Butler � Parker � Nr. 215 � 215
Günter Dönges �
PARKER fängt die � ›Königskobra‹ �
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Butler � Parker � Nr. 215 � 215
Günter Dönges �
PARKER fängt die � ›Königskobra‹ �
2
»Ein bemerkenswertes Exemplar«, stellte Josuah Parker fest und musterte die Königskobra, die schätzungsweise dreieinhalb Meter lang und fast armdick war. Das Reptil glitt aus einer Art Schutzhütte, die sich in der Mitte der großen Betonschüssel befand. Die Kobra züngelte und zeigte eindeutig eine gewisse Unruhe. »Sie scheint irritiert zu sein«, meinte Desmond Ball erstaunt und beugte sich über die Brüstung der Betonschüssel, »normalerweise ist Hetty schon fast zutraulich.« »Sie scheinen intensive Beziehungen zu Ihren Gästen zu pflegen, Mr. Ball«, sagte Butler Parker und deutete auf eine zweite Kobra, die aus der Schutzhütte glitt und nicht weniger züngelte. »Wir haben uns im Lauf der Zeit natürlich kennengelernt«, gab Desmond Ball zurück. Er war etwa fünfzig, rundlich und ein freundlicher Mensch. Er war der Besitzer der Schlangenfarm, die sich in der Nähe der kleinen Stadt Marlow in den Chiltern Hills befand. Von London aus war es im Grunde nur ein Katzensprung bis hierher, doch hatte man erst mal dieses Gelände betreten, dann fühlte man sich in die Tropen versetzt.
Die Hauptpersonen: Desmond Ball betreibt eine Schlangenfarm und liefert Gifte aller Art. Hetty empfindet tiefen Respekt vor Butler Parker. Jerry Puckley fällt einer giftigen Grubenotter zum Opfer. John Midhurst organisiert Diebstähle und seinen Tod. Lionel Dunston verdient mit ›Enthüllungen‹ sein Geld. Prof. Arthur Mantell wird ›Goldhand‹ genannt, und beschäftigt zwei sehr tüchtige Assistenten. Lady Agatha bringt Schlangen in gereizte Stimmung. Butler Parker steigt in eine Grube und sorgt für Zahnschmerzen bei gewissen Reptilien. Es gab hier exotische Pflanzen und Bäume, Gewächshäuser und Pavillons, die aus Bambus errichtet worden waren. Desmond Ball war mit Sicherheit ein geschickter Geschäfts-
mann, der seinen Besuchern einiges zu bieten hatte. Seine Schlangenfarm war weithin bekannt. Besucher vor allen Dingen aus London fanden sich hier gern 3
ein, beobachteten die Reptilien in den großen Betonschüsseln und gruselten sich. Die Auswahl an Giftschlangen, die Desmond Ball zu bieten hatte, war in der Tat beachtenswert. »Wovon lebt dieses hübsche Ungeheuer?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie stand neben Parker und beobachtete durch ihre Lorgnette die Kobra, die sich aufrichtete und ihren gespreizten Nackenschild zeigte. Die riesige Königskobra schien nur den Butler zu sehen. »Hetty frißt andere Schlangen, Ratten und Kaninchen«, gab der Besitzer der Farm zurück, »und eigentlich müßte sie jetzt friedlich sein. Sie ist nämlich satt.« »Sie gehen einem erstaunlichen Hobby nach, Mister Ball«, sagte Josuah Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Sie beschränken sich, wie man meine bescheidene Wenigkeit informierte, keineswegs auf das Zurschaustellen dieser Reptilien?« »Das ist nur ein Nebeneffekt«, antwortete Ball, »in erster Linie beliefere ich die pharmazeutische Industrie mit Schlangengiften. Die stellt daraus dann Schlangenseren her.« »Und wie haben die Reptilien sich mit dem Klima abgefunden, wenn man höflichst fragen darf?« »Wenn’s zu kalt wird, decke ich die Betonschüsseln mit Planen ab. Ich kann sogar den Boden aufheizen.
Ich habe eine Art Fußbodenheizung einbauen lassen.« »Sie hat was gegen Sie, Mr. Parker!« Lady Agatha deutete mit dem Griff ihrer Stielbrille auf die Königskobra, die sich an den Rand der Schlangengrube geschoben hatte, um sich hier erneut aufzurichten. Sie hatte selbstverständlich keine Chance, den Butler zu erreichen. Die Betongrube, in der sie zusammen mit anderen Kobras lebte, war schätzungsweise zweieinhalb Meter tief. »Der Biß dieses Reptils wäre wirklich tödlich, Mister Ball?« fragte Parker. »Unbedingt«, antwortete Desmond Ball, »natürlich habe ich drüben in meinem Büro die entsprechenden Gegengifte, aber ein Biß wäre immer lebensgefährlich, auch wenn man sofort das Serum spritzen würde.« »Es gab hier bisher keine Unfälle, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie war eine stattliche Dame, die die sechzig mit Sicherheit überschritten hatte, sah jedoch keineswegs betagt aus, sondern das Gegenteil war der Fall. Sie spielte mit Begeisterung Golf und frönte dem Sport des Bogenschießens. Sie war überhaupt eine ungemein aktive, dynamische Frau, die nicht untätig sein konnte. »Unfälle hatten wir bisher nicht, und das wird auch so bleiben«, 4
beantwortete Ball die Frage Agatha Simpsons, »bei den Führungen durch die Schlangenfarm bin ich stets dabei.« »Und dennoch fand sich hier bedauernswerterweise ein Opfer«, erinnerte Josuah Parker. »Das passierte drüben bei den Grubenottern«, sagte Desmond Ball und nickte, »und ich betone noch mal das, was ich bereits der Polizei gesagt habe: Der junge Mann ist außerhalb der Öffnungszeiten hier eingestiegen.« »Sie fanden ihn gestern, nicht wahr, Mister Ball?« »Als ich die Morgenfütterung beginnen wollte«, bestätigte Ball, »er war natürlich schon längst tot. Er wurde wenigstens sechs- bis achtmal gebissen. Er hatte keine Chance.« »Sie hörten keine Schreie?« erkundigte sich die ältere Dame erstaunt. »Nichts«, bedauerte Desmond Ball, »aber ich wohne ja auch nach vorn hinaus. Ich muß noch mal wiederholen, daß der junge Mann widerrechtlich eingedrungen ist. Darf ich jetzt mal wissen, wieso Sie mich das alles fragen? Von der Polizei sind Sie doch bestimmt nicht, könnte ich mir nicht vorstellen.« »Sie haben den Verblichenen vorher noch nie gesehen, Mister Ball?« fragte der Butler, als habe er nichts gehört. »Noch nie vorher.« Desmond Ball
schüttelte den Kopf. »Sonst würden Sie vielleicht nicht mehr leben, junger Mann«, erwiderte die passionierte Detektivin, »der Tote war ein bekannter Gangster. Aber mit solchem Gelichter haben Sie ja sicher nichts zu tun, oder?« »Natürlich nicht, Mylady«, erwiderte Desmond Ball, »war es ein gefährlicher Gangster?« »Ein sogenannter Killer, wie es im Jargon der Unterwelt zu heißen pflegt«, schloß Josuah Parker die Unterhaltung und deutete mit der Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirms auf die Kobra, »der Verblichene dürfte wenigstens so gefährlich gewesen sein wie diese Königskobra!« * Chief-Superintendent McWarden erhob sich respektvoll, als Lady Agatha zusammen mit dem Butler den kleinen Gasthof betrat. McWarden, stets an einen leicht gereizten Bullterrier erinnernd, war mittelgroß und neigte zur Korpulenz. Der etwa Fünfzigjährige war Chef eines Sonderdezernats im Yard und arbeitete nur zu gern mit Butler Parker zusammen. »Nun, was halten Sie von diesem Desmond Ball?« fragte er, nachdem man in einer holzvertäfelten Nische Platz genommen hatte. 5
»Diesem Schlangenbändiger traue ich nicht über den Weg«, antwortete die ältere Dame, »Sie sollten ihn festnehmen, McWarden.« »Was hätte ich schon gegen ihn in der Hand, Mylady?« fragte der Chief-Superintendent, der die vorschnellen Urteile der Lady nur zu gut kannte. »Sie sind wieder mal zu vorsichtig, McWarden«, grollte sie, »was sucht ein Gangster in einer Schlangengrube? Er kann doch nur hinuntergestoßen worden sein. Und zwar von diesem Desmond Ball. Was meinen Sie, Mister Parker?« »Eine Deutung, Mylady, die man nur als einleuchtend bezeichnen kann«, antwortete Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. Sein glattes Gesicht blieb ausdruckslos. »Haben Sie diesen Gangster eigentlich gekannt, McWarden?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Jerry Puckley, Mylady? Nein, beruflich ist es nie dazu gekommen. Puckley verschwand eines Tages aus London und tauchte jahrelang unter. Daher ja auch meine Überraschung, als man ihn auf der Schlangenfarm fand.« »Dieser Unfall, Sir, wurde von Mister Desmond Ball gemeldet?« fragte der Butler. »Ball hat sich völlig korrekt verhalten. Welchen Eindruck hat er denn auf Sie gemacht, Mister Parker?« »Mister Ball gab sich ausgespro-
chen selbstsicher, Sir«, entgegnete der Butler. »Er ist nicht weniger giftig als seine Schlangen«, wußte die ältere Dame mit Nachdruck zu sagen, »ich habe mir den Zaun angesehen, der die Schlangenfarm umgibt. Übermannshoch und sehr solide. McWarden… Warum sollte ein Killer sich die Mühe machen, solch ein Hindernis zu übersteigen? Was hätte er auf der Schlangenfarm suchen sollen als Schlangen? Nein, nein, er ist auf das Gelände gelockt worden.« »Ähnlich denke ich auch, Mylady«, äußerte McWarden, »meine Leute sind dabei, sich mit Desmond Balls Vorleben zu beschäftigen. Möglich, daß wir da überraschende Funde machen werden.« »Nehmen Sie ihn fest, bevor weitere Leute in einer Schlangengrube landen«, drängte die Detektivin, »ja, wer weiß eigentlich, wie viele Leute Ball bereits umgebracht hat! Ich werde Ihnen mal etwas sagen, mein lieber McWarden: Lassen Sie das Grundstück umgraben… Sie werden auf eine ganze Reihe von Leichen stoßen…« »Eine unheimliche Vorstellung, Mylady, wenn man so sagen darf«, ließ Josuah Parker sich höflich vernehmen. »Dann wäre Ball ja eine Art Superkiller«, meinte McWarden. »Das sieht man doch auf den ersten Blick, McWarden«, konterte 6
Agatha Simpson prompt, »schade, daß ich ihn nicht verhören kann.« »Besser nicht, Mylady«, antwortete McWarden hastig, »es gäbe dann wieder eine Anzeige wegen mittelschwerer Körperverletzung.« »Ich werde diesen Fall selbstverständlich übernehmen und ihn für Sie lösen, McWarden«, sagte die Lady, »ich merke schon, daß Sie allein wieder mal nicht zurechtkommen.« »Ich stehe tatsächlich vor einem Rätsel«, räumte der Chief-Superintendent ein, »ein Gangster wie Puckley ist nicht so ohne weiteres zu überlisten. Zufällig ist er auf keinen Fall in dieser scheußlichen Schlangengrube gelandet.« »Vielleicht wurde er gezwungen, Sir, in solch eine Betonschüssel hinabzusteigen«, gab Josuah Parker zu bedenken, »er könnte von Mitgliedern der Unterwelt in die Schlangengrube transportiert worden sein.« »Oder so«, meinte die ältere Dame grimmig, »was spielt das für eine Rolle? Spalten wir doch keine Haare, Mister Parker. Ob gezwungen oder gelockt, freiwillig hat dieser Mann sich nicht von den Klapperschlangen beißen lassen.« »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady«, antwortete der Butler gemessen und sah zur Tür des Gasthofes hinüber. Sie war geöffnet worden, und ein Mann, der die drei
Gäste in der versteckt gelegenen Nische nicht entdeckte, betrat den vorderen Schankraum. Josuah Parker erhob sich und ging nach vorn. Seine Absicht war eindeutig. Er wollte den Gast zumindest begrüßen. * Dieser große, schlanke, etwa fünfunddreißig Jahre alte Mann starrte den Butler an, der plötzlich neben ihm auftauchte und höflich seine schwarze Melone lüftete. »Habe ich möglicherweise die Ehre, Mister John Midhurst begrüßen zu können?« erkundigte sich Parker. »Zum Teufel mit Ihnen«, reagierte der Angesprochene. Er schien einen Moment mit dem Gedanken zu spielen, dem Butler einen Fausthieb zu versetzen, kam aber dann wohl zu dem Schluß, in diesem Fall den kürzeren zu ziehen. »Ihre Manieren sind noch immer das, was ich als äußerst beklagenswert bezeichnen möchte«, erwiderte Josuah Parker, »sollte es nur Zufall sein, daß man sich hier draußen auf dem Land trifft? Oder interessieren auch Sie sich möglicherweise für die Schlangenfarm des Mister Desmond Ball?« »Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe, Parker«, gab John Midhurst wütend zurück, »ich will hier in 7
aller Ruhe mein Bier trinken und mich nicht von ‘nem Amateurdetektiv belästigen lassen.« »Ich könnte Sie selbstverständlich auch zu McWarden an den Tisch bitten«, meinte der Butler höflich. »McWarden ist hier?« John Midhurst bog sich ein wenig nach hinten, schob seinen Kopf um einen Mauervorsprung und biß sich dann auf die Unterlippe. »Der Chief-Superintendent ist dienstlich hier in Marlow«, redete Josuah Parker weiter, »er geht einem ungemein bedauerlichen Unglücksfall nach, den ein gewisser Jerry Puckley erlitten hat.« »Unglücksfall? Jerry Puckley?« »Er dürfte nach Lage der Dinge und Wunden von einigen Klapperschlangen gebissen worden sein?« »Ist er… tot?« »Mit letzter Sicherheit, wenn ich so sagen darf, Mister Midhurst. Sie wollten sich mit Mister Puckley hier treffen? Sie vermißten vielleicht seinen Anruf?« »Wann… wann ist das passiert?« »Mister Jerry Puckley wurde gestern morgen in einer der Schlangenunterkünfte gefunden. Er hatte das sogenannte Zeitliche bereits gesegnet.« »Scheußlich.« John Midhurst schüttelte sich und bestellte sich beim Besitzer des Gasthofes einen doppelten Brandy, den er ruckartig kippte.
»Sie scheinen ahnungslos gewesen zu sein«, stellte der Butler fest. »Ihre Betroffenheit dürfte kaum gespielt sein.« »Ich… Ich kenne keinen Puckley«, behauptete John Midhurst prompt und rang sich ein Lächeln ab, das allerdings verkrampft wirkte. »Ich bin zufällig hier draußen auf dem Land. Sonst noch Fragen?« »Keine Fragen, Mister Midhurst, aber ich möchte nicht versäumen, eine dringende Warnung auszusprechen. Ein Besuch der Schlangenfarm außerhalb der regulären Öffnungszeiten könnte tödlich verlaufen.« »Ich kenn diese Schlangenfarm überhaupt nicht, Mister Parker.« Midhurst, der bereits gezahlt hatte, drehte sich auf dem Absatz um und verließ eilig die Gaststätte. Josuah Parker folgte ihm nach draußen und nahm zur Kenntnis, daß John Midhurst in einen grünen Ford stieg, an dessen Steuer ein Mann saß. Parker prägte sich das Londoner Kennzeichen des Wagens ein, der mit durchtourenden Reifen anfuhr und schnell in einer schmalen Seitenstraße verschwand. »War das nicht Midhurst?« fragte McWarden, als Parker zur Nische zurückkehrte. »Und wer, bitte, ist dieser Midhurst?« wollte die Lady wissen. »Ein kleiner Gangsterboß«, antwortete Chief-Superintendent McWarden, »er beliefert Hehler mit 8
dem, was er und seine Leute zusammenstehlen…« »Was sucht solch ein Subjekt in der Nähe der Schlangenfarm?« fragte die Detektivin weiter, »Mister Parker, warum haben Sie die Flucht dieses Lümmels nicht verhindert?« »Weil Mylady es lieben und schätzen, solche Vertreter der Unterwelt an der sogenannten langen Leine zu halten.« »Natürlich«, gab sie sofort zurück und nickte wohlwollend, »Sie haben es endlich begriffen, Mister Parker.« »Diesen Midhurst kann ich jederzeit erreichen, Mylady«, warf der Chief-Superintendent ein, »was sagte er zum Tod von Jerry Puckley, Mister Parker?« »Eine gewisse Betroffenheit, Sir, war keineswegs zu übersehen.« »Sie glauben, er wußte noch nichts davon?« »Dies, Sir, sollte man annehmen. Mister Midhurst bestritt nachfolgend selbstverständlich, den Verblichenen je gekannt oder gesehen zu haben.« »Ein seltsames Gespann«, sinnierte McWarden halblaut, »ein eiskalter Killer und ein Dieb, denn mehr ist Midhurst nicht, auch wenn er sich ‘ne kleine Gang aufgebaut hat.« »Dieses Subjekt ist bestimmt auf dem Weg zur Schlangenfarm«, sagte Agatha Simpson erfreut, »warum sitze ich noch hier herum?« »Mylady beabsichtigen, Mr. Ball
einen weiteren Besuch abzustatten?« erkundigte sich der Butler. »Natürlich«, sagte sie energisch und erhob sich, »und ich werde einen zweiten Giftschlangenmord verhindern.« Sie war nicht mehr aufzuhalten und stürmte aus dem Gasthof, während Parker die Zeche zahlte. Sie saß bereits im Fond des hochbeinigen Privatwagens ihres Butlers und wartete ungeduldig darauf, daß die Fahrt stattfand. Chief-Superintendent McWarden war noch auf dem Weg zu seinem schwarzen Dienstwagen, der von einem seiner Mitarbeiter gefahren wurde. Butler Parkers Wagen, von Freund und Feind gern und respektvoll »Monstrum« genannt, war ein ehemaliges, sehr altes Londoner Taxi, daß nach seinen eigenwilligen Vorstellungen erheblich umgebaut worden war, was die Technik betraf. Dank dieser Änderungen war das Fahrzeug zu einer Trickkiste auf Rädern geworden und wurde immer wieder auf dem neuesten Stand der technischen Weiterentwicklung gehalten. Josuah Parker nahm am Steuer Platz und lenkte seinen hochbeinigen, ungemein eckigen Wagen zurück zur Schlangenfarm. Lady Agatha kontrollierte während dieser kurzen Fahrt ihren perlenbestickten Pompadour und den darin befindlichen »Glücksbringer«, der nichts anderes war als ein echtes Pferde9
hufeisen. In ihren Händen konnte aus diesem Handbeutel eine Art mittelalterlicher Morgenstern werden, mit dem sie treffsicher zuzulangen verstand. »Was ist, Mister Parker, wenn das Tor verschlossen sein sollte?« sorgte sich die ältere Dame. »Es wird sich Myladys Wünschen beugen«, antwortete der Butler gemessen, denn unter seinen schwarz behandschuhten Fingern hatte es bisher noch kein Schloß gegeben, das seinen Widerstand nicht nach wenigen Augenblicken aufgegeben hätte… * Desmond Ball hielt eine Schlange in den nackten Händen. Es handelte sich um eine veritable Grubenotter, wie Parker sah. Das Reptil war äußerst gereizt und klapperte mit seiner stark ausgebildeten Schwanzrassel. Der Rachen der Schlange war weit geöffnet, und die Giftzähne standen deutlich hervor. Desmond Ball lehnte sich an einen weißen Labortisch, auf dem Meßbecher und Glaskolben zu sehen waren. Es machte ihm nichts aus, daß der starke Leib des Reptils sich um seinen linken Unterarm wand, denn die Giftzähne des Reptils bedrohten nicht ihn, sondern einen Besucher, den der Butler erst vor einer halben
Stunde im Gasthof angesprochen hatte. Es war der kreidebleiche John Midhurst. Er stierte förmlich auf den Rachen der Schlange, wich zurück und bewegte sich dabei mit einer Vorsicht, als stünde er auf Glatteis. »Sie… Sie sind verrückt, Ball«, sagte Midhurst mit belegter Stimme, »lassen Sie den Unsinn… Machen Sie sich nicht unglücklich!« »Das Tier ist völlig harmlos«, behauptete der Besitzer der Schlangenfarm, »wollen Sie es nicht mal anfassen? Sie werden überrascht sein, wie kühl und glatt so ein Schlangenleib ist…« »Bleiben Sie stehen«, erwiderte John Midhurst, der nicht weiter zurückweichen konnte. Sein Rücken berührte bereits die gekachelte Wand des kleinen Labors. »Bleiben Sie stehen, oder…« »Oder was, Midhurst«, sagte Desmond Ball freundlich, »falls Sie schießen wollen, dann kann ich Ihnen nur gratulieren. Die Schlange wird schneller sein als Sie…« »Wenn Sie gestatten, möchte ich mich dieser Lagebeurteilung vollinhaltlich anschließen«, schaltete sich Josuah Parker in diesem Augenblick in das Gespräch ein. Er lüftete höflich die schwarze Melone, als Ball und Midhurst sich zu ihm wandten. Josuah Parker stand in der Seitentür und schien das Reptil in Balls Händen nicht zu sehen. Desmond Ball hatte plötzlich 10
Schwierigkeiten mit der Schlange. Das starke, ausgewachsene Tier bäumte sich auf, wand sich verzweifelt und… glitt dann aus Balls Händen. Der Besitzer der Schlangenfarm reagierte augenscheinlich automatisch. In dem Bestreben, einem Giftbiß zu entgehen, warf er die Grubenotter weit von sich – unglücklicherweise in Parkers Richtung. Josuah Parker ließ sich keinen Moment aus der Fassung bringen. Sein altväterlich gebundener Universal-Regenschirm zuckte wie ein ausfallender Degen und stoppte den Flug des Reptils. Die Grubenotter schnappte prompt zu und – verbiß sich in den Falten des Schirms. Sie ahnte nicht, daß dieser Schirm keineswegs mit schwarzer Seide allein bestückt war. Unter der Seide befand sich feines, aber zähes Gewebe aus Glasfiberfäden. Die Giftzähne trafen also auf Widerstand und verfingen sich. Mit der linken Hand faßte der Butler blitzschnell zu und erwischte die Grubenotter hinter dem Hals. Er löste vorsichtig die Zähne aus dem Gewebe und hielt die Otter hoch. »Ein sehr hübsches Exemplar«, stellte Parker fest, »gehe ich recht in der Annahme, Mister Ball, daß es sich um eine Diamantklapperschlange handelt?« »Wie…? Ja, eine Diamantklapperschlange«, bestätigte Ball mechanisch und starrte auf sein Reptil, das
einen recht hilflosen Eindruck machte. »Wollten Sie das Reptil melken, wie wohl der Fachausdruck lautet?« »Was wollte ich? Ja, melken… Natürlich, was dachten Sie denn?« Desmond Ball konnte sich von dem Anblick nicht losreißen. Da stand dieser Butler in der Tür und hielt eine tödlich giftige Klapperschlange in seiner linken, schwarz behandschuhten Hand, als handle es sich um einen harmlosen Wasserschlauch! Das Reptil – gut und gern zwei Meter lang – hatte inzwischen jeden Widerstand aufgegeben und zeigte sich von seiner relativ friedlichen Seite. »Die Herren kennen sich?« fragte Josuah Parker. »Über… überhaupt nicht«, erwiderte John Midhurst umgehend. »Wir haben uns eben erst gesehen«, fügte Desmond Ball hinzu. »Sie unterhielten sich zweifelsfrei über den verblichenen Mister Jerry Puckley, wie ich hörte?« bluffte der Butler. »Da müssen Sie sich verhört haben«, behauptete John Midhurst. »Er wollte sich nur mal die Schlangenfarm ansehen«, log Desmond Ball. »Vielleicht darf ich die Führung übernehmen?« Parker gab die Tür frei und deutete mit der Hand nach draußen. »Inzwischen kennt meine 11
bescheidene Wenigkeit sich hier ein wenig aus, wie ich behaupten möchte.« »Mein… mein Bedarf ist gedeckt«, sagte John Midhurst hastig. »Natürlich werden Sie mitkommen, junger Mann«, schaltete sich Lady Agatha in diesem Augenblick ein. Sie erschien hinter ihrem Butler und ließ den Pompadour am rechten Handgelenk pendeln. John Midhurst, der sich in die Enge getrieben fühlte, beging den Kardinalfehler, nach seiner Schußwaffe zu greifen, die sich eindeutig in einer Schulterhalfter befand. Er sollte dies wenig später bereuen… * Der Pompadour hatte sich vom Handgelenk der älteren Dame gelöst und zischte mit viel Fahrt durch die Luft. Der perlenbestickte Handbeutel landete ungemein zielsicher auf der Stirn des Gangsterbosses. Der »Glücksbringer« im Pompadour tat augenblicklich seine tiefgreifende Wirkung und fällte den Mann, der es noch nicht mal geschafft hatte, die Waffe aus der Schulterhalfter zu ziehen. John Midhurst schielte, um dann anschließend völlig groggy zu Boden zu gehen. »Das fehlte noch, eine wehrlose Frau anzugreifen«, entrüstete sich Lady Simpson.
»Eine unverzeihliche Frechheit, Mylady«, urteilte Josuah Parker, »darf ich mir übrigens erlauben, eine Empfehlung auszusprechen?« »Ich sollte dieses Subjekt ohrfeigen, nicht wahr?« Agatha Simpson drängt es, dieser Empfehlung nachzukommen. »Vielleicht könnten Mylady mit Mister Ball die Räume des Instituts besichtigen«, redete Parker höflich weiter. »Sehr schön.« Die resolute Sechzigerin war sofort einverstanden. »Bringen Sie gleich meinen Pompadour mit, Mister Ball… und beeilen Sie sich gefälligst!« Desmond Ball dachte nicht im Traum daran, Protest gegen diese Behandlung einzulegen. Die grimmige Autorität der Lady Agatha war einfach zu beeindruckend. Ball langte nach dem Pompadour und überbrachte ihn der selbstbewußten Dame. Anschließend beeilte er sich, Lady Simpson zu folgen. Parker, der die Diamantklapperschlange noch immer fest im Griff hatte, trat an den Labortisch und angelte ein Glasgefäß, dessen Öffnung mit einer zähen Kunststoffhaut überspannt war. Er drückte die Giftzähne der Klapperschlange gegen diese zähe Haut, und das Reptil schnappte wütend zu. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Gift tropfenweise ins Glas rann. Parker »molk« die Giftschlange – fach12
gerechter hätte es kein Experte tun können. Nachdem die Schlange ihre Giftdrüsen entleert hatte, zeigte sie sich ein wenig ruhiger. Ihre Gereiztheit legte sich merkbar. Wahrscheinlich spürte sie instinktiv, daß sie im Moment wehr- und waffenlos war. Josuah Parker hatte keine Bedenken mehr, das Reptil auf dem Boden des Labors abzusetzen. Die Diamantklapperschlange zischte, rollte sich zusammen, züngelte und wollte dann langsam und fast träge in eine Ecke kriechen. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms dirigierte Josuah Parker jedoch das Reptil in die Nähe des Gangsterbosses, der zu sich kam und bereits nach Stirn und Nasenwurzel fingerte. Dann öffnete John Midhurst die Augen und entdeckte das nicht gerade zierliche Reptil in seiner Nähe. Midhurst kreischte, zog schleunigst die Beine an seinen Körper und stierte auf den Kopf des Reptils. Die Diamantklapperschlange züngelte erneut, spürte wohl die Wärmeausstrahlung des Zweibeiners und fühlte sich bedroht. »Sehen Sie denn nicht… Bitte! Schaffen Sie das verdammte Biest weg… Tun Sie doch was!« John Midhurst sprach leise, aber auch eindringlich. Er hatte sich in eine Ecke zurückgeschoben und verfolgte die Bewegungen der Klapperschlange. »Sie brauchen sich keine Sorgen
mehr machen, Mister Midhurst«, antwortete Josuah Parker, »eine gewisse Kontaktaufnahme erfolgte bereits, wie ich Ihnen mitteilen sollte.« »Kon… Kontaktaufnahme?« stotterte der Gangsterboß. »Sie ließ sich leider nicht verhindern, Mister Midhurst.« »Was wollen Sie damit sagen?« Midhurst atmete erleichtert auf, als Parkers Schirmspitze das Reptil in die Mitte des Labors zurückschob. Anschließend benutzte der Butler seinen Schirm, um die Klapperschlange geschickt und schnell zurück in ihr Behältnis zu bringen. »Was wollten Sie eben sagen, Mister Parker?« wiederholte der Gangsterboß und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. »Ich möchte Sie keineswegs schockieren, Mister Midhurst«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »wenn ich raten darf, so sollte man sich nach einem geeigneten Serum umsehen.« »Serum? Wieso? Was ist passiert? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß die Schlange mich gebis…« »Vielleicht nur oberflächlich, Mister Midhurst«, hoffte Josuah Parker. »Sie hat mich gebissen!?« »Mehr beiläufig, wenn ich so sagen darf.« »Und… und das sagen Sie mir erst jetzt?« Midhurst wollte aufspringen, doch die Angst lähmte seine Glieder. 13
»Unnötige Bewegungen sollten Sie allerdings tunlichst vermeiden«, riet der Butler dem Gangsterboß, »Sie müssen ja nicht unbedingt so enden wie ihr Freund Puckley.« »Puckley ist umgebracht worden.« John Midhurst flüsterte nur noch. »Ich weiß es ganz genau. Man hat ihn umgebracht!« »Wer könnte für diesen Mord verantwortlich gemacht werden, wenn man höflichst fragen darf?« »Besorgen Sie mir das Serum, Mister Parker… Ich spüre bereits das Gift… Das Serum!« »Umgehend und augenblicklich, Mister Midhurst, aber wer könnte den Mord an Mister Jerry Puckley veranlaßt haben?« »Lionel Dunston«, keuchte der Gangsterboß, »Lionel Dunston. Und jetzt das Serum… Beeilen Sie sich, machen Sie doch endlich!« * »Wer ist Lionel Dunston?« fragte Mike Rander. Der etwa vierzigjährige Anwalt, an einen Filmstar erinnernd, sah den Butler erwartungsvoll an. Die beiden Männer kannten sich seit Jahren. Josuah Parker hatte seinerseits Mike Rander betreut, bevor der Anwalt in die Staaten fuhr, um dort als Vertreter britischer Firmen zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr nach London verwaltete Mike Rander das immense Vermö-
gen der Lady Simpson und war von Butler Parker »übernommen« worden. »Mister Lionel Dunston, Sir, ist ein Gangster, der sich der Erpressung verschrieben hat«, wußte Josuah Parker zu sagen, »er arbeitet unter dem Deckmantel einer sogenannten kleinen Presseagentur.« »Weiß der Chief-Superintendent, was Midhurst gesagt hat?« wollte der Anwalt wissen. Er befand sich zusammen mit Parker in der Bibliothek des altehrwürdigen Hauses der Agatha Simpson, das in Shepherd’s Market stand. »Dazu wäre zu vermelden, Sir, daß Mr. John Midhurst mit einem ausgeprägten Nervenschock in eine Klinik geschafft werden mußte«, antwortete der Butler, »die Konfrontation mit der Diamantklapperschlange dürfte sein seelisches Fassungsvermögen überfordert haben.« »Kann ich mir sogar vorstellen, Parker.« Mike Rander schüttelte sich. »Ich möchte noch mal betonen, Sir, das das erwähnte Reptil gemolken worden war, Gefahr für Leib und Leben bestand demnach nicht.« »Immerhin haben wir einen Namen, an den wir uns halten können«, sagte Mike Rander, »hatten Sie schon mal Kontakt mit Lionel Dunston, Parker?« »Dies ergab sich bisher nicht, Sir. Die Einnahmen des besagten Herrn 14
dürften aber beträchtlich sein, wenn man so sagen will. Mister Dunston bewohnt ein elegantes Haus in einer teuren Umgebung.« »Ein Erpresser, der einen Killer dazu bringt, in eine Schlangengrube zu steigen…« Rander sah den Butler skeptisch an. »Nehmen Sie Midhurst diesen Hinweis eigentlich ab?« »Er dürfte kaum in der Lage gewesen sein, Sir, ad hoc diesen Namen zu erfinden, beziehungsweise als Ausrede zu gebrauchen. Meine bescheidene Wenigkeit gewann durchaus den Eindruck, daß Mister Midhurst das sagte, was er glaubt.« »Sehen wir uns diesen Lionel Dunston also an«, schlug der Anwalt vor. »Ich stehe zu Ihren Diensten, Sir. Darüber hinaus sollte man sich aber auch um den verstorbenen Mister Puckley kümmern, wenn ich dies anregen darf.« »Haben Sie Ihre Fühler bereits ausgestreckt?« Mike Rander lächelte wissend. Für ihn stand es fest, daß der Butler seine Beziehungen zur Unterwelt aktiviert hatte. »Man ermittelt bereits diskret, wo Mister Puckley sich aufgehalten und mit wem er Freundschaft gepflegt hat, Sir.« »Wo steckt Lady Simpson, Parker?« »Mylady arbeitet zur Zeit an einem Expose zu einem Bestseller, Sir. Mylady beabsichtigt, eine
Schlangenfarm in den Mittelpunkt der Handlung eines Krimis zu stellen.« »Dann sollten wir möglichst schnell verschwinden«, meinte der Anwalt. »Ich werde Miß Porter informieren, sie kann uns dann bei Mylady entschuldigen.« Wie auf ein Stichwort erschien die Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame. Kathy Porter, fünfundzwanzig, schlank und kaum weniger groß als Mike Rander, war eine bemerkenswerte Frau. Ihr Gesicht zeigte einen pikanterotischen Ausdruck, was mit den betonten Wangenknochen und den ein wenig schräg geschnittenen Augen zusammenhing. Sie schien sich ihrer Attraktivität nicht bewußt zu sein und erinnerte auf den ersten Blick an ein scheues Reh. Tatsächlich aber konnte dieses scheue Reh sich in Sekundenschnelle in eine Pantherkatze verwandeln. Kathy Porter war versiert in fast allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung und darüber hinaus eine Meisterin in blitzschneller Verwandlungskunst. Während Mike Rander Kathy Porter informierte, bereitete der Butler alles für die geplante Ausfahrt vor. Dazu begab er sich ins Souterrain des Fachwerkhauses, wo sich seine privaten Räume und auch seine Bastelstube befanden. In diesem »Labor« entwickelte der Butler immer wieder neue Überraschungen 15
für seine Gegner. Er war auch jetzt wieder der Ansicht, daß ein Besuch bei Lionel Dunston unter Umständen zu Komplikationen führte. Dementsprechend traf er seine Auswahl an hübschen Gastgeschenken für mögliche Kontrahenten… * »Sie wissen hoffentlich, Parker, daß wir verfolgt werden«, meinte Anwalt Rander, nachdem sie etwa zehn Minuten unterwegs waren. Die beiden Männer hatten Shepherd’s Market verlassen und waren auf dem Weg nach Westend, wo sich die Presseagentur und die Wohnung Lionel Dunstons befanden. »In der Tat, Sir«, antwortete der Butler gemessen, »es handelt sich um einen betagten Morris.« »Genau den meine ich, Parker. Wer könnte sich denn da für uns interessieren?« »Mister Horace Pickett, Sir«, erwiderte der Butler mit der größten Selbstverständlichkeit. »Ist das Ihr Taschendieb?« Mike Rander lächelte. Er wußte genau, wer dieser Horace Pickett war. »Der Ausdruck Taschendieb, Sir, würde Mister Pickett tief verletzen«, antwortete Josuah Parker, »Mister Pickett betrachtet sich als eine Art moderner Robin Hood, wenn ich so sagen darf. Er nimmt, um ihn wortwörtlich zu zitieren, gewisse Vermö-
gensumschichtungen vor.« »Eine tolle Umschreibung.« Mike Rander schmunzelte. »Ich möchte darauf verweisen, Sir, daß Mister Pickett es ablehnt, sozial schwachgestellte Personen mit seinen Künsten zu beehren. Er beschäftigt sich ausschließlich mit Klienten, die über höhere Einkünfte verfügen.« »Das hört sich ja direkt wie ausgleichende Gerechtigkeit an, Parker.« Mike Rander lächelte. »Mister Pickett ist sich durchaus des ungesetzlichen Tuns bewußt, Sir. Meiner bescheidenen Ansicht nach scheint er sogar darunter zu leiden.« »Sagen Sie mir, wann mir die Tränen kommen sollen«, bat der Anwalt, »falls er mal geschnappt werden sollte, werde ich ihn verteidigen.« »Dies wird Mister Picketts Moral ungemein stärken, Sir.« Parker bog in eine stille Seitenstraße und hielt. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der betagte Morris hinter dem hochbeinigen Monstrum des Butlers erschien und ebenfalls hielt. Horace Pickett war ein etwa sechzigjähriger, sehr seriös aussehender Herr, den man ohne weiteres in die Kategorie »pensionierter Oberst«, eingereiht hätte. Er war sorgfältig gekleidet und präsentierte einen gepflegten Schnurrbart. »Ich habe mich wunschgemäß 16
nach John Midhurst erkundigt«, schickte Horace Pickett voraus, »eines steht fest, Mister Parker, er ist seit einigen Wochen sehr tätig.« »Könnten Sie dies möglicherweise ein wenig präzisieren, Mister Pickett?« bat Josuah Parker. »Midhurst und seine Leute schaffen wagenweise hochwertige Ware zu einigen Hehlern, die auch nicht gerade alles aufkaufen.« »Darf man davon ausgehen, Mister Pickett, daß Sie meiner Wenigkeit eine Liste dieser erwähnten Hehler angefertigt haben?« »Selbstverständlich, Mr. Parker.« Horace Pickett überreichte dem Butler einen Zettel, auf dem drei Namen mit den dazugehörigen Adressen standen. »Ich möchte Sie aber warnen, Mr. Parker, die Hehler sind nicht ohne weiteres zu sprechen. Sie verstehen, nicht wahr?« »Sie lassen sich von Leibwächtern abschirmen?« »Von erstklassigen Leuten sogar. Über diesen Killer habe ich bisher noch nichts herausfinden können… Ich meine Jerry Puckley.« »Weiß man mit seinem Namen etwas anzufangen, Mister Pickett?« »Nur vage, Mister Parker, man erinnert sich, aber man scheint ihn in jüngster Zeit nicht hier in London gesehen zu haben.« »Ich möchte mich für Ihre Bereitschaft, meiner Wenigkeit behilflich zu sein, außerordentlich bedanken,
Mister Pickett.« »Ich stehe in Ihrer Schuld, Mister Parker. Was kann ich sonst noch für Sie tun?« »Mister Rander und ich befinden sich auf dem Weg zu einem gewissen Lionel Dunston, falls dieser Name Ihnen etwas sagt.« »Dieser Spezialist in Erpressung, Mister Parker?« »Eben der, Mister Pickett. Sie können meinem Wagen folgen.« »Nichts lieber als das.« Horace Pickett strahlte. »Wollen Sie diesem unangenehmen Kerl endlich das Handwerk legen? Erpressung ist für mich so ziemlich das letzte, was es gibt…« »Wenn Sie erlauben, Mister Pickett, möchte ich Ihnen voll und ganz beipflichten«, erwiderte Josuah Parker höflich, lüftete die schwarze Melone und begab sich zurück zu seinem Wagen. Er dachte über die Tatsache nach, daß der Gangster John Midhurst, dessen Nervenkostüm wegen einer Diamantklapperschlange behandelt wurde, seit einigen Wochen Überstunden machte. Die Frage erhob sich, woher die Ware stammte, die er an jene drei Hehler verkaufte, die Horace Pickett erwähnte… * Lionel Dunston war ein Mann mittleren Alters, der elegant wirken
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wollte, es jedoch nicht schaffte. Er trug einen Smoking, der mit Zigarrenasche bestäubt war. Die Schleife am Hals war gelöst. Dunston saß vor seinem Arbeitstisch und tippte langsam und sehr konzentriert auf einer elektrischen Schreibmaschine. Er kaute einen Zigarrenstummel und wischte sich hin und wieder Schweißperlen von der Stirn. Das Arbeitszimmer, in dem er saß, war modern eingerichtet, wies aber keine Besonderheiten auf. Es gab einige Rollschränke, Aktenablagen und eine Unmenge von Zeitungen, die den Teppichboden bedeckten. Durch eine weit geöffnete Falltür konnte man in die eigentliche Wohnung des Mannes sehen, der einen eigenen Pressedienst herausgab. Seine Einnahmen mußten beträchtlich sein, denn solch eine teure Etage in diesem exquisiten Haus setzte ein gepolstertes Bankkonto voraus. Dunston merkte nicht, daß die Wohnungstür vorsichtig geöffnet wurde. Die Tür zum Korridor und der kleinen Wohnhalle war weit geöffnet, und Lionel Dunston hätte nur für einen Augenblick schauen müssen, um gewarnt zu werden. Doch er hämmerte verbissen auf der Tastatur herum, wischte sich wieder den Schweiß von der Stirn und kaute weiter auf dem Zigarrenstummel. »Hoffentlich stört man nicht«, sagte Josuah Parker, der die Woh-
nung des Erpressers betrat. Er stand in der Tür zum Arbeitsraum und lüftete höflich die schwarze Melone. Lionel Dunston sprang förmlich aus dem Sessel und starrte den Butler total entgeistert an. »Die Tür war nur angelehnt, falls meine Augen mich nicht betrogen haben«, redete der Butler weiter, »darf ich übrigens bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß Sie eindeutig leichtsinnig handeln? In diesen unsicheren Zeiten sollte man zusätzlich mit einer Sperrkette die Wohnungstür sichern.« »Wer… wer sind Sie?« stotterte Lionel Dunston. Er hatte sich wieder gesetzt. Seine linke Hand schob sich vorsichtig an einen Stapel Zeitschriften heran. Genauer gesagt, seine Finger bewegten sich auf einen Revolver zu, der griffbereit vor diesen Magazinen lag. »Mein Name ist Parker… Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor, »ich hatte bisher noch nicht das zweifelhafte Vergnügen, von Ihrem Pressedienst beliefert zu werden.« »Und was wollen Sie?« fragte Lionel Dunston schon wesentlich ruppiger, da seine Fingerspitzen die Waffe erreicht hatten. »Es handelt sich um Grüße, Mister Dunston, die ich Ihnen ausrichten soll«, erwiderte Josuah Parker, der ahnungslos zu sein schien, was die Waffe betraf, »die Grüße läßt Mister John Midhurst ausrichten, falls die18
ser Name Ihnen bekannt ist.« »Ich… ich kenne keinen John Midhurst«, antwortete der Erpresser und umschloß mit seinen Fingern die Schußwaffe. »Und jetzt sollten Sie verschwinden und die Tür von draußen schließen!« »Und Sie sollten den Revolver besser nicht heben«, war in diesem Moment Randers Stimme zu hören. Von der Wohnhalle aus war er hinüber in die eigentliche Wohnung gegangen und hatte von der Verbindungstür aus den Erpresser genau beobachtet. Lionel Dunston fuhr herum und starrte den Anwalt an. Obwohl er in Mike Randers Händen keine Waffe entdeckte, hielt er es für richtiger, dem Rat zu folgen. Er zog hastig seine linke Hand zurück und beschränkte sich darauf, noch intensiver zu schwitzen. »Sie arbeiten gerade an Ihrem Pressedienst?« erkundigte sich der Anwalt. Er kam schnell, aber irgendwie lässig zum Arbeitstisch herüber und lächelte Dunston an. »Ich werde Sie anzeigen und verklagen«, drohte der Mann, »ich weiß genau, daß ich die Sperrkette vorgelegt hatte… Ich weiß es ganz genau!« »Sie werden möglicherweise einer Halluzination erlegen sein, Mister Dunston«, erklärte Josuah Parker, »möchten Sie nicht erfahren, was der erwähnte Mister Midhurst sonst
noch gesagt hat?« »Es interessiert mich nicht!« Lionel Dunston hatte Angst, das war ihm deutlich anzusehen. »Er bezichtigt Sie, einen gewissen Jerry Puckley umgebracht zu haben«, redete Josuah Parker weiter. »Mittels einiger ausgewachsener Klapperschlangen«, schaltete sich Mike Rander ein, »dieses Treffen zwischen Puckley und den Klapperschlangen fand auf der Farm Mister Desmond Balls statt. Sagt Ihnen natürlich auch nichts, wie?« »Kla… Klapperschlangen!?« Lionel Dunston schluckte. »Beachtenswerte Exemplare«, ergänzte der Butler, »befürchten Sie nicht, daß solche Reptilien eines Tages hier in Ihrer Wohnung erscheinen? Ich darf daran erinnern, daß Sie die Haustür recht leichtsinnig behandeln.« »Reptilien? Hier in meiner Wohnung?« Lionel Dunston zog unwillkürlich die Beine an. »Das Leben ist voller Überraschungen«, meinte der Anwalt ironisch. »Freunde von Jerry Puckley könnten vielleicht sauer auf Sie sein, Dunston. Was ist, wenn die sich auch eine Klapperschlange besorgen.?« »Hören Sie auf!« Lionel Dunston entschloß sich, die Beine sicherheitshalber hochzunehmen. Dann beugte er sich vor und starrte auf Josuah Parker, der mit der Spitze seines Universal-Regenschirms in eine 19
Ecke des Arbeitszimmers deutete. Lionel Dunston vergaß für einen Moment, auf Mike Rander zu achten. Der Anwalt war noch näher getreten und warf einen schnellen Blick auf das bereits Geschriebene in der Maschine. Parkers Schirmspitze beschrieb einen leichten Bogen, und Lionel Dunstons Blick folgte dieser fast schon magisch wirkenden Bewegung. Der Anwalt hatte Zeit, sich den Text genauer anzusehen. Doch dann begriff der Erpresser. Er warf sich förmlich über die Schreibmaschine, um das eingespannte Blatt mit seinem Körper zuzudecken. »Danke, ich bin bereits informiert«, reagierte Mike Rander lächelnd, »Sie brauchen sich nicht weiter zu verrenken, Dunston.« Der Erpresser verlor die Nerven und wollte endlich nach der Schußwaffe greifen, doch sie war nicht mehr vorhanden. Josuah Parker stand nämlich inzwischen vor dem Arbeitstisch und schob die Stahlspitze seines Regenschirms in den Bügel, der den Abzugshahn sicherte. Dunston war deshalb nicht mehr in der Lage, die Waffe zu heben. »Nehmen Sie die Warnung ernst, Dunston«, riet Mike Rander dem Erpresser, »Jerry Puckleys Freunde werden bestimmt auf der Bildfläche erscheinen und Ihnen ein paar unangenehme Fragen stellen.« »Möglicherweise hat man sich aber
auch bereits entschieden, Sie hinaus zu einer gewissen Schlangenfarm zu bringen, Mister Dunston«, schloß Josuah Parker, »es müssen ja nicht gerade Grubenottern sein, die auf Sie warten. Die Auswahl an Giftschlangen ist geradezu bestechend.« Lionel Dunston fiel in seinen Sessel zurück, als Mike Rander und Josuah Parker gingen. Er starrte auf die Tastatur der Schreibmaschine und schwitzte… * »Ihr Mitarbeiter ist ja direkt anhänglich, Parker«, sagte Mike Rander, als sie wieder unterwegs waren. Der Anwalt meinte den Fahrer des betagten Morris, der wieder in einigem Abstand hinter dem hochbeinigen Monstrum des Butlers zu sehen war. »Mister Pickett fühlt sich meiner Wenigkeit nach wie vor verpflichtet«, erklärte Josuah Parker, »dies dürfte mit der Tatsache zusammenhängen, daß es mir vergönnt war, Mister Pickett vor geraumer Zeit aus einer recht prekären Situation herauszuhelfen. Dabei ging es um sein Leben.« »Damit wir uns nicht falsch verstehen, Parker, ich habe nichts gegen Ihren Horace Pickett«, sagte Rander lächelnd, »aber ich bin auf der Hut, wenn er in meiner Nähe ist. Ich fürchte dann jedesmal um meine 20
Brieftasche.« »Eine Sorge, die als völlig unbegründet zu bezeichnen ist, Sir.« »Woher bezieht er seine Informationen, Parker? Ich denke da an die drei Namen und Adressen, die er uns gegeben hat.« »Mister Pickett, Sir, genießt in seinen Kreisen hohes Ansehen. Sein umfangreicher Freundesund Bekanntenkreis ist nur zu gern bereit, Mister Pickett einen Gefallen zu erweisen.« »Weiß denn Chief-Superintendent McWarden eigentlich von Picketts Wirken?« »Der Chief-Superintendent, Sir, spart dieses Thema beharrlich aus, woraus sich schließen läßt, daß er informiert sein dürfte.« »Okay, kommen wir mal zurück auf diesen Erpresser. Dunston tippte an einem Brief, den ein gewisser Clide Amersham bekommen soll. Sagt Ihnen dieser Name etwas?« »Ich muß unendlich bedauern, Sir.« »Dem Sinn nach teilte Dunston diesem Amersham mit, er könne mit einigen wertvollen Hinweisen dienen, was gewisse Verluste betrifft. Mehr hatte Dunston leider noch nicht zu Papier gebracht.« »Man wird sich um den erwähnten Mister Clide Amersham kümmern, Sir«, versprach Josuah Parker. »Da Mister Dunston sich die Mühe machte, solch einen Brief zu schrei-
ben, müßte es um ein interessantes Geschäft gehen, wenn ich es so salopp umschreiben darf.« »Sie dürfen, Parker.« Rander lachte leise. »Hoffentlich hat Dunston diesen Amersham nicht schon telefonisch gewarnt.« »Man könnte davon ausgehen, Sir, daß Mister Lionel Dunston bereits unterwegs ist, London den Rücken zu kehren.« »Sie rechnen damit, daß er sich absetzt?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Mit dem Oberbegriff Reptilien schien Mister Dunston einiges anfangen zu können. Ich möchte daraus schließen, daß er von der Existenz der Schlangenfarm weiß. Darüber hinaus aber hat ihm auch der Name Jerry Puckley einiges gesagt.« »Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch, Parker. Wird Ihr Pickett diesen Dunston übernehmen?« »So ist es, Sir. Und er wird sich kaum abschütteln lassen, wie ich versichern darf.« Die beiden Männer waren unterwegs, um dem ersten Hehler einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Parker hatte Horace Picketts Warnung keineswegs auf die leichte Schulter genommen. Ihm war klar, daß die drei Hehler, die der Taschendieb ermittelt hatte, von erstklassigen Leibwächtern beschützt wurden. Es handelte sich bei diesen Hehlern kei21
neswegs um mehr oder weniger kleine Ganoven, die Diebesgut aufkauften. Nein, diese drei Männer handelten mit großen Objekten und wurden dementsprechend auch abgeschirmt. Artie Henley besaß am westlichen Rand von Soho ein Antiquitätengeschäft, das man nur als seriös bezeichnen konnte. In den beiden Schaufenstern standen ausgesuchte Möbelstücke, wurden kostbare Uhren und Porzellane präsentiert. Auf samtüberzogenen Postamenten wurden Silberwaren aller Art ausgestellt. Das Angebot des Händlers war beachtlich und paßte im Grund nicht in dieses grelle, laute Vergnügungsviertel. Josuah Parker und Mike Rander, die den Wagen bereits verlassen hatten, standen vor der Auslage. Der Blick in das eigentliche Verkaufslokal war nicht verstellt. Im Ausstellungsraum waren einige Kunden zu sehen, die fraglos aus Europa stammten. »Das soll ein Hehler sein?« staunte der Anwalt. »Eine bessere Tarnung, Sir, dürfte kaum denkbar sein.« »Hatten Sie schon mal mit diesem Artie Henley zu tun?« »Zu einem Kontakt ist es bisher noch nicht gekommen.« »Dann wollen wir das mal nachholen.« Mike Rander war nicht schnell genug, um die Tür zu öffnen. Parker
hatte sich bereits an ihm vorbeigeschoben und drückte sie auf. Ein feines Glockenspiel oberhalb der Tür lockte sofort einen dunkel gekleideten Verkäufer an, der sich nach den Wünschen der beiden Herren erkundigte. »Mister Rander interessiert sich für ausgesuchte Stücke, die möglichst aus einem Diebstahl stammen«, sagte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Wie war das?« Der Verkäufer, ein gestandener Mann, sah den Butler völlig irritiert an. »Ich komme im Auftrag einer Versicherungsgesellschaft«, schaltete sich Mike Rander ein, »melden Sie mich bitte bei Mister Henley an.« »Sofort, Sir.« Der Verkäufer verbeugte sich und hatte es anschließend sehr eilig, in der Tiefe des Raumes zu verschwinden. Die übrigen Verkäufer und die Kunden hatten von der kurzen Einleitung nichts bemerkt und achteten nicht weiter auf die beiden neuen Kunden, die dem Verkäufer folgten. »Durchgang verboten«, sagte plötzlich eine kühle, gelassene Stimme links von Parker. Ein junger Mann, etwa dreißig Jahre alt, trat hinter einen Vorhang hervor und baute sich vor dem Butler auf. »Sind Sie sicher?« erkundigte sich Parker. Bevor der junge Mann antworten konnte, tippte der Butler mit dem bleigefütterten Bambusgriff sei22
nes Universal-Regenschirms gegen die Stirn des Mannes, der daraufhin bis auf einen bescheidenen Rest sein Gleichgewicht verlor und in den Armen von Mike Rander landete. Der Anwalt drückte den leicht Betäubten in einen Sessel, der aus dem Barock stammte, und holte dann aus der Schulterhalfter des Angestellten einen 38er hervor. »Neue Wege der Verkaufsförderung, wie?« Rander ließ den Revolver in der linken Innentasche seines Sakkos verschwinden. Dann folgte er dem Butler, der bereits vorangegangen war. »Stücke aus einem Diebstahl? Versicherungsgesellschaft?« war hinter einer nur angelehnten Tür zu hören. »Zum Teufel, was sind das für Männer?« »Ich habe die Ehre, Ihnen Mister Rander vorzustellen«, sagte Josuah Parker devot, der die Tür aufgedrückt hatte und höflich seine schwarze Melone lüftete. Dann ließ er seine Kopfbedeckung mit einer blitzschnellen Drehung aus dem Handgelenk heraus wie einen Diskus durch die Luft fliegen. Die schwarze Melone sirrte rasant durch den Raum und landete mit ihrem Rand auf der Hand eines Mannes, der neben einem Schreibtisch stand und eine typische Handbewegung ausführen wollte: Die Hand befand sich auf dem Weg nach einer Schulterhalfter, wie unschwer zu erraten
war… * Der Rand der Melone bestand aus mit Seide überspanntem Eisenblech. Als dieses scharfkantige Objekt das Handgelenk traf, stöhnte der Getroffene und sah sich nicht mehr in der Lage, nach der Waffe zu greifen. »Sie sind Henley?« fragte Mike Rander und ging auf den Schreibtisch zu, hinter dem ein kaum mittelgroßer, schlanker Fünfziger stand. Er trug einen schwarzen Anzug und sah gepflegt aus. »Henley«, bestätigte dieser Mann nervös. Neben ihm stand der Verkäufer, der ihm gerade von den beiden seltsamen Kunden berichtet hatte. »Rander«, stellte sich der Anwalt vor. »Machen Sie sich keine Hoffnungen, Henley, ich werde schneller sein als Sie.« Artie Henley nahm schleunigst seine Hand zurück, die nach der Schublade greifen wollte. Der Verkäufer neben ihm wich zur Wand zurück und hüstelte. »Was… was hat das alles zu bedeuten?« erkundigte sich Henley und bemühte sich um Haltung. »Sie haben sich nach Stücken aus einem Diebstahl erkundigt?« »Sie werden doch schließlich von John Midhurst beliefert«, antwortete der Anwalt, »Sie und ein paar 23
andere hochkarätige Hehler. Das ist doch ein offenes Geheimnis.« Bevor Artie Henley darauf antworten konnte, mußte Josuah Parker den jungen Mann zur Ordnung rufen, den er mit seiner Melone daran gehindert hatte, nach einer Waffe zu greifen. Dieser junge Mann beging den Fehler, Parker mit einem kräftigen, schnellen Fußtritt traktieren zu wollen. Der Butler, der solch einen Angriff erwartet zu haben schien, wich geschickt zur Seite und benutzte dann den Bambusgriff seines Schirmes, um den Mann völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Griff hakte sich hinter der Ferse ein, und Parker schaffte es mit kurzem Ruck, den Leichtsinnigen zu Boden zu befördern. Der junge Mann schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand und rutschte dann zu Boden. Er war bereits besinnungslos, als er auf dem Teppichboden landete. »Sie sollten Ihre Angestellten besser schulen, Henley«, riet Mike Rander dem Hehler, »und es gilt noch immer… Ich werde schneller sein als Sie!« Daraufhin bekam Artie Henley einen leicht geröteten Kopf und verzichtete endgültig darauf, die Schublade zu öffnen. Er ließ sich in seinen Sessel fallen »Midhurst beliefert Sie also en gros, Henley«, redete der Anwalt weiter, »woher stammt das Diebesgut?«
»Midhurst…? Wer ist Midhurst?« fragte Artie Henley. »Ein Mann, den man im Augenblick nur bedauern kann«, schaltete sich der Butler ein. »Mister John Midhurst hatte Kontakt mit einer Diamantklapperschlange, um genau zu sein.« »Klapperschlange?« Artie Henley schluckte. »Es kam dazu, als er sich um das Schicksal eines gewissen Mister Jerry Puckley kümmern wollte«, erläuterte Josuah Parker weiter, »erwähnter Mister Puckley befindet sich zur Zeit in den Räumen eines staatlichen Institutes, das im Volksmund Leichenschauhaus genannt wird.« »Puckley?« Artie Henley rutschte unruhig auf seinem Sitz herum und schluckte noch intensiver, »Sie kennen ihn selbstverständlich nicht«, schickte der Butler voraus, »Sie kennen auch Mister John Midhurst nicht… Sie wissen aber mit einiger Sicherheit, wie Klapperschlangen und Kobras aussehen. Das Fernsehen sendet immer wieder interessante naturwissenschaftliche Filme, in denen solche und andere Reptilien zu sehen sind.« »Klap… Klapperschlangen?« Artie Henley verfärbte sich erneut. Die Röte in seinem Gesicht wich einem kalkigen Weiß. »Hoffentlich haben Sie mit diesen Dingen nichts zu tun, Henley«, warf 24
der Anwalt ein, »ein Bursche wie Jerry Puckley hat Freunde, die Fragen stellen werden. Hoffentlich müssen Sie sie nicht aus einer Schlangengrube heraus beantworten.« »Man erlaubt sich, Ihnen noch einen guten Gang der Geschäfte zu wünschen«, sagte Josuah Parker und deutete eine knappe Verbeugung an. Er befand sich längst wieder im Besitz seiner schwarzen Melone, die er gerade aufsetzte. »Nutzen Sie die Zeit, Henley«, schloß Mike Rander, »vielleicht ist sie knapper, als Sie denken.« Die beiden äußerlich so ungleichen Männer verließen das Büro des Antiquitätenhändlers und Hehlers und passierten den Barocksessel, in dem der junge Mann noch immer träumte. Die Verkäufer und Kunden vorn im Ladenlokal hatten nichts von diesem Intermezzo in den hinteren Räumen mitbekommen. Das Glockenspiel über der Tür ertönte melodisch, als Parker die Ladentür öffnete und Mike Rander höflichst hinaustreten ließ. »Gleich werden ein paar Telefondrähte glühen«, prophezeite Mike Rander, als er und Parker zum Wagen gingen. »Verwirrung in den Reihen möglicher Gegner, Sir, erhöht die Aussicht, ihnen schnell beizukommen«, antwortete der Butler höflich, »es ist,
um dies am Rand zu erwähnen, immer wieder erstaunlich, wie irritiert viele Menschen auf die Erwähnung von Schlangen reagieren…« * »Wären Sie doch ein paar Minuten früher gekommen, mein lieber McWarden«, flötete Agatha Simpson geradezu, als der Chief-Superintendent am anderen Morgen von Josuah Parker in den kleinen Salon geführt wurde, »ich hätte Sie gern eingeladen, mit mir zu frühstücken.« »Falls Mylady es wünschen, könnte man sofort nachlegen«, schaltete sich der Butler ein. »Höchstens eine Tasse Tee«, antwortete McWarden. »Höchstens«, stimmte die Hausherrin zu, »mit vollem Magen arbeitet es sich nicht gut.« Josuah Parker stellte ein Gedeck auf den Tisch und reichte dann Tee. McWarden nickte dankend und sah die Lady und den Butler dann fragend an. »Rechnen Sie nicht damit, McWarden, daß ich Ihnen schon heute Ihren Fall gelöst auf den Tisch lege«, meinte Lady Agatha ironisch, »alles braucht seine Zeit, nicht wahr, Mister Parker?« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady beizupflichten«, lautete Parkers Antwort, »zudem möchte ich darauf verweisen, daß es unge25
mein schwierig ist, etwas zur Person des verstorbenen Mister Jerry Puckley in Erfahrung zu bringen.« »Trösten Sie sich, Parker, auch mein Dezernat ist keinen Schritt weitergekommen«, räumte der ChiefSuperintendent ein, »und Midhurst widerruft, daß dieser Lionel Dunston der Mörder des Killers ist.« »Ist dieses Subjekt inzwischen wieder vernehmungsfähig?« Agatha Simpson beobachtete genau, wieviel Stückchen Zucker McWarden in den Tee gab. Sie war von Natur aus gegen jede Verschwendung. »Er hat sich von der Schlangengeschichte leicht erholt«, berichtete McWarden, »aber die Angst sitzt ihm noch in den Knochen.« »Darf man fragen, Sir, wer Mister Lionel Dunston ist?« erkundigte sich der Butler. »Sie waren doch schon bei ihm, oder?« fragte McWarden zurück. »Es handelte sich um einen kurzen Höflichkeitsbesuch«, entgegnete der Butler, »greifbare Ergebnisse zeitigten dieses Gespräch keineswegs.« »Dunston ist ein Erpresser, aber das wissen Sie ja«, schickte McWarden voraus, »es gab in der Vergangenheit immer wieder Anzeigen gegen ihn, die dann in letzter Minute zurückgenommen wurden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.« »Man hat Angst vor Enthüllungen in seinem Pressedienst, Sir?«
»Natürlich, Mister Parker. Dunston beschafft sich Intima, die er dann gegen Honorar eben nicht druckt. Ein einfaches Verfahren, das immer wieder praktiziert wird.« »Ist Dunston ein Mörder?« schaltete sich die Detektivin energisch ein, »das allein interessiert mich, McWarden.« »Erpresser sind selten Mörder«, lautete die Antwort, »und Dunston wird sich niemals mit einem Killer wie Jerry Puckley eingelassen haben, dazu ist er einfach zu feige. Ich könnte mir aber vorstellen, daß Puckley von Dunston in eine Falle gelockt wurde.« »Und welche Rolle hat dann dieser Midhurst gespielt?« Lady Agatha räusperte sich explosionsartig, als Josuah Parker dem Chief-Superintendent zum Tee eine kleine Karaffe mit westindischem Rum servierte. »Midhurst macht auf Schock, wenn ihm solche Fragen gestellt werden, Mylady.« »Sie hätten dieses Subjekt mir überlassen sollen«, beschwerte sich die ältere Dame. »Ich hätte ihm den Schock schnell ausgetrieben.« »Er wird wohl heute noch entlassen werden«, sagte McWarden, »und deshalb bin ich hier.« »Sie überlassen ihn mir, mein lieber McWarden?« freute sich die Detektivin bereits im vorhinein. »Vielleicht kreuzt er Ihren Weg, Mylady«, meinte McWarden aus26
weichend, »ich wollte aber eigentlich auf eine andere Sache hinaus… John Midhurst ist doch eindeutig der Boß einer kleinen Gangsterbande, die sich auf Diebstahl aller Art spezialisiert hat, nicht wahr? Okay, als sein Name in meinem Dezernat genannt wurde, wurde ein Mitarbeiter hellhörig.« »So etwas passiert tatsächlich in Ihrer Dienststelle, mein lieber McWarden?« wunderte sich Agatha Simpson süffisant. »Hin und wieder, Mylady«, sagte McWarden und ging auf den Tonfall ein, »es handelt sich da um eine Serie von schweren Diebstählen, die dem Yard gemeldet wurden.« »Sie denken an einen möglichen Zusammenhang zwischen Midhurst und diesen Diebstählen, Sir?« fragte Parker höflich. »Irgendwie schon«, bestätigte McWarden, »es geht da nicht um normale Diebstähle, wenn Sie wissen, was ich meine. Nein, hier werden ausgesuchte Stücke und ganze Wohnungseinrichtungen ausgeräumt. Alles Dinge, die auf dem internationalen Kunstmarkt horrende Summen bringen.« »Wer kauft denn solche Dinge auf?« wunderte sich die ältere Dame gespielt überrascht. »Hehler, Mylady«, sagte McWarden, »es muß sich um Aufkäufer handeln, die über erstklassige Beziehungen verfügen. Die Ware muß
schließlich abgesetzt werden. Ich habe Ihnen eine Liste von Hehlern mitgebracht, die für solche Aufkäufe in Betracht kommen.« »Wie aufmerksam von Ihnen, McWarden«, spottete die Dame des Hauses und deutete dann auf die Karaffe, »Sie sollten sich im Dienst nicht sinnlos betrinken.« »Wie bitte? Ach so… Nein, nein, ein bißchen Rum kann nicht schaden. Er ist ausgezeichnet.« »Und sündhaft teuer«, stellte die Lady grimmig fest. »Warum machen Sie bei diesen Hehlern keine Hausdurchsuchungen?« »Wer macht sich freiwillig schon gern lächerlich, Mylady?« stellte der Chief-Superintendent die Gegenfrage, »das Diebesgut ist selbstverständlich in den Räumen der Hehler abgestellt worden. Diese Burschen wissen natürlich, daß sie überwacht werden. Nein, sie werden sich erstklassige Verstecke ausgesucht haben.« »Sie gehen davon aus, Sir, daß Mister Midhursts Bande die Diebstähle ausgeführt hat und noch ausführen wird?« »Davon gehe ich aus, Mister Parker«, bestätigte der Chief-Superintendent und nickte nachdrücklich, »ein Mann wie Midhurst ließe Konkurrenz nicht zu, glauben Sie mir.« »Ein Argument, Sir, dem im Augenblick nichts entgegengehalten werden kann, wenn ich es mal so 27
ausdrücken darf.« »Das will ich meinen, Mister Parker.« »Haben Sie auch eine Liste der bisher gestohlenen Gegenstände, McWarden?« wollte die Detektivin wissen. »Natürlich, Mylady. Und ich möchte Sie gleich bei dieser Gelegenheit warnen.« »Das höre ich aber gar nicht gern, McWarden.« »Sie mißverstehen mich, Mylady«, entschuldigte sich der Mann vom Yard umgehend, »ich habe an Ihre Landsitze gedacht… Ein Wunder, daß die Diebe sich dort noch nicht umgesehen haben.« »Sie hätten keine Chance – oder Mister Parker?« Die Hausherrin sah Parker leicht beunruhigt an. »Diese Frage, Mylady, läßt sich eindeutig leider nicht beantworten«, entgegnete der Butler, »man sollte vielleicht eine gewisse Inspektion vornehmen und darüber hinaus die Verwalter der Landsitze entsprechend informieren.« »Tun Sie’s, bevor es zu spät ist«, meinte McWarden, »die Diebe sind dreist und unersättlich. An Ihrer Stelle, Mylady, könnte ich keinen Moment mehr ruhig schlafen. Es geht um mehr, als nur um eine Karaffe voll Rum…« *
Scott Minton war ein groß und sportlich aussehender Fünfundfünfziger. Er war der zweite jener drei Hehler, die der Eigentumsübertragungs-Spezialist Horace Pickett dem Butler genannt hatte. Minton bot in der Nähe der Victoria Station seine Antiquitäten an und legte weniger Wert auf Exklusivität als sein Konkurrent Artie Henley. Seine Geschäftsräume waren im Grund nichts anderes als eine große Lagerhalle mit zwei Etagen in einem engen Hinterhof, der durch einen schmalen Torbogen erreicht werden konnte. Gleich hinter dem Torbogen stand ein kleinerer Möbelwagen, der unter Mintons Aufsicht ausgeladen wurde. Einige handfest wirkende Männer bewegten Möbelstücke, die alt und teuer schienen. Es handelte sich um Tische, dazu passende Stühle, Vitrinen, zweiteilige Sekretäre und Sideboards in Mahagoni und Eibe. »Hallo, Minton«, sagte eine lässige Stimme mit deutlich amerikanischem Akzent. »Ich hoffe, Sie haben ‘nen Moment für mich Zeit.« Scott Minton wandte sich halb um und sah sich einem großen, schlanken Mann gegenüber, der einen Sportanzug trug; Er hatte sofort den Eindruck, diesen Mann schon mal gesehen zu haben, runzelte die Stirn, dachte nach und lächelte dann plötzlich. »Sie sind doch nicht etwa Roger 28
Moore, wie?« fragte er. »Der Film hat mich nicht entdeckt«, erwiderte der Mann, »ich bin John Playton… Und das hier ist Gay Gramer.« »Hallo, Miß Gramer«, sagte der Hehler und war sofort fasziniert. Er sah die junge Frau. abschätzendbewundernd an. Sie erinnerte ihn an eine Exotin. Ihre hohen Wangenknochen und die etwas schräg stehenden Augen verliehen diesem Gesicht einen mehr als nur pikanten Ausdruck. »Wir kommen aus New York«, sagte John Playton, »fragen Sie mich nicht, wie wir an Ihre Adresse gekommen sind.« »Würde ich aber gern, Playton.« »Lassen Sie’s, ich würde doch nicht antworten. Ich habe Ihnen im Auftrag eines, sagen wir, Konsortiums einen Vorschlag zu machen. Ich würd’s aber nicht gern hier draußen auf dem Hof tun.« »Ein Konsortium hat Sie geschickt?« fragte Scott Minton. »Eine Gruppe von Antiquitätenhändlern, Minton. Man braucht drüben in den Staaten englische Möbel in jeder Menge. Allerdings nicht diese hübschen Fälschungen. Echt sollten sie schon sein.« »Kommen Sie mit rüber in mein Büro.« Scott Minton deutete auf das zweistöckige Lagerhaus. »So was will in aller Ruhe besprochen werden. Sie kommen aus New York?«
»Unter anderem«, erwiderte der Mann, der sich John Playton nannte. »Miß Gramer und ich wollen morgen weiter rüber auf den Kontinent. Frankreich, Italien und vielleicht auch Österreich.« »Ich wette, Sie haben Papiere, die auf Ihre Namen lauten.« »Erstklassige Papiere«, versicherte John Playton, »sie werden an jeder Grenze anstandslos geschluckt.« Sie gingen zum Lagerhaus, dann über eine Betontreppe ins Obergeschoß und betraten dann ein sachlich eingerichtetes Büro. Der Hehler deutete auf eine einfache Sitzgruppe, und Gay Gramer nahm Platz. »Es gibt wenig Nachschub an echten Möbeln«, sagte Scott Minton, »Sie haben ja unten gesehen, daß ich die Stücke nachbauen lassen muß.« »Meine Abnehmer sind Kenner«, antwortete John Playton, »mit Fälschungen brauche ich diesen Leuten erst gar nicht zu kommen.« »Woher nehmen und nicht stehlen?« fragte Scott Minton und lachte. »Halten Sie sich doch an Midhurst«, schlug der Mann vor, der sich John Playton genannt hatte, »in ein paar Tagen wird er bestimmt wieder in Ordnung sein.« »Midhurst?« Scott Minton schluckte und sah den angeblichen Amerikaner irritiert an. »John Midhurst«, redete sein Gegenüber weiter, »er hat Sie bisher 29
doch immer bestens beliefert.« Scott Minton nickte langsam und entschloß sich, nach seiner Schußwaffe zu greifen, die im Seitenfach seines Schreibtisches lag. Ihm war klar, daß man ihn aufs Glatteis führen wollte. Seine Hand war schnell und geübt. Er zweifelte keinen Moment daran, daß er diese beiden Besucher austricksen konnte… * Seine Hand griff ins Leere. Dort, wo die Lade sich gerade noch befunden hatte, war jetzt nichts anderes mehr als Luft. Sein Besucher hatte sich fast lässig gegen die andere Schreibtischkante geschoben und ihn so aus der ursprünglichen Lage gebracht. »Machen Sie keinen Unsinn, Minton«, sagte Rander, der sich als John Playton vorgestellt hatte. »Wer… wer sind Sie?« wollte Minton wissen. Er war aufgesprungen und sah die beiden Besucher unruhig an. »Namen können Schall und Rauch sein«, antwortete Mike Rander, »unterhalten wir uns über Jerry Puckley.« »Keine Ahnung, wer das sein soll.« »Ein Killer, der in einer Schlangenfarm umkam«, antwortete der Anwalt, »ein paar Klapperschlangen haben sich mit ihm befaßt.« »Scheußlich.« Scott Minton verzog
sein Gesicht. »Aber was habe ich damit zu tun?« »Das fragte auch Artie Henley, Minton. Und das wird auch Paul Purtlee fragen… Midhurst karrt seit einigen Wochen illegale Ware ran, die aus Diebstählen stammt.« »Das… das müssen Sie erst mal beweisen! Verdammt, wer sind Sie eigentlich? Ich kenne keinen Midhurst.« »Dieser Midhurst, den Sie nicht kennen, Minton, dürfte den Killer Jerry Puckley auf dem Gewissen haben… Stellen Sie sich mal vor, wie die Freunde von Puckley reagieren werden? Die werden doch glatt annehmen, Sie und Ihre Freunde Henley und Purtlee hätten den Klapperschlangenmord inszeniert.« »Das ist doch barer Unsinn«, erregte sich Scott, »sind Sie etwa ein Freund dieses Killers?« »Ich nehme Anteil an seinem Tod«, erwiderte Mike Rander lässig, »Miß Gramer und ich wollen Ihnen mal solch ‘ne Schlangenfarm aus der Nähe zeigen. Sie werden doch bestimmt mitkommen, oder?« »Sind Sie wahnsinnig?« Scott Minton wich gegen die Wand zurück. »Ich habe mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Okay, ich kenne natürlich Midhurst… Der hat immer wieder versucht, mir seine Ware unterzujubeln, aber ich bin nie darauf eingegangen. Aber diesen Killer kenne ich nicht. Und überhaupt: 30
Warum sollte ich einen Menschen umbringen? Das ist nicht mein Stil.« »Jerry Puckley könnte vielleicht herausgefunden haben, wo Ihr Zweiglager ist«, schlug Mike Rander vor. »Was für ein Zweiglager?« Scott Minton tat ahnungslos. »Hier in diesem Bau werden Sie natürlich nicht das Zeug stapeln, das Sie Midhurst abgekauft haben«, redete der Anwalt weiter. »Die Ware aus den fetten Diebstählen ist anderswo untergebracht. Puckley dürfte dieses Versteck aufgespürt haben.« »Ich… ich habe kein zweites Lager, Mann«, versicherte Scott Minton. Man sah ihm deutlich an, daß er log. »Das gilt natürlich auch für Ihre Freunde Henley und Purtlee, nicht wahr?« »Für die kann ich selbstverständlich nicht sprechen, ich weiß nur, daß ich sauber bin.« »Glaubt das auch Lionel Dunston?« fragte in diesem Moment Gay Gramer. Es handelte sich um Kathy Porter, die den geeigneten Moment abgewartet hatte, um den Hehler zu verwirren. »Lionel Dunston?« Scott Minton schluckte erneut und zeigte damit, daß auch dieser Name ihm einiges sagte. »Ein ausgemachter Erpresser«, warf Mike Rander ein, »er könnte mit dem Killer zusammengearbeitet
haben.« »Ich werde nicht mehr antworten«, sagte Scott Minton, der wütend wurde, »ich bin ein seriöser Geschäftsmann, der mit Hehlern und Killern nichts zu tun hat. Und jetzt werde ich Sie rauswerfen lassen!« Er drückte sich von der Wand ab und hechtete auf einen Klingelknopf. Mit der flachen linken Hand drückte er den Knopf ein und versuchte anschließend noch mal an seine Schußwaffe zu gelangen. Mike Rander hatte das Klingeln zwar nicht verhindern können, doch gegen die Schußwaffe konnte er einiges tun. Mit einem fast beiläufigen Handkantenschlag brachte er den Hehler Scott Minton dazu, sich umgehend ins Land der Träume zu begeben… * Drei handfeste Möbelpacker erschienen umgehend auf der Bildfläche und sehnten sich offenbar danach, gründlich aufzuräumen. Es waren gute Schwergewichte, die wie wütende Büffel in Mintons Büro stürmten und dann echte Mühe hatten, ihren Schwung zu bremsen. Sie sahen sich nämlich der Waffe gegenüber, die zwar dem Hehler gehörte, die sich nun aber in Randers Hand befand. »Nur keinen Streit vermeiden, 31
Herrschaften«, schlug der Anwalt lässig vor, »wer möchte zuerst rausfinden, wie ein Treffer wirkt?« Sie gaben sich inzwischen ruhiger und konnten sich nicht recht einigen. Sie schauten zuerst auf Scott Minton, dann auf Rander und dann wieder auf ihren Arbeitgeber. Sie achteten nicht weiter auf Kathy Porter, die sich links von der Tür aufgebaut hatte. »Jerry Puckley läßt grüßen«, sagte der Anwalt weiter, »falls der Name Ihnen nichts sagt… Das ist der Mann, den man raus zur Schlangenfarm gebracht hat.« Die drei verdutzten Möbelpacker tauschten schnelle Blicke. »Puckley ist zwar tot«, redete Mike Rander weiter, »aber er hat natürlich Freunde, die ein paar unangenehme Fragen stellen werden. Und diese Freunde werden nicht gerade zimperlich sein, wetten?« Kathy Porter hatte sich kaum um die Möbelpacker gekümmert. Sie beobachtete die Tür und hörte ein feines Scharren. Sie drückte sich möglichst flach gegen die Wand und sah dann einen vierten Mann, der den Raum betreten wollte. Dieser Typ, der gar nicht wie ein Möbelpacker aussah, war bewaffnet und hielt eine Automatik in der rechten Hand. Noch konnte er allerdings nicht schießen, denn die drei Packer schirmten den Anwalt, der am Schreibtisch stand, ungewollt ab.
Kathy Porter war längst nicht mehr das scheue Reh. Sie hatte sich wieder mal in eine Pantherkatze verwandelt, die auf dem Sprung war und nur auf den richtigen Augenblick wartete, ihren Gegner voll anzugehen. Der Mann, der die Automatik hielt, schob sich vorsichtig in den Raum und nutzte die Sichtdeckung, die ihm die drei Möbelpacker gaben. Der hob die Waffe und richtete sie auf den Anwalt. Zu einem Schuß aber kam es nicht. Kathy Porters Handkante war ungemein schnell. Die Waffe landete polternd auf dem Boden. Der Mann fuhr herum und erwies sich als ernstzunehmender Gegner. Er stutzte allerdings einen Moment, als er sich einer schlanken Frau gegenübersah. Dann aber riß er sein rechtes Bein hoch und wollte Kathy Porter mit einem gezielten Fußtritt außer Gefecht setzen. Sie wich fast tänzerisch zur Seite und nutzte das nun labile Gleichgewicht des Mannes, um ihrerseits zum Angriff überzugehen. Sie trat unter die Wade des Mannes und riß das dazugehörige Bein weit hoch. Der Gegner verlor nun endgültig die Balance, fiel nach hinten und krachte zu Boden. Als er sich aufraffen wollte, setzte Kathy Porter die Spitze ihres linken Schuhs auf das Kinn des Mannes. Er verdrehte die Augen und lehnte es ab, sich noch weiter an 32
dieser Auseinandersetzung zu beteiligen. Ein Möbelpacker war herumgefahren und hatte die Waffe in Mike Randers Hand vergessen. Er warf sich auf die schlanke Frau und wollte sie mit einem Haken gnadenlos zu Boden schicken. Er traf nichts als Luft. Vom eigenen Schwung mitgerissen, taumelte der Angreifer nach vorn, fiel in Kathy Porters linke Handkante, produzierte ein Gurgeln und setzte sich dann nieder. Er schielte die junge Frau an, bevor er sich ausstreckte. »Herzlichen Dank«, rief Mike Rander seiner Begleiterin zu. »Gern geschehen«, erwiderte Kathy Porter und hob die Automatik auf. Sie richtete die Mündung auf die beiden noch verbliebenen Packer, die bedrückt schienen. »Da werden schlimme Zeiten auf Sie zukommen«, meinte der Anwalt, »Puckleys Freunde schlagen bestimmt ‘ne andere Gangart an. Die sind sauer, daß man ihren Freund in eine Schlangengrube geworfen hat. Ist ja auch verständlich, oder?« Mike Rander ging zu Kathy Porter hinüber und nickte ihr zu. Dann deutete er mit der Waffe auf den am Boden liegenden, wohl auch träumenden Hehler. »Richten Sie Minton aus, daß sein Zweitlager platzen wird. Das gilt auch für seine Freunde.«
Kathy Porter und Mike Rander schoben sich nach draußen, schlossen die Tür und blieben links und rechts von ihr stehen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Tür aufgerissen wurde. Die Möbelpacker glaubten wohl, die Verfolgung der beiden Besucher aufnehmen zu müssen. Sie prallten zurück, als zwei Läufe auf sie gerichtet wurden. »Ich würde erst mal für zehn Minuten im Büro bleiben«, sagte Mike Rander lässig, »ich bin sicher, daß sich das gesundheitlich auszahlen wird.« Die beiden Packer hoben abwehrend die Hände, versicherten, man habe wirklich nichts vorgehabt, und zogen sich schleunigst zurück. Kathy Porter und Mike Rander hatten es nun gar nicht eilig, die Lagerhalle zu verlassen. Die Visitenkarte war abgegeben worden. Der Hehler Scott Minton brauchte jetzt nur noch das zu tun, was man von ihm erwartete… * John Midhurst hatte sich angekleidet und wartete in seinem Krankenzimmer darauf, daß seine Mitarbeiter sich bei ihm meldeten. Er hatte keine Lust, das Hospital ungeschützt und allein zu verlassen. Er rauchte nervös eine Zigarette und dachte an einen gewissen Butler Parker. Es paßte ihm überhaupt nicht, daß 33
der Butler seine Wege gekreuzt hatte. Damit hatte der Bandenchef nicht gerechnet. Er war mehr als nur alarmiert. In Kreisen der Unterwelt war Josuah Parker eine Respektsperson, der man möglichst schnell aus dem Weg ging. Das Telefon läutete. John Midhurst nahm ab und meldete sich. Er nahm erleichtert zur Kenntnis, daß zwei seiner Leute in der Halle auf ihn warteten. Midhurst drückte die Zigarette aus und war bereit, erst mal gründlich unterzutauchen. Er hatte nicht die geringste Lust, sich noch mal in die Nähe von Schlangen zu begeben. Er wollte seine Aktivitäten vorerst auf Null bringen und etwas für seine persönliche Sicherheit tun. Die Dinge, die bisher so gut gelaufen waren, wurden zu einer tödlichen Gefahr. Er fuhr mit dem Lift nach unten und zuckte nervös zusammen, als dieser Fahrstuhl bereits an der nächsten Etage hielt. Die Tür öffnete sich automatisch, und ein Mann trat ein, der ihm nicht ganz unbekannt war. »Einen wunderschönen Vormittag erlaube ich mir zu wünschen, Mister Midhurst«, sagte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Sie…?« John Midhurst fühlte sich prompt wieder schwach und sehnte sich umgehend nach seinem Einzelzimmer und dem Bett zurück. »Ich darf Ihnen versichern, daß
meiner Wenigkeit Ihre Sicherheit am Herzen liegt«, antwortete der Butler. »Meine Sicherheit?« John Midhurst drückte sich gegen die Plastikwand des Fahrstuhls, der sich bereits wieder absenkte. »Denken Sie an Reptilien aller Art, Mister Midhurst«, redete der Butler höflich weiter, »sie sind, wenn ich es so ausdrücken darf, leicht zu transportieren.« »Schlangen!?« Midhursts Zunge wurde schwer, seine Mundhöhle trocken. »In der Tat, Mister Midhurst… Mister Lionel Dunston reagierte auf Ihre Anschuldigung mit einer bemerkenswerten Empörung, wie ich Ihnen versichern darf.« »Wieso Anschuldigung?« Midhurst wischte sich die ersten Schweißperlen von der Stirn. »Sie haben doch immerhin behauptet, Mister Lionel Dunston sei für die Ermordung des Killers Jerry Puckley verantwortlich. Man sollte davon ausgehen, daß Sie sich dieser Tatsache noch immer bewußt sind.« »Das… das habe ich längst widerrufen. Ich hatte mich vertan… Sie wissen doch, diese verdammten Klapperschlangen… Was wollen Sie überhaupt von mir? Die Polizei hat mich verhört, sonst aber nichts unternommen. Ich will… ich möchte…« »Sie möchten sich gewiß mit Lady
Simpson unterhalten, nicht wahr?« Während Parker diese Feststellung traf, senkte der Fahrstuhl sich weiter ab. Er näherte sich dem Erdgeschoß und damit auch der Eingangshalle. »Mylady bevorzugt die Diskretion«, sagte Parker, »Mylady erwartet Sie im Kellergeschoß des Hospitals.« »Was soll denn das heißen? Das ist ja die reinste Entführung. Hören Sie, Mr. Parker, ich habe…« »Von einer Entführung kann selbstverständlich keine Rede sein, Mr. Midhurst«, antwortete der Butler, »ich darf noch mal wiederholen, daß Mylady Sie möglicherweise sogar zu einer Tasse Tee einlädt. Sie sollten solch ein Privileg nicht leichtsinnig in den Wind schlagen.« Sie hatten das Kellergeschoß erreicht. Josuah Parker wartete, bis die Tür sich automatisch geöffnet hatte. Er trat in seiner höflichen Art zur Seite und ließ John Midhurst vorausgehen. Der Gangsterboß witterte verständlicherweise Morgenluft und setzte zu einem Sprint an. Er lief los und… direkt in eine Serie von schallgedämpften Schüssen hinein. Er überschlug sich fast, prallte gegen einen gekachelten Pfeiler und rutschte dann an ihm haltlos zu Boden. Parker ging davon aus, daß die zweite Serie von Schüssen ihm galt. Er zog es daher vor, in den Fahr-
stuhl zurückzugehen und betätigte den Knopf für das Erdgeschoß. Als die Türen sich automatisch schlossen, stellte er sich in die vordere rechte Ecke des Beförderungsmittels und nahm zur Kenntnis, daß einige Geschosse die leichte Aluminiumtür durchschlugen. Sie konnten ihm jedoch nichts anhaben, da er sich genau am richtigen Ort aufhielt. Der Fahrstuhl schwebte gehorsam nach oben und beförderte Josuah Parker in Gefilde, die man jetzt als sicher bezeichnen konnte. * »Ich werde mich jeder Kritik enthalten«, behauptete die Detektivin grollend, »aber mir wäre das nicht passiert, Mister Parker.« »Dies, Mylady, sollte man in der Tat unterstellen«, antwortete Parker höflich und gemessen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Wie gesagt, ich kritisiere Sie nicht«, sagte sie schnaufend, »aber man läßt sich doch nicht einen wichtigen Zeugen vor der Nase niederschießen, Mister Parker.« »Eine äußerst unangenehme Entwicklung, Mylady, vor allen Dingen für Mister John Midhurst«, räumte der Butler ein. »Sie haben den Mörder hoffentlich gesehen, Mister Parker.« »Dies war leider nicht der Fall, Mylady.«
»Ich hätte ihn bestimmt gesehen und auch erkannt, Mister Parker.« Sie saß grimmig im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und war im Grund glücklich, endlich mal ihren Butler kritisieren zu können. »Mylady hätten den Mörder wahrscheinlich auch gestellt«, antwortete Parker höflich wie stets. »Natürlich«, schnappte sie sofort zu, »das wollte ich gerade noch anfügen. Es ist doch nicht zu glauben… Da hat man einen Zeugen, der den Fall lösen könnte, und ich bleibe im Wagen und gehe davon aus, daß Sie aufpassen.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit untröstlich.« »Wenn sich das herumspricht, Mister Parker, dann ist Ihr guter Ruf lädiert«, freute sich Agatha Simpson genußvoll. »Man wird mit einiger Sicherheit mit Fingern auf meine Wenigkeit zeigen.« »Nun ja, jeder macht mal einen Fehler«, stellte Lady Agatha großmütig fest. »Sie, Mister Parker, zwar mehr als ich, aber auch Sie werden eines Tages noch lernen, wie man mit Gangstern umgeht.« »Mylady werden meiner Wenigkeit als leuchtendes Vorbild voranschreiten, wenn ich es umschreiben darf.« »Natürlich«, lautete die Antwort der von sich überzeugten Dame,
»wohin fahren wir übrigens?« »Haben Mylady besondere Wünsche?« »Wo knüpfe ich jetzt wieder an, nachdem Sie die Fäden zerrissen haben, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Falls ich Myladys Wünsche richtig interpretiere, gedenken Mylady, Mister Midhursts Firma einen Besuch abzustatten.« »Sie haben mich richtig interpretiert«, behauptete die Detektivin erleichtert. »Und wo ist das?« »Im Stadtteil Clerkenwell, Mylady. Mister Midhurst betreibt dort eine Reparaturwerkstatt.« »Von wem, glauben Sie, ist Midhurst erschossen worden?« wollte sie weiter wissen. »Damit wir uns recht verstehen, ich habe selbstverständlich bereits eine Theorie.« »Sehr wohl, Mylady. Mylady gehen davon aus, daß der Chef der Diebesbande von Lionel Dunston ermordet wurde.« »Richtig«, bestätigte sie sicherheitshalber. »Oder von einem jener Hehler, die Mister Midhurst bisher belieferte.« »Selbstverständlich«, bestätigte sie noch mal. »Das liegt ja schließlich auf der Hand.« »Mylady denken natürlich auch an einen Partner des Killers Puckley.« »Und ob ich daran denke!« Sie nickte hoheitsvoll. »Ich spiele mit allen Möglichkeiten.«
»Mylady denken daher auch an den Besitzer und Betreiber der Schlangenfarm, Mister Desmond Ball.« »Ununterbrochen«, lautete ihre Antwort. »Diesem Subjekt traue ich schon gar nicht über den Weg. Und jetzt werde ich Ihnen verraten, wer der Mörder ist, Mister Parker.« »Mylady treiben die Spannung auf den sprichwörtlichen Siedepunkt.« »Desmond Ball, dieser Schlangenbändiger, dieser Ball ist der Täter!« Sie schnaufte und lehnte sich zufrieden zurück. Sie hatte ihre Wahl getroffen und würde sich aber durch keine Macht der Welt wieder davon abbringen lassen. »Es erhebt sich die Frage, Mylady, ob Mister Ball als Täter sein erstes Opfer auf dem Gelände der Schlangenfarm belassen haben würde.« »Das ist ja gerade der raffinierte Trick, Mister Parker. Haben Sie das denn nicht durchschaut?« »Ein bestechender Aspekt, Mylady«, sagte Josuah Parker. »Ich weiß«, gab sie schlicht und einfach zurück, »man muß es in den Fingerspitzen haben, Mister Parker. Entweder man hat es – oder man lernt es nie.« »Die Reparaturwerkstatt des Mister Midhurst«, meldete Parker und deutete mit der schwarz behandschuhten Hand auf einen Bretterzaun, auf dem der Name John Midhurst in verwaschenen Buchstaben
zu lesen war. Parker bog von der Straße ab und fuhr auf das Grundstück, das von zwei häßlichen Brandmauern aus Ziegelsteinen gesäumt war. Er hatte noch nicht ganz gehalten, als ein Wagen ihnen folgte und knapp hinter ihnen scharf abbremste. Dann fielen förmlich drei Männer aus diesem Wagen und rannten auf das hochbeinige Monstrum des Butlers zu. Die drei Männer waren bewaffnet, wie auch Lady Simpson deutlich sah. Sie verlange umgehend von Parker, dagegen etwas zu unternehmen… * Parkers hochbeiniges Monstrum wurde nicht ohne Grund von Kennern als eine Trickkiste auf Rädern bezeichnet. Die drei Männer hatten sich mit ihren schallgedämpften Schußwaffen so aufgebaut, daß sie die beiden Insassen gut einsehen konnten. Mit ihren Automatiks machten sie Bewegungen, die man nur als Aufforderung betrachten konnte, den Wagen so schnell wie möglich zu verlassen. »Ich möchte darauf verweisen, daß die Scheiben und auch der Aufbau selbstverständlich schußsicher sind«, war plötzlich Parkers gemessene und ruhige Stimme deutlich zu hören. Er sprach über versteckt angebrachte Lautsprecher nach 37
draußen. Die drei Männer stutzten erst einmal. Mit solch einem Hinweis hatten sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie sahen hinüber zum Tor, das Parker eben passiert hatte. Ein vierter Mann hatte es gerade geschlossen. Von der Straße aus war das Gelände der Werkstatt nicht mehr einzusehen. »Mylady wünschen jenen Herrn zu sprechen, der nun die Geschäfte führt«, redete Parker weiter, »er möge sich vor meiner Fahrertür einfinden und tunlichst auf das Führen einer Waffe verzichten.« »Sie haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder?« fragte einer der drei Männer. Er war etwa achtundzwanzig oder dreißig Jahre alt, untersetzt und breitschultrig. Er hatte ein rundliches Gesicht mit verschlagenen Augen. Er kam näher und hob seine Waffe. Er zielte genau auf den Butler, der jetzt höflich die schwarze Melone lüftete. »Würden Sie sich freundlicherweise vorstellen?« bat der Butler. »Ben Coram«, antwortete der Untersetzte und lachte spöttisch, »sonst noch Wünsche?« »Sie führen jetzt die Geschäfte der Firma Midhurst?« »Sieht so aus, Parker. Los, steigen Sie schon aus, oder muß ich erst die Scheibe zerschießen?« »Sie würden damit nur das auslösen, was man gemeinhin einen Abpraller nennt«, antwortete Parker.
»Ihnen ist bekannt, was sich im Hospital zugetragen hat?« »Man hat Midhurst zusammengeschossen… Und Sie wissen, wer’s getan hat, Parker.« »Papperlapapp, junger Mann«, mischte Agatha Simpson sich in die Unterhaltung ein. Auch sie war draußen gut zu verstehen, »Sie sind da besser orientiert als ich.« Parker hatte das Gelände der mit einem Reparaturwerkstatt schnellen und umfassenden Blick inspiziert. Es gab hier eine Menge ausgeschlachteter Autos, eine einstöckige, langgestreckte Werkstatthalle und einen größeren Schuppen. Neue Personen hatten sich bisher nicht gezeigt. Es war auch kaum anzunehmen, daß sich in der Werkstatt noch weitere Bandenmitglieder aufhielten. Sie hätten sich mit Sicherheit schon aus Neugier heraus sehen lassen. »Mir platzt langsam die Geduld«, drohte der Mann, der sich Ben Coram nannte, »wenn ihr nicht in einer Minute draußen seid, werde ich ‘nen Kanister Sprit unter dem Karren anzünden.« »Unterstehen Sie sich, Sie Flegel«, dröhnte Myladys Stimme. »Es können auch zwei Kanister daraus werden«, meinte Ben Coram. »Drohungen dieser oder ähnlicher Art sollten niemals die Basis für ein Gespräch sein«, meinte Josuah Parker über die Sprechanlage nach 38
draußen, »Ihr Einverständnis voraussetzend, möchte ich mir erlauben, eine andere Ebene der Verständigung zu beschreiten.« Ben Coram und die übrigen drei Männer zerlegten den Satz in seine Bestandteile, um ihn zu deuten. Mit der barocken Ausdrucksweise des Butlers kamen sie auf Anhieb nicht zurecht. Parker nutzte die Zeit und legte einen der vielen Kipphebel, die sich auf dem mehr als reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett befanden, nach unten. Daraufhin taten sich erstaunliche Dinge. Unter den Trittbrettern des hochbeinigen Monstrums schossen plötzlich dünne Nebelfinger hervor, die sich schnell ausdickten und verbreiterten. Auch unter der hinteren und vorderen Stoßstange griffen diese Nebelfinger nach den vier Männern, die völlig überrascht wurden. »Was sollen diese Mätzchen?« war Corams Stimme zu vernehmen, die dann aber auch schon in gereiztes Husten überging. Die Nebelwolken waren bereits zu einer kompakten Wand geworden, hinter der die vier Männer schon nicht mehr zu sehen waren. Sie husteten wie Robben oder auch Seelöwen, husteten durchaus gequält und recht unmelodisch. Ein Raucherhusten am frühen Morgen hätte kaum nachdrücklicher sein können. »Sie gehen mit diesen Subjekten
wieder mal viel zu höflich um«, tadelte die ältere Dame. »Sehr wohl, Mylady«, gab der Butler zurück, »darf ich anregen, nach der Sauerstoffmaske zu greifen?« Durch das Umlegen eines zweiten Kipphebels bewirkte der Butler, daß aus dem Wagenhimmel eine Sauerstoffmaske nach unten fiel. Die Detektivin brauchte nur nach der Maske zu greifen, um sich anschließend an einem Luftgemisch laben zu können, das aus einer Preßluftflasche stammte. Draußen aber husteten die vier Männer der Midhurst-Bande im Quartett. * »Ich glaube, Mister Parker, ich werde gleich unwirsch werden«, sagte Agatha Simpson nach etwa einer Viertelstunde. Sie stand den vier Männern gegenüber, die in der eigentlichen Werkstatt Platz genommen hatten. Sie saßen auf einem ölverschmierten Betonboden, wischten sich dicke Tränen von den Wangen – und hüstelten nachdrücklich. Sie hatten sich von Parkers Nebelwolke noch immer nicht erholt. Dies betraf vor allen Dingen ihre Aktivität. Sie fühlten sich matt und wie zerschlagen. »Sie sollten Myladys Warnung keineswegs auf die sogenannte leichte Schulter nehmen«, empfahl Parker, 39
der sich an Ben Coram wandte, »es wurden Fragen gestellt, die bisher noch nicht beantwortet wurden.« »Gehen Sie zum Teufel«, krächzte Coram und… hatte sofort danach das Gefühl, von einem unsichtbaren Pferd getroffen worden zu sein. Er stöhnte, hielt sich den rechten Hinterkopf und starrte dann Lady Agatha an. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk befand sich noch immer in sanften Schwingungen. Coram wurde klar, daß sein Hinterkopf von diesem Pompadour getroffen worden war. »Wenn ich erinnern darf, so fragten Mylady nach dem Verbleib der gestohlenen Antiquitäten«, erinnerte der Butler. »Zu wem haben Sie das Zeug geschafft?« wollte die ältere Dame wissen und brachte ihren Pampadour in energischere Schwingungen. »Zu ein paar Hehlern, Lady«, sagte Coram hastig. »Ich möchte die Namen dieser Subjekte hören.« »Die… Die kennen wir nicht«, schwindelte Ben Coram. »Mr. Parker, da Sie sehr empfindsam sind, sollten Sie diese Werkstatt für einen paar Minuten verlassen«, schlug die Detektivin vor, »ich möchte meine Frage nachdrücklicher stellen.« »Myladys Wunsch sind meiner Wenigkeit Befehl«, antwortete der
Butler. Er lüftete die schwarze Melone und begab sich nach draußen. Er hatte keine Bedenken, seine Herrin mit vier Gaunern allein in der Werkstatt zurückzulassen. Sie gab sich stets gern grimmig und hart, tatsächlich kannte sie aber sehr genau gewisse Grenzen, die man einfach einzuhalten hatte. Lady Agatha tat unberechenbar und beeindruckte immer wieder ihre Gegner. Sie legte es darauf an, sie zu schocken. Auf ein paar Ohrfeigen oder »Huftritte« mit dem Pompadour kam es ihr dabei allerdings nicht an. Parker nahm die Gelegenheit wahr, sich auf dem Gelände der Midhurst-Werkstatt ein wenig umzusehen. Er fand schnell heraus, daß nichts, aber auch gar nichts darauf hindeutete, welchem Beruf Midhurst tatsächlich nachgegangen war. Alles sah völlig normal aus. Es gab noch nicht mal einen geschlossenen Kastenwagen, mit dem Midhurst und seine Leute das Diebesgut abtransportieren konnten. Wahrscheinlich lieh man sich entsprechende Fahrzeuge, wenn man auf Beutezug war. »Mister Parker, Sie können wieder hereinkommen«, war Myladys Stimme zu vernehmen. Parker hörte sofort heraus, daß seine Herrin zufriedenstellende Antworten erhalten haben mußte. Er ging zurück zur Werkstatt und deutete eine leichte, fragende Verbeugung an. 40
»Man muß diese Lümmel nur richtig anfassen«, äußerte Lady Agatha und deutete auf die vier Männer, die nach wie vor auf dem ölverschmierten Betonboden saßen, allerdings jetzt einen reichlich verstörten Eindruck machten. Lady Agatha baute sich vor Ben Coram auf, der unwillkürlich zusammenzuckte und den Kopf einzog. »Das Ganze noch mal, junger Mann«, herrschte die Lady ihn an, »ich fühle mich immer noch etwas gereizt.« »Sofort, Lady, sofort«, sagte Ben Coram hastig, »regen Sie sich ab, bitte… Ich red ja schon.« »Sie werden ein durchaus geneigtes Ohr finden«, versprach Josuah Parker höflich, »mich interessiert vor allen Dingen, von wem Mister Midhurst die jeweiligen Hinweise erhielt und wohin das sogenannte Beutegut geschafft wurde.« Ben Coram genierte sich nicht weiter, schielte immer wieder auf den pendelnden Pompadour und schilderte, nach welcher Methode John Midhursts Bande bisher gearbeitet hatte. * »Ich bin Ihnen zu größtem Dank verpflichtet«, sagte Chief-Superintendent McWarden am Spätnachmittag. »Natürlich«, meinte Agatha Simp-
son gnädig, »was wären Sie ohne mich, mein lieber McWarden…« »Ich könnte mein Dezernat auflösen, Mylady«, übertrieb McWarden schamlos, »endlich wieder ein Erfolgserlebnis… Es gab Verhaftungen am laufenden Band.« »Wen haben Sie denn einlochen können, McWarden?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd. Er stand neben Kathy Porter und hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Die Hausherrin nahm dies mit sichtlichem Wohlgefallen zur Kenntnis. Es war ihr sehnlichster Wunsch, daß die »Kinder«, wie sie Kathy Porter und Mike Rander recht offen zu nennen pflegte, eines Tages ein Paar wurden. Butler Parker hatte sich erlaubt, Erfrischungen zu reichen. Und diesmal hatte Lady Simpson nichts dagegen, daß auch der Chief-Superintendent mit einem Portwein bedacht wurde. Mylady befand sich in Siegeslaune. Man sah es ihr deutlich an. »Wen wir eingelocht haben, wollen Sie wissen?« McWarden strahlte. »Da wären zuerst mal die drei Hehler… Artie Henley, Scott Minton und Paul Purtlee sitzen fest. Selbstverständlich auch die jeweiligen Angestellten dieser Firmen. Zu Teilgeständnissen ist es bereits gekommen.« »Sie haben hoffentlich nicht vergessen, die Midhurst-Bande hinter 41
Schloß und Riegel zu bringen, McWarden«, fragte Agatha Simpson. »Auf keinen Fall, Mylady.« McWarden nippte an seinem Portwein. »Ben Coram und die übrigen Burschen sitzen ebenfalls…. Sie waren sehr geständnisfreudig.« »Man muß diese Individuen nur zu überreden wissen«, stellte die ältere Dame fest und schaute unwillkürlich auf ihren Pompadour, der am linken Handgelenk baumelte. »Konnten Sie die bisherige Beute sicherstellen, Sir?« warf Kathy Porter ein. »Wir brauchten Lastwagen, um das alles wegschaffen zu können, Miß Porter«, antwortete McWarden, »Zur Zeit sind meine Mitarbeiter damit beschäftigt eine Art Bestandsaufnahme vorzunehmen. Man kann aber bereits jetzt schon sagen, daß hier sehr zielbewußt vorgegangen worden ist… Alles wirklich nur ausgesuchte Stücke. Die Beute war auf einige Farmen im Süden von London verteilt. Den Tip bekamen wir von diesem Ben Coram und auch von Scott-Minton.« »Damit dürfte dieser Teilfall abzuhaken sein, wie?« wollte Mike Rander wissen. »Durchaus, wenngleich noch nicht feststeht, wer die jeweiligen Tips geliefert hat. Coram konnte uns da keine Auskunft geben.« »Ich hätte ihn wohl doch nicht mit
Glacehandschuhen anfassen sollen«, stellte Lady Agatha fest. »Ich glaube, daß er tatsächlich nicht Bescheid weiß«, meinte der Chief-Superintendent, »der ermordete Midhurst nahm die Tips entgegen und zwar außerhalb seiner Werkstatt. Coram und die übrigen Bandenmitglieder fuhren danach los und räumten Wohnungen und Landsitze aus. Anschließend wurde die Beute dann auf die jeweiligen Farmen verteilt.« »Gab’s keinen Streit, was die drei Abnehmer und Hehler betraf, McWarden?« fragte der Anwalt. »Bei diesem Angebot nicht«, entgegnete McWarden, »jeder der drei Hehler konnte absahnen. Ich nehme an, die haben sogar so etwas wie eine Zweckgemeinschaft gegründet. Jeder hatte sein spezielles Zweiglager.« »Wurde ein Teil der Beute bereits ins Ausland geschafft, Sir?« fragte Kathy Porter. »Nein, erfreulicherweise nicht…« McWarden nickte, als Josuah Parker das Glas nachfüllte. Lady Simpson nahm dies zur Kenntnis, räusperte sich aber noch nicht mal. Sie befand sich wirklich in sehr friedvoller Stimmung. »Laut Henley, Minton und Purtlee wollte man erst mal einige Zeit verstreichen lassen«, redete der ChiefSuperintendent weiter, »danach sollte die Beute dann ins Ausland 42
gehen und zwar als Nachbauten von Originalen. Midhurst und seine Hehler haben das in der Vergangenheit schon häufig praktiziert.« »Darf ich mich erkühnen, Sir, eine Frage zu stellen?« ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Natürlich, Mr. Parker.« McWarden sah den Butler erwartungsvoll an. »Aus der Liste der gestohlenen Gegenstände, Sir, wird auch Schmuck von beträchtlichem Wert aufgeführt, von Bargeld ganz zu schweigen.« »Schmuck, alte Uhren, Spieldosen, Schnupftabaksdosen aus Gold und Bargeld«, bestätigte der Chief-Superintendent und nickte. »Wurden diese Gegenstände sichergestellt, Sir?« »Mit Sicherheit wohl, obwohl meine Leute bisher nur einen groben Überblick gewinnen konnten«, erwiderte McWarden, »worauf wollen Sie hinaus?« »Worauf wohl, mein lieber McWarden?« fragte die Detektivin spöttisch, »muß ich Sie erst mit der Nase darauf stoßen? Es ist doch klar, daß Mister Parker an diesen Erpresser denkt, der laut Midhurst den Killer in der Schlangengrube umgebracht hat. Das meinten Sie doch, Mister Parker, nicht wahr?« »Durchaus, Mylady«, antwortete der Butler, ohne die Miene zu verziehen. Er hatte zwar an ganz
andere Zusammenhänge gedacht, doch aus Höflichkeit wollte er Agatha Simpson auf keinen Fall widersprechen. * Clide Amersham war ein reicher Junggeselle, der eine große Etage in einem Backsteinhaus im Westend bewohnte. Er hatte seine Wohnungstür mehrfach abgesichert, wie deutlich zu hören war. Es dauerte eine Weile, bis er diverse Sicherheitsketten gelöst hatte. Selbst danach ließ die Tür sich nur spaltbreit öffnen. »Wer möchte mich sprechen?« fragte Amersham. Er hielt es für sicherer, sein Gesicht nicht zu zeigen. Er blieb hinter der Tür in Deckung. »Mein Name ist Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor, »Lady Simpson war so entgegenkommend, diesen Besuch anzukündigen.« »Nennen Sie mir das Stichwort«, sagte Clide Amersham nervös, »das Stichwort, das ich mit Mylady ausgemacht habe.« »Sonnenuhr, Sir…« »Okay, ich werde öffnen…« Es dauerte wieder eine Weile, bis einige Riegel zur Seite geschoben wurden. Dann wurde die Tür aufgezogen, und Parker sah sich einem rundlichen, großen Mann gegenüber, der seiner Schätzung nach etwa sechzig Jahre zählte. Clide Amersham hielt 43
eine alte Duellpistole in der linken Hand. »Ich erlaube mir, einen erholsamen Abend zu wünschen«, sagte Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Man kann nicht vorsichtig genug sein«, antwortete Amersham und drückte die Tür hastig zurück in den Rahmen. Anschließend befaßte er sich ausgiebig mit den Riegeln und Sperrketten. »Sie sind Myladys Butler, nicht wahr?« »Ich habe die Ehre und auch das Vergnügen, Sir.« »Sie kommen wegen dieser Diebstahlsgeschichte? Folgen Sie mir…« Amersham legte die Duellpistole weg und ging voraus. Parker fiel sofort auf, daß die sicher gediegen und kostbar eingerichtete Wohnung Lücken aufwies. Auf dem Parkett fehlten die obligaten Teppiche. Die vielen Wandnischen waren leer. Es gab einige Glas-Vitrinen, die ebenfalls ausgeräumt waren. »Mylady läßt entschuldigen«, sagte Parker in seiner höflichen Art, »Mylady ist bei der Abfassung eines Exposes.« »Sie schreibt noch immer an ihrem Kriminalroman?« Clide Amersham lächelte flüchtig. Es hatte sich herausgestellt, daß Lady Simpson Mister Clide Amersham durchaus kannte. Man war sich auf verschiedenen Gesellschaften begegnet.
»Mylady dürfte inzwischen das richtige Thema gefunden haben«, meinte der Butler, »es betrifft unter anderem auch Ihren Fall, Sir…« »Sehen Sie sich um, Mister Parker! Sehen Sie nur… Man hat mich total ausgeraubt… Alles Teure und Kostbare haben die Diebe mitgehen lassen.« »Wann, Sir, wurde Ihre Wohnung von Dieben heimgesucht?« wollte Parker wissen. »Wie zu bemerken ich mir erlaubte, ist die Tür erstaunlich gut gesichert und nicht beschädigt worden.« »Die Sache passierte während eines Krankenhausaufenthaltes, Mister Parker. Aber setzen Sie sich doch… Ja, ich lag in einem Krankenhaus. Die Galle, verstehen Sie. Unerträgliche Schmerzen… Koliken…« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich Ihnen mein Mitgefühl ausdrücken«, sagte Parker, »wann zwang Ihre Galle Sie dazu, sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen?« »Vor vierzehn Tagen. Ich war im Kensington-Hospital, etwa vier Tage. Danach ging es mir wieder relativ gut, bis ich dann nach Hause kam und das hier sah. Ich werde mir jetzt wahrscheinlich die Galle entfernen lassen müssen. Alles war ausgeräumt…« »Ihnen wurde eine Sammlung kostbarer Taschenuhren gestohlen, Sir?« 44
»Und die Teppiche… Dann Bargeld und auch einige Schmuckgegenstände. Ringe und Broschen, die einst Wellington einem meiner Vorfahren schenkte. Unersetzliche Werte…« »Man hat nie versucht, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, Sir?« »Aha, ich verstehe… Sie glauben, die Diebe hätten sich mit mir oder meiner Versicherung in Verbindung gesetzt, um die Gegenstände gegen Honorar zurückzugeben?« »In der Tat, Sir, es würde sich dabei um Bräuche handeln, die immer wieder geübt werden.« »Nichts habe ich bisher gehört, Mister Parker, nichts. Ich werde das alles wohl abschreiben müssen, fürchte ich.« »Könnte man sagen, Sir, daß Ihre Sammlung sehr bekannt war?« »Meine Freunde wissen natürlich davon, Mister Parker, aber die kommen als Diebe ja wohl nicht in Betracht.« »Keineswegs, Sir. Und die Wohnungstür war gesichert, wie ich feststellen durfte.« »Natürlich. Und sie war unbeschädigt. Die Riegel und Ketten konnte ich beim Verlassen der Wohnung natürlich nicht vorlegen, dafür aber gibt es drei Sperrschlösser.« »Sie belegten im Kensington-Hospital selbstverständlich ein Einzelzimmer, Sir?« »Natürlich, Mister Parker!« Clide
Amersham nickte nachdrücklich. »Ich hasse es, mich unterhalten zu müssen, wenn mir nicht danach zumute ist.« »Der Name Lionel Dunston sagt Ihnen nichts, Sir?« »Nie gehört, Mr. Parker. Wer soll das sein?« »Ein Mann, der möglicherweise in der Lage ist, Ihr Eigentum wiederzuerlangen, Sir.« »Das wäre wunderbar… Wo steckt dieser Mann? Warum haben Sie ihn nicht gleich mitgebracht?« »Er mußte überraschend eine Reise antreten, von der er hoffentlich bald zurückkehrt, Sir! Er wird sich dann mit Sicherheit mit Ihnen in Verbindung setzen. Im Kensington-Hospital kannte und kennt man Ihren Status?« »Das will ich meinen, Mr. Parker.« Clide Amersham richtete sich steil auf. »Ich gehöre immerhin einigen Aufsichtsräten und wissenschaftlichen Gremien an.« »Erwähnten Sie möglicherweise im Hospital Ihre Uhrensammlung, Sir?« »Natürlich nicht. Solch eine Sammlung besitzt man, Mister Parker, aber man redet nicht darüber.« »Gewiß, Sir.« Parker erhob sich. »Darf ich mir erlauben, mich für Ihre Auskünfte zu bedanken?« »Das war schon alles?« Clide Amersham sah den Butler erstaunt an. »Ich denke, Sie sollen im Auftrag der Lady Simpson diesen Fall 45
lösen?« »In der Tat, Sir, dazu gehört das Sammeln von Informationen. Darf ich abschließend fragen, ob Sie die Taschenuhr in Ihrer Weste mit ins Hospital nahmen?« »Wie bitte? Ach so… Na, natürlich, diese Uhr trage ich stets bei mir. Sie stammt aus Frankreich und wurde von einem königlichen Uhrmacher angefertigt. Eine Rarität, um die sich Sammler reißen würden, aber ich verkaufe selbstverständlich nicht.« Josuah Parker verabschiedete sich von Clide Amersham und begab sich gemessen zur Tür. »Ihre Taschenuhr wird im Hospital gewiß einiges Aufsehen erregt haben, Sir?« »Darauf können Sie sich verlassen, Mister Parker. Der Chefarzt war fasziniert. Ich wollte ihm in den nächsten Tagen meine ganze Sammlung zeigen, doch daraus wird ja nun nichts… Scheußliche Sache!« * Als Parker zu seinem hochbeinigen Monstrum schritt, übersah er bewußt einen Mini-Cooper, der ebenfalls am Straßenrand stand und an dessen Steuer eine unauffällige, durchschnittlich gekleidete Hausfrau saß, die offensichtlich eine Einkaufsliste überprüfte. Parker hatte seinen Wagen noch nicht ganz erreicht, als aus einem
nahen Hausflur ein Mann kam, der direkt auf ihn zuhielt. Der Mann trug einen leichten Übergangsmantel und hatte seine rechte Hand in die Manteltasche gesteckt. »Mister Parker?« rief der Mann leise, aber eindringlich. »In der Tat«, erwiderte Parker, »saßen Sie nicht am Steuer eines dunkelgrünen Toyota?« »Sie haben mich gesehen?« Der Mann lächelte dünn, doch sein hageres Gesicht nahm das kaum zur Kenntnis. »An der letzten Ampel«, bestätigte der Butler, »Sie ignorierten meine bescheidene Person in einer Art und Weise, die ich nur als auffällig bezeichnen konnte.« »Sie wissen, daß ich schießen werde?« »Ich denke, daß Sie nicht nur drohen.« »Darauf können Sie sich verlassen, Parker. Setzen Sie sich ans Steuer, ich werde neben Ihnen Platz nehmen!« »Sind Sie ein Angehöriger oder Freund des verblichenen Mister Jerry Puckley?« »Darüber werden wir uns später unterhalten. Kommen Sie mir nur ja nicht mit faulen Tricks, Parker. Ich werde nicht darauf reinfallen.« »Wenn Sie gestatten, möchte ich Sie als einen Profi bezeichnen.« »Gut, daß Sie’s so sehen, Parker. So, und jetzt ganz vorsichtig in den 46
Wagen…« »Man wird sich an Ihre Anweisungen halten. Wie darf ich Sie anreden?« »Sagen Sie meinetwegen Miller zu mir, stimmt zwar nicht, hört sich aber immer wieder gut an.« Josuah Parker öffnete die Wagentür und setzte sich ans Steuer. Der Mann, der ihn abgefangen hatte, schlüpfte in den Wagen und ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. Butler Parker hätte diesen Mann ohne weiteres am Einsteigen hindern können, doch er verzichtete darauf. Er sammelte schließlich Informationen, wie er gerade Mr. Amersham erklärt hatte. »Fahren Sie los, Parker«, forderte der Mann, der sich Miller nannte, »fahren Sie irgendwohin… Ganz gleich… Ich will nur mit Ihnen reden.« »Das Thema dürfte Mister Jerry Puckley sein.« »Richtig, Jerry Puckley…Der Junge war in Ordnung, aber das ist es nicht allein. Ich will wissen, wer ihn umgebracht hat.« »An der Aufklärung dieses ungewöhnlichen Verbrechens, Mister Miller, wird zur Zeit noch gearbeitet.« »Sie wissen doch bestimmt mehr als die Polizei. Ich habe mich über Sie erkundigt, Parker. Man sagt, daß Sie ein dreimal gehenkter Hund sind.«
»Eine recht ungewöhnliche Deutung meiner Person, wenn ich so sagen darf. Sie wissen, daß Ihr Freund Puckley von diversen Klapperschlangen gebissen wurde?« »In der Schlangenfarm draußen bei Marlow, nicht wahr?« »Das entspricht den Tatsachen, Mister Miller. Sie wußten nicht, daß Mister Puckley diese Schlangenfarm besuchen wollte?« »Moment mal, die Fragen stelle ich, ist das klar?« »Selbstverständlich, Mister Miller. Sie sind schließlich im Besitz einer Schußwaffe… Mister Lionel Dunston dürfte Sie demnach also nicht informiert haben, wie ich unterstellen muß.« »Dieses Miststück! Moment mal, ich stelle hier die Fragen. Versuchen Sie bloß nicht mich aufs Kreuz zu legen.« »Nichts liegt mir ferner, Mister Miller. Demnach hat Mister Puckley also auf eigene Faust gehandelt?« »Noch solch eine Frage, Mister Parker, und ich werde abdrücken.« »Dann könnte ich natürlich nicht mit weiteren Informationen dienen, Mister Miller. Darf ich anregen, daß man einen wechselseitigen Gedankenaustausch vornimmt?« »Okay, dann legen Sie mal Ihre Karten auf den Tisch, Parker.« Der Mann, der sich Mister Miller nannte, räkelte sich auf dem Sitz zurecht und entspannte sich ein wenig. Er 47
war zu dem Schluß gekommen, daß er vorerst nicht mit einem Trick zu rechnen hatte. Ihm entging allerdings, daß Parkers linker Fuß sich hob. Die Schuhspitze drückte gegen einen versteckt angebrachten Knopf, der über den Pedalen angebracht war. Dadurch wurde ein an sich einfacher und deshalb auch schon wieder raffinierter Mechanismus ausgelöst, der sich gegen den Benutzer des Beifahrersitzes richtete… * »Was war das?« fragte Miller und zuckte zusammen. »Was, bitte, belieben Sie zu meinen?« fragte Parker höflich. »Da hat mich gerade was in den Hintern gepiekt«, sagte Mr. Miller mißtrauisch. »Ihre Ausdrucksweise zeichnet sich durch eine gewisse Ungeniertheit aus«, stellte Josuah Parker fest. »Ich bin gestochen worden«, beschwerte sich Miller und langte nach seiner rechten Gesäßhälfte. Seine Finger tasteten den Sitz ab, konnten jedoch nichts ausmachen. »Sie müssen sich geirrt haben«, behauptete der Butler höflich. »Oder sollte man die Polster doch herrichten lassen?« »Wieso die Polster?« Miller rieb sich ausgiebig die schmerzende Stelle.
»Die Spiralfedern lassen in jüngster Zeit an Elastizität zu wünschen übrig«, erläuterte Parker, der es allerdings besser wußte. Durch den Knopfdruck war eine Art Injektionsnadel freigegeben worden, die im Sitz eingelassen war. Sie hatte sich nach oben geschoben und ihren Inhalt in das Gesäß des Beifahrers entlassen. »Ihr Schlitten gehört auf den Schrottplatz«, mokierte sich Miller und rieb weiter an seiner Kehrseite. Sein Mißtrauen hatte sich inzwischen völlig gelegt. Eine heitere und gelöste Grundhaltung erfaßte ihn. Er sah die Welt plötzlich mit ganz anderen Augen. Er räkelte sich noch bequemer zurecht und zog seine Hand aus der Manteltasche. Die Schußwaffe interessierte ihn nicht mehr. »Mister Puckley und Sie haben für Mister Lionel Dunston gearbeitet?« erkundigte sich der Butler. »Und nicht schlecht verdient… Dunston ist ein raffiniertes Aas, Parker, glauben Sie mir.« »Sie waren sein Leibwächter?« »Na ja, er lebte gefährlich… Erpresser sind nicht gerade beliebt.« »Woher, wenn man fragen darf, kennen Sie Mister Miller?« »Jerry hatte das angeleiert«, antwortete Mr. Miller prompt, »er hat mal mit Dunston telefoniert. Das liegt jetzt schon ein paar Monate zurück.« 48
»Wo hielten Mister Puckley und Sie sich auf? Sie müssen nicht antworten, falls Sie nicht wollen.« »Aber nein, ich antworte doch gern.« Miller lächelte, und das Gesicht spielte diesmal gelöst mit. »Jerry und ich hatten uns in Blackpool niedergelassen. Mieser Job. Man konnte nichts unternehmen. Sie haben ja keine Ahnung, wie gut die Bullen da aufpassen. Wir mußten ganz kleine Brötchen backen. Bis Jerry der Kragen platzte und Dunston anrief. Der hat sofort, zugeschnappt und uns kommen lassen. Und schon war alles in bester Butter.« »Mister Dunston befaßt sich zur Zeit mit einer Serie von Diebstählen?« »Was der da macht, weiß ich nicht. Jerry kannte sich da besser aus, aber der ist ja auch cleverer als ich.« »Sie sollten Ihr Licht keineswegs unter den Scheffel stellen, Mister Miller«, sagte Josuah Parker höflich, »die Namen Henley, Minton und Purtlee werden Ihnen sicher einiges sagen.« »Doch, die hab ich bestimmt schon mal gehört«, meinte Mr. Miller nachdenklich. »Dazu gehören auch die Namen Midhurst und Coram, wenn wir uns nicht sehr irren, nicht wahr?« »Die kommen mir auch bekannt vor«, entgegnete Miller und nickte langsam, »schade, daß man meinen
Kumpel Jerry, nicht mehr fragen kann.« »Warum mußte er auch zur hinausfahren«, Schlangenfarm bedauerte der Butler, »er hätte Sie verständigen sollen.« »Ich glaub fast, daß er mich reinlegen wollte«, sinnierte Mr. Miller halblaut, »warum hat er mich nicht mitgenommen? Er hätte doch was sagen können.« »Sehr kooperativ war Ihr Freund Puckley gerade nicht, Mister Miller.« »Der hat in letzter Zeit immer vom Geschäft seines Lebens gesprochen«, redete Miller weiter und gähnte zwischendurch herzhaft. Die Injektion zeigte deutliche Wirkung. »Er sprach gewiß von einem Vermögen, das zu machen sei?« »So ungefähr, Parker. Und wenn ich mal fragte, dann hat er immer gesagt, er würd für mich denken…« »Hat Mister Puckley je den Namen Desmond Ball erwähnt? Oder die Schlangenfarm?« »Nee, eigentlich nie. Ich kann überhaupt nicht verstehen, was er da draußen wollte. Warum hat er mich nicht mitgenommen? Dann wäre das alles nicht passiert. Ich hab ‘nen Schlag bekommen, als ich davon in den Zeitungen las.« Josuah Parker hätte liebend gern weitere Fragen gestellt, doch Mr. Miller, wie er sich nannte, war eingeschlafen. Daher bekam er auch nicht mit, daß plötzlich einige 49
Geschosse gegen die Seitenscheibe der Fahrerseite hämmerten. Sie richteten keinen Schaden an, von einigen Kratzern abgesehen. Sie jagten als Abpraller und auch Querschläger in einen nahen Park und verirrten sich im Gesträuch und Erdreich. Da der Schütze im vorbeipreschenden Wagen einen Schalldämpfer benutzt hatte, verlief der Feuerüberfall undramatisch und erregte so gut wie kein Aufsehen. * »Ich komme keineswegs zufällig vorbei, Mylady«, sagte Chief-Superintendent McWarden, nachdem Josuah Parker ihn in die Wohnhalle des Hauses geführt hatte, »ich möchte mich wieder mal herzlich bedanken.« »Warum beziehen Sie nicht gleich ein Gästezimmer, McWarden?« fragte die ältere Dame ironisch, »Sie sollten sich bei mir auf Dauer einrichten.« »Der Mann, den Mister Parker mir zugeführt hat, heißt tatsächlich Miller«, führte McWarden weiter aus, »und auch er ist ein Bursche, den wir seit einiger Zeit suchen. Ich denke, wir werden ihm einige Mordversuche und schwere Körperverletzung nachweisen können.« »Hielt Mister Millers Redseligkeit an, Sir?« erkundigte sich der Butler. »Sie war erstaunlich, Mister Par-
ker«, erwiderte der Chief-Superintendent und nickte, »ich möchte wissen, wie Sie es geschafft haben, daß Miller sämtliche Karten auf den Tisch legte. Nein, ich möchte es lieber doch nicht wissen.« »Jeder Mensch, Sir, hat das Bedürfnis, sich einmal voll offenbaren zu können.« »Es ist wohl eindeutig erwiesen, daß Miller und sein ermordeter Partner und Freund Puckley die Leibwächter dieses Dunston waren. Wobei sich automatisch die Frage ergibt, wohin der Erpresser sich abgesetzt hat. Sie könnten mir nicht mit einem kleinen Hinweis dienen, Mister Parker?« »Ich muß außerordentlich bedauern, Sir«, entschuldigte sich der Butler, »zur Zeit sehe ich mich mangels Information außerstande, Ihrem Wunsch nachzukommen.« »Nun ja, wir werden ihn schon noch erwischen. Er bleibt bei der Behauptung, daß sein Bandenchef Midhurst stets per Telefon die Tips bekam. Nach solchen Telefonaten setzte sich die Bande in Bewegung und raubte die Wohnungen und Landsitze aus.« »Wir haben also wieder mal einen geheimnisvollen Unbekannten, mein lieber McWarden«, sagte die Detektivin. »Sieht so aus, Mylady.« McWarden seufzte. »Die nächste Frage wäre, wer versucht hat, Sie, Mr. Par50
ker, zu ermorden? Sie haben sich das Kennzeichen des Wagens gemerkt?« »Dieses Kennzeichen, Sir, war zwar vorhanden, aber absichtlich verschmiert worden.« »Wer könnte versucht haben, Sie zu ermorden?« wiederholte McWarden noch mal. »Sie haben keine Ahnung, wie?« »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, dürfte es sich um den Mann handeln, von dem Mister Jerry Midhurst die jeweiligen Hinweise erhielt.« »Der große Unbekannte!« McWarden nickte. »Ob es vielleicht dieser Erpresser Lionel Dunston ist?« »Natürlich steckt dieses Subjekt Dunston hinter den Beutezügen und Morden«, schaltete sich die ältere Dame ein, »ich habe mir alle Fakten noch mal gründlich durch den Kopf gehen lassen. Ein Irrtum ist ausgeschlossen, nicht wahr, Mister Parker?« »Diese Fakten reden in der Tat eine mehr als deutliche Sprache«, erwiderte der Butler sybillimsch. »Wo steckt denn eigentlich Miß Porter?« fragte McWarden gespielt beiläufig. »Das gute Kind schnappt frische Luft«, erklärte die Hausherrin genußvoll, »aber fragen Sie mich nicht, wo sie es tut. Sie ist mit Mister Rander unterwegs. Beantwortet das auch bereits Ihre nächste Frage, McWarden?«
»Natürlich, ich wollte nicht neugierig sein«, behauptete der ChiefSuperintendent, »der Fall ist ja auch fast so gut wie geklärt.« »Eben«, meinte Agatha Simpson schnippisch, »Ihnen fehlt nur noch der eigentliche Täter, nicht wahr?« »So muß man es wohl ausdrücken, Mylady.« »Ich werde Ihnen diesen Täter in den nächsten Tagen zusenden«, sagte die Detektivin, »Mister Parker wird die Einzelheiten klären, falls da überhaupt noch etwas zu klären sein sollte.« »Dunston«, faßte McWarden stichwortartig zusammen, »wenn wir diesen Burschen haben, kann ich den Fall zu den Akten legen.« »Sie sind hoffentlich auch dieser Meinung?« Lady Agatha sah den Butler fast drohend an. »Ich würde mich niemals erkühnen, Mylady zu widersprechen«, lautete Josuah Parkers Antwort. * »Ich rufe aus Marlow an, Mister Parker«, sagte Horace Pickett, »ich sitze in einem hübschen Gasthof.« »Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, Mister Pickett, daß es Ihnen offensichtlich recht gutgeht«, erwiderte Josuah Parker. »Sie scheinen Mister Dunston mit unbeirrbarer Beharrlichkeit gefolgt zu sein.« 51
»Das war eine Irrfahrt, Mister Parker«, erwiderte der »Eigentumsübereigner«, der sich dem Butler verbunden fühlte, »aber sie hat sich gelohnt.« »Wie darf ich diesen Hinweis Mister Pickett?« interpretieren, wollte der Butler wissen. Er befand sich allein in der Wohnhalle des Hauses der Lady. »Natürlich nicht so, wie Sie annehmen, Mister Parker«, gab Pickett zurück, »ich habe selbstverständlich nicht gearbeitet, wenn Sie das meinten. Es hat sich gelohnt, was diesen Erpresser Dunston angeht.« »Sie sind sicher, daß Sie unbeobachtet blieben, Mister Pickett?« »Sie kennen mich doch, Mister Parker. Ich habe unterwegs einige Male den Wagen gewechselt und Maske gemacht. Nein, nein, Dunston hat nichts gemerkt.« »Er gilt immerhin als Doppelmörder, Mister Pickett. Sie sollten auf Ihre Gesundheit achten.« Parker ging bewußt nicht auf den Hinweis ein, wonach Pickett einige Male den Wagen gewechselt hatte. Der Butler konnte sich gut vorstellen, auf welche Art und Weise der »Eigentumsneuordner« dies bewerkstelligt hatte. »Ich werde schon auf mich aufpassen, Mister Parker. Wirklich, Sie sollten sich keine Sorgen machen. Lionel Dunston wohnt in einem kleinen Hotel gleich gegenüber.«
»Seit wann hat er sich dort einlogiert, Mister Pickett?« »Vor etwa einer Stunde. Vorher ist er kreuz und quer durch die Gegend gefahren, ohne irgendein erkennbares System. Er hat keine Leute besucht, dafür aber viel telefoniert. Immer von öffentlichen Telefonzellen aus.« »Mister Pickett, Sie sollten jetzt genau zuhören«, schickte Josuah Parker voraus, »falls Mister Dunston in dieser Nacht das Gelände der Schlangenfarm besucht, so bleiben Sie in jedem Fall draußen. Ich bestehe darauf, daß Sie sich daran halten werden.« »Eine Schlangenfarm. Ja, die gibt’s hier. Ist es die, auf der man diesen Killer gefunden hat?« »In der Tat, Mister Pickett. Erwarten Sie meine bescheidene Wenigkeit in angemessener Frist, wenn ich es so umschreiben darf. Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust!« »Ich werde mich hüten, Mister Parker.« Der Butler legte auf und war froh, daß der Chief-Superintendent bereits vor einiger Zeit gegangen war. Lady Agatha befand sich in ihrem Studio, um an ihrem Roman zu arbeiten. Tatsächlich sah sie sich wohl einen Krimi im Fernsehen an. In der Bibliothek waren Kathy Porter und Mike Rander. Sie arbeiteten an einem Schriftsatz, den der Anwalt zusammenstellte. Es 52
ging um einen Vertrag im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung, die Mike Rander für Lady Simpson erledigte. Parker war nicht daran interessiert, in sogenannter großer Besetzung nach Marlow zu fahren. Er kannte das manchmal cholerische Temperament seiner Herrin. »Ist es erlaubt, für wenige Augenblicke zu stören?« fragte Parker, nachdem er ausgiebig und nachdrücklich geklopft hatte. Er stand in der geöffneten Tür. »Sie stören überhaupt nicht«, antwortete Mike Rander lächelnd, »ob Sie es nun glauben oder nicht, Parker: Miß Porter und ich arbeiten tatsächlich an einem Schriftsatz.« »In Anbetracht einer gewissen Stagnation im Fall Schlangenfarm, Sir, möchte ich ein wenig meinen Gedanken nachhängen.« »Hängen Sie, Parker…« Rander sah den Butler aufmerksam an. »Irgendeine neue Entwicklung eingetreten?« »Möglicherweise Sir«, räumte der Butler ein, »Mister Pickett rief an.« »War und ist er nicht hinter Dunston her?« »Mister Dunston hält sich zur Zeit in Marlow auf, Sir, wie Mister Pickett eruieren konnte.« »Dann will er die Schlangenfarm besuchen.« »Davon sollte man ausgehen, Sir.« »Und Sie wollen jetzt allein nach
Marlow?« »Es widerspricht meinen Prinzipien, Sir, Mylady unnötig zu gefährden«, entgegnete der Butler. »Ich habe verstanden.« Rander nickte. »Okay, fahren Sie, Parker, aber passen Sie auf sich auf! Sie wissen wie gefährlich die Reptilien sind.« »Man wird selbstverständlich entsprechende Vorkehrungen treffen, Sir«, versicherte der Butler, »ich werde mir erlauben, später von Marlow aus anzurufen. Vielleicht könnte man Mylady dann entsprechend verständigen.« »Ehrlich, es paßt mir gar nicht, daß Sie allein fahren wollen, Parker.« »Mir auch nicht, Mister Parker«, sorgte sich Kathy Porter, »wir alle könnten doch in einem zeitlichen Abstand folgen.« »Vielleicht nach dem Telefonanruf, den ich ankündigte, Miß Porter«, schlug Parker vor, »Mister Dunston ist ein scheuer, sehr vorsichtiger Gegner. Von seinem Besuch auf der Schlangenfarm verspreche ich mir recht viel.« * Butler Parkers Vorbereitungen waren recht ungewöhnlich, wie sich bald zeigte. Nachdem er in seinem hochbeinigen Monstrum das altehrwürdige Haus in Shepherd’s Market verlas53
sen hatte, suchte er einen Dachdecker und Spengler auf, der für die Landsitze der Lady Simpson arbeitete. Der Butler äußerte ausgefallene Wünsche. Er interessierte sich zuerst für Regentraufen aus Kupferblech, dann für dünnes Blech aus demselben Material. Er verwickelte den Fachmann in ein Sachgespräch und nahm sich die Zeit, eine aus dem Moment heraus geborene technische Entwicklung abzuwarten. Anschließend verstaute er gewisse Gerätschaften im Kofferraum seines Wagens und machte sich auf den Weg nach Marlow. Es war weit nach 22.00 Uhr, als Parker in der kleinen Stadt ankam. Er hatte ein zügiges Tempo vorgelegt und dennoch Zeit gehabt, sich mit dem Fall zu beschäftigen, der für ihn keineswegs bereits so gut wie gelöst war, wie Agatha Simpson es behauptete. Gewiß, alle Randbeteiligten saßen inzwischen hinter Schloß und Riegel, sofern sie nicht von dem geheimnisvollen Mörder umgebracht worden waren. Der Hehlerring war aufgeflogen, und die Midhurst-Bande existierte nicht mehr. Zurück aber blieb die Frage, wer diese Raubzüge veranlaßt hatte und wer verantwortlich für den Schlangenmord und den Feuerüberfall im Hospital war. Hinzu kam schließlich noch der
Mordversuch an Parker selbst, als er von Midhursts Nachfolger Coram zu einer Rundfahrt durch die Stadt eingeladen worden war. Kathy Porter hatte die Verfolgung des Wagens in ihrem Mini-Cooper aufgenommen und ihn bis zum KensingtonHospital beobachten können. Kathy Porter zweifelte keinen Augenblick daran, daß der Fahrer ins Hospital geeilt war und zwar durch die Tiefgarage dieses umfangreichen Gebäudekomplexes. War es nur ein Zufall, daß der beraubte Clide Amersham dort behandelt worden war? Gab es da Zusammenhänge, die noch genau erforscht werden mußten? Parker hatte den Anwalt und Kathy Porter gebeten, gewisse Ermittlungen anzustellen. Es kam ihm darauf an, noch mehr über die bisher Bestohlenen zu erfahren. Als er vor dem kleinen Gasthof hielt, in dem Horace Pickett wohnte, kam ihm der »Eigentumsneuverteiler« bereits entgegen. Es war wieder mal erstaunlich, wie seriös und vertrauenerweckend der Taschendieb aussah. »Wir können sofort weiter, Mister Parker«, sagte er, »vor einer halben Stunde ist Dunston losgefahren. Ich wäre ihm am liebsten gefolgt.« »Ihre Vorsicht wird sich auszahlen, Mister Pickett«, antwortete der Butler, »darf ich Sie zur Weiterfahrt einladen?« 54
»Sie glauben, daß Dunston zur Schlangenfarm gefahren ist?« Pickett folgte dem Butler hinüber zum hochbeinigen Monstrum. »Man wird sehen, Mister Pickett. Aus reinen Tarnungsgründen wird der Erpresser sich keineswegs dieses Städtchen ausgesucht haben.« Bis zur Schlangenfarm des Desmond Ball war es nicht weit. Das Gelände, das durch einen hohen, dichten Maschendraht gesichert war, machte gerade in der herrschenden Dunkelheit einen abweisenden und auch irgendwie drohenden Eindruck. Parker benutzte die schmale Straße, die um das ausgedehnte Grundstück herumführte und hielt Ausschau nach einem kleinen Ford, in dem Dunston – laut Horace Pickett – losgefahren war. Diesen Wagen, er war natürlich leer, entdeckte er schließlich in einem Feldweg. »Sie wollten tatsächlich rüber zu den Schlangen?« fragte Horace Pickett, als der Butler ausstieg. »Nicht unmittelbar und direkt, Mister Pickett«, antwortete der Butler, »mein Interesse gilt in erster Linie Mister Ball und Mister Dunston.« »Und wenn man ein paar von diesen Reptilien auf Sie hetzt, Mister Parker?« Pickett schüttelte sich. »Die Schlangen werden dies hoffentlich überstehen«, lautete Parkers Antwort, die in Picketts Ohren ein
wenig rätselhaft klang. * Die kleine Seitenpforte im großen Eingangstor war unverschlossen. Josuah Parker drückte sie auf und schritt steif und gemessen zu den Wirtschaftsgebäuden, in denen sich auch die Laborräume befanden. Durch die Ritzen heruntergelassener Rolläden schimmerte Licht. Parker erreichte die Eingangstür zum ebenerdigen Haus, in dem der Besitzer der Schlangenfarm wohnte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Türschloß seinen Widerstand aufgab. Es kapitulierte vor der Geschicklichkeit des Butlers, der sein kleines Spezialbesteck benutzte. Parker betrat einen langgestreckten Korridor und folgte dem Lichtschein. Er bog nach rechts ab und bewegte sich in Richtung einer angelehnten Tür. Stimmen waren zu vernehmen, doch einzelne Worte ließen sich nicht unterscheiden. Josuah Parker schritt weiter und blieb vor der Tür stehen. »… können Sie mich nicht beeindrucken«, sagte Dunston gerade. Parker erkannte die Stimme des Erpressers auf Anhieb, »falls mir hier was passiert, Ball, fliegen Sie auf.« »Was sollte Ihnen schon passieren?« Das war Desmond Ball, der Besitzer der Schlangenfarm. 55
»Denken Sie mal an Jerry Puckley«, antwortete Lionel Dunston ironisch. »Mit seinem Tod habe ich überhaupt nichts zu tun. Sie hatten ihn mir auf den Hals geschickt, nicht wahr?« »Er hat für mich gearbeitet. Er und sein Freund…« »Sie haben diesen Freund mitgebracht?« erkundigte sich Ball. »Natürlich«, schwindelte der Erpresser. Er verschwieg natürlich, daß ein gewisser Miller keineswegs mehr zur Verfügung stand. Ob er wußte, daß er bereits verhaftet worden war, stand auf einem anderen Blatt. »Was wollen Sie, Dunston?« fragte Ball als nächstes. Parker hatte sich nahe genug an die spaltbreit geöffnete Tür herangeschoben und blickte in den gekachelten Raum. Ball und Dunston standen vor einem langen Arbeitstisch, auf dem Glasbehälter und kleine Drahtkäfige abgestellt worden waren. Die Reptilien darin waren nicht zu übersehen. »Was ich will?« Dunston lachte leise. »Ich will mich an gewissen Geschäften beteiligen. Ist das so schwer zu erraten? Ich möchte auch meinen Schnitt machen.« »Wovon reden Sie eigentlich?« »Von Zusammenhängen, Ball, die Sie betreffen, Sie und einige Leute in London. Ich bin sicher, daß man da bereits ein sattes Vermögen gemacht
hat.« »Sie sind verrückt, Dunston. Okay, ich verdiene gut mit der Schlangenfarm, aber ein sattes Vermögen habe ich damit nicht gemacht und werde es auch nicht machen. Was haben Sie sich da eigentlich zusammengereimt? Ich glaube, Sie sind auf dem falschen Dampfer.« »Wer beliefert denn die PharmaChemical in London?« »Ich natürlich, das ist doch kein Geheimnis. Die Firma stellt Schlangenserum und Heilmittel her.« »Und wem gehört der Laden?« »Dr. Peter Reading. Auch das ist doch kein Geheimnis, Dunston. Er ist übrigens nur Teilhaber.« »Sein Partner ist Doktor Cliff Tyford, nicht wahr?« »Richtig, Dunston. Ich versteh immer noch nicht, worauf Sie hinaus wollen.« »Zwei kleine Assistenzärzte, die sich nach der Decke strecken müssen. Der wirkliche Geldgeber und Verdiener ist Professor Arthur Mantell. Auch Goldhand genannt… Und wissen Sie auch, warum man ihm diesen Spitznamen angehängt hat?« »Weil er ein erstklassiger Chirurg ist.« »Das auch, aber in erster Linie, weil er alles zu Gold macht, was er mit seinen Fingern berührt.« »Sie sind ja erstaunlich gut orientiert, Dunston.« 56
»Davon lebe ich schließlich. Information ist alles! Man braucht zum Beispiel nur die Tageszeitungen genau zu studieren… Da gibt’s Hinweise in jeder Menge. Man muß die Dinge richtig einordnen und archivieren.« »Kommen Sie endlich zur Sache, Dunston!« »Ich rede ununterbrochen davon. Und Sie wissen es sehr genau. Sagen wir, so für den Anfang, fünfzigtausend Pfund. Und in Zukunft zwanzig Prozent von den Einnahmen.« »Von welchen Einnahmen sprechen Sie eigentlich?« Balls Stimme drückte Erstaunen aus. Er schien tatsächlich nicht zu wissen, wovon sein Besucher redete. v »Ich rede vom Erlös gewisser Beutezüge, Ball…« Josuah Parker hätte gern noch zugehört, doch er wurde nachdrücklich abgelenkt. Er hörte hinter sich ein feines Zischen und kam sofort zu dem Schluß, daß er nicht mehr allein vor der Tür stand. Er wandte sich vorsichtig um und sah sich einer Königskobra gegenüber, die ihn ausgesprochen giftig anschaute… * Sie war dreieinhalb Meter lang und oberschenkeldick. Natürlich hatte die Königskobra den Butler längst ausgemacht und fühlte sich gestört. Sie richtete sich auf und nahm Maß. Parker bewegte
sich vorsichtig zur Seite. Er wollte sich keineswegs als Hindernis anbieten. Die Königskobra züngelte und richtete sich noch weiter auf. Kopf und Hals erreichten fast die Höhe von einem Meter. Bedrohlicher und unheimlicher hätte man die Szene nicht arrangieren können. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis der massige Kopf der Giftschlange vorschnellte… Im Labor unterhielten sich Ball und Dunston weiter. Parker nahm beiläufig zur Kenntnis, daß Ball seine Stimme angehoben hatte. Ihm ging es wohl darum, das Zischen der Königskobra zu übertönen. Parker entsann sich eines Schlangenbeschwörers, den er mal in Indien beobachtet hatte. Dieser Mann hatte seine Flöte gespielt und sie im sanften Takt hin und her bewegt. Gewiß, Schlangen nahmen keine Töne wahr, doch kurzsichtig, wie sie nun mal sind, verfolgen sie mit ihrem Kopf die Bewegungen ihrer möglichen Opfer. Der Gaukler in Indien hatte die Flöte dazu benutzt, das Interesse der Kobra zu erregen und sie so von sich abzulenken. Butler Parker genierte sich nicht, auch diese Königskobra zu täuschen. Er benutzte dazu die Spitze seines Universal-Regenschirms, die er in das Blickfeld der Schlange schob und dann leicht bewegte. 57
Die Königskobra reagierte augenblicklich. Sie schob den Kopf mit dem aufgeblähten, leicht scheibenförmigen Hals in die neue Richtung und vergaß darüber den Besitzer des Schirms. Josuah Parker hätte mit der Schirmspitze das Reptil in den Raum befördern können, schnell genug wäre er mit Sicherheit gewesen. Doch es widerstrebte ihm, die beiden Männer in tödliche Gefahr zu bringen. Er war schließlich nicht gekommen, um einen von ihnen umzubringen. Die Königskobra sah das Blitzen und Blinken der polierten Stahlzwinge des Schirmes und war fasziniert. Sie hatte sich inzwischen abgeregt und wollte unbedingt testen, was es mit diesem blinkenden Gegenstand auf sich hatte. Das Reptil züngelte, schob sich noch näher an die Schirmspitze heran und… schnappte leicht zu. Es war kein direkter, wütender oder zielgerichteter Angriff, es war wohl mehr ein Kosten. Ihr weit aufgesperrter Rachen wurde von der Stahlspitze leicht gekitzelt. Sie fuhr zurück und machte einen verdutzten Eindruck. Dann schien sie sogar ein wenig den Kopf zu schütteln und entschied sich, ins Labor zu kriechen. Parker sah seinerseits fasziniert auf den mächtigen Körper der Königskobra, die dicht an seinen Schuhspit-
zen vorbei geräuschlos und ungemein geschmeidig vorüberkroch. Und es war wieder mal erstaunlich, wie gelassen und selbstbeherrscht Josuah Parker diesen Zwischenfall überstanden hatte. Sein Gesicht war glatt und ausdruckslos geblieben. Von Panik konnte selbst andeutungsweise bei ihm keine Rede sein. Begegnungen mit Königskobras dieser Größe schienen für ihn zur Tagesordnung zu gehören. Das dreieinhalb Meter lange Reptil war inzwischen im Labor. Parker wartete auf einen Schrei. Ein Mann wie Dunston würde entsetzt reagieren, wenn solch ein Reptil auf ihn zuglitt. Der fällige Schrei ertönte auch, dann folgten zwei Schüsse. Parker nahm sich die Freiheit, einen Blick ins Labor zu werfen. Lionel Dunston war gegen einen Arbeitstisch zurückgewichen und feuerte gerade einen dritten Schuß auf die Königskobra, verfehlte sie aber auch diesmal. Das mächtige Reptil glitt weiter auf den Erpresser zu, der vor Angst wimmernde Töne ausstieß. Desmond Ball, der Besitzer der Schlangenfarm, zeigte ebenfalls große Abscheu. Bei dieser Königskobra handelte es sich mit Sicherheit nicht um Hetty aus einer der Schlangengruben. Dieses Reptil schien ihm doch ein wenig fremd und auch lebensgefährlich zu sein. 58
»Schießen Sie doch endlich«, rief Ball seinem Besucher Dunston zu, »beeilen Sie sich…« Lionel Dunston, der Erpresser, hatte völlig vergessen, daß er bewaffnet war. Er preßte sich immer dichter gegen die gekachelte Wand und stierte auf die Königskobra, die sich aufrichtete und ihren Hals blähte. Der mächtige Kopf des Reptils bewegte sich leicht hin und her. Desmond Ball schob sich vorsichtig zur Seite und brachte sich aus der Gefahrenzone. unmittelbaren Obwohl in seiner Nähe ein langer Fangstock mit Schlinge sich befand, tat er nichts, um seinen Besucher zu schützen. Dafür aber schaltete sich Josuah Parker ein. * Durch das Lösen einer versteckt angebrachten Sperre oben im Griff des Universal-Regenschirms klappte eine Art Deckel an der Zwinge des Schirms zur Seite und gab die Mündung des im Schirm eingebauten »Blasrohrs« frei. Aus der Hüfte heraus schoß der Butler einen bunt gefiederten Pfeil ab, der mit erstaunlicher Schnelligkeit durch die Luft jagte und sich in den Nacken der Königskobra bohrte. Das Reptil zeigte sofort Wirkung, rutschte zur Seite und wurde vom Pfeil, der den Hals glatt durchbohrt
hatte, schräg auf dem Boden festgehalten. Der mächtige Leib peitschte die Bodenfliesen. Lionel Dunston schien aus seiner Erstarrung zu erwachen. Er sprang endlich zur Seite, entkam so gerade noch mal dem wütenden Vorschnellen des Kopfes und… richtete seine Waffe auf den Butler, der in der Tür stand. »Ich hoffe, Mister Dunston, man konnte Ihnen dienlich sein«, sagte er und lüftete höflich die schwarze Melone. »Sie… Sie haben den Pfeil abgeschossen?« staunte Dunston und warf einen Blick auf die Königskobra, die noch zuckte und sich wand. »Ich war so frei, zumal Mister Ball nichts unternahm«, entgegnete der Butler, »es gehört zu meinen bescheidenen Lebensregeln, kein Menschenleben unnötig in Gefahr zu bringen.« »Schießen Sie doch endlich, Dunston«, rief Ball gereizt. »Warum schießen Sie nicht?« »Das hat noch Zeit«, meinte der Erpresser, »immerhin hat er mein Leben gerettet, Ball.« »Um Sie einzulochen, Dunston… Begreifen Sie das nicht?« »Ich begreif eine ganze Menge«, sagte der Erpresser, »Sie haben Jerry Puckley auf dem Gewissen.« »Unsinn, Dunston. Mann, Sie sind verrückt, nehmen Sie die Waffe runter!« »Ich denke, Sie richten sie auf die 59
Person, auf die es hier allein ankommen dürfte«, warf Josuah Parker gemessen ein, »Ihre Vermutung, Mister Dunston, was Ihren Leibwächter Puckley betrifft, dürfte gar nicht so abwegig sein.« »Der Butler will uns doch alle in die Pfanne hauen«, rief Desmond Ball, »auf welcher Seite stehen Sie eigentlich, Dunston? Okay, Sie können einsteigen. Abgemacht! Aber schießen Sie endlich!« »Ich bin doch kein Mörder«, erwiderte der Erpresser und beging den Fehler, noch mal nach der mächtigen Königskobra zu schielen, deren Bewegungen immer matter geworden waren. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit nutzte Ball. Er fegte mit dem rechten Arm einen Glasbehälter vom Arbeitstisch. Dunston schoß sofort, aber er traf leider nur das Gefäß, aus dem prompt zwei schlanke, giftgrüne Schlangen ringelten. Dunston quiekte und ergriff die Flucht. Er rannte auf den Butler zu, der wegen der Waffe in Dunstons Hand ausgesprochen höflich zur Seite trat. Dunston jagte in den Korridor und schmetterte einige Türen hinter sich ins Schloß. Parker war wenig beeindruckt, obwohl ihm klar war, wie lebensgefährlich die beiden schlanken, giftgrünen Schlangen waren. Selbst Desmond Ball hielt es für angebracht, mit dem Gesäß schleunigst auf den Arbeitstisch zu rut-
schen und seine Beine zu heben. »Kann man davon ausgehen, daß die beiden Schlangen recht giftig sind, Mister Ball?« erkundigte sich der Butler höflich. Er hielt die Schirmspitze bereit, um einen etwaigen Angriff der beiden Reptilien abzuwehren. »Sehr giftig«, erwiderte Desmond Ball, »setzen Sie sich lieber ab…« »Sie sind plötzlich an meinem Wohlergehen interessiert?« wunderte sich der Butler. Die beiden schlanken, giftgrünen Schlangen krochen unentschlossen auf dem Boden herum, um sich dann auf die Beine des Butlers zu konzentrieren. Josuah Parker hatte jedoch keine Schwierigkeiten, die Reptilien abzuwehren. Er beförderte sie nacheinander mit Schwung zurück in eine Ecke des Labors. Erneut erwies sich sein Schirm dabei als Universalwaffe. Die hochgiftigen Schlangen bissen zwar in das Gewebe, doch sie verspritzten nur unnötig ihr Gift. Sie klatschten unsanft gegen die Kachelwand und wirkten benommen. »Und nun zu Ihnen, Mister Ball«, sagte Josuah Parker, »Mister Dunston war so freundlich, mir einige wichtige Hinweise zu liefern.« »Hinweise?« Desmond Ball runzelte die Stirn und tat unwissend. Er ging wohl davon aus, daß Parker erst nach der Königskobra im Korridor erschienen war. Wahrscheinlich 60
konnte er sich nicht vorstellen, daß er im anderen Fall überhaupt mit dem Leben davongekommen wäre. »Zur besseren Erläuterung, Mister Ball, möchte ich Ihnen die Namen Reading, Tyford und Mantell nennen«, redete der Butler weiter, »vielleicht sollte ich aber auch noch den Namen Pharma-Chemical dazusetzen.« »Die Kobra… Sie ist an Ihnen vorbeigekrochen?« staunte Ball und wunderte sich anschließend. »Wir respektierten uns wechselseitig«, meinte Josuah Parker, »Sie arbeiten also mit drei Medizinern zusammen, von denen einer sogar als Goldhand bezeichnet wurde. Dies dürfte nicht ohne Grund geschehen sein.« »Natürlich nicht«, sagte in diesem Moment eine recht undeutliche Stimme hinter Parker, »Dunston hatte schon richtig geschaltet. Nun kann er’s nicht mehr…« * Parker wandte sich um. Er sah sich einem mittelgroßen Mann gegenüber, der einen fast knöchellangen Regenmantel trug. Das Gesicht dieses Mannes war kaum zu erkennen. Ein Mund- und Atemschutz nach Art der Chirurgen ließ nur die Augenpartie frei. »Dr. Reading? Oder vielleicht Dr. Tyford?« fragte Parker und nahm
zur Kenntnis, daß der Besucher eine Automatik in der linken Hand hielt, deren Mündung selbstverständlich auf ihn gerichtet war. »Dr. Mantell«, meinte der Mann, »aber das spielt kaum eine Rolle.« »Sie haben sich Mr. Dunston bereits angenommen, wenn ich es so ausdrücken darf?« »Indirekt«, antwortete der Vermummte, der sich Dr. Mantell nannte, »den Rest dürften ein paar Klapperschlangen übernommen haben.« »Schießen Sie doch!« rief Desmond Ball eindringlich dem Vermummten zu, »dieser Mann ist gefährlich!« »Nur keine Hysterie, Ball«, sagte der Vermummte und lachte leise, was durch den Atemschutz wie fröhliches Bellen klang, »Sie übertreiben wieder mal.« »Ich weiß, wovon ich rede«, erwiderte Ball und stieg vom Arbeitstisch herunter. Er warf einen prüfenden Blick auf die beiden Reptilien, die sich aber von ihrem ParkerSchock noch nicht erholt hatten. »Kommen Sie, Mister Parker«, lud der Vermummte den Butler ein und machte eine entsprechende Bewegung mit der Waffe, »was halten Sie davon, wenn wir uns mal die Schlangengruben ansehen?« »Hier haben wir doch Giftschlangen, Mantell«, schaltete Desmond Ball sich ein und deutete auf die Glasbehälter und engmaschigen 61
Käfige, »lassen Sie diesen Schnüffler nur in einen Behälter greifen, und Sie werden einiges erleben.« »Aber wir wollen es uns doch nicht zu einfach machen, Ball«, erwiderte der Vermummte, »ein kleines Schauspiel sollte diese Begegnung doch wert sein.« »Er wird Sie reinlegen«, warnte Ball eindringlich, »ich weiß inzwischen, was mit ihm los ist.« »Auch ich habe mich erkundigt.« Der Mann mit dem Gesichtsschutz winkte ab. »Er ist zwar ein begabter Amateur, der sogar improvisieren kann, doch gegen eine hübsche Königskobra wird er kaum etwas ausrichten… Kommen Sie, Mister Parker, ich werde Ihnen eine echte Chance einräumen.« »Darf man nähere Einzelheiten dazu erfahren?« erkundigte sich Parker. Sein Gesicht blieb auch jetzt glatt und ausdruckslos. »Sie werden in eine Schlangengrube steigen, Parker. Alles Weitere hängt dann von Ihrer Improvisationskunst ab…« »Und falls meine Wenigkeit überleben sollte?« »Dann sind Sie ein freier Mensch, Parker. Mein Wort darauf!« »Die eingeräumten Chancen sind recht gering, wenn ich dies feststellen darf.« »Sie haben Ihren Schirm, den Sie benutzen dürfen, Parker. Nutzen Sie ihn! Ich bin ehrlich gespannt, wie
lange Ihre Nerven das Spiel durchhalten.« »Ihr Interesse ist rein medizinisch?« »So ungefähr, Parker. Kommen Sie! Falls Sie mich überrumpeln wollen, erhöhen Sie damit Ihr Risiko… Ich würde Sie nicht erschießen, nein, nur anschießen… Ihre Möglichkeiten, sich gegen die Königskobra durchzusetzen, würden dann allerdings rapide sinken. Sie müssen sich entscheiden.« »Ich denke, man sollte auf Ihr fast hochherziges Angebot eingehen.« »Schalten Sie das Außenlicht ein, Ball«, befahl der Vermummte dem Besitzer der Schlangenfarm. »Und wenn er nicht allein gekommen ist?« Desmond Ball deutete auf den Butler. »Er ist allein gekommen«, entgegnete der Vermummte, »ich habe ihn genau beobachtet. Es würde auch gar nicht zu Mister Parker passen, mit einem großen Aufgebot anzurücken. Sehe ich das richtig, Mister Parker?« »In der Tat«, sagte Josuah Parker und setzte sich steif und würdevoll in Bewegung, »müssen Sie meine bescheidene Wenigkeit aber unbedingt mit Königskobras konfrontieren? Könnten es nicht reguläre Klapperschlangen sein?« »Ehre, Mister Parker, wem Ehre gebührt«, erklärte der Vermummte und lachte erneut, »aber selbstver62
ständlich könnte Ball noch einige Klapperschlangen besorgen, oder?« »Mit dem größten Vergnügen«, antwortete Desmond Ball sofort, »und auch noch ein paar andere hübsche Überraschungen.« »Dann sollten wir jetzt gehen, Parker.« Der Vermummte war sehr vorsichtig und trat zur Seite, als der Butler die Tür erreichte. Er wollte sich nicht überrumpeln lassen… * »Genieren Sie sich nicht, Parker«, forderte der Vermummte auf, als sie die schüsselförmige Schlangengrube erreichten. Er deutete kurz mit dem Lauf der Waffe hinunter. In der Mitte der Riesenschüssel waren einige würfelförmige Kästen zu sehen, die mit Stroh abgedeckt waren. Im gleißenden Licht, das Ball eingeschaltet hatte, konnte man die armdicken Schlangen beobachten. »Wir wollen uns die Sache etwas interessanter machen, Parker«, redete der Vermummte munter weiter, »die Masse dort unten sind reguläre Klapperschlangen, doch es gibt auch noch ein paar andere Exemplare…« Desmond Ball rollte eine Art Bühne heran, über die man hinunter in die Schlangengrube stieg. Er grinste tückisch, als Parker sie notgedrungen und steif betrat. »Viel Spaß«, sagte er, »ich schätze,
daß Sie’s in ‘ner halben Stunde geschafft haben…« »Ich werde mich bemühen, Ihr Vertrauen nicht zu enttäuschen.« Parker nickte den beiden Männern zu, schritt feierlich gemessen über den Laufsteg und benutzte dann die an sich gar nicht so unbequeme Treppe, um in die Schlangengrube hinunterzusteigen. Er hatte den Betonboden noch nicht ganz erreicht, als Desmond Ball die Treppe hochklappte, um dann auch die gesamte Bühne vom Rand der Betonschüssel wegzuziehen. Die Schlangen reagierten bereits auf die veränderten Lichtverhältnisse, rollten sich auf und züngelten. Desmond Ball und der Vermummte standen oben am Rand und beobachteten den Butler, der erst mal eine Art Inspektion vornahm. Er ging in einem Bogen um ein Knäuel Klapperschlangen herum und wich dabei einigen anderen Reptilien aus, die sich bereits gestört fühlten. »Nehmen Sie sich Zeit, Parker«, rief der Vermummte, »und achten Sie darauf, daß Sie nicht von hinten angefallen werden.« »Vielen Dank für Ihre geradezu rührende Besorgnis«, antwortete der Butler und lüftete die schwarze Melone. Mit der Spitze seines Regenschirms schob er eine Schlange zur Seite, die ein quergebändertes Schuppenkleid und einen rötlich gefärbten Kopf zeigte. Das Reptil 63
zischte verärgert, traute sich aber nicht an diesen Zweibeiner heran, der so gar keinen Respekt zeigte. Parker griff in die rechte Innentasche seines Zweireihers und holte ein schmales Buch hervor. Die beiden Männer oben am Rand der Schlangengrube staunten natürlich. Parker blätterte herum, beugte sich ein wenig vor, warf einen Blick auf das zur Seite geschobene Reptil, dann einen Blick in das schmale Buch und dann wieder auf die Schlange. »Offensichtlich eine Ancristodon concortrix«, sagte er dann mit klarer, beherrschter Stimme, »ein sogenannter Kupferkopf, falls ich das Reptil richtig bestimmt habe…« »Stimmt«, erwiderte Desmond Ball verblüfft. »Und dies dort dürfte eine Bothrops atrox sein«, fuhr der Butler fort, nachdem er sein Büchlein befragt hatte. Er deutete mit der Schirmspitze darauf, »eine gewöhnliche Lanzenotter, nicht wahr, Mr. Ball?« »Was ist das für ein Buch?« wollte der Vermummte wissen. Spannung beherrschte seine Stimme. »Ein Handbuch für Schlangenfreunde«, antwortete der Butler, »vor Antritt dieser Fahrt habe ich es mir sicherheitshalber besorgt. Man sollte jede Gelegenheit nutzen, sein Allgemeinwissen zu erweitern.« »Sie haben vielleicht Nerven!« In der Stimme des Vermummten
schwang Hochachtung. »Eine gewöhnliche Crotalus viridis«, zitierte der Butler und blieb in der Nähe eines dicken Knäuels stehen, »es dürfte sich um die gewöhnliche Prärieklapperschlange handeln.« »Und sehr giftig«, rief Desmond Ball. »Eine Springotter«, klassifizierte der Butler bereits weiter, »wie der Name bereits sagt.« Das Reptil hatte Maß genommen, schnellte sich vom Boden ab und attackierte den Butler, der diesen Angriff jedoch spielerisch mit dem unteren Teil seines Schirms abwehrte. Die Springotter zischte enttäuscht, als sie auf dem harten Betonboden landete und beeilte sich, in Richtung Schutzhütte davonzuklettern. »Sie halten sich gut, Parker«, rief der Vermummte, »aber warten wir’s ab. Ball holt jetzt ein paar Königskobras. Gleich wird es ziemlich turbulent zugehen. Zu Ihrer Orientierung: Er wird zwei Speischlangen und Mambas mitbringen. Was sagen Sie denn dazu?« »Die Naja nigricollis und Dendroaspis polylepsis«, zitierte der Butler, nachdem er einen weiteren Blick in das Handbuch für Schlangenfreunde getan hatte, »eine interessante Kombination, wenn ich so sagen darf…«
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* � In die Schlangen, die sich immer noch ein wenig träge gezeigt hatten, kam plötzlich Bewegung. Desmond Ball hatte drei mächtige Königskobras in die riesige Betonschüssel gleiten lassen. Diese Kobras, alle im Schnitt etwa bis zu vier Meter lang, hatten nichts dagegen, ihre Artgenossen zu verspeisen. Sie schienen den Eindruck zu haben, daß man sie in eine wohlgefüllte Speisekammer gelassen hatte. Sie verteilten sich augenblicklich und schätzten die sich hier bietenden Delikatessen ab. Die bereits anwesenden Klapperschlangen fühlten sich instinktiv bedroht und stieben auseinander. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Parker sich einem Gewimmel von Reptilien gegenübersah. Desmond Ball hatte sich tatsächlich nicht damit begnügt, drei Königskobras einzulassen. Die beiden Speischlangen und einige schwarze Mambas rollten über den ansteigenden Rand der Schüssel hinunter auf den Betonboden und wirkten verständlicherweise gereizt. Sie suchten nach einem passenden Objekt, um ihren Zorn abzureagieren. Es ergab sich von selbst, daß sie sich für den Butler entschieden. Das taten dann auch die drei Königskobras. Verfolgt von den angeregten
schwarzen Mambas krochen sie konzentrisch auf den Butler zu, der weiter in seinem Handbuch blätterte und darüber sogar vergaß, die anrückenden Reptilien mit seinem Schirm zurückzuschieben. Es hätte übrigens auch kaum einen Sinn gehabt, denn nun wurde die Lage für den Butler äußerst kritisch. Die Schlangen hatten sich aufgerichtet und offenbar untereinander abgesprochen. Sie sahen nur noch diesen schwarz gekleideten Zweibeiner, der ihre nächtliche Ruhe gestört hatte. Sie wollten zubeißen und ihre Giftdrüsen entleeren. Desmond Ball und der Vermummte hatten sich weit über den Rand der Betonschüssel gebeugt und beobachteten in einer Mischung aus Grauen und Faszination die Szene. Die drei Königskobras hatten sich halb aufgerichtet und die Halspartien gebläht. Parker blätterte derweil in seinem kleinen Handbuch und schaute nur kurz hoch und dann zur Seite, als die erste Kobra zustieß. Sie erwischte den linken Oberschenkel des Butlers, schlug ihre langen Giftzähne durch den schwarzen Stoff, zuckte zurück, zischte und warf sich dann erstaunlicherweise zur Seite. Sie ringelte sich zusammen und schien sich sogar zu krümmen… Die zweite Königskobra attackierte. 65
Sie konzentrierte sich auf die rechte Wade des Butlers, schoß mit ihrem massigen Kopf vor und verbiß sich ebenfalls. Dann aber fuhr sie zurück und machte einen leicht verwirrten Eindruck. Die dritte Königskobra zeigte deutliche Unentschlossenheit. Sie schielte eindeutig zu ihren beiden Artgenossen hinüber, ließ sich zusammenfallen und wartete erst mal ab. Die beiden schwarzen Mambas, deren Gift ebenfalls unbedingt tödlich war, befaßten sich inzwischen ausgiebig mit dem rechten Bein des Butlers. Zwei Giftzahnpaare schlugen durch die Hose, und Parker sah auf die beiden Reptilien hinunter, die zischten und sich zurückwarfen. Die diversen Klapperschlangen wollten natürlich nicht zurückstehen. Es kam zu einem Massenangriff, wobei die Schwanzrasseln der Grubenottern deutlich zu hören waren. Drei, vier Bisse mußte Josuah Parker hinnehmen. Er blieb wie angewurzelt stehen und schlug dann das Handbuch für Schlangenfreunde langsam zu. Er steckte es zurück in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und holte einen Gegenstand hervor, den die beiden Beobachter oben am Rand der Schlangengrube nicht erkennen konnten. Sie schauten sich fragend an, zuckten die Achseln und wandten sich dann wieder dem Butler zu.
Die Klapperschlangen hatten ihre Giftdrüsen bis auf den letzten Tropfen entleert und krochen danach in unziemlicher Hast zurück zu ihren Schutzhütten. Dies hatte jedoch keineswegs mit den Königskobras zu tun, die ein wenig apathisch auf dem Beton lagen und nicht mehr aggressiv wirkten. Parker setzte sich zum Erstaunen der beiden Gangster eine Schweißerbrille auf. Dann widmete er sich den beiden Speischlangen, die etwa je zwei Meter lang wären und eine gelbbraune Farbe zeigten. Sie waren erregt, sammelten den Giftspeichel in ihrer Mundhöhle und schleuderten ihn dann durch ihre Zungenlücken zielsicher auf ihr Opfer. Parker hatte nichts zu befürchten, da seine Augen geschützt waren. Er sah hinauf zu Desmond Ball und dem Vermummten. »Hier dürfte es sich um Naja nigricollis gehandelt haben?« meinte er fast beiläufig. »Ihr Angebot, Mister Ball, ist sehr vielseitig, wie ich nicht verhehlen möchte.« »Er ist verrückt«, murmelte Ball, »er dreht durch.« »Ich weiß nicht«, meinte der Vermummte und hob seine Schußwaffe, »gegen Schlangengifte scheint er gefeit zu sein.« Bevor der Vermummte zielen konnte, ertönte ein Schuß. Einer der Tiefstrahler über der Betonschüssel platzte auseinander. Die beiden 66
Männer oben am Rand der Schlangengrube fuhren herum und setzten sich umgehend ab… * »Du lieber Himmel! Ich hab getroffen«, sagte Horace Pickett und schüttelte ungläubig den Kopf, »Mister Parker, ich habe getroffen! Ich hab den Tiefstrahler getroffen…« »Falls dies Ihre erklärte Absicht gewesen sein sollte, Mister Pickett, sollte und muß man Ihnen zu diesem Treffer gratulieren.« »Tatsächlich!? Also, ehrlich, ich hatte eigentlich auf diesen Mann gezielt, der den Regenmantel trug.« »Dies hätte für den Träger des Regenmantels nicht gerade erfreulich ausgehen können, Mister Pickett.« »Aber er hatte doch die Waffe in der Hand und zielte nach unten… Ich mußte es einfach riskieren.« »Darf ich anregen, Mister Pickett, die Waffe aus der Hand zu legen?« »Natürlich, natürlich… Waffen sind nichts für mich. Wissen Sie, ich bin Pazifist.« »Sehr lobenswert, Mister Pickett.« »Ich hab den Tiefstrahler getroffen.« Pickett schüttelte erneut den Kopf. »Habe ich Ihnen damit geholfen, Mister Parker?« »Dies möchte ich in aller Form erklären und zusätzlich noch unterstreichen, Mister Pickett. Sie können
ausgesprochen stolz auf sich selbst sein.« Parker stand oben am Rand der riesigen Betonschüssel und machte einen recht aktiven Eindruck. Horace Pickett hatte die Bühne herangeschoben und es dem Butler ermöglicht, die Schlangengrube wieder zu verlassen. Eine Suche nach Ball und dem Vermummten wäre übrigens reine Zeitverschwendung gewesen. Die beiden Männer hatten die Flucht ergriffen und waren in einem Wagen davongefahren. Horace Pickett hatte die Absetzbewegung genau beobachtet. Der Taschendieb legte die Waffe vorsichtig aus der Hand und trat sicherheitshalber einen Schritt zur Seite. Dann beugte er sich über den Rand der Schlangengrube, die noch von anderen Lichtquellen ausgeleuchtet wurde. Er holte tief Luft, als er das Gewimmel der diversen Reptilien sah. »Ich begreife das nicht, Mister Parker. Das geht einfach nicht in meinen Kopf. Wie, um alles in der Welt, sind Sie da herausgekommen?« »Über die Einsteigbühne, wie Sie sicher gesehen haben, Mister Pickett«, erwiderte Josuah Parker. »Das schon, Mister Parker. Aber die Schlangen… Sind Sie denn nicht gebis… Du lieber Himmel, Sie müssen einfach gebissen worden sein… Sie müssen sofort zu einem Arzt. 67
Kommen Sie! Wir müssen anrufen! Wie fühlen Sie sich? Spüren Sie das Gift bereits?« »Sie sollten sich daran erinnern, Mister Pickett, daß ich gewisse Vorbereitungen traf.« »Doch, natürlich. Aber hat das was genutzt?« »Diese Frage möchte ich vollinhaltlich bejahen, Mister Pickett, sonst wäre, meine Wenigkeit bereits tot. Nach oberflächlicher Schätzung wurde ich etwa zehnmal gebissen.« »Mir wird schlecht, Mister Parker. Man wollte Sie also wirklich umbringen.« »Die Reptilien dort unten sind unschuldig, Mister Pickett. Sie reagierten gemäß ihrer Art.« »Täusche ich mich, Mister Parker, oder machen die Schlangen nicht einen ziemlich nervösen Eindruck?« »Sie dürften unter Symptomen leiden, Mister Pickett, die humanoide Wesen gemeinhin als Zahnschmerzen zu bezeichnen pflegen.« »Ach so, ich verstehe!« Horace Pickett lächelte erleichtert, »Sie hatten ja diesen Schutz angelegt.« »Den ich jetzt wohl ablegen sollte, da er doch recht hinderlich ist, Mister Pickett.« Josuah Parker war ein diskreter Mensch. Er begab sich hinüber in den Halbschatten und brauchte dann fast zehn Minuten, bis er seinen »Panzer« zum Schutz gegen Schlangenbisse abgelegt hatte. Es
handelte sich dabei um Kupferrohre, die normalerweise als Dachtraufen und Regenabflußrohre benutzt wurden. Josuah Parker hatte diese Dinge mit einer Blechschere der Länge nach aufgeschnitten und sie sich um Unter- und Oberschenkel gelegt. Um die Knie und Kniekehlen zu schützen, hatte er sich bei dem Spengler schuppenartig übereinanderliegende Kupferbleche angefertigt, die von Lederriemen gehalten wurden. Selbst sein Gesäß und sein Unterbauch waren auf diese genial einfache Art und Weise geschützt worden. Nachdem Parker diesen ›Panzer‹ abgelegt hatte, konnte er sich wieder wesentlich freier bewegen. Horace Pickett, der die Bleche sammelte und dabei äußerst vorsichtig war, deutete auf unübersehbare Schrammen. »Die Spuren der Giftzähne, Mister Pickett«, erläuterte Josuah Parker, »daran können Sie andeutungsweise sehen, mit welcher Vehemenz die Reptilien zuzuschlagen pflegen.« »Ich bin schon allergisch gegen Regenwürmer«, meinte der »Eigentumsübereigner« und schauderte, »wirklich, Mister Parker, das macht Ihnen so leicht keiner nach. Und wenn ich’s erzählen würde, hielte man mich für einen Lügner…« * »Sie haben diesen Arthur Mantell
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nicht festgenommen?« wunderte sich die ältere Dame ausgiebig und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Den Vermummten, Mylady«, korrigierte der Butler höflich, der in das Haus der Agatha Simpson zurückgekehrt war, »ob es sich tatsächlich um Mister Mantell handelt, müßte erst noch verifiziert werden.« »Schnickschnack… Haarspaltereien«, erwiderte die Detektivin wegwerfend und grollend zugleich, »ich glaube, ich werde mich mal gründlich mit diesem Arzt unterhalten müssen. Wo arbeitet er, Mister Parker?« »Im Kensington-Hospital, Mylady«, antwortete der Butler, der vor seiner Rückkehr in das Haus bereits einige Auskünfte eingeholt hatte, »dort ist auch ein Doktor Peter Reading als Chirurg tätig.« »Und was ist mit diesem Arzt Cliff Tyford?« schaltete sich Mike Rander ein. »Dieser Name wurde doch ebenfalls von Dunston genannt, oder?« »In der Tat, Sir«, pflichtete Parker dem jungen Anwalt bei, »Doktor Tyford arbeitet im Bayswater-Hospital.« »Drei Ärzte sollen die Hintermänner dieser Mordserie sein?« staunte Kathy Porter. Skepsis lag in ihrer Stimme. »Warum denn nicht, Kindchen?« erwiderte Agatha Simpson, »sind Ärzte etwa keine Menschen?«
»Aber gleich drei, Mylady?« gab Kathy Porter zurück. »Diese drei Mediziner betreiben die Pharma-Chemical«, warf Josuah Parker ein, »Angaben zu dieser Firma waren wegen der späten Stunde nicht zu erhalten.« »Ball beliefert diese Pharma-Chemical«, faßte der Anwalt zusammen, »die Sache scheint klar zu sein… Desmond Ball betreibt eine Schlangenfarm, melkt die Reptilien und liefert das Gift an die Pharma-Chemical, die es zu entsprechenden Antigiften verarbeitet.« »Dies, Sir, dürfte den Tatsachen entsprechen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Nehmen wir mal an, diese drei Ärzte, die den Laden betreiben, sind in Geldschwierigkeiten gekommen«, spekulierte der Anwalt weiter, »sie haben sich nach neuen Geldquellen umgesehen und… Ja, was eigentlich, Mister Parker? Helfen Sie mir aus der Sackgasse heraus.« »Ich sehe alles klar und deutlich vor mir«, behauptete Lady Agatha mit gewohnter Sicherheit, »aber ich möchte Mister Parker nicht zuvorkommen.« »Das Gelenk, Sir, das zwei verschiedene Fälle miteinander verbindet, kann man nur als äußerst schwach bezeichnen.« »Richtig«, bestätigte die ältere Dame sicherheitshalber. »Wenn es erlaubt ist, möchte ich 69
noch mal auf den tragischen Tod des Killers Jerry Puckley zurückkommen«, schickte Josuah Parker voraus, »er verstarb auf der Schlangenfarm des Mister Desmond Ball. Im nahen Ort Marlow fand sich der Chef einer Diebesbande ein. Mister Midhurst, um seinen Namen noch mal zu erwähnen, erschien kurz darauf ebenfalls auf der Schlangenfarm, um mit Desmond Ball zu sprechen. Am Rand möchte ich darauf verweisen, daß auch Mister Midhurst wahrscheinlich das Opfer eines Schlangenbisses geworden wäre…« »Jetzt kommen Sie der Sache endlich näher, Mister Parker«, freute sich Agatha Simpson, zumal sie nach wie vor keine Ahnung hatte, »so sehe ich es selbstverständlich auch.« »Vielen Dank, Mylady, daß es mir vergönnt ist, Myladys Theorie zu teilen«, meinte der Butler, ohne die Miene zu verziehen, »Mister Midhurst wird nicht ohne Grund nach Marlow und zur Schlangenfarm gefahren sein. Man sollte und könnte davon ausgehen, daß er Mister Dunstons Leibwächter Puckley aus ganz bestimmten Gründen verfolgte.« »Natürlich tat er das, Mister Parker.« Lady Agatha nickte wohlwollend, »Sie sind auf der richtigen Spur.« »Moment mal, Sie glauben, daß Ball etwas mit der Diebstahlserie zu
tun hat, Parker?« erkundigte sich der Anwalt. »Eine Theorie, Sir.« Parker nickte andeutungsweise. »Und Sie nehmen ferner an, daß die drei Ärzte darin verwickelt sind?« »Eine vage Hypothese, wie ich einräumen möchte.« »Und wie wollen Sie das alles beweisen, Mister Parker?« fragte Mike Rander weiter. »Was wollte Dunstons Leibwächter auf der Schlangenfarm?« »Wenn Sie gütigst erlauben, Sir, möchte ich die zweite Frage zuerst beantworten«, antwortete der Butler höflich, »Mister Dunston, ein Erpresser wie gesagt, scheint gewisse Zusammenhänge erkannt zu haben und setzte Jerry Puckley auf die Spur. Er verstarb an Schlangenbissen. Was den Beweis betrifft, Sir, so sollte man einen Köder auslegen, der appetitlich genug ist, angenommen zu werden.« »Einen Köder, Mister Parker?« fragte die Detektivin. »In der Tat, Mylady«, sagte Josuah Parker, »in diesem Zusammenhang möchte ich einräumen und gestehen, daß dieser Köder bereits ausgelegt worden ist…« * »Wir haben diesen Lionel Dunston
gefunden«, berichtete Chief-Superin70
tendent McWarden am anderen Morgen. Er war diesmal rechtzeitig gekommen und blickte auf den reich gedeckten Frühstückstisch. »Sie haben sich damit aber viel Zeit gelassen, McWarden«, meinte die Hausherrin. Sie hatte den begehrlichen Blick des Yardmannes mitbekommen. »Ein reines Diätfrühstück, mein lieber McWarden. Es wird nicht Ihr Fall sein.« »Das möchte ich nicht sagen, Mylady«, gab McWarden zurück, »ich lebe neuerdings auch nach einer genauen Diät.« »Ein Gedeck, Sir?« erkundigte sich Parker und… legte bereits vor, ohne den strafenden Blick der älteren Dame zur Kenntnis zu nehmen. McWarden schmunzelte und beteiligte sich anschließend ausgiebig an der schmalen Kost. Es gab schließlich gebratene Würstchen, gebackenen Schinken, Rührei, ein Ragout aus Nierchen und dazu gesalzene Landbutter, verschiedene Brotsorten und eine gut bestückte Käseplatte. »Überladen Sie nicht Ihren Magen«, sagte Agatha Simpson leicht gereizt, als McWarden herzhaft zulangte, »Sie haben also endlich diesen Erpresser gefunden?« »Tot!« McWarden nickte beiläufig, »er dürfte an ein paar Schlangenbissen gestorben sein. Er hat sich raus in die Landschaft geschleppt und wurde in einem verschilften See aufgespürt. Sein Tod kann nicht sehr
angenehm gewesen sein.« »Er wußte zuviel, McWarden«, meinte die ältere Dame, die sich nicht beeindrucken ließ, »und das im Gegensatz zu Ihnen.« »So schlecht laufen unsere Ermittlungen nun auch wieder nicht«, antwortete McWarden lächelnd, »ich glaube, ich überbringe Ihnen eine kleine Sensation. Zu Ihnen, Mister Parker, komme ich gleich noch.« »Sie sind tatsächlich in der Lage, mir eine Sensation zu liefern?« staunte Lady Agatha ironisch, »Sie werden verstehen, daß ich das nicht so recht glauben kann.« »Wir haben unseren Zentralcomputer auf Trab gebracht«, redete der Chief-Superintendent weiter, »wir haben alle bisher bestohlenen Leute durchchecken lassen… Wissen Sie, worauf wir gestoßen sind?« »Sie haben bereits zweimal von den Nierchen genommen«, warf Agatha Simpson ein. »Ich weiß.« McWarden nickte. »Auch die Würstchen sind ausgezeichnet, Mylady. Um aber zurück zum Thema zu kommen: Alle Bestohlenen wurden von den Dieben um Midhurst heimgesucht, als sie im Krankenhaus lagen. Was sagen Sie jetzt?« »Dies entspricht den Tatsachen, Sir«, ließ Josuah Parker sich vernehmen, »ich war so frei, entsprechende Auskünfte noch vor dem Frühstück einzuholen. Die Bestohlenen lagen 71
entweder im Kensington- oder im Bayswater Hospital.« »Richtig«, bestätigte McWarden, »und das kann kein Zufall sein.« »Natürlich nicht, mein lieber McWarden«, erklärte die Lady, »das entspricht haargenau meiner Theorie. Professor Mantell und die beiden Assistenzärzte Reading und Tyford sind die Drahtzieher, die Midhurst auf die leeren Wohnungen angesetzt haben. Aber wollten Sie mir nicht eine kleine Sensation überbringen?« »Sie… Sie wissen bereits Bescheid?« McWarden vergaß, nach dem gebackenen Schinken zu greifen. »Was Sie mir da erzählen, mein lieber McWarden, ist ein uralter Hut«, gab Lady Agatha zurück, »ich ahnte es bereits zu Beginn des Falles. Aber Sie waren natürlich wieder mal mit Blindheit geschlagen.« »Professor Mantell, Reading und Tyford…« Der Chief-Superintendent seufzte und hatte plötzlich keinen Appetit mehr, »drei Ärzte, Mylady! Wie soll man solche Leute überführen? Jetzt, nachdem Midhurst ausgefallen ist, werden natürlich keine Raubzüge mehr durchgeführt werden. Und Dunston kann uns leider auch nicht mehr weiterhelfen.« »Fassen Sie Desmond Ball, McWarden«, forderte die Detektivin den Mann vom Yard auf, »aber ihn werden Sie nur dann erwischen,
wenn Sie nicht zu lange frühstücken. Sie sollten sich beeilen, sonst bin ich wieder mal schneller als Sie.« »Sie haben eine ungefähre Ahnung, wo er stecken könnte?« fragte McWarden prompt. »Habe ich eine Ahnung, Mister Parker?« Die Hausherrin wandte sich an ihren Butler. »Sehr wohl, Mylady«, erwiderte Parker ausweichend, »Mister Desmond Ball wird gezwungen sein, gewisse Dinge zu tun, die er lieber nicht tun würde.« »Genau das wollte ich sagen, Mister Parker.« Sie nickte, um McWarden dann triumphierend anzusehen, »er wird das tun müssen, was er nicht tun will, habe ich Sie so richtig verstanden, Mister Parker?« »In der Tat, Mylady«, gab Parker höflich zurück. * »Es ist mir eine Ehre«, sagte Professor Arthur Mantell und sah Lady Simpson abschätzend an, »ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mylady.« »Ich ebenfalls, Professor«, antwortete Lady Agatha, »man nennt Sie hinter vorgehaltener Hand, nun, ich bin offen, die Goldhand, nicht wahr?« »Ja, ich weiß.« Mantell lächelte amüsiert, »ich betrachte das als einen Ehrennamen, Mylady. Sie 72
kommen als Patientin zu mir?« »Als Kriminalistin«, antwortete sie, »darum habe ich auch Mister Parker mitgebracht, der mir manchmal behilflich ist, unwichtige Dinge zu klären.« »Bin ich solch ein unwichtiges Detail?« erkundigte sich der Professor und blickte den Butler an, der schräg hinter seiner Herrin stand, die in einem Sessel des Büros Platz genommen hatte. »Falls Sie der sind, den ich suche, sind Sie sogar die Hauptperson«, meinte Lady Agatha in ihrer ungenierten, offenen Art, »ich suche nämlich einen mehrfachen Mörder und Gangster.« »Hier in diesem Hospital?« Arthur Mantell, etwas über mittelgroß und schlank, lächelte ungläubig. »Sie sind der Besitzer der PharmaChemical, Professor?« erkundigte sich Lady Simpson. »Hängen Sie es nicht an die große Glocke, Mylady«, bat der Professor und hob abwehrend die Hände, »man sagt mir sonst noch mehr Geschäftssinn nach, als ich ohnehin schon habe.« »Ihr Assistenzarzt Doktor Reading ist Ihr Mitarbeiter?« »Ein sehr begabter Mann, Mylady.« »Sie haben auch Doktor Tyford angestellt?« »Nicht weniger begabt, Mylady. Aber wollen Sie mir nicht sagen,
warum Sie mir diese Frage stellen? Ich habe das Gefühl, Sie verhören mich.« »Dann hat Ihr Gefühl Sie nicht betrogen, Professor. Sie sind in der vergangenen Nacht auf der Schlangenfarm in Marlow gesehen worden.« »Schlangenfarm? Marlow? Warten Sie, ist das nicht die Schlangenfarm, die meinen Betrieb mit Giften versorgt?« »Richtig, Professor. Und auf dieser Schlangenfarm sind inzwischen einige Leute umgekommen.« »Wieso weiß ich nichts davon?« Professor Mantell runzelte die Stirn. »Haben die Zeitungen davon berichtet? Falls ja, dann muß ich bedauern. Ich habe kaum Zeit, einen Blick in die Zeitungen zu werfen. Sie sagen, dort sind Leute umgekommen? An Schlangenbissen etwa?« »Sie müssen zu neugierig gewesen sein, Professor. Die Namen Dunston oder Puckley sagen Ihnen natürlich nichts, nicht wahr. Der Name Midhurst ist Ihnen unbekannt?« »Mylady, mein Respekt vor Ihrer Person verbietet es mir, Ihnen die Tür zu weisen«, erwiderte Mantell leicht gereizt, »aber ich werde keine weiteren Fragen mehr beantworten… Es fehlte mir einfach an der Zeit dazu.« »Darf ich fragen, ob Sie Linkshänder sind?« ließ Josuah Parker sich plötzlich vernehmen. 73
»Allerdings bin ich Linkshänder. Und was schließen Sie daraus?« »Im Moment so gut wie nichts, Sir«, gab der Butler zurück, »Sie können selbstverständlich für die vergangene Nacht ein Alibi vorweisen?« »Kein Kommentar mehr.« Professor Mantell, auch Goldhand genannt, ging zur wattierten Tür, die in das Vorzimmer führte. »Die Polizei wird diese Frage wiederholen, Professor«, sagte Lady Simpson, »und versuchen Sie nur ja nicht, mich an die frische Luft setzen zu wollen… Ich glaube, ich würde dann sehr unwirsch werden.« »Hier habe ich das Hausrecht, Mylady«, antwortete Mantell kühl, »Sie scheinen mich für einen Gangster zu halten. Dagegen setze ich mich höflich zur Wehr… Guten Tag!« »Informieren Sie Ihre beiden Mitarbeiter Reading und Tyford, Professor«, sagte die Detektivin genüßlich, »ich glaube, Sie sitzen ganz schön in der Tinte…« »Wenn Sie darauf bestehen, kann ich Sie einem Kollegen empfehlen«, brauste Mantell auf, »er ist Facharzt für Psychiatrie. Ich hoffe, ich war deutlich genug!« * »Er hat Ihnen den Schneid abgekauft, Mr. Parker, nicht wahr?« Aga-
tha Simpson war gereizt. »Professor Mantell hat meine bescheidene Wenigkeit nur ein wenig nachdenklich gemacht«, erwiderte Parker, der zusammen mit seiner Herrin zu seinem hochbeinigen Monstrum ging. »Haben Sie ihn nun wiedererkannt oder nicht?« »Diese Frage muß ich bedauernswerterweise verneinen, Mylady. Ich darf daran erinnern, daß der Vermummte auf der Schlangenfarm einen knöchellangen Regenmantel und einen Mundschutz trug…« »Aber dieses Subjekt war Linkshänder.« »Allerdings, Mylady. Was aber kein Beweis ist, wie ich respektvoll anmerken möchte.« »Glauben Sie, es hat genügt, daß ich ihm meinen Pompadour auf den Fuß fallen ließ?« »Die Reaktion des Professors konnte man nur als schmerzhaft bezeichnen, Mylady, zumal Sie ihn mit der Spitze Ihrer Lorgnette leicht verletzten.« »Dies geschah fast ohne Absicht, Mister Parker. Ich hoffe, Sie halten mich nicht für rachsüchtig.« »Auf keinen Fall, Mylady, solch ein Gedanke würde meiner Wenigkeit niemals kommen.« Sie hatten das hochbeinige Monstrum noch nicht ganz erreicht, als ein Mini-Cooper auf dem Parkplatz hinter dem Hospital erschien. Kathy 74
Porter stieg aus und kam dann auf Agatha Simpson und Butler Parker zu. »Schlechte Nachrichten«, sagte sie, »Mister Rander hat sich um die Pharma-Chemical gekümmert.« »Diese Firma ist hoffentlich total verschuldet«, fragte Lady Agatha neugierig. »Eben nicht, Mylady«, antwortete Kathy Porter und lächelte unwillkürlich, »die Firma steht finanziell glänzend da. Vom Start ab ging es aufwärts. Aus Schuldengründen können Professor Mantell und seine Mitarbeiter unmöglich die Beutezüge von Midhurst veranlaßt haben.« »Mister Parker, lassen Sie sich dazu sofort etwas einfallen«, raunzte die ältere Dame, »das paßt doch gar nicht in meine Theorie. Oder vielleicht doch?« »Im Augenblick wohl weniger, Mylady.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. »Warum läßt Mantell dann seine wohlhabenden Patienten ausrauben, Mister Parker. Moment, ich hab’s jetzt! Er ist ein Kleptomane, nicht wahr?« »Das wäre natürlich eine Möglichkeit, Mylady.« »Oder er hat’s aus reiner Geldgier getan.« »Auch dies, Mylady, wäre eine Möglichkeit.« »Er ist für mich der Drahtzieher«,
redete sie grimmig weiter, »er ist der geborene Verbrecher. Haben Sie seinen verschlagenen Blick gesehen?« »Nicht direkt und unmittelbar, Mylady.« »Aber ich, Mister Parker… Kathy, Kindchen, glauben Sie mir, ich weiß, was ich gesehen habe. Die Auskünfte, die Mike bekommen hat, könnten doch auch falsch gewesen sein, oder?« »Kaum, Mylady«, entgegnete Kathy Porter und lächelte erneut, »der Firma geht es finanziell wirklich ausgezeichnet. Tut mir leid.« »An Ihrer Stelle, Kindchen, würde ich mich darüber nicht freuen. Warum, Mister Parker, läßt Mantell seine Patienten bestehlen? Warum arbeitete solch ein Mann mit einem Gangster zusammen? Halt, ich habe es!« »Mylady haben eine neue Theorie?« erkundigte sich Parker höflich. »Er ist erpreßt worden, und zwar von Midhurst! Jawohl, so kann es nur gewesen sein. Und Dunston ist hinter dieses Geheimnis gekommen. Mister Parker, stellen Sie umgehend fest, wo der dunkle Punkt in Mantells Vergangenheit ist. Er ist der Schlüssel zur Klärung dieses Falls.« »So könnte es tatsächlich gewesen sein«, meinte Kathy Porter, »aber vielleicht ist der Professor auch völlig unschuldig, Mylady.« »Sie denken an die beiden Assis75
tenzärzte Reading und Tyford, Kindchen?« »Die bestimmt nicht gerade fürstlich bezahlt werden, Mylady.« »Daran dachte ich natürlich auch, Kindchen. Sie sind mir nur zuvorgekommen.« »Darf ich darauf aufmerksam machen, daß man Mylady zu verständigen wünscht«, warf Josuah Parker in diesem Moment ein, »die Vorzimmerdame des Professors winkt, wenn ich dies richtig deute.« Parker deutete richtig. Eine der Vorzimmerdamen Mantells eilte auf die Gruppe zu und machte sich durch geradezu heftiges Winken bemerkbar. »Mir ist alles klar«, sagte Agatha Simpson zufrieden, »der Professor will mich ins Hospital locken, Mister Parker. Ihm ist klar, daß ich zuviel weiß. Ich werde diese Herausforderung annehmen. Einer Gefahr ist eine Lady Simpson noch nie ausgewichen!« * »Er entschuldigte sich bei mir«, berichtete die Lady einige Stunden später mit Genugtuung und nickte Mike Rander zu, »und er stellte mir die beiden Assistenzärzte Reading und Tyford vor. War es nicht so, Mister Parker?« »Mylady triumphierten auf der ganzen Linie, wenn ich es so salopp
ausdrücken darf.« »Und was halten Sie nun von Reading und Tyford, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander. »Mister Parker, was halte ich von diesen beiden jungen Männern?« wollte die ältere Dame von ihrem Butler wissen. »Mylady waren beeindruckt von der Offenheit der beiden Ärzte«, entgegnete der Butler, »Mister Reading und Mister Tyford räumten ohne weiteres ein, sich auf der Schlangenfarm des Mister Ball gut auszukennen.« »Richtig, sie selbst haben sogar schon häufig die Reptilien gemolken«, warf die Detektivin ein, »es stimmt übrigens nicht, daß sie unterbezahlt werden. Ich dachte es mir ja gleich. Reading und Tyford verdienen sogar ausgezeichnet. Professor Mantell ist ein großzügiger Arbeitgeber, was die Pharma-Chemical betrifft.« »Das deckt sich mit meinen Informationen«, sagte der junge Anwalt, »Reading und Tyford haben es wirklich nicht notwendig, sich so eine Art Nebenverdienst zu beschaffen. Tja, für Ihren Fall, Mylady, sieht das nicht besonders gut aus.« »Papperlapapp, Mike«, gab sie zurück, »es kann kein Zufall gewesen sein, daß alle Bestohlenen während ihres Aufenthalts im Hospital von Midhursts Bande besucht wurden. Oder wollen Sie das etwa 76
bestreiten?« »Und wenn es nun tatsächlich keiner der drei Ärzte gewesen ist, der Midhurst die Tips gegeben hat, Mylady?« »Daran habe ich natürlich auch schon gedacht, mein Junge.« Sie nickte und sah den jungen Anwalt wohlwollend neugierig an. »Es könnte zum Beispiel ein Angestellter des Hauses sein«, redete der Anwalt weiter, »nehmen Sie doch nur mal die Aufnahmeabteilung des Hospitals, Mylady. Dort werden alle persönlichen Daten der Patienten aufgenommen. Eine Kleinigkeit, nachzuhaken und zu ermitteln, wie reich die Privatpatienten des Professors sind.« »Daran haben Sie natürlich noch gar nicht gedacht, nicht wahr, Mister Parker? Professor Mantell kommt schon gar nicht in Betracht. So etwas spürt man eben, Mister Parker.« »Gewiß, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie haben einen Köder ausgelegt, Mister Parker?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie wehrte ab, als Parker ihre Teetasse noch mal füllen wollte. Das Quartett befand sich wieder im Haus der Lady in Shepherd’s Market und hatte sich zur Teestunde im kleinen Salon versammelt. »Mister Horace Pickett hat als Privatpatient ein Einzelzimmer bezogen«, erwiderte der Butler, »er wird
sehr beiläufig und rein zufällig von einer Münzsammlung berichten.« »Horace Pickett!« Mike Rander schmunzelte. »Seine Angaben müßten eigentlich den gesuchten Drahtzieher animieren, auch ohne einen Mister Midhurst auf Beutezug zu gehen«, berichtete der Butler weiter, »Mister Picketts Privatwohnung ist identisch mit einer Stadtwohnung, die jederzeit besucht werden könnte.« »Und wer wird dort auf den oder die Täter warten?« wollte Mike Rander wissen. »Selbstverständlich ich, mein Junge«, sagte sie, »aber Sie dürfen mich natürlich begleiten. Mister Parker wird diesmal das Haus hier hüten… Ich möchte vermeiden, daß er sich noch mal in Gefahr begibt und darin fast umkommt.« »Hoffentlich klappt dieser Trick, Mister Parker«, sagte der Anwalt, »der oder die Täter werden gerade jetzt sehr mißtrauisch sein. Sie werden genaue Erkundigungen einziehen.« »Die den Appetit dieser Herrschaften nur noch steigern dürften, Sir. Mister Pickett liegt selbstverständlich unter einem falschen Namen im Kensington Hospital.« »Dann glauben Sie also, daß in der kommenden Nacht einiges steigen wird?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, lautete 77
Parkers Antwort. Er sparte aus, woran er dachte. Es gab da gewisse Dinge, die er wieder mal für sich behielt. Er wollte in der kommenden Nacht möglichst ungestört agieren können… * »Ich spreche von meinem Zimmer aus«, sagte Horace Pickett gegen Abend. Er hatte im Haus der Lady angerufen, die bereits zusammen mit Mike Rander und Kathy Porter unterwegs war, um die Wohnung des angeblichen Privatpatienten zu beziehen, um hier auf die Diebe zu warten. »Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, Mister Pickett?« fragte Josuah Parker ungeniert. »Ich fühle mich wie in einem Luxushotel«, antwortete Pickett und lachte leise, »von mir aus könnte ich gut eine Woche bleiben.« »Kam es zu interessanten Gesprächen, Mister Pickett?« Es war erstaunlich, wie ungeniert der Butler den wahren Namen des Privatpatienten benutzte. Rechnete der Butler nicht mit der Möglichkeit, daß dieses Gespräch eventuell abgehört werden konnte? Oder hoffte er es sogar? »Doktor Reading hat sich etwa eine halbe Stunde mit mir unterhalten«, erzählte Pickett munter, »dann erschien Professor Mantell auf der
Bildfläche.« »Konnten Sie einen Hinweis auf Ihre Münzsammlung plazieren, Mister Pickett?« »Und ob ich das konnte, Mister Parker. Beide Ärzte müssen jetzt annehmen, daß in meiner Stadtwohnung eine sagenhafte Beute zu holen ist. Aber da passierte noch etwas.« »Es erschien eine dritte Person, die sich für Sie interessierte?« »Das ist genau richtig, Mister Parker. Nach den beiden Ärzten ein Krankenpfleger… erschien Genauer gesagt, es war der Oberpfleger. Er war kaum weniger neugierig.« »Auch er weiß jetzt Bescheid, was Ihre Münzsammlung betrifft?« »Die habe ich auch ihm unter die Nase gerieben.« »Ich möchte annehmen, daß Sie wertvolle Dienste geleistet haben, Mister Pickett. Ich wünsche Ihnen noch einen harmonischen Verlauf der Nacht.« »Und was werden Sie jetzt tun?« »Mich umgehend in Ihre Wohnung begeben, wo Mylady bereits auf meine Wenigkeit wartet.« Parker legte auf und war mit der Entwicklung der Dinge mehr als zufrieden. Er löschte das Licht im Haus, sicherte hinter sich die schwere Haustür und setzte sich in seinen hochbeinigen Wagen. Nach wenigen Augenblicken fuhr er davon und steuerte den Stadtteil 78
Westend an, wo Mister Pickett angeblich wohnte. Der Verkehr auf den Straßen war wieder mal beängstigend. Parker bahnte sich mit seinem Monstrum vorsichtig einen Weg durch das Verkehrsgewühl und steuerte eine bestimmte Seitenstraße an. Hier klappte er plötzlich durch einen Knopfdruck ein Taxischild vorn über der Windschutzscheibe heraus und parkte am Straßenrand. Fast synchron dazu löste sich ein schwarzes Taxi vom Straßenrand und fuhr weiter. Am Steuer saß eine Gestalt, die mit Parker identisch zu sein schien. Schon allein die schwarze Melone redete eine deutliche Sprache. Kathy Porter, die ein wenig Maske gemacht hatte, übernahm jetzt die Rolle des Butlers, um etwaige Verfolger in die Irre zu führen. Der Butler beobachtete die vorbeifahrenden Wagen, ohne jedoch auf ein bestimmtes Fahrzeug aufmerksam zu werden. Darauf kam es ihm auch gar nicht an, ihm ging es einzig und allein darum, daß er sich nach etwa zehn Minuten unbeschattet wieder in Bewegung setzen konnte. Es dauerte geraume Zeit, bis Josuah Parker endlich eine der großen Ausfallstraßen erreichte. Hier konnte er sich bedeutend schneller bewegen. Er steuerte die Region Chiltern Hills an und nahm Kurs auf die kleine Stadt Marlow, in
deren Nähe sich die Schlangenfarm befand. Dort wollte er auf den Drahtzieher und mehrfachen Mörder warten. Butler Parker ging davon aus, daß diese Person sich früher oder später auf der Schlangenfarm sehen ließ. Killer Puckley war auf keinen Fall aus Langeweile dorthin gefahren, wo ihn dann allerdings ein schrecklicher Tod erwartet hatte. Sein Chef Dunston mußte ihn aus sehr handfesten Gründen nach Marlow geschickt haben. Es ging auf Mitternacht zu, als Parker das Gelände der Schlangenfarm erreicht hatte. Er ließ seinen Wagen weit vor dem Eingang stehen, stieg aus seinem hochbeinigen Monstrum und bereitete sich darauf vor, die Reptilien noch mal mit seinem Besuch zu beehren. Erstaunlicherweise aber verzichtete er diesmal auf seine »Kupferrüstung«. Ihm war klar, daß sie ihn diesmal nicht mehr schützen würde… * Es dauerte fast eine Stunde, bis sich auf dem Gelände der Schlangenfarm etwas tat. Josuah Parker, der neben dem Labor Posten bezogen hatte, sah das Aufblitzen einer Taschenlampe. Eine Gestalt die geradezu unförmig wirkte, war im Widerschein des schwachen Lichtes deutlich auszumachen. Mit etwas Phantasie hätte 79
man dieses Wesen für eine Art Roboter halten können. Dieser unförmige ›Roboter‹ mühte sich mit der fahrbaren Bühne ab, die der Butler ja inzwischen nur zu gut kannte und über die man in die Schlangengrube absteigen konnte. Als diese Bühne endlich richtig stand, betrat die unförmige Gestalt den Laufsteg und begab sich schwerfällig nach unten. Die Reptilien waren natürlich aufgeschreckt und gereizt. Parker hörte das Rasseln der Klapperschlangen, ein vielfaches Zischen und dazwischen ärgerliches Schimpfen, das eindeutig von einem Menschen stammte. Der Butler hatte seinen Posten verlassen und sich an den Rand der riesigen Betonschüssel begeben. Er sah das Licht der Taschenlampe und die unförmige Gestalt, die inzwischen die Schutzhütte in der Mitte der Schlangengrube erreicht hatte. Diese unförmige Gestalt stocherte mit einem langen Stock in der Schutzhütte herum und sorgte dafür, daß die darin noch befindlichen Schlangen unwillig das Weite suchten. Warum diese Gestalt so unförmig wirkte, hatte Josuah Parker inzwischen herausgefunden. Es handelte sich um einen Schutzanzug, wie ihn die Schlangenfänger trugen, um sich vor den Giftbissen zu schützen. Die Hosenbeine, Ärmel, Handschuhe und Schuhe waren dick wattiert und
fingen jeden Biß leicht ab. Die Gestalt, die sich dort unten in der Schlangengrube bewegte, hatte nichts zu befürchten. Es war ihr inzwischen sogar gelungen, die Reptilien an den Rand der Grube zu drängen. Die wattierte Person benutzte gnadenlos den langen Stock, um die Schlangen in die Flucht zu schlagen. Dann kniete sie nieder und stülpte die Schutzhütte nach oben. Es kostete einige Kraft und Anstrengung, bis dies endlich geschafft war. Eine verspätete Klapperschlange schnellte vor und verbiß sich im Unterarm. Die vermummte Gestalt griff nach der sich windenden Schlange und… schleuderte sie dann gegen den Rand der Betonschüssel. Dann endlich war es soweit. Mit beiden dick wattierten Handschuhen langte die Person nach einer Tasche, die unter dem Strohdach befestigt war. Sie raffte sie an sich, kippte die Schutzhütte zurück in die alte Lage und schritt dann ungelenk zurück zur Bühne. Parker hielt sich nach wie vor im Hintergrund. Seiner bescheidenen Ansicht nach war dieses Intermezzo noch nicht beendet. Die vermummte Gestalt schob die Bühne zurück, hinüber zu einer anderen Betonschüssel und setzte dann erst die Ledertasche ab. Anschließend machte sie sich daran, die Schutzkleidung abzulegen. 80
Die Lichtverhältnisse waren zwar nicht ausgezeichnet, doch Parker konnte nun die Gestalt identifizieren. Er hatte es gerade getan, als eine zweite Taschenlampe aufflammte und die Gestalt anstrahlte. »Hatte ich mir doch gedacht«, sagte Ball, »ich hatte es mir gleich gedacht, Mantell… Sie wollten mich reinlegen.« »Ball?« fragte Professor Mantell überrascht. »Ich laß mir doch nicht ein Vermögen klauen, Professor«, erwiderte Desmond Ball, der Besitzer der Schlangenfarm, »Sie bekommen den Hals einfach nicht voll, Mister Goldhand, wie?« »Wer trägt denn das ganze Risiko, Ball?« fragte Mantell, »wissen Sie, daß der Butler mir bereits auf der Spur ist? Irgendwann wird er darauf kommen, daß die Schlangengruben als Versteck benutzt werden. Dieser Mann ist schlau und gerissen.« »Wie Sie, Professor«, erwiderte Ball, »aber ich mach Ihnen einen Vorschlag. Sie behalten den Schmuck, ich bekomme das Bargeld, einverstanden?« »Und falls nicht?« »Scheuche ich Sie zurück in die Schlangengrube, dann aber ohne Schutzanzug.« »Okay, ich bin einverstanden«, sagte Mantell, um den es sich eindeutig handelte, »und was werden Sie danach unternehmen, Ball?«
»Untertauchen, Professor… Mein Bedarf ist gedeckt. Sie sind ja nicht mehr zu bremsen… Zuerst den Killer Puckley, dann Midhurst, den Sie niedergeknallt haben und schließlich auch noch Dunston. Ich will nicht auch noch zuzahlen.« »Das alles war reine Notwehr, Ball.« Mantell öffnete die Tasche. »Haben Sie nicht auch mitverdient?« »Ich wollte aber keinen Menschen umbringen… Hören Sie, warum haben Sie sich eigentlich auf das alles eingelassen? Mann, Sie haben doch verdient, was immer Sie wollten?« »Das verstehen Sie nicht, Ball«, antwortete Mantell und lachte leise, »das ist wie ein Rausch… So, jetzt werde ich Ihnen das Bargeld geben und…« Er hatte in die Tasche gegriffen und zuckte zusammen. Dann riß er seine Hand heraus und hielt sie hoch. »Ich… ich bin gebissen worden«, sagte er leise und sprang unwillkürlich zur Seite, als eine kleine, bleistiftdünne Schlange aus der geöffneten Tasche glitt und in der Dunkelheit verschwand. »Natürlich sind Sie gebissen worden«, erwiderte Ball und lachte triumphierend, »weil ich die Tasche gesichert hatte…« »Sie haben die Schlange in die Tasche gesteckt?« »Damit ich nicht reingelegt werde, 81
Mantell. Ich habe den Revolver in der Tasche gegen die Schlange ausgetauscht, sonst würde ich jetzt wohl nicht mehr leben.« * »Weiter, weiter«, drängte die Detektivin und sah den Butler erwartungsvoll an. »Im Labor befand sich ein passendes Schlangenserum, Mylady«, fuhr der Butler fort, »Professor Mantell konnte von meiner Wenigkeit also entsprechend behandelt werden.« »Und dieser Schlangenbändiger Ball, Mister Parker?« »Er wird an einer recht empfindlichen Beule laborieren müssen, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück, »ich sah mich gezwungen, ihn mit meinem Schirmgriff außer Gefecht zu setzen.« »Wieso haben Sie geahnt, daß Mantell der Mann im Hintergrund ist, Mister Parker?« wollte Kathy Porter wissen. Sie nippte am Sherry, den der Butler ihr gereicht hatte. »Ich war so frei, Miß Porter, sein horrendes Erstaunen zu registrieren, als ich die Ehre hatte, Mylady ins Hospital zu begleiten. Professor Mantell mußte schließlich annehmen, daß ich an den Folgen diverser Schlangenbisse verstorben war.« »Alles klar, Parker. Aber warum hat Mantell sich mit diesen Seriendiebstählen abgegeben, und sich
sogar auf Morde eingelassen? Wo ist sein Motiv?« »Unter dem Schock des Schlangenbisses, Sir, machte Mr. Mantell dazu einige Angaben«, antwortete der Butler, »bei ihm handelt es sich um reine Geld- und Raffgier, die wohl mit den ärmlichen Verhältnissen zusammenhängt, aus denen er stammt. Er scheint hart und verbissen gearbeitet zu haben, bis er es schaffte, die jetzige Position zu beziehen. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte auch eine Art Rachsucht dahinterstecken. Er bestahl schließlich Personen, die von Geburt her schon über beachtliche Vermögen verfügten.« »Und wie kam dieser Mann an Midhurst?« wollte die Detektivin wissen. »Die Erklärung ist geradezu banal, Mylady«, sagte Josuah Parker, »Mister Mantell und Mister Midhurst waren Jugendfreunde, die in einem Viertel hier in London Tür an Tür wohnten. Mister Mantell hat die ihm zur Last gelegten Morde bereits zugegeben. Die Herren Reading und Tyford hingegen sind völlig unschuldig, wie ich am Rand versichern möchte.« »Das wußte ich gleich«, behauptete Agatha Simpson. »Aber auf mich wollte man ja wieder mal nicht hören. So, und nun werde ich McWarden verständigen. Mister Parker, besorgen Sie bitte ein großes 82
Silbertablett. Auf dem werde ich dem Chief-Superintendent den gelösten Fall servieren.« »Wie Mylady wünschen«, erwiderte der Butler höflich. »Ja, und sorgen Sie dafür, daß ich mich mit einem neuen Fall beschäftigen kann«, schloß sie, »ich langweile mich bereits ein wenig…« »Sehr wohl, Mylady«, antwortete der Butler, »man wird sich umgehend um ein neues Rätsel kümmern, wie ich versichern darf. Besondere und spezielle Wünsche werden im Rahmen des Machbaren ermöglicht.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und servierte dann noch mal einen trockenen Sherry. »Sie haben Ihren Horace Pickett natürlich absichtlich ins Hospital und uns in seine angebliche Wohnung geschickt, wie?« fragte Mike
Rander den Butler. »Sehr wohl, Sir, und ich bitte, diese kleine Kriegslist entschuldigen zu wollen… Meiner Wenigkeit ging es darum, Mister Mantell in Sicherheit zu wiegen.« »Das ahnte ich natürlich sofort«, behauptete die Detektivin, »aber ich habe Ihnen den Gefallen getan und mitgespielt, Mister Parker.« »Mylady sehen meine Wenigkeit äußerst dankbar«, erwiderte der Butler und verzog auch jetzt wieder keine Miene. »Ohne Myladys aktive Mithilfe wäre auch dieser Fall auf keinen Fall zu lösen gewesen.« »Eben«, sagte die Hausherrin mit Nachdruck, »was wären Sie ohne mich, Mister Parker!?« »Daran, Mylady, wage ich nicht zu denken.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.
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