Gemini 01
Thorn Forrester: Krisenherd Partos
Sie befanden sich außerhalb des erforschten Bezirks der Galaxis, also au...
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Gemini 01
Thorn Forrester: Krisenherd Partos
Sie befanden sich außerhalb des erforschten Bezirks der Galaxis, also außerhalb der sogenannten »250Jahr Kugel«. Eine rötliche Sonne hatte ihren Plan umgeworfen, noch weiter hinauszufliegen. Eigentlich war es der Planet, der ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Die Strukturtaster der CONTACT hatten einen Riesenkonti nent gemeldet, der zu drei Fünfteln die Planetenoberfläche bedeckte, der reiche Erzvorkommen versprach und intelligente Bewohner. Zumindest war die Wahrscheinlichkeit groß gewesen, daß er künstliche Bauten beherbergte. So war es dann auch. Abgesehen von den Bergen, Seen und Wäldern, war der Kontinent eine einzige Stadtlandschaft. Mitten auf dem Kontinent landete die CONTACT auf einem Platz, auf dem unbeschädigt und gut gepflegt an die zweihundert Flugzeuge standen. Flugzeuge, wie man sie aus der terra nischen Vergangenheit kannte. Flugkörper mit langen Rümpfen, mit Flügeln, Pilotenkanzeln und Rädern. Die Temperatur auf dieser Welt lag etwas unter dem ter
ranischen Durchschnitt. Der Planet schien sehr interessant zu sein, terranischen Verhältnissen zu ähneln und keine Rätsel aufzugeben. Aber darin täuschte sich die Mannschaft der CONTACT. Ein Mann stand vor dem Panoramaschirm der Zentrale und beobachtete interessiert die archaisch anmutenden Flugzeuge. Zwei andere und eine Frau traten zu ihm. Ihre Blicke waren verstört und wanderten aufmerksam hin und her, so, als müßte jeden Augenblick irgendwo etwas ge schehen. Aber es geschah nichts. Und das war der Grund, weshalb sich die Kontakter - wie sich die Besatzung der CONTACT bezeichnete - nicht so wohl in ihrer Haut fühlten, wie man annehmen sollte. Der Flugplatz war und blieb unbelebt - so wie der ganze Planet. Diesen Planeten hatten vernunftbegabte, zivilisierte We sen bewohnt. Sie hatten ihre Welt urbanisiert,und das auf höchst menschliche Art und Weise, was die Architektur der Gebäude und die Technik in Form der Flugzeuge bewiesen. Die Beweise waren da, die Bewohner nicht. Diese Welt war verlassen. Ein größeres Rätsel konnte eine Welt nicht aufgeben. Tausend Meter von der CONTACT entfernt umrundeten vier Kontakter gerade einen monumentalen Häuserblock. Ungewöhnlich interessant war er gerade nicht, denn die Bauweise ähnelte der irdischen, von Kleinigkeiten abge sehen. Der Häuserblock - man konnte ihn auch als ein einziges Gebäude bezeichnen - war kreisrund. Im Abstand von fünfzig Metern führten Türen ins Innere, die jedoch ver schlossen waren. Glatte, unverzierte Wände ragten hoch
auf und endeten etwa in zweihundert Meter Höhe. Der dreißigstöckige Bau überragte alle anderen Gebäude. »Heh, hier!« Einer der vier schrie laut auf und winkte die anderen zu sich heran. »Diese Tür ist offen!« »Eine Tür nennst du dieses Tor?« Die vier kamen sich klein und häßlich vor neben dem gewaltigen Portal, das wohl, wenn überhaupt, nur mecha nisch geöffnet wurde, aber in der Mitte eine kleine, mit der Hand zu öffnende Tür besaß. Sie war aus Metall und mit Malereien bedeckt, die abstrakte Muster oder Symbole, genausogut aber auch Schriftzeichen sein konnten. »Was sagt der Metallograph dazu?« Der Metallograph und Vorsitzende der CONTACT ant wortete ungeduldig: »Das Metall interessiert mich im Moment nicht. Die Tür geht auf, das ist viel wichtiger. Gehen wir doch endlich hinein.« Die anderen stimmten zu. Ein kleiner dicklicher Mann mit einer Halbglatze und einer antiken Nickelbrille auf der Nase drängelte sich vor. »Sehr interessant«, murmelte er. »Unheimlich interes sant.« »Heh, Doc, warum so eilig?« fragte der Vorsitzende. »Besser, du läßt Kai, unseren Planetologen, vorangehen, Kai, nimm deinen Nadelstrahler zur Hand!« Kai Aplos streckte vorsichtig seine Hand mit dem klei nen Hitzestrahler durch die Türöffnung, bevor er eintrat. Der untersetzte schwarzhaarige Planetologe verschwand in einem dunklen Gang, dann rief er seinen Kameraden zu, ihm unauffällig zu folgen. Als letzter betrat Harlan Regi nald Isaac Klim den Gang. Er schloß hinter sich die Tür.
Sie tasteten sich durch die Dunkelheit, bis sie wieder gegen eine Tür trafen, die sich öffnen ließ. Vor ihnen tat sich ein gewaltiger Parkhof auf. Bäume, Sträucher und mit Steinplatten bedeckte Wege verliehen ihm den Charakter eines Gartens, in dessen Mitte sich ein gewaltiges Monument in den Himmel reck te. Suchend blickten sie sich um. Auch hier zeigte sich kein Lebewesen. Sie wandten sich nach rechts, wo der Parkhof im Schatten lag. Der Schiffsarzt und Kosmobiologe Caspar Brixlas lief voran und verschwand vor ihnen um eine Biegung des schmalen Pfads, dem sie folgten. Er war bewaffnet, also konnte ihm kaum etwas geschehen. Hinter ihm unterhiel ten sich seine Kameraden über die blühende Flora dieser Welt. Ihn interessierte augenblicklich etwas ganz anderes. Nach hundert Metern teilte sich der Weg, und Caspar folgte dem linken, der zur Mitte des Parks führte. »Die Pflanzen unterscheiden sich von irdischen nur un wesentlich«, bemerkte Kai Aplos. »Es fällt auf, daß die Stämme der Bäume dünner sind und dafür die Kronen weit ausladende Äste und Zweige haben. Aber laßt uns erst mal weitergehen.« Der Vorsitzende Haag Zborr winkte Harlan. »Halte dich nicht so lange mit den Aufnahmen auf. Wir haben nicht genug Zeit. Beschränke dich auf das Wesentliche.« H. R. I. Klim atmete erleichtert auf. Seine Funktion war es, alles, was ihnen vor die Augen kam, mit einer über seinem Kopf schwebenden Kameralinse, deren drei Ob jektive das ganze Panorama einfingen, auf einen Film zu bannen. Durch das linke Glas einer sogenannten Ka merabrille sah er, was die Kamera gerade aufnahm, und das war jener Ausschnitt, den er durch gewisse Manipula
tionen an der Brille von der Hauptlinse des Kameraauges aufnehmen ließ. Ein langweiliger Job. Von der Mitte des Parkhofs gellte ein Schrei zu ihnen herüber. Sie liefen schneller. Am Ende des Pfades, den Caspar eingeschlagen hatte, ragte das Monument in die Höhe. Auf einem mannshohen und kunstvoll verzierten Sockel stand in einer Siegespose ein kunstvoll aus Stein gemei ßelter Mann. Die Gestalt verdeckte die rötliche Sonne des Planeten, so daß sie nichts Genaues erkennen konnten. Ihre Begeisterung war nicht gespielt. »Phantastisch! Der erste Beweis, daß wir es mit Homini den zu tun haben«, rief Harlan. »Das war ja wohl von vornherein klar«, dämpfte Kai seinen Enthusiasmus. »Schlangenwesen oder andere Un geheuer könnten diese Häuser nie gebaut haben. Was hätten sie damit auch anfangen sollen! Erstaunlich ist es trotzdem, da hast du recht.« »Ob hier vielleicht die Auswanderer .«, murmelte Haag. » . leben, die vor fünfhundert Jahren verschollen sind?« vollendete Kai Aplos. »Ausschließen könnte ich es nicht.« »Ich . nein, das ist Wahnsinn!« keuchte Caspar, der sich bis jetzt nicht von der Stelle gerührt hatte. Er wandte sich um, und den anderen verging das Lachen. Caspar Brixlas' Gesicht war von Furcht gezeichnet. »Was ist?« Verdutzt drehte Haag Zborr sein glanzloses Gesicht dem Podest zu, auf dem ein versteinerter Hominide die Welt zu umarmen schien. Und dann sah er es. Auf der ihnen abgewandten Seite des Podestes war eine
Tafel in die Steinwand eingelassen worden. Auf ihr stan den Zeichen und Buchstaben, die nicht zu entziffern wa ren. Doch das war nicht weiter verwunderlich. Befrem dend dagegen war, was dort in terranischer Schrift zu lesen stand: MIR ZU EHREN. - Es war mir eine Verpflichtung, das Volk der Parteken vor dem Untergang zu retten. Und so tat ich, was in meiner Macht stand. »Ich . ich muß verrückt sein!« schrie Caspar auf, dann hetzte er in langen Sätzen den Pfad zurück und ver schwand schreiend in der Ferne. »Wir sind wohl alle verrückt«, konstatierte Haag mit tonloser Stimme. »So etwas gibt es nicht.« »Es gibt so manches nicht«, flüsterte Kai Aplos. »Und dann stellte sich heraus, daß es so etwas geben mußte.« Harlans Kameraauge nahm die Szene auf. Nicht, weil H. R. I. Klim so geistesgegenwärtig gewesen wäre, an das Kameraauge zu denken, sondern weil es permanent auf nahm und Harlan es nicht abgeschaltet hatte. Mit unsiche ren Schritten liefen sie einige Meter beiseite, blickten nun hinauf zu der steinernen Gestalt. Die Sonne blendete sie nicht mehr. Unverkennbar war es Doc Brixlas, der seine Augen gen Himmel schweifen ließ und dessen Arme sich ihm entgegenreckten. Niemand sprach ein Wort. Sie verließen den Parkhof und kehrten zurück zur CONTACT. Am Rande des Flugfeldes saß schluchzend Caspar Brixlas und vergrub sein Gesicht in den zitternden Händen. Die Kontakter ergriffen ihn. Gemeinsam schleppten sie ihn ins Schiff und verarzteten ihn mit einem VitaminLiquid und SedativPräparaten. Minuten später entspannte sich der Arzt und lehnte sich seufzend in sei nem Stuhl zurück.
»Nein, so etwas gibt es nicht«, stellte er wieder fest. Die anderen brachten noch immer kein Wort heraus. »Berichtet endlich«, forderte Kubus John, der Pilot und Spezialtechniker an Bord. Yafi Neral, die Ökologin, Jata Neral, ihre Schwester und Ethnologin, und Mick Ronda, der Kosmograph und Astrogator der CONTACT, nickten gleichzeitig fordernd. Sie ahnten, daß etwas Unvorherge sehenes passiert sein mußte. Kai Aplos faßte sich ein Herz und erzählte ihnen von der Unmöglichkeit, die sie vorgefunden hatten. Die Kontakter beschlossen daraufhin, eine Besprechung abzuhalten. In Momenten wie diesen wurde die Zentrale der CONTACT umgetauft in »Rathaus«. Müde nahmen sie am Ratstisch Platz. Der Mannschaftsvorsitzende Haag Zborr vergaß sogar, wie es sonst üblich war, die Diskussi on mit den Worten einzuleiten, daß die Sitzung eröffnet sei. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Als er sprach, hörte er sich kaum selber zu; es schien ihm, als spräche ein ganz anderer. »Wir sind vollzählig versammelt. Wir müssen die Sache diskutieren, Freunde. Also, wer meldet sich zu Wort? Niemand? - Wie Doc schon sagte: Es gibt so etwas nicht! Aber Kai hat auch recht, wenn er sagt: Meistens stellt sich heraus, daß es so etwas geben mußte! Ich schlage vor, Harlan führt uns seine Aufnahmen vor, so daß wir mit etwas Abstand mit der Sache noch einmal konfrontiert werden. Vielleicht hilft uns das weiter.« Harlan veranlaßte den Bordcomputer, mit dem sein Kameraauge in Verbin dung stand, die Aufnahmen über die TeleMonitoren abzuspielen, die über dem Instrumentenbord des Piloten hingen. Lange Zeit danach dachten sie schweigend über das Ge
sehene nach. Auf einer Welt, die Caspars Fuß noch nie
betreten hatte, befand sich dessen Denkmal. Und eine
Inschrift behauptete, daß der in Stein gemeißelte Mann ein Volk vor dem Untergang bewahrt hätte. Und noch dazu ging aus dem Text hervor, daß dieser Mensch ihn selbst verfaßt haben mußte. Ein wohl unlösbares Rätsel! Dann war es der Schiffsarzt selbst, der einen Entschluß faßte. »Wir gehen noch einmal hin. Irgend etwas müssen wir tun. Ich schlage vor, in drei Gruppen zu marschieren. Jede Gruppe durchstreift die Stadt, um Hinweise auf den Verbleib der Bewohner zu finden. Ich meine . diese Parteken.« »Es existiert ein humanoides Volk«, sagte Haag leise. »Und es ist sogar möglich, daß es sich dabei um die ver schollenen Auswanderer von der Erde handelt, obwohl es nicht gerade wahrscheinlich ist. Aber wo sind die Ein wohner? Das Volk kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« »Das ist richtig«, erwiderte Mick Ronda. Der dürre, kurzgeschorene Mann wirkte verstörter als die anderen. »Das deutet, meine ich, auf eine Katastrophe größten Ausmaßes hin. Vielleicht hat eine Seuche das ganze Volk dahingerafft.« »Und wo sind die Leichen? Nein, ich glaube nicht an die KatastrophenVersion«, sagte Kai. »Da steckt was anderes dahinter. Ich finde Docs Vorschlag gut. Denn wenn wir hier rumsitzen, lösen wir das Problem bestimmt nicht« »Also gut.« Haag Zborr schien seine alte Entschlußkraft zurückgewonnen zu haben. »Die Zweiergruppen. Kubus bleibt im Schiff, denn als Pilot muß er uns vielleicht aus einer ausweglosen Lage herausmanövrieren. Jata und Yafi
bleiben ebenfalls hier.« Zusammen verließen sie die CONTACT. Gemeinsam wiederholten sie die Kurzexpedition zu dem geheimnis vollen Monument im Parkhof des kreisförmigen Bau werks. Von dort aus liefen sie dann in drei Gruppen durch die weitläufige Stadtlandschaft, die hin und wieder von Parks aufgelockert wurde. Sie hatten kaum Blicke für die betonierten Straßen und die am Rand stehenden Räder fahrzeuge übrig. Sie suchten nach etwas anderem, von dem sie nicht wußten, was es war. Zwei Terraner waren am Ratstisch der CONTACT sitzen geblieben. Ratlos tauschten sie Blicke und versuchten, mit gedanklicher Logik das Rätsel zu lösen. Schnell stellten sie fest, daß das eben nur möglich war, wenn man die Logik über den Haufen warf und wild spekulierte. Sie stellten des weiteren fest, daß ihre Phantasie erstaunlich rege war und kein Maß kannte. Aber das nutzte ihnen auch nichts. Yafi Neral, eine grünhaarige Schönheit, wußte Rat. »Es gibt eine Möglichkeit, die wir ausnutzen sollten«, sagte sie. »Wir sollten den Bordcomputer befragen. Aus seinen Antworten müßte zumindest ersichtlich werden, wo der Haken bei der Sache ist und welche Möglichkeiten in Betracht kommen.« »Du hast recht«, antwortete Kubus. »Er sollte uns wenigstens sagen können, wonach wir suchen müssen.« Sie fütterten den Bordcomputer mit allen verfügbaren Daten und Informationen über den Planeten und über das Denkmal, das nicht hierher gehörte. Der Bordcomputer summte leise, dann spuckte er seine Antwort aus. »Die Antwort ist weise«, erklärte Kubus verächtlich,
nachdem er sie ausgewertet hatte. »Aber natürlich hat er recht. Er sagt: Caspar war hier und hat das Denkmal ge baut. Oder ein anderer hat es hier errichtet, weil Caspar ihm hier half. Oder weil Caspar ihm anderswo half. Oder beide bauten es, weil sie . o je, so geht das ins Unendli che weiter. Daraus geht immerhin eins hervor: Doc Brixlas muß jemandem Hilfe geleistet haben, erinnert sich nur nicht daran.« »Hältst du das für möglich?« fragte Yafi. »Muß ich ja.« Sie nahmen wieder am Ratstisch Platz und verleibten sich lustlos eine Mahlzeit ein. Daraufhin entschloß sich Kubus, eine Verbindung zu Caspar Brixlas herzustellen und ihm das Ergebnis der Computerbefragung mitzuteilen. Aber es existierte keine Verbindung mehr zu dem Arzt. Genausowenig zu seinem Begleiter Haag. Kubus schaltete auf Rundempfang und rief alle Expeditionsmitglieder. Nur Mick und Kai meldeten sich auf den Funkkontakt hin. »Wißt ihr, was mit den anderen los ist?« wollte Kubus wissen. »Nein, wir haben untereinander keinen Kontakt gehabt. Meldet sich außer uns denn niemand?« »Niemand, das ist es ja.« »Wir werden sofort umkehren und suchen. Wir halten euch auf dem laufenden. Ende.« Die Zeit verging in quälender Langsamkeit, und die fünfminütigen Meldungen Kais waren negativ. Schließlich blieben auch sie aus. Kubus rief stundenlang nach den sechs Mannschaftsmitgliedern, doch ohne jeden Erfolg. Sie waren und blieben verschwunden. Und es gab keine einleuchtende Erklärung dafür. Kubus John und Yafi Neral wußten sich keinen Rat
mehr. Allein waren sie nicht in der Lage, das Rätsel zu lösen. Den Planeten verlassen, war für sie keine Alternati ve. Also beschlossen sie, weiter zu warten. Was sollten sie anderes tun? *
H. R. I. Klim und Jata Neral überquerten in nördlicher Richtung eine mächtige Hängebrücke, von deren Mitte aus sie über die Dächer der Häuser die Spitze der CONTACT leuchten sahen. Sie verhielten und bewunderten die Schönheit der Stadt. Nach allen Seiten hin zogen sich in vielfachen und unsystematischen Windungen breite, gelb glänzende Fahrstraßen dahin, eingerahmt von niedrigen Büschen. Inmitten der blauen Rasen standen kleine und große Häuser, jedes verschieden vom anderen, mit ausge dehnten Veranden und eingesäumt von blühenden Bäu men. Dazwischen glänzten überall Teiche. Nach längerem Beobachten sahen sie hin und wieder etwas Lebendiges über den Rasen huschen und in den Baumkronen herumspringen. »Es existieren Tiere. Um so erstaunlicher, daß die Ein geborenen einfach verschwunden sein sollen«, meinte Harlan. »Eine Möglichkeit können wir wohl von vornherein aus schalten. Ich meine die Aussterbetheorie, an die man als erstes denkt«, überlegte Jata. »Daran glaube ich bestimmt nicht. Laß uns weiterge hen.« Sie überquerten die Brücke. An ihrem Ende passierte etwas Merkwürdiges. Es war, als sollte ihnen das Fleisch von den Knochen gerissen werden. Das Gefühl verstärkte
sich noch, als sie wieder auf die Straße traten, die sich auf dem festen Erdboden zu einem großen Platz verbreiterte, in dessen Mitte ein Springbrunnen stand, der jedoch ver siegt war. Seine Ränder zierten exotische Tierskulpturen. Sie liefen darauf zu. Nach wenigen Schritten zwang sie ein unheimliches Ge fühl zu Boden. Ihre Körper zitterten. Harlan stemmte sich empor und zog Jata mit sich. Im nächsten Augenblick war es vorüber. Aber etwas hatte sich verändert. Die Umge bung war noch die gleiche, doch jetzt war sie belebt. Auf dem eben noch freien Platz drängten sich Wesen auf drei Beinen und mit tellerartigen, flachen Köpfen. Im Spring brunnen sprudelte Wasser. Stimmengewirr, Fußgetrappel und plötzlich verdunkelter Himmel verwirrten sie vollends. Überall standen diese dreibeinigen Wesen und wandten sich ihnen zu, rote Stiel augen auf sie richtend. Das Stimmengewirr verebbte, leises Flüstern ging durch die Menge. Und dann sah Har lan eines der Wesen auf dem sprudelnden Rand des Springbrunnens stehen und drei Arme in die Luft stoßen. Aus dem dreieckigen Mund des Wesens kam ein kräch zender Laut, der sich in ein langes Heulen verwandelte. Daraufhin erstarb jeder Laut in ihrer Umgebung. Die Wesen, deren Haut braun und porös aussah und die kei nerlei Kleidung zu tragen schienen, näherten sich innen langsam. Von allen Seiten kamen sie, und Harlan bemerkte erstaunt, daß sie auch von hinten kamen - von dort, wo ihnen irgend etwas das Fleisch von den Knochen hatte reißen wollen. An dieser Stelle schienen die Wesen nichts zu verspüren. Lange Zeit, sich darüber zu wundern, hatte er nicht, denn die Wesen umringten sie jetzt und stießen kurze Laute aus. Ihre Stilaugen pendelten hin und her,
beäugten die Kontakter von oben bis unten. Dann stürzte eines der Lebewesen vor und ließ seine drei Hände mit etwa dreißig Zentimeter langen Fingern gegen Harlans Brust klatschen. Harlan hielt sich nur mit äußerster Mühe aufrecht. Gesti kulierend versuchte er, den von neuem heranspringenden Stieläugigen zu beruhigen. Der zweite Schlag war noch kräftiger, und Harlan ging zu Boden. »Los, wir müssen erst einmal hier weg!« rief er Jata zu, die wie versteinert dastand. Harlan ergriff ihre Hand und rannte los, zurück zur Brücke. Die Brücke war inzwischen von herbeiströmen den Neugierigen versperrt worden. Sie hetzten rechts an der Brücke vorüber in eine Straße, die dicht am Kanal entlangführte. Die Straße war in der Ferne wie leergefegt. Entgegen kommende Eingeborene stieß Harlan so rücksichtslos beiseite, wie man ihn zuvor gestoßen hatte. Hinter einer Biegung tat sich nichts. Hier lag alles friedlich und so ausgestorben da, wie vor kurzem noch der ganze Planet. Hinter ihnen ertönten aggressive Schreie, die sie ansporn ten, noch schneller zu laufen. Vor sich sahen sie eine Kreuzung und bogen rechts ein. »Hat alles keinen Zweck. Irgendwo treffen wir doch wieder auf Eingeborene«, keuchte Jata. »Wir verschwinden erst einmal in einem der Häuser«, schlug Harlan außer Atem vor. »Dann sehen wir weiter. Es muß doch möglich sein, sich mit diesen Wesen friedlich zu einigen!« Sie keuchten über einen blauen Rasen und sprangen über eine Treppe auf die Veranda des Hauses, das ihnen am nächsten stand. Die Tür war offen. Harlan riß sie weit auf
und stieß Jata voran.
*
Grrof rekelte sich behaglich in seinem breiten VisorSessel und schlug seine drei Beine übereinander. Mit einer Hand griff er nach einem Erfrischungsgetränk, mit der anderen öffnete er die Flasche, und mit der dritten bediente er die TelevisorArmatur. Im Holzkasten vor ihm leuchtete der Bildschirm auf. »Wollt ihr einen Historienfilm sehen?« fragte er nach hinten gewandt. Seine Familie antwortete ablehnend. Grrof schaltete einen anderen Kanal ein. »Was ist denn das?« rief seine Frau. »Das ist ein Programm der Antis. Wahrscheinlich wieder so eine MonstrositätenShow. Sieh dir das an, wie scheuß lich! Lall, bring die Kinder solange hinaus!« »Du willst dir das doch nicht ansehen?« »Ich bin Kommandant der Zonenwehr. Ich muß über alles informiert sein. Wann soll ich das denn tun? Am besten kann ich das während meines Urlaubs, nicht wahr?« Lall griff mit ihren drei Armen die drei Kinder und ex pedierte die nörgelnden Kleinen ins Nebenzimmer. Als sie zurückkehrte, hörte sie Grrof gereizt fluchen. »Das ist einfach scheußlich. Nun sieh doch mal!« »Ich sehe.« Auf dem Bildschirm des Televisors lief die wöchentliche MonstrositätenShow des AntiästhetenSenders. Seltsame und abstoßende Gestalten stellten sich vor und zeigten, was sie mit ihren seltsamen Gliedern und Körperformen anstellen konnten. Eine mächtige Kugel rollte ins Bild.
Plötzlich fuhr sie mehrere Spitzen aus, die sie abbremsten. Seitlich ging eine Spitze in eine Hand mit extrem langen Fingern über. Die Finger griffen nach oben und hoben einen flachen Teil der Kugel hoch. Aus der entstandenen Öffnung schoß ein dünner und langer Kopf hervor, der auf einem extrem langen Hals saß. Vier Spitzen unter der Kugel entpuppten sich plötzlich als Beine, die den schwe ren Kugelkörper des Parteken seitlich aus dem Bild tru gen. Der Arm, der den flachen Oberteil der Kugel noch in der Hand hielt, winkte mit ihm wie mit einem Hut. »Widerlich, einfach widerlich!« stöhnte Grrof. »Ich ver stehe nicht, wie Parteken sich das ansehen können, ohne daß ihnen schlecht wird« »Gewöhnung, Grrof, alles Gewöhnung«, belehrte Lall ihren Mann. »Auch uns wird ja nicht mehr schlecht dabei. Nur unseren Kindern noch.« »Wir werden dafür sorgen, daß das auch so lange wie nur möglich so bleibt, hörst du? Hast du mit den Kindern eigentlich das Schlafengehen geübt?« Das war eine sehr wichtige Frage, denn Grrofs Kinder hatten erst vor wenigen Tagen ihre neuen Körper erhalten - die aus und verwechselbaren. Im Gegensatz zu anderen Zonen auf Partos war es in der TraditionalZone gesetzlich niedergelegt, daß man nur eine Körperform als erlaubte Volkskonvention anzusehen hatte, und das war jene, die auch schon die Urväter als am praktischsten erkannt hat ten. Und die Sitten der Traditionalisten waren streng; sie waren ein Maß für jedermann. Schlafen ging ein TraditionalParteke nur auf eine Art und Weise. Er schnallte seine Beine ab - weil es sich so gehörte - und einen Arm, ein Ohr und die Nase. Nur die KörperSegmente, die er des Nachts vielleicht
würde brauchen können, durfte er anbehalten. Und für Grrofs Kinder war das neu, mußte also eingeübt werden. Grrofs Stielaugen versteiften sich wieder. Der Bildschirm war praktisch leer bis auf einen dünnen Strich, der ihn vertikal teilte. Dann geschah etwas für einen Traditionalisten Fürchterliches. Der Strich begann sich langsam zu drehen, und man erkannte, daß dieser »Strich« keiner war. Ein unvorstellbar breitgequetschter Körper kam zum Vorschein. Der »Strich«, den man zuvor gesehen hatte, war also nur ein Parteke gewesen, den die Kamera von der Seite aufgenommen hatte. Er drehte nun den Zuschauern seine Vorderseite zu, die zwangsläufig das ganze Bild mit ihrer DreiMeterBreite ausfüllte. Dieser Parteke, der einen Strich und eine drei Quadrat meter große Fläche gleichzeitig war, fiel nun um wie ein Brett. Aus seinem Rücken wuchsen kleine Beine, die den liegenden Parteken von der Bühne trugen. Im Zuschauer raum des Studios gärte es. Die anwesenden Parteken brüllten vor Begeisterung. Für sie war das eine gelungene Show. Plötzlich erklang ein merkwürdiges Geräusch aus dem Vorraum. Jemand rumorte dort, und da es die Kinder nicht sein konnten, sie kein Haustier hielten und nieman den eingeladen hatten, mußte es ein Fremder sein, der keine Berechtigung dazu hatte. Grund genug, daß Grrof ärgerlich in seine Fleischtasche auf der Brust griff und mit einer Schußwaffe, die ihn als ZonenwehrKommandanten auswies, in den Vorraum stürzte, um dort zu Tode er schrocken die beiden fremden Eindringlinge aus den Augen zu verlieren. Lall schrie auf. Grrof schaffte es, seine Stielaugen wieder einigermaßen in Blickhöhe zu bekommen und warf Lall ein Auge zu.
Dabei sah er die Kinder. »Lall, schaff die Kinder fort, schnell!« Lall folgte seinem Rat. Es war besser, die Kinder sahen Verunstaltungen, wie einige Parteken sie an sich vornah men und auch noch schön fanden, möglichst nicht, sonst kamen sie noch auf die Idee, es selbst ausprobieren zu wollen. Als sie zurückkamen, hatte sich Grrof wieder in der Ge walt. Er beschimpfte die Eindringlinge und zwang sie, in den Wohnraum hinüberzugehen. Grrof zielte unentwegt mit der Waffe auf sie und hielt einen angemessenen Ab stand zu ihnen. »Wer seid ihr?« fragte er. »Woher kommt ihr?« Die anderen gaben keine Antwort. »Wahrscheinlich seid ihr Provokateure«, mutmaßte Grrof, in dem jetzt mehr und mehr der Zonenwehr Kommandant erwachte. »Agents provocateurs der Antis. Ihr seht scheußlich aus! Glaubt ja nicht, daß ihr uns verun sichern könnt. Dir treibt ein dummes Spiel.« Widerwillig, aber wie von selbst, glitten Grrofs Blicke über die unmöglichen KörperSegmente der Fremden. Zwei Beine und zwei Arme - das ging ja noch. Aber dieser Kopf! Die Augen waren ohne Stiele, ja, sie lagen sogar mehr im Kopf als außerhalb. Über ihnen waren schwarze Striche, zwischen ihnen eine spitze Nase, die nur vier Zentimeter lang war. Ein waagerechter Mund mit Wulsträndern! Auf dem Kopf Haare in dichten Büscheln! Und der eine von ihnen hatte sogar Haare unter dem Kopf! Eine völlig sinnlose Bekleidung! »Sprecht schon!« herrschte Grrof die beiden an. Sie schwiegen. »Die eine Kreatur scheint weiblich zu sein«, vermutete
Lall. »Obwohl man ja bei den Antis nie wissen kann .« »Nein, das weiß man nicht. Sie tauschen oft ihre Ge schlechtsorgane. Das ist auch unwichtig, es sind Antis, das genügt mir!« Jetzt sprachen die beiden. Aber es kamen nur seltsame Laute ohne Sinn und Verstand heraus. Grrof vermutete, daß die beiden Kreaturen entweder aus der nördlichen Hemisphäre stammten oder ihm nur etwas vorspielten. »Kommt ihr aus der NeoistenZone?« Da er keine Antwort erhielt, entschied er sich für den vorgeschriebenen Dienstweg. Er ging hinüber zum Telefon und rief auf der Wehrwache an. Während er seinem Ur laubsvertreter klarmachte, was ihm widerfahren war und was mit den Kreaturen zu geschehen hätte, beobachtete er sie scharf, damit sie ihm nicht doch noch durch die Lap pen gingen. Bei einer falschen Bewegung hätte er ge schossen, denn bei den Antis wußte man nie, was irgend ein noch so harmlos aussehendes Glied alles konnte, wel che Funktion es erfüllte. Die AntiKreaturen sahen sich gehetzt um. Hin und wie der sprachen sie miteinander und gestikulierten sinnlos. Grrof verstand kein Wort, und es interessierte ihn auch nicht mehr. Der Fall war für ihn so gut wie erledigt. Minuten später fuhr ein Gitterwagen der Zonenwehr vor. Vier Beamte traten ins Haus, erkennbar an der Fleischta sche auf der Brust, die jedoch im Unterschied zu Grrofs kleiner war. Mit gezückten Waffen stolperten die Beamten ins Wohn zimmer, salutierten vor Grrof und wandten sich knurrend den Eindringlingen zu. Sie stießen ihre Waffen in die Rücken der beiden und schoben sie aus dem Haus. Dort erwartete sie der Gitterwagen.
Grrof und Lall sahen zu, wie die Antis in den vergitter ten Kasten gestoßen wurden. Die Tür knallte zu. Die Beamten verschwanden im vorderen, abgetrennten Teil des Fahrzeugs und setzten es in Bewegung. Fast ge räuschlos und langsam entfernte es sich. Grrof vergaß ganz, daß die Eindringlinge keinen Versuch gemacht hatten zu entkommen. Hätte er daran gedacht, wäre er vermutlich stutzig geworden. *
GRUPPE EINS. ZEIT: EINHUNDERTDREIUND NEUNZIG JAHRE VOR DER LANDUNG. »Ich sehe schwarz«, brummte Harlan mutlos. »Sie können uns ja nicht einfach umbringen«, beruhigte Jata ihn. »Irgendwann wird sich schon eine Chance bieten, ihnen die wahre Sachlage darzustellen.« »Ich weiß nicht .« Sie starrten durch die sie umgebenden Gitter des Ge fährts, in das sie vier Stieläugige unsanft gestoßen hatten. Die Straße war leer, niemand sah sie. »Weißt du«, begann Harlan erneut, »ich glaube nicht so ganz an eine Rettung. Der Planet war ohne Leben - das heißt, ohne Parteken, bevor uns das komische Gefühl übermannte. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber wir sind bestimmt nicht mehr dort, wo wir hergekommen sind. Sicher erging es den anderen ebenso.« »Was meinst du damit?« »Genaues kann ich nicht sagen. Erinnerst du dich, daß die Parteken, die uns angriffen, anscheinend von diesem Etwas nicht ergriffen wurden? Das könnte ein negatives Zeichen sein. Denn wenn es sich beispielsweise um ein
Transmittertor gehandelt hat, dann steht es jetzt nicht mehr.« »Dann gäbe es . kein Zurück mehr!« »Hoffentlich haben wir unrecht .» »Viele Anzeichen deuteten darauf hin, daß wir die ver schollenen Auswanderer gefunden haben«, meinte Jata. »Aber das halte ich jetzt nicht mehr für möglich. Sie sehen zu fremdartig aus - auch wenn eine Mutation im Bereich des Möglichen liegt.« »Ich glaube es auch nicht.« Der Gitterwagen bog in eine breite und belebte Straße ein. Auf den Bürgersteigen herrschte ein buntes Treiben. Tausende von Parteken hielten sich hier auf. Angesichts des Gitterwagens geriet der Fußgängerfluß ins Stocken. Stielaugen wandten sich ihnen zu, und als die Kontakter entdeckt wurden, war die Antwort ein vielstimmiger Auf schrei. »Achtung!« schrie Harlan. Neben Jata fiel ein Stein auf den Boden des Käfigs. »Warum fahren sie so langsam?« »Ich vermute, das soll ein Spießrutenfahren werden«, antwortete Harlan zerknirscht. Er behielt recht. Immer öfter mußten sie heranfliegenden Steinen ausweichen. Die Steine flogen ungezielt in den Käfig und trafen die Kontakter nicht. Eine aufgebrachte Menge folgte dem Fahrzeug und schrie wutentbrannt. »Wer weiß, mit wem wir verwechselt werden«, meinte Jata. »Sie können doch nicht jeden Fremden einfach stei nigen.« »Sicher nicht.« Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lange. Vor einem langgestreckten, flachen Gebäude hielten sie. Die vier
Beamten öffneten den Käfig und expedierten die beiden mit den Waffen auf die ungeschützte Straße hinaus. Im letzten Moment, bevor die wütende Menge sich auf sie stürzen konnte, sprangen zwanzig Bewaffnete aus dem Gebäude und bildeten einen Gang vom Gefährt zum Ein gang des Gebäudes. Die Kontakter rannten durch das Spalier. Gerade rechtzeitig gelangten sie ins Innere, bevor ein Steinhagel sie unter sich begraben konnte. Hinter ihnen schlossen die Beamten einen Kreis und wehrten die Verfolger ab. Sie wurden von den Bewaffneten die Eingangshalle hin abgeschoben, um eine Biegung herum und in die nächst beste Zelle verfrachtet. Es gab keinen Zweifel mehr, sie befanden sich in einem Gefängnis. Ihre Lage war aussichtslos, und sie konnten die Dinge nur nehmen, wie sie kamen. Zwei Stieläugige traten ein und benahmen sich höchst merkwürdig. Sie hatten einige Schwierigkeiten mit der Planetenmontur der Kontakter, die sie betasteten und abnehmen wollten. Harlan kam ihnen entgegen und zog sie aus. Die Stieläugigen wandten ihre Aufmerksamkeit daraufhin seinen Beinen zu, beta steten sie und begannen, sie auf unmögliche Art und Wei se zu verdrehen. Das ruckartige Schieben und Zerren schmerzte so enorm, daß Harlan seinen Unmut deutlich durch Schreie zu verstehen gab. Die Parteken reagierten ratlos und untersuchten auf ähnliche Weise Arme und Schultern. Selbst Kopf und Hals blieben nicht verschont. Das Spiel wiederholte sich jedesmal, bis die Parteken von ihm abließen. Sie wiederholten ihre Experimente an Jatas Hals und zogen sich daraufhin zurück. Jeder Verständigungsversuch war ohne Erfolg geblieben. Hinter den Sinn der Aktionen
kamen die Kontakter nicht. So hofften sie nur noch auf die Einsichtigkeit der Parteken. Durch ein kleines Loch in der Zellenwand beobachteten sie den Sonnenuntergang. Und als draußen die Stadt in tiefrotes Licht getaucht war, öffnete sich die Zellentür erneut. Sie waren nicht in der Lage festzustellen, ob es sich um dieselben Parteken oder um andere handelte, die das glei che Experiment wie vor einigen Stunden wiederholten. Da ihr Studium scheinbar ohne Erfolg blieb, fand ein unver ständliches Gespräch statt, dessen Ergebnis den Kontak tern Hoffnung machte. Sie wurden aus der Zelle geführt und in ein Fahrzeug verfrachtet. Diesmal handelte es sich nicht um einen Gitterwagen. Das Gefährt, in dessen Kabi ne sie allein saßen, fuhr etwa eine halbe Stunde, dann entließ man sie in ein kleines Haus, das von blühenden Bäumen und Sträuchern umgeben war. Um ein Hotel handelte es sich nicht, das konnten sie kurz darauf feststellen, als sie alleingelassen wurden. Sie liefen an ein Fenster. Draußen postierten sich auf der Straße und auf dem Rasen rund um das Haus bewaffnete Dreibeinige. Ein nicht bewaffneter Parteke betrat den Wohnraum, der ähnlich ausgestattet war wie der Raum, den sie schon beim Eindringen in das Haus einer ver schreckten Partekenfamilie kennengelernt hatten. Drei Arme winkten ihnen. Sie folgten dem höflich Abstand haltenden Parteken. Er führte sie durch die fünf Räume des Hauses. Hier und dort führte er ihnen Einrichtungsge genstände vor, die bis auf unwesentliche Kleinigkeiten terranischen entsprachen. Der Parteke - vielleicht auch die Parteke, sie wußten es nicht - führte sie zurück in den Wohnraum. Um einen
runden und flachen Tisch standen sechs kleine Stühle mit weit ausladenden Sitzflächen, wie sie für dreibeinige Parteken erforderlich waren. Er setzte sich demonstrativ und schlug seine drei Beine übereinander. Was nun folgte, wiederholte sich Tag für Tag und dau erte insgesamt zwei Wochen. Der Parteke begann, Sprach unterricht zu geben. Am ersten Abend stellte sich heraus, daß die Kontakter die Sprache kaum würden erlernen können; die Lautbildung war zu eigenartig. Am folgenden Morgen - ihr Lehrer erschien nach dem Frühstück und verließ sie erst wieder vor dem Abendessen - drehte er den Spieß um und ließ sich von den beiden die terranische Sprache beibringen, was erstaunlich schnell ging. Das Essen, das sie viermal täglich bekamen, erwies sich als vegetarisch und sehr gut genießbar. Die Getränke waren ausnahmslos Fruchtsäfte. Die Kontakter - auch Sucher genannt, da ihre Aufgabe darin bestand, neue Planeten mit dringend benötigten Rohstoffen zu entdecken - waren trotzdem nicht zufrie den. Ihr und das unbekannte Schicksal der Kameraden beeinträchtigte ihre Stimmung. An den Abenden aktivierten sie den TelevisorKasten, bekamen aber nur die Sendungen eines Kanals zu sehen das Programm der Traditionalisten. Anhand der Sendun gen erklärte ihnen der Lehrer hin und wieder die nötigsten Grundkenntnisse über Leben, Arbeit und Ansichten der Parteken in diesem Teil des Planeten. Nokkolt, ihr Lehrer und Lernender zugleich, beschränkte sich nur auf unzusammenhängende Einzelheiten. Er er läuterte sein Verhalten mit dem Hinweis, daß ihnen nach Abschluß des Lehrgangs ein bereits zugeteiltes Wissen
schaftlerteam die Zusammenhänge erklären würde. Am zehnten Tag erwartete sie eine Überraschung. Nokkolt bekannte: »Wir sind Auswanderer von Terra. Sicher werdet ihr es vermutet haben.« »Aber .«, stammelte Harlan. » . wie ist das denn möglich? Ihr seht ganz anders aus, sprecht eine fremde Sprache, die wir kaum erlernen kön nen . und sagt uns das erst jetzt?.« »Terra ist für uns nicht mehr wichtig. Ich gehöre bereits der sechsten Generation an. Was kann mir Terra schon bedeuten? Partos ist meine Heimat. Unsere Vorfahren wanderten im Jahre 2222 eurer Zeitrechnung aus. Jetzt sind fünfhundertundacht Jahre vergangen. So viel Zeit verändert eine Sprache oft vollkommen. Was unser Aus sehen betrifft - nun, das will ich euch jetzt erklären.« Die Geschichte der Parteken ähnelte der Geschichte Ter ras. Nachdem das Superraumschiff HOFFNUNG trotz schwerer Havarie eine Landung erlaubt hatte und von der Besatzung in die Sonne geschossen worden war - es war vollkommen unbrauchbar geworden -, begann man mit der Urbarmachung des Planeten. Die Menschen verstreu ten sich in alle Winde. Die Wildnis dieser Welt forderte viele Opfer, Technik degenerierte zu einem Zaubermittel, und Stämme bildeten sich, die sich mitunter nicht freund lich gesinnt waren. Eroberungsfeldzüge fanden statt, der Planet würde kolonisiert. Die Kolonien machten sich selbständig und formierten sich zu Interessenblöcken. Der alte Stand der Technik wurde bald wieder erreicht, der Kontinent konnte urbanisiert werden. Unabhängig von Gebietsbegrenzungen entwickelte sich eine Händlerkaste, die multinational arbeitete. Sie sympa thisierte zwar mehr mit den konservativen >Zonen< - wie
sich Länder und Staaten nannten -, verfolgten aber eine neutrale Politik, um in jeder Zone ihre Handelsgüter ab setzen zu können. Als die Wissenschaft die Möglichkeit des Körpertau sches entdeckte, griff die Händlerkaste ungeniert zu, denn sie witterte ein einmaliges Geschäft. Die Zonenregierun gen billigten ihr die kommerzielle Verwertung zu, und sie errichtete KörpersegmentFarmen im nördlichen Teil des Kontinents. Mit der nun jedem zugebilligten Möglichkeit, seinen Körper wie ein Hemd zu wechseln, wuchsen die Segregations und Partikularinteressen. Dem Trend zu einer übernationalen Vereinigung machten bisher unbe kannte Streitigkeiten einen Strich durch die Rechnung. Die Körpervariationsmöglichkeiten brachten die Probleme der Ethik, Moral, Tradition und Ästhetik zum Kochen. Verschiedene Ansichten entstanden, die die Zonen zu tiefst spalteten. Diese Ansichten und Probleme wurden bald zu regelrechten Ideologien hochgespielt. Mit dem Auftauchen neuer, moderner Auffassungen über Ästhetik und Ethik schrumpften die Zonen, neue bildeten sich. Die noch existierende Gesamtregierung aller Zonen for derte eine neue Zonenordnung. So kam es, daß schließlich nur noch sechs Anschauungen - sechs Zonen - sich heftig angriffen und befehdeten. Genaues erfuhren die Kontakter nur über jene Zone, in der sie sich zufällig befanden. Hier lebten die Traditionali sten und Konservativen des Partekenvolks; jene, die nur eine Körperform als alleingültig ansahen. Das war jene, die unter ihren Vorfahren einst Mode gewesen und als am praktischsten erkannt worden war. Sie verabscheuten die Experimente und Spielereien in anderen Zonen und ganz besonders die monströsen Körpervariationen der soge
nannten Antiästheten, deren einziger Lebenszweck darin zu bestehen schien, die scheußlichsten und unsinnigsten Körper anzulegen und damit zu prahlen. So legte es Nokkolt jedenfalls dar. »Hier herrscht noch Sittlichkeit und Moral«, sagte er am elften Tag ihres Beisammenseins in fehlerfreiem Terra nisch. »Und dafür sorgt die Zonenwehr. Das ist übrigens in jeder Zone so. Sie hatten das Glück am Tage Ihrer An kunft, in das Haus unseres ZonenwehrKommandanten einzudringen.« »Ich verstehe«, erwiderte Harlan überrascht. »Er hat uns natürlich für Antiästheten gehalten. Und genauso die wütende Menge, die uns zu steinigen gedachte. Sagen Sie, was hatte man eigentlich vor, als man unsere Körper so eingehend begutachtete?« »Man hätte, wären Sie Parteken gewesen, Ihnen selbst redend unsere Körpersegmente angepaßt.« »Was war das eigentlich für ein Feld, in das wir am Tag unseres Eintreffens gerieten und durch das wir anschei nend hierher gelangt sind, Nokkolt?« »Feld? Was für ein Feld? Ich verstehe nicht .« »Ein merkwürdiges Gefühl machte uns zu schaffen. Zu vor waren wir in einer Welt ohne Parteken. Danach je doch, als das Gefühl verschwand, da .« »Lassen Sie uns bitte über etwas anderes reden«, wich Nokkolt aus. »Das wird Ihnen jemand anders erklären.« Der folgende Tag verging ebenso schnell wie die ver gangenen elf. Und am dreizehnten Tag staunten sie noch mehr, als sie es bisher schon getan hatten. Der Planet Partos war weitaus phantastischer und fremdartiger, als es den Anschein gehabt hatte.
*
Neun Handlanger und neun Spezialisten schritten langsam auf das Baugelände zu. Sie mußten langsam laufen, weil der Installateur auf seinen drei dicken und kurzen Beinen nicht schneller laufen konnte. Am schwersten fiel das dem Plattenbauer, der mit zwanzig Meter der größte unter der Bauarbeitergruppe war. Vielleicht aber fiel es den Hand langern noch schwerer als ihm, denn es läuft sich nicht besonders gut mit einem fünfbeinigen und zwei Meter fünfzig breiten Körper. Ihr tägliches Pensum war der Bau eines Wohnhauses des normativen Typs. Und um das zu schaffen, mußten sie hart arbeiten. Langsam aber zügig schritten sie über das Baugelände und betrachteten die fertigen Häuser und die wartenden Fundamente. »Das Wetter ist gut«, stellte Quis, der zwanzig Meter große Plattenbauer, fest. »Hier oben weht eine angenehm kühle Brise.« »Mir scheint«, erwiderte der drei Meter große Decken passer, »du hast heute übertrieben große Arbeitssegmente ausgewählt.« »Das ist schon richtig«, fiel Drammata, der siebenarmige Zimmermann, ein. »Das Haus wird einstöckig.« Loigoi, der Installateur, wollte wissen: »Ist das Material an Ort und Stelle, Pfata?« Sein Handlanger beruhigte ihn. »Paß heute besser auf beim Zureichen«, ermahnte ihn Loigoi. »Keine Angst.« »Wir sind da. Quis, du beginnst mit den Wänden, damit
ich die Leitungen einpassen kann!« Quis überlegte nicht lange. Er griff mit seinen fünfzehn Armen hinab auf den Boden, hievte die schwere Hausfront in die Höhe und setzte sie in die vorgesehenen Fugen ein. Sisi, der Versiegler, stolzierte hinzu und begann, die Wand fest zu verankern. Einer der vier wendigen Zimmerleute sprang hinzu und paßte die Tür ein. Auch der Installateur begann mit seinen Vorarbeiten. Als das Erdgeschoß fertig war, traten zwei andere Spe zialisten in Aktion. Der Deckenpasser zog die Decke ein, und der Innenverputzer strich mit acht Armen alle Wände gleichzeitig. Ein unvorhergesehenes Ereignis unterbrach die zügige Arbeit. »Was ist denn das?« rief Drammata, der Zimmermann. Er sah sie zuerst. »Was ist los?« wurde von allen Seiten gefragt. Niemand wollte sich in seiner Arbeit stören lassen, doch es kam anders. Quis, bekannt wegen seiner unbezähmbaren Neu gierde, beugte sich aus luftiger Höhe hinab und spähte durch ein Fenster ins Innere. »He!« rief er. »Da sind zwei komische Kerle. Was wol len sie hier?« Das Klopfen und Hämmern wurde unterbrochen. Durch jedes Fenster blickten jetzt die Spezialisten herein. In dem Raum, der die Küche werden sollte, sahen sie zwei selt same Wesen neben dem Zimmermann stehen. Der Zimmermann hob grüßend den Arm. »Wer seid ihr?« fragte er. Die beiden antworteten nicht. »Komisch«, murmelte Drammata. Mißtrauisch tasteten seine Blicke die ihm völlig unbekannten Körpersegmente
ab, aus denen sie zusammengesetzt waren. Zwei Beine, wie wir Zimmerleute, dachte er. Aber nur zwei Arme. Was wollen sie damit anfangen? »Wer ist es?« wollte Quis wissen. Seine Stimme klang energisch. »Keine Ahnung«, gab Drammata zu. »Sie geben keinen Ton von sich. Übrigens, hast du solche Arbeitskörper schon einmal gesehen?« »Noch nie«, brummte Quis. »Was kann man damit tun?« »Wenn ich das nur wüßte.« Drammata ging auf die beiden zu, die plötzlich mitten im Raum aufgetaucht waren. Wirklich seltsam, dachte er wieder. Was wollen die bloß mit den vielen Haaren am Körper? Und warum tragen sie Kleider? Das ist unsinnig! »Wer seid ihr?« fragte er erneut. Wieder kam keine Antwort. Die Fremden standen still und stumm da und beobachteten ihn erregt. Dann drehte plötzlich der eine, er hatte einen rundlichen Körper, sein Gesicht dem anderen, dem schmal gebauten, zu und sagte etwas. Drammata lauschte aufmerksam. »Ich verstehe das nicht. Sie sprechen eine Sprache, die wir nicht verstehen, und sie verstehen uns anscheinend auch nicht. Irgend jemand muß sie aber zu uns geschickt haben, irgendeinen Auftrag müssen sie doch bekommen haben, oder?« »Laß uns mal nachdenken«, meinte Sisi. »Wenn man von der Segmentkombination ausgeht, können sie unmög lich Bauspezialisten sein, nicht wahr?« »Niemals«, gab Quis zu. »So klein, wie sie sind? Mit nur zwei Armen und mit Haaren und Kleidung? Wißt ihr - sie sehen aus wie Prüfer von der Regierung!«
»Prüfer? Meinst du wirklich?« »Das wäre doch möglich. Es könnten aber auch Bericht erstatter sein.« »Hör mal«, ereiferte sich Loigoi. »Was gibt es denn bei uns zu prüfen oder über uns zu berichten? Das wird doch ein ganz normatives Haus!« »Zu irgend etwas müssen sie aber gut sein«, fuhr Quis dazwischen. »Vielleicht sind sie Maßnehmer.« »Maßnehmer?« »Ja. Dazu reichen doch zwei Arme und zwei Beine. Da bei kann man sogar Kleidung und Haare tragen.« »Er hat recht«, sagte Loigoi überzeugt. »Aber was ist denn ein Maßnehmer?« wollte Sisi wissen. »Hast du noch nie gehört, daß die Händler, bevor sie die Inneneinrichtung liefern, die genauen Maße der Räume abnehmen?« »Das ist ein Normhaus!« »Aber vielleicht haben die vorgemerkten Mieter Son derwünsche.« »Ja, das kann sein, aber die Maßnehmer kommen doch erst, wenn das Haus fertig ist. Die können doch jetzt noch gar nichts messen. Es ist erst das Erdgeschoß fertigge stellt.« »Weiß ich, warum die jetzt schon kommen?« konterte Loigoi aufgebracht. »Im Zuge von Rationalisierungsmaß nahmen, wahrscheinlich.« »Blödsinn«, knurrte Quis. »Das ist verrückt. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, was sie sonst tun könn ten.« Sie traten vor das Haus, öffneten die Tür, traten ein und klopften an die Küchentür. Drinnen tat sich nichts. Quis, der wegen seiner stattlichen Größe hatte draußen bleiben
müssen, lugte wieder durch das Fenster. Er rief den ande ren zu: »Geht ruhig hinein. Die haben sich immer noch nicht von der Stelle gerührt.« Die anderen drängten sich in die Küche. Nun konnte sich wahrhaftig niemand mehr rühren, auch wenn er es gewollt hätte. Sie starrten die Fremden an. Drammata versuchte erneut, eine Verständigung herzustellen. Aber die Fremden schienen stur zu sein. Schließlich verließen sie verstört den Raum und blieben wieder wie angewurzelt stehen. »Sie tun einfach nichts«, stellte Quis verwundert fest. »Ich mache Meldung«, entschied sich Drammata. »Die können da nicht einfach herumstehen.« »In Ordnung«, stimmte Loigoi zu. »Beeil dich.« Drammata eilte auf seinen zwei Beinen durch das Ge lände. Er betrat das Planungsgebäude der Großbaustelle und stürzte unangemeldet in das Büro des Planungsstabes. Die Stieläugigen blickten erstaunt auf. »Was gibt es?« Drammata stotterte erregt. Als er seine Meldung vorge bracht hatte, zuckten die Planer verständnislos die Schul tern. »So etwas gibt es nicht. Aber wir werden nachfragen. Es ist gut.« Drammata verließ das Gebäude. Die Planer setzten sich augenblicklich mit der übergeordneten Stelle in Verbin dung, wo man sich ebenso ratlos zeigte und versprach, der Sache nachzugehen. Drammata erreichte die Baustelle. Die anderen waren bereits wieder bei der Arbeit. Die Fremden standen noch vor dem Haus und beobachteten interessiert die Vorgänge. Drammata knurrte resigniert. »Dort weiß man auch nichts«, teilte er den anderen mit.
»Man will sich erkundigen.« Mit einem Seitenblick auf die Fremden fügte er hinzu: »Seltsame Käuze!« Dann ging auch er wieder an die Arbeit. *
GRUPPE ZWEI. ZEIT: EINHUNDERTZWÖLF JAHRE VOR DER LANDUNG. »Um die Auswanderer kann es sich nicht handeln«, be merkte Haag Zborr überzeugt. »Ganz ausgeschlossen!« Caspar Brixlas knurrte zustimmend. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. »Wo sind wir?« murmelte er. »Besser gefragt, wie kommen wir wieder zurück?« »Ich sehe schwarz«, brummte Haag. Caspar blickte ihn verängstigt von der Seite an. Mit zit ternden Fingern fummelte er an seiner Nickelbrille herum, rückte sie zurecht. »Ich weiß weder ein noch aus«, gab er zu. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Zuerst dies Monument und nun .« Sie hatten sich in westlicher Richtung vom Denkmal aus durch die Stadt bewegt. Plötzlich hatte sie ein seltsames Ziehen überfallen, etwas hatte ihnen das Fleisch von den Knochen ziehen wollen. Dann hatte das Gefühl abrupt geendet und sie hatten sich in einem leeren Raum wieder gefunden. Der Schreck hatte sich noch vergrößert, als sie sich einem riesigen, unförmigen Wesen gegenübergesehen hatten. Inzwischen hatten sie sich jedoch wieder soweit beru higt, daß sie in der Lage waren, die Umgebung und die Vorgänge am Haus in sich aufzunehmen. Aber die Unge wißheit darüber, was eigentlich geschehen war, zehrte an
den Nerven. Haag beobachtete den Bau des Hauses mit gemischten Gefühlen. »Fertigbauweise«, kommentierte er lustlos. »Jeder Ar beiter scheint die optimal günstigste Körperform für seine Arbeit zu haben. Verstehst du das, Caspar?« »Es ist unmöglich.« »Einleuchtende Erklärungen gibt es sicher dafür. Aber mich interessiert das jetzt weniger. Wir müssen etwas unternehmen, denn diese Wesen - ich nehme an, daß es sich um Parteken handelt - kümmern sich nicht mehr um uns.« »Ich wüßte nicht, was wir tun könnten.« »Dort . ein Fahrzeug!« Den hellen Sandweg entlang glitt ein vierrädriger Wagen heran und stoppte vor ihnen. Drei Wesen, zwei Meter groß, mit drei Armen und Beinen, mit Stielaugen und ohne Bekleidung, entstiegen ihm. Vorsichtig näherten sie sich, während sie leise miteinander sprachen. Einer von ihnen trat vor. »Haben wir es mit Terranern zu tun?« fragte er. Haag japste nach Luft. »Ich werde noch verrückt!« brüllte Caspar auf. »Ich träume! Haag, was ist mit mir los?« Haag mußte sich stark zusammenreißen, um nicht so unkontrolliert zu handeln wie der Kosmobiologe. Caspar zitterte am ganzen Körper. Dann fuhren seine Arme plötz lich hoch und krallten sich in Haags Planetenanzug fest. Der riß sie beiseite und versetzte dem keuchenden Schiffs arzt einen Schlag ins Gesicht. Caspar schluckte, sein Gesicht verzog sich zu einer bösartigen Maske, das Zittern verließ ihn. Ungläubig sah er Haag an. Er spuckte sich vor
die Füße und murmelte: »Ich nehme mich zusammen.« Dann tat er etwas gänzlich Unerwartetes. Haag Zborr hatte sich soeben entschlossen, dem Parte ken entgegenzugehen und seine Frage zu beantworten, als Caspar ihm zuvorkam. Eben noch unfähig, die Situation zu begreifen, nahm er sie nun in die eigene Hand, um sie zu meistern. Haag ließ ihn gewähren, denn er wußte, daß Caspar durchdrehen würde, konnte er sich dem scheinbar Unmöglichen nicht stellen. »Wir sind Terraner«, stellte Caspar mit fester Stimme fest. »Ihr . seid Parteken?« »Wir sind Parteken«, erwiderte sein Gegenüber. »Jedoch waren unsere Vorfahren Terraner wie ihr. Wir sind Nach kommen der Auswanderer von der Erde. Doch wir werden später darüber sprechen. Ich heiße unsere Retter willkom men - es befindet sich doch ein Arzt namens Caspar Brixlas unter euch?« »Ich bin Arzt«, sagte Caspar unbewegt. Der Stieläugige verneigte sich. »Nehmt bitte in unserem Wagen Platz. Wir werden euch einen Teil von PartosStadt zeigen. Unterdessen erkläre ich euch, was ihr wissen möchtet.« Der Wagen wendete und fuhr auf eine feste Straße, die stark befahren wurde. Sie sahen hier ausschließlich stie läugige Parteken und nur selten Wesen mit anderen Kör performen. »Mein Name ist Safaro«, erklärte der Sprecher der Ab ordnung. »Dies sind Kilt und Mukrra. Wir sind Abgeord nete der partekischen Gesamtregierung, beauftragt, uns um eure Sicherheit zu kümmern.« Die Kontakter sagten kein Wort. Viel zu neu und un glaublich war alles, um sich sofort mit der neuen Situation
abfinden zu können. Ungläubig musterten sie den Fahrer des Wagens, der aus einem zylinderförmigen Rumpf, einem hohen Kopf mit sechs nach allen Seiten blickenden Augen auf Stielen und vier Armen zu bestehen schien. Safaro saß mit seinen Begleitern auf einer gepolsterten Bank ihnen gegenüber. Er wies mit zwei Armen aus dem Wagen und sagte: »Der ganze Kontinent wird von dieser Stadt bedeckt. Werke und Plantagen befinden sich zum Teil unter der Erde. Aber unser Leben werdet ihr noch kennenlernen. Andere Dinge sind jetzt wichtiger. Wir wissen, daß ihr vor einem Rätsel steht und nicht wißt, wie ihr hierhergekommen seid. Habe ich recht?« Caspar stimmte zu. »Dafür scheint ihr um so genauer zu wissen, was vor sich geht.« »Wir wissen es seit achtzig Jahren. Erfahren haben aber auch wir es erst von zwei Besatzungsmitgliedern eures Raumschiffes. Von ihnen haben wir auch die Sprachkennt nisse. Und seit achtzig Jahren warten wir auf die Ankunft des Arztes. Endlich ist es soweit. Es ist höchste Zeit!« Die Kontakter waren sprachlos. Doch ihr Staunen sollte sich noch steigern. Das Geschehen war so phantastisch, daß sie bereit waren, auch die unglaublichste Erklärung widerspruchslos hinzunehmen. »Wir wissen, daß ihr mit eurem Raumschiff CONTACT unserer Welt einen Besuch abstattet. Wir wissen, daß ihr ein Denkmal eures Arztes entdecktet und daraufhin eine Expedition in drei Gruppen durch die Stadt unternahmt. Und während dieser Expedition geschah es. Alle drei Gruppen verschwanden spurlos und tauchten in der Ver gangenheit unserer Welt wieder auf. Ich werde euch die Erklärung dafür später geben. Vorerst erzähle ich euch, was weiter geschah. Zwei von euch, Harlan Reginald Isaac
Klim und Jata Neral, landeten am weitesten in der Vergan genheit. Von ihrer Ankunft konnten wir nichts ahnen. Durch sie erlernten wir Terranisch, denn während der vergangenen fünfhundert Jahre wandelte sich unsere Spra che vollkommen. Genauer gesagt, unsere Vorfahren lern ten Terranisch und durch sie wir. Durch sie erfuhren wir von eurem Schicksal und auch, daß euer Kosmobiologe unser Volk vor dem Aussterben bewahren würde, von dem wir damals bereits bedroht waren. Seitdem rechneten wir mit eurer Ankunft. Aber erst dreiundfünfzig Jahre darauf - wir rechnen mit terranischen Jahren; für uns sind das etwa vierzig Jahre - tauchte die zweite Gruppe auf, beste hend aus Mick Ronda und Kai Aplos. Wir versuchten, sie in die Zeit eurer Landung zurückzuversetzen, aber sie erschienen schon fünf Jahre später wieder. Wir hoffen jedoch, daß der zweite Rückversetzungsversuch geklappt hat.« »Und nun sind wir hier«, knurrte Caspar. »Wie weit zu rück befinden wir uns von unserem Ausgangspunkt?« »Unseren Berechnungen zufolge handelt es sich um ein hundertzwölf Jahre, die ihr zurückgefallen seid. Wir sind sicher, euch genau zurückversetzen zu können. Unsere Zeittechniker glauben, die Zeit genau bestimmen zu kön nen.« »Hoffentlich.« »Und nun zum Wesentlichen. Vor rund zweihundert Jah ren entdeckten unsere Wissenschaftler die Möglichkeit, unsere ursprünglichen Körper gegen künstliche zu tau schen. Künstlich sind sie insofern, als sie eigens zu diesem Zweck produziert werden. Sie sind insofern nicht künst lich, als sie aus Fleisch und Blut sind und genetisch ge züchtet werden. Für jede spezielle Arbeit konnte man
seither die optimal geeignetsten Körpersegmente einset zen. Wie wertvoll diese Entdeckung ist, könnt ihr am Fahrer dieses Wagens sehen. Er sieht nach allen Seiten gleichzeitig, sitzt unverrückbar fest und hat genug Hände für jeden nötigen Handgriff. Wenn er nach Hause geht, kann er jederzeit andere Segmente anlegen. Leider haben wir nicht nur vernünftige und praktisch denkende Parteken auf unserer Welt. Partos spaltete sich in sechs Hauptzonen, in denen jeweils eine andere Auffassung über Gebrauch und Sinn des Segmentwechsels vorherrscht. In der Zone, in der ihr aufgetaucht seid, zum Beispiel, wohnen die Traditionalisten, die nur eine Körperform für das öffentli che Leben zulassen. Das ist die, die ihr an uns seht. Wir mußten sie anlegen, sonst hätte uns die Zonenwehr nicht hereingelassen. In der Zone, in der ihr leben werdet, woh nen die vernünftigen Parteken - unserer Ansicht nach. Sie denken praktisch und wählen ihre Körper sinnvoll aus.« »Welch eine komplizierte Welt!« »Terra«, schaltete sich Haag ein, »ist auf andere Weise nicht weniger kompli ziert.« »Was erwartet man eigentlich von mir?« fragte Caspar neugierig. Sataro fuhr fort: »Das Verkaufsmonopol für die Seg mente haben selbstredend die Händler. Ihr werdet verste hen, daß jeder Parteke möglichst ein SegmentSortiment nur einmal in seinem Leben erwerben will. Deswegen kam es zu Absatzschwierigkeiten. Da die Händler aber das lukrative Geschäft nicht verlieren wollten, gingen sie einen illegalen Weg, um es wieder anzukurbeln. Seither sind wir zum Aussterben verurteilt. Sie heizten den Ver kauf wieder an, indem sie die SegmentQualität ver schlechterten. Sie halten nur hoch einige Jahre und gehen
dann auseinander. Sie erreichten das, indem sie die Seg mente mit Viren verseuchten, die nach einiger Zeit zum Verfall des Gewebes führen. Die künstlich gezüchteten Viren entglitten aber der Kontrolle ihrer Erzeuger und mutierten. Und seit rund hundert Jahren vermehren sie sich unabhängig von jeder genetischen Kontrolle wie rasend. Niemand kann ein Gegenmittel finden. Seitdem stellen die Händler wieder einwandfreie Segmente her, aber das nützt nichts mehr. Wir alle werden von den Viren befallen. Glücklicherweise bleiben unsere Gehirne ver schont, sie haben sich als resistent erwiesen. Alle halbe Jahre müssen wir nun die Segmente wechseln. Die Händ ler machen ein großes Geschäft damit, aber auch ihnen nützt es nichts mehr. Die Seuche ist unaufhaltbar.« »Eine wahnsinnige Geschichte«, rief Caspar entsetzt »Doch wie soll ich in der Lage sein, die Seuche aufzuhal ten, wenn ihr es nicht könnt?« »Das Monument bezeugt es, Caspar«, sagte Haag. »Das überzeugt nicht«, antwortet der Arzt. »Die terranische Medizin wird weiterentwickelt sein«, meinte Safaro. »Eine andere Erklärung gibt es nicht. Wir arbeiten natürlich an einem Serum. Und nicht nur das. Unsere Forscher fanden die Zeitmanipulation. Sie experi mentieren seit hundert Jahren mit einem Zeittor, das unser Volk in die Zukunft führen könnte. Wir nehmen an, daß ein Zeitsprung die Seuche besiegt; hundert Jahre zum Beispiel könnten eine weitere Mutation der Viren bedeu ten. Diese Mutation könnte für uns Menschen ungefährlich geworden sein. Es bleibt jedoch die Schwierigkeit, die verseuchten Segmente, die wir mitnehmen müssen, zu entseuchen. Das ist deine Aufgabe, Caspar Brixlas.« Caspar wandte sich an Safaro.
»Seid ihr nicht praktisch unsterblich geworden durch die KörperwechselMethode?« »Nur theoretisch«, behauptete Safaro. »Viele Parteken werden nur hundert, andere vielleicht zweihundert Jahre alt. Der Körperwechsel hinterläßt Spuren, die Gehirne nutzen dabei ab.« In der Ferne ragte ein Häuserblock in die Höhe, der ih nen bekannt vorkam. Und als der Wagen vor einem mäch tigen bemalten Portal hielt, waren sie sicher. Das war der Häuserblock, in dessen Parkhof das Monument stand. *
Caspar ging zielsicher auf das Tor zu und öffnete die kleine Tür in dessen Mitte. Er schloß es sofort wieder. Der Parkhof sah beinahe unverändert aus. Nur, in dieser Zeit existierte noch kein Denkmal. Es war nur logisch, und doch war Caspar froh darüber. Er haßte das kitschige Monument, und er verfluchte denjenigen, der es hatte errichten lassen. Die Parteken führten die Kontakter in einen Lift, der sie weit hinauf brachte. Safaro geleitete sie in ein Laboratori um, in dem zehn Parteken arbeiteten. Sie hatten drei kurze Arme mit kleinen Händen und langen Fingern und standen auf drei Beinen. Ihre braune Haut glänzte wie von Lack überzogen. Caspar vermutete, daß es sich dabei um eine Schutzschicht handelte, wie sie für die Arbeit in einem Laboratorium höchst vorteilhaft sein mußte. Er stöhnte entsetzt auf. »Es vergehen Jahre, bis ich mich eingearbeitet habe«, murmelte er. »Wir haben Zeit«, erwiderte Haag müde. »Alle Zeit die
ser Welt, würde ich sagen.« Sie wurden dem Laboratoriumsleiter Berr vorgestellt, der ebenfalls Terranisch beherrschte. »Wir haben euch sehnsüchtig erwartet. Und wir hatten Zeit, ein Programm auszuarbeiten, mit dem wir die Einar beitung rationell verkürzen können. Ich bin sicher, es wird nur wenige Tage dauern. Ich stehe voll und ganz zur Ver fügung.« Berr verbeugte sich. »Nennen wir uns beim Vornamen, das vereinfacht die Sache.« Safaro verneigte sich und erwiderte: »Ich danke. Ihr kennt unsere Namen bereits. Ihr braucht keinerlei Forma litäten zu beachten.« Nach einer Führung durch das Labor drängte Safaro: »Es wäre wünschenswert, wenn du sofort mit der Arbeit be ginnen könntest, Caspar!« Caspar schwieg nachdenklich. Er verstand es, daß sich die Parteken keinen Geduldsübungen hingeben wollten, denn sie waren vom Aussterben bedroht. Mit einem Seuf zer der Ergebenheit stimmte er zu. Safaros Begleiter verabschiedeten sich. Safaro wandte sich Haag zu. »Ich werde dich in das Haus bringen lassen, das euch zugeteilt wurde. Es wartet seit achtzig Jahren darauf.« Das Haus war klein, aber erstaunlich »terranisch« einge richtet. Möglicherweise hatte man es vor achtzig Jahren nach Harlans und Jatas Angaben ausgestattet. Haag been dete seinen Rundgang mit befriedigten Gefühlen. Das Leben versprach hier angenehm und ruhig zu werden. Am Ende der schmalen Diele entdeckte Haag eine kleine Tür, die er übersehen hatte. Neugierig öffnete er sie. Im Raum dahinter leuchtete eine helle Lampe auf.
Überrascht schloß Haag die Tür hinter sich. Er stand vor einer merkwürdigen und komplizierten Maschine, in deren Mitte eine Kabine war. Rundherum an den Wänden des Raumes entdeckte er eine SegmentSammlung. Anschau ungsmaterial? überlegte Haag. Er trat näher heran und bemerkte, daß die Segmente luftdicht in durchsichtigen Behältern verschlossen worden waren. Anschauungsmaterial! entschied Haag. An der hinteren Wand hing ein großes Plakat. Auf ihm stand in terranischen Schriftzeichen: 211 SEGMENTE. Darunter folgte in kleinen Buchstaben eine Aufzählung, begleitet von einer Systematik: PANDEKTISCHE SEGMENTE
(lebenswichtige Segmente)
PARATAKTISCHE SEGMENTE
(nebengeordnete Segmente)
SIMULTANE SEGMENTE
(gemeinsam wirkende Segmente)
PARTIZIPIERENDE SEGMENTE
(teilhabende Segmente)
PARTIELLE SEGMENTE
(untergeordnete Segmente)
Abbildungen illustrierten die Angaben. Das Zusammen wirken und die Verbindung einzelner Segmente sowie der Organe war stilisiert dargestellt worden. Haag wandte sich der Maschine zu. Es konnte nur eine Erklärung für sie geben: In ihr wurden vollautomatisch die Segmente angepaßt. Haag entdeckte in der Tat einen Computer. In ihn programmierte man die gewünschte Zusammensetzung ein. Haag öffnete die Kabine. Er ent deckte mehrere Öffnungen am Boden. Die Kabine wurde also mit einer Nährflüssigkeit gefüllt, bevor die schwierige
»Operation« vorgenommen wurde. Aus den Wänden, die fast einen Meter dick waren, ragten seltsame mechanische Hände heraus. Vom Computer gesteuert, würden sie die Segmentanpassung vornehmen. Haag entdeckte mit der Zeit so viele Einzelheiten, daß er sich den Vorgang ungefähr vorstellen konnte. Insgesamt jedoch erschien er ihm wie die Ausgeburt einer über spannten Phantasie. Er zweifelte jedoch nicht daran, daß die Maschine funktionierte. Auf der Erde war man noch nicht soweit, auf dem Programm der Wissenschaftler stand solch ein Projekt jedoch schon lange. Haag verließ eine Stunde später den Raum. Eine eindrucksvolle Ausstellung, lobte er innerlich. *
GRUPPE DREI. ZEIT: EINHUNDERTVIERZIG JAHRE VOR DER LANDUNG. Sie krümmten sich vor Schmerzen, die wie elektrischer Strom durch ihre Knochen jagten. Das Fleisch schien von innen heraus zu verbrennen. Und plötzlich war alles vor über - keine Schmerzen mehr, kein Unwohlsein. Alles war wie zuvor . Nein - alles war anders! Mick Ronda und Kai Aplos standen nicht mehr auf einer leeren Straße, wo sie ohne jedes Interesse ein Haus be trachtet hatten. Sie standen plötzlich auf einem Podium oder auf einer Bühne. Und vor ihnen bewegten sich Lebe wesen verschiedenen Aussehens in hellem Rampenlicht. Lautes Gemurmel und tosendes Klatschen verriet ein im Dunkeln sitzendes aufgeregtes Publikum. Sie standen tatsächlich auf einer Bühne eines riesigen Saals.
Die Wesen, die etwas größer als Menschen waren, tän zelten unbeirrt über die Bühne. Gemeinsam war allen der abgerundete, quaderförmige Rumpf. Genauso das Vorhan densein von Armen, Beinen und des Kopfes, nicht aber die Anzahl der Extremitäten. Auch deren Form variierte bei jedem Wesen. Kleider trugen sie nicht, und nur eines der Wesen trug langes, bis zum Boden reichendes Haar. Ihre Finger verliefen in Spiralen, jeder Muskel schien absicht lich plastisch hervorzutreten. Besonders die Köpfe wiesen auffallende Merkmale auf. Die Nasen waren meist sehr lang und kunstvoll gebogen. Die Ohren hingen tief herab oder standen hoch auf, arteten oft in wahre Traubengebilde aus, die sich dauernd rhythmisch bewegten. Ein Wesen nach dem anderen verneigte sich leicht vor dem unsichtbaren Publikum, und jedesmal brandete lauter Jubel auf. Die Kontakter waren jedenfalls sicher, daß es sich um Jubel handeln mußte. Die Bühne wurde von den sich zur Schau stellenden We sen geräumt. Leise murmelte das Publikum. Die Kontakter beschlossen, die Gelegenheit zu nutzen und die Aufmerk samkeit auf sich zu lenken. Die Situation, in die sie so unfreiwillig geraten waren, gefiel ihnen nicht. Sie heisch ten nach Aufklärung. Als sie vortraten, sank der Geräuschpegel kurz und stieg dann wieder an. Die Laute, die aus dem Zuschauerraum zu ihnen drangen, waren diesmal anderer Art. Lange, ge dehnte, unsaubere Laute und ein Zischen sagte ihnen, daß ihre äußere Gestalt nicht sehr beifallerregend wirken mußte. Sie hatten eher den Eindruck, als sei ihre Erschei nung für die unsichtbaren Voyeure ein beleidigender An blick. »Wir brauchen eure Hilfe!« schrie Mick Ronda.
»Das nützt nichts«, flüsterte Kai irritiert. »Sie verstehen uns nicht. Was verlangst du denn?« »Daß sie uns nicht für eine Zirkusnummer halten«, erwi derte Mick. »Das werden sie nun erst recht tun.« Mick starrte verwirrt ins Dunkel. Die Rufe verstummten. Langsam setzte wieder die Mißfallenskundgebung ein. Mick sah ein, daß es zu nichts führte, stehenzubleiben. Sie wußten nicht, wo sie sich befanden und wie es geschehen war. Was konnten sie jetzt tun? »Hier ist eine Treppe«, flüsterte Kai. Sie stiegen langsam in den Zuschauerraum hinab. Unten erkannten sie dichtbesetzte Bänke und tausend auf sie gerichtete Augen. Und auch hier hatten sie es mit Wesen zu tun, von denen jedes eine eigene, unverwechselbare Körperform besaß. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen - sie konnten sich in dieser Situation einfach nicht darum kümmern -, began nen beide zu reden. Sie sprachen die vorn Sitzenden an, um ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu lenken, daß sie nicht hierhergehörten und auch gar nicht hier sein wollten. »Wir haben keine Gegenstände dabei, mit denen wir be weisen könnten, daß wir nicht zu ihnen gehören.« »Doch, die Strahler«, erwiderte Mick hoffnungsvoll. Er zog seinen Nadelstrahler hervor und ließ ihn kurz aufblit zen, den Lauf an die Decke gerichtet. Ein Aufstöhnen ging durch die Reihen. Irgendwo rief jemand etwas. Immer wieder ertönte der Ruf aus den hinteren Reihen. Schließlich schob sich ein Wesen an sie heran, das graziös tänzelte und irgendwie formvollendet aussah. Drei parallel angeordnete rote
Augen richteten sich auf Mick und drei lange Arme reck ten sich ihm beschwichtigend entgegen. »Seid ihr die Terraner?« fragte das Wesen. Die Kontakter erstarrten offenen Mundes. »Ja«, keuchte Mick schockiert. »Wir sind Terraner!« »Ihr müßt mir folgen«, fuhr das Wesen fort. »Ich bringe euch fort von hier.« Mit diesen Worten drehte es sich um. Die Kontakter folgten ihm willig. Es war ein höchst beruhigender Ge danke, diesen Ort verlassen zu können. Die Rätsel, die ihnen diese Welt aufgab, würden sich klären lassen, wenn sie dem Wesen folgten, das ihre Sprache beherrschte. Als sie durch eine Tür traten, standen sie auf einer Stra ße, auf der der Verkehr brodelte und die Bürgersteige fast überquollen. Niemand beachtete sie, als sie mit dem We sen in ein vierrädriges Vehikel stiegen. Ihr Führer klopfte gegen eine Scheibe, welche die Sitze der Fahrgäste vom Fahrerabteil trennte. Vorn saß ein Wesen, das auf das Zeichen hin das Gefährt in Bewegung setzte und sich geschickt in den brodelnden Verkehr einordnete. Ihr Führer stellte sich als Glaas vor und erzählte ihnen die unglaubliche Geschichte einer Zeitmaschine, in deren Zeittore, die durch Experimente unbeabsichtigt in der Zukunft entstanden sein mußten, die Kontakter geraten waren. Sie erfuhren von der weit zurückliegenden Ankunft H. R. I. Klims und Jata Nerals. Der Parteke gehörte einer sogenannten Sonderabteilung »Retter« an, die sie bereits erwartet hätte. Glaas beendete seinen Bericht mit der Bemerkung, er würde sie in seinem Haus bewirten und seinen Kollegen vorstellen. Danach schwieg er mitfühlsam. Der Wagen benötigte eine Stunde, um an das angegebe
ne Ziel zu gelangen. Während dieser Zeit taten die Kon takter ihr Bestes, um Neuigkeiten zu verdauen. Vieles war geklärt - aber die Erklärungen zu akzeptieren, dazu brauchte es mehr ab nur Logik. Sie betraten das kleine Haus und nahmen dankbar auf den angebotenen Stühlen Platz. Ein Parteke betrat den Raum, den Glaas als seine Frau Gub vorstellte. Gub kehrte mit einem Tablett zurück und teilte Gläser mit einer blauen Flüssigkeit aus. »Ich biete euch eine Mahlzeit an«, sagte Glaas. Mick nickte, obwohl er eigentlich ablehnen wollte. Das Gericht schmeckte so vorzüglich, daß die Kontakter ein zweites Mal zugriffen. Glaas erhob sich nach dem Essen und verließ das Haus. Gubs ovaler Mund öffnete sich zwischendurch und ver zog sich eigenartig. Mick wertete es als ein Lächeln und erwiderte es. Gub blieb jedoch schweigsam. Kurze Zeit später kehrte Glaas in Begleitung von fünf Parteken zurück. Sie erkannten Glaas an den parallel angeordneten roten Augen wieder. Die Erscheinungen seiner Begleiter ähnelten dem seinen. Die Unterschiede lagen in der Verteilung der Gesichtsmerkmale. Die Parteken musterten die Terraner interessiert, ver neigten sich höflich und setzten sich auf die von Gub herbeigeschafften Stühle. Glaas nahm neben ihnen Platz. »Das sind meine Kollegen von der Sonderabteilung«, stellte er vor. »Wir sprechen alle Terranisch. Diese Spra che zu erlernen, hatten wir ja dreiundfünfzig Jahre Zeit. Die Ankunft eurer Freunde erlebten wir als Kinder mit.« »Das sagt uns nicht viel, da eure Jahre den unsrigen nicht entsprechen werden«, klärte Kai Glaas auf. Doch
jener schüttelte den Kopf.
»Wir rechneten mit eurem Maß der Zeit.«
Ein anderer Parteke ergriff das Wort. »Ihr wißt, daß in der Zukunft dem Retter unseres Volkes ein Denkmal errichtet wird, weil er unser Volk von einer schrecklichen Seuche befreite. Wir selbst erfuhren das erst durch eure Freunde.« »Ich begreife das nicht«, unterbrach Mick nervös. »Das wäre ja ein Zeitparadoxon. So etwas ist unmöglich!« »Es ist nur ein Scheinparadoxon«, erwiderte sein Ge genüber. »Stellt euch vor, unser Volk wäre nicht intelli gent, wäre ohne Bewußtsein, begriffe nicht, was vorgeht. Dennoch nähme alles seinen Lauf - mit dem Unterschied, daß es ausstehenden Geschehnissen nicht zu seinem Ein treffen verhelfen könnte. Aber der Lauf der Geschichte würde anders. Doch wenn bekannt ist, daß etwas gesche hen wird, weil zukünftige Lebewesen das Geschehen miterlebt haben, dann bleibt der Lauf der Geschichte in jedem Fall der gleiche, ob wir nachhelfen oder nicht Nachzuhelfen hat dennoch Sinn, denn das Eintreffen des gewissen Geschehens könnte unter Umständen schmerzlo ser werden. Man kann es mit einer Geburt vergleichen. Ohne Arzt hat die Mutter Schmerzen, mit Arzt hat sie keine Schmerzen - aber sie gebiert auf jeden Fall. Wir wären in diesem Vergleich eine Mutter, die schon weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Ändert das etwas? Daß wir die Zukunft kennen, verdanken wir einem Zufall, hervorgerufen durch Experimente mit einem Zeittor.« »Wenn unser Arzt eine Hilfe nun aber ablehnen würde?« »Er darf es nicht, er kann es nicht verantworten, denn sein Charakter läßt es nicht zu. Allein wir könnten ihn zwingen. Eure Berichte beweisen, daß er es tat!«
»Zwingende Logik«, gab Mick zu. »Mich stört der dabei auftretende Determinationseffekt etwas.« »Er macht es gerade erst möglich.« »Auch wahr. Alles wird also nur geschehen, weil dieser Arzt nicht fähig ist, das Gegenteil zu tun.« »Nicht befähigt dazu«, bestätigte sein Gegenüber. »Wir können das bezeugen«, meinte Kai Aplos. »Der Doc ist viel zu verantwortungsbewußt und gutmütig, was, Mick?« Mick nickte. Das Gespräch geriet ins Stocken, und kurz darauf erfuh ren die Kontakter, weshalb. Die Parteken erhoben sich langsam von den Stühlen und starrten sie an. Langsam fielen sie auf die Plätze zurück. »Wer von euch«, fragte Glaas, »ist der Arzt?« Die Kontakter blickten sich überrascht an. Eigentlich war es logisch, daß die Parteken glaubten, Doc Brixlas sei unter ihnen. Daran hätten sie gleich denken sollen. »Er ist nicht hier«, antwortete Kai leise. »Ich bin der Planetologe Kai Aplos. Mick Ronda ist Kosmograph und Astrogator der CONTACT. Der Bordarzt ist nicht bei uns.« »Daß der Kosmobiologe noch nicht gekommen ist, ist nicht weiter von Bedeutung, da feststeht, daß er kommen wird. Da ihr unfreiwillig in unsere Zeit verschlagen wur det, genießt ihr selbstverständlich das Gastrecht. Begehrt also, was ihr wollt. Aber wir möchten euch um einen Gefallen bitten.« »Natürlich.« »Es gibt keinen Grund mehr für uns zu schweigen. Das Ausbleiben des Arztes bestätigt unsere Ansichten. Wir haben euch belogen! Ich bin sicher, ihr werdet uns verste
hen. Wir glauben, daß der Arzt zu spät kommen wird, daß wir einen anderen Ausweg suchen müssen. Wir glauben, einen Weg zu kennen und sind bereit, diesen Weg zu gehen.« »Ich begreife nicht«, murmelte Mick verwirrt. »Es ist doch bewiesen, daß der Doc rechtzeitig kommt.« »Gar nichts ist bewiesen. Vielleicht habt ihr gelogen! Wer sagt uns denn, daß ihr nicht ein abgekartetes Spiel treibt? Wer weiß denn, was ihr wirklich vorhabt? Viel leicht stimmt alles, aber ihr kommt nur aus einer mögli chen Zukunft, die nicht unbedingt eintreffen muß! Und trifft sie ein, dann wird unser Volk vielleicht nur gerettet, weil wir gleichzeitig unseren Plan in die Tat umsetzen. Vielleicht sind es nur die Zuchtparteken, die heil in die Zukunft gelangen. Es gibt viele Möglichkeiten. Es ist besser, nicht an eine wunderbare Errettung zu glauben!« Die Kontakter blickten sich sprachlos an. Glaas hatte recht. Niemand wußte, ob die Rettung allein Caspars Werk sein würde. Andererseits hatten die Parteken logisch dar gelegt, weshalb die Rettung stattfinden mußte, gleichgül tig, was sie dazu taten. Das Denkmal bewies es. Aber weshalb gab es keine Parteken mehr, wenn die CONTACT auf Partos landen würde? »Zuchtparteken?« fragte Kai leise. »Es gibt Parteken«, fuhr Glaas fort, »die an folgende Theorie glauben: Findet man kein Serum gegen die Seg mentSeuche, dann müssen die GenetikIngenieure den Fall lösen, indem sie Parteken heranzüchten, die gegen die Viren resistent sind. Das bedeutet: diejenigen unter uns, die sich weniger angegriffen sehen, müssen ihre Segmente abliefern. Diese relativ resistenten Segmente müssen studiert und ihrer Zusammensetzung entsprechend ge
züchtet werden. So lange, bis wir total resistente Segmente herstellen können. Es gibt allerdings noch einen anderen Weg. Unsere Kinder behalten ab jetzt ihre ursprünglichen Körper. Die Segmentmode muß aufhören. Die resistente sten Kinder müssen zur Verfügung gestellt werden. Die GenetikIngenieure kennen eine Methode, um das Heran wachsen von Leben zu beschleunigen. Diese Kinder müs sen schnell wachsen und wieder Kinder bekommen.« »Wir kennen diese Methode«, sagte Mick angewidert. »Das hat man auf Terra auch schon versucht. Es wurde behauptet, man könne und müsse eine Elite heranzüchten, die mit SuperIntelligenz befähigt ist, die immer schwieri ger werdende Regierung der Menschen zu übernehmen. Es konnte glücklicherweise noch rechtzeitig verhindert wer den.« Glaas unterbrach ungeduldig. »Wenn die Verseuchten sterben, bleiben wenigstens ei nige Parteken übrig, die immun sind und unsere Rasse vor dem Untergang bewahren können. Dieses Ziel ist uns alles wert. Wir bitten euch nun, für unsere Idee einzutreten. Wir bitten euch, vor unser Volk zu treten und ihm zu sagen, daß es nur noch diese Möglichkeit gibt. Wenn ihr es tut, werden bald alle für unseren Plan eintreten. Ihr seid die erwarteten Retter, wenn ihr es sagt, werden sie es glau ben.« Die Kontakter wechselten bedeutungsvolle Blicke. Ihnen war klar, daß man sie verschaukeln wollte zugunsten einer fanatischen Machtgruppe. Das war offensichtlich. Es mochte aber gefährlich sein, sich ablehnend zu äußern. »Das will überlegt sein«, sagte Mick schnell. Seine Hand fuhr über seinen Bürstenhaarschnitt. »Wir müssen die Sache miteinander diskutieren. Gewährt uns Bedenkzeit.«
Glaas reagierte freundlich. »Selbstverständlich. Wir lassen euch jetzt allein. Für die Zeit eurer Anwesenheit steht euch dieses Haus zur Verfü gung. Gub wird euch gut versorgen.« Die Parteken erhoben sich, verneigten sich und verließen das Haus. *
GRUPPE EINS. ZEIT: EINHUNDERTDREIUND NEUNZIG JAHRE VOR DER LANDUNG. Mit ihrem Führer Nokkolt verließen H. R. I. Klim und Jata Neral das BioLaboratorium, in dem sie gesehen hatten, wie die Körpersegmente in Vitrinen herangezüchtet wurden. Zuvor hatte sie Nokkolt durch das Zeit Manipulatorium geführt. Letzte Fragen waren beantwortet worden. Die Lösung ihrer Probleme war lückenlos. Jetzt begriffen sie, was geschehen war und was geschehen würde. In aller Eile hatte man eine Sondergruppe aus Wissen schaftlern und Politikern zusammengestellt, die dem Sprachunterricht Nokkolts während der vergangenen vierzehn PartosTage - das waren zwanzig terranische Tage - über einen Lautsprecher gefolgt waren. So gab es nun sechs - mit Nokkolt sieben - Parteken, die der terrani schen Sprache mächtig waren. Die Aufgabe der Abteilung »Retter« war es, die Sprachkenntnisse so lange der Zu kunft zu überliefern, bis der Arzt und Kosmobiologe Caspar Brixlas auftauchte, um den Kontakt zu erleichtern. Nokkolt geleitete sie nach einer Sitzung der Sonderab teilung aus dem kreisrunden Gebäudekomplex - einem öffentlichen Gebäude, das »Antizipatorium« genannt
wurde. In diesem Komplex befanden sich außer For schungsstätten führender Wissenschaftler die Tagungs räume der Politiker vom Wissenschaftsausschuß und der Abteilung »Retter«. Das Gebäude stand in der Zone der sogenannten Progressisten, stand aber allen Parteken offen - arbeitete auf gesetzliche Initiative hin auf interzonaler Basis. Sie bestiegen den Wagen. Nokkolt hatte sie gebeten, in der TraditionalZone wohnen zu bleiben, und sie hatten zugestimmt. Nokkolt gab ein Zeichen, und der Wagen setzte sich in Bewegung. »Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte er, »fahren wir eine andere Route. Unser Fahrer kann einen Bogen fahren, der uns durch insgesamt drei Zonen führt. Es dürfte sehr interessant für Sie werden.« Sie waren einverstanden. Nach wenigen Minuten bog der Wagen auf die äußere Bahn einer vierspurigen Autobahn ein, die einen Kreis bilden sollte. Inmitten der so entstandenen Kreisfläche erhob sich ein mächtiges Bergmassiv, auf dem eine Erho lungsstätte errichtet war. Der Wagen fuhr jetzt langsamer. Nokkolt wies mit sei nen Armen hinüber auf die zweite Fahrspur. Auf ihr be wegte sich ein unendlich langer Zug Menschen. Jeder Parteke trug anscheinend eine andere Körperform, doch hin und wieder entdeckte man Ähnlichkeiten und bekannte Segmente. Unter den Massen befanden sich viele beklei dete Parteken; teilweise waren auch nur Arme und Beine mit Tuch umwickelt. Viele Marschierer trugen Transparente, Fahnen und breitkrempige Hüte, mit denen sie winkten. Ein merkwür diger Gesang erklang vom Zug herüber.
»Was ist das?« fragte Harlan neugierig. »Deswegen sind wir hergekommen. Ich wollte Ihnen das Schauspiel nicht vorenthalten. Es handelt sich um demon strierende Freidenker, die aus allen Zonen stammen. Sie haben sich zusammengetan, seit man sie verfolgt. In der ProgressivZone läßt man sie allerdings in Ruhe - ich verstehe das nicht. Sie stören doch nur. Aber da sie nicht alle in der ProgressivZone leben können, fordern sie, das Freidenkertum zu legalisieren. Von Zeit zu Zeit demon strieren sie auf dem Ring. Auf diese Weise durchlaufen sie drei Zonen. Es kommt allerdings meist zu Kämpfen mit den Zonenwehren.« »Das begreife ich nicht. Was wollen diese Parteken?« »Nun, das ist so: Jede Zone hat ihre eigene Volkskon vention gesetzlich verankert. Wer dagegen verstößt, wird ausgeschlossen oder bestraft. Diese Parteken sind meist noch sehr jung. Sie wollen überall auf Partos so leben, wie sie es sich vorstellen. Ganz Partos soll also zur Progressiv Zone werden. Dagegen wehren sich die anderen natürlich. Daraufhin sind sie zu passivem Widerstand übergegangen. Sie erwerben sich Segmente, deren Talgdrüsen übermäßig stark arbeiten. Wo sie an solche Segmente nicht heran kommen, besorgen sie sich ein Mittel, das es bewirkt.« »Ich verstehe. So etwas Ähnliches gab es auch mal auf Terra. Andersdenkende nannten das den Affeneffekt. Ich mag diese Bezeichnungen nicht, denn Leute ohne Haare könnte man entsprechend als Glatzkörper bezeichnen. Das wäre dann ein sogenannter Schweineeffekt. Diese Argu mentation ist dumm.« »Das gebe ich zu. Aber es ist falsch, was sie tun«, ant wortete Nokkolt. »Partos ist so organisiert, daß jedes Interesse seine Zone hat. Es wäre eine Diktatur, wenn die
Haarigen ihre Forderungen durchdrücken würden. Man stelle sich vor, überall tut jeder, was er für richtig hält .« »Es steht mir nicht zu, dagegen zu sprechen«, erwiderte Jata. »Aber mir erscheint Ihre Bemerkung falsch zu sein, da es doch nur um Körperformen geht. Die Freiheit der Körperwahl existiert in der ProgressivZone doch schon lange, und es funktioniert. Mit Diktatur scheint das nichts zu tun zu haben.« Nokkolt überlegte schweigend. Harlan äußerte: »Vielleicht ist es auch eine Diktatur, Ja ta. Denn es ist verboten, jemanden daran zu hindern, den Körper seiner Wahl zu tragen. Das heißt, es wäre die Diktatur der Freiheit. Das ist keine Wortklauberei, sondern logisch formuliert.« »Wer will, könnte weiter so leben, wie er es immer tat«, fügte Jata hinzu. »Das stimmt. Im Gegensatz zu vorher ist eine andere Lebensweise nicht mehr verboten. Man nennt das Integrität der Kulturen. Eigentlich geht es doch nur darum, anzuerkennen, was schon existiert, nämlich die Vielseitigkeit der Körperkultur.« »Wir fürchten nur«, sagte Nokkolt leise, »daß die Mo dernisierer und Neuerer unsere alte Kultur zerstören.« »Das geschähe nur, wenn diese Kultur schwach ist. Und mit Gewalt sollte man alte und kranke Kulturen nicht konservieren. Eine Legalisierung aller Kulturen hätte zur Folge, daß eine jede neue Impulse empfinge und neu belebt würde.« »Die Vergangenheit lehrt schlechte Beispiele«, erwiderte Nokkolt. »Nachdem der Segmenthandel in Gang gekom men war, entwickelten sich extreme Moderichtungen. Aus ihnen entstanden dann die Zonen. Eine Moderichtung bestand darin, Organe, Drüsen und andere Körperfunktio
nen zu beeinflussen. Schlimmeres kam dabei zustande als heute, wo es sich nur um unterschiedliche Formen handelt. Damals unterschieden sich auch die Eigenschaften der Körper. Die einen ließen die Haare sprießen, andere machten sich hitzeunempfindlich, andere kälteunempfind lich, andere entwickelten aus ihren Körpern Kraftmaschi nen, andere veränderten ihren Körper so, daß er flugfähig wurde. Aber all das brachte schwere Nachteile mit sich. Jeder Körper, der so spezialisiert wurde, verlor andere Fähigkeiten. Fähigkeiten, auf die ein Körper nicht ver zichten kann, um am Leben zu bleiben. Ihr könnt euch vorstellen, daß ein Chaos entstand. Also wurde die Organ beeinflussung verboten. Nur Künstlern blieb es erlaubt. Die kommende Epoche wurde eine Epoche der Kunstver herrlichung. Eine neue Kunst wurde kreiert namens Parte kopoly. Das heißt soviel wie Menschenmacherei. Kennt ihr so etwas?« »Nein«, antwortete Harlan. »Die Künstler entwarfen neue Körperformen, woraus oftmals wahre Monster entstanden. Zwei Richtungen entwickelten sich daraus. Zum einen das Dienstleistungs gewerbe. Man erlaubte, Arbeitskörper zu verkaufen - so ist das noch heute. Zum anderen erlaubte man Luxuskör per anzubieten - auch heute noch. Luxuskörper sind jene, die man zum Vergnügen, zur Bequemlichkeit oder zum Protzen anlegt. Erlaubt ist es nur noch in der Antiästheten Zone, der Zone der Ästheten und der Progressisten.« Der Gesang der Demonstranten verstumte abrupt. Die Kontakter ließen den Wagen halten. Sie sahen, wie von allen Seiten die Zonenwehr auf die Demonstranten zumar schierte. »Wir haben inzwischen die Zone gewechselt«, erklärte
Nokkolt. »Wir sind jetzt in der PragmatikZone. Man liebt hier nur nützliche Körper. Jene Freidenker verabscheut man deshalb. Man wird sie zurück in die ProgressivZone drängen.« Das schien jedoch ein schwieriges Unterfangen zu sein, denn die Demonstranten waren darauf sichtlich vorberei tet. Sie schwenkten ihre Fahnen und Transparente, rückten näher zusammen und bildeten einen mächtigen Block. Die Zonenwehr versuchte, den Zug zu sprengen. In mehreren »Schlangen« griff sie an. Es war erkennbar, daß die Schlangen durch den Demonstrationszug hindurchrennen sollten, um die abgesprengten Teile einzukreisen. Der sich mehr und mehr zusammenhängende Block der Demonstranten wurde größer und undurchdringlicher. In der Ferne riß er auseinander. Das war nicht zu vermeiden, denn zwei Blöcke waren schnell zu bilden. Beide würden wahrscheinlich aufeinander zulaufen und sich zu einen großen vereinigen. Aus den Blöcken flogen der Zonenwehr jetzt Steine ent gegen. Das verlangsamte die Attacke der Beamten, so daß sich die Blöcke ungestört bilden konnten. Die Wurfmuni tion war verbraucht, die Zonenwehr stürmte siegessicher heran. Es war ein seltsamer Anblick. Von allen Seiten stürmten die Beamten im Gänsemarsch auf die geschlos senen Blöcke zu. Aus dem siegessicheren Auftreten der Beamten schlos sen die Kontakter, daß sie dies nicht zum erstenmal taten. »Sie haben nicht die geringste Chance«, murmelte Nok kolt amüsiert. »Die Zonenwehr blieb immer Sieger . Sie scheinen etwas Neues zu versuchen!« Die chaotische Situation nutzten die Freidenker, um ihre Blöcke zu einem zu schließen. Als einheitlicher Block
rannten sie im Gleichschritt und singend den Autobahn ring voran. »Interessant«, murmelte Nokkolt mürrisch. »Eine abso lut neue Taktik. Sie scheint erfolgreich zu sein. Aber die Zonenwehr wird sich darauf einstellen.« Er gab dem Fah rer ein Zeichen, und der Wagen setzte sich in Bewegung. »Ich begreife nicht, weshalb sie zur Zeit der Körperver seuchung solche Ziele verfolgen. Ist ihnen denn die Ret tung unseres Volkes unwichtig?« »Sie werden meinen«, erwiderte Jata, »daß sie ihre Ziele weiterverfolgen können, da sie es nicht in der Hand haben, ein Serum zu finden.« Der Wagen verließ den Ring. Wenig später hielt er vor dem Haus, das die Kontakter vorläufig bewohnten. Die Straße war von Parteken fast verstopft. Vor dem Haus wartete eine sechsköpfige Ab ordnung. Alle trugen Körper, wie sie in der Traditional Zone vorgeschrieben waren: drei Beine, drei Arme, Stiel augen und einen flachen Kopf. Als die Kontakter dem Wagen entstiegen, stellten sie sich als Konspirative Partekische Regierung vor. Nokkolt rümpfte die Nase, jedenfalls sah es so aus. Einer der Abgeordneten trat vor. »Partos ist dem Untergang geweiht«, behauptete er. »Sie haben inzwischen die Verhältnisse unserer Welt kennen gelernt. Sie werden zugeben, daß sie chaotisch sind. Sie werden erkannt haben, daß Parteken nicht fähig sind, Partos zu regieren. Nun - wir haben uns im Untergrund immer für das Wohl unseres Planeten eingesetzt. Jedoch erkennt man uns nicht an. Wir haben uns deswegen ent schlossen, uns an Sie zu wenden. Denn Sie gehören einer höheren Zivilisation an und sind daher prädestiniert für die
Führung unseres Volkes. Wir haben gemeinsame Vorfah ren - das sollte verpflichten. Wir bieten Ihnen die Regie rungsgewalt an. Wir werden durch einen Putsch die Ver hältnisse ändern und Ihnen den Weg frei machen, um die Parteken in eine leuchtende Zukunft zu führen. Vertrauen Sie uns, nehmen Sie das Angebot an - alle Parteken wer den bedingungslos folgen und gehorchen!« H. R. I. Klim verschlug es die Sprache. Solche politi schen Wirrköpfe schien es auf jeder Welt zu geben. Doch es schlug dem Faß den Boden aus, daß man sie zu Regie rungschef machen wollte. Abgesehen davon, daß sie kei nerlei Lust verspürten, jemanden zu regieren, war es un glaublich naiv, irgend jemanden die Führung über einen ganzen Planeten anzubieten. Harlan war sich klar darüber, daß sie nur vorgeschoben werden sollten. Wirkliche Macht würden nur diese Gruppe und ihre Geldgeber besitzen. Jata gewann als erste die Fassung zurück. Sie antwortete den Konspirativen, und was sie sagte, entsprach genau Harlans Überlegungen. Sie fügte hinzu: »Wir beteiligen uns an keinem Putsch, der nicht das Ende der Seuche bedeutet. Helfen kann eurem Volk kein Führer, sondern nur Forscher und pflichtbewußte Politiker, die es zu verhindern verstehen, daß es jemals wieder zu einer solchen Katastrophe kommen kann. Die Regierung, die dafür sorgen kann, wird das Volk wählen, nicht ihr. Streitet euch nicht um Körperformen, sondern um eine gerechte Machtver.« Lautes Gebrüll unterbrach sie. Sie schrak zusammen. Worauf hatte sie sich da eingelassen? Es war ein unver zeihlicher Fehler, sich in die Angelegenheiten der Parteken zu mischen. Doch - man hatte eine Antwort erwartet, und was hätte sie anderes sagen sollen, als was sie dachte?
Nokkolt flüsterte ihr zu: »Das wird böse Folgen haben. Du hast mit Händlern gesprochen!« »Das sind Händler?« »Sie waren Händler, bis ihre politischen Ambitionen sie in die Konspiration trieben. Aber sie arbeiten weiter mit der HändlerKaste zusammen.« »Das hätte ich mir denken können«, murmelte Jata. »Die Schuldigen wollen die Macht! Was tun wir jetzt?« »Wir gehen ins Haus. Die Bewachung ist ungenügend. Ich werde zur Sicherheit noch zehn ZonenBeamte anfor dern.« »Du fürchtest um unsere Sicherheit?« »Ja, denn die konspirativen Händler sind sehr mächtig. Sie haben schließlich Geld. Vielleicht nützt die Verstär kung nichts. Viele ZonenwehrBeamte sympathisieren mit den Konspirativen.« Sie gingen ins Haus. Hinter ihnen riegelten die Zonen wehrPosten die Straße ab. Die Menge verlief sich lang sam. Eine Verstärkung der Posten wurde Nokkolt abge schlagen, als er die Wache anrief. Damit erhöhte sich das Risiko. Als Nokkolt vorschlug, heimlich das Quartier zu wechseln, fragte ihn Jata nach der Möglichkeit, diese Zeit zu verlassen. Nokkolt zögerte. »Dem steht nichts im Wege. Die Chance ist allerdings gering, daß ihr in der richtigen Zeit ankommen werdet. Die Zeittechnik ist, wie ihr wißt, praktisch noch im Test stadium. Das Risiko .« » . ist sehr hoch, ich weiß«, vollendete Harlan. »Aber auch ich habe die Nase voll, ehrlich gesagt. Helfen können wir deinem Volk nicht, und bleiben wir hier, erwartet uns eine endlose Flucht. Nein, wir werden es versuchen. In der
Zukunft werden wir landen, das steht fest. Und das genügt. In der Zukunft wird man die Zeittechnik ja hoffentlich beherrschen.« »Gut, dann wollen wir keine Zeit verlieren. Folgt mir ins >AntizipatoriumRetterAntizipatorium< einzuschlagen, Cissel!« Cissel erstarrte überrumpelt. »Auch wir denken pragmatisch«, spottete Kai. »Finger weg von deiner Fleischtasche!« »Laß deine Muskelpakete lieber ruhen, unsere Strahler sind schneller«, fügte Mick drohend hinzu. Der Fahrer raste los, und zwei Straßenzüge weiter wuchs in der Ferne das »Antizipatorium« in die Höhe. Cissel verhielt sich still. Mit den Terranern hatte er nichts mehr zu schaffen. Und als der Wagen hielt, stieg er bereitwillig aus. »Du wirst die Zeittechniker davon überzeugen, daß wir sofort in das Jahr Null zurück müssen, verstanden?« Cissel wußte, daß das überflüssig sein würde und sagte es ihnen. »Ihr seid in der ProgressivZone. Man wird euren Wunsch hier respektieren.« Die Kontakter glaubten ihm. Gubs Berichten zufolge arbeiteten hier Wissenschaftler und Forscher aus allen Zonen Partos'. Vor allem aber die Progressivisten würden in der ihnen eigenen weltoffenen Art den Wunsch erfüllen. Sie entließen Cissel, der, als er in den Wagen stieg, mit seinen Gedanken schon bei Mrrs Frau weilte. Sie betraten das Gebäude und versuchten, das Zeit Manipulatorium ausfindig zu machen. Früher oder später, das wußten sie, mußten sie auf terranisch sprechende Parteken treffen. Schon im Erdgeschoß begegneten sie einem stieläugigen Parteken, der überrascht aufhorchte, als er ihre Unterhal
tung mitbekam. Er stellte sich als Mukrra vor und lauschte amüsiert ihrem Bericht. »Wir hätten Sie gern noch hierbehalten«, sagte er, als er sie im Lift nach oben brachte. »Andererseits können Sie uns auch nicht weiterhelfen. Aber wir können Ihnen wei terhelfen, indem wir versuchen, Sie in die Zeit der Lan dung auf unserem Planeten zurückzuschicken. Wir erfül len Ihnen den Wunsch also gern.« »Sie wußten von unserem Hiersein?« »Selbstverständ lich. Wir haben alles mitverfolgt. Es konnte gar nicht geheim bleiben. Auch wir haben unsere VMänner. Aus einer gefährlichen Situation hätten wir Sie sofort heraus geholt.« »Es war zweimal kurz davor«, bemerkte Kai. »Das erfuhren wir vor wenigen Stunden. Ihre Flucht vor den Selektionisten war das beste, was Sie machen konn ten. Von der zweiten bevorstehenden Nötigung erfuhren wir durch einen Unbekannten. Er nannte sich Mrr.« »Weshalb tat er es?« »Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist er einer von denen, die bald aus ihrer Zone auswandern werden.« Sie verließen den Lift und betraten das Zeit Manipulatorium. Mukrra warnte sie. »Die Zeittechnik ist noch im Anfangsstadium. Wir wis sen also nicht, wo genau und wann sie ankommen werden. Sicher in der Zukunft, und das dürfte genügen, denn dort wird man die Zeittechnik beherrschen.« Die Prozedur war so kurz, daß sie fast enttäuscht waren. Den Raum durchzog ein gewaltiges Tor, unter dessen Bogen sie sich stellen mußten. An den Wänden standen die Apparaturen und die Zeittechniker, die an ihrer Anwe
senheit keinerlei Interesse zeigten. Der Torbogen begann zu glühen, und im gleichen Moment begann das unange nehme Ziehen und Zerren in ihren Körpern. Die Umgebung verschwamm. Das Gefühl zwang sie zu Boden. *
Nin und Rol traten vom Fenster zurück, denn ihre seitli chen Augen hatten einen Besucher erfaßt, und die nach hinten gerichteten Ohren hatten ihn eintreten hören. Nin und Rol gehörten zwar der Sonderabteilung »Retter« an, erfüllten aber außerdem Aufgaben, wie sie alle Regie rungsvertreter zu erfüllen hatten. Denn Terraner waren zur Zeit nicht auf Partos anwesend. Sie sahen merkwürdig aus. Aus ihren spitzen Köpfen leuchteten drei gelbe Augen hervor. Ihre dicken Doppelnasen sahen aus wie Ofenrohre, und die zweiteiligen Ohren ragten wie Schornsteine in die Höhe. An dem zylindrischen, dünnen Rumpf hingen zwei Schlangenarme herab. Die Antiästheten standen auf zwei Beinen, die wie spitze Tüten wirkten, und die auseinander klappbar waren. Aus den zwei Beinen konnten so sechs Beine werden, die, weil jeweils drei zusammengewachsen waren, wie Stative aussahen. So sah sie der Händler Raf, der sie aufgesucht hatte. Sein Revier war die AntiZone, aber wie alle Händler fühlte er sich hier nicht zu Hause. Wie alle anderen hatte er eine andere Zone als Idealzone im Auge, und deren augen blickliche Körpermode machte er aus diesem Grunde auch mit. Nin lächelte Raf zu.
»Ich nehme an, es mit Raf zu tun zu haben?« »Selbstverständlich«, antwortete Raf. »Wie ich sehe, habt ihr euch wieder etwas Originelleres ausgedacht?« »Man tut, was man kann«, lachte Rol. »Diese Kreation hat uns sehr gefallen, also haben wir sofort zugegriffen.« »Sonderanfertigungen?« »Ja. Sie waren auch sehr teuer. Zu teuer, Raf!« »SegmentSonderanfertigungen sind und bleiben teuer. Das ist unvermeidbar. Uns gefällt das auch nicht.« »Ha, ha«, lachte Nin. »Doch nur, weil es angeblich zu wenig abwirft! Dein Körper ist jetzt Mode in der Neo Zone?« Raf bestätigte es. Auf seinem kugelrunden Körper saß ein kugelrunder Kopf mit einem grünen Riesenauge in der Mitte und grauen Haaren am Hals, die wie ein Pelzkragen wirkten. Raf kam zum Thema. »Eure Sammelbestellungen neuer Sonderanfertigungen sind leider nur unter verteuerten Bedingungen ausführbar. Wir können die Preise nicht mehr halten. Die Händler Kaste bittet euch noch einmal, euch der Konvention der Neoisten anzunähern. Es ist doch um so vieles einfacher, eine selbstgewählte Zeit lang eine Modeform einzuführen, als jederzeit für jeden Parteken eurer Zone Sonderwünsche zu erfüllen. Glaubt ihr denn .« »Halt!« stoppte Rol den Händler. »Wir verleugnen unse re Anschauung nicht. Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen.« »Wir sind nicht wie ihr. Wäre ja nicht das erste Mal, daß ihr Körper bestellt, bei denen der Kopf unten statt oben ist«, konterte Raf. »Von uns könnt ihr solche Kunststück chen nicht verlangen.«
»Wie hoch ist die Preissteigerung?« »Es handelt sich um einen zehnprozentigen Aufschlag.« »Was soll das heißen? Euer Profit ist unverhältnismäßig hoch. Was macht es aus, wenn er sinkt?« »Ihr seid unhöflich. Also: entweder ihr akzeptiert die neuen Preise, oder die Qualität der Segmente muß schlechter werden!« »Aha, also pure Erpressung. Wie immer!« stellte Rol erbost fest. »Und das, obwohl die Seuche uns zwingt, doppelt so oft neue Segmente zu erstehen als früher. Nein, wir lehnen ab!« »Lassen wir das Gequatsche!« sagte Raf ärgerlich. Er ließ die Maske der Freundlichkeit fallen. »Entweder oder. Vergeßt nicht, daß wir mächtiger sind. Eure Extra wünsche passen uns nicht. Und wenn die Gesamtregierung nicht bald was unternimmt, wird die konspirative Regie rung die Macht übernehmen. Dann geht's anders lang. Es wird Zeit, Partos neu zu ordnen. Diese verweichlichte Gesamtregierung ist unfähig, Partos zu regieren!« »So weit kommt es, daß uns diejenigen regieren, die schuld an der Krise sind«, ereiferte sich Rol. »Was tut die konspirative Regierung eigentlich gegen die Seuche? Nichts, denn es geht ihr nur um die absolute Macht.« »Die Seuche war ein Mißgeschick, nichts weiter. Wir müssen besser aufpassen, das gebe ich zu. Aber wozu eine Angstpsychose? Fest steht, daß Partos von den Terranern gerettet wird.« »Das Volk denkt anders«, redete sich Nin in Wut. »Das Volk fordert die Verstaatlichung des Segmenthandels. Mit gutem Recht, natürlich. Wir halten zwar nichts davon, aber es sieht so aus, als gäbe es keinen anderen Weg. Eure Macht ist zu groß geworden. Und das paßt uns auch
nicht.«. Raf schluckte Nins Kritik wortlos. Er lächelte nur. »Ich bin überzeugt, es wird euch gar nichts anderes üb rigbleiben, ab die NeoistenKonvention anzunehmen. Wenn nicht gleich, dann eben später.« »Was heißt hier eigentlich NeoistenZone?« rief Rol, um abzulenken. »Es sollte KonformistenZone heißen. Eine Anschauung, die der unseren entgegengesetzt ist, werden wir nicht übernehmen, das .« Ein Anti stolperte in den Raum. Er schob Raf unsanft beiseite und flüsterte mit den Regierungsvertretern. Nin und Rol sahen sich resignierend an, seufzten und unter schrieben Rafs Verträge. Raf lachte hinterhältig. Auf Rols Zeichen hin wurde er von dem Neuhinzugetretenen un höflich hinausexpediert, was seine Befriedigung in Wut umschlagen ließ. Nin wandte sich dem Neuen zu. »Du sagst, es sind nicht die erwarteten Terraner, Knillt?« Knillt gehörte ebenfalls zur Sonderabteilung »Retter« der Antiästheten. Er erzählte, was die in einem Segment kaufhaus materialisierten Terraner Ronda und Aplos ihm berichtet hatten. Rol bat Knillt, die beiden einzulassen. Als die Terraner vor ihnen standen, hatten sie ihre Wut auf Raf und die Händler noch immer nicht überwunden. Und das war wohl der Grund dafür, weshalb sie nach einer kurzen Unterhaltung auf ihre Probleme zu sprechen ka men. Das war ein unverzeihlicher Fehler. Doch die Parte ken konnten es nicht ahnen. Die Kontakter stimmten ihrer Meinung über die Kaste der Händler zu. Nin sprach plötzlich von der Aussichtslo sigkeit ihrer Situation und bat die Terraner um Rat. Die Gesprächspartner verhielten sich zurückhaltend und gaben
an, keinen Rat zu wissen. Daraufhin verlegte dich Rol aufs Bitten, weil er von Vertretern der terranischen Menschheit erwartete, daß sie Probleme dieser Art im Handumdrehen lösen könnten. Das war unbedacht. Die Reaktion der Terraner war ein eiskaltes Schweigen. »Wo befindet sich von hier aus gesehen das >Antizipato rium