Marie Freiin Wallersee Meine Vergangenheit
Meine Vergangenheit Wahrheit über Kaiser Franz Josef / Schratt Kaiserin Eli...
526 downloads
1462 Views
828KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Marie Freiin Wallersee Meine Vergangenheit
Meine Vergangenheit Wahrheit über Kaiser Franz Josef / Schratt Kaiserin Elisabeth / Andrássy Kronprinz Rudolf / Vetschera Herausgegeben von
Maria Freiin von Wallersee Ehemalige Hofdame der Kaiserin Elisabeth
11. bis 60. Tausend Preis 8 Kronen Verlag Es werde Licht G.m.b.H Berlin 1913
Cover Front: Mary Vetšera und Kronprinz Rudolf Cover Back: Kaiserin Elisabeth »Sisi«
Inhalt Vorwort 1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel 4. Kapitel 5. Kapitel 6. Kapitel 7. Kapitel 8. Kapitel 9. Kapitel 10. Kapitel 11. Kapitel 12. Kapitel 13. Kapitel 14. Kapitel 15. Kapitel
……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ……………… ………………
5
6 7 22 45 60 78 94 112 124 134 149 163 178 195 209 223
Vorwort
E
s sind viele Berichte über das Drama von Meyerling geschrieben worden. Viele haben versichert, daß sie allein die Wahrheit kennen. Sogenannte Augenzeugen haben ihre Darstellung der Angelegenheit ausposaunt, und ein Netz von Lügen ist um meine Mitschuld an dem Tode meines Vetters, des Kronprinzen Rudolf von Österreich, und der Baronin Mary Vetsera gewoben worden. Bisher habe ich den Verleumdungen über mich, als meiner Beachtung unwürdig, nicht widersprochen. Aber nachdem mein Sohn George Larisch sich infolge der Lektüre eines dieser Lügenbücher erschossen hat und das Leben meiner Töchter durch all die unwahren Berichte über meine Rolle in dem Drama verbittert worden ist, habe ich mich entschlossen, das Schweigen von fünfundzwanzig Jahren zu brechen und der Welt die Wahrheit der Ereignisse vor und nach der Tragödie von Meyerling bekannt zu geben. Metz, im Mai 1913.
Maria Freiin von Wallersee.
6
Erstes Kapitel
M
ein Vater, Herzog Ludwig von Bayern, der jetzt im zweiundachtzigsten Lebensjahre steht, ist der Bruder der fünf Schönheiten: Elisabeth, Kaiserin von Österreich; Marie-Sophie, Exkönigin von Neapel; Sophie-Charlotte, Herzogin d’Alençon; Mathilde, Prinzessin Trani, und Helene, Fürstin von Thurn und Taxis. Nachdem er den Rechten als ältester Sohn des Herzogs von Bayern entsagt hatte, ging er am 28. Mai 1859 eine morganatische Ehe ein mit der lieblichen jungen Schauspielerin Henriette Mendel. Sie wurde zur Baronin Wallersee erhoben und von der herzoglichen Familie mit offenen Armen aufgenommen. Meine Mutter hat mit Freuden die Bühne verlassen, die sie im Grunde ihres Herzens verabscheute. Sie gehörte nicht zu jenen Frauen, die den Ruhm ihrer Liebe opfern und es dann ein langes Leben hindurch bereuen. Über ihre fragwürdigen Bühnenfähigheiten war sie sich vollkommen klar und wußte sehr wohl, daß sie ihre Beliebtheit nur ihrer Schönheit und Anmut verdankte. Ich wurde als ihr einziges Kind in Augsburg, in der Nähe Münchens, geboren, wo mein Vater als Kommandeur des Vierten Chevauxlegers-Regiments stand. Im 7
Winter lebten wir in einem großen Hause in der Stadt, den Sommer verbrachten wir im Gebirge. Ich wurde ganz als Junge erzogen, ja, als ich drei Jahre alt war und meine Mutter mit mir hinausfuhr zum Exerzierplatz, war es Papas größtes Vergnügen, mich am Genick auf sein Pferd hinaufzuheben, mich vor sich auf den Sattel zu setzen und mit mir davon zu galoppieren. So wurde ich schon früh mit Pferden vertraut, kannte im Sattel keine Gefahren und ritt mit fünf Jahren mein temperamentvolles Pony. Ich wurde zu Hause unterrichtet und haßte alle meine ausgezeichneten und leidgeprüften Erzieherinnen. Ich hatte Fechtunterricht, ritt sechs Pferde am Tage und war sicherlich in allen meinen Neigungen und Betätigungen ein sehr knabenhaftes Mädchen. Nach dem Kriege von 1866 siedelten wir nach München über, erst in ein Mietshaus, später in meines Vaters Palais. Dort herrschte zwischen mir und etlichen Lehrmeistern ein Wettstreit gegenseitigen Quälens, doch erwarb ich mir dabei immerhin eine gewisse Kenntnis des Lateinischen. Zu dieser Zeit erheischte meines Vaters Gesundheit seinen Abschied aus dem Heere. Doch die Krankheit, an der er litt, hinderte ihn nicht, in alter Weise seinen Lebensgewohnheiten nachzugehen. Wir fuhren oft hinaus zu unserm Schloß Garatshausen, das dicht bei dem Schlosse meiner Großeltern – Possenhofen am Starnberger See – lag. Eines Tages überraschte mein Vater uns mit der Nachricht, daß er Garatshausen auf sechs Wochen an seine Schwester, die Kaiserin von Österreich, vermietet habe, da sie die kleine Erzherzogin Valerie zur 8
Luft-veränderung von Wien dorthin überführen wolle. Ich zitterte vor Spannung, die Tante zu sehen, über die ich soviel gehört hatte, und obwohl ich noch ein junges Kind war, werde ich niemals meine erste Begegnung mit der bezaubernden, rätselhasten Frau vergessen, die einen so schicksalsschweren Einfluß auf mein Leben ausüben sollte. Es war Sommer, und Garatshausen prangte in seiner wunderholdesten Lieblichkeit. Wir waren in ein kleines Nachbarhaus gezogen, um unserem Besuch Platz zu machen. Am Tage der Ankunft der Kaiserin erwarteten wir sie in dem kühlen Vestibül des Schlosses. Ihr Vertrauensarzt Wiederhofer und Mrs. Throgmorton, Valeries ergebene englische Pflegerin, langten zuerst an, und ich erinnere mich noch, mit welchem Herzpochen ich die Equipagen mit dem kaiserlichen Gefolge vorfahren sah. Elisabeth reiste nämlich mit einem gewaltigen Aufgebot von Bediensteten aller Grade. Wieder verging eine Stunde, und dann federte ein von prächtigen Pferden gezogener Wagen heran. Eine Dame entstieg ihm und trat in die Halle. Sie küßte meine Mutter und meinen Vater herzlich, dann wandte sie sich mir zu und küßte auch mich, indem sie dabei in dem ihr eigenen mokanten Ton ausrief: »O, welch eine kleine Bohnenstange!« Ich starrte sie gebannt an, denn in einer seltsamen Vorahnung fühlte ich schon den Einfluß, den sie auf mich ausübte. Sie erschien mir wie eine Feenkönigin, die geradeswegs aus den Gefilden der Romantik gekommen war und aus Laune ihre duftigen Flügel und schimmernden 9
Gewänder mit einem grünschwarzen Überwurf, einem grauen Hute und einem schwarzen Kleide mit langer Schleppe vertauscht hatte. Meine kindliche Bewunderung bereitete Elisabeth offensichtlich Vergnügen und machte ihr Spaß. Nachdem sie uns alle noch einmal der Reihe nach geküßt hatte, zog sie sich in ihre Zimmer zurück, und an diesem Tage sahen wir sie nicht wieder. Ich sprach den ganzen Tag über von nichts anderem als von ihr, und meine Eltern konnten mich nur durch das Versprechen beruhigen, daß ich »Tante Sissi« sehr bald wiedersehen würde, da sie den Wunsch geäußert hätte, ich solle der kleinen Valerie Spielgefährtin sein während ihres Aufenthalts in Garatshausen. Ich wurde nicht enttäuscht; am nächsten Morgen ließ die Kaiserin mich rufen; ich bebte vor Ungeduld, vor sie hinzutreten. Rettungslos flog mein Herz ihr zu, als ich sie jetzt wiedersah. Elisabeth saß beim Frühstück, während ihre Friseurin ihr das Haar ordnete. Sie war wirklich zauberschön wie im Märchen, wenigstens erschien sie mir so. Und in der Tat war die Kaiserin, die damals in der vollen Blüte ihrer Frauenherrlichkeit stand, ein berauschender Anblick. Eine Matinee aus kostbarer Spitze umfloß ihre schlanke Gestalt; ihr wunderbares Haar, das ich zum ersten Male offen sah, flutete an ihr nieder in schweren, kastanienbraunen Wogen. Ihre abgründigen Augen hatten einen tiefen goldigen Bernsteinglanz, und das hell hereinströmende Tageslicht enthüllte ihre Schönheit in ihrer strahlenden Makellosigkeit. Elisabeth dünkte mich 10
eine Tochter der Sonne und des Feuers, wie sie da saß in dem goldenen Morgen, der ihre Lieblichkeit und das Fremdartige ihrer unirdischen Erscheinung noch erhöhte. Ich erfuhr bald den Grund meiner Berufung. Ich sollte am Nachmittag mit Valerie spielen. »Tante Sissi« sagte dann, sie wolle jetzt ausreiten, und ich war entlassen. Die heißersehnte Begegnung war gewesen, und ich ging davon in den Banden ihrer Charme und Schönheit. Ich brachte es nicht über mich, jetzt nach Hause zu gehen. Ich mußte allein sein. So wanderte ich hinein in den Park, fischte Krebse in den Tei-chen, und als ich heute dieser Zerstreuung, der ich sonst nie müde geworden war, bald überdrüssig wurde, kletterte ich auf einen Baum, zog meine durchnäßten Strümpfe aus, hing sie zum Trocknen über einen Zweig und träumte wieder mit wachen Augen von meiner Kaiserin. Ich dachte an alles, was ich jemals über sie gehört hatte, und da ich ein hellhöriges Kind war, entsann ich mich auch, daß Papa bisweilen gesagt hatte, »Sissi« sei nicht allzu glücklich. »Aber das kann nicht wahr sein, sie kann nicht unglücklich sein,« dachte ich und sah wieder die Szene vom Morgen vor mir. Denn der Glanz und die Pracht, die meine Tante als Kaiserin von Österreich umstrahlten, hatten einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Plötzlich hörte ich das Geräusch nahender Tritte, und aus meinem grünen Versteck herauslugend, fiel ich beinahe von dem Baume, als ich die Kaiserin erkannte, die ihre Absicht, auszureiten, wohl aufgegeben hatte und 11
ohne jede Begleitung daherkam. Obwohl das Sonnenlicht Elisabeths Schönheit verklärte, fürchtete sie es und trug stets einen wunderlichen blauen Schirm an ihrem Hute zur Abwehr gegen Sonnenbrand und Sommersprossen; auch am Abend hatte sie immer einen Fächer zur Hand, zum Schutze ihres Gesichts. Elisabeth kam langsam auf meinen Baum zu, unter dem eine Steinbank stand, setzte sich nieder, indem sie mit verzweifelter Geste die Hände rang und leise zu weinen begann. Ich konnte die Größe ihres Schmerzes erkennen, denn in ihren Zügen stand eine verzehrende Hoffnungslosigkeit, und dann und wann durchschüttelte ein wehes Schluchzen ihren Körper. Bald weinte sie haltlos, und ich überlegte, ob ich es wagen dürfte, sie zu trösten. Ich beugte mich nieder; doch als die Blätter von meiner jähen Bewegung erschauerten, blickte die Kaiserin auf und gewahrte mich. Sie gewann schnell ihre Fassung wieder und fragte mich mit ihrer süßen Stimme: »Was treibst du dort in dem Baume, Marie?« »Ich trockne meine Strümpfe, Tante Sissi« erwiderte ich beschämt. »Aber, was hast du denn angestellt?« »Krebse gefangen. Ich bin sehr schmutzig,« erwiderte ich. »Komm herab von dem Baume, Marie,« gebot die Tante, »ich will mit dir sprechen.« Ich wagte keinen Widerstand. So glitt ich, so peinlich es mir war, herab und stand mit moosbeschmutzten, nackten Beinen vor meiner Tante, meine triefenden, sandigen Strümpfe in der Hand. 12
O, dachte ich schmerzlich, warum bin ich kein hübsches kleines Mädchen! Warum mußte ich in solch häßlichem Aufzuge vor der Kaiserin stehen! Gestern hatte sie mich eine Bohnenstange genannt, wie mußte ich ihr erst jetzt erscheinen! In hilflosester Verlegenheit trat ich von einem Fuß auf den anderen und wartete, bis sie sprechen würde. »Marie,« sagte sie und sah mich an mit schimmernden, tränenfeuchten Augen, »antworte mir sofort, hast du mich weinen sehen?« »Ja, Tante Sissi.« »Warum, glaubst du, habe ich geweint?« »Ich weiß es nicht,« sagte ich ehrlich, denn ich konnte mir nichts vorstellen, was eine Kaiserin zu Tränen zwingen konnte. Ich wußte damals nicht, daß ihre Kaiserkrone schwer war von Schmerzen, und daß die Edelsteine ihres Diadems spitz waren wie Dornen. Ich ließ es mich damals nicht träumen, daß ihr vornehmes Wesen, auf das ein Reif gefallen war in den ersten Tagen einer hoffnungsseligen Ehe, verblutend zuckte, und daß sie sich erzog zu jener Verbitterung und Kälte, die später jenen verderblich werden sollte, die sie unter ihren Ein-fluß zwang. »Ich werde dir den Grund meiner Mißstimmung verraten. Setz’ dich neben mich – hierher.« Und als ich mich furchtsam niederließ und mich bemühte, meine gräßlichen Beine zu verstecken, sagte sie milde: »Fürchte dich nicht. Valerie war heute nacht nicht wohl, ich machte mir Sorgen, deshalb habe ich geweint.« 13
Es drängte sich mir zwar auf, daß die Tante sich heute morgen beim Frühstück anscheinend keine Sorgen über die Gesundheit meiner Cousine gemacht hatte, doch ich antwortete nur: »Ach, Valerie wird bald wieder gesund sein, Tante Sissi.« »Woher weißt du das? Warum sagst du das?« »Weil,« erwiderte ich mit großem Vertrauen in die Richtigkeit meiner Behauptung, »sie ein Pulver bekommen muß, das hilft immer.« Die Kaiserin antwortete nichts. Sie schien in tiefe Gedanken versunken. Mehrmals sah sie mich von der Seite an und lächelte sonderbar. Dann nahm sie meine schmutzige, heiße kleine Hand und sagte: »Nun, Marie, haben wir lang genug hier gesessen. Wir wollen ins Schloß gehen.« Sie hielt noch immer meine Hand. Wortlos schritten wir durch die grünen Wege. Es war ein Morgen voll Licht, und Garatshausen mit seinen vier Türmen zeichnete sich scharf ab von dem tiefblauen Himmel. Ein erfrischender Wind kam vom fernen Gebirge her-nieder, und als ich scheu zu Elisabeth aufblickte, sah ich, daß sie sich wiedergefunden hatte. Gerade als das Tor des Schlosses vor uns auftauchte, blieb sie stehen, sah mich mit Blicken an, die meine geheimsten Gedanken zu erforschen suchten, und sagte: »Jetzt werde ich einmal sehen, Marie, ob du Mund halten kannst oder ob du eine dumme Plaudertasche bist, die nichts für sich bewahren kann.« 14
Ich war gekränkt und entgegnete trotzig unter Aufbietung meiner ganzen kindlichen Würde: »Ich bin keine Plaudertasche, Tante Sissi; natürlich kann ich den Mund halten.« Die Kaiserin lächelte. »Gut, Marie; beweise es mir und erzähle keinem, daß du mich hast weinen sehen. Ich werde bald wissen, ob du wirklich ein kluges Kind bist.« Der Nachmittag mit der kleinen Valerie erschien mir recht öde nach dem aufregenden Vormittag. Ich verriet nicht, daß ich einen Teil des Morgens mit der Tante zugebracht hatte, als Mama mich wegen meiner langen Abwesenheit zur Rede stellte. Irgend etwas sagte mir, daß die Kaiserin unsere Begegnung nicht erwähnen würde, und der romantische Wunsch, ihre Vertraute zu sein, gebot mir Schweigen. Wenn ich heute auf die vergangenen Jahre zurückblikke, möchte ich fast wünschen, ich wäre eine Plaudertasche gewesen. Denn wenn auch die Neigung meiner Tante mich später mit allem überschüttete, was sich eine Frau nur wünschen kann, so war jener Sommertag, an dem die Kaiserin Elisabeth von Österreich mich fragte, ob ich schweigen könne, doch ein Wendepunkt meines Schicksals. Während all der Wochen, die dann verstrichen, schien meine Tante unser Gespräch vergessen zu haben, denn sie machte niemals Anspielungen darauf, wenn ich zufällig einmal mit ihr allein war. Jeder Tag ihres Aufenthalts war mir ein Freudentag. Ich vergötterte Valerie, die ein entzückendes Kind war. Mrs. Throgmorton bereitete 15
mir ausgiebiges Vergnügen, wenn sie die Verrenkungen eines tanzenden Derwisch nachahmte, um die kleine Erzherzogin zu belustigen. Denn der Gegensatz zwischen ihrer gewöhnlichen gewichtigen Haltung und der Würdelosigkeit ihres Tanzes war erschütternd grotesk. Elisabeth fühlte sich sehr wohl in Garatshausen, und als sie nach Wien heimkehren mußte, traten ihr beim Abschied von meinen Eltern die Tränen in die Augen. Wir standen alle in dem Marmorvestibül, in dem wir sie bei ihrer Ankunft erwartet hatten. Sie schien mir berückender als je zuvor in ihrem weißen Kleide, in dem weißen Hute mit den Federn, die das schimmernde Kastanienbraun ihres Haares liebkosten. Valerie war ein Bild in weiß und mauve. Als die Kaiserin meine Mutter umarmt hatte, kam sie auf mich zu, drückte mir ein kleines Samtetui in die Hand und sagte dabei: »Hier hast du eine Erinnerungsgabe von Valerie für ein kluges, kleines Mädchen.« Dann war sie fort. Den Wagen verschlang eine Staubwolke, und nur das leise Rollen der Räder tönte aus der Ferne herüber als letzter Gruß unserer lieblichen Verwandten. Erst als ich allein war, öffnete ich das kleine Etui. Ich drückte auf die Feder und fand ein goldenes Medaillon mit den Initialen Marie Valeries in glitzernden Rubinen und Smaragden. Innen fand ich ein Miniaturbild des Kindes und ein Datum, das mir zunächst ohne Bedeutung schien, bis mir eine plötzliche Erleuchtung offenbarte, daß es ein Gedenkzeichen des Tages im Park 16
von Garatshausen war. Die Kaiserin hatte also doch nicht vergessen. Nach unserer Rückkehr nach München ging das Leben seinen stillen Gang weiter, und einige Jahre schwanden dahin, ehe ich die Tante wiedersah. Doch die Ferne nahm ihr nicht den Zauber in meinem Gemüte; mein Ehrgeiz ging dahin, die Eigenschaften zu erwerben, auf die sie Wert legte. So wurde ich eine gute Reiterin, die stundenlang im Sattel zubringen konnte, ohne zu ermüden. Ich focht, ich übte meine Kräfte als Fußgänger, ich wurde ein guter Schütze; ich vergaß nie, daß ich meine Zunge hüten mußte, und bestrebte mich, des Lobes der Kaiserin würdig zu werden. Als ich zwölf Jahre geworden war, schickten die Ärzte meinen Vater nach Italien. So gingen wir nach Rom in Begleitung unseres bayrischen Arztes, eines großen, beleibten Mannes mit einer erstaunlichen Begabung im Essen. Papa schrieb eine Anzahl seiner kleineren Krankheitserscheinungen seiner frühen Erziehung in Sachsen zu, wo er in den Tagen seiner Jugend zwischen Dresden und dem Schlosse Pillnitz hin und her getrieben worden war. Er schob einen hartnäckigen Kopfschmerz auf die dumpfe, bedrückende geistige Atmosphäre Dresdens und ein immer wiederkehrendes Magenübel auf die unverdauliche Kost in Pillnitz, die auch wahrscheinlich den Grund zu seinen späteren Ver-dauungsstörungen legte. Bei unserer Ankunft in Rom hegten wir, als gute Katholiken, natürlich den Wunsch, vom Heiligen Vater empfangen zu werden, und als Anbahnung besuchten 17
wir den Kardinal Antonelli, einen guten Bekannten meines geistlichen Lehrers in München. Pius IX. bewilligte uns eine Sonderaudienz. Ich trug einen schwarzseidenen Rock und einen schwarzen Schleier, die Zwangstracht bei solchen Anlässen. Ich kämpfte mit dem Lachen, denn ich fand mich urkomisch in meinem Gernegroß-Kostüm. Tatsächlich sahen wir alle recht bunt aus. Mama war in Schwarz, Papa in Uniform, und der bayrische Doktor stellte einen vorsintflutlichen Zylinder zur Schau. Papa gab uns fortwährend Verhaltungsmaßregeln für unser Benehmen beim Anblick des Papstes. »Niederknien, niederknien,« wiederholte er alle drei Minuten. Aber als der große Augenblick kam und wir alle vor Seiner Heiligkeit auf den Knien lagen, entglitt des Doktors Hut seinen Händen und trudelte mit stetig wachsender Geschwindigkeit über das gewachste Parkett. Da verpuffte die ganze Feierlichkeit; der Papst lachte, lud uns in sein Privatgemach und plauderte mit uns. Pius IX. war sehr liebenswürdig und richtete seine Aufmerksamkeit besonders auf mich. »Ich möchte gern mit dieser kleinen Dame sprechen,« äußerte er; »wollen Sie sie mir morgen früh schicken?« Meine Eltern waren sehr geschmeichelt von dieser hohenpriesterlichen Gunst, und am nächsten Tage ging ich mit meiner Erzieherin in den Vatikan. Der Papst prüfte mich in Religion; wir sprachen zusammen lateinisch, und am Schlusse seines Verhörs lächelte Pius und fragte: »Nun, hast du große Angst gehabt?« »Nein,« sagte ich, denn der Papst, ein großer, wohl18
gebauter Mann, hatte eines jener »guten« Gesichter, die Vertrauen und Liebe einflößten. »Ach, das freut mich,« sagte er, »aber ehrlich, was ist dir lieber, ein Religionsexamen oder ein Tänzchen? Als ich jung war, hätte ich sicher geantwortet, daß mir Tanzen lieber ist als Religion.« Er blinzelte mit den Augen, tätschelte ermunternd meine Hand und gab mir, ehe ich fortging, sein Bild und ein allerliebstes Medaillon und weihte die Gaben mit seinem besonderen Segen. Der Papst war sehr gütig gegen unsere Familie; er stand Pate bei der Tochter der Königin von Neapel, und als das Mißgeschick über meine Tante und den Onkel hereinbrach, lebten sie viele Jahre lang im Palazzo Farnese. Eins der interessantesten Geschehnisse meiner Jugend war meine erste Begegnung mit Richard Wagner, der, wie man weiß, seine späte Anerkennung als Genie der Güte und Gunst Ludwigs II. verdankte. Der König, der Papa sehr gern hatte, fragte ihn eines Tages, ob seine Braut, meine Tante, die Prinzessin Sophie von Bayern, mit Wagner in unserem Hause zusammentreffen könnte. Natürlich gab Papa seine Einwilligung, und eine Zusammenkunft wurde verabredet. Doch durch irgendwelchen unglücklichen Zufall war keiner außer mir anwesend, als der große Mann eintraf. Ich hatte meine Einsamkeit dazu benutzt, die Schränke meiner Mutter zu plündern und mich zu verkleiden. Ich zog ihre umfangreichste Krinoline an, ihr seidenes Kleid, setzte ihren Hut auf und legte ihren Mantel an, ergriff dann einen kleinen, grünen Schirm 19
mit silbernen Fransen und stelzte wohlgefällig vor dem großen Spiegel auf und nieder. Plötzlich erklang die Hausglocke, und in der Vermutung, es sei meine Erzieherin, eilte ich selbst zur Tür, öffnete sie – und stand Wagner gegenüber. Damals freilich wußte ich nicht, wer er war. Ich entsinne mich seiner noch genau als eines kleinen Mannes mit einer großen Nase, der höflich in breitem sächsischen Dialekt fragte: »Wohnt hier der Herzog von Bayern?« Ich verbeugte mich und sagte voll Keckheit: »Bitte, hereinzuspazieren.« Wagner schien ziemlich nervös, und das war kein Wunder, denn ich sah sonderbar genug aus in meiner Riesenkrinoline und den Gewändern, die für mich viel zu weit waren. Aber vielleicht dachte er, da unsere Familie wegen ihrer Exzentrizitäten berüchtigt war, er hätte einen der »Sonderlinge« erwischt. So folgte er mir gefügig in den Salon, wo ich ihn sich selbst überließ. Eine Stunde verging, und als meine Erzieherin heimkehrte, berichtete ich ihr, daß Papas Schneider im Salon sitze. Doch sie antwortete nur: »Er kann warten,« und richtete ihre Energien auf einen heftigen Tadel wegen meines Verkleidens und die Aufforderung, meine Aufgaben zu erledigen. Kein Laut drang aus dem Zimmer, in dem Wagner saß, mit Geduld umgürtet. Doch als meine Mutter nach Hause kam und ich ihr die interessante Mitteilung machte, daß »Papas Schneider im Salon sitze«, ging sie spornstreichs selbst nachsehen und fiel fast in Ohnmacht vor Schreck, als sie Richard Wagner erkannte. Mama war tief 20
betrübt bei dem Gedanken, daß er in so wegwerfender Weise behandelt worden war, und erging sich in lebhaften Entschuldigungen. Doch Wagner sagte belustigt: »Jemand sagte mir, ich sollte warten, und Sie sehen, ich habe gewartet.« Bald darauf traf meine Tante mit ihrer Hofdame ein; ich glaube, die Begegnung verlief sehr angeregt. Ich durfte freilich meine Bekanntschaft mit Wagner nicht fortsetzen und bäumte mich in der einsamen Dunkelheit meines Schulzimmers auf gegen den mütterlichen Unwillen. Aber ich kann mich des leisen Argwohns nicht erwehren, daß meine Verkleidung meine Mutter am meisten ärgerte, und daß Wagners langes Warten eine Nichtigkeit war gegenüber der Entweihung ihres Kleides und der Mißhandlung ihrer Krinoline.
21
Zweites Kapitel
A
ls ich vierzehn geworden war, lud die Kaiserin meine Eltern zu einem Besuch nach Wien ein. Sie wurden besonders aufgefordert, mich mitzubringen. Ich war über die Aussicht, meiner Tante wieder zu begegnen, entzückt, und zitterte bei dem Gedanken, Wien zu sehen, das nach den Beschreibungen, die ich gehört hatte, die strahlendste Stadt Europas war. Die »Bohnenstange« hatte sich inzwischen zum regelrechten Sahnenmast ausgewachsen, und Mama beschloß, daß dieser Besuch den kurzen Röcken, die ich bisher noch getragen hatte, den Garaus machen müsse. Meine Eltern waren einfache Leute mit einer heftigen Abneigung gegen jeden Luxus; meine Kleidchen hatte stets der Gesichtspunkt der Nützlichkeit und nicht der Schönheit bestimmt. Vielleicht interessiert es Mädchen mit extravaganten Wünschen, zu erfahren, daß man drei Kleider als ausreichende Aussteuer für diesen Besuch betrachtete; ein Reisekleid, ein Straßenkleid und eine schwarz-seidene Gesellschaftsrobe. Dieses Schwarzseidene haßte ich mit einem tiefgewurzelten Abscheu, denn es war viel zu alt im Stil. Ich empörte mich dagegen. 22
»Laß mich nichts mehr von diesem Unsinn hören,« schalt Papa, als ich mich an ihn als Schiedsrichter wandte; »wenn das Kleid dich auch alt macht, so ist es doch jedenfalls sehr elegant!« Ein zweites Kümmernis war, daß ich aus irgendeinem Grunde, den man nie erfahren wird, mit dicksohligen, nagelbewehrten Gebirgsstiefeln ausgerüstet wurde. »Welch ein Schaustück werde ich abgeben!« dachte ich verzweifelt. »Tante Sissi wird mich eine bayrische Bäuerin nennen, und jeder wird mich auslachen.« Doch auch damit waren meine Leiden noch nicht erschöpft. Papa konnte mein blondes Haar nicht leiden und hatte es sich in den Kopf gesetzt, es in Haaröl zu ertränken, in der vagen Hoffnung, mich hierdurch aus einer Blondine in eine Brünette umzuhexen. Das wurde bei ihm zur fixen Idee, als der Besuch in Wien zur Tat werden sollte, und meine Locken wurden täglich mehrmals unter Öl gesetzt. »Packt nur genügend Vorrat ein,« befahl er. So reisten wir mit einem ganzen Lager von Makassaröl. Endlich brach der ereignisvolle Tag herein, an dem wir München verließen. Spät abends erreichten wir Penzing, die Schönbrunner Station, von der aus uns eine Hofequipage zum Schloß brachte. An diesem Abend sahen wir niemanden mehr. Ich erhielt ein prachtvolles Schlafzimmer mit einem Paradebett, über welchem das Gemälde eines finster blickenden Erzherzogs hing, dessen Düsternis mich mit dem Bangen erfüllte, er könne mir als Geist erscheinen. Ein reichliches Souper wurde aufgetragen, aber es ge23
hörte zu Papas Grundsätzen, daß man am späten Abend nicht zu viel essen dürfe. »Wir müssen alle gut schlafen,« meinte er, »denn Sissi wird uns sicher recht früh besuchen.« Unsere Zofe war ein stämmiges bayrisches Gebirgsmädel, das einen fast unverständlichen Dialekt sprach; ihre Unkenntnis der Etikette hielt meine Mutter in einem fortwährenden Angstfieber. Sie war indessen ein gutes Geschöpf, weckte mich früh am nächsten Morgen und setzte eine energische und überschwemmende Haarölung ins Werk. Sie striegelte mir das Öl auf, wie ein Pferdeknecht sein Roß striegelt, und beteuerte inmitten ihres Knuffens und Reibens fortwährend laut, daß in ganz Wien sicherlich kein gewissenhafter geöltes Haar zu finden sei. Dann hakte sie mich in mein abscheuliches Seidenkleid, das mir viel zu lang war; meine Füße waren in die großen Stiefel eingesargt, und gleißend von Öl stampfte ich in das reizende Zimmer, in dem meine Eltern saßen. »Himmel!« rief Mama, »Marie wird über ihr Kleid fallen. Schnell, bringt mir Nadeln!« Und kurzerhand wurde mein Rock zu einer passenderen Länge gegürtet. Dann kam der Kaffee, und als wir uns gerade am Frühstück labten, stürzte die bayrische Zofe sans ceremonie ins Zimmer und brüllte: »Die Kaiserin kommt!« Durch die Tür des Salons hatten wir den Ausblick auf eine lange Flucht von Zimmern. Eine Tür nach der anderen tat sich auf, jemand kam immer näher, und da sah ich, daß es meine berückende Tante war. 24
Wir gingen ihr alle entgegen. Ich sage »gingen«, doch der Ausdruck bezieht sich nur auf die Fortbewegungsmethode meiner Eltern. Ich hatte nicht mit meinen Stiefeln gerechnet; sie bewirkten, daß ich höchst ungraziös vorwärts-schlitterte und mit einem reizenden Lächeln und den Worten begrüßt wurde: »Aber, Marie, in Schönbrunn läuft man im August nicht Schlittschuh !« Ich empfand, daß die Kaiserin meinen seltsamen Aufzug anstarrte, und täuschte mich nicht. Plötzlich brach sie in ein schallendes Gelächter aus, und als ihre Heiterkeit sich etwas gelegt hatte, wandte sie sich an meine Mutter, die etwas verdutzt über den Grund dieser jähen Fröhlichkeit dastand, und sagte mit vor Lachen erschöpfter Stimme: »Liebe Henriette, laß Marie doch einmal mit mir in mein Ankleidezimmer kommen.« Ich begleitete meine Tante in ihre Privatgemächer, wo ihre Friseuse und Zofen auf sie warteten. Elisabeth wandte sich an eine von ihnen und sagte: »Bringen Sie eine Anzahl Kleider und viel Wäsche. Meine Nichte muß sofort eine Aussteuer erhalten.« Dann ging sie in ihr Ankleidezimmer und ließ sich frisieren. Die Zofen liefen hin und her mit Stößen herrlicher Kleider, zarter Unterwäsche, niedlicher Korsetts und entzückenden Schuhchen. Nie vorher hatte ich einen solchen Luxus gesehen; er benahm mir den Atem, ich schwelgte in dem Batist und den Spitzen, die bald an Stelle meiner schlichten Unterkleidung meinen Körper umschmiegten. Das seidene Korsett saß an meinem ge25
raden, jungen Wuchse wie angegossen, und meine Füße boten jetzt einen Anblick, dessen ich mich nicht mehr zu schämen brauchte. Natürlich erforderten die Kleider mancherlei Änderung; die Kaiserin wählte die meinem Alter zusagendsten aus und schüttete ihren kostbaren Trousseau mit verschwenderischer Freigebigkeit mir in den Schoß. Als die Auswahl der Kleider getroffen war, betrachtete meine Tante mich kritisch und befahl: »Führen Sie die Baronin fort und waschen Sie ihr das Öl aus dem Haar.« Und zu mir sagte sie: »Jetzt werde ich dich für heute dir überlassen, Marie. Gott sei Dank siehst du jetzt manierlicher aus. Morgen werde ich dich in der Reitschule treffen; ich will sehen, wie du reitest.« Sie küßte mich, dann wurde ich den Händen einer Zofe überliefert, die zwei mühselige Stunden an meinem Haar scheuerte. Doch schließlich nahm die Qual ein Ende. In meiner neuen Tracht, mein dichtes, blondes Haar vom Öle befreit, wurde ich in unsere Gemächer zurückgeführt. Das Bayernmädel wieherte heiser auf vor Staunen ob meiner Verzauberung. Papa drehte sich auf dem Absatz um, nachdem er mich mit Gedanken betrachtet hatte, in deren Tiefe keine Worte hinabreichten. Und Mamas leicht verwundete Gefühle, die verletzt worden waren durch der Schwägerin Mangel an Respekt vor den bayrischen Moden, wurden erst milder gestimmt, als im Laufe des Tages die hübschen Gewänder mit dem 26
bezaubernden Zubehör und »Tante Sissis Grüßen« mir übersandt wurden. Am nächsten Morgen gingen wir zur Reitschule, wo die Kaiserin mit prüfenden Augen über meine Reitkunst richtete. Ich mußte drei oder vier verschiedene Pferde reiten, eins immer temperamentvoller als das andere. Nach Beendigung meiner Vorführungen drückte mir Elisabeth ihre große Zufriedenheit aus und for-derte mich auf, am nächsten Tage mit ihr in den Prater zu reiten. Dann fuhr sie mit mir zu einem Schneider, bestellte mir ein Reitkleid und erprobte die Wirkung eines »hohen Hutes« auf meinem blonden Haare. »Viel zu alt!« rief sie emphatisch; »nein, Marie, gerade jetzt paßt es mir, daß du wie ein Kind aussiehst. Ein englischer Strohhut wird das Richtige sein, und laß sie zu Hause ja nicht dein Haar flechten. Es soll frei gelöst über deinen Rücken herabfallen. Wir werden eine frohe Zeit zusammen durchleben, und ich werde dir so manches zeigen, wovon du dir in München nichts hast träumen lassen.« Ach, wie habe ich diese strahlende Frau geliebt, die mich zu schätzen und für mein Wohl zu sorgen schien! Ich war kein sentimentales Kind, aber jede Fiber in meinem Herzen zitterte ihr entgegen. Sie bezauberte mich und beherrschte meine Phantasie und flößte mir mit ihrem seinen Taktgefühl Selbstvertrauen ein. Mir gegenüber war sie damals niemals die Kaiserin, sie war Tante Sissi; voll scheinbaren Verstehens und so reger Sympathie für mich, daß ich mit Freuden für sie in den Tod gegangen wäre. 27
»Je weniger man über dein Äußeres spricht, desto besser,« bemerkte mein Vater, als ich zur Besichtigung vor ihn hintrat. »Sissi hat sicher seltsame Ideen, das ist die einzige Entschuldigung dafür, daß meine Tochter wie eine blondlockige französische Puppe aussieht.« Mama war toleranter. »Natürlich erscheint uns Maries Reitkleid etwas sonderbar,« meinte sie; »aber das Kleid sieht elegant aus, und Elisabeths Wünschen können wir uns nicht widersetzen.« Wir fuhren in zwei Equipagen in den Prater, die Kaiserin und ihre Hofdame in der ersten, meine Eltern und ich in der zweiten. Wir hielten vor Elisabeths kleinem Pavillon, der inmitten eines hübschen Gartens wie eine Insel des Friedens im lärmenden Prater lag. Hier harrten die Pferde unser. Wir stiegen sofort in den Sattel und waren bald das Ziel aller Augen, denn es war die Korsostunde, und das vornehme Wien paradierte. Ich ritt der Kaiserin zur Rechten. Hinter uns folgten der Oberstallmeister und zwei Lakaien. Leuchtend klar steht mir die Begeiste-rung noch vor Augen, die Elisabeths Erscheinen entfesselte an diesem strahlenden Augustnachmittage. Denn sie sah hinreißend aus in dem Reitkleid, das sich wie eine Haut ihrer ebenmäßigen Gestalt anschmiegte. Die Bewegung und die Luft vertiefte das zarte Rosa ihrer Wangen, und die Sonne, die durch das grüne Laub der Bäume rieselte, verzauberte ihr braunes Haar zu funkelndem Golde. Die Leute starrten mich an, wie ich da an der Seite meiner Tante ritt, und ich fühlte auf jeder Lippe die Frage: »Wer ist dieses Mädchen?« 28
Ich empfand wohltuend, daß ich sehr gut aussehe, und daß meine Haare, die in einer langen, blonden Mähne hinter mir her flatterten, sehr hübsch anmuteten. Wir galoppierten bis ans Ende des Praters, da die Kaiserin die Gruppe der Pavillons und Ställe besuchen wollte, welche die vornehmen Reiter Wiens sich dort erbaut hatten. Viel Herrenvolk war hier versammelt, darunter auch einige Ungarn; meine Tante stellte mir den Grafen Nikolaus Esterhazy vor, einen hübschen, schwarzäugigen Mann, mit dem sie auf sehr freundschaftlichem Fuße zu stehen schien. Dann ritten wir zurück durch das jubelnde Volk Wiens, verließen die Pferde am Pavillon und fuhren nach Schönbrunn. Es war ein entzückender Nachmittag, und nur die verwirrte Verfassung meines Haares beeinträchtigte mein Vergnügen. Doch ich tröstete mich damit, daß dieses Leid gering sei, und im übrigen: »Il faut souffrir pour être belle.« Am nächsten Abend waren wir zum Familiendiner geladen, und dort sah ich zum ersten Male seit meiner frühesten Kindheit meinen Vetter, den Kronprinzen Rudolf. Als er ins Zimmer trat, empfand ich ein unerklärliches Gefühl des Unbehagens. Vielleicht ahnte mein Unterbewußtsein die Gefahr, die mir Rudolf werden sollte; meine Unruhe wuchs, als ich bemerkte, daß er mich scharf aus den Winkeln seiner Augen beobachtete. Der Kronprinz war mein Tischnachbar und begann sofort, mich unbarmherzig zu necken. Obwohl er damals noch ein Knabe war, schien er mir die Intelligenz eines Mannes zu besitzen. Er war schön, doch ich zerbrach mir den Kopf darüber, an welches wilde Tier er mich gemahnte. 29
Denn sein Blick hatte etwas Bestialisches. Plötzlich wußte ich es – Rudolf erinnerte mich an einen Wolf; in seinen Augen stand bisweilen ein grünes Funkeln, und sein Wesen hatte etwas Lauerndes. Ich grübelte darüber, ob er wohl auch grausam sei wie ein Wolf; und da kroch ein eisiger Schauer mir das Rückgrat entlang in Erinnerung an die Worte der Kaiserin, die sie zu mir gesprochen hatte, als ich ihr vor Tisch mein hübsches Kleid zeigte. »Marie,« hatte sie gesagt, »heute abend wirst du Rudolf sehen. Ich warne dich vor ihm. Er ist gefährlich, wenn er zum Feinde wird.« Ich betrachtete meinen Vetter neugierig, der seines Vaters Art, den Schnurrbart zu drehen, nachäffte. Franz Josef konnte nämlich nicht fünf Minuten still sitzen, ohne sich zu überzeugen, daß ihm der Schnurrbart immer noch im Gesicht hing. Der Kaiser war mir gegenüber sehr freundlich und sagte mir, daß ich kein Kind, sondern ein bayrischer Besenstiel sei. Das hielt er für einen gewaltigen Witz. Nach Tisch besuchte ich mit meinen Eltern die Oper. Doch ehe wir gingen, führte mich meine Tante in ihr Boudoir. Dort gab sie mir eine wunderbare Diamantnadel und befestigte sie in meinem Haare, das nach ihrem Gebot in schweren Zöpfen, wie ihr eigenes, meinen Kopf umkrönte. Wir saßen in der kaiserlichen Loge, und viele Leute starrten mich an. Aber in der glücklichen Hut meines weißen Spitzenkleides und der sprühenden Diamanten fühlte ich in mir die Kraft, jeder Kritik zu begegnen. 30
Während der Vorstellung überkam mich ein quälendes Gefühl des Hungers, denn das Familiendiner war alles eher als ein Bankett. In der Pause flüsterte ich daher Papa zu, daß ich etwas essen möchte. Auf den Wutausbruch, der dieser einfachen Bitte folgte, war ich freilich nicht gefaßt. »Noch ein Wort, und ich hau dir eins hinter die Ohren!« zischte er. »Untersteh’ dich, in der Oper hungrig zu sein! Und wenn du es bist, so höre auf die Musik und sättige dich an ihrer Schönheit.« Ich versuchte diesem Rate zu folgen, aber mir wurde zum Umsinken flau, und obwohl ich Opern abgöttisch liebte, war ich doch heilfroh, nach Schönbrunn und zu einem Abendessen zu gelangen. Unser freudevoller Aufenthalt in Wien nahte allzu schnell seinem Ende; wir kehrten nach München zurück. Nach einigen Tagen erhielt ich folgendes Telegramm: »Liebe Marie, ich schenke dir die kleine Stute, die du in Wien geritten hast. Sie kommt mit dem nächsten Zuge. Tante Elisabeth.« Ich war ganz aus dem Häuschen vor Freude über diesen neuen Beweis der Liebe meiner Tante, und ich erinnerte mich an ihre Abschiedsworte: »Fahre so fort, und du wirst mich wiedersehen.« Ich hatte die Gewißheit, daß die Kaiserin mir vertraute. Denn wiederholt waren allerlei seltsame Fragen an mich gerichtet worden, auf die ich stets antwortete: »Ich weiß nicht.« Etwas sagte mir, daß sie selbst es gewesen war, die mich auf die Probe stellen wollte, und daß meine Antwort gerade die war, die sie zu hören wünschte. 31
Mit sechzehn Jahren erhielt ich mehrere Heiratsanträge. Mein glühendster Verehrer war Graf Herbert Bismarck, den ich durch meine intimen Freundinnen, die Prinzessinnen Wittgenstein, kennen gelernt hatte. Laura, die älteste, viel älter als ich, war eine überaus schöne Frau. Der verstorbene König Eduard VII. war einer ihrer größten Bewunderer. Herbert Bismarck machte mir seinen Antrag durch Lizzie Wittgenstein; doch da ich seinen Antrag nicht ernst nahm, wandte Lizzie sich an Mama, die sofort meine Großmutter, die Herzogin von Bayern, ins Vertrauen zog. Doch Großmama lehnte Heiratserörterungen ab und verwies meine Mutter an König Ludwig. Der König, der mich gern hatte, widersetzte sich auf das heftigste der Partie und sagte mit großer Bestimmtheit, daß er mich lieber tot als eines Protestanten Weib wissen möchte. Da Mama hiernach auf die Ehre einer Verbindung mit den Bismarck verzichtete, sah ich meinen enttäuschten Liebhaber erst im nächsten Mai wieder, als wir nach Kissingen fuhren, wo meine Tante, die Königin von Neapel, zur Kur weilte. Herbert, der seinen Vater in Kissingen besuchte, schien noch sehr in mich verliebt. Eines Tages erhielt ich von ihm einen flammenden Liebesbrief, in dem er mich bat, mit ihm durchzugehen und König Ludwig zu trotzen. Er würde auf mich am nächsten Abend vor dem Hotel warten. »Er ist seiner Sache zu sicher,« dachte ich, war aber doch neugierig, zu erfahren, ob er seine papierenen Vorschläge auch in die Tat umsetzen würde. So beobach32
tete ich Herbert von meinem Fenster im dritten Stock aus, wie er auf und nieder wandelte, bis er sich überzeugt hatte, daß sein Warten auf mich aussichtslos war, und in die Dunkelheit und für lange Zeit aus meinem Leben verschwand. Erst viele Jahre später sah ich ihn in Wien wieder – als Gräfin Larisch. In Kissingen erhielt ich einen unerwarteten Brief von der Kaiserin Elisabeth, die im Begriff stand, nach Feldafing, dicht bei Possenhofen, zu reisen. Sie forderte mich auf, sofort zu ihr zu kommen und meine Pferde mitzubringen. »Wir werden ganz allein sein,« schrieb sie, »denn ich beabsichtige, ohne Hofdame auszu-kommen.« Ich brauche nicht zu beteuern, daß ich mich so schnell als möglich nach Feldafing auf den Weg machte. Jede Minute, die mich von meinem Idol trennte, wurde mir zur Stunde. Ich ver-suchte nicht erst, ihr meine Anbetung zu verbergen, glaube auch, daß sie trotz ihrer gewohnten zynischen Art davon heimlich bewegt und geschmeichelt war. Denn schließlich, was ist reiner und süßer, als eines jungen Mädchens Schwärmerei? Des Lebens Mai ist immer das Schönste, und eine Liebe, die noch nicht gesündigt und gelitten hat, ist rührend in ihrer keuschen Innigkeit. Damals verstand ich die Kaiserin nicht ganz. Ich liebte sie, sie bezauberte mich, und nach und nach machte sie mich zu ihrer Vertrauten und beichtete mir, wie schwer sie an ihrem Leben trug und wie sie den Pomp und das Gepränge haßte, die sie als Kaiserin von Österreich umgaben. 33
»Ich hasse die Zeremonien des Lebens,« schrie sie auf. Etwas fiel mir peinlich auf zu Beginn unserer Intimität; das war die alles beherrschende leidenschaftliche Liebe meiner Tante zu ihrer Schönheit. Sie betete ihre Schönheit an wie ein Heide seinen Götzen und lag vor ihr auf den Knien. Der Anblick der Vollkommenheit ihres Körpers bereitete ihr einen ästhetischen Genuß; alles, was diese Vollkommenheit trübte, war ihr unkünstlerisch und zuwider. Sie erzählte mir mit fast peinlichem Freimut, wie sie die Zeiten ihrer Schwangerschaft verabscheute, die zeitweilig das Ebenmaß ihrer Figur entstellt hatten. »O, wie entsetzlich ist es, alt zu werden!« rief sie aus, »zu fühlen, wie die Zeit die Hand auf unseren Körper legt, zu beobachten, wie die Haut runzelig wird, am Morgen mit Furcht vor dem Tageslicht zu erwachen und zu wissen, daß man nicht mehr begehrt wird! Ein Leben ohne Liebe hätte für mich jeden Reiz verloren.« Jeden Morgen in aller Frühe ging die Kaiserin mit mir spazieren. Dann badete sie, ließ sich frisieren, und darauf traf sich die ganze Familie beim Frühstück, das einer Mahlzeit im Restaurant sehr ähnelte, da jeder sich etwas anderes bestellte. Meine Großmutter kam stets von Possenhofen herüber; die Königin von Neapel und Herzog Karl Theodor mit Frau und Kindern stellten sich auch ein. Aus München kam des Kaisers älteste Tochter, die Erzherzogin Gisela. Rudolf aber erschien nie; ich bedauerte seine Abwesenheit nicht. Nach dem Frühstück geleitete ich Großmama zurück nach Possenhofen. Sie war eine sehr würdige, alte Dame, 34
die nirgends hin ging ohne ihre beiden kleinen, weißen Spitze, die es für ihre Mission auf Erden hielten, jeden zu beißen, der in Sicht kam. Gewöhnlich aßen wir zu Mittag in Possenhofen, und in der Abendkühle ritt ich allein mit der Kaiserin. O, wie traut ist die Erinnerung an jene glücklichen Tage! Seite an Seite ritten wir durch die tiefen Wälder, in denen der duftige Teppich der Sichtennadeln den Laut der Pferdehufe dämpfte. Seite an Seite scheuchten wir das flüchtige Wild auf. Seite an Seite schwelgten wir im Sonnenuntergang und träumten hinein in den aufgehenden Mond. Elisabeth war für mich ein Wesen aus der alten Götterwelt. Artemis war sie – kalt, herrlich und unnahbar. Meine Phantasie sah sie mit ihren Hunden durch die Wälder streifen auf der Spur des Hirsches. Dann malte ich mir wieder ihre Schönheit aus, wie sie beim Bade im Mondlicht weiß wie Elfenbein aufglänzte, eine Venus. In dieser würzigen Einsamkeit war sie mir wie eine Gottheit aus alten verklungenen Tagen. Eines Tages, als wir tief in den Forst hineingeritten waren, kamen wir zu einem kleinen, von Wasserlilien übersäten See. Rings umsäumten ihn Bäume, die bewegungslose Oberfläche glänzte fast schwarz; denn kein Licht drang durch die verketteten Zweige. Die Luft war kühl von der Feuchtigkeit, die die Farren und regennassen Blätter am Boden ausatmeten. Es war ein unheimlicher Ort, aber er sprach das Gemüt der Kaiserin an. So stiegen wir aus dem Sattel, übergaben dem Reitknecht die Pferde und schritten über den 35
schwammig-wippenden Grund dicht an das Ufer heran zu einigen flachen, moosbedeckten Steinen. »Hier wollen wir uns niederlassen,« sagte Elisabeth, »dieser Ort muß ein Tummelplatz sein für Nymphen und Waldfeen.« Lange blickte sie wortlos auf das Wasser, auf dem die Lilien weiß und einsam träumten. Dann wandte sie sich mir zu: »Liebst du Märchen?« »Ja, sehr, Tante Sissi,« erwiderte ich. »Ich will dir eins erzählen, an das dieser See mich erinnert. Höre. – Es lebte einmal eine unglückliche junge Königin. Die hatte einen König geheiratet, der über zwei Länder herrschte. Sie hatten einen Sohn, aber sie wünschten sich einen zweiten als Thronfolger in dem anderen Königreiche, das ein herrliches Land, reich an Gebirgen und Wäldern war mit einer romantischen und hochherzigen Bevölkerung. Doch kein Kind kam, und die junge Königin wanderte lange Wege allein in den Wäldern und saß lange Stunden an einem See, ganz wie dieser hier ist. Eines Tages sah sie plötzlich die stille Oberfläche aufwallen, die Lilien traten auseinander, und ein schöner Mann tauchte empor. Er schwamm auf sie zu und stand plötzlich an ihrer Seite. Die junge Königin erschrak; doch der Fremde bannte ihre Furcht. ›Ich bin der Geist des Sees,‹ sprach er, ›und Tag für Tag habe ich dich weinen sehen an des Wassers Rand. Deine Tränen sind Perlen geworden, sie liegen in einer golde36
nen Schale in meinem Palast auf tiefem Grunde. Folge mir, vergiß die Welt und sei Königin in meinem Reich.‹ Die junge Königin blickte den Wassergeist an und seufzte tief. Wie anders war er als der König, ihr Gemahl! Er trug eine. schimmernde Rüstung aus Drachenflügeln, seine Haltung war edel, sein schönes, ausdrucksvolles Gesicht durchleuchteten große, schwarze Augen, in deren Tiefen die Liebe zu der Königin lohte. ›Ich kann dir nicht folgen,‹ klagte sie. Doch während sie sprach, kam eine seltsame Benommenheit über sie. Sie lehnte den Kopf an die Brust des Geistes und schlief ein. Da hob er sie empor in den Armen, auf sein Gebot öffnete sich der See, die Wasser bildeten eine kristallene Treppe, auf der er sie hinabtrug zu seinen Tiefen. Als die junge Königin erwachte, fand sie sich wieder in dem Zauberland am Grunde des Sees. Das Schloß prangte in Wasserblumen, Korallen und schimmernden Muscheln, und seltsame bunte Fische glotzten sie an durch die durchsichtigen Wände. Der Geliebte schenkte ihr ihre Tränen, die jetzt zu langen Perlenketten geworden waren. Voller Staunen sah die junge Königin, wie viele sie vergossen hatte. Doch sie erinnerte sich daran, daß Frauentränen ja unerschöpflich sind wie das ewige Tropfen der Zeit. Bisweilen erhellte die Sonne die Dämmerung unter dem Wasser zu Bernstein. Und manchmal verwandelten ihre sterbenden Strahlen das Wasser in Blut. In den Nächten küßte der Mond die Herzen der kalten Blumen, die sich nur seiner Liebe öffneten. Dann durchzitterte ein blaues Licht das Feenreich. 37
Liebliche Nymphen tanzten und sangen vor der gefangenen Königin und schmückten ihr schweres Haar mit funkelndem Aquamarin und jenen vielfarbigen Steinen, die man im Rheine findet. Sie saß neben ihrem Geliebten auf dem kristallenen Throne und schlief in seinen Armen auf dem Bett von Lilienblättern. Doch nach einiger Zeit ergriff Heimweh sie nach der Welt über dem See, und sie flehte um ihre Befreiung. Endlich willigte der Seegeist ein, und Wassernymphen trugen sie zur Oberfläche hinauf und legten sie nieder auf das Gras unter den Bäumen. Dort küßten Sonne und wehende Winde sie ins Leben zurück, und sie kehrte heim in des Königs Schloß. Monde gingen hin, und die Königin wußte, sie würde einem Kinde das Leben geben, und sie sehnte sich nach einem Sohne, der dem Wassergeist glich und herrschen würde über das romantische Land der Gebirge und Wälder, das sie so liebte. Doch kein Sohn wurde geboren. Denn als das Kind in ihren Armen lag, preßte die junge Königin eine kleine Tochter ans Herz, die des Feenvaters große, schwarze Augen hatte.« »Hat sie ihn je wieder gesehen?« fragte ich voller Teilnahme. »Ich glaube nicht,« erwiderte die Kaiserin; »wenn du mehr Lebenserfahrung haben wirst, wirst du wissen, daß das Kind oft das Ende der Liebe bedeutet.« »Was hat der König gesagt?« forschte ich. »Er war zu selbstbewußt, irgend etwas zu sagen, wenn er vielleicht auch manches ahnte.« 38
Sie lachte ihr mokantes Lachen und hatte ihre zynische Selbstsicherheit wiedergewonnen. Schweigend ritten wir heim. Das Leben in Feldafing war sehr angenehm. Ich freute mich jedesmal, wenn der Herzog Karl Theodor uns mit seiner zweiten Gemahlin, Marie Josepha, besuchte, die ein bezauberndes Geschöpf war voll übersprudelnder Ausgelassenheit. Sie war zwölf Jahre jünger als ihr Mann. Sie pflegte sich über die Prinzessin Gisela lustig zu machen, die alles nachäffte, was sie trug. Eines Morgens erschien Marie Josepha, einen kleinen Strohkorb auf den Kopf gestülpt. Dies, sagte sie Gisela, sei die Pariser Hutmode von übermorgen. Als Gisela sich unter einem Vorwande hastig verabschiedete, amüsierte Marie Josepha sich königlich, denn sie wußte, daß Giselas plötzlicher Aufbruch nur zu dem Zweck erfolgte, ihrer Münchener Modistin den Auftrag zu erteilen, ihr einen ähnlichen Strohhut zu verschaffen, koste es was es wolle. Marie Josepha, die eine Infantin von Portugal war, kam mir mit größter Freundlichkeit entgegen und steht bei mir in liebevollster Erinnerung. Sie assistierte ihrem Manne immer bei seinen Operationen als Augenarzt und brachte seinen beiden Kliniken in München und Tegernsee das größte Interesse entgegen. Gelegentlich kam auch der Kaiser auf einige Tage nach Feldafing. Doch er liebte den Ort nicht. Franz Josef trug ungern Uniform, die Kaiserin aber ärgerte ihn immer wieder mit der Bemerkung, daß er in Zivil aussehe wie ein Schuhmacher im Sonntagsstaat. Elisabeth nannte Franz Josef nie bei seinem Namen, sondern sprach ihn 39
immer mit »Du« an: »Du, komm her,« apostrophierte sie den Herrscher von Österreich, vor dessen Willen die ganze Familie zitterte, dessen Machtwort aufsässige Erzherzöge in die Verbannung trieb. Doch »Du« konnte auch bisweilen seiner Frau die Krallen zeigen. Die Kaiserin sprach immer sehr leise und hielt dabei die Lippen dicht zusammengepreßt. Diese Angewohnheit und die seltsame Marotte, den Mund fortwährend mit dem Taschentuche zu betupfen, war ihren schlechten Zähnen zuzuschreiben, die sie sich zu verbergen bemühte. Wer Elisabeth nicht genau kannte, konnte sie nur mit der größten Anstrengung verstehen, und da niemand wagte, sie um die Wiederholung ihrer Worte zu bitten, war die Unterhaltung zwischen der Kaiserin und Fremden oft ein drolliges Frage- und Antwortspiel. Da ich die meisten Eigenarten meiner Tante nachahmte, spitzte ich die Lippen und flüsterte ganz leise, als der Kaiser mich bei einer besonderen Gelegenheit ansprach. »Um Himmels willen, Marie,« rief heftig »Du«, »mach’ den Mund auf, wenn ich mit dir rede. Er ist doch wahrhastig groß genug. Werde mir ja nicht so affektiert wie deine Tante Sissi.« Worauf Elisabeth eine völlig unverständliche Bemerkung flüsterte. Zwei Stunden zu Pferd von Feldafing, an der gegenüberliegenden Seite des Starnberger Sees, lag eines von König Ludwigs Schlössern, in dem ihn die Kaiserin, die dem Vetter sehr zugetan war, oft besuchte. Eines Tages erbat sie meine Begleitung, und da ich den König lange nicht gesehen hatte, ergriff ich gern diese 40
Gelegenheit zur Neubelebung meiner Bekanntschaft mit ihm. Die Kaiserin ging allein in das Schloß und ließ mich im Parke warten, denn Ludwig hatte schon damals seine Launen und mußte vorsichtig auf einen ungeladenen Besuch vorbereitet werden. Über eine halbe Stunde mußte ich warten, bis des Königs Kammerdiener erschien und mich zum Schlosse führte. Ich stieg vom Pferde und betrachtete mich wehmütig in den vielen Spiegeln, denn ich war über und über mit Staub bedeckt, und meine Kehle war wie ausgedorrt nach dem langen, heißen Ritt. Ich wurde in ein verdunkeltes Zimmer geführt, in dem ich die Umrisse meiner Tante in einem Sessel dicht neben Ludwig erkannte, der auf einer Chaiselongue lag, den Kopf in Binden und Bandagen. Den königlichen Dulder quälten Zahnschmerzen, die ihn periodisch als Folge seines Übergenusses von Zucker heimsuchten. Neben ihm stand ein kleiner Tisch voller Flaschen in allen Größen. Als ich mich näherte, winkte Ludwig matt mit der Hand, sagte aber nichts. Elisabeth berührte mich am Arm und flüsterte: »Lach’ nicht.« Und laut sagte sie: »Der König möchte dich gern singen hören. Geh’ ins Musikzimmer und singe etwas aus Lohengrin.« Ich war nicht übermäßig erfreut, denn mein Hals war rauh vom Staub, und ich fühlte, ich würde mich blamieren. »Das wird ein schöner Schwanengesang werden,« dachte ich, als ich mich ans Klavier setzte. Ich war schrecklich nervös, und da ich keine Noten hatte, spielte 41
und sang ich das meiste falsch. Doch Ludwig war von seinem Zahnweh in Anspruch genommen und suchte nur irgendeine Ablenkung. Tante aber war durchaus unmusikalisch; so fiel es nicht weiter auf. Ich verhunzte also Elsas Partitur, bis der König mit mir Mitleid hatte und mich erlöste. Als ich in das verdunkelte Zimmer zurückkam, nahm Tante Sissi von dem Könige Abschied, der sich von dem Sofa erhob und ihr die Hand küßte: Ich konnte kaum mein Lachen bezwingen, denn Ludwig stand wirklich da wie ein Bild des Jammers. Er war der größtgewachsene Mann in Bayern, und da die Bandagen, mit denen sein Gesicht umwickelt war, weit herausstehende Enden hatten, sah sein Kopf aus wie der einer riesigen weißen Eule. Gnädig bot er mir die Hand zum Kusse, wobei mir ganz übel wurde von dem Schwall von Gerüchen, der ihr entströmte. Es roch lieblich durcheinander nach Laudanum, Chloroform, Nelken, Kampfer und andern Zahnheilmitteln. Halbwegs nach Feldafing überraschte uns ein Gewitter; in wenigen Augenblicken waren wir von einem Wolkenbruch bis auf die Haut durchnäßt. Wir suchten Zuflucht in einer Strohhütte, in der eine alte Frau hauste, die, wie wir später erfuhren, eines Fischers Witwe war. Sie erkannte die Kaiserin nicht, die sie fragte, ob sie ganz allein hier wohne. »Ja, ganz allein,« antwortete die Frau, »aber ich erwarte immer die Rückkehr meines Sohnes.« »Wo ist Euer Sohn?« fragte Elisabeth. »Er liegt seit sieben Jahren im See.« 42
Tante und ich wechselten Blicke, und mich überlief es kalt bei dieser unheimlichen Äußerung, die beim Flammen des Blitzes und dem Rollen des Donners noch grausiger wirkte. »Er kehrt zurück,« fuhr die Frau fort. Während sie sprach, pochte der Wind und, der Regen düster an das Fenster – »Er wird zurückkehren.« »Wann?« fragte die Kaiserin. »Wann es Gott gefällt,« seufzte die Alte; »aber ein anderer wird seinen Platz einnehmen, und der ist nicht weit von dieser Hütte.« Elisabeth stellte keine weiteren Fragen, aber sie erklärte später immer, daß die Äußerung der Frau prophetisch auf Ludwigs Ende hingedeutet hätte, das, seltsam genug, einen Teil dieser Weissagung erfüllte. Die Kaiserin gebot mir, der Alten einen Taler zu geben, doch da sie den Wert des Geldes nicht zu kennen schien, ließ ich ihn ihr in die Tasche gleiten. Dann ritten wir davon, da das Gewitter sich verzog. Ein herrlicher Regenbogen schlug seine Farben über den See. »Jetzt werden wir Glück haben, weil wir den Regenbogen sahen,« bemerkte meine abergläubische Tante, Am nächsten Tage sandte Ludwig der Kaiserin einen wunderbaren Blumenkorb, für mich lag ein herrliches Jasminbukett bei; die begleitende Karte enthielt die vier Worte: »Für die kleine Sängerin.« »Weißt du, was Ludwig von dir gesagt hat?« fragte die Kaiserin. »Er meinte, du erinnerst ihn fast schmerzlich 43
an deine Tante Sophie *. Ach – er kann sie nicht vergessen!« Der abwechslungsvolle Besuch in Feldafing mußte schließlich enden. Beim Abschied sagte mir Tante Sissi, daß ich ihr in jeder Weise gefiele und daß ich im September auf einige Monate zu ihr nach Gödöllö kommen müsse.
* Die Herzogin d’Alençon. 44
Drittes Kapitel
I
m September reisten meine Eltern mit mir nach Gödöllö. Von Pest aus fuhren wir per Extrazug; ich machte die zweistündige Fahrt im Viehwagen bei meinen Pferden, die sehr unruhig waren und nur durch meine Nähe besänftigt werden konnten. Am Bahnhof erwartete uns die Kaiserin hoch zu Roß. Ich sehe sie noch heute vor mir in ihrer sieghasten Schönheit unter dem tiefblauen Herbsthimmel. Sie war hocherfreut über das Wiedersehen mit mir, und Papa und Mama schwelgten in eitler Freude über ihre offensichtliche Neigung zu mir. Gödöllö ist ein Jagdschloß in Ungarn, das dem Kaiser von Österreich gehört. Das Haus ist ein großes, langes, niedriges Gebäude mit kuppelförmigen Türmen. In der Nähe sind ausgedehnte Waldungen, aber die nächste Umgebung bildet eine Art sandiges Buschwerk. Elisabeth führte uns selbst auf unsere Zimmer, aß aber nicht mit uns zu Abend, und erst in der Frühe des nächsten Morgens sah ich sie wieder, als ich die Aufforderung erhielt, mich in ihre Gemächer zu begeben. Tante Sissi bot mir ein inniges »Guten Morgen« und forderte mich auf, mich zu setzen. 45
»Du siehst, Marie,« begann sie, »daß ich mein Versprechen gehalten und dich hierher geladen habe. Erinnerst du dich noch, daß ich dir bei unserem Abschied in Feldafing vorschlug, bei mir bis Weihnachten zu bleiben?« »Wie hätte ich das vergessen können!« rief ich aus. Die Kaiserin lächelte. »Ich bin zu dem Entschluß gekommen, dich viel mehr um mich zu haben. Dein Vater ist mein Lieblingsbruder, ich liebe und achte deine Mutter und will alles für dich tun, was in meiner Macht steht. Aber der Dienst bei mir ist nicht leicht, Marie. Er erfordert vieles, dem ein Durchschnittsmädchen nicht gerecht werden kann. Du bist von meinem Blute, und das ist ein starkes Band. Meine Stellung als Kaiserin von Österreich soll niemals eine Schranke zwischen uns bilden. Für dich werde ich immer Tante Sissi sein, und ich werde in dir immer die liebe kleine Marie sehen, die mich weinen sah und es keinem verriet.« Sie preßte meine Hand und fuhr fort: »Aber achte auf meine Worte, mein Kind. Eines mußt du dir in Gödöllö zu jeder Stunde des Tages zur Regel machen: du mußt blind und taub sein für alles, was du siehst und hörst, und deine Antwort auf alle Fragen muß lauten: ›Ja‹ und ›nein‹ oder ›ich weiß nicht‹ Ich werde dich von allen Hofintrigen fernhalten, und ich warne dich vor meiner Hofdame Gräfin F. …, die zur Spionage neigt. Bis zum Beginn der Treibjagden wirst du Mittag und Abend mit Valerie speisen; sie liebt dich, und du wirst si46
cher des Kindes Anhänglichkeit nicht zurückstoßen.« Und obenhin fügte sie hinzu: »Ich hoffe, meine Worte haben dich nicht erschreckt, Marie. Du wirst hier viel Zerstreuung haben. Und nun begleite mich, ich will dir einiges von Gödöllö zeigen.« Elisabeth führte mich in ihren kleinen Privatzirkus, der die genaue Miniaturausgabe eines richtigen war. Mir scheint, unsere ganze Familie muß mit einem Faible für Zirkusse behastet sein, denn mein Großvater, der Herzog Maximilian, unterhielt einen Zirkus in München, wo er unter dem rauschenden Beifall seiner Verwandten selbst auftrat, und auch ich muß ehrlich gestehen, daß es mich stark zur Manege zieht. In Gödöllö fand ich einen Zirkusdirektor und eine Menge wohltrainierter Zirkuspferde, die durch alle Finessen der hohen Schule gingen. Es waren sehr edle Tiere, und es bot einen reizenden Anblick, wenn Tante in ihrem schwarzsamtenen Kostüm ihren kleinen Araber rings um den Ring im Tanzschritt führte. Für eine Kaiserin war es freilich eine etwas ungewöhnliche Beschäftigung. Der erste Tag der Treibjagd in Gödöllö begann um fünf Uhr früh; doch wir waren schon lange vorher auf. Ich fuhr mit Tante die halbe Strecke zum Stelldichein, wo die Pferde auf uns warteten. Dann hatten wir noch einen halbstündigen Ritt bis zu dem Orte, an dem das Feld versammelt war. Graf Nikolaus Esterhazy, der Jagdleiter war und in Megyar, in der Nähe von Gödöllö, wohnte, begrüßte die Kaiserin ehrerbietig bei ihrer Ankunft und zeichnete mich durch ergiebiges Anstarren aus. 47
»Nun, Baroneß,« sagte er, »erinnern Sie sich noch an unsere Begegnung vor einigen Jahren?« Ich entsann mich sofort des schwarzäugigen Reiters in Wien; doch da mir Graf »Nickys« barsche Manier mißfiel, erwiderte ich kühl: »O ja, ich vergesse niemals Leute, die mich so unhöflich anstarren wie Sie.« Er lachte und sagte leise etwas zu Elisabeth. Die lächelte. Dann waren wir bald von einer Horde von Herren umringt, die darauf brannten, sich der Kaiserin bemerkbar zu machen. Unter ihnen war Aristides Baltazzi und der scharmante Graf Elemér Batthyany, der Sohn des berühmten Opfers der ungarischen Revolution. Sein Vater, Graf Ludwig Batthyany, wurde vom Kaiser zum Tode verurteilt, entging jedoch dem Henker dadurch, daß er sich im Gefängnis vergiftete. Seine gebrochene Witwe ließ ihren Sohn schwören, unter keinen Umständen jemals mit Franz Josef zu sprechen. Die Kaiserin war den Batthyanys sehr gewogen, ja, Elisabeth, die immer ein wenig mit der revolutionären Partei kokettierte, zeichnete den Grafen Elemér durch viele Beweise ihrer Freundschaft aus. Der Graf hielt treu an seinem Eide, und, obwohl er den Kaiser oft auf der Jagd traf, nahm er niemals von seiner Gegenwart Notiz, und Franz Josef übersah seltsamerweise diesen offenen Affront. Ich glaube sogar, daß er im Grunde die Haltung des ungarischen Edelmanns achtete. Graf Elemér war der schönste Mann, den ich je gesehen habe, und schon die Melancholie seines Wesens ließ ihn mir interessant und romantisch erscheinen. Er 48
war sehr liebenswürdig zu mir, und ich war viel mit ihm zusammen. Wir ritten oft miteinander aus, und allmählich glitt in diesen milden Tagen unsere Freundschaft hinüber zur Liebe. Eines Morgens, als wir unter den gelben Herbstblättern dahinritten, bat mich der Graf um meine Hand. Ich konnte ihm natürlich keine endgültige Antwort geben, denn meine Pflicht der Kaiserin gegenüber erlaubte mir nur zu erwidern: »Ich weiß nicht.« Elisabeths scharfem Instinkt entging mein Geheimnis nicht, und schon auf dem Rückweg nach Gödöllö fragte sie mich gerade heraus, wie mir Graf Elemér gefiele. »Er ist sicherlich sehr nett,« stammelte ich. »Möchtest du ihn heiraten?« »O, Tante Sissi, darauf kann ich nicht sofort antworten.« »Nun,« sagte Elisabeth leichthin, »mir scheint es eine gute Partie für dich. Du könntest ihn dahin beeinflussen, sich freundlicher zu dem Kaiser zu stellen. Aber, meine liebe Marie, als Mann würde Elemér dich bitter enttäuschen.« »Weshalb?« fragte ich. »Frage nicht,« erwiderte sie. »In der Ehe würdest du sehr bald das ›Weshalb‹ erfahren.« Ich vertraute Tantes geheimnisvolle Äußerung dem Grafen Esterhazy an und fragte ihn, ob es irgend etwas Fürchterliches in Elemérs Vergangenheit gäbe. »Nicky« amüsierte sich gewaltig über meine Frage und sagte: »Ja, Baroneß, ich kann nur sagen daß Batthyanys Vergangenheit bar alles Fürchterlichen ist. Nur seine 49
Gesundheit prädestiniert ihn nicht sonderlich zur Ehe.« Dann wurde er ernst und fügte hinzu: »Ihre Tante ist eine Egoistin, sie will Sie ganz für sich behalten, und selbst, wenn ich Ihnen einen Antrag machen wollte, würde sie Sie zweifellos vor mir warnen.« Dreimal in der Woche war Jagd. Ach, es war herrlich! Elisabeth sah zu Pferde berückend aus. Ihr Haar lag in schweren Flechten um ihren Kopf, darüber trug sie einen Zylinder. Ihr Kleid saß wie angegossen; sie wurde jedesmal, wenn sie ausritt, hinein genäht. Hiermit meine ich, daß der Schneider, nachdem sie die Taille angezogen hatte, den Rock darannähte. Den Grund dieser seltsamen Marotte habe ich nie einsehen können. Sie trug hohe Schnürstiefel mit winzigen Sporen und zog drei Paar Handschuhe übereinander; der unvermeidliche Fächer wurde stets in den Sattel gesteckt. Ehe es zur Jagd ging, genoß Elisabeth eine seltsame Art Suppe. Sie bestand aus einer Mischung von Rindfleisch, Huhn, Reh und Rebhuhn, alles durcheinander gekocht. Dieser Extrakt war stärker als die stärkste Kraftbrühe. Zu der Suppe trank sie zwei Glas Wein, und während der Fahrt zum Stelldichein nahm sie eine leichte Mahlzeit von belegten Brötchen und Wein. Tante war eine absolut furchtlose Reiterin. Ihr Anblick auf der Fährte bleibt mir ein unvergeßliches Bild. Sie liebte Pferde, und mochte sie abends auch noch so müde sein, sobald sie sich umgezogen hatte, ging sie ihre Lieblinge füttern. Tatsächlich verbrachten wir Stunden in den Ställen. 50
Wenn die Kaiserin nicht sagte, ritt ich mit dem Kaiser aus. Er war immer sehr liebenswürdig zu mir, und ich glaube, daß er in jenen Tagen viel umgänglicher war, als er es heute ist, wo nur meine Cousine Valerie das Menschlichste an ihm sieht. Doch bei einer Gelegenheit war Franz Josef mit mir ernstlich böse. Wir kamen an einen sehr breiten Graben, und da ich natürlich annahm, daß er ihn im Sprunge nehmen würde, hielt ich nicht an, als ich hinüber war, um mich zu vergewissern, ob er folgte. Plötzlich bemerkte ich, daß ich allein war; als wir uns später trafen, sagte mir der Kaiser, daß er sehr gekränkt sei. »Aber warum?« fragte ich; »ich konnte doch nicht wissen, daß der Graben für Sie, Majestät, zu breit war.« Doch die Wolke auf der kaiserlichen Stirn verriet mir, daß ich die Lage nur noch verschlimmert hatte. Ich glaube immer, daß Franz Josef seine Volkstümlichkeit zum größten Teile seinem gutmütigen Ausdruck verdankt. Sein Gesicht ist in dieser Hinsicht sein Glück, denn selbst am späten Abend seiner Tage wird er stets nur bezeichnet als »dieser liebe alte Herr« oder »dieser freundliche alte Herr«, und schließlich sollen diese angenehmen Epitheta ja auch nicht fehlen auf der Ehrentafel der vielen Tugenden, die ihm im Gedächtnis der Nachwelt bleiben werden. Eines Tages trat »Nicky« Esterhazy auf mich zu und erschreckte mich, indem er ohne jede Einleitung in seiner brüsken Art sagte: »Sie sind zu bedauern, Baroneß, daß Sie hier draußen erzogen werden. Aber wenn Sie den richtigen Mann wäh51
len, wird er Sie noch jetzt vor dem bösen Einfluß retten, der hier auf Sie eindringt.« »Nun, Graf,« fragte ich, »wo ist der rechte Mann?« »Hier steht er,« erwiderte Esterhazy ernst; »Marie, ich liebe Sie. Ich würde Ihnen ein guter Gatte werden. Sie werden weit glücklicher als meine Frau sein denn als die Vertraute der Kaiserin. Überlegen Sie sich meinen Antrag,« fuhr er fort, »lassen Sie sich nur von Ihren Gefühlen leiten und fragen Sie nicht vorher die Kaiserin um Rat. Darum bitte ich Sie, Marie.« Doch am Abend erzählte ich, meinem Versprechen getreu, Elisabeth alles zu beichten, der Kaiserin des Grafen »Nicky« plötzliche Erklärung. »Was soll ich ihm nun sagen, Tante Sissi?« fragte ich fassungslos. »O, . . .« erwiderte sie, »sag’, was du willst.« Ich war froh, als sie mir »gute Nacht« sagte, denn sie schien sehr mißgestimmt. Als ich wach im Bette lag und über die Antwort sann, die ich dem Grafen Esterhazy geben wollte, öffnete sich die Tür meiner Schlafstube, und zu meiner starren Überraschung trat die Kaiserin, eine Lampe in der Hand, ins Zimmer. Sie war ganz in Weiß gekleidet; ihr Haar umhüllte sie wie ein schwerer Mantel, und ihre Augen funkelten wie die Lichter eines Panthers. Sie erschien mir so seltsam, daß ich vor Furcht bebend wartete, bis sie den Mund öffnete. »Schläfst du, Marie?« »Nein, Tante Sissi.« 52
»Dann setze dich auf und höre auf das, was ich dir zu sagen habe.« Ich setzte mich gehorsam auf, und sie fuhr in kalten, schneidenden Worten fort: »Ich halte es für meine Pflicht, dir zu eröffnen, daß Graf Esterhazy eine Liaison mit einer verheirateten Frau hat, die er liebt. Willst du jetzt, nachdem du das weißt, noch seinen Antrag annehmen?« Mein Einblick ins Leben, der sich seit meiner Ankunft in Gödöllö beträchtlich vertieft hatte, sagte mir zwar, daß zahllose hübsche Mädchen dazu verurteilt sein würden, alte Jungfern zu werden, wenn Liaisons mit verheirateten Frauen als unüberwindliche Hindernisse betrachtet würden bei Männern, die sie zu heiraten wünschten. Aber ein Blick in Tantes Gesicht verriet mir, daß ich nicht wagen durfte, in dem Grafen Nikolaus einen Heiratskandidaten zu erblicken. »Ich warte auf deine Antwort, Marie.« »O … ich werde ihn nicht heiraten,« murmelte ich, und dann vergrub ich ohne Rücksicht auf Tante Sissi den Kopf in die Kissen und brach in Tränen aus. Als ich den Grafen das nächste Mal traf, sagte ich ihm in aller Kürze, daß ich nicht sein Weib werden könnte. »Ich hätte es mir ja denken können, daß Sie mit der Kaiserin sprechen würden, ehe Sie mir Ihre Antwort gäben,« war seine einzige Äußerung auf meine Abweisung. Um diese Zeit kam Kapitän William Middleton, der unsterbliche Held der Jagd, nach Gödöllö zu einem Besuch des Kaiserpaares. Elisabeth bemühte sich nicht, ihre Neigung zu dem amüsanten Schotten zu verber53
gen, dessen Bekanntschaft sie in Irland gemacht hatte. Wir schätzten ihn alle als einen außergewöhnlich netten Burschen, denn obwohl »Rotkopf« sso genannt wegen seiner Haarfarbe) alles eher als hübsch war, hatte er doch für Frauen etwas Verführerisches und war ein glänzender Gesellschafter. In Kapitän Middletons Gegenwart blieb niemand ernst. Ich entsinne mich eines recht lustigen Zwischenfalles bei »Rotkopfs« erstem Besuch in Pest. Er hatte den Wunsch geäußert, die Stadt zu sehen, und die Kaiserin beorderte einen der Kammerherrn von Gödöllö, ihn dorthin zu begleiten und heil zurückzubringen. Man kann sich leicht die allgemeine Bestürzung vorstellen, als der Kammerherr ohne seinen Schützling zurückkehrte. Die Kaiserin war außer sich; doch der Mann konnte ihr nichts anderes berichten, als daß Kapitän Middleton auf eigene Faust zu einer »Forschungsreise« ausgezogen war mit dem Versprechen, ihn später im Kasino zu treffen. Wir dachten an Mord und plötzlichen Tod, doch nach einer für manche Leute schlaflosen Nacht traf in Gödöllö ein Telegramm ein, das meldete, der »Verlorene« befinde sich auf dem Polizeirevier in Pest. Es wurde ruchbar, daß der Kapitän, nachdem er seinen Führer abgeschüttelt hatte, einer reizenden Dame von unbestimmter sozialer Lebensstellung begegnet war, die ihn in ihr Haus eingeladen hatte. Da »Rotkopf« bald die Entdeckung machen mußte, daß er in eine Diebshöhle geraten war, hielt er es für ratsam, in dem sicheren Hafen des Polizeireviers vor Anker zu gehen, denn man hatte ihn bis auf den 54
letzten Heller ausgeplündert. Auf seine Bitte hatte der Revierbeamte nach Gödöllö telegraphiert. Elisabeth tobte, als sie den Grund von »Rotkopfs« Verschwinden erfuhr. Doch sie vergab ihm bald, und wir nahmen unsere lustigen Ritte in des Kapitäns Gesellschaft wieder auf. Oft überließ mich die Kaiserin dem Stallmeister und ritt allein mit ihrem englischen Freunde davon. »Nicky« Esterhazy hörte hiervon und fragte mich, ob es wahr sei. »Aber, was denken Sie,« rief ich, »ich bin immer dabei!« »Nicky« blickte mich mißbilligend an und sagte: »Sie sind noch ein junges Ding; es ist ein Jammer, daß Sie in diese höfischen Intrigen eintauchen wie eine Ente ins Wasser. Ich rate Ihnen, kleine Baroneß, kehren Sie nach München zurück, ehe man Sie ganz verdorben hat.« Ärgerlich warf ich den Kopf zurück. Wer gab dem Grafen Esterhazy das Recht, mir Vorwürfe zu machen? Schließlich gehorchte ich nur Tantes Weisungen, niemals etwas zu wissen, wenn man mir verfängliche Fragen stellte. Sie war meine einzige Richterin, über die ich keine fremde Kritik duldete. Ich war noch sehr empört, als ich »Nickys« Worte der Kaiserin wiederholte. Elisabeth lachte ihr kleines mokantes Lächeln. »Ach,« sagte sie, »dann bist du ja gar nicht so dumm, wie du aussiehst!« Das war, um wenig zu sagen, ein Kompliment, das man vielleicht auch anders hätte ausdrücken können. 55
Ich werde niemals den Nachmittag vergessen, an dem Kapitän Middleton Gödöllö verließ. Elisabeth, die den ganzen Morgen geweint hatte, befahl mir, in dem Zimmer neben ihrem Boudoir zu sitzen, wenn »Rotkopf« Abschied nehmen kam. Das Gemach der Kaiserin hatte drei Türen. Die eine ging in Madame Ferenzys Zimmer, die zweite in die Stube, in der ich saß, die dritte in den Korridor. Ich fing schon an, des Wartens müde zu werden, als Tante, die ein auserlesenes Negligé trug, hastig hereinkam und mir ein Zeichen gab, mich still zu verhalten. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen; gereizt sagte sie: »Sieh nach, Marie, wer an der Tür ist. Ich bin für niemand zu Sprechen.« Dann hörte ich jemand an die Tür pochen, die in den Korridor führte. Ich eilte hinzu und fragte: »Wer ist da?« »Der Kaiser,« antwortete eine Stimme, »kann ich hereinkommen?« »O, Majestät,« stammelte ich, »welch ein Mißgeschick, daß Tante Sie nicht empfangen kann; sie probiert eben einige neue Reitkleider an.« »Dann werde ich später wiederkommen,« antwortete Franz Josef, und ich hörte den Schall. seiner sich entfernenden Schritte auf dem Korridor. Am Abend war Tante sehr bedrückt. Doch sie lobte mich, daß ich in meiner Verhandlung mit dem Kaiser einen ganz ungewöhnlichen Takt bewiesen hätte. 56
»Du hast richtig empfunden, daß ich nicht wünschte, irgend jemand sähe, daß ich geweint hatte,« bemerkte sie. Ich genoß in vollen Zügen die langen Ritte mit der Kaiserin, die bisweilen einen Gefallen daran fand, sich als Knabe zu verkleiden. Natürlich mußte ich ihrem Beispiel folgen; doch ich entsinne mich noch der Scham, die mich marterte, als ich mich zum ersten Male in Hosen sah. Elisabeth bildete sich ein, daß diese verrückte Laune in Gödöllö nicht allgemein bekannt war; in Wahrheit sprach jedermann darüber. Nur Franz Josef, glaube ich, hatte keine Ahnung von dem, was aller Geheimnis war. Der Kronprinz kam nach Gödöllö zur Jagd. Er war damals achtzehn Jahre, gut gelaunt und sehr unterhaltsam, wenn er Lust hatte. Doch ich hatte mein erstes Gefühl der Abneigung gegen ihn nicht verloren, und oft kam es zwischen uns zum Streit. Eines Tages neckte er mich mit dem Grafen Elemér. »Man hat dich hierhergebracht, um ein hübsches, zahmes Tier nach Mamas Geschmack zu heiraten,« spottete er. »Kleine, dumme Marie, sei nicht so fügsam.« »So lange ich nicht für dich bestimmt bin, schadet es nichts,« fuhr ich ihn an. »Höre mal,« sagte Rudolf, »du bist immer mit meiner Mutter zusammen; sei einmal lieb und sag’ mir, was sie treibt.« »Da ist nichts zu sagen,« entgegnete ich. Aber als ich die Kaiserin von ihres Sohnes Neugier unterrichtete, wurde sie sehr böse und sagte: »Er ist ein übelwollender Knabe, du mußt vor ihm auf der Hut sein.« 57
So traurig es ist, muß ich berichten, daß Mutter und Sohn sich nicht leiden konnten. Die Kaiserin sagte oft, daß sie Rudolfs Mutter nur durch Zufall sei. Alles, was man über ihre große Liebe zu ihm geschrieben hat, ist vollständig erfunden. Meiner Tante war Mutterliebe fremd. Valerie freilich bildete eine Ausnahme. Sie glaubte, ihre Kinder machten sie alt, und hatte einen Widerwillen gegen alles, was, wie das Heranwachsen ihrer Kinder, Zeugnis ablegte für ihr Altern. »Ich will immer jung bleiben,« wiederholte sie mir immer und immer wieder. Am nächsten Tage war Rudolf sehr frech. Als er mich auf einem Ritt mit dem Grafen Elemér traf, trieb er sein Pferd zwischen uns hindurch und lachte anzüglich. Ich begegnete ihm später vor den Ställen und fragte ihn sogleich: »Warum hast du vorhin gelacht, Rudolf?« »Warum ich gelacht habe? Weil es mir immer Spaß macht, Marie, wenn ich liebeskranke Mädel sehe. Elisabeth T… schmachtet genau so nach mir wie du nach Elemér. Die dumme Pute glaubt, ich bin in sie vernarrt. Und daher kann ich mit ihr machen, was ich will.« »Du bist ein Renommist und ein Lügner!« rief ich. »So? Na, sieh mal hier.« Und der Kronprinz öffnete seine Brieftasche und zeigte mir eine Photographie von Elisabeth T…, auf deren Rückseite sie einige leidenschaftliche Worte geschrieben hatte. »Gib mir das Bild,« gebot ich, »ein Schuft wie du ist nicht wert, es zu besitzen.« »Mein edeldenkendes Kind, verschwende deine Worte nicht für Elisabeth, sie ist nicht besser als die meisten jungen Mädchen.« 58
Da verlor ich meine Beherrschung, vergaß meines Vetters Rang und ohrfeigte ihn. Rudolf verbeugte sich in gezügeltem Haß. »Das werde ich dir nicht vergessen!« knirschte er. Beim Abendessen erzählte ich der Kaiserin den ganzen Vorgang. »Das war eine etwas unüberlegte Tat,« meinte sie. »Rudolf ist ein sehr gefährlicher Feind.«
59
Viertes Kapitel
D
as waren Tage voll Glück in Gödöllö. Bisweilen nahmen die Kaiserin und ich das Abendmahl zusammen mit der kleinen Valerie, und gelegentlich gesellte sich auch der Kaiser hinzu. Nach Gödöllö kam auch »Onkel Nando«, wie der Großherzog Ferdinand von Toskana im Familienkreise genannt wurde. Der Großherzog markierte immer dem Hofnarren, um Franz Josef zu belustigen; es gelang ihm ungemein gut. Elisabeth sah mit gutmütiger Verachtung auf ihn herab, und ich erinnere mich »Onkel Nandos« als eines gutherzigen, nicht sehr adrett aussehenden Mannes, der sich immer bemühte, eine Liebelei mit meiner Mutter in Gang zu bringen. »Geben Sie mir einen Kuß, Baronin,« sagte er in seiner spaßigen Art. Mamas ernste Antwort brachte alle zum Lachen. »Ich würde schon,« erwiderte sie, »aber, ehrlich gesprochen, sehen Sie zum Küssen nicht sauber genug aus.« Die Kaiserin hatte für den Großherzog den Spottnamen »der Perlenfischer« erfunden, weil jedesmal, wenn ein neuer Sprößling in Salzburg eintraf, Franz Josef dem kleinen Erzherzog oder der Erzherzogin ein Perlenhalsband bescherte. Und da »Onkel Nandos« Familie sich Jahr 60
um Jahr vermehrte, pflegte Elisabeth zu sagen: »Der Perlenfischer wird bald eine hübsche Sammlung von Perlen und Kindern haben.« Oft aß die Kaiserin allein mit mir zu Abend, und nach der Mahlzeit ließ sie die Nadeln aus ihrem wunderbaren Haar entfernen und es frei über ihre Schultern herabwallen. Wenn sie glücklich und froh war und das Leben ihr rosig erschien, ging sie aus sich heraus. Doch oft war sie düster, melancholisch und niedergedrückt durch die Furcht vor dem Alter. Sie sah ihre Lebensaufgabe darin, jung zu bleiben, und all ihr Sinnen drehte sich um die besten Mittel zur Erhaltung ihrer Schönheit. Elisabeth war auf keine bestimmte Gesichtspflege eingeschworen. Manchmal gebrauchte sie nur eine einfache Toilettencreme, gelegentlich trug sie nachts eine Art Maske, die innen mit rohem Kalbfleisch »gefüttert« war. In der Erdbeerzeit bestrich sie sich Gesicht und Hals mit der zerdrückten Frucht. Die Kaiserin nahm oft warme Olivenölbäder, die nach ihrer Meinung die Geschmeidigkeit der Figur erhalten sollten. Aber einmal war das Öl fast kochend, und sie entging mit genauer Not dem furchtbaren Tode so mancher christlichen Märtyrer. Sie schlief oft mit feuchten Tüchern oberhalb der Hüften, um ihre Schlankheit zu bewahren, und trank aus demselben Grunde eine gräßliche Mixtur von fünf oder sechs Weißeiern mit Salz. Einmal im Monat wurden Elisabeths schwere kastanienbraunen Zöpfe mit rohem Ei und Branntwein gewaschen und nachher mit einem »Desinfektionsmittel«, 61
wie sie es nannte, abgespült. Nach der Waschung ging die Kaiserin in einem langen, wasserdichten Seidenmantel auf und nieder, bis ihr Haar getrocknet war. Die Frau, die das Amt der Friseurin übte, sah man nie ohne Handschuhe, die sie sogar, wie man sagte, nachts nicht ablegte. Ihre Nägel waren kurz geschnitten, Ringe waren ihr verboten. Die Ärmel ihres weißen Kleides trug sie ganz kurz. Es ist durchaus keine bloße Sage, daß die Haare auf Tante Sissis Kopf numeriert waren. Die Kaiserin liebte kleine, dicht anschmiegende Hemdchen; ihre Beinkleider waren im Sommer aus Seidentrikot, im Winter aus Leder. Ihre bunten Seiden- und Moirékorsetts wurden in Paris gearbeitet; sie trug sie nur einige Wochen. Sie hatten vorn keine Mechanik, Elisabeth wurde vielmehr stets in ihre Korsetts hineingeschnürt; diese Prozedur dauerte bisweilen eine geschlagene Stunde. Ihre seidenen Strümpfe lieferte die Londoner Firma Swears & Wells, und in jenen vorstrumpfbänderlichen Tagen befestigte die Kaiserin sie mit Bändern an das Korsett. Tantes Wäsche war wundervoll und außerordentlich sein. Ihre Nachthemden waren ganz einfach, aber immer mit mauve Seidenbändern durchzogen und gebunden. Unterröcke trug sie nie, und bei ihren frühen Spaziergängen im Sommer zog sie die Schuhe über die nackten Füße und trug das Kleid unmittelbar auf dem nackten Körper. Bei diesen Promenaden duldete sie auch keinen Hut; doch die Sonnenschirme, die sie trug, waren groß, plump, mit Leder gefüttert, sehr unelegant und schwer. 62
Einen Teil ihres Tagewerkes bildeten Sommer und Winter ihre leidenschaftlich betriebenen Spaziergänge von vier oder fünf Stunden. Ja, sie konnte sogar neun oder zehn Stunden hintereinander marschieren, ohne zu ermüden. Aber ihre Hofdamen besaßen nicht die gleiche Begabung der Beine, und man kann von ihnen fast behaupten, daß sie sich aus ihrem Dienst »marschierten«. Schließlich untergrub dieser übermäßige Sport die Gesundheit der Kaiserin, da sie auch nur gerade soviel Nahrung nahm, als die Erhaltung ihres Körpers unbedingt forderte. Elisabeth schlief in einer einfachen Eisenbettstelle, die sie auf allen Reisen mit sich führte. Sie verschmähte Kopfkissen und lag ganz flach, wahrscheinlich, weil ihr irgend jemand eingeredet hatte, daß dies ihre Schönheit wohltätig beeinflusse. Die Kaiserin haßte Parfüm; in ihrer Umgebung war sein Gebrauch streng untersagt. Sie machte sich nichts aus Edelsteinen, wenn sie auch bei Staatsfeiern in herrlichen Kleinodien prangte. Niemals litt sie einen Schmuck am Finger, doch sie trug einige Ringe an einer Kette um den Hals. Hingegen hatte Tante eine Vorliebe für Perlen und besaß viele seltene und kostbare Exemplare, denen sie häufig die »Seebehandlung« angedeihen ließ, die ihre Reinheit und ihren Glanz frisch halten soll. Elisabeth verbrachte Stunden bei ihrem Schneider mit dem Anprobieren ihrer Reitkleider, denn sie war sehr schwer zufriedenzustellen und studierte den Schnitt und Wurf im Sattel eines Holzpferdes, das vor einem großen Spiegel stand. Ich höre schon, wie einige Leute sagen: 63
»Alles ist eitel.« Aber Tante betrachtete die Aufgabe, sich gut zu kleiden, als die Pflicht einer Kaiserin. »Die Leute erwarten, daß ich immer schön und elegant aussehe,« sagte sie oft zu mir. »Ich bedaure es oft, daß sie ihre Herrscher nicht in dem Gepränge vergangener Tage sehen können, wie die Könige und Königinnen der Sage. Manche Fürsten kleiden sich wie Spießbürger und bilden sich ein, ihre Würde verleihe ihnen hinreichend äußeren Glanz. Doch da irren sie sich, ihre Untertanen bedauern schmerzlich ihre geschmacklose Erscheinung. Die Prinzessin von Wales * ist außer mir die einzige Frau in Europa, die in der Art, sich zu kleiden, eine hohe Kunst sieht, und einen Teil ihrer Beliebtheit verdankt sie sicherlich dem Takt, mit dem sie für jede Gelegenheit das passende Kleid zu wählen weiß.« Eines Tages bemerkte ich beim Stelldichein ein neues Gesicht. Eine schöne Frau lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich, die sehr sonderbar auf ihrem Pferde kauerte. Es war die Baronin Vetsera, die Mutter Mary Vetseras, deren Name unlöslich verknüpft ist mit der Tragödie von Meyerling. Aristides und Hektor Baltazzi, die beiden Brüder der Baronin, waren zu Besuch bei »Nicky« Esterhazy, und alle schienen sehr befreundet mit dem Kaiserpaare. Tante selbst stellte mich der Baronin vor, eine Tatsache, die in krassem Widerspruche steht zu der Behauptung, ich hätte die Vetseras erst lange nach meiner Verheiratung kennen gelernt. Elisabeth erzählte mir viel * Jetzige Königin Alexandra. 64
von dem Gerede, das über die Baronin im Umlauf war, und ließ durchblicken, daß Rudolf sie, einem Gerücht zufolge, für außerordentlich sympathisch gehalten haben sollte, als die ersten Liebesgedanken in ihm wach wurden. Um diese Zeit beschloß die Kaiserin den Besuch von Prag, da sie in Böhmen jagen wollte. Ich begleitete sie. Wir verließen Gödöllö um acht Uhr abends mit dem kaiserlichen Luxuszug, der aus einem Salonwagen bestand, an den sich das Schlafgemach der Kaiserin anschloß, das mit dem meinigen in Verbindung stand. Ihre beiden Zofen und die Hofdame waren in den nächsten Waggons untergebracht, und auch für die Herren des Gefolges, die zwei Stunden später den Zug besteigen sollten, war hinreichend Raum und Bequemlichkeit. Ich nahm das Abendbrot mit der Kaiserin ein, die in heiterster Stimmung war und mir eine Geschichte erzählte, in der sie als Titania, der Kaiser als Oberon und ein junger ungarischer Offizier, Graf Imry Hunyadi, als liebeskranker Elfe Imo eine Rolle spielte. Diese Allegorie bezog sich auf Elisabeths erste Ehezeit, als sie nach einer schweren Krankheit nach Madeira reiste. Graf Hunyadi gehörte zu ihrem Gefolge. Was wirklich geschehen ist, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß der diensttuende Kammerherr sie mit positivem Erfolge belauschte. Der Graf wurde nach Wien zurückberufen, und Elisabeths Aufenthalt in Madeira fand ein jähes Ende. Ich trank zum Abendbrot eine Menge bayrisches Bier, das mich müde machte; so schickte Tante mich zu Bett. Ihre Zofen entkleideten sie, und bald unterbrach nichts 65
mehr die Stille als das Donnern des Zuges, der durch die Dunkelheit dahinstob. Zu unserer Ankunft in Pardubitz am nächsten Morgen hatte sich der böhmische Adel zahlreich eingefunden. Eine große Vorstellung erfolgte, die Tante höchstlich langweilte. Sie war froh, als wir wieder in unserem Waggon und auf dem Wege zu dem kaiserlichen Gestüt Kladrub waren. Ich schlief in der Sakristei der Kapelle, in die das Mondlicht durch zwei hohe Fenster hereinströmte, die auf die Gärten hinausblickten. Am Morgen war ich früh auf und fuhr mit der Kaiserin nach Pardubitz, wo die Herren des Gefolges Wohnung genommen hatten. Dort wurde ich dem Fürstenpaare Fürstenberg vorgestellt. Der Fürst war Jagdleiter. Die Fürstin war früher einmal die Vertraute der Kaiserin gewesen, doch eine Spannung war zwischen ihnen entstanden, und jahrelang waren sie einander nicht mehr begegnet. Nachdem die Kaiserin die Ställe besichtigt hatte, besuchten wir den Fürsten Auersperg, bei dem ich zum ersten Male die ganze Familie Larisch sah. Mein zukünftiger Mann, Graf Georg, war damals ein scheuer kleiner Leutnant, dessen etwas einfältiges Gesicht durch Pickel nicht gewann. Meine Tante ging an diesem Abend um acht Uhr schlafen; ich zog mich in meine Sakristei zurück und schlief ausgezeichnet in den heiligen Räumen. Ich war früh auf und, von den tausend Stimmen des Morgens verlockt, schlüpfte ich in mein Reitkleid und galoppierte hinein in den jungen Tag. In der Nähe von Pardubitz traf ich 66
»Nicky« Esterhazy, der auch einen einsamen Ritt genoß, und rief ihn mit herzlichem Gruße an. Doch er erwiderte mein Willkommen nicht, sondern sagte ärgerlich: »Es ist sehr unklug von Ihnen, Baroneß, allein auszureiten. Ich muß mich über Ihr Benehmen als Begleiterin der Kaiserin wundern.« »Danke sehr,« erwiderte ich, »geben Sie acht, daß Ihr Pferd sich keinen Schnupfen holt.« Damit ließ ich ihn stehen. Ich erzählte Tante die Begegnung mit »Nicky«, aber sie lachte nur. »Warum verfolgt uns dieser zudringliche Mensch überall hin?« fragte ich. »Ach, Marie, er ist doch so nett,« war Tante Sissis Antwort. Diese Äußerung »er ist doch so nett!« war typisch für sie; sie brauchte sie immer, wenn sie von Leuten sprach, die sie gern hatte. Nach dem Dejeuner fuhren wir hinüber nach Slatinan zum Schloß des Fürsten Kinsky, wohin eine fesche Gesellschaft als Empfang für die Kaiserin geladen war. Wir wurden mit großer Zeremonie in einen weiten Saal geführt, und ich begann meine gesellschaftliche Machtstellung als Lieblingsnichte der Kaiserin zu empfinden. Man bot uns Tee an, den Elisabeth verabscheute. Sie hatte den kalten, hochmütigen Ausdruck, den sie immer trug, wenn sie im »Geschirr« war, wie sie diese Cercle nannte. So oft mein Blick den ihren traf, huschte ein kleines verächtliches Zucken über ihr Gesicht, und 67
die Teetrinkerei wurde ein ziemliches Fiasko, da die Kaiserin keine Anstalten traf, die achtungsvolle Steifheit der Gäste zu bannen. Ich saß neben Georg Larisch und kam zu der Überzeugung, daß ich meinen Lebtag keinem verzweifelter langweiligen jungen Manne begegnet war. Fast erstarrt von der eisigen Atmosphäre ringsum, war ich froh, mit Tante Sissi zu entrinnen und Fürst Kinskys berühmte Ställe zu besichtigen. Wir lobten seine Pferde und Hunde nach Gebühr und nahmen Abschied. Auf dem Heimweg fragte mich die Kaiserin: »Was hältst du von Georg Larisch?« »Ich denke, er sollte etwas gegen seine Pickel tun,« erwiderte ich; »und welch ein unzufriedener, unglücklicher Mensch scheint er zu sein!« »Georg ist der Neffe des alten Grafen Larisch,« sagte die Kaiserin, »seine Eltern sind tot. Seine Mutter war die schöne Helene Stirbey, sein Vater starb im Irrenhaus. Georg wurde von seinem Onkel Johann Larisch erzogen, und ich glaube, der arme Junge ist immer etwas zurückgesetzt worden. Er hat zwei Schwestern – Yetta, die ihren Vetter Heinrich geheiratet hat, und Mitzi, die noch nicht ›ausgeht‹. So, Marie, da hast du die ganze Familienchronik.« Tante machte eine Pause und fuhr dann sehr ernst fort: »Liebste, der Tag ist nicht fern, an dem du wirst heiraten müssen. Ich würde auf jeden Mann, der zwischen uns träte, schrecklich eifersüchtig sein, wenn er mich hindern würde, dich zu sehen, wann immer ich danach verlange. 68
Dieser harmlose kleine Larisch würde sich nie in das Tun und Lassen seiner Frau einmischen, das glaube ich bestimmt. Er wäre just der rechte Mann, an den ich dich verheiratet sehen möchte.« »Aber, Tante Sissi – ich kann doch nicht mit solchem Einfaltspinsel wie Graf Georg zusammenleben!« rief ich. »Was das anlangt,« erwiderte Elisabeth, »so kann eine Frau aus unserer Welt nur einen Einfaltspinsel als Mann brauchen. Laß den Geist von außen kommen. Also, mein Kind, überlege dir meinen Vorschlag. Wenn dir diese Ehe möglich scheint, könnte sie leicht in der nächsten Saison arrangiert werden.« Am nächsten Tage fuhren wir nach Prag, da Elisabeth die alte Kaiserin Maria Anna im Hradschin besuchen wollte. Während wir durch die Stadt fuhren, machte mich die Kaiserin darauf aufmerksam, daß ich mich zurückhaltend zu benehmen hätte, da wir die adeligen Damen vom Orden der Heiligen Theresa antreffen würden, die im Hradschin ihr Klosterleben führen. Der Zweck dieses Ordens ist der, alleinstehenden Damen vornehmer Geburt ein Heim und ein sorgenloses Dasein zu schaffen. Sie erhalten eine Flucht von Zimmern im Palast, Pension aus den kaiserlichen Küchen und Wagen und Pferde aus den Ställen. An ihrer Spitze steht immer eine Erzherzogin, die als Äbtissin das hohe Vorrecht genießt, die Königinnen von Böhmen zu krönen. Wenn der Kardinalerzbischof von Prag die Krone des Heiligen Wenzeslaus dem Kaiser von Österreich aufs Haupt setzt bei seiner Krönung zum König von Böhmen, legt die Äbtissin dieses Ordens die 69
Krone der Königin von Böhmen seiner Gemahlin aufs Haupt. Dies ist der einzige Fall, in dem eine Frau zur Ausübung voller priesterlicher Weihe von der römischkatholischen Kirche ermächtigt wird, ein Privileg, das dem Orden seit Jahrhunderten zusteht. Als wir die Equipage verließen, flüsterte Elisabeth mir zu, voranzugehen, und als ich die lange Vorhalle betrat, sah ich mich im Kreise einer Anzahl knicksender alter Damen, von denen eine mit einem großen Bukett auf mich zustürzte und mir die Hand küßte. Die Kaiserin lachte ausgelassen, doch die alten Damen erfaßten nicht recht den Witz und betrachteten mich mit so feindlichen Blicken, daß ich froh war, als ich mich in die Sicherheit unserer Gemächer geborgen hatte. Tante Sissi besuchte sofort die Kaiserin Maria Anna, und ich aß zum Abend allein in einem großen, dunklen Gemache. Ich war gerade fertig geworden, als die Tür aufging und Elisabeth mit einer sehr hageren großen Frau hereintrat. Tante gab mir ein Zeichen, näher zu kommen, und die Fremde, die niemand anderes war als die Kaiserin Maria, küßte mich. Ich entsinne mich einiger freundlicher Bemerkungen, die sie machte, dann sagte Elisabeth gute Nacht und äußerte dabei: »Träume nicht von alten Damen, Marie, sie bringen Unglück.« Ich habe zwar nicht von alten Damen geträumt, dennoch lief am nächsten Morgen die traurige telegraphische Nachricht aus Pardubitz ein, daß ein schwerer Frost eingesetzt hätte. Das machte allen Jagdplänen ein Ende: So kehrten wir nach Pest zurück, wo wir von den ent70
täuschten Herren Abschied nahmen, und dann führte uns der Sonderzug hurtig nach Gödöllö zurück. Weihnachten feierte ich mit der Kaiserin und amüsierte mich prächtig. Fest folgte auf Fest, und die glückliche, friedevolle, trauliche Stimmung der Seiertage herrschte überall. Drei große Christbäume waren mit Geschenken beladen, und Rudolf und ich teilten einen Tisch zwischen uns, der mit Bonbons überschüttet war. Ich weiß noch genau, wie er mich damit ärgerte, daß er die Ecken meiner Süßigkeiten abknabberte und sie dann in die seidenen Schachteln zurücklegte. Der Kaiser schenkte mir ein wunderschönes schwarzes Emaillekreuz mit eingelegten Diamanten, einige reizende Armbänder und niedliche Fächer. Von Tante Sissi erhielt ich traumhaste Kleider, die nur Schöpfungen eines großen Wiener Schneiders sein konnten, und last but not least erhielt ich ein großes Album mit einem Gemälde von Gödöllö auf dem Einband, das die Photographien der hervorragendsten Jagdgenossen enthielt. Nach Weihnachten kehrte ich nach München zurück. Meine Erzieherin und Papas Adjutant holten mich ab; wir unterbrachen die Reise in Wien und blieben die Nacht in der Hofburg. Viel Wasser war durch die Brücken geflossen, seit ich die Heimat verlassen hatte. Ich fühlte die große Veränderung, die mit mir vorgegangen war, und wußte, daß ich nie wieder ganz die jungenhaste offenherzige Marie von Wallersee werden konnte. Die Kaiserin beherrschte vollständig meinen Sinn. Ich wußte, daß ihr Einfluß mich nicht nur zu meinem Vorteil verändert hatte, und konnte 71
dennoch ihrem Charme nicht widerstehen. Und in dem Bewußtsein, meilenweit von ihr entfernt zu sein, tat mir das Herz vor Sehnsucht nach ihr weh, und nur der eine Wunsch, sie wiederzusehen, beseelte mich. Zu Beginn des Jahres ging ich auf meinen ersten Ball. Mein herrliches weißes Spitzenkleid mit Rosengirlanden war ein Geschenk der Kaiserin. Der bloße Anblick ihrer Handschrift stimmte mich traurig, und ich verabscheute die braven Biederleute, mit denen ich in Berührung kam. Dann blitzte der Gedanke in mir auf, daß Elisabeth mich vielleicht nur ihren Verluft empfinden lassen wollte, damit ich selbst den Weg zu ihr zurückfände, plötzlich erinnerte ich mich ihrer Worte auf der Rückfahrt vom Fürsten Kinsky. Vielleicht ging der Weg aus meinem Kummer über die Ehe mit Georg Larisch. War ich erst einmal mit ihm verheiratet, dann hatte niemand mehr mir Vorschriften zu machen. Ich konnte Tante Sissi besuchen, so oft sie es wünschte, und meine rasch Reisende Lebenserfahrung sagte mir, daß ich ihr als Gräfin Larisch vielleicht nützlicher sein konnte, denn als ihre kleine unverheiratete Nichte. In diesem Jahre traf ich die Kaiserin in Feldafing, aber diesmal begleitete sie die Gräfin Festetics. Der Grund wurde bald klar, da die Gräfin mit der Familie Larisch sehr befreundet war. Tante Sissi sprach von meiner Heirat, und ich war über das Wiederseben so glücklich, daß ich den Teufel in eigener Person genommen hätte, wenn sie es gewünscht haben würde. »Ich wünsche, daß du die Gräfin nach Solza begleitest und eine Woche bei den Larischs bleibst,« sagte sie mir. 72
»Dann könnt ihr beide zu mir nach Gödöllö kommen.« Die Gräfin Festetics und ich blieben zwei Tage in Wien, ehe wir nach Solza fuhren, wo ich enthusiastisch empfangen wurde und eine sehr glückliche Zeit verlebte. Ich zeigte mich von meiner besten Seite, und es entging mir nicht, daß die ganze Familie in Georgs Heirat mit mir einen großen Schritt der Erhebung der Larischs zu fürstlichem Range erblickte. Ich war viel mit Georg zusammen, der sich bei seinem Oheim aufhielt, und fand ihn noch immer langweilig und uninteressant genug. Aber, überlegte ich, welche Frau heiratet ihr Ideal! Ideale sind im Leben sehr unbequem. Und die Liebe – die ist in der Ehe nicht immer wünschenswert; denn wo Liebe ist, ist auch Eifersucht, und die bringt Pein. Es ist sicherlich viel besser, man hat sich gern und liebt sich nicht, und ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich Georg nicht ungern mochte. Schließlich ist er einer von den erträglichen Alltagsmenschen. Graf Heinrich Larisch allein war mir gegenüber ehrlich. »Ich weiß« sagte er, »daß die Kaiserin Sie und meinen Vetter verehelicht zu sehen wünscht; ich halte es aber für meine Pflicht, Ihnen nicht vorzuenthalten, daß eine solche Heirat nicht zum Glück ausschlagen wird. Georg ist ein Sonderling voller Launen und ein Dickkopf.« »Tante Sissi wünscht es,« erwiderte ich halsstarrig. »Und ihr Wunsch ist mein Wunsch.« Als daher Georg mir noch am nämlichen Tage seinen Antrag machte, nahm ich seine Werbung an. Doch als er 73
mich küßte, hielt ich still wie ein Opferlamm und weinte, als ich mich der Worte meiner Heldin erinnerte: »Der Dienst bei mir ist nicht leicht.« Ach, ich begann schon seine Bürde zu fühlen! Als Braut des Grafen Larisch kehrte ich nach Gödöllö zurück. Und die ungeheuchelte Freude der Tante versöhnte mich etwas mit meinem Geschick. Nach dem Wunsche der Kaiserin sollte die Hochzeit in sechs Wochen stattfinden. So lebte ich in einem Wirbel nicht unangenehmer Aufregungen, denn welches junge Mädchen kann dem Zauber einer märchenhasten Aussteuer widerstehen? Meine Eltern kamen nach Gödöllö, doch sie nahmen nicht tätig teil an den Vorbereitungen zu meiner Hochzeit. Tante Sissi sorgte für alles. Aus Wien kam der geradezu kaiserliche Trousseau; Franz Josef schenkte mir die kostbarsten Spitzen für mein Brautkleid, und die Kaiserin bescherte mir ein wunderbares Perlenhalsband. Ich wurde mit wertvollen Geschenken überschüttet, und alle gratulierten mir. Nur einer nicht. Dieser eine war Graf Nikolaus Esterhazy, den ich eines Tages zufällig allein traf. Er blickte mich mit tiefster Verachtung an und sagte mit brutaler Offenheit: »Baroneß, ich kann Ihnen nicht Glück wünschen. Ich habe keine Achtung vor einem Mädchen, das sich an einen Affen verkauft.« Dies waren die letzten Worte, die Nikolaus Esterhazy damals an mich gerichtet hat, denn wo und wann ich ihm auch immer später begegnete, nahm er niemals die geringste Notiz von mir. 74
Am Abend vor meiner Hochzeit veranstaltete die Kaiserin mir zu Ehren eine Soiree. Gerade als ich die Treppe herabkam, begegnete ich dem Kronprinzen Rudolf, der hinaufging. Er blieb stehen und sagte mir, daß er gerade mich suche. »Ich habe etwas für dich, hier ist es.« Mit diesen Worten reichte er mir ein flaches Maroquinetui. »Öffne es,« fügte er hinzu, »und sage mir, ob mein kleines Souvenir dir gefällt.« Ich öffnete das Etui, das eine Brosche mit einer riesigen schwarzen Perle enthielt. Ich erschrak heftig, denn ich habe immer ein Bangen davor gehabt, schwarze Perlen zu tragen. »Nanu, bist du etwa ebenso abergläubisch wie Mama?« fragte mein Vetter. »Meine liebe Marie, du selbst machst dich unglücklich fürs ganze Leben durch diese närrische Heirat. Meinst du nicht auch im Grunde deines Herzens, daß es eine ganz verrückte Idee ist? Sicher tust du es nur Mama zu Gefallen.« Rudolf sprach so ernst, daß ich ihm sein offenes Wort nicht übelnehmen konnte. »Es ist jetzt zu spät, die Dinge ungeschehen zu machen,« erwiderte ich. »Nun, jedenfalls gib meiner schwarzen Perle nicht die Schuld,« erwiderte er. Auf der Soiree versammelten sich die Hochzeitsgäste. Unter ihnen war der Graf und die Gräfin Julius Andrássy mit ihrer Tochter Eleonore, Fürst Kinsky und Fürst Auersperg, die Georgs Brautführer waren, und meine Brautjungfern Finchi und Mitzi Larisch. 75
Onkel Nando war natürlich auch dabei. Er liebte Familienfeste leidenschaftlich, weil es dabei viel und gut zu essen gab und auch weil sie ihm Gelegenheit boten, seine ehrwürdigen Witze ahnungslosen Gästen zu versetzen. Ich freute mich aber doch, sein fröhliches Gesicht zu sehen, denn mir war sehr weh zumute, und schließlich war er doch sehr liebenswürdig und weit mehr Mensch, als so mancher unter den übrigen Gästen. Die süße kleine Valerie erstickte mich mit ihrer Zärtlichkeit, und Tante Sissi brachte mir mehr Innigkeit entgegen, als ich ihr zugetraut hätte. Und doch wünschte ich, ich könnte erwachen und erkennen, daß alles nur ein Traum war. Doch mein Hochzeitstag brach an, und ich wußte, daß ich der Wirklichkeit des Lebens ins Auge schauen mußte. Es war der 20. Oktober 1877, einer jener Tage voll herbem Herbstduft. Es war mir nicht beschieden, in der Jahreszeit zu heiraten, in der die Welt schwelgt im Überschwange des Frühlings. Keine Braut des Sommers sollte ich sein, die auf einem Teppich von Rosen wandelt und den Glanz der Liebe und der Sonne rings um sich fühlt. Ich wurde in dem Monat verheiratet, der den Stempel des Vergehens auf die letzten purpurgelben Blätter drückt und sie zur Erde wirbelt. Keine Sommersonne leuchtete mir. Es war die Jahreszeit der leidenden Hoffnungen, und die letzten Rosen hatten frühe Fröste erstarrt, Boten des nahenden Winters. Fast mechanisch ließ ich mir das Brautkleid aus weißer Seide anlegen und die Orangeblüten wie ein Diadem ins Haar stecken. Mein Spitzenschleier war mit Diamantnadeln befestigt, und äußerlich schien ich eine 76
glückliche, junge Braut. Die Trauung vollzog ein ungarischer Bischof in der Privatkapelle von Gödöllö, dann folgte ein opulentes Diner, dem Onkel Nando alle Gerechtigkeit widerfahren ließ. Mein Kleid war so eng, daß ich nichts zu essen wagte; ich war sehr froh, als ich es mit einem bequemeren Reisekostüm vertauschen durfte. Endlich nahte die Stunde unserer Abreise nach Wien. Der Kaiser küßte mich herzlich und wünschte mir viel Glück. Meine Eltern boten mir den althergebrachten Familienabschiedsgruß, Onkel Nando hielt eine scherzhaste kleine Rede, dann trat Tante Sissi, bleich, aber engelhast schön, auf mich zu und schloß mich in die Arme. Wir hielten uns wortlos umschlungen, ohne Rücksicht auf die Anwesenden. Die Kaiserin weinte bitterlich. Vielleicht empfand sie im Augenblick des Abschieds Mitleid mit mir in dem Bewußtsein, wie blind ich ihrem Wunsche, Georg Larisch zu heiraten, gehorcht hatte. Ich weiß es nicht genau, aber ich möchte es doch wenigstens gern glauben …
77
Fuenftes Kapitel
W
ir verbrachten die Flitterwochen in Paris; wie manche andere Hochzeitsreise war es keine Glücksfahrt, doch mein Verstand sagte mir, daß ich nichts anderes zu erwarten berechtigt war. Ich hatte den Grafen Georg Larisch lediglich geheiratet, weil es Tante Sissi paßte, und mein Hauptreiz in seinen Augen war mein nahes Verwandt-schaftsverhältnis zu der Kaiserin von Österreich. Ich war durchaus darauf gesaßt, nicht glücklich, aber ich war nicht darauf vorbereitet, gepeinigt zu werden. Doch in dieser ersten Zeit kamen bei Georg viele jener Eigentümlichkeiten zum Vorschein, vor denen sein Vetter mich gewarnt hatte. Von Paris gingen wir nach London, die Kaiserin zu erwarten, die Combermere Abbey gemietet hatte und dort zu jagen beabsichtigte. Wir nahmen im Claridge Wohnung, das damals ein dunkles, unbequemes Gasthaus und nicht wie jetzt ein Hotel mit prächtigen, schönen Zimmern war. Bei unserer Ankunft fanden wir den König und die Königin von Neapel dort vor. Ich war außer mir vor Freude, Tante Sophie zu sehen, denn sie hatte mir immer große Liebe und Güte erwiesen. Ich glaube, sie war eigentlich schöner 78
als ihre Schwester Elisabeth, die sie in lächerlicher Weise kopierte. Ihr ausgeprägtester Charakterzug war ihre ungewöhnliche Gutmütigkeit. Die Königin hing sehr an meinem Vater und liebte meine Mutter innig, und da sie eine vernünftige lebensfrohe Frau war, verbrachte ich angenehme Tage mit ihr in London. Nach unserer Ankunft hatte ich eine oder zwei bittere Szenen mit meinem Manne. Nichts konnte ich ihm recht tun. Erst weinte ich, dann wurde ich heftig. »Wie töricht war ich, nicht auf Heinrich zu hören, als er mir abriet, dich zu heiraten!« flammte ich eines Tages auf. »Wie töricht war ich, die Ehre meiner Familie durch die Ehe mit der Tochter einer Schauspielerin zu schänden!« gab er mir zurück. Diese Schmähung meiner geliebten Mutter machte mich rasend, und ich gab ihm eine unbeherrschte Antwort. »Mein Onkel trägt an allem die Schuld,« tobte Georg. »Sein blinder Ehrgeiz ging darauf hinaus, mit dem Kaiserhause verwandt zu werden; mein eigenes Wohl war ihm völlig gleichgültig.« Meinen Mann verfolgte die Angst vor Anzeichen der Geisteskrankheit seines Vaters; in müden Stunden pflegte er mich anzuflehen, ihn nicht zu verlassen, wenn er jemals Symptome des Wahnsinns zeigen sollte, und vor allem, ihn niemals in ein Irrenhaus zu sperren. Ich konnte diese Furcht niemals verstehen, vielleicht deswegen nicht, weil ich dem Wahnsinn gegenüber stumpf geworden war durch die Erfahrung, wie plötzlich er die Habsburger 79
und meine eigenen nahen Verwandten des bayrischen Königshauses überfiel. Graf Georg und ich empfingen die Kaiserin am Bahnhof; sie küßte mich immer und immer wieder, dann fuhren wir ins Claridge zurück, wo eine große Flucht von Zimmern für sie reserviert war. Nachdem sie eine Weile mit der Königin von Neapel geplaudert hatte, ließ sie mich rufen. Als ich eintrat, betrachtete Elisabeth mich mit einem sonderbar zynischen Blick. Dann sagte sie ohne Einleitung: »Nun, … wie verträgst du dich mit Georg?« »Wie ich mich mit ihm vertrage?!« – da brachen meine zurückgedämmten Gefühle hervor, und ich sagte ihr alles. Die Kaiserin hörte aufmerksam zu und meinte dann: »Schade, daß er so diffizil ist. Jedenfalls, mein liebes Kind, mußt du gute Miene zum bösen Spiel machen. Zank dich nicht mit ihm und – amüsiere dich nach Kräften.« Sie zog die Schultern hoch, während sie sprach, und ich konnte sehen, daß Georg für sie abgetan war. Elisabeth hatte ihren Hofstaat mitgebracht. So traf ich meine früheren Bekannten wieder: die Fürstin Fürstenberg, Gräfin Festetics und Dr. Wiederhofer. Die Kaiserin machte und empfing viele Privatbesuche, und als ich die schöne Prinzessin von Wales das erstemal sah, teilte ich vollkommen die Wertschätzung meiner Tante. Die verstorbene Herzogin von Teck, eine hübsche, stattliche Frau, besuchte Elisabeth mit ihren Kindern; ich entsinne mich der jetzigen Königin von England als 80
eines niedlichen kleinen Mädchens. Ihre Brüder waren schmucke Jungen. Eines Tages forderte die Kaiserin mich auf, sie nach Windsor Castle zu begleiten. Tante Sissi, die Königin Viktoria als Herrscherin sehr bewunderte, bedauerte die Langeweile ihres Hofes und die etwas aufdringliche Einfachheit, die den Thron umgab. Sie empfand es daher, glaube ich, heimlich recht angenehm, daß unser Ausflug nach Windsor auf einen Nachmittagsbesuch beschränkt blieb. Eine königliche Equipage erwartete uns am Bahnhof und brachte uns zu dem Schlosse, wo ich lange Zeit in einem sehr prunkvollen Gemach allein blieb, bis endlich die Königin und die Kaiserin zusammen eintraten. Mir drängte sich der Gegensatz zwischen den beiden Damen auf. Elisabeth trug ein dunkelblaues, pelzverbrämtes Sammetkleid, eine Schöpfung der Rue de la Paix. Ihr Hut war ein Meisterwerk mit sanft schimmernden, irisierenden Federn. Königin Viktoria war beleibt und untersetzt. Sie trug ein bauschiges, schwarzes Seidenkleid, das zum Teil durch einen geschmacklosen indischen Schal verdeckt wurde. Eine enorme weiße Witwenhaube thronte auf ihrem Kopfe. Aber alles dies konnte ihrer angenehmen anheimelnden Erscheinung keinen Abbruch tun. Als die Königin das Zimmer betrat, stand ich auf und machte eine tiefe Verbeugung. Tante Sissi wandte sich ihr zu und sagte; »Das ist meine Nichte, die Gräfin Georg Larisch.« Worauf Königin Viktoria mir die Hand zum Kusse bot 81
und einige freundliche Gemeinplätze äußerte. Hierauf nahmen wir Abschied. Elisabeth einziges Kommentar über diese Begegnung war ein langes: »Ah … Gott sei Dank, daß es vorüber ist!« Einige Tage nach unserem Besuch kam Rudolf an. Eines Abends gingen wir mit ihm zu einem Empfang beim Grafen Deym von der österreichischen Botschaft, einem Verwandten meines Mannes. Bei Tisch saß ich neben Lord Beaconsfield, der nur von seinen Büchern sprach und durchaus wissen wollte, wie sie mir gefielen. Er erwies sich als ein hervorragend kluger Mann, der gern im Rampenlicht lebte. Zu meiner Rechten saß Fürst Radolin, und nach Tisch sagte der Prinz von Wales, der Lord Beaconsfield und mich beobachtet hatte) zu Radolin: »Diese kleine Gräfin hat Beaconsfield erobert.« »O,« erwiderte Radolin, laut genug, daß ich es hören konnte, »die Gräfin wird noch manchen erobern.« Der Prinz lächelte und kam zu mir herüber. »Sie haben mich schon entzückt,« sagte Seine Königliche Hoheit, wandte sich bei diesen Worten an Rudolf und meinte lachend: »Ich wünsche, ich hätte eine so hübsche Cousine.« Georg Larisch, der diesen kleinen Scherz mitangehört hatte, zog mich ohne Rücksicht auf den Prinzen fort. »Du solltest dich schämen, Marie,« sagte er ärgerlich, »du benimmst dich wie ein bayrisches Bauernweib.« »Du Arme … das Schlimmste ist ein eifersüchtiger Eheherr,« lachte Rudolf, als er mit dem Prinzen von Wales davonging. 82
Ich war auf Georg wütend, und der hübsche Abend war mir vollständig verdorben. Später schlug Rudolf, der in einer verteufelten Stimmung war, mir vor, mit ihm in einer Droschke ins Hotel zu fahren; doch mein Mann wollte hiervon nichts wissen, so mußte ich die langweilige Fahrt mit ihm zusammen machen. Eines Abends gab die Kaiserin ein Diner, zu dem der Prinz von Wales und der Herzog von Teck erschienen. Ich saß zwischen beiden. Der Herzog, der Hochländerkostüm trug, dünkte mich, trotz seines hübschen Äußeren, der Stumpfsinn in Person. Ich war sehr abgespannt, denn ich war den ganzen Tag mit Tante Sissi draußen auf dem Lande gewesen. Der Prinz von Wales, der meine Müdigkeit merkte, riet mir, ein großes Glas Whisky und Soda zu trinken, das würde mich sofort ermuntern. Er war sehr galant und plauderte launig, so daß ich einen sehr unterhaltsamen Abend verlebte. Nach dem Diner gab es einen kleinen Ball. Ich tanzte zwei- oder dreimal mit dem Prinzen, und als ich später Tante Sissi gute Nacht wünschte, sang ich das Lob des Thronfolgers in allen Tonarten. »Du, du«, drohte Elisabeth, »der Prinz von Wales ist gefährlich! Hüte dich, Marie!« Doch das war natürlich nur ein Scherz. Am folgenden Tage verließen wir Claridge Hotel und fuhren nach Combermere Abbey, wo Kapitän Middleton uns empfing. Graf Larisch und ich schlugen unser Quartier in einem grausigen Hotel in Whitchurch auf. Graf Kinsky und seine Pferde waren schon in der Stadt untergebracht, und jeden Tag fuhren wir in einer 83
Dogcart zum Besuch der Kaiserin hinüber. Bald darauf begann die Jagd. Da wir mit dem Gelände nicht vertraut waren, folgten die Kaiserin und ich immer der Führung Middletons, und einmal, als Tante Sissi die Verfolgung aufgab, stürmte ich mit »Rotkopf« weiter und gewann die Fuchsrute. Zu Mittag speisten wir stets in Combermere, und ich werde nie vergessen, wie reizvoll Elisabeth in den schwarzen oder weißen Sammetgewändern aussah, die sie immer trug. Eines Tages ritten Tante und ich allein mit Kapitän Middleton aus. Ich ritt eins von Elisabeths Jagdpferden, und als wir eine gute Strecke zurückgelegt hatten, gebot mir die Kaiserin, nach Combermere zurückzukehren. »Ich will die Stute morgen reiten,« sagte sie, »sie darf heute nicht übermüdet werden.« »Aber Majestät,« wandte »Rotkopf« ein, »die Gräfin kann den Rückweg unmöglich allein finden!« »So sagen Sie ihr Bescheid,« erwiderte Elisabeth in einem Tone, der jede weitere Erörterung abschnitt. Der Kapitän gab mir also einige verwirrende Anweisungen, welche Wege ich einschlagen sollte, und natürlich verlor ich die Richtung. Als die Dämmerung fiel, wurde ich gewahr, daß ich mich verirrt hatte. Da es rasch dunkel wurde, fragte ich in einem Hause nach dem Wege, und als ein diensteifriger Junge mich auf die Chaussee führte, hörte ich Hufschläge und erkannte »Rotkopf«, der auf der Suche nach mir war. Er war ganz außer Atem und sehr entrüstet. »Es war höllisch blöde von ›Ihr‹, Sie fortzuschicken,« waren seine ersten Worte. Doch ich erwiderte, daß es mir 84
eigentlich Vergnügen gemacht hätte, da es für mich eine neue Sensation sei, mich in England zu verlaufen. Als ich heim kam, fand ich den Grafen Larisch in allerschlechtester Stimmung. Ich wagte daher nicht, ihm zu sagen, daß Tante mich allein nach Hause geschickt hatte. Er wütete und wollte von Erklärungen nichts wissen. »Diese kaiserliche Sklaverei muß ein Ende haben,« schrie er, »die Kaiserin ist mir widerwärtig. Ich werde nicht dulden, daß meine Frau in ihre Intrigen verwickelt wird. Du wirst deiner Tante ein für allemal sagen, daß ich nicht gesonnen bin, dich nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Dein Platz ist bei mir; ich beabsichtige, sofort nach Hause zurückzukehren.« Ich war außer mir vor Bestürzung, als ich erkannte, daß er wirklich meinte, was er sagte. Das also war das Ende aller meiner Hoffnungen und der Pläne der Kaiserin! Das war unser ungestörtes Zusammensein! So entpuppte sich Georg Larisch, der zu meinem Gatten erwählt worden war wegen seiner scheinbaren Willfährigkeit! Eine Woge verzweifelten Ärgers wallte über mich hin. Ich war zwecklos auf dem Altar einer liebelosen Ehe geopfert worden; mir war zumute wie einem Gefangenen, der keinen Weg zur Freiheit sieht. Ich setzte die Kaiserin von dem Wutausbruch des Grafen in Kenntnis, doch zu meiner starren Überraschung ermunterte sie mich nicht zur Empörung. »Sag’ ein Wort!« rief ich, »und ich werde Georg für immer verlassen.« »Nur keinen Skandal,« erwiderte sie, »am Ende ist es vielleicht das Beste, daß er dich fortnimmt.« 85
»Aber, Tante Sissi,« schluchzte ich – all meine Tapferkeit schwand dahin – »ich habe ihn doch nur geheiratet, um immer in deiner Nähe zu sein!« »Der Mensch denkt und Gott lenkt,« entgegnete sie lakonisch. Und ich kehrte unglücklich und zerschlagen in das Hotel zurück. Wenige Tage nach der Unterredung mit der Kaiserin fuhren wir nach Wien. Bei meinem Abschied von ihr schien sie tief gerührt. »Sei nicht so traurig, liebes Kind,« tröstete sie, »wir werden uns ja wiedersehen, und vielleicht wird Georg in anderen Dingen gefügiger sein, wenn er in dieser Angelegenheit seinen Willen durchsetzt.« Doch Georg blieb fest bei dem Entschlusse, mich von Elisabeth zu trennen und zwang mich, fast immer in Pardubitz zu wohnen, wo er ein Schloß gekauft hatte. Dort verbrachte ich eine stille, ereignislose Zeit, in der zwei meiner Kinder geboren wurden, und erst unsere Reise nach Baden-Baden brachte wieder etwas Abwechslung in mein leeres Leben. Die Stadt feierte das Jubiläum der großen Rennen. Ich traf dort eine Menge meiner früheren Bekannten. Mein erster Besuch galt der Herzogin von Hamilton, einer Schwester der Großherzogin von Baden. Ich hatte die Herzogin sehr gern, traf bei ihr auch deren reizende Tochter Marie, die jetzige Gräfin Festetics de Tolna, die aber damals mit dem Fürsten von Monaco verheiratet war. Eine Engländerin maßte sich die erste Rolle bei allen gesellschaftlichen Veranstaltungen an. Wir waren vom 86
ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an Rivalen. Diese Dame war die Herzogin Louise von Manchester, die »doppelte Herzogin«, wie ich sie habe nennen hören, nachdem sie auch Herzogin von Devonshire geworden war. Aus irgendeinem Grunde hatte die Herzogin eine Antipathie gegen mich, und da sie eine sehr böse Zunge hatte, ging sie mit mir nicht gerade gelinde um, so oft ich den Gegenstand der Unterhaltung bildete. Der Prinz von Wales war damals in Baden-Baden. Und da Seine Königliche Hoheit sich freute, unsere alte Bekanntschaft zu erneuern, verbreitete die Herzogin allerhand Skandalgeschichten über unsere unschuldige Freundschaft. Der Prinz veranstaltete einen sehr lustigen Maskenball, zu dem alle Gäste als Bedienstete verkleidet erschienen. Er selbst ging als Küchenchef mit der vorschriftsmäßigen Mütze und Schürze und überreichte allen Damen reizende Erinnerungsgaben. Ich erhielt ein goldenes Kettenarmband mit einem Pferdehuf aus Rubinen. Die Herzogin beobachtete mich die ganze Zeit und äußerte in der gehässigen Absicht, daß ich es hören sollte: »Die Gräfin hat offenbar Flirtunterricht bei ihrer Tante, der Kaiserin, erhalten.« Ich wiederholte dem Prinzen diese Worte. Er lachte und riet mir, der neidischen Dame keine weitere Beachtung zu schenken, die in noch hellere Wut geriet, als sie sah, wie Seine Königliche Hoheit mir den Arm reichte und mit mir im Tanzsaal auf und nieder schritt. Der Herzogin verbreitete auch die Mär, ich wechselte meinen Hut dreimal während der langen Fahrt 87
zum Rennplatz, um dadurch kundzutun, daß ich kein Kleidungsstück länger als eine Viertelstunde trüge. Sie wollte auch wissen, daß ich mir das Haar färbe, und daß es zum größten Teile falsch sei. Das machte mir viel Spaß, und eines Abends erschien ich bei einem Balle, mein üppiges blondes Haar in zwei schlichte, schleifengeschmückte Zöpfe geflochten, die mir tief unter die Hüften herabfielen. So wurde die Behauptung der Herzogin durch den Augenschein widerlegt. Zwei Winter verlebte ich in Mentone, wo wir die Villa Michel mieteten. In dem einen Jahre wohnte König Albert von Sachsen und Königin Carola im Hotel Angleterre. Sie begegneten mir sehr liebenswürdig, ich mußte jeden Nachmittag mit ihnen ausfahren und am Sonntag mit ihnen die Messe besuchen. Den König nannte ich Onkel, die Königin »Tante« Carola. Es waren zwei liebe Menschen, die man auf ihren Spaziergängen für ein biederes Professorenpaar hätte halten können, denn sie sahen durchaus nicht »königlich« aus. Es gab damals einigen Ärger über die Beziehungen der Hofdame der Königin zu dem Kammerherrn. Doch Königin Carola brach jedem Skandal über die Folgen die Spitze ab, indem sie darauf bestand, daß die Leutchen sich sofort heirateten. Mein Mann unterhielt eine Wohnung in Wien, Praterstraße 38, und unser gelegentlicher Aufenthalt dort hat zu der absurden Fabel Anlaß gegeben, daß wir in einem Schloß wohnten und während der Saison große Gesellschaften veranstalteten. Wir hatten die Wohnung nur zwei Jahre und erneuerten den Mietsvertrag nicht. Wenn ich später nach Wien kam, wohnte ich stets im 88
Hotel. Ich ging viel in Gesellschaft, und wenn die Kaiserin in der Hofburg anwesend war, konnte Graf Larisch mich nicht verhindern, dauernd um sie zu sein. Die Hofburg ist ein unförmlicher, höchst ungemütlicher Bau, doch die Zimmer der Kaiserin heimelten sehr an. Sie hingen durch einen Gang und eine Treppe mit einer Art Anbau zusammen, der im übrigen ganz getrennt lag von den Gemächern der Kaiserin. Hier wohnte ihr Vorleser. Die Hofdamen waren in einem anderen Teile der Hofburg untergebracht. Tante Sissis Salon war ganz in Weiß gehalten; daran schloß sich ein unbehagliches Eßzimmer, und dann kam ein Boudoir, das eine Studie in Rot darstellte. Ihr Ankleidezimmer enthielt einen sehr großen Toilettetisch mit einem wahren Schatz von Kristall und Silber. Dahinter lag ein Raum, der mit aller Art gymnastischer Geräte ausgestattet war. In diesem Zimmer nahm die Kaiserin Fechtunterricht; sie sah allerliebst aus in dem kurzen, grauen Rock und dem kleinen Panzer. Ihr Lehrer war der Sohn des Herrn Schültzer, meines alten Fechtmeisters aus München, und gut wie sie alles tat, was sie ernsthaft betrieb, focht sie auch ausgezeichnet. Diese Übung ersetzte ihr den Zirkustick; auch sagte Elisabeth, die damals an Ischias litt, nicht mehr so eifrig wie früher. Des Kaisers Zimmer lagen weit von denen Tante Sissis entfernt, vor ihren Türen standen immer Wachtposten. Franz Josef, der in seine Frau sehr verliebt war, mußte sich ihr fernhalten, wenn Elisabeth 89
ihre Trübsinnsanwandlungen hatte, denn dann duldete sie keinen um sich, außer den Personen ihrer nächsten Umgebung. Die Kaiserin gab entzückende kleine späte Soupers zu einer Zeit, zu der die meisten ehrsamen Bewohner der Hofburg längst im Schlummer lagen. Ich verlebte sehr glückliche Abende bei diesen Anlässen und begegnete auch auf einem dieser Soupers wieder dem Grafen Herbert Bismarck, der damals Attaché in Wien war. Elisabeth fühlte sich zu dem Grafen hingezogen, mißbilligte aber seine Aufmerksamkeiten mir gegenüber, bis ich ihr verriet, daß ich in Kissingen seine Jugendliebe gewesen war. Die Kaiserin war sehr abergläubisch, und manchmal, wenn ich den Wiener Klatsch erschöpft hatte, schlug sie ein Weißei in ein Glas Wasser, und wir versuchten gemeinsam, Vorbedeutungen aus den Gestalten herauszulesen, die es annahm. So oft Elisabeth eine Elster sah, machte sie drei Verbeugungen vor ihr, und bei Neumond flehte sie um die Erfüllung langgehegter Wünsche. Die Kaiserin glaubte fest und steif an die Schutzgewalt des kalten Eisens und ging niemals an Nägeln oder verlorenen Huf-eisen vorüber, ohne sie aufzuheben. Vor dem bösen Blick hegte sie eine unbändige Angst und fürchtete den unheilvollen Einfluß derer, die ihn besaßen. Einmal besuchte Tante Sissi inkognito eine Kartenlegerin; doch sie weigerte sich, über die Enthüllungen der »Seherin« Mitteilungen zu machen und sagte nur, daß sie ihr prophezeit habe, sie würde nicht in ihrem Bette sterben. 90
»Und das ist sehr wahrscheinlich,« meinte sie, »denn wenn Valerie erst erwachsen ist, werde ich in ferne Weltteile reisen, und einmal werde ich nicht wiederkehren.« Ich liebte sie stets in ihrer Unterhaltung, wenn sie die echte Elisabeth mir gegenüber war und zog ihre Melancholie ihrer erheuchelten Fröhlichkeit vor. Tante verabscheute Menschen, die ihr schmeichelten, und da ich mir dies nie zuschulden kommen ließ, kamen wir recht gut miteinander aus. Die Speichelleckerei ihrer Familie irritierte sie immer, und oft zankte sie sich mit ihren Schwestern. »Ich wünsche, ich wäre auf der Straße geboren und hätte meine Familie nie gekannt!« rief sie einmal. Bisweilen kam ein unnatürlicher Haß gegen ihre Kinder über sie. »Kinder sind der Fluch der Frau, denn sie vernichten ihre Schönheit, und sie ist die beste Gabe der Gottheit,« sagte sie einmal zu mir. Oft fand ihre Verachtung ihrer hohen Stellung Worte. »Was hat man davon, heutzutage Kaiserin zu sein!« bemerkte sie voll Bitterkeit. »Man ist nur eine Anziehpuppe. Ah, wie gern hätte ich im alten Rom geherrscht! Die Kaiserinnen vergangener Tage wußten noch, was Tiefe des Lebens und der Liebe ist. Ihr Dasein war nicht grau und trübe, wie das meine, das von einem Wall von Etiketten ummauert ist. Jene Frauen herrschten über wahre Männer, und ich beneide noch die Schlimmste unter ihnen.« Ihre Bernsteinaugen leuchteten auf bei diesen Worten, und ich konnte sehen, daß die Phantasie sie weit fort führte von dem starren Zwange des kaiserlichen Österreich 91
zu dem bebenden, leidenschaftlichen Leben des kaiserlichen Rom. »Doch einmal wird die Zeit meiner Freiheit kommen,« fuhr sie, in Sinnen verloren, fort. »Bisweilen, Marie, glaube ich, daß ich verzaubert bin, und daß ich nach meinem Tode in eine Möwe verwandelt werde und über die weiten Flächen des Ozeans schweben oder auf dem Gipfel einer ragenden Klippe nisten werde. Dann werde ich, die enggebundene Elisabeth, endlich frei sein, denn meine Seele wird den Weg aus der Gefangenschaft finden. Sollte es mir beschieden sein, alt zu werden, wird niemand jemals mein Gesicht sehen. Wenn mich einmal die Zeit berührt hat, werde ich mich verschleiern, und die Leute werden von mir sprechen als von »der Frau, die einst war«. Dieser seltsamen Idee war wohl auch die Abneigung der Kaiserin gegen das Photographieren zuzuschreiben, denn nur höchst selten ließ sie sich bewegen, einem Photographen zu sitzen. Tante war außerordentlich gütig, und solange sie nicht beleidigt wurde, begegnete sie jedem mit herzlichster Teilnahme. Es war aber immer sehr schwierig, ihr wahres Gefühl zu durchschauen, und immer hatte ich das Empfinden, sie sage niemals ihre wahre Meinung. Elisabeth betonte stets den Mut ihrer Überzeugungen. »Was ich ohne Scheu tue, darüber brauchen andere sich nicht zu entrüsten,« sagte sie oft. »Liebe ist keine Sünde,« äußerte sie häufig. »Gott hat die Liebe geschaffen, und jeder hat seine eigene Moral. Solange man mit seiner Liebe keinen Dritten 92
verletzt, sollte niemand sich zum Richter über sie aufwerfen.« Elisabeth charakteristischster Zug war ihr Stolz und die Verachtung des Lebens, das sie zu führen gezwungen war. War ihr Zorn einmal entflammt, so vergab sie nie. Erklärungen und Reue waren gleich zwecklos. Die Kaiserin blieb absolut unversöhnlich, der Beleidiger war für sie tot. Dieses Schicksal sollte auch ich selbst erfahren.
93
Sechstes Kapitel
I
ch traf Rudolf bisweilen in der Hofburg, doch wir sprachen immer nur flüchtig miteinander, und da er gewöhnlich seine eigenen Wege ging, begegnete ich ihm selten an dritten Orten. Der Kronprinz war viel gereist und hatte rasch den Zauber seiner Persönlichkeit, seine Klugheit und leider auch die Entartung zur Reise gebracht, die unglücklicherweise so viele männliche Mitglieder des Hauses Habsburg gezeichnet hat. Um diese Zeit begann die Kaiserin ihre Biographie zu schreiben. Das Werk wurde in den Kellern der Hofburg gedruckt und der Satz später vernichtet. Zwei Abzüge dieser hochinteressanten Autobiographie sind erhalten und liegen in sicheren Händen. Doch in den nächsten fünfundvierzig Jahren kann das Werk nicht veröffentlicht werden. Kurz nach der Geburt meiner Tochter Marie machte die Kaiserin mir eines Abends um neun Uhr einen unerwarteten Besuch in der Praterstraße. Bei ihrem Eintritt ins Haus stieß sie auf die Amme des Kindes, eine feiste Böhmin in kurzem Rock und Nachtjacke. Die arme Frau litt an einem argen Schnupfen und hatte ihre Nasenlöcher mit Watte verstopft, um das Kind nicht anzustecken. Sie 94
wollte gerade mit einer Lampe in ihr Zimmer gehen. Elisabeth erklärte, sie habe die Amme für einen Geist gehalten und neckte mich später oft mit der Frage, ob ich immer meine Kinder von Geistern säugen ließ. Der wahre Grund ihres Besuches war die Mitteilung, daß Rudolf bald auf die Suche nach einer Frau ausziehen sollte. Uns tat schon heute die Prinzessin leid, die die Ehre seiner Wahl treffen würde. Elisabeth gab sich keinen Täuschungen über ihres Sohnes Haltlosigkeit hin, und wir wußten beide, daß nur eine Frau von ungewöhnlichem Takte fähig sein würde, sich seine Liebe oder auch nur seine Neigung zu bewahren. Zuerst wandte er sich nach Dresden, da Prinzessin Mathilde von Sachsen als eine Sicherheitskette für meinen flatterhasten Vetter betrachtet wurde. Mathilde sah in jenen Tagen ganz gut aus. Doch Rudolfs kunstsinnigem Blick entgingen die ersten Anzeichen des Embonpoints nicht, der sich seitdem so erfolgreich entwickelt hat; er empfand, daß er die Zukunft an der Seite einer solchen Frau nicht würde ertragen können. Er zog daher weiter nach Spanien, wo sich herausstellte, daß die erwählte Infanta zwar ein sehr nettes Mädchen, ihr Gesicht aber nicht das Schönste an ihr war. Er kam daher zu der Einsicht, daß ihre Häßlichkeit eine noch schlimmere Mitgift sein würde als Mathildes Übergewicht. Inzwischen war Rudolf seiner Inspektionsreisen überdrüssig geworden. Er hatte seiner Mutter Schönheitssinn geerbt und wollte wirklich nur eine Frau heiraten, die ihm gefiel. Doch durch seine vielen Abenteuer mit schö95
nen und geistvollen Frauen war sein Geschmack ganz besonders empfindlich geworden. Es ist daher nicht verwunderlich, daß er alle diese unschönen und geistlosen jungen Mädchen zurückwies, die man ihm als geeignete Bräute vorschlug. Schließlich führten Rudolf seine Wanderungen nach Brüssel, wo er sich, müde der Wahl unter all den Übeln, entschloß, das kleinste von ihnen zu nehmen, das ihm in der Prinzessin Stephanie von Belgien entgegentrat. Sein Antrag wurde vom braven König Leopold mit beiden Händen aufgegriffen, und der Kronprinz nahm sein Schicksal mit philosophischem Gleichmut hin. Als die ersten Bilder der erwählten Braut in Wien eintrafen, stutzte jeder über ihre reizlose Erscheinung. Die Eingeweihten, die Rudolfs Vergangenheit kannten, schüttelten ernst die Köpfe und meinten, sie wäre nicht die richtige Frau für den Kronprinzen. Die zahlreichen Damen, die ihn kannten und liebten, waren überglücklich. Denn bei der Braut stand nicht zu befürchten, daß jemals ein vorbildlicher Ehemann aus ihm werden würde. Ich muß es ablehnen, die Erinnerung an die vielen Skandalgerüchte wieder wachzurufen, die während der Verlobungszeit umliefen. Es war ein öffentliches Geheimnis, daß er in Begleitung einer Dame nach Brüssel gefahren und von der Königin und seiner Braut bei einem unerwarteten Besuch mit ihr überrascht worden war. Man erzählte sich, daß die Partie daraufhin beinahe zurückgegangen wäre, doch da weiter nichts Anstößiges geschah, wurde die Hochzeit am 10. Mai 1881 96
in der Hofburg geseiert. Die Hochzeit des Kronprinzen von Österreich veranstaltete sich natürlich zu einem glänzenden Feste. Ich nahm damals die Stellung einer »Palastdame« ein und hatte infolgedessen den Vortritt vor allen anderen Damen. Ich trug ein wunderbares gelbes Kleid mit silberner Stickerei und einen blauen, silbergestickten »Manteau de Cour« mit einer drei Meter langen Schleppe, die ein Page trug. Der Glanz der Juwelen der Damen war buchstäblich blendend. Die belgische Prinzessin sah in ihrem Brautkleid so unvorteilhast wie möglich aus; ihre Arme waren rot, ihr stumpfes, gelbes Haar sehr unkleidsam frisiert. Sie war sehr groß und ihre Figur in jenen Tagen geradezu kläglich. Seitdem hat freilich andauernde Pflege und eine geschickte Corsetière manches gebessert. Sie hatte weder Augenbrauen noch Wimpern, und das einzig Schöne an ihr war ihr porzellanweißer Teint. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was Tante Sissi über Stephanie dachte; ein Blick in ihr Gesicht genügte. Rudolf sah aus wie ein Mann, der eine ruhmvolle Vergangenheit für eine fragwürdige Zukunft hingegeben hat. Nach der Feier gingen wir alle in den großen Empfangssaal der Burg, wo Rudolf und seine Gemahlin einige gnädige Worte an jede Dame richteten. Als sie zu mir kamen, blickte der Kronprinz mich mit einem seltsamen Gemisch von Spott und Selbstbedauern an und sagte zu Stephanie: »Das ist meine Cousine Marie.« Die Kronprinzessin umarmte mich und äußerte, daß sie sich freue, mich kennen zu lernen. Dann gingen sie 97
weiter, und ich weiß noch, wie tiefes Mitleid ich mit Rudolf, im Gedanken an meine eigene liebelose Ehe, empfand. Erst im September des folgenden Jahres sah ich den Kronprinzen und Stephanie wieder. Ich war nach Schönbrunn gefahren, um meine Eltern dort zu besuchen; nach dem Abendbrot promenierte die Kaiserin mit mir in dem kleinen Privatgarten. Während wir in der Dunkelheit auf und nieder schritten, sprach die Kaiserin von mancherlei Dingen und auch von Rudolfs Ehe, die sich schon damals als ein Fehlschlag erwies. Der Abend war sehr still, und von dem Garten aus konnten wir die erleuchteten Fenster im Schlosse überblicken. Plötzlich eilte ein Diener auf uns zu und meldete die Ankunft des Kronprinzenpaares. Im nächsten Augenblick zeichneten sich zwei Schattenrisse gegen das Licht ab, dann kam eine Gestalt die Stufen herab. Es war Stephanie. Elisabeth sah ihr gespannt entgegen. »Ich habe nicht erwartet, Rudolf und das häßliche Trampeltier heute abend noch zu sehen,« äußerte Tante Sissi zu mir, während sie über das Gras hinweg ihrer Schwiegertochter entgegenging, deren Äußeres sich seit ihrem Hochzeitstage merklich verschönt hatte. Mir gegenüber war Stephanie immer außerordentlich nett, und als ich sie einmal um eine Audienz bitten ließ, forderte sie mich auf, sie in Zukunft ganz formlos zu besuchen. Es erscheint mir immer bedauerlich, daß sie sich so stark von ihrer Schwester Louise von Coburg beeinflussen ließ, die ihre Eifersucht aufstachelte und ihr alle möglichen Geschichten von dem Kronprinzen erzählte, 98
der das Leben an ihrer Seite allmählich unerträglich fand. Denn Stephanie machte ihm so tolle Eifersuchts- und Wutszenen, daß Tante Sissi ihr Vorhaltungen über den Skandal, den solche Zwistigkeiten verursachten, machen mußte. Die Kaiserin hatte als Braut schweigend zu dulden gelernt und erwartete infolgedessen das Gleiche von ihrer Schwiegertochter. Rudolf liebte seine kleine Tochter, die Erzherzogin Elisabeth, abgöttisch, die im dritten Jahre der Ehe geboren wurde. Doch Stephanie machte sogar das Kind zu einer Quelle des Streites. So geriet meines Vetters häusliches Leben immer tiefer in den Sumpf, und wir alle dachten mit Schrecken daran, was daraus werden sollte. Das gesellige Leben in Wien war damals sehr ausgelassen, und keiner kümmerte sich um das Tun und Treiben des anderen. Ich besuchte leidenschaftlich gern Maskenbälle und entsinne mich noch einer Begegnung mit der Baronin Vetsera (Marys Mutter) und dem Erzherzöge Wilhelm auf einem Maskenfest im kaiserlichen Opernhaus. Die Baronin strahlte in einem orangefarbigen Domino, und als sie mit dem Erzherzöge auf einer kleinen Bank saß, erzählte ihr der alte Herr, der gern den neuesten Klatsch weitergab, gedankenlos, daß einer der Esterhazys, zu dem sie in sehr vertrauten Beziehungen stand, Eugenie Croy zu heiraten gedenke. Kaum hatte die Baronin dies vernommen, so fiel sie prompt in Ohnmacht, und da die Bank keine Rückenlehne hatte, verschwand sie hintenüber, und nur die verfänglich ins Leere hinausragenden Schuhe und Strümpfe verrieten die Stelle, an der sie versunken. 99
Alles lachte, und der Erzherzog machte sich voll Reue über den Effekt seiner Geschwätzigkeit mit wunderbarer Energie ans Werk, die Dame in mehr als einer Beziehung wieder aufzurichten. Der orangefarbene Domino der Baronin gemahnt mich übrigens an eine interessante Begebenheit, die sich zutrug, als Tante Sissi einmal in Begleitung, des Erzherzogs Ludwig Viktor einen Maskenball besuchte. Elisabeth und Ludwig trugen ganz gleiche Dominos, und keiner der Anwesenden erkannte sie. Tatsächlich hielt man sie für Schwestern. Unter den Masken war ein hübscher, junger Hofrat, der die Aufmerksamkeit der Kaiserin erregte; von der Laune des Abends angesteckt, trat sie auf ihn zu und sprach ihn an. Diese Maske hielt die unbekannte Dame für eine Ballettratte, unterhielt sich mit ihr, wurde gepackt und lud sie zum Souper in eins der feschen Restaurants. »Gut,« sagte Elisabeth, ganz im Banne des Abenteuers, »ich komme unter der Bedingung, daß Sie mir Ihr Ehrenwort geben, mir nicht die Maske zu lüften.« »Meinetwegen,« willigte der verliebte Herr ein. Die Kaiserin bat ihre »Schwester«, sie an einem bestimmten Ort zu erwarten, und verließ mit ihrem Galan den Ballsaal. Seinem Versprechen getreu, machte der Hofrat keinen Versuch, Elisabeths Maske zu entfernen, obwohl er sich gründlich in sie verliebt hatte, als es Abschied nehmen galt. Die Kaiserin versprach, ihn am nächsten Tage zu treffen, hielt aber das Rendezvous nicht inne. Doch aus romantischer Laune und in Erinnerung an den reizen100
den Abend sandte sie ihrem Bewunderer jedes Jahr einen Liebesbrief mit der Unterschrist: »Der gelbe Domino«. Doch die Neugier des Empfängers erfuhr nie den Namen der Absenderin. Diese Briefe wurden in den verschiedensten Teilen Europas zur Post gegeben; den letzten gab einer meiner Vetter in Rio de Janeiro auf. Elisabeth erzählte mir dieses Abenteuer zuerst unter dem Deckmantel eines Märchens, das sie das »magische Alpenveilchen« nannte. Ein schönes schlafendes Mädchen wird darin durch die duftenden Alpenblumen an glückliche Stunden gemahnt. »Erinnerst du dich des gelben Dominos,« fragt die eine, während eine andere ihr die Fahrt durch die Dunkelheit ins Gedächtnis zurückruft und eine dritte ihr von der Anbetung des Geliebten spricht. Die Kaiserin erklärte mir dann die heimliche Bedeutung des »Alpenveilchens«, behandelte aber die ganze Angelegenheit als Bagatelle. Elisabeth war in die Liebe verliebt, weil sie ihr das Lebensfeuer bedeutete. Sie betrachtete die Sensation, angebetet zu werden, als einen Tribut, der ihrer Schönheit zukam. Doch ihre Begeisterungen dauerten nie lange, offenbar, weil sie zu künstlerisch empfand, um ihre Sinne gefangen zu geben. Und der Geliebte, der den Glauben an seine Idealgestalt erschütterte, erhielt sofort den Laufpaß. »Tout lasse, tout casse, tout passe,« hätte Elisabeths Lebensmotto sein können, denn ihr Dasein war eine große Enttäuschung, und sie gehörte zu jenen Frauen, deren Los es ist, durch ihre Liebe zu leiden. Sie hätte unter Göttern thronen, sie hätte umworben sein müssen auf 101
den Hügeln des Parnaß oder erkoren werden wie Leda und Semele von einem sieghasten Zeus. Die Roheit des Lebens stieß die Kaiserin ebenso stark zurück wie seine Schönheit sie anzog. Ich glaube daher, daß sie weit glücklicher wurde, als ihre Sonderbarkeiten sich entwickelten und sie mit den Wesen der Schattenwelt verkehrte oder sich mit Heines Geist unterhielt, der sie, wie sie meinte, zu ihren Dichtungen begeisterte. Die Weltabgeschiedenheit, in der sie später lebte, hing aufs engste mit der grausamen Furcht zusammen, man könne sie für weniger schön halten, weil sie altere. Und nur diejenigen, die, wie Elisabeth, in ihrer Schönheit die Gewähr für die Liebe sehen, können ihre Leiden nachfühlen. Durchschnittsmenschen mögen sie als eine eitle und oberflächliche Frau verurteilen und meinen, wahres Glück könne eine alternde Frau in Kindern und Kindeskindern finden. Doch, wer so denkt, ist eben nicht mit dem schönheitsdurstigen Sinn der Kaiserin begnadet — oder bebürdet. Elisabeth war in der Wiener Gesellschaft höchst unbeliebt; sie hielt sich ihr auch fern und besuchte während der Saison höchstens einen oder zwei offizielle Bälle. Ich erinnere mich, daß ich sie einmal bei dem Fest des Corpus Christi sah, wie sie durch die drei Höfe der Burg schritt, eine wunderbare Märchenkönigin in ihrem grauen Seidenkleide und violetten Samtmantel. Die Fürstin Pauline Metternich ist immer die anerkannte Führerin der Wiener Gesellschaft gewesen. Sie ist sehr gewandt, äußerst klug und kann sehr grob werden. Ich habe sie immer gern gehabt und bin in mancher der Liebhaberauffühungen aufgetreten, die sie so gern veran102
staltete. Ihre Abende waren glänzend. Sie ist die geborene Gastgeberin, ein typisches Beispiel der »Grande Dame«, die leider immer mehr ausstirbt. Einmal kam die Fürstin sehr spät auf einen Ball beim Erzherzog Ludwig Viktor, das Kaiserpaar war bereits längere Zeit anwesend, und der Gastgeber machte Pauline über ihr spätes Erscheinen Vorwürfe. »Es ist doch gleichgültig, wann ich komme«, antwortete sie verächtlich; »ich komme immer noch früh genug, um so viel von der Kaiserin zu sehen und zu hören, als mir paßt. Elisabeth bemerkte ihre Unterhaltung und fragte den Erzherzog später, was die Fürstin Metternich gesagt habe. Ludwig Viktor weigerte sich die ungehörige Äußerung Paulines zu wiederholen, doch die Kaiserin bestand auf ihrem Wunsche. »Ah … die arme Fürstin!‹, bemerkte die Kaiserin, »wenn sie nur wüßte, wie viel Spaß sie mir bereitet, denn ich kann ihr nie ins Gesicht sehen, ohne an einige bösartige Tierchen in meinem Affenhaus in Schönbrunn zu denken.« Mir scheint, meine Tante lockte zuerst die Sensation, Kaiserin zu werden, denn das Blut meines Großvaters, der Pferden, Frauen und Wein durchaus nicht abhold war, strömte in ihren Adern. Und ihre Jugend forderte vom Leben alle Herrlichkeiten der Welt. Mein Vater erzählte mir, daß Elisabeth bei ihrem Einzuge in Wien durch ihre Schönheit allen Männern die Köpfe verdrehte, und daß ihr späteres Trübsal durch die unfreundliche Behandlung entstand, mit der des Kaisers Mutter sie während der er103
sten Jahre ihrer Ehe peinigte. Jede Natürlichkeit war ihr verboten. Diese Unterdrückung brachte die angeborenen Exzentrizitäten ihrer Familie bei ihr zum Ausbruch, und als sie gar ihres Gatten Beziehungen zu einer polnischen Gräfin entdeckte, erhielt ihre Liebe zu Franz Josef einen Choc, von dem sie sich nie wieder erholte. Die Schwiegermutter nahm ihr die Kinder mit der Begründung, man könne sie ihrer Sorge nicht anvertrauen. Und schon hierdurch, glaube ich, wurde ihre Liebe zu Rudolf und Gisela im Keime erstickt; sie übertrug sie später mit aller Kraft auf Valerie, die allein unter ihrer Obhut aufwuchs. Arme Frau! Kann man sich wundern, daß sie zynisch und verbittert wurde! Man kann sich eher wundern, daß sie mit der Zeit innerlich nicht ganz verhärtete, als sie erkannte, daß alle ihre Ideale Seifenblasen gewesen waren! Solange des Kaisers Mutter lebte, stand Elisabeth buchstäblich allein, und als die tyrannische alte Frau gestorben war, war schon zu viel in ihr zerbrochen. Ungarn regte ihre Phantasie immer an, und gegen die Bevölkerung des Landes, dessen König Franz Josef war, war sie niemals die hochmütige, unnahbare Kaiserin von Österreich. Als im Jahre 1885 das Reisefieber Elisabeth ergriff, machte ihr gütiges Herz ihr bittere Vorwürfe bei dem Gedanken, daß der Kaiser in ihrer Abwesenheit vielleicht einsam sein könnte. »Weißt du nicht eine vertrauenswürdige Frau, die dem Kaiser Gesellschaft leisten könnte und nicht versuchen würde, ihn zu beeinflussen?« fragte sie mich eines Tages. 104
Ich nannte mehrere Damen, die sicherlich nur allzu froh gewesen wären, den kaiserlichen Strohwitwer zu trösten. Doch Tante Sissi lehnte alle ab, und die Angelegenheit wurde nicht weiter berührt, bis sie mir eines Tages plötzlich mitteilte, daß sie die Gesuchte in der Schauspielerin Katrina Schratt gefunden habe, die fern von der Bühne des Burgtheaters immer für interessanter galt als auf ihr. Sie war und ist noch heute eine reizende, einfache Frau, von der Tante sehr hoch dachte. Elisabeth besuchte Frau Schratt oft und machte ihr viele Geschenke, unter anderem ein kleines Buttersaß, auf das Katrina sehr stolz war. Man verübelte Elisabeth ihre Haltung der Schauspielerin gegenüber sehr; sie hatte aber vollkommen recht mit ihrer guten Meinung von der Frau, die sich seit Tantes Tode Franz Josef gegenüber als eine ergebene Freundin erprobt hat. Frau Schratt hat eine wundervolle Villa in der Glorienstraße zu Hietzing, die ein wahres Museum ist und viele Geschenke des Kaisers birgt. Sie hat auch ein kleines Häuschen in Ischl, und immer, wenn Franz Josef dort weilt, wohnt sie ebenfalls dort, und jeden Nachmittag kommt der Kaiser zu ihr zum Tee. Man erzählt eine spaßige Geschichte von einem Abendbesuch des Kaisers bei seiner Freundin. Er war ziemlich lange geblieben, wollte mit der ihm eigenen Rücksicht die schlafenden Hausbewohner nicht stören und schlich so leise wie möglich einen Gang hinunter, der zur Gartenpforte führte. Als er sie gerade erreichte, öffnete sich eine Tür, und Frau Schratts neue Köchin kam im Nachthemd heraus, ein Licht in der Hand. Das Geräusch der Schritte hatte 105
sie aufgescheucht, und als sie die Gestalt eines Mannes erblickte, wollte sie natürlich losbrüllen. Doch Franz Josef trat eilig auf sie zu und flüsterte: »Still, Sie dummes Weib, kennen Sie mich nicht! Ich bin der Kaiser!« Die Köchin versteinerte, denn in ihren ausschweifendsten Phantasien hatte sie sich nie träumen lassen, dem Kaiser von Österreich auf einer solchen späten nächtlichen Wanderung zu begegnen. Noch immer zweifelnd, ließ sie das Licht der Kerze voll auf des Fremden Gesicht fallen und ersah die wohlbekannten Züge Franz Josefs. Sofort fiel das kaisertreue Mädchen auf die Knie und begann mit ganzer Lungenkraft die Nationalhymne herauszuschmettern. Der Kaiser machte sich schleunigst davon, und ich habe so einige Zweifel, ob eine patriotische Weise jemals unter drolligeren Umständen gesungen worden ist. Der Kaiser ist in seiner Familie sicherlich schwer heimgesucht worden, – denn der Schatten des Wahnsinns liegt über den Habsburgern, und kaum ein Zweig der Familie hat nicht ein geisteskrankes, epileptisches oder lasterhaftes Mitglied zu betrauern. Man kann es nur beklagen, daß die gesunden Kinder aus der Ehe Franz Ferdinands mit Sophie Chotek von der Thronfolge ausgeschlossen sind, da der Knabe, der aller Wahrscheinlichkeit nach einmal Kaiser von Österreich werden wird, von der Mutterseite auch noch mit dem Schwachsinn des Hauses BourbonParma erblich belastet ist. Kaum ein Jahr geht dahin, ohne daß die Welt Zeuge der Tollheiten der Erzherzöge wird. Die Erzherzoginnen 106
sind leichter im Zaum zu halten, weil ihre Eltern ihnen in der Regel gestatten, den Mann ihrer Wahl zu heiraten, vielleicht unter dem warnenden Einfluß des Schicksals der Prinzessin Louise von Toskana, in deren Ehe mit König Friedrich August von Sachsen der Grund ihrer vielen späteren Abenteuer lag. Erzherzog Ludwig Viktor ist des Kaisers jüngster Bruder. Ich entsinne mich seiner als eines lustigen, klatschfrohen Mannes, dessen Gesellschaften zu den beliebtesten Festlichkeiten des eleganten Wien gehörten. Es liefen mancherlei Gerüchte um über eine Neigung des Erzherzogs zu Lastern, die nur in den Tagen des Sokrates geduldet wurden. Schließlich meinte der Kaiser, daß die Salzburger Luft seinem Bruder gut tun würde. So verschwand der Erzherzog aus der Gesellschaft, und Wien sah ihn nicht wieder. Franz Josefs zweiter Bruder, der verstorbene Erzherzog Karl Ludwig, hatte aus seiner Ehe mit der Prinzessin Annunziata von Bourbon-Sizilien drei Söhne, deren ältester der Erzherzog Franz Ferdinand ist, der seinem Oheim auf dem Thron von Österreich folgen wird. Franz Ferdinand ist im Volke am meisten bekannt geworden durch seine morganatische Ehe mit der Gräfin Sophie Chotek, der früheren Hofdame der Erzherzogin Isabella. Die Gräfin und der Erzherzog unterhielten ein heimliches Liebesverhältnis, das eines Tages in Preßburg durch ein Medaillon mit der Photographie Franz Ferdinands, das die Gräfin verloren hatte, entdeckt wurde. Die 107
Erzherzogin entließ Sophie Chotek sofort, doch der Geliebte machte sie ohne Zaudern zu seinem Weibe. Da der Kaiser bald einsah, wie glücklich die Ehe war, ernannte er die reizende Frau zur Gräfin Hohenberg und erhob sie später zum Range einer Herzogin. Erzherzog Karl Ludwig, ein dicker alter Mann mit brutalen Instinkten, heiratete in dritter Ehe die Infantin Maria Theresia von Portugal. Sie war eine entzückende Frau und fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann, dessen Hauptbeschäftigung darin bestand, zu reiten, zu jagen und sie zu quälen. Als der Erzherzog starb, glaubte man allgemein, die Witwe werde ihren Kammerherrn, den Grafen Cavriani, heiraten und machte ein lächerliches Aufheben davon. Der Name des verstorbenen Erzherzogs Otto, der ein sehr hübscher Mann war, wird in Österreich wegen seiner mannigfaltigen Ruchlosigkeiten nur mit Abscheu genannt. Ich meine manchmal, daß die Jugenderziehung der Habsburger ihre keimenden Laster zur Reise treibt, denn Selbstsucht, Nichtstuerei und Ausschweifung entwickelt in der Regel ihre ererbte Entartung. Otto heiratete die Prinzessin Maria Josepha, eine Schwester des Königs von Sachsen, eine der edelsten Frauen, die er vom Hochzeitstage an systematisch vernachlässigte. Eines Abends soupierte der Erzherzog mit einigen Damen bei Sacher, wo er glücklicherweise ein Chambre separée gemietet hatte, plötzlich erschien er stockbetrunken auf der Treppe des Restaurants, nur mit Handschuhen, Mütze und Säbel bekleidet. Den tödlichen Schreck eines höchst achtbaren Grafen, der im 108
Restaurant mit seiner Tochter saß, überlasse ich lieber der Phantasie. Beide flohen, verfolgt von Otto, der »bloß einmal nachsehen wollte«, ob einige seiner Kameraden unten säßen. Ich brauche nicht auszuführen, daß der Besitzer auf eine allgemeine Flucht keinen Wert legte; so wurde der Erzherzog ergriffen und irgendwie in seine Uniform gesteckt. Dieses Intermezzo wurde viel besprochen, und eine Zeitlang wurden die Restaurants von Familienvätern ängstlich gemieden aus Furcht, man könnte diesem irrsinnigen Trunkenbold wieder einmal nackt begegnen. Eine Hauptbelustigung Ottos bestand darin, einen Ochsen tage- und nächtelang dursten, ihn dann übermäßig trinken und qualvoll sterben zu lassen. Ein andermal wieder zwang er seinen Burschen, Schnaps bis zur Bewußtlosigkeit zu trinken, und goß ihm dann selbst den Alkohol weiter in die Kehle, bis der arme Teufel daran zugrunde ging. Ottos Tod war eine schreckliche Nemesis für sein verruchtes Leben. Er litt jahrelang an einer ekelerregenden Krankheit. Die Nase faulte ihm ab, sein einst hübsches Gesicht wurde zum Totenkopf, und schließlich brachte man ihn als Todeskandidaten auf sein Schloß. Seine Gattin, die von ihm getrennt gelebt hatte, kehrte zu ihm zurück und blieb bei ihm bis zu seinem Ende. Maria Josephas aufopfernde Güte mag die letzten Tage des unglücklichen, schmerzzerquälten Wüstlings erleichtert haben. Es ist daher kein Wunder, daß der Kaiser sie liebt und das Volk zu ihr aufblickt wie zu einer Heiligen. 109
Der letzte Weg der Habsburger führt sie hinab in die düstere Gruft unter der Kapuzinerkirche in Wien. Dort ruhen die Toten in langen Reihen in steinernen Sarkophagen aus, von des Lebens Leid und Leidenschaft, und nur die verrosteten Kronen auf den verschlossenen Särgen künden den Rang und die Würde derer, die hier liegen … Draußen dröhnt der Lärm der Stadt. Die eiligen Füße der Passanten hasten dahin in gleicher Höhe mit den Fenstern, die das Gewölbe matt erhellen. Doch die Habsburger schlafen ihren ungestörten Schlaf, aber das Böse, das viele von ihnen verübt haben, lebt fort in ihren Nachkommen. Elisabeths sterbliche Reste stehen in der Mitte der Gruft. Neben ihr liegt Rudolf, und eines Tages wird der leere Raum an ihrer Seite des Kaisers irdische Hülle tragen, wenn der Tod ihn ruft zu seiner wohlverdienten Rast. Es ist ein geisterhafter Ort, diese Totenkammer. Die Jungen und Alten, die Schönen, die Braven und die Bösen, alle find sie hier versammelt, und die Wogen der Zeit fluten über sie hin und tragen ihre Namen hinüber in die Vergessenheit. Am Weihnachtsabend, dem Geburtstage der Kaiserin, am 10. September, ihrem Todestage, und an jenem schicksalsschweren 30. Januar, an dem Rudolf sein blutiges Geschick erfüllte, kommt Franz Josef, bei seinen Toten zu beten. Sieht er dann wohl die Kaiserin vor ihm auferstehen, zart wie Morgennebel? Und wenn ein kalter Lufthauch durch die Gruft streicht, bringt er dem Kaiser wohl einen Geistergruß von Rudolf und dem jungen Weibe, das mit 110
ihm starb an jenem Wintermorgen, an dem sie ihren eigenen Weg zur Freiheit suchten und fanden?
111
Siebentes Kapitel
D
ie Mitglieder des königlichen und herzoglichen Hauses Wittelsbach sind, alles in allem genommen, sicherlich interessanter und geistvoller als die Habsburger. Wohl arten auch die Sonderlichkeiten der Bayern bisweilen in Wahnsinn aus, doch ist der Unterschied zwischen den beiden Familien der, daß bei den Habsburgern der Irrsinn sich meistens in Unmoral, Selbsterniedrigung und gemeinen Ehen äußert, während er den Wittelsbacher in einen romantischen Dulder verwandelt, der in Welten hoch über allen Banalitäten des Lebens schwebt. Und nur sehr selten kommen bei ihm niedrige und tierische Instinkte zum Durchbruch. Durch die königliche Familie haben sich immer Spuren von Wahnsinn gezogen, Sonderlinge hat es immer in der herzoglichen Linie gegeben. Aber keiner von uns hat jemals die grausigen Schandtaten der Habsburger verübt. Ich kannte König Ludwig II. sehr gut, denn als ich noch ein kleines Kind war, besuchte er meinen Vater, mit dem er sehr befreundet war, oft in Garatshausen. Ludwig wurde mit achtzehn Jahren König und war damals recht despotisch, sehr romantisch und voll sprü112
henden Geistes. Der junge Monarch war mit meiner Tante, der Prinzessin Sophie von Bayern, verlobt, doch die Verlobung dauerte, dank den Intrigen der Hofpartei, der die Partie ein Dorn im Auge war, nur kurze Zeit. Der Oberstallmeister Graf Holnstein, ein sehr hübscher Mann, der des Königs Vertrauen und Freundschaft besaß, ließ sich als Werkzeug der Hofpartei gebrauchen und überreden, die Prinzessin zu einer Liebelei zu verlocken, um des Königs Eifersucht zu erregen. Der Hofphotograph wurde in den Plan eingeweiht und nahm heimlich einige sehr »zärtliche« Photographien des Grafen und der Prinzessin auf, die dem König von den üblichen »guten Freunden« mit dem natürlichen Erfolge gezeigt wurden, daß Ludwig den tiefsten Argwohn gegen seine Braut schöpfte. Immer wieder verschob er unter neuen Vorwänden die Hochzeit, bis mein Großvater, der Herzog Maximilian, ihm christlich mitteilte, daß er seine Tochter nicht in dieser beleidigenden Weise behandeln lasse. Da entschloß sich der König, von seinem zukünftigen Schwiegervater in die Enge getrieben und aufgehetzt von seinen intriganten Ratgebern, das Verlöbnis endgültig zu lösen. Es war ein harter Schlag für Prinzessin Sophie, denn sie liebte Ludwig innig, wenn sie auch einige Jahre später die Werbung des Duc d’Alençon annahm. Nach dieser Liebesgeschichte, deren traurigen Ausgang er selbst verschuldet hatte, versank der König allmählich in einen dumpfen Trübsinn, wurde Melancholiker und Weiberfeind, wenn er auch in seiner Phantasie die Idealgestalt einer Frau trug. Seine Güte der Dienerschaft 113
gegenüber verwandelte sich in Grausamkeit. Er stellte die gewöhnliche Lebensordnung auf den Kopf, indem er die Nacht zum Tage machte. Die Vorstellungen, denen er allein im Theater beiwohnte, begannen um Mitternacht und waren oft erst um fünf Uhr morgens zu Ende. Seine Lieblingsoper war Parzival, und, wie fast jedes Kind weiß, hat Ludwig sich unvergänglichen Ruhm um die Musik durch die treue Unterstützung erworben, die er Wagner angedeihen ließ zu einer Zeit, da noch wenige sein Genie erkannten. Der König liebte München nicht, sondern wohnte gern in seinen prächtigen Schlössern Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof, wo sich sein Größenwahn in Bauten und Gartenanlagen im Stile Ludwigs XIV. erging. In Linderhof ließ er eine blaue Grotte anlegen, die eine genaue Kopie der berühmten Grotte zu Capri war; Herrenchiemsee war ein Miniatur-Versailles, und hier im Spiegelsaal gab der König seine Geisterdiners, von denen er eins später meiner Tante beschrieb, die wieder mit die Einzelheiten, wenn auch nicht in genau denselben Worten, wie folgt, erzählte: Kurz vor Mitternacht schimmerte die wundervolle Galerie im sanften Lichte vieler Kerzen und verwandelte die Kristallkandelaber in Ketten glitzernder Diamanten. Der mit goldenem Besteck, kostbarem Glas und Blumen geschmückte Tisch war für dreizehn Gäste gedeckt; fünf Minuten vor Mitternacht betrat König Ludwig den Saal, ihre Ankunft zu erwarten. 114
Als die Uhr zwölf schlug, öffneten sich die großen Flügeltüren, und der Zeremonienmeister meldete – Königin Marie Antoinette. Ludwig ging ihr entgegen, und was sah er? Eine märchenhast schöne Frau in zarter Seide, das gepuderte Haar mit Perlen und Rosen umwunden, und um den Hals einen dünnen blutigen Strich. Denn der König bildete sich ein, daß auf seine Einladung hin der Geist der Königin wieder das irdische Aussehen aus den prunkvollen Tagen von Versailles annahm, freilich verdüstert durch das grausame Zeichen der Guillotine. Ludwig XIV., mit wallender Perücke und einem Gewande aus steifem, goldgesticktem Brokat, kam mit kleinen Schritten auf hohen roten Absätzen seinem Gastgeber entgegen. Dann blickte die Königin Mary von Schottland, lieblich anzuschauen in ihrem schwarzen Samtkleide, den roten Kuß des Todes auf dem Nacken, dem Könige tief in die Augen und bezauberte seine Seele. Katharina die Große, im Glanz ihrer stolzen Gewänder, brachte einen Hauch von Blut und Sinnlichkeit in den strahlenden Raum, und der romantische Troubadour Wolfram von Eschenbach, der hinter der hohen Dame herschritt, erschauerte, als er aus Versehen ihren Arm streiste. Zusammen mit dem siegreichen Alexander trat Julius Cäsar herein, dessen Glatze der Lorbeerkranz verdeckte, und Kaiser Konstantin folgte ihnen im Banne der Kreuzesvision. 115
Hamlet, Prinz von Dänemark, und der übellaunige zynische Diogenes fühlten sich in dem Lichterglanz sehr wenig heimlich, und ebenso erging es dem Kaiser Barbarossa, der mürrisch Ludwigs Gruß hinnahm. Der nächste Ankömmling war ein ernster Mönch. Dann blickte der König besorgt drein, denn ein Gast fehlte. Doch endlich schwebte die Fee der Berge in den Saal. Sie war schön wie das Morgenrot im Gebirge, und ihre Augen waren tiefblau wie stille Gletscherseen. Unter einem Kranze von Eiszapfen fiel ihr langes, blondes Haar über die weißen Schultern herab; ihre durchsichtigen Gewänder prangten in Blumen und samtenem Moose. Der König lächelte der Fee zu; sie küßte ihn mit kalten, feuchten Lippen, die von der Reinheit des Alls fern vom Menschengewühl raunten. Dann legte sie ihm die Hand auf die Stirn und erweckte in ihm süße Erinnerung an die Wälder und an die wilden Tiere, die er so liebte und deren Leben ihm heilig war. Jetzt ging man zu Tisch, und dreizehn Diener bedienten die Gäste, deren Unterhaltung alle Weiten der Welt und des Geistes umspannte, wie es sich für eine Versammlung der Großen aller Zeiten gebührte. Die Gebirgsfee aber saß neben dem König und sprach von ihrem fernen Heim, in dem flüchtige Bäche über smaragdene Wasserpflanzen huschen. Sie erzählte ihm von dem Geheimnis, das der Wind den Tannen zuflüstert an dunklen Wintertagen, und verriet ihm, daß die harzigen Tränen, die sie im Sommer vergießen, den Augen der Dryaden entquellen, die in ihren Herzen eingeschlossen sind. Sie atmete ihm den Duft des blumigen Mooses ih116
res Gewandes entgegen, und der entzückte König hatte wenig Aufmerksamkeit übrig für Marie Antoinette, die Nichtigkeiten vom Trianon und den Versailler Fontainen erzählte. Zum Schlusse hielt Ludwig einen Trinkspruch auf seine Gäste, und als die große vergoldete Uhr eins schlug, zerschellte er sein Glas, auf daß es niemals wieder Verwendung finde zu einem Toast auf weniger erlauchte Gäste. Dann verschwand leise und schwebend die gespenstische Versammlung, und der König schritt hinter ihr drein. Ludwig glaubte fest an die Wirklichkeit dieses Diners, und seine Dienerschaft bestärkte seine Einbildung, indem sie die Speisen aufzehrte, sobald sie abgetragen waren. Als der König daher durch das Dienerzimmer kam und sah, daß alles wirklich vertilgt war, war er mehr denn je von der Wahrheit seines Traumgesichtes überzeugt. Herrenchiemsee wurde nie vollendet, da das Geld zur Ausführung der grandiosen Pläne des Königs fehlte. Doch ist es auch in seinem unfertigen Zustande ein wunderbarer Ort. In Neuschwanstein ließ sich der König bei Tische nicht bedienen. Wenn er auf eine Feder drückte, versank sein runder Eßtisch durch eine Öffnung im Fußboden, der nächste Gang wurde hingestellt, und der Tisch stieg wieder zum Eßzimmer empor. Etliche Flaschen Sekt standen in Eiskühlern neben dem König, und wenn der Tisch nicht schnell genug wiederkehrte, schleuderte er einige Flaschen durch das Loch 117
hinunter als nachdrückliche Mahnung für die Diener, daß er nicht zu warten wünsche. Des Nachts weckte der König (wahrscheinlich auf die geisterhafte Einladung der Gebirgsfee) oft seinen Haushalt aus dem Schlafe, um nach einem seiner Jagdschlösser zu sprengen. Und Bauern, die den Lärm seines Trosses durch die Dunkelheit dahinstieben hörten, bekreuzten sich voll Grauen und glaubten, der wilde Jäger mit seinem gespenstischen Gefolge sei unterwegs. Elisabeth schrieb ihrem Vetter immer in Versen; in dieser Korrespondenz war sie stets die »Seemöwe« und der König der »Adler der Berge«. Die Kaiserin liebte Ludwig sehr, dessen Romantik eine verwandte Saite in ihrer eigenen weitabgewandten Seele berührte. Sie vergaß dem verstorbenen Prinzregenten niemals seine Beteiligung an der Tragödie, die Ludwigs Leben ein so trauriges Ziel stellte. Der König hatte in München einen prächtigen Wintergarten, der auf dem Dache der Residenz angelegt war. Hier plätscherte auch ein künstlicher See mit dem Himalayagebirge als Panorama-Hintergrund. Und wenn der König in dem Garten saß, warf ein Kulissenmond sein bleiches Licht auf die schneebedeckten Gipfel. Das Schlafzimmer der Königin Marie lag unmittelbar unter dem Wintergarten. Eines Nachts, als die Königin mit einer schweren Erkältung zu Bett lag, wurde sie durch die Entdeckung zu Tode erschreckt, daß der See durch die Decke tropfte und ein langsamer, aber unaufhaltsamer Regen auf ihre Bettstatt niederging. 118
Die unglückselige Dame wußte zuerst nicht recht, was sie tun sollte, da die Ärzte ihr streng verordnet hatten, unter keinen Umständen das Bett zu verlassen. Flugs rief sie ihre Bedienung, die einen großen Regenschirm brachte, unter dem sie zwei Stunden lang Schutz suchte, bis der undichte Boden des Gartens ausgebessert war. Es erübrigt sich, mitzuteilen, daß die Königin am Morgen die Zimmer wechselte und einen Teil der Residenz fern der Gefahrzone wählte. Der König ließ oft Künstler des Theaters im Wintergarten auftreten. Ich entsinne mich noch des Geschickes der Josephine Schefzky, einer starken, großen Person, deren einziger Lebenswunsch es war, die Aufmerksamkeit Ludwigs auf sich zu lenken. Da alle Sänger hinter einer spanischen Wand verborgen sangen, waren Josephines Chancen, dem König Auge in Auge zu begegnen, außerordentlich gering. Doch welche Frau wäre je um Hilfsmittel verlegen gewesen! Sie wußte, wie romantisch ritterlich der König gelegentlich sein konnte; so beschloß sie, in den See zu fallen und ihn zu zwingen, sie zu retten. Der ersehnte Abend erschien, Josephine sang dem lauschenden Könige so schmelzend wie nie, und als der Gesang verschollen war, fiel sie mit hellem Aufschrei in den See. Es entstand ein mächtiges Getöse, und die Wasser spritzten bis hinauf zu den höchsten Gipfeln des Himalaya. Doch die Dame stand nur bis zum Kinn im Wasser, denn der See war nicht so tief, wie er aussah. 119
»Lohengrin, rette mich, rette mich!« schrie die liebesentbrannte Sängerin; doch den König ließ ihr Hilferuf völlig kalt. Er klingelte. »Holt das Weib aus dem See und schickt es nach Hause!« befahl er, und Josephine marschierte triefend, traurig und um eine Erfahrung reicher aus dem Wasser und für immer aus der Residenz heraus. Eines Tages, da ich ungefähr fünfzehn Jahre alt war, sprachen Ludwig und mein Vater über Musik, und als Papa zufällig äußerte, daß ich eine ganz nette Stimme hätte, sagte der König sofort, er würde mich gern einmal hören. »Schade, daß der Wintergarten nicht im Stande ist, denn sonst hätte Marie mir dort vorsingen können, «bemerkte Ludwig ein oder zwei Tage später, als er sich sehr gnädig über meine Leistung aussprach. »Auch ich bedaure es sehr«, antwortete ich, »denn ich habe den märchenhaften Garten schon lange einmal sehen wollen.« Der König entgegnete nichts, doch ehe er München am nächsten Tage verließ, ließ er Papa kommen und teilte ihm mit, daß der Wintergarten ausdrücklich für mich hergerichtet worden war, und daß wir ihn am Abend alle zusammen besichtigen sollten. Er sah sehr hübsch aus, und der See war recht romantisch. Der Mond stieg glatt hinter den Pappebergen hervor, und als wir Abschied nahmen, überreichte mir der Obergärtner ein großes Bukett im Namen des Königs. Ludwig nahm auf die Empfindungen anderer wenig Rücksicht. Man erzählte sich eine komische Geschichte 120
über Josef Kainz, der zum Deklamieren befohlen war. Kainz rezitierte Stück auf Stück, doch als die Stunden vorschritten, begann er Hunger zu empfinden, und schließlich trieb ihn der Anblick des tafelnden Königs fast zur Verzweiflung. Ludwig, der in glücklicher Ahnungslosigkeit über die Raubtiergelüste seines Untertanen schwelgte und nur dessen einschmeichelnde Stimme seine Lieblingsgedichte vortragen hörte, war nicht auf den jähen Ausbruch gesaßt, der der Ankunft einer Schüssel Koteletts folgte. Kainz hielt mitten in der Rezitation inne, stürzte auf den König zu und flehte in tragischen Tönen: »Um des Himmels willen, Majestät, geben Sie mir ein Kotelett; ich sterbe vor Hunger.« Der König sprang auf und floh wortlos aus dem Zimmer. Ich weiß nicht, ob Kainz sich seine Abwesenheit zunutze gemacht und die Koteletts verschlungen hat; aber das weiß ich, daß er niemals wieder zum Deklamieren in die Residenz geladen wurde. Mancherlei Gerüchte sind über den Tod König Ludwigs im Schwange gewesen. Man hat unter anderem verbreitet, er sei auf Bismarcks Anstiftung ermordet worden; doch als Familienmitglied kann ich mit allem Nachdruck versichern, daß von diesem Unsinn kein Wort wahr ist. Des Königs Wahnsinn nahm eine so ernste Wendung, daß es absolut notwendig wurde, ihn zu bewachen. Er war indessen noch klar genug, zu erkennen, was diese Freiheitsberaubung für ihn bedeutete, der bisher frei wie ein Vogel gelebt hatte. Er wählte als Befreiungsmittel den Tod, der vielleicht das Beste für 121
ihn war. Niemand wird jemals genau wissen, was sich auf jenem letzten Spaziergang ereignete, den er mit seinem Arzt am Starnberger See unternahm. Doch als die Leichen am Morgen gefunden wurden, hielt der König den Arzt unter Wasser, und darüber herrscht kein Zweifel, daß sie bitter miteinander gerungen haben. Ludwig II. starb am 13. Juni 1886. Ihm folgte auf dem Throne sein Bruder Otto, dessen ich mich als eines gutmütigen, hübschen Jünglings erinnere, der uns oft in unserer Loge im Opernhause besuchte. Sein Gehirnleiden begann bei seiner Rückkehr von einer Reise nach dem Orient, wo er sich eine sehr traurige Krankheit geholt hatte. Der arme Mensch bekam furchtbare Krampfanfälle, und es war ein schmerzlicher Anblick, ihn im Theater zu sehen, da sein Leiden ihn oft zwang, sich die Hände zu kratzen, bis sie bluteten. Später litt Otto auch an epileptischen Anfällen. Man hielt ihn in Nymphenburg verborgen, wo Papa ihn oft besuchte. Einmal begleitete ich ihn und setzte mich im Garten nieder, um Papa zu erwarten. Plötzlich hörte ich Fußtritte, und zu meinem Entsetzen stand Otto vor mir. Er sah erschreckend krank aus und hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert, denn sein Haar hing lang herab, und seine Nägel glichen Krallen. Zu meinem Erstaunen erkannte er mich und sagte freundlich: »Liebst Du Blumen, Marie?« »Sehr,« antwortete ich voller Neugier, was nun wohl kommen würde. Otto begann sofort allerhand Gewächse auszureißen, die er in einem Hausen zu meinen Füßen aufschichtete. 122
Ich war sehr nervös und blickte mich ängstlich nach einem Wege zur Flucht um, doch glücklicherweise erschien in diesem Augenblicke sein Wärter und führte ihn fort. Der König lebt jetzt in Gewahrsam auf Schloß Fürstenried, das von einem großen Hirschpark umschlossen ist. Es liegt ungefähr zwei Stunden von München. Ehe er unheilbar krank wurde, besuchte ihn seine Mutter, die Königin Marie, oft. Doch jetzt ist er ganz zum Tiere geworden. Der verstorbene Prinzregent sorgte immer dafür, daß seinem unglücklichen Neffen die peinlichste Pflege zuteil wurde, und zweifellos tut sein Sohn, der jetzige Regent, das gleiche. Doch mit dem Tode des kranken Königs und der Thronbesteigung des Prinzen Ludwig sollte endlich für Bayern eine neue und glücklichere Epoche des Königtums anbrechen.
123
Achtes Kapitel
A
lle meine Tanten waren sehr schöne Frauen, doch mit sehr verschiedenem Temperament, obwohl sie sich sehr ähnlich sahen. Königin Sophie von Neapel lebt meistens in München und ist bei den Leuten, mit denen sie in Berührung kommt, sehr beliebt. Sie heiratete durch Stellvertretung mit fünfzehn Jahren und war sehr enttäuscht, als sie bei ihrer Ankunft in Neapel ihren Gemahl zum ersten Male sah, da das Bild, das man ihr geschickt hatte, einen sehr hübschen Mann zeigte, während das einzig Hervorragende an dem Könige seine Häßlichkeit war. Tante bezwang philosophisch und mutig ihren Schmerz; doch das peinliche Ereignis, das während der Hochzeitsnacht eintrat, flößte ihr einen unüberwindlichen Ekel gegen ihren Mann ein. Die junge Braut wurde mit allerhand Zeremonien von ihren Hofdamen zu Bette gebracht, und nachdem König Franz sich eingefunden hatte, wurden die Schlafzimmertüren verschlossen; die Schlüssel blieben im Gewahrsam hoher Beamten. Unglücklicherweise hatte der König bei dem Staatsbankett zu übermäßig gegessen und war infolgedessen während der ganzen Nacht 124
sehr unwohl. Da das Zimmer keine Klingel hatte, kann man sich den angenehmen Zustand ungefähr vorstellen, der sich den Beamten bot, als sie die Türen am nächsten Morgen aufschlossen. Tante war sehr unglücklich, denn König Franz war eine widerliche Kreatur, der mit seiner Frau nicht einen Gedanken gemein hatte; sein Tod muß eine wahre Erlösung für sie gewesen sein. Man hat Königin Sophie »die Heldin von Gaeta« genannt in Anerkennung des Mutes, den sie bei der Verteidigung der Stadt während der Belagerung durch Viktor Emanuel zeigte. Man kann ruhig behaupten, daß sie die ganze Verteidigung allein leitete. Ihr war es zu verdanken, daß die Besatzung mit allen kriegerischen Ehren abziehen durfte. Die Königin stand auf den Wällen und half sogar beim Richten der Kanonen. Ich erinnere mich, daß Tante Sophie mir erzählte, ihre Gesellschafterin zur Zeit der Belagerung sei eine alte italienische Herzogin gewesen, die ihr zwar sehr ergeben, aber so entsetzt war, als das Geschützfeuer begann, daß sie die meiste Zeit unter dem Bette verbrachte. Nach dem Kriege lebte das Königspaar einige Jahre lang in Rom, wo ihr einziges Kind starb. Als ich noch ein ganz kleines Mädchen war, besuchte ich Tante Sophie auf zwei Monate in St. Mandé, wo sie eine Villa besaß. Während meines Aufenthaltes dort verkehrten wir viel mit den Rothschilds. Ich lernte Bettina Rothschild kennen, eine der entzückendsten Frauen, die ich je gesehen habe, die im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern der berühmten Familie nicht die Spur jüdisch aussah. 125
Meine Tante Prinzessin Helene, der Franz Josef einen Korb gab, um ihre jüngere Schwester Elisabeth zu heiraten, wurde die Gemahlin des Fürsten Thurn und Taxis, des reichsten Fürsten in Bayern. Es war eine lieblose Ehe; nach . ihres Mannes Tode wurde die Prinzessin fromm und endete schließlich ihr Leben in Bigotterie. Nach dem Tode nahm sich die Kaiserin ihres ältesten Sohnes Max an. Zwischen beiden bestand eine große Zuneigung, doch mein Vetter starb sehr jung, und sein Bruder, der Gatte der Erzherzogin Marguerita, ist jetzt der Chef des Hauses. Meines Vaters dritte Schwester, Prinzessin Mathilde, heiratete den Prinzen Trani, den Bruder des Königs von Neapel. Die beste Beschreibung von ihr ist die, daß sie eine Karikatur der Kaiserin war. Wie Elisabeth verstand sie die Kunst, sich zu kleiden; ihre außerordentliche Dürftigkeit trug ihr in der Familie den Spitznamen »Spatz« ein. Die Herzogin d’Alençon war ein engelhaftes Geschöpf, deren heroischer Tod mit ihrem seelenvollen Leben in harmonischem Einklang stand. Sie hat sich in Wahrheit niemals von dem Schmerz über die Auflösung ihrer Verlobung mit König Ludwig erholt und blieb immer eine leidgebeugte Frau. Ich war gerade in München, als sie nach des Königs Tod dorthin kam. Sie bat mich, sie in die Kapelle zu begleiten, da sie an der Bahre beten wolle. Die Herzogin legte einen wundervollen Kranz mit purpurnen Schleifen am Sarge nieder, dann fiel sie auf die Knie und weinte herzbrechend. Ich ließ ihren Schmerz sich austoben, ehe ich sie zu trösten suchte, denn ich 126
empfand, daß solchem Leid gegenüber Worte ohnmächtig sind. Plötzlich blickte meine Tante mich an und sagte mit unbeschreiblichem Weh in der Stimme: »Marie, glaubst du, daß er mir vergeben hat?« Die Ehe meiner Großeltern war, wie die meisten Heiratsunternehmungen der Familie, recht unglücklich. Die Trauung fand im Schlosse Tegernsee statt, der Sommerresidenz des alten Königs Max Joseph I. Meine Großmutter, ein großes, schönes Mädchen, sträubte sich gegen den kleinen schlichten Mann; doch da ihr befohlen wurde, den Herzog Max zu heiraten, hatte sie sich damit abzufinden. Tegernsee, das früher ein Kloster war, ist ein seltsamer alter Bau mit vielen langen Gängen, aus denen kleine Türen in die zahlreichen Ofenräume führen, die das Schloß heizen. Hier in Tegernsee gab es nicht die Zeremonie der Entkleidung der Braut, die die Ehe der Königin von Neapel eingeleitet hatte. Meine Großeltern gingen ohne jede Begleitung den Korridor hinab, der zu ihrem Brautgemach führte. Da wurde die Abneigung meiner .Großmutter gegen ihren Mann plötzlich so heftig, daß sie empfand, sie könne und wolle die Nacht nicht bei ihm bleiben. Ein glücklicher Gedanke kam ihr, als sie bei einer der offenen Türen vorüberschritten. Die Braut äußerte eine starke Neugier nach den Geheimnissen hinter dieser Tür. Zuvorkommend ging der Bräutigam auf Erkundung. Kaum war er aber über die Schwelle, da verschloß meine Großmutter die Tür, steckte den Schlüssel in die Tasche und lief davon. 127
Am nächsten Morgen meldete ein verstörter Diener, in dem langen Gange tobe ein höllischer Lärm. In der Tat vernahm man ein dumpfes Dröhnen, Klopfen und Fluchen, als eine Unter-suchungskommission auf dem Plan erschien. Nach einigem Zaudern schloß ein Beherzter die Tür des Ofenraumes auf, aus dem das Gepolter wetterte, und zur allgemeinen Verblüffung erwies es sich, daß die rußige Gestalt, die da hervortauchte, niemand anders war als der Herzog, der nach Recht und Billigkeit sich in viel angenehmerer Lage hätte befinden sollen. Es ist nicht verwunderlich, daß das Eheleben meiner Großeltern nach diesem »schwarzen« Anfang nicht sonderlich freundlich war, und während ihrer letzten Lebensjahre sahen sie sich kaum, obwohl sie unter demselben Dache wohnten, Mein Vater hat mir oft eine amüsante Begebenheit erzählt, die sich zutrug, als er mit meiner Großmutter zu Elisabeths Hochzeit mit Franz Josef nach Wien fuhr. Es gab in jenen Tagen noch keine Eisenbahnen; die lange Reise wurde daher in sehr großen Wagen zurückgelegt. Im ersten saß meine Großmutter, Prinzessin Elisabeth und eine Hofdame; mein Vater, der Hofkammerherr und zwei Beamte folgten in dem zweiten, während die übrigen Wagen die Dienerschaft und das Gepäck beförderten. Meine Großmutter hatte einen sagenhaften neuen Hut gekauft, mit dem sie die Wiener niederschmettern wollte, und aus Furcht, ihm könne etwas zustoßen, vertraute sie ihn meinem Vater an, der die Riesenschachtel mit dem kostbaren Inhalt während der ganzen Reise ans Herz 128
preßte. Kurz vor Wien kippte meines Vaters Wagen um, und in der Verwirrung, die diesem Mißgeschick folgte, setzte er sich unseligerweise auf die Schachtel und brach durch den Deckel durch. »Mein Hut, mein Hut!« schrie meine grauenentstellte Großmutter, die hastig ihren Wagen verlassen hatte, um nachzusehen, was geschehen war. »Ihm ist nichts passiert,« rief Papa, stellte bei diesen Worten den lädierten Kopfschmuck auf die Knie und versuchte seine geknickte Befiederung wieder aufzurichten. Doch das Stroh war sehr sein, und bei seinem Drücken und Streichen stieß er das Knie mitten durch die Krone hindurch und gab ihm den Rest. Meine Großmutter raste, und während ihres ganzen Wiener Aufenthaltes hörte sie nicht auf, darüber zu jammern, daß Wien ihren Wunderhut aus Bayern nicht erlebt hatte. Des verstorbenen Regenten Schwester, Prinzessin Alexandra, war ebenfalls wahnsinnig; das Gerücht schrieb ihren Zustand einer unglücklichen Liebesaffäre zu. Sie hatte sich in einen jungen Offizier vernarrt, doch der bloße Gedanke an eine Ehe mit ihm wurde als Wahnwitz betrachtet, und das schöne Mädchen wurde trübsinnig, wie aus ähnlichen Gründen König Ludwig. Die Prinzessin wurde von der fixen Idee verfolgt, sie sei von Staub bedeckt. Sie und ihre Kleider wurden daher den ganzen Tag lang von Mädchen, die sich hierin ablösten, abgebürstet; ja, selbst ihre Speisen und ihr Trank mußten vor ihren Augen abgestaubt werden. Eine andere ihrer Wahnideen ging dahin, daß ein Sofa seinen Aufenthalt in ihrem Kopfe genommen habe, so daß die 129
Prinzessin es für höchst gefährlich für sich hielt, durch eine Tür zu gehen, da sie dabei leicht die Enden des Sofas abstoßen konnte. Diesem lästigen Zustande wurde glücklicherweise ein Ende bereitet. Denn ein Pfiffikus kam auf die Idee, ein Puppensofa in die Schüssel zu legen, die die Prinzessin bei einer Übelkeit benutzte. Man redete ihr nun ein, daß ihr Leid durch das Ringen des Sofas nach Freiheit verursacht worden war und daß jetzt alles gut sei, da es ja glücklich durch den Mund entkommen wäre. 1887, im Jahre nach König Ludwigs Tode, reiste ich nach Bad Kreuth bei Tegernsee, wo ich die Kaiserin traf. Elisabeth hatte mich seit der Tragödie vom Starnberger See nicht gesehen; wir sprachen viel über den König und mancherlei Begebenheiten aus seinem Leben, die nur wir beide kannten. Eines Tages unternahmen wir einen weiten Spaziergang, bei dem die Unterhaltung wie gewöhnlich auf Ludwig kam. Wir hatten uns zur Rast niedergelegt, und vielleicht erweckte die einsame Größe der Gebirgswelt ringsum die Erinnerung an den toten Vetter in unserem Gemüte. »Er ist nicht glücklich,« sagte Tante Sissi, und ein mystischer Glanz verklärte ihre Augen bei diesen Worten. »Ich spreche oft mit Ludwig. Seine Seele hat keinen Frieden gefunden.« Ich war an Elisabeths sonderbare Ideengänge so gewöhnt, daß ich kein Erstaunen zeigte und nur fragte: »Hast du den König gesehen?« »Ja, Marie,« antwortete Tante; »was ich dir jetzt erzählen will, ist Wort für Wort wahr. In der ersten Nacht, die 130
ich nach Ludwigs Tode in Bayern zubrachte, ist er mir erschienen.« »Aber, Tante Sissi, das war sicherlich ein Traum!« »Es war kein Traum,« entgegnete die Kaiserin. »Ich hatte mich zu Bett begeben, konnte aber keinen Schlaf finden, obwohl das Zimmer dunkel und draußen alles ruhig war. Während ich die einsamen Stunden hindurch wach lag, quälten mich allerlei Gedanken, und plötzlich schien es mir, als hörte ich ein monotones Tropfen von Wasser. Es regnet wahrscheinlich, sagte ich mir, und die Tropfen fallen auf die Blätter dicht an meinem Fenster. So beachtete ich denn das Geräusch nicht weiter, bis ich einen Laut vernahm, wie das Gurgeln des Wassers gegen den Strand.Du kennst dieses Rauschen, Marie; wir haben es oft auf unseren Ritten am Stamberger See gehört. Allmählich erfüllte dieses sanfte Sickern das ganze Zimmer, und ich durchlebte alte Nöte des Ertrinkens. Ich röchelte und erstickte und rang nach Luft, dann schwand das Grauen, mit letzter Kraft setzte ich mich im Bett auf und atmete wieder frei. Der Mond war jetzt aufgegangen, und sein Schein erleuchtete das Zimmer mit Tageshelle. Da sah ich, wie die Tür sich langsam öffnete, und Ludwig kam herein. Seine Kleider waren schwer vom Wasser, das an ihm herabtriefte und kleine Lachen auf dem Parkett bildete. Sein feuchtes Haar klebte um sein weißes Gesicht, doch es war Ludwig, wie er im Leben ausgesehen hatte. Wir starrten einander schweigend an, dann sagte der König langsam und traurig: 131
›Hast du Angst vor mir, Sissi?‹ ,Nein, Ludwig, ich habe keine Angst‹ ,›Ach,‹ seufzte er,‹ der Tod hat mir nicht den Frieden gebracht, Sissi; sie verbrennt in Qualen. Die Flammen umflackern sie, der Rauch erstickt sie. Sie verbrennt, und ich kann sie nicht retten!‹ ›Wer verbrennt, lieber Vetter?‹ fragte ich. ›Ich weiß es nicht, denn ihr Gesicht ist verhüllt,‹ antwortete er, ›doch ich weiß, daß es eine Frau ist, die mich geliebt hat, und bis ihr Geschick sich erfüllt, werde ich nicht frei sein. Doch nachher wirst du uns begegnen, und wir drei werden zusammen glücklich sein im Paradies.‹ ›Was bedeutet das? Wann soll ich dir begegnen?‹ ›Das kann ich dir nicht sagen‹, erwiderte Ludwig, ,denn im Reiche der Seelen kennt man keine Zeit.‹ ›Auf welchem Wege soll ich Euch begegnen? Wird es eine Reise durch ein schmerzliches Alter sein voller Reue und Erinnerung?‹ ›Nein, Sissi‹, sagte mein Vetter, ›wohl wirst du viele Tränen vergießen und Reue und Erinnerung kennen lernen, ehe du zu uns kommst. Aber deine Reise wird ein rasches, jähes Ende finden.‹ ›Werde ich leiden müssen?‹ Er lächelte: ›Nein, du wirst nicht leiden.‹ ›Wie soll ich wissen, daß ich nicht träume?‹ fragte ich. Ludwig kam langsam an mein Bett, die Kälte des Todes und des Grabes durchfröstelte die Luft. ›Gib mir die Hand,‹ gebot er. Ich streckte die Hand aus, und seine nassen Finger umschlossen sie. In diesem Augenblick wurde all mein 132
Mitleid lebendig. ›O, bleibe,‹ rief ich, ›verlaß’ nicht die Freundin, die dich liebt, um zu deinen Leiden zurückzukehren. O, Ludwig, bete mit mir um deinen Frieden.‹ Doch während ich sprach, verschwand die Gestalt; wieder hörte ich das Tropfen des unsichtbaren Wassers und das Gurgeln des Sees gegen das Ufer. Entsetzen faßte mich, denn ich fühlte die Nähe der Schatten jener anderen Welt, die ihre gespenstischen Arme nach dem Trost der Lebenden ausstreckten. Dann wurde ich bewußtlos und muß wohl eingeschlafen sein. Als ich erwachte, graute der Tag; doch ich wußte, wie ich es jetzt weiß, daß ich Ludwig wirklich gesehen und mit ihm gesprochen hatte.« »Wen kann er wohl mit der Frau, die verbrennt, gemeint haben?« fragte ich. »Ich habe keine Ahnung,« antwortete Tante Sissi. Die Kaiserin sprach oft von ihrer seltsamen Erscheinung, und man hat mir erzählt, daß Elisabeth nach dem Tode der Herzogin d’Alençon in jenem furchtbaren Brande des Wohltätigkeitsbasars anderen erklärt hat, Ludwigs Prophezeiung habe sich nun erfüllt, und auch sie müsse sich zu ihrer letzten Reise rüsten. Sechzehn Monate nach dem Tode ihrer Schwester hat sie sie angetreten. ZweifelIos werden viele diese Geschichte, die ich damals niederschrieb und die ich fast genau mit den Worten der Kaiserin wiedergebe, albern finden. Doch wer glaubt, daß die Sympathie der Seelen über das Grab hinaus dauern kann, dem wird es nicht unmöglich erscheinen, daß Elisabeth und Ludwig sich noch einmal begegnet sind.
133
Neuntes Kapitel
S
eit jenem Oktobertag, an dem ich lediglich der Kaiserin zu Gefallen die Frau des Grafen Larisch wurde, war mein Leben ziemlich ereignislos verronnen. Meines Gatten plötzliches Selbstbewußtsein hatte Elisabeths Absichten über den Hausen geworfen, und wenn ich auch viel mit ihr zusammen war, wenn ich gerade in Wien weilte, so war meine Vertrauensstellung bei ihr doch dahin. Und manchmal dachte ich voll Bitterkeit daran, daß Tante sich um mich und mein Wohl nicht mehr halb so viel kümmerte als damals, da ich ihr noch nützlich sein konnte. Ich lebte mit dem Grafen zuerst in einer einsamen Gegend Schlesiens, dann zogen wir auf ein anderes Gut in der Nähe des Wohnortes der Verwandten meines Mannes. Doch da Georg nicht zum besten mit seinen Leuten stand, entschloß er sich, einen Besitz in Böhmen nicht weit von Pardubitz zu erstehen. Dort baute er einen Landsitz. Ich hegte keine große Liebe zu unserem neuen Heim, wo ich mich zu Tode langweilte, wenn die Jagden vorüber waren. Aber glücklicherweise gehörte mir ein 134
reizendes kleines Haus in den bayrischen Bergen, wo ich sehr glückliche Zeiten mit meinen Kindern verlebte. Graf Larisch verschonte uns in Bayern mit seiner Gesellschaft, da er eine tief eingewurzelte Abneigung gegen meine Heimat und meine Familie empfand. Seine Besuche in Villa Valerie dauerten daher immer nur einige Wochen. Aber ich war nicht eigentlich unglücklich. Ich liebte meine Kinder, hatte mancherlei Beschäftigung, und vielleicht wurde auch die beschränkte bayrische Art in mir ein wenig zur Philosophie. Ich hatte, wie die meisten Frauen, eine stille Liebe, doch das war mein Geheimnis, und der Gegenstand meiner Sehnsucht wußte nichts von ihr. Ich trieb friedlich durch meine gleichmäßigen Tage dahin, erwartete keine Veränderung mehr, denn meine Gefühle hatten sich abgestumpft, und ich hatte mich dazu erzogen, das Leben hinzunehmen wie es war. Im Jahre 1886 traf mich ein Unfall, während ich in der Privatreitbahn der Kaiserin ritt. Mein Pferd stürzte mit mir, und ich brach mir am Sattelknauf die Rippen. Ich verletzte mir Augen und Nase, meine Zähne lockerten sich, und sechs Wochen lang lag ich hilflos, in einer verdunkelten Stube. Damals war Tante Sissi sehr lieb zu mir, kam oft und saß bei mir und bezauberte mich wie in den alten Tagen, und ich fühlte wieder etwas von der früheren großen Liebe zu ihr. Gerade damals begann Elisabeth, sich ihren Träumen vom antiken Griechenland hinzugeben. Sie schien über die Nichtigkeiten des Lebens hinaus zu sein und Trost in ernsten Dingen zu suchen. Eines Tages machte ich ihr 135
Vorwürfe, daß sie mich ihren Zwecken geopfert habe. »Meine liebe Marie,« antwortete sie, »ich kann nichts dafür, daß ich selbstsüchtig bin. Meine Stellung hat mich dazu gebracht; die Leute opfern sich mir, sollte ich es nicht annehmen?« »Es war nicht gut von dir, mich aus meinem Leben in München herauszureißen,« sagte ich bitter. »Du gehörtest mir seit jenem Tage in Garatshausen,« erwiderte sie. »Du hast mich weinen sehen, und keiner außer dir sah je meine Tränen. Wenn dich das Leben enttäuscht hat, mir ist es nicht besser ergangen, denn auch mich hat es sehr hart mitgenommen. Warum ziehst du dich nicht in das Heiligtum deiner Seele zurück, wo du deinen Frieden finden und ausruhen kannst von den kleinlichen Leiden, die den ruhelosen Sinn noch bekümmern?« Ich suchte ihr darzulegen, daß Marie Larisch nicht in der Welt des Unwirklichen leben konnte, die Elisabeth von Österreich für sich entdeckt hatte, und daß ich in einem solchen Dasein nicht mein Heil zu finden vermochte. »Ich habe eine seltsame Ahnung, daß dein Leben an einem Wendepunkt steht,« äußerte Tante Sissi, plötzlich in Gedanken verloren. »Manchmal sehe ich dich unter Blut und Tränen, und ich höre Stimmen, die mich vor der Zukunft warnen.« »Wirst du nicht immer meine Freundin sein?« forschte ich. »Immer, so lange ich mich in dir nicht täusche,« antwortete Elisabeth. 136
»Du hast mich bisher doch immer deines Vertrauens und deiner Freundschaft würdig befunden,« hielt ich ihr vor. »O, meines Vertrauens – ja,« sagte Tante Sissi, »Freundschaft gibt es nicht. Sie ist ein schwankes Rohr, auf das man sich in wirklicher Gefahr nicht stützen kann. Dichter besingen ihre Herrlichkeit, aber glaube mir, keine Tat, die im Namen der Freundschaft getan wurde, entsprang je einem selbstlosen Motiv. Sie ist eine Farce zwischen Mann und Weib, denn noch kein Mann hat jemals einer Frau geholfen, ohne zu hoffen, daß sie ihm das, was er ihr gab, gelegentlich in gleicher Münze erstatten würde.« »Du halt seltsame Gedanken,« sagte ich, »deine Ansichten erschrecken mich.« Die Kaiserin schwieg. Doch ich mußte über ihre Worte nachdenken und flehte inbrünstig, daß mir eine Zukunft voller Blut und Tränen erspart bleibe. Im September 1888 kam ich nach Wien, ohne zu ahnen, daß das Schicksal mich bald zwingen sollte, gegen meinen Willen eine Rolle in der Tragödie zu spielen, die als eines der größten Mysterien unserer Zeit betrachtet wird. Der September ebendieses Jahres war ein wunderbarer Nachsommer. Ich genoß in vollen Zügen die Woche, die ich zu Einkäufen in Wien verbrachte. Ich wohnte im Grand Hotel und hatte keinem meine Ankunft mitgeteilt, da ich nicht mit Einladungen belästigt sein wollte. Eines Morgens, als ich auf dem Ring spazieren ging, hörte ich meinen Namen rufen, und als ich mich umwandte, stand 137
die Baronin Vetsera (die Mutter) vor mir. Die Baronin war eine sehr kleine Frau, deren überaus geschickt gearbeiteten Kleider ihre schlecht proportionierte Figur und den hohen Rücken kaschierten. Doch trotz dieser Fehler war sie wirklich sehr hübsch, denn ihre ausdrucksvollen dunkelgrauen Augen hätten jedes Gesicht verschönt. »O Marie,‹ rief sie, »wie freue ich mich, dich zu sehen! Was führt dich nach Wien?« »Neue Kleider!« antwortete ich lakonisch, »das heißt, der Wunsch, sie zu besitzen. Doch ich bin nur en passant hier.« »Bist du allein?« »Absolut.« »Dann lasse ich keine Ausrede gelten. Komm’ zu uns zum Frühstück. Mary und Hanna sind zu Hause, und du weißt, wie entzückt die ›kleine Mary‹ sein wird, dich zu sehen. Du kommst also?« Ich zögerte. »Ihr werdet ganz en famille sein?« »Ganz,« antwortete die Baronin, »ich gehe sofort nach Hause, um den Kindern dein Kommen zu melden.« Sie schüttelte mir herzlich die Hand, und ich ging weiter. Ich hatte die Baronin recht gern, obwohl Graf Larisch die ganze Familie grob Hochstapler nannte. Das ganze elegante Wien verkehrte im VetseraPalais, und wenn die Frauen auch böse Dinge über die Gastgeberin tuschelten, so amüsierten sie sich doch trefflich auf ihren Diners; denn sie war eine bedachtsame und taktvolle Frau, die immer dafür sorgte, daß ihre Gäste die 138
Leute bei ihr trafen, die sie zu treffen wünschten. Der Vater der Baronin Vetsera, Herr Baltazzi, stammte aus Konstantinopel, wo er eine verantwortliche Stellung im Hause eines einflußreichen Paschas bekleidet hatte. Nach des Paschas Tode ging Baltazzi nach England, heiratete dort und siedelte dann mit seinen Kindern nach Österreich über. Da die Söhne tüchtige Sportsleute und die Mädchen schön und pikant waren, wurden die Baltazzis, die mit ihrem Gelde warfen, mit offenen Armen in die Wiener Gesellschaft aufgenommen. Evelyn Baltazzi heiratete den Grafen Georg Stockau, ihre Schwerer Marie Virginia (»Bibi«) den Grafen St. Julien, und Helene wurde die Gemahlin des Baron Vetsera, von dem sie vier Kinder hatte: Hanna, Mary und zwei Söhne: Lazlo und Féry. Die Brüder Baltazzi: Alexander, Hektor, Aristides und Heinrich, waren alle schöne, etwas orientalisch aussehende Männer, und wenn sie auch nie zu Hofe gingen, erwies ihnen das Kaiserpaar doch viel Liebenswürdigkeit, und Elisabeth selbst stellte mich, wie ich schon erzählt habe, der Baronin vor. Madame Vetseras Ruf war nicht gerade gut, doch die Wiener Aristokratie ist in puncto Liebelei sehr duldsam und vergibt so manches einer Frau, die gut und geschmackvoll zu bewirten versteht. Ich war von Zeit zu Zeit mit den Vetseras recht viel zusammen gewesen, und die »kleine Mary«, wie sie ihre Freunde nannten, war mir sehr zugetan. Die ganze Familie ging im Winter 1887 wegen des Barons Krankheit nach Kairo, und von dort erhielt ich höchst romantische und unbedachte Briefe von 139
Mary; die ein Verhältnis mit einem englischen Offizier angeknüpft hatte. Als sie im März 1888 nach ihres Vaters Tode nach Wien zurückkehrte, war Mary nicht mehr das schöne, junge Mädchen, das sie gewesen war. Sie erzählte mir die ganze Geschichte, als wir uns trafen und beklagte, daß der Mangel an Geld und Aussichten eine Ehe zwischen ihr und dem Leutnant verhindert hätte. Ich traf etwa eine halbe Stunde vor der Frühstückszeit im Vetsera-Palais ein, und da ich mit Hanna und Mary etwas plaudern wollte, ging ich unangemeldet zu den Zimmern der Mädchen. Als ich leise die Tür öffnete, vernahm ich den Laut ärgerlicher Stimmen, und als ich ins Zimmer trat, hörte ich Mary etwas sagen, was die Schwester offensichtlich reizte. Hanna Vetsera, ein ruhiges, reserviertes, schlichtes Mädchen, war bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, ihrer Malerei. Ihr Zimmer ging in das Marys. Sie hatten sich anscheinend heftig gezankt, denn Hanna blickte böse und grimmig drein. »Guten Tag, kleine Mary,« sagte ich. Bei dem Klange meiner Stimme blickte ein junges Mädchen, das sich über einen Schreibtisch beugte, auf; als sie mich erkannte, warf sie sich in meine Arme und küßte mich immer und immer wieder. Mary Vetseras Bild steht unauslöschlich in meiner Erinnerung, und ich brauche nur die Augen zu schließen, um sie in ihrer frischen Schönheit vor mir zu sehen. Sie war nicht groß, und ihre geschmeidige Gestalt und ihr vollentwickelter Busen ließen sie älter als achtzehn 140
erscheinen. Ihr Teint war wunderbar zart; ihr kleiner, roter genußfroher Mund öffnete sich über kleinen, weißen Zähnen, die ich Mausezähne zu nennen pflegte, und niemals habe ich wieder solche beseelten Augen gesehen mit solch langen Wimpern und solchen feingezogenen Brauen. Ihr dunkelbraunes Haar war sehr lang, die Hände und Füße fein und klein, ihr Gang war von einer verführerischen und unwiderstehlichen Grazie. »O Marie,« rief sie zwischen den Küssen, »wie ich mich freue, dich zu sehen!« »Sachte, sachte,« sagte ich, »was ist denn los? Deine Augen sprühen böse, deine Wangen sind gerötet; du bast dich sicher mit Hanna gezankt?« »Mary ist ein törichtes Kind,« rief Hanna aus dem Nebenzimmer; »mir scheint, sie ist dabei, das bißchen Verstand zu verlieren, das sie besitzt.« »Durchaus nicht,« gab Mary zurück. »Was ist denn los?« fragte ich wieder. »Nun,« sagte Hanna, legte den Pinsel nieder und kam in das Zimmer der Schwester, »ich werde es dir sagen, aber du wirst niemals glauben, daß ein Mensch so närrisch sein kann. Denke dir, sie ist wahnsinnig verliebt in …, ich werde es dir ganz vorsichtig versetzen, sie ist verliebt – in den Kronprinzen! Was sagst du zu diesem Blödsinn! Und sie ahnt gar nicht, wie lächerlich sie sich macht.« Marys Augen funkelten auf, doch sie sagte nichts. Hanna fuhr fort: »Ihre ganze Liebe zu dir geht auf Konto deiner Verwandtschaft mit Rudolf. Sie bildet sich auch ein, du 141
sähest ihm ähnlich. Sage ihr doch bloß, was er ißt und trinkt, es interessiert sie brennend.« »Und wen geht es an, wenn ich mir gestatte, den Kronprinzen zu bewundern?« fragte Mary gedehnt und keck. »Es macht mir Vergnügen, jemand anzubeten, der so ganz anders ist als alle anderen Männer. Miguel Braganza hat mir schon eine Menge von ihm mitgeteilt.« »Ja, du sprichst mit ihm überhaupt von nichts anderem als von Rudolf. Der arme Mann war schon ganz krank von deinen Fragen,« bemerkte Hanna. Hier meldete ein Diener, daß das Frühstück aufgetragen sei, und der Streit fand zum Glück sein Ende. Ich war erstaunt, als ich sah, daß die Baronin Marys Heldenverehrung kannte und sie für einen guten Witz hielt. Doch da ich die impulsive Natur ihrer Tochter kannte, beruhigte mich nur der Gedanke einigermaßen, daß sie Rudolf wohl kaum jemals im Privatleben begegnen würde. Welch ein seltsames Geschöpf Mary doch war! Sie war kokett aus Instinkt, unbewußt unmoralisch in ihren Neigungen, fast Orientalin in ihrer Sinnlichkeit und dabei so süß und lieblich, daß jeder sie gern haben mußte. Sie war zur Liebe geboren, und ihre ägyptische Episode hatte sie zum Weibe gereift, das schon die Gluten der Leidenschaft kannte. Marys Phantasie war leider durch schlechte Bücher verdorben worden, die ihre Zofe Agnes ihr heimlich verschafft hatte, und manche ihrer Ideen über Liebe und Anbeter entsprangen unsittlichen, grell aufgetragenen französischen Romanen. 142
Nach dem Frühstück schleppte Mary mich in ihr Zimmer und bombardierte mich geradezu mit Fragen nach meinem Vetter. Das machte mir eigentlich Spaß, denn ich hatte in ihm nie einen Mann gesehen, der die Phantasie eines jungen Mädchens gefangen nehmen konnte. »Liebe Marie, ich habe eine große Bitte an dich,« flüsterte sie und preßte ihren schönen Kopf an meine Schulter. »Nun, was ist es denn, du dummes Mädel?« »Du gehst zu den Feierlichkeiten zur Diamanthochzeit deiner Großeltern,« antwortete sie; »ich weiß, Rudolf wird dort sein. Bitte, sag’ ihm, daß eine, die ihn liebt, ihm innige Grüße sendet.« »Fällt mir gar nicht ein!« erwiderte ich. »Wölfe wie Rudolf fressen schließlich solche kleine Lämmer, wie du bist, mein liebes Kind. Ich versichere dich, er ist in Wirklichkeit gar nicht der Heros, den du in ihm siehst, sondern ein ziemlich herzloser und heftiger Mann.« »Das glaub’ ich nicht!« rief sie. »Jedenfalls überbringe ihm meine Botschaft.« Doch ich wollte mir diesen Unsinn nicht länger anhören, und als ich Abschied nahm, sah ich ihr voll ins Gesicht und sprach: »Ich hoffe ernsthaft, ich werde bei meiner Rückkehr nach Wien hören, daß du dir Rudolf aus dem Sinn geschlagen hast. Glaube mir, ›kleine Mary‹, er ist einer ernsten Neigung nicht wert.« Bald vergaß ich Mary Vetseras Angelegenheit. Doch, als ich auf einige Tage nach Wien zurückkehrte, empfing 143
ich von ihr einen Brief, in dem sie anfragte, ob sie mich eines Nachmittags zum Tee besuchen dürfe. Ich erwiderte, daß ich mich sehr freuen würde, und bald darauf traf Mary mit ihrer Zofe im Hotel ein. Ich erwartete, Rudolfs Namen zu hören, sobald wir allein waren. Doch zu meiner großen Überraschung erwähnte Mary ihn nicht, sondern erzählte mir den ganzen Wiener Klatsch, und ich freute mich, daß ihre Schwärmerei für meinen Vetter erloschen war. Ehe Mary ging, bat sie mich um die Erlaubnis, einen Brief zu schreiben, den sie dann in ihren Sealskinmuff steckte. Sie ersuchte mich, mit ihr hinunter zum Wagen zu kommen, »bloß zu einem letzten Kuß,« wie sie erklärte. Als ich ihr Adieu sagte, stürzte sie zu meiner Überraschung plötzlich auf den Hotelbriefkasten zu und warf den Brief ein, den sie oben geschrieben hatte. Dann gab sie mir noch einen flüchtigen Kuß und war fort. Am nächsten Tage erhielt ich einige Zeilen von Mary. »Laß mich dich, bitte, heute abend besuchen,« schrieb sie, »ich habe dir viel zu erzählen.« Da ich ganz allein war, hatte ich gegen ihren Besuch nichts einzuwenden. So schrieb ich denn der Baronin und fragte an, ob Mary den Abend mit mir verbringen dürfe. Sie war an jenem Abend in ausgelassenster Laune, tanzte im Zimmer umher, küßte mich dazwischen immer wieder, bis sie endlich ruhiger wurde und sich neben mich setzte. »Marie, kannst du ein sehr, sehr großes Geheimnis bewahren?« fragte sie. 144
Ich lächelte bei dem Gedanken, wessen Geheimnisse ich seiner Zeit bewahrt hatte. »Ich glaube,« sagte ich. »Und wirst keinem jemals etwas verraten?« »Ich werde keinem jemals etwas verraten.« »Dann höre, laß mich deine Hand halten, Marie – du bist so lieb, so – jetzt werde ich anfangen. Endlich habe ich Rudolf kennen gelernt. Ich konnte ohne ihn nicht leben. Er war mein einziger Gedanke. Ich mußte ihm sagen, was ich für ihn empfand.« Ich fuhr auf. Was würde ich noch hören! Aber ich konnte nichts anderes sagen, als: »Nun, Mary?« »Ich habe ihm geschrieben,« fuhr sie fort. »ich sagte ihm, daß ich ihn liebe, und daß ich nur den einen Wunsch hätte, ihn zu sprechen. Ob er mir eine Zusammenkunft bewilligen wolle. Ein postlagernder Brief unter der und der Nummer würde mich erreichen.« »Und Rudolf?« fragte ich, und wußte nicht recht, ob ich schlief oder wachte. »Rudolf antwortete,« erwiderte Mary. »Er teilte mir mit, daß jede Nacht um zwölf Uhr ein Fiaker eine Stunde lang in der Salesianergasse warten würde. Wenn ich also entschlüpfen könne, würde ich wissen, was ich zu tun hatte.« »Hatte er eine Ahnung, wer die Absenderin des Briefes war?« fragte ich. »Ich glaube« erwiderte sie, »denn er hat mich oft angestarrt, wenn er im Prater fuhr.« »Ich hoffe doch, daß du nicht so unklug warst, mit meinem Vetter zusammen zu treffen!« »Blick doch nicht so chokiert drein, Marie!« 145
»Ich bin chokiert. Antworte sofort!« »Nun … ja, ich bin gegangen.« Ich war einfach erschlagen, denn ich wußte, wie streng Mary gehalten wurde, und daß sie ohne Begleitung nicht über die Straße gehen durfte. »Ich habe Agnes ins Vertrauen gezogen,« erläuterte Mary; »sie war die geeignetste Person, denn da ihr Vater Hauswart in unserem Palais ist, kann sie sich leicht des Schlüssels bemächtigen, wenn ich unbeobachtet hinaus oder hinein will.« Ich konnte Agnes nicht leiden, die, wie man allgemein wußte, zu allen Männern der Baltazzi-Familie in recht freien Beziehungen gestanden hatte. Ich sagte Mary, daß ich ihr Benehmen skandalös fände. Sie lachte und zündete sich eine Zigarette an. Dann fuhr sie in ihrem Berichte fort: »Jedenfalls bin ich hinausgeschlüpft. Ich zog einen Schlafrock über mein Nachthemd, und als ich erst bei Hanna vorbei war, die wie eine Tote schläft, kroch ich die Treppen hinunter. Dort erwartete mich Agnes mit einem langen Mantel und einem dichten Schleier, den ich um Kopf und Gesicht wickelte. Sie schloß die Tür auf, und ich lief die Straße hinab, sprang in den Fiaker, der an der Stelle wartete, die Rudolf bezeichnet hatte.« »Und dann?« »Wir fuhren los, und bald hielt der Fiaker. Eine Gestalt tauchte aus der Nacht. Es war Rudolf! O, Marie, wie kann ich dir meine Gefühle schildern? Ich wurde fast ohnmächtig vor Freude, als ich ihn an meiner Seite wußte. Ich fühlte mich wie im Himmel. Wir sprachen von tau146
send Dingen. Er war gerade so anbetungswürdig, wie ich ihn mir vorgestellt habe.« »Mary, Mary!« rief ich. »Armes Kind, denk’ doch an die Folgen! Solch ein Abenteuer kann doch nicht gut ablaufen!« Sie schlang die Arme um meinen Hals. »Du wirst uns nicht verraten!« »Nein, nein,« versicherte ich, »mich geht es überhaupt nichts an. Ich will durchaus nicht in diesen verrückten Skandal hineingezogen werden.« Mary gab sich die größte Mühe, mir zu beteuern, daß die ganze Sache höchst unschuldig sei. Wenn man sie hörte, war des Kronprinzen Moral unerschütterlich. Ich blieb ziemlich ungläubig, denn ich hatte Rudolf niemals als einen Mann schildern hören, der vor Jugend und Unschuld zurückscheute, wenn seine Wünsche in Frage kamen. Ich weiß, es ist nur ein glücklicher Traum,« fuhr sie fort, »von dem ich eines Tages erwachen werde. Dann werde ich irgendeinen anderen heiraten. Ich habe sogar mit Rudolf über den Mann gesprochen, der mich zum Weibe haben will.« Das interessierte mich, und ich fragte, wer dieser präsumtive Bräutigam wäre. »Der dumme Herzog von Braganza,« lachte Mary, »er kennt auch meine ganze Affäre mit dem Kronprinzen.« »Wirklich?« staunte ich. »Und du bildest dir ein, daß er dich trotz dieser Kenntnis heiraten wird?« »Er ist so in mich verliebt, daß er alles tun wird, was ich von ihm verlange. Du weißt doch, wie blöd er ist.« 147
Marys Zynismus stieß mich zurück. »Höre auf meinen Rat,« versuchte ich es wieder, »und gib diese Liebelei mit Rudolf auf. Sie ist gefährlich, und ist sie erst bekannt, wird nicht einmal dein toleranter Miguel dich heiraten, wenn die Sache zum öffentlichen Skandal geworden ist. Im übrigen wollen wir nicht weiter davon sprechen.« Und ich wechselte das Thema. Sie war taktvoll genug, den Gegenstand nicht weiter zu berühren. Aber beim Abschied sagte sie einfach: »Du wirst mein Geheimnis wahren, Marie?« »Ich habe es dir schon einmal versprochen,« erwiderte ich. »Du kennst meine Ansicht über dein Benehmen, und du weißt, wie Rudolf dich kompromittieren kann.« Mary wurde nervös und gereizt, doch ich nahm auf ihre Gefühle keine Rücksicht. »Du hast auch mit der Kronprinzesssin zu rechnen,« fuhr ich fort, »und ich versichere dich, sie kann eine sehr bittere Feindin sein, also, alles in allem, sind deine Aussichten auf Glück gering. Und vergiß nicht, auch die Kaiserin ist noch da, und was würde sie von dir denken?« »Was sie von mir denken würde?« erwiderte Mary verächtlich. »Als ob die Kaiserin jemals an irgend etwas oder an irgend wen außer an sich dächte!«
148
Zehntes Kapitel
I
ch blieb einige Wochen in Pardubitz, während deren ich nichts von Mary hörte. Sport und Jagden füllten meine Zeit aus, und, wenn ich ehrlich sein will, muß ich bekennen, daß mich ihr Treiben nicht allzu sehr interessierte. Da diese Gleichgültigkeit vielleicht ungünstig beurteilt werden könnte, will ich erklären, daß anderer Leute Liebesgeschichten mir niemals sonderlich nahegegangen sind, und daß ich damals den blutigen Ernst dieser Schwärmerei Marys noch gar nicht ahnte. Wenn ich heute die ganze Angelegenheit objektiv betrachte, so sehe ich ein, daß es das einzig Richtige für mich gewesen wäre, Madame Vetsera sofort alles mitzuteilen, was ich wußte. Aber ich scheute davor zurück, weil ich nicht davon überzeugt war, daß Mary ernstlich in Rudolf verliebt war, und dann hatte ich auch mein Wort verpfändet, ihre Bekenntnisse nicht zu verraten. Die ersten Fröste machten der Jagd ein Ende, und da ich mit meinen Zähnen zu tun hatte, beschloß ich, wieder nach Wien zu fahren. Graf Larisch erhob keinen Widerspruch, als ich ihm meine Absicht kundtat. »Ich bitte dich nur, Marie,« sagte er, »dich nicht zu sehr mit der Baltazzi-Horde einzu149
lassen, und … Madame Vetsera und Mary sind mir im höchsten Grade unangenehm.« »Mein lieber Georg,« antwortete ich kalt, »ich bin wirklich ziemlich fähig, mir meine Freunde allein auszusuchen. Du hast dich schon mit Erfolg zwischen Tante Sissi und mich gedrängt, ich ersuche dich, nicht das Gleiche bei den Baltazzis zu tun.« Die Konsultation bei meinem Zahnarzt ergab, daß ich länger in Wien bleiben müßte, als ich ursprünglich beabsichtigte. Alle Welt fast, außer den Vetseras, war verreist, und da ich mich ziemlich langweilte, wurde es bei mir zur Gewohnheit, sie zu besuchen, so oft ich dazu in Stimmung war. Mary erwähnte Rudolf nicht, schien aber nervös und überreizt und ich bemerkte mit Bedauern die häufigen Reibungen zwischen ihr und Hanna. Sie zankten sich fortwährend, und eines Tages gerieten die Schwestern beim Frühstück in offenen Streit, ohne auf die Baronin oder mich die leiseste Rücksicht zu nehmen. Schließlich warf Mary Messer und Gabel hin, stieß den Stuhl zurück und rannte weinend aus dem Zimmer. Die Mutter folgte ihr, und ich mußte Hannas Zornerguß über die Schwester mit anhören. »Wenn Mama vernünftig wäre, würde sie Mary einmal durchhauen,« sagte sie; »mir ist übel vor ihr. Sie ist nur noch ein Bündel Nerven und …« Da machte der Eintritt der Baronin Hannas Anklagen ein Ende. »Mary ist wirklich nicht wohl,« bemerkte Madame Vetsera. »Du würdest mir einen großen Gefallen tun, 150
Marie, wenn Du heute nachmittag mit ihr ausfahren würdest. Das arme Kind meint, frische Luft würde ihr gut tun.« Hanna zuckte die Schultern. Als ich nach dem Frühstück in Marys Zimmer ging, hatte sie ihre Tränen getrocknet und war heiter und erregt. »Liebe, liebe Marie, willst du mich wirklich mitnehmen?« rief sie sofort. »Ach, du bist ein Engel. Wir wollen um vier in den Prater fahren. Bitte, bitte, sag’ ja!« »Was in aller Welt gibt es um vier Uhr im Prater zu sehen?« Mary küßte mich. »Aber ›ER‹ fährt doch oft dort um diese Zeit, und ich möchte für mein Leben gern einen Blick von ihm erhaschen. Dabei ist doch nichts Schlimmes,« fügte sie ängstlich hinzu, als sie bemerkte, daß ich nicht gerade erbaut war. »Du bist ein solch verstehender Mensch, daß du mir nachempfinden wirst, wie elend ich mich zu Hause fühle. Ich habe Rudolf eine Ewigkeit nicht gesehen. Schlag mir diesen kleinen Gefallen nicht ab, liebe, gute Marie.« Auch ein hartherzigerer Mensch als ich hätte ihr nicht widerstehen können, und schließlich schien es ja nur eine geringfügige Bitte. »Gern tu’ ich es nicht,« gab ich nach, »aber ich werde mit dir in den Prater fahren.« Hanna, die unbemerkt das Zimmer betreten hatte, sagte ironisch: »Ach, das arme Kindchen will in den Prater fahren! Fahre nur ja mit ihr hin, sonst wird sie am Ende wieder krank.« 151
Um vier Uhr waren Mary und ich in der fast ausgestorbenen Praterallee. Da ich meinen schottischen Terrier im Wagen mitgenommen hatte, beschloß ich, auszusteigen und ihn ein bißchen laufen zu lassen, sobald wir dem Kronprinzen begegnet sein würden. Wir brauchten nicht lange zu warten. Denn bald kam ein Phaethon in Sicht, und als er an uns vorüberflog, erkannte ich Rudolf, der selbst kutschierte. Er blickte zu uns herüber, doch da Mary vorsichtig war und kaum Notiz von ihm nahm, freute ich mich, daß ich ihr den Wunsch erfüllt hatte. »Laß ›Boy‹ nicht hier aussteigen,« sagte sie. »wir wollen lieber zum Praterstern fahren, dort ist es viel schöner.« Wir verließen den Wagen am Stern, und ich achtete nicht weiter darauf, als ich hörte, wie Mary dem Kutscher befahl, hinter der Brücke auf uns zu warten. Dann hakte sie sich in meinen Arm ein, und wir marschierten zu »Boys« großem Entzücken auf die einsamen Gebüsche los. »Jetzt können wir uns in aller Ruhe unterhalten,« sagte Mary. »Ich bin so unglücklich, wie ein Mensch nur sein kann. Hanna quält mich den ganzen Tag und hetzt Mama gegen mich auf. Ich habe das Leben satt.« »Vielleicht argwöhnt Hanna mehr, als sie eingesteht,« bemerkte ich. »Mary, wie stehst du mit Rudolf? Ich hoffe, du hast diesen törichten Flirt aufgegeben. Mir graut vor einem Klatsch oder Skandal, denn du bist ein solch unvorsichtiges, impulsives kleines Mädel.« Mary lachte zynisch. »O, der Klatsch hat schon eingesetzt. Die böse Kronprinzessin weiß, daß ich ihre Nebenbuhlerin bin.« 152
Ich war wie vor den Kopf geschlagen und fand minutenlang keine Worte. Mary sah an diesem Herbstnachmittag hinreißend aus. Ihre Wangen blühten wie leuchtende Nelken; sie trug ein fesches graues Kostüm mit kostbarem Pelz. Ich konnte mir vorstellen, daß Stephanie erkannte, wie gefährlich ihr dieses Mädchen werden konnte, und daß Sie keine sanfte Feindin sein würde, wenn ihre Eifersucht einmal geweckt war. Wir hatten jetzt den »wilden« Teil des Praters erreicht, der wie ein von vielen Fußwegen durchkreuzter Wald ist. Ich schlug den Weg ein, der uns zu der Allee zurückführen mußte, wo unser Wagen wartete, plötzlich löste sich Marys Strumpfband. Sie verschwand in ein Gebüsch, um es zu befestigen, ich mußte »Boy«, dessen Jagdinstinkte erwacht waren, scharf im Auge behalten. Denn ich wollte meinen kleinen Hund nicht dem Schicksal des Wilderers aussetzen. Auf einmal fiel mir Marys Abwesenheit auf; doch als ich mich umwandte, entdeckte ich zu meiner äußersten Bestürzung, daß sie nirgends zu sehen war. Ich rief, erhielt aber keine Antwort. Und plötzlich ging mir ein Licht darüber auf, daß man mich zum Narren gehalten hatte und daß alles zwischen Mary und dem Kronprinzen ein abgekartetes Spiel war. Ich überlegte verzweifelt, was ich tun sollte. Sollte ich auf Mary hier warten? Sollte ich zu dem Wagen zurückkehren? Oder wäre es das beste, sofort zur Baronin zu fahren und ihr alles zu sagen? Während ich grübelnd unter den Bäumen stand, sah ich plötzlich einen Mann mich fixieren, und außer mir vor Furcht, man könne mich erkennen, gab ich das Warten 153
auf und eilte, so schnell meine Füße mich trugen, zu meinem Wagen zurück. Gerade als die große Allee in Sicht kam, stand ich plötzlich Rudolf und Mary gegenüber. Ich fuhr zurück, denn im ersten Moment erkannte ich meinen Vetter nicht, der in einen langen Militärmantel gehüllt war. »Liebe Marie,« sagte er und küßte mir die Hand, »vergib uns diese kleine Kriegslist; sie ist wirklich sehr harmlos.« Ich war zu erbittert, um Worte zu finden, und eilte weiter, Mary hinter mir her. Der Kronprinz folgte schweigend, und, nachdem er ziemlich betreten Abschied genommen hatte, ging er davon. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, blickte Mary zum Fenster hinaus, dann sank sie in die Kissen zurück. »Wie empörend!« stöhnte sie. »Was ist empörend?« fragte ich scharf. »Deine Aufführung wohl, wie?« »Nein,« antwortete sie, »dieser gemeine Herr von Pechy hat hinter uns her spioniert. Ich dachte gleich, daß er es ist. Jetzt bin ich meiner Sache sicher.« Ich war entsetzt bei dem Gedanken, daß der Fremde, den ich in dem Gehölz gesehen hatte, vielleicht auch Pechy war, der für eins der größten Klatschmäuler Wiens galt. Ich wandte mich Mary zu. »Ich hoffe, du bist mit dem Erfolg deines Komplotts zufrieden. Bis morgen früh wird Pechy die Geschichte in ganz Wien herumgebracht haben, und mein Name wird hineingezerrt werden. Denn es sieht genau so aus, als hätte ich dich hierher gebracht, damit du dein Rendezvous mit 154
dem Kronprinzen abhalten kannst. Mary, der Verstand steht mir still über deine Arglist!« »Wenn ich es dir gesagt hätte, so hättest du mich heute nachmittag doch nicht mitgenommen,« antwortete sie mit einer Offenheit, die mich entwaffnete. »Marie, ich mußte Rudolf irgendwie sehen. Denke dir, Agnes ist eine Woche krank gewesen, und ich hatte keinen, den ich ins Vertrauen ziehen konnte. Als ich erfuhr, daß du bei uns frühstücken würdest, habe ich ihm geschrieben, ich würde dich überreden, mit mir nachher in den Prater zu fahren.« »Ich bin sehr, sehr böse,« sagte ich ernst. »Ihr beide, du und Rudolf, seid krasse Egoisten; keiner von euch denkt an meine Lage in der Sache.« Mary brach in Tränen aus und versicherte mir zwischen dem Schluchzen, daß sie mir keine weiteren Unannehmlichkeiten bereiten würde. Es sei wirklich nur eine platonische Liebe, sie würde sie aufgeben. »Nur, bitte, sag’ Mama nichts! Mama liebt mich nicht ehrlich. Schon als kleines Mädchen hat sie mich nur als eine Sache behandelt, über die sie zu ihrem Vorteil verfügen will. Und Hanna – ich hasse sie, sie hätte in ihrem Kloster bleiben sollen. Sie ist zur Nonne geboren, dann hätte sie und ihre langweilige Malerei mich nicht so irritiert, wie sie es jetzt tun. Ich will ja heiraten, aber du darfst mir das bißchen Glück, das ich vorher kosten will, nicht mißgönnen. Du weißt am besten, was ich von einer Konvenienzehe zu erwarten habe. Denk an dich. Du weißt ja, wie unglücklich du mit dem Grafen Larisch bist.« 155
Ich konnte mich eines Gefühls des Mitleids mit dem erregten Mädchen nicht erwehren. »Mary,« sagte ich, »ich will dir dieses Mal noch vergeben. Wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Du kannst mich zu Jungenaum begleiten, ich will mir einige Sachen machen lassen.« Während ich sprach, hielt der Wagen, und bald schien Mary ihr Leid im Eifer der Besichtigung der letzten Winterneuheiten vergessen zu haben. Ich war verblüfft über den schnellen Umschwung ihrer Stimmung, freute mich darüber aber bei dem Gedanken, daß sie, wenn es mit Rudolf zu brechen galt, die Trennung nicht zu schmerzlich empfinden würde. Beim Vetsera-Palais setzte ich Mary ab und kehrte ins Hotel zurück, wo ich ein Telegramm vorfand. Meine jüngste Tochter hatte einen Unfall erlitten, und unser Arzt in Pardubitz wünschte einen zweiten Arzt zuzuziehen, ich war furchtbar erschrocken, schickte sofort nach Professor Wiederhofer und verließ mit ihm Wien am selben Abend. Die Verletzung war nicht so schlimm, als man zuerst befürchtet hatte. Doch die Krankheit und der Tod meines Großvaters, des Herzogs Maximilian, der bald darauf eintrat, machten es mir unmöglich, meinem Versprechen gemäß an Mary zu schreiben. Bald jedoch bekam ich von ihr einen Brief, und seiten habe ich einen solchen hysterischen Erguß gelesen. Ein orientalischer Fatalismus tobte sich darin aus, seltsam vermengt mit einer trotzigen Auflehnung gegen ihr Geschick. Ich konnte erkennen, wie heiß sie nach Freiheit und Liebe lechzte. Das Herz 156
tat mir weh, doch es schien mir das beste, ihr hart und vernünftig zu antworten. Anfang Dezember fuhren Graf Larisch und ich zu Weihnachtseinkäufen nach Wien. Am zweiten Tage teilte Georg mir mit, daß er eine Einladung zum Diner im Vetsera-Palais für uns angenommen habe. Ich starrte ihn erstaunt an. »Was hat deine Ansicht über die Baronin so geändert?« fragte ich. »Ach,« antwortete mein Mann, »ich traf die Baronin heute, Mary war mir ihr. Ich bin ganz überrascht, wie hübsch sie geworden ist.« Ich lächelte. Das ungezogene Mädchen hatte offenbar versucht, meinen Mann zu erobern. Am Abend speisten wir bei den Vetseras und trafen dort auch Marys treuen Verehrer, den Herzog von Braganza, der mit mir durch seine Ehe mit Elisabeth Taxis verwandt war. Damals war Miguel ein .junger, hübscher Witwer, denn Elisabeth war vor einigen Jahren gestorben; seine beiden Söhne wurden von der Erzherzogin Maria Theresia erzogen. Wir unterhielten uns köstlich, und ich war ganz traurig, als Georg daran erinnerte, daß es Zeit für die Oper sei. »Wie, ihr geht zu Fuß?« rief Mary, »ach, nehmt mich doch mit!« Ich blickte meinen Mann an. Ich bat ihn nie gern um einen Gefallen, konnte Mary aber die Bitte nicht abschlagen. Zum Glück hatte Georg gut gegessen, so daß meine Frage ein ungewöhnliches Entgegenkommen fand. Ich sagte Mary, sie solle ihren Mantel holen, und als wir ihr 157
Schlafzimmer betraten, küßte sie mich in überströmender Dankbarkeit. »Wie bist du lieb!« rief sie und machte sich dann an ihrem Toilettentische zu schaffen. Ich sah, daß sie sehr erregt war, und als sie einen wundervollen Diamanthalbmond in ihrem dunklen Haar befestigte, rief ich aus: »Aber, Kind, wir gehen doch nicht zum Ball!« Agnes, die sie bediente, lächelte maliziös, als wolle sie sagen: »wie naiv Du doch bist«. Und Mary lachte. »Warum, glaubst du wohl, wollte ich in die Oper gehen?« fragte sie. »Faust zu hören! Keine Idee. Ich will hin, weil die beiden belgischen Bäuerinnen da sein werden und ich mich an ihrem Staunen weiden will, wenn sie mich in eurer Loge sehen.« »Betrage dich vernünftig,« gebot ich, »vergiß gefälligst nicht, daß ich keinen Ärger mit der Kronprinzessin wünsche. Mir scheint, du beweist ein sehr fragliches Taktgefühl damit, daß du dich und deine Diamanten heute abend in der Oper zur Schau stellst.« Wir eilten zum Wagen, denn es war schon spät geworden. Bei unserer Ankunft hatte der erste Akt bereits begonnen. Ich barg mich hinter den Samtgardinen, Georg kauerte im Hintergrund, und Mary saß zu meiner Rechten vor aller Augen. Man muß es ihr lassen, daß ihre Schönheit den Saal durchstrahlte. Ihr weißes Crepe-deChine-Kleid war raffiniert in seiner Einfachheit, und ihr herrlicher Nacken und die Arme hoben sich wie schimmerndes Elfenbein ab von den roten Vorhängen der Loge. Große Diamantboutons funkelten in ihren Ohren, und der Halbmond in ihrem Haar war eine flammende 158
Farbenglut. Ihre Augen sprühten, ihre Wangen brannten, und keck glitt ihr Blick über die kaiserliche Loge gegenüber hin, als sie Rudolfs Gegenwart mit einem impertinenten kleinen Lächeln quittierte. Die Kronprinzessin und Louise von Koburg schienen höchlichst amüsiert bei Marys Anblick. Dann stellten sie beide mit seiner Bosheit ihre Operngläser auf sie ein. Mir war sehr unbehaglich zumute, doch zum Glück bewahrte Mary ihre Selbstbeherrschung, und der peinliche Abend verlief wider Erwarten ohne jeden wetteren Zwischenfall. Früh an nächsten Morgen brachte meine Zofe Jenny mir einen Brief, auf dessen Beantwortung der Bote wartete. Jenny war eine sehr zuverlässige Person, deren Familie seit Generationen im kaiserlichen Dienst gestanden hatte; sie kannte allen Wiener Klatsch. Als ich fragte, wer wartete, antwortete sie vielsagend: »Fräulein Agnes«. Der Brief kam von Mary und enthielt die Anfrage, ob ich sie um fünf Uhr empfangen könne. Ich überlegte einen Augenblick und antwortete dann »ja«. Mary war pünktlich. »Du bist doch nicht böse?« fragte sie und sah mich ängstlich an, denn ich war forciert kühl. »Ich liebe diese Art nicht, in der du mich für deine Zwecke ausnutzest’. erwiderte ich. »Aber, Liebste, ich habe nichts Schlimmes getan. Hast du jemals etwas so Garstiges gesehen wie die belgischen Prinzessinnen? Sie haben keine Figuren, sie sind wie Heubündel, die man in der Mitte zusammengebunden hat. Mir tat Rudolf leid. Hast du gesehen, wie sie mich angestarrt haben?« fragte Mary, sich überstürzend. 159
»Nicht so viel auf einmal. Ich gebe zu, daß die Prinzessinnen nicht sehr schön ausfallen, aber dafür können sie nichts. Und daß sie dich anstarrten, ist nicht wunderbar,« antwortete ich; »du bist doch ein dummes Mädel, Mary.« »Ah, sie hassen mich!« rief sie. »Und Stephanie nennt mich ›la petite.‹ « »Wer hat dir das gesagt?« »Wer außer Rudolf kann das wissen?« »Höre, Mary,« sagte ich. »Ich habe die Überzeugung, daß du mir etwas verheimlichst, und daß du Rudolf viel öfter siehst, als du wahr haben willst.« Sie errötete. »Nein, Marie, ich sage dir wirklich alles, aber – wie lange bleibst du noch in Wien?« »Was kümmert dich das?« »Sag’ es mir doch, bitte, liebe Marie!« »Nun, noch zwei oder drei Tage.« »Dann muß es morgen sein.« »Ich habe deine Abenteuer satt,« lehnte ich ab. Doch sie wollte nicht hören. »Du brauchst weiter nichts zu tun, als mich zu begleiten. Ich will mich im Atelier Adele photographieren lassen.« »Wahrscheinlich ein Geschenk für den Kronprinzen?« Mary antwortete nicht, doch ehe sie Abschied nahm, hatte ich in meiner Schwäche eingewilligt, ihren Wunsch zu erfüllen. So gingen wir zu Adele. »Du sollst das beste Bild haben,« sagte sie, als die Sitzung vorüber war. Und dann hatte sie eine Idee. 160
»Weißt du was, Marie, wir wollen uns zusammen photographieren lassen. Die Gelegenheit bietet sich vielleicht nie wieder. Komm.« Und sie schleppte mich fast in den Oberlichtsaal. Später hatte ich guten Grund, dieses fatale Bild zu bedauern. Doch wer konnte damals das Kommende ahnen! Weihnachten feierten wir in Pardubitz. Es war ein trauriges Wetter. Tiefer Schnee bedeckte die Erde und während der langen, düsteren Abende wanderten meine Gedanken gegen Süden. Ein sehnsüchtiges Verlangen nach dem blauen Himmel der Riviera packte mich. Ich lechzte nach Sonne und Wärme und fröstelte, wenn ich durch das Fenster auf die Winterlandschaft hinausblickte. Aus Wien kam keine Nachricht; nur am Weihnachtsmorgen hatte ich Marys Photographie erhalten. Darunter standen die rätselhasten Worte: »Treu bis in den Tod«. »Dies ist die letzte Photographie, die ich von mir machen lasse,« schrieb sie. »Ich will es wie die Kaiserin halten und in jedermanns Erinnerung in meiner Schönheit und Jugend fortleben.« Armes Kind. Sie ahnte nicht, wie tragisch ihre Worte bald wahr werden sollten! In mir war eine vage Unruhe, doch ich schob meine ungewöhnliche Nervosität auf meine bedrückende Umgebung. Georg nörgelte über seine Gesundheit und teilte mir zu meiner großen Freude mit, daß er sich entschlossen habe, sogleich nach der Riviera zu fahren und nicht bis zu unserem üblichen Exodus im Februar zu 161
warten. Er bildete sich ein, daß er immer mit einem Fuße im Grabe stände, und bei der geringsten Erkältung sah er stets sein Ende voraus. »Wenn wir wirklich nach dem Süden gehen, muß ich nach Wien und mir Kleider besorgen,« bemerkte ich. »Tue das,« stimmte er bei, »nimm Jenny mit und fahre einige Tage früher. Aber das muß ich dir sagen, ich habe die gute Meinung verloren, die ich von Mary Vetsera hatte. Das Mädchen ist eine Erzkokette, ich wünsche diese große Freundschaft zwischen ihr und dir nicht.« »Nanu? Was hat Mary denn verbrochen?« Er lächelte und blickte vielsagend drein. »Sprich doch, ich bin wirklich gespannt,« sagte ich. »Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem du mit ihr zu Adele gingst? Denk dir, sie hatte doch die Dreistigkeit, mir zu sagen: ,Ich will mich nur für Sie photographieren lassen, lieber Graf, denn ich weiß, wie lieb Sie mich haben‹.« »Hast du ihr geglaubt?« »Marie, das Mädchen wollte mich zu einer Erklärung verlocken,« versicherte mein Gemahl ernst. »Ich kann natürlich nicht dafür, daß ich Frauen reize – aber ich ermutige sie nicht.« »O, Georg, wie einfältig du bist,« gab ich zurück.«
162
Elftes Kapitel
I
ch bestellte mir telegraphisch unsere gewohnten Zimmer im Grand Hotel und kam mit Jenny nach Wien. Da ich zufällig einen Teil der Reise von Pardubitz mit einem gesprächigen Freunde der Vetseras machte, war ich überzeugt, daß die Baronin sehr bald meine Ankunft in der Hauptstadt erfahren würde. Doch zu meinem großen Staunen ließ Mary nichts von sich hören, und ich wunderte mich, ob wohl etwas Unerwartetes seit unserer letzten Begegnung geschehen sei. Zwei Tage nach meiner Ankunft kam ich nach fünf Uhr von einigen Besorgungen heim, legte ab und wollte gerade nach Jenny klingeln, als sie zu meiner Überraschung in den Salon stürzte. Das Mädchen sah erregt aus und flüsterte mir bestürzt zu: »Der Kronprinz ist da!« Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da trat eine hohe Gestalt im Offiziersmantel ins Zimmer. Es war mein Vetter. Rudolf hatte den Kragen des Mantels hochgeschlagen und das Käppi tief in die Stirn gezogen. Einige Augenblicke starrte ich ihn verwundert an, dann trat er auf mich zu, küßte mir die Hand und sagte: »Ich hoffe, du 163
wirst mir diesen formlosen Besuch verzeihen, Marie.« Ich schwieg, und mein Vetter sah mich mit seinem mokanten Lächeln an: »Du scheinst Mamas weise Lehren über die Notwendigkeit der Selbstbeherrschung vergessen zu haben. Du siehst wie ein erschrecktes Schulmädchen aus.« »Ich habe nicht die Ehre deines Besuches erwartet,« sagte ich. »Ja, meine liebe Cousine, ich mußte dich unbedingt sprechen.« Er setzte sich bei diesen Worten, legte aber den Mantel nicht ab. »Ich will dir jetzt in aller Kürze den Grund meines Kommens mitteilen. Meine Beziehungen zu dem kleinen Vetsera-Mädel sind dir kein Geheimnis?« »Ich weiß einiges,« erwiderte ich vorsichtig. »Eine Antwort, die deiner Erziehung in Gödöllö Ehre macht. Du kannst mich nicht täuschen, Marie, du weißt alles.« »Nun, vielleicht, ich glaube es aber nicht.« »Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß es eine platonische Freundschaft ist?« sagte der Prinz. »Solltest du das, so muß ich dir den Wahn leider zerstören. Die Sache ist durchaus nicht unschuldig. Tatsächlich bin ich in mehr als in einer Beziehung in einer gräßlichen Lage. Ich vertraue auf deine Hilfe.« »Woher wußtest du, daß ich in Wien bin?« fragte ich. »Von Mary natürlich, obwohl ich sie in den letzten Tagen nicht gesprochen habe. Doch wir schreiben uns, und sie schickt mir ihre Briefe durch Agnes. Einiges 164
Gerede über uns ist der ›alten Dame‹ zu Ohren gekommen (so nannte mein Vetter immer die Baronin), und das arme Kind wird beobachtet und gescholten, daß sie der Verzweiflung nahe ist.« »Ich vermute, daß Herr von Pechy der Urheber des Skandals ist.« »Stimmt. Und du weißt, was er ist.« Ich nickte. »Gefährlich ist er. Aber, Rudolf, wie konntest du nur so töricht sein und dich so in die Nesseln setzen?« Der Kronprinz zuckte die Achseln. »Nichts passiert einem Manne leichter, als sich mit einer hübschen Frau einzulassen, und Mary ist ein wahrer kleiner Teufel. Das Dumme ist, daß sie den Kopf verloren hat, und wenn du sie nicht irgendwie zur Vernunft bringt, wird sie über die Stränge schlagen und einen regelrechten Skandal entfesseln. Das muß verhindert werden.« »Ja,« stimmte ich bei. »Doch du hast schon so manche weibliche Fessel abgeschüttelt, warum nicht Mary?« »Einfach, weil sie sich nicht abschütteln läßt,« sagte Rudolf wütend. »Weiß der Teufel, ich habe mir die Lunge ausgeredet, sie zu bewegen, Miguel Braganza zu heiraten. Es würde mir wunderbar passen; denn ich glaube, ich bin für die Rolle des Hausfreundes geradezu prädestiniert.« »Du trägst von allem Anfang an die ganze Schuld, Rudolf. Es war ein bodenloser Egoismus von dir, Marys Seelenfrieden zu stören, und jetzt fürchte ich, wirst du liegen müssen, wie du dich gebettet hast. Ich kann dir nicht helfen. Übrigens,« fügte ich hinzu, »warum wendest du dich gerade an mich? Wir hatten einander niemals übermä165
ßig gern gehabt. Wir wollen ehrlich sein und uns hierin nichts vormachen.« Der Kronprinz hatte sich erhoben, war ans Fenster getreten und trommelte nervös gegen die Scheiben. Plötzlich kam er zu mir und nahm meine Hand. Irgend etwas in seinem unglücklichen Gesicht erinnerte mich an den Tag, an dem ich seine Mutter unter dem Baum in Garatshausen hatte weinen sehen. Ich ließ ihm meine Hand und dachte, daß ich vielleicht doch kein Recht hätte, ihm meinen Beistand zu versagen. Er war Blut von meinem Blute, war mein Vetter und der Sohn der geliebten Tante, der ich immer blindlings gefolgt war. Und ich sagte: »Rudolf, ich werde dir helfen!« »Ich wußte, ich könnte mich auf dich verlassen,« antwortete er. »Höre. Diese Intrige wäre weiter nicht schlimm, wenn sie nicht mit viel wichtigeren Dingen zusammenträfe. Ich habe keine Zeit für Liebeleien, denn dringende Dinge verlangen meine ganze Spannkraft. Du weißt wie schlecht ich mit Stephanie lebe; du weißt, wie unleidlich mein Vater ist, und dich brauche ich nicht daran zu erinnern, wie wenig meine Mutter mich liebt. Kurz, mir ekelt.« Rudolf ließ meine Hand los und ging im Zimmer auf und ab. Jede Bewegung verriet seine Erregung. »Ach,« rief er, »ich habe dieses Leben satt! Ich wünschte bloß, ich hätte den Mut und die Unabhängigkeit Johanns von Toskana. Er ist ein freier Geist, der dem Kerker der Hofintrigen entronnen ist. Du weißt, wie widerlich dies alles ist; du hast hinter die Kulissen geblickt 166
und weißt, was für armselige Puppen wir sind. Wir treiben Mummenschanz, um das Volk zu ergötzen, wir tanzen nach der Pfeife anderer; weh’ uns, wenn wir natürlich sind! Wozu bin ich bloß geboren!? Was bin ich denn schließlich? Eine arme Kreatur mit dem Kainszeichen der Sünden meiner Vorfahren.« Ich war von diesem Ausbruch erschüttert und bemühte mich, Rudolf zu besänftigen. Doch er beachtete mich nicht. »Vielleicht,« fuhr er fort, »vielleicht ist es töricht, die Liebe dieses kleinen Mädchens von sich zu stoßen. Sie hat nicht den Ehrgeiz, die Pompadour zu spielen. Mein Rang ist ihr gleichgültig, sie ist nichts als ein liebendes Weib. Ich habe viel Schönere gekannt, aber niemals bin ich einem treueren Gemüte begegnet.« »Rudolf, gräme dich nicht so,« tröstete ich. »Ich bin nicht ganz gefühllos,« antwortete er, »und mein besseres Ich treibt mich dazu, Mary zu retten, ehe es zu spät ist. Wir dürfen uns nicht treffen, ehe meine Angelegenheiten geordnet sind. Du gehst mit Larisch an die Riviera, kannst du nicht die Baronin und Mary überreden, dich zu begleiten, damit das Kind von Wien fortkommt? Sag’ ihr, ich käme inkognito nach. Versprich ihr, was du willst. Nur hilf mir jetzt.« »Ich fürchte, es wird schwer halten, Mary zu einer Ehe mit einem anderen zu bringen,« sagte ich. »Die Vetseras sind reich, und Mary braucht nicht den ersten besten, der sich ihr anträgt, zu nehmen.« »Die Vetseras reich!« rief Rudolf in echtem Erstaunen. »Ja, weißt du denn nicht, daß die Baronin vom Kapital 167
lebt und daß es fast erschöpft ist? Mary ist ihr letzter Einsatz.« Ich war starr vor Überraschung, zweifelte indessen nicht, daß mein Vetter die Wahrheit sprach. Ich konnte die Unterredung nicht fortsetzen, denn ich hatte mich zu Tisch bei meiner Schwägerin angesagt, und es war schon spät. Rudolf bemerkte, daß ich ungeduldig wurde. »Ich halte dich wohl auf?« bemerkte er. »Aber bitte, überbringe Mary meine Wünsche.« »Rudolf,« sprach ich, »nachdem ich einmal mein Wort gegeben habe, halte ich es. Ich will in dieser unangenehmen Angelegenheit tun, was ich kann, und Mary morgen besuchen.« »Marie, das willst du wirklich für mich tun?!« »Ja, ich habe es dir zugesagt!« »Dann schreibe mir das Ergebnis. Du kannst mir den Brief in meine Zimmer in der Burg schicken. Ich bin dort allein mit Loschek. Aber sorge dafür, daß dein Brief nur ihm persönlich abgegeben wird. Adieu, liebe Cousine. Du ahnst nicht, welche Last du mir abgenommen hast.« Ich dachte ziemlich vorwurfsvoll daran, daß er seine Last auf meine Schultern abgewälzt hatte; doch da ich versprochen hatte, ihm zu helfen, mußte ich nun einmal mein Wort halten. »Hat dich jemand erkannt, als du herauf kamst?« fragte ich. »Nein,« versicherte er, »ich kam unbemerkt die Dienstbotentreppe herauf, und Bratfisch erwartet mich mit seinem Fiaker vor der Kutscherkneipe in der Maximilianstraße. 168
»O, auf Bratfisch ist Verlaß,« sagte ich ganz beruhigt, denn der brave Mann hätte jeden Blutstropfen für meinen Vetter hingegeben. Er war in alle Abenteuer des Kronprinzen eingeweiht, und ich glaube, wenn Rudolf ihm befohlen hätte, in die Hölle zu fahren, so hätte er sich bemüht, den nächsten Weg dorthin zu finden. Jenny ergänzte später meines Vetters Bericht. Sie hatte ihn im Korridor getroffen, und er hatte verlangt, sofort in meine Zimmer geführt zu werden. »Wollen Kaiserliche Hoheit einen Augenblick warten, bis ich Sie gemeldet habe?« fragte das Mädchen. Doch Rudolf war ihr auf dem Fuße gefolgt. Wir waren beide ganz verstört von den Ereignissen des Nachmittags. Jenny wußte, daß irgend etwas Unerwartetes den Kronprinzen zu mir geführt haben müßte; ich konnte ihr deutlich ansehen, daß sie ahnte, Mary Vetsera stehe damit in Zusammenhang. Ich war bei dem Diner sehr bedrückt, und jeder bemerkte meine Geistesabwesenheit. Ich war herzlich froh, als ich wieder in dem Hotel war. Doch ich schlief sehr unruhig und wurde von gräßlichen Träumen verfolgt, in denen ich mit Rudolf und Mary verzweifelte Abenteuer erlebte. Ich erwachte zerschlagen und konnte meine gewöhnliche Ruhe nicht finden. Auch vermochte ich ein Gefühl der Sorge nicht loszuwerden. Ich suchte mir darüber Klarheit zu schaffen, ob Rudolf mich nur als Strohmann benutzte, und mir fiel ein, daß mein Mißtrauen gegen ihn schon aus meinen Kindertagen stammte. Es war mir nichts Neues, von meinen verschiedenen Verwandten als Mittelsperson benutzt zu werden. 169
Aber ihre Intrigen waren meistens romantisch und harmlos und vor allem bald vorüber und vergessen. Doch der Prinz glich nicht meinen verliebten Familienmitgliedern, und ich hatte bisher noch nicht mit dem Feuer gespielt. Ich erinnerte mich an Elisabeths Worte: »Hüte dich vor Rudolf!« Die Kaiserin hatte diese Warnung gegen ihren Sohn offenbar nicht ohne ernsten Grund ausgesprochen. »Man darf ihm nicht trauen,« hatte sie gesagt, »er kann ein gefährlicher Feind sein.« Warum hatte ich mich von einer plötzlichen Aufwallung fortreißen lassen und meine Hilfe versprochen! Es war sehr wohl möglich, daß Mary und Rudolf ein geheimes Spiel spielten. Taten Sie das wirklich? Ich beschloß, keine Minute mehr zu verlieren, ging zum Schreibtisch und wollte einen Brief an Mary schreiben. Dieser Mühe wurde ich indessen enthoben, denn Jenny meldete die Baronin Mary Vetsera und ihre Gesellschafterin, eine Dame, deren Pflicht es war, sie auf allen Gängen zu begleiten. Ich eilte auf sie zu und küßte sie. Mary wandte sich an ihre Begleiterin und sagte: »Wollen Sie so freundlich sein und in Jennys Zimmer auf mich warten? Ich möchte allein mit der Gräfin Larisch sprechen.« Die Gesellschafterin verließ mit Jenny das Zimmer. Mary warf sich in einen Sessel und zündete sich eine Zigarette an. Sie war sehr nervös und erregt, und eine auffällige Veränderung in ihrem Äußeren machte sich geltend. Ihre blauen Augen hatten jenen wissenden Blick, den nur das dauernde Zusammensein mit dem 170
Geliebten verleiht. Um den roten Mund war eine harte Linie; mit einer ungeduldigen Bewegung schlug sie die hohen Absätze zusammen. »Nun, Marie,« begann sie mit einem leisen Anflug von Arroganz in der Stimme, »du siehst, ich bin hier, um deiner Predigt zu lauschen.« »Mein liebes Kind,« wollte ich widersprechen; doch sie fuhr fort, als sage sie einen einstudierten Spruch her: »Er schrieb und gebot mir, zu dir zu gehen. Ich weiß, daß er gestern hier war. Ich soll brav sein und vernünftig reden. Da steht alles.« Sie schlug gegen die Bluse, und ich vernahm das Knittern des Papieres. »Ich bin bereit, zu hören.« »Mary, Mary, warum bist du so widerspenstig? Ich dachte, du siehst in mir deine Freundin?« Ihre Stimmung schwang um, ihre Züge wurden sanft, Tränen stiegen auf und ertränkten das böse Wissen in ihren Augen. Dann schlang sie die Arme um mich und schluchzte bitterlich: »Liebe einzige Marie, bringe mich von Wien fort. Ich sterbe, wenn ich länger zu Hause bleibe. Du hast keine Ahnung, wie grausam meine Mutter ist. Mama will mich verkaufen. Ich bin das Wertobjekt, das uns alle vor dem Ruin retten soll. Ach, Liebste, ich bin so unglücklich …« »Hanna wird niemals eine gute Partie machen,« fuhr Mary fort. »Ich weiß, ich gelte für schön, und ich muß wohl tun, was man von mir verlangt, wenn es so weit ist. Ich liebe Rudolf, aber ich will ihm keine Last sein. Er wünscht, daß ich Wien verlasse. Muß ich?« 171
»Liebstes Kind, er meint nur, daß eine kleine Reise nach der Riviera dir gut tun würde,« sagte ich. Mary lächelte unter Tränen. »O, ich weiß, was das bedeutet! Ich bin nicht mehr das kleine, dumme Mädel, das ich noch vor einem Monat war. Ich bin jetzt klug geworden. Rudolf hat mir von seinen Sorgen und von der schrecklichen Lage erzählt, in der er sich befindet. Es ist besser, wenn ich von Wien fern bin. Aber ich möchte ihn nicht gerade jetzt verlassen, wo er so sehr eine Stütze braucht.« Ich sah sie erstaunt an, voll Überraschung darüber, wie frauenhaft Mary geworden war. »Erzähle mir alles, was er gesagt hat,« drängte sie. Ich tat es. Sie war ziemlich enttäuscht, und ich hatte das Empfinden, sie halte mich für berechtigt, mehr zu erfahren. Doch sie gab mir keinen weiteren Aufschluß. »Ich muß jetzt fort,« rief sie. »Richtig, ich wußte doch, ich hatte dir noch etwas zu sagen. Wir gehen heute abend zum Ball in die deutsche Botschaft. Ich habe ein entzükkendes Kleid, komm’ doch und sieh es dir an.« »Ich kann mich deiner Mutter so spät am Abend doch nicht aufdrängen,« bedachte ich. »Ach, Mama!« erwiderte sie geringschätzig, »die ist nur zu froh, die Nichte der Kaiserin zu jeder Tages- und Nachtzeit bei sich zu sehen.« »Also, ich komme. Und, Mary, sei lieb!« Sie lachte ihr schönes Lachen. Ich habe es nie wieder gehört. Ich setzte mich nieder und schrieb an Rudolf. »Alles ist in bester Ordnung,« teilte ich ihm mit, »meine Mission 172
ist zu Ende. Mary ist der Vernunft zugänglich und bereit, Wien zu verlassen.« Ich beauftragte Jenny, den Brief in der Burg abzugeben, und fühlte mich herzlich erleichtert, nachdem ich ihn abgesandt hatte. Gegen acht Uhr kam ich zum Vetsera-Palais, und da ich nicht lange zu bleiben gedachte, befahl ich dem Kutscher, zu warten. Ich traf die Baronin und ihre Töchter beim Tee im Rauch-Zimmer. Beide Mädchen trugen Morgenröcke, und die Locken an Marys Stirn waren noch gewickelt. Sie war heiß und erregt, im krassen Gegensatz zu Hannas satirischer Ruhe, während die Baronin Vetsera in bester Laune war. »Ich bin neugierig, wie Dir Marys Kleid gefallen wird,« sagte Hanna und nahm ein Kaviarbrötchen, »es ist von Maison Spitzer. Mama findet es wundervoll. Aber Mary,« fügte sie hinzu und blickte hinüber zur Schwester, »um Himmels willen, tu nicht so viel Rum in den Tee, iß lieber etwas!« Die Schwester antwortete nicht, sondern zündete sich eine Zigarette an, was die Mutter in Harnisch brachte. »Wie oft soll ich dir verbieten, zu rauchen, ehe du zum Ball gehst,« schalt sie. »Du bist wirklich unverbesserlich!« Mary stand auf und ging hinaus, und als sie die Tür hinter sich zuschmetterte, bemerkte Hanna: »Jetzt siehst Du einmal, wie unausstehlich Mary ist. Daran bist du aber Schuld, Mama; wenn du ein einziges Mal streng mit ihr wärest, würde dieser ewige Ärger aufhören.« Ich folgte Mary in ihr Zimmer und fand sie vor ihrem Toilettentisch. Ihre Hände spielten nervös mit den 173
kleinen hübschen Silber- und Kristallgegenständen, aber ihre Gedanken waren weit fort, und zuerst, glaube ich, bemerkte sie mich gar nicht. Agnes zog ihr die feinen Seidenstrümpfe und Satinschuhe an, und ich betrachtete das hübsche Schlafzimmer, das ein wahres Jungmädchenidyll war. Ein Bild der Madonna hing über dem kleinen weißen Bette. Photographien standen auf dem Kamin und dem Schreibtische. Vor den Fenstern hingen Perlenschnüre. Mary hatte die Gewohnheit, an dem Fenster zu stehen und die Perlen abzuzupfen, wenn sie nervös oder bedrückt war. Ich sah viele leere Fäden an diesem Abend. Ich setzte mich und sah zu, wie Agnes Marys üppiges, braunes Haar frisierte und den glitzernden Diamantmond hoch oben auf den künstlerisch geordneten Zöpfen befestigte. Das junge Mädchen war noch immer in dunkle Gedanken versunken, und wieder fiel mir ihre wunderbare Schönheit auf. »Vielleicht gestattet die Prinzessin gnädigst, daß Agnes auch mir einmal einen Augenblick hilft!« rief Hanna und steckte den Kopf durch die Tür. Mary sagte der Zofe, daß sie ihrer nicht mehr bedürfe, begann emsig ihre Nägel zu polieren und legte ihre vielen kostbaren Ringe an. Dann wandte sie sich mir zu. »Seh’ ich hübsch aus?« fragte sie gespannt. Ich lächelte. Ob sie hübsch aussah! Ich hatte nie etwas Schöneres gesehen und sagte es ihr rückhaltlos. »Meinst du, ich werde gefallen?« »Ja, das meine ich.« Sie lächelte kalt. »O, dann wird sie eifersüchtig sein.« 174
»Welche ›sie‹?« fragte ich. »Nun, Rudolfs dummes, aufgedonnertes belgisches Weib!« »Mary, du mußt so etwas nicht sagen. Ich wünsche dergleichen nicht zu hören. Es ist auch nicht wahr.« Ihre Augen blickten böse drein. »Ach, du würdest sie auch hassen, wenn du alles wüßtest. Sie macht Rudolfs Leben zur Hölle. Sie gibt sich keine Mühe, ihn zu verstehen, und anstatt ihm zu helfen, zieht sie ihn hinab. Stephanie ist eine Närrin, weiter nichts. Ach, Marie, Rudolf ist so unglücklich! Wenn ich doch nur immer bei ihm sein könnte. Aber das kann ich dir sagen, wenn er in Not ist, werde ich ihn nie verlassen.« Diese letzten Worte sprach sie hastig und leise. Dann kam Agnes und meldete, der Wagen warte, Mary trug ein hellblaues Kleid mit gelbem Besatz, eine von Spitzers genialen Schöpfungen. Eine Diamantschleife sprühte an ihrer Brust. Für meinen Geschmack trugen sowohl sie wie die Mutter zu viel Diamanten. Madame Vetsera prangte in einem schwarzen Samtkleide und einem Halsband aus diamantenen Efeublättern, und Diamantnadeln hielten die weiße Reiherfeder in ihrem Haar. Hanna trug ein einfaches weißes Kleid und als einzigen Schmuck eine Perlenkette. Ich wollte gerade Adieu sagen, als Mary bat: »Tu mir einen Gefallen, Marie, wenn du mich liebst.« »Welchen?« fragte ich. »Laß mich mit dir zur Botschaft fahren. Es ist nicht weit, und Mama und Hanna werden viel mehr Platz ohne mich haben.« 175
Ich willigte ein. Agnes kam mit den pelzbesetzten Abendmänteln, und wir gingen hinunter. Sobald wir allein waren, legte Mary ihren Arm um meine Taille. »Welch eine Befreiung, nicht mit Mama in dem anderen Wagen eingesperrt zu sein! Sie hätte mir die ganze Zeit weise Lehren erteilt.« Sie zitterte, während sie sprach. »Was hat dich so aufgeregt, liebes Kind?« fragte ich. »Du warst heute abend ganz außer dir.« »Er hat mir geschrieben, Mary, etwas quält ihn. Ich wünschte, er würde alles über Bord werfen und mit uns an die Riviera gehen.« Doch da hielten wir vor der Botschaft. Mary küßte mich und ging mit Mutter und Schwester hinein. Später hörte ich von Marys Aufführung, die ganz Wien an diesem unglücklichen Abend empörte. Der Ballsaal bot ein glänzendes Bild, und die kaiserliche Familie war schon anwesend, als die Vetseras eintrafen. Alle Augen richteten sich auf Mary, hauptsächlich wegen ihrer Schönheit, doch auch, weil die Saat des Herrn von Pechy schon anfing, Früchte zu tragen. Rudolfs Name wurde mit dem ihren in Zusammenhang gebracht; und viele wohlbekannte Damen betrachteten Mary mit mißbilligenden Blicken. Diese Behandlung trieb das schon überreizte Mädchen zum Wahnsinn. Und als die kaiserlichen Gäste durch den Ballsaal schritten und ihre Bekannten ansprachen, brannte Mary darauf, sich zu rachen. Sie lächelte, als Rudolf einige Worte an sie richtete, doch als die Kronprinzessin an ihr vorüberkam, blickte sie ihr voll ins Gesicht, ohne sie zu grüßen. Die Augen der beiden 176
Frauen trafen sich, und man erzählte mir, daß sie wie zum Sprunge bereite Tiger ausgesehen hätten. Die Zuschauer blickten verdutzt drein, und gerade als jeder gespannt wartete, was jetzt wohl erfolgen würde, stampfte Mary einmal, dann noch einmal mit dem Fuße auf und warf den Kopf mit einer Bewegung tiefster Verachtung zurück. Jetzt stürzte die Baronin Vetsera herbei, die den Vorgang mit Entsetzen beobachtet hatte, hochrot vor Ärger und Scham über die öffentliche Beleidigung der Kronprinzessin durch ihre Tochter. Sie faßte Mary am Arm und zog sie schleunigst aus dem Ballsaal hinaus. Ihr Abgang öffnete die Schleusen der Empörung, und bald schwelgten alle, die Madame Vetseras Gastfreundschaft genossen hatten, als »gute Christen« in der Freude über die gesellschaftliche Vernichtung ihrer Tochter.
177
Zwoelftes Kapitel
V
on Mary erfuhr ich nichts über den Ball. Am folgenden Tage hatte ich viel zu tun und war abends so müde, daß ich Jenny befahl, mich nicht früh zu wecken. Ich war daher sehr ärgerlich, als sie kurz vor acht Uhr in mein Zimmer kam, und noch sehr verschlafen, wurde aber bald recht munter, als ich erfuhr, daß Bratfisch einen Brief vom Kronprinzen gebracht hatte. Er enthielt nur wenige Zeilen. »Ich muß dich allein sprechen,« schrieb Rudolf. »Erwarte mich um fünf Uhr heute nachmittag. Sorge dafür, daß du allein bist. Jenny soll acht geben, daß die Luft auf der Dienstbotentreppe rein ist.« Diese Mitteilung machte mich schrecklich nervös. Ich war auch sehr erbittert über Rudolfs Gleichgültigkeit gegen die falsche Lage, in die mich sein Benehmen bringen mußte. Ich entschloß mich, nichts mehr mit ihm und seinen Angelegenheiten zu tun zu haben, denn ich wußte, daß die Kaiserin mir niemals vergeben würde, wenn sie erfuhr, welche Rolle ich gespielt hatte. Als ich die Ereignisse der letzten Tage überblickte, wurde mir Rudolfs Benehmen immer unverständlicher. Ich 178
erinnerte mich der Tage von Gödöllö, als er höhnische Bemerkungen machte, und mich »die OberstallmeisterinVertraute der Kaiserin« nannte. Einmal hatte er mich »die Zuträgerin« genannt und sich über unser schlichtes Leben in München mokiert. Ich empfand auch, daß er mir wegen der Liebe seiner Mutter zu mir nicht wohlwollte. Schließlich vibrierten meine Nerven. Ich sprang aus dem Bett und schrieb meinem Vetter einige Zeilen, in denen ich mich aufs bestimmteste weigerte, ihn zu empfangen. Ich klingelte meiner Zofe. »Ziehen Sie sich sofort an und bringen Sie diesen Brief in die Burg,« befahl ich. »Fragen Sie nach Loschek und händigen Sie den Brief keinem außer ihm aus.« Ich war fast fertig angekleidet, als sie zurückkehrte. Die Empfindungen, die mich durchzuckten, als sie mir meinen Brief mit dem Bescheide zurückgab, der Kronprinz habe Wien verlassen und sei in Laxenburg, lassen sich in Worten nicht schildern, diese unerwartete Vernichtung meiner Pläne verstörte mich sehr. Jenny war davon überzeugt, daß mein Vetter fort war, denn seine Privatgemächer wurden gerade gereinigt, als sie ankam. So gab es für mich kein Entrinnen. Ich sah ein, daß jeder weitere Versuch, der Begegnung auszuweichen, zwecklos sei, und ergab mich in mein Geschick. Es war ein dunkler, nebliger Tag; die Stunden schlichen bleiern dahin. Doch pünktlich um fünf Uhr erschien Rudolf. Wie bei seinem ersten Besuch war er in einen Offiziersmantel gehüllt. Aber diesmal begrüßte er mich nicht. Er war sehr erregt, und seine ersten Worte waren: 179
»Marie, wenn du mir nicht hilfst, ist alles verloren.« Ich starrte ihn wortlos an. Mein Vetter war nicht wiederzuerkennen. Er sah bleich und zermürbt aus. In seinen Augen funkelte ein seltsamer Raubtierglanz, den ich immer an ihm bemerkt hatte, wenn es in ihm tobte. Ich empfand instinktiv, daß etwas Furchtbares geschehen war. Er übte eine hypnotische Gewalt über mich aus, und ich fühlte, daß ich ihm willenlos jeden Wunsch erfüllen müßte. Wir standen beide. Ich konnte Rudolfs hastigen Atem hören, der außer dem Ticken der Uhr allein die Stille des Zimmers durchdrang. »Um Himmels willen,« stammelte ich, »was ist geschehen?« »Du kannst dir die Wirrnis nicht vorstellen, die mich umstrickt,« antwortete Rudolf. »Doch bevor ich auf meine Sorgen eingehe, muß ich dir sagen, daß Mary in ihrem Zimmer eingesperrt ist.« »Eingesperrt, weshalb?« stieß ich hervor. »Sie hatte nach dem Ball eine furchtbare Szene mit der ›alten Dame‹,« berichtete der Kronprinz, »dieses gehässige Taxis-Weib, das dem Vetsera-Palais gegenüber wohnt, hat Mary allem Anscheine nach nachts fortgehen sehen und die schlimmste Zeit gewählt, es der Baronin zu verraten.« Er lächelte boshaft. »Sie war wahrscheinlich nicht übermäßig erfreut über Marys Benehmen gegen Stephanie. Ich nehme an, daß du die Geschichte kennst?« Ich nickte. »Ja, weiter.« 180
»Dann wurde Mary eingesperrt, und nur du kannst sie befreien.« »Rudolf, ich werde mich nicht einmischen.« »Doch wirst du. Ich muß Sie sprechen.« »Du bist wahnsinnig.« »Nein, nein. Ich bin durchaus normal. Hör’ zu. Ich verlange, daß du Mary in die Hofburg bringst.« Ich suchte an einer Stuhllehne Halt, denn ich taumelte bei dieser Zumutung und wiederholte mechanisch seine Worte. »Mary in die Hofburg bringen!!« »Ja, ich bestehe darauf. Hör’ doch nur zu, Marie. Nichts ist einfacher. Du mußt die Baronin überreden, Mary mit dir ausgehen zu lassen. Dann fährst du zu dem Privateingang, und Loschek wird dich direkt in meine Zimmer führen.« »Ich kann nicht … Ich will nicht …, das tue ich nicht!« Und dann packte mich eine rasende Wut. »Was fällt dir ein, mich zu ruinieren?« keuchte ich. »Ich hasse dich …Geh mir aus den Augen!« Dann brach ich auf dem Sofa zusammen und weinte in mich hinein. Rudolf beugte sich über mich. »Liebe Marie,« sagte er mit seiner bezaubernden, verführerischen Stimme, »mach keine Szene. Wenn jemand uns hört, gibt es einen Skandal. Ich versichere dich, ich muß Mary sehen. Übrigens bin ich selbst in Gefahr.« Ich hob den Kopf. »Du in Gefahr?« »Ja, in großer Gefahr! Wir sprechen jetzt ›Mann zu Mann‹. Du bist der einzige Mensch, dem ich unbedingt 181
vertrauen kann. Schwöre mir, daß du zu meinen Lebzeiten niemals verraten wirst, was ich dir jetzt sagen werde.« »Wenn ich damit eine Gefahr von dir abwenden kann, gern. Ich schwöre es.« Der Kronprinz blickte mich seltsam an. Dann zog er wortlos einen kleinen, dunklen Gegenstand unter seinem Mantel hervor. Ich konnte erkennen, daß es eine kleine, in Stoff genähte Schachtel war. Unbewußt schrak ich zurück, doch mein Vetter legte seine freie Hand auf meine Schulter. »Marie, du mußt diese Schachtel an dich nehmen und sie sofort an einem sicheren Orte verstekken. Sie darf unter keinen Umständen in meinem Besitz gefunden werden. Jeden Augenblick kann der Kaiser eine Durchsuchung meines Eigentums befehlen.« »Der Kaiser,« ächzte ich. »Ja, der Kaiser.« Hiermit händigte mir der Kronprinz die Schachtel ein, die zu meinem Erstaunen schwer wie Blei war. »Es ist eine Stahlkassette,« erläuterte Rudolf, dem meine Überraschung nicht entging. »Aber ich kann sie doch nicht mit auf Reisen nehmen,« wandte ich ein. »Du mußt sie in deinen Koffer tun. Dort kannst du sie leicht verbergen. Sie enthält nichts für dich Kompromittierendes.« »Wie lange soll ich dieses schreckliche Ding aufbewahren?« »Bis ich sie zurückfordere,« entgegnete Rudolf, »oder bis jemand anderer sie zurückverlangt. Für den Fall, daß es dazu kommen sollte,« sagte er ernst. »muß ich dir 182
Verhaltungsmaßregeln geben. Nur ein Mensch kennt das Geheimnis dieser Kassette, und er allein hat außer mir das Recht, sie zurück zu verlangen.« »Wer ist das?« »Sein Name tut nichts zur Sache. Du kannst sie der Person übergeben, die dir vier Zeichen nennt. Schreib’ sie dir auf und wiederhole sie.« Und langsam sprach der Kronprinz die Buchstaben: »R. I. U. O.« Ich wiederholte sie und schrieb sie in mein kleines Notizbuch. Dann trug ich, wie unter dem Zwang eines stärkeren Willens, die geheimnisvolle Schachtel in mein Schlafzimmer und verbarg sie am Boden meines großen Reisekoffers. Ich schrieb auch R. I. U. O. in eine Ecke des Futters und schloß den Koffer ab. »Diese Geschichte ist mir höchst peinlich,« sagte ich besorgt, als ich wieder neben meinem Vetter saß. Rudolf versuchte mich zu beruhigen. »Es ist ja gar nicht so schlimm,« meinte er. »Doch die Zeit vergeht, Marie, und wir müssen deinen morgigen Besuch in der Hofburg besprechen.« »Das ist Wahnsinn, das ist Wahnsinn!« wiederholte ich. »Das kann ich nicht.« »Beruhige dich. Du wirst es tun. Ich muß Mary allein sprechen. Vielleicht kann ich dadurch der Gefahr entrinnen, die mir droht.« Das glaubte ich nun zwar nicht, doch ich fragte: »Betrifft die Gefahr die Zwistigkeit mit Stephanie?« Rudolf lachte. 183
»Stephanie! – Ach nein, die ist nur ein häusliches Unheil. Die Gefahr, die mir droht, ist politischer Natur.« Jetzt war ich geradezu entsetzt, denn ich hätte nie vermutet, daß der Kronprinz so wahnwitzig sein würde, sich in gefährliche politische Umtriebe einzulassen. »Um Himmels willen,« rief ich. »Ich flehe dich an, Rudolf, verliere keine Zeit, Vertrau’ dich der Kaiserin an, oder … noch besser, gehe zum Kaiser.« »Du Närrin,« schalt er. Dann fuhr er sanfter fort: »Das kann ich nicht tun, Marie. Wenn ich dem Kaiser beichten wollte, würde ich mein eigenes Todesurteil unterschreiben.« Mein Herz setzte bei dieser grausigen Enthüllung aus. Ich konnte keine Worte finden. »Jetzt zu Mary,« fuhr er fort. »Du mußt tun, als ob du mit ihr Einkäufe machen wolltest. Nimm einen Fiaker und laß dich von dem Mann hinter das Palais des Erzherzogs Albrecht fahren, das an die Hofburg angrenzt. Dort wirst du eine kleine, eiserne Tür sehen. Geh darauf zu, dort wird Loschek dich erwarten. Es ist schon oft eine sehr nützliche Tür gewesen,« lächelte Rudolf. »Und so manche meiner reizenden Freundinnen hat es vorgezogen, auf diesem Wege zu Hofe zu gehen.« »Versprichst du mir, daß du mit mir kein falsches Spiel treiben wirst, wenn ich Mary bringe?« »Ich verspreche dir, daß ich dich in keinen Skandal verwickeln werde,« war seine Antwort. »Also gut,« gab ich nach. »Aber bitte, vergiß nicht, daß ich sehr bald nach Pardubitz zurückkehren muß. Sage 184
also bei dieser nächsten Begegnung alles, was du ihr zu sagen hast.« »Darauf kannst du dich verlassen,« versicherte Rudolf. »Ich werde dir nie vergessen, was du für mich getan hast. Und nun auf Wiedersehen bis morgen.« Als ich allein war, fühlte ich mich ganz Schwach vor Angst. Doch ich wurde ruhiger bei dem Gedanken, daß ich ja bald weit fort von Wien sein würde, und beschloß, an der Riviera so wenig wie möglich mit Mary zu verkehren. Aber da ich Rudolf mein Wort gegeben hatte, schrieb ich der Baronin Vetsera und fragte an, ob sie Mary gestatten würde, mit mir am nächsten Tage auszugehen. Bejahenden Falles würde ich sie im Laufe des Vormittags abholen. Jenny trug den Brief hin und kam mit der Antwort zurück. Sie lautete bejahend. Jetzt zögerte ich nicht länger – ich fühlte, es war nutzlos. Ich hatte versucht, Rudolf zu entrinnen; ich hatte der Baronin die Gelegenheit geboten, meine Bitte abzulehnen; doch das Schicksal war stärker als ich. An diesem Abend war meine heitere Freundin Frau Müller, eine liebe alte Dame, die gelegentlich Besorgungen für mich machte, bei mir. Sie war die typische Wienerin und eine höchst unterhaltsame Frau. Ich war sehr froh, sie bei mir zu haben, und vergaß auf Stunden meine Sorgen. »Jeder spricht von dem Kronprinzen und Mary Vetsera,« erzählte mir Frau Müller, »doch es ist nur eine von seinen vielen Liebschaften. Jedenfalls ist die kleine Baronin ungefährlicher als diese intrigante Prinzessin P. 185
für ›unseren Rudi‹. Mit den Vetseras ist nicht viel los,« fuhr sie fort. »Die Mutter weiß alles und schließt die Augen. Aber die Sache ist nicht sehr ernsthaft.« Unser Gespräch wurde durch ein scheues Klopfen an der Tür unterbrochen. »Herein,« rief ich ziemlich unwirsch. Die Tür öffnete sich, und eine dicht verschleierte Dame kam ins Zimmer. Frau Müller und ich blickten sie voller Staunen an. Plötzlich erkannte ich sie. »Mary«, schrie ich auf. Mary Vetsera starrte mich mit einer erschreckenden Ruhe an. Ich gab Frau Müller ein Zeichen, in Jennys Stube zu gehen. Dann nahm Mary langsam den Schleier ab, der ihren Kopf umhüllte. Sie war totenbleich, und die Augen schienen für ihr Gesicht viel zu groß. Sie machte auf mich den Eindruck, als sei ihr etwas fürchterliches zugestoßen. Ich war aufs äußerste erschreckt und nahm sie in die Arme. »Kleine Mary, sag’ doch ein Wort!« bat ich. Sie begann heftig zu zittern. »Um Gottes willen, was ist geschehen?« Mary sank mit einer trostlosen Geste in einen Stuhl. Ich knöpfte ihr den Sealskinmantel auf, und da bemerkte ich, daß sie einen dünnen Hausrock und Pantoffel trug. »Bitte, bitte, schick mich nicht fort!« flehte sie fieberisch. »Ich bin fortgelaufen, Marie. Wenn du mich nicht aufnimmst, springe ich in die Donau. Ich kann nicht länger zu Hause leben. Verschließ’ die Tür, vielleicht verfolgt man mich!« Ihre Stimme wurde fast zum Kreischen. »Ich lasse mich nicht fortholen!« 186
»Liebling, beruhige dich,« versuchte ich sie zu besänftigen. »Sag mir, was geschehen ist. Ich schicke dich ja nicht fort.« Mary brach in schüttelndes Schluchzen aus. »Seit dem Ball … Mama … furchtbar. Im Wagen hat sie mich geschlagen … sie und Hanna sind wie Furien. Ich kann dir nicht all die schrecklichen Dinge wiederholen, die sie gesagt haben. Als wir nach Hause kamen, warf ich mich aufs Bett … dann bin ich ohnmächtig geworden.« »Armes Kind,« murmelte ich. »Als ich zu mir kam, entdeckte ich, daß sie mich gefangen hielten. Es war Morgen. Hanna brachte mir den Kaffee und sagte, daß ich mich nicht aus meinem Zimmer rühren dürfe. Die Stunden verstrichen. Ich wurde fast wahnsinnig. Ich bildete mir alles mögliche ein, und dann entschloß ich mich, an Rudolf zu schreiben. Es gelang mir, einen Zettel mit Bleistift zu schreiben, den ich Agnes gab, und ich wartete voll Angst auf die Aussprache mit Mama, die kommen mußte. Wie endlos mir die Zeit schien! Und so elend fühlte ich mich! Marie, soll ich denn immer nur unglücklich sein? Manchmal denke ich, daß meine Liebe zu Rudolf mein Unglück ist. Aber sie ist stark, sie läßt mich nicht, und ich will lieber durch sie leiden, als ohne sie leben.« Mary sah mich traurig an und sagte dann in einem plötzlichen Umschwung ihrer Stimmung in bitterster Verachtung: »Ich mußte bis heute abend warten, ehe ich Mama sah. Sie kam in mein Zimmer und sagte mir, daß sie sich fest entschlossen habe, mich in ein Kloster zu schicken, bis 187
ich wieder zu Verstand käme. Aber als ich nichts antwortete, wurde sie wütend und warf mir vor – was denkst du wohl?« »Ich habe keine Ahnung.« »Mama warf mir vor, daß ich Schande über unsere Familie brächte – über ›die ehrbaren‹ Vetseras,« sagte Mary mit einem harten Ausdruck im Gesicht. »Aber ich schwieg, Marie, und alle ihre Vorwürfe und Anschuldigungen verpufften ins Leere.« »Was geschah dann?« fragte ich. »Mama bemerkte den eisernen Ring und das eiserne Armband, das ich immer trage, und rief zornig: ›Mir scheint, der Kronprinz hat dir diese albernen Dinge gegeben. Nun, ich werde die Wahrheit darüber schon von der Gräfin Larisch erfahren.‹ « »Wieso wurde mein Name hereingezogen?« fragte ich sehr überrascht. »Liebste Marie,« rief Mary, und ihre Augen baten um Verzeihung. »Ich habe es dir nicht gesagt. Rudolf hat mir den Ring und das Armband gegeben. Aber ich mußte Mama doch sagen, daß es Geschenke von dir seien.« Diese Unwahrheit berührte mich sehr unangenehm, um so mehr, als sie mir verheimlicht hatte und ich sie leicht, ohne es zu wollen, hätte verraten können. »Ich habe sie nie bemerkt,« sagte ich. »Ich trage so viele Armbänder und Ringe,« antwortete sie, »aber hier, Sieh!« Bei diesen Worten streckte sie die linke Hand aus. Am vierten Finger trug sie einen dünnen, eisernen Ring, und am Arm war ein dünner, eiserner Reif. 188
»Was für eine merkwürdige Idee, staunte ich. »Mir scheint eiserner Schmuck nicht gerade geschmackvoll. Was soll er bedeuten?« »Rudolf trägt denselben,« erklärte Mary mir »Er sagt, das bedeutet: ,Treu bis in den Tod.« Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es für alle Beteiligten vorteilhaft wäre, wenn Mary für einige Zeit ins Kloster geschickt würde. Doch schon im selben Augenblick schämte ich mich dieses selbstsüchtigen Gedankens, als ich sah, wie krank und unglücklich das arme Kind aussah. Eins stand bei mir fest: sie mußte heute nacht nach Hause zurückkehren. »Wie hast du es angestellt, fortzukommen, Mary?« »Mama ging wütend aus dem Zimmer, und ich hörte sie im Rauchzimmer mit Hanna sprechen. Dann kam Agnes. Ich flehte sie an, mir zu helfen. Ich bot ihr Geld – was sie wollte. Sie versprach, mir beizustehen. Ich fuhr in den Mantel und rannte unbemerkt die Treppen hinunter. Auf der Straße rief ich einen Fiaker und kam zu dir.« »Herz, laß’ mich dich zurückführen. Deine Mutter wird dir verzeihen, wenn ich sie darum bitte. Sei vernünftig, Mary.« »Wenn du mich von dir stößt, werde ich mich ertränken,« schluchzte sie. Ich war in Verzweiflung. Ich wies darauf hin, daß die Baronin sicherlich erraten würde, daß sie zu mir geflüchtet sei, und daß wir jeden Augenblick jemand erwarten müßten. Mary umschlang mich mit den Armen. 189
»Liebe Marie,« stöhnte sie, »ich weiß, es ist egoistisch von mir, dich in mein Elend hineinzuziehen. Aber ich liebe dich doch.« Das arme Mädchen war fast hysterisch. Ihr Vernunft zuzusprechen, war unmöglich. Schließlich fragte ich: »Hat deine Mutter meinen Brief erwähnt?« »Nein. Welchen Brief?« Ich erzählte Mary von der Abmachung zwischen Rudolf und mir. »Wird dich,« sagte ich, »die Aussicht, ihn morgen zu sehen, nicht bewegen, jetzt ruhig nach Hause zu gehen?« Die Aprilstimmung kam über sie. Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus, und Lachen folgte den Tränen. Ja, sie wollte zurückkehren, doch nur, wenn ich sie begleitete. Und Rudolf wieder zu sehen, das bedeutete den Himmel auf Erden. »Gut, wir wollen sofort gehen,« mahnte ich. »Und jetzt, Mary, versprich mir, dich zu beherrschen, wenn deine Mutter aufgebracht ist. Ich werde mir alle Mühe geben, ihr die Idee auszureden, dich in ein Kloster zu schicken. Bist du fertig zum Gehen?« Mary erschauerte, gewann aber schnell ihre Selbstbeherrschung wieder. Ich klingelte nun Jenny und befahl ihr, nach einem Fiaker zu schicken. Dann machte ich mich schleunigst fertig, und wir gingen zusammen die Treppen hinunter. Beim Anblick des Fiakers hatte Mary wieder eine Nervenkrisis, und ich atmete erst befreit auf, als wir glücklich im Wagen saßen. Doch als wir uns der Salesianergasse 190
näherten, wurde sie furchtbar erregt, und ich fürchtete, sie würde aus dem Wagen springen. »Marie, laß’ mich nur nicht mit Mama allein,« bat sie. »Liebes Kind, verlaß’ dich auf mich,« sagte ich. »Ich verspreche dir, daß ich für dich tun will, was in meiner Macht steht.« Bei diesen Worten hielt der Fiaker, wir stiegen aus, und ich befahl dem Kutscher, zu warten. Das Palais Vetsera lag fast in völliger Dunkelheit, und der Portier öffnete nicht auf mein Klingeln. Nach einigen Minuten des Wartens erschien Agnes, und als sie mich sah, rief sie aus: »Frau Gräfin, ist die Baroneß Mary bei Ihnen?« Ich sagte ja, und als wir die Treppen hinauf kamen, begegneten wir Hanna, die zu Tode erschrocken aussah. »Hast du Mary mitgebracht?« rief sie. »Ja,« sagte ich, und versuchte ruhig zu sprechen. »Diese impulsive junge Dame hat mich ganz plötzlich besucht.« »Gott sei Dank! Mama ist halb tot. Die Diener suchen Mary überall.« Ich ging zuerst in das Boudoir. Die Baronin liebte immer gedämpftes Licht. Doch jetzt brannte nur eine Lampe, und ich konnte eben noch die Umrisse einer zusammengekauerten Gestalt auf dem Sofa erkennen. Die ganze Lage war mir schrecklich peinlich. Hanna ging hinüber zur Mutter. »Weine nicht mehr, Mama,« sagte sie, »das ungezogene Mädchen ist schließlich nur bis zum Grand Hotel gelaufen, und Gräfin Larisch hat sie wohlbehalten zurückgebracht.« 191
Die Baronin erhob sich und reichte mir die Hand. Dann blickte sie Mary empört an, sagte aber nichts. »Sei nicht böse, Helene,« bat ich, »das Kind ist ganz elend. Morgen könnt ihr alles besprechen; Mary will dich nicht unglücklich machen.« »Sie soll schlafen gehen,« sagte die Baronin. Sie küßte die Tochter schweigend, und Hanna flüsterte ihr zu: »Sag’, Mama, wie leid es dir tut, Mary.« Die Schwester achtete nicht auf sie, sondern wandte sich zu mir. »Bring’ mich doch, bitte, zu Bett, Marie, dann werde ich gut schlafen.« Ich folgte ihr in das hübsche Schlafzimmer. Hanna begleitete uns und half Mary stumm beim Entkleiden. Dann ging sie hinaus, und wir blieben allein. »Wirst du morgen bestimmt kommen?« fragte sie. »Bestimmt. Und du versprichst mir, meine brave, liebe, kleine Freundin zu sein und uns keinen Kummer mehr zu bereiten. Deine Mutter liebt dich wirklich, und vielleicht wird sich in deinem Leben noch alles zum Guten wenden. Sei tapfer, Mary, du bist noch so jung, und viele glückliche Tage sind dir noch beschieden.« Ich küßte sie zärtlich und dachte, wie lieblich sie da in ihren Kissen aussah. Ich sehe Mary oft vor mir, wie ich sie an jenem Abend sah – dem letzten, den sie unter ihrer Mutter Dach verleben sollte. Sie sollte eine bittersüße Stunde der Liebe auskosten, sie sollte den Trank der Leidenschaft trinken und tragisch dahin gehen. Denn Mary Vetsera und ein anderer sollten bald zu jenen zählen, »die von nichts mehr wissen«. 192
Auch ihre Liebe, ihr Haß und ihre Eifersucht sind jetzt dahin, und keinen Anteil haben sie mehr an irgend etwas, was unter der Sonne geschieht. Ich schloß die Schlafzimmertür leise. Hanna wartete im Gange. »Mama möchte mit dir sprechen,« sagte sie; »geh’ doch auf einen Augenblick zu ihr hinein. Jetzt siehst du selbst, was aus Mary geworden ist als Resultat von Mamas Erziehung. Es ist höchste Zeit, daß etwas geschieht; je eher sie fortgeschickt wird, desto besser.« Ich ging ins Boudoir, und die Baronin schien bei meinem Anblick sehr erleichtert. »Ich weiß, daß ich ganz offen mit dir reden kann, liebe Marie,« sagte sie, »denn ich bin davon überzeugt, daß du alles weißt.« »Ich weiß nicht, was du mit ›alles‹ meinst,« antwortete ich. »Liebe, ich spiele auf Marys Affäre mit dem Kronprinzen an. Ich habe die Überzeugung, daß sie mit ihm liiert ist, aber ich hoffe, daß nichts Ernsthaftes zwischen ihnen vorgefallen ist.« »Ich weiß nicht, wie weit ihre Intimität geht.« »Natürlich ist er sehr unglücklich,« fuhr die Baronin fort, »und es gehen Gerüchte um, daß er sich von Stephanie scheiden lassen will. Ich wünsche nicht, daß meine Tochter offen kompromittiert wird, obwohl es so manche gibt, die auf eine Liaison mit dem Kronprinzen fliegen würden. Du bist seine Cousine, willst du eine sehr delikate Mission für mich übernehmen? Ich will mit dem Prinzen ganz offen über Mary sprechen. Du kannst 193
ihm andeuten, daß sich alles arrangieren ließe, wenn er wirklich verzweifelt in Mary verliebt ist. Wenn wir doch noch in den Zeiten Ludwigs XIV. lebten!« seufzte die besorgte Dame. »Damals wurden Favoritinnen wie die Pompadour und die Dubarry offen von der Gesellschaft anerkannt. Wie dumm, daß heutzutage Liebschaften mit Fürstlichkeiten so geheim gehalten werden müssen! Manchmal denke ich,« fügte sie hinzu, »daß mein Vater ganz recht hatte mit der Behauptung, der türkische Sultan habe das beste Leben, was Frauen anlangt.« Sie stöhnte – vielleicht bei dem Gedanken, was Mary alles dadurch entging, daß sie ein Jahrhundert zu spät geboren war. »Jedenfalls weigere ich mich nicht, die Angelegenheit mit dem Kronprinzen zu verhandeln. Glaubst du, daß du ihn besuchen und ihm das sagen kannst? Wenn er erst einmal weiß, daß ich in diesen Flirt eingeweiht bin, wird er sich mir gegenüber viel freier fühlen.« »Gut,« sagte ich, »ich werde versuchen, mit Rudolf zu sprechen, ehe ich Wien verlasse. Übrigens werde ich Mary morgen vormittag um elf Uhr abholen. Gute Nacht, Helene, und zürne Mary nicht. Glaub’ mir, das führt zu nichts. Man kommt in Güte mit ihr viel weiter.« Als ich ins Hotel kam, war ich mit meinen Kräften vollständig fertig. Aber trotz der Ereignisse des Tages legte ich mich mit der festen Überzeugung zu Bett, daß alles noch gut werden, und daß die Zusammenkunft in der Hofburg allen meinen Sorgen um Mary und Rudolf ein Ende bereiten würde. Ich vergaß, daß das Schicksal die Fäden hält und wir uns nur wie Puppen bewegen. 194
Dreizehntes Kapitel
A
m nächsten Morgen erwachte ich mit dem Gefühl, daß mir irgend etwas sehr Unangenehmes bevorstehe. Keine Zeit steht so unter dem Zeichen der Bedrückung wie die Dämmerstunden. Doch im Sommer entfliehen die Schatten vor dem Lichte des strahlenden jungen Tages. Im Winter aber nisten sie sich fest ein. »O Sonne und Wärme des Südens!« dachte ich. Aber dann fiel mir ein, daß die Riviera mit den Vetseras einfach unmöglich war. »Georg muß statt dessen nach Biarritz gehen,« dachte ich. »Er wird leicht dazu zu überreden sein, wenn ich ihm sage, daß die Baronin und ihre Töchter beabsichtigen, an demselben Ort, wie wir, Aufenthalt zu nehmen.« Pünktlich hielt ich meine Verabredung inne, und um elf Uhr war ich im Palais Vetsera, wo ich die Baronin und Hanna im Boudoir antraf. Madame Vetsera häkelte Wolljacken für die Armen, während Hanna, wie gewöhnlich, malte. Alles sah so friedlich und heimlich aus, daß ich fast zu dem Glauben neigte, die stürmischen Ereignisse des gestrigen Abends seien nur ein Traum gewesen. Ich plauderte über allerlei, vermied aber sorgfältig, den häuslichen Kummer zu berühren. Mary blieb unsichtbar, 195
und da ich darauf brannte, den Besuch in der Hofburg hinter mir zu haben, fragte ich Hanna: »Wo ist Mary?« Ist sie nicht fertig? Ich sagte ihr doch, daß ich sie pünktlich um elf Uhr abholen würde.« Hanna hob den Kopf nicht von der Arbeit. »Seit zwei Stunden hat sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen. Ich weiß wirklich nicht, was sie dort treibt. Man überläßt sie am besten sich selbst, wenn sie ihre Mucken hat.« Ich griff nach diesem letzten Strohhalm, der vielleicht die Zusammenkunft vereiteln konnte. »Wenn Mary nicht besonnen ist,« sagte ich und stand auf, »ist es dann nicht klüger, wenn sie nicht ausgeht?« In diesem Augenblick erschien Agnes’ schlaues, bleiches Gesicht in der Tür. »Baroneß Mary läßt Frau Gräfin bitten, zu ihr zu kommen,« sagte sie; »die Baroneß ist sofort fertig.« Ich folgte Agnes. Mary saß vor dem Spiegel und lächelte mir aus dem Glas entgegen, als ich eintrat. Ihr Haar war schlicht zusammengeknotet, und ihre ganze Erscheinung wirkte so frisch und jungfräulich, daß sie eher wie eine unschuldige Braut als wie die leidenschaftdurchwühlte Frau der letzten Tage aussah. Ich fühlte mich erleichtert bei dem Gedanken, daß Rudolf ihr in dieser stillen Stimmung begegnen würde. Mary trug ein dichtanliegendes, olivengrünes Schneiderkleid, mit schwarzer Tresse besetzt, und während sie den Kragen mit einer einfachen Brosche befestigte, sagte sie, sie wäre sofort fertig. Dann ging sie zu ihrem Schreibtisch hinüber, verschloß ihn und steckte den 196
Schlüssel in die Tasche. Sie trug keinen Schmuck außer ihren Boutons, dem eisernen Armband und Ring und einem goldenen Kreuz um den Hals. Ich machte hierüber eine Bemerkung, doch sie lächelte und gab keine Antwort. Agnes brachte ihr den Hut aus grünem Filz, der reich mit schwarzen Straußenfedern garniert war. Mary nahm einen schwarzen Schleier, den sie unter dem Kinn zusammenband. Sie trug ihren Sealskinmantel und einen hierzu passenden Muff. Es schien mir, als habe sie nie so elegant ausgesehen. Mary küßte ihre Mutter unauffällig beim Abschied; doch sowie sie aus dem Boudoir heraus war, verflog ihre Gleichgültigkeit, sie stürmte die Treppen hinab und sprang in den Fiaker. Ich folgte langsamer, und als wir abfuhren, bemerkte ich, daß sie fieberisch erregt war. O weh, meine friedliche Zusammenkunft!, dachte ich und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Mary, ich muß dir etwas sagen. Ist dir klar, daß ich gegen Tante und Onkel verräterisch handle, indem ich dich zu einem Rendezvous mit dem Kronprinzen in die Hofburg führe?« Sie schwieg. »Merke dir, daß diese Schwäche von mir ein Akt reiner Freundschaft ist,« fuhr ich fort. »Ich ertrage es nicht, dich unglücklich zu sehen, und ich habe die Gewißheit, daß Rudolf dir sagen wird, was für dich das beste ist. Tu, was er dir sagt, folge meinem Rate und mach’ mit dieser Episode ein Ende. Denn sonst, fürchte ich, werden die Folgen für uns alle sehr traurige sein.« 197
Mary blickte mich an. Niemals werde ich den Ausdruck in ihren wunderbaren Augen vergessen. Eine fast überirdische Liebe strahlte in ihren blauen Tiefen. Noch immer sprach sie nichts, und nur ein Händedruck verriet mir, daß sie meine Worte vernommen hatte. Der Fiaker hielt vor der »Weißen Katze«, einem bekannten Wäschegeschäft, wo wir ausstiegen und ich Einkäufe machte. Aber Mary war so ungeduldig, daß sie es kaum erwarten konnte, in den Fiaker zurück zu gelangen. Ich wies den Kutscher an, in der Straße hinter dem Palais des Erzherzogs Albrecht zu halten. Nachdem ich ihm befohlen hatte, auf uns zu warten, gingen wir auf den Eingang in der Burgmauer zu. Wir wurden offenbar erwartet, denn die kleine Eisentür war nur angelehnt. Mary stieß sie auf, und wir erblickten Loschek, des Prinzen Kammerdiener, der im Innern des Ganges stand. Er sprach nicht, gab uns aber ein Zeichen, ihm zu folgen. So ging es, Flucht auf Flucht, eine dunkle, steile Treppe hinan. Ich konnte kaum den Weg vor mir sehen und war ganz außer Atem, als unser Führer plötzlich stehen blieb und eine Tür öffnete, durch die helles Tageslicht hereinflutete. Ich erkannte, daß wir uns auf dem flachen Dach der Hofburg befanden, und konnte nicht umhin, die Umgebung mit Interesse zu betrachten, denn von unserem Standort aus hatten wir einen großartigen Blick über ganz Wien. Doch der kalte Wind, der über den luftigen Platz fegte, riß uns beinahe um. 198
Loschek schritt voran über das Dach fort, und eine wahnsinnige Lust zu lachen packte mich, als mir einfiel, was Tante Sissi wohl sagen würde, wenn sie wüßte, wer da über ihrem Kopfe zu ihres Sohnes Gemächern schlich. Ich blickte Mary an. Der Wind hatte ihre bleichen Wangen gerötet und einige reizende kleine Strähne ihres Haares gelöst. Plötzlich ergriff mich eine jähe Angst, und in meinem Unterbewußtsein wehrte sich etwas gegen mein Tun, als wolle es mich gegen .eine unbekannte Gefahr warnen. Ich blieb stehen. War es zu spät zum Rückzug? Mary sah mein Zögern und faßte mich konvulsivisch bei der Hand. »Nein, nein, nein, ich will Rudolf sehen, du darfst mich jetzt nicht mehr daran hindern!« schrie sie. Loschek beobachtete uns mit blassierter Gleichgültigkeit. Zweifellos hatte er schon manche zögernde Dame über das Dach eskortiert. Das machte keinen Eindruck mehr auf ihn. Er führte uns zu einem Fenster, durch das wir in einen darunterliegenden Korridor kletterten. Abermals umfing uns tiefes Dunkel. Ich war furchtbar nervös. »Wo gehen wir hin?« fragte ich. Und dann fiel mir auf, daß Mary mit dem Wege eigentümlich vertraut war. Ich wütete innerlich über meine Dummheit, meine Hand zu diesem Abenteuer geboten zu haben, als Loschek eine Tür am Ende des Ganges öffnete und ich hinter Mary eintrat. Etwas schoß mit surrenden Flügeln aus dem Schatten hervor und schwirrte mir um den Kopf. Ich schrie erschreckt auf, da ich zuerst nicht sehen 199
konnte, was es war. Dann fühlte ich zwei eisige Klauen auf meinem Nacken und ein heiseres Krächzen klang durch die Stille. »Es ist nur ein zahmer Rabe,« bemerkte Mary ungeduldig. »Komm her,« und sie hob den Vogel von meinem Nacken und nannte ihn dabei mit Namen. »Armer Kerl,« sagte sie, das Tier streichelnd. »Du bist aber ein Feigling, Marie! Es tut keinem was, das liebe Viecherl.« »Das mag ja sein,« erwiderte ich wütend, »aber ich habe keine Lust, weiter auf meinen Nerven herumspielen zu lassen. Ich hoffe wirklich, wir sind nun bald an Rudolfs Zimmern.« Der Nistort des Raben war eine Waffenkammer, die mit Geweihen und Jagdtrophäen geschmückt war. Sie öffnete sich in ein Vestibül, an dessen Ende ich große Flügeltüren bemerkte. Loschek schwang sie auf, und wir traten in ein prächtiges Vorzimmer, das in Weiß und Gold gehalten war. Mary ging ungeduldig einige Augenblicke auf und nieder. Dann kam sie zu mir. Tränen standen in ihren Augen. Sie war bleich, und ein verzweifelter Entschluß schien sie zu beherrschen. Sie nahm meine beiden Hände und küßte mich; dann sagte sie sehr ruhig und traurig: »Marie, vergib mir aus tiefstem Herzen all die Sorge, die ich dir gemacht habe. Was auch immer geschehen mag, glaube nie, daß ich dich betrügen oder ein falsches Spiel mit dir spielen wollte.« Ich war von ihrer ehrlichen Liebe gerührt und sagte ihr, daß ich nur ihr Glück wollte und daß ich sehr froh 200
wäre, wenn sie aus dieser Zusammenkunft endgültig ihren Seelenfrieden heimbrächte. Da öffnete sich die Tür auf der anderen Seite des Zimmers und der Kronprinz kam uns entgegen. Rudolf, der eine Litewka trug, sah ganz heiter aus und lächelte, als er uns begrüßte. »Kommt in mein Zimmer,« sagte er. »Da ist es behaglicher als hier.« Er ging voran in ein helles Gemach, das hübsch wohnlich aussah, denn eine Menge illustrierter Zeitungen, Bücher, Blumen und ein großer Flügel, auf dem einige musikalische Neuheiten lagen, machten es warm und gemütlich. Eine Brille lag auf dem Schreibtisch, und ich wunderte mich, wie Stephanies Glas dort hin kam, da man doch allgemein annahm, daß sie und Rudolf sich nicht zu besuchen pflegten. »Nun,« sagte mein Vetter in höchst prosaischem Tone, »möchte ich diese kleine Unterredung allein mit Mary im Rauchzimmer führen. Gestattest du es, Marie?« »Nein, bleibt lieber hier,« antwortete ich in einer unbestimmten Angst vor Unheil, »Ich werde in das Vorzimmer zurückgehen.« »Unsinn,« rief Rudolf, »man könnte dich sehen, wenn du dort wartest. Ich verspreche dir, ich werde die Baroneß nur zehn Minuten aufhalten,« Er öffnete die Tür, und ehe ich etwas erwidern konnte, schlüpfte Mary an mir vorüber und war draußen. Der Kronprinz folgte ihr. »Nur zehn Minuten,« wiederholte er, während er die Tür schloß. Dann hörte ich, wie der Schlüssel im Schloß umgedreht wurde. 201
Ohnmächtig mußte ich mich fügen und ging hinüber zu den Fenstern, um zu sehen, ob ich entdecken konnte, in welchem Teile der Burg ich mich befand. Zu meiner Überraschung sah ich, daß die Fenster auf den Amalienhof hinausgingen und daß gerade gegenüber die mir wohlvertrauten Gemächer der Kaiserin lagen. Ich konnte die große Uhr sehen und hörte das Rollen der Equipagen, die unten durch den Hof fuhren. Ich beobachtete das emsige Treiben eine Zeitlang und blickte dann nach der Uhr. Die zehn Minuten waren schon vorüber. Ich ging zum Spiegel und glättete mein Haar, das die Flügel des Raben in Unordnung gebracht hatten. Und während ich dies tat, hörte ich Militärmusik. Es war die Stunde der Ablösung der Wache. Da das Zimmer unangenehm warm war, legte ich mein Jackett ab. Kaum hatte ich dies getan, da trat mein Vetter wieder ein. Er war allein! Ich starrte Rudolf verstört an und vermochte nur zu stammeln: »Wo ist Mary?« Er lächelte, beachtete meine Frage aber gar nicht, sondern machte sich daran, alle Türen des Zimmers abzuschließen. »Antworte!« schrie ich. »Um Himmels willen, sag’ mir, was geschehen ist! Rudolf, gib mir – eine Erklärung!« Ich war so bestürzt, daß ich nur mit Anstrengung stehen konnte. Das Blut schoß mir zu Kopfe. Ich schwankte und zitterte, und das Zimmer verschwamm mir vor den Augen. Der Kronprinz nahm mich bei der Hand. 202
»Da ist nichts zu erklären,« sagte er. »Mary! Mary! Wo ist sie?! Sag’ mir, was du mit ihr gemacht hast?!« »Beruhige dich, Marie, und hör’ mich an. Bitte, unterbrich mich nicht. Du wirst ohne Mary zurückkehren müssen.« Die Klänge der fröhlichen Musik draußen tönten herein, wahrend wir sprachen; nie mehr kann ich eine Militärkapelle spielen hören, ohne an jenen schrecklichen Augenblick zu denken. Mir wurde übel vor Angst. »Du scherzest! Du weißt nicht, was du sprichst! Du kannst mir nicht im Ernst sagen wollen, daß du beabsichtigst, sie hier zu behalten.« »Kümmere dich nicht darum, wo ich Mary zu behalten beabsichtige. Du hast jetzt weiter nichts zu tun, als sofort zu gehen.« Seine Unverfrorenheit machte mich rasend. »Ich werde nicht ohne sie gehen. Du wirst …« »Mary ist nicht in der Burg.« Der Schreck nahm mir das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, fuhr mein Vetter fort: »Wenn du dich ruhig verhältst, wird nichts geschehen. Geh’ zu der Baronin zurück und sag’ ihr, daß Mary fortgelaufen ist.« »Das werde ich nicht, du Feigling! Ich werde direkt zur Kaiserin gehen.« »Durch verschlossene Türen wirst du keinen Weg finden.« Ich stürzte zum Fenster, versuchte es aufzureißen, und schrie um Hilfe. Der Prinz preßte mir roh die Hand auf 203
den Mund und zerrte mich zurück. »Du – ich tu dir was an!« knirschte er mit furchtbarer Drohung in der Stimme. »Du ehrloser Mensch!« keuchte ich, »du hast jedes Schamgefühl verloren. Ich werde nicht still sein! Ich werde nicht still sein! Ich sag es der Kaiserin. Laß mich … laß mich … sofort …« »Wenn du nicht schwörst, Ruhe zu halten, bring’ ich dich um!« zischte Rudolf. Er ließ meine Handgelenke los, die er wie in Schraubstöcken hielt, öffnete ohne ein weiteres Wort eine Schublade und nahm einen kleinen schwarzen Revolver heraus. Damit trat er vor mich hin. »Soll ich dich erschießen?« Er packte mich an der Kehle und preßte mir die Waffe gegen die Stirn. »Ja, schieß’ zu!« rief ich verzweifelt. »Das wäre eine Barmherzigkeit, jetzt, wo du mein Leben ohnehin vernichtet hast.« Der Kronprinz ließ den Revolver sinken und blickte mich an. »Jedenfalls hast du Mut,« sagte er. »Ich kann tapfer sein, wenn es gilt, solchem Teufel, wie du bist, zu trotzen!« rief ich. »Du bist ein Satan. Du hast mich hergelockt unter der feierlichen Versicherung, mir ehrenhaft zu begegnen. Du weißt nicht, was ein Wort bedeutet. Ja, ich wiederhole es, du weißt nicht, was Ehre ist.« Der Kronprinz betrachtete mich mit einem Gemisch von Grausamkeit und Zynismus. »Darf ich mir die Frage gestatten, Marie, seit wann du dir die Rolle einer Heiligen anmaßest? Du bist gerade die 204
Richtige, die von Ehre und Ehrbarkeit reden darf. Du, die den Liebesmittler für meine Mutter gespielt hat, seit du ein Kind warst. Du wagst es, mir gegenüber von Moral zu sprechen, du, die ohne Skrupel dabei gestanden hat, wenn Mama meinen Vater betrog?!« »Das ist eine verruchte Lüge! Ich werde das nicht mit anhören! Ich dulde es nicht, daß du deine Mutter verleumdest! Ich liebe sie.« Dann brach ich in Tränen aus und weinte, als ob das Herz mir brechen wollte. Da sagte Rudolf sehr ruhig: »Marie, liebst du Mama wirklich, so erspare ihr die Schande eines Skandals.« Zu meiner großen Überraschung führte er mich hinüber zum Sofa und setzte sich neben mich nieder. »Ja, du hast ganz recht,« bemerkte er, in seinem Benehmen vollständig verändert; »ja – ich habe dich sehr hart behandelt. Kannst du es mir vergeben, Marie?« »Oh … h … h … h …« war meine einzige Antwort. »Ich muß wahnsinnig gewesen sein … Willst du mich anhören? Ich bitte dich, mir Gehör zu schenken. In deiner Hand allein liegt es, eine Tragödie abzuwenden.« »Wie kann ich dir noch glauben?« »Ich schwöre dir bei der Schwarzen Jungfrau der Burg, daß ich die Wahrheit sprechen werde. Ich will Mary bei Tage bei mir behalten, um die Baronin mürbe zu machen.« »Ach, du bist ja wahnsinnig,« sagte ich. »Du sagtest mir, du hättest keine Zeit für Liebesgeschichten; da wären Dinge, die deine ganze Spannkraft forderten, und, nachdem du mir das gesagt hast, entführst du ein junges 205
Mädchen. Ich glaube dir kein Wort mehr. Es ist alles ein wirres Lügengewebe.« »Es ist die Wahrheit. Viel kann in zwei Tagen geschehen, und ich will Mary bei mir haben. Ich stehe am Rande des Abgrundes. Warum willst du mir das bißchen Glück nicht gönnen?« »Mary hat mir genau dieselben Worte gesagt,« erwiderte ich, »aber was du Glück nennst, ist es in Wahrheit nicht. Ich glaube, Menschen wie du lernen es niemals kennen.« »Gib mir diese letzte Chance,« bat er. »Gut. Ich kann ja anhören, was du von mir verlangst.« »Ich wünsche, daß du zu deinem Fiaker zurückgehst und dich zu irgendeinem Geschäft fahren läßt, wo du als Kundin bekannt bist. Wenn du dort bist, schicke einen Angestellten hinaus zu dem Fiaker mit einer Botschaft von dir an die Baronin Mary Vetsera. Natürlich wird er zurückkommen und melden, daß die Baronin nicht da ist. Auf diese Weise wirst du dir einen Zeugen dafür verschaffen, daß du glaubtest, sie säße noch im Wagen.« »Der Kutscher wird aber doch wissen, daß ich die Burg allein verlassen habe.« Der Kronprinz öffnete eine Ledertasche und entnahm ihr ein Paket Banknoten. »Hier find fünfhundert Gulden,« sagte er. »Gib sie dem Kutscher mit der Mitteilung, daß ich sie ihm schicke, und wenn er irgendwie in Verlegenheit kommt, soll er sich an Bratfisch wenden, der wird ihm sagen, was er zu tun hat.« 206
»Und ich soll ihrer Mutter sagen, daß Mary fortgelaufen ist, während ich in dem Geschäft war?« »la,« nickte Rudolf, »das wird für zwei Tage genügen, dann werde ich selbst mit ihr sprechen.« »Es wird dir leicht fallen, mit ihr einig zu werden,« sagte ich und wiederholte ihm die Unterredung, die ich mit Madame Vetsera gehabt hatte. Der Kronprinz lachte. »Welch eine bequeme Mutter Mary hat,« spottete er, »aber jetzt, Marie, mußt du gehen. Möchtest du ein Glas Wein haben? Du siehst ein bißchen mitgenommen aus, mein armes Cousinchen.« Ich lehnte den Wein ab. Noch immer weinte ich. Ich war in einem furchtbaren Zustande nervöser Erschöpfung, und meine Kräfte waren vollständig aufgerieben. Ich hatte nur den einen Wunsch, fortzukommen. Plötzlich nahm Rudolf meine Hand. »Laß uns nicht in Unfrieden scheiden, Marie,« bat er; »wenn du wüßtest, wie unglücklich ich bin …Vielleicht kommt noch alles ins rechte Gleis … eines Tages. Versprich mir nochmals, Stillschweigen über alles zu bewahren!« »Ich verspreche es,« antwortete ich mit erstickter Stimme. Da zog der Kronprinz mich an sich und schloß mich in die Arme. Dann küßte er mich zum ersten und letzten Male auf den Mund. Wie im Traum ging ich durch das Vorzimmer und befand mich wieder im Nistraum des Raben. Schweigend führte mich Loschek über das Dach zurück und die Treppe hinab zu der Tür in der Mauer. Als sie sich schloß, fühlte ich, daß ich den schöneren Teil meines Lebens hinter mir hatte. 207
Beim Fiaker fand ich den Kutscher dabei, eine dicke Käseschnitte zu verzehren, und die Pferde hatten die Futtersäcke um. Offenbar hatte er sich auf ein langes Warten gefaßt gemacht. Der Mann, der mich seit Jahren fuhr, war ganz betroffen von meinem veränderten Aussehen. Doch ich gab ihm schnell Rudolfs Befehle und händigte ihm die Banknoten aus. »Viel zu viel für eine Dame,« bemerkte er. »Das ist eine kostspielige Liebelei, die dem Kronprinzen fünfhundert Gulden kostet!« Mehr tot als lebendig, fuhr ich davon. Doch mit einer ungeheuren Anstrengung raffte ich mich zusammen und fuhr zu Rodeck auf dem Kohlmarkt, wo alles vorschriftsmäßig verlief, ohne daß der geringste Verdacht erweckt wurde. Ich tat sehr erstaunt, als man mir Marys Abwesenheit mitteilte, und eilte sofort aus dem Laden. »Führen Sie mich so schnell wie möglich zum VetseraPalais,« sagte ich vernehmlich.
208
vierzehntes Kapitel
I
ch betrat das Vetsera-Palais in einem sehr wenig beneidenswerten Gemütszustande. Ich fühlte mich krank und meine Knie zitterten, während ich langsam die Treppen hinaufstieg. Ein appetitanregender Speisengeruch drang aus dem Eßzimmer, als Hanna mir entgegenkam. »Mama war so hungrig, daß wir ohne euch angefangen haben,« entschuldigte sie. Aber als sie bemerkte, wie elend ich aussah, schwieg sie und wartete auf meine Eröffnung. »Hanna … bitte deine Mutter, zu mir zu kommen … es ist kein Augenblick zu verlieren.« Fast mechanisch ging ich ins Rauchzimmer und warf mich aufs Sofa, ich wußte kaum, was ich tat. Die Tür ging auf und Madame Vetsera fegte herein, die Serviette in der Hand. »Was ist los? Bist du krank?« rief sie ängstlich. »Mary ist fortgelaufen. Ich bin ohne sie zurückgekommen …« Ich erkannte kaum meine Stimme, als ich diese schicksalsschweren Worte hervorstieß und die Baronin mit angstvoller Spannung betrachtete, um die Wirkung meiner Nachricht auf sie zu beobachten. 209
Madame Vetsera erbleichte, biß sich auf die Lippen und sagte dumpf: »Ich wußte ja, daß sie etwas Unüberlegtes tun würde.« Hanna, die der Mutter gefolgt war, schien die Sprache verloren zu haben. Die Baronin brach in Tränen aus, und ich kämpfte, meiner Gefühle Herrin zu werden. Ich erinnerte mich an Rudolfs Bemerkung, die Baronin wäre »eine sehr bequeme Mutter«. Es schien mir auch, als verrieten ihre Worte mehr verletzten Ehrgeiz als verzweifelte Mutterliebe. Madame Vetsera trocknete ihre Tränen und suchte ihre Fassung wieder zu gewinnen. »Sage mir alles,« bat sie. Ich spielte die Rolle, die mir Rudolf zugewiesen hatte, und zwang mich zu einer Lüge nach der anderen. Doch schließlich gingen meine Nerven mit mir durch, und ich brach in einen Strom von Tränen und Selbstanklagen aus. »Tröste dich,« sagte die Baronin, »es ist nicht deine Schuld. Es war mit Mary nicht mehr auszuhalten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie mir das Leben vergällt hat. Doch von ihm ist es eine unverzeihliche Handlung,« fügte sie mit jäher Empörung hinzu. »Helene,« fragte ich atemlos. »Du bringst also den Kronprinzen mit Marys Flucht in Zusammenhang?« »Ja,« entgegnete Madame Vetsera, und ihre Augen funkelten vor Ärger. »Ja, ich argwöhne so manches. Leider habe ich erst kürzlich von allem erfahren.« Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich verschuldete nicht allein die Folgen dieser Intrige, da Marys Mutter selbst zugab, daß sie darum wüßte. 210
»Was soll jetzt geschehen?« fragte ich. »Nichts, wenigstens nicht gleich,« erwiderte die Baronin. »Wir wollen warten und sehen, ob sie zurückkehrt. Ich will jeden Skandal vermeiden, der für unsere Stellung in Wien nachteilig wäre. Man muß alles geheim halten. Vor allem müssen wir dafür sorgen, daß die Dienstboten nicht schwatzen. Auf den alten Christian kann ich mich verlassen. Auch der Portier ist zuverlässig. Agnes – o, aber – Agnes!« fuhr Madame Vetsera auf, »sie steckt sicher hinter allem. Mit ihr werde ich später abrechnen. Vorläufig ist die Hauptsache das tiefste Schweigen.« Diesen letzten Satz sprach sie leise vor sich hin. Plötzlich schien mein trostloser Zustand sie von neuem zu erschrecken, denn ich glaube, ich sah wie ein wandelnder Leichnam aus. »Nimm etwas,« drang sie in mich. »Mir scheint, du bist sehr krank, ich werde Wein kommen lassen.« Mit diesen Worten ging Madame Vetsera ins Eßzimmer. Hanna, die unbemerkt hinausgegangen war, kam jetzt zurück, in der einen Hand ein Stück Papier, in der anderen ein kleines Schmuckkästchen. Sie wollte gerade sprechen, als ihre Mutter mit Christian zurückkehrte, der mir ein Glas Wein und Keks anbot. Hanna gab den Papierstreifen der Baronin, die ihn laut vorlas: »Liebe Mutter, wenn du dies liest, bin ich in der Donau – Mary.« »Welch ein Unfug!« rief ich. »Mary lebt und ist gesund, sie will nur verhindern, daß man ihr Versteck entdeckt.« 211
»Natürlich,« nickte die Baronin. Hanna wandte sich der Mutter zu. »Mary hat ihren ganzen Schmuck in einer silbernen Schale auf ihrem Toilettetisch stehen lassen, die Schreibtischschubladen sind leer, und nur dieses Kästchen war da.« Damit gab sie es der Mutter. »Wir wollen das Schloß aufbrechen,« riet ich. »Vielleicht finden wir darin den Schlüssel zu dem Geheimnis.« Christian brach das Kästchen auf; es barg aber nur die Photographie eines Kindes, in dem ich Rudolf im Alter von drei Jahren erkannte. Nachdem ich den Wein getrunken hatte, fühlte ich mich etwas besser, und wir besprachen jetzt eingehend Marys Verschwinden und Madame Vetseras Wunsch, jeden Skandal zu vermeiden. Die Furcht vor dem Gerede schien sie weit ernster zu beunruhigen als der Verlust ihrer Tochter. Ein tiefes Mitleid mit Mary stieg in mir auf, als ich erkannte, wie wenig echte Liebe die Mutter für sie empfand. »Willst du mir einen großen Gefallen tun?« fragte Madame Vetsera, als ich mich zum Gehen erhob. »Gern,« antwortete ich. »Dann fahre zur Burg und frage nach Nachrichten über den Kronprinzen. Du bist seine Cousine, man kann dir die Auskunft nicht verweigern. Und dann noch etwas … kannst du nicht deine Rückreise nach Pardubitz auf vierundzwanzig Stunden verschieben? Bis dahin werden wir sicher irgendeine Nachricht haben.« Ich zögerte. 212
Zu einem zweiten Besuch in der Burg hatte ich nicht die Kraft … doch ich konnte meine Zofe schicken. Aber meine Rückreise verschieben, das war eine ganz andere Frage. Da hatte mein Mann mitzusprechen. Ich fühlte indessen, daß es meine Pflicht war, alles, was in meiner Macht stand, für die Baronin zu tun, zumal ich der unschuldige Grund all ihres Kummers war. »Gut,« sagte ich. »Ich werde in der Burg nachfragen und noch einen Tag in Wien bleiben.« Die Baronin dankte mir unter Küssen. Ich sagte Hanna Lebewohl und fuhr ins Hotel, wo ich zu meiner größten Freude Frau Müller vorfand, die zweifellos in der Erwartung gekommen war, daß ich ihr erzählen würde, was am Abend vorher geschehen war. Getreu dem Versprechen, das ich Madame Vetsera gegeben hatte, schickte ich Jenny sofort zur Hofburg und bat Frau Müller, in meinem Namen ein Telegramm nach Pardubitz zu schicken. »Kommen Sie zurück, wenn Sie nichts Besseres vorhaben,« sagte ich ihr. »Meine Nerven beben, und ich habe Angst, allein zu sein.« Ich wartete voll Unruhe auf Jenny, und als sie zurückkehrte, erfuhr ich, daß der Kronprinz zur Jagd in Laxenburg sei … Natürlich war das eine falsche Nachricht. Da ich jetzt etwas ruhiger geworden war, beschloß ich, wieder zur Baronin zu gehen und ihr zu berichten, was ich gehört hatte. Vor allem aber hoffte ich auch, daß Mary inzwischen etwas getan haben würde, die Angst ihrer Mutter zu besänftigen. 213
Als ich ins Vetsera-Palais kam, geriet ich mitten hinein in einen Familienrat, da die Baronin nach Alexander Baltazzi geschickt hatte, der außer sich war über das Benehmen seiner Nichte. Hanna, deren Gesicht vom Weinen geschwollen war, versuchte den Onkel zu beruhigen, während Madame Vetsera unter den wuchtigen, zornigen Vorwürfen ihres Bruders den Kopf vollständig verloren zu haben schien. Alexander erklärte, daß er mit dem Kronprinzen sprechen und ihn zwingen würde, Rechenschaft zu geben. Doch die Baronin blieb unter Tränen und Jammern dabei, man dürfe keinen Skandal provozieren. Ich unterstützte ihre Bitten. »Gut,« sagte Alexander, »dann werde ich dem Kronprinzen nicht nachfahren, aber ich muß wissen, wo er steckt. Sie, Gräfin, als Familienmitglied können Fragen stellen, die uns unmöglich sind. Wollen Sie mit mir den Chef der Geheimpolizei besuchen. Er wird sicher wissen, wo Ihr Vetter ist. Wir brauchen ihm von Mary nichts zu sagen, wenn es nicht absolut nötig ist.« »Wir werden es ihm sagen müssen,« entgegnete ich ruhig. Obwohl ich ohne jede sichtbare Erregung sprach, konnte ich die Worte nur mit der größten Anstrengung hervorbringen. So schlecht und verräterisch Rudolf auch war, so widerstrebte es mir doch, jemanden auf seine Spur zu bringen, zumal er vielleicht wirklich in jene mysteriöse politische Affäre verwickelt war. Madame Vetseras Haltung war mir ein Rätsel. Denn, da sie Rudolf für den Entführer ihrer Tochter hielt, warum war sie dann so dagegen, ihn zu stellen? Ich konnte 214
dies nur ihrer Empfindlichkeit hinsichtlich der Ehre ihrer Familie zuschreiben. Aber Mary hatte doch geäußert: »Die Chronik der ›braven‹ Vetseras ist in der Gesellschaft wohl bekannt.« »Hören Sie,« sagte ich zu Alexander nach einer endlosen Debatte. »Ich werde Sie begleiten, aber bitte, seien Sie vorsichtig. Ich möchte nicht in Rudolfs peinliche Angelegenheiten verwickelt werden. Sie wissen, daß ich noch auf andere, außer mir, Rücksicht zu nehmen habe, auch wünsche ich keinen Streit mit der Kaiserin.« Wir fuhren zur Polizeipräfektur, einem düsteren, bedrückenden Ort, der in eine Atmosphäre von Geheimnis und Verbrechen gehüllt war. Ich schickte meine Karte mit der Bitte um eine Unterredung hinein, worauf wir zu dem Chef der Geheimpolizei geführt wurden, einem ernst dreinblikkenden Manne, der über unsern späten Besuch überrascht schien. Sobald ich dem Chef mitteilte, daß ich eine Verwandte der Kaiserin sei, wurde er sofort sehr liebenswürdig, und ich erklärte ihm in aller Kürze, daß ich den Aufenthalt des Kronprinzen ermitteln wollte, der eine junge Dame überredet hatte, ihr Heim zu verlassen und ihm zu folgen. »Die Ehre eines bekannten Namens steht auf dem Spiele,« sagte ich; »jeder Skandal muß vermieden werden, und die Hauptsache ist, das Mädchen zu veranlassen, sofort zu ihrer Mutter zurückzukehren.« Der Polizeichef hörte mich schweigend bis zu Ende an. »Ich kann mich unmöglich einmischen,« antwortete er 215
entschieden. »Das gehört nicht zu meinem Pflichtenkreis. Denn glauben Sie mir, Gräfin, wenn ich mich auf die Liebesgeschichten des kaiserlichen Hauses einlassen wollte, hätte ich alle Hände voll zu tun. Tatsächlich,« fügte er bei, »wage ich es gar nicht.« Da verlor Alexander Baltazzi seine Beherrschung. »Was,« rief er wütend, »dürfen die Habsburger sich wie gemeine Strauchdiebe aufführen und doch straflos ausgehen! Gibt es keine Gerechtigkeit in Wien?!« »Ich kann mich nicht in Dinge einmengen, die der Kronprinz zu tun beliebt,« wiederholte der Polizeichef. »Vielleicht wissen Sie nicht,« sagte ich, daß die junge Dame zur Aristokratie gehört?« »Wie! Sie ist kein Bürgermädchen? Aber das ist ja eine ganz andere Sache!« rief der Beamte. »Dann werde ich mal sehen, was ich tun kann.« Und er verließ das Zimmer, während wir gespannt auf seine Rückkehr warteten. »Seine Kaiserliche Hoheit ist in Alland,« meldete der Chef, als er nach einer Viertelstunde zurückkam. Die höfliche Verbeugung, mit der er seine Worte begleitete, deutete uns an, daß wir entlassen waren. Als wir die Polizeipräfektur verließen, fragte ich Alexander, ob er wüßte, wo Alland sei. Er erwiderte, daß es nicht weit von Wien wäre, und als wir der Baronin Mitteilung machten, beschloß sie, am folgenden Tage nach Alland zu fahren und darauf zu dringen, Mary und den Kronprinzen zu sprechen. Halbtot vor Unruhe und Müdigkeit kam ich ins Hotel. Dort fand ich Frau Müller in meinem Schlafzimmer vor. Ein Telegramm war gekommen. Mit bebenden Fingern 216
riß ich es auf und war entgeistert, eine kurze Mitteilung von meinem Mann zu finden. Der Graf verbot mir strengstens, meine Reise auf einen Tag zu verschieben! Mir blieb nichts weiter übrig, als sofort nach Pardubitz zurückzukehren. Ich legte das Telegramm einem Briefe an Madame Vetsera bei und bat sie, mir alle Nachrichten unter Jennys Deckadresse zu Schicken. Die Baronin schrieb mir eine liebevolle Antwort; sie wollte mir telegraphieren oder schreiben, sobald sie irgendwelche Nachricht von Mary hätte. Am nächsten Morgen verließ ich Wien mit dem ersten Zuge. Noch niemals war ich so gern in mein stilles Heim zurückgekehrt. Es erschien mir wie ein Hafen des Friedens nach den Stürmen der Leidenschaft, die mich umtost hatten. Aber die Reise nach Pardubitz war nicht angenehm. Bittere Selbstanklagen peinigten mich, und mehr als einmal beschloß ich, dem Grafen alles zu berichten. Aber ich wußte, wenn ich es täte, würde ich mein ganzes Leben lang Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit anzuhören haben. So verzichtete ich darauf, mein Gemüt ihm gegenüber zu entlasten. Obwohl ich ziemlich tapfer bin, fürchtete ich mich doch immer ängstlich vor dem Ärger meines Mannes. Ich vertraute mich ihm daher selten an, und niemals tat ich es, wenn das Ärgernis einen meiner Verwandten betraf. Warum war ich nur so strafbar leichtsinnig gewesen? fragte ich mich. Dann erinnerte ich mich mit Entsetzen der Schrecklichen Stahlkassette. Was mochte sie enthalten? Rudolf hatte »Papiere« gesagt, und ich erwog, daß 217
er mit Papieren vielleicht seine Korrespondenz mit Mary Vetsera gemeint haben könne. Das Rattern des Zuges wiederholte mit monotoner Hartnäckigkeit die Namen »Rudolf« und »Mary«. Ich bemühte mich, meine Gedanken abzulenken, indem ich auf die vorbeihuschende Landschaft hinausblickte, die leicht mit Schnee gepudert war. Aber die Winteröde bedrückte mich nur noch mehr, und ich war froh, als ich endlich in Pardubitz ankam. Die erste Nacht zu Hause war eine Wohltat, denn ich war vollständig erschöpft. Ich schlief den traumlosen Schlaf äußerster Ermattung und fühlte mich erfrischt und ruhiger, als ich erwachte. Ich hatte Jenny alles erzählt und empfand es als eine große Erleichterung, mit ihr darüber zu sprechen, denn sie war so ergeben und treu, daß ich mein Geheimnis bei ihr in sicherer Hut wußte. Graf Larisch machte einige Bemerkungen über meine Niedergeschlagenheit und meinte, daß der Besuch in Wien mich sehr angestrengt hätte. »Aber,« sagte er, »mir geht es auch gar nicht gut. ich habe mich entschlossen, sofort noch Mentone aufzubrechen. Wir werden nicht in Wien bleiben, sondern direkt durchfahren und die Reise erst in Nabresina unterbrechen.« Zwischen meinen emsigen Reisevorbereitungen wartete ich ängstlich auf Nachricht von der Baronin Vetsera. Doch da keine kam, teilte ich ihr brieflich mit, daß wir nur noch zwanzig Stunden in Pardubitz blieben, und daß ich ihr von Monte Carlo aus schreiben würde. 218
Am Abend des 30. Januar war ich spät zu Bett gegangen und schlief fest, als Jenny am nächsten Morgen in mein Zimmer kam und die Vorhänge zurückschlug. Das Feuer brannte nicht, ich fröstelte und zog die Eiderdaunendecke dichter um mich. Zugleich sagte ich ärgerlich: »Warum haben Sie mich so zeitig geweckt?« »Gnädigste Gräfin,« antwortete Jenny mit so veränderter Stimme, daß ich sie kaum wieder erkannte, »etwas Furchtbares ist geschehen. Mein Gott … wie soll ich es Ihnen sagen?« Sie fiel neben dem Bett auf die Knie. »Wie kann ich Ihnen das sagen,« wiederholte sie, »ich fürchte … mich so.« »Sprechen Sie, Jenny, Sagen Sie es mir sofort!« schrie ich. »O, gnädige Frau, der Kronprinz ist getötet!« Ich sah sie an, ohne den grauenvollen Inhalt ihrer Worte zu begreifen. Meine Zunge war gelähmt. »Ja, ja,« schluchzte Jenny, »der Bäcker hat eben die Nachricht gebracht. Aber man hat schon gestern abend spät in Pardubitz davon gesprochen. Man sagt, Seine Kaiserliche Hoheit wurde aus Versehen auf der Jagd erschossen.« »Wo? In Alland?« stammelte ich mühsam, denn die Kehle war mir wie ausgedorrt. »Nein, in Meyerling,« antwortete das weinende Mädchen. Ich sprang aus dem Bett, mein Blut war zu Eis erstarrt. Ich hatte nur den einen Gedanken, zu meinem Manne zu eilen, doch Jenny bat mich, bis zum Frühstück zu warten, da der Diener gerade bei ihm war. 219
Wie ich mich an diesem entsetzlichen Morgen angezogen habe, weiß ich nicht mehr. Ich hatte jedes Empfinden verloren. Ich wußte nichts, als daß Rudolf tot war. Aber wie – durch wessen Hand? Ich fragte Jenny, doch sie wußte keine Einzelheiten. Dann, mit einem Stich im Herzen, dachte ich an Mary. Wo war sie? Was war ihr zugestoßen? Sie hatte doch nicht etwa ihren Geliebten ermordet?! Ach, die Zeitungen … sie würden voll der Tragödie sein. Ich stürmte die Treppen hinab, und als ich an meines Mannes Zimmer vorbei kam, hörte ich ihn mit dem Diener über die Katastrophe von Meyerling sprechen. Die Zeitungen lagen auf dem Frühstückstisch. Ich sah die Überschriften: »Tod des Kronprinzen Rudolf«. Die Seiten waren mit dicken, schwarzen Rändern umrahmt, und über dem Kopf der Zeitungen war ein Kreuz! Die Buchstaben tanzten mir vor den Augen, aber ich las mit Aufbietung aller Kraft den Bericht, der eine bloße Nachricht war ohne jede Einzelheiten. Der Leitartikel beklagte den Verlust, den Österreich-Ungarn erlitten hatte. Das war alles. Ich war halb wahnsinnig vor Schreck und Verzweiflung und hörte kaum hin, als mein Mann mir die Nachricht von Rudolfs Tod mitteilte. Graf Larisch war ganz gleichgültig und bemerkte, er hätte ein solches Ende bei meinem Vetter immer vorausgesehen. »Es ist sehr ärgerlich, daß wir zum Begräbnis nach Wien fahren müssen,« sagte er in gereiztem Tone. Dann aß er mit großem Appetit sein Frühstück, während ich mein220
te, an jedem Bissen zu ersticken. Schließlich konnte ich nicht länger bei Tisch sitzen. Als ich in das Schlafzimmer zurückkam, fand ich Jenny beim Packen. »Ich muß sofort ein Telegramm an die Baronin Vetsera schicken,« sagte ich; »beeilen Sie sich, Sie müssen es gleich zur Post bringen.« Und ich setzte mich an meinen Schreibtisch. »Frau Gräfin,« antwortete sie, »nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich wage, Ihnen zu sagen, daß das unklug ist. Ich bitte Sie, zu warten, bis Sie nach Wien kommen, es hat keinen Zweck, in einer so kritischen Zeit den Leuten Stoff zum Gerede zu geben.« Ich konnte mich der Wahrheit dieser Äußerung nicht verschließen. Als ich die Feder hinlegte, fiel mein Blick auf Marys Photographie mit den Worten: »Treu bis in den Tod.« Enthielten sie eine düstere Prophezeiung? Ich schrie so gell auf, daß die Zofe herbeistürzte, um zu sehen, was mir fehle. Dann umfing mich eine barmherzige Ohnmacht. Doch nicht für lange. Das Leben mit seiner Not rief mich zurück; und mein gequältes Gehirn durchdrang die grausame Erkenntnis, daß die Stahlkassette und ihr Geheimnis ein Legat des Toten für mich sei. Spät an diesem furchtbaren Abend raffte ich meine Nerven zusammen, öffnete den Koffer und nahm die geheimnisvolle Kassette heraus. Rudolf konnte sie nun niemals zurückfordern. Aber wer würde sich als sein Vertrauter melden?! Ich war froh, als die Stunde der Abfahrt kam, denn die seelischen Oualen, die ich litt, waren fast unerträglich! Es 221
erging mir wie einem Reisenden in einem unbekannten Lande voller verborgener Gefahren, der vorwärts schreitet in der entnervenden Furcht, der nächste Schritt werde ihn ins Verderben stürzen. Der Tod wäre mir willkommen gewesen, so fürchtete ich mich vor dem, was mir noch bevorstand: Das Bild des Toten verfolgte mich. Ich durchlebte noch einmal unsere letzte Begegnung, und obwohl ich sehr wohl wußte, daß ich durch sein selbstsüchtiges Doppelspiel zu leiden haben würde, freute ich mich doch, daß ich Rudolf den Abschiedskuß nicht verweigert hatte.
222
Fuenfzehntes Kapitel.
W
ir fuhren die Nacht durch, und als wir früh in Wien ankamen, fanden wir eine Stadt des Schmerzes. Ich kann das Gefühl nicht schildern, das mich marterte, als ich die schwarzen Volksmengen und die Wahrzeichen allgemeiner Trauer sah. Ein düsteres Schweigen lag wie ein Leichentuch über Menschen und Dingen, und ein Hauch des Schreckens und des Grauens durchzitterte die Luft. Bei unserem Eintritt in das Grand Hotel sah ich zu meiner Überraschung, wie die Leute mich anstarrten und flüsterten, als ich vorüberkam. Denn damals wußte ich noch nicht, daß tausend Verleumderzungen schon begonnen hatten, sich emsig mit mir zu beschäftigen. Ich empfand einen eisigen Schauer, als ich mich wieder in meinem alten Zimmer befand, in dem sich das leidenschaftliche Drama der letzten Tage zum Teil abgespielt hatte. Mir war, als sähe ich wieder Marys liebliches, verzweifeltes Gesicht; ich hörte Rudolfs hastigen Atem und lauschte seinen wilden Worten. Dort stand das Sofa, auf dem wir gesessen hatten, als er mir die Stahlbüchse gab, dort war der Stuhl, auf dem Mary gesessen hatte, als sie meine »Predigt« angehört hatte. Ja, ich konnte den Duft 223
ihrer Zigarette riechen und das ungeduldige Klickklick ihrer kleinen, hohen Absätze hören. Ach, es war schrecklich! Wo war Mary? Warum konnte ich von ihr nichts erfahren? Ich ertrug die Spannung nicht länger, und nach dem Frühstück schickte ich Jenny zum Vetsera-Palais. Es beunruhigte mich auch, daß keine Botschaft von der Kaiserin kam, die von unserer Ankunft in Wien wußte. Der einzige, der nach mir gefragt hatte, war Doktor Wiederhofer, der die Mitteilung hinterließ, er werde mich in einer dringenden Angelegenheit heute nachmittag besuchen. Der Graf ging zu seiner Familie, und ich wartete gespannt auf Jennys Rückkehr, war aber bestürzt, als sie mir die Nachricht brachte, daß das Vetsera-Palais verschlossen sei. Herrin und Dienstboten wären fort, und der Hausknecht, der allein zurückgeblieben war, könne keinerlei Auskunft geben. »Ach, Frau Gräfin,« rief Jenny, »was bedeutet das alles nur?! Gestern sagte mir der Kammerdiener des Prinzen A. , der mit mir fuhr, sein Herr hätte gehört, der Kronprinz sei nicht versehentlich erschossen, sondern im Walde ermordet worden. Was soll man eigentlich glauben?!« Ich wußte keine Antwort. Ich ging hinüber zum Fenster, fuhr aber entsetzt zurück, als ich die schwarzen Fahnen und Kreppgirlanden in den Straßen flattern sah. Die sich windenden Bänder erschienen mir wir die schwarzen Schlangen, die sich im Haare der Furien ringeln, und instinktiv wiederholte ich die Worte: »Sag mir, von welcher Furie … wirst du verfolgt?« Meine Seele 224
wand sich in Qualen, meine Nerven rissen, ich wollte schreien, den Kopf gegen die Wand schlagen … irgend etwas … ich ballte die Fäuste, die Nägel drangen mir ins Fleisch, keine Tränen linderten das Brennen meiner Augen, meine Kehle war verdorrt – o, was sollte ich beginnen! Und dann wurde die Luft draußen durchbebt von den tiefen, feierlichen Klängen der Glocken. Jeder Schlag traf mein Herz und schlug in mein schmerzendes Hirn wie ein Eisenhammer. Wollten die Glocken denn gar nicht aufhören? Eins – zwei – drei – Rudolf liegt jetzt in der Augustinergruft. Wo war sein Geist? Mir nah … ich fühlte es … was hatte eben meine Wange gestreift? … der letzte Kuß … ja, ich fühlte ihn … eins – zwei – drei – noch immer die Glocken! Sie werden ewig durch meine Träume dröhnen. Ich warf mich aufs Sofa. Ich bohrte die Finger in die Ohren, das geisterhafte Brausen zu ersticken. Ich vergrub den Kopf in die Kissen. Ich fühlte, ich mußte sterben, wenn ich es noch länger hörte. Plötzlich fuhr ich auf. Eine Hand hatte sich auf meine Schulter gelegt. Meine Augen begegneten dem ruhigen Blick meines alten Freundes und Arztes, Dr. Wiederhofer. Er drückte mir beruhigend die Hand. »Fassen Sie sich, liebe Gräfin,« sagte er, »denn Sie müssen aufmerksam auf meine Worte achten. Die Kaiserin hat mich zu Ihnen geschickt.« »Wünscht Tante Sissi mich zu sehen?« fragte ich hastig. 225
»Nein, sie wünscht, daß Sie ihr eine Frage beantworten. Was wissen Sie von der Sache?« »Ich weiß nichts. Ich sterbe fast vor Angst. Haben Sie Erbarmen und sagen Sie mir etwas.« »Sprechen Sie auch sicher die Wahrheit?« »Ich schwöre es.« »Dann, meine arme Freundin …, nehmen Sie Ihre Kraft zusammen … Mary ist tot.« »O, mein Gott!« schrie ich auf. »Wie ist sie gestorben?« »Mit dem Kronprinzen … Gräfin … seien Sie tapfer … Sie zittern wie Espenlaub … so … sehen Sie, es geht schon. Ja, sie sind beide tot. Und die Kaiserin gibt Ihnen die Schuld! Ich bedaure Sie, mein armes Kind, denn Sie sind in einer furchtbaren Lage,« sagte der Doktor mit zitternder Stimme. »Aber ich bin unschuldig!« schrie ich. »Man weiß in der Burg alles,« sagte er ernst. »Die Geheimpolizei hat entdeckt, daß Sie Rudolfs Vertraute waren und daß Sie Mary Vetsera in die Hofburg gebracht haben. Der Kutscher, der Sie hingefahren hat, hat alles gestanden. Aber ich bitte Sie, sagen Sie mir, was die Kaiserin vor allen Dingen zu wissen wünscht: war der Kronprinz ganz normal, als Sie ihn zuletzt sprachen?« Ich raffte mich zu der Antwort auf: »Nein, das war er nicht.« Dann brach mein zurückgedämmtes Leid hervor. »Sie sagen, sie wissen in der Burg alles. Weiß der Kaiser und die Kaiserin auch, daß man mir schamlos mitgespielt hat? Ich bin die Betrogene in dieser Angelegenheit. Man 226
hat mich hinters Licht geführt. Ich gehe zur Kaiserin. Ich laß’ mich nicht ungerecht verurteilen.« Meine Stimme schwoll an zu wildem Schrei und ebbte nieder zu konvulsivischem Schluchzen. Dr. Wiederhofer ließ mich einige Augenblicke weinen. »Mut, Mut, liebe Gräfin, ich bin davon überzeugt, daß Sie die Wahrheit sprechen. Es ist schon das beste, ich erzähle Ihnen alles. Aber es ist eine grauenvolle Geschichte.« »Der Kronprinz hat, allem Anscheine nach, nach Laxenburg geschrieben,« erzählte der Doktor, »und seiner Gemahlin mitgeteilt, er ginge auf drei Tage nach Meyerling zur Jagd, würde aber zu dem Familiendiner am 30. Januar zurück sein. Infolgedessen kümmerte man sich weiter nicht um seine Schritte. Der Prinz verließ Wien zwei Stunden nach Mary Vetsera, die Bratfisch nach dem Jagdschloß hinausfuhr. Das unglückliche Mädchen gelangte unbemerkt durch den Privateingang hinein, und Loschek führte sie in das kleine Ankleidezimmer in den Gemächern, die der Kronprinz benutzte. Diesen Tag und die folgende Nacht blieb sie mit dem Geliebten allein, und am neunundzwanzigsten kamen einige Freunde von Rudolf hinaus zur Jagd.« »War Philipp von Coburg unter ihnen?« »la. Philipp,« fuhr Dr. Wiederhofer fort, »wußte, daß eine Dame in Meyerling war – übrigens nichts Seltenes – denn dann blieb Rudolf niemals lange bei Tisch. Der Kronprinz schützte eine arge Erkältung vor und ging nicht mit auf die Jagd. Und am Abend saß er bei Tisch, den Hals mit einem seidenen Tuche umwickelt. 227
Das Abendbrot wurde für den Prinzen und Mary auf ihren Zimmern serviert, und Loschek erhielt den Befehl, seinen Herrn um sieben Uhr am nächsten Morgen zu wecken. Unten tobte eine Trunkenheitsorgie, aber die beiden armen Seelen verbrachten ihre letzte Nacht ungestört.« »Um Barmherzigkeit willen, seien Sie kurz, ich kann es nicht ertragen,« stöhnte ich. »Sie müssen alles hören,« entgegnete mein Freund. »Loschek kam, seinen Herrn um sieben Uhr zu wecken, und der Kronprinz befahl ihm, in einer halben Stunde wieder zu kommen. Das tat er. Aber da er auf sein wiederholtes Klopfen keine Antwort erhielt, wurde er unruhig und benachrichtigte den Grafen Hoyos, der beim Frühstück saß.« »Und … weiter?« »Sie erbrachen die Tür. Ich hoffe, man wird nie wieder Ähnliches sehen. Alles schwamm in Blut. Die Kopfkissen waren besudelt, die Wände bespritzt, es rieselte in einem purpurnen Bache vom Bett auf die Erde herab, wo es eine schreckliche Lache bildete. Rudolf lag auf der Seite, die Hand hielt noch immer den Revolver, der Schädel war fast völlig zerschmettert.« »Ich kann nicht mehr …« »Gräfin … Sie müssen alles hören. Das Bett bauschte sich ein wenig auf, und Graf Hoyos lüftete die Decken. Mary Vetsera lag unter ihnen – tot. Auch sie hatte einen Kopfschuß.« »O, Mary, Mary, arme Mary!« rief ich und bäumte mich auf. 228
»Graf Hoyos befahl Loschek, den Leichnam des Mädchens in ein anderes Zimmer zu schaffen und alle Türen des Sterbezimmers abzuschließen. Dann ging der Graf hinunter und teilte den Jagdgästen mit, der Kronprinz wäre plötzlich schwer erkrankt, er müsse sofort nach Wien fahren, dem Kaiser Meldung zu machen und einen Arzt nach Meyerling zu rufen. Er telegraphierte an mich, und ich kam fast zur gleichen Zeit mit ihm in der Hofburg an. »Zuerst sahen wir die Kaiserin. Sie hatte gerade ihre Turnübungen beendigt. Es war schrecklich, sie so unvorbereitet zu überfallen. Ich kann Ihnen nicht mitteilen, wie wir ihr die Nachricht beibrachten …« »Arme, arme Tante!« »Ich gewann es über mich, ihr zu sagen: ›Sie müssen es dem Kaiser mitteilen, Majestät. – Sie allein können es.‹ Die Kaiserin starrte mich verständnislos an, dann richtete sie sich auf, ein Schauer überrieselte sie. ›Wir wollen gehen,‹ sagte sie.« »Wir gingen mit der Kaiserin zu des Kaisers Gemächern und warteten draußen. Was zwischen den gebeugten Eltern vorging, weiß ich nicht. Doch als wir hineingerufen wurden, saß Franz Josef am Tisch, das Gesicht in die Hände vergraben. Die Kaiserin stand neben ihm. Man befahl mir, sofort nach Meyerling zu fahren. Graf Hoyos gab mir den Schlüssel des Zimmers.« »Was geschah weiter mit der Kaiserin?« »Als die Kaiserin in ihre Zimmer zurückkam, meldete ihr Madame Ferenzy, daß die Baronin Vetsera um eine Audienz bäte. Die Baronin behaupte, der Kronprinz habe 229
ihre Tochter entführt und flehe die Kaiserin an, ihr zu helfen. Elisabeth zögerte, befahl dann aber Madame Ferenzy, die Baronin herein zu führen. Die Kaiserin stand in der Mitte des Vorzimmers. Sie war grausig anzusehen in ihrer unnatürlichen Ruhe. Die Baronin erschien. Die beiden Mütter blickten einander schweigend an. Dann fiel Madame Vetsera auf die Knie und schrie verzweifelt auf: ,Mary – meine Tochter –‹ Elisabeth wich vor den ausgestreckten Armen der jammernden Frau zurück. Sie betrachtete sie mit mitleidsloser Neugier und sagte dann kalt und grausam: ›Es ist zu spät, sie sind beide tot!‹ Madame Vetsera fiel in Ohnmacht. Die Kaiserin blickte unbewegt auf sie nieder – und ging stumm hinaus.« Ich hatte dieser schrecklichen Erzählung mit unbeschreiblicher Erregung gelauscht. Ich wußte, daß mein Schicksal Tante Sissi gegenüber besiegelt war. Sie würde niemals einer Erklärung zugänglich sein. Ich bat den Doktor, in seinem Bericht fortzufahren, ohne recht zu wissen, ob ich die Kraft haben würde, ihn zu Ende zu hören. Wiederhofer erzählte weiter, daß er nach Meyerling gefahren und sofort in die Zimmer geführt worden sei, die der Kronprinz bewohnte. Hier fand er alles so vor, wie Graf Hoyos es geschildert hatte. Die Reste des Abendbrotes standen noch auf dem Tisch in dem kleinen Salon. Einige leere Sektflaschen standen umher, und ein Stuhl war umgeworfen. 230
Eine Kristallflasche, halb mit Kognak gefüllt, lag auf dem Teppich in der Nähe des Bettes. Wiederhofer ließ sie entfernen, damit der Kaiser sie nicht sähe. Er legte dann einen Notverband um den zerschmetterten Kopf und wusch dem Kronprinzen Gesicht und Hals. Mit Loscheks Hilfe deckte er das blutbefleckte Bett zu und bahrte die Leiche auf. Alles andere blieb unberührt bis zur Ankunft des Kaisers. Und jetzt sagte Loschek zu Dr. Wiederhofer: »Sehen Sie sich einmal die Frau an.« Er ging dem Doktor voran und führte ihn einen Korridor entlang. Dann öffnete er eine Tür und Wiederhofer sah sich in einer kleinen Kammer, die durch ein Dachfenster spärlich erhellt wurde. Zuerst konnte er die mannigfachen Gegenstände, die rings umherstanden, kaum unterscheiden. Aber schließlich entdeckte der Doktor einen großen Wäschekorb. Obenauf lag ein mit Straußenfedern garnierter Hut, am Fußboden lagen allerlei weibliche Kleidungsstücke umher. Wiederhofer war durch seinen Beruf an grausige Anblicke gewöhnt. »Aber,« sagte er, »zum ersten Male in meiner Praxis fühlte ich einen Schwindelanfall, als Loschek das Laken beiseite zog, das den Korb bedeckte.« »Da sah ich den Körper einer Frau – nackt bis auf ein dünnes Batistspitzenhemd, das ihr über den Kopf gezogen war. Ich sagte Loschek, daß ich in der Dunkelheit die Leiche dort, wo sie lag, nicht besichtigen könne. So trug er sie denn in das anstoßende Zimmer und legte sie auf den Billardtisch. 231
Dann begann ich die Prüfung. Ich entfernte das lange Haar aus dem Gesicht, das fast ganz darin verborgen war, und dann .:. ach, Gräfin! … dann erkannte ich Mary Vetsera – das Mädchen, das ich seit seiner Kindheit gekannt habe.« Die Stimme des guten Doktors zitterte vor Bewegung. »Armes Kind,« sagte er, »denn sie war ja noch fast ein Kind!« Mary war nicht so schrecklich entstellt wie Rudolf: ein Teil ihres Gesichtes war arg zugerichtet und ein Auge war aus der Höhle gefallen. Aber die unverletzte Seite hatte ihre ganze Schönheit bewahrt, und ihr Ausdruck war fast friedlich. Professor Wiederhofer zerriß das Batisthemd in Verbandsstreifen. Dann setzte er das Auge wieder ein und bandagierte den Kopf. Er wusch Marys Antlitz, und, nachdem er das arme tote Mädchen in ein Bettuch gehüllt hatte, ließ er es von Loschek in die Wäschekammer zurücktragen. Die Szene in dem Sterbezimmer nach des Kaisers Ankunft in Meyerling war erschütternd. Franz Josef lehnte gegen die Wand und weinte herzbrechend, dann hörte er alles an, was man ihm berichten mußte, und kehrte nach Wien zurück, die letzte Heimkehr des Kronprinzen vorzubereiten. »Ich habe mich geweigert, als Todesursache einen Schlaganfall amtlich festzustellen,« sagte der Professor empört zu mir. »Es ist viel zu viel Geheimtuerei um die Sache gebreitet worden. Es wird eine allgemeine Entrüstung gegen den Kaiser losbrechen, wenn das Volk 232
»Gräfin Marie,« antwortete mein alter Freund, »ich wünsche, diese Unterredung wäre uns erspart geblieben. Ich versichere Ihnen, sollten Sie jemals einen Freund brauchen, so werden Sie ihn immer in mir finden.« Er gab mir einen väterlichen Kuß. Da warf ich mich in seine Arme und weinte bitterlich. »Liebes Kind, leben Sie wohl« waren seine letzten Worte. Es war ein Abschied für immer. Denn ich habe den Grafen Julius Andrássy niemals wiedergesehen. Es war schon Spät, als ich Jennys Mantel anzog und meine Pelzmütze mit einem dichten Schleier umhüllte. Die geheimnisvolle Kassette trug ich unter dem Arm und raffte all meinen Mut zusammen, denn ich war schrecklich nervös. Jenny hatte die Droschke an den Dienstboteneingang gebracht, und da niemand zu sehen war, schlüpfte ich, ohne einen Augenblick zu verlieren, die Treppe hinab. Die Nacht war kalt und nebelig, doch ich freute mich darüber, da ich meine Verabredung so leichter unbemerkt einhalten konnte. Ich befahl dem Kutscher, zuerst am Schwarzenbergplatz 5 zu halten und mich später vor der Drogerie an der Ecke des Rings zu erwarten. Mit zitternden Knien stieg ich aus und preßte die kostbare Kassette an meine Brust. Ich ging über die Brücke und fand zur Rechten die kleine, von Bäumen eingehegte Promenade, wo ich Rudolfs Vertreter treffen sollte. Es war ein düsterer Ort, der zu dieser Abendstunde ganz verlassen da lag. Eine hohe Laterne warf ihre wässerigen Strahlen durch den Nebel. In der Nähe 233
des Lichtes fühlte ich mich sicherer, und hier wartete ich – wie mich dünkte, eine endlose Zeit. Plötzlich hörte ich kurze, harte Schritte und sah einen Mann auf mich zukommen. Er trug einen steierischen Mantel und einen Filzhut. Da wurde mir Angst, und ich versuchte, an ihm vorbeizugehen. Der Fremde sah mich an und lüftete flüchtig den Hut. »Gräfin Larisch?« fragte er leise. »Was wollen Sie?« stammelte ich und versuchte, noch immer zu entkommen. Da machte der Mann einen Schritt vorwärts und flüsterte: »Rudolf!« Sofort blieb ich stehen. »Haben Sie meinen Brief erhalten?« fragte der Fremde. »Ja, ich habe einen Brief erhalten. Aber das ist nicht alles.« »Ah… ich verstehe. R. I. U. O.« Sofort zog ich die Kassette hervor und hielt sie dem Unbekannten hin. Doch er nahm sie nicht. »Gestatten Sie mir ein paar Worte, Gräfin Larisch,« sagte er. »Sie sind eine beherzte Frau, daß Sie gekommen sind. – Aber wir dürfen nicht unter der Laterne miteinander sprechen.« Er ging langsam hinweg, und ich folgte ihm. Ich fürchtete mich nicht mehr, denn die tiefe Stimme des Fremden klang so wohllautend, und seine ganze Erscheinung war so edel, daß ich sofort erkannte, er sei kein gewöhnlicher Mensch. 234
»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind,« fuhr er fort. »Sie taten recht daran, seinen letzten Wunsch zu erfüllen.« »Aber,« wandte ich ein, »mir blieb ja nichts anderes übrig. Ich hatte versprochen, die Kassette dem zu geben, der sein Recht auf sie nachweisen könnte.« »Haben Sie jemals von dieser Kassette gesprochen?« »Niemals – niemals.« Der Fremde schien bei meinen Worten sehr erleichtert. »Hat ›ER‹ Ihnen von dem Geheimnis erzählt?« »Nein, ich weiß nichts davon.« »Es ist auch besser so, sonst könnte Ihr Leben auf dem Spiele stehen.« »Bitte – bitte, nehmen Sie die Kassette,« unterbrach ich ihn, denn es trieb mich davon. Zwei Hände streckten sich unter dem Mantel des Fremden hervor und nahmen mir die Kassette ab. Ich werde nie vergessen, wie schön und stark sie waren. An dem einem kleinen Finger leuchtete ein großer Diamant. Als ich diese wunderbaren Hände berührte, war ich sehr beruhigt, denn ich fühlte, daß ich das mir anvertraute Gut an den Richtigen abgeliefert hatte. »Gräfin Marie,« sagte der Unbekannte, »ich möchte gern etwas für Sie tun. Rudolf hat Sie schamlos behandelt. Ich kenne die ganze Geschichte und halte es für eine Gemeinheit von ihm, daß er Sie in seine Angelegenheiten verwickelt hat.« Ich sah ihm dankbar ins Gesicht. »Sie haben wohl keine Ahnung, wer ich bin, Gräfin?« 235
»Nein.« Da nahm er den Hut vom Kopfe und blickte mir in die Augen. Ich prallte erstaunt zurück. »Kaiserliche Hoheit!« schrie ich auf. Der Fremde war der Erzherzog Johann von Toscana! Ich war dem Erzherzöge nur hin und wieder in Gesellschaft begegnet, doch ich erkannte sofort seine ungewöhnlich schönen Augen und das interessante Gesicht, ich erinnerte mich der engen Freundschaft, die zwischen ihm und dem Kronprinzen bestanden hatte. Ich hatte auch gehört, daß der Erzherzog mit dem Kaiser schlecht stand, und daß er wahrscheinlich Österreich bald verlassen würde. »Erschrecken Sie nicht, Gräfin,« lächelte der Erzherzog zynisch und traurig. »ich bin nicht gefährlich.« Dann fragte er, wie lange ich die Kassette in Besitz gehabt hätte. »Ungefähr vierzehn Tage,« antwortete ich. »Haben Sie nicht versucht, sie nach der Tragödie zu öffnen?« »Nein, sie ist völlig unberührt.« »Ich fürchtete schon, Sie könnten am Ende versucht gewesen sein, sie der Kaiserin auszuhändigen. Ich habe Ihren Aufenthalt erst heute früh erfahren.« Ich erzählte ihm alles über des Grafen Andrássy Besuch. »Ach, hat sie den alten ›Moschushirsch‹ zu Ihnen geschickt!« Er lachte und sagte dann ernsthafter: »Aber, Sie hätten in Ihrem Interesse wohlgetan, diese Kassette dem Grafen zu geben. Denn ich kann Sie 236
versichern, anstatt Ihnen die Hofburg zu verbieten, hätte man Sie zur Herzogin gemacht. Aber so ist es besser. Einem Feigling wie Rudolf konnten Sie nicht helfen, aber mir haben Sie das Leben gerettet.« Ich fing an zu weinen. Alles war so verwickelt und geheimnisvoll. Der Erzherzog nahm meine Hand. »Bedauern Sie Rudolf nicht,« sagte er. „Hätte der Kaiser diese Papiere gefunden, so hätten die Dinge viel schlimmer für ihn gestanden. Der Kronprinz hat Selbstmord begangen; aber hätte der Kaiser alles gewußt, so hätte er ihn vor ein Kriegsgericht stellen und als Hochverräter erschießen lassen müssen.« »Mein Gott,« schrie ich, »was hat er getan? … Hat er an die Krone von Ungarn gedacht?« Der Erzherzog nickte zustimmend, und mir fielen plötzlich Tantes Worte ein, mit denen sie vor langer Zeit einmal angedeutet hatte, daß Rudolf sich in den Händen der Freimaurer befinde. Aber Elisabeth hatte wenig Grund, einen Stein auf ihn zu werfen, denn sie kokettierte selbst immer mit der Sozialistenpartei. »Glauben Sie, daß Rudolfs Pläne fehlschlugen,« fragte ich, „und daß er hiervon in Meyerling Nachricht erhielt? … Er fürchtete etwas,« fuhr ich fort, »denn abgesehen davon, daß er mir diese Kassette übergab, hat er auch, wie ich höre, schon vor einigen Wochen den größten Teil seiner Papiere an Herrn von SzögyenyMarich geschickt.« Der Erzherzog schwieg. »Vielleicht,« sagte er ausweichend. »Können Sie sich vorstellen, was die Furcht vor Entdeckung für Rudolf bedeutet haben muß, 237
für einen Mann mit seiner nervösen Veranlagung und seiner von Reizmitteln und Branntwein untergrabenen Gesundheit? Schon die Furcht allein hätte ihn zum Selbstmord treiben können. Es ist ein Jammer, daß er so schwach war. Er hat mir sein Wort gebrochen, und ich habe ihm vertraut! Aber eine Flasche Kognak scheint ihn in einen verächtlichen Feigling verwandelt zu haben. Wir dürfen hier aber nicht länger stehen. Wien wimmelt von Polizeispitzeln. Leben Sie wohl, Gräfin Marie. Vielleicht sehen Sie mich nie wieder, aber ich werde nie vergessen, was Sie an mir getan haben.« Ich war sehr verwirrt. „Kaiserliche Hoheit,« sagte ich, »gehen Sie denn fort von Österreich?« Er lächelte. »Ja. Ich werde sterben, ohne tot zu sein, denn ich bin der Nichtigkeiten des Lebens müde und gedenke, eine neue Laufbahn zu beginnen. Und nun leben Sie wohl, vergessen Sie mich nicht.« Er küßte mir die Hand und war fort. Ich blickte Johann von Toscana nach, wie er in den Nebel hineinschritt und im Dunkel der Nacht verschwand. Später, als ich las, daß er auf See ertrunken sei, gedachte ich dieses Abends, an dem er mir Lebewohl sagte. Ist er gestorben, ohne tot zu sein? Ich glaube es und meine, daß der Erzherzog trotz allem, was dagegen spricht, zu seiner Zeit wiederauftauchen wird. Unbemerkt gelangte ich ins Hotel zurück, und am nächsten Morgen um fünf Uhr fuhren wir nach der Riviera ab. 238
Ich beichtete meinem Manne alles, und zu seiner Ehre muß ich bekennen, daß er sich wie ein Edelmann benahm. Er glaubte mir aufs Wort, stellte sich völlig auf meine Seite, und inmitten des Sturmes Klatsch und Gerede, der mich umtobte, hat er nicht ein einziges Mal geschwankt. Ich hielt es unter meiner Würde, meinen Verleumdern entgegen zu treten, obwohl Alexander Baltazzi, der Mary liebte, mich als schuldig an ihrem Falle an den Pranger stellte. Ich hätte ihm die Briefe seiner Nichte aus Kairo zeigen können, die einen untrüglichen Beweis dafür erbracht hätten, daß sie nicht unschuldig war, als Rudolf ihr zuerst begegnete. Doch ich ließ alles unerwidert hingehen. Den Kaiser und die Kaiserin habe ich nie wieder gesehen und mich auch niemals dazu gedrängt. Den Frühling verlebten wir an der Riviera und blieben auf unserem Rückweg nach Pardubitz in Wien. Das Leben ging seinen altgewohnten Gang weiter. In jedem Jahre verlebte ich den Sommer in Tegernsee und den Herbst in Wien. Alle waren lieb zu mir. Meine Freunde blieben meine Freunde, und meine Eltern behandelten mich, als wäre nichts geschehen. Graf Larisch und ich lebten bis zum Jahre 1896 zusammen, in dem unsere Ehe rechtsgültig geschieden wurde. Doch diese Vorgänge hingen nicht mit der Tragödie von Meyerling zusammen, wie gewisse phantasievolle Schriftsteller behaupten. Man möchte kaum glauben, daß das Publikum so bereitwillig alles glaubt, was es gedruckt sieht. Aber, was sich jene Zeitungsschreiber und Bücherfabrikanten, die 239
sich für berufen erachteten, über Ereignisse meines Lebens zu schreiben, an Unwahrheiten geleistet haben, ist einfach haarsträubend. Erst kürzlich habe ich einen höchst rührenden Bericht über Rudolfs erste Begegnung mit Mary in meinem Palais zu Wien mit dem üblichen melodramatischen Hintergrund gedämpfter roter Lichter gelesen, und wenn ich mich recht entsinne, entdeckte der Prinz sein Dornröschen hingegossen auf einem Sofa. Nun gibt es zwar ein Palais Larisch, aber leider gehörte es nicht meinem Manne, und ich wohnte gewöhnlich im Hotel. Man hat auch herausgefunden, daß ich von Rudolf für meine Beihilfe bei den Begegnungen mit Mary Geld erhalten habe und daß meine schreckliche Verschwendungssucht schließlich die Freigebigkeit meiner Tante ermüdete. Ich habe niemals eine Mitgift oder irgendwelche größere Summen von der Kaiserin erhalten. Es ist richtig, daß sie mir viele kostbare Geschenke machte und daß meine Aussteuer ein gemeinsames Geschenk von ihr und dem Kaiser war. Aber das ist auch alles, was ich erhalten habe. Die Beschuldigung aber, Rudolf habe mir Geld geschenkt oder geliehen, kann ich nur als lächerlich bezeichnen. Die Behauptung, daß ein Brief von mir an den Kronprinzen nach seinem Tode in der Brusttasche eines seiner Dolmans gefunden wurde, trifft zwar zu, das Geld aber, auf das jene Zeilen anspielen, betraf Mary und nicht mich. Man hat viel zu viel Geheimnisse um die Tragödie von Meyerling gewoben. zu einem Mysterium aber wurde sie nur, weil alle Eingeweihten zuerst vollständig den 240
Kopf verloren. Das Richtige wäre gewesen, sofort nach des Kronprinzen Tode die volle Wahrheit zu bekennen. Es wäre zweifellos für einige Zeit eine Riesensensation gewesen, aber die Neugier wäre nicht immer und immer wieder darauf zurückgekommen. Rudolf stand nie in dem Rufe besonderer Moralität, man erwartete von ihm nicht viel Gutes. Der Kaiser hat nur sich selbst alle Schuld beizumessen, wenn die Gerüchte mit der Zeit immer mehr ins Ungeheuerliche wuchsen. Es ist sogar behauptet worden, daß Rudolf Marys Bruder war, daß diese Entdeckung ihn zum Wahnsinn getrieben und daß er zuerst sie ermordet und dann sich umgebracht habe. Nun herrschte allerdings einiger Klatsch über Marys Vater, doch zielte er nie auf den Kaiser oder irgendeinen Prinzen des kaiserlichen Hauses. Am meisten Glauben hat in maßgebenden Kreisen die Darstellung gefunden, daß Rudolf von der Hand eines der Oheime Marys gefallen sei, der die Schande seiner Nichte rächte. Meine Erzählung widerlegt dies. Das Letzte, was die Baltazzi wünschten, war ein Skandal irgendwelcher Art, und ein Mord kam ihnen nie in den Sinn. Der zertrümmerte Zustand des Schädels des Kronprinzen bot dem Gerücht Nahrung, er sei von einem Gewehrkolben zerschmettert worden. Doch das unwiderlegliche Zeugnis Dr. Wiederhofers, der die Leiche sah und die Wunden verband, stellt diese Annahme als unzutreffend hin. Was wirklich geschehen ist während der Zeit, in der Mary und Rudolf in Meyerling allein waren, bleibt Spiel der Vermutung. Es besteht nicht der geringste Zweifel 241
daran, daß der Prinz irgendeine Krisis fürchtete, auch steht es außer Frage, daß er und der Erzherzog Johann gemeinsam einen Staatsstreich planten. Irgend etwas ereignete sich, das Rudolf Furcht vor den Folgen der Entdeckung seiner Pläne einflößte und ihn zu Recht oder Unrecht vor dem Zorn seines Vaters erbeben machte. Er mag empfunden haben, daß Flucht oder Rückkehr nach Wien gleichmäßig unmöglich waren, und so entschloß er sich, vor Angst irre und verwirrt vom Alkohol, zum Selbstmord. Meiner Meinung nach wäre das Schlimmste, das dem Kronprinzen hätte geschehen können, wenn man seinen Anschlag auf den Thron Ungarns entdeckt hätte, eine Einsperrung »wegen Geisteskrankheit“ gewesen. Graf Andrássy sagte mir ganz deutlich, daß etwas viel Wichtigeres als ein Liebesdrama an der Tragödie Schuld sei. Der Erzherzog Johann erhärtete diese Andeutung, und die Geschichte der Stahlkassette nimmt mir daran jeden Zweifel. Die Welt wird sich sicherlich wundern, warum Rudolf, der Nachfolger auf dem Thron von Österreich und Ungarn, sich in die Machenschaften von Leuten hätte einlassen sollen, die auf eine Trennung Ungarns von Österreich hinarbeiteten. War der Prinz es müde, darauf zu warten, König zu werden? Oder hat irgendein intriganter Kopf geglaubt, der Kaiser würde, wenn es zur Empörung kam, vor einem Kampf mit seinem Sohne zurückschrecken, und die Unabhängigkeit Ungarns würde ohne einen Büchsenschuß errungen werden? 242
Ich weiß es nicht und ich zweifle, ob jemals die Zeit kommen wird, die Rudolfs Beweggründe enthüllt. Vierundzwanzig Jahre sind hingegangen seit jenem Tage, an dem die Kaiserin sich weigerte, mich zu empfangen, und mich ungehört verurteilte. Die Zeit hat die Bitterkeit gemildert, die ich einst empfunden habe, und wenn ich heute zurückblicke, dünkt es mich, daß ein gewisser Schein des Rechtes auf Seiten meiner Tante stand. Vielleicht hätte ich unter gleichen Umständen ebenso gehandelt. Doch für mich war es hart, aus dem Leben der Frau ausgestoßen zu werden, die ich so innig liebte und deren Vertrauen ich ohne Schwanken heilig gehalten hatte … Mehr habe ich nicht zu sagen.
W
243