Angela Ittel · Hans Merkens · Ludwig Stecher (Hrsg.) Jahrbuch Jugendforschung
Angela Ittel · Hans Merkens Ludwig Stecher (Hrsg.)
Jahrbuch Jugendforschung 10. Ausgabe 2010
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. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17656-7
Inhalt
Vorwort der Herausgeber ................................................................. 9
Thema A: Sozio-emotionale Faktoren im schulischen Lernprozess ................................................. 11 Vorwort .......................................................................................... 13 Tina Hascher und Gerda Hagenauer Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter – Verläufe und Einflussfaktoren ............................................................................. 15 Katharina Kohl, Katharina Striegler, Kirsten Peters und Birgit Leyendecker Positive Schuleinstellung, Lernfreude und respektvolle Schüler-Lehrer-Beziehung – die Situation von Kindern aus zugewanderten Familien in der Grundschule .......................... 46 Diana Raufelder und Sonja Mohr Zur Bedeutung sozio-emotionaler Faktoren im Kontext Schule unter Berücksichtigung neurowissenschaftlicher Aspekte ............ 74
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Inhalt
Thema B: Peers als Entwicklungshelfer im Jugendalter .................................................................... 97 Vorwort .......................................................................................... 99 Annegret Schmalfeld Wünsche von 12- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen für eine peer-freundlichere Schule in der PIN-Studie ............................... 101 Maik Philipp Entwicklungshelfer für das Lesen? Peers und ihr längsschnittlicher Beitrag für Lesemotivation und -verhalten ..... 126 Rebecca Lazarides Die Bedeutung von Freunden und Fachnote für das schulfachspezifische Interesse bei Mädchen und Jungen ............ 157
Trends........................................................................... 179 Vorwort ........................................................................................ 181 Menno Baumann Jugendgangs und Stadtteilcliquen – Interdisziplinäre Versuche des Verstehens .................................. 183 Tina Hascher und Markus Neuenschwander Schule und soziales Selbstkonzept im Jugendalter ...................... 207
Inhalt
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Internationale Länderberichte .................................. 233 Jean-Sébastien Fallu, Frédéric N. Brière, Frank Vitaro, Stéphane Cantin and Anne I. H. Borge The Influence of Close Friends on Adolescent Substance Use: Does Popularity Matter? .............................................................. 235
Projekte ........................................................................ 263 Vorwort ........................................................................................ 265 Sabine Bünger Die deutsche Peerforschung: ein historischer und methodischer Überblick über die Peerforschung im deutschsprachigen Raum von 1950-2007 ............................................................................. 267 Sonja Perren, Tina Malti and Kristina L. McDonald International research on peer relations in the 21st century: What’s new?................................................................................. 290
Klassiker ................................................................................... 317 Lothar Krappmann und Hans Oswald Beziehungsgeflechte und Gruppen von Gleichaltrigen Kindern in der Schule................................................................................. 318
Autorinnen und Autoren .............................................................. 371
Vorwort der Herausgeber
Das Jahrbuch Jugendforschung erscheint im zehnten Jahr mit der 9. Ausgabe. In dieser Ausgabe stehen Themen im Fokus, die in der internationalen Jugendforschung aber auch in der deutschsprachigen empirischen Bildungsforschung zunehmend an Präsenz und Aktualität gewinnen. Es werden unterschiedliche Herangehensweisen zu Aspekten im Lern- und Entwicklungsprozess Jugendlicher beleuchtet, die in der Literatur häufig als „weiche“ oder zweitrangige Faktoren diskutiert werden. Diese Faktoren beschreiben vorrangig das Zusammenwirken von emotionalen (z.B. Wohlbefinden) und sozialen (z.B. Freundschaften) Aspekten im Entwicklungsverlauf Jugendlicher. Dementsprechend stellen die Beiträge im ersten Themenblock die zentrale Bedeutung schulischen Wohlbefindens, einer positiven Lehrer-Schüler Beziehung und einer positiven Einstellung zur Schule für den Lernprozess im Jugendalter dar. Diese Beiträge wurden von den Gastherausgeberinnen Frau Dr. Diana Raufelder und Frau M.A. Sonja Mohr zusammengestellt, die mit einem spannenden theoretischen Beitrag zu neueren Ansätzen in der Arbeit zu sozio-emotionalen Faktoren im schulischen Lernprozess diesen Block abschließen. Der nächste Themenblock fokussiert die Bedeutung von sozialen Faktoren im persönlichen und schulischen Entwicklungsverlauf Jugendlicher, Qualitative und quantitative Untersuchungen zu Peerund Freundschaftskonzepten verdeutlichen deren zentrale Rolle, gerade auch in Hinblick auf schulische und akademische Entwicklungsprozesse. Auch wenn die Peerforschung in der deutschsprachigen Jugendforschung immer noch relativ wenig Verbreitung
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Vorwort der Herausgeber
findet, unterstreichen die Beiträge der drei Autor/-innen diesen Missstand und die Dringlichkeit diese sozialen Faktoren stärker in die empirische Bildungsforschung zu integrieren, um sie langfristig zu etablieren. Aus diesem Grund steht die Bedeutung von Peers im Jugendalter auch im Zentrum des dritten Themenblocks, in dem in einer Gegenüberstellung der deutschsprachigen und internationalen Peerforschung die zentralen Ergebnisse und Aspekte bisheriger Untersuchungen kontrastiert werden. Sabine Bünger gibt einleitend einen umfassenden historischen und methodischen Überblick über die Peerforschung im deutschsprachigen Raum. Dieser Beitrag basiert auf einer sehr akribischen und ausführlichen Recherche von Frau Sabine Riemer, der wir an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unseren Dank aussprechen möchten. Sonja Perren, Tina Malti und Kristina L. McDonald geben daran anknüpfend einen Überblick über den Stand der internationalen Peerforschung und entwerfen ausblickend spannende Ideen zur Weiterentwicklung dieses Forschungsgebiets. Ganz besonders erfreut waren wir auch, dass Lothar Krappmann und Hans Oswald eingewilligt haben, einen Beitrag wieder zu veröffentlichen, der inzwischen als Klassiker der deutschen Peerforschung gelten kann. Besonders im Hinsicht auf die derzeit aktuelle Diskussion zwischen Pädagog/-innen und Neurowissenschaftler/-innen um die Bedeutung von sozialen Aspekten des Lernens, ist es sicher sehr gewinnbringend, diesen Beitrag aus dem Jahr 1983 erneut zu lesen. Für diese Gelegenheit danken wir Lothar Krappmann und Hans Oswald. Die Redaktion dieses Bandes wurde an der Technischen Universität Berlin von Sonja Mohr betreut. Ihr gilt es hier noch einmal ausdrücklich zu danken. Angela Ittel, Hans Merkens und Ludwig Stecher
Thema A: Sozio-emotionale Faktoren im schulischen Lernprozess
Vorwort
Im ersten thematischen Schwerpunkt dieses Jahrbuchs diskutieren die Autorinnen und Autoren über die Frage nach der Bedeutung und dem Einflussgrad sozio-emotionaler Faktoren im schulischen Lernprozess. Gerade im Zuge neuester Erkenntnisse auf dem Gebiet der Emotionsforschung und neurowissenschaftlicher Ansätze, sowie bildungspolitischer Schulreformen, rücken Untersuchungen zur Qualität sozialer Beziehungen (endlich) auch in den Fokus der empirischen Schulforschung. Die drei hier gesammelten Beiträge stehen exemplarisch für diese Entwicklung, auch wenn die Autorinnen bereits seit Jahren dafür plädieren, sozio-emotionale Faktoren und deren Auswirkung auf schulische Lernprozesse in das Standardprogramm der Schulforschung aufzunehmen. Der erste Beitrag von Tina Hascher und Gerda Hagenauer fokussiert die anhaltenden Zweifel gegenüber dem Konzept des schulischen Wohbefindens, die sich hartnäckig halten und in denen teilweise sogar von einer lernabträglichen Wirkung gesprochen wird, obwohl doch Konsens darin besteht, dass Schule ein positiv konnotierter Lern- und Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche darstellt. Berichtet werden Ergebnisse einer Quer- und einer Längsschnittstudie an Salzburger Hauptschulen, die die Bedeutung schulischen Wohlbefindens in Bezug auf die Haltung gegenüber der Schule als auch in Bezug auf das Lernen unterstreichen. Auch Katharina Stiegler, Katharina Kohl, Kirsten Peters und Birgit Leyendecker haben sich in einer empirischen Fragebogenstudie an Grundschulen in NRW mit dem schulischen Wohlbefinden von Kindern beschäftigt, mit dem Ziel der Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen der Kinder und dem Einfluss von verschiedenen Interventionsprojekten (Training sozialer Kompe-
tenzen, musisch-künsterlisches Föerdeprojekt, Stressbewältigungstraining) in Bezug auf soziale Integration. Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder aus zugewanderten Familien im Vergleich zu Normstichproben positivere Einstellung zu Schule haben, ihre soziale Integration in die Klasse jedoch kritisch bewerten und dass das Selbstkonzept der Fähigkeiten erheblich zwischen einzelnen Schulen variiert. Diana Raufelder und Sonja Mohr sind in einer quantitativen Pilot-Studie an Berliner Gymnasien und Realschulen in Vorbereitung auf eine methodentriangulative längsschnittliche interdisziplinäre Studie, die neurowissenschaftliche Prozesse des Lernens mit pädagogisch-psychologisch und kulturanthropologischen Ansätzen kombiniert, der Frage nach möglichen Unterschieden in Bezug auf das Schüler-Schüler-Verhältnis und das Lehrer-Schüler-Verhältnis und deren Einfluss auf emotionale und verhaltensorientierte Aspekte schulischen Lernens nachgegangen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sozio-emotionale Faktoren vor allem für das Wohlbefinden in der Schule, aber auch für das Unterrichtsinteresse von Bedeutung sind. Während die Mitschüler für Schüler eine entscheidende Rolle auf der emotionalen Ebene (Wohlbefinden) spielen, ist der Lehrer auf der Verhaltensebene und in Bezug auf das Unterrichtsinteresse zentral.
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter – Verläufe und Einflussfaktoren Adolescents’ Well-Being in School – Time Courses and Antecedents Tina Hascher und Gerda Hagenauer
Zusammenfassung: Wohlbefinden in der Schule kann für Jugendliche eine wichtige Quelle für eine positive Entwicklung darstellen. Der vorliegende Text geht deshalb der Frage nach, wie sich der Verlauf des schulischen Wohlbefindens in der Sekundarstufe gestaltet und welche Faktoren einen Einfluss auf die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens im Jugendalter ausüben. Im Text werden zunächst der Begriff „Wohlbefinden in der Schule“, seine Funktionen und Einflussfaktoren kurz erläutert. Dann wird über zwei Studien berichtet, in denen das Wohlbefinden von Jugendlichen in der Schule untersucht wurde. Dabei wird deutlich, dass sich Komponenten des schulischen Wohlbefindens im Jugendalter geschlechtsspezifisch verändern – meist verschlechtern. Sowohl emotionale Faktoren auf Seiten der Schülerinnen und Schüler als auch Merkmale des Unterrichts und der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Klasse beeinflussen das Wohlbefinden in der Schule. Aus den Ergebnissen der Studien werden einige Implikationen für die pädagogische Praxis abgeleitet. Schlüsselwörter: Wohlbefinden, Jugendalter, Schule Abstract: Well-being in school can serve as an important source for adolescents’ development. Thus, the article tries to answer A. Ittel et al. (Hrsg.), Jahrbuch Jugendforschung, DOI 10.1007/978-3-531-93116-6_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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questions about the time course of scholastic well-being during secondary education and about the antecedents of student wellbeing. First, the term „well-being in school”, its functions and its predictors are introduced. Second, two studies about adolescents’ well-being in school are presented. Results show that the components of scholastic well-being change during adolescence, primarily a change for the worse, and that the change patterns are different for girls and boys. Emotional variables as well as indicators of instruction, and the quality of relationships in the classroom influence student well-being. Third, some implications for educational practice are suggested. Keywords: Well-Being, Adolescence, School
Das Verhältnis von Jugend und Schule kann durchaus als ambivalent bezeichnet werden. Einerseits begegnen Jugendliche der Schule mit hohen Erwartungen und Ansprüchen hinsichtlich der Unterstützung ihrer Kompetenzentwicklung und dem Aufbau von Allgemeinbildung und beruflicher Vorbildung (Zinnecker, Behnken, Maschke & Stecher, 2002). Andererseits vollziehen sich im Jugendalter auch negative Prozesse in Bezug auf die Schule. So musste beispielsweise wiederholt festgestellt werden, dass die schulische Lernfreude im Jugendalter deutliche Einbrüche erlebt und Distanzierungen gegenüber der Schule zunehmen (Eder, 1995a; Fend, 1997; Hagenauer, 2009). Im Sinne eines ressourcenorientierten Zugangs widmet sich der vorliegende Text dem Verlauf des schulischen Wohlbefindens in der Sekundarstufe 1 und geht der Frage nach, welchen Faktoren eine wichtige Rolle für die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens im frühen Jugendalter zukommt.
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Wohlbefinden in der Schule
Die Wohlbefindensforschung ist ein eher junger Forschungsbereich. Wesentliche Impulse gingen von frühen Arbeiten von Norman M. Bradburn (1969), Angus Campbell (1976) und den psychologischen Forschungsprogrammen um Ed Diener aus (z.B. 1984, 1994, 2000; für einen Kurzüberblick siehe Hascher, 2008). Eine zentrale Weiterentwicklung der Wohlbefindensforschung ist darin zu sehen, dass das Konzept „Wohlbefinden“ präzisiert und anhand eines Mehrkomponentenmodells (Ryff & Keyes, 1995) beschrieben wurde. Erste wichtige Erkenntnisse zum Wohlbefinden Jugendlicher lieferten Grob und Kollegen (Grob, Lüthi, Kaiser, Flammer, Mackinnon & Waering, 1991; Grob, Wearing, Little, Wanner & Euronet, 1996) sowie Vittersø (1998). Sie konnten beispielsweise zeigen, dass die einzelnen Komponenten bei Jugendlichen unterschiedlich ausgeprägt und von den individuellen Lebensverhältnissen beeinflusst sind. In einzelnen Studien wurden geschlechtsspezifische Unterschiede festgestellt. Dabei scheinen Mädchen eher ungünstige Werte aufzuweisen (Dzuka & Dalbert, 1996; Fend, 1997). Allmählich fand die Wohlbefindensforschung auch Eingang in der empirisch-pädagogischen Schulforschung. Zunächst noch als Einzelitem erhoben (Fend, Knörzer, Nagl, Specht & VäthSzusdziara, 1976; Fend, 1997), dann anhand einer eher unspezifischen Auswahl sozial-emotionaler Variablen zum Begriff „Befindlichkeit“ bzw. „Wohlbefinden“ gebündelt (Eder, 1995a; auch Eder, 2007), wird heute auch das schulische Wohlbefinden auf der Grundlage eines Mehrkomponentenmodells untersucht. Dabei konnten die folgenden sechs Komponenten des Wohlbefindens bestätigt werden (Hascher, 2004a): (1) positive Einstellungen gegenüber der Schule, (2) Freude in und an der Schule, (3) schulisches Selbstbewusstsein, (4) keine Sorgen wegen der Schule, (5) keine
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körperlichen Beschwerden wegen der Schule und (6) keine sozialen Probleme in der Schule. Die bisherigen zentralen Befunde zum Wohlbefinden in der Schule können wie folgt zusammengefasst werden (Eder, 1995a, 2007; Fend, 1997; Hascher, 2004):
Prinzipiell dokumentieren Schülerinnen und Schüler eher hohe Wohlbefindenswerte. Dennoch ergeben sich für einzelne Komponenten eher problematische Werte, z.B. die relativ geringen Möglichkeiten des Freudeerlebens in der Schule. Wiederholt zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Befundlage ist jedoch heterogen. Im Verlauf der Schulzeit sinkt das Wohlbefinden in der Schule ab.
Mehrkomponenten-Ansätze, in denen verschiedene Teildimensionen des Wohlbefindens ausgewiesen werden (Hascher, 2004a, 2008, im Druck; Konu & Linthonen, 2005, 2006; Konu & Rimelä, 2002), berücksichtigen die komplexe Struktur des Wohlbefindens und ermöglichen einen differenzierten Zugang zur Erklärung seiner Entstehung und Entwicklung. Die Wohlbefindensforschung stellt damit eine wichtige Ergänzung zur schulischen Emotions- und Leistungsforschung dar, bei der es in der Regel um die Bedeutung einzelner diskreter, aktueller und/oder habitueller Emotionen geht (z.B. Frenzel, Goetz & Pekrun, 2009; Goetz, Frenzel & Pekrun, 2007; Hascher, 2010; Pekrun, Goetz, Titz & Perry, 2002).
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Funktionen des Wohlbefindens in der Schule
In verschiedenen Ansätzen zum schulischen Wohlbefinden bzw. zur Rolle positiver Emotionen in der Schule (siehe z.B. Hascher, 2004b) wird deren Funktionalität begründet. Es wird beispielsweise darauf verwiesen, dass Wohlbefinden in einem Zusammenhang mit schulischen Qualitätskriterien steht, der Entwicklung von Selbst-
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und Sozialkompetenzen dient, einen Beitrag zur Gesundheit und zu salutogenetischem Verhalten leistet sowie ein Klima des Vertrauens und der emotionalen Sicherheit ermöglicht. Die Funktionen des Wohlbefindens wurden bisher jedoch kaum systematisiert. Aus einer Meta-Perspektive lassen sich drei Funktionen des Wohlbefindens von Schülerinnen und Schülern unterscheiden (Hascher, im Druck; Hascher & Edlinger, 2009): 1.
2.
3.
3
Indikationsfunktion: Fühlen sich Kinder und Jugendliche in ihrer Schule wohl, so kann dies als Indikator für eine positive Bewertung des schulischen Umfelds interpretiert werden. Wohlbefinden spiegelt damit vor allem die erfolgreiche Bewältigung schulischer Anforderungen und/oder die Qualität sozialer Interaktionen wider. Bildungsfunktion: Wohlbefinden in der Schule erweist sich zwar nicht als direkter Prädiktor für schulische Leistungen. Es stellt jedoch eine notwendige kognitive und emotionale Grundlage dar, auf der erfolgreiches Lernen stattfinden kann. Es ermöglicht eine positive Lehr-Lernumgebung, welche die Entwicklung des Individuums fördert. Präventionsfunktion: Wohlbefinden in der Schule kann unter salutogenetischer Perspektive als eine Ressource für den Umgang mit Schule verstanden werden. Probleme und Schwierigkeiten lassen sich eher vermeiden und besser meistern, wenn sich Schülerinnen und Schüler wohl fühlen.
Prädiktoren und Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden in der Schule
Die gezielte Unterstützung des Wohlbefindens in der Schule bzw. die Prävention eines unerwünschten Rückgangs erfordert die Identifikation seiner Einflussgrößen. Wohlbefinden wird von einer Reihe von Faktoren (mit-)bestimmt und dementsprechend als ein Mehrquellenphänomen bezeichnet (Diener, 1984). Sozialen Aspekten wird dabei ein besonderer Stellenwert zugesprochen. Die Einflussgrößen lassen sich auf drei Ebenen ansiedeln (siehe auch Hascher im Druck):
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1.
2.
3.
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Auf der Ebene des Individuums spielen Aspekte der Persönlichkeit und der individuellen kognitiven und emotionalen Lernvoraussetzungen eine Rolle, z. B. die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Jerusalem & Mittag, 1999), sowie das Geschlecht (Eder, 1995b), die Schulerfahrungen und das Alter (Eccles et al., 1993; Fend, 1997). Die Ebene des Unterrichts ist maßgeblich durch die Lehrpersonen und die Qualität ihres Unterrichts, aber auch durch die sozialen Interaktionen der Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer bestimmt. Als einflussreich erwiesen sich beispielsweise die individuelle Bezugsnormorientierung (Jerusalem & Mittag, 1999), die Unterrichtsqualität und die Fürsorglichkeit einer Lehrperson sowie die soziale Integration in der Klasse (Hascher, 2004a). Mit der Ebene des Schulsystems wird einerseits die Qualität der Schule, andererseits die Passung der Jugendlichen zur Schule angesprochen. Letzteres repräsentiert sich beispielsweise durch den Befund, dass sich Schülerinnen und Schüler mit guten Leistungen in der Schule eher wohl fühlen (Eder, 1995b; Hascher, 2004a).
Auf allen Ebenen bilden sich Interaktionen zwischen Person und Umwelt ab. Bei einer Auflistung dieser Faktoren gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass noch Bedarf an empirischen Studien besteht, welche diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen weiter überprüfen. Unklar ist beispielsweise, wie Wohlbefinden mit anderen lern- und leistungsrelevanten Emotionen wie Angst und Langeweile (Hascher, 2007; Götz & Frenzel, 2006) zusammenhängt. Zu wenig ist bekannt über die Einflussmöglichkeiten, die von spezifischen Gestaltungsaspekten des Unterrichts ausgehen (Lipowski, 2009). Diese Fragen sind insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Teilkomponenten des Wohlbefindens durch unterschiedliche Faktoren bedingt wird (Hascher, 2004a), von besonderer Wichtigkeit.
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Forschungsfragen
Um allgemeine Veränderungen des Wohlbefindens in der Schule einerseits, andererseits seinen spezifischen Verlauf und die Rolle verschiedener Einflussfaktoren von Seiten der Schülerinnen und Schüler, der Lehrpersonen und ihrer Interaktion zu erhellen, wurde anhand von zwei Studien den folgenden fünf Fragen nachgegangen: 1. 2. 3.
4.
5.
Welche Veränderungen vollziehen sich hinsichtlich der Komponenten des schulischen Wohlbefindens in der Sekundarstufe 1? Inwiefern unterscheiden sich die Verläufe des schulischen Wohlbefindens von Mädchen und Jungen? Welche Entwicklungen lassen sich zwischen der 6. und 7. Schulstufe, die in der Literatur mitunter als „kritische Stufe“ eingeschätzt wird (z.B. Eder, 1995; Fend, 1997), bei Mädchen und Jungen identifizieren? Wie bedeutungsvoll sind negative Schüleremotionen, Unterrichtsmerkmale und Aspekte sozialer Interaktion im Klassenzimmer für die Komponenten des Wohlbefindens in der Schule? Welche Unterschiede hinsichtlich der Einflussfaktoren lassen sich aus dem Vergleich der verschiedenen Wohlbefindenskomponenten erschließen?
In Abbildung 1 sind die zu untersuchenden Einflussfaktoren (Fragestellung 4 und 5) zusammenfassend dargestellt.
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Tina Hascher und Gerda Hagenauer
Abbildung 1:
Modell zum Einfluss sozial-emotionaler Faktoren und Aspekten der Unterrichtsqualität auf das Wohlbefinden in der Schule
Geschlecht Lernlangeweile Lernangst
Schüler/innen
Interaktionen
Klassenklima Beziehung zu Lehrpersonen
5 Methode Lehrpersonen
Wohlbefinden in der Schule
Instruktionsqualität Unterrichtstempo Ind. Bezugsnormorient.
In den Schuljahren 2007-2009 wurden zwei Studien zum Wohlbefinden von Schülerinnen und Schüler im Jugendalter durchgeführt. Diese werden im Folgenden beschrieben.
5.1 Studie 1 5.1.1 Stichprobe Die Stichprobe bestand aus 431 Schülerinnen und Schülern (44 % weiblich; 56 % männlich) einer ländlichen Hauptschule mit einem sportlichen Schwerpunkt. 28 % der Schüler und Schülerinnen (n = 121) besuchten die 5. Schulstufe, 23 % (n = 100) die 6. Schulstufe, 28 % (n = 120) die 7. Schulstufe und 21 % (n = 93) die 8. Schulstufe. Das Durchschnittsalter lag bei 11.92 Jahren (SD = 1.23).
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5.1.2 Design Im Rahmen einer größeren Befragung im Querschnittsdesign mit einem Messzeitpunkt im Frühjahr 2009 wurde auch das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler erhoben. Mit Hilfe dieses Designs wurde ein Quasi-Längsschnitt über die verschiedenen Schulstufen simuliert, mit dem Ziel, das schulische Wohlbefinden unterschiedlicher Schulstufen abzubilden, zu vergleichen und einen möglichen „Entwicklungstrend“ zu modellieren. Für die Gesamtdatenerhebung, die von geschulten Testleiter/innen durchgeführt wurde, standen zwei Unterrichtseinheiten zur Verfügung.
5.1.3 Instrumente Die Befragung fand schriftlich während der Unterrichtszeit mittels Fragebogen statt. Zur Erhebung des schulischen Wohlbefindens wurde das von Hascher (2004a) entwickelte Messinstrument in seiner Kurzform angewendet. Entsprechend der theoretischen Differenzierung schulischen Wohlbefindens in mehrere Teilkomponenten wurde dieses empirisch mehrdimensional abgebildet und erhoben. Der Fragebogen zum schulischen Wohlbefinden setzte sich aus folgenden sechs Konstrukten zusammen (Hascher, 2004a): 1. 2.
3. 4.
PES: Positive Einstellungen zur Schule (3 Items, z.B. „Ich gehe gerne in die Schule.“, Cronbachs = 0.83) FIS: Freudeerleben in der Schule (3 Items, z.B. „Kam es in den letzten Wochen vor, dass du dich in der Schule gefreut hast, weil eine Lehrperson freundlich zu dir war?“, Cronbachs = 0.70) SSW: Schulischer Selbstwert (3 Items, z.B. „Ich habe keine Probleme, die Anforderungen in der Schule zu bewältigen.“, Cronbachs = 0.71) SOS: Sorgen wegen der Schule (3 Items, z.B. „Hast du dir in den letzten Wochen Sorgen gemacht wegen der Schulnoten?“, Cronbachs = 0.70)
24 5.
6.
Tina Hascher und Gerda Hagenauer SOP: Soziale Probleme in der Schule (3 Items, z.B. „Kam es in den letzten Wochen vor, dass du Probleme mit deinen Mitschüler/innen hattest?“, Cronbachs = 0.80) KOB: Körperliche Beschwerden (4 Items, z.B. „Kam es in den letzten Wochen vor, dass dir schlecht wurde in der Schule vor lauter Aufregung?“, Cronbachs = 0.78)
Die Komponenten SOS, SOP und KOB wurden umgepolt, sodass sie für die Analysen als „Abwesenheitskomponenten“ vorliegen (= Abwesenheit von Sorgen, sozialen Problemen und körperlichen Beschwerden). Somit repräsentiert auch hier eine hohe Ausprägung ein hohes schulisches Wohlbefinden. Das schulische Wohlbefinden wurde auf einer 6-stufigen Likert- Skala gemessen (1 = nie / trifft nicht zu; 6 = sehr oft / trifft genau zu).
5.2 Studie 2 5.2.1 Stichprobe 356 Schüler und Schülerinnen aus städtischen Hauptschulen sowie aus Hauptschulen aus dem städtischen Umfeld (9 Schulen, 17 Klassen) nahmen an der Studie teil (51 % Jungen, 49 % Mädchen). Das Durchschnittsalter lag zu Beginn der Studie, das heißt in der 6. Schulstufe, bei 11.9 Jahren (SD = 0.66).
5.2.2
Design
Die Studie war als Längsschnittstudie mit vier Messzeitpunkten konzipiert. Die erste Datenerhebung erfolgte kurz nach der Mitte des 6. Schuljahres im Frühjahr (t1), die letzte Messung zum selben Zeitpunkt ein Jahr später in der 7. Schulstufe (t4). Zwischen diesen beiden Messzeitpunkten fanden zwei weitere Messungen statt, wobei die erste Zwischenmessung am Ende der 6. Klasse (t2) und die
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zweite zwei Monate nach Beginn der 7. Schulstufe (t3) durchgeführt wurde. Die Hauptmessungen (t1 / t4) erstreckten sich über zwei Unterrichtseinheiten (á 50 Minuten plus Pause), die Zwischenmessungen über eine Unterrichtseinheit. Das schulische Wohlbefinden stellte einen Themenbereich dar, der im Zuge dieser vierfach angelegten Untersuchung erhoben wurde. Die Datenerhebung fand während der regulären Unterrichtszeit statt und wurde von geschulten Testleiter/innen durchgeführt.
5.2.3
Instrumente
Als Messinstrument wurde ein Fragebogen eingesetzt, der sowohl das schulische Wohlbefinden als auch schulische Umweltmerkmale und weitere Schülerinnen- und Schülermerkmale umfasste. Das schulische Wohlbefinden wurde mit dem Kurzfragebogen zum Wohlbefinden in der Schule (Hascher, 2004a, siehe Punkt 5.1.3) erhoben. Die interne Konsistenz der Subskalen erwies sich als zufrieden stellend (PES: Cronbachs 0.721; FIS: Cronbachs 0.89; SSW: Cronbachs 0.76; SOS: Cronbachs 0.80; SOP: Cronbachs 0.75; KOB: Cronbachs 0.79). Als sozial-emotionale Einflussgrößen wurden zu t1 und t4 die folgenden Konstrukte gemessen: 1.
2. 3.
Lernlangeweile (in Anlehnung an Titz, 2001; 5 Items, z.B. „Beim Lernen denke ich häufig, dass die Zeit überhaupt nicht vergeht.“, Cronbachs 0.88) Lernangst (in Anlehnung an Titz, 2001; 4 Items, z.B. „Wenn ich lernen muss, habe ich häufig Angst.“, Cronbachs 0.80) Klassenklima (in Anlehnung an von Saldern & Littig, 1987; 4 Items, z.B. „In der Klasse halten wir zusammen.“, Cronbachs 0.84)
1 „Cronbachs “ bedeutet, dass die interne Konsistenz der Skala zu keinem der vier Messzeitpunkte unter dem genannten Wert lag.
26 4.
5.
6.
7.
Tina Hascher und Gerda Hagenauer Klarheit der Instruktion (in Anlehnung an Eder, 1995 und von Saldern & Littig, 1987; 5 Items, z.B. „Unsere Lehrer/innen erklären so gut, dass wir auch schwierige Dinge verstehen können.“, Cronbachs 0.79) Unterrichtstempo (in Anlehnung an von Saldern und Littig, 1987; 3 Items, z.B. „Wir bekommen im Unterricht oft viel zu wenig Zeit, um den neuen Stoff zu verstehen.“, Cronbachs 0.68) Individuelle Bezugsnormorientierung (in Anlehnung an Schwarzer und Jerusalem, 1999; 3 Items, z.B. „Unsere Lehrer/innen loben auch die schlechtesten Schüler/innen, wenn sie merken, dass sie sich verbessert haben.“, Cronbachs 0.62) Lehrer-Schüler-Integration (in Anlehnung an Eder, 1995; Hascher, 2004a; Rauer & Schuck, 2003; 7 Items, z.B. Ich fühle mich von meinen Lehrer/innen akzeptiert.“, Cronbachs 0.86)
Während das schulische Wohlbefinden auf einer 6-stufigen LikertSkala (1 = nie / trifft nicht zu; 6 = sehr oft / trifft sehr zu) gemessen wurde, liegen die weiteren Umwelt- und Personenmerkmale in einem 4-stufigen Format vor (1 = stimmt gar nicht; 4 = stimmt genau).
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Ergebnisse
6.1 Das Wohlbefinden der Schüler und Schülerinnen in der Sekundarstufe 1 Um die Veränderungen der Teilkomponenten schulischen Wohlbefindens in der Sekundarstufe 1 unter Berücksichtigung des Geschlechts zu überprüfen, wurde eine MANOVA mit den Subskalen schulischen Wohlbefindens als abhängige Variablen sowie dem Geschlecht und der Klassenstufe (vierstufig) als unabhängige Variablen berechnet. Multivariate Tests bestätigen sowohl einen Effekt der Klassenstufe (Pillai’s Trace = 0.210, F(3, 419) = 5.22, p < 0.001, partielles 2 = 0.07), des Geschlechts (Pillai’s Trace = 0.074, F(1, 419) = 5.51, p < 0.001, partielles 2 = 0.07), als auch einen Interaktionseffekt Klassenstufe und Geschlecht (Pillai’s Trace =
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
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0.081, F(3, 419) = 1.93, p < 0.001, partielles 2 = 0.03), auf das schulische Wohlbefinden. Bei Einzelbetrachtung der Subskalen des schulischen Wohlbefindens zeigt sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Klassen hinsichtlich ihrer positiven Einstellungen zur Schule (PES; F(3, 419) = 7.22, p = 0.002, partielles 2 = 0.03, Stufe 5-7***), im Freudeerleben in der Schule (FIS, F(3, 419) = 10.81, p < 0.001, partielles 2 = 0.07; Stufe 5-7***, 5-8***), in Bezug auf die Sorgen wegen der Schule (SOS, F(3, 419) = 8.13, p < 0.001, partielles 2 = 0.06, Stufe 5-7***, 6-7**) und im Verspüren von körperlichen Beschwerden (F(3, 419) = 5.02) p = 0.002, partielles 2 = 0.04, Stufe 5-7**, 6-7*, 7-8**). Durch paarweise Vergleiche mittels Post-hocTests wurde die 7. Klassenstufe als jene Altersgruppe mit den niedrigsten Kennwerten im schulischen Wohlbefinden in den vier Subskalen identifiziert (siehe Abbildung 2a-2f). Keine signifikanten Unterschiede zeigen sich zwischen den Klassen in Bezug auf die durchschnittliche Höhe des schulischen Selbstwerts (SSW) und das Ausmaß an sozialen Problemen (SOP). Im Geschlechtervergleich weisen Mädchen positivere Einstellungen zur Schule auf als Jungen (PES: F(1, 419) = 22.60, p < 0.001, partielles 2 = 0.05) und ihr Freudeerleben ist stärker ausgeprägt (FIS: F(1, 419) = 7.38, p = 0.007, partielles 2 = 0.02). Allerdings berichten Mädchen häufiger von körperlichen Problemen, die durch die Schule ausgelöst werden (KOB: F(1, 419) = 6.68, p = 0.01, partielles 2 = 0.02), und sie machen sich mehr Sorgen wegen der Schule (SOS: F(1, 419) = 7.67, p = 0.006, partielles 2 = 0.02). Kein genereller Geschlechterunterschied liegt im schulischen Selbstwert und der Häufigkeit sozialer Probleme vor. Interaktionseffekte Geschlecht mal Klassenstufe lassen sich in Bezug auf die positiven Einstellungen zur Schule (PES: F(3, 419) = 4.83, p = 0.003, partielles 2 = 0.03), auf das Freudeerleben (FIS: F(3, 419) = 3.38, p = 0.02, partielles 2 = 0.02) und auf die Sorgen in der Schule (SOS: F(3, 419) = 2.80, p = 0.04, partielles 2 = 0.02)
28
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
festhalten. So nehmen die positiven Einstellungen zur Schule und das Freudeerleben in der Schule für Mädchen und Jungen zwischen der 5. und 7. Schulstufe ab. Beide Teilbereiche steigen bei den Mädchen in der Abschlussklasse der Sekundarstufe 1 (8. Schulstufe) wieder an, bei Jungen dagegen setzt sich der Abwärtstrend fort. Beim Sorgeerleben zeigen sich in der 5. und 6. Schulstufe keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Allerdings berichten Mädchen in der 7. Schulstufe über deutlich mehr Sorgen als Jungen2. In der 8. Schulstufe kommt es zu einer „Beruhigung“ – d.h. es werden weniger Sorgen als noch in der 7. Schulstufe berichtet –, allerdings bleibt der Geschlechterunterschied zu Gunsten der Jungen bestehen. Die beschriebenen Veränderungen schulischen Wohlbefindens – getrennt nach Mädchen und Jungen und nach Klassenstufe – sind in den nachfolgenden Abbildungen 2a bis 2f illustriert. Abbildung 2:
Positive Einstellungen zur Schule in der Sekundarstufe 1
5
Jungen
Mädchen
PES
4.51
4.62 4.05
4 3.89
3.98
3.73 3.47
3.27
3 5
6
7
8
Klassenstufe
2 In Abbildung 2d wird dieser Trend durch eine Abwärtsbewegung gekennzeichnet, da die Abbildung die Mittelwerte der Skala „Abwesenheit von Sorgen in der Schule“ darstellt. Eine Verringerung des Mittelwerts bedeutet eine Abnahme schulischen Wohlbefindens in dieser Subskala und somit eine Zunahme schulischen Sorgeerlebens.
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
Abbildung 3:
29
Freudeerleben in der Schule in der Sekundarstufe 1
5
Jungen
Mädchen
4.53 FIS
4.50 4
4.23
4.27 3.77
4.04
3.72 3.31 3 5
6
7
8
Klassenstufe
Abbildung 4:
Schulischer Selbstwert in der Sekundarstufe 1
5
Jungen
SSW
4.21 4 4.02
Mädchen 4.55
4.39 4.13
4.11
4.20 3.83
3 5
6
7 Klassenstufe
8
30
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
Abbildung 5:
Abwesenheit von Sorgen in der Schule in der Sekundarstufe 1
Abwesenheit SOS
5
Jungen 3.77
4
Mädchen
3.55
3.62
3.32
3.78 3.56
3
2.84 2.62
2 5
6
7
8
Klassenstufe
Abbildung 6:
Abwesenheit sozialer Probleme in der Schule in der Sekundarstufe 1
Abwesenheit SOP
6
Jungen 5.11
Mädchen
5.11
5.10
4.74
5 5.00
4.73
5.02
4.93
4
3 5
6
7 Klassenstufe
8
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter Abbildung 7:
31
Abwesenheit körperlicher Beschwerden in der Schule in der Sekundarstufe,
Abwesenheit KOB
6
5
Jungen 4.80
Mädchen 5.15
4.79 4.43
4.74 4
4.43
4.57 4.03
3 5
6
7
8
Klassenstufe
6.2 Studie 2 6.2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede im Verlauf des Wohlbefindens zwischen der 6. und 7. Schulstufe Zur Überprüfung der Fragestellung, wie sich die Komponenten schulischen Wohlbefindens zwischen der 6. und 7. Schulstufe verändern und inwiefern hier das Geschlecht eine Rolle spielt, wurde eine MANOVA mit Messwiederholung (vier Messzeitpunkte) durchgeführt. Die Berechnung ergibt sowohl einen signifikanten Zeiteffekt (Pillai’s Trace = 0.103, F(3, 822) = 4.84, p < 0.001, partielles 2 = 0.03) als auch einen signifikanten Geschlechtseffekt (Pillai’s Trace = 0.077, F(1, 274) = 3.76, p = 0.001, partielles 2 = 0.08), jedoch keinen signifikanten Interaktionseffekt zwischen Wohlbefinden und Geschlecht. Daraus kann geschlossen werden, dass sich das Wohlbefinden der Mädchen und Jungen zwischen der 6. und 7. Schulstufe ähnlich entwickelt.
32
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
Zwischen der 6. und 7. Schulstufe zeigen sich in vier der sechs Teilkomponenten schulischen Wohlbefindens signifikante Veränderungen (PES: F(3, 822) = 10.35, p < 0.001, partielles 2 = 0.04; FIS: F(3, 822) = 12.86, p < 0.001, partielles 2 = 0.05; SSW: F(3, 822) = 5.74, p = 0.001, partielles 2 = 0.02; SOP: F(3, 822) = 6.36, p < 0.001, partielles 2 = 0.02 ). Signifikante Mittelwertsunterschiede in den Wohlbefindenskomponenten zu den verschiedenen Testzeitpunkten (Post-hoc-Tests; Bonferroni Korrektur) sind den Abbildungen 3a-3f zu entnehmen. Abbildung 8:
Verlauf der positiven Einstellungen zur Schule zwischen Klassenstufe 6 und 7
PES
5
Jungen 4.26
4.18
Mädchen
4.13
4
3.93 3.80
3.72
3.68
3.38
3 t1
t2
t3 MZP
t4
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter Abbildung 9:
Verlauf des Freudeerlebens in der Schule zwischen Klassenstufe 6 und 7
5
Jungen 4.41
4.37 FIS
33
4
4.15
Mädchen
4.29
3.98
4.01 3.77
3.97
3 t1
t2
t3
t4
MZP
Abbildung 10: Verlauf des schulischen Selbstwerts zwischen Klassenstufe 6 und 7
SSW
5
Jungen 4.17
4.11 4 3.89
Mädchen
4.16
4.00
3.92 3.81
4.08
3 t1
t2
t3 MZP
t4
34
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
Abbildung 11: Verlauf der Abwesenheit von Sorgen in der Schule zwischen Klassenstufe 6 und 7
Abwesenheit SOS
5
Jungen
4.03 4
3.95
3.79 3.74
3.63
Mädchen
3.73 3.71
3.64
3 t1
t2
t3
t4
MZP
Abbildung 12: Verlauf der Abwesenheit von sozialen Problemen in der Schule zwischen Klassenstufe 6 und 7
Abwesenheit SOP
6
5
Jungen 4.71
4.97
5.15
4.94
5.04
Mädchen 5.06 4.79
4 3.82 3 t1
t2
t3 MZP
t4
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
35
Abbildung 13: Der Verlauf der Abwesenheit von körperlichen Beschwerden zwischen Klassenstufe 6 und 7
Abwesenheit KOB
6
5
Jungen 4.93 4.87
5.19
5.09
4.94
4.83
Mädchen 4.93 4.84
4
3 t1
t2
t3
t4
MZP
Betreffend des Freudeerlebens (FIS) ist ein genereller Abwärtstrend zu erkennen. Die positiven Einstellungen zur Schule (PES) erhöhen sich zum Ende der 6. Klasse (Ende des Schuljahres) kurzfristig, sinken in der 7. Schulstufe allerdings wieder ab. Dasselbe gilt für den schulischen Selbstwert (SSW), der zwar etwas länger stabil bleibt als die positiven Einstellungen zur Schule, in der zweiten Hälfte des 7. Schuljahres dann aber ebenso signifikant abnimmt. Die sozialen Probleme (SOP) sind am Ende der 6. und zu Beginn der 7. Schulstufe geringer ausgeprägt als in der Mitte der beiden Schuljahre. Zu t1 (Mitte 6. Schulstufe) und t4 (Mitte 7. Schulstufe) unterscheidet sich das Ausmaß an sozialen Problemen allerdings nicht, weshalb nicht von einer Zunahme an sozialen Problemen zwischen den beiden Schulstufen gesprochen werden kann. Vielmehr gibt es Variationen in Abhängigkeit vom Verlauf des Schuljahres. Dies zeigt sich auch beim Ausmaß an Sorgen und körperlichen Problemen: Die Sorgen und körperlichen Probleme sind während des 6. bzw. 7. Schuljahres höher als am Ende des Schuljahres bzw. zu Beginn des neuen Schuljahres.
36
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
Neben dem Messzeitpunkt zeigt auch der Faktor“Geschlecht“ einen signifikanten Einfluss auf das schulische Wohlbefinden. Mädchen weisen positivere Einstellungen zur Schule (PES: F(1, 274) = 13.81, p < 0.001, partielles 2 = 0.05) und ein höheres Freudeerleben in der Schule auf (FIS: F(1, 274) = 9.06, p = 0.003, partielles 2 = 0.03). Hinsichtlich der vier weiteren Komponenten (schulischer Selbstwert sowie Abwesenheit von Sorgen, körperlichen Beschwerden und sozialen Problemen) ergeben sich keine Geschlechterunterschiede (p > 0.05).
6.2.2 Einflussgrößen schulischen Wohlbefindens Das schulische Wohlbefinden wird von individuellen und Kontextfaktoren beeinflusst. Mittels multivariater Varianzanalysen, in welchen die Subskalen des schulischen Wohlbefindens als abhängige Variablen und ausgewählte sozial-emotionale Aspekte sowie Faktoren der Unterrichtsqualität als Kovariaten fungierten, wurde ein Einflussmodell schulischen Wohlbefindens (siehe Abb. 1) zu den Messzeitpunkten 1 und 4 überprüft. Durch den Einbezug der Kovariaten wird der Einfluss der intervallskalierten unabhängigen Variablen auf die abhängigen Variablen berechnet. Als unabhängige Variablen wurden die Lernlangeweile und die Lernangst als Schülervariablen, die Instruktionsqualität, das Unterrichtstempo und die individuelle Bezugsnormorientierung als Lehrervariablen sowie die Beziehung zu den Lehrpersonen und das Klassenklima als Interaktionsvariablen in das Modell aufgenommen3. Diese Berechnungen ermöglichten es, den speziellen Einfluss der jeweiligen unabhängigen Variable auf spezifische Teilkomponenten schulischen Wohlbefindens aufzuzeigen. Analog der bisherigen Berechnungen fanden die Auswertungen für Mädchen und Jungen ge-
3 Die Interkorrelationen zwischen den Variablen sind dem Anhang zu entnehmen.
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
37
trennt statt. Pro Messzeitpunkt (t1 und t4) wurde ein Modell erstellt. Für das schulische Wohlbefinden der Mädchen erweisen sich zu beiden Messzeitpunkten die schulische Langeweile (2t1 = 0.16; 2t4 = 0.25), die Lernangst (2t1 = 0.22; 2t4 = 0.12), das Klassenklima (2t1 = 0.09; 2t4 = 0.17), die Klarheit der Instruktion (2t1 = 0.14; 2t4 = 0.05n.s.), das Unterrichtstempo (2t1 = 0.20; 2t4 = 0.08) und die Beziehung zu den Lehrkräften (2t1 = 0.11; 2t4 = 0.12) als wirksame Einflussfaktoren. Die individuelle Bezugsnormorientierung trägt nur in der 7. Schulstufe zu einer signifikanten Varianzaufklärung bei (2t4 = 0.11)4. Bei den Jungen ergibt sich ein ähnliches, aber nicht identisches Muster: Signifikanten Einfluss auf das Wohlbefinden zeigen sowohl in Klassenstufe 6 als auch in Klassenstufe 7 die Lernlangeweile (2t1 = 0.29; 2t4 = 0.15), die Lernangst (2t1 = 0.19; 2t4 = 0.12) und das Klassenklima (2t1 = 0.22; 2t4 = 0.12). Zusätzlichen Einfluss hat in der 6. Schulstufe das positive Verhältnis zu den Lehrpersonen (2t1 = 0.12) – dieser Effekt löst sich jedoch in der 7. Schulstufe auf. Dafür steigt in der 7. Schulstufe die Bedeutung des Unterrichtstempos (2t4 = 0.11), der Klarheit der Instruktion (2t4 = 0.11) und der individuellen Bezugsnormorientierung (2t4 = 0.12) auf ein signifikantes Niveau. Bei Betrachtung der partiell erklärten Varianz fällt insbesondere die Veränderung der Bedeutung der einzelnen Einflussgrößen bei Mädchen und Jungen auf. Während die Einflussgröße „Klassenklima“ bei den Mädchen zwischen der Schulstufe 6 und 7 zunimmt, ist hier bei den Jungen ein gegenteiliger Trend zu beobachten. Ebenso verhält es sich mit der Lernlangweile. Die Unterrichtsfaktoren Instruktionsqualität und Unterrichtstempo, bei den Mädchen in der 6. Schulstufe signifikante Einflussgrößen, verlieren die4 Die interne Konsistenz der Skala „Individuelle Bezugsnormorientierung“ ist allerdings zu t1 (6. Schulstufe) mit Cronbachs = 0.62 relativ gering. Dies muss in der Ergebnisbetrachtung mitbedacht werden.
38
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
sen Status in der 7. Schulstufe, während in diesem Beobachtungszeitraum bei den Jungen ein deutlicher Bedeutungszuwachs zu erkennen ist. Bisher wurden die generellen Effekte (2) der Einflussfaktoren auf das schulische Wohlbefinden dargestellt. Tabelle 1 ist nun zu entnehmen, auf welche Teilkomponenten des schulischen Wohlbefindens diese nun spezifisch wirken. Dargestellt wurden nur die signifikanten Faktoren. Tabelle 1: Der spezifische Einfluss ausgewählter Umwelt- und Personmerkmale auf die Teilkomponenten schulischen Wohlbefindens Mädchen Schulstufe Einflussfaktor Lernlangeweile Lernangst
Klassenklima
Klarheit der Instruktion Unterrichtstempo
Individuelle Bezugsnormorientierung Beziehung zu den Lehrpersonen
6.
WohlbefindensKomponente PES FIS SSW SOS SOP KOB PES SSW FIS SOP PES FIS SSW SOS KOB SSW
F (1, 157) 17.64*** 7.73** 7.69** 26.23*** 5.59* 7.71** 4.36*
2
5.24* 7.01** 12.91*** 10.58*** 4.51* 21.85*** 14.21***
0.03 0.04 0.08 0.06 0.03 0.12 0.08
PES SSW SOP
10.14** 13.02***
0.10 0.05 0.05 0.14 0.03 0.05 0.03
Jungen 6. Schulstufe 2
F (1, 159) 36.62*** 19.00*** 9.62** 5.74* 6.29* 14.96*** 13.34*** 6.33* 22.95*** 8.09**
0.19 0.11 0.06 0.04 0.04 0.09 0.08 0.04 0.13 0.05
4.82*
0.03
4.24*
0.03
5.93*
0.04
0.06 0.08
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
39
Mädchen 7. Schulstufe
Lernlangeweile
Lernangst
Klassenklima
Klarheit der Instruktion
Unterrichtstempo
Individuelle Bezugsnormorientierung Beziehung zu den Lehrpersonen
PES SSW FIS SSW SOS KOB PES SSW FIS SOP KOB PES SSW FIS SOP PES SSW SOS SOP KOB PES FIS SOS SSW SOS KOB
F (1, 157) 47.36*** 7.20** 10.48***
2
7.26* 14.66***
0.05 0.09
5.90* 15.89*** 5.45* 4.80*
0.04 0.09 0.03 0.03
9.13**
0.24 0.05 0.06
Jungen 7. Schulstufe 2
F(1, 166) 26.18***
0.14
5.73* 6.67* 9.30** 12.19*** 4.08* 6.05*
0.03 0.04 0.05 0.07 0.02 0.03
6.53* 8.58** 5.12* 9.63** 4.17*
0.04 0.05 0.03 0.06 0.02
5.26* 5.32* 8.33** 13.37***
0.03 0.03 0.05 0.08
0.06
5.53*
0.04
7.54** 7.49** 5.18* 6.22*
0.05 0.05 0.03 0.04
Aus den Analysen wird ersichtlich, dass die Lernlangeweile vor allem eine Beziehung zu den Einstellungen zur Schule aufweist: Ist die Lernlangeweile hoch ausgeprägt, sind die Einstellungen eher negativ. Die Lernangst erklärt in der 6. Schulstufe 14 % der Varianz im Sorgeerleben der Mädchen – dieser Einfluss lässt allerdings in der 7. Schulstufe nach und beträgt zu diesem Zeitpunkt nur
40
Tina Hascher und Gerda Hagenauer
noch 4 % für Mädchen und Jungen. Das Klassenklima erweist sich bei den Jungen als Einflussfaktor für deren positive Einstellung zur Schule und deren Freudeerleben. Ebenso steht das Klassenklima mit dem schulischen Selbstwert und in der 7. Schulstufe mit der Abwesenheit sozialer Probleme in einem Zusammenhang bei den Jungen. Bei den Mädchen erklärt das Klassenklima in der 7. Schulstufe 9 % der Varianz hinsichtlich ihrer sozialen Probleme in der Schule. Des Weiteren ist das Klassenklima in geringerem Ausmaß ein Einflussfaktor für deren positive Einstellungen zur Schule, deren Freuderleben und deren Abwesenheit von körperlichen Problemen (t4). Für die Mädchen in der 6. Schulstufe bestätigt sich die Klarheit der Instruktion als relevant für die Entwicklung der positiven Einstellungen zur Schule und das Freudeerleben in der Schule. Dieser Effekt verringert sich jedoch etwas in der 7. Schulstufe. Bei Jungen dagegen hat die Klarheit der Instruktion in der 7. Schulstufe sogar einen Einfluss auf deren schulischen Selbstwert. Das Unterrichtstempo erklärt in der 6. Schulstufe vor allem Teilkomponenten des Wohlbefindens der Mädchen (schulischer Selbstwert, Sorgen wegen der Schule, körperliche Beschwerden), während es bei Jungen nicht als bedeutsam aufscheint. Dies ändert sich jedoch in der 7. Schulstufe – hier werden die positiven Einstellungen der Jungen sowie ihre körperlichen Beschwerden zu etwa 3-5 % durch das Unterrichtstempo erklärt. Die individuelle Bezugsnormorientierung stellt im Vergleich zu den anderen Variablen eine eher geringe Einflussgröße schulischen Wohlbefindens dar. Am stärksten ist eine Verbindung zum Freudeerleben der Jungen in der 7. Schulstufe zu erkennen (2 = 0.11). Eine gute Beziehung zu den Lehrpersonen (Lehrer-Schüler-Integration) steht vor allem in positiver Verbindung zum Wohlbefinden der Mädchen (abermals mit den Komponenten schulischer Selbstwert, Sorgen wegen der Schule, körperliche Beschwerden), während sich hier bei den Jungen nur geringe erklärte Varianzanteile – in der 6. Schulstufe für schulischen Selbstwert und soziale Probleme – ergeben.
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter 7
41
Diskussion
Ausgehend von einem Mehrkomponentenmodell des Wohlbefindens wurden die Ergebnisse von zwei Studien zum schulischen Wohlbefinden im Jugendalter vorgestellt. Die Querschnittdaten der Studie 1 dienten dem Ziel, weitere Informationen über die Prävalenz des schulischen Wohlbefindens in der Sekundarstufe 1 zu gewinnen. Dazu wurden die sechs Teilkomponenten des Wohlbefindens einzeln untersucht, denn ihr Verlauf kann sich unterschiedlich gestalten (Hascher, 2004a). Mädchen und Jungen wurden getrennt analysiert, da auch hier unterschiedliche Ausprägungshöhen und Verläufe des schulischen Wohlbefindens zu erwarten waren (Eder, 1995). Die Ergebnisse bestätigen ein Vorgehen, das sowohl zwischen Teilkomponenten des Wohlbefindens als auch zwischen den Geschlechtern differenziert. Die Schulbiografien von Mädchen scheinen durch eine ambivalente Haltung gegenüber der Schule gekennzeichnet zu sein: Einerseits weisen sie zwar positivere Einstellungen auf und erleben mehr Freude als Jungen, andererseits leiden sie häufiger unter Sorgen und körperlichen Beschwerden. Bei Jungen sind eher negative Ausprägungen in nahezu allen Komponenten des schulischen Wohlbefindens zu beobachten. Für Mädchen und Jungen ist es gleichermaßen erforderlich, dem Abwärtstrend hinsichtlich des schulischen Wohlbefindens entgegenzuwirken. Ein wichtiger Ansatzpunkt pädagogischen Handelns liegt unseres Erachtens darin, die Mädchen im Schulalltag zu entlasten. So könnten die Sorgen der Mädchen beispielsweise durch die Verbesserung der Transparenz von Anforderungen und Erwartungen sowie gezielter Unterstützung in Lern- und Leistungsprozessen reduziert werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass Jungen häufiger positive Erfahrungen sammeln und Freude in der Schule erleben können, z.B. durch das Eröffnen neuer Möglichkeiten des Kompetenzerlebens. Die als Längsschnittstudie konzipierte Studie 2 sollte einen vertieften Einblick in eine Altersphase gewähren, die hinsichtlich der
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Tina Hascher und Gerda Hagenauer
emotional-motivationalen Entwicklung gegenüber der Schule und dem Lernen als kritisch bezeichnet wird: die 6. und 7. Schulstufe (Eder, 1995; Fend, 1997). Zusammenfassend ergibt sich für die Teilkomponenten „Positive Einstellungen zur Schule“, „Freude in der Schule“ und „Schulischer Selbstwert“ eine signifikante Abnahme zwischen der 6. und 7. Schulstufe. Für die Komponenten, die Sorgen und Beschwerden abbilden, lässt sich kein Negativtrend (also keine Zunahme von Sorgen und Beschwerden) beobachten. Des Weiteren ist das schulische Wohlbefinden vom Verlauf des Schuljahres und den damit einhergehenden Schwerpunkten beeinflusst (z.B. Erholungseffekt zu Beginn eines Schuljahres; Leistungsdruck während des Schuljahres; Ausflüge und abwechslungsreiche Projekte am Schuljahresende etc.). Künftige Studien zum schulischen Wohlbefinden sollten somit neben dem generellen Trend (Entwicklung des Wohlbefindens über mehrere Schuljahre) auch Schwankungen während eines laufenden Schuljahres in ihre Analysen einbeziehen. Eine differenzierte Analyse von wohlbefindensabträglichen Anlässen würden wichtige Anhaltspunkte für die Konzeption von Präventionsprogrammen liefern. Neben der Modellierung des Verlaufs des schulischen Wohlbefindens sollten auch dessen soziale und emotionale Einflussgrößen und die Bedeutung der Unterrichtsqualität näher bestimmt werden. Die untersuchten Variablen erwiesen sich – mit Ausnahme der Bezugsnormorientierung der Lehrpersonen – als relevante Einflussgrößen. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass diese spezifisch auf die Wohlbefindenskomponenten wirken, so dass nicht von einem generellen Einfluss auf das schulische Wohlbefinden ausgegangen werden kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Wohlbefinden von Mädchen und Jungen unterschiedlich beeinflusst wird. Ebenso ist die Bedeutung dieser Merkmale für die Komponenten schulischen Wohlbefindens über den beobachteten Zeitraum nicht stabil, sondern sie unterliegt Schwankungen, was sich in unterschiedlich
Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
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hohen erklärten Varianzanteilen in der 6. und 7. Schulstufe niederschlägt. Trotz der Komplexität der Ergebnismuster lassen sich folgende pädagogische Konsequenzen ableiten, mit dem Ziel, dem abnehmenden Wohlbefinden im Verlauf der Sekundarstufe 1 entgegenzuwirken:
Das Auftreten von Langeweile und das Erleben von Angst in der Schule sind gezielt zu vermeiden. Für Mädchen und Jungen ist das Klassenklima bedeutsam für ihr Wohlbefinden. Hier sollten Lehrpersonen ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten (z.B. Unterstützung für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten) professionell nutzen. Auf die Klarheit des Unterrichts und auch ein angemessenes Unterrichtstempo ist zu achten. Dabei gilt es beispielsweise, den didaktischen Mut zur Langsamkeitstoleranz (Helmke & Schrader, 1990) zu entwickeln. Die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sollte sich auf gegenseitige, individuell erlebbare Wertschätzung und Anerkennung gründen.
Literatur Bradburn, N. M. (1969). The Structure of Psychological Well-Being. Chicago: Aldine. Campbell, A. (1976). Subjective Measures of Well-Being. American Psychologist, 31, 117-124. Diener, E. (1984). Subjective Well-Being. Psychological Bulletin, 95 (3), 542575. Diener. E. (1994). Assessing Subjective Well-Being: Progress and Opportunities. Social Indicators Research, 31, 103-157. Diener, E. (2000). Subjective Well-being. The Science of Happiness and a Proposal for a National Index. American Psychologist, 55 (1), 34-43. Dzuka, J. & Dalbert, C. (1996). Subjektives Wohlbefinden niederösterreichischer und ostslowakischer Jugendlicher im Vergleich. Psychologie, Erziehung, Unterricht, 43, 281-290. Eccles, J. S., Midgley, C., Wigfield, A., Miller-Buchanan, C., Reuman, D., Flanagan, C. & Mac Iver, D. (1993): Development during Adolescence. The impact of stageenvironment fit on young adolescents’ experience in schools and in families. American Psychologist, 48 (2), 90-101. Eder, F. (Hrsg.). (1995a). Das Befinden von Kindern und Jugendlichen in der Schule. Innsbruck: Studienverlag.
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Tina Hascher und Gerda Hagenauer
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Schulisches Wohlbefinden im Jugendalter
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Positive Schuleinstellung, Lernfreude und respektvolle Schüler-Lehrer-Beziehung – die Situation von Kindern aus zugewanderten Familien in der Grundschule Positive attitudes towards school, motivation to study and respectful student-teacher-relationships – the situation of children from immigrant families in elementary school Katharina Kohl, Katharina Striegler, Kirsten Peters & Birgit Leyendecker
Zusammenfassung: Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Situation von Grundschulkindern (N = 354) in Klassen, in denen der Großteil der Kinder (80 %) aus zugewanderten Familien stammt. Ziel war neben der Erfassung der emotionalen und sozialen Schulerfahrungen der Kinder (gemessenen mit dem Fragebogen FEESS, Rauer & Schuck 2003, 2004) die Untersuchung des Einflusses von zwei verschiedenen Interventionsansätzen (1. Gewaltprävention und Training sozialer Kompetenzen, 2. musisch-künstlerische Förderung) auf das wahrgenommene Sozial-, Lern- und Schulklima. Die hier untersuchten Schulklassen lagen im Hinblick auf das Sozial-, Lern- und Schulklima überwiegend im mittleren bis oberen Normbereich. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Klima in Grundschulklassen mit einem hohen Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien – entgegen allgemeiner Erwartungen – deutlich positiv ist. Die eingesetzten Interventionsmaßnahmen waren A. Ittel et al. (Hrsg.), Jahrbuch Jugendforschung, DOI 10.1007/978-3-531-93116-6_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
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geeignet für die Verbesserung von spezifischen Bereichen des Klassenklimas. Schlüsselwörter: Kinder mit Migrationshintergrund, Klassenklima, Lernklima Abstract: This article addresses the situation of elementary school students in classes with a high percentage of children from immigrant families. Our main objective was to examine the emotional and social experiences of these students (measured by the FEESS questionnaire). Moreover, we analyzed the effects of two intervention programs (social competency training and music-theater) on various aspects of the perceived school climate. In contrast to prevalent expectations, we found that the perceived climate in the classrooms was rather positive, within or above average. Furthermore, we found positive effects of both intervention programs, indicating that children can indeed benefit from such projects. Keywords: children from immigrant families, school climate, academic motivation
1
Einleitung
Ziel der vorliegenden Studie war die Darstellung des Schulklimas in Grundschulklassen mit einem hohen Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien. Spätestens seitdem Eltern in NordrheinWestfalen1 wählen können, welche Grundschule ihr Kind besucht, ist die schulische Segregation deutlich sichtbar geworden. Unabhängig davon, ob sie eine Zuwanderungsgeschichte haben oder 1 Änderung des Schulgesetzes 2005, Umsetzung bis spätestens 2008 (Kristen 2008)
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K. Kohl, K. Striegler, K. Peters und B. Leyendecker
nicht, ist es vielen bildungsbeflissenen Eltern ein Anliegen, ihre Kinder auf Grundschulen zu schicken, in denen möglichst viele Kinder gut Deutsch sprechen können, die Lernanforderungen hoch und die Übergänge in die Hauptschule gering sind (Kristen 2005; Riedel, Schneider, Schuchart & Weishaupt 2009). Die Mehrheit der zugewanderten Eltern verfügt jedoch über weniger Informationen zum deutschen Schulsystem und so ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Kinder nach wie vor auf die nächstgelegene Grundschule schicken, vergleichsweise höher (Kristen 2008; Riedel et al. 2009). Dies führt dazu, dass in Städten schon im Grundschulalter Schulen keine wirklichen Gemeinschaftsgrundschulen mehr sind, sondern die Schüler getrennt nach dem Bildungsstatus ihrer Eltern unterrichtet werden (Strohmeier, Wunderlich & Lersch 2009). Dies führt auch dazu, dass es in manchen Schulen zu einer Konzentration von Kindern, die nur auf wenige Ressourcen aus ihren Familien zurückgreifen können, kommt (Bühler-Niederberg 2009) und spätestens seit dem in der Öffentlichkeit viel beachteten Brief der Lehrer der Berliner Rütli-Schule (Rütli-Schule, 2006) sind Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern aus bildungsfernen Schichten mit negativen Stereotypen behaftet. In der vorliegenden Studie gehen wir der Frage nach, ob und wenn ja in welchen Bereichen eine Häufung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien das Klassen- und Lernklima in Grundschulen beeinflusst. Bevor wir im Folgenden das Forschungsdesign unserer Studie genauer darstellen, soll zunächst das Konzept von Klima im schulischen Kontext betrachtet und definiert werden.
2
Schule und Klima
Der Begriff Klima wird im Zusammenhang mit Schule recht unterschiedlich verwendet. Fend (1977, S. 64) definiert das Schulklima
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
49
zum Beispiel aus sozialisationstheoretischer Perspektive als ,,die Art und Weise, wie Sozialisationsprozesse in veranstalteter Form durchgeführt werden, die ,Verlebendigung' institutioneller Verhältnisse durch die Individualität der Lehrer und Schüler und die dabei entstehenden Lebensformen“. Eder (1996, S. 15) erweitert die Definition um den Bereich der Schulkultur und bezeichnet Klima als das „insgesamt der innerschulischen Bedingungen und Prozesse, das für den Einfluss der Schule auf ihre Schüler ausschlaggebend ist“. Er spricht von Schulklima „als die von den Betroffenen (Schüler, Eltern, Lehrer) wahrgenommene Ausprägung wesentlicher Merkmale des erzieherischen Verhältnisses zwischen Lehrern und Schülern, des Verhältnisses der Schüler untereinander sowie erzieherisch bedeutsamer kollektiver Einstellungen und Verhaltensbereitschaften von Lehrern und Schülern innerhalb der jeweiligen Lernumwelt“ (Eder 1998, S. 39). Auch König (2007, S. 126) schreibt von „wahrgenommenen Lernumweltmerkmalen“ als Kern von Schulklima. Gemäß diesen Definitionen ist Klima ein sehr breites Konstrukt, das viele verschiedene Aspekte umfasst. Je nach inhaltlichem Fokus, je nach untersuchter Organisationsebene bzw. Gruppe oder je nach Bezug ergeben sich unterschiedliche KlimaFacetten, zum Beispiel das Werte-Klima, das Lehrer-Klima, das kollektive Klima, das Individualklima und ähnliches (Eder & Mayr 2000). Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt in Anlehnung an Rauer und Schuck (2003, 2004) auf zwei unterschiedlichen Aspekten des wahrgenommenen Klimas in einer Klasse: dem Sozial- und dem Lernklima. Das Sozialklima umfasst die zwei Bereiche soziale Integration und Klassenklima (Rauer & Schuck 2003, 2004). Soziale Integration bezieht sich darauf, wie das Individuum die Beziehungen der anderen Schüler zu sich selber sieht (Bezugsfrage: Wie geht es mir in der Klasse?). Klassenklima wiederum bezieht sich darauf, wie sich die Klasse als Gemeinschaft versteht (Bezugsfrage: Wie geht es uns als Klasse?). Das Lernklima hingegen umfasst
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sowohl die Perspektive des Individuums als auch die Anforderungs- und Arbeitsbedingungen sowie die Rückmeldungen, die ein Individuum durch seine Lehrer bekommt (Rheinberg 2005). Zum Lernklima aus der Perspektive des Individuums gehören Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft und Schuleinstellung (Bezugsfragen: Wie gefällt es mir in der Schule? Inwieweit bin ich bereit, mich anzustrengen? Wie gerne lerne ich etwas in der Schule?). Zum Lernklima in Zusammenhang mit dem Lehrer gehört das Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrer, das heißt inwieweit werden diese vom Schüler als unterstützend, gerecht und zugewandt erlebt. Das Sozialklima definiert also in erster Linie die Qualität der Schüler-Schüler-Beziehungen, während das Lernklima vor allem die individuellen Lernhaltungen der Schülerinnen und Schüler sowie die Rückmeldungen durch die Lehrer umfasst. Sozial- und Lernklima tragen somit gemeinsam zum Schulklima im Sinne einer allgemeinen Atmosphäre der Schule bei.
2.1 Relevanz und Auswirkungen von schulischem Klima Das Sozial- und Lernklima ist für die Erreichung schulischer und pädagogischer Ziele von großer Bedeutung und wird mit einer Vielzahl von Auswirkungen in Verbindung gebracht (für eine Übersicht siehe Eder 1996; Satow 1999). So erlaubt Schule – als eine wichtige Sozialisationsinstanz – Kindern zum Beispiel den Erwerb sozialer Kompetenzen sowie situationsangemessenen Verhaltens und angemessener Umgangsformen – Wissen, das notwendig ist, um in der Gesellschaft sowie im weiteren Leben bestehen zu können. Ein gutes Sozialklima, das heißt zum Beispiel soziale Akzeptanz in der Klasse, spielt bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen eine wichtige Rolle (Schneider 2005). Darüber hinaus ist das Schulklima auch in Hinblick auf die physische und psychische Gesundheit von großer Bedeutung (Oer-
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
51
ter 1995). In einer Umwelt, die ein sehr hohes Stress-Potential mit sich bringt (Leistungssituationen, Rivalität, hierarchische Strukturen), kann das schulische Klima Belastungen erzeugen und verschärfen, es kann diese aber auch abmildern und ausgleichen (Eder 1996). Absentismusraten stehen dementsprechend auch in Zusammenhang mit dem Schulklima: ein besseres Schulklima geht mit niedrigeren Absentismusraten einher (Stamm 2008; Pinquart & Masche 1999). Hier spielt auch die Klassenführung durch Lehrer eine Rolle. Nach Hasselhorn und Gold (2006) tragen Lehrer, die für eine fröhliche und effektive Lernumgebung sorgen, dazu bei, Störungen und Verhaltensprobleme zu minimieren und so eine wichtige Rahmenbedingung für erfolgreiches Lernen zu schaffen. Der Beitrag der Lehrer zum Klassenklima wirkt sich auch auf die Motivation der Schüler aus (Satow 1999): Schüler, die sorgfältige, individuelle Rückmeldungen durch ihre Lehrer erhalten (Rheinberg & Krug 2005) und sich von ihnen unterstützt fühlen (Wentzel 1997), zeigen eine höhere Leistungsbereitschaft.
2.2 Schulisches Klima in Klassen mit Kindern aus zugewanderten Familien – Überlegungen und aktueller Forschungsstand Kinder aus zugewanderten Familien decken das gesamte schulische Leistungsspektrum ab, jedoch schneiden viele von ihnen im Vergleich zu deutschen Kindern recht schlecht ab. Sie sind doppelt so häufig von Sitzenbleiben und Sonderschulüberweisung betroffen wie ihre deutschen Mitschüler und Mitschülerinnen und erreichen überproportional häufig nur einen Hauptschulabschluss oder bleiben ganz ohne Abschluss (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Diese Unterschiede in der Bildungslaufbahn haben sich in den letzten Jahren sogar noch vergrößert (Autorengruppe Bildungsberichterstattung
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K. Kohl, K. Striegler, K. Peters und B. Leyendecker
2008). Als Erklärung des schlechten Abschneidens und gleichzeitig zur Rechtfertigung der Strukturen und Praktiken im Rahmen der Schulübergänge werden nicht selten stereotype und vorurteilsbehaftete Vorstellungen über die Herkunftskultur der Kinder herangezogen (konfliktträchtige Sitten und Gebräuche, negative Einstellung der Kinder bzw. ihrer Eltern zu Schule, Lernen und Disziplin, Problematisierung von Bilingualismus). Die Gründe für das (angebliche) Scheitern werden also in Defiziten der Kinder selbst, ihrer familiären Situation und ihrer Herkunftskultur gesehen (Diefenbach 2009; Gomolla & Radtke 2009). Einschätzungen dieser Art führen möglicherweise dazu, dass die Anforderungen an Kinder aus zugewanderten Familien höher sind als die an ihre deutschen Mitschüler: Nur wenn die Kinder besonders gute Schulleistungen zeigen, wird eine Empfehlung für eine höhere weiterführende Schule gegeben (Auernheimer, von Blumenthal, Stübig & Willmann 1996; Bos, Lankes, Prenzel, Schwippert, Valtin & Walther 2004). Außerdem bergen die beschriebenen Einschätzungen die Gefahr, dass den Kindern – um sie zu schonen und vor (vermeintlichem) Misserfolg zu schützen – der Zutritt zu höherer Bildung verwehrt wird (Gomolla & Radtke 2009). In Anbetracht dieser Berichte scheint es wenig verwunderlich, wenn Kinder bzw. Jugendliche mit Migrationshintergrund Frustration angesichts nicht vorhandener oder versperrter Zukunftsmöglichkeiten entwickeln. Entsprechend dem aufkeimenden Gefühl, ohnehin zu den Verlierern zu gehören, sinkt auch die Motivation, sich in der Schule anzustrengen oder zu engagieren – Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft nehmen ab, Schulverweigerung und Schulabsentismus (Stamm, Ruckdäschel, Templer & Niederhäuser 2009; Wagner, Dunkake & Weiß 2003) sowie schulische Desidentifikation nehmen hingegen zu (Steele 1997). Darüber hinaus fanden Untersuchungen zum Lehrerverhalten Hinweise auf Beeinträchtigungen der Schüler-Lehrer-Beziehung in Klassen mit hohem Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
53
(Auernheimer 2008; Marburger, Helbig & Kienast 1997). Hierbei geht es weniger um offene Diskriminierung oder rassistische Äußerungen, sondern primär um fehlende Sensibilität der Lehrerinnen und Lehrer im Sinne mangelnder interkultureller Kompetenz. Darunter fällt zum Beispiel ein falsch verstandener Universalismus, das heißt eine Gleichbehandlung aller Kinder, bei der kulturelle Unterschiede ignoriert oder negiert werden. Dies kann – trotz möglicher positiver Intention der Lehrerinnen und Lehrer – bei den Schülerinnen und Schülern als Desinteresse und mangelnde Unterstützung empfunden werden (Auernheimer 2008; Auernheimer et al. 1996; Marburger, Helbig et al. 1997). Das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler, mögliche Diskriminierungserfahrungen und Lehrerinnen und Lehrer, die nur unzureichend für eine deutlich veränderte, multikulturell zusammengesetzte Schülerschaft ausgebildet worden sind, legen die Vermutung nahe, dass sich in Klassen mit einem hohen Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien ein tendenziell schlechteres Sozial-, Lern- und Schulklima entwickelt. Ein negatives Bild des Klimas in Klassen mit hohem Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien wird jedoch besonders häufig von weiterführenden Schulen gezeichnet und hier wiederum nicht von Gymnasien und Realschulen, sondern vor allem von Hauptschulen sowie in einem geringeren Maße von Gesamtschulen. Wir wissen bisher allerdings noch wenig darüber, wie es bei den Grundschülern, die noch nicht auf unterschiedliche Schulformen aufgeteilt worden sind, diesbezüglich aussieht. Die wenigen Forschungsarbeiten, die sich mit schulischem Klima oder verwandten Konstrukten befassen, liefern keine Hinweise für ein besonders schlechtes Klima. Diefenbach (2006) berichtet zum Beispiel, dass sich deutsche, türkische und russlanddeutsche Grundschulkinder hinsichtlich der schulischen Sozialisation (hier z.B. Schulfreude, Schulangst, Beliebtheit in der Klasse) wenig unterscheiden, ja sogar türkische Kinder tendenziell lieber in die Schule gehen als Deutsche. Nauck
54
K. Kohl, K. Striegler, K. Peters und B. Leyendecker
(2006) fand keine Unterschiede zwischen türkischen und einheimischen Kindern im schulischen Konfliktverhalten und Gisdakis (2007) konnte in einer Studie zum schulischen Wohlbefinden ebenfalls keine Zusammenhänge mit dem Migrationsstatus der Schüler finden. Zusammenfassend zeigen die bisherigen Ausführungen zum einen die Relevanz von Sozial- und Lernklima, zum anderen machen sie deutlich, dass das Klassen- und Lernklima an weiterführenden Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus zugewanderten und sozial benachteiligten Familien nicht selten beeinträchtigt ist, dass wir jedoch noch wenig über das Klima in Grundschulklassen mit einem hohen Anteil an zugewanderten Kindern wissen. Vor diesem Hintergrund soll im vorliegenden Beitrag unsere Untersuchung zum Schulklima an Grundschulen in sozial schwachen Stadtteilen mit besonders hohem Anteil an zugewanderten Kindern dargestellt werden (Teil I). Darüber hinaus möchten wir auch auf unterschiedliche Ansätze eingehen, Lernfreude und soziale Integration der Kinder durch Interventionen im Schulalltag zu fördern (Teil II).
3
Teil I: Das Klima in Grundschulklassen mit hohem Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien
3.1 Methode 3.1.1 Stichprobe Die Stichprobe umfasst 354 Schülerinnen und Schüler (57,9 % Jungen) aus insgesamt 18 Klassen der Stufen eins bis vier aus Bochum und Duisburg. Insgesamt waren Klassen aus vier Grundschulen an dieser Studie beteiligt. Alle Grundschulen lagen in Stadtteilen, die in den Sozialraumstatistiken der beiden Städte durch be-
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
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sonders hohe Prozentsätze von Arbeitslosigkeit, Sozialhilfeempfängern, Ausländern sowie durch hohe Fluktuation und geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet waren. Die Schulen wurden aufgrund ihrer Lage in einem problematischen Stadtteil angesprochen und alle erklärten sich bereit, an der Studie teilzunehmen. Der Anteil der Kinder aus zugewanderten Familien variierte in den Klassen zwischen 61,1% und 100% (M = 82,8%). Ein großer Teil dieser Kinder (50,8%) wuchs mit türkischer Muttersprache auf. Im Durchschnitt waren 13,6% der Kinder schon zu alt für ihre jeweilige Klassenstufe (Range: 5,4% – 24,2%).
3.1.2 Instrumente Zur Erhebung von Schul-, Lern- und Sozialklima wurde der Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern erster und zweiter bzw. dritter und vierter Klassen (FEESS 1-2 und FEESS 3-4; Rauer & Schuck 2004, 2003) eingesetzt. Über insgesamt sieben Skalen sollen mit dem FEESS die drei Dimensionen Sozialklima, Schul- und Lernklima sowie das Fähigkeitsselbstkonzept erfasst werden. Der Dimension Selbstkonzept ist die Skala Selbstkonzept der Schulfähigkeit (SK) zugeordnet, die messen soll, inwieweit ein Kind sich den Anforderungen der Schule gewachsen fühlt und wie es seine schulischen Fähigkeiten bewertet (Beispielitem: „Ich kann meine Aufgaben meistens alleine lösen.“). Die Skalen Soziale Integration (SI) und Klassenklima (KK) konstituieren die Dimension Sozialklima. Soziale Integration erfasst, inwieweit sich ein Kind in der Klasse angenommen und integriert fühlt (Beispielitem: „Ich darf beim Spielen auf dem Schulhof mitmachen.“). Betont wird hier der Ich-Bezug, während es bei der Skala Klassenklima um die Klassengemeinschaft als Ganzes geht. Diese Skala erfasst das Verhältnis der Schüler untereinander bzw.
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K. Kohl, K. Striegler, K. Peters und B. Leyendecker
ihren sozialen Umgang miteinander (Beispielitem: „Alle Kinder dürfen mitspielen.“). Der Dimension Schul- und Lernklima sind folgende Skalen zuzuordnen: Schuleinstellung (SE) erfasst, inwieweit ein Kind sich in einer Schule insgesamt wohl fühlt (Beispielitem: „Ich bin fröhlich, wenn ich in der Schule bin.“). Die Skala Gefühl des Angenommenseins (GA) bezieht sich auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis und misst, inwieweit sich ein Kind von seinen Lehrerinnen und Lehrern verstanden und unterstützt fühlt (Beispielitem: „Meine Lehrer mögen mich.“). Die beiden letzten Skalen Anstrengungsbereitschaft (AB) und Lernfreude (LF) beziehen sich auf den Aspekt des Lernens, also auf das Lernklima. Anstrengungsbereitschaft erfasst zum einen, inwieweit ein Kind bereit ist, sich anzustrengen und sich zu bemühen, die schulischen Anforderungen zu bewältigen. Zum anderen erfasst diese Skala aber auch, inwieweit das Kind offen für Neues ist und sich darauf einlassen kann (Beispielitem: „Ich gebe mein Bestes in der Schule.“). Lernfreude misst das Ausmaß, in dem ein Kind mit Freude an schulische Aufgaben herangeht und diese mit positiven Gefühlen verbindet (Beispielitem: „Ich lerne gern in der Schule.“). Der FEESS wurde auf Klassenebene ausgewertet. Die im Manual angegebenen internen Konsistenzen liegen für die Individualdaten je nach Klassenstufe und Skala zwischen .63 und .94, für die Klassendaten zwischen .76 und .97. Das Material ist sehr anschaulich und die angegebene Bearbeitungszeit in Grundschulklassen realisierbar, die Normwerte sind zufriedenstellend. Der Anteil nichtdeutscher Kinder in den Eichstichproben betrug 17,9%.
3.1.3
Untersuchungsablauf
Der FEESS wurde als Gruppentest zwischen Dezember und Juni in Klassenräumen der Schulen während der Unterrichtszeiten durch-
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
57
geführt. Mit dem Ziel, Verständnis- sowie Konzentrationsprobleme zu minimieren, wurde der FEESS nicht mit der gesamten Klasse, sondern in kleinen Gruppen und mit bilingualen Testleitern durchgeführt. Die Lehrer hatten vorher schon das Antwortformat mit den Kindern geübt, trotzdem gab es erhebliche Unterschiede in den Klassen hinsichtlich der Zeit, die die Kinder brauchten, um die Fragebögen auszufüllen. Um die Kinder nicht zu überfordern, wurde in den ersten Klassen der Fragebogen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils innerhalb einer 45-minütigen Schulstunde erhoben. Für ihre Mitarbeit bekamen die Kinder ein kleines Geschenk.
3.2 Ergebnisse Für die Auswertung wurden – wie im Testmanual beschrieben – Klassenroh- und Normwerte (T-Werte) ermittelt. Die T-Werte lagen im Mittel im oberen Normbereich für die FEESS-Skalen Schuleinstellung (MSE = 57.00), Anstrengungsbereitschaft (MAB = 53.39) und Lernfreude (MLF = 56.33). Ebenfalls positiv wahrgenommen wurde das Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrer (MGA = 52.33). Im Gegensatz dazu lagen die mittleren T-Werte für die Skalen Soziale Integration (MSI = 44.06) und Klassenklima (MKK = 48.50) eher im unteren Normbereich. Das Selbstkonzept der Schulfähigkeit (SK) entsprach mit einem mittleren T-Wert von 50.72 ziemlich genau dem Mittel der Normwertskala. Die deskriptiven Daten (Mittelwert und Standardabweichung) sind in Tabelle 1 dargestellt. Um festzustellen, ob sich die verschiedenen Klassenstufen voneinander unterscheiden und ob der Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien, die Geschlechter- und die Altersverteilung Effekte auf Sozial-, Schul- und Lernklima haben, wurde eine multivariate Varianzanalyse (MANOVA) durchgeführt. Als abhängige Variablen wurden die sechs Skalen SI, KK, SE, AB, LF und
58
K. Kohl, K. Striegler, K. Peters und B. Leyendecker
GA untersucht; die Klassenstufe ging als unabhängige Variable in die Analyse ein, ebenso der Anteil an zugewanderten Kindern, der Anteil an Jungen sowie der Anteil an überalterten Kindern als Kovariaten. Tabelle 2: Klima – Mittlere T-Werte der FEESS-Skalen auf Klassenebene
FEESS-Skala
M
SD
Soziale Integration
44.06
11.40
Klassenklima
48.50
8.59
Selbstkonzept der Schulfähig-
50.72
6.35
Schuleinstellung
57.00
11.19
Anstrengungsbereitschaft
53.39
9.46
Lernfreude
56.33
12.33
Gefühl des Angenommenseins
52.33
6.50
keit
Anmerkung: M = Mittelwert, SD = Standardabweichung
Die Ergebnisse zeigen keine statistisch signifikanten Effekte hinsichtlich des Anteils an zugewanderten Kindern, des Anteils an Jungen sowie des Anteils an überalterten Kindern. Die Klassenstufe erwies sich auf der multivariaten Ebene als signifikant (F = 2.269; p < .05, 2 = 0.679); univariate Folgeanalyse ergaben, dass dies vor allem durch die Skalen Gefühl des Angenommenseins und Lernfreude gestützt wird. Anschließende paarweise Vergleiche der einzelnen Klassenstufen zeigten für LF signifikante Unterschiede zwischen vierten und ersten Klassen: die Werte der vierten Klassen sind dabei niedriger als die der ersten, die Kinder der vierten Klasse
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
59
geben also an, weniger Freude an der schulischen Arbeit zu haben als die Kinder der ersten bis dritten Klassenstufe. Für die Skala GA ergaben sich marginal signifikante Unterschiede zwischen den vierten und den zweiten Klassen. Die Kinder der vierten Klassen geben häufiger an, sich von ihren Lehrern angenommen zu fühlen. Diese Mittelwertsunterschiede sind in Abbildung 1 veranschaulicht. Abbildung 1:
Klima – Mittlere T-Werte der FEESS-Subskalen Lernfreude und Gefühl des Angenommenseins in den vier untersuchten Klassenstufen.
3.3 Zusammenfassung und Diskussion Im Gegensatz zu den eher negativen Berichten über Klassen mit hohem Anteil an Schülerinnen und Schülern aus zugewanderten Familien aus der Sekundarstufe I liegen die hier untersuchten Grundschulklassen in Hinblick auf das Sozial-, Schul- und Lernklima alle im Normbereich. Interessant ist, dass die Werte in den Skalen, die über die Motivation der Kinder Auskunft geben – Schuleinstellung, Anstrengungsbereitschaft und Lernfreude –, alle überdurchschnittlich hoch waren. Diese positive Schuleinstellung
60
K. Kohl, K. Striegler, K. Peters und B. Leyendecker
der Kinder spiegelte sich auch in den Gesprächen mit den Testleitern wieder: Viele Kinder hatten sehr hohe Bildungserwartungen und berichteten beispielsweise, dass sie gerne Kinderärztin werden wollten. Dies wurde leider nicht systematisch erhoben, passt jedoch zu Studien, die zeigen, dass aus der Türkei zugewanderte Eltern sehr hohe Erwartungen an die Bildungsbiographie ihrer Kinder haben (Citlak, Leyendecker, Schölmerich, Driessen & Harwood 2008; Nauck 1994). Bei den Besuchen in den Schulen waren wir beeindruckt von dem Engagement vieler Lehrer und Lehrerinnen und von ihren guten Kenntnissen über den familiären Hintergrund der Kinder. Besonders hervorzuheben ist, dass die Kinder der vierten Klassen auf der Skala Gefühl des Angenommenseins genauso hohe oder sogar höhere Werte als Kinder anderer Klassenstufen erreichten. Dies deutet darauf hin, dass die Schüler-Lehrer-Beziehung in den untersuchten Klassen nicht durch mögliche negative Erfahrungen bei der Empfehlung für die weiterführende Schule beeinträchtigt wurde. Allerdings beruhen diese Ergebnisse auf Querschnittsvergleichen, für eine eindeutige Klärung dieser Frage wären LängsschnittUntersuchungen notwendig. Auffällig ist jedoch, dass die Kinder ihre Beziehungen untereinander eher als schwierig einschätzten. Das Klassenklima – wie geht es uns als Klasse – und insbesondere die Soziale Integration – wie geht es mir in der Klasse – wurden deutlich schlechter bewertet als die übrigen Skalen. Dies deckt sich mit den Beobachtungen der Lehrerinnen und Lehrer, die berichteten, dass die Klassen häufig sehr unruhig waren und sie sehr viel Zeit damit verbringen mussten, Konflikte, die die ganze Klasse oder einzelne Kinder betrafen, zu erörtern und nach Lösungen zu suchen. Lehrer von zwei der hier beteiligten Schulen hatten deswegen um ein Interventionsprogramm gebeten. Hierzu wurden zwei unterschiedliche Programme angeboten, die im Teil II dieses Beitrags beschrieben werden.
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung 4
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Teil II: Interventionen
Im Folgenden sollen die zwei Interventionsprojekte Gewaltprävention und soziales Kompetenztraining sowie musisch-künstlerische Förderung genauer dargestellt werden. Das erste Projekt war eine direkte Antwort auf die schwelenden Konflikte durch Bullying in zwei dritten Klassen, die den regulären Unterricht sehr erschwerten. Das zweite Projekt hingegen beinhaltete eine musischkünstlerische Förderung, die darauf ausgerichtet war, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken, ihre Lernfreude zu erhöhen und sie gleichzeitig für Teamarbeit und aufeinander abgestimmte Kooperationen zu sensibilisieren. Laut mündlicher Aussagen von Lehrern und Schulleitern, die bereits über mehrere Jahre Klassen und Schülerinnen und Schüler begleiten, die an musisch-künstlerischer Förderung teilnehmen, trägt diese Art der Intervention zu positiven Verhaltensänderungen bei Schülerinnen und Schülern bei: mehr Toleranz und Miteinander statt Ausgrenzung, sowie eine Stärkung und Förderung der Motivation und Anstrengungsbereitschaft. Hierbei handelt es sich um Aspekte, die Sozial-, Schul- und Lernklima ausmachen. Das erste Projekt (Gewaltprävention und Training sozialer Kompetenzen) wurde speziell auf die beiden dritten Klassen abgestimmt. Pädagogen eines Sozialhilfevereins (St. Vinzenz, Bochum), die Puppenbühne des Bochumer Polizeikommissariats Prävention, die beteiligten Klassenlehrer, die Rektorin der Schule sowie Psychologinnen und Psychologen der Ruhr-Universität Bochum haben gemeinsam versucht, die Situation zu analysieren und eine spezifische Intervention zu entwerfen. Im Gegensatz hierzu war das zweite Projekt (musischkünstlerische Intervention) nicht auf spezielle Kinder abgestimmt. Dies bedeutet aber auch, dass sich diese Interventionsmaßnahme und die Evaluation der Ergebnisse leichter auf andere Klassen übertragen lassen.
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4.1 Methode 4.1.1 Die Teilstichproben Die Teilstichprobe, die im Rahmen des Projektes „Gewaltprävention und soziales Kompetenztraining“ untersucht wurde, setzte sich aus 104 Kindern aus drei Schulen und insgesamt sechs Klassen der Klassenstufe drei zusammen. 53,6% davon waren männlich, 21% waren überaltert, das heißt, sie hätten von ihrem Alter her schon in einer höheren Klasse sein sollen, und 90% kamen aus zugewanderten Familien (Range in den Klassen: 61,1% – 100%). Die Teilstichprobe für die musisch-künstlerische Intervention umfasste Datensätze von 101 Schülerinnen und Schülern aus sieben ersten Schuljahren sowie 106 Schülerinnen und Schülern aus fünf vierten Schuljahren. Der Anteil an Jungen betrug in den ersten Klassen 63,4%, in den vierten Klassen 45,3%. Fünf Prozent der Erstklässler und 19% der Viertklässler waren schon zu alt für ihre Klassenstufe. Der Anteil an Kindern aus zugewanderten Familien lag bei 85,1% (Range: 73,7 – 93,3%) in den ersten und 76,4% (Range: 67,9 – 88,2%) in den vierten Klassen. Mit wenigen Ausnahmen hatten alle zugewanderten Kinder Türkisch als Muttersprache. 4.2 Durchführung Gewaltprävention. – Die Intervention in den beiden dritten Klassen wurde von den Kooperationspartnern selbst entwickelt und genau auf die beteiligten Klassen zugeschnitten: Zunächst wurden von den Klassenlehrerinnen und Klassenlehrern Soziogramme ihrer Klassen erstellt und zwischen Kindern, die eher als Bullys, als Opfer und als neutral eingeschätzt wurden, unterschieden. Die Kindertheaterwerkstatt des Bochumer Polizeikommissariats Prävention
Schuleinstellung, Lernfreude und Schüler-Lehrer-Beziehung
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hat daraufhin in Kooperation mit allen beteiligten Erwachsenen ein Puppentheaterstück geschrieben und für die Kinder aufgeführt. In insgesamt 14 Folgeterminen wurden die Inhalte des Stückes mit den Kindern bearbeitet. Dies geschah überwiegend in Kleingruppen, in denen die Kinder, die als Bullys oder als Opfer identifiziert worden waren, getrennt wurden. Zusätzlich wurde mit allen Kindern im Klassenverband an einer Fortsetzung bzw. an dem Ende des Stückes gearbeitet. Die Ergebnisse wurden an die Puppenbühne weitergegeben und von deren Theaterteam umgesetzt. Zum Abschluss erfolgte eine Aufführung der von den Kindern erarbeiteten Fortsetzung des Stückes. Das Projekt war als Prä-Post-Kontrollgruppendesign konzipiert. Zwei Klassen (34 Kinder) bildeten die Interventionsgruppe (IG), die die gesamte Intervention durchlief. Die anderen vier Klassen bildeten zwei verschiedene Kontrollgruppen: zwei Klassen (36 Kinder) sahen das Theaterstück, nahmen aber an keinen weiteren Interventionen teil (KGt), und zwei weitere Klassen (34 Kinder) dienten als reine Kontrollgruppe ohne Maßnahmen (KG). Der bereits oben beschriebene Fragebogen FEESS 3-4 wurde zweimal erhoben: vor der ersten (Prä-Messung) und vor der zweiten (PostMessung) Theateraufführung. Musisch-künstlerische Intervention. – Auch in diesem Projekt wurden die ersten Klassen im Rahmen eines Prä-Post-Kontrollgruppen-Designs zu zwei Messzeitpunkten mit dem FEESS 1-2 untersucht (Prä-Messung am Ende der ersten Klasse, Post-Messung zu Beginn des zweiten Halbjahres der zweiten Klasse). Die vierten Klassen hingegen wurden im Rahmen eines Querschnittdesigns nur einmal – am Ende des vierten Schuljahres – mit dem FEESS 3-4 befragt. Die Interventionsgruppen (IG) setzten sich aus 29 Schülern der ersten Klasse bzw. aus 45 Schülern der vierten Klasse zusammen, während die Kontrollgruppen (KG) aus 72 Kindern der ersten Klasse sowie aus 61 Kindern der vierten Klasse bestanden.
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Die Interventionsgruppen nahmen an einer Förderung der kreativen und kulturellen Entwicklung in Form theoretischer und praktischer Erziehung in den Bereichen Musik und Theater teil: Die beiden vierten Klassen nahmen über einen Zeitraum von zwei Jahren einmal pro Woche für jeweils 90 Minuten an einem Trommelbzw. Theaterworkshop teil. Die beiden ersten Klassen begannen im zweiten Schuljahr (Schuljahr 2009/2010) mit der musischen Förderung in Form der Trommelworkshops. Folglich hatten sie sich zum Zeitpunkt der Post-Messung ein Schulhalbjahr an der Intervention beteiligt. Durchgeführt wurden diese Interventionen von den im Raum Duisburg beheimateten Künstlern des Vereins Kunstpause e.V..
4.3 Ergebnisse Gewaltprävention. – Zunächst wurden die individuellen T-Werte der Schüler in den sieben Skalen des FEESS bestimmt. Diese Daten wurden über eine zweifaktorielle MANOVA mit Messwiederholung analysiert. Neben dem messwiederholten Faktor Messzeitpunkt (prä-post) ging die Bedingung als Faktor mit den drei Stufen IG, KGt und KG in die Analyse ein. Auf multivariater Ebene waren sowohl die Haupteffekte der Faktoren Messzeitpunkt (F = 3.938, p < .01, 2 = 0.225) und Gruppe (F = 2.562, p < .01, 2 = 0.159), als auch die Wechselwirkung Messzeitpunkt x Gruppe (F = 2.262, p < .01, 2 = 0.143) signifikant. In den univariaten Folgeanalysen zeigte sich diese Wechselwirkung nur auf der Skala Soziale Integration (F = 3.002, p < .05, 2 = 0.056) als statistisch signifikant. Die Betrachtung dieses Unterschieds anhand der Mittelwerte ergibt ein recht deutliches Bild (siehe Tabelle 2 und Abbildung 2): während die Kontrollgruppen sich nicht bis leicht ins Positive verändern, steigen die Werte der
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Interventionsgruppe deutlich in Richtung einer stärkeren sozialen Integration. Tabelle 3: Gewaltprävention und soziales Kompetenztraining – Mittlere TWerte der Prä- und Post-Trainings-Messungen für die Interventionsgruppe und die Kontrollgruppen auf der FEESSSubskala Soziale Integration
IG
KGt
KG
prä
post
prä
post
prä
post
Soziale In-
M
39.97
47.73
46.16
49.19
45.36
48.03
tegration
SD
9.06
10.74
6.59
9.39
10.86
7.97
Anmerkung: M = Mittelwert, SD = Standardabweichung IG = Interventionsgruppe; KGt = Kontrollgruppe mit Theaterbesuch; KG = Kontrollgruppe ohne Theaterbesuch Abbildung 2:
Gewaltprävention und soziales Kompetenztraining – Mittlere TWerte der Prä- und Post-Trainings-Messungen für die Interventionsgruppe IG und die Kontrollgruppen KGt und KG auf der FEESS-Subskala Soziale Integration
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Musisch-künstlerische Intervention. – Im Rahmen der Auswertung wurden zunächst die individuellen Roh- und T-Werte der Schüler ermittelt. Die Prä-Daten der ersten Klassen wurden außerdem mit Hilfe einer MANOVA auf vorab bestehende statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen bzw. Klassen untersucht. Da sich die Werte einer der Klassen der Kontrollgruppe in allen relevanten Variablen statistisch signifikant von den übrigen Klassen unterschieden, wurde diese Klasse aus den weiteren Analysen ausgeschlossen, so dass die Kontrollgruppe in der Auswertung lediglich durch 53 Probandinnen und Probanden repräsentiert wird. Durch dieses Ausschlussverfahren soll die Vergleichbarkeit der Interventions- und Kontrollgruppe gesichert werden. Die FEESS-Daten der Längsschnittuntersuchung der ersten Klassen wurden über eine zweifaktorielle MANOVA mit Messwiederholung untersucht. Neben dem messwiederholten Faktor Messzeitpunkt ging der Faktor Gruppe mit den beiden Stufen IG und KG in die Analyse ein. Diese ergab keinen statistisch signifikanten Haupteffekt für den Faktor Zeit, jedoch einen statistisch signifikanten Effekt für die Wechselwirkung Zeit x Gruppe (F = 2.484, p = .50). Friends’ substance use at ages 12 and 13 (focal predictor). At ages 12 and 13 years, participants were asked to name up to four best friends in the classroom. Classroom size varied between 20 and 27 participants, with an average of 24.5 participants. Friendship nomination was restricted to the classroom at both assessment times because classroom composition remained stable throughout the year, and participants spent all of their in-school time within the same classroom. It is unlikely that limiting friendship nominations to the classroom overly restrict selection of friends (Parker & Asher ,1993; Kupersmidt, Burchinal, & Patterson 1995). For the purpose of this study, all nominated friends were considered, since unilateral friends have been shown to be as much if not more „influential” than reciprocal friends in the case of substance use (AloiseYoung, Graham, & Hansen, 1994; Engels, Knibbe, De Vries, Drop, & van Breukelen, 1999). Participants and their friends completed the same four-item substance use questionnaire. When a participant nominated more than one friend (which was almost always the case), the friends’ substance use scores were averaged to gain a more complete picture of the characteristics of a participant’s friendship network
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(Berndt & Keefe, 1995). This procedure also assured the non independence between participants’ and friends’ substance use scores. Participants’ and friends’ popularity at ages 12 and 13 (putative moderators). Participants’ and friends’ sociometric position within their classroom was assessed at ages 12 and 13 years through peer nominations. Specifically, names of all students in a given class were handed out to the participants. Two research assistants ensured that all participants recognized the names of all their classmates by reading them aloud in front of the class. The participants were then asked to circle the names of four classmates they liked most (LM nominations) and four classmates they liked least (LL nominations). One research assistant read the instructions out loud, while the other made sure that each participant understood the instructions. Throughout the procedure, the participants were reminded to keep their responses confidential. Separately for each year of assessment, a peer preference score was then computed for each participant following the criteria outlined by Coie, Dodge, and Coppotelli (1982). Specifically, total LM and LL scores were computed by adding up the choices each child received from all classmates. LM and LL scores were standardized within each class and then used to compute an index of peer preference for each child by subtracting LL from LM scores. Peer preference scores at ages 12 and 13 years were strongly correlated despite changes in classroom composition. Consequently, an average peer preference score was calculated across ages 12 and 13 years. Given that friends also participated in the sociometric assessment, it was possible to compute a peer preference score for each nominated friend. Friends’ peer preference scores were averaged across all nominated friends at ages 12 and 13 years. For both the participants and their friends, a high score indicates that they are more popular than their classmates.
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Participants’ substance use at ages 14 and 15 years (outcome measure). The Personal Experience Screening Questionnaire (PESQ; Henly & Winters, 1989; Winters, Stinchfield, Henly, & Schwartz, 1990-91) was used to assess participants’ substance use at ages 14 and 15. The PESQ is a 38-item self-report instrument designed to assess use of alcohol, marijuana, and other drugs, as well as associated problems. Only the 8-item frequency scale was used for this study. For each item, the participant indicated how often he/she used each drug over the past 12 months using a 7 point scale (1 = not at all; 7 = more than 40 times). The instrument has been shown to be valid and reliable (Cronbach’s alpha for the averaged total score over ages 14 and 15 years = .88 in the present study).
2.3 Analytical Strategy First, the outcome variable and the focal predictor (i.e., friends’ substance use) were transformed using a natural log linear algorithm in order to improve their non normal distributions. Next, data were analyzed using hierarchical linear regression (West, Aiken, & Krull, 1996). In the first model, we included the control variables as well as main effects of the focal predictor (friends’ substance use) and both putative moderators (adolescents’ and friends’ popularity). Two-way interactions were entered in a second model. Finally, a three-way interaction was entered in the third model. All independent variables were centered to prevent co-linearity problems (Aiken & West, 1991; Dunlap & Kemery, 1987), and facilitate interpretation of interaction effects (Cohen & Cohen, 1983; Kreft, de Leeuw, & Aiken, 1995). Simple intercepts and slopes were obtained using a web tool (Preacher, Curran, & Bauer, 2006). These were used to plot the results of the significant interactions. Residuals were also examined in order to assess the model fit.
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Normality and homoscedasticity of residuals in the final model were verified. Residuals were distributed under a normal positively skewed (SK = 0.52; SE = .11) and leptokurtic (K = 1.03; SE = .21) distribution. The residuals appeared lightly heteroscedastic but this, however, was not considered as a serious threat to our results (see Berry and Feldman, 1985). Power analysis was achieved using G*power3 (Faul, Erdfelder, Buchner, & Lang, 2009). For the overall regression model, power for detecting small R² (.02) was 56% and 100% for detecting medium R² (.15). The power for detecting small changes in R² (.02), which corresponds to the power for detecting interaction effects, was 90%.
3
Results
3.1 Descriptive Statistics and bivariate correlations Bivariate correlations among study variables generally revealed a pattern consistent with our expectations and results from prior research (see Table 1). Sex was significantly associated with all study variables except friends’ popularity. Boys had higher familial occupational prestige and baseline substance use frequency. They also had lower popularity scores and affiliated with friends who had lower substance use frequency, and who were less popular. In turn, familial occupational prestige was positively associated with friends’ popularity score. Participants’ baseline substance use was significantly associated with both their own and friends’ later substance use. Friends’ substance use was significantly associated with adolescents’ and friends’ popularity at age 12-13 and participants’ substance use at age 14-15. Finally, participants’ popularity was positively associ-
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ated with their friends’ popularity score and both of these variables were positively related to participants’ substance use. 3.2 Hierarchical Regression analyses As shown in Table 2, the first model, containing the control variables, the focal predictor (friends’ substance use) and the two putative moderators (adolescents’ popularity and friends’ popularity) predicted 30% of the variance on age 14-15 substance use. Being a girl ( = -.16; t = -4.14; p < .001) and baseline substance use at ages 10-11 ( = .36; t = 9.19; p < .001) predicted a higher substance use score at ages 14-15. Friends’ substance use, adolescents’ popularity, and friends’ popularity also made significant contributions to this first model. Having friends who report higher substance use ( = .27; t = 7.06; p < .001) and who are popular ( = .12; t = 3.09; p < .01) uniquely and additively predicted an increase in adolescents’ substance use. The addition of the two-way interactions involving friends’ substance use, friends’ popularity, and participants’ popularity explained an additional 1% of the variance on ages 14-15 substance use (Table 2). In this second model, the previous control variables as well as friends’ substance use and participants’ popularity all remained significant. Two-way interactions between friends’ substance use and participants’ popularity ( = .10; t = 2.34; p < .05) and between participants’ popularity and their friends’ popularity ( = -.08; t = -1.92; p < .05) were significant. Because we expected a three-way interaction, these two-way interactions will be broken down if they are still significant after the inclusion of the three-way interaction. They are nevertheless included because of their necessity to test the three-way interaction.
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Table 2: Regression of Adolescent Substance Use on Friends’ Substance Use, Adolescent and Friends’ Popularity, and Their Interactions.
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The addition of a three-way interaction between friends’ substance use, friends’ popularity, and adolescents’ popularity in the third model explained an extra 4.1% of variance on age 14-15 substance use. As can be seen in Table 2, the three-way interaction was significant ( = -.24; t = -5.71; p < .001). In addition, the unique contribution of friends’ substance use and of participants’ and friends’ popularity all remained significant in the final model. The two-way interaction between friends’ substance use and adolescents’ popularity also remained significant. These results did not differ by gender, as tested formally by a group invariance test of the full model with all predictors, including interactions ( ² (9, N= 530) = 9.13, n.s.). Figure 1: Friends’ Substance Use Simple Effects at Different Level Combinations of Adolescents’ (A) and Friends’ (F) Popularity at 1213Years old.
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The breakdown of the three-way interaction is illustrated in Figure 1. The effect of friends’ substance use is greater for adolescents who are popular (i.e., one standard deviation above the mean on the index of peer preference) and who have popular friends (i.e., one standard deviation above the mean) as compared to the other adolescents. Having popular friends thus seems to increase the vulnerability of popular participants to be influenced by their friends’ substance use. The effect of friends’ substance use is less pronounced in the other groups but it is nonetheless positive and significant for all groups. The breakdown of the residual two-way interaction between friends’ substance use and adolescents’ popularity (not shown) suggests that popular adolescents are more vulnerable to their friends’ influence on substance use than the other adolescents. Overall, these findings suggest that in addition to popular adolescents being more vulnerable, they are even more so if their friends are also popular.
4
Discussion
In this study, we sought to better understand the role of popularity in explaining peer substance use influences on substance use during the high school transition. Using a prospective longitudinal design, we examined whether the influence of substance using friends depended on participants’ popularity relative to their friends’ popularity. Results showed that friends’ substance use, friends’ popularity, and adolescents’ popularity are all independently and positively associated with an increase in substance use. These unique effects, which varied from modest to strong, remained statistically significant once interaction terms were included in the regression models. Hence, experiences with peers, especially friends, can influence one’s own behavior, an idea which has now been confirmed repeatedly in studies using all types of designs and involving different
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types of behaviors (see Prinstein & Dodge, 2008, for an overview). The main effect of popularity also suggests that whether or not one is popular could play an independent role in the development of substance use that is not just a confound variable of adolescents’ prior substance use or friends’ inclination for substance use. This is consistent with other studies showing that popular adolescents are more likely to endorse accepting attitudes about substance use (Allen, Weissberg, & Hawkins,1989) and are more at risk for alcohol and drug use (Allen et al., 2005), possibly because they are more socially involved and sensitive to immediate social norms regarding substance use. In order to compare the Social Discrepancy and the PopularitySocialization models, we tested the interaction between friends’ substance use, friends’ popularity, and participants’ popularity. This triple interaction was significant, over and above all other variables. Breaking down this three-way interaction revealed that, while friends’ substance use is associated with an increase in substance use for all adolescents, this increase was most pronounced for adolescents who were both popular and who affiliated with popular friends. In addition, popular adolescents were more vulnerable than their non popular counterparts, as revealed by a residual two-way interaction between friends’ substance use and participants, popularity. These results did not differ by gender, as tested formally by a group invariance test.
4.1 Which Model is Supported? Current results are not in line with Social Discrepancy model (Bukowski et al., 2008). This model predicted that adolescents in a position of negative discrepancy, or low popularity relative to their friends, would be more inclined to follow the substance using behaviors of their friends, presumably to improve their social position
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and consequently their well-being. Instead, increases in substance use were most important for adolescents who were already popular and who also affiliated with popular friends. From the social discrepancy perspective, these adolescents should have been protected from the substance use behaviors of their friends. Indeed, they would be expected to be satisfied with their current personal and social state and consequently not be motivated to take on the behaviors of others in an attempt to change their state. Therefore, results need to be understood in terms of alternative models such as the Popularity-Socialization model. Indeed, findings of the present study support the PopularitySocialization model (Allen et al., 2005). According to this model, popular adolescents are socially skillful. They are especially gifted at reading and understanding social norms. Such skills generally support positive and healthy development. However, adolescence is a period when social norms may become less normative or run counter to the mainstream norms of society. For example, many authors have argued that adolescent norms become favorable to more risky and forbidden behaviors as a mean to achieve greater maturity and adult-like status (Allen et al., 1989; Bukowski, Sippola, & Newcomb, 2000; Dijkstra, Lindenberg, Verhulst, Ormel, & Veenstra, 2009; Luthar & McMahon, 1996; Moffitt, 1993). As such, popularity and its associated sensitivity to norms may become a risk factor when adolescents are faced with peer pressure to engage in risky or deviant behaviors. Consequently, Allen et al. (2005) hypothesized that popular adolescents are particularly vulnerable to „deviant” norms because of their greater receptivity to both positive and negative influences from their social environment. According to these authors, the increased vulnerability of popular adolescents to the negative influence of their immediate peer environment is not bad per se, but rather a temporary skid from what is an otherwise healthy phenomenon. In support for their model, Allen et al. (2005) presented
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compelling results showing that popular adolescents experienced more positive health outcomes in terms of psychosocial maturity and attachment security, but were also more likely to display higher levels of minor deviancy such as substance use and mild delinquency, compared to their unpopular peers. According to present results, this phenomenon is particularly true when the friends are also popular. Different social and psychological processes may be involved when a popular adolescent is exposed to popular friends. For example, Haynie (2001) and Eder (1985) have suggested that popularity can serve as a form of perceived constraint. More popular adolescents are thought to feel more „constrained” (i.e., pressured) by the behavior of their friends, and therefore to feel strongly compelled to conform to them, especially if these friends are themselves popular. That is, higher status adolescents may feel they have more to lose if they refuse to adopt the behaviors of their group of (popular) friends. This might especially be the case in the transition to high school, when adolescents enter into a new, larger and more heterogeneous peer context, and are thus more concerned about keeping, or reestablishing their position in the social hierarchy (Haynie, 2001). According to this framework, an individual’s motivations for imitating peer behavior reflects „status maintenance” rather than „status enhancement”, as suggested by the social discrepancy framework. Another explanation for these findings is that adolescents who are both well liked within their peer group, and whose friends are more popular may have better social reputations and more power to influence others. Those adolescents fit Allen’s et al. (2005) description of popular adolescents who are highly vulnerable to social norms, including those that favor mild forms of deviant behaviors. In our study the nature of our outcome measure, is relatively normative, compared to other forms of delinquency such as aggression and might have especially captured the influence of popular friends
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on mildly deviant behaviors of popular adolescents. Hence, adolescents who are most exposed and sensitive to these norms end up being the most vulnerable.
4.2 Strengths and limitations This study has important strengths: it uses a longitudinal design covering an important period of transition from childhood to early adolescence; it simultaneously considers adolescents’ own and their friends’ popularity along with their respective self-reported substance use. Finally, it compares two distinct conceptual perspectives, each with clear theoretical and practical implications. This study also has some limitations. First, contrary to studies that used a measure of perceived popularity (Allen et al., 1989, 2005), the current study used a measure of peer preference to evaluate participants’ and friends’ popularity. This strategy has advantages as already noted. It also has disadvantages. For example, adolescents who are well-liked by their peers are not necessarily perceived to be popular. Moreover, some adolescents who are perceived as popular may be disliked by their classmates and may even be the target of hostility from their peers (Alder & Alder, 1998; Merten, 1997). Future research should examine the respective contribution of these two aspects of popularity with respect to substance use. The lack of information on adolescents’ prosocial and aggressive behaviors is another limitation of this study. Compared to popular adolescents characterized by prosocial inclinations, adolescents who are popular and aggressive may be more susceptible to friends’ influences with regard to substance use, as previously noted. Third, the evaluation of adolescents’ friendship networks was based on an average of all nominated peers, without making distinctions in terms of relationship quality (e.g. reciprocated vs. non
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reciprocated friends) or duration (long-standing relationship vs. new relationships). These elements have been conceptualized as important putative moderators of peer influence (Brown et al., 2008). Asymmetric relationships (nominating someone who does not nominate in return), in particular, have been shown to favor adolescents to be more open to peer influence, consistent with a discrepancy interpretation (Bukowski et al., 2008). That being said, using a mean score may be the most appropriate strategy to tap the overall representation of one’s close network of most important peers. A fourth limitation is that while we can describe a complex interaction, our study does not allow to directly test the underlying mechanisms supporting this interaction. Authors have argued that peer influence processes can take different forms, some more direct (direct pressure, modeling, etc.) and others more indirect (understanding and following social norms). In this study, however, we did not assess a specific process. Finally, the current study cannot infer causality as its design is correlational, even if it is longitudinal. Hence, the use of causality terms is abusive, although convenient. In addition, its linear design does not clearly disentangle selection and socialization processes that underlie the notion of influence. Socialization and selection processes are not mutually exclusive. Distinguishing between them would have required evaluating changes in participants’ friendships and substance use bidirectionally (i.e., in a transactional manner). This would have been particularly important given that substance using individuals may have been likely to befriend other substance using peers after transition to high school. These new friends’ behaviors could have been even more influential than past friends’ behaviors. However, we did not evaluate changes in adolescents’ friendships across the school transition. Therefore, the combined influences of old and new friends could not be assessed. As a result, the findings from the current study may have underestimated the influence of friends.
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Despite their limitations, findings from the current study suggest that we should take popularity into account in our prediction models and prevention efforts. We should be particularly aware that popularity increases the risk for substance use. In contrast, unpopularity may increase the risk for ‘uncool’ behaviors such as violent delinquency (Vitaro, Pedersen, & Brendgen, 2007). Clarifying the complex role of popularity, adaptive or not, depending on the type of behaviors may result in more refined theoretical models and more effective preventive interventions. Acknowledgements The authors wish to thank Ms. Caroline Fitzpatrick who assisted in the proof-reading of the manuscript and provided thoughtful comments. The authors also wish to thank the authorities and directors of schools at the Montreal Catholic School Board as well as the teachers, children and parents for their first-rate collaboration. Lyse Desmarrais-Gervais and Maria Rosa deserve our thanks for their participation in the collection or analysis of the data. Role of Funding Sources This research was made possible by grants from the Social Science and Humanities Research Council of Canada, the National Health Research and Development Program, and the Fonds Québécois de Recherche sur la Société et la Culture. References Aiken, L.S. et West, S.G. (1991). Multiple regression: testing and interpreting interactions. Newbury Park, CA: Sage. Alder, P.A., & Alder, P. (1995). Dynamics of inclusion and exclusion in preadolescents cliques. Social Psychology Quarterly, 58, 145-162. Alexander, C., Piazza, M., Mekos, D., & Valente, T. (2001). Peers, schools, and adolescent cigarette smoking. Journal of Adolescent Health, 29, 22-30.
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Projekte
Vorwort
Die entwicklungspsychologische Tradition, aber auch neurowissenschaftliche Ansätze, gehen davon aus, dass die Verhaltensausstattung des Kindes von Geburt an auf den Aufbau von Sozialkontakten ausgerichtet ist. Dementsprechend wird im Verlauf der Kindheit und Jugend ein komplexes System sozialer Beziehungen und Sozialisationsinstanzen entwickelt und etabliert. Die Familie wird in ihrer Bedeutung und Funktion als Sozialisationsinstanz in der späten Kindheit und frühen Adoleszenz zunehmend von der sogenannten peer group (Netzwerk Gleichaltriger) abgelöst. Wie diese Peernetzwerke aufgebaut sind, welche Rolle sie für die Sozialisation des Einzelnen spielen und welche Risikofaktoren damit verbunden sind, sind Fragen, die im Fokus entwicklungspsychologischer aber auch pädagogisch-psychologischer Peerforschungsansätze stehen. Lange Zeit war die Peerforschung fest im englischsprachigen Raum und der dortigen Forschungstradition verankert. In den letzten Jahren etablierte sie sich aber zunehmend als feste Größe auch in der deutschen Jugendforschung. Dieser Entwicklung entsprechend gibt der Beitrag von Sabine Bünger einleitend einen historischen Überblick über die theoretischen und methodischen Peerforschungsansätze der letzten Jahrzehnte ab 1950 im deutschsprachigen Raum. Im Beitrag von Sonja Perren, Tina Malti und Kristina McDonald werden dann aktuelle und internationale empirische Arbeiten zur Peer-Forschung aufgegriffen, gegenübergestellt und konstruktiv diskutiert. Die thematischen Schwerpunkte liegen dabei auf der Rolle von Peers in Bezug auf die moralische Entwicklung, dem Einsatz von statistischen Verfahren (wie zum Beispiel die Social
Network Analyses) zum Verständnis und Einfluss sozialer Netzwerke bezüglich relationaler Prozesse innerhalb von peer groups und dem Risiko- und Entwicklungspotential von Online-Kommunikation für Peer-Beziehungen.
Die deutsche Peerforschung: ein historischer und methodischer Überblick über die Peerforschung im deutschsprachigen Raum von 1950-2007 Peer research in Germany: a historical and methodical overview on peer research from 1950-2007 Sabine Bünger
Zusammenfassung: Der Begriff Peers umfasst nichtverwandte, oft gleichaltrige Kinder und Jugendliche, mit denen Heranwachsende aufwachsen. Die Beziehungen, die ein Kind zu seinen Peers unterhält, beinhalten wichtige Impulse für die Entwicklung, die durch keine anderen Beziehungen zu ersetzen sind. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über den Stand der Peerforschung im deutschsprachigen Raum und zeigt gleichzeitig auf, wie vielfältig und weitreichend die Einflussgröße Peergroup in den unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten ist. Schlüsselwörter: Peer, Peerforschung, Überblick Abstract: The term Peers describes children and teenager/ adolescents who are unrelated to each other, but who grow up together. The relationship a child has to his or her peers is an important stimulus for his or her development. This stimulus is irreplaceable with another relationship. The following article gives an overview of peer research in the German speaking area. In addition it shows how manifold and extensive the parameter peer group is in different areas in research. Keywords: peer, peer research, overview
A. Ittel et al. (Hrsg.), Jahrbuch Jugendforschung, DOI 10.1007/978-3-531-93116-6_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Sabine Bünger
Dieser Beitrag basiert auf einer sehr akribischen und ausführlichen Recherche von Frau Sabine Riemer, der wir an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unseren Dank aussprechen möchten. 1
Einleitung
Entsprechend der verschiedenen Sozialisationsinstanzen (Familie, Peers, Gesellschaft; vgl. Hurrelmann, 2002) entwickelt sich im Lebensverlauf ein komplexes System sozialer Beziehungen (Asendorpf & Bause, 2000; Schmidt-Denter, 2005). Netzwerke von Gleichaltrigen (Peers) sind vor allem in der späten Kindheit (8-11 Jahre) und frühen Adoleszenz (12-14 Jahre) von Bedeutung. Spielte die Familie in den Jahren zuvor die wichtigste Rolle im Leben der Heranwachsenden, werden nun Interaktionen und Freundschaften mit Gleichaltrigen immer bedeutender (vgl. Cook, Deng & Morgano, 2007; Brown & Theobald, 1999; Savin-Williams & Berndt, 1990). In der entwicklungspsychologischen Forschung sind Fragen nach der Bedeutung und Rolle von Peers demzufolge von großem Interesse. Der vorliegende Artikel gibt einen thematischen und methodischen Überblick über die deutschsprachige Peerforschung der letzten sechs Jahrzehnte. Es werden verschiedene thematische Schwerpunkte in Bezug auf die jeweiligen Peerforschungsansätze vorgestellt, die sich aus den diversen Strömungen der vergangenen Jahrzehnte manifestiert haben. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und des Umfangs dieses Beitrags konnten selbstverständlich nicht alle Themen, die in der deutschen Peerforschung untersucht wurden, hier aufgenommen werden: Unsere Auswahl orientiert sich am Einfluss und Wirkungsgrad der verschiedenen Strömungen. Themen, wie zum Beispiel Peergruppen im historischen Verlauf oder Peers und Medien, werden nur am Rande erörtert.
Die deutsche Peerforschung 2
269
Peerbeziehungen und Jugendkultur
Der Umgang und die daraus resultierenden Erfahrungen mit Gleichaltrigen stellen einen zentralen Aspekt im Aufbau sozialer Kompetenzen und moralischer Verhaltensweisen im Jugendalter dar (Krappmann, 1994; Fend, 1998). Sie sind sowohl für die Identitätsbildung als auch für das Selbstbild zentral. Peers bieten Schutz und Verständnis gleichermaßen. Während sich die internationale und vor allem englischsprachige Forschung ausführlich mit der Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen und Peer-Gruppen beschäftigt, kann im deutschsprachigen Raum nur auf relativ wenige Studien zurückgegriffen werden (Fend, 1998). Jedoch finden sich in der recherchierten Literatur zur Peerforschung in Deutschland von 1955 bis 1980 viele Autoren (vgl. Seidelmann, 1955; Allerbeck & Rosenmayr, 1976; Schäfers, 1980), die einen allgemeinen Überblick über den breiten Themenbereich Jugend (inklusive all seiner Facetten) geben. So beschäftigte sich beispielsweise Baacke (1972, 1976, 1987) umfassend mit der Beschreibung, Darstellung und Differenzierung der Jugend, unterschiedlicher Jugendkulturen bzw. Jugendsubkulturen der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre hinein. Schilling (1977) setzte sich im speziellen mit dem Freundschafts- und Freizeitverhalten Jugendlicher auseinander. Neben einem Überblick über den damaligen Forschungsstand zu informellen Gruppen (keine feste Peergruppe, sondern unregelmäßige Treffen unter Gleichaltrigen), den er selbst lediglich als Vorfeld einer Theorienbildung bezeichnete (Schilling, 1977), ist es eine empirische Erhebung zum Freizeitverhalten Jugendlicher, die Schillings Arbeit berühmt machte. Für den „gleichgeschlechtlichen Freundeskreis“ fasste Schilling, er bezieht sich dabei auf Autoren wie Tenbruck und Schäfer, seine Untersuchungsergebnisse in einer Vielzahl von Thesen zusammen (z.B. dass der Freundeskreis für Jugendliche sehr bedeutsam ist und aus drei bis fünf Jugendlichen
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Sabine Bünger
besteht). Empirische Untersuchungen zu „gemischtgeschlechtlichen Freundschaften“ waren trotz der Bedeutsamkeit für Jugendliche bis zum damaligen Zeitpunkt gar nicht oder nur sehr randständig im deutschsprachigen Raum vorhanden. 1982 erschien das „Jugendwerk der deutschen Shell“. Insgesamt 1077 Jugendliche und junge Erwachsene wurden zu verschiedenen Bereichen wie Lebensstil, berufliche Zukunft, Freizeit etc. befragt. Diese Studie hat dazu beigetragen, Jugendliche und deren alltägliche Lebenswelt nicht nur als Gegenpart zu den Erwachsenen zu sehen, sondern als einen Bereich, der jungen Menschen bei der Identitätsfindung und -stärkung hilft. Trotzdem löste die ShellStudie keine Welle von Folgestudien und -untersuchungen aus. Erst 1992 erschien eine Untersuchung von Kirchler (1992), in der er 363 österreichische Jugendliche in einer standardisierten Fragebogenerhebung befragte, welche Bewältigungsstrategien sie in Problemsituationen wählen und inwieweit Familie und die PeerGroup dabei Unterstützung bieten. Die Ergebnisse zeigten, dass Jugendliche, die sich stark mit ihrer Peer-Group identifizieren, soziale, emotionale und informationelle Unterstützung bei der Lösung von Problemsituationen erhalten. In Hinblick auf die Bedeutung der Peer-Group stellte Krappmann (vgl. 1985, 1992, 1994b, 1995,) in verschiedenen Untersuchungen das Geflecht und die Vielfalt von Gleichaltrigen-Gruppen dar. Bereits 1985 analysierten Krappmann & Oswald in einer qualitativen Beobachtungstudie an 34 Kindern einer vierten Grundschulklasse, in welchem Zusammenhang Lernleistungen im Sinne von Konkurrenz und Kooperation und die Interaktion der Kinder untereinander stehen. Die Ergebnisse machten deutlich, dass eine gute Beziehung unter den Peers die Kooperation fördert, während negative oder belastete Peerbeziehungen zu Spannung, Herabsetzung und Konkurrenz führten. Auch Fend (1998) untersuchte die Bedeutung von Eltern und Gleichaltrigen für die soziale Entwicklung von Jugendlichen in
Die deutsche Peerforschung
271
Deutschland und der Schweiz. Er stellte fest, dass in der derzeitigen Peer-Forschung Beobachtungen im schulischen Kontext klar im Vordergrund stehen. Doch reicht der schulische Bezug für das Verstehen der sozialen Beziehungen jugendlicher Gleichaltriger untereinander nicht aus. So kann die Stellung innerhalb der Klasse beispielsweise eine andere sein als in der außerschulischen Clique. Eine Verknüpfung beider Kontexte stellt eine wichtige Erweiterung für das Verständnis der Lebensphase Jugend in der Peerforschung dar und gilt damit als Herausforderung zukünftiger Forschungsansätze.
3
Sozialisationsprozesse
Während der Adoleszenz-Phase müssen sich die Jugendlichen mit verschiedensten biologischen, sozialen und emotionalen Einflussfaktoren auseinandersetzen. Dem immanent ist eine gewisse Abnabelung von den Eltern bei gleichzeitiger Hinwendung zu Gleichaltrigen. Die unterschiedlichen Sozialisationssysteme wie Familie, Gesellschaft und Peers haben wiederum eine (je unterschiedliche) Wirkung auf den einzelnen Jugendlichen. Bereits in den 60er Jahren beschäftigten sich verschiedene Autoren mit der Beschreibung und Bedeutung der unterschiedlichen Sozialisationssysteme innerhalb der Jugendkultur (vgl. Bals 1962; Neidhardt 1967; Schilling 1977; Zinnecker 1987). Oswald und Uhlendorff (2008) skizzierten sehr anschaulich ein Entwicklungsmodell, in dem die Wechselbeziehungen von Mikrosystemen (das sind Beziehungen und unmittelbare Kontakte, in denen sich eine Person entwickelt) dargestellt werden. So stehen beispielsweise Familienprozesse mit Peer-Group-Prozessen in Beziehung. Die Autoren weisen darauf hin, dass negative Peererfahrungen durch ein günstiges Familienklima aufgefangen werden können und dass umgekehrt ein negatives Familienklima durch hochwerti-
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Sabine Bünger
ge Freundschaftsbeziehungen und Akzeptanz in der Peer-Group abgemildert werden kann. Krappmann (1989) untersuchte basierend auf empirischen Daten von 32 Kindern, die in der Familie und im sozialen Umfeld erhoben wurden, den Einfluss der familialen Entwicklung bei 1013Jährigen auf die Integration in das soziale Netz von Gleichaltrigen. Die Ergebnisse zeigten, dass sich ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kindern als positiver Prädikator in Bezug auf die Integration des Kindes in das soziale Umfeld auswirkt. Wie bereits an vorangegangener Stelle erwähnt, konnte auch Kirchler (1992) in seiner Fragebogenstudie (Bewältigungsstrategien von Jugendlichen und inwieweit Eltern und Peers Unterstützung bieten) bestätigen, dass Jugendliche, wenn sie sich in hohem Maße mit ihrer Peer-Gruppe identifizieren, soziale, emotionale und informelle Unterstützung erhalten, egal ob es sich dabei um eine informelle Gruppe (keine feste Peergruppe, sondern unregelmäßige Treffen unter Gleichaltrigen) oder um eine formelle Gruppe (relativ geschlossenen Peergruppe, die sich regelmäßig trifft, z.B. Sportgruppe, politische Gruppen, künstlerische Gruppen) handelt. Unterstützung durch die Familie empfanden die Jugendlichen dann, wenn sie sich mit ihrer Familie identifizieren konnten. Uhlendorff (1996, 1999) widmet sich vor allem dem Freundschaftskonzept. 1996 konzipierte er eine standardisierte Fragebogenerhebung um herauszufinden, ob elterliche Freunde als Interaktionspartner für die Kinder anregend sein können und das Sozialverhalten der Kinder beeinflussen. Diese Ausgangsfrage konnte er nach der Auswertung und Analyse der Daten bejahen. Je mehr Freundschaften die Eltern pflegten, desto mehr GleichaltrigenBeziehungen hatten ihre Kinder. In einer Folgeuntersuchung 1999 kam Uhlendorff zu dem Ergebnis, dass nicht nur Freundschaften, sondern auch Gleichaltrigen-Beziehungen generell das Freundschaftskonzept beeinflussen. Darüber hinaus konnte er zeigen, dass sich der fast ganztägige Aufenthalt von Kindern in pädagogischen
Die deutsche Peerforschung
273
Einrichtungen (es wurden Kinder der 2. bis 5. Klassen untersucht) nicht negativ auf ihre sozialen Beziehungen oder Vorstellungen von Freundschaft auswirkt. In den Studien von Walper (2002, 2003, 2006) wird die Sozialund Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen fokussiert. In einer ersten Untersuchung (standardisierte Befragungen von 654 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10-18 Jahren) aus dem Jahre 2002 stand die Sozial- und Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen hinsichtlich ihrer Familienverhältnisse (Kern-, Mutter- und Stieffamilien) im Mittelpunkt der Betrachtungen. Wie die Ergebnisse verdeutlichen, wirkt sich insbesondere ein unsicheres Verhältnis zur Mutter negativ auf die Entwicklung der emotionalen Befindlichkeiten aus. 2006 untersuchte sie in Zusammenarbeit mit Wendt basierend auf Daten einer zweiten Befragungswelle (1997) des Projektes „Familienentwicklung nach der Trennung“ die Konsequenzen einer elterlichen Scheidung und eventuelle Auswirkungen auf die Liebesbeziehungen der betroffenen Jugendlichen. Insgesamt zeigten die Ergebnisse, dass Jugendliche aus Trennungsfamilien im Vergleich zu Jugendlichen aus Kernfamilien mit höherer Wahrscheinlichkeit von einer momentanen (oder nicht dauerhaften) Partnerschaft berichten. Möglich ist, dass sich die Jugendlichen Unterstützung und Halt von anderer Seite einholen und ihr Selbstwertgefühl stärken. Es wurde darauf verwiesen, dass die analysierten Querschnittsdaten nur eine Momentaufnahme darstellten und für bestimmte Aussagen einer Längsschnittstudie unterzogen werden müssten. Dennoch sollten Interventionskonzepte darauf abzielen, Jugendliche, gerade mit einem schwierigen familialen Hintergrund, in Beziehungskompetenzen zu stärken.
274 4
Sabine Bünger Bullying, Aggression, Delinquenz, Gewalt, Konflikte
Peerbeziehungen sind für die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen von besonderer Bedeutung, da sich Gleichaltrige anders herausfordern und gegenseitig beeinflussen, als beispielsweise in der Eltern-Kind-Beziehung (von Salisch, 2000). Unter anderem werden Handlungskompetenzen und Verhaltensweisen ausgetestet, der schulische und berufliche Kontext sowie informelle Beziehungen rücken in den Vordergrund. Laut Raithel (2004) kann allgemein zunächst gesagt werden, dass delinquentes Verhalten im Jugendalter in den meisten Fällen von kurzer Dauer ist und bei funktionierender sozialer Kontrolle zu einer konformen Normensozialisation beiträgt. In den letzten Jahren wurde das Thema Gewalt und delinquentes Verhalten im schulischen Kontext intensiv diskutiert (allgemein vgl. Bohnsack, 1995; Fuchs, 2003; Jugenddelinquenz im Kontext Schule vgl. Fuchs, 1995; Maggs, 1998; Böhnke, 1998). Bereits Fend (1984) kam in seiner Studie (es wurden Selbstberichtdaten an 9297 Jugendlichen in 324 Jugendklassen zu abweichendem Verhalten in der Schule, Delinquenzbelastung sowie Rauch- und Trinkverhalten erhoben) zu dem Ergebnis, dass die pädagogischen Reaktionsformen der Lehrer wichtiger sind als die schulorganisatorisch bedingten fluktuierenden sozialen Kontakte mit Gleichaltrigen. Weiterhin wurde in dieser Studie bestätigt, dass deviantes Verhalten in der Schule ein kollektives Phänomen darstellt und durch Gleichaltrige verstärkt wird. Durch das erhöhte Medieninteresse Anfang der 90er Jahre an Jugendgewalt, wurde der Fokus auf einen Forschungsbereich gelegt, der bis dato eine eher geringe Rolle in der Peerforschung spielte. 1992 werteten Hurrelmann und Engel eine repräsentative Stichprobe von 1717 Jugendlichen im Hinblick auf die Ausprägung und Erscheinungsformen von Jugenddelinquenz aus. Die Ergebnisse belegten deutliche Zusammenhänge einerseits zwischen Delin-
Die deutsche Peerforschung
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quenz und mangelndem Schulerfolg und andererseits zwischen mangelnder Anerkennung und Prestigeschätzung in der Gleichaltrigengruppe. Die Autoren interpretierten Jugenddelinquenz als Merkmal einer nicht erfolgreichen Orientierung an Status und Leistungserfolg einer Wettbewerbsgesellschaft. Zwei sehr umfassende Studien, die ebenfalls im Kontext Schule stehen, stammen von Schaefer (1997, 1998) und Tillmann (1999). Beide Autoren bezogen sowohl Lehrer (Schulleitungsmitglieder) als auch Schüler in ihre Befragungen zum Thema Schülergewalt ein. Das besondere bei Schaefer (ebd., 2001, 2002, 2004 a, b) ist darin zu sehen, dass Untersuchungen zum Thema Bullying an verschiedenen Schultypen (Grundschule, Hauptschule, Gymnasium) durchgeführt wurden. In Bezug auf den Kontext Schule definierte Olweus (1991, S. 413), dass im nordeuropäischen Sprachraum als „Mobbing“ und im angloeuropäischen Sprachraum als „Bullying“ bezeichnete Phänomen wie folgt: „Ein Schüler wird viktimisiert, wenn er oder sie wiederholt und längere Zeit negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler ausgesetzt ist.“ Die Ergebnisse der Studie von Schaefer (ebd.) zeigten, dass Bullying ein universelles Gruppenphänomen an Schulen ist und nicht etwa, wie bislang häufig angenommen nur an Hauptschulen vorkommt. Es wird der Frage nachgegangen, wie die Stabilität der Opfer- und Täterpositionen entsteht und gefördert wird. Diese Positionen müssen im Kontext der Peer-Group (in diesem Fall die Schulklasse) betrachtet werden, da Bullying unter Schülern nach Schäfer und Korn (2004) eine kollektive Aggression ist und sich durch eine ganze Gruppenstruktur zieht. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf eine Längsschnittstudie (dreimalige Befragung während der ersten drei Grundschuljahre von 306 Schülern und Schülerinnen) von Zinnecker (1999), die sich mit „Täter-Schülern“ der ersten bis dritten Klasse vor dem Hintergrund individueller Entwicklungsprobleme beschäftigte. Im Ergebnis zeigten sich keine Hinweise auf die hohe Stabilität des
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Sabine Bünger
Bullying über die Schuljahre hinweg. Die befragten Schülerinnen und Schüler wiesen eher eine geringe Stabilität dieses Verhaltens auf. Zinnecker weist darauf hin, dass eine „längerfristige Hänselpraxis“ von der ersten bis zur dritten Klasse mit anderen längerfristigen Merkmalen, wie etwa delinquentem Verhalten, selbst erlebte Opfersituationen sowie mit konfliktbeladenen Familienkommunikationen einhergeht. Auch Jugert (2000) beschäftigte sich mit Bullying, legte das spezielle Augenmerk aber auf Geschlechterunterschiede. Im Rahmen seiner Studie wurden 1353 Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 bis 16 Jahren einer Gesamtschule in Niedersachsen mit Hilfe eines Fragebogens befragt. Das besondere daran war, dass erstmals im deutschsprachigen Raum eine Revision des Fragebogens verwendet wurde, der explizit indirekt/relationale Formen des Bullying bzw. von Viktimisierung miterfasste. Die aufgeführten Untersuchungen zum Thema Bullying zeigen deutlich, dass jener Diskussionskontext im Bereich Schule seinen berechtigten Platz hat. Aber Studien wie beispielsweise von Perren und Alsaker (2006) zeigen, dass Bullying bereits im Kindergarten eine Rolle spielt und als Problem ernst genommen werden muss. Ihre Untersuchung von 2006, in der 344 Kinder im Alter von 5-7 Jahren durch ihre Erzieher „kategorisiert“ (Erzieher schätzten das Verhalten der Kinder ein) wurden in „victims, bully victims, bullies and non involved“ (ebd. 2006), konnte zeigen, dass Opfer und Täter von Bullying sich aggressiver als andere Kinder verhalten. Im Unterschied zu nicht involvierten Kindern sind Bullying Opfer weniger kooperativ, weniger sozial und haben keine Spielpartner. Die Ergebnisse zeigen, wie auch Ergebnisse der angeführten Studien zu Bullying im schulischen Kontext, die Signifikanz von Peerbeziehungen in Bezug auf die Täter- /Opferproblematik.
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Gesundheit und Suchtrisiko
Eine besondere Herausforderung in der Jugendphase besteht darin, dass die Heranwachsenden den richtigen und verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst und ihrer Gesundheit lernen. Dies bezieht sich sowohl auf das eigene Körpergefühl als auch auf den Umgang mit verschiedensten Substanzen wie Alkohol, Zigaretten und illegalen Drogen oder der Entstehung von stoffgebunden und nichtstoffgebunden Süchten. Als eine der ersten Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum, die sich mit Gesundheitsrisiken bei Jugendlichen beschäftigten, gelten die Studien von Schmitt (1982, 1983), die sich vor allem mit dem Thema Magersucht (speziell bei Mädchen) auseinandergesetzt hat. Dabei betrachtete sie das Phänomen Magersucht (Anorexia nervosa) nicht nur aus medizinischer Perspektive, sondern stellte einen pädagogischen Bezug her. Aufgrund ihrer Erfahrungen bezüglich der klientenzentrierten gruppentherapeutischen Behandlung Pubertätsmagersüchtiger betrachtete Schmitt das Krankheitsbild nicht medizinisch isoliert, sondern bezog den pädagogischen Bezug zu positiven Interaktionserfahrungen mit gesunden Gleichaltrigen mit ein. Dazu wurden als Teil der Therapie auch die Freundinnen der Patientinnen eingeladen, an den Sitzungen teilzunehmen. Die magersüchtigen Jugendlichen sollten lernen, dass auch gesunde Peers ähnliche Probleme in der Identitätsfindung haben. Obwohl es zum Krankheitsbild gut dokumentierte Literatur gibt, findet die Problematik des positiven und negativen Einflusses den Peers auf dieses Krankheitsbild nehmen können, in der deutschsprachigen Peer-Forschung kaum Beachtung. Ähnliches gilt auch für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit der Integration in informelle Beziehungen zu Gleichaltrigen. Hurrelmann et al. (2003) beschreiben sehr anschaulich, dass sich für die junge Generation neue gesundheitliche Probleme und
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Risiken herauskristallisieren, die die Leistungsfähigkeit, die Lebensqualität und das Befinden dauerhaft beeinträchtigen können. Im Jugendgesundheitssurvey, das von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt wird und auf standardisierten Fragestellungen zu körperlicher und psychischer Gesundheit und Gesundheitsverhalten basiert, konnte aufgezeigt werden, dass sich der Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum unter den 11-15jährigen deutschen Jugendlichen weiter vorverlagert hat. Richter und Settertobulte (ebd.) beschreiben, dass für den Tabakkonsum besonders auffällig ist, dass sich im Bereich gemäßigter Verhaltensmuster der Geschlechtsunterschied nivelliert hat. Obwohl sich die Erfahrungen oft auf Probieren oder Experimentieren beschränkten, konsumierten immerhin 13 % der Befragten regelmäßig Alkohol und/oder Tabak (10%) noch vor dem Erreichen des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestalters für Alkoholund Tabakkonsum. Der Gebrauch von Drogen ist ein weit verbreitetes Thema in der Peerforschung. Tabak und Alkohol stellen im Jugendalter in Hinblick auf die Gesundheit große Risiken dar, da bereits hier der Grundstein für eine Abhängigkeit gelegt werden kann, der soziale und gesundheitliche Konsequenzen für den gesamten Lebenslauf mit sich bringt. Alkohol gehört noch stärker als das Rauchen zum Bestandteil des jugendlichen Sozialverhaltens und ist in einem gewissen Rahmen kulturell akzeptiert (Richter & Settertobulte, 2003). Galambos (1987) erfasste über einen standardisierten Fragebogen bei westdeutschen Jugendlichen (N= 456; Alter 13-16) die Beziehungen zwischen Alkohol- und Tabakkonsum und den Erfahrungen im familialen, schulischen und gleichaltrigen Kontext. Die Analyse zeigt, dass vor allem in der frühen Adoleszenz (1214Jährige) ein Zusammenhang zwischen dem Kontakt zu devianten Gleichaltrigen und Schulversagen und zu stärkerem Alkohol- und Tabakkonsum besteht.
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Silbereisen (1987) wertete Feldinterviews und -beobachtungen aus, die er mit Jugendlichen an typischen Freizeitorten durchgeführt hat. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass unter bestimmten Gegebenheiten, wie die Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht oder zur Integration in die Peer-Gruppe, den Substanzen wie Alkohol oder Tabak eine zentrale Bedeutung in der Bewältigung dieser Situationen zukommt. Zu einer ähnlichen Aussage kommt auch Bergler (1995), der als mögliche äußere Bedingung für Zigarettenkonsum die Bedeutung der Clique und deren Konsumverhalten in einer Fragebogenerhebung bei 1612 Jugendlichen im Alter von 12-18 Jahren untersucht. Kuntsche et al. (2001) legten in ihrer Erhebung ein spezielles Augenmerk auf die Selbstabwertung (Bewertung der eigenen Person) im Jugendalter. Die Analysen bestätigen, dass der erhöhte Zigaretten- und Alkoholkonsum sowie der vermehrte Anschluss an deviante Peers bei selbstabwertenden Jugendlichen vermehrt zu finden ist. Geschlechtsunterschiede konnten nicht gefunden werden. Aus den verschiedenen empirischen Untersuchen wird ersichtlich, dass die Peergroup in Bezug auf den Umgang von Suchtmitteln eine wichtige Rolle spielt. Jedoch können Peers sowohl risikomindernd als auch risikofördernd auf den Konsum und damit auf das Suchtverhalten einwirken. Wie Farke (2009) mittels einer standardisierten Fragebogenerhebung herausfinden konnte, spielt die Qualität der Beziehungen diesbezüglich eine besondere Rolle. Je enger die Bindung zu suchtmittelkonsumierenden Peers ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit diese selbst zu konsumieren. Die Einbindung in ein unterstützendes soziales Netzwerk wirkt dagegen risikomindernd (Farke, 2009). Es bleibt also festzuhalten, dass sich in den Schnittbereichen zwischen psychischen und körperlichen Anforderungen einerseits und sozialen und physischen Umweltbedingungen andererseits für die Jugendlichen Probleme ergeben, die sich in den verschiedens-
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ten körperlichen, psychischen und sozialen Befindlichkeitsstörungen niederschlagen. Die Folgen sind Störungen des Immunsystems, Störungen im Bewegungs- und Ernährungsverhalten sowie der Belastungsbewältigung (vgl. Hurrelmann, 1994). 6
Peerbeziehungen in Ost- und Westdeutschland
Einen wichtigen Aspekt in der Peerforschung der 90er Jahre stellen Untersuchungen zu vermeintlichen Ost-Westunterschieden dar. Die Jugendstudie 91 (vgl. Oswald, 1992) zeigte, dass ostdeutsche Jugendliche zum damaligen Befragungszeitraum kurz nach der Wende familienorientierter waren, allerdings gleichgeschlechtliche Freunde als weniger bedeutsam einschätzten als ihre westdeutschen Altersgenossen. Diese Unterschiede waren im Querschnitt von 1996 nicht mehr vorhanden. „Wahre Freundschaft“ ist im Gegensatz zur ersten Befragung 1991 generell wichtiger geworden für die befragten Jugendlichen. Reitzle (1996) sieht darin aber nicht unbedingt eine stärkere Hinwendung zur Peerkultur, sondern eher eine generell gestiegene Wertschätzung unterstützender Sozialbeziehungen. Er untersuchte, basierend auf Umfragedaten von Oswald (1992), die Bedeutung von Gleichaltrigen und Erwachsenen als Bezugspersonen bei ost- und westdeutschen Jugendlichen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es für Jugendliche generell von Vorteil ist, normative Peers als Bezugspersonen zu haben. Sie grenzen sich weniger von Erwachsenen und ihren Ratschlägen ab. Besonders negativ war der Einfluss devianter Peers, wenn zu den Eltern ein gestörtes Verhältnis bestand. Pinquart (1999) konzentrierte seine Untersuchungen auf Veränderungen des Schulschwänzens bei 10-13jährigen ost- und westdeutschen Schülern. Demzufolge fehlten westdeutsche Schüler häufiger als gleichaltrige Ostdeutsche unentschuldigt in der Schule (Auswertung 1993-1995). Generell standen eine geringe Akzeptanz des Schulschwänzens durch Cliquenmitglieder und eine positive
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Schuleinstellung im Zusammenhang mit einer geringen Verbreitung des Schulschwänzens. Desweiteren waren in Ostdeutschland elterliches Monitoring und die Ablehnung des Schulschwänzens durch Gleichaltrige stärker ausgeprägt. Auch Wiesner (1999) kam durch eine Längsschnittstudie, in der 145 westdeutsche und 85 ostdeutsche Jugendliche (10-13 Jährige) über einen Zeitraum von zwei Jahren qualitativ interviewt wurden, zu der Erkenntnis, dass für den Schweregrad von delinquentem Verhalten sowohl inkonsequentes Verhalten als auch Freunde mit einer hohen Toleranz gegenüber abweichendem Verhalten ausschlaggebend sind. Zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen konnten hingegen keine nennenswerten Unterschiede in der Jahreshäufigkeit von Delinquenz festgestellt werden.
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Methoden in der Peerforschung
Puschak und Silbereisen (1982) entwickelten einen Fragebogen zur Erfassung von Freundschaftskonzepten Jugendlicher. Es wurden qualitative Interviews, orientiert am Interviewleitfaden Selman (der Interviewleitfaden basiert auf fünf Entwicklungsstufen des Freundschaftskonzeptes), durchgeführt. Aus den Interviewaussagen wurden Items zur Fragebogenkonstruktion gebildet. Zimmermann (1996) verwendete für die Analyse von Bindungs- und Freundschaftsbeziehungen von Jugendlichen die Bindungsrepräsentation, die mit Hilfe des „Adult Attachment Interviews“ erhoben wurde. Es wurde die Selbstbeurteilung und die Fremdbeurteilung durch einen besten Freund mittels Q-SortEinschätzungen erfasst und hinsichtlich verschiedener Beschreibungen wie Feindseligkeit oder Ich-Flexibilität verglichen. Jugendliche, die über sichere Bindungen und Freundschaftsbeziehungen verfügten, zeigten in ihrer Q-Sort-Beschreibung mehr Übereinstimmungen mit den Freunden, berichteten über mehr Zufrieden-
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heit mit sich selbst und gaben zudem an, mehr soziales Verhalten gegenüber Gleichaltrigen zu zeigen als Jugendliche mit unsicherer Bindungspräsentation. Busch (1998) konstruierte und etablierte eine Skala zur Gruppenkultur informeller Gruppen. Diese Skala greift Aspekte auf, die deviante Cliquen in Bezug auf unauffällige Cliquen stärker prägen. Dazu gehören unter anderem eine stärkere hierarchische Gliederung, klarere Gruppengrenzen, eine Betonung von Konformität und Gruppensolidarität sowie provozierendes Auftreten. Ein weiteres Teilgebiet der Peerforschung stellt die soziometrische Forschung dar. In diesem häufig genutzten Erhebungsverfahren (Oswald & Uhlendorff, 2008) werden Kinder und Jugendliche aufgefordert, schriftlich drei Gruppenmitglieder zu nennen, die sie am liebsten mögen (positive Wahlen) und drei, die sie am wenigsten gern haben (negative Wahlen). Als ebenfalls bedeutende Peernominationsinstrumente sind an dieser Stelle das „Klassenspiel“ (Masten, Morison & Pellegrini, 1985) und der Fragebogen „Freunde und Gruppen“ (Social Cognitive Mapping-SCM; Cairns; Gariepy; Kindermann, 1989) zu nennen. Im „Klassenspiel“, das der Erfassung sozialer Verhaltensweisen dient, werden Kinder gebeten, verschiedene Rollen in einem Theaterstück zu besetzen. Es können jeweils drei Mitschüler vorgeschlagen werden, wobei an erster Stelle die Idealbesetzung nominiert werden soll. Den Rollen liegen Beschreibungen sozialer Verhaltensmuster im Klassenkontext wie „Ein Kind, das beliebt bei den Mädchen/Jungen ist“, „Ein Kind, das andere ärgert“ oder „Ein Kind, das immer traurig ist“ zugrunde. Das Verfahren basiert auf der Annahme, dass Peers an erster Stelle ein Kind nominieren, das auch im realen Kontext das bestimmte Verhalten in hoher Ausprägung zeigt. Im Fragebogen „Freunde und Gruppen“, der zur Erfassung sozialer Netzwerke dient, werden Schüler danach befragt, ob in ihrer
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Klasse Peergroups (Gruppen von Kindern, die miteinander befreundet sind) bestehen.
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Diskussion
Der Artikel verdeutlicht, dass es Bereiche der Peerforschung gibt, die intensiv evaluiert und diskutiert wurden. Vor allem der schulische Kontext im Zusammenhang mit Peerbeziehungen wurde hinsichtlich Delinquenz, Gewalt und Bullying in den letzten zehn Jahren empirisch untersucht. Auch Untersuchungen zu Peerbeziehungen und Jugendkultur im Allgemeinen, sowie die Wechselwirkung zwischen Eltern-Kind-Beziehungen und Peer-Beziehungen, standen im deutschsprachigen Raum seit den 90er Jahren kontinuierlich im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtungen. Die Recherche zeigt aber auch, dass diverse Forschungsbereiche noch verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit erhalten. So wird beispielsweise viel über Kinder- und Jugendarmut in Bezug auf Bildung, Schule und sozialer Status geforscht, die Auswirkungen auf Peerbeziehung werden dabei aber (wenn überhaupt) nur am Rande betrachtet. So untersuchte Silbereisen (1988) in einer Längsschnittstudie („Berliner Jugend-Längsschnitt“) die Auswirkungen sozialer Bindungen auf die Bewältigung ökonomischer Deprivation unter dem Aspekt der Einbuße des Familieneinkommens. Die Ergebnisse zeigten, dass sich Jugendliche bei Einkommensverlust eines Elternteils und daraus resultierendem negativen Familienzusammenhalt, stärker am Freundeskreis orientieren und gleichzeitig die Bereitschaft zur Überschreitung von Normen steigt. Walper (2001) zeigte anhand von Befunden verschiedener Studien, dass Jugendliche aus deprivierten Familien nicht nur familiale Belastungen erleben, sondern auch vermehrt negative Erfahrungen im Umgang mit Gleichaltrigen hinnehmen müssen.
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Angeregt werden soll an dieser Stelle auch das Mediennutzungsverhalten und die Rolle von Peers in diesem Kontext näher zu beleuchten. Schließlich spielen Handy, Computer, Chat, verschiedenste Musikgeräte und das Fernsehen im Leben Jugendlicher eine zunehmend gewichtige Rolle und beeinflussen Peerbeziehungen und zwischenmenschliche Kommunikation mehr und mehr. Dabei sind Auswirkungen und Risiken auf die Entwicklung Jugendlicher im Zeitalter der Mediengesellschaft noch lange nicht hinreichend untersucht. Abschließend bleibt zu sagen, dass die Peerforschung im deutschsprachigen Raum – gerade im internationalen Vergleich – noch verhältnismäßig unterrepräsentiert ist. So haben bisherige Untersuchungen zwar dazu beigetragen, junge Heranwachsende, ihre Beziehungen und Verhaltensweisen in den Fokus von verschiedenen Forschungsansätzen zu rücken, dennoch werden diverse Bereiche wie z.B. Medienpädagogik, Kinder- und Jugendarmut, ungleiche Bildungschancen trotz ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung noch zu selten untersucht. Gerade im Zuge der Globalisierung wachsen die Ansprüche und Erwartungen an die Heranwachsenden, die diesem Druck oft dauerhaft nicht standhalten können und verschiedene Wege der Kompensation, Konfrontation oder Flucht wählen, die einer gesunden und ganzheitlichen Entwicklung entgegen stehen. Um Jugendlichen dabei präventiv und interventiv zur Seite stehen zu können, fehlt es aber vielerorts noch an empirischer Grundlagenforschung.
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International research on peer relations in the 21st century: What’s new? Sonja Perren, Tina Malti & Kristina L. McDonald
Abstract: This contribution gives an overview of three selected areas of peer relations research which have evolved or gained research interest over the last decade. First, we describe research about how peer relations may affect moral development. Second, we outline how advances in statistical methods such as Social Network Analyses (SNA) enhance our understanding of social network influences and relational processes within peer groups. Third, we present research findings showing that online communication (Internet and mobile phones) provides opportunities and risks for children’s and adolescents’ peer relations and adjustment. We also discuss what has been learned about bullying from these recent advances and emergent areas of research interest. Keywords: moral development, social networks, cyberspace
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Introduction
As youth’s peer relationships are embedded in the socio-cultural context, peer relations research also evolves in line with these contextual developments. Moreover, peer relations research changes with methodological advances. For the current contribution we selected three areas of research, which offer new perspectives on international peer relations research in the 21st century. These new topics emerged from an ongoing convergence of different research A. Ittel et al. (Hrsg.), Jahrbuch Jugendforschung, DOI 10.1007/978-3-531-93116-6_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
International Research on Peer Relations
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traditions (i.e., peer relations and moral development), from methodological advancements (i.e., application of social network analysis), and from observed socio-cultural changes (i.e., communications and social relationships in cyberspace). Although the increasing convergence of peer relations and moral development research is only one among many others, it is an important one because the development of a moral self and related social responsibility in adolescence is considered to be a key outcome of positive youth development. Following a trend over the last decades, bullying remains one of the most frequently investigated areas in peer relations research in the last few years. This interest has partly to do with research questions arising from the phenomenon itself: „What are the moral antecedents of bullying?” „What is the role of the group within bullying occurrences?” or „Is bullying in cyberspace a new phenomenon?” In addition, the ongoing interest in bullying research is also related to the strong public concern about how bullying affects children’s and adolescents’ lives and future development. In the current contribution, we will present new findings on the three areas of adolescent peer relations regarding (a) moral development, (b) social networks and (c) online-communication. A special focus will be on how these areas contribute to a growing understanding about bullying.
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Peer relations and moral development
In an increasingly diversified modern world, moral development including an orientation towards fairness, equality, and care assumes ever greater importance in developing the preconditions for social cohesion and peace (Edelstein, 2010). But what in children’s and adolescents’ social lives encourages this orientation? Peer relations have been viewed as a significant socialization agent for chil-
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dren’s and adolescents’ moral growth since Piaget’s insightful analysis of children’s (re)construction of rule understanding during peer play (1932). According to the cognitive developmental tradition (Kohlberg, 1969), peer relationships and interactions are important because they offer the opportunity for children and adolescents to negotiate and exchange ideas with others who are more or less equal (symmetrical relationships) rather than with individuals in positions of authority in which exchanges are more unilateral (hierarchical relationships). Despite this early emphasis on the significance on peers in constructing moral understanding, the question of how peer relations and morality are intertwined across development has only recently regained attention, using both advances in moral development theory and methodological approaches to the study of peer relations. In the following, we elaborate on a topic that has continued to be of interest for developmental researchers, the role of friendship in morality. We also describe a fairly new topic in this area, namely the relation between bullying and moral development.
2.1 Friendship and Moral Development Generally, researchers have emphasized the significance of close relationships in the development of morality. Friendships offer a context in which trust, equality, reciprocity, respect, and discourse can be practiced in a constructive way. It is for this reason that friendship has been assumed to promote the development of both cognitive and affective moral growth (Keller, 1996). The significance of a close friend for moral development is particularly salient in the life phase of adolescence, because this is considered to be the time in which moral identity develops (Keller, 2004). Developmental research has shown that children become increasingly more sensitive to moral aspects of friendship (Keller,
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Edelstein, Schmid, Fang, & Fang, 1998). One line of research on friendship and moral development has focused on cognitive moral development. For example, Gummerum and Keller (2008) found that moral reasoning about friendship relationships develops in a universal developmental sequence in children and adolescents from different societies. At the same time, they also found some cultural differences; from age nine onward, the Russian and Chinese participants demonstrated more sophisticated moral reasoning about friendship relationships compared to the former East German and Icelandic samples. This study highlights the complex interplay of development and culture in cognitive moral development. More recently, moral researchers have taken an integrative view and investigated the links between moral cognition and moral emotions (Latzko & Malti, 2010; Hoffman, 2000) as well as how these different components of morality are associated with the quality of friendships, both from a developmental and crosscultural perspective. The last decade has also witnessed a growing interest in adult’s moral emotions across cultures (Li & Fischer, 2007). Surprisingly, however, the question of whether the development of children’s and adolescents’ moral emotion attributions is affected by culture-specific constructions of social relationships, norms, and emotions has rarely been investigated. Among the few studies investigating this question, Malti and Keller (2010) documented both normative developmental effects as well as cultural differences in the development of moral emotions in a situation involving conflicting moral obligations (i.e., friendship obligations versus interpersonal obligations towards a new child; Keller, 1996, 2004): Chinese children and adolescents predominantly felt unhappy no matter what choice they made because they either violated moral, friendship, or altruistic obligations. In contrast, Icelandic children and adolescents were not always unhappy, but instead showed a variety of moral emotions, depending on development. This research indicates that the anticipation of positive (i.e.,
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happiness) and negative (i.e., guilt, shame) emotions in a moral dilemma is influenced by both development and culture. Future research on the culturally bounded constructions and development of moral cognitions and emotions can contribute to our understanding of moral development. In the last decade, research has also investigated how the existence of a friendship and dimensions of friendship quality (e.g., characteristics of a child’s friends, reported friendship quality, observed friendship quality) relate to moral development. For example, recent studies have investigated how children with cross-group (e.g., cross-race) friendships construct moral knowledge. Crystal, Killen, and Ruck (2008) found that children with cross-group friendships are more likely to view exclusion as unfair, and to use fewer stereotypes when explaining exclusion than contemporaries without cross-group friendships. Malti and Buchmann (2010) also found that late adolescent’s moral motivations related to the perceived quality of friendships. Yet very few investigations have examined how friendship interactions in the context of ongoing peer interactions are associated with the use of moral reasoning and moral discourse. An exception is a study by Walker, Hennig, and Krettenauer (2000). By observing children while discussing moral dilemmas with friends, they found that discussions in which friends were considerate in eliciting each other’s opinions and tried to assure mutual understanding were a predictive indicator of target children’s later moral development. Another recent study also found that observed collaborative discourse in friendship dyads and reported friendship quality were related to the observed moral reasoning of young adolescents (McDonald, Malti, Killen, & Rubin, 2010). Future research on the role of friendship and ongoing interaction processes among friendship dyads are promising avenues to a deeper understanding of the interrelations between friendship rela-
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tions and cognitive and affective components of moral development.
2.2. Bullying and Moral Development Interestingly, the research fields of child and adolescent moral development and bullying have developed largely independent from each other. Recently, however, peer relation research has shown an increasing interest in moral development as antecedent of bullying behaviour. In contrast, research in the moral developmental tradition has intensively investigated the role of moral development in aggression (e.g., Arsenio, Gold, & Adams, 2006; Malti, Gasser, & Buchmann, 2009; Krettenauer & Eichler, 2006; Stams et al., 2006). Nevertheless, few empirical studies have investigated the specific relations between bullying and moral development. Recent interest in this topic is attributed to the notion of some researchers that some bullies may not have deficits in social-cognitive understanding but may rather have deficits regarding their morality (Sutton, Smith, & Swettenham, 1999; Hymel, Schonert-Reichl, Bonanno, Vaillancourt, & Henderson, 2010). Most of the existing research on bullying and moral development has focused on one specific dimension of morality, i.e., moral disengagement (Bandura, 2002). Moral disengagement describes a process by which individuals cognitively restructure thoughts about their immoral behavior in order to make their behavior seem morally justifiable. Overall, the findings of these studies indicate that bullying is associated with this process of moral disengagement. For example, Hymel, Rocke Henderson, and Bonanno (2005) found that 12- to 16-yearold Canadians who reported high levels of bullying showed greater moral disengagement than students who sometimes or never bullied others. Further, Paciello et al. (2008) documented stable longitudinal associations between chronic aggression and moral disengage-
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ment in a sample of 366 adolescences aged 12 to 18. Conceptually, the moral disengagement framework has not been connected with developmental accounts of morality yet, and it remains an empirical question if and how different dimensions of morality such as moral cognitions, moral emotions, and moral motivations relate to bullying. A recent study that focused on the relation between bullying with both moral cognitions and moral emotions revealed that children involved in bullying do not lack cognitive moral skills, but rather have problems anticipating moral feelings of guilt (Gasser & Keller, 2009). It also remains unanswered if and how victimization experiences are associated with morality. As people with low power and low status in the social hierarchy may be morally sensitized to issues of unfairness and in-equality (Turiel, 2002), early experiences of harsh and unfair treatment (i.e., being victimized by peers) may increase sensitivity towards norms of fairness and care. A recent Swiss study with 516 adolescents gave some evidence for this assumption; the findings indicated that victimized youth produced more empathetic justifications but fewer moral rules than noninvolved students (Perren, Gutzwiller-Helfenfinger, Malti, & Hymel, 2010). Future research may help to further clarify how the conceptual relation between victimization and moral development needs to be framed. Finally, the growing interest in the role of deviant groups (peer contagion) on individual behavioural development (Dishion & Piehler, 2009) has interesting implications for morality as well. How is moral development in these dysfunctional groups different from more functional peer groups? Which characteristics of persons, relationships, and interactions protect moral development against deviant norms of a peer group? Questions about the role of peer group dynamics and moral development open up many avenues for future research.
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From persons to dyads to social networks
Although developmental science emphasizes the role of group experiences as significant determinants of adolescent development and adjustment, research about peer relationships long neglected the role of groups and networks. More than a decade ago Cairns and colleagues pointed out that „modern developmental research has typically reduced the study of social relationships to the individual or dyadic level by emphasizing such constructs as ‘popularity’ and ‘friendship’” (Cairns, Xie, & Leung, 1998, p. 25). Since then significant methodological advances have been made which now allow for more systematic analyses of peer group influences from a social network perspective.
3.1 Investigating peer networks: Methodological approaches Although Moreno’s seminal work on sociometry (Moreno, 1951) took into account the relational structure of peer networks, most current sociometric measures treat information obtained through peer nominations as individual-level measures (e.g. the popularity of a specific child). Also, the influence of adolescent’s peers is typically investigated through a single informant approach, i.e., the adolescent typically reports on their friends’ behaviour and attitudes. However, this approach has its limitations, because individuals tend to overestimate similarity between themselves and their friends (e.g. Prinstein & Wang, 2005). To overcome some of these limitations Cairns and collaborators developed the Social Cognitive Map approach to investigate peer networks (SCM). The SCM approach can be used to identify social clusters in natural settings (Cairns, Cairns, Neckerman, & Gest, 1988; Cairns, Gariépy, & Kindermann, 1991). To create a social cognitive map, children and adolescents are asked to name
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groups of kids in their grade or class who „hang around together a lot”. The „social maps” obtained from each child can be aggregated using special software which re-arranges persons into clusters (conomination matrix). The resulting composite social-cognitive maps yield information about (a) the identity of the group members, (b) the number of peer clusters and the social status of each cluster within the group, (c) the social status of each individual in the social network. One advantage of this technique is that it also includes information about network members who were not interviewed. With this approach social network information can be used as individual level data (e.g. a students’ centrality Xie, Farmer, & Cairns, 2003), as dyadic data (e.g. Perren & Alsaker, 2006), or to investigate peer affiliation patterns (e.g. Gest, Farmer, Cairns, & Xie, 2003). Previously, information regarding the social network and affiliations between network members was seldom used because standard statistical approaches could not properly handle these kinds of data. Social network analysis (SNA) overcame these limitations because it provided the statistical tool to analyse social network data in a more informative way. Social network analysis concerns the analysis of the structure of social relationships and the impact of this structure on social phenomena (Butts, 2008). In SNA the objects under observations are not individuals and their attributes but the relationships between individuals and their structure. The basic data structure is a graph and the mathematical background is graph theory (Martino & Spoto, 2006; Steglich, Snijders, & West, 2006; Butts, 2008). A social network consists of social actors (nodes) and ties (linkages). Two different kinds of variables can be analyzed: (a) structural variables concern the ties between the social actors (e.g. friendships) and (b) composition variables are the actors’ attributes (e.g. aggressive behaviour). These graphs can be used to model directed (asymmetric) relations (e.g. who is bullying whom) or to model undirected (symmetric) relations (e.g.
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friendships). Using social network analysis within the field of peer relations, there is a natural interdependence between network structure and the individual characteristics of the network actors (also called network autocorrelation). To overcome through over-estimation of similarity, SNA approaches collect data from all members (social actors) of the social network. Homophily is the term to describe the social phenomenon that social ties occur more frequently among demographically or behaviourally similar individuals than among dissimilar individuals (Dodge, Dishion, & Lansford, 2006). The tendency of behavioural similarity within adolescent peer groups is a well-established finding not only from social network analysis research but also from single-informant studies. Longitudinal approaches of SNA have been able to disentangle peer influence (group influencing the actor) and peer selection effects (the actor selects behaviourally similar „friends”). As Steglich (2006, 2009) points out, peer influence is characterized by dynamic actor characteristics whereas the social network can be dynamic or static. In contrast, peer selection effects are characterized by a dynamic social network (i.e., changeable over time) whereas actor characteristics can be dynamic or static. SNA approaches can be used to assess the relative importance of both mechanisms to explain the observed auto-correlation. For more information on this topic, see Steglich et al. (2006) which gives an illustrative example on the application of such statistical tools (e.g. SIENA) to investigate longitudinal peer network data.
3.2 Peer affiliation and peer influence: Disentangling selection and socialization effects Peer selection and socialization effects mostly occur regarding behaviours and attitudes with a high saliency and which are acquired through social learning and modelling processes (e.g., delinquency
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or health-risk behaviours). Different psychological mechanisms have been identified which explain these effects: learning through observation and reinforcement, labelling, exposure effects, and processes of identity formation (Kobus, 2003; Dodge et al, 2006). The existence of socialisation effects were demonstrated by experimental studies which actively induced peer influence (e.g., Cohen & Prinstein, 2006). Moreover, randomized intervention studies (unintentionally) also provided evidence for detrimental peer influences in group-based intervention settings (for review Dodge et al., 2006). Deviant peer influences (peer contagion) have been mainly demonstrated regarding delinquent behaviours and health-risk behaviours, but some studies have also found a similar pattern for internalizing problems (Stevens & Prinstein, 2005) and eating disorders (Zalta & Keel, 2006). New methodological developments, such as social network analysis, have advanced this field of research because they are able to disentangle the relative importance of selection and socialization effects. For example, through SNA it has been shown that for weapon carrying both socialization and selection processes can be observed (Dijkstra et al., 2010). Also, several studies have investigated peer influences on smoking behaviour and substance use. These studies suggest that for smoking peer selection effects are stronger than peer influence effects (Hall & Valente, 2007; Mercken, Snijders, Steglich, & de Vries, 2009; Steglich, Snijders, & Pearson, 2009), whereas for substance use peer influence is stronger than peer selection (Steglich et al., 2009). In addition to these deviant peer influences, SNA research also demonstrated social selection and influence effects for adolescents’ taste in music (Steglich et al., 2006) and for mass media consumption in Swiss adolescents (Friemel, 2008).
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3.3 Bullying as a group phenomenon Although individual behaviour patterns may predispose certain children to become bullies or victims, bullying is an interaction pattern between individuals that unfolds within a broader social system or context, like an entire school or a whole class of children (Pepler, Craig, & O'Connell, 1999). In other words, bullying in school can be seen as a larger group process. Besides bullies and victims, there are bystanders who may choose to encourage bullies, ignore victims, or intervene (e.g., defending). Recent research has been concerned with the investigation of underlying group dynamics in classrooms that may support or discourage bullying. Several different aspects of the role of the group and the peer network have been investigated during the last decade including, the peer affiliations of aggressive youth, the role of bystanders, the dyadic relationships between bullies and victims, and the role of the group context for victims. Some of these studies have applied socialcognitive maps or social network analyses. Although aggressive behaviour is a strong predictor of peer rejection, highly aggressive boys can be among the most popular and socially connected children (Rodkin, Farmer, Pearl, & Van Acker, 2000). There is strong evidence that aggressive children and adolescents (bullies and bully-victims) tend to affiliate with each other (Espelage, Holt, & Henkel, 2003; Perren & Alsaker, 2006) and that this is due to both selection and socialization effects (Sijtsema et al., 2010). The roles of defenders and bystanders in bullying episodes have been widely studied in the past 10 years. These studies emphasize the important role of bystanders and defenders for the maintenance but also termination of bullying behaviour (Gini, Albiero, Benelli, & Altoe, 2008; Hauser, Gutzwiller-Helfenfinger, & Alsaker, 2009; Pozzoli & Gini, 2010; Salmivalli, 1999). A recent study applied social network analysis to study these different roles.
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This study demonstrated important in- and out-group processes regarding defending and bullying: children can act as defenders within their own group but at the same time they also engage in bullying behaviour towards members of the out-group (Huitsing, Veenstra, & Wallien, 2010). The definition of bullying implies that there is a power differential between a bully and his/her victim. Whether this definition is applicable to real life bullying episodes is best analysed from a social network perspective in order to understand the ties between the two individuals. A study using a social network perspective by Veenstra and collaborators confirmed this theoretical assumption. Bullies were more dominant than their victims and victims were more vulnerable than bullies and were more rejected by the class (Veenstra et al., 2007). Peer relationships and the group context are also important for victims and their adjustment. Victims have been found to have fewer friends and be more rejected by the peer group (Eslea et al., 2004; Perren, Von Wyl, Stadelmann, Burgin, & von Klitzing, 2006). Huitsing and collaborators found that victims were better psychologically adjusted when they were in classrooms where few bullies harassed many victims compared to victims in classrooms where many bullies harassed few victims. The authors suggest that their findings are consistent with a social misfit model (i.e., children with non-normative positions in the classroom fare worse) and may also be explained by attributions (i.e., victimized children attributed the blame for victimization to either themselves or external factors; Huitsing, Veenstra, Sainio, & Salmivalli, 2010). In sum, methodological advances have enhanced our conceptual understanding of bullying as a group process which also implies significant consequences for both prevention and intervention approaches. With a greater insight into how the group supports or discourages bullying, we will be better able to design effective school-wide programs to deter bullying behaviour.
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Peer relations in cyberspace
For adolescents today, Internet and mobile communication are part of their daily life and social network (Livingstone & Haddon, 2009). Online communication is very attractive for young people. A large majority of adolescents use instant messaging (e.g. MNS) and social networking sites. Both platforms are mainly used to communicate with existing friends (Valkenburg, 2010). Online communication is attractive to adolescents because it offers the sense of increased control of self-presentation. During online communication, there is also increased audio-visual anonymity and asynchrony, and there is greater accessibility to peers (e.g. going out with friends in the evening may be regulated by parents, but chatting with friends and texting is possible around the clock). With the emergence of new technology, the Internet and mobile phones are merging with each other. Thus, in the following sections, the terms „online” and „cyber” refer to the multifaceted use of those technologies. Whereas the first wave of research focused on the potential negative impact of the Internet on children and adolescents (Valkenburg & Peter, 2009), recent research is much more differentiated and considers the risks and opportunities of cyberspace equally. We first address the impact of online communication on adolescents’ peer relations and general adjustment, and then we examine cyberbullying in more detail.
4.1 Risks and opportunities in cyberspace Over the last decade, and particularly the last few years, the amount of research investigating the use and impact of Internet and mobile phones has grown exponentially. For example, in Europe, two large research networks are investigating both the risks and opportunities
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associated with youth’s Internet usage (EU Kids online1) and the phenomenon of cyberbullying and its prevention (COST-Action IS08012). The final report of the EU Kids online study (Livingstone & Haddon, 2009) clearly showed that the Internet provides opportunities and risks for children and adolescents (see Table 1). Table 1:
Online opportunities and risks for children (Livingstone & Haddon, 2009)
1 www.eukidsonline.de 2 sites.google.com/site/costis0801
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Opportunities and risks have been identified in both the content which is distributed on Internet, and the interpersonal contacts which are established and maintained online. In addition, research has also examined how children and adolescents are actors use the Internet to reach positive or negative goals (their online conduct). Regarding adolescent peer relations, cyberspace provides risks and opportunities. The mechanisms of peer influence and peer selection also operate online. For example, youth may seek out others who are similar to themselves in chat rooms or through interestspecific websites. Online friends may also spread content amongst each other, increasing similarity. Information and contacts maintained online may increase deviant behaviour (deviant peer influences), as online contacts can occur much more frequently and with less parental monitoring. Deviant peer influences might be particularly powerful in online communication. Most research about online peer relationships has investigated the impact of online communication (e.g., instant messaging, texting, chatting, social networking sites) on adolescents’ friendships and their well-being. Research indicates that there is continuity between online and „offline” peer relations. For example, more positive peer relationships in adolescence predicted young adults’ use of social networking sites (Mikami, Szwedo, Allen, Evans, & Hare, 2010). In addition, the number and quality of offline friendships is positively associated with the number and quality of online friendships (Valkenburg & Peter, 2007), although there seem to be little overlap between offline and online social networks (Bryant, Sanders-Jackson, & Smallwood, 2006). Furthermore, evidence suggests that online friendships may be as strong and meaningful as face-toface friendships (Mesch & Talmud, 2006). Research by Valkenburg and colleagues suggest that online communication is important for the development of adolescents’ psychosocial autonomy. They have identified two motives for online-communication, self-disclosure and self-expression, which
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may affect adolescent adjustment. These aspects of onlinecommunication support the development of psychosocial autonomy because they offer opportunities for identity building, intimacy, and positive experiences with sexuality (see also Whitty, 2008). Increased self-disclosure is positive for building and maintaining friendships (Valkenburg & Peter, 2007), and opportunities for selfpresentation (e.g. creating content, blogs) leads to higher selfesteem and well-being (Valkenburg, Peter, & Schouten, 2006). Various online activities may affect these processes differently. Online communications with existing friends (e.g., instant messaging, texting) has shown to have positive effects on adjustment, whereas (extensive) online-gaming, chatting with stranger, and web-surfing has been associated with more negative adjustment outcomes (Blais, Craig, Pepler, & Connolly, 2008; Selfhout, Branje, Delsing, ter Bogt, & Meeus, 2009; Valkenburg & Peter, 2009). In sum, the Internet and mobile communication may have positive effects on adolescents’ development and well-being when it is used to maintain and build relationships with existing friends.
4.2 Cyberbullying Several potential online risks (see Table 1) are related to aggressive interactions among peers. This concerns not only being a victim or perpetrator of bullying but also matters like the so-called „happy slapping” (recording and distribution of films showing assaults). In addition, online sexual abuse and sexual problem behaviours (e.g. grooming and sexual solicitation) most frequently happen among peers (Dooley, Cross, Hearn, & Treyvaud, 2009a). Until now, most research concerning online-risks and peer relations has investigated the phenomenon of cyberbullying. Cyberbullying is generally considered to be bullying using technology such as the Internet and mobile phones (Slonje &
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Smith, 2008; Dooley, Pyzalski, & Cross, 2009b). Within the domain of cyberbullying, phone calls, text messages, and instant messaging were the most prevalent forms and their impact was perceived as comparably hurtful to that of traditional bullying. Mobile phone and video clip bullying was more rare but their impact was perceived as even more hurtful and damaging than traditional bullying (Smith et al., 2008). A recent comprehensive review of cyberbullying concluded that on average about 15-20% of students have been bullied/harassed in cyberspace, whereas about 12% have bullied/harassed others in cyberspace (Dooley et al., 2009a). Additionally, males are more likely to be bullies and cyberbullies than are females (Li, 2006). Most young people who are cyber-bullied also tend to be bullied by more traditional methods (Raskauskas & Stoltz, 2007; Cross et al., 2009; Dooley et al., 2009b; Gradinger, Strohmeier, & Spiel, 2009). Finally, although traditional bullying decreases in adolescence, cyberbullying increases over the years of secondary school (Jäger, Fischer, & Riebel, 2007; Cross et al., 2009). Nevertheless, direct acts of traditional bullying are more frequent than cyberbullying in all age groups (Smith et al., 2008; Perren, Dooley, Shaw, & Cross, 2010). Despite the overlap between traditional and cyberbullying, it remains unclear if being a victim and/or perpetrator of cyberbullying has the same negative consequences as being a victim and/or a perpetrator of traditional bullying. The existing (albeit limited) literature on cyberbullying suggests that the consequences of cyberbullying may be similar to traditional bullying. Cyberbullying, like traditional bullying, correlates significantly with physical and psychological problems (Mason, 2008). A large-scale Australian-based bullying study also demonstrated that cyber victimization is associated with increased levels of stress symptoms (Cross et al., 2009). Moreover, adolescent victims of cyberbullying not only reported elevated levels of depressive symptoms but also that they engaged in other types of problematic behaviour, such as increased alcohol consumption,
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smoking, and they received poorer school grades (Mitchell, Ybarra, & Finkelhor, 2007). Cross-sectional studies have also found that cyber-aggressors are at increased risk for school problems, violent behaviours, and substance use (Hinduja & Patchin, 2008). These findings suggest that cyberbullying, like traditional bullying, increases the risk of internalizing (and externalizing) problems for both perpetrators and victims. However, as traditional and cyberbullying forms are strongly associated and frequently co-occur within the same individuals (Ybarra & Mitchell, 2004; Kowalski & Limber, 2007; Raskauskas & Stoltz, 2007; Slonje & Smith, 2008; Smith et al., 2008) it is important to investigate both forms of bullying simultaneously. Few studies have systematically analyzed the impact of cyber versus traditional bullying on adolescents’ adjustment and mental health. In a recent study with 761 adolescents from Austria, the group of adolescents who were bullied by traditional and cyber means scored higher on internalizing problems compared to youth who only encountered one form of bullying (Gradinger et al., 2009). Similarly, a Swedish study found that cyber-victimization contributed over and above traditional victimization to adolescents’ social anxiety (Juvonen & Gross, 2008). Cyber-victimization is also associated with a range of negative emotions (Ortega, Elipe, MoraMerchan, Calmaestra, & Vega, 2009), including fear and feelings of helplessness (Spears, Slee, Owens, & Johnson, 2009). A recent cross-national study of Swiss and Australian students (12-16-yearold) found that traditional victims and bully-victims reported more depressive symptoms than bullies and non-involved children (Perren et al., 2010). Importantly, the study also showed that being a victim of cyberbullying significantly contributed to depressive symptoms, even when controlling for involvement in traditional bullying/victimization. Therefore, being a victim of cyberbullying might be even more strongly associated with depressive symptoms than traditional victimization.
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In sum, cyberbullying is strongly related with offline bullying. Nevertheless, involvement in cyberbullying as a victim or perpetrator may bean additional risk factor for adolescent maladjustment.
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Conclusion and outlook
Peers have been considered to be key socialization agents of moral growth and social development. One recent line of research in the peer relations area has focused on the role of friendship characteristics, friendship quality, and interaction processes among friends in cognitive and affective morality, considering both developmental and cross-cultural perspectives. Another line of recent research has investigated how bullying is related to moral development. Future research on the role of peer relations in various components of morality has tremendous potential both for theory and application, because it facilitates an understanding of how peers may hinder or enhance an orientation towards fairness and care, both being prerequisites for social cohesion and peace. The topic of deviant peer influences has great practical relevance for health promotion and violence prevention. Future studies using social network analyses may produce important insights about the mechanisms and protective factors that reduce detrimental peer influences in larger peer groups. As technological advances are made, their impact on children’s and adolescents’ social relationships and adjustment will remain a significant topic for the future years. Relationships and communication in cyberspace are not only a challenging avenue for adolescent researchers but provide interesting new methodological approaches for data collection (e.g. collecting data from blogs or interviewing adolescents through instant messaging systems). In sum, peer relations research will remain an important and exiting topic for developmental scientists in all areas of psychology, education and social sciences.
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Klassiker
Beziehungsgeflechte und Gruppen von Gleichaltrigen Kindern in der Schule Lothar Krappmann und Hans Oswald
1
Zugänge zum Problem
1.1 Zum Gruppencharakter der peer group Der tägliche Eindruck ist deutlich und scheint eindeutig: Kinder und Jugendliche treten in Gruppen auf. Man sieht sie überall zusammen, und die wenigen Kinder, die wir als einzelne entdecken, fallen uns auf, wir haben Bezeichnungen für sie, entwickeln Trainingsprogramme und Therapien und bestärken so als selbstverständlich den Eindruck, daß Kinder normalerweise zu mehreren sind. Doch was heißt das genau? Die Wissenschaft folgt diesem Eindruck, indem sie die zugehörigen Bezeichnungen der Alltagssprache wie Gruppe, Clique, Bande im Begriff „peer group“, „Gruppe der Gleichaltrigen“ zusammenfaßt. Gemeint ist damit ein Zusammenschluß von annähernd Gleichaltrigen, der von diesen selbst gestiftet und nicht von Erwachsenen organisiert wird, in dem die Zugehörigkeit freiwillig ist und in welchem die Mitglieder ihre Angelegenheiten weitgehend ohne Aufsicht und Eingriffe Erwachsener regeln. Gelegentlich werden diese Gruppen „spontan“ genannt; damit ist gemeint, daß sie sich frei bilden und daß keine formalisierten Zugangsregeln bestehen. Diese Bestimmung hat den Vorteil, daß die organisierten Altersgruppen des Altersklassensystems unserer Gesellschaft ausgegrenzt sind, also Kindergartengruppen, Schulklassen, Hortgruppen, A. Ittel et al. (Hrsg.), Jahrbuch Jugendforschung, DOI 10.1007/978-3-531-93116-6_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Lothar Krappmann und Hans Oswald
Kinder- und Jugendgruppen der Jugendverbände, Übungsgruppen und Mannschaften in Sportvereinen, Gruppen in den Kinder- und Jugendorganisationen von Kirchen, Parteien und sonstigen Verbänden von Erwachsenen1. Damit kann die Frage gestellt werden, in welcher Weise und in welchem Ausmaß Gruppen von Gleichaltrigen von der Zugehörigkeit zu organisierten Altersgruppen, insbesondere zu Schulklassen und Hortgruppen, abhängen beziehungsweise inwieweit sie sich unabhängig von der Altersklassenorganisation etwa auf Straßen. Spielplätzen, Stränden, Campingplätzen usw. bilden. Lassen sich außer den angeführten Merkmalen der Gleichaltrigkeit, der freien Bildung, der freiwilligen Zugehörigkeit und der Autonomie noch weitere Charakteristika der peer group finden? Seit Charles H. Cooley (1909) wird die Gleichaltrigengruppe den Primärgruppen zugeordnet, womit auf einige strukturelle Eigentümlichkeiten, vor allem aber auf die Funktion verwiesen wird. Zu den strukturellen Merkmalen gehört, daß sich alle Mitglieder kennen und miteinander interagieren (face-to-face) und daß dies über einen längeren Zeitraum hinweg geschieht. Allan P. Bates und Nicholas Babchuk (1961) fügen das Merkmal der Mitgliederhomogenität hinzu. Als „primär“ werden derartige Gruppen aber vor allem deshalb bezeichnet, weil in ihnen die menschliche Natur, die nach Cooley Gruppennatur ist, entsteht. Die Funktion der Primärgruppen sei Sozialisation, und die Spielgruppe der Kinder besorge dies ebenso wie Familie und Nachbarschaft. Wichtige Voraussetzung für die sozialisierende Wirkung der Gruppe ist die emotionale Beziehung der Mitglieder und häufiges Interagieren. Dies schließt Konflikt innerhalb der Gruppe nicht aus, stellt aber doch die überdauernden Gemeinsamkeiten über den momentanen Dissens. Damit 1 Unter „organisierter Altersgruppe“ ist eine nach dem Alterskriterium gebildete Gruppe zu verstehen, die Teil einer größeren Organisation ist. Bei Kindern und Jugendlichen stehen derartige Altersgruppen unter der Leitung Erwachsener oder zumindest Älterer. Sie sind Teil des „Altersklassensystems“, das in unserer Gesellschaft für Kinder und Jugendliche u.a. in dem nach Jahrgangsklassen und Schulstufen organisierten Schulsystem besteht (vgl. Shmuel N. Eisenstadt 1966)
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ist impliziert, daß die Gruppe über gemeinsame Ziele, Werte und Verhaltensregulierungen verfügt und daß ein beträchtliches Ausmaß an Kohäsion und Wir-Gefühl besteht. Dies wiederum setzt voraus, daß die Gruppe eindeutige Grenzen hat. Die Subsumption des Begriffs peer group unter den Begriff Primärgruppe, die in der soziologischen Literatur weitgehend unproblematisiert bleibt, bedeutet also, daß den Gruppen von Gleichaltrigen Eigenschaften zugesprochen werden, die wichtigen Definitionskriterien eines allgemeinen Gruppenbegriffs entsprechen. Es ist aber nicht nur fraglich, ob Gruppen von Jugendlichen oder von Kindern diese Merkmale aufweisen. Alle diese Kennzeichen werden vielmehr auch in der Gruppensoziologie problematisiert, oft bereits von den Soziologen, die sich mit ihrer Hilfe um die präzisere Ausarbeitung des Gruppenbegriffs bemühen. Die diskutierten Probleme beziehen sich sowohl auf die strukturellen Eigenschaften der dem Gruppenbegriff zuzuordnenden sozialen Formationen als auch auf den spezifischen Inhalt der Interaktionen, die typischerweise in Gruppen stattfinden. Robert K. Merton macht etwa darauf aufmerksam, daß „der soziologische Beobachter Gruppenformationen entdeckt, die von den Mitgliedern nicht notwendig als solche erfahren werden“ (1964, S. 286). Besonders bei derartigen Gruppen seien die Grenzen nach außen keineswegs eindeutig, sondern veränderten sich in Antwort auf situative Bedingungen. Bestimmte Bedingungen könnten das Ausmaß der Interaktion zwischen Gruppenangehörigen erheblich verringern, ohne daß der Partner die Gruppe verlasse. Für die Identifizierung von Gruppen in der empirischen Forschung ist die Feststellung Mertons von Belang, daß Mitgliedschaft nicht immer eindeutig sei, es Grade der Mitgliedschaft gebe (zum Beispiel nominelle Mitglieder, periphere Mitglieder) und daß derselbe Mensch in seiner Beziehung zu denselben Anderen manchmal als Gruppenmitglied, manchmal als Nichtmitglied beschrieben werden könne (S. 287). In einer systemtheoretischen Betrachtungsweise tragen dem Frederick L. Bates
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Lothar Krappmann und Hans Oswald
und Clyde C. Harvey (1975, Kap. 8) dadurch Rechnung, daß sie Multigruppenstrukturen bestimmen, die je nach Situation, augenblicklichem Zweck usw. unterschiedlich zusammengesetzt sind. Damit ist auch die Grenze nach innen, zu nicht in das Gruppengeschehen einbezogenen oder nicht von der Gruppe regulierten Handlungen, Gefühlen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen der Mitglieder angesprochen (Friedbelm Neidbardt 1979, S. 647). Bei Gruppen, die einen klar umrissenen Zweck verfolgen, dürfte diese innere Grenzziehung relativ eindeutig durch die gestellte Aufgabe definiert sein, auch wenn es situativ Verschiebungen dieser Grenzen gibt. Je mehr die Beziehungen in Gruppen durch Unmittelbarkeit und Diffusität charakterisiert sind, und dies trifft für Kinderund Jugendgruppen zu, desto größere Probleme wirft die Erfassung dieser Grenze auf. Die Vielfalt der Bezüge, die durch die wechselseitige persönliche Exponiertheit (Unmittelbarkeit) und die nicht spezifizierten Handlungszwecke (Diffusität) möglich werden, erschwert die eindeutige Bestimmung eines in der jeweiligen Gruppe geltenden spezifischen Sinnzusammenhanges (und damit deren Grenze), der den gemeinsamen Handlungen ihr Muster verleiht und gruppenspezifische Problemlösungen hervorbringt. Es ist Rates und Harvey zwar zuzustimmen, daß nicht alles Verhalten gegenüber Gruppenmitgliedern Gruppenverhalten beziehungsweise Ausdruck der Zugehörigkeit zu dieser bestimmten Gruppe ist (1975, S.125ff.), die empirische Unterscheidung dürfte aber bei Typen von Gruppen, wie sie von Gleichaltrigen gebildet werden, nur schwer möglich sein. In bezug auf die Problematik der peer group führen diese Ausführungen zu äußeren und inneren Grenzen von Gruppen zu der Überlegung, daß es unterschiedliche Typen von Gleichaltrigengruppen geben könnte, die sich nicht nur dadurch unterscheiden, daß ihr Gruppencharakter mehr oder weniger stark ausgeprägt ist, sondern die qualitative Unterschiede aufweisen. Darunter mag es Typen geben, die Primärgruppencharakter im oben dargestellten
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Sinn haben. Es ist aber anzunehmen, daß auch andersartige Gruppierungen Anforderungen an Kinder und Jugendliche stellen, die die Entwicklung sozialer Fähigkeiten vorantreiben. Zu prüfen ist, ob die Sozialisationsfunktion der Gleichaltrigen nicht geradezu auf der Verschiedenartigkeit der Beziehungen und Gruppierungen beruht, in denen die Kinder und Jugendlichen unterschiedliche Erfahrungen sammeln (Krappmann und Oswald 1983). Die Analyse dieses Problems setzt voraus, daß die jeweilige Eigenart unterschiedlicher Gruppierungen von Gleichaltrigen beschrieben wird, ohne vorschnell auf die Bestimmungselemente der klassischen Gruppensoziologie zurückzugreifen. Für die Gruppensoziologie mag diese Beschreibung die Weiterentwicklung ihrer Konzepte in die angedeutete Richtung vorantreiben.
1.2 Empirische Befunde zur peer group In der jugendsoziologischen Forschung wird für die Darstellung der peer group weitgehend auf das Primärgruppenmodell beziehungsweise auf das Modell einer homogenen und integrierten Gruppe mit klarer interner Struktur und deutlicher Außengrenze zurückgegriffen2. Es besteht der Eindruck, daß bei der Anwendung des Begriffs auf Kindergruppen diese Bestimmungen insbesondere dann zumindest implizit beibehalten werden, wenn die sozialisatorische Wirkung dieser Gruppen zur Diskussion steht3.
2 Insbesondere unter dem Einfluß der Studien von August B. Hollingsbead (1949) und James S. Coleman (1961) wurden diese Bestimmungen weitgehend als Begriffsinhalt von „peer group“ akzeptiert. Immer wieder nachgewiesen ist dieser Charakter der peer group für Straßenbanden seit den großen Studien von Frederic M. Thrasher (1927) und William F. Whyte (1943). Sie haben eine ausgeprägte Rollen- und Statusdifferenzierung und ihr Gruppencharakter ist so hervorstechend, daß George C. Homans seine Gruppentheorie unter anderem auf dieses Material gründen konnte (1960). 3 So schreibt etwa Harry S. Sullivan der Kindergruppe die Funktion zu, den im Elternhaus ausgelösten Fehlentwicklungen gegenzusteuern (1980, Kap. 15). Nach David Riesman hat die peer group bereits im Alter von fünf bis sechs Jahren die Wirkung der Außenlenkung: „Alle Moral liegt bei der Gruppe“ (1958, S. 86). Entwicklungs- und Sozialisationsmodelle betonen die Bedeutung der peer
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Lothar Krappmann und Hans Oswald
Die qualitativ reichhaltige Untersuchung von Gruppen Jugendlicher durch Muzafer Sherif und Carolyn W. Sherif (1964, 1969) zeigt, daß es Gruppen mit ausgeprägtem Gruppencharakter gibt. Doch das Ausmaß der Verbreitung dieses Typs wird zunehmend angezweifelt4. Über Kindergruppen können bislang aufgrund der Forschungslage nur wenige verallgemeinernde Aussagen formuliert werden5. In entwicklungspsychologischen Untersuchungen an Kindern werden fast ausschließlich Beziehungen unter Gleichaltrigen analysiert, auch wenn immer wieder über peer group gesprochen wird (vgl. zusammenfassend: William W. Hartup 1983). Einigen Aufschluß über äußere Merkmale von Gruppen geben soziometrische Studien. Danach sind Gruppen von Kindern geschlechtshomogen und zeitlich instabil, wobei die Stabilität mit zunehmendem Alter zunimmt6. Uneinheitlich sind die Ergebnisse über geschlechtsspezifische Unterschiede in bezug auf die Größe von Gruppen. Einerseits weisen Untersuchungsergebnisse darauf hin, daß Jungen größere Gruppen bilden als Mädchen, daß Jungen zu extensiven und group als Sozialisationsinstanz (vgl. vor allem Jean Piaget 1969, 1972, 1973; Talcott Parsons 1955, 1968; zusammenfassend: Lothar Krappmann 1980). 4 Zweifel wurde schon immer am Subkulturcharakter der peer group geäußert (vgl. zusammenfassend: Hans Oswald 1980). In einer radikalen Wendung bestreitet Viv Furlong (976) die Zweckmäßigkeit des Gruppenkonzeptes. Schon James S. Coleman (1961) konnte feststellen, daß weniger als die Hälfte der untersuchten Schüler cliquengebunden seien und Maureen T. Hallinan (1979) ergänzt dies durch den Hinweis, daß in einem Drittel der Schulklassen der Jahrgangsstufen vier bis acht keine Cliquen existierten. 5 Es ist sicherlich bezeichnend, daß ein Oberblicksaufsatz über „die Gleichaltrigengruppe der Kinder und Jugendlichen“ von 1980 (Eckart Machwirth) keine Untersuchungsergebnisse für Kinder referiert und lediglich lapidar und ohne Beleg anmerkt, Kindergruppen seien Vorformen der peer group Jugendlicher, die Struktur sei noch nicht fest umrissen, das Beziehungsnetz oft locker und die zur Gruppe Jugendlicher gehörenden Merkmale wie Solidarität und Zugehörigkeitsgefühl würden in der Kindergruppe erst gelernt. Dies klingt nach einer Verlegenheitsargumentation, die sich nicht auf Forschungsergebnisse stützen kann. Es übersieht die Möglichkeit, daß es unterschiedliche Typen von Gruppen geben kann, und es schließt aus dem Fragehorizont aus, daß Kindergruppen andere Funktionen als die Vorbereitung des Gruppenlebens Jugendlicher und demgemäß eine andere Struktur haben könnten. 6 Die Geschlechtshomogenität von Cliquen kann als gesichert gelten. Dabei gerät allerdings aus dem Blick, daß es viele Interaktionen über die Geschlechtsgrenze hinweg gibt. Zum Nachweis der Instabilität sind soziometrische Methoden schlecht geeignet. Die in einem Teil der Literatur gängige Aufassung von der Instabilität der Kindergruppe könnte methodisches Artefakt sein.
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Mädchen zu intensiven Beziehungen neigen, daß für Mädchen exklusive Zweierbeziehungen typischer sind als für Jungen7. Andererseits finden sich hinsichtlich der Gesamtzahl von Freunden oft keine Geschlechtsunterschiede. Von besonderem Interesse angesichts des Ziels unserer Untersuchung sind einige Feldstudien an Kindern, die sich explizit auf die Theorie des Symbolischen Interaktionismus beziehen. Dabei besteht die Tendenz, eher Strategien als Gruppen und deren Strukturen zu analysieren. Ganz deutlich ist dies etwa bei Gary A. Fine (1980, 1981), der Interaktionen von 12jährigen Jungen einer Baseball-Mannschaft beschreibt. Die Thematik reicht von Humor, Klatsch, Hänseln und Streiten bis hin zum Stehlen. Aber immer ist die Mannschaft als ganze im Blick, oder es werden zufällig sich bildende Teile oder Freundschaften beschrieben. Dabei wird deutlich, daß die „Mannschaft“ als Teil des Systems Baseball-Liga mit dem Zweck des Wettkampfes auch als Gruppe mit diffusen Beziehungen handelt. Es bleibt aber offen, ob darüber hinaus eine Struktur von Beziehungen und Cliquen feststellbar ist, der das Auftreten bestimmter Interaktionen und Strategien entspricht. In einer Untersuchung von Barry Glasner (1976) findet sich eine aufschlußreiche Analyse physischer Auseinandersetzungen auf dem Schulhof, die von der „kid society“ so geregelt seien, daß die Chance von Verletzungen minimiert würde. Die Analyse der Beziehungsstrukturen könnte Aufschluß geben, wie eine solche Regulierung durchgesetzt wird. Dies bleibt aber wie bei Fine außerhalb der Betrachtung, weil der Beobachter nur zwei Gruppen entdeckte, während alle anderen Kinder sich zu ständig neuen Spieleinheiten formierten. Viv Furlong (1976) hält in einer englischen Untersu7 Der Eindruck von den großen Jungengruppen könnte durch die Art der von ihnen bevorzugten Spiele entstehen (Elliott A. Medrich et al. 1982, Janet Lever 1976). Viel zitiert ist die Untersuchung von Maty F. Waldrop und Charles F. Halverson (1975), nach der Mädchen eher intensive Beziehungen zu einem oder zwei anderen Mädchen haben, wohingegen die Beziehungen von Jungen als extensiv charakterisiert werden. Eine von Hallinan (1981) referierte Studie ergab, daß sich weibliche Dyaden seltener zu Triaden wandeln als männliche.
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chung Von Jugendlichen diese fließenden Gruppierungen für typisch und lehnt den Gruppenbegriff und die Vorstellungen von Gruppennormen und Gruppendruck ab. Analyseeinheit wird der „interaction set“, den diejenigen bilden, die eine gemeinsame Definition der Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt teilen. Dies ist sicherlich eine akzeptable Forschungsstrategie, die auch von anderen englischen Kinderuntersuchungen verfolgt wird, so etwa in der Spielplatzstudie von Andy Sluckin (1981). Diese Strategie ermöglicht eine genaue Analyse situierter Interaktionen und erlaubt, Situationen aus der Sicht der Kinder zu beschreiben. Damit definiert Furlong aber das Problem der Gruppe eher weg, als daß deren Nichtexistenz bewiesen wird. Daß Kindergruppen auch durch Beobachtung und nicht nur durch Soziogramme identifizierbar sind, zeigen zwei weitere Feldstudien. Bronwyn Davies (1982) entdeckte in einer australischen Schulklasse der 5. Jahrgangsstufe unter den 11jährigen Kindern zwei größere Jungengruppen und fünf Dyaden und Triaden unter den Mädchen, die jeweils durch weitere Freundschaften einer sekundären Stufe („Notfall-Freundschaften“) unter den Jungen und unter den Mädchen verbunden waren. Auch in dieser Studie wird die genauere Analyse dieser Gruppierungen zugunsten der Darstellung von sozialen Strategien zurückgestellt. Immerhin gerät aber das Problem, daß das Beziehungsgeflecht der Kindergesellschaft unter anderem durch verdichtetere Gruppierungen strukturiert ist, wieder in den Horizont der Betrachtung. In einer ebenfalls der interaktionistischen Tradition verpflichteten Untersuchung von Robert J. Meyenn (1980) wird der Gruppenaspekt explizit thematisiert. Alle 12- bis 13jährigen Mädchen einer englischen Schulklasse gehörten zu einer von vier klar umgrenzten Gruppen. Meyenn glaubt festgestellt zu haben, daß die Kinder um ihre eigene Gruppenzugehörigkeit ebenso wissen wie um die Zugehörigkeit der anderen Kinder. In diesem Sinne hätte jede Gruppe eine Identität und eindeutige Grenzen sowie eine anders geartete Einstellung zur
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Schule und eine andere Thematik, die das Gruppenleben bestimmt. Streit ist nach dieser Darstellung weitgehend auf Gruppen beschränkt, innerhalb der Gruppen würden immer wieder Freundschaften gebrochen und geschlossen. Dies kann als Hinweis dafür genommen werden, daß soziale Kontrolle ausgeübt wird. Ausführungen über interne Differenzierung fehlen. Es wird aber der Eindruck erweckt, als seien die Gruppen egalitär und als gebe es Statusunterschiede nur zwischen den Gruppen. Diese Ergebnisse können die Frage veranlassen, ob die Erfahrungen in unterschiedlichen Gruppen so andersartig sind, daß sie die Entwicklung sozialer Fähigkeiten in unterschiedlicher Weise beeinflussen.
1.3 Fragestellung unserer Untersuchung Nach der Forschungslage kann es als offen gelten, wie die Zusammenschlüsse von Kindern zu beschreiben sind. Handelt es sich um klar umrissene Gruppen, oder sind die Gruppierungen lockerer? Gibt es unterschiedliche Typen von Gruppierungen? Es gibt Hinweise darauf, daß Gruppen nach Alter, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit homogen sind. Gibt es daneben strukturelle Unterschiede von Gruppen, die sich nicht auf diese Bedingungen zurückführen lassen? Der skizzierte Stand der Diskussion läßt es geraten erscheinen, Zusammenschlüsse von Kindern möglichst genau zu beschreiben. Wir versuchen dies auf der Grundlage der von uns in offenen Interviews und mit teilnehmender Beobachtung erhobenen qualitativen Daten aus einer Schulklasse der vierten Jahrgangsstufe. Dabei kann es zunächst nicht um die Verallgemeinerung der Ergebnisse gehen, sondern um das Aufzeigen von Varianten. Unser besonderes Augenmerk richtet sich auf die Unterscheidung von Zusammenschlüssen von Kindern, denen nach bestimmten Gesichtspunkten ein Gruppencharakter zuerkannt werden kann,
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gegenüber anderen Verdichtungen im Interaktionsgeflecht. Damit fragen wir nach den Gruppengrenzen. der Eindeutigkeit der Mitgliedschaft, nach Doppelmitgliedschaft sowie nach peripherer oder ambiguer Mitgliedschaft. Hierzu gehört auch die Frage, ob die Gruppe von den Mitgliedern und von Außenstehenden als solche gesehen und bezeichnet wird und ob es eine Hierarchie von Gruppen gibt. Mit aller Vorsicht werden wir zusätzlich versuchen, zur Frage nach der situativen und zeitlichen Stabilität von Gruppen Stellung zu nehmen. Ein zweiter Interessenbereich bezieht sich auf die Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander. Dazu gehören die Fragen, ob es innerhalb von Gruppen Freundschaften gibt oder auch Kinder, die sich weniger gut leiden können, ob sich Untergruppen unterscheiden lassen und ob es Statusunterschiede oder gar Anführerschaft gibt. In einem weiteren Analyseschritt werden wir versuchen, von uns beobachtete Interaktionen auf die gefundenen Gruppierungen zu beziehen. Dabei geht es um die Frage, ob sich Interaktionen innerhalb von Gruppen von Interaktionen zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen und von Interaktionen mit nicht an Gruppen gebundenen Kindern unterscheiden. Diese Analyse müßte einen zusätzlichen Aufschluß über den Gruppencharakter von Kindergruppierungen geben. Weiterhin kann diese Analyse zeigen, ob sich Gruppen nach Art der Interaktionen ihrer Mitglieder unterscheiden.
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Die Untersuchung
2.1 Untersuchungsanlage und Methoden Das Forschungsprojekt, aus dem ein Teil der Daten für diesen Bericht analysiert wird, kombiniert eine Querschnitt- und eine Längsschnittstudie. In der Querschnittstudie wurde je eine Schulklasse der ersten, vierten und sechsten Jahrgangsstufe untersucht, die Schulklasse der vierten Jahrgangsstufe wurde in der Längsschnittstudie auf den Klassenstufen fünf und sechs nachuntersucht. Alle Schulklassen gehörten zu einer Grundschule in Berlin in einem relativ homogenen Schulbezirk der oberen Unterschicht und der unteren Mittelschicht. Die Erhebungen wurden von September 1980 bis Juni 1983 durchgeführt. Den folgenden Analysen werden hauptsächlich die Daten aus der vierten Klasse zugrundegelegt. Die Klasse bestand aus 34 im Durchschnitt zehnjährigen Schülern (18 Mädchen, 16 Jungen)8. An einigen Stellen beziehen wir uns zusätzlich auf Informationen über dieselben Kinder auf der Klassenstufe fünf und sechs. Die Untersuchung auf der Stufe fünf wurde während eines Landschulheimaufenthaltes (14 Tage) durchgeführt. Wir benutzten fast ausschließlich nichtstandardisierte, „qualitative“ Erhebungsmethoden und interpretative Verfahren der Datenanalyse. Die Untersuchung begann damit, daß die beiden Autoren intensive teilnehmende Beobachtungen während eines halben Jahres durchführten. Insgesamt fertigten wir in der vierten Klasse Feldprotokolle an 26 Beobachtungstagen an. Mit wenigen Ausnahmen waren an jedem dieser Tage die beiden Beobachter gleichzeitig anwesend. An den meisten Beobachtungstagen beobachteten wir zwei Schulstunden und ein bis zwei Pausen. An einigen Beobachtungstagen reichten die Beobachtungen über das Schulgelände 8 Vier Kinder der Schulklasse waren Ausländer. Zwei ausländische Kinder haben wir wegen ihrer großen Schwierigkeiten, sich mit anderen zu verständigen, in vielen Analysen nicht berücksichtigt.
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hinaus. Die Feldnotizen enthalten Beschreibungen beobachteter Interaktionsprozesse, die oft nur Teilstücke umfassenderer Handlungszusammenhänge sind, Informationen von Seiten der Kinder, Erläuterungen anderer Beteiligter, Einschätzungen emotionaler Zustände der Interagierenden sowie Vermutungen über die vollständigen Abläufe und Interpretationen ihres Sinns. Vermutungen und Interpretationen wurden nach Möglichkeit in künftigen Beobachtungen oder durch weitere Gespräche geklärt. Beobachtet wurden während einer ganzen Schulstunde überwiegend zwei nebeneinander sitzende Kinder, wobei der eine Beobachter auf das eine, der andere auf das andere Kind fokussierte, so daß sich die Beobachtungen ergänzen und kontrollieren. Jeder Beobachter notierte möglichst detailliert, was das von ihm beobachtete Kind machte und mit wem es in welcher Weise interagierte. Inhaltlich konzentrierten wir unsere Beobachtungen vor allem auf problematische Situationen wie Streiten, Kämpfen, Strafen, Aushandeln usw. Wir besitzen aber auch eine Fülle von Aufzeichnungen über andere Verhaltensweisen wie Helfen, Trösten, Körperkontakte, Quatschmachen. Die Protokolle wurden in den meisten Fällen am Beobachtungstag ausgearbeitet. Sich ergänzende Protokolle wurden verglichen. Ließen sich Widersprüche nicht aufklären, wurden die entsprechenden Szenen nicht in die Auswertung einbezogen. In den später untersuchten Schulklassen machten wir während der Beobachtung Tonbandaufzeichnungen der Fokuskinder. Am Ende der Beobachtungsphase wurden die Kinder an mehreren Tagen einige Schulstunden lang gefilmt. Zu Beginn der Beobachtungsphase erklärten wir den Kindern genau unsere Absicht und auch zwischendurch gaben wir immer wieder auf Fragen über unser Tun korrekte Auskunft. Die Kinder merkten sehr schnell, daß wir unser Versprechen, den Lehrern nichts „zu petzen“, hielten und ließen sich insgesamt recht wenig von uns beeinflussen. Die Kinder begingen selbst Normbrüche mit
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solcher Selbstverständlichkeit, daß wir annehmen, daß sich die Reaktivität der Kinder in tolerierbaren Grenzen hält. Außerdem interviewten wir die Kinder (überwiegend zu zweit) zwei Schulstunden lang. Kein Kind verweigerte. In späteren Klassen führten wir nur noch Einzelinterviews durch. Das Interview war offen; einige Fragen waren wörtlich zu stellen. Thematisch ging es in diesem Interview zuerst um den Freundes- und Spielkameradenkreis in und außerhalb der Schule, weiter um Tätigkeiten mit Freunden, Vorstellungen über Freundschaft, über Streiten, Versprechen und Gerechtigkeit. Ferner gab es lange Gespräche mit den Eltern, die anhand eines Leitfadens meist zuhause durchgeführt wurden. Die Thematik war neben den Freundschaften und den Tätigkeiten der Kinder wichtige biographische Ereignisse sowie erzieherische Maßnahmen und Erziehungseinstellungen. Diese Interviews führte je einer der beiden Autoren zusammen mit einer Mitarbeiterin durch. Ergänzend stehen uns zwei Soziogramme zur Verfügung, die die Lehrerin zu Beginn und in der Mitte des Schuljahres erhob. Ferner erhielten wir zahlreiche Auskünfte der Lehrerin.
2.2 Die Bestimmung von Kindergruppen Wir interpretieren Daten aus zwei unterschiedlichen Informationsquellen. 2.2.1 Interview und Gespräche mit Kindern. Bei aller Reichhaltigkeit der Information, die die Kinder übermitteln, sind die Auskünfte der Zehnjährigen über Gruppenbildungen
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sehr unergiebig. Nur zwei Mädchen dieser Schulklasse verwenden von sich aus das Wort „Gruppe“9: I: Sind diese anderen Kinder ... auch Deine Freunde oder sind das ... K: Das kommt drauf an, wer kommt. Nur meistens, weil wir ja eine sehr große Straße haben – hier und hier, und da und da/überall wohnen Kinder! – und deshalb sind wir eine große Gruppe und spielen überall miteinander. (Interview Ursula, S. 7) Und: I: Gehörst Du zu einer Bande? K: Naja. Ich wollte mit Angelika mal so was machen, so. Das war nicht so direkt eine Bande:, sondern mehr so eine kleine Gruppe, die/wir wollten so alten Leuten helfen und so was. (Interview Beate. S. 8)
Nach Cliquen und Banden befragt berichten mehr als die Hälfte der Kinder (18 von 32; kein Unterschied für Jungen und Mädchen), daß sie Mitglieder einer Clique seien oder waren. Obwohl diese aus drei bis fünf Kindern bestehenden Zusammenschlüsse manchmal sogar einen „Boß“, Mitgliedsausweise, deklarierte Ziele (detektivische Erkundungen, Hilfe für alte Leute, Streiche und ähnliches) haben und geheime Treffpunkte besitzen, lösen sie sich meist schnell wieder auf. Sie beherrschen nicht das soziale Leben dieser Kinder. Die Fragen nach der Gruppenstruktur im Beziehungsnetz der Kinder läßt sich von hier aus nicht beantworten. Die Kinder berichten jedoch viel über Kinder, mit denen sie häufig und bevorzugt zusammen sind und von denen sie einige „Freunde“ oder sogar „beste Freunde“ nennen. Diese Angaben über Spielkameraden und Freunde, die wichtige Hinweise auf den Verkehrskreis enthalten, bedürfen jedoch noch weiterer Prüfung, denn das Verständnis und das Vermögen der Kinder, über differenzierte soziale Beziehungen Auskunft zu geben, ist sehr verschieden. I: Wer sind die Freunde? K2: Wer die Freunde sind? Ach ja, grunz, grunz, ehm. Wer war'n det noch mal? 9 In den abgedruckten Interviewausschnitten wird der Interviewer mit „I“, das befragte Kind mit „K“ gekennzeichnet. Wurden zwei Kinder gleichzeitig interviewt, dann sind sie mit „K1“ und „K2“ gekennzeichnet.
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K1: Ich weiß nur UIi, Lutz. K2: Ja, Ich, ich. Jens, Klaus, Ulrich, Roger, Dieter, Mirko und Matthias, Hartmut, Uli, Torsten, Lorenz, ehm, Heinz, Heinz. K1: Klaus, Dieter, Roger, Mirko. I: Das sind eine ganze Menge. ( ... ) Und Du würdest sagen, das sind alles Deine Freunde? K2: Ja, ja, Heinz. Und wer denn noch? Achso, und Michael – und Jens – wie immer. I: Aber dann sagt ihr oft – K2: Und meine Mutter, mein Vater, meine Susi und meen Igel und meen Vogel und meen Papa. l: Wer ist denn Deine Susi? K2: Mein Hund ( ... ) I: Aber dann gibt es noch jemanden, von dem findet man (unverst.) K2: Also, mein bester Freund ist der Igel Pauli. (Interview Lutz/J ens, S. 12 f.) Oder: I: Würdest Du sagen, Du hast einen besten Freund, Hella? K: n, n (verneinend) I: Nee? K: Nein. I: Oder manchmal? Oder: Es braucht vielleicht nicht ein Freund zu sein. Ich mein'n natürlich auch Freundin. Eine beste Freundin? K: Manchmal so, ja? Aber das ist meistens verschieden ... Ich finde es Hauptsache, man hat Freunde. Und wenn man / Wenn ich jetzt zum Beispiel sage, Monika ist meine beste Freundin, ist vielleicht Waltraud wieder eingeschnappt. Ich finde alle gut. Also, fast alle sind meine besten Freunde. I: Welche Waltraud meinst Du jetzt? K: Waltraud K. I: Aus der Klasse? Die hast Du eben noch gar nicht genannt. Das ist also auch Deine K: Mh (zustimmend) I: Sagen wir ruhig ,gute Freundin' K: Ja. I: zu ihr. Und die Sabine, neben der Du mal gesessen hast? K: Die Sabine geht auch, ja. Manchmal, wenn sie nicht eingeschnappt ist. Also, die häu/jetzt spielen wir wieder häufiger zusammen. (Interview Hella, S. 17f.)
Die Ausdeutung solcher Mitteilungen stützt sich zusätzlich darauf, daß die als Freunde benannten Kinder oft noch durch Geschichten beleuchtet werden, die die Kinder an anderer Stelle des Interviews über Spiele, Streitereien und ähnliches erzählen. Außerdem können die Aussagen der Kinder mit den Angaben derjenigen Kinder verglichen werden, die sie als Freunde oder häufige Spielpartner auf-
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gezählt haben. Diese Prüfungen führen in etlichen Fällen dazu, die sozialen Beziehungen der Kinder anders einzustufen, als sie selbst es tun. Aber gerade dann, wenn die Qualität der Beziehungen, an denen die Kinder Anteil haben, herausgearbeitet wird, enthalten die Darstellungen der Kinder deutliche Hinweise auf Gruppierungen. Zu den verwendeten Informationen gehörten auch die Soziogramme der Lehrerin.
2.2.2 Teilnehmende Beobachtungen von Interaktionen In den in Feldnotizen festgehaltenen Szenen kommen zwar größere Ansammlungen von Kindern vor, aber Zusammenschlüsse, die Gruppen sein könnten, sind selten erkennbar. Eine Ausnahme besteht dann, wenn Gruppentische gebildet werden und zusammengehörende Kinder sich zusammensetzen. Die Inventare der dyadischen Interaktionen, in denen auch vermerkt wurde, wenn noch andere Kinder an der Interaktion beteiligt sind, zeigen, daß nur in der Hälfte der dyadisch aufgeschlüsselten Fälle noch andere Kinder einbezogen sind. Schon schulunabhängige Interaktionen von vier oder fünf Kindern sind im Material sehr selten, allerdings im Klassenzimmer auch kaum möglich. Aber auch auf dem Schulhof interagieren die Kinder in Konstellationen, die nicht erlauben, allein nach dem äußeren Erscheinungsbild Gruppen zu identifizieren. Offensichtlich ist dies nicht nur eine Folge der Schulsituation, denn auch in den Interviews sagen die Kinder, daß sie bei vielen Gelegenheiten nur zu zweit, schon seltener zu dritt und kaum jemals in größeren Gruppen zusammen sind (22 von 32 Kindern überwiegend „zu zweit und zu dritt“; bei den Jungen ist der Anteil größer als bei den Mädchen). Falls es Gruppen gibt, realisieren sie sich offenbar zumeist nur als Teilgruppen, und die Gesamtgruppe bleibt latent.
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Welche Kinder wie häufig miteinander interagieren und welches Thema sie dabei beschäftigt, ist den gesammelten Interaktionsszenen sehr gut zu entnehmen. Diese Zusammenstellungen können somit zur korrigierenden Einschätzung der Kinderaussagen benutzt werden. Die Auszählungen können allerdings nicht ohne weiteres in ein Maß der Interaktionsdichte verwandelt werden. Die erfaßte Häufigkeit der Interaktionen ist von der Beobachtungshäufigkeit, der Sitznachbarschaft und der immer wieder verschiedenen Unterrichtssituation mitbeeinflußt und dies kann rein rechnerisch nicht korrigiert werden. Die Intensität des Umgangs mit Kindern außerhalb der Klasse, die über die Interviews deutlich wird, kann in einer solchen Prozedur gar nicht berücksichtigt werden. Nicht einmal die Rangplätze in der Häufigkeit der Interaktionen mit bestimmten Kindern zeigen unmißverständlich die Enge der Beziehung an, weil sich aufdrängende Kinder und wiederum die in der Nähe Sitzenden quantitativ die Kontakte mit den Freunden übertreffen können. Andererseits sind die insgesamt zur Verfügung stehenden Informationen so reichhaltig, daß man diese Häufigkeiten und Rangfolgen interpretierend in eine Einschätzung der Verkehrskreise der Kinder einfügen kann. Die Identifizierung von Gruppen in dem vorliegenden Material ist folglich ein qualitativer Konstruktionsprozeß, in dem für jede Verdichtung im Beziehungsgeflecht der Kinder geprüft wird, in welcher Bedeutung ihnen Gruppencharakter zugesprochen werden kann. Auf folgende Eigenarten von Verdichtungen in dem Netzwerk von Interaktionen und Beziehungen wird geachtet:
Gegenseitige Benennung als von anderen abgehobene Interaktionspartner (nicht dem Wort, sondern dem Sinn der Äußerung entsprechend), das Ausmaß der Interaktionen nach Beobachtungen und Bericht (ggf. korrigiert nach Beobachtungsfokus und Außenstützung der Interaktion zum Beispiel durch Elternverabredungen), Art der Interaktionen, Bedeutung für die Partner, gemeinsame Interessen, Themen und Beschäftigungen der Gruppe, Verabredungen und Planungen in der Gruppe.
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Lothar Krappmann und Hans Oswald Gruppierungen in einer Schulklasse
3.1 Die Schulklasse als Rahmen für Interaktionen und Beziehungen Alle Kinder dieser Schulklasse sind an sozialer Interaktion unter Kindern beteiligt, allerdings mit verschiedener Intensität. Das Geflecht der protokollierten Interaktionen ist eng. Mit einer Ausnahme wurden Interaktionen zwischen allen 14 Jungen festgehalten. Außerdem interagieren die Jungen im Durchschnitt noch mit weiteren sieben Mädchen, nur ein Junge ist ohne einen Kontakt zu einem Mädchen. Die 18 Mädchen der Klasse interagieren im Durchschnitt mit zehn Mädchen und fünf Jungen. Für alle Jungen und Mädchen sind die Interaktionen mit gleichgeschlechtlichen Partnern häufiger. Insofern ist in den Interaktionen die Geschlechtsgrenze zwar deutlich, stellt aber für diese zehnjährigen Kinder kein unüberwindliches Hindernis dar. Auch die spärlicher interagierenden Kinder sind in das Geflecht der Interaktionen eingebunden. Falls unter isolierten Kindern solche verstanden werden sollen, die gar keine sozialen Kontakte unterhalten, so gibt es in dieser Schulklasse keine isolierten Kinder. Ein Teil der Interaktionen unter den Kindern einer Klasse resultiert in Inhalt und Form daraus, daß die Kinder gemeinsam einer Schulklasse, einer organisatorischen Einheit des Bildungswesens unter der Leitung eines Lehrers, angehören. Derartige Interaktionen würden zwischen diesen Kindern nicht zu finden sein, wenn ihr Lebensschicksal sie nicht in diese Klasse und wenn unser Bildungswesen nicht Schulklassen zu diesem Lernort gemacht hätte, der bestimmte soziale Verhaltensweisen verlangt oder doch zumindest nahelegt. Außerdem gibt es soziale Prozesse, die zwar alle Kinder einer Schulklasse einbeziehen, aber von der Schulklasse als Element des Systems Bildungswesen her nicht oder nur zum geringen Teil erklärt werden können. So können Rivalitäten zwischen Kindern oder
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attraktive Spiele sämtliche Kinder einer Klasse tangieren und dazu bringen, in den Rollen Parteigänger, Gegner, Beobachter, Mitspieler, Ausgeschlossener, Störer, Spötter und anderen aufzutreten. In diesem Fall handelt die Schulklasse als ganze aus einem nicht vom System vorgegebenen Grund als eine größere soziale Gruppe. Dies geschieht relativ selten, hat dann jedoch zumeist den Charakter eines Ereignisses und Erlebnisses. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Interaktionen in der Schulklasse, die in ihrem Zustandekommen und in ihrem Inhalt gar nicht oder allenfalls akzidentell von der Schulklasse als Systemelement oder als Großgruppe bestimmt werden. Es bilden sich Beziehungen unter Kindern, an deren Zustandekommen die Schule nur mittelbar beteiligt ist. Dem widerspricht nicht, daß es Kinder gibt, die sagen, ohne die Schulklasse hätten sie „beinah gar keine“ Freunde gehabt. In der Klasse findet man Kinder, mit denen man spielt, sich unterhält und sich anfreundet, weil sie zum Beispiel auch Fußball bevorzugen oder man mit ihnen gut „Quatsch“ machen kann. Es sind sehr oft die bereits Befreundeten, die sich nach Möglichkeit zusammensetzen, die sich helfen, und dann eben auch bei den Schulaufgaben, oder sich streiten, und dann eben auch über eine Aufgabenlösung. Andere Kinder erreichen trotz der gemeinsamen Schulsituation keine engeren Beziehungen zu Klassenkameraden. Solche Kinder „landen“ bei der Sitzverteilung leicht an einem Tisch mit Kindern, die ebenso „übrig“ geblieben sind. Nicht zuletzt die Erfordernisse des Unterrichts bringen sie dazu, miteinander in Kontakt zu treten und sich sogar gegenseitig Unterstützung über das unbedingt zu erwartende Maß hinaus zu geben. Hier könnten Freundschaften leicht entstehen. Erstaunlich ist, daß Beziehungen, die diese Bezeichnung verdienen, sich nach unseren Beobachtungen unter den übrig gebliebenen Kindern kaum bilden (vgl. unten die Ausführungen zur „Notgemeinschaft“ der restlichen Mädchen). Dies spricht ebenfalls für den lediglich relativen Einfluß der Schulklasse als
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System oder Großgruppe auf Interaktionen und Beziehungen. Immerhin gibt es einen Bereich sozialer Ereignisse, bei denen schwer abzuschätzen ist, wieweit das schulunabhängige Verhältnis der Kinder zueinander und wieweit ein Schulerfordernis ihren Verlauf bestimmt. Neben den Beziehungen innerhalb einer Schulklasse gibt es für viele Kinder noch weitere zeitweilige oder ständigere Partner außerhalb des Rekrutierungsfeldes der Klasse. Etwas mehr als ein Viertel der Spielkameraden, über welche die Kinder berichten, gehören nicht der Schulklasse an. Es sind jedoch nur sechs Kinder, die mindestens die Hälfte der von ihnen angegebenen ständigeren Interaktionspartner außerhalb der Schulklasse haben. Immerhin zehn Kinder nennen nur Kinder aus der gemeinsamen Schulklasse. Daraus ist zu folgern, daß für die überwiegende Mehrzahl der Kinder dieser Klasse das soziale Leben unter den Klassenkameraden innerhalb und außerhalb der Schule der wichtigste Bereich für Interaktionen und Beziehungen unter Gleichaltrigen ist.
3.2 Gruppen, Geflechte und Interaktionsfelder In den Interaktionen und Beziehungen der Kinder dieser Klasse lassen sich bei Beachtung der in Kap. II.2 entwickelten Gesichtspunkte die folgenden Gruppierungen unterscheiden: Mädchengruppierung 1: Die schulleistungsorientierte Gruppe. Mitglieder: Angelika, Beate, Hanna, Margot, Elke, Sybille. Davon schwach gebunden: Beate, Elke. Umfeld: Hella (Mitglied in Mädchengruppe 2). Mädchengruppierung 2: Das an Sozialbeziehungen orientierte Geflecht. Mitglieder: Berin, Doris, Hella, Monika, Sabine, Waltraud. Davon schwach angebunden: Doris, Sabine, Waltraud.
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Die übrig gebliebenen Mädchen: Das Interaktionsfeld der „Notgemeinschaft“. Dazugehörig: Claudia, Gabriele, Ilona, Jana, Karin. Jungengruppierung 1: Die Gruppe der ordentlichen Jungen. Mitglieder; Gottfried, Hartmut, Matthias, Mirko, Thomas. Davon schwach angebunden: Gottfried, Mirko. Matthias ist auch ein Mitglied der Jungengruppierung 2. Jungengruppierung 2: Das Geflecht der spielenden Jungen. Mitglieder: Sven, Joachim, Matthias, Roger. Davon schwach angebunden: Roger. Matthias ist auch Mitglied in der Jungengruppierung 1. Umfeld: Gottfried, Klaus, Wolfgang. Die übrig gebliebenen Jungen: Das Interaktionsfeld der Nichtangebundenen. Dazugehörig: Jens, Lutz, Dieter, Ulrich, Klaus. Davon mit stabileren Kontakten außerhalb der Schule: Ulrich. Von den 32 in diese Auswertung einbezogenen Kindern der Klasse wurden 21 Kinder vier Gruppierungen mit einem gewissen Gruppencharakter zugeordnet (13 der 18 Mädchen und 9 der 14 Jungen). Darunter befinden sich acht Kinder mit schwacher Anbindung an ihre Gruppierung oder mit sehr prekärer Stellung in ihr. Ein Kind hat eine Doppelmitgliedschaft. Ein in der Klasse keiner Gruppierung angehörender Junge und ein Mitglied einer Jungengruppe bilden mit anderen Kindern außerhalb der Klasse einen Zusammenschluß, über dessen Eigenschaften wenig bekannt ist. Elf Kinder (fünf Mädchen und sechs Jungen) zählen wir zu zwei Interaktionsfeldern, die keine Gruppenmerkmale außer einer erhöhten Interaktionsdichte besitzen. Bei zwei dieser Kinder könnte ihre gegenwärtige soziale Stellung noch sehr von ihrer Neuaufnahme in die Klasse beeinflußt sein. Als erstes fällt auf, daß alle vier Gruppierungen und auch die Interaktionsfelder entweder aus Jungen oder aus Mädchen bestehen. Zwar gibt es zahlreiche soziale Kontakte über die Geschlechtsgrenze hinweg, an denen die nichtangebundenen Jungen einen besonders hohen Anteil haben. Aber auch in den Fällen, in
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denen für ein Mädchen ein Junge (übrigens gibt es den umgekehrten Fall nicht) in der Rangfolge der aufgezeichneten Interaktionen auf vorderen Plätzen steht, läßt sich zeigen, daß diese Interaktionen nie eine Verbindung zu einer Gruppierung herstellen. Legt man als Kriterium für die Anwendung des Begriffs Gruppe fest, daß die Mitglieder sich selbst so nennen oder doch sagen können, wer genau zusammengehört dann ist keine der von uns identifizierten Gruppierungen eine Gruppe. Und doch handelt es sich um Beziehungs- und Interaktionsverdichtungen im Netzwerk der Gleichaltrigenbeziehungen, die etwas Ähnliches bedeuten wie das mit Gruppe Gemeinte. Bei diesen Verdichtungen können wir zwei Typen unterscheiden. Den ersten nennen wir Gruppe; er entspricht der Feststellung Robert K. Mertons, daß oft erst der Forscher die Gruppe als solche erkennt. Den zweiten nennen wir Geflecht, weil der Kreis der Dazugehörenden zwar beschreibbar, der Gruppencharakter aber weniger ausgeprägt ist. Zu beiden Typen gehören je eine Jungen- und eine Mädchengruppierung. Es ist vielleicht bezeichnend, daß die beiden Gruppen in der Hierarchie der Klasse höher stehen als die Geflechte. Im folgenden werden diese Gruppierungen nach den Gesichtspunkten Gruppengrenze, zentrales Gruppenthema, Binnenstruktur beschrieben und der Unterschied zwischen Gruppe und Geflecht herausgearbeitet. Die identifizierten Gruppierungen unterscheiden sich nach der Deutlichkeit, mit der sich Mitglieder und andere Kinder im Umfeld von einander abheben lassen. Bei der schulleistungsorientierten Gruppe der Mädchen gelingt dies am leichtesten. Sie hat eine klare Grenze, über die hinweg in der Schule keine Beziehungen bestehen, die eine Konkurrenz zu den Binnenbeziehungen darstellen. Diese Feststellung gilt allerdings nur für den vorrangigen Wirkungsbereich der Gruppe, nämlich das Klassenleben. Die drei anderen Zusammenschlüsse haben weniger deutliche Grenzen. Die Gruppe der ordentlichen Jungen verhält sich außerhalb der Schule nicht exklusiv; die Grenzen zum Geflecht der spielenden Jungen
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verwischen sich, ohne daß die Gruppe auseinanderfällt. Zwei Kinder pendeln zwischen beiden Gruppierungen. Bei dem Geflecht der Jungen besteht die Schwierigkeit der Grenzziehung darin, ob man nicht auch die zum Umfeld gerechneten Kinder als Mitglieder betrachten müßte. Bei dem vornehmlich an Beziehungen interessierten Geflecht der Mädchen stellt sich bezüglich ihrer Grenze die Frage, ob nicht einige der hinzugerechneten Mädchen eher als Außenstehende anzusehen sind. Die Zweifel betreffen jedoch immer nur einige Kinder, insgesamt ist die Grenze deutlich. Mit der Grenze hängt das zentrale Thema der Gruppierung zusammen, denn dieses Thema bezeichnet, was man zuerst untereinander und nicht oder erst danach mit Außenstehenden verhandelt. Dieses Thema ist nicht nur verschieden, sondern auch unterschiedlich deutlich erkennbar. Wiederum ist bei der schulleistungsorientierten Mädchengruppe das Thema am eindeutigsten, eben Leistungen und andere Anforderungen der Schule, wobei die Gruppe in das Konkurrenzstreben einzelner Mitglieder eingespannt wird. Obwohl auch für die anderen Zusammenschlüsse Unterricht und Schule ein unvermeidbares Thema sind, sind sie doch alle weniger ausschließlich von einer Orientierung an den Schulforderungen bestimmt. Am nächsten ist ihr noch die Gruppe der ordentlichen Jungen, deren Ordentlichkeit sich jedoch nicht nur auf Schulpflichten, sondern auch auf Regelspiele außerhalb der Schule bezieht. Das Spielgeflecht der Jungen, darunter etliche Schüler mit Leistungslücken, die Hilfe brauchen, kann das Thema Schule auch nicht auslassen, findet sich aber vor allem bei freien Spielen, also einer schulunabhängigen Beschäftigung. Ähnlich ist die Situation des beziehungsorientierten Mädchengeflechts: Schule wirkt sich aus. Aber das Hauptinteresse gilt der Plege und dem Kampf um Freundschaften innerhalb ihres Geflechts. Alle diese schulfernen Themen legen weniger nahe, sich streng an Mitgliedschaft zu halten, als wenn man eine Stellung in der Schulleistungshierarchie einnehmen und verteidigen will. Fast ist es erstaunlich, wie oft die zusammen-
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gehörenden Kinder angesichts der für die Mitwirkung anderer offenen Beschäftigungen doch immer wieder auf die Kinder aus ihrer Runde zurückgreifen. Die Gruppierungen unterscheiden sich auch nach ihrer internen Struktur. In der schulleistungsorientierten Mädchengruppe lassen sich einerseits Dyaden besser befreundeter Mädchen unterscheiden, andererseits stehen der Dyade mit Dominanzanspruch die vier anderen als Untergruppe gegenüber. Diese Teilgruppen wurden weder durch interne Auseinandersetzungen, noch durch Bemühungen, bei anderen festen Anschluß zu finden, verändert. Auch in der ordentlichen Jungengruppe gibt es überdauernde Substrukturen, die aus Zweier- und Dreier-Kombinationen bestehen. Von beiden Gruppen heben sich unter diesem Gesichtspunkt die Geflechte ab. Sie beide kennen zwar auch Teilgruppen, die aber überwiegend entstehen und vergehen. Für das Mädchengeflecht fällt diese Dynamik mit ihrer Hauptbeschäftigung zusammen. Sie wird aktiv durch die Verbreitung von angeblichen oder wirklichen Äußerungen der einen über die andere und durch Versuche, Freundinnen abspenstig zu machen, betrieben. Dynamik gibt es ebenfalls, wenn auch in eingeschränkterer Weise im Jungenspielgeflecht, weil die Intensität und die Zusammensetzung der Zweier- und Dreierspielgemeinschaften immer wieder wechselt. Hier sind Streit und Zerwürfnis ausgeprägter, und die Veränderungen werden weniger betrieben als erlitten. Die Teilgruppen spiegeln auch die Problematik wider, daß in allen Gruppierungen nicht jeder mit jedem gleich gut umgehen kann. Es gibt etliche Brüche, Abneigungen und Vermeidungen, aber auch Vorlieben und Koalitionen, die den anderen wiederum mißfallen. Das alles äußert sich in den Berichten und wird in den beobachteten Interaktionen sichtbar. Es ist eine der von den Kindern zu lösenden Aufgaben, diese Bevorzugungen und Antipathien um des gemeinsamen Ziels willen, Erfolg in der Schule oder Vergnügen am Spiel zu haben, in gewisser Weise zu neutralisieren.
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Man könnte in dem Ausweichen auf Teilgruppen einen Reflex der „inneren Grenze“ von Gruppen sehen. Ein besonderer Aspekt der Binnenstruktur ist das Vorhandensein einer Führung. In den beiden Gruppen, in der schulleistungsorientierten Mädchengruppe und in der Gruppe der ordentlichen Jungen, ist eine gewisse Führung erkennbar. Während Hanna, unterstützt von Sybille, eine solche Rolle für sich erstrebt, läßt sich Thomas in sie drängen und übt sie nur aus, wenn die Gruppenmitglieder ihn unterstützen. Die Führungsansprüche Hannas und Sybilles sowie ihre Rivalität mit Angelika lähmen die Gruppe mehr, als daß sie dadurch organisatorische Stabilität nach innen und Durchsetzungskraft nach außen gewinnen würde. Der zurückhaltende Einsatz Thomas' für die Regelung von Angelegenheiten gehört dagegen zu den integrierenden Momenten in seiner Gruppe. In den beiden Geflechten ist eine Führung, selbst ein Kind, das ständig informell Meinungsbildung und Entscheidung beeinflußt, nicht auszumachen. Wohl aber gibt es auch in den Geflechten eine Differenzierung nach Einflußchancen. Die Unterschiede in der Binnenstruktur zeigen ebenso wie die Unterschiede in der Außengrenze und im Thema, daß es zweckmäßig ist, Beziehungsgeflechte von Gruppen zu unterscheiden. Dieser Begriff Beziehungsgeflecht soll herausstellen, daß es Verbindungen von Kindern gibt, die zwar zusammengehören, aber relativ weit von dem Modell einer klaren Außengrenze, der Konzentration auf angebbare Themen, der Interaktion eines jeden Mitglieds mit jedem anderen und einer dauerhaften Binnenstruktur entfernt sind. Der Begriff hält jedoch fest, daß die Beziehungen dieser Kinder nicht einfachhin unbeständig sind. Auseinandersetzungen der Kinder und Wechsel in ihren Beziehungen müssen auf das Beziehungsgeflecht bezogen werden. Dann ist einzuschätzen, in welchem Rahmen sich Veränderungen vollziehen und auf welcher Ebene es Konstanz gibt. Auch die Geflechte mit den so fransig erscheinenden Rändern und der extrem diffusen Thematik haben wir
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mit einigen Modifikationen noch zwei Jahre später in dieser Klasse wieder identifizieren können. Änderungen gab es in den internen Dyaden und Triaden, die aber ganz überwiegend im vorgezeichneten Rahmen des Geflechts blieben. Es hatten sich auch einige Mitgliederwechsel ereignet. Aber gerade er belegt die Stabilität der so labil erscheinenden Struktur eines Geflechts. In Richtung auf den dem Geflecht gegenüberliegenden Pol in der Ausprägung des Gruppencharakters liegt die schulleistungsorientierte Mädchengruppe. Ihr klarerer Umriß und ihre festere Struktur hängen damit zusammen, daß sie vor allem an einem Ort, mit engerem Interessenbereich und in Anlehnung an eine Institution mit großer Sanktionsmacht ihre Gruppenaktivität entfaltet. Aber auch sie enthält interne Inhomogenität, die Wir-Gefühle erstickt, und die Führung schafft es vielfach nicht, ihre Ansprüche durchzusetzen. Sodann werden zwei Felder ebenfalls häufig miteinander interagierender Kinder, der Mädchen-Rest und die nichtangebundenen Jungen, identifiziert, deren Verbindungen keinen Gruppencharakter zeigen. Von Grenzen kann man bei beiden Feldern nur insofern sprechen, als diese Kinder ausgegrenzt werden; sie selber ziehen die Grenze nicht. Die nichtangebundenen Jungen mißachten sogar Grenzen und Territorien ausdrücklich, weil deren Überschreitung und die daran hängenden Folgen Teil der Unternehmungen sind, mit denen sie sich die Zeit vertreiben. Ist diese Suche nach „action“ und „Spaß“ vielleicht das gemeinsame Thema? Es ist zu vermuten, daß es sich eher um persönliche Probleme der Kinder handelt und daß diese Beschäftigungen oft genug die wenigen Anknüpfungspunkte der Kinder untereinander wieder zerstören. Auch der Mädchen-Rest hat kein Gruppenthema, und doch gibt es einen Aspekt in den Interaktionen, der dem nahe scheint. Es sind dies die Hilfen, die sie sich am gemeinsamen Klassentisch sogar häufiger geben als viele der gruppengebundenen Kinder. Diese überwiegend freundlichen Interaktionen können im Sinne von
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George C. Hemans dazu führen, daß sich ein Gruppenzusammenhang ausbildet. Dies geschieht aber möglicherweise deswegen nicht. weil die Kinder sich nur als situative Partner annehmen und ansonsten vergeblich nach anderen Beziehungen Ausschau halten. An Binnenstrukturen und Einflußdifferenzierungen ist in beiden Interaktionsfeldern nichts zu entdecken. Beide Kinderansammlungen können dies nicht aus sich heraus hervorbringen, freilich aus verschiedenen Gründen. Die Mädchen nehmen sich nicht in einem dauerhaften Aufeinanderangewiesen-Sein wahr, was eine gewisse Strukturierung der Beziehungen verlangen würde. Die nichtangebundenen Jungen dagegen scheinen die damit implizierten Bindungen nicht zu ertragen. Von daher ist die Wechselhaftigkeit in den Interaktionen dieser Jungen unterschieden von der in Beziehungsgeflechten. In Beziehungsgeflechten der beschriebenen Art wird mit Beziehungen gleichsam experimentiert, aber sie werden mit ihren gegenseitigen Ansprüchen ernst genommen. Von den nichtfestgelegten Jungen werden – aus welchen Gründen auch immer – die Festlegungen gescheut, die Beziehungen in Dyaden oder Gruppen verlangen.
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Der Gruppenbezug von Interaktionen
Daß sich Ingroup- von Outgroup-Beziehungen unterscheiden. gehört zu den ältesten Theoremen der Gruppensoziologie. Wieweit dies aber für Gruppierungen unter Kindern gilt, wie sie vorstehend beschrieben wurden, ist weitgehend unerforscht. Es gibt Hinweise darauf, daß sich Kindergruppen nach ihrer bevorzugten Thematik unterscheiden (Meyenn 1980; vgl. auch oben Abschnitt III.2). Doch ob dies das Resultat von Gruppenprozessen ist oder ob sich eher Gleichgesinnte zusammenfinden, ist umstritten10. Die weiterfüh10 Jere M. Cohens (1977) Sekundäranalyse der Daten Colemans zeigt, daß sich Gleichgesinnte eher zusammenfinden. In dieselbe Richtung deutet die Literatur zur interpersonellen Attraktion, die aller-
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rende Frage wäre, ob Kinder mit Mitgliedern der eigenen Gruppierung anders umgehen als mit Kindern, die nicht dazugehören. In diesem Kapitel legen wir einen ersten und vorläufigen Versuch zu dieser Thematik vor. Ausgewählt wurden die Verhaltensbereiche „unterstützendes Verhalten“, „Ärgern“ und „soziale Kontrolle“. Zusätzlich analysieren wir Gruppenrivalität. Zu diesen Typen von Interaktionen gehört eine Fülle von Strategien der Kinder untereinander, die wir im Rahmen dieses Aufsatzes nicht eingehend darstellen können, weil die detaillierten Interaktionsanalysen noch nicht abgeschlossen sind. In diesem Kapitel geht es lediglich darum abzuschätzen, ob bestimmte Typen von Interaktionen eher innerhalb der beschriebenen Gruppierungen auftreten und insofern indikativ für den Gruppencharakter dieser Gruppierungen sind oder ob diese Interaktionen ebenso typisch den Verkehr von nicht gruppenmäßig zusammengeschlossenen Kindern bestimmen.
4.1 Unterstützendes Verhalten Als entscheidendes Merkmal von Gruppen wird häufig Solidarität der Mitglieder genannt. Dieser Begriff umspannt viele Formen des Füreinanderstehens, die hier unbeachtet bleiben. Es soll aber die These geprüft werden, daß Verhaltensweisen wie Trösten, Helfen, Teilen, Schenken, Bevorzugen für den Umgang von Gruppenangehörigen untereinander typisch sind und daß sich Gruppen nach dem Ausmaß, in dem das gilt, unterscheiden11. Zum Teil geht es hierbei dings meist nicht auf Gruppen rekurriert. Für Kinder sind die Untersuchungsergebnisse zusammengetragen in Steven Asher et al. (1977). 11 Wir verarbeiten hier Verhaltensweisen, die in der Literatur üblicherweise als „prosoziales Verhalten“ bezeichnet werden. Wir halten diese Begriffsbildung deshalb für unzweckmäßig, weil mit ihr unterstellt wird, daß andere Verhaltensweisen antisozial seien. So wird strafendes Verhalten, das in vielen Fällen dem Gruppenerhalt und der Gruppensolidarität dient (nach Emile Durkheim, 1961, gilt dies auch für abweichendes Verhalten), meist ebenso als aggressives Verhalten gekodet, wie wenn jemand seinem Freund in einer körperlichen Auseinandersetzung beispringt. Nach Georg Simmel (1968) haben selbst Streit und Kampf „prosoziale“ Qualität. Wir handeln strafendes und streitendes
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um Hilfen in Schulnöten, zum größeren Teil handelt es sich aber um Interaktionen, die etwas mit den Beziehungen der Kinder zu tun haben. Ganz deutlich ist solch unterstützendes Verhalten bezeichnender für Mädchen als für Jungen12. Das schließt allerdings nicht aus, daß es auch unterstützungsbereite Jungen gibt. Am stärksten treten einige der Mädchen hervor, die keiner Gruppe angehören und in der Klasse eher einen prekären Status haben. Dies bedeutet, daß die bloße Tatsache, daß jemand häufig freundlich und unterstützend ist oder von ähnlichen Mädchen unterstützt wird, ihm noch keinen hohen Status und Gruppenzugehörigkeit garantiert. Diese Mädchen interagieren insgesamt wenig und ihre Freundlichkeit kann ihre sonstigen Kommunikationsschwächen und Nachteile nicht aufwiegen. Umgekehrt sind die nichtangebundenen Jungen ausnahmslos am unteren Ende der Klasse zu finden, was den Anteil von unterstützenden Verhaltensweisen an ihrem Gesamtverhalten anbetrifft. Hier mag die fehlende Freundlichkeit beziehungsweise das Überwiegen nicht unterstützender Verhaltensweisen einer der Faktoren sein, der bewirkt, daß einem Anerkennung versagt wird, und der verhindert, daß man als Gruppenmitglied attraktiv ist. Diejenigen Kinder, die in der Klasse oder in ihrer Gruppe eine herausragende Stellung haben, sind durchweg im Mittelfeld zu finden. Sie zeigen also durchaus unterstützendes Verhalten. Die darVerhalten in getrennten Abschnitten ab, setzen es aber nicht in Gegensatz zu prosozialem Verhalten. Unter „unterstützendem Verhalten“ verstehen wir jede Verhaltensweise, die einem anderen etwas zukommen läßt und damit sein Selbst stützt. In den Ausführungen dieses Abschnittes haben wir deshalb auch freundliche Körperkontakte, jemandem freundlich um die Schulter fassen und dgl. einbezogen. 12 Um diese Aussagen formulieren zu können, haben wir die Zahl der für ein Kind aufgezeichneten unterstützenden Verhaltensweisen auf die Gesamtzahl der für dieses Kind aufgezeichneten Interaktionen prozentuiert. Da unsere Methode nicht auf Quantifizierung angelegt ist, machen wir keine Zahlenangaben, um nicht eine Scheingenauigkeit zu vermitteln. Einige Trends sind so deutlich, daß die entsprechenden Aussagen oben im Text durch unsere Daten zweifelsfrei gedeckt sind. So sind unter den 16 Kindern, die einen höheren Anteil von Hilfsverhalten zeigen als die andere Hälfte der Klasse, 11 Mädchen und fünf Jungen, und die drei ersten Positionen werden von Mädchen eingenommen.
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gestellte kurvilineare Beziehung mag bedeuten, daß unterstützende Verhaltensweisen unter Gleichaltrigen wichtig sind, daß aber anderes hinzukommen muß und daß man insbesondere mit Freundlichkeit Nachteile nicht ausgleichen kann. Gehen wir näher auf den Zusammenhang zwischen Hilfsverhalten und Gruppenzugehörigkeit ein. Auf der Grundlage unseres Materials kann die generelle Aussage, daß innerhalb von Gruppen mehr geholfen wird als zwischen Gruppen beziehungsweise unabhängig von Gruppenzugehörigkeit, nicht formuliert werden. Wohl aber gibt es Zusammenschlüsse, in denen sich die Kinder viel unterstützen. In der schulleistungsorientierten Mädchengruppe sind die unterstützenden Verhaltensweisen häufiger auf Gruppenmitglieder als auf andere bezogen. Die einzelnen Kinder der Gruppen unterscheiden sich allerdings beträchtlich. So ist eines der führenden Mädchen, SybilIe, in den Hilfebeziehungen ganz auf die Gruppe bezogen, während die Bedeutung von Hanna als dem einflußreichsten Mädchen der Klasse sich hier auch darin zeigt, daß sie ebensoviele Hilfsbeziehungen nach innen wie nach außen hat. Beide liegen beim Helfen übrigens nur wenig über dem Durchschnitt. Die beiden marginalen Mädchen der schulleistungsorientierten Gruppe konzentrieren sich in ihrem Hilfsverhalten auf die Gruppe. Sie verkörpern die beiden schon für Nichtgruppengebundene gezeigten Extreme. Die eine, Beate, hat Hilfsbeziehungen nur zu dem anderen marginalen Mädchen, Elke. Darüber hinaus hat Beate keine unterstützenden Beziehungen, weder innerhalb noch außerhalb der Gruppe. In diesem Punkt ähnelt sie den nichtangebundenen Jungen. Ihr marginaler Status innerhalb der Gruppe wie auch in der Klasse mag unter anderem durch ihr mangelndes Unterstützungsverhalten erklärbar sein. Die andere, EIke, liegt im Unterstützungsverhalten über dem Durchschnitt und hat derartige Beziehungen zu vier der anderen fünf Gruppenmitglieder, was aber ihre marginale Stellung nicht bessert. Im Unterschied zu Beate gibt sie sich im
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Unterstützungsbereich Mühe – der Lohn hierfür bleibt allerdings aus. Für die Gruppe der ordentlichen Jungen ist unterstützendes Verhalten nicht bezeichnend, und zwar weder nach innen noch nach außen. Nur der Klassensprecher, Thomas, liegt über dem Durchschnitt, sein HiIfsverhalten ist nicht auf die Gruppe beschränkt. Daß die Geschlechtsdifferenz nicht durchgängig ist, zeigt sich an dem Jungengeflecht. Vier von fünf Jungen liegen über dem Durchschnitt und die unterstützenden Verhaltensweisen sind stark gruppenbezogen. Dies gilt vor allem für das gegenseitige Verhältnis von zwei Kindern (Joachim und Sven), die eine Untereinheit bilden. Und es gilt nicht für ein marginales Gruppenmitglied, Roger, der ebenso wie oben die marginale Beate in dieser Hinsicht eher den nichtangebundenen Jungen entspricht. Im Mädchengeflecht hat unterstützendes Verhalten ein durchschnittliches Gewicht. Wenn beispielsweise ein im Zentrum stehendes Mädchen, Berin, weint, dann kommen sofort zwei bis drei Mädchen aus der Gruppe, streichen ihr tröstend übers Haar, teilen ihre Empörung und sorgen so für Hilfe. (Dies steht im scharfen Kontrast dazu, daß auch bitterliches und um Hilfe flehendes Weinen eines marginalen Kindes im Geflecht, Sabine, oder eines nicht gruppengebundenen Mädchens, Claudia, keinerlei tröstende Handlungen in der Gruppe oder der Klasse hervorruft.) Wir haben weiterhin schöne Szenen des Sich-Beistehens, des Helfens und Abgehens. Aber dies geschieht auch gegenüber anderen Kindern und es gibt innerhalb der Gruppe beträchtliche Unterschiede, die nicht erkennbar mit der Gruppenstruktur zusammenhängen. Ein Unterschied ist allerdings bezeichnend und bestätigt schon Gesagtes: Das marginalste Kind der Gruppe, Sabine, empfängt und vergibt keine unterstützende Akte. Fassen wir zusammen: Wir können nicht annehmen, daß unterstützende Verhaltensweisen innerhalb der Gruppierung für die Art von peer group, die wir untersucht haben, besonders typisch sind.
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Vielmehr richtet sich solches Verhalten genauso nach außen, und dies kann als weiteres Indiz dafür genommen werden, daß der Gruppencharakter dieser Gruppierungen nicht sehr ausgeprägt ist. Es gibt allerdings Unterschiede. Für zwei Gruppierungen sind nach innen gerichtete unterstützende Handlungen bezeichnend: für die Gruppe der schulleistungsorientierten Mädchen und für das Spielgeflecht der Jungen. Obgleich für Mädchen durchschnittlich unterstützendes Verhalten typischer ist als für Jungen, ist diejenige Gruppierung in unserem Material, für die Unterstützung nach innen besonders kennzeichnend ist, das Jungengeflecht. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist der Zusammenhang zwischen unterstützendem Verhalten und Marginalität. Kinder, die keiner Gruppierung angehören, sind sowohl häufig als auch selten in Unterstützungsverhalten einbezogen. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um kontaktarme, aber freundliche Mädchen, die durch diese Freundlichkeit ihre sonstigen Interaktionsnachteile aber nicht ausgleichen können, bei den letzteren um die nichtangebundenen Jungen, deren schwach ausgebildetes Unterstützungsverhalten möglicherweise zu dem Ursachenbündel gehört, das bewirkt, daß sie nicht in Gruppen aufgenommen werden. Ähnliches zeigt sich auch innerhalb von Gruppierungen, hier haben wir Beispiele allerdings nur für Mädchen: Auch Kinder, die sehr am Rande ihrer Gruppierung stehen, unterscheiden sich in bezug auf unterstützende Verhaltensweisen. Bei den einen führt die Häufigkeit dieses Verhaltens nicht zu einer Verbesserung der Situation, bei den anderen gehört die Seltenheit dieses Verhaltens möglicherweise zu den Ursachen ihrer Marginalität.
4.2 Ärgern Unter Ärgern sind Handlungen zu verstehen, die Absichten oder das Wohlbefinden eines anderen beeinträchtigen, ohne daß für die-
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sen Eingriff in die Sphäre des Gegenüber ein Grund angegeben wird, der diesem plausibel gemacht werden könnte. Es kann auch eine Kraftprobe beabsichtigt sein. Die Reaktionen auf Ärger sind daher meist Zurechtweisung, Abwehr, Gegenangriff oder auch Hilferufe. Ärgern entsteht nicht selten aus vorherigem gemeinsamen „Quatsch“ und „Remmidemmi“, wenn einer der Beteiligten den Eindruck hat, daß der Unfug vor allem zu seinen Lasten geht. Aber Ärgern entzweit nicht nur, sondern kann den versteckten Versuch enthalten, einen Kontakt anzuknüpfen und einen gemeinsamen Spaß zu erfinden. Vielfach wird jemand geärgert, den man ablehnt. Jedoch trifft noch öfter das Ärgern dem zufällig sich bietenden Gegenüber, auf den als Person sich das Ärgern nur mittelbar bezieht, der vielmehr das Opfer von Bemühungen wird, sich Langeweile zu vertreiben. Es gibt allerdings Kinder, die keine anderen Kinder ärgern, und es gibt Kinder, die nicht geärgert werden. Ausgenommen werden nicht nur solche Kinder, die körperlich überlegen sind, sondern auch andere, die nicht so reagieren, daß sich daraus ein Zeitvertreib ergäbe. Ausgenommen werden insbesondere auch diejenigen, die über wirksame Sanktionsstrategien verfügen, und das sind vor allem die Mitglieder der schulleistungsorientierten Mädchengruppe und der Gruppe der ordentlichen Jungen. Jemand zu ärgern, geht bis auf wenige Ausnahmen in den beobachteten Interaktionen von Jungen aus. In über drei Viertel der Fälle werden Mädchen geärgert. Jungen, die andere Kinder ärgern, gehören vor allem zum Interaktionsfeld der nichtangebundenen Jungen. Die vier Jungen Dieter, Jens, Lutz und Ulrich sind in etwa 90 Prozent der Ärgereien verwickelt, vor allem als Initiatoren. Nur Ulrich ist auch Opfer, überwiegend der anderen nichtangebundenen Jungen, aber ebenfalls von Seiten der ordentlichen Jungen. Nichtige Anlässe sind meist die Auslöser, die aufgebauscht werden, wobei ein unentwirrbares Hin und Her von Übergriffen und Vergeltung entsteht. Es vertreibt die Langeweile und zeigt, wie unange-
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fochten man den anderen zum Verlust der Selbstbeherrschung bringen kann. Die übrigen, nicht sehr zahlreichen Ärgereien gehen von Mitgliedern der Gruppe der ordentlichen Jungen aus und richten sich ausschließlich gegen Nichtgruppenmitglieder. Während in ihrem Ärgern dreier Mädchen kein Bezug zur Gruppe zu erkennen ist, könnten die Quälereien Ulrichs einen Zusammenhang mit der Gruppe haben. Ulrich versucht nämlich immer wieder, Anschluß an diese Gruppe zu bekommen. Alle sehen ihn jedoch als Nervensäge, Spinner, Schwächling an. Ihn zu ärgern und zu quälen, kann als gemeinsame Abwehr dieses unerwünschten Eindringlings verstanden werden und wurde in einer Szene auch geradezu als Gruppenritual praktiziert. Interne Ärgereien gibt es in dieser Gruppe ebenso wenig wie in den anderen drei Mädchen- und Jungengruppierungen. Auch die nicht zu einer Gruppierung gehörenden Mädchen ärgern sich nicht untereinander. Gruppen könnten auch die Funktion erfüllen, Schutz gegen die ärgerlichen Übergriffe der nichtangebundenen Jungen zu bieten. Tatsächlich sind Mädchen der schulleistungsorientierten Gruppe sehr selten Ziele von Ärgereien. Die Mädchen des an Beziehungen interessierten Geflechts sind dagegen ebenso häufig wie die Mädchen des Interaktionsgeflechts „Notgemeinschaft“ Opfer des Ärgerns. Bei ihnen scheint geärgert zu werden eher auf persönlichen Eigenarten und situativen Umständen zu beruhen. Hanna und Sybille schaffen es, Lutz in die Schranken zu weisen. Berin wird geärgert, weil sie eine Zeit lang in der Reichweite einiger Nichtangebundener sitzt. Solange Claudia und Jana im Aktionsbereich von Dieter und Jens sitzen, werden sie immer wieder gepiesackt; nach Veränderung der Sitzordnung taucht in den Notizen kein Hinweis auf weiteres Ärgern mehr auf. Niemand will die ärgernden Jungen in seiner Nähe haben. Bei den Jungen stimmt die Häufigkeit des Ärgerns und der schlechte Ruf als Tischpartner weitgehend überein. Die nichtangebundenen
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Jungen erhalten die meisten negativen Stimmen bei der Frage der Lehrerin nach den nicht erwünschten Sitznachbarn. Damit ist jedoch die soziale Stellung dieser Kinder nicht voll beschrieben. Ulrich und Lutz haben auch sehr freundliche Kontakte mit Mädchen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß gerade in ihren Ärgereien auch der Versuch zum Ausdruck kommt, mit Mädchen in Verbindung zu kommen. Sehr deutlich ist dies in Lutz' Ärgereien von Monika und Gabriele. Was immer ansonsten noch hinter den Grenz- und Regelverletzungen der ärgernden Jungen stecken mag: Sie zeigen eine der Strategien, einen Kontakt zum anderen Geschlecht anzubahnen. Es ist nicht die liebevolle Annäherung, womit sie sich nur zu leicht dem Gespött preisgäben, sondern der vermutlich gar nicht so unkalkulierte Übergriff in Federtasche, Schulranzen oder Haare, der in die Nähe führt und mit dem die Reaktion getestet werden kann. Noch führen diese Attacken über die Verärgerung selten hinaus. Aber die Tatsache, daß unter den Ärger bereitenden Jungen auch diejenigen zu finden sind, bei denen sich Vorläufer von Freundschaften mit Mädchen entwickeln, unterstreicht, daß diese Handlungen auf der Kippe zwischen Spaß und Verdruß nicht immer und dauerhaft auf die Seite von Groll und Abwehr umschlagen müssen, sondern auch bei gemeinsamem Vergnügen enden können. Zusammenfassend ist festzustellen, daß innerhalb von Gruppierungen Ärgern nicht vorkommt. Innerhalb von Gruppierungen gibt es Konflikte, aber grundlose Ärgereien und Quälereien sind untypisch. Ärgereien sind auch nicht typisch für den Austausch zwischen Gruppierungen. Die Abwehr eines Ärgers kann zur Gruppenangelegenheit werden. Geärgert wird vielmehr fast ausschließlich von den nichtangebundenen Jungen. Dieses Verhalten ist kennzeichnend sowohl für ihr Verhalten untereinander, als auch für ihr Verhalten gegenüber einem Teil der Mädchen. Letzteres mag teilweise Ausdruck des beginnenden Versuchs sein, mit Mädchen näher in Beziehung zu treten.
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4.3 Soziale Kontrolle Ein Klassenzimmer ist klein, man sitzt und steht eng aufeinander. Zwangsläufig kommt es zu Zusammenstößen, beabsichtigt wie unbeabsichtigt. Man rempelt, man stolpert, man stört. Und man läßt es sich nicht gefallen, sondern man schimpft, beklagt sich, revanchiert sich. Mit Gruppe hat dies weniger zu tun als mit Nähe. Vielleicht ist man mit Mitgliedern der eigenen Gruppierung vorsichtiger, vielleicht duldet man Grenzverletzungen, Ein- und Übergriffe von Gruppenmitgliedern eher als von anderen. Wir können dies nicht belegen und lassen deshalb diesen ganzen Bereich alltäglicher Zusammenstöße außer Betracht. Bestimmt man als soziale Kontrolle das Feststellen, Mißbilligen, Zurechtweisen und Ahnden von Regelwidrigkeiten – Sanktionsverhalten also – dann fällt auf, daß sich die von uns beobachtete Kontrolle vor allem auf Normen der Schule und allgemeine kulturelle Normen wie etwa Ordnungsvorstellungen bezieht. Beides ist nicht eindeutig zu trennen, weil die Lehrer, an die sich die sanktionierenden Kinder anlehnen, in ihrer Eigenschaft als Systemvertreter beide Bereiche kontrollieren. Daneben haben wir eine Reihe von Handlungen beobachtet, die sich gegen Angebereien und Versuche, über andere Kinder zu bestimmen, richten. Einige Beispiele werden wir am Ende dieses Kapitels schildern. Die meisten beobachteten Sanktionen beziehen sich aber auf Normen der Erwachsenen beziehungsweise der Schule. Dies zeigt, daß es eine Verschränkung der Orientierung an Erfordernissen des Systems und an Erfordernissen der Kinderwelt gibt. Ganz offensichtlich gibt es in der Welt der Kinder die Übereinkunft, daß Kinder im Sinne von Erwachsenen andere Kinder sanktionieren dürfen. Dies ist nicht neu, es wird von Lehrern genutzt und ist dem Schulsoziologen vertraut. Doch welche Kinder tun dies, und läßt sich hier ein Bezug zu Gruppen finden?
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Dieses Kontrollverhalten wird vornehmlich von Mädchen ausgeübt, in geringerem Ausmaß von den „ordentlichen“ Jungen, und es richtet sich überwiegend gegen die nichtangebundenen Jungen und weit seltener gegen Mädchen. Derartige Kontrolle bezieht sich also eher auf die Schulklasse als auf Gruppierungen. Eine Ausnahme bildet die Gruppe der schulleistungsorientierten Mädchen. Sie kontrollieren zwar ebenfalls häufig außerhalb ihrer Gruppe, aber dieses Kontrollverhalten ist innerhalb der Gruppe noch ausgeprägter. Vergleichen wir zwei einflußreiche Mädchen der angesehenen schulleistungsorientierten Gruppe mit Mädchen, die, in keine Gruppierung eingebunden, eher marginalen Status haben. Mädchen beider Typen beobachten das Klassengeschehen sehr genau und registrieren Verstöße – die erste Stufe des Kontrollvorganges. Aber die marginalen Mädchen begnügen sich bei sie nicht selbst betreffenden Verstößen meist damit, mit wissendem Gesichtsausdruck das Ereignis zu speichern und sich ihren Teil zu denken. Sie können dem Forscher beredt schildern, was sie von einer derartigen Handlung oder von solch einem „bescheuerten Stänkerer“ halten, aber im allgemeinen sagen sie dies zu niemandem, und ihr Gesichtsausdruck wird vom Normbrecher meist nicht gesehen. Insofern ist der Kontrolleffekt minimal. Bei selbstbewußteren marginalen Mädchen haben wir gelegentlich Zurechtweisungen und verletzende Worte gehört. Sie erreichen damit zwar nicht viel, aber sie zeigen dem Abweichler doch, was sie über ihn denken. Sind die marginalen Mädchen selbst von einem Normbruch betroffen, dann versuchen sie, durch stummen Appell das eindringende Verhalten zu stoppen, und bei den weniger hartnäckigen Jungen gelingt dies erstaunlich gut. Oder sie beseitigen wortlos mit unbewegtem, manchmal bösem Gesicht den angerichteten Schaden. Die Kontrolle liegt in der Stummheit des Vorwurfs und ist wenig effizient. Oder sie weinen: sie appellieren damit an das Mitleid des Eindringlings, in seltenen Fällen bekommen sie Hilfe von anderen und oft
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bedeutet dies das Eingreifen des Lehrers – Weinen als Sonderform des Petzens. In aussichtslosen Situationen wird direktes Petzen praktiziert, das heißt, die selbstregulierte Peerwelt wird verlassen, mit dem Anrufen der Erwachsenenautorität tritt das System in sein Recht. Ganz anders die beiden durch eine enge Beziehung verbundenen statushohen Mädchen, Hanna und Sybille, die auch in der schulleistungsorientierten Mädchengruppe dominieren. Auch sie beobachten genau. Aber sie schalten sich ein und machen andere aufmerksam. So mobilisieren sie im Sinne Emil Durkheims (1961) Solidarität gegen den Normbrecher. Finden sie, daß etwas zu weit geht, dann weisen sie auch zurecht. Dies richtet sich beispielsweise gegen Jungen, die großes Tohuwabohu erzeugen. Den deutlichsten Fall beobachteten wir aber in bezug auf ein Mädchen der eigenen Gruppe, Beate: In einer Musikstunde mit Tanz wurde Beate weder aufgefordert noch folgte bei Damenwahl jemand ihrer Aufforderung. Sie glaubte – ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt -, daß ihre mangelnden Chancen darauf zurückzuführen seien, daß eine Klasse mit etwas älteren Türkenkindern aus dem Nebenraum hinzugebeten wurde und mittanzen durfte, und schimpfte lauthals über die Türken. In der anschließenden Pause bildete Hanna den Mittelpunkt und die Wortführerin eines Kreises von Mädchen, der diese Diskriminierung laut und lange verurteilte.
Der Hauptunterschied zu den marginalen Mädchen ist also, daß die statushohen Mädchen nicht einfach mißbilligen, sondern eine Peeröffentlichkeit mobilisieren. Ähnlich initiativ wie Hanna und Sybille sind auch zwei Mädchen des Geflechtes, Berin und Ursula. Bisher war die Rede von Reaktionen auf Normverstöße, von denen die sanktionierenden statushohen Mädchen selbst nicht unmittelbar betroffen sind. Richtet sich solch ein Verhalten gegen sie selbst, dann verfügen sie über weit wirksamere Methoden der Abwehr und Zurechtweisung als die marginalen Mädchen. Manchmal bildet sich eine schnelle Koalition, die den Attackierenden bedroht. Aber auch alleine oder zu zweit blocken sie den Regelverletzer ab
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und strafen ihn mit scharfen Worten. Manchmal sanktionieren sie präventiv, verbieten, was der andere gar nicht tut und möglicherweise nicht vorhat, und zeigen ihm so, was sie von ihm denken. Sehr wirkungsvoll verstehen sie auch, dem Normbrecher durch Ignorieren seines Verhaltens und seiner Person deutlich zu machen, wie gering seine Stellung ist. Vermutlich ein Effekt dieses Kontrollverhaltens ist, daß statushohe Mädchen der schulleistungsorientierten Gruppe insgesamt selten Opfer von Normverstößen sind. Weshalb ihre Techniken aber erfolgreich sind, wohingegen ähnliche Versuche von statusniedrigeren Mädchen eher mißlingen, wissen wir nicht. Wieso wirkt ein strafender Blick, ein böses Wort? Die bisherige Analyse zeigt, daß die nach Art und Wirksamkeit auffälligen Sanktionen mit Status zusammenhängen. Gruppierungen sind dagegen von geringerer Bedeutung. In einer Gruppe (Mädchen) wird innerhalb noch stärker sanktioniert als außerhalb. In der zweiten Gruppe (Jungen) und in einem Geflecht (Mädchen) werden Mitglieder eher verschont; Sanktionen richten sich nach außen. Im zweiten Geflecht (Jungen) wird nach außen nicht kontrolliert, und die Kontrollen innerhalb gehen fast ausschließlich von einem Mitglied aus, bei dem möglicherweise auch Ressentiments mitschwingen. Sowohl auf Klassen- wie auf Gruppenebene üben Ranghohe Kontrolle wirksam aus, wohingegen Rangniedere gegenüber Ranghohen meist ins Leere laufen. Dies gilt auch für einen anderen Aspekt sozialer Kontrolle, der bisher unbeachtet blieb. Von sozialer Kontrolle kann man auch sprechen, wenn ein Ziel erreicht werden soll und man andere dazu bringen will, sich so zu verhalten, daß dieses Ziel erreicht wird. Noch deutlicher als beim Sanktionieren ist hier der Zusammenhang mit sozialem Status. Interessanterweise wird dies von den Statushohen oft mit Verhaltensweisen erreicht, die von den anderen mißbilligt werden. Erfolgreiche sanktionierende Gegenmaßnahmen
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sind aber deshalb schwer, weil die Verstöße von Statushohen begangen werden. Die ehrgeizige Hanna konnte in einer chaotischen Situation einen Wettkampf mit anderen Klassen nur dadurch retten, daß sie, zuletzt mit Hilfe der Lehrerin, zwei überzählige Mädchen von der Teilnahme ausschloß. Dies war zweifellos notwendig, um gewinnen zu können; denn eine Mannschaft, die bei einem Stafettenlauf zwei Läufer mehr hat, muß verlieren. Möglicherweise reichte die Zeit oder die Fähigkeit Hannas nicht aus, einen Auswahlprozeß in Gang zu bringen. Aber die beiden Ausgeschlossenen weinten noch nach dem Ende der Spiele. Daß das Verhalten Hannas für die Zielerreichung „Gewinnen“ zweckmäßig war, bewirkte also nicht, daß der unausgehandelte Ausschluß akzeptiert wurde. Der sich im Weinen äußernde Protest gegen Hanna zeigt, daß sie in ihrem Bestreben, ein Systemziel zu erreichen, gleichzeitig gegen Verhaltensregeln der Peerwelt verstoßen hat. Das Beispiel bezog sich auf die Schulklasse. Ähnliches geschieht aber auch in Gruppen: Die schulleistungsorientierte Mädchengruppe, um Hella erweitert, verfaßte in Konkurrenz zu anderen Gruppen ein Rollenspiel, das später vorgeführt werden sollte. Sofort riß Hanna die Initiative an sich. Sie beriet sich fast ausschließlich mit Sybille. Anfänglich hatte Angelika versucht, Ideen einzubringen, doch diese wurden entweder verworfen oder gar nicht beachtet. Jedenfalls wurden sie von Hanna und Sybille nicht diskutiert. Am schnellsten resignierte Elke, die als Randseiterin überhaupt keine Aufmerksamkeit fand. Sie schimpfte einigemale, um wenigstens Angelika zum Zuge zu bringen, dann saß sie verdrossen und vorwurfsvoll daneben. Angelika wurde mehrmals richtig wütend, aber gegen Hanna und SybilIe kam sie nicht an. Diese verfertigten das Stück, verteilten die Rollen und führten Regie. Und die anderen spielten mit.
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Wieder kann man Elkes und Angelikas Verhalten als Sanktionen verstehen. Sie drücken Mißbilligung aus, und die Vorstellung, daß Hanna und Sybille nicht bestimmen dürften beziehungsweise daß die anderen Beiträge Berücksichtigung finden sollten, ist ihnen offensichtlich wichtiger, als das Ziel zu erreichen, ein möglichst gutes Rollenspiel. Doch Hanna läßt sich durch Protest nicht beirren. Ihre erste Priorität ist Zielerreichung, dafür übt sie Druck aus. Sie setzt sich durch und schluckt den Groll der anderen. Das vermag sie aufgrund ihrer hohen Stellung wie schon in der Klasse so auch hier in der Gruppe. Mit den letzten Beispielen haben wir den Bereich, in dem Kinder unter sich Systemnormen durchsetzen, verlassen. Hier wurde vielmehr das Dominanzverhalten sanktioniert. Es wurde also, wenn auch vergeblich, versucht, das Egalitätsprinzip der Kinderwelt durchzusetzen, seine Verletzung zumindest nicht hinzunehmen. Ähnliche Beispiele zu einer anderen Thematik finden sich im Mädchengeflecht: Dort spielt die äußere Attraktivität, auch schon im Hinblick auf Jungen, eine Rolle, insbesondere wird sehr auf Haare geachtet. Dabei versuchen die Mädchen, sich auszustechen. Gleichzeitig werden aber Anstrengungen unternommen, die dadurch entstehenden Ungleichheiten wieder einzuebnen beziehungsweise die Oberhebung zu sanktionieren. So beteiligen sich einige Mädchen demonstrativ nicht am eifrigen Haarebürsten der anderen und zeigen deutlich ihre Mißbilligung. Ursulas Haarkämmen bringt ihr den Ruf einer „Angeberin“ ein, und sie wird beschuldigt, die Jungen anzumachen. Wir können nicht beurteilen, wie wirksam diese Kontrolle ist. Aber das Beispiel zeigt, daß auch in dieser Gruppe versucht wird, soziale Kontrolle zugunsten des Gleichheitsgrundsatzes auszuüben. In den beiden Jungengruppierungen haben wir Ähnliches nicht beobachtet. Dies mag daran liegen, daß hier Dominanzverhalten kaum auftritt. Thomas ist, auch aufgrund seines Klassensprecheramtes, der Einflußreichste in der Gruppe der ordentlichen Jungen.
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Aber man muß ihn immer erst drängen, etwas zu unternehmen. Anders als Hanna will er offensichtlich nicht bestimmen; Dominanzverhalten braucht demgemäß nicht sanktioniert zu werden. Zusammenfassung: Innerhalb von Gruppierungen wird soziale Kontrolle ausgeübt, um Dominanzverhalten zu unterbinden. Diese Kontrolle ist schwer durchzusetzen, und sie ist zumindest in den Fällen, in denen es dem regelverletzenden ranghohen Kind wichtiger ist, ein Systemziel zu erreichen, wirkungslos. Sie ist auch wenig wirksam, wenn Mädchen versuchen, bei Jungen Erfolg zu haben. Die Konformität mit dem Egalitätsprinzip in den Jungengruppierungen kann aber als Hinweis auf eine gewisse Wirksamkeit dieser Kontrolle genommen werden. Darüber hinaus konnten wir gruppeninterne Kontrollmechanismen in bezug auf Normen der Kinderwelt nicht feststellen. Dies geht gegen unsere auf der Grundlage von gruppen- und jugendsoziologischer Literatur geformte Erwartung. Wir können allerdings nicht ausschließen, daß wir die Eigenart kindlicher Kontrollausübung noch nicht kennen. Im Interview weisen die meisten Kinder von sich, daß es Strafen unter Kindern gebe. Vielleicht sind es bestimmte Formen des Streits, mit denen Kinder gruppenintern Kontrolle ausüben. Die Klärung dieser Frage bedarf weiterer Untersuchung. Deutlich ist dagegen, daß Kinder und vornehmlich Mädchen im Sinne der Erwachsenen beziehungsweise der Schule für Ordnung sorgen. Mit Gruppierungen hat das insofern etwas zu tun, als man gegenüber den Mitgliedern der eigenen Gruppierung milder ist. In einer Gruppe richtet sich diese Kontrolle allerdings noch stärker auf Gruppenmitglieder, und aus einem Geflecht heraus wird kaum sanktioniert. Im Übrigen besteht ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß und der Wirksamkeit dieser Kontrolle und dem sozialen Status in der Klasse wie in der Gruppe.
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4.4 Gruppenrivalität Rivalität zwischen Gruppen ist schwer zu beobachten. Es ist zwar deutlich, daß die Mädchen- wie die Jungengruppe einflußreicher sind als das Mädchen- und das Jungengeflecht, aber ob dies in rivalisierenden Auseinandersetzungen entstand, wissen wir nicht. Wir beobachten einen Konflikt um ein viele Monate lang in fast jeder Hofpause fortgesetztes Fangspiel, bei dem abwechselnd die Jungen die Mädchen und die Mädchen die Jungen jagten. Bei dem tagelangen Streit, ob in der folgenden Pause die Jungen oder die Mädchen die Fänger seien, traten vor allem Hanna bzw. Thomas als Anwälte der Mädchen- bzw. der Jungenseite auf, beide jeweils unterstützt von ihrer Gruppe. Die Auseinandersetzung endete mit einem Patt. Keiner konnte den anderen umstimmen, und das Spiel wurde nie wieder aufgenommen. Obgleich sich hier zwei Gruppen gegenüberstehen, ist nicht klar zu unterscheiden, wie weit der Gruppenanteil geht und welchen Anteil vorpubertäre Geschlechterrivalität hat. So müßten wir auf diesen Abschnitt verzichten, wenn wir nicht auf einem Landschulheimaufenthalt einen sich über viele Stunden hinziehenden Konflikt hätten beobachten können13. Diese Auseinandersetzung darum, wer künftig in der Klasse das Sagen haben soll, zeigt nicht nur, daß es Gruppenrivalität gibt. Der konkrete Fall ist in seinen Einzelheiten vielmehr nur verständlich unter der Annahme, daß diese Rivalität auch schon vorher bestand. Das im folgenden ausführlich zu schildernde Geschehen zeigt somit, daß unser erfolgloses Suchen nach Gruppenrivalität lediglich bedeutet, daß diese die meiste Zeit latent ist. Die Hierarchie der Gruppen einer Schulklasse ist selbstverständlich und im allgemeinen unange13 Dieser Vorfall geschah auf der fünften Jahrgangsstufe, etwa ein Jahr nachdem die Beobachtungen, die vor allem die Grundlage für die Ausführungen dieses Aufsatzes bilden, abgeschlossen waren. Die beiden Autoren bekamen die Gelegenheit, die Klasse als offizielle Begleiter für 14 Tage auf einer Nordseeinsel zu beobachten.
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fochten. Nur in den seltenen Fällen, in denen das bestehende Gleichgewicht von einer Seite herausgefordert wird, kommt es zur rivalisierenden Auseinandersetzung, wie an einem Tag des Landschulheimaufenthaltes14. Auf der vierten Jahrgangsstufe hatten Hanna und Sybille, die führenden Mädchen der schulleistungsorientierten Gruppe, bei der Klassensprecherwahl die meisten Stimmen bekommen (neun und sechs). Auf der fünften Jahrgangsstufe, dem Jahr des Landschulheimaufenthaltes, war das Amt an ein Mädchen aus dem Geflecht, Hella, übergegangen. Wir wissen nicht, wie das vor sich gegangen war, aber es könnte ein Vorspiel oder gar ein Teil des Rivalitätskampfes gewesen sein. Dieser Wechsel im Amt schien allerdings zunächst nichts an der Einflußstruktur der Klasse verändert zu haben. Die einzige Aufgabe im Landheim, die wirklich Sache des Sprechers gewesen wäre, Geldsammeln und Besorgen eines Geschenkes für den Geburtstag der Lehrerin, wurde jedenfalls von Hanna und Sybille und nicht von der neuen Klassensprecherin Hella organisiert. Und Hella schien hiergegen nichts zu haben. Dennoch war sie es, die zusammen mit Ursula die einflußreiche Mädchengruppe um Hanna und Sybille herausforderte. Es begann mit einem morgendlichen Spiel in den Dünen. Einige Jungen rempelten mit Hella und Ursula aus dem Geflecht sowie mit Jana herum. Das brachte Hella auf die Idee, das Spiel „Mädchen befehlen Jungen“ vorzuschlagen. Schnell waren Hella und Ursula Generäle und befahlen einem immer größer werdenden Kreis von Jungen, der auch alle nichtangebundenen Jungen, nicht aber die Mitglieder der ordentlichen Jungengruppe, umfaßte. Nur mit Zögern wurde auch Jana, die nicht zum Geflecht gehört, zum 14 Die zu berichtende Geschichte liegt in drei Versionen vor. Beide Beobachter machten von unterschiedlichen, oft weit auseinanderliegenden Standorten aus Notizen und fertigten je ein Protokoll an. Zusätzliche Angaben finden sich im Forschungstagebuch. Die drei Berichte ergänzen und überschneiden sich, so daß wir oben eine zusammenfassende Darstellung geben müssen. Diese Darstellung ist außerdem stark gekürzt, da das Geschehen dieses Tages viele Aspekte enthält, die nicht unmittelbar mit dem Thema Gruppenrivalität zusammenhängen.
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General befördert, zu befehlen hatte sie in dem folgenden lang andauernden, spaßig-aufregenden Kriegsspiel jedoch wenig. Drei Mädchen der schulleistungsorientierten Gruppe, darunter Sybille, waren in der Nähe und äußerten mehrfach ihr Mißfallen. Das Spiel machte Spaß und auf dem Heimweg wurde beschlossen, von nun an jeden Tag bis zum Ende des Landheimaufenthaltes so weiter zu spielen. Vor und während des Mittagessens gifteten die führenden Mädchen Hanna und Sybille herum, und Hella interpretierte dies laut als Neid. Es sei schon merkwürdig, meinte sie; immer hätte Sybille zu befehlen, aber jetzt habe sich das geändert. Sie selbst und Ursula seien die Anführerinnen, äußerte sie gegenüber dem Beobachter. Während der Störmanöver von Hanna und Sybille warben Hella und Ursula neue Anhänger. Sie ernannten Claudia und Beate, die vorher eher zu den Opponenten gehörten, zu weiteren Generälen. Ein regelrechtes Tauziehen gab es zwischen der Mädchengruppe und dem Mädchengeflecht um Berin, die, dem lauten Geschrei beider Parteien folgend, mal auf die eine, mal auf die andere Seite lief und zuletzt zum sechsten General ernannt wurde. Auf dem nachmittäglichen Spaziergang entfalteten Hanna und Sybille, verstärkt um die anderen Mädchen ihrer Gruppe und verhalten sekundiert von der ordentlichen Jungengruppe, weitere rege Gegenaktivitäten. Sie betonten, wie blöde das Spiel sei, sie bemängelten, daß es Generäle gebe und dann auch noch gleich sechs! Bei ihnen würde ohne Anführer gespielt. Es gelang ihnen, ein Kind nach dem anderen aus Hellas lustvoller Spielgruppe herauszubrechen und am Ende des Spazierganges gab es keine Gegengruppe mehr. Während der ganzen restlichen Tage wurde dieses Spiel nie mehr gespielt. Die heimlichen Klassensprecher Hanna und Sybille und ihre Gruppe hatten sich gegen die Klassensprecherin Hella und ihr Geflecht durchgesetzt, allerdings weder am Tag des Konflikts noch später eine vergleichbar lustvolle Alternative entwickelt.
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Die Vorgänge sind hier verkürzt wiedergegeben und enthalten Interpretationen. Es ging uns darum zu zeigen, wie ein attraktives freies' Spiel dazu führen kann, daß eine nicht dominierende Gruppe Anhänger gewinnt. Dies geschieht zunächst unbeabsichtigt und hat nur etwas mit dem Spiel zu tun. Da das Spiel allen Beteiligten Spaß macht, soll es fortgesetzt werden. Da das Thema des Spiels Herrschen ist, besteht plötzlich die Möglichkeit einer andersartigen Rahmung15: das Herrschen im Spiel wird zum Dominieren in der Klasse. Diese Änderung der Situationsdefinition ist unmerklich, spielerisch und immer noch lustvoll. Man könnte sie als Spaß nehmen und so in den ursprünglichen Rahmen zurückführen. Erst die harsche Reaktion der Führungsgruppe definiert eindeutig den Rivalitätscharakter. Diese Reaktion macht allerdings die Rivalität der beiden Mädchengruppierungen nicht zum Thema, und darin liegt vermutlich ihre Wirksamkeit, weil die Fiktion, die Welt der Gleichaltrigen sei egalitär, damit nicht angegriffen oder in Zweifel gezogen wird. Die Reaktion richtet sich nicht gegen einen konkurrierenden Führungsanspruch, sondern gegen ein besonders dummes Spiel, das unterbunden gehört. Ein Hauptargument ist der Hinweis auf den völligen Unsinn, daß nach und nach alle das Spiel betreibenden Mädchen zu Generälen befördert werden. Hierin besteht allerdings ein besonderer Witz des Spiels. Das militärische Gehabe bekommt parodistische Züge; aus dem Versuch, die statushöchste Gruppe abzulösen, entwickelt sich im Spiel ein Gegenmodell: Alle Mädchen sind Generäle, also gleich. Indem die Mädchen mit Führungsanspruch scheinheilig General Hella und die Vielzahl der Generäle überhaupt verhöhnen, verteidigen sie tatsächlich ihre Vorrangstellung gegen eine auf Egalität unter den Mädchen angelegte Spielidee. Ohne das Problem der realen Dominanz in der Klasse zum Thema gemacht zu haben, haben Hanna und Sybille die Mädchen des Geflechts und besonders Hella und Ursula in ihre Grenzen verwiesen. Sie haben damit eindrucksvoll ihren eigenen 15 Wir benutzen den Ausdruck „Rahmung“ im Sinne Erving Goffmans (1977, zuerst 1974).
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Einfluß dokumentiert. Hella und Ursula haben gelernt, daß es besser ist, sich um die führenden Mädchen zu bemühen, statt ihnen entgegenzutreten. Die Gruppenstruktur und die hierarchische Struktur der Klasse haben das Spiel überstanden.
4.5 Zusammenfassung Die Ergebnisse dieses Kapitels sind nicht sehr deutlich, in dem soziologisch besonders wichtigen Teil über soziale Kontrolle sogar gegen die Erwartung unergiebig. Dies bestätigt den Eindruck des Kapitels III dahingehend, daß ein Verfestigungsgrad, wie er von Sherif und Sherif für jugendliche Gruppen geschildert wird, nicht erreicht wird. Kinder stehen in der Systemeinheit Schule andauernd in Situationen, in denen sie unabhängig von Gruppengrenzen interagieren und in denen andere Verhaltensorientierungen die Gruppenorientierung überlagern. Die von uns untersuchten Kindergruppierungen sind keine Primärgruppen im Sinne Cooleys. Andererseits läßt sich zeigen, daß die Verdichtungen im Beziehungsgeflecht der Gleichaltrigen, die wir Gruppe und Geflecht von Kindern nennen, auch insofern bedeutsam sind, als sie sich auf die Art, wie die Kinder miteinander umgehen, auswirken. Zwei Gruppierungen, eine Mädchengruppe und ein Jungengeflecht, zeichnen sich deutlich durch gegenseitige Hilfe und Unterstützung aus. Innerhalb der Gruppen und Geflechte wird wenig geärgert, und die Abwehr der mit ihrem Piesacken grenzüberschreitenden Jungen kann Gruppenangelegenheit werden. Obgleich insbesondere die Mädchen, aber auch die ordentlichen Jungen, Verletzungen allgemeiner Ordentlichkeits- und Schulnormen ungeniert sanktionieren, geschieht dies, abgesehen von der Gruppe der schulleistungsorientierten Mädchen, doch seltener gegenüber den Mitgliedern der eigenen Gruppe oder des eigenen Geflechts. Innerhalb der Mädchengruppe und des Mädchengeflechts wird aber ganz deutlich sanktio-
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niert, wenn Kinder zu dominieren versuchen oder sich durch Angeberei aus ihrem Kreis herausheben. Darüber hinaus haben die verschiedenen Gebilde in der Klasse unterschiedliches Ansehen und unterschiedlichen Einfluß. Die Mädchengruppe und die Jungengruppe stehen in dieser Hierarchie oben. Die Überordnung wird in Rivalitätsauseinandersetzungen zwischen den Gruppierungen angegriffen und verteidigt.
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Ausblick
Diese Untersuchung über soziale Gruppierungen unter zehnjährigen Kindern ist zu einem anderen Ergebnis gekommen als frühere Darstellungen der peer group. Dort wurde immer wieder der Eindruck erweckt, daß Kinder nur in einer Form miteinander in Beziehung treten. Die einen betonen mehr den instabilen Charakter von zeitweiligen Zusammenschlüssen mit offenen Grenzen; andere schildern feste Gruppen und Cliquen. Wir können dagegen zeigen, daß Kinder sich in nebeneinander existierenden, verschiedenartigen sozialen Gebilden zusammenschließen. Unter 32 Kindern der von uns untersuchten Klasse identifizierten wir mehrere qualitativ unterschiedene Gruppierungen, nämlich Gruppen und Geflechte, sowie Interaktionsfelder von nichtangebundenen Kindern. Diese drei Typen haben sich unabhängig vom Geschlecht und auch ohne erkennbaren Einfluß der sozialen Schichtung herausgebildet. Es ist die Aufgabe weiterer Forschung, zu prüfen, wie weit die in dieser Klasse identifizierten Gruppierungen verbreitet sind. Keine der von uns identifizierten Gruppierungen entspricht in ihren Merkmalen den Kriterien einer strengen Definition von Gruppe. Ein Grund dafür, daß sich der Gruppencharakter nicht stärker ausprägt, kann durch Einschränkungen zustande kommen, denen das Leben jüngerer Kinder unterliegt: etwa die Regeln von Schule und Hort, die die Möglichkeiten der Kinder, ihre freie Zeit
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nach eigenem Wunsch mit anderen zu gestalten, eingrenzen, oder Verbote, zu viele Kinder mit nach Hause zu bringen, und auch der Niedergang der Straße als Freistatt des Kinderlebens. So geht in das Gruppenleben immer auch der Kompromiß mit den Lebensumständen ein. Weitere Unschärfen der beobachteten gruppenartigen Gebilde haben ihren Grund möglicherweise darin, daß in Konkurrenz zur Bildung von Zusammenschlüssen ein weiterer Impetus in dieser Gleichaltrigenwelt steckt: eine Vorstellung, daß alle zusammengehören, daß niemand – außer dem notorischen „Stänkerer“ – ausgeschlossen werden sollte, daß ausgleichende Gegenseitigkeit alle Beziehungen zu bestimmen habe, daß sich keiner über die anderen erheben dürfe. Man kann diese Vorstellung einen Mythos oder eine Fiktion der Gleichaltrigenwelt nennen, aber sie ist wirksam. In den Unterhaltungen mit den Kindern erschwert sie den Zugang zu ihrem Wissen über die Gruppierungen. Die Aussagen über die engeren Verkehrskreise werden von dem gleichzeitig vorhandenen Wunsch eingefärbt, für neue Bekanntschaften offen zu sein, Erfahrungsbereiche zu erweitern und auch in den Gruppierungen sich nicht in feste Rollen pressen zu lassen. Die regulative Idee von Egalität und Offenheit beeinflußt die Kinder darüber hinaus in ihrem Verhalten untereinander. Sie wenden Strategien an, Machtansprüche ins Leere laufen zu lassen, sich Anweisungen zu entziehen oder wenigstens Mißmut und Ablehnung zu demonstrieren. Untereinheiten von zwei oder drei Kindern verselbständigen sich zumindest zeitweise, indem sie die anderen aus ihrem Treiben ausschließen. So stärken sie die Untereinheit gegenüber der Gruppe. Es gibt also Gegentendenzen, die die Ausprägung von Gruppengrenzen und -strukturen erschweren. Diese Einschätzung macht die Vorstellung fragwürdig, daß Kinder sich ausschließlich von einer Gruppe her verstehen und ihr Handeln allein an dieser Gruppe orientieren. Bei der Suche nach den sozialisatorischen Einflüssen der Gleichaltrigen ist nicht nur
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auf die Effekte von Gruppierungen zu achten, sondern es ist die Einbindung der Kinder in bestimmte Konstellationen von Gruppierungen und anderen Sozialbeziehungen zu analysieren. Die dargestellten gruppenartigen Zusammenschlüsse scheinen uns nicht nur Vorformen von Jugendlichengruppen darzustellen, sondern eigene Bedeutung für die Kinder zu haben. Sicherlich lernen die Kinder in ihnen auch Wichtiges für später. Aber zunächst sind sie Ausdruck der Bedürfnisse, der Vorstellungen und des Vermögens der Kinder dieses Alters und stellen einen Ausschnitt der zu respektierenden und zu schützenden Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens dar.
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Autorinnen und Autoren
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