumtreiben, nehme ich an.« »Oder bereits das Hotel intensiv überwachen, Mylady. Wahrscheinlich werden Mylady und meine bescheidene Wenigkeit schon beschattet.« Sie schaute sich sofort in der großen Hotel-Lobby um, doch sie konnte den zweiten Mann selbstverständlich nicht ausmachen. Als Wachsoldaten verkleidete Narren waren in halber Kompaniestärke eingefallen und lärmten lautstark und fröhlich durch die Gegend. In dieser Menschenmenge hätte man den Mann, der sich Heidemann nannte, unmöglich ausmachen können. Butler Parker glaubte im Gegensatz zu seiner Herrin nicht, daß dieser Mann immer noch am Museum auf Kontakt wartete. Seiner Schätzung nach befand sich Heidemann in der Nähe. Wahrscheinlich wollte er herausfinden, wo Lady Agatha und er abgestiegen waren. »Was haben Sie erbeutet?« wollte sie neugierig wissen und deutete auf die prall gefüllte Reisetasche. »Fotoapparate, Mylady, sowie diverse Kameras«, antwortete der Butler, »die Auswertung der Filme könnte unter Umständen wertvolle Hinweise liefern. Wenn ich vorschlagen darf, sollte man das Hotel jetzt verlassen. Mister Kramer dürfte inzwischen wieder Herr seiner Sinne geworden sein.« »Ich erfahre erst jetzt, daß Sie es ihm gegeben haben?« grollte sie. »Ich sah mich gezwungen, ihn mit meiner Kopfbedeckung ein wenig zu bremsen, Mylady.« »Hoffentlich waren Sie nicht wieder zu höflich, Mister Parker.« »Nachdrücklich, aber auch höflich, Mylady. Die Herren Kramer und Heidemann sehen in Mylady eine Agentin des britischen 23
Geheimdienstes-« »Ich muß darüber nachdenken, ob das als Frechheit gedacht war«, lautete ihre Antwort, »Geheimdienste sind doch längst nicht mehr das, was sie einmal waren.« Sie verließen die Lobby des Hotels und hatten Glück, ein Taxi zu bekommen. Der Wagen war gerade vorgefahren, hatte vier Narren entlassen und konnte Lady Simpson und Parker aufnehmen. In Anbetracht der wirklich schon späten Stunde nannte Parker die Adresse des Hotels, in dem sie wohnten. In seinem Zimmer machte Josuah Parker sich erst mal daran, die Filme aus den Aufnahmeapparaten zu nehmen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er die Kassetten auf dem Tisch liegen hatte. Ihm war klar, daß sie so schnell wie möglich aus dem Haus geschafft werden mußten. Kramer, der Smokingträger aus Bonn, würde alles daransetzen, sie wieder in seinen Besitz zu bringen. Daß man Lady Agatha und ihn bis ins Hotel verfolgt hatte, setzte der Butler voraus. Er gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Gegner zu tief einstufen und setzte stets voraus, daß sie wenigstens genauso verschlungen dachten wie er. Der Butler begab sich mit dem Fahrstuhl in die Hotelhalle und erkundigte sich nach dem Safe. Dann ließ er sich einen großen, steifen Umschlag geben und schritt zu einer der Telefonzellen neben der Rezeption. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, füllte er den Umschlag mit seltsamen Utensilien. Es handelte sich um ein Stück Seife, um einen Aschenbecher, um eine Tube Zahnpasta und um Reklameprospekte, die er aus der Schreibmappe mitgenommen hatte, die in seinem Zimmer ausgelegt worden war. Als er den Umschlag verschloß, sah der Inhalt recht gewichtig aus. Parker trug ihn zur Rezeption und schärfte einem Angestellten ein, das Überbrachte umgehend einzuschließen. Es wurde versiegelt, Parker zeichnete gegen und wartete geduldig, bis der junge Mann zurückkehrte. Nach Übergabe eines ansehnlichen Trinkgeldes fuhr Parker wieder mit dem Fahrstuhl in sein Zimmer. Er hatte eine falsche Spur ausgelegt und hoffte, daß sie angenommen wurde. Die Kassetten aus den Fotoapparaten und Filmkameras packte Josuah Parker in einen Plastikbeutel, den er anschließend an einem Gitterstab des kleinen Balkons befestigte. Der wohlgefüllte Beutel mischte sich mit flatternden Luftschlangen und bunten Girlanden, mit denen die Front des Hotels dekoriert war. Sekunden später war er kaum noch auszumachen. Ì 24
»Darf ich mir erlauben, mich nach Myladys Wohlbefinden zu erkundigen?« fragte Parker am anderen Morgen. »Eine scheußliche Nacht«, grollte sie prompt. »Mylady wurden durch den Lärm der Narren im Schlaf gestört? « »Keine Überraschungen, kein Überfall«, beschwerte sie sich. »Ich möchte wissen, warum die beiden Lümmel nicht erschienen sind, Mister Parker. Haben Sie dafür eine Erklärung?« »Möglicherweise rechneten die Herren Kramer und Heidemann damit, daß man sie erwartete«, erwiderte Josuah Parker, »inzwischen dürften sie wissen, daß Mylady eine äußerst gefährliche Gegnerin ist.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten habe, Mr. Parker!« Sie beruhigte sich ein wenig. »Ob man den Briefumschlag bereits gestohlen hat?« »Dies, Mylady, ließe sich umgehend feststellen.« Parker griff nach dem Telefon und rief die Rezeption des Hotels an. Nach wenigen Minuten legte er wieder auf, wandte sich zu seiner Herrin um und nickte andeutungsweise. »Man bedauert unendlich, Mylady«, berichtete Parker dann, »Der Nacht-Manager des Hotels wurde gegen vier Uhr mittels Waffengewalt gezwungen, den Safe zu öffnen. Der bewußte Um schlag war mitsamt der übrigen Beute verschwunden. Die Hotelleitung ist untröstlich und bittet um eine Aufstellung dessen, was sich im Umschlag befunden hat.« »Das klingt aber doch sehr hübsch«, lobte sie und nickte anerkennend, »man weiß also inzwischen, daß ich die Lümmel hereingelegt habe.« » Es dürfte sich eindeutig darum gehandelt haben, den Umschlag an sich zu bringen, Mylady. Ab sofort ist mit weiteren Aktionen seitens der Gegner zu rechnen.« Parker hörte ein Klopfen an der Tür. Er hatte das Frühstück geordert und Sorge dafür getragen, daß die Lady ihre Diät erhielt. Sie hatte sich wieder mal vorgenommen, energisch gegen ihre mehr als junonische Fülle anzugehen. Parker war vorsichtig, als er die Tür öffnete, ließ die Sicherheitskette eingerastet und sah sich den Etagenkellner genau an. Der Mann machte einen sehr ordentlichen und im besten Sinne des Wortes professionellen Eindruck. Parker hakte die Kette aus und ließ den Mann eintreten, der einen Servierwagen vor sich herschob und mit geübter Geschicklichkeit sich daran machte, das Frühstück auf dem Tisch auszulegen. 25
»Hat Mister Bertram Sie noch erreicht?« erkundigte sich der Butler, während Lady Simpson einen erstaunten Eindruck machte. »Mister Bertram, Sir?« fragte der Etagenkellner. »Der Herr, der Sie angesprochen hat, als Sie aus der Teeküche kamen.« »O ja, Sir.« Der Etagenkellner nickte arglos, »er erkundigte sich nach dem Bahnhof.« »Sehr schön«, Parker reichte dem Mann ein Trinkgeld und deutete auf den Servierwagen, »den Rest werde ich übernehmen.« Er geleitete den Kellner zur Tür und ließ ihn aus dem Doppelzimmer der älteren Dame. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, überprüfte er das Frühstück. Im entging nicht, daß Lady Agatha bereits genußreich schnupperte. Der Kaffee roch köstlich, das Rührei und der kroß gebratene Schinken dufteten verführerisch. Zu dieser kleinen Vorspeise, die als Einstimmung gedacht war, hatte Lady Agatha sich noch ein Filetsteak, eine Wurst- und Käseplatte und schließlich Toast und diverse Marmeladen bestellt. Wie gesagt; sie wollte endlich abnehmen! »Ich hasse lauwarmen Kaffee«, sagte die waschechte Britin und nahm Platz, deutete auf die große Kanne und wartete, daß Parker eingoß. »Darf ich mich erkühnen, Mylady auf Mister Bertram aufmerksam zu machen?« fragte der Butler. »Wer ist Mister Bertram?« wollte sie wissen und griff selbst nach der Kanne. »Jener Herr, Mylady, der den Kaffee möglicherweise ein wenig versetzt hat.« »Was wollen Sie damit sagen?« Sie stellte die Kanne hastig wieder zurück. »Der Etagenkellner wurde eindeutig abgelenkt«, erläuterte Josuah Parker, »dies dürfte Mister Bertram, den kennenzulernen ich noch nicht das Vergnügen hatte, genutzt haben, den Kaffee oder die gesamte Speise zu präparieren.« »Sie... Sie denken doch nicht etwa an einen Mordversuch?« »An einen Betäubungsversuch, Mylady, um wieder das Gesetz des Handelns an sich zu bringen.« »Wenn Sie erlauben, Mylady, möchte ich dazu einige Vorschläge unterbreiten«, gab Parker gemessen zurück. »Mylady möchten den angeblichen Mister Bertram sicher aus nächster Nähe kennenlernen, wie ich unterstellen darf.« »Sie dürfen«, sagte die Detektivin und griff unternehmungslustig 26
nach ihrem perlenbestickten Pompadour. »Sie dürfen mir ein paar Vorschläge machen, aber seien Sie nicht wieder zu zimperlich!« Ì Sie sahen aus wie smarte Jung-Manager und waren modisch gekleidet. Sie trugen dunkelblaue Blazer, dunkelgraue Flanellhosen und dezent gemusterte Hemden und Krawatten. Ihre schwarzen Diplomatenkoffer hätten Zwillinge sein können. Die beiden seriösen Männer, die dreißig Jahre zählen mochten, schritten den Korridor hinunter und blieben vor der Zimmertür der älteren Dame stehen. Einer von ihnen holte einen Nachschlüssel aus der Hosentasche und brauchte nur wenige Sekunden, um das Schloß seiner Funktion zu berauben. Sie konnten sich dieses ungenierte Gebaren leisten, denn sie hatten kurz vorher sowohl im Zimmer der Lady Agatha als auch in dem des Butlers angerufen. In beiden Räumen war nicht abgenommen worden. Sie betraten wie selbstverständlich die Suite der Engländerin, schlossen die Tür hinter sich und betrachteten die Szene. Die stattliche Lady lag wie hingegossen im Sessel. Neben ihrer rechten, herunterhängenden Hand thronte eine Kaffeetasse auf dem Tep pich. Die Dame schnarchte nachdrücklich. Josuah Parker hingegen wahrte selbst im Schlaf noch butlerhafte Haltung. Er saß steil und aufrecht auf seinem Stuhl neben dem kleinen Schreibtisch und schien mit letzter Kraft nach seinem altväterlich gebundenen Regenschirm gegriffen zu haben, doch der Bambusgriff lag nur locker in seiner Hand. »Na, was habe ich gesagt, Kölbel?« fragte der junge Mann, der auf Lady Agatha zuging, »diese K.o. Tropfen sind einmalig.« »Und wie lange wirken die?« »Eine gute Stunde, Kölbel.« »Wir warten – sehr einfach. Dann werden sie uns sagen, was mit Kirchner gewesen ist, Kölbel.« »Wir sind nicht die einzigen, die hinter Kirchner hergewesen sind, Vettler.« »Aber wir sind hier, die anderen müssen erst noch kommen«, erwiderte der Mann, der Vettler hieß. Er verzichtete darauf, die ältere Dame näher zu betrachten, zündete sich eine Zigarette an und nahm auf der Lehne eines zweiten Sessels Platz. »Ob die andere Seite weiß, wo diese beiden Engländer wohnen, 27
Vettler?« »Irgendwann werden sie's schon herausfinden, so schwer kann das ja nicht sein. Die beiden da sind unverwechselbar.« Vettler lächelte ein wenig mokant und deutete auf Lady Agatha und den Butler. »Ich begreife nicht, wie der britische Geheimdienst solche Typen einsetzen kann.« »Und wenn sie wirklich nur harmlose Karnevalsbesucher sind?« »Unsinn, sie sind hinter Kirchner hergewesen. Warum hätten sich Kramer und Heidemann sonst an sie gehängt. Die sind ausgebufft und wissen, wo's längsgeht.« Kölbel zündete sich ebenfalls eine Zigarette an und wanderte nervös durch den Raum. Er blieb plötzlich stehen. »Warum durchsuchen wir nicht die Zimmer, Vettler? fragte er dann. »Wir haben doch Zeit genug.« »Warum sich anstrengen, wenn wir's bald aus erster Hand erfahren?« »Mensch, Vettler, deine Ruhe möchte ich haben.« Kölbel wanderte noch schneller durch den Raum. »Hinter diesem Kirchner aus dem Festsaal sind doch bestimmt ein Dutzend Agenten her. Und hinter den beiden da auch. Können wir sie nicht zurück an Deck bringen? Stellen wir sie doch unter die kalte Dusche!« »Nerven, Kölbel?« mokierte sich Vettler und lächelte überlegen. »Aber gut, damit du beruhigt bist, duschen wir sie! Und dann kannst du...« Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu vollenden. Er fuhr zusammen und quiekte leicht. Dann langte er äußerst vorsichtig nach seiner Kehrseite und ... hielt eine Sekunde später einen strick nadellangen, bunt gefiederten Blasrohrpfeil in der rechten Hand. »Was... Was ist denn das?« fragte Kölbel. Seine Stimme klang ein wenig schrill. »Ein ... Blasrohrpfeil«, erwiderte Vettler entgeistert, »ein Pfeil! Wo... Wo kommt das Ding her?« »Durchs Fenster«, erwiderte Kölbel, »ich hab' dir ja gleich gesagt, daß wir draußen nicht allein unterwegs sind. Los, hauen wir ab, bevor sie uns...« »Durch das Fenster?« Vettler schüttelte den Kopf und warf einen mißtrauischen Blick auf den Butler, der allerdings nach wie vor steif und aufrecht auf dem Stuhl saß. Auch Lady Agatha schnarchte nachdrücklich weiter. Dann aber trübte sich bereits sein Blick. Er litt unter akuten Schwindelgefühlen und kniete wenig später vor seinem Begleiter 28
Kölbel. Dann rollte er sich zur Seite und streckte sich wohlig aus. Kölbel war nicht gerade loyal zu nennen, denn er wollte schleunigst verduften. Er rannte zur Tür, die er aber nicht mehr erreichte. Ein perlenbestickter Pompadour verfolgte ihn und war schneller. Als der Pompadour sich auf seinen Hinterkopf legte, riß es ihm die Beine weg. Myladys >Glücksbringer< im Handbeutel, nämlich das echte Pferdehufeisen, tat seine Wirkung. Der Mann schrammte gut eineinviertel Meter über den Teppich, bevor er ausrollte und liegenblieb. »Schaffen Sie dieses Subjekt unter die Dusche«, sagte Lady Agatha und deutete auf Kölbel, »ich möchte ihn gleich verhören, Mister Parker.« »Wie Mylady wünschen.« Parker verfügte über erstaunliche Kräfte. Mit fast spielerischer Leichtigkeit trug er den Mann, auf dessen Hinterkopf sich eine Beule bildete, ins Bad und setzte ihn in das Duschabteil. Dann drehte er den Kaltwasserhahn auf. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Kölbel hustete und Wasser spuckte. Er riß weit die Augen auf, stöhnte und tastete vorsichtig nach der Beule. »Eine wichtige Information, Mister Kölbel«, sagte Parker, »Mylady ist eine leicht reizbare, ungeduldige Dame, wenn ich darauf verweisen darf. Sie tun gut daran, umgehend und höflich zu antworten, falls Sie auf einen Freiflug verzichten wollen.« »Freiflug?« Kölbel starrte den Butler an und erhob sich vorsichtig, während das eiskalte Wasser weiter auf ihn herunterprasselte. »Ich denke an einen Freiflug vom Balkon aus«, präzisierte der Butler, »ich möchte allerdings darauf verweisen, daß ich Sie keineswegs einem psychologischen Druck aussetze. Sie selbst können entscheiden, wie Sie behandelt werden wollen.« Ì »Ich bin eigentlich nur Mitläufer«, sagte Kölbel hastig, als er vor der Lady stand, »Vettler ist der Chef.« »Papperlapapp, junger Mann«, grollte Agatha Simpson, »kommen Sie mir nicht mit Märchen! Wer ist dieser Leo Kirchner? Antworten Sie möglichst schnell!« »Ein Nachrichtenhändler, Madam«, antwortete Kölbel, »er hatte meinem Chef da auf dem Teppich Material aus Bonn angeboten.« »Ich möchte es deutlicher haben, junger Mann.« »Material aus NATO-Kreisen, Mylady«, redete Kölbel weiter, »um 29
was es sich handelt, weiß ich natürlich nicht. Wie gesagt, ich bin nur Mitläufer.« »Von wem ist Leo Kirchner Ihrer Meinung nach erschossen worden, Mister Kölbel?« schaltete sich der Butler ein. »Wir haben keine Ahnung, Sir«, entgegnete Kölbel, »auch Vettler sieht da nicht klar.« »Hinsichtlich der Herren Kramer und Heidemann sind Sie aber in der Lage, nähere Angaben zu machen, nicht wahr?« »Die... Die waren auch hinter Leo Kirchner her, Sir,« Kölbel gab sich sehr kooperativ. »Ich nehme an, Kirchner versuchte einen besonders guten Preis für sein Material auszuhandeln. Vettler hat das so gedeutet. Wie gesagt, ich bin nur ein Anfänger.« »Für welchen Geheimdienst arbeiten Sie, junger Mann?« Lady Agatha ging zur Balkontür und warf einen Blick nach unten auf die breite, verkehrsreiche Durchgangsstraße. Kölbel mißdeutete diesen Blick und dachte offensichtlich an den Freiflug, vor dem Parker ihn gewarnt hatte. Der Mann bekam einen hochroten Kopf und schluckte. »Geheimdienst?« Kölbel tat überrascht. »Vettler und ich sind Korrespondenten einer Nachrichtenagentur. Journalisten... Wir beliefern Ostblockstaaten. Hören Sie, Vettler und ich haben amtliche Zulassungen. Irgendeinem Geheimdienst gehören wir nicht an, das schwöre ich.« »Nun gut, und für wen arbeiten die Herren Kramer und Heidemann?« fragte Josuah Parker. »Sie sind Ihnen ja nicht unbekannt, wie Mylady soeben zur Kenntnis nehmen konnte, als Sie sich hier im Zimmer ungeniert unterhielten.« »Die beiden Herren arbeiten natürlich ebenfalls für den Ostblock, um es mal pauschal auszudrücken, nicht wahr?« »Das ist richtig, Sir«, bestätigte Kölbel erleichtert. »Zurück zu dem Ermordeten«, sagte Agatha Simpson grimmig, »wo ist seine Wohnung, junger Mann?« »Das weiß ich sogar ganz genau, Mylady. Er wohnt in Bonn, oder nahe bei... Seine Adresse, ich meine die genaue, steht im Telefonbuch.« »Wieviel wollte Ihr Chef für die Unterlagen zahlen, Mister Kölbel?« stellte Parker die nächste Frage. »Darf ich Sie übrigens auf eine interessante Tatsache hinweisen?« »Natürlich... Natürlich.« Kölbel sah den Butler erwartungsvoll an. »Aus welcher Höhe man auch fällt, Mister Kölbel, nur der letzte Meter ist entscheidend für die Landung«, gab Parker höflich 30
Auskunft. »Äh... Ja... Also, ich habe aufgeschnappt, daß Vettler von fünfzigtausend Mark gesprochen hat.« »Sie werden sicher gehört haben, warum Leo Kirchner diese Narrensitzung besuchte«, fragte Parker. »Er hatte sich dort mit Ihnen verabredet.« »Wir waren es tatsächlich«, bestätigte Kölbel sofort und nickte mehr als nachdrücklich, »aber dann tauchten Kramer und Heidemann auf, und wir verloren Kirchner aus den Augen. Ja und dann bekamen wir mit, daß er erschossen worden war.« »Das sollte reichen«, fand Butler Parker und goß Kölbel eine Tasse Kaffee ein, »erfrischen Sie sich ein wenig, Mister Kölbel!« »Nein, danke, keinen Kaffee...« Kölbel bekam wieder einen hochroten Kopf. Er wußte schließlich, daß er chemisch behandelt worden war. »Nun trinken Sie schon, junger Mann«, grollte Agatha Simpson, »wahrscheinlich schmeckt er ausgezeichnet.« Kölbel sah das ironische Funkeln in den Augen seiner Gegnerin und griff zögernd nach der Tasse. Er setzte sie an die Lippen und trank dann hastig die Tasse leer. Danach seufzte er und nahm neben dem am Boden liegenden Vettler in einem Sessel Platz. »Haben Sie den Pfeil auf ihn abgeschossen?« fragte er dann und zeigte auf seinen angeblichen Chef Vettler. Parker hatte den Blasrohrpfeil längst wieder entfernt und in einem der Kleinköcher seines altväterlich gebundenen Regenschirms verschwinden lassen. Er ging auf die Frage von Kölbel nicht ein. Natürlich stammte der stricknadellange, bunt gefiederte Pfeil von ihm. Er hatte ihn durch den hohlen Schirmstock verschossen. Kölbel brauchte nicht zu wissen, daß er als Antriebsmittel komprimierte Kohlensäure benutzte, die sich in einer entsprechenden Patrone oben im Schirm befand. Kölbel war inzwischen auch schon nicht mehr an einer Antwort interessiert. Die K. o. Tropfen im Kaffee taten bereits ihre Wirkung. Kölbel seufzte, schloß versuchsweise die Augen, streckte sich aus und war dann auch schon eingeschlafen. »Und jetzt, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, »was habe ich nun vor?« »Mylady wollen sich weiterhin verfolgen lassen«, behauptete der Butler und untersuchte den Inhalt der schwarzen Aktenkoffer, »Mylady suchen, falls meine Wenigkeit dies richtig verstand, Kontakt zu den Herren Kramer und Heidemann.« 31
»Genau, Mister Parker«, erwiderte die Detektivin, »ich will doch sehr hoffen, daß diese angeblichen Handelsvertreter bereits auf mich warten.« Ì Ihr Wunsch erfüllte sich umgehend. Knapp vor dem Hotel wurden Lady Agatha und Butler Parker von einer Gruppe Ölscheichs erwartet, die lustigabenteuerlich aussahen. Die weiß gewandeten Wüstensöhne schlossen blitzschnell einen Kreis um das Duo aus London. Einer der Scheichs nahm seine Sonnenbrille ab und war prompt als Kramer zu erkennen. »Keine Dummheiten«, sagte er und deutete auf seine Mitscheichs, »alles meine Leute.« »Wir machen nur 'ne kleine Ausfahrt«, sagte ein zweiter Wüstensohn, der nun ebenfalls seine Brille abnahm. Es handelte sich um Heidemann. »Wer kann solch einer Einladung schon widerstehen?« fragte Parker und sah seine Herrin ein wenig zwingend an. Ihr Pompadour war nämlich bereits in leichte Schwingung geraten, doch Parker war an einer tatsächlichen Auseinandersetzung hier vor dem Hotel nicht interessiert. Lady Agatha verstand erfreulicherweise und gab sich ab sofort friedlich. Kramer und Heidemann, die beiden angeblichen Handelsvertreter, führten ihre Gäste zu einem VW-Bus, der links vor dem Hotel stand. Die übrigen vier Scheichs hatten dicht aufgeschlossen und waren bereit, jeden Fluchtversuch im Keim zu ersticken. Lady Simpson und Butler Parker nahmen auf der hinteren Sitzbank des VW-Busses Platz, Kramer und Heidemann davor. Die übrigen Wüstensöhne hatten sich schnell im Wagen verteilt. Einer von ihnen übernahm das Steuer und fädelte sich geschickt in den Verkehr ein. »Wir wußten, daß Sie mit Kölbel und Vettler fertig werden würden«, sagte Kramer und lachte leise. »Es ging noch schneller, als wir dachten«, fügte Heidemann hinzu. »Sie reden von den beiden Journalisten.« Kramer grinste. »Und Sie sind Handelsvertreter, wie man Mylady sagte?« »Auch recht, also Handelsvertreter«, meinte Kramer und grinste noch etwas breiter. »Wollen wir uns nicht über die Filme unterhalten, die Sie unseren Apparaten entnommen haben?« 32
»Waren Sie sehr enttäuscht, als Sie den Inhalt des Umschlags entdeckten?« erkundigte sich der Butler höflich. »Wir hatten uns so was fast schon gedacht«, antworte Heidemann wegwerfend, »aber ich wette, daß wir die Filme bald wieder in der Hand haben werden?« »Sind sie wirklich so wichtig?« wollte Parker wissen. Lady Agatha konnte sich an der Unterhaltung, die in Deutsch geführt wurde, nicht beteiligen. Sie sah auf die Straße und wunderte sich wieder mal über die einheimische Bevölkerung. Vom Zauber des närrischen Treibens war jetzt nichts mehr festzustellen. Die Deutschen schienen in dieser Hinsicht feste Zeiten und Termine einzuhalten. Das Straßenbild war normal-hektisch, abgesehen von den vielen bunten Luftschlangen und Fahnen, die ausgehängt waren. »Von diesen Filmen könnte Ihr Leben abhängen«, fuhr der Handelsvertreter Kramer fort, »Sie werden die Kassetten ja wohl kaum an Kölbel und Vettler weitergegeben haben, oder?« »Sie blieben schlafend in Myladys Suite zurück«, antwortete Josuah Parker, »wahrscheinlich werden sie später über die Ermordung des Mister Leo Kirchner meditieren.« »Seit wann sind Sie hinter Kirchner hergewesen?« fragte Heidemann. »Das Zusammentreffen mit dem Sterbenden sollten Sie als reinen Zufall betrachten«, schlug der Butler vor. Er hatte mitbekommen, daß man den Rhein überquerte und die Stadt verließ. »Und Sie und die alte Dame gehören natürlich auch nicht dem britischen Geheimdienst an, wie?« spottete Kramer. »Keineswegs und mitnichten«, erwiderte Josuah Parker, »Sie vertreten doch auch nicht den Staatssicherheitsdienst irgendeines Ostblocklandes, oder?« »Aber nein.« Kramer lachte breit. »Wir sind nur Journalisten, die an einem besonders tollen Stoff interessiert sind.« »Und den Sie uns jetzt verschaffen werden«, fügte Heidemann hinzu. »Sie werden ganz schnell mit der Wahrheit herausrücken. Wir haben da nämlich unsere speziellen Methoden.« Ì Die Fahrt über die Autobahn dauerte höchstens eine halbe Stunde. Der VW-Bus bog dann ab und fuhr über eine schmale, gut ausgebaute Straße, die sich durch ein Tal schlängelte, dessen Flanken dicht bewaldet waren. Immer wieder waren hübsche Fach 33
werkhäuser zu sehen, Wiesen, kleine Felder und vor allen Dingen Waldstücke. Das Fieber des rheinischen Karnevals hatte sich auch hier ausgebreitet. Die Häuser waren durchweg bunt geschmückt. Und immer wieder traten vor allen Dingen Jugendliche im Kostüm auf. Ihre bevorzugte Verkleidung schien die des Cowboys zu sein. Der VW-Bus bog in ein noch engeres Tal ab, wurde dann über eine steile Straße zur Flanke eines bewaldeten Hügels gesteuert und hielt plötzlich hinter einem Fachwerkhaus, dessen grüne Fensterläden geschlossen waren. »Hier sind wir ganz unter uns«, sagte Kramer, als er ausstieg. »Bis wir uns einig sind«, meinte Heidemann und lächelte kalt..»Ich bin ehrlich gespannt, wie lange Sie das durchstehen werden.« Lady Agatha schaute sich neugierig um, als man sie ins Haus führte. Parker schien für seine Umgebung keinen Blick zu haben. Er war die Würde und Distanz in Person. Der große Wohnraum war nur spärlich eingerichtet. Kramer deutete auf einfache Gartenstühle, und Lady Agatha nahm Platz. Der Butler baute sich schräg hinter ihr auf. Kramer und Heidemann erteilten den vier übrigen Wüstensöhnen Befehle. Zwei von ihnen verließen den kalten Raum. »Der Keller ist verdammt feucht«, sagte Kramer zur Lady. Er bemühte sich um ein passables Englisch. »Warum wollen Sie sich 'ne Lungenentzündung holen, Lady? Warum sagen Sie uns nicht, wo das Zeug ist, das Leo Kirchner bei sich hatte?« »Und warum sagen Sie uns ferner nicht, wo die Filmkassetten sind?« fügte Heidemann hinzu. »Angenommen, Mylady könnte sich erinnern«, schickte Josuah Parker voraus, »was würde in solch einem Fall mit Mylady geschehen?« »Überhaupt nichts, Sie und die Dame können sofort wieder gehen.« Kramer sah den Butler treuherzig an. »Mylady weiß im Grund bereits zuviel, Mylady kennt immerhin den Namen des Mister Leo Kirchner.« »Kirchner hat ausgespielt, er ist schließlich tot«, sagte Heidemann, »es wäre natürlich gut, wenn Sie und die Lady nach London zurückfliegen würden. Sie sollten an Ihre Gesundheit denken.« »Nun gut, ich glaube in Myladys Sinn zu sprechen, wenn ich auf Ihr Angebot eingehe«, schickte Parker voraus, »erlauben Sie, daß ich in meine Jackettasche greife?« 34
»Solange Sie nicht versuchen, uns aufs Kreuz zu legen, haben wir nichts dagegen.« Kramer zeigte Interesse, Heidemann beugte sich vor. Josuah Parker langte vorsichtig in die Außentasche seines schwarzen Zweireihers und holte den kleinen, flachen Ta schenrechner hervor. Er reichte ihn Kramer, der hastig zugriff. »Was soll das?« fragte Heidemann mißtrauisch. »Dieser Taschenrechner entglitt der Hand des sterbenden Mister Leo Kirchner«, erläuterte der Butler. »Ich möchte bereits an dieser Stelle einfügen, daß es meine bescheidene Wenigkeit sehr überraschte, daß ein dem Tod Geweihter sich noch die Zeit nahm, mit einem Taschen-Computer zu arbeiten.« Kramer und Heidemann, die angeblichen Handelsvertreter, tuschelten leise miteinander und untersuchten den Taschenrechner. Parker hoffte, daß die beiden Experten auf den Speichervermerk stoßen würden. Es war seiner Ansicht nach nicht gerade sinnvoll, die Männer darauf aufmerksam zu machen. Sie mußten von sich aus auf diese Eingabe stoßen. Es dauerte eine Weile, bis Heidemann endlich die Erleuchtung kam. Er tuschelte noch eifriger mit seinem Partner, während die vier übrigen Scheichs das Duo aus England scharf bewachten. Die Söhne der Wüste zeigten inzwischen sehr ungeniert ihre Schußwaffen. »Wo haben Sie den Taschenrechner gefunden?« fragte Kramer dann und wandte sich an den Butler. »Neben der Hand des Verschiedenen«, antwortete der Butler gemessen. »Und? Haben Sie das Ding hier nicht länger untersucht? « »Mylady geht davon aus, daß sich im Innern des Rechners vielleicht Unterlagen befinden«, sagte Parker, »Mylady als Autorin von Krimis denkt da an einen Mikrofilm, eine Möglichkeit, die auch ich in Betracht ziehen möchte.« Kramer ging zurück zu seinem Partner Heidemann. Die beiden Männer bauten sich in einer Ecke des Raumes auf und spielten weiter mit dem Taschenrechner. Dann nickten sie sich gegenseitig zu und machten einen sehr zufriedenen Eindruck. »Runter in den Keller«, kommandierte Kramer und deutete auf Lady Agatha und den Butler Parker. Die Wüstensöhne scharten sich um das Duo aus London und führten es über eine steile Holztreppe in einen feuchten Keller. An Gegenwehr war nicht mehr zu denken, die Schußwaffen redeten ihre eigene, bedrohliche Sprache. Ì 35
Was werde ich jetzt tun, Mister Parker?« fragte die Lady ärgerlich und schaute sich in dem niedrigen Raum um. Etwas Licht fiel durch einen langgestreckten Schacht. Es war kalt, die Steinplatten auf dem Boden schienen mit einem Kühlaggregat in Verbindung zu stehen. »Der Aufenthalt wird nicht lange dauern, Mylady«, erwiderte Parker, »die Herren Kramer und Heidemann werden bald herausgefunden haben, daß sie es nicht mit Mitgliedern des britischen Geheimdienstes zu tun haben.« »Ich werde mir hier Rheuma holen«, grollte die ältere Dame, »warum haben Sie den Taschenrechner nicht schon in Köln weitergegeben?« »Mylady mögen entschuldigen, er schien mir unwichtig zu sein.« »Schnickschnack, Mister Parker, er konnte nicht unwichtig sein, sonst hätte der Sterbende ihn nicht in der Hand gehabt.« »Und dann die Sache mit den Filmkassetten, Mister Parker«, entrüstete sich die ältere Dame weiter, »mußten Sie diese Kassetten unbedingt verstecken?« »Eine Art Zwangsreaktion, wie ich bekennen möchte, Mylady.« »Sagen Sie diesen Wüstenleuten, wo die Kassetten sind, Mister Parker! Ich möchte endlich wieder unbeschwert feiern können. Wo haben Sie die Kassetten eigentlich versteckt?« »Hinter den Kacheln der eingebauten Badewanne, Mylady.« »Rufen Sie diese Leute, Mister Parker, und sagen Sie, wo die Filmkassetten sind. Ich möchte hier weg... Ich habe bereits kalte Füße.« Parker pochte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms gegen die schwere Holztür, doch hinter ihr rührte sich nichts. Parker verdoppelte seine Anstrengungen, aber auch weiterhin ohne jeden Erfolg. »Diese scheußlichen Leute werden doch nicht etwa schon weggefahren sein?« fragte die Detektivin. »Dann müßte man sich in der Tat auf eine gewisse Wartezeit einrichten, Mylady.« »Und wenn man uns hier vergißt, Mister Parker? Absichtlich oder aus . Nachlässigkeit?« »Die Tür macht leider einen ungemein soliden Eindruck, Mylady.« »Ich werde hier vielleicht verhungern und verdursten...« »Darf ich darauf verweisen, daß die Herren Kramer und Heidemann unbedingt noch mal zurückkommen müssen, Mylady?« »Warum sollten sie?« Ihre Stimme klang ärgerlich und hoffnungslos zugleich. 36
»Wegen der besagten Filmkassetten, Mylady. Man will doch schließlich wissen, wo sie von meiner Wenigkeit versteckt worden sind.« Es dauerte etwa zehn Minuten, bis der Motor eines Autos zu hören war. Die Geräusche verebbten schnell. Es herrschte schon bald wieder unheimliche Stille im feuchten Keller. »Sollten sie alle wirklich weg sein, Mister Parker?« fragte Lady Agatha. Ihre Stimme klang bestürzt. »Es hat den Anschein, Mylady«, antworte der Butler, »erstaunlich, daß man sich nicht nach den Filmkassetten erkundigte.« Während Parker diese Feststellung traf, hielt er bereits einen seiner Patent-Kugelschreiber in der rechten Hand. Er näherte sich damit dem Schloß der soliden Tür und schob die Spitze des Schreibgerätes in die Schließöffnung. Dann drehte er die obere Hälfte gegen die untere und trat schnell einige Schritte zurück, er wandte sich ab und schützte seine Augen. Lady Agatha folgte diesem Beispiel unaufgefordert, denn sie kannte das Geheimnis des Kugelschreibers. Nach wenigen Sekunden wurde das Schreibgerät zu einer Art Thermitlanze im Kleinstformat. Mit grellem Schein fraß sich eine Ladung durch das Eisen und erhitzte es bis zum Schmelzpunkt. Tropfen glühenden und flüssigen Eisens fielen auf die Steinplatten. Die Rauchentwicklung war beachtlich. Dieser Vorgang dauerte nur knapp drei Minuten, dann existierte das Schloß bereits nicht mehr. Es hatte sich restlos verformt und befand sich in einem noch zähen, plastischen Zustand. Parker nutzte die Möglichkeit und .trat mit dem rechten Fuß blitzschnell gegen das Schloß. Es reagierte umgehend, sprang aus dem Holz und ließ die Tür aufschwingen. Parker eilte in den kleinen Vorflur und baute sich seitlich neben der Treppe auf. Er hörte über sich bereits schnelle Schritte, dann Stimmen. Sekunden später war das erste Beinpaar auf der steilen Treppe zu sehen. Josuah Parker benutzte den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms, um die Trittfestigkeit des herunterkommenden Mannes ins Wanken zu bringen... Ì »Dies dürfte das Gerät sein, mit dem man Myladys Gespräch mit
meiner Wenigkeit abhörte«, sagte der Butler und deutete auf ein
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kleines Transistorradio. »Ich wußte natürlich sofort, daß man unten im Keller eine >Wanze< angebracht hatte«, sagte sie, »gut, daß Sie mich sofort verstanden haben, Mister Parker, als ich mich naiv stellte.« »Myladys Weitsicht zahlten sich wieder einmal aus«, sagte Parker würdevoll zurück, obwohl er es gewesen war, der seine Herrin durch einen entsprechenden Blick gewarnt hatte. »Und jetzt werden sich einige Subjekte wundern«, meinte sie unternehmungslustig, »wie geht es den beiden Scheichs?« »Sie dürften inzwischen den Schock des Treppenabsturzes schon überwunden haben, Mylady.« Parker ging in einen angrenzenden Raum und schaffte die beiden Scheichnachbildungen herein. Sie waren gefesselt und machten immer noch einen irritierten und verstörten Eindruck. »Mylady ist der deutschen Sprache nicht mächtig«, schickte Parker voraus, »ich habe also Gelegenheit, Sie eindringlich zu warnen, meine Herren. Mylady ist berühmt dafür, Geständnisse zu erzielen. Berüchtigt wäre übrigens das passende Wort, wie ich sagen möchte.« Wie auf ein Stichwort hin zog Lady Agatha eine der Hutnadeln aus ihrer aparten Kopfbedeckung. Diese Hutnadel hätte es fast mit einem kleinen Bratspieß aufnehmen können, so lang war sie und nadelscharf. »Bitte reden Sie möglichst schnell«, beschwor Parker die beiden Wüstensöhne eindringlich, »ich möchte gestehen und einräumen, daß ich das erstickte Stöhnen und Schreien von Myladys Opfern schon nicht mehr hören und ertragen kann. Bitte, reden Sie!« »Was... Was will sie wissen?« fragte der erste Mann hastig. Er schielte nach der Hutnadel. »Wo wohnen Kramer und Heidemann? Wo befindet sich die Handelsfirma?« »In Bonn«, sagte der Wüstensohn sofort, »da ist die Firma und da ist auch das Lager.« »Und in Frankfurt haben wir noch 'ne Filiale«, fügte der zweite Mann hastig hinzu. »Über die genauen Adressen werden wir uns später unterhalten«, schlug Josuah Parker vor, »womit handeln die Herren Kramer und Heidemann?« »Mit Fotoapparaten und Werkzeugmaschinen.« »Alles Zeug aus dem Ostblock«, erklärte der zweite Mann ungefragt und schien von der Hutnadel fasziniert zu sein. Seine 38
Augen waren weit geöffnet, sein Atem ging hastig. »Wie viele Angestellte haben die Herren Kramer und Heidemann?« wollte Parker wissen. »Wir sind sechs Leute, ohne die beiden Chefs«, gab der erste Scheich Auskunft, »drei arbeiten in Frankfurt, drei in Bonn...« »Und wie schätzen Sie die Umsätze?« »Die sind bestens«, antwortete der zweite Scheich, »wir haben viel zu tun.« »Und warum zog man Sie jetzt in Köln zusammen?« »Wir... Wir wollten Karneval feiern.« »Und weshalb tragen Sie dann Schußwaffen, wenn man fragen darf?« »Kramer und Heidemann hatten sie ausgegeben, Sir«, sagte der erste falsche Wüstensohn gehorsam, »ja, und wir müssen ja mitmischen, wenn die Chefs das wollen.« «Sie hätten selbstverständlich niemals auf Mylady und auf meine Wenigkeit geschossen?« »Niemals«, erklärten sie im Chor und lächelten so harmlos wie möglich. »Wo ist die >Wanze< unten im Keller angebracht?« wollte Parker abschließend noch wissen. »Hinter dem Gitter vom Lichtschacht«, sagte der zweite Wüsten sohn. »Was geschieht jetzt mit uns? fragte der erste Mann nervös. »Was halten Sie davon, wenn man Sie in der kleinen Räucherkammer des Hauses unterbringt?« schlug der Butler vor. »Da... Da wird uns kaum einer finden«, sorgte sich der erste Mann sofort. »Dann sollten Sie von Ihren Stimmen Gebrauch machen«, meinte Parker, »bevor ich Sie jedoch hinüberbemühe, möchte ich mir Ihre originellen Kostüme leihen. Sie dürften im Augenblick recht angebracht und nützlich sein. Ach ja, wo in Köln ist Ihre Firma abgestiegen? Diese Adresse möchte Mylady noch in jedem Fall in Erfahrung bringen!« Parker bekam die betreffende Adresse. Ì »Sie sind ja noch schneller zurück, als ich erwartet habe«, sagte der Rotschopf, der im Augenblick allerdings dunkelbraunes Haar trug, was besser zu ihm paßte. Er lächelte und erhob sich aus dem 39
Sessel. »Sind Sie nicht der Flegel, der mich verfolgt hat?« erkundigte sich die ältere Dame grollend. »Und der mit einer Portion Senf behandelt wurde«, meinte der Mann, der etwa vierzig Jahre zählte und einen normalen grauen Anzug trug. »Kann Mylady davon ausgehen, daß Sie ein Mitglied des hiesigen Geheimdienstes sind?« fragte Parker höflich. »Sie können, Mister Parker«, erklärte der ehemalige Rotschopf, »aber bitte, stellen Sie dazu keine weiteren Fragen... Ich würde doch nicht ehrlich antworten.« Der Mann sprach inzwischen ein sehr gutes Englisch, fast ohne Akzent. Er hatte zwar eine Art Dutzendgesicht, doch aufmerksame Augen und ein energisches Kinn, wenn man genauer hinsah. »Sie sind...?« fragte Lady Agatha interessiert. »Paul Baumann«, lautete die Antwort, »ein Allerweltsname«. »Sie sind hinter Leo Kirchner hergewesen, Mister Baumann?« wollte der Butler wissen. »Er ist leider ermordet worden, bevor wir eingreifen konnten«, berichtete Baumann wie selbstverständlich, »im Gedränge, das im Festsaal herrschte, war es eine Kleinigkeit für den Täter. Er hat selbstverständlich einen Schalldämpfer benutzt, wie Sie sich denken können.« »Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wer der Mörder sein könnte?« fragte Parker. »Weder Kramer noch Heidemann, noch Kölbel oder Vettler«, entgegnete Peter Baumann, der ehemalige Rotschopf, »nein, nein, wir sehen da noch nicht klar.« »Könnten Mylady oder meine bescheidene Person in einen gewissen Verdacht geraten?« fragte Parker höflich. »Ich darf daran erinnern, daß Mylady und meine Wenigkeit in unmittelbarer Nähe des Sterbenden waren.« »Wir wissen längst, wer Sie sind.« Peter Baumann schmunzelte. »Unsere Kollegen vom britischen Geheimdienst haben uns ein Licht aufgesteckt. Offen gesagt, ich bin froh, daß Sie per Zufall in diese Agentengeschichte geraten sind. Es geschah doch zufällig, oder?« »Junger Mann, ich wollte mir diesen rheinischen Frohsinn mal aus der Nähe ansehen«, sagte Lady Agatha, »aber gegen einen hübschen Kriminalfall habe ich nichts einzuwenden. Wußten Sie und Ihre Leute, wohin man mich gebracht hatte?« »Selbstverständlich, Mylady«, gestand Peter Baumann, »ich war 40
gespannt, wie lange Sie für die Rückkehr brauchen würden.« »Ihre Männer haben den VW-Bus also beobachtet?« Agatha Simpsons Stimme grollte ein wenig. »Ununterbrochen, Mylady«, lautete Baumanns Antwort, »inzwischen sind die beiden Leute aus der Räucherkammer geholt worden. Sie haben vor Freude und Dankbarkeit fast geweint.« »Und was ist mit den Herren Kramer und Heidemann und Kölbel, Vettler, Mister Baumann?« fragte der Butler. »Stehen weiterhin unter Beobachtung, Mister Parker. Wir lassen sie an der langen Leine laufen...« »Es sind Agenten des Ostblocks, nicht wahr?« vergewisserte Agatha Simpson sich umgehend. »Im weitesten Sinn des Wortes, Mylady«, pflichtete Baumann ihr sofort bei, »möglich, daß sie von einer einzigen Zentrale gelenkt werden, es kann aber auch sein, daß sie für verschiedene Geheimdienste arbeiten.« »Es geht um NATO-Geheimnisse, Mister Baumann?« Parker spielte einen Moment mit dem Gedanken, vom Taschenrechner und der Speichereingabe zu reden, entschied sich aber dann, dies erst mal zu unterschlagen. Gehörte dieser Peter Baumann tatsächlich dem hiesigen Geheimdienst an? »Leo Kirchner, Sie wissen, der Mann, der im Festsaal ermordet wurde, war eine Art privater Nachrichtenhändler«, schickte Peter Baumann voraus und tat alles, um Vertrauen zu erwecken, »was genau er verkaufen wollte, wissen wir leider nicht.« »Wieso beschatteten Sie ihn dann?« fragte Lady Agatha umge hend. »Er war uns schon seit längerer Zeit verdächtig, Mylady«, bekannte der deutsche Geheimagent, »aber bisher konnten wir ihn nie schlüssig überführen. Leo Kirchner war ein vorsichtiger Mann.« »Und von wem bezog er seine Geheimnisse, Sir, wenn man fragen darf?« »Auch da sehen wir leider noch immer nicht klar«, blieb Peter Baumann hartnäckig, »aber vielleicht können Sie uns jetzt entscheidend weiterhelfen. Sie waren bei dem sterbenden Kirchner. Hat er Ihnen noch etwas sagen oder zustecken können? Gibt es etwas, was neue Spuren bringt? Wir sind dankbar für den kleinsten Hinweis.« »Erhielt ich einen Hinweis, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin sicherheitshalber beim Butler. »Sie müssen etwas gesagt haben, nachdem man Sie ins Bergische 41
entführt hatte«, warf der deutsche Geheimagent ein, »anders kann ich mir sonst die schnelle Rückfahrt von Kramer und Heidemann nicht erklären. Sie müssen einen Tip gegeben haben.« »Waren Sie hier in Myladys Suite?« fragte Parker, ohne auf den Hinweis einzugehen. Sehen Sie sich doch um, Mister Parker! Man hat vor allen Dingen das Bad völlig auf den Kopf gestellt.« »Verständlicherweise, Sir, meine Wenigkeit behauptete, hinter den Kacheln der Wanne sei das versteckt, was der verblichene Mr. Kirchner Mylady zuschob. Es handelte sich selbstverständlich um eine kleine Notlüge, um Zeit zu gewinnen.« »Leo Kirchner muß aber etwas bei sich gehabt haben«, beharrte Peter Baumann, ohne auf Parkers Ausrede einzugehen, »er wollte während der Sitzung sein Material verkaufen. Dieses Material kann unmöglich verschwunden sein.« »Woher wollen Sie denn das so genau wissen?« warf die ältere Dame ein. »Unter uns gesagt, Mylady, wir hörten sein Telefon ab«, meinte Peter Baumann wie selbstverständlich, »mit richterlichem Einverständnis ließ sich das leicht bewerkstelligen.« »Wie groß oder schwer könnte dieses Material gewesen sein?« fragte Lady Agatha beharrlich weiter. »Hätte Leo Kirchner es am Körper mit sich tragen können?« »Natürlich, Mylady, wenn man nur an Mikrofilme denkt. Sie haben also wirklich nichts gefunden?« »In solch einem Fall, Mister Baumann, würde man Ihnen diesen Fund sofort überstellen«,versicherte der Butler gemessen, »aber leider muß ich erneut versichern, daß Mister Leo Kirchner weder etwas zu sagen vermochte, bevor er das Zeitliche segnete, noch die Gelegenheit hatte, Mylady oder meiner bescheidenen Wenigkeit etwas zu übergeben.« »Wo kann man Sie erreichen, Mister Baumann?« erkundigte sich die ältere Dame. »Unter einer Deckadresse hier in Köln«, lautete die Antwort. »Ich habe mir ein Zimmer gemietet, von wo aus ich Kirchner beschattete. Wenn Sie sich die Telefonnummer vielleicht aufschreiben wollen?« »Sie brauchen Sie mir nur zu nennen, Sir«, antwortete der Butler, »mein Gedächtnis wird Ihre Telefonnummer sofort speichern, wie ich versichern darf.« Ì 42
»Was halte ich von diesem Mister Baumann, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wenig später wissen. »Ein mit Sicherheit äußerst fähiger Mann, Mylady«, sagte Parker. Er stand vor dem Schreibtisch in der Suite seiner Herrin und schrieb ein paar Worte auf einen Zettel, der von einem Notizblock stammte. Als Unterlage benutzte er die harte Tischplatte, um auf dem Notizblock keinen Abdruck zu hinterlassen. Dann reichte er der Detektivin den Zettel. Sie räusperte sich, nachdem sie den Text überflogen hatte. Parker teilte ihr mit, daß mit der Installation von Abhörgeräten hier in der Suite zu rechnen war. Anschließend nahm er den Zettel wieder an sich und verbrannte ihn in einem Aschenbecher. Die Glimmreste wollte er später in der Toilette fortspülen. Parker war ein äußerst vorsichtiger Mensch, der jedes unnötige Risiko mied. »Mylady, gestatten, daß ich Myladys Meinung teile«, schickte Josuah Parker voraus, »in Anbetracht dieser Tatsache sollte man vielleicht die bisher geübte Zurückhaltung ein wenig aufgeben.« »Und was schlagen Sie vor, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen. »Man sollte Mister Baumann mitteilen, Mylady, daß die Herren Kramer und Heidemann den bewußten Taschenrechner erhielten.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen. Ich bin einverstanden.« »Man sollte weiterhin bekennen, Mylady, daß die Herren Kölbel und Vettler die besagten Filmkassetten erhielten.« Agatha Simpson wußte, daß dies nicht der Fall war und lächelte unergründlich, als Parker diese Behauptung aufstellte. Falls die Unterhaltung mitgeschnitten wurde, würde Baumann sehr aktiv werden und viel zu tun haben. »Auch mit diesem Vorschlag bin ich einverstanden«, sagte die Detektivin, »wollen wir uns aus diesem Fall zurückziehen?« »Mylady sind am rheinischen Karneval nicht interessiert, obgleich die sogenannten drei tollen Tage erst noch gefeiert werden?« »Ich habe keine Lust, mich mit Geheimagenten herumzuschlagen, Mister Parker. Alle Welt glaubt, daß ich im Besitz von Informationen bin, die mir dieser Leo Kirchner angeblich zugesteckt haben soll. So etwas kann sehr lästig werden.« »Wobei anzumerken wäre, Mylady, daß Kirchners vager Hinweis auf den Präsidiumstisch im Festsaal wohl kaum von Bedeutung sein kann.« Die ältere Dame stutzte und begriff dann, daß Parker eine weitere Fährte auslegte. Agatha Simpson amüsierte sich köstlich. 43
»War es wirklich nur ein vager Hinweis?« Sie griff nur zu gern diesen Faden auf. »Warum spricht ein Sterbender von einem Präsidiumstisch, Mister Parker?« »Eine verständliche Verwirrung der Sinne, Mylady.« »Möglich, Mister Parker. Und was Köln betrifft, so möchte ich die drei tollen Tage auf jeden Fall erleben. Gibt es da nicht einen Bauer und eine Jungfrau?« »In der Tat, Mylady, falls die Erklärungen im Reiseführer richtig sind, woran man wohl nicht zweifeln sollte. Ich darf vermerken, daß auch die erwähnte Jungfrau von einem Mann dargestellt wird.« »Erstaunlich! Diese Deutschen überraschen mich immer wieder.« »Mylady, darf ich meiner Überraschung Ausdruck verleihen?« »Falls Sie nicht übertreiben, Mister Parker.« »Sprach der sterbende Mister Leo Kirchner nicht auch von einer Jungfrau?« »Das war doch wohl mehr religiös gemeint, Mister Parker«, erwiderte sie streng. »Es könnte aber auch ein sehr konkreter Hinweis gewesen sein, Mylady, wenn ich dies mal so andeuten darf.« »Konkret und weltlich?« Lady Agatha hatte Mühe, ein aufsteigendes Lachen zu unterdrücken. Sie dachte rechtzeitig an raffiniert installierte Abhörgeräte. »Er sprach von der kleinen Jungfrau, Mister Parker... Ich erinnere mich jetzt wieder genau. Wer könnte das sein?« »Wenn Sie erlauben, Mylady, sollte man dies eruieren«? antwortete der Butler, »bis zum Höhepunkt des hiesigen Karnevals verbleiben noch einige Tage, die man entsprechend nutzen könnte.« Ì »Jetzt bin ich doch gespannt, Mister Parker, wie viele >Wanzen< man in meiner Suite installiert hat,« sagte Lady Simpson eine Stunde später. Es ging auf Mitternacht zu. Das Duo aus London hatte das Hotel verlassen und sich von einem Taxi in die Nähe des Festsaales bringen lassen. Um jeden Verdacht auszuräumen und etwaige Beobachter zu täuschen, betraten die ältere Dame und ihr Butler ein großes Kaufhaus, in dem ameisenhaftes Gewimmel herrschte. Es gab ein recht sicheres Mittel, mögliche Verfolger auszumachen. Lady Agatha schritt energisch in die Abteilung für weibliche Wäsche, und der Butler folgte wie selbstverständlich. Es machte ihm 44
nichts aus, daß man sich immer wieder erstaunt-verdutzt nach ihm umdrehte. Die Kauflustigen in diesem großen Warenhaus wußten nicht, ob seine Aufmachung mit dem Karneval zu tun hatte, oder ob es sich um einen wirklichen Butler aus England handelte. »Haben Sie bereits etwas festgestellt?« fragte Agatha Simpson, bevor sie sich bedienen ließ. »Mylady sollten davon ausgehen, daß wenigstens drei Personen Mylady unauffällig zu folgen trachten«, gab Parker zurück, »wahrscheinlich hat jede Gruppe einen Beschatter angesetzt.« »Sehr hübsch und aufmerksam«, lobte sie. »Daraus könnte man schlußfolgern, daß sämtliche Beteiligten je eine >Wanze< in der Suite zurückließen, nämlich die Herren Kramer und Heidemann, dann die Herren Kölbel und Vettler, sowie Mister Peter Baumann.« »Dann wird man sich ja gleich im Festsaal treffen, nicht wahr?« »Es könnte dort recht turbulent zugehen, Mylady.« »Das möchte ich mir aus der Nähe ansehen, Mister Parker. Arrangieren Sie das, ja?« »Myladys Wunsch ist mir Befehl. Wenn Sie sich vielleicht noch ein wenig gedulden würden?« Parker ging hinter einem Ständer in Deckung, der mit Morgenmänteln vollhing . Er griff nach seiner zusammenlegbaren Gabelschleuder, setzte sie mit wenigen Handgriffen zusammen und griff in eine der Westentaschen. Er entschied sich diesmal für leicht gebrannte Tonmurmeln, die höchstens eine kleine Beule hinterlie ßen. Dann visierte er den ersten der drei Verfolger an. Der Mann war rundlich, untersetzt und vielleicht fünfzig Jahre alt. Er trug eine Plastiktüte und machte einen sehr unauffälligen Eindruck. Dies änderte sich allerdings schnell, als er von der Tonmurmel auf der rechten Kopfseite getroffen wurde. Er erlitt augenblicklich einen mittleren Schwindelanfall, verlor sein Gleichgewicht und rutschte in einen Garderobenständer, der mit Damennachthemden behängt war. Die beiden anderen Männer grinsten über dieses Mißgeschick und genossen offensichtlich die Panne ihres Konkurrenten. Doch Josuah Parker hatte inzwischen die zweite und auch dritte Tonmurmel auf die Reise geschickt. Der zweite, etwa vierzigjährige, schlanke und mittelgroße Mann legte sich über eine Glasvitrine, die seinem Gewicht nicht gewachsen war. Sie stürzte um, ging aus den Fugen und splitterte. Der Mann wurde augenblicklich mit recht extravaganten Ohrgehängen und 45
Schmuckketten dekoriert. Er merkte davon jedoch nichts, denn er kämpfte verzweifelt gegen einen Schwindelanfall an, der dann doch stärker war als er. Der dritte Mann erregte noch größeres Aufsehen. Am Hinterkopf getroffen, ging er erst mal in die Knie und drückte sich wieder hoch, verlor aber die Orientierung. »Wohin will er denn?« fragte Lady Agatha ironisch. Der Getroffene schien plötzlich stark angetrunken zu sein. Er taumelte auf Puddingbeinen direkt in Richtung einiger Umkleidekabinen, um dann in einer von ihnen zu verschwinden. Er blieb allerdings nicht lange. Verfolgt von einer sehr fülligen Dame, die nur ein Mieder trug, tauchte er wieder auf und wurde von einem Kleiderbügel mißhandelt, den die Resolute in der rechten Hand hielt. Sie schaffte ihn mit Leichtigkeit und schickte den vermeintlichen Sittenstrolch dann mit wuchtig geführtem Schlag zu Boden. Dabei riß der betäubte Mann die schlagfertige Gegnerin mit sich, die empört quiekte und kurzerhand ihre Fäuste einsetzte. »Es wäre an der Zeit, Mylady, das Feld zu räumen«, schlug Josuah Parker höflich vor, »die Verfolger dürften nun den Anschluß mit letzter Sicherheit verpassen.« Ì Parkers Spezialbesteck brauchte etwa anderthalb Minuten, bis das Türschloß auf weiteren Widerstand verzichtete und nachgab. Der Butler lüftete höflich die schwarze Melone und übernahm die Führung. Als Lady Simpson im Treppenhaus stand, schloß Parker wieder die Tür und schritt auf eine Steintreppe zu. Lady Agatha stellte keine Fragen. Sie folgte dem Butler bedingungslos und hoffte, auf ihre Kosten zu kommen. Falls Parkers Überlegung stimmte, befänden sich im jetzt leeren Festsaal drei konkurrierende Agentengruppen, die wild und versessen darauf waren, den Präsidiumstisch in seine Bestandteile zu zerlegen. Lady Agatha war's zufrieden. Parker hatte sie auf einen Seitenbalkon geführt und drückte einen Klappsitz hinunter. Die Detektivin nahm Platz und hob ihre Stielbrille vor die Augen. Durch die Lorgnette beobachtete sie drei Männer, die roh und brutal die Dekoration von dem langen Tisch rissen, hinter dem normalerweise das Festkomitee saß. »Mister Baumann leitet das Unternehmen«, sagte Parker leise zu seiner Herrin, »er steht dort drüben in der seitlichen Dekoration.« 46
»Seine Leute geben sich große Mühe«, erwiderte sie leise. »Und merken nicht, daß sie wohl gleich nachhaltig gestört werden«, kündigte Parker an und deutete mit der schwarz behandschuhten Hand nach hinten in den Saal. Lady Agatha beobachtete durch die Stielbrille vier Männer, die sich vorsichtig an die Bühne pirschten. Da es im Saal nicht gerade hell war, konnte man die Neuankömmlinge nicht sehen. »Die Herren Kramer und Heidemann«, stellte Parker vor, »auch sie haben demnach eine >Wanze< eingesetzt.« »Sehen Sie doch, Mister Parker!« Agatha Simpson freute sich wie ein reich beschenktes Kind. Sie hatte eine weitere Gruppe von Männern ausgemacht, die aus einem unteren Seitenausgang kam. »Die Herren Kölbel und Vettler«, sagte Parker, »gleich dürfte es zu einer intensiven, harten Begegnung kommen.« Er versprach nicht zuviel. Die beiden Gruppen hatten sich der Bühne genähert und stürmten sie. Dort oben erst traf man aufeinander, stutzte ein wenig und schritt dann energisch zur Tat. Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück und genoß dieses Schauspiel. Die Männer auf der Bühne schenkten sich nichts. Aus verständlichen Gründen verzichteten sie auf Schußwaffen. Sie verließen sich lieber auf ihr Spezialtraining und benutzten ihre Handkanten und Füße. Es zeigte sich, daß sie alle einen fast gleichhohen Ausbildungsstand aufwiesen. Sie droschen aufeinander ein, traktierten sich mit Fußtritten, ächzten, stöhnten, stießen Schreie aus und gingen wechselweise zu Boden, um dann wieder aufzustehen und sich voll einzusetzen. Auch die diversen Anführer der Gruppen beteiligten sich an diesem Nahkampf und gingen ihren Männern mit gutem Beispiel voran. Man krachte in die Dekorationen, die sich selbständig machten und nach unten rauschten. Man zertrümmerte Tische, den vergoldeten und hochlehnigen Stuhl des Festpräsidenten, man zerschlug Tische und Stühle, zerfetzte Tischdecken und dekorierte sich mit dem reich vorhandenen Blumenschmuck, den es auf der Bühne gab. Nach knapp fünf Minuten war von der festlichen Dekoration nichts mehr zu erkennen. Das Podium hatte sich in ein wildes Chaos verwandelt. Parkers Hinweis, von diversen >Wanzen< übertragen, trug reiche Früchte. Lady Simpson reagierte spontan. 47
Als das Kampfgetümmel sich beruhigte, applaudierte sie nachdrücklich. Parker trat an die Brüstung der Seitenloge und hob feierlich und höflich seine schwarze Melone. »Mylady möchte sich herzlichst für diese Privatvorführung bedanken«, rief er dann mit sonorer Stimme hinunter. »Mylady ist angetan von der recht guten Ausbildung der Herren, schlägt jedoch vor, den Nahkampf noch ein wenig intensiver zu üben.« Auf der weiten Bühne herrschte schlagartig Ruhe. Die Männer keuchten vor Anstrengung und machten das Duo aus London in der Seitenloge aus. Dann ertönte ein Wut- und Rachegeheul, das den großen Festsaal füllte. Man sah sich jedoch außerstande, die Bühne schnell zu verlassen, um die beiden Beobachter der Szene festzu halten. Die Blessuren waren doch recht intensiv ausgefallen. Es reichte gerade noch zu einem allgemeinen Humpeln. Ì Josuah Parker hatte die Filmkassette der Herren Kramer und Heidemann aus dem Gewirr der Luftschlangen am Balkon hochgezogen und verließ das Hotel, um sie entwickeln zu lassen. Er trug seinen schwarzen Covercoat, in dessen Taschen sich das belichtete Material befand. Lady Agatha war im Hotelzimmer geblieben und wollte mit Angehörigen in London telefonieren. Es drängte sie, Kathy Porter und Mike Rander über das zu informieren, was sie inzwischen im närrischen Köln erlebt hatte. Es war früher Nachmittag geworden. Auf den Straßen waren bereits wieder die ersten kostümierten Menschen zu sehen, die den vielen Festsitzungen zustrebten, die bald begannen. Vor Antritt der Reise nach Köln hatte der Butler sich gründlich informiert. Ihm war inzwischen bekannt, daß schon vor dem eigentlichen Tag der Tage die Profi-Humoristen von Sitzung zu Sitzung eilten, um dort ihren närrischen Verpflichtungen nachzukommen. Diese Sitzungen begannen teilweise schon am frühen Nachmittag und fanden an den Abenden ihre Wiederholung. Der Humor in dieser traditionsreichen Stadt machte eindeutig Überstunden. Butler Parker vergewisserte sich, ob er verfolgt wurde. Er wollte die bewußten Filmkassetten so schnell wie möglich auf den regulären Postweg bringen. Das Ziel dieser Sendung war Bonn, genauer gesagt, ein Mann, der in der deutschen Bundeshauptstadt wohnte und arbeitete. Er war ein guter Bekannter Agatha Simpsons 48
und Journalist, der für verschiedene Londoner Zeitungen berichtete und in seiner Wohnung eine eigenes Filmlabor besaß. Parker betrat eine Telefonzelle und rief diesen Mann an. Erfreulicherweise meldete er sich sofort und war nur zu gern bereit, Lady Simpson einen Gefallen zu erweisen. »Ist sie wieder in einen Kriminalfall verwickelt, Mister Parker?« erkundigte er sich. Selbstverständlich wußte dieser Mann namens Smitters sehr gut, welche Rolle Parker in diesen Fällen spielte. »Es dürfte sich allem Anschein nach um eine Agentensache handeln, Sir«, antwortete der Butler, »hinter dem Filmmaterial, das an Sie abgeschickt werden wird, sind einige Ostagenten her, wenn ich es mal so volkstümlich ausdrücken darf.« »Machen Sie sich keine Sorgen, Mister Parker, das werde ich überleben«, antwortete Smitters und lachte leise, »aber die Story gehört mir, wenn der Fall aufgeklärt ist.« »Genau dies, Sir, soll ich Ihnen von Mylady ausdrücklich versichern«, gab der Butler zurück. »Könnten Sie möglicherweise herauszufinden trachten, wer ein gewisser Leo Kirchner ist? Er müßte im Bonner Telefonbuch verzeichnet sein und wurde gestern während einer Karnevalssitzung hier in Köln ermordet.« »Moment mal, da ist was auf meinem Tisch gelandet... Klar, habe ich vom Ticker geliefert bekommen... Nur eine kurze, nichtssagende Notiz.« »Deren Inhalt von höchster Brisanz sein dürfte, Sir. Darf ich mir gestatten, eine nachdrückliche Warnung auszusprechen? Bitte, schalten Sie sich nicht ein, es könnte scharf geschossen werden!« »Wo erreiche ich Sie, Mister Parker?« Der Butler nannte das Hotel, in dem Lady Agatha und er wohnten. Er wechselte noch einige Höflichkeiten mit Smitters, legte auf und ging weiter in Richtung Postamt. Unterwegs blieb er immer wieder vor einem der vielen Schaufenster stehen und hielt diskret Ausschau nach Verfolgern. Gerade nach der Massenschlägerei im Festsaal mußten die drei >Wanzen-Installateure< wissen, daß sie von Profis genarrt worden waren. Sie wußten jetzt also genau, an wen sie sich auch weiterhin zu halten hatten, wenn sie das Geheimnis um den ermordeten Leo Kirchner aufklären wollten. Parker vermochte nichts festzustellen, auch seine innere Alarmanlage meldete sich nicht, auf die er sich stets verlassen konnte. Parker fand das Postamt, das er sich von einem Passanten hatte zeigen lassen und erstand hier ein Faltpaket, in das er die diversen Filmkassetten legte. Er verschnürte es mit der beigefügten 49
Schnur, adressierte es und gab es auf. Als der Beamte es wog, merkte Parker plötzlich, daß er beobachtet wurde. Er spürte die prüfenden Blicke fast körperlich, wandte sich wie zufällig ein wenig um und verglich die Uhrzeit. Er sah zur Wanduhr, zog seine alte, zwiebelförmig aussehende Taschenuhr und musterte dann unauffällig die junge Frau, die vor einem Schreibpult saß und ein Formular ausfüllte. Sie mochte etwa dreißig sein, hatte dunkelbraunes Haar mit einigen blonden Strähnen und trug einen einfachen, dunkelblauen Stoffmantel, unter dem ein Kostüm zu sehen war. Natürlich hatte sie mitbekommen, daß er ein Päckchen gepackt und abgegeben hatte. Parker war mit dieser Entwicklung gar nicht einverstanden. Ihm war zwar bekannt, wie solide und unbestechlich die deutsche Post war, aber er wußte auch, wie man solch eine korrekte Behörde hintergehen konnte, falls man sich nicht an die Gesetze hielt. Er beschloß, Kontakt mit dieser Dame aufzunehmen... Ì »Ich wußte, daß Sie mich bemerken würden, Mister Parker«, sagte sie eine Viertelstunde später. Sie hatte vorgeschlagen, in einem nahem Cafe mit ihm eine Tasse Kaffee zu trinken. Ihr Englisch war perfekt. »Ich möchte davon ausgehen, daß ich Sie viel zu spät bemerkt habe«, antwortete der Butler höflich, »seit wann stehe ich unter Ihrer Beobachtung? Wie darf ich Sie übrigens anreden?« »Joan Milford«, sagte sie, »ich bin Amerikanerin, lebe seit vielen Jahren in England und hier am Rhein. Ich bin übrigens froh, daß Sie mich einfach angesprochen haben, Mister Parker, das dürfte verschiedene Dinge doch sehr erleichtern.« »Darf ich höflichst noch mal fragen, seit wann Sie Lady Simpson und meine Wenigkeit beobachten?« »Seit dem Vorfall während der Festsitzung, Mister Parker.« »Ich möchte nicht versäumen, Ihnen meinen Respekt zu bekunden, Miß Milford. Ich muß Sie bisher übersehen haben.« »Kein Wunder bei den vielen Narren, die die Straßen bevölkern.« »Sie hatten sich ursprünglich um Leo Kirchner gekümmert?« »Auf ihn war ich angesetzt worden, Mister Parker.« Sie nickte und sah ihn völlig unbefangen an. »Darf ich daraus schließen, daß Sie für eine Behörde arbeiten, Miß Milford?« 50
»Für den amerikanischen Geheimdienst.« Sie sagte es mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. »Wir wissen, daß Leo Kirchner streng geheimes NATO-Material an den Ostblock verkaufen wollte. Dieses Material ist leider verschwunden.« »Ihre Offenheit ist das, was ich als herzerfrischend bezeichnen möchte.« »Sie würden es früher oder später ja doch herausfinden, Mister Parker. Wir wissen, wer Sie und Lady Simpson sind.« »Reine Amateure, die sich aus Passion mit normalen Kriminalfällen befassen, Miß Milford.« »Und jetzt von Agenten gejagt werden.« »Auch das ist Ihnen bekannt?« »Ich arbeite natürlich nicht allein«, redete sie unbefangen weiter. »Sie wissen ja, wie so etwas gehandhabt wird. Sie haben eben ein Päckchen aufgegeben?« »Das hoffentlich nicht gestohlen wird.« »Es wird unmöglich das gewesen sein, was Kirchner weiterverkaufen wollte, Mister Parker. Er dürfte sein Material kaum auf Filmkassetten abgelichtet haben. Vergessen Sie nicht, daß Kirchner die NATO-Unterlagen während der Festsitzung weitergeben wollte. Wir denken an einen Mikrofilm...« »Den Sie im Besitz der Lady Simpson vermuten, Miß Milford?« »In Ihrem Besitz, Mister Parker!« Sie lächelte. »Wir wissen auch, daß Sie solche Unterlagen niemals an den Osten verkaufen würden. Das gilt selbstverständlich auch für Lady Simpson.« »Darf man erfahren, wie brisant diese Unterlagen eigentlich sind, Miß Milford?« »Es handelt sich um Alarmpläne für den Krisenfall, die den gesamten NATO-Bereich umfassen. Kämen sie in die falschen Hände, müßte man in Brüssel alles neu planen. Sie können sich vorstellen, daß das Monate dauern würde.« »Wie konnte Leo Kirchner an diese Unterlagen heran? Sie werden verstehen, daß dies meiner bescheidenen Wenigkeit unverständlich ist.« »Die Erklärung ist banal genug, Mister Parker: Ein hoher NATOOffzier wurde erpreßt.« »Wurde er bereits verhaftet, Miß Milford?« »Aber nein, Mister Parker. Man läßt ihn an der langen Leine laufen. Nach dem Tod von Leo Kirchner wird man sich erneut an ihn wenden und wieder unter Druck setzen. Man braucht ja schließlich Ersatzmaterial.« 51
»Sie haben Lady Simpson und meine Wenigkeit beschattet«, stellte der Butler noch mal fest, »ich muß gestehen, daß ich Sie übersehen habe.« »Ich war ganz in Ihrer Nähe, als Sie den sterbenden Kirchner untersuchten.« »Sie müssen über eine perfekte Tarnung verfügt haben, Miß Milford.« «Ich war als Jungfrau kostümiert.« Sie lachte. »Wird diese Rolle hier in Köln nicht von einem Mann gespielt?« »Als eiserne Jungfrau, Mister Parker«, korrigierte sie, »können Sie sich darunter etwas vorstellen?« »Waren das nicht mittelalterliche Foltergeräte, Miß Milford?« »Wir nennen uns >Eiserne JungfrauenWanze< installiert?« Parker schmunzelte in sich hinein. 53
»Ja, was dachten denn Sie, Mister Parker!?« Joan Milford sah ihn fast empört an. »Aber Sie waren doch nicht im Festsaal, wie ich feststellen konnte.« »Aber wir haben diese verrückte Massenprügelei beobachtet«, meinte sie, »wir ahnten gleich, daß Sie von den >Wanzen< wußten und absichtlich falsche Spuren auslegten. Kommen Sie mir also nicht mit diesem Taschenrechner! Auch das war doch nur Ohrfutter für die Abhörer. Warum sollte Leo Kirchner einen Taschenrechner bei sich gehabt haben?« »Ich fühle mich durchschaut, Miß Milford«, gestand Josuah Parker, »eine Jungfrau Ihres Formats scheint man nicht täuschen zu können.« »So! Mister Parker, jetzt sind Sie an der Reihe!« Sie deutete auf das Postamt. »Meine Freunde werden Sie nicht aus den Augen lassen. Sie sollten an die Colts denken. In – sagen wir – zehn Minuten müßten Sie mit dem Päckchen wieder hier auf der Straße sein. Ach, noch etwas: Die beiden Hinterausgänge des Amtes werden selbstverständlich überwacht. Falls Sie flüchten wollen, wird scharf geschossen!« »Sie machen mir nicht das Vergnügen, mich zu begleiten, Miß Milford?« »Das besorgt dieser Cowboy hier.« Sie deutete auf einen der drei Männer, »er zieht schneller als ich und zielt auch besser...« Ì Josuah Parker verhandelte mit dem Mann hinter dem Schalter, wies sich aus und bat um Rückgabe des Päckchens. Gewiß, man erinnerte sich, ihn eben erst gesehen und abgefertigt zu haben, doch es ergaben sich gewisse Schwierigkeiten, wie Parker vorausgesehen hatte. So ohne weiteres wollte man das Päckchen nicht wieder her ausgeben. Es befand sich bereits, wie man Parker geduldig erklärte, auf dem sogenannten postalischen Weg. Parker legte seinen altväterlich gebundenen UniversalRegenschirm auf die Abfertigungstheke und sah zu dem Cowboy hinüber, der neben einem Schreibpult stand und ein Faltblatt studierte. Der Mann war gut und gern drei bis vier Meter von Parker entfernt und fühlte sich sicher. Parker korrigierte die Spitze seines Schirms, ließ sie ein wenig nach rechts rutschen und wartete dann auf den richtigen Zeitpunkt. 54
Der Cowboy, der ihn bisher beobachtet hatte, widmete sich wieder seinem Faltblatt und schien nicht zu wissen, daß dieser doch recht betagt und abgegriffen aussehende Regenschirm eine Art Wun derwaffe darstellte. Die Jungfrau namens Joan Milford hatte sich wohl doch nicht umfassend über Josuah Parker informiert. Der Dienststellenleiter erschien am Schalter und rollte den Fall von höherer Warte auf. Parker erklärte noch mal geduldig sein Begehren und ... löste den Blasrohrpfeil. Die komprimierte Kohlensäure trieb den stricknadellangen, bunt gefiederten Pfeil durch den durchbohrten Schirmstock und setzte ihn in den Handrücken des sichtlich verdutzten Cowboys. Der Mann zuckte nicht nur zusammen, er war auch ein wenig geschockt, wie deutlich zu erkennen war. Mit einem Pfeil hatte er keineswegs gerechnet. Er wollte nach seinem tief geschnallten und auch bestimmt echten Colt greifen, doch die Muskeln waren blockiert. »Sie haben sich verletzt?« fragte Parker, war erstaunlich schnell bei dem Cowboy und hatte aus einer der vielen Westentaschen einen Zerstäuber hervorgeholt, wie er von der pharmazeutischen Industrie angeboten wird. Der Butler drückte auf den Auslöser und versorgte den leicht stöhnenden Cowboy mit einem Spray. Der Begleiter der Jungfrau hüstelte leicht, schielte zur Decke hoch und lächelte selig. Ihn erfaßte euphorische Stimmung. Er merkte nicht, wie Parker den Blasrohrpfeil wieder an sich brachte, um ihn im Kleinköcher der Schirmfalten verschwinden zu lassen. Er setzte sich und gähnte ausgiebig. »Sie fühlen sich nicht wohl?« fragte Parker und ließ erst mal den Colt aus der Halfter verschwinden. »Alles bestens«, erwiderte der Mann auf Englisch, »Was ist mit meiner Hand los? War da nicht ein Pfeil...?« »Sicher eine optische Täuschung. Wo kann ich Miß Milford erreichen, Sir? Es ist dringend und wichtig.« Der Cowboy genierte sich nicht, eine Adresse zu nennen, gähnte noch mal und war dann auch schon eingeschlafen. Einige Postbeamte kamen aus einer bisher verschlossenen Seitentür und kümmerten sich um den Mann, den sie für ohnmächtig hielten. Parker nutzte die Gelegenheit, diese Tür zu öffnen und sich in den hinteren Räumen umzusehen. Er brauchte nur wenige Minuten, bis er sein Päckchen entdeckt hatte. Er nahm es an sich und nutzte die Gunst der Situation. Während die hilfreichen Postler sich weiterhin um den schlafenden 55
Cowboy kümmerten, schlitzte Parker mit einem Taschenmesser den Boden des Päckchens auf und nahm die Filmkassetten wieder an sich. Dann füllte er es wieder auf und benutzte dazu zwei Leimtöpfe, die auf einem Abfertigungstisch standen. Er drückte die Schnittstelle zu und kniffte die Kanten fest. Dann trug er sein Päckchen zurück nach vorn in die Schalterhalle. Der Vorsteher des Amtes kam ihm eiligst entgegen. »Hören Sie, das geht aber nicht...« »Was ist wichtiger?« fragte Parker und deutete auf den Cowboy, »wollen Sie einem Sterbenden die Hilfe verweigern, nur weil Sie sich an Vorschriften klammern wollen?« Der Mann entschied sich für die Hilfe und rannte zu einem Telefon. Parker aber verließ gemessen das Postamt und sah die Jungfrau namens Joan Milford. Sie stand neben einem parkenden Wagen und streckte automatisch ihre Arme aus, als Parker ihr das Päckchen zuwarf. Sie riskierte einen kurzen Blick auf Absender und Adresse, glitt in den Wagen und fuhr los. Ì »Und die übrigen Narren?« erkundigte sich Lady Agatha, als Parker diesen Punkt seiner Erzählung erreicht hatte. »Die beiden anderen Cowboys werden zu Fuß das sprichwörtliche Weite gesucht haben, Mylady. Der dritte Cowboy wurde von einem Rettungswagen abgeholt.« »Gehört diese Joan Milford tatsächlich dem amerikanischen Geheimdienst an?« wollte die Detektivin wissen. »Man würde ihre Zugehörigkeit zu dieser Organisation leugnen, Mylady«, antwortete der Butler, »entsprechende Nachforschungen oder Fragen werden wohl kaum wahrheitsgemäß beantwortet werden.« »Was die Methoden betrifft, so könnte die Dame tatsächlich zu diesen Geheimdienstamateuren gehören«, meinte die Detektivin abfällig, »schon allein diese Wild-West-Methoden deuten darauf hin, Mister Parker. Was geschieht jetzt mit den Filmkassetten? Ich möchte endlich wissen, was auf den Streifen zu sehen ist.« Lady Simpson und Butler Parker hielten sich in der Lobby des Hotels auf, wo sie sich abhörsicher unterhalten konnten. Sie wußten, daß ihre Hotelzimmer noch immer >verwanzt< waren. »Ihr Einverständnis voraussetzend, Mylady, habe ich mir erlaubt, die Kassetten bereits wegzugeben«, beantwortete der Butler die 56
Frage der älteren Dame, »Sie befinden sich inzwischen in der Obhut eines großen deutschen Versandunternehmens und dürften in drei Tagen entwickelt zur Verfügung stehen.« »Ist das auch sicher? Wurden Sie nicht schon wieder beschattet?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war dies nicht der Fall, Mylady. Der Quittungsstreifen für die Rückforderung des Bildmaterials ist bei der Bahnhofspost unter meinem bescheidenen Namen jederzeit abzuholen.« »Hoffentlich bringen die Aufnahmen mich weiter«, gab Lady Agatha zurück, »und was ist jetzt mit der Nummer, die ich im Taschenrechner entdeckt habe?« »Ein sehr hilfreicher Hinweis, Mylady. Wenn Sie erlauben, werde ich diese gespeicherte Nummer sofort anrufen.« Er lüftete höflich die schwarze Melone, durchquerte die Lobby, dann die eigentliche Hotelhalle und belegte eine Telefonzelle. Aus seinem Gedächtnis rief er die dort gespeicherte sechsstellige Nummer an und drehte dementsprechend die Wählerscheibe. Ein Freizeichen war zu vernehmen, dann wurde abgehoben. »Ja, bitte?« fragte eine Frauenstimme. »Firma Stadtler und Bensing?« Parker bemühte sich, seinem Deutsch einen rheinischen Beiklang zu verleihen, »hören Sie, ich habe doch vorgestern ganz eindeutig ...« »Nein, nein, Sie sind falsch verbunden«, unterbrach die Frauenstimme. »Stadtler und Bensing?« wiederholte Parker noch mal. »Nein, nein, Sie sprechen mit der Firma Party-Service Werra.« »Party-Service Werra?« Parker schaffte es mit Leichtigkeit, Überraschung in seine Stimme zu bringen, »nein, ich dachte Stadtler und Bensing hätte ich... Entschuldigen Sie, dann muß ich falsch gewählt haben!« Er legte auf und kam gemessen zu Lady Agatha zurück, die ihn fragend anschaute. »Was stelle ich mir denn darunter vor?« fragte sie, als Parker berichtet hatte. »Sind Sie sicher, daß man nichts gemerkt hat?« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich bemühte, unverdächtig zu erscheinen.« »Warum drückt ein Sterbender die Telefonnummer eines PartyService in einen Taschenrechner, Mister Parker? Ich bitte um eine Erklärung.« »Darauf, Mylady, vermag ich zur Zeit keine Antwort zu geben, aber man sollte diesem Betrieb möglicherweise einen Besuch 57
abstatten.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen. Mister Parker. Wir wollen keine Zeit verplempern.« »Vielleicht könnten Mylady noch einen Moment warten«, antwortete der Butler, »darf ich vermelden und ankündigen, daß dort einige Narren erscheinen, die offensichtlich nicht bester Stimmung sind?« Sie wandte sich natürlich völlig ungeniert um und nahm die vier Personen in Augenschein, die schnurstracks zur Sitzgruppe marschierten. Sie trugen Smokings, waren mit närrischen Orden behängt und hatten Narrenkappen mit wippenden Fasanenfedern auf den Köpfen. Ì »Darf ich noch mal vorstellen, Mylady? Die Herren Kramer, Heidemann, Kölbel und Vettler«, sagte Parker, der sich höflich erhoben hatte. Er deutete auf die Sessel in der Nische. »Die Handelsvertreter haben sich mit den Journalisten zusammengetan«, meinte die ältere Dame süffisant, »arbeiten Sie jetzt gemeinsam?« »Ich rede für meine Freunde hier«, sagte der untersetzte Krämer, während er zusammen mit den anderen drei Männern Platz nahm, »Mylady, zugegeben, bisher haben Sie uns in Atem gehalten und auch verblüfft, das will ich nicht abstreiten, aber ab sofort haben Sie es mit uns allen zu tun.« »Darf Mylady davon ausgehen, daß man Sie gleichgeschaltet hat?« warf Josuah Parker ein. »Nennen Sie es von mir aus so, Mister Parker. Gleichgeschaltet... Okay, das paßt sogar. Ich bin ermächtigt, Ihnen ein letztes, faires Angebot zu unterbreiten.« »Wie haben die Herren das Intermezzo im leeren Festsaal überstanden?« erkundigte sich Parker. »Damit haben Sie genau das geschafft, was Sie jetzt vor sich haben, Mister Parker: Wir ziehen an einem Strang, wir verzichten auf Alleingänge. Wollen Sie unser Angebot nun hören?« Kramer sprach ein gutes Englisch, und auch die übrigen drei Männer schienen sich in dieser Sprache bestens auszukennen. »Nun reden Sie schon endlich, junger Mann«, meinte Lady Agatha fast ungeduldig. »Fünfzigtausend für Kirchners Material, Mylady«, sagte Kramer, 58
»fünfzigtausend, oder Sie werden diesen Karneval in Köln nicht überleben!« »Das war deutlich«, erwiderte sie erfreut, »ich schätze eine offene Sprache. Wer garantiert mir, daß man mich überhaupt leben läßt, ob ich das Material nun übergebe oder nicht?« »Dafür verbürge ich mich.« »Sie alle sind doch Todesnarren«, gab sie zurück, »Sie passen in diesen Trubel...« »Wir bluffen nicht, Mylady«, versuchte Kramer eindringlich zu werden. »Was ich bei Kirchner fand, habe ich bereits weitergegeben.« »Sie meinen diesen Taschenrechner?« Kramer lachte auf. »Wissen Sie, was da eingespeichert worden war?« »Sie sind die Spezialisten, nicht ich, junger Mann.« »Das war die Telefonnummer eines Restaurants, Mylady, in dem es Hamburger gibt.« »Hoffentlich hat es Ihnen dort geschmeckt.« »Wir können Hamburger schon nicht mehr sehen und riechen, Mylady. Und wir sind sicher, daß Sie oder Mister Parker da eine falsche Telefonnummer eingetippt haben.« »Haben Sie den bewußten Taschenrechner nicht einer eingehenden Untersuchung unterzogen?« schaltete sich der Butler höflich ein. »Das Ding ist völlig auseinandergerupft worden, Mister Parker«, antwortete Kramer gereizt, »nichts, aber auch rein gar nichts...« »Kein Mikrofilm?« staunte Agatha Simpson vergnügt. »Dann wären wir ja wohl nicht hier, Mylady«, erwiderte Kramer wütend, »Sie haben unser Angebot gehört. Wir geben Ihnen Zeit bis zum Rosenmontagszug!« »Ist Ihnen eigentlich bewußt, meine Herren, daß Sie observiert werden?« fragte Parker und deutete mit der Schirmspitze in Richtung Hotelhalle. »Natürlich ist der deutsche Geheimdienst hinter uns her, wenn schon...« Kramer winkte ab. »Natürlich bemühen auch die Amerikaner sich um Kirchners Material... Und der britische Geheimdienst selbstverständlich auch. Warum wären Sie sonst hier?« »Falls Mylady die gesuchten Unterlagen besäße, Mister Kramer, wäre Mylady längst wieder in London« stellte Parker höflich fest. »Sie wissen, wo das Material ist, aber Sie kommen nicht an das Versteck«, entgegnete Kramer, »Sie wissen, daß jeder Ihrer Schritte 59
genau überwacht wird.« »Haben Sie keine Sorge, Mister Kramer, daß man Mylady und meine Wenigkeit überrascht, falls man das Versteck der Unterlagen aufsucht?« »Sie reden von den westlichen Geheimdiensten?« »In der Tat, Mister Kramer! Selbst diese zwanglose Plauderei hier dürfte doch intensiv zur Kenntnis genommen werden. Fürchten Sie nicht um Ihr Inkognito?« »Zum Teufel, in dieser verrückten Geheimdienstbranche kennt doch jeder jeden«, meinte Kramer nicht unrichtig, »natürlich werden wir beobachtet, aber was spielt das noch für eine Rolle. Denken Sie an meine Warnung! Fünfzigtausend oder der Tod!« »Ich möchte mal was sagen«, ließ Kölbel sich vernehmen, der bisher die konkurrierende Gruppe geleitet hatte. »Während der tollen Tage in Köln haben Sie keine Chance, sich absetzen zu können. Wir sind überall. Denken Sie an die vielen verkleideten Narren! Jeder von ihnen könnte der Mann sein, der auf Sie anlegt...« »Die Sache mit dem Taschenrechner war doch nur ein Trick, nicht wahr?« fragte Kramer und lächelte wissend, »Sie wollten uns damit auf eine falsche Fährte locken, oder?« »Dadurch kamen Sie immerhin in den Genuß, Mister Kramer, zusammen mit Ihren Todesnarren ausgiebig Hamburger genießen zu können«, erwiderte Josuah Parker würdevoll. »Schon allein deshalb sollte man Sie umlegen«, lautete die mürrische, aber auch ein wenig ironische Antwort des Agenten. »Sie wissen also, was anliegt. Beeilen Sie sich! Unsere Todesnarren, um mal bei diesem Begriff zu bleiben, warten nur darauf, tätig werden zu können..« Ì Es war dunkel geworden. Josuah Parker saß am Steuer eines Mietwagens und fuhr durch die Stadt. Er hatte sich entschieden, hinaus ins Bergische zu fahren, um seine Verfolger an der Nase herumzuführen. Lady Agatha hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen und drehte sich wiederholt ungeniert um. »Welche Wagen sind es nun, Mister Parker?« fragte sie. »Es handelt sich um einen Ford, Mylady, dann um einen Mercedes und schließlich um einen Alfa Romeo«, antwortete Parker, »die 60
Mitglieder der westlichen und östlichen Geheimdienste folgen dichtauf und beteiligen sich an dieser Agenten-Rallye.« »Sehr albern, diese jungen Leute«, meinte Lady Agatha, »rechnen sie nicht mit meinem Mißtrauen?« »Durchaus, Mylady, aber man will wohl psychologischen Druck ausüben.« »Druck können diese Lümmel bekommen, Mister Parker. Ich hoffe, Sie haben alle Vorbereitungen getroffen.« »Mylady können sich auf meine Wenigkeit fest verlassen.« »Ist dieser Wagen auch wirklich schnell genug?« »Es handelt sich im übertragenen Sinn um eine kleine Rakete, Mylady, wenn ich es so umschreiben darf. Dieser Golf verfügt weit über hundert Pferdestärken.« Parker hatte den Wagen gemietet und vor Antritt der Fahrt noch einige kleine Einkäufe getätigt. Ihm war immer bewußt gewesen, daß er dabei scharf beobachtet wurde. Die Einkäufe waren also recht unverfänglich ausgefallen. In eine Plastiktüte befanden sich einige Großflaschen, die mit Wermut gefüllt waren. Parker kam es na türlich nicht auf den Inhalt an, sondern auf das Glas. Darüber hinaus hatte der Butler noch einige Blechdosen mit Olivenöl erstanden und eine Großpackung Feinwaschmittel. Parker sah in den Rückspiegel. Die Türme des bereits angestrahlten Kölner Doms kamen langsam außer Sicht, der Verkehr dünnte sich aus. Parker blieb bei einer mittleren Geschwindigkeit, um dann aber plötzlich wieder zu beschleunigen. Auf diese einfache Art und Weise filterte er immer wieder die verfolgenden Fahrzeuge aus. Er hatte sich nicht getäuscht. Es waren ein Ford, ein Mercedes und ein Alfa, die hartnäckig auf der Ferse blieben. Vor Antritt der Fahrt hatte Josuah Parker sich sehr die entsprechende Autokarte angesehen. Er wußte, wann er die Autobahn verlassen mußte. Er wollte die Verfolger in eine dünn be siedelte Gegend lotsen, um sie hier außer Gefecht zu setzen. Der geplante Besuch beim Party-Service sollte schließlich unbeobachtet vorgenommen werden. Parker war gespannt, wer die Sylvia Werra war, die sich am Telefon gemeldet hatte. »Diese einfältigen Narren«, stellte Lady Agatha fest, »sie müssen doch längst gemerkt haben, daß sie sich gegenseitig verfolgen.« »Einfältig durchaus, Mylady», antwortete Parker, »aber sie sind auch bereit, sich gegenseitig niederzuschießen. Die Unterlagen des erschossenen Mister Kirchner müssen in der Tat sehr wichtig sein.« 61
Parker deutete auf eine große Hinweistafel und erklärte der Detektivin, sie müsse mit einem plötzlichen Verlassen der Autobahn rechnen. «Legen Sie diese Lümmel nur ordentlich herein«, verlangte sie unternehmungslustig, »sie sollen Blut und Wasser schwitzen, Mister Parker.« Der Butler steigerte die Geschwindigkeit des Golfs und veranlaßte die Verfolger, ihrerseits die diversen Gaspedale durchzudrücken. Der kleine Wagen besaß tatsächlich die Schubkraft einer kleinen, aber leistungsfähigen Rakete. Lady Agatha wurde tief in den Sitz gedrückt und war beeindruckt. »Das wäre ein hübscher Einkaufswagen für mich, Mister Parker«, stellte sie fest, »erinnern Sie mich daran, so etwas zu kaufen. Was machen unsere drei Verfolger?« »Sie holen inzwischen wieder auf, Mylady, nachdem sie sich von ihrer ersten Verblüffung erholt haben.« Josuah Parker war recht angetan davon, daß die Autobahn hier relativ leer war. Er überholte einige Wagen, beschleunigte noch weiter und näherte sich mit wirklich hoher Geschwindigkeit der nächsten Ausfahrt. Nichts deutete darauf hin, daß er abzubiegen gedachte. Die drei Verfolger hatten inzwischen zu ihm aufgeschlossen und rechneten ganz sicher nicht mit solch einem gefährlichen Manöver. Parker war ein erstklassiger Fahrer. Er hatte die Abfahrt fast schon passiert, als er voll auf das Bremspedal trat. Die Reifen quietschten, der Wagen schlingerte ein wenig. Parker stellte den Wagen quer, kuppelte aus und schwenkte dann mit Zurückkuppeln und Gasgeben den Golf in bester RallyeManier gerade in die Ausfahrt. Die Fahrer der drei verfolgenden Wagen versuchten es ihm nachzutun, doch sie reagierten zu spät. Sie schossen im wahrsten Sinn des Wortes über das Ziel hinaus, bremsten aber nun ebenfalls mehr als scharf und hatten alle Hände voll zu tun, um ihre Wagen unter Kontrolle zu halten. »Sehr hübsch, Mister Parker«, stellte die ältere Dame fest, »Sie haben mir eine Menge abgeguckt.« »In der Tat, Mylady«, räumte Josuah Parker sofort ein, »wenngleich ich bekennen möchte, daß ich Myladys Fahrstil noch nicht beherrsche. Sie warf ihm einen mißtrauischen Blick zu und verzichtete darauf, dieses Thema zu vertiefen. Sie dachte an ihren ramponiert 62
aussehenden Land-Rover in London, der schon manche Kollision hinter sich gebracht hatte, weil sie ein wenig forsch fuhr. Parker schaute in den Rückspiegel. Die drei Wagen standen inzwischen auf der Standspur hinter der Abfahrt und wurden zurückgesetzt, was zwar gegen die Regeln verstieß, für die Fahrer aber notwendig war, wenn sie den verlorenen Anschluß nicht endgültig verpassen wollten. Parker beschleunigte bereits wieder und jagte den kleinen Golf über eine ansteigende, kurvenreiche Straße auf ein Waldstück zu. Vor der letzten Biegung sah er sich noch mal um. Die drei Wagen rasten durch die Abfahrt und machten sich weiter an die Verfolgung. Butler Parker griff nach der Plastiktüte und machte sich bereit, seine >Scherben-Bomben< zu werfen. Die Verfolger sollten gleich hinter der Biegung dort ihre Überraschung erleben... Ì Die drei Wermutflaschen zerschellten auf dem Asphalt und verwandelten sich in tückische Scherben. Parker hatte die Großraumflaschen aus dem Wagenfenster geworfen, wischte um die Biegung und hielt Ausschau nach entgegenkommenden Fahrzeugen. Erfreulicherweise war weit und breit kein Auto zu sehen. »Wann serviere ich diesen Subjekten das Olivenöl?« erkundigte sich die Detektivin. Sie brachte ihre Körperfülle in die richtige Position, um die rückwärtige Straße besser betrachten zu können. Der Alfa hatte den Ford und den Mercedes überholt. Er schoß als erster Wagen um die Biegung und geriet prompt in die Scherben. Zwei Pneus nahmen dies übel, verwandelten sich sofort in Fetzen und waren an der Straßenlage des schweren, schnellen Wagens nicht weiter interessiert. Der Alfa – es handelte sich um ein Spitzen modell – schlitterte konsequent auf den Straßengraben zu und schob seinen Kühler dann in das dort fließende Wasser. Der Ford verhielt sich kaum anders. Er nahm ebenfalls die Scherben an und ruinierte seine Reifen. Der Wagen stellte sich quer, wurde abgefangen und klatschte gegen den Alfa, dessen Insassen bereits ausgestiegen waren. Dann erschien der Mercedes auf der Bildfläche. Der Fahrer reagierte wohl rein automatisch. Er slalomte verwegen über die tückische Straße, entging tatsächlich den Scherben, die noch in reicher Auswahl vorhanden waren. Doch dann beging der 63
Fahrer einen schweren, psychologischen Fehler: Er hupte nämlich triumphierend! Die Benutzer des Alfa und des Ford reagierten verärgert. Sie benutzten ihre schallgedämpften Schußwaffen und wollten damit den Mercedes stoppen. Die Geschosse klatschten in das Blech, erwischten aber nicht die Reifen. Glas splitterte, die Rückscheibe wurde blind, und auf dem Wagendach bildete sich eine Art Scheitel, der von einem darübergeschrammten Geschoß stammte. »Darf man mit Myladys Zufriedenheit rechnen?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Ist da gerade auf den Mercedes geschossen worden?« fragte sie. »Eindeutig, Mylady«, antwortete Parker, »man scheint den Insassen dieses Wagens die Weiterfahrt zu neiden.« »Können Sie erkennen, wer in dem Mercedes sitzt, Mister Parker?« Die Lady hatte einen der Olivenkanister aus der Plastiktüte geholt und war bereit, die Blechlasche oben aus der Öff nung der Dose zu ziehen. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte Mister Peter Baumann diesen Wagen benutzen, Mylady.« »Der Mann des hiesigen Geheimdienstes?« »In der Tat, Mylady! Ein Mann seines Zuschnitts dürfte sich geradezu verpflichtet fühlen, solch eine Marke zu benutzen.« »Wann soll ich Öl auf die Wogen gießen?« erkundigte sie sich eifrig. Sie konnte es nicht erwarten, den Mercedes ebenfalls in den Graben befördert zu sehen. »Man sollte Mister Baumann noch eine kleine Galgenfrist einräumen«, antwortete Parker, »zumal der Herr jetzt ein wenig vorgewarnt sein dürfte.« Der Mercedes hielt tatsächlich auf Abstand und brachte gerade seine Scheinwerfer ins Spiel. Der Fahrer wollte sicher sein, daß der ein wenig feuchte Straßenbelag keine weiteren Scherben anbot. »Wen habe ich im Straßengraben eigentlich zurückgelassen?« wollte die Detektivin wissen. Sie hatte sich wieder zurechtgesetzt und nahm zur Kenntnis, daß ein leichter Nieselregen aufkam. Parker schaltete die Wagenlichter und auch die Scheibenwischer ein. »Im Alfa und Ford, Mylady, dürften sich die Herren um Mister Kramer befunden haben«, beantwortete Parker die Frage, »und dann sollte man auch noch an Miß Joan Milford denken, die sich als eine eiserne Jungfrau bezeichnet.« »Ost und West vereint im Straßengraben«, freute sich Lady 64
Agatha, »sagen Sie, Mister Parker, dieser Baumann verfügt doch bestimmt über eine Funkanlage in seinem Wagen, nicht wahr?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady, wenn man an die Perfektionswut dieses Volksstammes denkt.« »Er wird doch längst Mitarbeiter informiert haben, oder?« »Gewiß, Mylady. Falls Mister Peter Baumann tatsächlich dem hiesigen Geheimdienst angehört, dürfte er nicht allein sein.« »Bleiben wir noch lange auf dieser Straße?« Sie hob den kleinen Kanister prüfend an. »Gleich müßte eine Abzweigung kommen, Mylady, die zurück zur Autobahn führt.« »Dann werde ich jetzt diesen Mister Baumann mit Öl salben«, meinte sie und lachte sonor, »keine Sorge, Mister Parker, man wird nichts merken...« Agatha Simpson riß die Lasche auf, öffnete vorsichtig die Wagentür und ließ das Speiseöl durch den schmalen Spalt nach unten auf die Straße gluckern. Es vermischte sich augenblicklich mit dem durchnäßten Boden zum schmierseifenglatten Film auf dem Asphalt. Parker warf einen Blick in den Rückspiegel und war mit dem Ergebnis zufrieden. »Ich darf vermelden, Mylady, daß der Fahrer bereits die ersten Schwierigkeiten hat«, sagte er würdevoll. »Ich werde auch noch einen zweiten Kanister ausgießen«, meinte die Detektivin gut gelaunt, »man soll nicht am falschen Ende sparen!« »Eine immer wieder gültige Maxime, Mylady.« Parker beobachtete weiter den Mercedes, dessen Fahrer von plötzlicher Volltrunkenheit erfaßt worden zu sein schien. Er steuerte den Wagen von links nach rechts, vollführte einige hübsche Schlangenlinien, stellte sich fast quer und rauschte dann mit dem Heck voran auf einen Begrenzungspfahl zu. »Wie macht sich das Öl, Mister Parker?« fragte die ältere Dame. »Es tat bereits seine Schuldigkeit, Mylady. Der Mercedes pflügte gerade den dritten Begrenzungspfahl um und näherte sich ... ich möchte mich berichtigen, hat sich mit dem Straßengraben vermählt, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Was wären Sie ohne mich, Mister Parker?« fragte die selbstbewußte Lady und schloß die Tür. »Wer hat die Lage wieder mal bereinigt?« »Der Erfindungsreichtum Myladys ist immer wieder frappierend«, gab Josuah Parker höflich zurück. In seinem Gesicht rührte sich wie 65
gewöhnlich kein Muskel. »Dann zurück nach Köln«, sagte sie, »ich möchte endlich wissen, was sich hinter diesem Party-Service verbirgt. Wie hieß die Dame noch, die sich am Telefon meldete?« »Sylvia Werra, Mylady. Darf ich anregen, den Wagen zu wechseln?« »Das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen, Mister Parker. Dieser Mister Baumann wird ja längst durchgegeben haben, welchen Wagen ich benutze.« »Davon sollte man tunlichst ausgehen, Mylady« »Und woher nehme ich einen neuen?« fragte sie. »Laut Hinweisschild, Mylady, ist in vierhundert Meter mit einem Restaurant zu rechnen. Dort könnte man einen kleinen Austausch vornehmen, der zwar dem Gesetz widerspricht, aber recht nützlich sein dürfte.« »Sorgen Sie später für passenden Schadenersatz«, meinte die ältere Dame. »Hauptsache, wir können diese Miß Sylvia ungestört besuchen.« Parker minderte das Tempo des Golfs und ließ ihn wenig später auf dem gut gefüllten Parkplatz des Restaurants ausrollen. »Haben Mylady bestimmte Wünsche hinsichtlich der Wagenmarke?« erkundigte er sich dann bei seiner Herrin, »dort drüben der Audi bietet sich an, wenn ich darauf aufmerksam machen dürfte. Die Insassen steigen gerade aus und werden wohl für längere Zeit am Tisch bleiben.« Ì Eine Stunde später etwa stiegen Lady Simpson und Butler Parker aus einem Taxi, das sie am südlichen Ausgang von Köln gemietet hatten. Während der Fahrt zurück hatte das Duo aus London noch zweimal den Wagen gewechselt, um alle Spuren zu verwischen. Lady Agatha und Butler Parker hatten sogar die Straßenbahn benutzt, um sich dem Weichbild der Innenstadt zu nähern. »Von einer Firma ist hier aber weit und breit nichts zu sehen«, räsonierte Lady Agatha, als das Taxi verschwunden war. Sie begutachtete die schmucklose, glatte Fassade eines normalen Mietshauses, das sogar fast abweisend und anonym wirkte. »Dies ist die Straße, Mylady, die im Telefonbuch steht«, antwortete Josuah Parker, um dann mit der Spitze des Regenschirms auf einen Hauseingang zu deuten. »Und dies ist die 66
Hausnummer. Wenn Sie gestatten, Mylady, werde ich nach dem Namen Sylvia Werra suchen«. »Ich komme mit, Mister Parker.« Die Detektivin setzte sich energisch in Bewegung und steuerte auf den Hauseingang zu. Parker suchte auf der beleuchteten Tafel nach dem Namen und stutzte dann. »Sylvia Werra«, stellte er fest, »meiner Deutung nach wohnt die Dame in der dritten Etage.« »Klingeln Sie doch schon endlich«, meinte sie ungeduldig. »Sollte man Miß Werra nicht ein wenig überraschen, Mylady?« »Hatte ich das nicht gesagt?« fragte sie gespielt erstaunt. »Natürlich will ich sie überraschen, Mister Parker!« Der Butler bemühte sein kleines Spezialbesteck. Nach knapp einer Minute streckte das Türschloß im übertragenen Sinn die Waffen und ließ die Tür aufschwingen. Parker ließ Lady Agatha den Vortritt und kam dann nach zum Lift. Sie fuhren in die dritte Etage, und Parker brauchte nur wenige Augenblicke, bis er die Wohnungstür der Sylvia Werra gefunden hatte. »Wenn Sie erlauben, Mylady.« Parker legte sein Ohr gegen die Tür und lauschte. Dann trat er zurück und nickte. »Es ist Musik zu vernehmen.« »Soll ich jetzt klingeln oder nicht?« fragte sie sich halblaut. »Mvlady wünschen sicher eine weitere Überraschung«, stellte der Butler fest und benutzte noch mal einen seiner Spezialschlüssel. Obwohl es sich auch hier um ein Yale-Schloß handelte, schaffte er das Öffnen in knapp einer Minute. Diesmal aber trat er zuerst ein, stand in einer mittelgroßen Diele und hörte deutlich einschmeichelnde Musik. Lady Agatha rümpfte die Nase, was aber sicher nichts mit der Musik zu tun hatte. In der Diele roch es fast schon penetrant nach einem üppigen Parfüm. »Sehr ordinär«, sagte sie halblaut. Parker überging diese Bemerkung und näherte sich der Tür, hinter der die Musik zu hören war. Sie war nur angelehnt und ließ einen guten Blick zu ins Innere des Zimmers. Josuah Parker wußte sofort Bescheid. Er sah dicke Teppiche auf dem Boden, auf denen noch zusätzlich Läufer und weiße Felle lagen. Die Sitzgruppe aus schweren und tiefen Polstermöbeln wurde umfächert von riesigen Seidenblumen, die sämtliche Farben des Regenbogens zeigten. Er hörte das Klirren von Gläsern, ein sattes, fast gurrendes Lachen und eine Männer 67
stimme. »Was ist, Mister Parker?« fragte die ältere Dame ungeduldig. »Man scheint zu einer etwas unpassenden Zeit gekommen zu sein, Mylady.« »Papperlapapp, Mister Parker, nur keine Hemmungen!« Sie drückte die angelehnte Tür energisch auf und sah sich einem fast schon riesig zu nennenden, ovalen Bett gegenüber, auf dem sich zwei Personen tummelten. Ein etwas rundlicher Herr von schätzungsweise fünfzig Jahren war gerade dabei, zwei Sektgläser zu füllen, die eine wasserstoffblonde Frau in Händen hielt. Sie starrte Lady Simpson an und öffnete weit ihren Mund. »Shocking«, sagte Lady Agatha, »ich sollte meine Augen schließen!« »Wer... Wer sind denn Sie?« fragte die superblonde Frau, die etwa sechsundzwanzig Jahre zählte. »Was bedeutet das?« Der rundliche Herr war herumgefahren und genierte sich sichtlich. Er ließ die Sektflasche fallen, griff hastig nach einer weißen Seidendecke und zog sie hoch zum Kinn. »Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein?« fragte die Blondine erneut Sie wirkte ein wenig ordinär, was ihr Gesicht betraf. Angst hatte sie nicht, denn sie stieg von dem riesigen Bett herunter und griff lässig nach einem dünnen Seidenmantel. »Sie sollten wegsehen, Mister Parker«, schlug Lady Agatha vor. »Sehr wohl, Mylady«, erwiderte der Butler und beobachtete die junge Frau, die sich wie absichtslos zum niedrigen Nachttisch beugte, um dann nach dem Griff der Schublade zu tasten. Parker war mit wenigen Schritten knapp neben ihr und lüftete höflich seine schwarze Kopfbedeckung. »Schußwaffen lösen keine Probleme, Madam, wenn ich dies grundsätzlich anmerken darf.« Er öffnete die Lade und sah sofort einen kleinen Browning. Die Blondine trat zurück und griff nach Parker, traf mit ihrem nackten Fuß aber nur die Spitze des Regenschirms. Die Frau stöhnte, fiel zurück auf das Bett und massierte sich den Fuß. »Ich ... ich bin hier nur zu Besuch«, sagte der rundliche Mann hastig und zeigte Verwirrung und nackte Angst, »wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich jetzt gehen, ja?« »Nicht ohne Hinterlassung Ihrer Privatadresse«, forderte Lady Simpson, »und wagen Sie es nicht, meine Augen und mein Moralempfinden zu beleidigen. Sie sind wahrlich kein Adonis, wie 68
ich bereits feststellen konnte!« Ì »Kirchner? Nein, den kenne ich nicht«, sagte Sylvia Werra und zog die Stirn kraus, »wer soll denn das sein? Und überhaupt, wer gibt Ihnen das Recht, hier einfach einzudringen? Das ist Hausfriedensbruch... Ich werde mich beschweren und Ihnen mit 'ner Klage auf den Pelz rücken. Ich hab's nicht nötig, mich so behandeln zu lassen.« Sie hatte sich inzwischen den dünnen Seidenmantel übergezogen und war sehr nervös. Man merkte, daß sie sich Mut zusprechen wollte. »Der Hinweis auf die Polizei ist ein gutes Stichwort, Miß Werra«, antwortete Josuah Parker, »wenn Sie erlauben, werde ich sie umgehend verständigen. Weiß die Steuerbehörde, welchem sicher einträglichen Beruf Sie nachgehen?« Die Blondine benagte ihre Unterlippe, drückte die Zigarette aus und nickte langsam. »Sie sind am Drücker«, meinte sie dann und seufzte, »Sie wollen mich hochnehmen, gut, Sie schaffen es.« »Ihr Privatleben ist nicht von Interesse, Miß Werra«, erklärte Josuah Parker, »Lady Simpson ist nur an dem interessiert, was ein Mann namens Leo Kirchner hier bei Ihnen zurückgelassen hat.« »Seit wann kennen Sie ihn?« fragte die ältere Dame. Sylvia Werra verstand nicht und sah den Butler fragend an. Er übersetzte. »Wir kennen uns seit 'nem Jahr«, sagte sie, »er kam hin und wieder hier vorbei, wenn er in Köln zu tun hatte.« »Worin besteht Ihr Party-Service, Miß Werra, wenn man fragen darf?« »Worin wohl...!?« Sie lachte leise und zeigte dann auf das riesige Bett. »Ja doch, ich mach' kein Geheimnis daraus. Ich kümmere mich um Durchreisende, die sich allein fühlen und mal entspannen wollen. Denken Sie doch von mir aus, was Sie wollen... Jeder muß leben!« »Lernten Sie Mister Leo Kirchner auf diese Art kennen?« »Er hat mich in einer Bar aufgeris... Ich meine, er hat mich da angequatscht... Und wir haben uns sofort verstanden. Ist das ein Verbrechen?« »Sie dürfen versichert sein, Miß Werra, daß hier keine moralischen Urteile gesprochen werden sollen. Sie haben dann im 69
Lauf der Zeit Mister Kirchner einige, sagen wir, Gefallen erwiesen. Ist das richtig?« »Was verstehen Sie darunter?« Sie schaltete auf Wachsamkeit und Vorsicht um. »Er hat Sie hin und wieder gebeten, Durchreisende zu betreuen. Mister Kirchner hat Sie häufiger nach Bonn mitgenommen.« »Doch, das schon«, räumte sie ein, »wenn er mal' ne Party gegeben hat, wurde ich eingeladen.« »Und betreuten, wenn ich es so präzisieren darf, Freunde und Bekannte des Mister Kirchner.« Parker vermittelte ihr den Eindruck, als wisse er bereits bis ins Detail Bescheid. Sie nahm ihm das ohne weiteres ab und nickte. »Und wer waren diese Freunde des Mister Kirchner, Miß Werra?« »Ich glaub', das waren hohe Tiere«, sagte sie und lächelte versonnen, »ihre Namen haben die nicht genannt... Und alle hatten ein schlechtes Gewissen. Die kamen klammheimlich und hauten wieder ab wie die Diebe in der Nacht. Na ja, mir kann's egal sein.« »Zurück zu dem, was Mister Kirchner hiergelassen hat, Miß Werra. In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie die betreffenden Dinge Mylady übergeben.« »Er hat hier nichts ...« »Ist Ihnen bekannt, daß Mister Leo Kirchner ermordet worden ist?« Sie starrte ihn an, schluckte und griff dann automatisch nach der Zigarettenpackung. Ihre Hände zitterten, als sie sich eine Zigarette anzündete. »Leo ist tot?« fragte sie dann mit belegter Stimme. »Er wurde erschossen«, bestätigte Parker. »Vor seinem Dahinscheiden nannte er noch Ihre Adresse und Telefonnummer.« Parker schwindelte zwar ein wenig, doch darauf kam es jetzt nicht an. »Wer... Wer hat ihn erschossen?« fragte Sylvia Werra. Ihre Augen füllten sich erstaunlicherweise mit Tränen. »Sollten Sie es wirklich nicht wissen oder ahnen, Miß Werra?« »Das kann nur seine Freundin gewesen sein... Klar, die muß es getan haben... Ich hatte Leo immer gesagt, daß die noch mal durchdrehen würde...« »Mit dem Namen dieser Dame wäre Mylady ungemein gedient, Miß Werra.« »Renate Scholz heißt sie«, lautete die prompte Antwort, »eine ganz hochnäsige Ziege. Die bildet sich was drauf ein, daß sie in einer 70
Dienststelle arbeitet... Und was is' sie? Nichts als 'ne einfache Sekretärin oder so.« Sie kennen den Namen der Dienststelle, Miß Werra?« »Nein, nicht genau... Aber sie ist oft unterwegs... So nach Brüssel oder so... Dabei darf sie gerade noch die Aktentasche ihres Chefs tragen... Was die blöde Ziege sich nur einbildet!« »Warum könnte die erwähnte Dame Leo Kirchner erschossen haben? Ich bin sicher, daß Sie einen Grund anführen können, Miß Werra.« »Eifersucht, was sonst...!? Die hat doch immer geglaubt, Leo würd' sie heiraten. Hat Leo gesagt. Ja, und dann is' sie ihm mal heimlich nachgefahren und stand plötzlich hier vor der Wohnungstür... Also, da sind die Fetzen geflogen, das kann ich Ihnen sagen. Ich hab' der ein paar saftige Ohrfeigen verpaßt, die sich gewaschen hatten... Ich laß mich doch nicht von so einer eingebildeten... Wissen Sie, wie die mich genannt hat?« »Ich möchte sagen, daß ich eine ungefähre Ahnung habe, Miß Werra. Doch nun zurück zu dem, was Mister Kirchner hier zurückgelassen hat. An wen sollten Sie es weiterreichen?« »Also, Namen hat Leo mir nicht genannt«, antwortete die Frau. »Er hat nur gesagt, hier würd' einer kommen und mir' nen Taschenrechner zeigen, wissen Sie, so ein kleines Ding... Und ich sollte dann auf 'ne Taste drücken. Ja, und wenn ich dann meine Te lefonnummer sehen würde, dann sollte ich den Umschlag rausrücken.« »Den Inhalt kennen Sie nicht, Miß Werra?« »Natürlich nicht...« »Sie haben den Umschlag nicht versehentlich geöffnet, was ja durchaus verständlich wäre.« Sie bekam einen roten Kopf und schaute verlegen zu Boden. Dann zuckte sie die Achseln und gab sich trotzig. »Okay, ich hab' ihn aufgemacht«, sagte sie, »was is' schon dabei? Und was, glauben Sie, hab' ich gesehen?« »Ich lasse mich gern überraschen, Miß Werra.« »Aufnahmen von mir! Können Sie das verstehen? Nur Aufnahmen von mir, und die sind noch nicht mal besonders... Wenn er mich gefragt hätte, hätte ich ihm viel bessere Fotos gegeben. Ich meine, so richtige künstlerische Aufnahmen...« »Lassen Sie mich an Ihrer verständlichen Entrüstung teilhaben«, schlug Josuah Parker vor, »sehen wir uns die Aufnahmen gemeinsam an.« 71
»Mister Parker, ich hoffe, Sie haben nur ein sachliches Interesse an diesen Aktfotos«, sagte Lady Agatha später. »Müssen Sie sich die Bilder unbedingt durch die Lupe ansehen?« »Die Aufnahmen, Mylady, müssen mehr zeigen als nur Aktposen«, antwortete Parker höflich, »ich muß allerdings bekennen, daß ich zur Zeit nicht in der Lage bin, dies zu erkennen und zu beweisen.« Dieser Kirchner scheint da absichtlich nur Spielmaterial angeboten zu haben.« »Miß Werras Aktposen, Mylady, sollen offensichtlich nur ablenken«, antworte Parker, »vielleicht lassen sich Mikropunkte ausmachen.« »Ich sollte diese scheußlichen Fotos an unseren Geheimdienst weiterleiten«, redete die ältere Dame weiter, »aber es wäre auch schon wieder schade um das Porto... Kirchner hat sich da einen Scherz geleistet.« Butler Parker und Lady Agatha befanden sich im Badezimmer der Hotel-Suite. Der Butler sorgte für eine Geräuschfülle, die jedes Abhören unmöglich machte. Wasserfluten stürzten und rauschten in die Badewanne. Darüber hinaus spielte noch ein kleines Transistorradio. Nach ihrem Besuch bei Sylvia Werra waren sie ins Hotel zurückgekehrt, um Kirchners Material zu untersuchen. Parker hob jetzt die Bilder flach gegen das Licht an und suchte nach Mikropunkten, jedoch ohne Erfolg. »Warum soll ich mir den Kopf zerbrechen?« Lady Agatha griff nach dem gefütterten Umschlag und hielt ihn dem Butler hin. Sie wartete darauf, daß er die Bilder wieder zurücklegte. Parker aber zeigte plötzlich ein deutliches Stutzen und leistete sich die Freiheit, andeutungsweise zu lächeln. »Das ist es, Mylady«, sagte er dann und deutete auf den Umschlag. »Was ist was?« fragte sie. »Der Umschlag, Mylady.« Parker nahm ihn höflich aus der Hand seiner Herrin und ... schnitt ihn mit seinem Taschenmesser vorsichtig seitlich auf. Er faltete den Umschlag auseinander und untersuchte die Innenflächen, Anschließend trennte er die weiche Schutzfüllung heraus. Nach wenigen Augenblicken präsentierte er Agatha Simpson bereits zwei kleine Filmstreifen. »Wie ich es doch gleich vermutet habe«, meinte sie unverfroren und nickte stolz, »ich wollte nur sehen, ob Sie von allein draufkommen würden!« »Die gesuchten Unterlagen, Mylady.« Parker hob die Filmstreifen, 72
die noch zusätzlich in Folie eingesiegelt waren, gegen das Licht. Zu erkennen war so gut wie nichts, was aber nichts zu bedeuten hatte. Erst mit einem Spezialprojektor würde man erkennen, daß auf kleinstem Raum viele Manuskriptseiten untergebracht waren. Parker kannte sich in dieser Mikrotechnik ein wenig aus. Auf den beiden Filmstreifen befanden sich seiner Schätzung nach die Manuskriptseiten ganzer Aktenordner. Die moderne Technik machte so etwas durchaus möglich. »Und wohin damit?« wollte Lady Agatha wissen. »Wenn ich anregen darf, Mylady, sollte man diese beiden Streifen auf den Postweg bringen.« »Damit sie abgefangen werden, wie?« Sie war nicht einverstanden. »Man könnte Miß Porter und Mister Rander einen Gruß aus Köln senden, Mylady. Agatha Simpson nickte gnädig. Parker und sie verließen die Suite, fuhren mit dem Lift nach unten und versorgten sich an der Rezeption mit einschlägigen Grußkarten. Parker wählte einfache Bildkarten, dann Sammelansichten, die man auseinanderfalten konnte, Juxfotos und normale Ansichtskarten. Er begab sich zu Lady Agatha hinüber, die bereits in der Lobby an einem Tisch Platz genommen hatte. Anschließend machte das Duo aus London sich daran, fast schon so etwas wie Fließbandarbeit zu leisten. Lady Simpson und Parker sandten Grüße an Freunde und Bekannte. Und der Butler verstand es mit taschenspielerischer Geschicklichkeit, die beiden hochbrisanten Filmstreifen in einer Faltkarte verschwinden zu lassen. Diese Karte war an Mister Mike Rander, Curzon Street, London, gerichtet. »Werden wir beobachtet?« fragte Agatha Simpson, die eifrig bei der Sache war. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, antworte Josuah Parker, »ich darf noch mal auf Mister Peter Baumann verweisen, der von seinem Mercedes aus sicher seine Mitarbeiter alarmiert haben dürfte.« Nach getaner Arbeit verließen Mylady und Parker das Hotel und warfen die vielen Grußkarten in einen nahen Postkasten. Parker war allerdings so vorsichtig, eine ganz bestimmte Ansichtskarte nicht der Post anzuvertrauen. Sie blieb in seiner Brusttasche, in die er sie hatte verschwinden lassen. Er war und blieb ein mißtrauischer und vorsichtiger Mensch. Ì 73
Peter Baumann war nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich zwei weitere Männer, die kaum unauffälliger aussahen als er. Diese drei Männer bauten sich vor den ins Hotel zurückgekehrten Gästen aus London auf. Baumann machte einen sehr dienstlichen Eindruck. »Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt?« fragte Lady Agatha süffisant. »Darüber wird man sich noch unterhalten müssen«, antwortete Baumann, der einen recht verärgerten Eindruck machte, »ich habe einen richterlichen Durchsuchungsbefehl, Mylady. Wollen Sie uns bitte in Ihre Suite begleiten, ja?« »Könnte man diese richterliche Anordnung sehen?« erkundigte sich Parker gemessen. Er nahm das amtliche Schreiben entgegen und schaute es sehr genau an. »Dieser Bescheid bezieht sich auch auf mein bescheidenes Zimmer?« fragte er dann. »Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker. Wir werden jeden Quadratzentimeter untersuchen. Noch mal führen Sie mich nicht an der Nase herum.« »Sie sind meiner bescheidenen Wenigkeit gram, Sir?« »Ich bin sauer«, gestand Peter Baumann, »Sie haben meinen Mercedes ruiniert...» Während dieser Anklage bugsierten Baumann und seine beiden Begleiter Lady Agatha und Josuah Parker zum Fahrstuhl. Sie hatten ihn noch nicht ganz erreicht, als ihnen ein Page entgegenkam. »Einen Moment, wenn ich bitten darf«, sagte Parker und winkte den jungen Mann zu sich heran. Er griff in die Brusttasche des schwarzen Zweireihers und reichte dem Pagen die bewußte Faltkarte. »Frankieren Sie die Karte, wenn ich bitten darf.« Parker reichte dem jungen Mann eine Banknote und gab ihm zu verstehen, daß der Rest für ihn sei. Dann wandte Parker sich wieder Baumann zu, der mit sich zu kämpfen schien. Er sah zuerst den Butler an, dann Lady Agatha und schließlich die Faltkarte mit den etwa zwölf Einzelansichten der Stadt Köln. »Vielleicht sollten Sie diese Karte genau untersuchen, Mister Bau mann«, ermunterte der Butler den Beamten des deutschen Nachrichtendienstes, »möglicherweise finden Sie genau das, wonach Sie so nachdrücklich suchen.« »Eine sehr gute Idee, Mister Parker.« Baumann griff nach der dicken Faltkarte und wog sie auf der flachen Hand. Dabei sah er den Butler prüfend und eindringlich an. Im Gesicht des Butlers rührte 74
sich selbstverständlich kein Muskel. »Ich ... Ich lasse mich doch nicht von Ihnen auf den Arm nehmen«, sagte Peter Baumann dann ärgerlich und gab die Karte an den Pagen zurück, »Sie wollen mich lächerlich machen.« »Vielleicht hat Mister Parker Mikrofilme darin vorsteckt«, stichelte Lady Agatha in ihrer unverfrorenen Art, »an Ihrer Stelle, junger Mann, würde ich die Karte beschlagnahmen.« Mit einer Handbewegung entließ Baumann den Pagen, der in Richtung Rezeption verschwand. Bevor die Fahrstuhltür sich schloß, beobachtete Parker, wie der Page die Karte bereits frankierte und dann im hauseigenen Briefkasten verschwinden ließ. »Bevor meine Leute mit der Suche beginnen, habe ich einen Vorschlag zu machen«, sagte Baumann, als man in Myladys Suite war, »Sie, Mylady, übergeben mir das Material dieses Leo Kirchner; dafür vergessen wir, was Sie auf den Straßen im Bergischen ange richtet haben. Ich sage Ihnen gleich, daß ich sogar Haftbefehle gegen Sie mitgebracht habe.« »Wollen Sie sich unbedingt mit der Regierung der Majestät anlegen?« erkundigte sich Lady Agatha amüsiert, »möchten Sie diplomatische Verwicklungen heraufbeschwören, junger Mann? Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich mit der Königin – lange möge sie leben – verschwägert bin.« »Was, bitte, sollen Mylady auf den Straßen des Bergischen angerichtet haben?« wollte Parker höflich wissen. »Sie haben absichtlich Flaschen auf die Straße geworfen, Sie haben Öl auf den Asphalt gegossen... Und Sie haben mit Sicherheit einige Wagen gestohlen.« »Können Sie dies alles beweisen?« wollte der Butler höflich wissen. »Anfangen!« Baumanns Stimme klang scharf, als er sich an seine beiden Mitarbeiter wandte. »Sofort anfangen... Und Sie, Mylady, wissen hoffentlich, daß Sie solange auf der Todesliste der Agenten stehen, bis wir Kirchners Material haben! Schützen können wir Sie nicht, das ist unmöglich. Aber Sie leben wahrscheinlich gern gefährlich, oder?« »Was wäre mein Leben ohne die Aufregung«, gab die ältere Dame zurück, »und nun überraschen Sie mich endlich, junger Mann. Ich bin doch sehr gespannt, ob Sie mein Versteck finden werden.« Ì
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Baumann glühte vor Aufregung, als einer seiner beiden Mitarbeiter endlich fündig geworden war. Er präsentierte seinem Chef einen kleinen, flachen Taschenrechner und behandelte ihn wie ein rohes Ei, als er das Gerät Baumann überreichte. »Na also!« Baumann lächelte triumphierend in Richtung Lady Simpson und Butler Parker, »ich wußte doch, daß wir einen Treffer machen würden.« Dieser Taschenrechner stammte aus der Filiale des Versandhauses, in der Josuah Parker die Filmkassetten zur Entwicklung gegeben hatte. Er war spottbillig gewesen, obwohl er sogar über einen Permanentspeicher verfügte. »Ich werde Ihnen eine Quittung ausstellen«, sagte Baumann zu Lady Simpson, »unter uns gesagt, besonders geschickt war das Versteck aber nicht gerade gewählt.« »Ich hatte Mister Parker schon gesagt, daß er... Nun gut, man muß auch verlieren können.« Sie warf Parker einen geradezu vernichtenden Blick zu, den Peter Baumann zufrieden zur Kenntnis nahm. Er hatte sich sagen lassen, daß dieser Taschenrechner in einer Porzellanfalte unter dem Waschbecken entdeckt worden war. Parker hatte ihn dort mittels Klebestreifen befestigt und natürlich vorher noch eine Speichereingabe vorgenommen. Der Mann des Nachrichtendienstes kümmerte sich sofort um den Speicher und drückte die entsprechende Taste. Die eingegebene Zahl leuchtete umgehend auf und entzückte Baumann. Er hob den Taschenrechner an. »Eine Codenummer, nicht wahr? Eine Telefonnummer!?« »Sollten Sie nicht davon ausgehen, daß außer Ihnen auch noch andere Agenten sogenannte >Wanzen< installiert haben können, Sir?« fragte Parker. »Die haben wir alle gefunden und eingesteckt, Mister Parker, machen Sie sich da mal keine Sorgen! Wollen Sie etwas zu dieser Speichereingabe sagen?« »Diese Nummernfolge muß zufällig getastet worden sein, Mister Baumann.« »Unsere Experten werden den Code knacken, verlassen Sie sich darauf! Sie arbeiten mit erstklassigen Computern. Das alles ist nur eine Frage der Zeit.« »Diese Nummern haben nichts zu sagen, wie ich versichern darf«, klärte Parker wahrheitsgemäß. Peter Baumann aber nahm ihm das nicht ab und notierte sich sicherheitshalber noch die siebenstellige Zahl. Er wollte nicht das Risiko eingehen, daß die Speichereingabe 76
durch einen unglücklichen Zufall gelöscht wurde. »Warum wollen Sie denn nicht begreifen?« fragte er eindringlich, »solange Sie Kirchners Material zurückhalten, schweben Sie in Lebensgefahr. Wenn meine Konkurrenten Sie noch mal in die Hände bekommen, dann haben Sie keine Chance mehr.« »Sie kennen die betreffenden Herren, Mister Baumann?« fragte Parker. »Selbstverständlich. Und die kennen mich. So ist das nun mal auf der Agentenebene...« »Wurden Mylady im Bergischen auch vom amerikanischen Geheimdienst beschattet, Sir?« »Sie sprechen von Joan Milford, nicht wahr?« Peter Baumann schmunzelte. »So ähnlich stellte sich die junge Dame in der Tat vor, Sir.« »Sie ist eine knallharte Agentin.« Baumanns Gesicht nahm einen versonnenen Ausdruck an, »sie hat natürlich wesentlich mehr Möglichkeiten und Freiheiten als ich. Unsere Vorschriften interessieren sie nicht. Sie ist wirklich zu beneiden.« Er schien das entsprechende Stichwort geliefert zu haben, denn die Tür zu Lady Simpsons Suite wurde förmlich aufgesprengt. Ein kräftiger Cowboy hatte sich gegen die Füllung geworfen und taumelte nun in den Raum. Er war aber clever genug, dabei leine Schußwaffe zu ziehen. Hinter ihm erschienen Joan Milford, die eiserne Jungfrau, wie sie sich nannte, und zwei weitere Cowboys. Auch sie zeigten deutlich, daß sie bewaffnet waren. »Hallo«, rief sie Baumann zu, »ein paar Schritte schneller, wie?« »Und bereits mit einem Treffer«, sagte Baumann und präsentierte ihr den Taschenrechner. Joan Milford nahm ihn entgegen, sah Baumann dann lächelnd an und schüttelte den Kopf. »Das ist doch nur Augenfutter«, sagte sie dann fast gelangweilt, »Kollege, lassen Sie sich nicht düpieren! Jetzt geht die Sache doch erst richtig los. Lassen Sie mal meine Jungens hier machen, Ihre Leute können bestimmt noch was lernen ...« Baumann paßte die herablassende Art überhaupt nicht. Man sah es ihm deutlich an. Doch er hielt den Mund und winkte seine beiden Männer zu sich heran. »Lernen wir also von unseren großen Brüdern«, sagte er ironisch. Und Josuah Parker beglückwünschte sich zu der Tatsache, daß er nicht nur einen dieser netten Taschenrechner gekauft hatte... Es dauerte genau vierunddreißig Minuten, bis die drei närrischen 77
Cowboys den Taschenrechner fanden. Sie hatten ihn im Kassettenfach des hauseigenen Radios entdeckt. Parker hatte ihn dort deponiert und war davon ausgegangen, daß man bei der Suche nach Verborgenem in der Regel die selbstverständlichsten Dinge des Alltags übersah. »Na, was habe ich Ihnen gesagt, Baumann?« fragte Joan Milford, die Agentin des amerikanischen Geheimdienstes, »Sie und Ihre Leute hätten das Ding bestimmt übersehen.« »Wir hatten unsere Suche immerhin noch nicht abgeschlossen«,verteidigte Peter Baumann sich, »Sie haben sich mit Ihren Leuten ja eingemischt.« Joan Milford beschäftigte sich inzwischen mit dem zweiten Rechner und interessierte sich ebenfalls prompt für die Speichereingabe. Sie drückte die entsprechende Taste und schaute dann auf die siebenstellige Zahl, die im Sichtfenster erschien. »Was haben Sie denn, Baumann?« fragte sie. »Wahrscheinlich das, was Sie haben, Miß Milford.« »Kommen Sie, Peter, tauschen wir die Zahlen aus, ja?« Sie gab sich kollegial und versuchte es mit Charme. »Gut, beginnen Sie, Joan«, schlug Baumann vor. »Ich warte...« »Sie wollen mich hereinlegen!« »Und Sie mich, Joan!« Die beiden Gruppen standen sich jetzt ausgesprochen feindlich gegenüber, und Lady Agatha und Butler Parker kosteten die Situation voll aus. Joan Milford wie Peter Baumann vertraten je einen westlichen Nachrichtendienst, hätten eigentlich eng zu sammenarbeiten sollen, aber sie trauten sich gegenseitig nicht über den Weg. »Warum tragen Sie es nicht sportlich aus?« fragte Agatha Simpson, »der Stärkere und Bessere möge gewinnen.« »Wollen Sie uns aufeinanderhetzen, Mylady?« fragte Joan Milford. »Ich werde es auch schaffen«, meinte Agatha Simpson, »wer von Ihnen hat nun die richtige Zahl in der Hand?« »Könnten beide nicht falsch sein?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Hören Sie, Mister Parker, Sie haben mir und meinen Leuten schon ein paarmal Schwierigkeiten gemacht«, schickte Joan Milford voraus, »ich erinnere nur daran, daß ich mit meinen Jungens hier im Straßengraben gelandet bin.« »Kann man davon ausgehen, Miß Milford, daß Sie den Ford 78
benutzten?« »Den fuhren wir tatsächlich.« Sie nickte. »Und meine Leute brennen darauf, sich dafür zu revanchieren.« »Dann müssen die Herren Kramer, Heidemann, Kölbel und Vettler im Alfa gewesen sein«, stellte die ältere Dame fest, »verständlich, daß sie als Ostagenten einen rassigen Wagen benutz ten, normalerweise haben sie ja dazu kaum Gelegenheit, wenn sie in ihren Auftragsländern sind.« »Existiert da ein dritter Rechner?« Peter Baumann bemühte sich um eine Entkrampfung. »Warum machen Sie uns die Arbeit derart schwer, Mylady? Wir vom Westen sitzen doch alle in einem Boot, oder?« »In diesem Boot scheint es aber gute und schlechte Plätze zu geben«, stichelte die Lady erfreut zurück. »Sie vertreten den britischen Geheimdienst, nicht wahr?« wollte Joan Milford wissen und verzog ein wenig den Mund. »Nun ja, das kennt man ja. Großbritannien kocht stets seine eigene Suppe.« »Okay, ich denke, Mister Parker, man sollte sich zu einer gemeinsamen Aktion bereitfinden«, schickte Lady Agatha voraus. »Wenn Sie gestatten, Mylady, möchte ich diese Auffassung teilen.« »Es gibt also einen dritten Rechner? fragte Joan Milford. »Hier im Raum?« tippte Peter Baumann an. »Im Bad«, sagte Parker gemessen, »wenn man sich vielleicht mal die Schrauben näher ansehen würde, die die Toilettenschüssel am Boden festhalten...« Das Resultat seines knappen Hinweises war schon fast fürchterlich zu nennen. Die diversen Mitglieder der Nachrichtendienste jagten aus dem Stand heraus in Richtung Badezimmer. In der Tür kam es zu einem durchaus verständlichen Stau, zumal man sich gegenseitig wegzudrängen versuchte. Um das Ziel möglichst zuerst zu erreichen, setzten die Herren ihre Ellbogen und Fäuste ein. Innerhalb weniger Sekunden war die Massenkeilerei perfekt. Daran beteiligen sich auch die beiden Gruppenführer Joan Milford und Peter Baumann. »Ich lade Sie zu einem Drink in die Hotelbar ein, Mister Parker«, sagte Lady Agatha und lächelte froh, »im Moment werden wir hier bestimmt nicht mehr gebraucht.« Sie verließen die Suite, ohne daß sich jemand um sie gekümmert hätte, und fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten. Ì 79
»Ich möchte Ihnen zu Ihrem wirklich erstklassig geführten Haus gratulieren«, sagte Parker zum Nachtmanager, »Mylady ist ebenfalls des Lobes voll, wie ich versichern darf.« »Vielen Dank«, sagte der glatte, elegante Mann und verbeugte sich tief. »Es ist allerdings wohl nicht nötig, jetzt um diese Zeit Myladys Suite renovieren zu lassen"«, redete Parker weiter, »werden die Handwerker es tatsächlich schaffen, bevor Mylady der Ruhe pflegen möchte?« »Ich... Ich verstehe kein Wort«, sagte der Manager. »Nun, zur Zeit demontieren Ihre Handwerker Myladys Suite«, erklärte der Butler, »ich möchte allerdings betonen, daß sie dies mit viel Engagement und Nachdruck besorgen.« »Ich verstehe immer weniger...« »Vielleicht sollten Sie die Polizei informieren«, schlug Josuah Parker in seiner höflichen Art vor, »falls sie schnell ist, wird sie die Handwerker wohl noch festnehmen können.« Nachdem Parker diese Anregung gegeben hatte, ging er in die gutbesuchte Hotelbar. Lady Agatha saß in einer kleinen Nische und tat einiges für ihren Kreislauf. Sie hatte sich gerade einen dreifachen Kognak servieren lassen und sah Parker fragend an. »Mylady werden zufrieden sein«, kündigte der Butler an, »die Mitglieder der beiden Geheimdienste wohl weniger, wenn ich so sagen darf.« »Es hat sich wirklich gelohnt, hierher nach Köln zu kommen«, meinte sie und nahm einen mehr als herzhaften Schluck, »in dieser Stadt scheinen sich zur Zeit tatsächlich alle Narren ein Stelldichein zu geben.« »Man sollte die Narren der diversen östlichen Geheimdienste nicht vergessen, Mylady. Sie dürften schärfere Geschütze auffahren.« »Unsinn, Mister Parker! Ohne uns glauben sie nicht an die Unterlagen heranzukommen. Oder rechnen Sie mit einem heimtückischen Mordanschlag?« »Man sollte ihn nicht ausschließen, Mylady.« »Sie malen wieder mal den Teufel an die Wand, Mister Parker.« »Man sollte auch eine Entführung in Betracht ziehen, Mylady.« »Um mich oder Sie unter Druck zu setzen?« »Gewiß, Mylady. Die Drohungen dieser Todesnarren, wenn ich die vier Herren mal so nennen darf, sollte man nicht in den Wind schlagen.« 80
»Und was werde ich tun? Wie werde ich reagieren?« »Mylady spielen sicher mit dem Gedanken, diese vier Herren zu neutralisieren.« »Genau das, Mister Parker, schwebt mir vor.« Sie nickte gnädig und nahm einen weiteren herzhaften Schluck. »Locke ich sie noch in dieser Nacht in eine Falle?« »Ich darf darauf verweisen, Mylady, daß zumindest die Herren Kramer und Heidemann genau wissen, was sich auf den diversen Filmkassetten befindet.« »Natürlich, sie haben ja schließlich die Fotoapparate und Filmgeräte benutzt. Sagen Sie, was könnte auf diesem Filmmaterial sein?« »Eine Person, die mit Mister Leo Kirchner zusammenarbeitete, Mylady.« »Sein Mittels- oder Verbindungsmann?« Die ältere Dame witterte Morgenluft. Ihre Augen glitzerten unternehmungslustig. »Kirchners Wohnung ist in Bonn. Warum habe ich sie mir eigentlich noch nicht angesehen? Sie hätten mich daran erinnern sollen, Mister Parker. »Mister Leo Kirchners Wohnung birgt mit Sicherheit keine Geheimnisse, Mylady, wie ich versichern darf. Er mußte ja jederzeit mit einer intensiven Durchsuchung rechnen.« »Das sage ich doch die ganze Zeit, Mister Parker«, behauptete sie und errötete noch nicht einmal. »Könnte diese Renate Scholz auf dem Filmmaterial abgelichtet sein?« »Die Sekretärin, von der Miß Sylvia Werra sprach, Mylady?« Parker ging es darum, daß seine Herrin ihr Aha-Gefühl bekam. Sie selbst sollte das Stichwort liefern. »Natürlich diese Sekretärin, die häufig nach Brüssel fährt«, sagte die Detektivin auch prompt und nickte, »entweder hat sie die Unterlagen der NATO heimlich fotografiert, oder aber durch sie ist Kirchner an den Offizier herangekommen, der im NATOHauptquartier arbeitet Mister Parker, ich möchte mit diesem Fräulein Scholz sofort reden.« »Falls Mylady es wünschen, könnte innerhalb weniger Minuten ein passender Leihwagen vor dem Hotel stehen.« »Ich wünsche es«, sagte sie, »bis zu meiner Rückkehr... Was ist denn dort drüben in der Halle los?« Der Lärm war nicht zu überhören. Die Lady stand spontan auf und ging in Richtung Halle. Parker folgte ihr und nahm mit ausdruckslosem Gesicht zur Kenntnis, daß die närrischen Agenten abgeführt wurden. Sie protestierten zwar lautstark gegen die Be 81
handlung, die nicht gerade sanft war. Sie alle aber zierten grundsolide Handschellen. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, als Joan Milford und Peter Baumann seine Höhe erreicht hatten. Vor allem die Blicke der eisernen Jungfrau glichen spitzen Dolchen, die Parker zugedacht waren. Ì »Hier scheinen gewisse Dinge sich dramatisch zugespitzt zu haben«, sagte Parker eine gute Stunde später, als er in die Straße einbog, in der Kirchners Freundin Renate Scholz wohnte. Er stoppte den Leihwagen und deutete auf die beiden Streifenwagen der Polizei, die vor einem schmalen Reihenhaus standen. Die Blaulichter auf den beiden Wagendächern rotierten und ließen ihr Licht auf einen Rettungswagen fallen. »Hat man diese Renate Scholz etwa umgebracht?« fragte Lady Agatha. »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich Informationen sammeln«, antwortete der Butler. »Dabei werde ich Sie selbstverständlich begleiten, Mister Parker«, antwortete Agatha Simpson umgehend, «sehen Sie doch, da wird eine Bahre aus dem Haus getragen.« Das Duo aus London verließ den Leihwagen und begab sich hinüber zum Reihenhaus, wo sich ein gutes Dutzend neugieriger Menschen eingefunden hatte. Parker brauchte nicht lange zu forschen. Es handelte sich, wie er hörte, um einen Selbstmordversuch, den eine Frau namens Renate Scholz begangen hatte. Der Rettungswagen, in dem sie inzwischen lag, löste sich bereits vom Straßenrand und fuhr in schneller Fahrt davon. Aus dem schmalen Reihenhaus kamen einige Zivilisten. Mit geschultem Blick stellte Josuah Parker fest, daß es sich um drei Kriminalbeamte handelte, die sich angeregt mit einem großen, sich straff haltenden Mann unterhielten, der wie geschaffen war, eine Uniform zu tragen. Diese Männer setzten sich in einen Wagen und fuhren ebenfalls davon. »Wann wollen Sie eigentlich Fragen stellen, Mister Parker?« grollte die ältere Dame. »Darf ich Mylady an Mister Smitters erinnern?« antwortete der Butler, »ein Journalist ist in der beneidenswert glücklichen Lage, 82
indiskrete Fragen an die Polizei zu richten.« »Smitters? Smitters...? Sie wußte nicht sofort, wer dieser Mann war. Parker teilte der Detektivin mit, daß man an ihn Filmkassetten hatte abschicken wollen. Durch das Auftreten der Cowboys im Postamt war diese Absicht dann durchkreuzt worden. Lady Agatha und Parker setzten sich zurück in den Mietwagen, und der Butler steuerte die Adresse des erwähnten Mister Smitters an. Er wohnte in einer Seitenstraße in der Nähe der Universität und erschien im Bademantel an der Tür. Er machte einen verschlafenen Eindruck, wurde aber sofort hellwach, als er seine Besucher erkannte. Und er wurde noch wacher, als Josuah Parker ihm erstaunlich knapp mitteilte, daß hier möglicherweise, eine brandheiße Spionagegeschichte auf ihn wartete. Smitters, der seine Gäste hereingebeten hatte, griff nach dem Telefonapparat und entwickelte eine zähe Betriebsamkeit, zäh, was seine bohrende Hartnäckigkeit betraf. Er rief an, stellte Fragen, legte auf, wählte neue Nummern und brauchte nur knapp zehn Minuten, bis er einen ersten Überblick hatte. Smitters, ein großer, schlanker Mann von fünfundvierzig Jahren, strich über seine Halbglatze und goß sich erst mal einen Drink ein. Dann nickte er anerkennend. »Sie haben mir da einen erstklassigen Tip gegeben, Mylady«, meinte Smitters begeistert, »diese Renate Scholz ist bereits über dem Berg, um das erst mal abzuhaken... Sie hatte Schlaftabletten genommen und mit Alkohol runtergespült.« »Spielt der Zufall eine Rolle, Mister Smitters, daß Miß Scholz zu so später Stunde gefunden werden konnte?« Butler Parker reagierte beherrscht wie stets. »Wirklich ein Zufall, daß man sie fand«, bestätigte Smitters, »eine Freundin wollte sie besuchen... Sie fand die Scholz und alarmierte die Polizei. Und jetzt kommt die kleine Bombe: Die Scholz hat eine Art Geständnis abgelegt.« »Sie erklärte wahrscheinlich, daß sie einen Mann namens Leo Kirchner in Köln erschossen hat, Sir?« »Richtig, Mister Parker. Irgendeine Eifersuchtsgeschichte. Aber das ist noch nicht alles... Sie hat für diesen Kirchner NATOUnterlagen fotografiert. Muß sich um streng geheimes Material handeln, die zuständige Behörde gibt sich da sehr zurückhaltend.« »Sie arbeitete in einer Dienststelle, Sir, die solch eine Spionage ermöglichte?« »Verbindungsstab zur NATO in Brüssel. Ihr Chef, ein hoher 83
Offizier, ist eben aus dem Bett geholt worden. Möglich, daß auch er in die Sache verwickelt ist.« »Damit dürfte ich diesen Spionagefall gelöst haben«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest, »es zeigt sich wieder mal, Mister Parker, daß ich die Zusammenhänge von Anfang an richtig gesehen habe.« »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker höflich, um sich dann wieder Mr. Smitters zuzuwenden, »konnten Sie den Namen des Offiziers in Erfahrung bringen?« »Top secret, Mister Parker! Man rückt noch nicht mal damit heraus, welche Nationalität er hat, aber das bekomme ich auch noch heraus. Was mich jetzt interessiert ist die Frage, wie lange diese Scholz ihren Freund Kirchner mit Geheimunterlagen versorgt hat...« »Lassen Sie es mich so ausdrücken, Sir: Sie dürfte gerade ihre erste Lieferung an Kirchner weitergegeben haben. Und das bewußte Geheimmaterial hat die hoffnungsfrohen Empfänger mit Sicherheit nicht erreicht. Es konnte vorher sichergestellt werden.« »Sie scheinen darüber eine ganze Menge zu wissen, Mister Parker. Packen Sie schon aus!« »Das Material konnte noch rechtzeitig abgefangen werden, Mister Smitters. Eine genaue Schilderung,, wie es dazu kam, werden Sie mit Sicherheit noch erhalten. Mylady will aber vorher noch einige Herren neutralisieren, die dem östlichen Geheimdienst angehören.« »Mit anderen Worten, Mylady und Sie haben das Material abgefangen!?« Smitters grinste. »Haben Sie die Geheimdienste aufs Kreuz gelegt?« »So könnte man es pauschal ausdrücken, Mister Smitters«, antwortete Josuah Parker, »sobald die Unterlagen in London eingetroffen sind, wird man Sie informieren.« »Was ist mit den Kassetten, die Sie angekündigt haben?« »Sie wurden aus gegebenem Anlaß umgeleitet, Mister Smitters, dürften aber jetzt nicht mehr wichtig sein, da Miß Scholz ein Geständnis abgelegt hat und ihr Vorgesetzter zu einem Gespräch eingeladen wurde. Man sollte wohl davon ausgehen, daß auf den di versen Filmen die beiden erwähnten Personen abgelichtet wurden.« Nachdem Lady Agatha noch etwas für ihren Kreislauf getan hatte, verließ das Duo aus London die Wohnung des Korrespondenten und begab sich zum Leihwagen. »Es wird Zeit, Mister Parker, daß sich ein neuer Fall anbietet«, meinte Agatha Simpson, als sie Platz nahm, »die vier Ostagenten 84
werden sich ja doch nicht mehr blicken lassen.« Ì Sie hatte sich gründlich getäuscht. Kramer, Heidemann, Kölbel und Vettler erschienen zwar erst am sogenannten Rosenmontag, aber dafür um so nachdrücklicher. Butler Parker und Lady Agatha befanden sich inmitten einer schier unüberschaubaren Zahl ausgelassener Narren, die auf den Festzug warteten. Als dann aber eine Maschinenpistole auf Parker gerichtet war, wußte der Butler genau, daß diese Waffe mit Sicherheit nicht aus Plastik bestand. »Sie haben sich Zeit gelassen«, meinte Parker zu dem Waffenträger, der einen Smoking und eine Narrenkappe trug. »Wir wollten erst mal abwarten, wie Sie auf den Selbstmordversuch der Scholz reagieren«, antwortete Kramer, »ich bin natürlich nicht allein hier.« »Die Herren Heidemann, Kölbel und Vettler sind in der Nähe?« »Mit durchgeladenen Kanonen, Parker«, antwortete Kramer, »wir werden jetzt gemeinsam die Kirchner-Unterlagen holen, ist das klar?« »Ich möchte davon ausgehen, daß Mylady sich der Qualität Ihrer Argumente beugen wird.« »Was will dieses Subjekt schon wieder?« grollte die ältere Dame, »ich möchte mich heute amüsieren. Sagen Sie ihm das!« »Mister Kramer scheint andere Absichten zu hegen, Mylady.« »Ein lästiger Mensch, Mister Parker.« Sie schaute sich um und machte die drei anderen Ostagenten aus. Auch sie trugen Smoking, bunte Fliegen und Narrenkappen mit wippenden Fasanenfedern. »Vielleicht darf ich anregen, den Wünschen der Herren nachzukommen«, schlug Parker vor. »Bringen wir es hinter uns«, sagte sie verärgert, »je schneller, desto besser. Wieviel Zeit haben wir noch? Ich möchte den Festzug auf keinen Fall versäumen.« »Mit seinem Erscheinen ist spätestens in einer halben Stunde zu rechnen, Mylady.« Bewacht und belauert von den vier Männern, schoben Lady Agatha und Parker sich durch die ausgelassene Menge der Zuschauer und steuerten eine relativ ruhige Seitenstraße an. »Also, wohin geht's jetzt?« wollte Kramer wissen, »kommen Sie uns bloß nicht mit faulen Tricks... Wir sind vorgewarnt. Wir Narren 85
hier sind absolut tödlich für Sie, wenn Sie uns wieder mal reinlegen wollen!« Schmetternde Marschmusik lag in der Luft, Schunkellieder waren zu vernehmen. Kostümierte Narren schoben sich durch die Straßen und winkten der Gruppe ausgelassen zu. Kramer deutete auf einen offenen Wagen, der festlich dekoriert war. An der Windschutzscheibe waren farbige Zettel mit Nummern aufgeklebt. »Den haben wir uns ausgeliehen, damit wir überall durchkommen«, erklärte Kramer und lächelte schief, »er stammt von der Zugleitung... Für uns gibt's keine Sperren.« »Man muß noch mal zurück in den Festsaal, in dem Leo Kirchner ermordet wurde«, antwortete Parker, »Mylady konnte dort die Mikrofilme sicher unterbringen.« »Genau das dachten wir uns bereits, Parker.« Kramer lächelte. »Die Sache mit dem Taschenrechner war doch nur ein Trick, um uns auf 'ne falsche Fährte zu locken...» »Sie wissen inzwischen, von wem Kirchner erschossen wurde?« »Natürlich, es war die Scholz. Eine dumme Eifersuchtsgeschichte, die um ein Haar alles verpatzt hat... Hätte sie nicht noch ein paar Minuten warten können, bis Kirchner uns die Mikrofilme gegeben hat?« Sie hatten den Wagen erreicht, und Kramer deutete auf die Sitze. »Wird es nicht ein wenig eng werden?« fragte Parker. »Außer mir wird noch Vettler mitkommen«, beruhigte Kramer den Butler und lächelte dünn, »er und ich arbeiten ja jetzt zusammen.« »Kann ich noch eine Frage stellen, die der Aufklärung bedarf, Mister Kramer?« »Nur los, aber dann wollen wir's hinter uns bringen.« »Gehe ich recht in der Annahme, daß auf Ihren Filmkassetten Miß Scholz und ihr Dienststellenleiter zu sehen sind?« »Richtig, Mister Parker. Wir wollten natürlich wissen, woher Kirchner die Unterlagen hatte. Wir haben also seine Lieferanten beobachtet und fotografiert.« »Um weitere Lieferungen unter Umgehung des Mister Kirchner in die Wege zu leiten, wie man vermuten darf?« »Natürlich, Mister Parker. Warum sollten wir Kirchner noch bezahlen? Der Mann wäre unwichtig geworden und...« Kramer verfärbte sich leicht. Eine Gruppe ausgelassener Cowboys erschien und entwickelte 86
Aktivitäten, die schon nicht mehr als närrisch zu bezeichnen waren. Diese Westernmänner hielte Colts in Händen und hatten die vier Ostagenten blitzschnell umzingelt. Hinter einem parkenden Wagen kam eine rassig aussehende Indianerin hervor. »Eine prompte Reaktion, Miß Milford«, sagte Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Dafür erwarte ich jetzt auch von Ihnen die Einhaltung unserer Abmachung«, erwiderte sie, »wo ist das Material?« »Wir werden es gemeinsam in London abholen«, erwiderte Parker, »es befindet sich dort in bester Verwahrung.« »Sie... Sie haben es also doch geschafft, die Mikrofilme nach London zu bringen?« »Dank Ihrer Mithilfe, Miß Milford«, erwiderte Parker und nickte dann Peter Baumann zu, der als Ölscheich auf der Szene erschienen war. »Auch bei Ihnen, Mister Baumann, möchte ich mich im Namen Myladys bedanken. Die getroffenen Vereinbarungen zahlen sich aus, wie man sieht.« Die vier Ostagenten Kramer, Heidemann, Kölbel und Vettler sahen verständlicherweise nicht ausgelassen oder auch nur heiter aus. Sie wußten, daß sie auf der ganzen Linie verspielt hatten. Man hatte sie bereits entwaffnet. »Was geschieht jetzt mit diesen Todesnarren?« erkundigte sich die Detektivin. »Wir haben da festlich hergerichtete Einzelzellen«, erwiderte Peter Baumann. »Darf ich mir erlauben, eine Anregung zu geben?« fragte Josuah Parker, »man sollte den Herren doch Gelegenheit geben, wenigstens noch ein paar Stunden närrisch zu sein.« »Was haben Sie denn jetzt schon wieder ausgekocht, Mister Parker?« erkundigte sich Joan Milford mißtrauisch. »Sie werden möglicherweise eine gewisse Heiterkeit nicht unterdrücken können, Miß Milford«, sagte Butler Parker, um dann ihr und Baumann seinen Vorschlag zu entwickeln. Ì »Da kommen sie!« Lady Agatha lächelte freudig. »Sie machen sich eigentlich sehr nett, Mister Parker.« Sie, Joan Milford und Baumann standen neben dem Butler und beobachteten eine kleine Fußgruppe innerhalb des großen 87
Festzuges. Es handelte sich um vier Männer, die gestreifte Sträflingskleidung trugen und mit Handschellen versehen waren. Sie marschierten hinter einem sogenannten Kleinstgefängnis her, dessen Gitter allerdings aufgemalt waren. Untereinander durch solide Stricke verbunden, mußten sie einfach mitmarschieren, denn ein noch dickerer Strick verband Kramer, Heidemann, Kölbel und Vettler mit dem Gefängniskarren. Die hintere Tür dieses fahrbaren Gefängnisses war geöffnet. Zwei Cowboys saßen auf der Türschwelle, ließen ihre Beine baumeln und überwachten die Gefangenen. Lady Agatha boxte sich durch die Menge, bis sie weit vorn stand. Sie paßte sich der herrschenden Landessitte an und warf den vier Sträflingen Handküsse zu. Die Gestreiften erspähten sie sofort und reagierten sauertöpfisch. Sie hatten bereits einen Marsch von einer Stunde hinter sich und waren nicht mehr gut zu Fuß. Butler Parker benahm sich wesentlich reservierter als Lady Agatha. Er lüftete höflich die schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an. »So, Mister Parker, und jetzt möchte ich ausgelassen sein«, sagte die ältere Dame, als die Fußgruppe hinter einer Biegung verschwand, »sorgen Sie dafür, daß ich mich amüsieren kann, ich bitte um etwas Stimmung!« »Sehr wohl«, antwortete Parker und griff in die linke Tasche seines schwarzen Covercoats. Er holte eine Luftschlange hervor und warf sie hoch in die Luft. Dann schnipste er etwa vier Gramm Konfetti in Richtung Lady Agatha. »Entsprach dies Ihren Wünschen und Vorstellungen, Mylady?« fragte er dann höflich, »wenn Sie darauf bestehen, könnte ich noch mit einer zweiten Luftschlange dienen!« ENDE
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Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 210 Günter Dönges
PARKER und die »Betonmischer«
Butler Parker-Auslese erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 13. Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbrettung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: EX-PRESS-Verlag GmbH, Zehntwiesenstraße 5, 7505 Ettlingen 1. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234 751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Portound Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung porto- und verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 2352,7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr. Printed in Germany Mai 1988
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