Marion Keup
Internationale Kompe tenz
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Marion Keup
Internationale Kompe tenz
Marion Keup
Internationale Kompetenz Erfolgreich kommunizieren und handeln im Global Business
•
GABLER
Biblio9rafische Information der Deutschen Nationalbibliothek Oie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über chttpz/dnb.d-nb.dec- abrufbar.
1. AUflage2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 l ektorat: Stefanie A. Winter Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Seience-Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrove rfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen . Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsname n, Warenbezeichnungen usw. in d iesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz -Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Künkell opka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinde rische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1740-9
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, Sie halten dieses Buch in Händen und fragen sich, was es Ihnen bieten könnte. Bevor Sie sich darüber im Einführungskapitel umfassend informieren, lassen Sie mich hier kurz die Hintergründe für die Entstehung des Buches anreißen. Mein Interesse für das Thema und mein Wissen darüber stammen aus mehreren Quellen: eigene praktische Erfahrungen aus langjähriger Berufstätigkeit im Ausland (u. a. Brasilien) sowie viele Jahre Recherche und theoretische Beschäftigung mit Kulturunterschieden und den Fallstricken internationaler Zusammenarbeit. Aber den Ausschlag dafür, tatsächlich ein Buch darüber zu schreiben, gaben die Teilnehmer meiner Trainings und Coachings. Hier zeichnete sich über Jahre die Tendenz ab, dass gerade Mitarbeiter kleinerer und mittlerer Unternehmen im Zuge der Internationalisierung mit neuen Anforderungen konfrontiert, aber nur selten ausreichend darauf vorbereitet waren und noch sind. Mit Business English Trainings allein war es nicht getan; immer öfter kamen Fragen und Probleme auf den Tisch, die nicht auf mangelnde Fremdsprachenbeherrschung schließen ließen, sondern vielmehr internationale Kompetenzen erforderten. Inzwischen trage ich seit Jahren diesem Bedürfnis mit speziellen Angeboten Reclmung und bin davon überzeugt, dass in Zukunft noch viel mehr Menschen ihr international kompetentes Handeln unter Beweis stellen müssen. Auf dieser Überzeugung beruhte mein Entschluss, theoretische Erkenntnisse, praktische Erfahrungen aus der Trainingsarbeit und viele Rückmeldungen von Kunden in einem Buch für Sie zusammenzuführen. An der Entstehung sind aber auch noch andere Menschen beteiligt, bei denen ich mich bedanken möchte: zu allererst meine Trainerkollegin Danuzza Mendonca, die mir professionelles Feedback und wichtige Anregungen gegeben hat; fleißige Testleser und gute Ratgeber waren auch Kathrin Schimpke, Michael Schimpke und Jürgen Leuters; Dr. Iörg van Hoorn hat meine zum Teil sehr vagen Ideen für Abbildungen wunderbar umgesetzt und Frank Neumann hat besonders in den letzten Wochen Geduld und gute Nerven zuhause bewiesen. Ein Fachbuch für den Berufsalltag zu schreiben, gleicht einem Balanceakt: Es soll theoretisch fundiert, aber nicht zu trocken, praktisch anwendbar, aber nicht oberflächlich sein. Sie mögen beurteilen, ob der Spagat gelungen ist. Ein älmlicher Balanceakt ist es, sich bei der Darstellung kultureller Unterschiede zwischen notwendigen Verallgemeinerungen und gefährlichen Stereotypen zu bewegen. Hier spielt auch hinein, was Sie häufig lesen werden: Unsere Wahrnehmung der Welt ist nur eine von vielen. Das gilt natürlich auch für mich als Autorin und deshalb spiegelt sich meine kulturelle Prägung als Deutsche unweigerlich in diesem Buch wider, etwa in der Auswahl der Fallbeispiele und der Gewichtung der Themen. Ein Autor aus einem anderen Land würde vermutlich andere Schwerpunkte setzen, ausgehend von seinem Blick auf andere Kulturen. Deshalb möchte ich Sie ermuntern, auch Ihre Sichtweisen und Erfahrungen bewusst danebenzustellen und mit dem, was Sie lesen, zu vergleichen. Sie werden viele interessante Einblicke gewinnen und so manches Aha-Erlebnis haben!
6
Vorwort
Der besseren Lesbarkeit halber verwende ich durchgängig die männliche Form und bitte dafür alle Leserinnen um Verständnis.
Ich freue mich auf Ihr Feedback! Essen, im März 2010 Marion Keup
Inhaltsverzeichnis %~mt
5
Teill- Einführung
9
1
Einleitung
11
2
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
17
3
Die Fallbeispiele: Aufbau und Hintergründe
31
Tei12 - Die Fallbeispiele 1-14
41
Erste internationale Aufgaben (1-4) 1
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
43
2
An. Meetings teilnehmen
62
3
Verhandlungen führen
83
4
Präsentationen halten
97
Führungsaufgaben (5-7) 5
Besprechungen leiten
110
6
Anweisen, delegieren, kontrollieren
125
7
Kritik und Lob
135
Zusammenarbeit im Team (8-10) 8
Kommunikation und Konflikte
147
9
Teamwork
158
10
Problemlösung
168
8
11
Einleitung
Special: Projektmanagement international
178
Auslandsaufenthalt als Expatriate (12-14) 12
Stellenbesetzung
201
13
An.weisungen verstehen
213
14
Privater Alltag und Rolle der Partnerin/Familie
228
Teil 3 - Zusammenfassung, Hinweise für Unternehmen und Ausblick 1
2
3
247
Erfolgsfaktoren für Kommunikation und Verhalten im internationalen Kontext
249
Hinweise für Personalentwickler und Entscheider: Internationale Kompetenz fördern
254
Ausblick: Internationale Kompetenz und Diversity Management
269
Literaturverzeichnis
271
Stichwortverzeiclmis
275
Über die Autortri
277
I Teil 1- Einführung
1
Einleitung
1.1
Worum geht es?
Immer mehr Berufstätige aller Ebenen üben heute international ausgerichtete Tätigkeiten aus - oft, ohne sich bewusst dafür entschieden zu haben und fast immer, ohne ausreichend darauf vorbereitet zu werden. Dieses Buch soll Ihnen Ihren Arbeitsalltag erleichtern und bei der Erreichung Ihrer Ziele helfen, indem es Sie für Fallstricke in der Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Kulturen sensibilisiert und Urnen wichtige internationale Kompetenzen vermittelt. Dazu gehören Fremdsprachenkenntnisse (Business English) ebenso wie das Wissen um kulturelle Unterschiede, erweiterte Kommunikationsfähigkeiten und eine gehörige Portion Selbstkompetenz (Selbstmanagement). Dieses Bündel an Kenntnissen und Fähigkeiten können Sie sich hier aneignen und gehen damit weit über das bloße Erlernen von Verhaltensregeln im Stil von Dos & Don'ts hinaus.
1.2
Für wen ist das Buch geschrieben?
Das Buch richtet sich an Leser, die praxisnahe Orientierung suchen und weder seitenlange Theorien und Modelle durcharbeiten noch mit simplen Ratgebern vorliebnehmen wollen. Wer nur gelegentlich international arbeitet, profitiert genauso wie jemand, der einer internationalen Projektgruppe angehört oder sich auf einen Auslandsaufenthalt vorbereitet. Wer seine Kompetenzen ausbauen und seine Persönlichkeit weiterentwickeln möchte und bereit ist, sich etwas Zeit für Reflexion und Selbsteinschätzung zu nehmen, kommt mit diesem Buch auf seine Kosten. Wer in einer dieser Situationen oder Rollen steckt, gehört zur Zielgruppe des Buches:
Einleitung
12
Tabelle 1.1
Leserkreis
Sie sind ...
Ihre Situation
Sie finden ...
Langjähriger
Ihr Unternehmen richtet sich
Grundlagen
Mitarbeiter, bisher
international aus, dadurch
internationaler
ohne internationale
verändert sich Ihre Tätigkeit.
Kompetenz sowie
Aufgaben
Die Welt kommt quasi zu
Fallbeispiele zu
Ihnen an den heimischen
Geschäftsanbahnung,
Schreibtisch oder Sie müssen
Präsentationen,
immer mehr Geschäftsreisen
Verhandlungen.
ins Ausland unternehmen.
Berufseinsteiger
Sie beginnen eine internatio-
Grundlagen
nal ausgerichtete Tätigkeit
internationaler
und bringen geballtes
Kompetenz sowie
Fachwissen, aber keine
Fallbeispiele zu Meetings
Erfahrung auf dem
und internationaler
internationalen Parkett mit.
Teamarbeit.
Mitglied ei nes
Sie haben vielleicht bereits
internationalen
Erfahrung im Global Business,
Fallbeispiele zu (virtueller) Kommuni-
Teams
aber weder mit internationa-
kation und Kooperation,
ler Teamarbeit noch mit
Besprechungs- und
virtuellen Projektgruppen.
Konfliktmanagement. Special .Projektrnanage-
Leiter eines
Sie haben Erfahrung im Global
internationalen
Business, kennen aber die
ment international"
Teams
besonderen Herausforderun-
sowie Fallbeispiele zu
gen, ein multikulturelles
Führungssituationen.
(virtuelles) Team zu führen, noch nicht. Expatriate oder
Sie bereiten sich auf einen
Grundlagen internationa-
Angehöriger
längeren Auslandseinsatz vor
ler Kompetenz,
und bringen geballtes
Fallbeispiele zu Führungs-
Fachwissen mit, aber keine
themen sowie zum Alltag
Erfahrung mit dem Leben und
als Expatriate bzw.
Arbeiten in einer fremden
Angehöriger.
Kultur.
InternationaLe Kompetenz - was genau ist das und was können Sie hier entwickeLn?
Sie sind ...
Ihre Situation
Personalentwickler, Entscheider im Unternehmen
1.3
Sie möchten einzeLne Mitarbeiter auf eine internationaLe Tätigkeit vorbereiten oder systematisch interkuLturelle PersonaLentwicklung aufbauen.
13
Sie finden ...
EmpfehLungen für spezielle Trainings- und Coaching-Maßnahmen, übergreifende PE und Diversity Management.
Internationale Kompetenz - was genau ist das und was kön nen Sie hier entwickeln?
Internationale Kompetenz - so wie sie in diesem Buch zu verstehen ist - ist eine Schlüsselqualifikation und meint ein Bündel an besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen, die weit über interkulturelle Konununikation hinausgehen. Wie ein Räderwerk greife n die einzelnen Facetten ineinander und sorgen dafür, dass Sie im Global Business erfolgreich handeln können.
Abbildung 1.1
Räderwerk InternationaLe Kompetenz
14
Einleitung
Den Grundstein zum Ausbau Ihrer internationalen Kompetenzen legen Sie mit dem Hintergmndwissen über Kultumnterschiede. Einen Überblick zur groben Orientierung finden Sie im Einführungskapitel; konkrete Auswirkungen kultureller Unterschiede erschließen sich in den Fallbeispielen. Da dies ein praktischer Leitfaden ist, bleibt die Theorie bewusst auf ein Mindestmaß beschränkt. Sobald Sie sich mit Kulturunterschieden beschäftigen, gelangen Sie unweigerlich zur Frage nach der eigenen kulturellen Prägung in Form von Normen, Regeln, Werten und Einstellungen. Herauszufinden, inwieweit Sie hier kulturell gebunden sind, ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis anderer. Leitfragen helfen Ihnen bei der Entwicklung Ihrer Selbstreflexivität und bringen Sie auf dem Weg zu internationaler Kompetenz ein großes Stück voran. Auf dieser Grundlage entwickeln Sie die Fähigkeit zur interkulturellen Kommunikation und Kooperation: Wenn Sie wissen, wie Sie und andere "ticken", können Sie Ihr Handlungsrepertoire erweitern und sich bei Bedarf anpassen. Das führt Sie zu ganz konkreten Fragen von Sozialkompetenz und Arbeitstechniken, die stark kulturell geprägt sind und oft zu Differenzen führen: Wie kann ich am besten kommunizieren, wirkungsvoll präsentieren, sinnvoll delegieren und kontrollieren, Mitarbeiter führen, Probleme lösen und Konflikte angehen? Die Bewältigung all dieser Tätigkeiten illustrieren die Fallbeispiele. Sie haben dabei Gelegenheit, Ihre eigenen Herangehensweisen zu analysieren und sie mit denen des jeweiligen Kulturkreises abzugleichen. Eine weitere wichtige Facette ist Selbstkompetenz (oder Selbstmanagement). Je nachdem, wie oft und intensiv Sie in internationale Tätigkeiten involviert sind, gewinnen besondere Selbstmanagementfähigkeiten an Bedeutung. Bei längeren Auslandseinsätzen brauchen Sie in ganz besonderem Maße Flexibilität und Frustrationstoleranz. Aber selbst wenn Sie "nur" vom heimischen Schreibtisch mit aller Welt kommunizieren, können Urnen diese Fähigkeiten das Leben erheblich erleichtern. In diesem Buch können Sie sie trainieren. Wie steht es mit Fachwissen? Selbstverständlich sind Fachkenntnisse ebenfalls eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung international ausgerichteter Tätigkeiten. Allerdings wird Fachwissen oft überschätzt und noch immer werden Mitarbeiter für Auslandseinsätze überwiegend nach ihrer fachlichen Eignung ausgewählt. Aber: Kein noch so gut ausgebildeter und erfahrener Ingenieur wird auf Dauer im Global Business erfolgreich sein, wenn er nicht zusätzlich internationale Kompetenz mitbringt. Last, but not least: Interkulturelles Business English! Ganz bewusst wird die am weitesten verbreitete Arbeitssprache Englisch als wichtige Facette internationaler Kompetenz einbezogen. Die Beherrschung von Business English macht uns oft glauben, eine Verständigung sei leicht. Dabei übersehen wir aber, dass Sprache auch Kultur transportiert und sensibel angewandt werden muss, soll sie kulturelle Unterschiede überbrücken. Deshalb finden Sie für Arbeitssituationen, in denen auch sprachliche Sensibilität geboten ist, Beispiele für interkulturelle Business English Phrases.
Was haben Sie von der Entwicklung internationaler Kompetenz?
1.4
15
Geht es nicht auch ohne internationale Kompetenz?
Vielleicht ist Urnen die Auffassung geläufig, mit "gesundem Menschenverstand" und "ein bisschen Höflichkeit und Toleranz" könne man sowohl Geschäfte mit ausländischen Partnern als auch die Zusammenarbeit in einem internationalen Team und sogar eine Auslandstätigkeit ganz gut meistern. Und Englisch könne ja heute sowieso jeder ... Vielleicht haben Sie selber bereits festgestellt, dass die Realität anders aussieht. Möglicherweise ist es schon zu Missverständnissen gekommen, die Sie nicht deuten und handhaben können. Vielleicht zweifeln Sie deshalb an Ihrer Kompetenz und suchen auf diesem Weg Unterstützung. Ein Trost vorweg: Globalisierung hat viele Berufstätige überrascht und kaum jemand hatte ausreichend Zeit für Erfahrungen im Umgang mit anderen Kulturen sowie für die Entwicklung neuer Kompetenzen. Die meisten Menschen übertragen die bisher im eigenen Kulturkreis erfolgreichen Strategien auf die neue Situation; das funktioniert aber nur selten und Ärger, Frust oder gar handfeste Konflikte sind die Folge. Das ist schade, denn Arbeiten im internationalen Kontext kann sehr spannend sein und Sie auch in Ihrer persönlichen Entwicklung voranbringen. Internationale Kompetenz aufzubauen heißt nicht nur, soziale Kompetenzen erheblich zu erweitern, sondern auch eigene Werte und Einstellungen zu reflektieren. Mit "gesundem Menschenverstand" allein und "ein bisschen Höflichkeit und Toleranz" ist es also nicht getan. Untersuchungen sprechen eine eindeutige Sprache: Erschreckend viele Auslandseinsätze werden vorzeitig abgebrochen, international zusammengesetzte Teams entfalten nicht annähernd das Potenzial, das in ihnen steckt, und so manche Fusion scheitert nicht zuletzt an mangelnder internationaler Kompetenz (Stahl, S. 2). Natürlich werden die Ursachen nur selten auf die sogenannten weichen Faktoren zurückgeführt, sondern es werden andere Gründe als Erklärung genannt - meist finanzielle, rechtliche oder produkttechnisehe. Fakt ist jedoch, dass trotz rascher Kommunikation durch modernste Technologie und gewisser Angleichung internationaler Businesspraktiken Geschäfte immer noch von Menschen gemacht werden - und die "ticken" eben unterschiedlich und lassen sich nicht so einfach international standardisieren wie zum Beispiel ein Netz weltumspannender FastFood-Ketten. Wenn kommunikative und soziale Kompetenzen wie so oft im Berufsalltag nicht optimal entwickelt sind und dies bereits im eigenen Kulturkreis zu Reibungsverlusten führt, wird klar, dass solche Defizite im interkulturellen Kontext noch viel stärker zum Tragen kommen: Aufgrund kulturspezifischer Kommunikationsstile, Werte, Einstellungen und Gewohnheiten treten Unterschiede zwischen Menschen noch deutlicher zutage und das Risiko von Missverständnissen oder gar Konflikten steigt enorm. Das kostet nicht nur unnötig viel Zeit und Energie (und damit Geld!), sondern kann auch Geschäfte komplett scheitern lassen.
16
1.5
Einleitung
Was haben Sie von der Entwicklung internationaler Kompetenz?
Wer international kompetent ist, hält all die vorgenannten Risiken gering und macht sich und seiner Umwelt dadurch das Leben leichter. Mit gut entwickelten internationalen Kompetenzen wird Ihre Begegnung mit Angehörigen anderer Kulturen zu einer echten Bereicherung. Sie profitieren nicht nur beruflich, sondern auch persönlich von diesen neuen Fähigkeiten. Abbildung 1.2
3-facher Nutzen
Internationale Kompetenz: 3-facher Nutzen Persönliche
Entwicklung
An Ihrem aktuellen Arbeitsplatz gewinnen Sie mehr Sicherheit im Umgang mit ungewolmtem Verhalten. Dadurch ersparen Sie sich Stress und Ärger und erreichen Ihre Ziele sclmeller. Kollegen gegenüber haben Sie einen Qualifikationsvorsprung.. der Urnen für Ihr Fortkommen nützlich sein kann. Sie ziehen also auch für Ihre berufliche Zukunft großen Nutzen aus den neuen Fähigkeiten. Sie erwerben eine Schlüsselqualifikation, die in Zeiten zunehmender Internationalisierung immer stärker nachgefragt wird. Mit internationalen Kompetenzen sind Sie für Ihren nächsten Karriereschritt oder für eine berufliche Umorientierung gut gerüstet. Persönlich und privat erweitern Sie Ihren Horizont und lernen viel über sich selber, machen also einen großen Schritt in Ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Sie verbessern illre Selbstkompetenz und können in Zukunft auch im persönlichen Umfeld Ungewissheiten besser aushalten und mehrdeutige Situationen flexibler handhaben. Das sind Fähigkeiten, die in Zeiten raschen Wandels und zunehmender Unsicherheiten immer wichtiger werden.
2
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
Sie haben sich mit diesem Buch für einen praktischen Leitfaden entschieden, d. h., nicht theoretische Modelle sollen im Vordergrund stehen, sondern die Anwendung von Theorien auf die Praxis. Deshalb erhalten Sie an dieser Stelle nur so viel an Hintergrundinformationen, wie Sie brauchen, um die Erläuterungen der Fallbeispiele nachvollziehen und Ihre internationale Kompetenz von einer soliden Basis aus weiterentwickeln zu können.
2.1
Kulturen und Eisberge
Es gibt viele Definitionen von Kultur. Vereinfacht gesagt ist Kultur die Art und Weise, wie eine Gruppe von Menschen (über-)lebt, indem sie sich auf bestimmte Gepflogenheiten, Regeln und Werte geeinigt hat. Kultur als "kollektive Programmierung des Geistes" (Hofstede) erlernen wir im Kindesalter und sie dient uns als Orientierungssystem für unser Denken, Fühlen und Handeln. So sinnvoll und überlebenswichtig das ist, so problematisch kann es auch sein: Was wir so früh lernen und verinnerlichen, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, stellen wir nicht mehr infrage, sondern betrachten es als "normal", ja vielleicht sogar "gottgegeben". Wer davon abweicht (z. B. Angehörige anderer Kulturen mit anderen Orientierungssystemen), ist demnach also "nicht normal". Das Fatale: Nicht nur wir selber halten das System des anderen für "nicht normal", sondern genauso sieht natürlich auch unser Gegenüber unser System als "nicht normal" an, d. h. bewertet unser Verhalten als "falsch". Zur Veranschaulichung wird gerne das Eisbergmodell herangezogen, das Sie in Abbildung 2.1 in abgewandelter Form sehen:
18
Abbildung 2. 1
GrundLagen: Einfluss von KuLtur auf internationaLe Zusammenarbeit
Eisberg der KuLtur
Werte
Normen Annahme n
Einstellullgen
Glaubenssätze
wenn wir die Begegnung zweier Kulturen als das Aufeinandertreffen verschiedener Eisberge sehen, "Wird schnell klar, dass ein Zusammenstoß am ehesten im u n sichtb aren Teil unterhalb der wasseroberflache geschieht. Uns ist aber kaum bewusst, dass unser Verhalten "oben" von den "unten" lagernden Annahmen, Werten und Einstellungen beeinflusst "Wird. Und so streiten "Wir uns über der Wasseroberfläche gerne darüber, "Wie man sich in bestimmten Situationen "richtig" verhält oder - übertragen auf den Businesskontext - wie man ein Meeting leitet, wie man Mitarbeiter führt, "Wie Teamwork auszusehen h at usw. Wohlgemerkt: All diese beruflichen Tätigkeiten können "Wir auch als reine Arbeitsteclmiken betrachten und bis zu einem gewissen Grad neu lernen, d. h. uns an andere Gepflogenheiten anpassen. Trotzdem h aben wir das Problem mit dieser "teclmisch€n" Lösung noch längst nicht im Griff, denn der große u ntere Eisbergbrocken mit seinen Grundannahmen und Werten ist damit weder verändert noch verkleinert noch beseitigt und "Wird in der Interaktion immer "Wieder am Nachbar-Eisberg anstoßen (s. Abbildung 2.2).
KuLturen und Eisberge
Abbildung 2.2
19
Eisberge Meeting
Beziehung vo r Sache Spontaneität,
Sache vo r Beziehung Planung, Struktur
Flexibilität Zeit sparen Zeit nehmen
In Abbildung 2.2 sehen Sie ein Beispiel dafür, "Wie Verhalten an der Wasseroberfläche von
darunter liegenden, unsichtbaren Werten und Normen beeinflusst wird. Der rechte Eisberg könnte ein Abbild der deutschen und der linke eines der brasilianischen Kultur sein. Der brasilianische Leiter des Meetings handelt nach seinen Maßstäben "richtig" und lässt zunächst Zeit und Raum für eine Anwärmphase der Teilnehmer, weil nac h brasilianischem Verständnis ein gutes Gruppenklima sehr wichtig ist; andere Ziele rangieren dahinter. Verständlicherweise würde dieses Vorgehen eine n deutschen Besprechungsleiter irritieren, weil für ihn die Sache, die Inhalte im Vordergrund stehen und er Smalltalk eher als Zeitverlust betrachten würde. Für ihn ist also das brasilianische Vorgehen "falsch", weil er es intuitiv nach seinem eigenen "unteren Eisberg" bewertet, denn den des anderen kann er ja nicht sehen. Und damit zurück zur obe n erwähnten "teclmischen Lösung" der oberflächlichen Anpassung an andere Gepflogenheiten: Selbst we nn sich also der deutsche Leiter eines Meetings in Brasilien nach außen hin den Bedürfnissen seiner Teilneluner nach einer langen Smalltalk-Phase zu Beginn anpasst, wird er sich innerlich doch dagegen sträuben und auch im Verlauf des Meetings immer wieder in ein Muster verfallen, das seiner verinnerlichten Regel "die Sache ist wichtiger als die Beziehungsebere" entspricht. Was können wir tun, um diese Zusammenstöße zu vermeiden oder zumindest etwas abzumildern? Genau das, was Sie sich mit diesem Buch vorgenommen haben: sich zunächst eirunal den eigenen unteren Eisberg ansehen und bewusst machen, sich selber also besser
20
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
kennenlernen. Niemand wird behaupten, dass das ein Kinderspiel ist. Denn wie soll man selber analysieren, was einem gar nicht bewusst ist? Oft sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht! Hierbei unterstützen die Fallbeispiele, in denen Sie sich vielleicht wiedererkennen. Daneben bieten Selbstreflexionsfragen, die Sie sich im Arbeitsalltag vermutlich nie stellen, Hilfestellung. Der nächste Schritt besteht dann darin, Einblicke in fremde Eisberge zu gewinnen und damit vielleicht bisher für "falsch" gehaltene Werte und Einstellungen als ebenso "richtig" wie die eigenen gelten zu lassen. Diese Einblicke gewähren die ausländischen Protagonisten der Fallbeispiele und schaffen damit eine solide Basis, dass Sie in Zukunft Handlungen und Verhalten von Menschen anderer Kulturen nach anderen als Ihren eigenen Werten und Normen beurteilen können.
2.2
Kulturunterschiede, Kulturdimensionen, Kulturstandards
Kultur unterscheidet Gruppen voneinander und für Nationalkulturen gibt es viele Theorien und Modelle, die Kulturunterschiede anhand bestimmter Grundmuster menschlichen Verhaltens beschreiben. Sie entstanden aus Forschungsarbeiten und Erhebungen, die zum Teil schon viele Jahre zurückliegen, aber auch heute noch eine gute Orientierung bieten. Damit Sie zunächst einen groben Überblick erhalten, finden Sie nachfolgend eine vereinfachte Zusammenstellung der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale, die aus Arbeiten bekannter Wissenschaftler wie Hofstede, Hall, Trompenaars, Lewis und Thomas hervorgingen. Es sind Gegensatzpaare (z. T. "Kulturdimensionen" genannt) und die übergeordnete Frage lautet jeweils: "Tendiert die Kultur eher zu . .. oder zu . .. ?# •
Individualismus - Kollektivismus?
•
Beziehungsorientierung - Sachorientierung?
•
Direkter - indirekter Kommunikationsstil?
•
Hohe - geringe Unsicherheitsvermeidung?
•
Starke - geringe Hierarchieorientierung?
•
Monochrones - polychrones Zeiterleben?
•
Lineare - zirkuläre Zeitauffassung?
•
Langzeitorientierung - Kurzzeitorientierung?
•
Universalismus - Partikularismus?
•
Maskulinität - Feminität?
Deutsche Kulturstandards
•
21
Nähe - Distanz (Körperabstand)?
Vielleicht können Sie auf den ersten Blick nicht mit allen Begriffspaaren etwas anfangen. Lassen Sie sich an dieser Stelle bitte auf die Erläuterungen der Fallbeispiele vertrösten. Dort wird deutlich, was die einzelnen Begriffe bedeuten und wie sie sich konkret auf interkulturelle Begegnungen auswirken. Das Modell der sogenannten Kulturstandards von Thomas ist etwas konkreter und führt uns wieder an den Anfang dieses Kapitels. Kulturstandards bauen auf den obigen Kulturdimensionen auf und beziehen sich auf einzelne Kulturen. Sie beschreiben, wie die Dinge von der Mehrheit der Bevölkerung in einem Kulturkreis wahrgenommen, beurteilt und getan und damit "als selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden" (Thomas, S. 25). Dieses Bündel an charakteristischen Werten, Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen entsteht durch Befragung von Menschen, die mit Angehörigen der untersuchten Kultur interagieren. Wenn bestimmte Verhaltensweisen oder Situationen sehr häufig und von Angehörigen der unterschiedlichsten Kulturen als besonders auffällig, problematisch oder unerwartet beschrieben werden, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen zentralen Kulturstandard, der hier berührt wird und Irritationen auslöst. In derartigen Erhebungen hat Thomas auch wesentliche Kulturstandards für Deutschland identifiziert. Die nachfolgend aufgeführten sechs wichtigsten Punkte stellen keine vollständige Charakterisierung dar, bieten aber eine gute Grundlage für die Entschlüsselung der Fallbeispiele. Neben diesen Kulturstandards werden wir dort noch viele weitere Verhaltensweisen, Einstellungen, Werte und Normen betrachten, die auf die obigen Kulturdimensionen zurückgehen.
2.3 TabeUe 2.1
Deutsche Kulturstandards Deutsche Kulturstandards (nach Thomas, Kinast, SchraU-Machl, S. 26)
Sachorientierung
Sachebene vor Beziehungsebene; Konzentration auf Inhalte!Aufgaben hat Priorität vor persönlichen Belangen.
Direkte Kommunikation
Sagen, was man denkt, eindeutig und unverschlüsselt; das "Was" ist wichtig, nicht das "Wie" (auch "schwacher Kontext" oder .Jow-context" genannt).
Regelorientierung
Regeln und Strukturen sind wichtig.
Internalisierte Kontrolle
An einmal vereinbarte Regeln hält man sich; auf andere ist Verlass.
22
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
Zeitplanung
Diktat der Uhr; Terminplanung und Pünktlichkeit sind wichtig.
Trennung von Lebensbe-
Beruf und Privatsphäre werden ungern vermischt.
reichen
Reflexion
Was halten Sie davon? Können Sie diese deutschen Kulturstandards nachvollziehen? Wo finden Sie sich selber oder andere Menschen aus Ihrem Umkreis wieder?
Nehmen Sie sich jetzt einen Moment Zeit, um Ihre Gedanken festzuhalten. Das ist ein erster wichtiger Schritt, um sich selber besser kennenzulernen und der eigenen kulturellen Prägung auf die Spur zu kommen:
Vielleicht haben Sie sich nirgends oder kaum wiedergefunden - sei es, dass Sie tatsächlich nur in geringem Maße nationalkulturell geprägt sind, sei es, dass Sie sich bereits an eine andere Kultur angepasst haben und/oder Ihre eigene Kultur ablelmen. Vielleicht möchten Sie sich auch nicht damit beschäftigen und sich nicht in Schubladen einordnen lassen. Wie dem auch sei: Unsere Kulturgebundenheit ist stärker, als wir glauben, und beeinflusst unser Tun manchmal mehr, als uns lieb ist. Deshalb ist das Wissen über unsere kulturelle Prägung genauso wichtig wie das Wissen darüber, was uns aufgrund anderer Merkmale, Fäh igk eiten, Stärken und Schwächen ausmacht. Genauso wie wir uns in dieser Hinsicht kennen und akzeptieren, sollten wir auch zu unserer kulturellen Prägung stehen, denn das ist Voraussetzung für das Verstehen und Akzeptieren anderer.
Selbst wenn wir uns keine Gedanken über unsere kulturelle Prägung machen, sie ausblenden oder sogar ablehnen, können wir sie doch nicht völlig ignorieren, denn gewisse Einflüsse bleiben stets wirksam. Immer wieder werden wir, auch und gerade im Rahmen internationaler Tätigkeiten, mit Erwartungen an uns als" typische Deutsche" konfrontiert und müssen uns auf irgendeine Art damit auseinandersetzen. Manchmal ist es für uns aus nachvollziehbaren historischen Gründen schwierig, zu unserer nationalen Identität zu stehen, und "Deutschsein" ist für viele von uns nicht unbedingt positiv besetzt. Bekanntermaßen ist das in anderen Ländern anders und vielleicht können wir uns davon etwas
Orientierungssysteme nebeneinander
23
annehmen. Dabei geht es keineswegs um überzogenen Nationalstolz oder gar Patriotismus, sondern lediglich um eine neutrale Betrachtung unserer kulturellen Prägung. Sie ist eine von vielen - nicht besser oder schlechter als andere, sondern eben "nur" für uns passend. Zurück zu den deutschen Kulturstandards: Vielleicht ging es TImen beim Lesen der Aufstellung ja so, dass Sie unwillkürlich an einigen Stellen riefen: "Klar macht man das so! Ist doch togiech, dass man sagt was man denkt. und dass man Berufliches und Privates tunlichst auseinanderhält! Wer macht das denn nicht? Und wieso sollte man es anders machen?" Das wäre jedenfalls eine nachvollziehbare Reaktion und würde noch einmal das Wesen von Kulturstandards verdeutlichen: verinnerlichte Regeln für das, was wir für !/normal" halten, weil wir es nicht anders kennen und weil es alle anderen oder die meisten in unserem Umkreis auch so oder ähnlich handhaben. Erst wenn wir feststellen, dass es in anderen Kulturen anders läuft, es dort zum Beispiel !/normal" ist, Privates und Berufliches zu vermischen, werden uns Unterschiede bewusst und unser Orientierungssystem gerät ins Wanken. l
Und genau an dieser Stelle wird es interessant, denn wir können ja auf ein anderes Orientierungssystem unterschiedlich reagieren: 1. weiterhin unser System für !/normal" und !Ieinzig richtig" halten und das andere als .runnormal" und !/falsch" ablelmen oder 2. das andere System als das sehen, was es für die andere Kultur ist: genauso !/normal" und !Irichtig", weil für diese Kultur so passend wie unser System für uns.
2.4
Orientierungssysteme nebeneinander
Wenn wir es schaffen, die zweite Haltung einzunehmen, also die andere Kultur ebenfalls als !/normal" und !Irichtig" (im Sinne von !Ipassend") anzusehen, können wir sie gleichberechtigt neben unsere stellen und akzeptieren. Wir müssen sie im ersten Schritt auch noch nicht unbedingt nachvollziehen können oder gar gutheißen oder uns anpassen. Es ist schon sehr viel erreicht, wenn wir wissen, dass es andere Orientierungssysteme gibt und diese genauso sinnvoll sind und ihre Berechtigung haben wie unsere eigenen. Statt also weiter durch unsere eigene !Ikulturelle Brille" zu sehen, die ähnlich einer Sonnenbrille wie ein Filter wirkt, können wir sie auch abnehmen; oder sogar später einmal durch eine andere kulturelle Brille blicken.
24
Abbildung 2.3
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
Kulturelle Brillen
Warum fällt uns eigentlich dieser "Brillenwechsel" manchmal so schwer? Warum machen wir den Schritt hin zur Akzeptanz von "Fremdem" eher ungern? Weil uns Orientierungssysteme Sicherheit vermitteln, Identität stiften und das Zugehörigkeitsbedürfnis zu einer Gruppe befriedigen. Weil wir davon ausgehen, dass unsere Welt die Wirklichkeit ist, dass unsere Wahrnehmung objektiv, einzig gültig und damit ; wahr" ist. Wenn wir nun die Wahrheiten anderer Kulturen als genauso gültig akzeptieren sollen, müssen wir unsere bisherige WeItsicht relativieren und unseren "Anspruch darauf immer Recht zu haben und überlegen zu sein; aufgeben (Krämer, Quappe, S. 125). Und das macht niemand gern, weil es verunsichert und wir einen Orientierungs- und Identitätsverlust befürchten. 11
Aber interkulturelle Kommunikation kann nicht ohne diesen ersten, manchmal vielleicht schmerzlichen Schritt gelingen. Nur wenn wir erkennen, dass unsere WeItsicht begrenzt und eine von vielen ist und dass unser Denken, Fühlen und Handeln davon beeinflusst, d. h. auch kulturell geprägt ist, sind wir auf einem guten Weg zu mehr internationaler Kompetenz. Nehmen wir zur Verdeutlichung noch einmal ein Beispiel, das zunächst gar nichts mit Nationalkulturen zu tun hat: Unterschiede zwischen Menschen erleben wir täglich, wenn wir sehen, wie verschieden die Menschen sind. Dennoch hoffen und erwarten wir meist unbewusst, dass andere uns hinsichtlich Einstellungen und Verhalten älmlich sind. Im Privatleben suchen wir uns Bekannte und Freunde danach aus und auch im Arbeitsleben ist das Phänomen verbreitet, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter oder potenziellen Nachfolger nach dem Ähnlichkeitsprinzip auswählen. Wenn irgend möglich spielen wir also das Spiel "Sei wie ich!". Wir setzen voraus, dass das Spiel funktioniert und schließen dann gern von uns auf andere. Wie wir alle wissen, klappt das aber nicht immer ... Oft haben wir keinen Einfluss auf die Wahl unserer Interaktionspartner, seien es Kollegen, Chefs oder Kunden. Dann treffen wir auf andere Orientierungssysteme und es kommt zu
Perspektivenwechsel und Schulung der Wahrnehmung
25
Irritationen in der Zusammenarbeit, wenn zum Beispiel der Kollege weniger Wert auf Pünktlichkeit legt als wir selber oder wenn ein Mitarbeiter sehr genau, in unseren Augen sogar übertrieben penibel, ist. Wenn wir uns nun bewusst machen, dass hier einfach ein anderes Orientierungssystem wirkt und diese Menschen nicht aus Dummheit oder Bosheit so handeln, sind wir einen Schritt weiter. Wir brauchen uns dann nämlich nicht mehr persönlich beleidigt, angegriffen oder nicht ernst genommen zu fühlen, sondern können aus einer neutralen Position heraus mit dem Kollegen oder Mitarbeiter sprechen, unsere Wahrnehmung mitteilen und ggf. in "Verhandlungen" über eine bessere Zusammenarbeit eintreten.
2.5
Perspektivenwechsel und Schulung der Wahrnehmung
Älmlich ist es bei der Interaktion mit Angehörigen anderer Kulturen - nur noch viel komplexer. Zusätzlich zu Unterschieden der individuellen Orientierungssysteme wirkt hier noch zusätzlich die kulturelle Prägung, die wir zunächst nicht kennen. Wenn wir dann weiterhin von unserer Sicht der Welt auf die der anderen schließen und Älmlichkeit voraussetzen, blenden wir Teile der Realität aus und Probleme sind damit meist vorprogrammiert. Da hilft nur, die eigene WeItsicht zu relativieren und einen Perspektivenwechsel vorzunehmen.
Abbildung 2.4
Kippbild 1 (Quelle: Gibson, 2000, S. 20)
Was haben Sie (zuerst) gesehen? Eine Vase (Blick auf die helle Mitte) oder zwei Gesichter im Profil (Blick auf die äußeren dunklen Flächen)? Oder sehen Sie beides und können die Bilder umspringen lassen?
26
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
Selbst wenn Sie Rubins Vase schon oft gesehen haben, bietet sie Ihnen vielleicht neue Einblicke, denn an ihr lassen sich Parallelen zu interkultureller Kommunikation aufzeigen. Gehen wir diese einmal anhand des Beispiela;Vermeidung von Blickkontakt bei einer interkulturellen Begegnung" durch: 1. Ein einziges Bild kann zu unterschiedlichen Interpretationen führen - je nachdem, welchen Teil man fokussiert. Ebenso bei der Sicht aus verschiedenen Kulturblickwinkeln auf dieselbe Situation: Die Vermeidung von Blickkontakt deuten wir meist als mangelndes Selbstbewusstsein oder Unaufrichtigkeit, während es Angehörige des asiatischen Kulturkreises als Zeichen für Respekt interpretieren. 2. Wir sehen nur das, wovon wir eine Vorstellung haben. Wenn wir nicht" wüssten", wie Gesichter im Profil aussehen, oder keine Vorstellung von einer Vase hätten, wären wir nicht in der Lage, sie zu erkennen. Älmlich bei interkulturellen Begegnungen: Was wir (an Werten, Einstellungen) nicht kennen, können wir nicht erkennen und schon gar nicht berücksichtigen. Wenn wir also nicht wissen, dass Vermeidung von Blickkontakt auch Respekt bedeuten kann, bleibt uns diese Deutungsmöglichkeit verschlossen. 3. Die Realität ist mehrdeutig. Durch selektive Wahrnehmung versuchen wir, sie eindeutig zu sehen. Genauso wie das Gehirn hier Teile der Realität ausblendet (aber sie ist ja "objektiv" trotzdem da'). genauso blenden wir im Umgang mit anderen Kulturen manchmal andere Realitäten aus. Wenn wir also zwar um die Mehrdeutigkeit von Blickkontakt theoretisch wissen, aber - aus welchen Gründen auch immer - in einer bestimmten Situation nur eine Deutung parat haben oder zulassen (wollen), verengt sich der Blick. Nachfolgend sehen Sie ein weiteres Beispiel für ein Bild, in dem sich zwei Motive verstecken. Können Sie beide sehen? Gelingt es Ihnen, die Bilder umspringen lassen?
Perspektiven wecn:ell.lnd Schl.lLune. der Wahm eh ml.lne.
Abbiloong 2.5
27
Ki p pbi ld 2
Dieses Bild trägt den Titel ..My wife an d my mother-in -law" (H ili, 1915), a uf Deut sch au ch be kan nt als ..Junge Frau , alte Fra u" . Wen n Sie d ie äußere Kon tur links in der Mitte als große, gekrü nvnte Nase im Profil und d en et was rechts daru nter lieg enden du nkl en Strich als Mund nehmen, erkennen Sie eine nach lin ks unten b licke nde a lte Frau (oder sogar He xe). We n n Sie d ieselbe Partie als Wangenknoc h en und d en Str ich als Halskette nehmen , können Sie d as nach h inten gewand te G esicht ein er ju ngen Fra u erke nnen. Das Aug e d er alten Fra u wird d abei zu m O hr d er ju ngen. Diese Bilder ste h en fü r Perspekti ve nw ech sel und können v ielle ich t als Gedäc htn isstü tz e di enen, wen n wi r u ns in m eh rd eu tigen Situa tio n en be finden. Wa n n immer wi r Ding e au ch au s einem a nder en Blickwinkel zu betrachten vers uch en, räumen wir einen g roßen Stolperstein interkultu reller Begegnu ng en au s dem Weg : Wir hören nämlich auf. Ve rh alt en u nd Handlung en anderer vorsch nell na ch unseren eigenen We rte n und No rmen zu int er p retieren . Sta tt d esse n kö nnen wir be gin nen , ge na u er zu beobacht en und Situ ation en zunächst z u besc h reiben sta tt sie sofort zu be werten. Erst im n äch sten Sch ritt versuchen w ir da n n mit unserem Wisse n ü ber kultu relle Präg ungen u nd Unter sch iede, mög liche Ursa eh en für beoba ch tet es Verha lten herauszu find en. In d iesem Zusam men hang ist auch die Schulu ng d er Wa hrn ehmung eine wesentl iche Komponent e internationaler Kompe tenz: Je g enauer Sie sich und a nd ere beo bac hten , eigenes u nd fremdes Ve rha lte n ein fach n u r w ahr nehmen kö nn e n, sta tt sofo rt Bewert ungen (gu t/schlec h t, rich tig/falsch) vorzu n ehm en, desto größer ist d ie Cha nce, ko mpeten t zu hand eln. Eini ge Übu ngen im Buch zeigen Ihn en , wie Sie ga nz be w usst z wischen Wahr~ nehmu ng und Interp retation zu u nterscheid en lernen - übrige ns ei ne wich tig e Fäh igkeit di e Sie n ich t nur für kult urelle Un tersc h ied e sensibilisiert, sondern auch Ih re Em path ie (Einfühlungs vennäge n) für andere Situationen verbesser t.
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
28
2.6
Sch lüsselqua lifikation SeIbstkompetenz
Das Stichwort Empathie führt zum Thema Selbstkompetenz, zuweilen auch personale Kompetenz oder Selbstmanagementfähigkeit genannt. Neben mehreren Bezeichnungen und Definitionen finden wir in der Literatur unterschiedliche Modelle und Zusammenstellungen, welche Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale für erfolgreiches Handeln im Global Business besonders nützlich sind. Von diesem Bündel wollen wir einige näher betrachten, die durch Reflexion und Übungen auf- und ausbaubar und deshalb für Sie relevant sind:
Abbildung 2.6
Schlüsselqualifikation Selbstkompetenz
Selbstreflexivität Empathie, Einfühlungsvermö en
Belastbarkeit, Resilienz
Perspektivenwechsel Flexibilität, Improvisationstalent
Selbstreflexivität ist die Fähigkeit, eigene Stärken, Werte und kulturelle Prägungen zu hinterfragen. Empathie heißt, sich in jemand anderen hineinversetzen und dadurch eine andere Perspektive einnehmen zu können. Ambiguitätstoleranz bezeichnet die Fähigkeit, mit Ungewissheit und Mehrdeutigkeiten zurechtzukommen und Resilienz ist die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Diese Fähigkeiten werden mit gezielten Übungen im Buch trainiert. Grundlegende Sozial- und Methodenkompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Team- und Problemlösefähigkeit, Führungskompetenz, Entscheidungsfindung, Projekt-, Konflikt- und Fehlermanagement hängen eng damit zusammen und sind ebenfalls Thema in den Fallbeispielen.
Umgang mit kulturellen Überschne idungssituationen
2.7
29
Umgang mit kulturellen Überschneidungssituationen
Nach all den angerissenen Facetten in ternationaler Kompetenz und dem Rüstzeug, das Sie vielleicht bisher scho n erworben haben, fragen Sie sich an diese r Stelle vielle icht, wie Sie sich nun ga nz konkret in Situationen ver halten sollten, in de nen kultu relle Unterschiede wirksam sind . Leider gib t es kein Patentrezep t d afür. Zu viele Faktoren spielen in jede r einzel nen Situati on eine Rolle, als dass es ein fache Antwo rten geben könn te - etwa nach dem Muster "wenn Kult ur A . .. sagt/macht, dann sollten Sie mit .. . d ar au f reagieren". In den Erläuterungen der Fallb eispiele finden Sie dennoch Hand lungsvor schläge und alte rnativen, di e Sie im mer auf Ihren Einzelfa ll hin überp rüfen so llten . Solange Sie versuche n, die grund legenden Hinweise in d iesem Gr undlagen kapitel zu beherz igen, sind Sie auf einem guten Weg. Welche Möglichkeiten gibt es grundsä tzlich, mit Situ ationen umzugehen, in denen Ku ltu run tersch ied e au ftau chen ? Nach Themas kommt es bei der Begegnung von Menschen unterschiedlicher Kultu ren zu einer ku lturellen Überschneidungssituation und im Idealfall en tsteh t d as sogenannte "Inter kulturelle" [Them as, S. 46), was wir als Synergieeffekt bezeic hnen und besonders bei de r Zusa mmenarbeit in inte rnationalen Teams anst reben . Abbildung 2.7
KultureHe Über schnei dungssituation
Fremdkultu r
Eigenku ltu r
Das Interkulturelle
30
Grundlagen: Einfluss von Kultur auf internationale Zusammenarbeit
Die Stufe der Synergieeffekte erreichen wir aber nicht immer. Viel häufiger finden wir in der Praxis diese Szenarien: •
Im ungünstigsten Fall ist den Beteiligten nicht einmal bewusst, dass sie sich in einer kulturellen Überschneidungssituation befinden. Jeder handelt nach seinen Maßstäben und geht davon aus, dass es der andere genauso macht. Die Überzeugung "Alle Menschen sind im Grunde gleich" zeigt Ignoranz und fehlendes Wissen. Zusammenarbeit unter diesen Voraussetzungen führt kaum zum Erfolg.
•
Wenn Kulturunterscheide zutage treten und beide/alle Beteiligten sich ihres Orientierungssystems bewusst sind, können sie Elemente aus beiden/allen Systemen flexibel kombinieren. Die der jeweiligen Situation bzw. Phase der Zusammenarbeit dienlicheren Regeln, Normen sowie Verhaltensweisen werden übernommen, die weniger passenden vernachlässigt. Wer was übernimmt oder sich anpasst, hängt natürlich auch von den jeweiligen Rollen oder Machtverhältnissen ab. So ist man zum Beispiel als Expatriate im Ausland gut beraten, sich vor allem am Anfang seines Einsatzes eher dem Gastland anzupassen, als eigene Normen durchzusetzen.
•
Auf dieser Stufe sind sich die Beteiligten der Unterschiede durchaus bewusst, aber es findet keine Integration statt, sondern eine Kultur setzt sich durch und die andere passt sich an. Das geschieht häufig bei Fusionen mit einem dominanten Partner. Je nachdem, wie viel sich der anpassende Partner von der eigenen Kultur bewahren kann, mag dies eine funktionierende Lösung sein, die meist pragmatische Gründe hat. Die oft mit Firmenzusammenschlüssen angestrebten Synergieeffekte auch auf personeller Ebene entstehen auf diese Weise aber nicht.
•
Der bereits oben als Ideal erwähnte Fall der Synergieeffekte ergibt sich aus den Ressourcen beider Kulturen, die so genutzt werden, dass etwas Neues, Drittes entsteht.
Der Weg vom Negieren jeglicher Unterschiede über die Ablelmung des Fremden bis zur Annäherung und Integration kann lang sein. Seien Sie geduldig mit sich! Genauso wenig, wie wir unser Verhalten auf Knopfdruck ändern können, ist internationale Kompetenz sclmell zu erwerben und für alle Zeiten präsent. Unsere kulturelle Prägung ist in der Regel so stark, dass wir leicht in alte Gewolmheiten zurückfallen, vor allem in Stresssituationen. Interkulturelles Lernen ist ein Prozess, der umso schneller verläuft, je öfter wir uns kulturellen Überschneidungssituationen aussetzen - immer eine lolmende Erfahrung!
3
Die Fallbeispiele: Aufbau und Hintergründe
3.1
Übersicht
Für eine möglichst anschauliche Darstellung typischer Arbeitssituationen und Fallstricke im Global Business bieten sich Fallbeispiele an, in denen jeweils ein deutscher Protagonist mit Angehörigen einer anderen Kultur zusammentrifft. Jede Situation wird exemplarisch anhand einer bestimmten Kultur beleuchtet, wobei immer auch Vergleiche mit anderen Kulturen für dieselbe Arbeitssituation v or gen om m en werden. Angefangen von ersten sporadischen Kontakten und Aufgaben über Führungsaufgaben und Teamarbeit bis hin zur Auslandsentsendung werden die interkulturellen Begegnungen immer zahlreicher und die Anforderungen komplexer. Sie können ganz gezielt Situationen auswählen, die für Sie besonders relevant sind, oder aber alle Fälle in der vorgegebenen Reihenfolge lesen, um illre internationale Kompetenz systematisch aufzubauen.
Tabelle 3.1
l
Nr.
Alle Fallbeispiele auf einen Blick
FallbeispiellSituation
Kultur/Land
KulturunterschiedefThemen
Indien
Sach-/ Beziehungskulturen,
Erste internationale Auf-
gaben (1-4) 1
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
2
An Meetings teilnehmen
Smalltalk, 4-Seiten-Modell Brasilien
Zeiterleben, Pünktlichkeit, Strukturierung, Emotionalität
3
Verhandlungen führen
Japan
Konsensfindung, Hierarchien, Kommunikationsstile
4
Präsentationen halten
USA
Sprach- und Zuhörstile, Auftreten, Aufbau, Inhalte
J
Die Fallbeispiele: Aufbau und Hintergründe
32
r
Nr.
FallbeispiellSituation
Kultur/Land
KulturunterschiedefThemen
Führungsaufgaben (5-7) 5
6
Besprechungen leiten
Anweisen, delegieren,
China, Türkei,
Ko mmu nikati onsstile,
Groß-
Konfliktvermeidung, "nein"
britannien
sagen, Ambiguitätstoleranz
Indien
7
Kritik und Lob
Führungsstile, Selbstständigkeit
kontrollieren
Indien
Feedback, Sachlichkeit, Werte
Russland
Kommunikationsmedien,
Zusammenarbeit im Team (8-10) 8
Kommunikation und Kon-
flikte
Regeln und Vereinbarungen, Konfliktmanagement
9
Teamwork
Russland
Kollektivismus!
Individualismus, Understatement, Emotionen
10
Problemlösung
Polen
Multitasking, Gründlichkeit, Improvisation, Fehlerkultur
11
Special: Projektmanage-
Diverse
Herausforderungen einzelner
me nt international
Projektphasen, Führung (virtu-
(ohne Fallbeispiel)
eller) multikultureller Teams
Auslandsaufenthalt als Expatriate (12-14) 12
Stellen besetzung
Südafrika
Beziehungsnetzwerke,
Loyalität, Resilienz 13
Anweisungen verstehen
USA
Ko mmu nikationsstile, Informalität, Empathie
14
Privater Alltag und Rolle der Partnerin/Familie
Brasilien
Behörden, Hausangestellte, Freundschaften, Kulturschock
1
Welche Kulturen?
33
Der Aufbau jedes Fallbeispiels folgt einer wiederkehrenden Struktur mit festen Bestandteilen: •
Beschreibung des Fallbeispiels,
•
Reflexion mit Leitfragen zur Deutung der Situation,
•
Hintergrundinformationen zu den Kulturunterschieden mit Vergleichen anderer Kulturen und - wo sinnvoll- Business English Phrases zur Entwicklung sprachlicher Sensibilität,
•
Empfehlungen und/oder Checklisten für den Umgang mit ähnlichen Situationen,
•
Selbsteinschätzung und/oder Übungen zum Ausbau Ihrer Selbstkompetenz.
3.2
Verhaltensregeln oder übergreifende Kompetenzen?
Es geht im vorliegenden Buch um den Auf- und Ausbau kulturübergreifender Kompetenzen und nicht in erster Linie um detaillierte, kulturspezifische Anleitungen, wie Sie mit Angehörigen bestimmter Kulturen umgehen sollen. Dementsprechend finden Sie auch keine Länderprofile mit genauen Verhaltensregeln, sondern viele Fallbeispiele, die der Veranschaulichung dienen und Tendenzen aufzeigen, jedoch nicht als allgemeingültige Regeln zu betrachten sind. Schwerpunkt des Buches sind kulturelle Unterschiede in der Kommunikation und im Verhalten und weniger die eher oberflächlichen und daher leicht erkennbaren Unterschiede in Etikette, Sitten und Gebräuchen. Informationen darüber, welche Begrüßungsrituale zu beachten sind, welche Tischsitten gelten oder wie man sich kleiden sollte, finden Sie in länderspezifischen (Reise-)Führern und Büchern, die sich auf Business-Knigge spezialisieren. Anhand der Fallbeispiele im Buch entwickeln Sie ein Gefühl dafür, was im Kontakt mit internationalen Geschäftspartnern auftreten kann und welche Hintergründe eventuell eine Rolle spielen. Sie lernen dabei, über den eigenen Bezugsrahmen hinaus und in Alternativen zu denken. So sind Sie für neue, unerwartete Situationen wesentlich besser gerüstet als beim reinen Verinnerlichen von Dos & Don'ts. Das soll keine Abwertung solch länderspezifischer Verhaltensregeln sein, die durchaus als zusätzliche Informationen ihre Berechtigung haben können. Wichtiger als gelerntes Faktenwissen jedoch sind für komplexe Situationen und Zeiten raschen Wandels übergreifende Kompetenzen, die auf neue Situationen übertragbar sind und so flexibles Verhalten fördern. Möglicherweise finden Sie für manche Ihrer Situationen in der Praxis trotzdem nicht die ideale Lösung, aber Ihre geschulte Wahrnehmung und bessere Reflexivität werden Ihr Handeln positiv verändern.
Die Fallbeispiele: Aufbau und Hintergründe
34
3.3
Welche Kulturen?
Dieses Buch wendet sich in erster Linie an Leser aus Deutschland und deshalb werden deutsche Kulturstandards mit denen anderer Kulturen bzw. Länder kontrastiert. Österreich und die deutschsprachige Schweiz sind ausdrücklich nicht mit gemeint, sondern werden bewusst mit ihren eigenen Kulturstandards berücksichtigt. Denn verallgemeinernd von einem "deutschen oder germanischen Kulturkreis" zu sprechen, würde den Ländern nicht gerecht. Weil eine Zusammenfassung mehrerer Länder zu Kulturkreisen oder -räumen generell problematisch ist, liegt der Schwerpunkt in diesem Buch auf einzelnen Ländern mit ihren jeweiligen Kulturstandards. Wo vertretbar, wird verallgemeinernd von "Kulturkreis" gesprochen. Die meisten Fallbeispiele stammen wegen ihrer aktuellen Bedeutung aus den aufstrebenden Ökonomien, auch "BRIC-Staaten" genannt: Brasilien, Russland, Indien, China. Natürlich dürfen auch die USA nicht fehlen; sie werden meist separat als eigene Kultur behandelt, in manchen Fällen auch zusammen mit den anderen englischsprachigen Ländern als "anglo-amerikanischer Kulturkreis" bezeiclmet. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bzw. anderer Berührungspunkte mit Deutschland finden Sie außerdem Fallbeispiele zu Japan, Südafrika und der Türkei. Wo sinnvoll, werden auch Parallelen zu den arabischen Golfstaaten bzw. zu dem als "arabische Welt" bezeichneten Kulturkreis gezogen. Daneben finden Sie Beispiele aus einigen unserer Nachbarländer (z. B. Niederlande, Frankreich, Polen), die deutlich machen, wie groß kulturelle Unterschiede trotz geografischer Nähe sein können. Diese Tatsache wird nämlich häufig unterschätzt! Die Fallbeispiele sollen Unterschiede bewusst exemplarisch an einer Kultur aufzeigen; wo sinnvoll und abgesicherte Erkenntnisse vorhanden, finden Sie Vergleiche mit anderen Kulturen. Eine umfassende Übersicht und" Einordnung" aller Kulturen der Welt ist weder möglich noch beabsichtigt. In allen Fallbeispielen kommen mehrere kulturelle Unterschiede zum Tragen. Der besseren Übersicht halber konzentrieren wir uns jeweils auf einige Hauptaspekte und beleuchten diese ausführlich. Nebenaspekte werden in aller Ausführlichkeit bei jenen Fallbeispielen behandelt, wo sie ein größeres Gewicht haben. An manchen Stellen werden Sie auf inhaltliche Überschneidungen treffen, weil Kulturstandards ineinandergreifen und eine strikte Trennung künstlich wäre.
3.4
Verfestigung von Vorurteilen?
Nachdem schon im Kapitel "Grundlagen" von der Gefahr der Stereotypenbildung die Rede war, wird dieser Punkt nun noch einmal relevant. Fallbeispiele sind lebendig und anschaulich und bleiben besser im Gedächtnis als Theorien; deshalb ist die Methode hier sehr geeignet. Andererseits bewegt man sich mit der Beschreibung von Kulturunterschieden nach dem Muster "Kultur A trifft Kultur B" auf dünnem Eis. Denn manch einer mag sich fragen: Trägt nicht die Betonung von Unterschieden gerade zur Bildung von Stereoty-
Typisch deutsch?
35
pen bei? Verfestigt nicht besonders die Einordnung von Ländern und Kulturen in "Ähnlichkeitsschubladen" schon vorhandene Vorurteile? Ja und nein ... •
Ja, weil dieses Risiko durchaus besteht - und zwar dann, wenn man die Fallbeispiele verallgemeinert.
•
Ja, wenn man daraus unfehlbare Handlungstipps a la .Dos & Don'ts" ableitet und glaubt, damit für alle interkulturellen Begegnungen ausreichend gerüstet zu sein.
•
Nein, weil die Fallbeispiele relativiert oder gar mit Gegenbeispielen versehen werden.
•
Nein, weil Deutungsversuche mit Leitfragen zu eigenen Erfahrungen verbunden sind, Anstöße zum Perspektivenwechsel gegeben und Übungen zur Selbstreflexion angeboten werden.
•
Nein, weil man zuerst Unterschiede identifizieren muss, um Gemeinsamkeiten herausarbeiten zu können.
3.5
Typisch deutsch?
Natürlich ist die Prägung durch die Kultur nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen. Es gibt zwar grundsätzliche Unterschiede zwischen den Kulturen, aber immer spielen auch Persönlichkeitsmerkmale, soziale und familiäre Prägungen sowie eine ganze Reihe anderer Faktoren eine Rolle. Im Arbeitsleben prägen natürlich auch die Rolle und Funktion sowie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, Branche oder Unternehmenskultur das eigene Verhalten. Es handelt sich also immer um ein Bündel an Einflussfaktoren; niemand vereint alle Eigenschaften, Werte, Fähigkeiten, Arbeitsstile usw. einer Gruppe, einer "Kultur" oder Subkultur auf sich. Und wer würde sich schon als "typisch deutsch", "typischer Jugendlicher", "typisch Mann/Frau", "typischer Jurist" etc. bezeichnen? Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die meisten Mitglieder einer solchen Gruppe viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Und genauso verhält es sich mit den kulturellen Eigenheiten: Es geht immer um Tendenzen, d. h. darum, dass sich die Mehrheit eines Kulturkreises älmlich wie in den Fallbeispielen beschrieben verhält. Zur Illustration in Abbildung 3.1 ein Beispiel, das die Ankunftszeiten der Teilnehmer zu einem Meeting in zwei verschiedenen Kulturen zeigt. Das Meeting ist für 10.00 Uhr angesetzt. In Kultur 1 trifft die Mehrheit gegen 10.00 Uhr ein, in Kultur 2 kommen die meisten eine Viertelstunde nach der vereinbarten Uhrzeit. Obwohl in beiden Kulturen individuelle Unterschiede sichtbar werden und sich eine Teilmenge beider Kulturen interessanterweise gleich verhält, bezeichnen wir Angehörige von Kultur 1 als "immer pünktlich" und Menschen aus Kultur 2 als "immer unpünktlich". Hier zeigt sich die Gefahr von Pauschalurteilen, die wir stets im Hinterkopf behalten sollten. Wenn wir sie vermeiden wollen, dürfen wir Aussagen nicht absolut setzen, sondern sollten Kulturen besser im Vergleich beschreiben, z. B.: "Die Wahrscheinlichkeit ist groß; dass die meisten Menschen aus Kultur 2 später zum Meeting erscheinen als die Mehrheit von Kultur 1."
36
Die Fallbeispiele: Aufbau und Hintergründe
Abbildung 3 . 1
Ankunftszeiten bei einemMJaeting um 10.00 Uhr
Anzahl Teilnehmer
Kultur 1
9.45
10.00
Kultur 2
10 .15
10.30
Uhrze it
Im Alltag vereinf achen wir aber gerne - oft auch unzulässig. Andererseits ist Vereinfa-
chung auch menschlich und verständlich, denn sie dient der Orientierung. Ständig ordnen "Wir ein, typisieren und stecken andere in Schubladen, ohne dass uns das immer bewusst ist (vor allem bei einer ersten Begegnung). Problematisch "Wird d as Einsortieren, wenn wir vorläufige Urteile in änderungsresistente Zuschreibungen uberfiihren, d. h Menschen aus unseren gedachte n Schubladen nicht mehr her au slassen Im Bereich kultureller Unterschiede ist dann die Rede von Stereotypen, die als Zuschreibung von (oft negativ belegten) Eigenschaften einer anderen Kultur der Abgrenzung zur eigenen (meist als überlegen gesehenen) dienen. Da also mit Stereotypenbildung meist Abwertung und eine Vorverurteilung einhergeht, baut sie mehr Hürden auf, als sie an Verständigung bringt. Genauso wie Sie diese Fallstricke immer im Blick behalten müssen, sollten Sie auch berücksichtigen, dass es große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern gebe n kann, wenn verallgemeinernd v on Kulturkreisen die Rede ist. Auch Länder selber weisen zurn Teil große regionale Unterschiede auf, sei es aufgrund der geografischen Ausdehnung (z. B. USA), sei es wegen vieler Ethnien (z. B. Südafrika) oder wegen raschen ökonomischen Wandels und politischer Umwälzungen, die die Menschen in unterschiedlichem Ausmaß erreichen u n d beeinflussen (z. B. Russland). Aber selbst in einem Land wie Deutschland, das im Vergleich zu anderen Ländern weder besonders groß noch ethnisch vielfältig ist, gibt es Me ntalitätsunterschiede. So könnten zum Beispiel Norddeutsche wahrscheinlich auf Anhieb unzählige Unterschiede zu den Süddeutschen aufzählen (und umgekehrt). Bei "Ossis" und "Wessis" wäre es vermutlich nicht viel anders. Dennoch sind diese Unterschiede relativ gesehen gering, jedenfalls dann, wenn man einen Vergleich zwischen Ländern oder Kulturkreisen vornimmt. Mt anderen Worten: Trotz intern durchaus wahr-
Kulturen im Wandel?
37
nehmbarer Unterschiede zwischen Süd- und Norddeutschen haben die Bewohner dieser Landstriche vermutlich wesentlich mehr Gemeinsamkeiten, als sie jeweils mit Angehörigen einer anderen Kultur aufweisen.
3.6
Kulturen im Wandel?
Darüber hinaus sind kulturelle Prägungen auch ständigen Veränderungen ausgesetzt, besonders in Zeiten von Globalisierung, zunehmender Mobilität, raschen politischen und wirtschaftlichen Wandels. Viele junge Menschen aus aufstrebenden Ländern wie China oder Indien studieren und arbeiten mittlerweile im Ausland und kommen dadurch mit westlichen Arbeits- und Lebensformen in Berührung, orientieren sich daran und tragen diese Einflüsse - bewusst oder unbewusst - nach der Rückkehr ins eigene Land. Nicht selten kollidieren diese Einflüsse dann mit der heimischen Kultur. Oft kommt es zu einem Nebeneinander von "modernen" westlichen und tradierten Verhaltensweisen und Einstellungen, was für Einheimische teilweise als konflikthaft erlebt wird und besonders für Außenstehende wie zum Beispiel deutsche Expatriates in diesen Ländern kaum noch zu durchschauen ist. Auch Niederlassungen ausländischer Unternehmen in anderen Ländern tragen neue kulturelle Prägungen ins Land und besonders bei multikulturellen Belegschaften in Großkonzernen weltweit verwischen sich bei dominierenden Unternehmenskulturen nationale Unterschiede bis zu einem gewissen Grad. Es gibt v iele Theorien dazu, inwieweit sich heute internationale Geschäftsgepflogenheiten bereits angeglichen haben und ob die Business-, Unternehmens- oder Landeskultur am stärksten wirkt (Konvergenz-/Divergenztheoretiker, z. B. Levitt, Kotler). Nach heutigen Erkenntnissen ist die Landeskultur trotz aller Annäherungen auf der Ebene der internationalen Businesskultur noch immer am einflussreichsten und prägendsten (Adler, Dickson, BeShears, Gupta). Denn Menschen haben trotz aller Einflüsse ihre kulturellen Wurzeln im Heimatland, die sie in Unternehmen hineintragen. Durch Sozialisierung in der Nationalkultur verinnerlichen wir Werte und Einstellungen, die uns nachhaltig prägen und die viel stabiler und änderungsresistenter sind als zum Beispiel erlernte Handlungen wie etwa Benimmregeln oder Begrüßungsrituale. Auch sind Werte und Einstellungen nicht so leicht zu erkennen wie Handlungen. Aus diesen Gründen ist eher nicht zu erwarten, dass sich kulturelle Prägungen bald völlig auflösen. Zwar verändern sich Werte aufgrund wirtschaftlicher oder politischer Umwälzungen, demografischer Entwicklungen etc., aber Wertewandel ist ein sehr langsamer Prozess, der sich meist über Generationen hinzieht. Genauso wie sich zum Beispiel in Deutschland die Lebensweise über Jaluzehnte hinweg zu einer immer individualistischeren mit entsprechenden Werten gewandelt hat, werden Phänomene wie etwa der kapitalistische Wandel in China vermutlich auch erst in einigen Jahren oder gar Jahrzehnten tiefgreifende Auswirkungen auf tradierte Werte in allen Bevölkerungsschichten und Regionen haben.
3B
Die f a llbeispie le : Aufbau und Hinte r&ründe
Vor dem H intergru nd diese r Ausführungen sei an Sie noch einmal appel liert, die Fallbeispiele durchaus k ritisch zu beleuchten und au ch mit Ihren eigenen Erfahru ngen ebzugl eichen. Behal ten Sie immer im Hi nterkopf, d ass e s nicht um unverrückbare Zuschreibungen,. Pau schalurteile oder endgültige Kategorisierungen gehl Verg leiche sind ohnehin immer ~la tiv; je nachdem, mit welcher ei genen kultureDen Prägung m an auf andere b lickt , kann das Urtei l sehr unterschiedl ich aus fallen . So wirken Deutsche mit ihrer Art auf Brasili aner vermutlich ganz anders als auf Finnen ... Abbil dung) .2
3.7
Auf d e Perspekti ve korrmt es an!
Wie profitieren Sie am meisten von diesem
Buch? Den größten Nu tzen zie hen Sie au s d em Bu ch, wenn Sie es als ech tes Arbeitsbuch betrachten. Versu chen Sie so oft wie m öglich, d ie Leitfragen zur Deut ung de r Fallbeispiele zu beantw orten, die Anregungen zur Selbstreflexion aufz u gre ifen und d ie vorge schlagenen Übun gen auszuprobieren. Warum ? •
Wenn Sie d:io: Fallbeispiel e zunächst alleine zu interpretieren vers uchen. können Sie Ihr bishe ri ges Wissen ü ber Kul turunters chiede aktivieren und übe rprüfen. Wenn Sie bishe r kein Vorwi ssen haben und intuitiv ant w or ten, u mso be sser ; Dann lernen Sie vie l über sich und Ihre unbewus ste (kulturel le) Prägung.
•
Auße r dem trainieren Sie d adurch, dass Sie sich in den Fall hineindenken, Ihr Einfühlungsvennägen und Ih re geistige Flexibili tät - z wei wichtige Voraussetzungen fü r den Ausbau Ihrer in ternationalen Kompetenzen,
Wie profitieren Sie am meisten von diesem Buch?
39
•
Wer eigene Antworten zur Entschlüsselung der Szenen gefunden hat, liest mit einer bestimmten Erwartungshaltung weiter, nimmt die folgenden Inhalte konzentrierter auf, behält sie besser und erreicht einen nachhaltigeren Lerneffekt.
•
Je besser Sie sich selber kennenlernen und die Hintergründe für Ihr Verhalten einschätzen können, desto eher sind Sie auch in der Lage, Handlungen und Verhalten anderer zu analysieren und vielleicht sogar nachzuvollziehen (wenn auch möglicherweise nicht immer gutzuheißen).
•
Kompetenz erwerben Sie nicht allein durch theoretisches Wissen und den Versuch, danach zu handeln. Vielmehr ist die Reflexion des Handeins ein entscheidender Schritt zu mehr Kompetenz. Wenn Sie also dieses Buch begleitend zu Ihrer internationalen Tätigkeit lesen, erkennen Sie vielleicht selbst erlebte Situationen wieder, die Sie im Nachhinein besser reflektieren und anders interpretieren können. Wenn Sie das Buch zur Vorbereitung auf internationale Aufgaben nutzen, verhelfen Ihnen Leitfragen zu geschärfter Wahrnehmung.
Trotz aller praxisbezogener Aufbereitung, Reflexions- und Übungsangebote bleibt Gedrucktes in seiner Wirkung immer beschränkt. Auch dieses Buch kann ein gutes interkulturelles Training oder ein kulturspezifisches Seminar zur Auslandsvorbereitung nicht ersetzen. Es kann Ihnen aber eine grobe Orientierung auf der Weltkulturlandkarte bieten, Sie für die Bedeutung internationaler Kompetenzen sensibilisieren und Ihnen Ansätze für die Entwicklung dieser Kompetenzen aufzeigen. Wenn das Buch dieses Ziel erreicht, hat es seinen Zweck erfüllt.
ITeil 2 - Die Fallbeispiele 1-14 Erste internationale Aufgaben (1-4) Führungsaufgaben (5-7) Zusammenarbeit im Team (8-10) Spedal: Projektmanagement international (11) Auslandsaufenthalt als Expatriate (12-14)
1
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
1.1
Fallbeispiel und Reflexion
Peter Grünwald ist Ingenieur bei einem Unternehmen, das gerade Geschäftsbeziehungen zu Indien aufbaut. Nach einiger Korrespondenz und zwei Telefonaten tritt er heute die Reise zu seinem potenziellen Geschäftspartner Herrn Ganesh an, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu sondieren. Er wird sehr herzlich empfangen und beim Tee entspinnt sich ein lockeres Gespräch über seine Anreise, das Wetter, die Hotelunterkunft usw. Nach einer Weile wird Peter Grünwald unruhig, weil der Smalltalk gar kein Ende nehmen will und Herr Ganesh wortreich und in blumigem Englisch immer weiter ausholt und mittlerweile auch sehr persönliche Fragen stellt. Zwar hatte Peter Grünwald schon von anderen Kollegen gehört, dass in manchen Ländern bereits beim ersten Zusammentreffen nicht nur kurz Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht werden, sondern auch länger locker geplaudert wird, aber gewöhnen kann und will er sich daran nicht. Am liebsten würde er diese oberflächlichen Gespräche möglichst kurz halten und bald zur Sache kommen. Schließlich kostet das Geplänkel doch viel zu viel kostbare Zeit! Nun aber wird seine Geduld wirklich überstrapaziert: Herr Ganesh stellt ihm nämlich jetzt Fragen, die eindeutig auf sein Privatleben zielen. Von seinen Hobbys und vom letzten Urlaub mag er ihm ja vielleicht noch erzählen, aber über seine Familienverhältnisse Auskunft zu geben, findet Herr Grünwald viel zu persönlich - zumal er gerade in Trennung lebt. Das geht Herrn Ganesh wirklich nichts an und mit dem Geschäft hat es auch nichts zu tun. Jetzt muss er einfach ein Signal setzen und versucht daher, das Gespräch aufs Geschäftliche zu lenken. Das klappt zwar auch, aber irgendwie scheint nun Herr Ganesh irritiert und die Atmosphäre wird merklich kühler. War er vielleicht doch zu schroff? Hätte er doch noch mehr Persönliches preisgeben sollen? Peter Grünwald ist kurz verunsichert, konzentriert sich aber nun voll auf sein ausgearbeitetes Konzept mit den wichtigsten Fragen einer künftigen Zusammenarbeit. Was war geschehen? Bevor Sie weiterlesen, können Sie hier Ihre Interpretation der Geschehnisse notieren:
Reflexion Herr Grünwald kam mit der Absicht/dem Ziel
.
Wichtig war ihm
.
Er erwartete
.
Ihn irritierte
.
44
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
Seme Gedanken
.
Herr Ganesh kam mit der Absicht/dem Ziel
.
Wich.tig war ihm
.
Ere~~~~
.
Er war vielleicht irritiert, weil
.
Seme Gedanken
.
Welche Kulturunterschiede können Sie hier entdecken?
Wie wird das Treffen/die Zusammenarbeit Ihrer Meinung nach weiter verlaufen?
1.2
Sachkultur oder Beziehungskultur?
Nach deutschen Maßstäben hat Peter Grünwald nachvollziehbar gehandelt: kurzer Smalltalk zu Beginn (dabei nicht zu persönlich werden) und recht bald zum Geschäftlichen kommen. Was zwischen Deutschen (vor allem, wenn sie sich zum ersten Mal begegnen) in schweigendem Einvernehmen gut funktioniert, ist nach indischen Maßstäben alles andere als der ideale Beginn einer Geschäftsbeziehung. Denn in Indien - wie in vielen anderen Kulturen - gehört das ausführliche persönliche Kennenlernen am Anfang zu den unabdingbaren Grundvoraussetzungen einer Geschäftsanbahnung. Erst der Aufbau einer persönlichen Beziehung schafft Vertrauen; ohne Vertrauen kerne Geschäfte, so die Regel in allen sogenannten beziehungs- (oder personen-)orientierten Kulturen. Und das steht in krassem Gegensatz zum deutschen Kulturstandard Sachorientierung, wonach die Beschäftigung mit Sachverhalten wichtiger ist als die mit Personen (s. Thomas, S. 26). Zum Leidwesen vieler deutscher Geschäftsleute pflegen die meisten anderen Länder eher eine Beziehungskultur als eine Sachkultur. Zum Leidwesen deshalb, weil es vielen Deutschen eher schwerfällt, mit Fremden leicht ins Gespräch zu kommen und über längere Zeit den Kontakt mit scheinbar unwichtigem Geplauder aufrechtzuerhalten, um sich zunächst besser kennenzulernen. Die meisten verkennen, dass für Menschen anderer Kulturen gerade diese vermeintlichen Nebensächlichkeiten für den Aufbau von Vertrauen eine große Rolle spielen. Deutsche bleiben eher distanziert, geben besonders im beruflichen Kontext ungern Persönliches preis und gelten deshalb im internationalen Vergleich als "kalt". Besonders deutsche Geschäftsleute sind im Ausland allgemein dafür bekannt, dass sie ungern lange Smalltalk machen, stattdessen lieber schnell zur Sache kommen und dies oft auch direkt äußern oder zumindest körpersprachlich signalisieren. Genau das hat Herr
45
Sachkultur oder Beziehungskultur?
Grünwald in unserem Fallbeispiel getan und damit seinen Gesprächspartner, der als Inder stark personenzentriert ist, sicherlich vor den Kopf gestoßen. Wie Herr Ganesh legen viele Ausländer dieses Verhalten von Deutschen als grobe Unhöflichkeit aus oder werten es gar als einen so schweren Affront, dass die Geschäftsbeziehung gefährdet ist. Ein vermeidbares Risiko!
Abbildung 1.1
Pfirsich trifft Kokosnuss (in Anlehnung an Zaninelli, 1994)
Pfirsich
Kokosnuss
Herr Ganesh
Herr GrÜl7Wald
privat
öffentlich
Dieses Modell von Pfirsich und Kokosnuss soll die Unterschiede im Gesprächsverhalten unserer Protagonisten aus dem Fallbeispiel illustrieren. Der Pfirsich mit seiner großen, weichen äußeren Schicht (hell) und dem kleinen Kern (dunkel) stellt den Inder dar, während die Kokosnuss mit ihrer relativ dünnen, harten Schale und dem großen Kern für den Deutschen steht. Wenn wir nun das Innere jeweils als Privatsphäre und das Äußere als für die Öffentlichkeit zugänglichen Bereich definieren, erkennen wir zunächst große Unterschiede in den Größenverhältnissen: Herrn Ganeshs Privatsphäre ist relativ klein, der öffentliche Bereich groß; dementsprechend viel macht er in ausführlichem Smalltalk zugänglich und stellt auch seinerseits Fragen aus diesem öffentlichen Bereich. Seine Fragen treffen aber bei Herrn Grünwald auf ein viel kleineres, für die Öffentlichkeit zugängliches Feld, denn bei ihm als Kokosnuss sind die Größenverhältnisse genau umgekehrt. Herrn Ganeshs Fragen nach sehr persönlichen Dingen treffen zum großen Teil schon auf den unzugänglichen privaten Kern. Zudem hat die Kokosnuss eine äußere harte Schale, die zu durchdringen schwieriger ist als die eines außen weichen Pfirsichs. Unverständnis auf beiden Seiten entsteht dadurch, dass jeder irrtümlich dasselbe "Modell" beim Gegenüber voraussetzt. Das ursprüngliche Modell bezieht sich übrigens auf Deutsche und US-
46
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
Amerikaner und begegnet uns noch einmal, wenn diese beiden Kulturen im Fallbeispiel "Anweisungen verstehen" aufeinandertreffen. Manchmal lassen wir Deutschen uns aber durchaus auf Smalltalk ein, und zwar eher im privaten als im beruflichen Umfeld. Das liegt daran, dass wir - im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen - Privat- und Arbeitsleben gerne trennen und deshalb auch lockere, private Plauderei in geschäftlichen Situationen möglichst kurz halten. Das deutsche Sprichwort "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" bringt diese Einstellung auf den Punkt. Zugleich könnte man den Satz dahingehend interpretieren, dass zuerst das Geschäftliche kommt und erst danach das Private. Noch deutlicher kommt das zum Ausdruck, wenn es heißt "Erst die Arbeit und dann das Vergnügen". Den Angehörigen der meisten anderen Kulturen ist diese bewusste Trennung fremd, denn dort ist eine Vermischung der Bereiche gang und gäbe. Zwar verwischen sich auch hierzulande zunehmend die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, etwa wenn Arbeit mit nach Hause genommen wird oder ständige Erreichbarkeit im Urlaub erwartet oder sich selbst auferlegt wird. Diese Überlappungen sind allerdings etwas anders gelagert und führen nicht zwangsläufig zur Vermischung von privaten und beruflichen Beziehungen im engeren Sinn. Das Thema wird noch in mehreren Beispielen eine wichtige Rolle spielen und die Unterschiede werden dann deutlicher.
1.3
Smalltalk - die hohe Kunst der leichten Unterhaltung
Selbst wenn wir uns im eher privaten Rahmen, etwa bei gesellschaftlichen Verpflichtungen (Empfänge, Cocktail-Partys) auf Smalltalk einlassen, sieht das oft auch anders aus als in geübten .Bmalltalkcr-Kulturcn". Selten verstehen wir uns gut auf die hohe Kunst der leichten Unterhaltung und kommen relativ schnell von einer oberflächlichen Ebene auf gewichtigere Themen, die wir gerne ausdiskutieren und bei denen wir uns nicht selten einen argumentativen Schlagabtausch liefern - kontroverse Diskussionen nicht ausgeschlossen. So jedenfalls laufen Gespräche unter Deutschen oft ab; besonders Männer liefern sich gerne solche Wortgefechte. Wer das auf internationalem Parkett genauso praktiziert und es für Smalltalk hält, liegt daneben und stößt leicht auf Ablehnung. Denn das ist ein völlig anderes Verständnis von leichter Unterhaltung.. als es in beziehungsorientierten Kulturen vorherrscht. Dort nämlich dient Smalltalk als "Schmiermittel" zur Herstellung oder Aufrechterhaltung einer zwischenmenschlichen Bindung. Dies geschieht am besten, indem man nach Gemeinsamkeiten sucht und diese betont, statt auf Unterschiede und Abgrenzung zu fokussieren, zum Beispiel durch abweichende Meinungen. Ins Gespräch zu kommen und längere Zeit dabei zu bleiben, olme allzu anspruchsvolle Inhalte oder gar Meinungen auszutauschen, signalisiert Interesse am Gegenüber - nicht mehr und nicht weniger. Geringes Bemühen um Smalltalk wird in Beziehungskulturen als Desinteresse am Gegenüber, wenn nicht gar als Ablelmung gewertet!
Smalltalk - die hohe Kunst der leichten Unterhaltung
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Es gibt nicht viele Kulturen, in denen Smalltalk älmlich kurz gehalten wird wie bei uns, aber einige schon:
Small talk - the Finnish w ay TWD old Finnish jriends meet up jor a drink after a "tong-iime-no-see". There's a long but comfortable silence. which lasts jor some ten minutes. Then one of the Finns looks up and says: "wett. how are you Ivlaiii?" To which Matti replies: "Look; did we come here to talk or to drink?" 1
Bleiben wir bei unserem Fallbeispiel, um die Konversation zweier Geschäftspartner bei ihrer ersten Begegnung näher zu betrachten. Nehmen wir an, dass Sie selber einmal als Gastgeber fungieren und mit etwas Smalltalk zu Beginn eine lockere Atmosphäre herstellen möchten. Nach der Begrüßung können Sie die Anreise und Hotelunterkunft Ihres Gastes sowie die Wetterlage als klassische Gesprächsaufhänger benutzen. So mancher mag das Thema Wetter für abgedroschen halten und es deshalb gar nicht erst ansprechen mögen. Das ist ein Fehler, denn es ist nun mal ein Smalltalk-Klassiker weltweit und Sie können von der aktuellen Wetterlage leicht den Bogen zum Wetter im Heimatort des Besuchers spalUlen und dann zum Beispiel weiter geschickt zu wetterabhängigen Freizeitbeschäftigungen überleiten. Auch Fragen nach früheren Besuchen bei der Firma, im Land oder in der Stadt sowie interessante Sehenswürdigkeiten oder Events bieten gute Anknüpfungspunkte für die Ausweitung des Gesprächs. Natürlich können auch Arbeit und Beruf als Smalltalk-Themen geeignet sein. Aber da wir Deutschen olmehin recht schnell bei diesem Thema landen und damit oft unversehens ein Fachgespräch einleiten, soll dies an dieser Stelle nicht noch besonders vertieft werden. Für Menschen vieler anderer Kulturen ist Arbeit nämlich nicht unbedingt das prioritäre Thema, um eine Beziehung aufzubauen und sich ein Bild vom Menschen hinter seiner Funktion zu machen. Themen zum besseren Kennenlernen. mit denen Sie international auf der sicheren Seite sind, reichen vom Heimatland oder der Heimatstadt Ihres Gesprächspartners über Hobbys, Sport, Kultur bis hin zu Reisen und dem letzten oder nächsten Urlaub. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wenn die Sprache auf das Heimatland des Gegenübers kommt, sind natürlich ausschließlich positive Äußerungen gemeint! Wir Deutschen neigen zuweilen zu kritischen Kommentaren, thematisieren Missstände oder stellen Vergleiche mit Deutschland an. Das kommt fast nirgends gut an! Auch Tabuthemen sind kulturabhängig. Was in manchen Kulturen ein beliebtes Thema ist, kann sich in einer anderen als peinlicher Fauxpas erweisen. So sind Sie als Deutscher wahrscheinlich befremdet, wenn Sie ein US-Amerikaner nach Ihrem Einkommen fragt, während das in den USA keineswegs unüblich ist. Fragen nach der Familie werden hierzulande oft als zu persönlich empfunden, während sie etwa in den USA gängig und in Kulturen mit starken Familienbanden unverzichtbar sind. wenn Sie es in diesen Kulturen versäumen, nach der Familie zu fragen, wird Ihnen das sogar als Desinteresse am Geschäftspartner ausgelegt.
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Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
Damit Sie nicht schon bei der ersten Begegnung ins Fettnäpfchen treten, sollten Sie nicht über Politik, Religion, Sex, Krankheiten, private Probleme oder Geld reden - es sei denn, Ihr Gesprächspartner spricht die Themen als Erster an. Im Grunde sind Sie immer auf der sicheren Seite, wenn Sie das, was Ihr Gegenüber fragt oder sagt, als Orientierung nutzen und soweit wie möglich daran anknüpfen, statt selber neue Themen anzuschneiden.
1.4
Goldene Regeln für Ihren Smalltalk
•
Vermeiden Sie auf Smalltalk-Ebene grundsätzlich alle Themen oder Bemerkungen, die starke Meinungen oder Einstellungen widerspiegeln, polarisieren und dadurch leicht zu kontroversen Diskussionen führen können.
•
Smalltalk heißt nicht Probleme wälzen! Achten Sie daher immer auf einen positiven Anstrich Ihrer Äußerungen und vermeiden Sie es, schlechte Nachrichten zu thematisieren oder gar Kritik zu üben (z. B. an Missständen im Land des Gesprächspartners).
•
Suchen Sie immer nach Gemeinsamkeiten (statt sich abzugrenzen) und knüpfen Sie dort an, wo zum Beispiel ähnliche Interessen oder gemeinsame Bekannte zur Sprache kommen.
•
Wenn Sie (trotz aller Warnungen!) an einem Meinungsaustausch interessiert sind und die Beziehung für tragfähig halten, gehen Sie dennoch sehr behutsam vor: Statt sofort Ihre Ansicht kundzutun, sollten Sie zunächst vorsichtig sondieren, was Ihr Gegenüber über das Thema denkt. Bei abweichender Meinung können Sie dann immer noch den Blick auf Teilaspekte lenken, in denen Sie übereinstimmen oder ähnliche Ansichten haben.
•
Senden Sie beim Zuhören Aufmerksamkeitssignale wie Kopfnicken und kurze Einwürfe, die auf Englisch gerne auch etwas emotionaler ausfallen dürfen, als man es hierzulande gewölmt ist:
D Business English
•
-
That's great!
-
Absolutely!
-
Really?
-
How interesting!
-
Oh, I'm sorry to hear that!
Stressen Sie sich nicht unnötig damit, nach besonders originellen Gesprächsaufhängern zu suchen, denn bei Smalltalk geht es ja nicht in erster Linie um Inhalte. Greifen Sie naheliegende, offensichtliche Dinge auf, d. h. was Sie (beide) gerade sehen, wo Sie sich befinden usw.
Intuitive Entscheidungen und vieldeutige Kommunikation
49
•
Sie müssen nicht unbedingt ein Thema lange vertiefen, sondern dürfen ruhig ein neues einbringen, zum Beispiel indem Sie ein Stichwort Ihres Gesprächspartners aufgreifen und damit das Gespräch behutsam in eine andere Richtung lenken, selbstverständlich unter Berücksichtigung von Tabuthemen!
•
Versuchen Sie, sich Informationen zu merken (eventuell im Anschluss notieren), um beim nächsten Gespräch daran anknüpfen zu können.
•
Offene Fragen, also solche mit Fragewörtern, bieten mehr Spielraum für ausführliche Antworten als geschlossene (Antwort "ja" oder "nein"). Geschlossene Fragen sind als Einstieg zwar durchaus geeignet, aber um ein Gespräch in Gang zu halten, sind offene Fragen und vor allem Gegenfragen im Anschluss an die eigene Antwort unverzichtbar.
•
Viele Fragen zu stellen ist besser als selber Monologe zu halten. Die meisten Menschen erzählen gerne (von sich). Lassen Sie sie ruhig und zeigen Sie sich als guter Zuhörer! Genau das besagt auch die nützliche Formel für Smalltalk in Abbildung 1.2:
Abbildung 1.2
Smalltalk-Formel
• Smalltalk ist ... 50 % zuhören 25 % fragen 25 % antworten
C
1.5
.I
Intuitive Entscheidungen und vieldeutige Kommunikation
Hierzulande wird also der Phase des Kennenlernens zum Aufbau von Vertrauen und zum Festigen einer persönlichen Beziehung für langfristige Geschäfte vergleichsweise wenig Bedeutung beigemessen. Dabei wäre die Konzentration auf Inhalte statt auf Personen an sich kein allzu großes Problem, wenn nicht die Mehrheit der anderen Kulturen dazu eine
50
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
ganz andere Einstellung hätte und wir uns mit dem Festhalten an dieser Prioritätensetzung nicht selber schaden würden. Wir sollten nicht unterschätzen, dass Entscheidungen für den Kauf eines Produkts oder für eine Kooperation häufig intuitiv getroffen werden, wenngleich jeder Geschäftsmann diese Behauptung weit von sich weisen würde. Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass auch im Geschäftsleben umso öfter Intuition im Spiel ist, je komplexer ein Sachverhalt ist. Zwar werden Entscheidungen im Nachhinein rationalisiert und mit sachlichen Argumenten gestützt. Das ändert aber nichts daran, dass es dennoch Bauchentscheidungen waren. Daran ist auch nichts zu kritisieren, denn meist liegen wir damit sogar richtig. Bei intuitiven Entscheidungen spielt der "menschliche Faktor" eine große Rolle. Wenn wir uns heute für ein Produkt oder eine Dienstleistung entscheiden müssen, haben wir es mit einer Unmenge an Informationen, Marken und Anbietern zu tun. Die Situation ist dermaßen komplex, dass wir kaum in der Lage sind, alle Zahlen, Daten und Fakten gründlich auszuwerten und Unterschiede herauszuarbeiten, um eine begründete Entscheidung zu treffen. Oft unterscheiden sich Produkte oder Dienstleistungen preislich und/oder qualitativ auch kaum noch und es kommt eher darauf an, wie sie präsentiert und vermarktet werden und, last but not least, wer sich letztlich als Geschäftspartner gegenübersteht. Auch hierzulande sind die Zeiten längst vorbei, wo man sich im Ausland mangels Konkurrenz um Produkte "Made in Germany" gerissen hat. Heute reicht es nicht mehr, Produkte in guter Qualität herzustellen. Man muss sich mit dem Kunden befassen und flexibel sein. Und hier kommt der Mensch wieder ins Spiel: Die Entscheidung für ein Produkt oder eine Dienstleistung fällt heute, wenn viele gleiche oder ähnliche Angebote vorliegen, zugunsten des Anbieters oder Geschäftspartners, der uns (emotional) überzeugt, uns sympathisch ist, uns respektiert und/oder - und das ist nicht zu unterschätzen! - dem man vertraut, weil man ihn gut kennt. Das klingt erschreckend simpel und mag bei so manchem Leser Widerstände auslösen. Natürlich sind auch andere Entscheidungskriterien wie Konditionen, Flexibilität, Serviceleistungen usw. nicht zu unterschätzen. Aber selbst wenn all diese Kriterien berücksichtigt sind, gibt der Mensch den Ausschlag. Es lolmt sich also, sein Augenmerk mehr auf ihn als auf Zahlen zu richten. Das ist besonders relevant bei Verkaufspräsentationen, bei denen man heutzutage nicht mehr allein mit Faktenwissen punkten kann, sondern Menschen emotional ansprechen und für sich gewinnen muss. Auch da wird die Fähigkeit zum Smalltalk, zu Beziehungsaufbau und -pflege und damit zum Eingehen auf Kundenbedürfnisse immer wichtiger. Mit dem hierzulande hochgehaltenen Ideal der Objektivität und der unerschütterlichen Faktengläubigkeit kommen wir nicht weit. Die Parole "Es geht um die Sache, nicht um Personen oder Befindlichkeiten!" hat längst ausgedient. Wenn es darum geht, Menschen zu überzeugen, zu gewinnen und zu verstehen, sollten wir die Funktionsweise von Kommunikation kennen. Ein Klassiker in der Kommunikationswissenschaft ist das sogenannte 4-Seiten-Modell von Schulz von Thun, auch bekannt als Kommunikationsquadrat. Es zeigt sehr anschaulich die Komplexität von Kommunikation auf und ist deshalb auch gut auf den interkulturellen Kontext übertragbar.
Intuitive Entscheidungen und vieldeutige Kommunikation
Abbildung 1.3
51
Kommunikationsquadrat (nach Schulz von Thun)
Sachaussage
Worüber ich informiere
Selbstoffenbarung
Was ich von mir selber kundgebe
~
INachricht mit vier Seiten
L
Appell
Wozu ich jemanden veranlassen möchte
~/ Beziehungsbotschaft
Wie ich jemanden sehe/ Wie wir zueinander stehen
Eine Botschaft hat potenziell diese vier Seiten, ausgesprochen oder unausgesprochen, bewusst oder unbewusst. Wenn jemand etwas sagt, schwingen immer mehrere dieser Aspekte mit. Eine Seite dominiert in der Regel, allerdings ist das nicht immer die Sachaussage, also der "reine Inhalt", wie wir oft irrtümlich annehmen. Betrachten wir zur Verdeutlichung der vier Aspekte eine Kommunikationssituation, in der jemand die Frage "Hast Du Hunger?" stellt.
Abbildung 1.4
Hast Du Hunger?
52
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
Wir wissen nicht, welche Seite hier dominiert. Solange der vom Sender gemeinte Aspekt derselbe ist wie der vom Empfänger aufgenommene, dürfte die Kommunikation gelingen. Die Praxis sieht aber oft anders aus: Die Gesprächspartner senden und empfangen auf verschiedenen Ebenen. So redet man leicht aneinander vorbei und Missverständnisse sind vorprogrammiert.
Abbildung 1.5
Kommunikationsquadrat "Hast Du Hunger?"
Sachaussage Erfragen einer Info: Hast Du Hunger?
Selbstoffenbarung
Appell Sag schon, dass Du (auch) Hunger hast!
Ich habe Hunger und
wurde gerne etwas essen.
Beziehungsbotschaft Ich kümmere mich um Dich.
Nehmen wir an, in unserem Beispiel stellt eine Frau bei einem Stadtbummel ihrem Mann die Frage "Hast Du Hunger?". Nehmen wir weiter an, die Frau sendet auf der Selbstoffenbarungs- oder Beziehungsebene und erwartet eine Reaktion auf derselben Ebene. Der Mann aber ordnet die Frage der Sachebene zu und hat selber sein Sach-Ohr aufgesperrt. Deshalb antwortet er zum Beispiel mit "Nein". Sehr wahrscheinlich ist dann die Frau enttäuscht und der Mann versteht nicht, warum. Wenn das Missverständnis offenbar wird (was selten der Fall ist!), fragen Sie sich als Mann vielleicht: Warum sagt sie denn nicht "direkt", was sie will? Und als Frau denken Sie möglicherweise: Warum kapiert er den Wink mit dem Zaunpfahl nicht? Und damit sind wir beim Thema interkulturelle Kommunikation: Hat man solche Mechanismen einmal durchschaut, ist man auf dem Weg zu internationaler Kompetenz ein gutes Stück vorangekommen. Denn wie manchmal Frauen und Männer aneinander vorbeireden, geschieht das auch bei der Begegnung von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Es wirken ähnliche Mechanismen, die Fehlinterpretationen nach sich ziehen, wobei die vier Seiten einer Botschaft noch unterschiedlichen kulturellen Prägungen unterliegen. Das wird uns in einigen Fallbeispielen noch vor Augen geführt, in denen wir auf unser Modell zurück kommen.
Maskuline und feminine Kulturen, Unterschiede und Passung
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Verallgemeinernd und als grobe Orientierung können wir festhalten, dass die meisten Angehörigen von Beziehungskulturen einen älmlich indirekten, personenorientierten Stil pflegen, wie ihn hierzulande eher Frauen bevorzugen. Und der stößt bei der Mehrheit der männlichen deutschen Geschäftspartner auf eine stärker ausgeprägte Sachorientierung.
1.6
Maskuline und feminine Kulturen, Unterschiede und Passung
In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Kulturunterschied interessant: In der interkulturellen Forschung gibt es das Modell der Kulturdimensionen nach Hofstede (s. Teil I, 2.2). Eine dieser Dimensionen bezieht sich auf Maskulinität bzw. Feminität von Kulturen. Ob eine Kultur eher als "maskulin" oder eher als "feminin" gilt, sagt nicht, wie man irrtümlich glauben könnte, direkt und in erster Linie etwas über Gleichberechtigung oder die Stellung der Frau in dieser Gesellschaft aus. Vielmehr beschreibt diese Kategorie, inwieweit Geschlechterrollen getrennt oder fließend sind und inwieweit eine Gesellschaft eher durch als männlich bzw. als weiblich geltende Züge geprägt ist. In maskulinen Kulturen werden "Macher", starke Führung, Profilierung, Wettbewerb, Geld, Erfolg und Statussymbole hoch geschätzt, in femininen Kulturen sind Sensibilität und Emotionalität wichtige Werte, werden Zurückhaltung, Solidarität und Kompromissbereitschaft geschätzt und man arbeitet, um zu leben (und nicht umgekehrt). Vereinfachend kann man sagen, dass damit die Orientienmg an der Sache (maskulin) bzw. an Beziehungen/I'ersonen (feminin) einhergeht. Skandinavische Länder gelten als feminin, Deutschland hingegen gilt als eher maskulines Land, älmlich wie Japan oder die USA. Übrigens wird auch Brasilien den femininen Kulturen zugereclmet, was so manchen verwirren mag, der mit dem Bild vom "Macho" im Kopf eher das Gegenteil annehmen würde. Sie sehen auch hier wieder: Einfache, immer und überall gültige Modelle und Schubladen a la ; Wer verhält sich wie?" gibt es nur ansatzweise. Daher noch einmal der Appell an Sie: Informieren Sie sich über den für Sie relevanten Kulturkreis, stellen Sie sich auf Kulturunterschiede ein, aber wundern Sie sich nicht, wenn manches in der Begegnung gar nicht oder anders auftaucht, als Sie es erwartet haben. Der Königsweg zur Klärung von Ungereimtheiten oder Missverständnissen ist und bleibt genaue Beobachtung und Kommunikation: geduldig zuhören, nachfragen, eigenes Handeln erläutern. Allerdings gelten auch hier wieder Einschränkungen, denn nicht in jeder Kultur ist die westliche Metakommunikation üblich und nicht in jeder Situation führen Gespräche tatsächlich zur Klärung; hier sind viel Fingerspitzengefühl und Erfah ru n g gefragt. Dennoch gilt grundsätzlich: Nur wer im Gespräch bzw. in Kontakt bleibt, kommt sich näher und kann (vielleicht) Gedanken und Verhalten des anderen nachvollziehen. Ein solchermaßen geschärftes Bewusstsein nützt Ihnen auch im Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern des eigenen Kulturkreises. Schließlich ist mangelnde oder unprofessionelle Kommunikation eine der Hauptursachen für Unzufriedenheit am Arbeitsplatz!
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
54
Zurück zum Fallbeispiel und zur deutschen Sachorientierung. Um Missverständnissen vorzubeugen: nichts gegen Sachlichkeit, Ernsthaftigkeit und Stringenz! In vielen Fällen kann das alles sehr nützlich sein und oft wird es von Deutschen im Ausland auch erwartet. Es geht auch nicht um "richtig" oder "falsch", sondern um die Passung. Und wie wir gesehen haben, "passt" eben der Fokus auf die Sache nicht unbedingt gut zum Fokus auf den Menschen. Abbildu ng 1.6
Passung?
Sachinha lte
Sich selbst gut zu kennen, ist im Leben immer von Vorteil. Sich auch seiner kulturellen Prägung bewusst zu sein und zu erkennen, wann man damit Partner aus anderen Kulturen womöglich vor den Kopf stößt, ist beim Arbeiten im internationalen Kontext unverziehtbar. Den meisten Deutschen ist gar nicht bewusst, dass sie in vielen Ländern als "kalt und unnahbar" gelten, dass dieses Image negative Auswirkungen auf Ceschäftsbeziehungen haben kann und dass sie darauf durchaus Einfluss nehmen können. Wenn Sie sich immer wieder bewusst machen, dass der "menschliche Faktor" in den meisten Ländern der Welt ein viel größeres Gewicht hat als hierzulande, wissen Sie schon mehr als die meisten. Und wenn Sie Ihre Sachorientierung mit der Beziehungsorientierung anderer verbinden können, ist ein großer Schritt hin zu mehr internationaler Kompetenz gemacht.
Einordnung von KuLturkreisen
Abbildung 1.7
55
Passung!
s achinhalte Be
1.7
Einordnung von Kulturkreisen
Personenorientierung und Sachorientierung sind zwei zentrale Kulturstandards, die TImen auch in diesem Buch immer wieder begegnen werden. Ob Angehörige einer Kultur eher den Menschen (im Beruf: das Miteinander) oder die Sache (im Beruf: die Aufgabe) in den Vordergrund stellen, ist eine "Wichtige Grundlage für das Verständnis von Kulturunterschieden und hat im Arbeitsleben konkrete Auswirkungen auf Führung und Zusammenarbeit. Deutschland gehört zu einer Minderheit eher sechorientierter Länder; ahnlieh sind "Wir in dieser Hinsicht den USA und Skandinavien, wobei allerdings selbst in diesen Ländern den zwischenmenschlichen Beziehungen in manchen Situationen stärker Rechnung getragen "Wird als hierzulande. Neben den meisten Angehörigen aus beziehungsorientierten Kulturen sind übrigens auch Briten und Us-Amerikaner gute Smalltalker. Zwar dauert Smalltalk bei Meetings in den USA auch nicht besonders lange, dafür aber kommen US-Amerikaner mit Fremden wesentlich leichter und schneller ins Gespräch als wir und können das Gespräch lange aufrechterhalten. Außerdem sind sie trotz ihrer stark sachlichen Prägung wesentlich sensibler und personenorientierter. wenn es um Konflikte und Kritik geht. Auch hier sehen Sie "Wieder, wie schwierig eine Einordnung in Schubladen ist. Dass auch geografische Nähe kein Garant für kulturelle Ähnlichkeit ist, zeigen Nachbarländer wie Österreich oder die Niederlande. Dort spielen Aufbau und Pflege einer guten Beziehung eine viel größere Rolle als hierzulande. In den Niederlanden würde zurn Beispiel die Verweigerung, im Kollegenkreis an Privatgesprächen teilz'unehmen, als sehr unhöflich angesehen. Auch über persönliche Probleme zu sprechen, gilt nicht (wie oft hierzulande) als Schwäche, sondern betont den Beziehungsaspekt. Dazu ein Zitat aus dem Buch "Beruflich in den Niederlanden", das die unterschiedliche niederländische und deutsche Einstellung gut auf den Punkt bringt: "Prinzipiell gilt in den Niederlanden, dass die Arbeit
56
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
nicht wichtiger sein darf als der zwischenmenschliche Kontakt und dass das nette Miteinander nicht unter dem Arbeitsdruck leiden sollte. In Deutschland würde die Sachorientierung es eher rechtfertigen/ unter Zeitdruck die Arbeit zügig zu heenden. auch wenn die Beziehungsebene womöglich darunter leidet. Anerkennende Aussagen wie die; dass jemand zwar aus menschlicher Sicht ein .ldict/ sei, aber sehr gute Arbeit leiste und man deshalb auf ihn in der Belegschaft nicht verzichten wolle; hört man von Niederländern äußerst selten. In Deutschland wird da häufiger getrennt." (Schlizio, Schünngs. Themas, 2009, S. 105).
Halten wir also fest, dass wir mit den meisten ausländischen Geschäftspartnern in diesem Punkt keine Gemeinsamkeit haben und uns auf ein völlig anderes Verhalten einstellen müssen. Was bedeuten diese Unterschiede nun konkret? Kommen wir zurück zum Fallbeispiel: Herr Grünwald und Herr Ganesh sind also Vertreter zweier Kulturen, in denen die Dauer und damit die Bedeutung der Kennenlernphase stark voneinander abweichen. Während Smalltalk in Deutschland höchstens fünf Minuten dauert (wenn überhaupt welcher stattfindet'). nimmt man sich in Indien wesentlich länger Zeit dafür. Wie lange dieser informelle Teil in den verschiedenen Kulturen dauert, hängt auch mit der Einstellung zu Zeit zusammen. In Deutschland (und mehr noch in den USA) hat der effiziente Umgang mit Zeit einen hohen Stellenwert und Smalltalk wird in diesem Sinne als Zeitverlust gesehen.
1.8
Persönliches preisgeben oder zum Geschäftlichen übergehen?
Unser Fallbeispiel greift ein für Deutsche irritierendes Phänomen auf, nämlich die Frage nach privaten Dingen wie zum Beispiel der Familie. Für Deutsche gehören solche Fragen kaum in ein erstes Gespräch mit zukünftigen Geschäftspartnern. In beziehungsorientierten Kulturen wie Indien baut man aber auch über Persönliches Vertrauen auf. Auch ist es in hierarchischen und kollektivistisch geprägten Kulturen wichtig, den Geschäftspartner nach Stellung und Status einschätzen zu können; neben Alter, Funktion und Hierarchieebene liefern auch die (Stellung der) Familie, Anzahl der Kinder usw. Informationen. So gilt es in vielen kollektivistisch geprägten Kulturen als Zeichen mangelnden verantwortungsbewusstseins, wenn man nicht verheiratet ist. Auch verheiratet zu sein, aber keine Kinder zu haben oder gar bewusst keine in die Welt setzen zu wollen, ist höchst suspekt. Kinder zu haben, ohne verheiratet zu sein, ist ebenso ungünstig und Sie benötigen etwas Fantasie, um diese Klippen zu umschiffen. In unserem Kommunikationsquadrat könnte sich dieser Teil des Gesprächs zwischen dem Inder und dem Deutschen so darstellen:
Persönliches preisgeben oder zum Geschäftlichen übergehen?
Abbildung 1.8
57
Kommunikationsquadrat "Haben Sie Familie?"
Sachaussage Erfragen einer Info: Familienstand, Kinder?
Appell
Selbstoffenbarung Ich möchte Sie auch als Mensch einschätzen können.
Geben Sie mir eine Vertrauensgrundlage und zeigen Sie sich persönlich!
Beziehu ngsbotschaft Wir wissen Persönliches voneinander und bauen dadurch Vertrauen auf.
Herr Ganesh stellt eine Frage, die Herr Grünwald anscheinend ausschließlich mit dem Sach-Ohr hört, während Herr Ganesh auf einer oder mehreren der anderen Ebenen sendet und annimmt, dass die Botschaft auch im "passenden Ohr" ankommt. Aus deutscher Warte muss Peter Grünwald die Frage als Eingriff in seine Privatsphäre werten, womöglich als übertriebene Neugier. Aufgrund der aktuellen Trennungsphase reagiert er noch abweisender als vielleicht zu anderen Zeiten. Herr Ganesh almt von dieser Fehlinterpretation natürlich nichts und dementsprechend sclmell trübt sich die Atmosphäre. Es kommt also gleich zu Beginn des Kontakts zu einer Störung auf der Beziehungsebene und die ist oft kaum noch zu beheben, denn auch hier gilt wie bei uns, aber eben noch viel unerbittlicher: Der erste Eindruck bleibt! Dass Herr Ganesh eine solche Störung erlebt, spürt Herr Grünwald zwar, aber er ist nicht in der Lage gegenzusteuern - wohl deshalb, weil er auf eine solche Situation überhaupt nicht vorbereitet ist. Als Rettungsanker ergreift er das, was ihm wahrscheinlich am vertrautesten ist: die Überleitung zum Fachgespräch. Aber vermutlich geschah das viel zu abrupt und irritierte Herrn Ganesh noch mehr als Herrn Griinwalds Ignorieren der für ihn so wichtigen Frage nach der Familie. Was hätte Peter Griinwald also tun können, um diese Irritation zu vermeiden oder schnellstmöglich aufzulösen?
I
Reflexion
Was würden Sie selbst in einer solchen Situation tun? Auf die persönlichen Fragen eingehen und Rede und Antwort stehen? Oder wie Herr Grünwald zum Geschäftlichen übergehen?
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
58
I~"""" '"'""'""""'~'"~, dan
. .leitung "",,'""
•••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Es gibt sicherlich kein Patentrezept, wie es eben nie hundertprozentig funktionierende Rezepte für Situationen gibt, in denen es "menschelt". Im obigen Fall werden Sie selber entscheiden müssen, wie weit Sie gehen und - wenn Sie sich der Beweggründe von Herrn Ganesh bewusst wären - vielleicht die Fragen sogar bereitwillig beantworten. Wenn Sie aber dennoch keine Auskunft über Ihre Familie geben möchten, können Sie durchaus auch ausweichen, ohne jedoch unhöflich zu werden. Was wir nämlich von Beziehungskulturen lernen können, ist die Kunst, sich elegant und diplomatisch mit unverfänglichen Antworten und/oder Themenwechsel aus der Affäre zu ziehen und dabei immer freundlich zu bleiben, also die Beziehungsebene nicht zu beschädigen. Auf Englisch klingt es so:
D Business English WeH, ...
Wenn Sie Ihre Antwort so einleiten und dann eine kurze Pause machen, setzen Sie schon ein Signal. Es kann Unentschlossenheit, Unbehagen oder gar versteckten Widerspruch ausdrücken. Deutlicher, aber mit älmlicher Funktion: Maybe ... I'm not sure, but ... I'm afraid
.
"I'm afraid " (wörtlich: Ich fürchte) klingt für deutsche Ohren leicht übertrieben. In Wirklichkeit ist es aber ein sehr geläufiger Ausdruck, der höfliches Bedauern signalisiert und etwa unserem .Jctdcr" entspricht. Andere nützliche Wörter, die Aussagen abschwächen: sort of/kind of:
WeIl, it's sort of difficult. (irgendwie)
rather:
It' s a rather long story. (ziemlich)
a bit of/a little:
I think I had a bit of trouble understanding ... (etwas)
issue
statt" problem" (= ein sehr ernstes Problem)
Und statt "müssen" und "sollen" direkt zu übersetzen, lieber die höflicheren Wendungen wählen: I may/might/could/should ... Uns fällt diese Art zu sprechen oft schwer, weil wir direkte statt indirekte Kommunikation bevorzugen und uns manchmal auch Werte wie Wahrheit und Ehrlichkeit daran hindern, etwas "durch die Blume" zu sagen. Auch lernt man hierzulande, sich präzise auszudrü-
In die Beziehung investieren!
59
cken und Begriffe wie "irgendwie" oder "ziemlich" zu vermeiden. Verstehen Sie die Empfehlung, in manchen Situationen "weicher" zu kommunizieren und diplomatischer vorzugehen, als einen wichtigen Schritt hin zu mehr internationaler Kompetenz. Aber niemand verlangt von Ihnen, sich um 180 Grad zu drehen und sich beim nächsten Businessmeeting wie ein Brite zu benehmen, indem Sie auswendig gelernte Höflichkeitsfloskeln abspulen oder Ihre Aussagen so verklausulieren, dass Sie niemand mehr versteht. Falls Sie aber generell einen sehr sachlichen und direkten, möglicherweise sogar konfrontativen Kommunikationsstil pflegen und damit vielleicht auch schon so manches Mal angeeckt sind, können sich selbst kleine Veränderungen in Richtung Indirektheit lohnen. Im Zusammenhang mit direktem und indirektem Kommunikationsstil wollen wir noch kurz auf Herrn Grünwaids Überleitung zum Geschäftlichen eingehen. Das kann ein heikler Moment bei Gesprächen mit Menschen aus beziehungsorientierten Kulturen sein. Wie schon eingangs erwälmt, sind Deutsche dafür bekannt, sehr schnell zum Geschäftlichen überzugehen. Das allein ist aber noch nicht alles, womit wir woanders manchmal Stirnrunzeln hervorrufen. Es geht auch um die Art und Weise einer solchen Überleitung. Selbst wenn wir uns zwanzig Minuten Zeit für Smalltalk nehmen, klingt ein abruptes "Lassen Sie uns jetzt zur Tagesordnung kommen" in den Ohren von Mitgliedern der Beziehungskulturen sehr harsch, während es von uns nur ganz sachlich und neutral gemeint ist. Geschickter wäre zum Beispiel eine im Laufe des Smalltalks (spät!) gestellte Frage nach der Arbeit, nach laufenden Projekten, aktuellen Entwicklungen etc., an die man dann ganz natürlich anknüpfen und das Gespräch auf den eigentlichen Anlass des Meetings lenken könnte. Auf Englisch könnte sich das folgendermaßen anhören:
D Business English Speaking about business, maybe we should start with ... WeIl, I'm afraid we'll have to get down to business ... By theway, ... Hier gilt wieder die Daumenregel: Je ausgeprägter die Personenorientierung Ihres Gesprächspartners ist, desto mehr Einfühlungsvermögen brauchen Sie, um mit Ihrer Sachorientierung anschlussfähig zu sein.
1.9
In die Beziehung investieren!
Wie auch immer Sie auf Herrn Ganeshs Frage reagieren - ob offen und ehrlich, mit einer allgemein gehaltenen Antwort oder einer Notlüge - keinesfalls dürfen Sie einfach darüber hinweggehen oder die Frage gar verbal als zu persönlich zurückweisen. Damit brüskieren Sie Ihren Gesprächspartner und die Beziehungsebene ist nachhaltig gestört. In unserem Beispiel entsteht zwar auch eine Störung, aber der Kontakt wird zunächst fortgesetzt und kommt möglicherweise noch zu einem guten Ende.
60
Geschäftsanbahnung, persönliche Begegnung
Es kann aber auch anders enden, nämlich mit dem Abbruch des Kontakts, wenn in manchen Kulturen zusätzlich noch besonders wichtige Werte wie Gastfreundschaft und Ehrgefühl verletzt werden. Das zeigt ein Beispiel aus dem Buch "Beruflich in der Türkei" (Appl, Koytek, Schmid, S. 62 f.), einem von mehreren Titeln der praktischen Reihe "Handlungskompetenz im Ausland". In diesem Fall reist ein Deutscher (Herr Faber) zu seinem neuen türkischen Geschäftspartner, um einen Vertrag auszuarbeiten. Bei diesem ersten Zusammentreffen geht Herr Faber zwar kurz auf die Fragen nach seinem Befinden ein, lehnt aber den angebotenen Tee ab und steigt direkt ins Thema ein. Die anfängliche Herzlichkeit des Türken schlägt bald um in Einsilbigkeit und nach einer Weile entschuldigt er sich mit dem Hinweis auf einen anderen wichtigen Termin. Am folgenden Tag erscheint sein Vertreter als Verhandlungspartner; es kommt kein Vertrag zustande. Dazu ein Auszug aus den Erläuterungen der Autoren: "Einem Gast wird in der Türkei viel Ehre und Höflichkeit entgegengebracht damit er sich willkommen fühlt. [... ] Diese Ehrerbietung drückt sich in der Situation dadurch aUS dass Herr Faber Tee angeboten bekommt und man ihm einige persönliche Fragen stellt. Das Prinzip der Gastfreundschaft gebietet es jedoch auch, diese zu enoidem. Unterbleibt die Enoiderung. stellt dies eine große Beleidigung und damit eine Verletzung der Ehre des türkischen Geschäftspartners dar. Um sein Gesicht nicht vollständig zu uerlieren. zieht er deswegen seine Konsequenzen und schickt zum nächsten Treffen einen Vertreter." (ebd. S. 65). l
1
Zum Abschluss sei noch einmal festgehalten, dass die Bedeutung persönlicher Beziehungen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Investition von Zeit und Energie lohnt sich! Haben Sie erst einmal den Status eines guten Bekannten oder sogar '/Freundes" erlangt, wird man alles tun, um Sie zufriedenzustellen und ehrlich mit Urnen umzugehen.
Reflexion An dieser Stelle haben Sie noch einmal Gelegenheit, sich und illre kulturelle Prägung
etwas zu erforschen. Nehmen Sie sich einige Minuten Zeit für diesen kleinen Selbstcheck und bestimmen Sie Ihre Position auf den Skalen. Am besten funktioniert es, wenn Sie sich ganz spontan entscheiden, statt jede Situation lange abzuwägen und mit 'I wenn und Aber" zu analysieren. Es geht ja nicht darum, was gut oder schlecht bzw. richtig oder falsch ist. Ziel ist vielmehr, sich die eigenen kulturellen Prägungen, individuellen Einstellungen und Präferenzen bewusst zu machen, um flexibler auf andere reagieren zu können. In dem Modell von Kokosnuss/Pfirsich sehe ich mich eher als Kokosnuss Im Berufsleben tendiere ich eher zu Sachorientierung Persönliches gebe ich im beruflichen Kontext (ungern/gern) preis ungern
Pfirsich
Beziehungsorientierung
gern
Bei der Geschäftsanbahnung steht für mich eher im Vordergrund, dass Fachliches geklärt wird die '/Chemie" stimmt
Zusammenfassende Empfehlungen für erste persönliche Begegnungen
61
Smalltalk bei Geschäftsterminen dauert für mich idealerweise 5 Minuten Smalltalk in beruflichen Zusammenhängen ist Zeitverschwendung
20 Minuten gut investierte Zeit
Folgendes möchte ich in der nächsten Smalltalk-Situation ausprobieren:
1.10
Zusammenfassende Empfehlungen für erste persönliche Begegnungen
•
Passen Sie sich unbedingt den Gepflogenheiten an und gehen Sie auf Smalltalk ein, vor allem am Anfang einer GeschäftsanbaImung. Beherzigen Sie die Smalltalk-Regeln und achten Sie auf Tabuthemen.
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Gewöhnen Sie sich für Situationen interkultureller Kommunikation generell einen etwas indirekteren, persönlicheren Stil an; in den meisten Kulturen liegen Sie damit richtig.
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Wenn Sie selber dazu neigen, allzu schnell "zur Sache" zu kommen, lassen Sie eventuell Meetings oder Verhandlungen von einem ausländischen Partner moderieren. Erkundigen Sie sich aber vorher, in welcher Kultur das Vorteile und wo es Nachteile bringt (z. B. Gesichtsverlust). Setzen Sie gegebenenfalls zusätzlich einen deutschen Repräsentanten nur für Kontaktpflege ein.
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Kontaktpflege bedarf auch häufiger persönlicher Treffen. Gerade am Anfang einer Gesehäftsbeziehung reicht es für personenorientierte Kulturen nicht aus, sich zum Auftakt ein- bis zweimal zu sehen und danach telefonisch oder schriftlich zu kommunizieren. Es ist ein verbreiteter Fehler, in wirtschaftlichen Krisenzeiten und/oder bei Personalknappheit ausgerechnet die Anzahl persönlicher Meetings zu reduzieren. Dazu ein Zitat aus dem Buch"Wirtschaftsboom am Zuckerhut" von Naumann, einem deutschen Unternehmensberater in Brasilien: "Wer in Brasilien Erfolg haben will; muss sich dort selbst umsehen und persönliche Beziehungen aufbauen. Das kann nicht oft genug wiederholt werden. Diesen Satz möchte ich in die Köpfe aller meiner deutschen Kunden hineinhiitnmern, die mich in Deutschland bitten; ihr BrasilienGeschäft aufzubauen. [ ...] ,Machen Sie erst mal Umsatz; dann kommen wir auch zu Ihnen und sehen uns mal Ihren (f) Kunden an: Das ist mit Sicherheit derfalsche Ansatz; umgekehrt wird ein Schuh draus!" (Naumann, S. 224). Diese Aussage kann analog für die meisten Kulturen der Welt gelten.
2
An Meetings teilnehmen
2.1
Fallbeispiel und Reflexion
Eva Wagner fliegt zu einem Meeting nach Säo Paulo, Brasilien. Die Einladung zum mehrfach verschobenen Termin erfolgte sehr kurzfristig, daher muss Frau Wagner für einen Kollegen einspringen. Trotz der Hektik und minimalen Vorbereitungszeit gelingt es ihr aber sogar, noch einen weiteren Termin mit einem potenziellen Kunden auszumachen, den sie im Anschluss an das Meeting wahrnehmen will. Wegen Verspätung des Fluges und Verkehrsstau erreicht sie ziemlich abgehetzt mit fünf Minuten Verspätung den Meetingraum und staunt nicht schlecht, als sie dort niemanden antrifft. Noch bevor sie sich erkundigen kann, ob womöglich das Treffen verschoben wurde oder in einem anderen Raum stattfindet, kommen zwei weitere Teilnehmer herein. Man begrüßt sie sehr herzlich, bietet Kaffee an, erkundigt sich nach ihrer Reise, und es entspinnt sich eine nette Unterhaltung. Eva Wagner findet die brasilianischen Kollegen sehr nett, fühlt sich aber zunehmend unwohl, weil sie den Eindruck hat, dass sie ihr körperlich etwas zu nahe kommen. So weicht sie mehrmals unwillkürlich einen Schritt zurück, stellt aber fest, dass die Brasilianer immer wieder nachrücken. Sie fragt sich langsam, ob das möglicherweise Annäherungsversuche sind und Begriffe wie Latin Lover, Macho-Gehabe etc. schießen ihr durch den Kopf. Als allerdings eine Brasilianerin dazukommt, sich ebenso nah wie die Männer zu ihr stellt und sie während der Unterhaltung immer wieder kurz am Arm berührt, verwirft sie ihre Befürchtungen und schreibt das für sie etwas befremdliche Verhalten den landesüblichen Sitten zu. Nach und nach trudeln fast alle ein und mit 20 Minuten Verspätung wird die Zusammenkunft schließlich eröffnet. Frau Wagner hat zwar die Wartezeit mit netten Gesprächen überbrückt, findet aber den verspäteten Beginn trotzdem ärgerlich. Schließlich hat sie sich extra beeilt, um pünktlich zu sein, und nun verliert sie viel Zeit mit unwichtigem Geplauder. Auch hat sie die Befürchtung, dass das Meeting nun nicht pünktlich endet. Darauf hat sie sich aber verlassen, denn sie muss direkt im Anschluss noch einen weiteren Termin wahrnehmen. Während der ersten Viertelstunde fühlt sie sich gestört, weil noch immer verspätete Teilnehmer hereinkommen, die sogar noch mit ihren Nachbarn flüstern oder hörbar mit ihrem Handy hantieren. Außerdem beobachtet sie, wie mehrere ihrer brasilianischen Kollegen nebenher noch andere Arbeiten erledigen; jedenfalls deutet ständiges Tippen auf dem Handy darauf hin. Niemand außer ihr scheint jedoch davon Notiz zu nehmen. Im Laufe des Meetings wird sie immer unruhiger. Zwar liegt eine Tagesordnung vor, aber die scheint unvollständig zu sein, denn es werden jetzt noch offenbar wichtige Punkte ergänzt. Außerdem ist es hier anscheinend nicht üblich, die Themen auch stringent in der Reihenfolge der Vorlage abzuarbeiten. Stattdessen springt man hin und her und unterbricht die Kollegen, wenn einem gerade etwas zu einem Stichwort einfällt. Auch fällt ihr
Meetings zur Beziehungspflege
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auf, dass manche Teilnehmer anscheinend gar nicht im Bilde sind und/oder keinen Sachverstand für manche Themen mitbringen; überhaupt scheint ihr der Teilnehmerkreis viel zu groß. Zu ihrer Verwunderung stört es anscheinend niemanden, dass man selten ausreden kann und bald kein roter Faden mehr sichtbar ist. Sie ist frustriert, als sie selber bei einer längeren Ausführung unterbrochen wird. Leicht genervt bittet sie darum, einmal ausreden zu dürfen. Sofort wird ihr das Wort überlassen, aber man scheint den Vorgang allseits mit irritierten Blicken zu quittieren. Daraufhin bringt sie sich immer weniger ein und versucht auch kaum noch, die Übersicht zu behalten. Mit zunehmendem Erstaunen registriert sie, wie leicht sich einige der brasilianischen Kollegen von den Vorschlägen ihres Chefs begeistern lassen, obwohl diese in ihren, Frau Wagners, Ohren nicht immer realistisch klingen. Andererseits gefallen ihr die große Kreativität und offensichtliche Diskussionsfreude, mit der alle bei der Sache sind. Eigenartig nur, dass wirklich gute Ideen und Vorschläge nicht zu Taten führen, d. h. nicht sofort in einer To-do-Liste festgehalten werden. Stattdessen scheint es nach dem Motto zuzugehen "Einfach ein bisschen träumen" und "Schön, dass wir darüber gesprochen haben". Als die Zeit voranschreitet, kein Ende der Diskussionen in Sicht ist, ja nicht einmal die ihrer Meinung nach wichtigsten Themen und vor allem die kritischen Punkte angesprochen wurden, entschließt sich Frau Wagner zum vorzeitigen Verlassen des Meetings, um ihren nächsten Termin wahrnehmen zu können. Sie vertraut auf das Protokoll, dem sie die wesentlichen Beiträge und Entscheidungen entnehmen zu können hofft. Eine Woche später: Da Frau Wagner bisher kein Protokoll erhalten hat, fragt sie in Brasilien nach. Sie wird auf die nächste Woche vertröstet, in der aber auch nichts ankommt. Erst drei Wochen nach dem Meeting erhält sie etwas Schriftliches, nämlich eine grobe Zusammenfassung der Besprechung auf einer Seite. Sie erzählt ihrem Kollegen, den sie vertreten hat, von dem unbefriedigenden Verlauf und rät ihm, das nächste Meeting der Gruppe in Deutschland besonders gut vorzubereiten und straff zu leiten.
Reflexion Was fällt Ihnen bei diesem Beispiel auf? Was kommt Ihnen bekannt vor?
Welche Kulturunterschiede werden hier sichtbar und was könnten die Hintergründe sein?
An Meetings teilnehmen
64
2.2
Meetings zur Beziehungspflege
Der bedeutsame Kulturunterschied Beziehungs-jSachorientierung wird hier wieder relevant. Was Frau Wagner als "unwichtiges Geplauder" vor dem offiziellen Beginn des Meetings bezeichnet, ist für viele andere (Kulturen) unverzichtbar und ein wichtiger Teil der Arbeit: Diese Zeit fungiert als Aufwärmphase. dient der Beziehungspflege und Festigung der informellen Netzwerke. Nicht selten werden in dieser Zeit wichtigere Informationen ausgetauscht als während des offiziellen Teils. Das erklärt auch den großen Teilnehmerkreis: Weil mündliche Kommunikation sowie das Streben nach Zugehörigkeit eine viel größere Bedeutung haben als hier, wird lieber ein Teilnehmer zu viel eingeladen als einer zu wenig, selbst wenn er nicht in alle Themen der Agenda involviert ist. Eva Wagner verkennt die zwischenmenschliche Funktion des Meetings und erwartet stattdessen eine zielführendere Diskussion mit konkreten Ergebnissen, wie sie es von Deutschland gewohnt ist. Diese Meetingkultur, die zum Beispiel auch in den USA vorherrscht, nennt man deshalb auch abschlussorientiert. Offenere Meetingkulturen wie zum Beispiel in Brasilien, die auf Mitarbeiterbeteiligung fokussieren, wirken auf deutsche Teilnehmer oft chaotisch und werden fälschlicherweise mit mangelhafter Vorbereitung in Zusammenhang gebracht.
2.3
Umgang mit Zeit
Das Thema Zeit ist eng mit dem obigen Kulturunterschied verbunden und in der internationalen Zusammenarbeit von ganz besonderer Bedeutung. Deshalb betrachten wir es in aller Ausführlichkeit. Gerade hier kommt es nämlich häufig zu Missverständnissen und Irritationen, weil es eklatante Unterschiede im Umgang mit Zeit gibt, die Sie sicher auch aus eigenem Erleben kennen. Selbst im eigenen Freundes- und Kollegenkreis gibt es Menschen, die sehr unterschiedlich mit ihrer Zeit umgehen: solche, die immer auf die Minute pünktlich sind, und andere, die notorisch zu spät kommen; manche, die auch privat ihre Zeit restlos verplanen, und andere, die ihre Zeit spontan ausfüllen; manche, die sich in erster Linie an der Zukunft orientieren, andere, die eher gegenwartsbezogen leben, und wieder andere, die oft in die Vergangenheit zurückschauen. Diese unterschiedliche Orientierung in der Zeit finden wir nicht nur bei Individuen, sondern in ganzen Kulturkreisen. Und das hat enorme Auswirkungen auf die Kommunikation, auch in der Fremdsprache. Denn Zeitbegriffe wie "sofort, gleich, spät(er)" usw. sind stark kulturell geprägt. Denken Sie nur an das berühmte "mafiana", das kaum jemals dem "morgen" nach hiesiger Zeitrechnung entspricht.
Uhr-Zeit oder Ereignis-Zeit? Zur Erklärung dienen verschiedene Modelle. So gibt es zum Beispiel das lineare Zeitverständnis, das auf der Vorstellung von Zeit als einer begrenzten Ressource beruht. Zeit ist denmach messbar und planbar; man kann Zeit sparen, vergeuden oder verlieren. Das "Diktat der Uhr" bestimmt hier das Leben und Pünktlichkeit ist ein hoher Wert. Das lineare Zeiterleben ist besonders ausgeprägt in den USA ("Time is money") und Deutschland,
Umgang mit Zeit
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aber auch in der Schweiz und Österreich, im nord europäischen und anglo-amerikanischen Kulturkreis.
Dem steht das zyklische Zeitverständnis vieler anderer Kulturen, v. a. im asiatischen Raum, gegenüber, die Zeit eher als unendliche Ressource betrachten. Zeit kehrt nach dieser Vorstellung immer wieder zurück, nämlich zyklisch wie die Jahreszeiten. Zeit ist delmbar und flexibel nutzbar; deshalb sind Planung und Eile sinnlos. Außerdem existiert eine Auffassung von Zeit, die durch Situationen und Personen relativiert wird: Zeit ist subjektiv und kann ohne Rücksicht auf Anzeigen auf Uhren je nach den Umständen beeinflusst werden. Auch Pünktlichkeit ist ein relativer Begriff und von geringerer Bedeutung als hierzulande. Bedürfnisse von Menschen rangieren vor Zeitplänen. Hier findet sich der südamerikanische Kulturkreis ebenso wie in Ansätzen auch der süd- und osteuropäische. Diese unterschiedlichen Konzepte bezeichnet man auch als "Uhr-Zeit", "Natur-Zeit" und "Ereignis-Zeit" . Das unterschiedliche Zeiterleben wird durch Religion, Klima und andere Faktoren bestimmt und schlägt sich nieder in der generellen Sicht der Welt, in der Einstellung zu Leben und Arbeiten und sichtbar auch im Lebenstempo. So hat z. B. der Wissenschaftler R. Levine eine sogenannte "Landkarte der Zeit" erstellt und darauf Länder nach ihrer Geschwindigkeit verortet, nämlich u. a. danach, wie sclmell sich ihre Bewohner bewegen und wie lange die Bedienung in einem Geschäft dauert. Danach gilt z. B. Deutschland als eines der sclmellsten Länder, während Brasilien zu den langsamsten gehört (Levine, S. 180). Levine hatte als amerikanischer Gastprofessor in Brasilien genug Gelegenheit, seine Forschungen auch um persönliche Erfahrungen zu ergänzen, wie folgender Auszug belegt: "Als ich an dem Tag; als ich zum ersten Mal unterrichten sollte; aus dem Haus ging; fragte ich jemanden nach der Uhrzeit. Es war 9.05 Uhr; so dass ich reichlich Zeit hatte; rechtzeitig zu meinem Seminar um 10 Uhr anzukommen. Nach schätzungsweise einer halben Stunde schaute ich auf eine Uhr; an der ich gerade vorbeikam. Sie zeigte 10.20 Uhr an. Von Panik ergriffen; setzte ich mich in Trab und stürzte in Richtung Seminarraum. wobei mir freundliche Zurufe wie ,AlB; Professor' [...] von gemächlich gehenden Studenten nachklangen; die sich später überwiegend als meine eigenen entpuppten. Atemlos kam ich an und fand einen leeren Raum vor. Verstört rannte ich wieder hinaus und fragte einen Vorübergehenden nach der Zeit. ,9.45'; lautete die Antwort. Das konnte nicht sein. Ich fragte jemand anderen. ,9.55'. [ .. .] Mein Seminar sollte von 10 Uhr bis 12 Uhr dauern. Viele Studenten kamen zu spät. Einige kamen erst nach 10.30 Uhr. [...] Alle Nachzügler hatten ein entspanntes Lächeln auf den Lippen [...] und obwohl sich einige knapp entschuldigten; schien keiner ein übermäßig schlechtes Gewissen zu haben; weil er zu spät kam. Sie gingen davon aus; dass Ich Verständnis dafür hätte." (Levine, S. 17 f.). Kein Wunder also, dass es auch in unserem Fallbeispiel beim Zusammentreffen der Deutschen mit den Brasilianern zu Irritationen beim Umgang mit der Zeit vor und während des Meetings kommt!
66
An Meetings teilnehmen
Aufgaben nacheinander oder gleichzeitig? Wie in Abbildung 2.1 deutlich wird, haben diese unterschiedlichen Zeitauffassungen im Arbeitsalltag Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir Ereignisse zeitlich betrachten und wie wir Aufgaben erledigen. Für Angehörige von Kulturen mit linearer Zeitauffassung reiht sich ein Ereignis an das andere - genauso wie Aufgaben, die nacheinander abgearbeitet werden. Erst wird eine Sache möglichst zu Ende gebracht, bevor man die nächste in Angriff nimmt. Man spricht hier auch von sogenannten monochronen Kulturen (Hall), deren typischster Vertreter Deutschland ist. Ähnlich wie Frau Wagner aus unserem Fallbeispiel sind die meisten Deutschen irritiert, wenn zum Beispiel in Meetings nicht erst ein Thema vollständig abgeschlossen wird, bevor das nächste zur Sprache kommt. Das hängt auch eng mit dem Bedürfnis nach Planung und Strukturierung zusammen, ein in Deutschland ganz bedeutender Kulturstandard. Dem stehen nach Hall die sogenannten polychronen Kulturen gegenüber, in denen man mit mehreren Dingen gleichzeitig jongliert: An einem Arbeitstag zwischen mehreren Projekten hin- und herzuwechseln und Aufgaben flexibel nach Dringlichkeit oder Wichtigkeit ständig neu zu priorisieren, sind hier Alltag. Die Angehörigen dieser Kulturen sind oft Meister der Improvisation. Zu unserem Erstaunen kollidiert hier die deutsche Prägung bereits mit der etwas anderen Arbeitsweise unseres unmittelbaren Nachbars Frankreich. So geschehen in einer Teambesprechung, in der ein Deutscher seinen französischen Kollegen mit dem Hinweis auf die Tagesordnung und den Worten "Das ist jetzt noch nicht dran!" vor den Kopf stieß, als dieser spontan einen (durchaus auch in den gerade diskutierten Zusammenhang passenden!) Vorschlag einbringen wollte. Neben unserer Abneigung, mit mehreren Themen gleichzeitig zu jonglieren, wird hier auch die damit einhergehende Vorliebe für strukturiertes Vorgehen sichtbar. Auch bei uns folgen immer mehr Menschen der polychronen Arbeitsweise in Form von Multitasking - oft allerdings weniger aus innerer Überzeugung oder persönlicher Vorliebe als vielmehr aus (vermeintlich) zwingenden Gründen. Beide Arbeitsstile haben ihre Vorund Nachteile: Wo man seine Zeit vorwiegend an Situationen und Menschen anpasst, ist man sehr flexibel, aber nicht immer produktiv. Wo man Zeit plant und Aufgaben nach Zeitplänen abarbeitet, ist man meist produktiv, aber oft unflexibel und berücksichtigt die Bedürfnisse der Menschen zu wenig. Wenn Sie je nach Situation und Bedarf zwischen den beiden Welten" wechseln können, zeigen Sie nicht nur internationale Kompetenz, sondern haben auch für sich persönlich an Flexibilität gewonnen. !!
Umgang mit Zeit
Abbildung 2 .1
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Bearbeitung von Aufgaben
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""g,b•• ~
Aufgabe A
y'----'I Aufgabe C
@
Aufga be A
I Aufgabe C Aufgabe B
Zeitplanung Typisch für lineare bzw. monochrone Kulturen sind die Planung ihrer Zeit und die Einhaltung dieser Zeitpläne. Besonders "Wir Deutschen sind bekannt dafür, gerne langfristig und sehr detailliert zu planen und uns auch an die erstellten Pläne zu halten Damit einher geht die enorme Bedeutung von Pünktlichkeit, die in vielen anderen Kulturen einen weitaus geringeren Stellenwert besitzt. Planung hat durchaus große Vorteile, weil wir schon lange im Voraus wissen, was wir Walm zu tun haben und Walm "Wir bestimmte Arbeiten voraussichtlich erledigt haben. Darüber hinaus gelten "Wir im Ausland als äußerst tennintreu und verlässlich. Wir stoßen damit aber bei anderen Kulturen auc h oft auf Unverständnis, dann nämlich, wenn wir kurzfristige Terminanfragen oder spontane Einladungen wegen eines vollen Terminkalenders ablehnen müssen. Besonders befremdlich wirkt auf Ausländer auch unser Hang, selbst unsere Freizeit zu verplanen und mit Terminen zu steuern - seien es Verabredungen mit Freunden, Sport oder gar Hausarbeit. Eine derart umfassende Verplanung unserer Zeit und das ständige Bemühen um Erfüllung dieser Pläne lassen kaum Spielräume und bescheren uns oft das Gefühl, Sklaven unserer Terminkalender und chronisch gestresst zu sein. Das in Deutschland häufig zu hörende "Keine Zeit!", wenn wir gerade mit etwas oder jemand anderem beschäftigt sind und angesprochen werden, klingt in den Ohren vieler Ausländer unhöflich und schroff. Es ist aber in unseren Augen gar nicht so gemeint, im Gegenteil! Wir bemühen uns ja gerade in diesem Moment darum, einer anderen Sache oder einem anderen Menschen unsere volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. In unseren Augen ist das richtig und gerecht, weil diese Sache bzw. dieser Mensch ja schließlich zuerst eingeplant war. Eine neu hinzukommende Anforderung würde den Zeitplan durcheinander bringen. Und auf Störungen unserer Pläne reagieren wir im Allgemeinen irritiert. Das zeigt ein Beispiel aus dem empfehlenswerten Buch "Die Deutschen - Wir Deutsche" von Sehroll-Machl. Es geht
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An Meetings teilnehmen
darum, dass ein spanischer Manager versucht, anhand einer Namensliste mit mehreren deutschen Mitarbeitern Kontakt aufzunehmen und ihnen Fragen zu stellen: n["'] Er nimmt die Liste; sucht sich die erste Abteilung und marschiert unangemeldet zu einem
deutschen Kollegen. Dieser schaut den Spanier überrascht an; meint; er hätte jetzt leider keine Zeit für seine Fragen und lässt ihn mehr oder minder unbeachtet stehen; weil er wegen eines laufenden Projekts angesprochen wird. Mit dem nächsten ergeht es dem spanischen Manager ebenso; leider auch mit dem dritten. Er kehrt irritiert und enttäuscht in seine Abteilung zurück [ ...]. (SchrollMachl, S. 122). 1/
Vielleicht haben Sie gerade die Schultern gezuckt und gedacht: "Kein Wunder! Für so etwas macht man ja auch einen Termin aus!" Und Sie haben völlig recht: Hier bei uns ist das auch wirklich klar und kaum jemand würde anders handeln, aber in anderen Kulturen können Sie durchaus irgendwo .Jicrcmschnctcn" und niemand würde Sie abweisen. Denn wer seine Zeit weniger verplant, ist flexibler und kann auf aktuelle Anforderungen spontan reagieren. Und nicht nur das: Was bei uns eher als Störung oder unliebsame Unterbrechung gesehen wird, ist woanders durchaus normal. In polychronen Kulturen kommt es ständig vor, dass mit mehreren Dingen gleichzeitig jongliert wird. Es ist sogar ein Zeichen von Kompetenz und großer Flexibilität, ständig ansprechbar zu sein und die Anliegen verschiedener Menschen zumindest zur Kenntnis zu nehmen, wenn nicht gar sofort zu bedienen. So ist es keine Seltenheit, dass Sie im Büro Ihres Geschäftspartners mehrere Menschen antreffen, obwohl ein 4-Augen-Gespräch anberaumt war. Ihr Partner wird die anderen auch nicht unbedingt wegschicken, wie es in Deutschland üblich wäre, damit Sie beide ungestört sind. Wie gut Sie mit dieser Situation umgehen können und ob Sie sich trotzdem zu konzentrieren vermögen, ist eine Frage Ihrer internationalen Kompetenz, denn die schützt sie vor Fehlinterpretationen: Sobald Sie wissen, dass dieses Verhalten kulturell bedingt und weder mangelnde Wertschätzung noch böse Absicht ist, bewirkt das eine Änderung Ihrer Einstellung und erhöht vielleicht illre Toleranz. Wie würden Sie selber auf den spanischen Kollegen reagieren? Niemand verlangt von Urnen, dass Sie alles stehen und liegen lassen und sich sofort dem Anliegen des spanischen Kollegen widmen. Eine kompetente Reaktion wäre vielleicht, sich das Anliegen zunächst anzuhören und dann freundlich zu erläutern, warum Sie dafür jetzt keine Zeit haben und wann es besser passen würde. Damit gehen Sie bereits einen Schritt weiter als die meisten. Vielleicht erlaubt es Ihre Zeit sogar, seine wichtigste Frage kurz zu beantworten und für alles Weitere um eine Terminvereinbarung zu bitten. Hier hängt viel von Ihrer Intuition ab. Achten Sie bei dieser Interaktion, selbst wenn es nur ein kurzer Austausch ist, auch auf Ihre non-verbalen Signale: Gestik, Mimik, Tonfall usw. Gerade für Angehörige von Beziehungskulturen spielt das eine große Rolle, denn "der Ton macht die Musik". Auch in anderen Fällen können Sie Körpersprache einsetzen und den Eindruck des Abwimmelns oder Zurückweisens abschwächen. So kann es Urnen passieren, dass derselbe Spanier in Ihr Büro kommt, während Sie gerade telefonieren. Während sich ein deutscher Besucher vermutlich sofort zurückziehen würde und keinerlei Begrüßung erwartet, kann
Umgang mit Zeit
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es sein, dass der Spanier auf ein Aufmerksamkeitssignal wartet. Wenn Sie dann nach dem Prinzip der vollen Konzentration auf eine begonnene Sache handeln und nicht einmal aufblicken, frustrieren Sie den Besucher wahrscheinlich. Deshalb sollten Sie ihm wenigstens ein kurzes Signal senden, das ihm zeigt, dass Sie Notiz von ihm genommen haben. Über Ihr weiteres Vorgehen werden Sie dann situativ entscheiden müssen. Ob Sie ihm mit Gesten bedeuten, zu warten oder zu gehen, ob Sie Ihr Telefonat kurz unterbrechen oder nicht, all das hängt von den Umständen und Ihrem Stil ab. Aber allein ein Lächeln, Kopfnicken oder Winken erfüllt sein Bedürfnis, wahrgenommen zu werden, lässt Sie freundlicher wirken und verringert die Kluft zwischen Ihnen und jemandem aus einer beziehungsorientierten Kultur.
Pünktlichkeit und Termintreue In unserem Fallbeispiel ist Eva Wagner verärgert, weil das Meeting aus ihrer Sicht nicht pünktlich beginnt und voraussichtlich auch nicht zur vorgesehenen Zeit endet. Sie hat sich nach deutschen Maßstäben auf die Einhaltung der angegebenen Zeiten verlassen, dementsprechend ihre Zeit eingeteilt und die Stunden bereits verplant. Auf Pünktlichkeit bedacht hatte sie sich trotz der Flugverspätung große Mühe gegeben, nicht zu spät zu kommen, und stellt auch sicher, dass sie zu ihrem vereinbarten nächsten Termin ebenfalls pünktlich erscheint, indem sie das erste Meeting früher verlässt. Auch das in ihren Augen spät (und nur auf Anfrage) gelieferte Protokoll ist ein Indiz für die unterschiedlichen Auffassungen von Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Ernstere Auswirkungen als bei dieser vergleichsweise unspektakulären Begebenheit haben unterschiedliche Vorstellungen von Pünktlichkeit und Termintreue, wenn es um Abgabefristen und Liefertermine geht. Selbst wenn feste Termine (vertraglich) vereinbart sind, kommt es hier immer wieder zu Streitigkeiten in der Zusammenarbeit. Hier kann man nur raten, in möglichst engem Kontakt mit dem Vertragspartner zu bleiben, immer wieder nach dem aktuellen Stand zu fragen und an die Termine zu erinnern. In diesem Zusammenhang noch eine weitere Warnung: Oft hört man, dass in globalisierten Unternehmen im Allgemeinen nach westlich geprägtem Zeitverständnis gearbeitet wird. Auch Auslandsniederlassungen deutscher Unternehmen mit langjähriger Erfahrung arbeiten mittlerweile recht erfolgreich nach deutschen Standards in Sachen Pünktlichkeit, Termintreue, Verbindlichkeit von Zusagen etc. Dennoch ist damit das Problem kultureller Unterschiede nicht beseitigt, denn kein Unternehmen arbeitet im luftleeren Raum, sondern in engen Abhängigkeitsverhältnissen mit Zulieferern. Wenn also zum Beispiel ein deutscher Autobauer in Brasilien seine eigene Belegschaft so weit "eingedeutscht" hat, dass hier kaum noch Reibungspunkte vorkommen, hat das nicht unbedingt Auswirkungen auf Zulieferfirmen, die natürlich nach brasilianischen Standards arbeiten. Pünktlichkeit ist in Deutschland ein hoher Wert. Wer pünktlich ist, gilt als zuverlässig und professionell. Unpünktlichkeit bewerten wir nicht nur als unprofessionell, sondern oft auch als Desinteresse an einer Sache oder Person. Bei der Erläuterung eines älmlichen Fallbeispiels in "Beruflich in Frankreich" gehen die Autoren sogar noch weiter: "Außerdem betrachten Deutsche Zuspätkommen als persönliche Beleidigung und auch als eine Art Emiedri-
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An Meetings teilnehmen
gung; weil die Anwesenden sich Mühe gegeben haben; pün ktlich zu sein; und der Zuspätkommende signalisiert; dass ihm das Treffen diese Mühe nicht wer t war. Die entstehenden Irritationen und Verärgerungen kann der Z uspätkommende dadurch etwas auffangen; dass er eine der Dauer seines verspäteten Erscheinens adäquate und überzeugende Begründung tiejert." (Mayr, Thomas, S. 142).
Letztlich geht es um We rte w ie Akzeptanz und Anerkennung, die in unseren Augen bei Unpünktlichkeit v erletz t w erd en . Auch Frau Wagner fühlt sich v erm u tlich in ihren Bemühungen um Pü n k tlichkeit nicht gewürdigt und ist v erärgert. Sie ahnt nicht, dass in Brasilien genauso wie in Frankreich Zuspätkommen keineswegs mit dieser negativen Bedeutung verbunden, sondern eher normal ist. Den später erscheinenden Meetingteilnehmern käme es gar nicht in den Sinn, dass man ihr Handeln als mangelnde Akzeptanz oder gar Missachtung der bereits Anwesenden deuten könnte. Auch Begründungen oder gar Entschuldigungen werden nicht erwartet. Kein Wunder also, dass hier Welten aufeinanderprallen und gegenseitiges Unverständnis herrscht.
Übung für mehr Flexibilität: Zuschreibungen auflösen, Verhalten umdeuten, Gedanken beeinflussen
Wie immer, wenn zentrale Werte berührt werden, fällt uns ein Umdenken schwer. Es kann sich aber lolmen, vermeintlich "logische" Zusammenhänge zu hinterfragen. Fällt Ihnen spontan ein, wie Sie die Verquickung "Unpünktlichkeit" = Unzuverlässigkeit = mangelnde Wertschätzung =. . auflösen könnten?
Ein erster Schritt könnte zum Beispiel darin bestehen, die Tatsache, dass jemand nach der angesetzten Uhrzeit erscheint, neutraler als "späteres Eintreffen" zu bezeichnen und eben nicht als "Unpünktlichkeit" (was es ja in polychronen Kulturen auch nicht ist). In einem zweiten Sch ritt könnten Sie v ersu ch en, sich in die Menschen hineinzuversetzen und sich Gründe (aufgrund kultureller Hintergründe) für ein sp äteres Eintreffen auszumalen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie diese gutheißen oder nicht. Es geht ja nicht um ill re Maßstäbe, sondern darum zu erkennen, dass in Ihren Augen negativ besetztes Verhalten nichts mit Ihren N orm en und schon gar nichts mit Ilmen persönlich zu tun hat.
Gründe/Hintergründe für späteres Eintreffen bei Meetings könnten sein:
Umgang mit Zeit
71
Wenn Sie etwas gefunden haben, können Sie vielleicht die Gedankenkette von oben "sprengen" und jetzt ersetzen durch
Späteres Eintreffen =
.
Je öfter es Urnen gelingt, Situationen und Verhalten umzudeuten, desto flexibler werden Sie auch in Ihren Reaktionen. Wenn Sie späteres Eintreffen anderer nicht als mangelnde Wertschätzung Ihrer Person sehen, können Sie zwar immer noch genervt, aber wohl kaum mehr beleidigt sein. Mit dieser Strategie beeinflussen Sie Ihre Gedanken - eine sehr wichtige Fähigkeit für den Alltag, auch olme interkulturelle Begegnungen. Denken Sie nur ans Autofahren! Sitzen wir nicht oft am Steuer und reagieren genervt auf andere Autofahrer? Gedanken wie "Der will mich provozieren! Der schneidet mich doch absichtlich! kennt doch fast jeder. Sobald wir uns persönlich angegriffen oder nicht respektiert fühlen, steigen negative Gefühle auf und wir suchen vielleicht Vergeltung. Wie das im Straßenverkehr aussieht, können wir täglich beobachten. Zur Senkung unseres Stresslevels wären andere Gedanken hilfreicher, etwa wenn jemand unserer Ansicht nach zu schnell oder zu langsam fährt, uns schneidet, dicht auffährt etc. Welche zum Beispiel? 1/
Zurück zum Thema Umgang mit Zeit. Ein besonderer Aspekt im Zusammenhang mit Pünktlichkeit darf nicht unerwähnt bleiben. In vielen, vor allem hierarchischen Kulturen ist Zeit mit dem Status einer Person verbunden: Je wichtiger jemand ist, desto unpünktlicher darf er sein. Das kennen wir in Ansätzen auch hierzulande, wenn Chefs notorisch zu spät zu Meetings erscheinen oder ihre Mitarbeiter vor dem Schreibtisch warten lassen, während sie in aller Ruhe telefonieren. Natürlich ist dieses Verhalten zuweilen auch Folge tatsächlicher Überlastung und eines übervollen Terminkalenders, häufig aber dient es lediglich der Demonstration von Macht und Status. Hierzulande gilt das inzwischen meist als unprofessionell und als schlechter Stil. Je hierarchischer jedoch eine Gesellschaft oder ein Unternehmen organisiert ist, desto selbstverständlicher ist das Wartenlassen und desto weniger ärgern sich die Wartenden darüber. Und nicht nur das: Erhebungen zeigen, dass die in diesem Sinne unpünktlichen Menschen sogar noch als erfolgreicher wahrgenommen als pünktliche (Levine, S. 156). Das sollte Sie jedoch im internationalen Business auf keinen Fall zu Unpünktlichkeit verleiten, denn der Ruf der Deutschen, pünktlich und zuverlässig zu sein, eilt ilmen voraus. Diese Erwartung zu enttäuschen, wäre ein großer Fehler. Außerdem wird man Sie olmehin aus Höflichkeit meist weniger lange warten lassen als die eigenen Landsleute. Ebenfalls mit Status und Prestige kann der Zeitaufwand verknüpft sein, der für eine Aufgabe beansprucht wird. Besonders das afrikanische Zeitkonzept weicht in dieser Hinsicht stark von unserem ab, wie ein Auszug aus "Beruflich in Südafrika" verdeutlicht: "Schwarzafrikaner haben eine andere Einstellung zur Zeit; bezüglich Pünktlichkeit und zur Dauer von Problemlösungen als Europäer. Je größer ein Problem; desto mehr Zeit braucht es; und je mehr Zeit ein
ri
An Meetings teilnehmen
Entscheidungsträger für eine Problemlösung oermeruiei, desto größer ist sein Prestige; da er dann ein wichtiges Problem mit viel Zeitaujwand gelöst hat. Wenn nun im wirtschaftlichen Kontext ein Minimum an Zeit gefordert ist; so bewirkt das eine Verringerung des Prestiges. Ein festgesetzter Termin zur Beendigung einer Arbeit impliziert aus afrikanischer Sicht einen Vertrauensverlust und somit den Verlust von Ehre und menschlicher Würde. (Mayer, Boness, Thomas, S. 123 f.). 1/
Weitere Unterschiede im Zeiterleben In der interkulturellen Forschung werden Kulturen auch noch auf andere Weise nach ihrem Zeiterleben eingeteilt. So unterscheidet man zum Beispiel nach Langfrist- und Kurzzeitorientierung sowie nach Zukunfts-, Vergangenheits- oder Gegenwartsorientierung. Gegenwartsorientierung bedeutet, auf Bewährtem aufzubauen und Traditionen zu pflegen, während Kulturen mit starker Zukunftsorientierung stets nach vorne blicken und das, was gestern war, leicht hinter sich lassen können. In unserem Fallbeispiel könnte man das brasilianische Vorgehen mit kurzfristig anberaumtem Meeting sowie spontanen Ergänzungen der Tagesordnung eher als kurzzeit- und gegenwartsorientiert interpretieren. Als besonders kurzzeit- und zukunftsorientiert gelten die USA, während Deutschland (übrigens ähnlich wie Asien) traditionell eher langfrist- und vergangenheitsorientiert geprägt ist. Allerdings zeigen auch hierzulande vermehrte Tendenzen hin zu immer kürzeren Planungszyklen und kurzfristigem Gewinnstreben eine Angleichung an US-amerikanische bzw. globale Praktiken, bekanntlich nicht immer mit positiven Folgen ... Das unterschiedliche Zeiterleben hat auch Auswirkungen auf die Zielsetzung und Entscheidungsfindung im Business. Während es im anglo-amerikanischen Kulturkreis (ganz besonders in den USA) eher darum geht, kurzfristige Ziele zu erreichen, und zu diesem Zweck Fü h ru n gsk räfte rasche Entscheidungen treffen und top-down umsetzen lassen, favorisieren viele asiatische Kulturen (z. B. China, Japan, Korea) eher langfristige Ziele und beteiligen Mitarbeiter bottom-up an Entscheidungen. Reflexion: Wie gehen Sie mit Ihrer Zeit um?
Mit diesem kleinen Schnellcheck haben Sie Gelegenheit, sich selber besser kennenzulernen. Versuchen Sie, sich möglichst spontan auf den Skalen zu verorten, selbst wenn Sie bei vielen Fragen am liebsten"je nachdem" antworten würden. Es geht hier nur um eine grobe Einschätzung und um Tendenzen. Es gibt auch kein "richtig" oder "falsch" oder eine Auflösung wie bei einem Test. Im Beruf ist meine tägliche Arbeitszeit zu ... % verplant 100 %
0 0/0.
Im Privatleben verplane ich meine Zeit komplett
gar nicht.
Tipps für den Umgang mit polychronen Kulturen
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wenn ich meine Zeit- oder Terminpläne ändern muss, stört mich das sehr
gar nicht.
Ich erledige Arbeiten gerne nacheinander
gleichzeitig.
Pünktlichkeit ist für mich sehr wichtig
unwichtig.
Bei einer Besprechung toleriere ich bei anderen eine Verspätung von
oMinuten
30 Minuten.
Ich selber komme zu Besprechungen zur angegebenen Zeit
2.4
30 Minuten später.
Tipps für den Umgang mit polychronen Kulturen
•
Machen Sie sich immer wieder bewusst, dass es unterschiedliche Zeitauffassungen gibt, und erwarten Sie nicht, dass Angehörige anderer Kulturen unter "Pünktlichkeit" das verstehen, was Sie selber darunter verstehen.
•
Lösen Sie sich insbesondere von dem Gedanken, dass jemand, der sich verspätet, mangelndes Veranhvortungsgefühl zeigt, Sie mutwillig kränkt oder kein Interesse an Urnen hat.
•
Arbeiten Sie im internationalen Geschäft immer mit ausreichend Zeitpuffern (Vorlaufzeiten, Liefertermine, Abgabefristen etc.), und zwar wesentlich größeren als hierzulande.
•
Vertrauen Sie nicht darauf, dass einmal vereinbarte Termine oder Zeitpläne verbindlich sind. Fragen Sie im Zweifel lieber einmal zu viel als zu wenig nach und betonen Sie die Wichtigkeit.
•
Stellen Sie sich bei Terminen zur Sicherheit auf Wartezeiten ein und nutzen Sie diese (Smalltalk, Lesen, Arbeiten). Verfallen Sie aber nicht in den Fehler, selber unpünktlich zu sein. Deutsche sind bekannt für ihre Pünktlichkeit und andere bemühen sich meist, Ihnen entgegenzukommen.
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An Meetings teilnehmen
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Behandeln Sie Menschen, die unangemeldet zu Ihnen kommen, nicht wie Störenfriede. Versuchen Sie so gut es geht, beide Bedürfnisse in Einklang zu bringen.
•
Und last but not least: Schauen Sie sich etwas von Menschen mit einer entspannteren Einstellung zu Zeit ab! Fragen Sie sich, ob ein praller Terminkalender wirklich nötig ist und ob Sie auch Ihre Freizeit unbedingt exakt durchplanen müssen.
2.5
Planung, Strukturierung
Mit dem Bedürfnis, möglichst viel und lange vorauszuplanen, geht meist die Tendenz zu ausgeprägter Sachorientierung einher. Alles, was sich in Pläne und Strukturen umsetzen lässt, bietet Orientierung und garantiert eine möglichst störungsfreie Behandlung von Inhalten; störungsfrei auch in dem Sinne, dass sich Menschen mit ihren spontanen Ideen, persönlichen Befindlichkeiten oder zwischenmenschlichen Konflikten "der Sache" unterordnen müssen. Beziehungsorientierte Kulturen, wie in unserem Fallbeispiel die brasilianische, planen weniger und lassen diese "Störungen" eher zu. Wir Deutschen planen und strukturieren nicht nur gerne, sondern zeigen auch eine Vorliebe für Gründlichkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit. So kommt es, dass auch die Protagonistin aus unserem Fallbeispiel die ihrer Ansicht nach unvollständige Tagesordnung bemängelt. Für Brasilianer hingegen ist die Vorlage in dieser Form völlig ausreichend, wissen sie doch, dass immer spontane Ergänzungen kommen und auch erwünscht sind. Des Weiteren bemängelt Frau Wagner das Fehlen einer To-do-Liste, in der Ideen und Maßnahmen festgehalten werden. Auch das unterstreicht noch einmal die hiesige Bedeutung für Strukturen, gepaart mit Schriftlichkeit, Sachlichkeit und analytischem Vorgehen. Solche Listen zeigen zugleich unsere Vorliebe für das Segmentieren: Wir zerlegen gerne Probleme, Aufgaben und Projekte in Unterpunkte oder Teilschritte, die wir dann strukturiert abarbeiten bzw. als Teilprobleme zur Bearbeitung an die zuständigen Abteilungen oder Kollegen weiterleiten. Was bei uns als Zeichen professioneller Arbeitsweise gilt, kann in anderen Kulturen durchaus Befremden auslösen. So kommt es zum Beispiel in der deutsch-französischen Zusammenarbeit in diesem Punkt immer wieder zu Kollisionen. "Globales strategisches Denken auf der französischen Seite steht dem eher "spezifischen regelorientierten Denken der Deutschen gegenüber (Demangeat, Molz, S. 32). Ein Paradebeispiel für planvolles und segmentierendes Vorgehen sind auch die gerne auf internationales Projektmanagement angewandten Planungswerkzeuge, die nicht überall auf Akzeptenz stoßen und den erhofften Erfolg zeitigen. l
11
l
11
Eva Wagner wundert und ärgert sich darüber, dass das Meeting fast zu Ende zu gehen scheint, olme dass die ihrer Meinung nach wichtigsten und kritischen Punkte angesprochen wurden. Hierzu ein Zitat aus flErfahrungen deutscher Manager in Brasilien": "Die brasilianischen Kollegen und Mitarbeiter reden um den heißen Brei herum. Sie drücken sich einfach
EmotionaLität, 8eieist erun i . Optimismus
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dllvor, die heiklen und drhrgemhn Theme n a nz usprechen. ~ (Ernst, S. 41). Die s sei, so de r A utor de r Studie, eine häufig geäußerte Kritik,. denn ~ dEr Dculs cJu> ist - geradP u nfer Zei tdrw::k gl"WOhrti, zuerst die saddich w ichtigsten Themen. anzusprechen.. Dies wird in Brasilien / ... 1gTUndwuich anders ge1wndhabt: Wi chtige Probleme - oftmals unangenehme oder 5pQnnwrgsgelm1ene Aspekte - wnden erst in der Mitte oder gegen Ende des Gespr.ühs, nachdem eine positit>e Gesprächsatl1Wsphire gesdJa.Jfrn twrdrn ist, angesprochen. n (ebd. S. 4~ ).
Interessant sind hier wieder di e Fehlinterpretationen mit entspre chenden Etikettierungen auf beiden Seiten::
Abbildung 2.2
Wann kritisch e Themen anspre chen ?
Kritisches sofort!
-
Undipl omatisc h. l"M!'!attv,
streitsüchtig _
Kritisc hes zun Schluss!
-
2.6
Emotionalität, Begeisterung, Optimismus
Grundsätzli ch werden Deutsche eher al s ein n ächtem es Volk gesehen, spa rs ame Kör persprache. sachliche Gesr rächsführu.ng. fak tenbasierte ArguUlt'mtation. Kontrolle von GefühJen, Beson de rs im A rberts leben gilt d ie Regel. d ass Emot ionen do rt nicht fungehören. Da s hat einerseits etwas z u tun mit de r Trennung von Lebensbe rei ch€n (A rbeitlPriva tes), ende-
76
An Meetings teilnehmen
rerseits mit der starken Orientierung an Inhalten statt an Zwischenmenschlichem und der damit einhergehenden Betonung von Sachlichkeit. So erstaunt es nicht, dass der Deutschen die sehr emotionale Diskussion ihrer brasilianischen Kollegen zunächst fremd ist. Sie bewundert zwar einerseits die Kreativität und Begeisterungsfähigkeit der Teilnehmer, hört aber in ihrer sachlichen, vernunftgeleiteten Art eher die Dinge heraus, die ihr unrealistisch erscheinen. Daher auch ihr Urteil, dass die Brasilianer "ein bisschen träumen".
Dass Brasilianer wesentlich emotionaler sind als Deutsche, wird Ihnen kaum neu sein. Dass sich dies aber durchaus auch im Geschäftsleben bemerkbar macht und deshalb für Ihre Zusammenarbeit von Bedeutung ist, mag Sie vielleicht erstaunen. Brasilianer sind sehr mitteilungs- und diskussionsfreudig. Emotionen kommen vor der Ratio: Sie begeistern sich schnell für Neues, diskutieren kreative Ideen leidenschaftlich, können sie aber auch genauso schnell wieder fallenlassen. In unserem Fallbeispiel erfüllt die Besprechung nicht zuletzt den Zweck, den Teilnehmern Gelegenheit zu geben, ihre Kreativität auszuleben, Optimismus zu zeigen und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Insofern ist es eben keine Zeitverschwendung für; unnützes Träumen", wenn man eine solche Diskussion eine Weile laufen lässt und sich auch selber daran beteiligt, selbst wenn einem nicht alles umsetzbar und realistisch erscheint. Als Leiter oder Moderator sollten Sie diese Phasen nie autoritär unterbinden, denn sie tragen maßgeblich zur Mitarbeitermotivation bei und meist zeitigen sie auch Ergebnisse, vielleicht nicht immer die, die man als Deutscher anvisiert und erwartet. Mit der großen Bedeutung von Emotionalität müssen Sie auch in anderen Kulturen rechnen, wenn sie sich auch in jeder Kultur anders zeigt. So etwa bei deutsch-amerikanischen Meetings, bei denen überschwängliche bzw. mangelnde Begeisterung häufig Anlass für Missverständnisse ist (siehe Abbildung 2.3). Während US-Amerikaner auf Vorschläge und neue Ideen von Kollegen oft erst einmal enthusiastisch reagieren, zeigen Deutsche eher Skepsis und warten ab. Und schon kommen wieder Fantasien über die jeweilige andere Seite ins Spiel, die ja fatalerweise nicht offengelegt werden. Dadurch kann sich eine Dynamik entwickeln, bei der jede Seite ihr Bild vom anderen eher verfestigt als auflöst. Aber Hand aufs Herz: Können wir uns vom Optimismus so manch anderer Kulturen nicht tatsächlich eine Scheibe abschneiden? Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, die Welt nur noch durch die rosarote Brille zu betrachten, sondern vielleicht öfter mal den Fokus zu verschieben. Statt sich auf das, was noch fehlt, nicht funktioniert oder schlecht läuft zu konzentrieren, könnten wir das wertschätzen, was schon da ist, gut läuft, positiv auffällt. Vielleicht könnten wir dann auch das, was Ausländer an uns immer wieder belächeln, etwas eindämmen: das häufige Klagen, Jammern und Meckern ... Also dann: Ist das Glas für Sie halb voll oder halb leer?
Emotionali tät, Bege isteru ng, Optimismus
Abbildung 2.3
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Reaktio nen auf vc rschtäge
Tolle kiee!
Ja, aber _.
Im Zu sammenha ng m it Überlegungen. ob m an Emotionen zei gen soll oder nicht, ist übrigens Vors icht geboten. So können und sollten Sie etwa in Brasili en durchau s etwa s au s sich herausgehen, aber negative Gefühle wie Är ger oder Wut zum Au sd ruck zu bri n gen, ist dort genau so ve rp önt w ie in den m eisten a nderen Ländern. Ga nz besonders zurückh alten d müssen Sie i m asiati schen Raum sein. Wenn Sie hier laut w erden, ein böses Ges icht m achen oder gar auf den Tisch hauen, büßen Sie erheblich an Re spe kt ein u nd e rleiden e inen k aum n och rep arable n Gesi chtsverlu st Während hierzulande choleri sche Chefs (erstaunlicherweise n och inuner! ) toleriert werde n, können Sie in d iesen Länder n nicht au f N achsich t h offen. Üb ri gens muss m an gar ni cht Kul ture n in an deren Erdteil en bemühen: Haltun g bewahren und Emotionen z urückhalten ist auc h in Großbritannien noch im mer e ine Tu gend [, to kee p a stiff upp er Hp "). Wer ke ine Selb stdisziplin ü bt, zeigt Schw äche. In unserem Fallbeispiel ist noch eine Bes on derheit im Zusammenhan g mi t Begeisterung z u beachten. Die positive Resonanz der Br asili aner auf Vor schl äge ihre s Chefs kann auch, zumindest teilw eise, auf den Kultu rsta n dar d Hierarchieorientierung hindeu ten, w on ach di e Chefmeinung immer gelobt statt infrage gestellt wird. Viel eindeutiger als bei Bra siliane rn w äre d ieser Zusammenhan g in noch stärker hierarchi sch gepr ägten Kulturen w ie de n me isten as iatischen anzunehmen.
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2.7
An Meetings teilnehmen
Gesprächsgewohnheiten und Zuhörstile
Weiter oben ging es um die Diskussionsfreude der Brasilianer. Eng damit verbunden ist die Art und Weise, wie die Gespräche organisiert sind. In unserem Beispiel fällt Frau Wagner auf, dass in ihren Augen kaum jemand ausreden kann, ohne unterbrochen zu werden. Sie ist frustriert, als sie selber unterbrochen wird und man ihre Bitte, ausreden zu dürfen, sichtlich irritiert zur Kenntnis nimmt. Dies ist ein sehr häufiges Missverständnis in der interkulturellen Kommunikation, weil hier unterschiedliche Regeln für den sogenannten Sprecherwechsel wirksam sind. In Deutschland (wie in anderen "linear" geprägten Kulturen) ist es ein Gebot der Höflichkeit, andere ausreden zu lassen. Man spricht also nacheinander, d. h. beginnt erst, wenn der andere zu sprechen aufgehört hat. Signale für das Ende der Ausführungen können das Absenken der Stimme, Pausen oder non-verbale Hinweise (Blicke, Gesten, Körperhaltung) sein. Unterbrechungen gelten als unhöflich. Diese Regeln gelten keineswegs in allen Kulturen. In Brasilien sind Überlappungen, also zeitweise gleichzeitiges Sprechen, nicht nur üblich, sondern Ausdruck von Interesse und Anteilnahme an den Äußerungen anderer. Im Umkehrschluss gilt also: wenn Sie in Brasilien andere gar nicht unterbrechen, laufen Sie Gefahr, als desinteressiert zu gelten! Wohlgemerkt: Es geht immer um Unterbrechungen, mit denen Sie an die Ausführungen des anderen anknüpfen. Mit einer Unterbrechung auf ein völlig anderes Thema umzuschwenken, gilt auch hier als unhöflich.
Abbildung 2.4
Sprecherwechsel
Deutschland A B
Brasilien A B
Frau Wagner wäre also gut beraten gewesen, sich immer wieder einzubringen und nicht unbedingt nur auf Gesprächspausen zu warten. Außerdem hätte sie wohl besser ihre Bitte, ausreden zu dürfen, nicht so explizit formulieren, sondern einfach weiterreden sollen. Vielleicht haben Sie bereits diese Erfahrung gemacht und festgestellt, wie schwer es ist, hier gegen seine Gewohnheiten zu handeln. Wir sind es ja gar nicht gewolmt, uns weiter auf unsere Worte zu konzentrieren, wenn jemand anders gleichzeitig (und meist lauter!) spricht. Andererseits ist es eine Sache der Übung und wenn Sie gehört werden und als international kompetent gelten wollen, sollten Sie sich hier soweit es geht anpassen.
Non-verbale Kommunikation
79
Übrigens müssen Sie gar nicht erst bis nach Brasilien fliegen, um ein gutes Übungsfeld zu finden. Bereits Frankreich und Italien stehen dieser Auffassung von lebendiger Diskussion näher, als Sie vielleicht denken. Eine noch größere Herausforderung stellt die Kommunika-
tion mit Angehörigen der arabischen Welt dar. Hier finden Sie auch sehr starke Überlappungen, dazu eine hohe Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke und eine für unsere Ohren ungewohnte Sprachmelodie, was insgesamt den Eindruck von Aggressivität wecken kann.
2.8
Non-verbale Kommunikation
In unserem Fallbeispiel registriert Eva Wagner mit wachsendem Unbehagen, dass die Brasilianer ihr zu nahe rücken und sie im Ges präch berühren. Das ist ein ganz typisches Phänomen, wenn Deutsche, Nordeuropäer oder Nordamerikaner mit Sudeuropäern. Arabern oder Lateinamerikanern kommunizieren. Der Grund dafür sind sehr große Unterschiede in den Distanzzonen, d. h. im intuitiv gewählten räumlichen Körperabstand zwischen den Gesprächspartnern. Zum Vergleich hier eine Übersicht verschiedener Länder:
Abbildung 2.5
Bevorzugter Körperabstand im öffentlichen/geschäftlichen Umgang (Angaben in cm nach Beamer, Varner und Lewis)
~ :o :a~b.Län-der--;~~ ~ USA
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
110
Deutschland Japan
120
130
Wie die Abbildung 2.5 eindrucksvoll zeigt, liegt Deutschland mit einern relativ großen Körperabstand am oberen Ende des Maßbandes, während Brasilien am anderen Ende verortet ist. Untersuchungen von Morris innerhalb Europas haben drei Distanzzonen ergeben. Man steht jeweils so eng bzw. weit auseinander, dass sich die Ellenbogen bzw. Handgelenke bzw. Fingerspitzen berühren könnten (nach Losche, S. 59): •
Ellenbogenzone: Spanien, Frankreich, Italien, Türkei
•
Handgelenkzone: Osteuropa
•
Fingerspitzenzone: Deutschland, Skandinavien, Großbritannien, Niederlande
80
An Meetings teilnehmen
Werden diese Abstände nicht eingehalten, fühlt man sich intuitiv unwohl. Wie immer bei solchen Verallgemeinerungen sind für jede Gesprächssituation natürlich noch andere Einflussfaktoren auf die jeweiligen Distanzzonen zu berücksichtigen: Alter, Geschlecht, Status der Gesprächspartner u. Ä. Dennoch können diese Werte als Richtsclmur dienen. Was geschieht in unserem Fallbeispiel? Die Brasilianer halten den Abstand, den Frau Wagner aus Deutschland gewohnt ist, nicht ein, sondern verringern ihn auf das bei ihnen übliche Maß. Sie fühlt sich dadurch bedrängt oder - wie ihre Gedanken vermuten lassensogar von den brasilianischen Kollegen belästigt. Also weicht sie intuitiv zurück, um den für sie natürlichen Abstand wieder herzustellen. Die Brasilianer rücken natürlich nach, weil sie sich mit dieser für sie viel zu großen Entfernung nicht wohlfühlen. In diesem Zusammenhang wird oft die Geschichte von einem deutsch-brasilianischen Diplomatenempfang erzählt, bei dem ein deutscher Teilnehmer bei einem solchen"Tanz" rücklings über eine niedrige Balkonbrüstung gestürzt sein soll ... Was also tun in solchen Situationen? Hier ist guter Rat teuer, denn gerade die Körpersprache lässt sich nur sehr schwer kontrollieren. Immerhin sind Sie nun mit Ihrem Wissen über die verschiedenen Distanzzonen "vorgewarnt" und können vielleicht an manchen Stellen non-verbale Signale nicht nur bewusster wahrnehmen, sondern sie auch anders interpretieren als bisher. Selbst wenn Urnen das nur zeitweise gelingt, haben Sie viel erreicht, denn das Non-Verbale ist sehr mächtig. Vom Körperabstand ist es nicht weit zum Körperkontakt. Frau Wagner fällt auf, dass sie im Gespräch von ihrer brasilianischen Kollegin immer wieder leicht am Arm berührt wird. Auch das ist typisch für Brasilien und andere Kulturen mit geringer Distanzzone und ausgeprägter Personenorientierung. Berührungen stellen Nähe her, bekunden Sympathie und sind selbst unter Fremden nicht unüblich. Dazu gehören auch die typischen Wangenküsschen zur Begrüßung, die mittlerweile auch bei uns recht verbreitet sind, allerdings weniger unter völlig Fremden. Zu den non-verbalen Signalen gehören auch Gesten, die dann zu erheblichen Missverständnissen führen, wenn sie in den verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutung haben. So müssen Sie zum Beispiel manchmal Kopfnicken und -schütteln genau entgegengesetzt deuten, ebenso Gesten des "Komm her" und "Geh weg", ganz abgesehen von dem Minenfeld hierzulande harmloser Gesten, die woanders als obszön gelten. Seien Sie also mit Ihren Gesten sehr vorsichtig. Allerdings ist dieser Rat zugegebenermaßen nicht ganz leicht zu beherzigen, weil uns unsere Körpersprache nur selten bewusst ist. Was Sie jedoch bewusst tun können, ist, die Gesten anderer daraufhin zu überprüfen, ob sie möglicherweise eine andere Bedeutung haben könnten als die, die Sie kennen. Besonders, wenn eine Geste bei Urnen Irritationen hervorruft und für Sie nicht so recht zur Situation zu passen scheint, lolmt es sich innezuhalten.
Tipps für die Durchführung internationaler Meetings
2.9
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Tipps für die Durchführung internationaler Meetings
Bevor Sie weiterlesen, haben Sie an dieser Stelle Gelegenheit, ein Resümee zu ziehen und eigene Ideen zu entwickeln.
Reflexion Frau Wagner rät ihrem Kollegen, das nächste Meeting mit den Brasilianern in Deutschland besonders gut vorzubereiten und straff zu leiten. Was halten Sie davon?
Natürlich muss jeder für sich entscheiden, inwieweit er den eigenen Stil durchsetzen oder Kompromisse machen will. Wie in jeder Situation hängt die Entscheidung nicht zuletzt davon ab, was man erreichen möchte und ob man auf die Kooperation de r Teilnehmer angewiesen ist. Meist ist Letzteres der Fall und dann ist erfahrungsgemäß eine Mischung aus beiden Stilen die beste Wahl: einerseits bewährte eigene Verfahren anwenden, andererseits einige Elemente des Stils aus den Kulturen der Teilnehmer übernehmen, damit diese sich auch "heimisch" fühlen können und kooperieren. In Ergänzung zu Ihren eigenen Ideen nachfolgend einige Tipps, wie Sie Meetings mit Teilnehmern aus beziehungsorientierten, polychronen Kulturen (hier: Brasilianern) gestalten können: •
Machen Sie sich zunächst Ihre eigenen Meeting-Praktiken bewusst und bringen Sie möglichst viel über die Erwartungen Ihrer Teilnehmer in Erfahrung.
•
Lassen Sie genug Zeit für informelle Gespräche, und zwar vor und während des Meetings und auch im Anschluss daran; vielleicht können Sie das Treffen sogar noch mit einem Umtrunk oder einem Abendessen ausklingen lassen.
•
Planen Sie einen um das "akademische Viertelstündchen" verzögerten Beginn fest ein. Selbst diese Zeit reicht oft nicht aus, um wirklich alle Teilnehmer zu versammeln. Im Zweifel setzen Sie das Meeting ganz bewusst eine halbe Stunde eher an, um mit Ihren Inhalten nicht in Verzug zu geraten.
•
Kommen Sie rechtzeitig, um sich am Smalltalk zu beteiligen und so eine lockere, persönliche Atmosphäre zu schaffen. Das ist für den Erfolg Ihres Meetings meist wichtiger, als sich in dieser Zeit noch mit letzten technischen oder inhaltlichen Details zu beschäftigen.
•
Bereiten Sie das Meeting ruhig nach Ihren Maßstäben vor, schicken Sie die Tagesordnung und Unterlagen vorab an die Teilnehmer, machen Sie einen Zeitplan, aber gehen Sie nicht davon aus, dass die Teilnehmer die Unterlagen gelesen haben und sich an den geplanten Ablauf halten.
82
An Meetings teilnehmen
•
Zeigen Sie Flexibilität in der Abhandlung der TOPs. Lassen Sie auch Zeit und Raum für Diskussionen, die Urnen nicht immer sachdienlich erscheinen mögen. aber für die Teilnehmer vielleicht emotionale Bedürfnisse erfüllen.
•
Machen Sie illre Erwartungen so transparent wie möglich. Vielleicht können Sie sogar die ; typisch deutsche Pünktlichkeit und Planungswut" in humorvoller Weise direkt ansprechen und erläutern, inwieweit diese heute befolgt werden soll bzw. wie flexibel Sie sind.
•
Je nach Inhalt, Thema und Funktion des Meetings kann eventuell das Protokoll auch einmal etwas weniger detailliert ausfallen, als es in einem deutschen Teilnehmerkreis üblich wäre.
•
Ein wichtiger Grundsatz: lieber locker moderieren als straff führen!
3
Verhandlungen führen
3.1
Fallbeispiel und Reflexion
Frank Klemper, ein junger hochkompetenter Betriebswirtschaftler, vertritt eine deutsche Untemehmensberatung in Japan und verhandelt heute zum ersten Mal mit einem potenziellen Kunden persönlich über Beratungsleistungen. Nach Vorgesprächen auf anderer Ebene wurde ein attraktives Angebot erstellt und nach mehreren Telefonaten hat man auch bereits Anpassungen vorgenommen. Da Herrn Klemper inzwischen sehr großes Interesse signalisiert wurde, hofft er heute auf einen Vertragsabschluss. Nun sitzt er schon seit zwei Stunden einer mehrköpfigen japanischen Delegation gegenüber und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Gespräche im Kreise drehen. Immer wieder geht es zu seinem großen Erstaunen um Punkte, die längst im gegenseitigen Einvernehmen geklärt werden konnten. Die wirklich strittigen Fragen werden von der japanischen Seite entweder gar nicht thematisiert oder auf eine Weise angesprochen, die die Unterschiede minimal erscheinen lässt, was sie aber aus Frank Klempers Sicht keineswegs sind. Deshalb hat er bereits versucht, einen kritischen Punkt ins Spiel zu bringen, stieß aber kaum auf Resonanz. Überhaupt irritieren ihn die sparsamen Wortbeiträge der [aparter sowie ihre langen Gesprächspausen. Ihm kommt es so vor, als seien sie sehr unsicher. Besonders merkwürdig findet er das Verhalten des Senior Managers Herr Oishi: Er beteiligt sich kaum am Gespräch und ist bisher noch auf keine seiner Fragen eingegangen. Fast hat er den Eindruck, als ignoriere Herr Oishi ihn ganz bewusst. Allmählich zweifelt er daran, dass die Iapaner heute den Vertrag unterzeichnen wollen oder können. Als einer der [aparter zum wiederholten Male betont, wie schwierig die Situation sei, unterbricht Herr Klemper ihn kurzerhand und geht aufs Ganze. Er nutzt eine seiner bewährten Abschlussteclmiken und fragt nun ganz direkt, warum sie sich denn noch nicht entscheiden könnten. Aber wieder erhält er ausweichende Antworten, gepaart mit langem Schweigen. Bald danach beendet Herr Oishi die Zusammenkunft und sagt in Richtung von Herrn Klemper, dass er beim nächsten Termin mit dem Hauptverantwortlichen sprechen möchte. Frank Klemper ist perplex: Er selber ist doch der Hauptverantwortliche und hat alle Befugnisse. Das hat er den Japanern schon mehrmals versichert. Nun ist er ratlos: Was ist hier schiefgelaufen? Was soll er jetzt tun - die Sache weiterverfolgen oder als gescheitert betrachten?
Reflexion Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Verhandlungen so zäh verlaufen?
84
Verhandlungen führen
Was glauben Sie, geht in Herrn Oishi vor? Warum beteiligt er sich nicht?
Wo hat sich Herr Klemper passend, wo eher unpassend verhalten?
3.2
Entscheidungsfindung durch Konsens
In diesem Fallbeispiel werden mehrere Themen berührt. Es geht zunächst um die Art und Weise, wie man in Japan verhandelt und Entscheidungen trifft. Hierbei spielt die Konsensorientierung eine wichtige Rolle. Anders als Deutschland ist Japan kollektivistisch geprägt und daher hat der Gruppenzusammenhalt einen hohen Stellenwert. An anderer Stelle werden wir die wichtigen kulturellen Unterschiede zwischen Individualismus und Kollektivismus (Hofstede) wieder aufgreifen und näher erläutern. Bei Verhandlungen drückt sich der Kollektivismus darin aus, dass es unumgänglich ist, in Japan einen Konsens zwischen allen Beteiligten herzustellen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. "Alle Beteiligte" umfasst nicht nur die Verhandlungsteilnehmer, die Experten oder die Führungsriege, sondern buchstäblich das ganze Unternehmen. Dafür reicht natürlich ein Verhandlungstermin nicht aus, sondern es müssen viele Besprechungen und Austauschmöglichkeiten stattfinden. Das können offizielle Meetings sein, bei denen sich alle Teilnehmer äußern und somit die Verhandlungen in ihrem Sinne beeinflussen können. Diese Einbeziehung Vieler darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb dieser Gruppen ausgeprägte Hierarchien bestehen und allen klar ist, wer der Ranghöchste ist und dementsprechend das meiste zu sagen hat. Dennoch sollten Sie alle Anwesenden gleichermaßen einbeziehen und ansprechen. Wichtig ist außerdem, dass Sie schon im Vorfeld strittige Punkte aus dem Weg räumen und eventuelle Änderungen der Rahmenbedingungen von Ihrer Seite frühzeitig mitteilen. Nur so hat die japanische Seite noch vor dem offiziellen Verhandlungstermin ausreichend Zeit und Gelegenheit, den internen Abstimmungsprozess unter veränderten Bedingungen in Gang zu setzen. Wenn es sich anbietet, noch zusätzliches Material zur Untermauerung mitzuschicken, tun Sie es - je anschaulicher, desto besser. wenn Sie Ihren japanischen Geschäftspartner während der Verhandlung mit völlig neuen Aspekten konfrontieren, riskieren Sie einen Abbruch der Sitzung. In unserem Fallbeispiel deutet allerdings nichts darauf hin, dass dies der Grund für die ergebnislose Beendigung des Treffens gewesen sein könnte. Neben den formalen Treffen nutzen Iapaner oft auch informelle Zusammenkünfte zum Austausch und zur Vorbereitung einer Entscheidung. Meist wird beides kombiniert, d. h. zunächst die offiziellen Termine, danach und/oder zwischendurch die informellen Gespräche. Dabei sind wie so oft in den sogenannten beziehungsorientierten Kulturen (zu denen
Verbindlichkeit von Vereinbarungen
85
auch Japan gehört) die informellen 4-Augen-Gespräche der beiden Verhandlungspartner am wichtigsten. In Japan sind zum Beispiel gemeinsame Besuche der von Deutschen so gefürchteten Karaoke-Bars üblich, in anderen Ländern kann gemeinsames Golfspielen oder eine Einladung zum Barbecue ins Wochenendhaus erfolgversprechender sein. Sie almen schon, dass ein solches Verfahren sehr zeitaufwändig ist. Der unstrittige Vorteil dieser sehr starken Konsensorientierung ist aber eine zügige Umsetzung an der Basis, da in diesem Stadium kaum noch Widerstände der Mitarbeiter zu erwarten sind. Erstaunliche Parallelen zu den japanischen Entscheidungswegen finden wir bei unserem niederländischen Nachbarn: Auch hier gilt das Gebot der Konsensorientierung. Aufgrund sehr flacher Hierarchien haben Mitarbeiter aller Hierarchiestufen ausdrücklich ein Mitspracherecht. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich in Besprechungen auch Praktikanten, Sekretärinnen und neue Mitarbeiter zu Wort melden und man sich mit deren Beiträgen genauso ernsthaft beschäftigt wie mit denen der Experten. Ähnlich wie in den USA zum Beispiel beruht dieses Vorgehen auf der Vorstellung von einer egalitären Gesellschaft, wo jeder das Recht zur Meinungsäußerung hat und gerade als Außenstehender oder vermeintlicher Laie wertvolle Hinweise geben kann. Auf Deutsche, die an ausgeprägtere Hierarchien gewöhnt sind und besonders auf Fachkenntnisse setzen, wirken diese typischen "Overleg"Sitzungen oft unproduktiv. Wenn Sie als Deutscher aber ein niederländisches Team führen, tun Sie gut daran, diese Tradition beizubehalten. Die Einführung von Besprechungen nach deutschem Muster würde Ilmen enorme Widerstände bescheren! Wieder anders ist es in Frankreich: Hier werden Mitarbeiter aufgrund der ausgeprägten Hierarchien eher mit Vorarbeiten für eine Entscheidungsgrundlage beteiligt; die Entscheidungsmacht selber ist - wie vieles andere in Frankreich auch - an der Spitze zentralisiert. In Meetings werden Informationen ausgetauscht und Positionen abgesteckt; dabei steht eher Dissens als Konsens im Vordergrund. In dieser Hinsicht scheint es Parallelen zu Deutschland zu geben, allerdings profilieren sich Franzosen eher mit sprachlicher Gewandtheit als mit sachlicher Argumentation. Es geht hier weniger darum, andere wie in Deutschland mit fachlichen Detailkenntnissen zu überzeugen, sondern sie mit rhetorischer Brillanz als Zeichen von Bildung zu beeindrucken. Kultiviertes und souveränes Auftreten stehen also im Vordergrund, was von den meist auf Inhalte fokussierten Deutschen leider nicht immer ausreichend wertgeschätzt wird.
3.3
Verbindlichkeit von Vereinbarungen
Auch für das Thema Verträge und Vereinbarungen können wir beim Beispiel Frankreich bleiben, um Älmlichkeiten mit Japan aufzuzeigen. Genau wie dort ist eine einmal getroffene Entscheidung nämlich nicht unbedingt endgültig, sondern sie wird häufig noch nachgebessert und dynamisch an veränderte Umstände angepasst. In Deutschland dagegen bleiben Verträge gültig, auch wenn sich eine Situation ändert. Deshalb machen Deutsche im internationalen Business häufig den Fehler, einmal getroffene Vereinbarungen als verbindlich anzusehen.
86
Verhandlungen führen
Eine Erklärung für dieses unterschiedliche Verständnis von Verbindlichkeit bietet die Theorie von Trompenaars, die Kulturen nach dem Stellenwert von Regeln beschreibt. Demnach gelten Regeln und Gesetze in sogenannten universalistischen Kulturen (deutschsprachige Länder, anglo-amerikanischer Kulturkreis, Niederlande, Skandinavien) einheitlich und ohne Ausnahme für alle sie betreffenden Situationen und Menschen. In partikularistischen Kulturen (die meisten anderen) werden Regeln flexibel an Situationen und Menschen angepasst. Letzteres geht oft mit der Begünstigung nahestehender Personen einher, weshalb in diesen Kulturen persönliche Beziehungen eine große Rolle spielen. Aufgrund dieses wichtigen Kulturunterschieds kommt es bei geschäftlichen Vereinbarungen oft zu Missverständnissen, Enttäuschungen und Frustration auf beiden Seiten, weil der Geist eines Vertrags unterschiedlich ausgelegt wird; so geschehen bei einem deutschfranzösischen Projekt, das in dem praktischen Leitfaden "Internationales Projektmanagement" beschrieben wird. Dort wurden vertraglich Lieferungen vereinbart, für die das Budget und die Finanzierungskosten knapp kalkuliert waren. Bald stiegen die Preise für die Ressourcen und damit die Finanzierungskosten des Franzosen. Was dann geschah? "Der Franzose stoppte seine Lieferung. Der deutsche Partner sah im Preisanstieg nicht sein Problem; es bedeutete lediglich Pech des französischen Partners. Er ging davon aus; dass der Franzose weiterhin zu den für ihn günstigen Konditionen liefern würde. Der Franzose hingegen sah sich zwischen den zwei Optionen gefangen: entweder zu überhöhten Kosten termingerecht zu liefern oder Vertragsstrafe an den Deutschen zu zahlen. [ ... ] Für den Franzosen war der deutsche Partner zwar nach dem Buchstaben des Vertrages im Recht; aber nicht dem Geist des Vertrages nach. Da beide Partner bei der Absprache der Zusammenarbeit die Absicht hatten; eine längere Zusammenarbeit zu beginnen; stand für ihn außer Frage; sich mit dem Projekt zu ruinieren. Er ging davon aus; dass der deutsche Partner diese ebenso sah und hoffte auf außervertraglich bessere Abnahmeinndidonen. die seinen erhöhten Preis berücksichtigten; oder auf ein Zeichen des Deutschen; den Vertrag auf Basis der neuen Situation nachzuverhandeln. Der deutsche Unternehmer wertete den Lieferstopp als Vertragsbruch und verklagte den Franzosen." (Hoffmann, Schoper, Fitzsimons, S. 67 f.). Älmlich könnte sich ein solcher Fall zwischen Deutschen und Japanern abspielen. Auch in Japan sieht man einen Vertrag eher als Teil eines Systems, das sich aufgrund äußerer Umstände (z. B. Wechselkurse) jederzeit ändern kann und an das man sich dann nicht mehr sklavisch gebunden fühlt.
Zeit und Geduld mitbringen! Für die Zusammenarbeit mit allen Kulturen, in denen Verhandlungen zeitintensiv und
Iangwteng sind, gilt, sich mit Geduld zu wappnen. Es ist ein verbreiteter Fehler von Deutschen, Zeitdruck aufzubauen (z. B. mit Hinweis auf den gebuchten Rückflug) und damit unbeabsichtigt ins Hintertreffen zu geraten. Denn oft wird dies gegen den deutschen Partner verwendet, indem in letzter Minute noch neue Forderungen gestellt, Preisnachlässe oder günstigere Lieferkonditionen erwirkt werden. Auch für informelle Gespräche nehmen sich Deutsche oft nicht die nötige Zeit. Ein ausführlicher Restaurantbesuch etwa, bei dem am Rande auch Geschäftliches und, wenn nö-
Hierarchie und Seniorität
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tig, auch heikle Punkte zur Sprache kommen, wird oft nicht als Teil der Arbeit, sondern als Zeitverschwendung betrachtet. Manche drängen zur Eile, andere nehmen gar nicht erst teil und wieder andere nehmen zwar teil, können sich aber nur schwer auf Smalltalk einlassen - alles Verhaltensweisen, die einem großen Missverständnis unterliegen. Informelle Treffen sind für Angehörige beziehungsorientierter Kulturen Arbeitszeit und als Deutscher tut man gut daran, diesen Umstand nicht nur zu akzeptieren und "auszuhalten", sondern diese Gelegenheiten selber ganz aktiv für Beziehungsaufbau und -pflege zu nutzen! Auch Frank Klemper können wir also nur raten, sich in Geduld zu üben, Beziehungspflege zu betreiben und informelle Kommunikationsgelegenheiten zu suchen, um mehr zu erfahren, vielleicht strittige Punkte klären und die Entscheidung etwas beschleunigen zu können. Dafür aber braucht er Geduld und vor allem Zeit. Diese Zeit ist langfristig mit Sicherheit gut investiert. Ob es ihm allerdings in diesem Stadium gelingt, durch Konzentration auf die persönliche Ebene doch noch zu einem Vertragsabschluss zu kommen, ist fraglich. Denn ein anderer Aspekt spielt mit hinein, auf den er kaum noch Einfluss hat und der möglicherweise so schwer wiegt, dass das Geschäft allein deshalb zum Scheitern verdammt ist.
3.4
Hierarchie und Seniorität
Es handelt sich in Japan um eine sehr hierarchische Gesellschaft, in der zudem das sogenannte Senioritätsprinzip gilt. Das bedeutet: Älteren wird per se mehr Erfahrung und Kompetenz zugeschrieben als Jüngeren; dementsprechend steigen diejenigen in der Hierarchie auf, die am längsten im Unternehmen sind. Leistung oder Führungsqualitäten sind in traditionellen japanischen Unternehmen nicht unbedingt ein Kriterium für eine Beförderung. Da Frank Klemper noch jung ist, werden ihm Kompetenz und hoher Status abgesprochen. Das erklärt Herrn Oishis Verhalten, das aussieht, als wolle er die Verhandlungen durch passiven Widerstand boykottieren. Der Senior Manager fühlt sich wahrscheinlich in seiner Ehre gekränkt, weil man ihm einen jungen und daher vermeintlich rangniederen Mitarbeiter als Verhandlungspartner zumutet. Der für Japan typische indirekte Kommunikationsstil und die damit einhergehenden Gebote der Höflichkeit und Cestchtwahnmg verbieten es Herrn Oishi allerdings, seinen Unmut direkt zu äußern. Sein Verlangen nach dem "Hauptveranrnrortlichen" am Schluss lässt aber keinen Zweifel an seinen Gedanken. Wie könnte Herr Klemper die Einschätzung seiner Kompetenzen und Erfahrungen jetzt noch positiv beeinflussen? Im Grunde bleibt nicht mehr viel zu tun. Wahrscheinlich kann er noch so sehr beteuern, dass er Erfahrung und Fachkompetenz besitzt. Eventuell könnte man es mit einer Empfehlung durch Dritte versuchen oder Frank Klempers Chef einschalten, der erneut dessen Position und Kompetenz unterstreicht sowie explizit alle Befugnisse erläutert. Wer in Japan und anderen stark hierarchisch geprägten Kulturen, die dem Alter (meist alten Männern) besondere Weisheit und damit höheren Status zuschreiben (u. a. China, Türkei, Südafrika), Geschäfte machen will, sollte besonders auf die Ebenbürtigkeit
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VerhandLungen führen
der Verhandlungspartner und natürlich auf die peinliche Einhaltung der Hierarchiestufen während der Konununikation achten. Mitarbeiter aus der "zweiten Reihe" zu schicken, zeugt von mangelnder Sensibilität, vor allem beim Erstkontakt. Meist ist die Einschaltung Dritter zur Geschäftsanbalmung der Königsweg. Eine Kontaktperson vor Ort ebnet nicht nur dem Zusammentreffen der Geschäftspartner den Weg, sondern ist auc h Mittelsmann für Kontakte zu Behörden. Auch in China läuft der Erstkontakt auf möglichst h ochra ngiger Ebene, etwa über Behörden oder Politiker mit entsprechendem Status. Abbildung 3.1
Hierarchie-Ebenen beachten
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3.5
Harmoniestreben und indirekte Kommunikation
Nun noch zu einem anderen wichtigen Aspekt: Vielleicht haben Sie sich auch gefragt, warum die Japaner immer "Wieder bereits geklärte Fragen statt strittiger Punkte angesprochen haben. Das ist nicht nur Ausdruck der starken Konsensorientierung, sondern zeigt auch das in vielen Kulturen verbreitete Streben nach Harmonie. Indem man Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen hervorhebt, schafft man zunächst ein positives Klima und signalisiert, dass in diesen Bereichen eine Verständigung möglich erscheint. Harmoniestreben beinhaltet naturgemäß das Vermeiden von Konflikten und die Schwierigkeit, direkt "nein" zu sagen Dieses weit verbreitete Phänomen wird Ihnen in anderen Fallbeispielen noch häufiger begegnen und steht in krassem Gegensatz zu hiesigen Verhaltensmustern. Neben der Betonung von Gemeinsamkeiten wird im Fallbeispiel auch die indirekte Art der [apaner, sich auszudrücken, deutlich. Während sie eher ausweichende Antworten geben oder sogar schweigen, stellt der Deutsche sehr direkte Fragen. Damit konunen wir zu einem zentralen Kulturunterschied, nämlich dem zwischen einem direkten und indirekten Kommunikationsstil
Teufelskreis der Missverständnisse
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"Direkt" zu kommunizieren heißt in Deutschland, dass man offen und deutlich sagt, was man denkt und meint, olme die Botschaft besonders zu verschlüsseln. Es kommt auf das "Was" (den Inhalt, die Sache) an und weniger auf das "Wie" (die Art und Weise). Alles, was nicht explizit ausbuchstabiert wird, gilt als nicht gesagt. Dementsprechend nüchtern und sachlich ist dieser Stil, der nach Hall auch als .Jow-contcxt" (also kaum Umgebungsfaktoren berücksichtigend) bezeiclmet wird. Die Kommunikation im Beruf läuft hier eher über offizielle Kanäle, formalisiert und gerne schriftlich. Zu den Kulturen mit einer solchen ,)ow-context"-Kommunikation gehören neben Deutschland - allerdings abgeschwächt vor allem die USA, Schweiz, Niederlande und Skandinavien. Dem stehen fast alle anderen Kulturen gegenüber, die einen indirekten Kommunikationsstil pflegen. Man sagt keineswegs, was man denkt, sondern verschlüsselt seine Botschaften (vor allem negative). Um sie zu verstehen, muss man zwischen den Zeilen lesen können. Es kommt also sehr auf das "Wie", auf den "Kontext" an. Das beinhaltet alles, was neben der rein inhaltlichen, wortwörtlich zu nehmenden Aussage noch eine Rolle spielen könnte und bei der Interpretation einbezogen werden muss: Wer spricht? Zu wem? Wann? Wo? In welcher Situation? In welchem Ton? Mit welcher Mimik und Gestik? usw. In diesen .Jugh-conrexrv-Kulturen (Hall) tauscht man sich lieber mündlich als schriftlich aus und wählt dafür oft informelle Wege. Berichte werden gerne ausgeschmückt und als Geschichten erzählt. Auch setzt man zuweilen gezielt vielfältig interpretierbare Andeutungen ein, zum Beispiel indem man Informationen streut, die sich in den ausgeprägten informellen Netzwerken schnell verbreiten. Formale Prozesse der Informationsweitergabe sind seltener bzw. weniger bedeutsam. In diesen Kulturen muss man auf die kleinsten (nonv erb alen ) Signale achten, um eine Äußerung richtig zu deuten. Weil Angehörigen von ,)ow-context"-Kulturen das sehr schwer fällt, kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Zusätzlich kompliziert wird die Sache für Außenstehende noch dadurch, dass in besonders hierarchischen Kulturen keineswegs durchgängig indirekt kommuniziert wird, sondern der jeweils gewählte Stil eng mit dem Status der Beteiligten verknüpft ist: So kann derjenige, der sich in der höheren Position befindet, durchaus sehr direkt werden (z. B. Chef gegenüber Mitarbeiter, der Ältere gegenüber dem Jüngeren, Kunde gegenüber Lieferant usw.).
3.6
Teufelskreis der Missverständnisse
Was bedeutet das nun für die Interpretation unseres Fallbeispiels? Hier spielt der Kontext "Person des Sprechers (Alter, Erfahrung, Status)" eine entscheidende Rolle, was Herrn Klemper gar nicht bewusst war. Auch seinen Kommunikationsstil hat er nicht angepasst, sondern in seiner direkten deutschen Art die Iapaner mit einer "Warum"-Frage nicht nur irritiert, sondern auch bedrängt. Er seinerseits war befremdet über die in seinen Augen schwammigen Äußerungen der [aparter. Und so konnte ein wahrer Teufelskreis entstehen: Weil der Deutsche nicht zwischen den Zeilen lesen kann, fordert er konkretere Aussagen
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v erhand urigen führen
e in. D ie se Direktheu brü skiert di e [a paner, s ie w e rd en noch indirekt er u nd send e n noch me hr Ko n text-Sig nale, die w ied eru m der De utsche nich t richtig inter p re tiert U 5 W . \Vie a uch so ns t so o ft im Leben, ve rs uchen wir Problem e d ad ur ch z u lösen, da ss w ir " meh r d es se lben " tun. W ir w ied erho len un d v erstä rken ei nfa ch n u r un se r Ve rha lte n u nd ho ffen , d ass es d ann besser funktioniert . Wi r a lle w isse n , da ss da s se lte n e ine e rfo lg re iche Strategie ist!
Abbildung; 3 .2
Te ufe lskre is Ve rhandlungsges präc h
Runde 1: Der Deutsche spricht viel und thematisiert Strittiges . RJJnde 2: Noch kcrsc-ete-e Frage: "Warum ... ?'"
1. unsicher, missverstanden
2. nicht ernst ienorrmen
Teufelskreise z eich ne n sich dadurch au s, dass ein V erhalt en al s unumgän gliche Rea kt ion auf d as V erha lten d es an d eren geseh en wird: "Wenn er ... sagt/nuu llt, dann kann ich doch nicht anders als mit ... zu reagieren." Die Verhaltens- und Handlungsw eisen steh en also in einer W echselwirkung, die den wenig sten A kteuren bew u sst wird. Di ese M ech an ism en entfalten eine Eige ndy nam ik, die die Situ ation z us p itz t, Fron ten ve rh ärtet und au s der m an nur sc hwer w ied er he rausf indet. U m a u s Teufe lsk re isen au sz us te ige n, hil ft nu r ein es : e tw a s a nd e res tun als bisher , u nd zw a r so fr üh w ie mögl ich ! Sta tt immer me h r z u red en, hiitte H err Klem pe r besser meh r gesc hw iegen und z ug e hö rt; s ta tt sein Gegenüber m it immer d ire kte ren Fra gen in d ie Enge z u trei ben . h ätt e er d e n Dr uc k g anz he rausne hm en müssen; falls er se hr sac h lich a rg u men--tiert ha t. w äre even tuell e in Wechs el a uf die Beziehu ngsebene sin nv oll gewesen. O b da mit eine Lösu ng n äh er ge rüc kt w äre, w isse n w ir n ich t. Eines aber h ätte d e r Deutsc he a u f jeden
Schweigen, Gesprächspausen, Sprecherwechsel
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Fall bewirkt: die Iapaner mit einem unerwarteten Verhalten zu überraschen, auf das sie ihrerseits anders hätten reagieren müssen. Und schon ist das "Spiel" unterbrochen und die Chance wächst, den Gesprächen eine neue Richtung zu geben. Teufelskreise analysieren: Übung
Das Wissen um die Dynamik von Teufelskreisen hilft Ihnen, Kommunikationssituationen besser zu durchschauen. Sie halten eher inne und denken darüber nach, was genau schiefläuft, statt darüber hinwegzugehen und "mehr desselben" zu tun. Vielleicht möchten Sie jetzt sofort die Gelegenheit nutzen und eine Situation aus Ihrem Umfeld nach diesem Modell analysieren. Hier ist Raum für illre Notizen:
Darüber hinaus können Sie noch einen zusätzlichen Schritt zur Auflösung von Teufelskreisen machen, nämlich auf die Metaebene gehen. Metakommunikation heißt "über das Reden reden". Sie beschreiben also, was Sie gerade wahrnehmen (z. B. "Ich habe den Eindruck; wir drehen uns im Kreis ... oder "Ich höve. dass Sie ... "). Metakommunikation ist leider im Berufsleben noch nicht allzu verbreitet; deshalb scheuen viele diese Möglichkeit. Dabei ist sie ausgesprochen gut geeignet, Missverständnisse aufzuklären. Allerdings muss man im interkulturellen Kontext sehr vorsichtig sein und in manchen Kulturen ist diese Methode sogar kontraproduktiv! Überall dort, wo man vermeidet, über Befindlichkeiten zu sprechen, Gefühle offenzulegen oder gar Kritik am anderen zu üben, verschlimmern Sie die Situation noch. In westlich geprägten Kulturen mit direkterem Kommunikationsstil funktioniert die Methode eher. Probieren Sie es einmal aus! 11
3.7
Schweigen, Gesprächspausen, Sprecherwechsel
Frank Klemper bemerkt eine typisch japanische Verhaltensweise, nämlich die für sein Empfinden langen Pausen zwischen den einzelnen Beiträgen und häufiges Schweigen auf seine Äußerungen oder Fragen. Abgesehen davon, dass manche seiner Fragen den Japanern tatsächlich unangenehm sind, zeugen ihre langen Gesprächspausen nicht unbedingt und stets von Irritation oder Unsicherheit. Schweigen hat in Japan eine lange Tradition und speist sich aus verschiedenen historischen und religiösen Wurzeln. Es gilt als eine besondere Form der Kommunikation und kann vielerlei Bedeutung haben: vornehme Zurückhaltung, Respekt, Sympathie und Verständnis ebenso wie Unverständnis oder unausgesprochene Kritik - je nach Kontext. Wie folgendes Zitat zeigt, kann mit Schweigen auch ein Appell an die Hilfsbereitschaft anderer ausgedrückt werden:
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Verhandlungen führen
"Die Praxis des Gesichtwahrens und -gebens wird weiterhin von einer impliziten Kommunikationsweise unterstützt. Man versucht; die Gefühle und Bedürfnisse des Gesprächspartners zu erahnen und seine subtilen; nonverbalen Signale zu deuten. Aussagen werden gern mehrdeutig formuliert. Bittet man um Hilfe; so schildert man sein Problem und bricht den Satz dann ab, so dass der Andere auf die (implizite) Bitte eingehen oder sie ignorieren kann. So kann der Bittende sein Gesicht wahren; auch wenn das Gegenüber nicht auf seinen Wunsch eingeht." (Petzold, Ringel, Thomas, S. 48). Um eine so versteckte Bitte herauszuhören, muss der Empfänger sein "Appell-Ohr" (s. Kommunikationsquadrat in Abbildung 1.3, Teil 2) aufgesperrt haben. Und das ist in Beziehungskulturen in der Regel häufiger der Fall als hierzulande. Eine weitere Folge des Schweigens mit dem Ziel, einen Gesichtsverlust zu vermeiden, ist das Verschweigen von Fehlern. Nach japanischer Auffassung sind die Scham und öffentliche Schande, die ein Eingestehen von Fehlern mit sich bringen, größer als der Nutzen. Auch daraus ergeben sich oft Missverständnisse, weil wir hierzulande davon ausgehen, dass Fehler eingestanden oder zumindest gemeldet werden. Zurück zu unserem Fallbeispiel: Wer Gesprächspausen einlegt, zeigt in der japanischen Kultur auch, dass er überlegt. In diese Pause hineinzusprechen, gilt als unhöflich, und jemanden noch während seiner Ausführungen zu unterbrechen, ist völlig tabu. "Wer weiß; spricht nicht. Wer spricht; weiß nichts", wusste schon der chinesische Philosoph Lao Tse. Herr Klemper ist mit seinem Verhalten also mitten ins Fettnäpfchen getreten. Während sich Japaner (und übrigens auch Finnen!) mit längeren Schweigephasen durchaus wohlfühlen, können Deutsche meist nichts damit anfangen und finden sie sogar beunruhigend. Das verführt sie oft dazu, die Stille durch eigenes Reden zu durchbrechen, zum Beispiel mit Fragen oder Wiederholungen, weil sie mangelndes Interesse oder Nichtverstehen vermuten. Genau das, nämlich viel reden und pro-aktiv Gespräche steuern, bestätigt [apanern, was sie bei Vertretern des westlichen Individualismus oft erleben und nicht gerade schätzen. Selbstbewusste Meinungsäußerung und Selbstdarstellung - hierzulande durchaus positiv besetzt - stoßen in Japan auf die Tugenden, sich zurückzunehmen, sich passiv und schweigsam zu verhalten. Darin glauben wiederum wir Deutschen, mangelnde Kompetenz und Unwissenheit zu erkennen. Wieder ein unglücklicher Teufelskreis von Fehldeutungen! Langes Schweigen kann uns auch zu der Annahme verleiten, es handele sich um eine Taktik, um uns zu provozieren oder zu verunsichern und zu zermürben und so zu Zugeständnissen zu bewegen. Egal, wie wir dann darauf reagieren, es ist auf jeden Fall eine Reaktion, die höchstwahrschetnhch auf einer falschen Annahme beruht und dadurch weitere Missverständnisse provoziert. Zugegeben: Schweigen kann tatsächlich auch eine Taktik sein, aber in unserem Fallbeispiel mit japanischen Verhandlungspartnern ist das eher unwahrscheinlich. Schweigen und Pausen folgen den kulturell geprägten Regeln für Sprecherwechsel. Hierzulande gilt es auch als unhöflich, andere zu unterbrechen statt abzuwarten, bis sie zu Ende gesprochen haben. Dennoch wird es zuweilen toleriert und der ursprüngliche Sprecher holt sich nach kurzer Unterbrechung in der Regel das Wort wieder zurück. In Groß-
Kulturell geprägte Verhandlungsstile
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britannien wird das Gebot der Höflichkeit strenger ausgelegt und selten unterbrochen. Anders als bei uns und völlig konträr zum japanischen Stil gelten Unterbrechungen in Lateinamerika und Südeuropa keineswegs als unhöflich. Dort wird es eher als Zeichen großen Engagements und Interesses gewertet, jemandem ins Wort zu fallen, um zuzustimmen.
Wenn Sie wissen, dass Sie Schweigen schlecht aushalten und überhaupt eher ein ungeduldiger Mensch sind, haben Sie es im asiatischen Kulturkreis schwer. Ohne Geduld, viel Zeit und Zurückhaltung in jeglicher Hinsicht werden Sie wenig erreichen. Am besten, Sie üben schon vor Ihrem Besuch mit jemandem ganz bewusst, viele Gesprächspausen zu machen, selbst welche auszuhalten, ruhig.. wenig und eher leise zu sprechen sowie auf sparsame Gestik zu achten. Das soll kein Aufruf zur Schauspielerei sein. Schließlich erwartet man ja nicht, dass Sie sich wie ein [aparter benehmen. Aber eine gewisse Annäherung kann Ihnen Ihre Arbeit sehr erleichtern. Ein Ausweg könnte auch ein begleitender Kollege sein, mit dem Sie sich die Aufgabe teilen und der Sie "bremst". Besonders in der Anfangsphase eines Verhandlungsprozesses ist es ohnehin üblich, mit mehreren Mitarbeitern zu kommen. Darunter sollte auch ein sogenannter ,)eultureller Dolmetscher" sein, der die Gefahr von Missverständnissen verringert und in kritischen Phasen unterstützt. Und kritische Situationen gibt es beim geschäftlichen Umgang mit Japanern nicht wenige. Umfangreiche Regeln der Etikette und des Protokolls sowie komplizierte Rangordnungen sind nur einige der zahlreichen Fallstricke. Abgesehen davon, dass Sie über diese Dinge gut informiert sein sollten, fahren Sie hier mit ausgesuchter Höflichkeit und Freundlichkeit am besten. Sobald Sie Ärger zeigen, verlieren Sie Ihr Gesicht.
3.8
Kulturell geprägte Verhandlungsstile
Zusammenfassend können grob folgende, kulturell bedingte Verhandlungsstile beobachtet werden: Besonders Deutsche (sowie Schweizer und, allerdings etwas abgeschwächt, auch die meisten Nord-, West- und Osteuropäer) gehen sachlich und konfrontativ vor und sind dafür bekannt, ihre Position hart zu verteidigen. Sie gehen davon aus, dass nur einer recht haben kann, und erwarten dementsprechend als Ergebnis einen Gewinner und einen Verlierer. Kompromisse zu schließen fällt schwer. Älmlich verhandelt man im anglo-amerikanischen Kulturkreis, wobei für US-Amerikaner gilt: Auch sie pflegen zwar einen sachlichen Stil und gelten als zähe Verhandier, nehmen den Verhandlungssituationen allerdings durch ihre etwas persönlichere, informelle Art das konfrontative Klima, gemäß dem Motto "Hart in der Sache, weich mit den Menschen". Davon lassen sich Deutsche manchmal täuschen und schließen von Lockerheit auf Flexibilität in der Sache. US-Amerikaner sind im Allgemeinen auch pragmatischer als Deutsche und streben oft eine Win-Win-Situation an, d. h. eine Lösung als gemeinsames Drittes, bei
94
Verhandlungen führen
der beide Parteien auf ihre Kosten kommen. Beiden Gruppen ist aber gemeinsam, dass das gute Geschäft und der kurzfristige Profit und weniger eine tragfähige längerfristige Beziehung im Mittelpunkt stehen. Eine fast diametral entgegengesetzte Auffassung von Verhandlung herrscht in vielen Ländern Asiens vor. Wie das Fallbeispiel aus Japan schon zeigte, wird hier viel Wert darauf gelegt, zunächst eine gute Beziehung aufzubauen, die Harmonie zu wahren und Konsens zu erreichen. Entscheidungsprozesse sind dementsprechend Iangwteng: aufgrund des ausgeprägten Harmoniestrebens und großer Anpassungsfähigkeit sind Kompromisse häufig. Quasi zwischen diesen beiden Polen stehen die Südeuropäer (inkl. Frankreich), Inder, Lateinamerikaner, Afrikaner und die arabische Welt. Diese Gruppe ist allgemein redefreudig, emotional und personenorientiert. Verhandlungen sind ein soziales Ereignis, das nicht nur dem Beziehungsaufbau zum Geschäftspartner dient, sondern auch der Selbstdarstellung. Aufgrund ihrer Neigung, Konfrontationen und Konflikten aus dem Weg zu gehen, sind sie Kompromissen auch zugänglich. Diese Aufstellung ist stark verallgemeinernd und dient lediglich dem Ziel, Ihnen eine grobe Orientierung zu bieten. Wenn Sie Verhandlungen mit Angehörigen einer anderen Kultur in einer anderen Sprache führen müssen, sollten Sie sich auf jeden Fall mit kulturspezifischer Literatur und speziellen Trainings oder Coachings darauf vorbereiten. Schließlich ist Verhandlungsführung schon im eigenen Sprach- und Kulturraum nicht gerade ein Kinderspiel; um wie viel anspruchsvoller diese Aufgabe im internationalen Kontext ist, lässt sich denken.
3.9
Checkliste: Vorbereitung von Verhandlungen
Für einen ersten Schritt zur Vorbereitung finden Sie im Anschluss einige Punkte, die Sie vielleicht in ähnlicher Form auch für Verhandlungen mit deutschen Geschäftspartnern kennen und - soweit möglich - auch berücksichtigen. Neben Ihrer ausführlichen inhaltlichen Vorbereitung kommen für den internationalen Kontext noch einige Fragen hinzu, deren Beantwortung je nach Kultur erfolgsentscheidend sein kann: •
Was ist der beste Ort für die Verhandlung: Büro? Konferenzraum? Restaurant? Golfplatz?
•
Wer nimmt teil (auch: Anzahl, Position, Hierarchiestufe, Alter etc.)?
•
Wie ist die Sitzordnung (auch räumlicher Abstand)?
•
Wie sieht die offizielle/inoffizielle Hierarchie aus?
•
Wie wichtig sind informelle Kontakte (im Vorfeld, während der Verhandlung)?
•
Welcher Verhandlungsstil ist angebracht: Konfrontation? Win-Win?
Grundsätze bei Verhandlungen im internationalen Kontext
•
Welcher Kommunikationsstil herrscht vor: Direkt? Indirekt?
•
Welche Rolle spielen Körpersprache, Gefühle usw.?
•
Wie ist mit Konflikten oder drohendem Gesichtsverlust umzugehen?
•
Welche "Gesetze" gelten für Preisverhandlungen?
•
Wie sieht die Entscheidungsfindung aus: Wer? Wann? Wie lange?
•
Wie bindend ist eine (schriftliche) Vereinbarung oder ein Vertrag?
3.10
95
Grundsätze bei Verhandlungen im internationalen Kontext
Diese Empfehlungen richten sich an alle Leser, die stark von der deutschen Kultur geprägt sind und einen besonders direkten, sachlichen Kommunikationsstil pflegen, der im internationalen Kontext leicht zum Stolperstein wird. •
Der oberste Grundsatz lautet: "Hart in der Sache, weich mit den Menschen." Halten Sie sich vor Augen, dass Ihr Verhandlungspartner genauso wie Sie eine Rolle ausfüllt und aus dieser Rolle heraus berechtigte Interessen vertritt. So können Sie weiterhin zäh um Ihre Position kämpfen und dabei gleichzeitig Ihren Gesprächspartner freundlich behandeln. Begegnen Sie Ihrem Gegenüber von vornherein mit Wertschätzung und bringen Sie das auch zum Ausdruck, auf Englisch zum Beispiel folgendermaßen:
D Business English I appreciate what you've done. I'm very grateful for all your hard work. I see that it' s your responsibility to ... I think you're the expert on ... Leider neigen wir manchmal dazu, genau das Gegenteil davon zu tun, werden nämlich weich in der Sache und hart zu dem Menschen. Das passiert vor allem dann, wenn die Verhandlungen stocken und uns vielleicht die Argumente ausgehen. Dann sehen wir unsere Felle davonschwimmen, werden schwammig und unklar und ersetzen Argumente durch einen ärgerlichen Ton und Ungeduld. Vielleicht pflegen Sie aber auch einen durchgängig harten Verhandlungsstil. Das Problem dabei: Mit dem harten Stil setzen Sie sich vielleicht durch, beschädigen aber die Beziehung. Und was nützt es Ihnen, wenn Sie zwar den Vertrag in der Tasche haben, sich der Geschäftspartner aber überrumpelt oder gar ausgenutzt fühlt und Sie das später in der Zusammenarbeit spüren lässt (z. B. penible Kontrollen, taktische Verzögerungen, Reklamationen bei Kleinigkeiten)? Eine harte Verhandlungstaktik kann aber
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Verhandlungen führen
weitaus negativere Folgen haben, wie in "Internationales Projektmanagement" nachzulesen ist: "Manche Lieferanten verzichten gar auf den Auftrag; weil sie es vorziehen; nur geringen Umsatz zu machen als viel Umsatz mit einem Partner; der sie nicht respektiert und wertschätzt. Dies kann Mehrkosten bedeuten; weil die Güter dann separat von anderer Stelle beschafft werden müssen. (Hoffmann, Schoper, Fitzsimons, S. 2). 1/
•
Gemeinsamkeiten betonen, Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen In diesem Punkt können wir uns viel von beziehungsorientierten Kulturen abschauen! Wenn wir das betonen, was verbindet, und immer wieder herausstellen, dass wir ein gemeinsames Ziel anstreben, haben wir gute Voraussetzungen für den obigen Grundsatz geschaffen. Auf Englisch könnten Sie es etwa folgendermaßen ausdrücken:
D Business English We share a common interest here. I think we both need to ... I would like to focus on points we agree on. Can we identify common ground to begin with? •
Gefühl der Autonomie geben, Widerstände auflösen Dieser Grundsatz ist zwar auch für Verhandlungen in der eigenen Kultur nützlich, aber für Verhandlungen mit Angehörigen von beziehungsorientierten, polychronen, .Jugh-conrext--Kulturen unverzichtbar. Hier sollten Sie keinen Druck aufbauen (z. B. mit Entweder-oder-Szenarien, Fristen, Terminen), sondern immer größtmögliche Entscheidungsfreiheit lassen. Vermeiden Sie brüske Ablehnungen, die unnötigen Widerstand hervorrufen könnten. "Weiche" Formulierungen wären z. B.:
D Business English I appreciate your proposal, but . I see what you mean. Let me just . I'm afraid this puts me in a difficult position. Couldn't we ... ?
4
Präsentationen halten
4.1
Fallbeispiel und Reflexion
Iörg Mater soll eine Produktpräsentation bei einer US-amerikanischen Firma halten. Da viel vom Erfolg seiner Präsentation abhängt, bereitet er sich sehr sorgfältig vor. Als Einstieg wählt er eine kurze Darstellung seines Werdegangs mit aktueller Funktion und einen Abriss der Firmengeschichte, der die Entwicklungsstufen bis zum heutigen Portfolio deutlich macht. Dann trägt er alle relevanten Zahlen und Fakten zusammen, die als Hintergrundwissen zur Erläuterung der technischen Details und der hohen Qualität des Produkts notwendig sind. Er ist mit seinen Vorbereitungen zufrieden: Die Power-PointPräsentation ist gut strukturiert; wie immer zuerst die Hintergrundinfos, dann die Kernaussage. Der Vortrag wird etwa eine Stunde dauern, am Ende ist noch Zeit für Fragen . Iörg Mater reist mit gutem Gefühl in die USA. Zwei Tage später: Jörg Mater ist niedergeschlagen. Er hat das Gefühl, es vermasselt zu haben; nichts lief wie geplant. Schon ganz am Anfang war er irritiert, als zunächst Smalltalk angesagt war. Eigentlich hatte er keine Lust und auch keine Zeit, sein Wochenende und das letzte BaseballMatch zu erörtern; davon verstand er sowieso nichts. Das Lob des CEO an die Anwesenden, dass sie gekommen und zum Teil weit gereist waren, fand er auch ziemlich übertrieben. Er war froh, dass das Vorgeplänkel nicht allzu lange dauerte und er endlich dran war. Als er zelm Minuten präsentiert hatte, unterbrach ihn der CEO mit der Frage nach konkreten Einsatzmöglichkeiten des Produkts. Wie er es hasste, unterbrochen zu werden! Er ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen und verwies darauf, dass er im Verlauf der Präsentation noch darauf zu sprechen käme. Nach einer halben Stunde hatte er den Eindruck, dass sich einige Zuhörer langwellten und andere unruhig wurden. Als wieder Fragen aufkamen, diesmal nach Vorteilen und konkretem Nutzen des Produkts, musste er wohl oder übel von seiner Vorlage abweichen und sofort antworten. Einige der Fragen und Kommentare aus dem Publikum kamen ihm recht naiv, wenig fachkundig und zum Teil überflüssig vor. Die Amerikaner schienen das aber gar nicht zu merken und hörten allen Beiträgen geduldig zu. Herr Mater selber beantwortete einige der Fragen recht kurz und verwies auf seine Unterlagen. Die Zuhörer waren anscheinend zufrieden mit dem Verlauf der Präsentation, Herr Mater jedoch beendete seinen Vortrag sichtlich genervt.
98
Präsentationen halten
Reflexion: Was war geschehen? Bevor Sie weiterlesen, können Sie hier Ihre Interpretation der Geschelmisse notieren: Der Deutsche kam mit der Absicht/dem Ziel
.
Wich.tig war ihm
.
Ere~~~~
.
Ihn irritierte
.
Er war unzufrieden, weil
.
Seme Gedanken während des Vortrags:
.
Die Amerikaner kamen mit der Absicht/dem Ziel
.
Wichtig war ihnen
.
Sie erwarteten
.
Sie waren. irritiert und unruhig, weil
.
illre Gedanken während des Vortrags:
.
4.2
Grundlegende Unterschiede im Präsentationssti I
Iörg Mater hat nach deutschen Maßstäben eigentlich alles richtig gemacht und bei seinen eigenen Landsleuten wäre die Präsentation bestimmt gut angekommen, nur passte der deutsche Präsentationsstil nicht zu den Erwartungen des US-amerikanischen Publikums; Amerikaner sind nämlich etwas ganz anderes gewohnt. Dieses Fallbeispiel ist ein Klassiker unter den interkulturellen Missverständnissen, denn die deutsche und US-amerikanische Art, zu präsentieren, unterscheiden sich erheblich. Wie immer liegt die Tragik der Geschichte darin, dass jede Seite genau das tut, was bisher (in der eigenen Kultur) erfolgreich war. Und jeder gibt sein Bestes, olme zu wissen, dass es in diesem Fall eben nicht passt. Zur Verdeutlichung in Tabelle 4.1 eine Gegenüberstellung der wichtigsten Unterschiede des deutschen und US-amerikanischen Präsentationsstils.
99
Warming-up und überzeugen statt nüchtern informieren
Tabelle 4.1
Präsentieren in Deutschland/Präsentieren in den USA
l
Deutschland Zeitpunkt Beginn
Einstieg
Aufbau
Ziel
Stil
USA
relativ rasch, ohne
erst Smalltalk und Wertschät-
Umschweife
zung des Publikums
sachlich-inhaltlich: Vorstel-
Aufmerksamkeit wecken: Hu-
lung, Thema, Gliederung
mor, Story, persönlicher Bezug
deduktiv: vom Allgemeinen
induktiv: von Einzelfällen zum
zum Besonderen
Allgemeinen
Zuhörer informieren (mit
Zuhörer gewinnen, überzeugen
Zahlen und Fakten)
(mit Slogans)
sachlich-nüchtern
emotional, unterhaltsam;
J
"Show" Sprache
formal, Fachsprache
bildhaft, Umgangssprache
im Mittelpunkt
Sache, Inhalte
Lösung, Nutzen, Zielgruppe
eher ausführlich, bis zu
eher knapp, max. 30 Minuten
stehen Dauer, Umfang
einer Stunde Presenter
Interaktion
4.3
distanziert, konzentriert auf
zugewandt, Entertainer-
Inhalt
Qualitäten
kaum; Fragerunde am
viel; Fragen zwischendurch
Schluss
willkommen
Warming-up und überzeugen statt nüchtern informieren
In diesem Fallbeispiel zeichnet sich schon zu Beginn ab, was in den USA unverzichtbar ist, nämlich möglichst informell, locker und gelassen aufzutreten und auf Smalltalk einzugehen. Eine Besonderheit ist auch, dass man dem Publikum nicht nur Wertschätzung entgegenbringt, sondern sie auch explizit äußert. Jörg Mater findet die besondere Erwähnung des CEO, dass manche Zuhörer von weit her gekommen sind, völlig übertrieben. In der Tat wäre das in Deutschland unüblich, aber in den USA gehört es unbedingt dazu, seine Anerkennung für die "Mühen" der Zuhörer auszudrücken.
Präsentationen halten
100
Grundsätzlich wird in den USA wesentlich mehr gelobt als hierzulande, was im siebten Fallbeispiel (s. 7.7) noch ausführlich Thema sein wird. Hier hätte Herr Mater mehr internationale Kompetenz zeigen müssen. Er hätte sich seinem Vorredner anschließen und ebenfalls einige lobende Worte an sein Publikum richten können. Das wäre die erste Gelegenheit gewesen, etwas Positives zu sagen und damit einen guten Draht zu seinen Zuhörern zu bekommen. Statt direkt mit einer formalen Vorstellung seiner Person und der Firmengeschichte einzusteigen, hätte er außerdem versuchen müssen, auf lockere Art Verbindungen zwischen sich und dem Publikum herzustellen. Als Anknüpfungspunkte bieten sich die jeweiligen Heimatländer und -orte, Ähnlichkeiten in der Firmengeschichte, gemeinsame Erfahrungen oder Bekannte an. Erfolgsentscheidend ist hier oft das Persönliche, die gute Story. In den USA ist, genauso wie bekanntermaßen in Croßbritannien, Humor ein guter Türöffner: Mit einer humorvollen Bemerkung, einer Anekdote oder einem Witz gewinnen Sie fast jedes Publikum im anglo-amerikanischen Kulturkreis. Aber das liegt natürlich nicht jedem. Und dann sollte man es auch besser lassen. Wenn Sie nur etwas persönlicher werden, tun Sie, verglichen mit den meisten Deutschen, schon sehr viel. Auf Englisch könnte das etwa so klingen:
D Business English Let me tell you what happened to me ... I remember when I gave a presentation in
/ about ...
Imagine you are in the following situation . Jörg Mater setzt alles daran, die Amerikaner so umfassend wie möglich zu informieren, damit sie eine Entscheidung treffen können. Zu diesem Zweck bietet er eine detaillierte, durchstrukturierte Präsentation und verteilt viel schriftliches Infomaterial. Er handelt nach den deutschen Prinzipien Faktenorientierung, Sachlichkeit, Ausführlichkeit und Seriosität. Die Amerikaner hingegen finden das Iangwethg. viel zu nüchtern und vor allem zu lang. Sie wollen lieber auf der emotionalen Ebene angesprochen und von Anfang an einbezogen werden. Sie erwarten, kurz und knapp von den Vorteilen des Produkts und vor allem vom Nutzen für sich überzeugt zu werden. Sie erwarten auf die unterschwellige Frage" What's in ii jor me?" (Was habe ich davon?) möglichst schnell eine Antwort: und die könnte auf Englisch folgendermaßen lauten:
D Business English This is important to you because ... "What does this mean to you? "Why am I telling you this? Sowhat?
Sprachstil als Ausdruck von Kundenorientierung
101
Gerade die letzte Wendung mag aus deutscher Sicht etwas salopp klingen, aber USAmerikaner sind unterhaltsamen Slogans eher zugänglich als einem für sie zu nüchternen Vortrag nach dem Schema Anfang-Mitte-Schluss. Anschließend noch in umfangreichen Unterlagen nachzulesen, ist eher unüblich. Hier stoßen zwei Welten aufeinander: Verkaufen durch hohen Informationsgehalt gegenüber Verkaufen durch Überzeugungskraft, wobei geschickte" Verpackung" - einschließlich Übertreibung (auch in der Selbstdarstellung) - durchaus legitim ist. Das aber liegt den wenigsten Deutschen und ein deutsches Publikum verbindet eine solche Präsentation, die zuweilen auch Züge aggressiver Verkaufstaktik haben kann, schnell mit mangelnder Seriosität. Trotzdem wäre Herr Mater gut beraten, sich bis zu einem gewissen Grad an die Erwartungen seines Publikums anzupassen. Olme in aufgesetzte Verkaufstaktik zu verfallen, hätte er mehr Überzeugungsarbeit durch emotionale Ansprache und weniger durch teclmische Informationen leisten können, nach dem Marketinggrundsatz: "Sell the sizzie. not the steak!" Dieser Grundsatz ist auch für Präsentationen vor deutschem Publikum nützlich, denn Überzeugungskraft greift natürlich letztlich auch hier. Entscheidungen werden auch hierzulande nicht ausschließlich aufgrund von Daten und Fakten getroffen, wenngleich das so mancher Entscheider glauben machen will. Lediglich Schwerpunktsetzung und Reihenfolge sind anders als bei US-amerikanischen Präsentationen: Bei uns zählen zuerst faktenbasierte Argumente und die nüchterne Analyse technischer Produktinformationen.
4.4
Sprachstil als Ausdruck von Kundenorientierung
Diese Unterschiede wirken sich auf den Sprachstil aus. In Deutschland wird im Geschäftsleben und besonders bei Vorträgen Fachsprache benutzt. Je fach- und sachkundiger das Publikum, desto ausgeprägter die Fachterminologie. Nicht selten werden hierzulande auch Fachsprache und betont akademische Ausdrucksweise als Mittel eingesetzt, seine Fachkompetenz und höhere Bildung unter Beweis zu stellen. Zuweilen ergibt sich sogar die absurde Situation, dass sich die Zuhörerschaft zwar vom hochwissenschaftlichen Vortrag des Professors stark beeindruckt zeigt, aber inhaltlich kaum etwas mitnimmt. Vielleicht ist der Zweck dennoch erfüllt; dann nämlich, wenn das Publikum gar nicht die Erwartung hatte, inhaltlich zu profitieren. Solche Mittel nutzt jede Kultur: Was in Deutschland die Fachsprache ist, sind in Frankreich Eloquenz und Rhetorik und in den USA eine betont saloppe Ausdrucksweise in Präsentations-Nerkaufssituationen. Die Wahl einer einfachen Sprache hängt auch eng mit der großen Bedeutung der Kundenorientierung in den USA zusammen: Die Zuhörer einer Präsentation werden als Kunden gesehen, selbst dann, wenn kein Produkt, sondern eine Idee oder ein Vorschlag"verkauft" werden soll. Nach dem Grundsatz "Der Kunde ist König" macht man es ihm so einfach und bequem wie möglich, eine Entscheidung zu treffen. Und dazu gehört eben auch, eine
102
Präsen tationen halten
Botschaft leicht ve rst ändlich au fzu berei ten, den für den Kunden entscheidenden N utzen he rauszustel len sta tt sei ne Geduld mit ausholenden Informatio nen zu stra pazieren. Auch der in den USA seh r ausgeprägte Individualismus spielt hie r hinein, nämlich insofern als das Wohl und die Bequemlichkeit des Einzelren im me r im Vor de rgrund stehen sollten: Wer Wormationen anschaulich verpackt und in so kjeiren Häppchen serviert. dass sie jede r versteht und leicht verdauen kann, bedient dieses Bedü rfnis.
Abbildung 4 .1
Input häpp:henweise und verp ackt
+ Input 1
Input 2
Input)
Ma n mag über manche vermemthch unzulä ssige Vereinfachung die Nase rümpfen und die US-Amerikaner sog ar der Oberüädihchkeit bezichtigen - ü brigens ein hierzulande weit verbrei tetes Vorurteil. da s einer klassischen FehlinterpretAtion entspringt. Neidlos anerkennen sollten wir aber, wa s WlS Redner - und nicht:zuktzt angesehene wissen scraftlerl -. aus dem anglo-amerikanischen Kultu rkreis vo rmachen: Wie ma n nämlich komp lexe The men durchaus all gemetrwerstandlich, kurz; und knackig und d abei auch noch unterhaltsam aufbereifen kann. ohne an Gla ubwürdigkeit oder Pechk ompetenz einzubüßen Und wi r allt: wissen me ist au s eigener lei dvoller Erfahrung, um wie viel ans p ruchsvoller es ist, schwieri ge Sachverh alte u nd viele Informationen p rägn ant zusammenzufassen als sie in ep ische r Breite zu referi eren. Hier können w ir von anderen viel I.:m €1\. zum Beispi el auch von \.U1S€1'€r\ nieder länd ischen Nachbarn: ,Yon ZUrücldliutung geprägt ist auch die Sprache, die in Offintlichen Reden und Vvrträgen verwendet w ird. S€lbst in ekademiscben: Reden wird mlch Möglichkeit Allta gssprache ocmxndet. A uch u mgangssprachliche Ausdrücke sina keine S€ ltenheif, denn Fac1ulusdrücke werden schnell als gekünste1f oder überheblich empfunden. l .. .] Auch akademische Titel oder andere A uszeichnunge n trägt man nicht vor sich her, Titel werden daher seltm öffm flich benutzt. (.. .1 Wenn Deutsche in den N iederlanden einen Vortrag hallen, kann es passieren, dJJS selbst ein Pro.fessorentilel im Begleitprogramm weggelassen wird, WQS flilschlicherweise oft als Respektlosigkeit ausgelegt w ird." (Sch1izio , Schürings, Themas, S. 150 f.).
4.5
Rederecht nicht nur für Experten I
Das Gebot, Infcrmaticnen so aufzubereiten, dass sie jeder versteht, hat in d jesem Zus ammenhang noch eine besondere Bedeutung: In einem Uß-amerikanischen Pub likum sitzen nämlich oft ni cht n ur Experten, sondern auch Menschen, d ie ni cht u nbedingt fdchkundig sind Das Hegt vor aD€IIl an der völlig anderen Struktur de s (Au ;;-lBild ungsweS€:rlS. Besanders auf de r Ebene unserer handwerklichen und technischen Fachkräfte, von Meistem
Praxis, Nutzen, Chancen im Mittelpunkt
103
usw. gibt es keine amerikanische Entsprechung. Viele Mitarbeiter sind nach dem Prinzip ,)earning by doing" eher angelernt als fachspezifisch ausgebildet. Das spiegelt in unserem Fallbeispiel auch die Tatsache wider, dass Herrn Mater einige Fragen aus dem Publikum wenig fachkundig oder gar naiv vorkommen. Diesen Umstand beklagen übrigens oft deutsche Techniker und Ingenieure in der Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen. Aber auch etwas anderes spielt hier noch eine Rolle, was viele Deutsche verkennen und was Slate und Schroll-Machl in "Beruflich in den USA" stnngemäg folgendermaßen erläutern: Amerikaner haben grundsätzlich weniger Hemmungen als Deutsche, vor Gruppen zu sprechen. Jahrelange Übung in der Schule macht das freie Vortragen zur Selbstverständlichkeit. Es herrscht nicht (wie oft hierzulande) die Auffassung, dass man nur mit besonders originellen Ideen oder fundierten Argumenten das Recht hat, sich bei einer Diskussion zu Wort zu melden. Auch muss man in den USA nicht unbedingt Experte auf einem Gebiet sein, um vor einer Gruppe einen Vortrag zu halten, wie dieser Auszug untermauert: ,Jür Amerikaner ist klar: freie und gleiche Bürger leben genau auf diese Weise miieinaruier, lernen noneinander. ergänzen und unterstützen einander. Ein Armutszeichen ist es nichi, etwas nicht zu missen, aber sehr wohl; sich dem Lernen zu verschließen. (Slate, Schroll-Machl, S.30). 11
In unserer Gesellschaft billigt man aufgrund des viel ausgeprägteren Hierarchie- und Statusdenkens hauptsächlich Fachleuten Rederecht zu. Wir scheuen Wortmeldungen, wenn wir uns nicht hundertprozentig sicher und sachkundig fühlen. Deshalb finden wir plakative Präsentationen oder einfache Diskussionsbeiträge eines US-amerikanischen Publikums oft zu platt oder gar inkompetent. Aber etwas von der amerikanischen Einstellung könnte uns auch ganz guttun, denn dadurch würden hier vielleicht sogar Redehemmungen abgebaut. Immerhin rangiert das Thema ,leinen Vortrag halten" bei Umfragen hierzulande seit Jahren ganz oben auf der Liste der unangenehmsten Tätigkeiten im Beruf!
4.6
Praxis, Nutzen, Chancen im Mittelpunkt
Eng mit dem Sprachstil verbunden sind auch unterschiedliche Denkstile. Im Deutschen geht man eher deduktiv vor, d. h. vom Allgemeinen zum Besonderen bzw. von der Theorie zur Praxis. In unserem Fallbeispiel heißt das für Herrn Mater: zuerst die Hintergründe in Form von Firmengeschichte, Entwicklung und Produktmerkmalen, danach die Anwendung in der Praxis. Der anglo-amerikanische Stil dagegen ist eher induktiv, d. h. von Einzelfällen zum Allgemeinen bzw. von der Praxis zur Theorie. Für die Amerikaner hätte Jörg Mater also die praktische Anwendung und den Nutzen nicht nur in den Mittelpunkt stellen, sondern auch viel früher thematisieren müssen. Die Fragen seiner Zuhörer schon nach einigen Minuten deuten genau darauf hin. Diese unterschiedlichen Denkstile machen sich nicht nur bei Präsentationen bemerkbar, sondern auch in anderen Bereichen deutschamerikanischer Zusammenarbeit.
104
Präsentatione n haLten
Abbildung 4.2
Was zue rst ?
~I ~G L ,----I Theo rie
Theori e
Im Zusammenhang
damit steht die ausgeprägte H andlungsorie:ntierung d er U SAmerikaner . Da s ganze Leben ist nach dem Grundsatz .Doin g rather than talk in g " aus gerichtet . M an definiert sich übe r Aktivität, berufliche Leistung und Effizienz: Inta llektualisrrrus, T heoretisieren und gründl iches Erforschen eines Gegenstands w erden weniger geschätzt. Da s f ührt au ch zur Vorliebe für s chnelle Ent scheidungen nach dem Prinzip "Versuch und Ir rtum ", w o am erikanis che und deuts che Ku lturstand ards h art aufsin anderpraljen. Wa s w ir Deutsche leich t al s " oberflächli ch€ Schnellschüsse und Akti onismu s" kri tisieren, hat eine lange Tradi ücn, deren Wurzeln in der Besie dlungsge schich te zu suchen sind.: Hart e, k örperliche Arbeit der Einw anderer, verstärkt durch d en Pu ritanismus sowie Abenteuergei st und mutiges Au sp rob ieren fü h rte n zum Erfolg.
Empfehlung: Legen Sie den Schwerpunkt auf Nutzen u n d Lösungen sta tt auf allz u akribische Problem- oder Ursachenanalyse. Un d richten Sie Ihre Präsentati on lieber etwas op timi stis cher aus, als Sie es fü r ein deutsches Publikum tun würden.
Dialog und Entertainment?
4.7
105
Dialog und Entertainment?
Wie lange ein Vortrag oder eine Präsentation dauern darf, hängt von der Aufmerksamkeitsspanne ab. Und die ist in jeder Kultur unterschiedlich lang. Deutsche Zuhörer gehören weltweit zu den geduldigsten: Sie können einem Vortrag eine Stunde oder sogar länger zuhören. Fast so hoch ist die Aufmerksamkeitsspanne nur noch in Japan und (etwas geringer) in Skandinavien. In den USA hingegen beträgt die Aufmerksamkeitsspanne nur die Hälfte dieser Zeit, nämlich dreißig Minuten; übrigens älmlich wie in den meisten anderen Kulturen. Kein Wunder also, dass bereits nach der Hälfte der einstündigen Präsentation von Herrn Mater Unruhe und zunehmende Ungeduld aufkamen! Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, dass Herr Mater keine Fragen während seines Vortrags eingeplant hatte, die zur Auflockerung hätten beitragen können. Zwar geht er auf Zwischenfragen ein, fühlt sich dadurch aber in seinem Konzept gestört, denn in Deutschland ist eine Fragerunde eher im Anschluss an die Präsentation vorgesehen. Das ist in den USA ganz anders: Dort werden Unterbrechungen durch Fragen nicht nur toleriert, sondern sie sind um der Lebendigkeit willen sogar ausdrücklich erwünscht. Als deutscher Presenter ist es also ratsam, sich auf diese andere Praxis einzustellen und mehr Interaktion mit dem Publikum zu suchen. Deshalb sollten Sie auf ein allzu starres und detailliert ausgearbeitetes Redemanuskript verzichten und stattdessen ein grobes Gerüst mit Ihren Kernaussagen und wichtigsten Grafiken als roten Faden benutzen. Besonders vor US-amerikanischem Publikum müssen die Kernaussagen als Überblick möglichst gleich zu Beginn kommen. Scheuen Sie auch kurze, plakative Aussagen nicht. Mit einem eher groben roten Faden sind Sie am flexibelsten und mit Stichworten statt ausformulierten Sätzen verfallen Sie nicht so leicht in lange, schwer verständliche Monologe. Bei Bedarf können Sie immer noch auf Detailinfos und ergänzende Folien, die Sie natürlich in der Hinterhand haben, zurückgreifen. Übrigens sind dreißig Minuten Aufmerksamkeitsspanne und weniger auch durch die Hirnforschung belegt und in Präsentationsschulungen wird auch hierzulande mittlerweile empfohlen, diese Zeit für einen Vortrag möglichst nicht zu überschreiten. Abbildung 4.3 zeigt eine nützliche Formel für jegliche Art von Rede. Optische Unterstützung Ihres Vortrags durch Bilder, Grafiken etc. ist nicht nur in den USA ein wichtiger Erfolgsfaktor. Aber anders als hierzulande wird unterhaltsame und kreative Visualisierung erwartet; mit einem Stapel Textfolien, selbst wenn sie liebevoll "dekoriert" und ggf. animiert sind, können Sie kaum punkten. Wenn Sie diese dann noch vorlesen, wie man es hierzulande immer noch oft erlebt, haben Sie verloren!
Präsentationen halten
106
Abbildung 4.3
KISS
• KISS! Keep It Short & Simple
C1
1
Kommen wir noch konkreter zur Rolle des Presenters: Bei der Überschrift; Entertainment" sind Sie vielleicht schon zusammengezuckt, denn Sie sehen sich als Vortragender in der Geschäftswelt wahrscheinlich eher nicht als Entertainer. Für uns Deutsche sind diese Rollen kaum miteinander vereinbar, in den USA (und abgeschwächt in anderen englischspraehigen Ländern) schon. Was hierzulande leicht als unseriös gilt, wird dort hoch geschätzt und Sie können enorm punkten, wenn Sie sich, wenigstens in Ansätzen, auf die Rolle des unterhaltsamen Presenters einlassen. Es geht dabei nicht darum, dass Sie wie ein Marktschreier auftreten, völlig übertriebene Selbstdarstellung betreiben oder ständig Witze erzählen. wenn Sie nur ein bisschen lockerer, lebendiger und weniger distanziert auftreten, als es hier üblich ist, sind Sie schon auf einem guten Weg. Übrigens gehört zur "Show" auch, dass Sie illre Leistungen und Erfolge herausstellen; Anerkennung und Status gewinnen Sie eher durch Leistung als durch Funktion oder Titel. Weil Letztere viel weniger zählen als hierzulande, ist in dieser Hinsicht eher Understatement angebracht.
4.8
Konsequenzen für Ihre nächste Präsentation
Reflexion Was heißt das nun für Sie, wenn Sie illre nächste Präsentation vor einem amerikanischen Publikum planen? Was würden Sie anders machen als bisher? Empfehlung: Lieber ein oder zwei Veränderungen, hinter denen Sie wirklich stehen, als viele, die Sie nur halbherzig übernehmen und die deshalb leicht aufgesetzt wirken können!
Unterschiede und Parallelen zu anderen Kulturen
107
Vielleicht fällt es TImen nicht leicht, Ihren Stil umzustellen und sich anzupassen. Möglicherweise halten Sie Ihren bzw. den deutschen Präsentationsstil für den effizienteren und besseren. Das ist nur allzu verständlich, denn jede Kultur (genau wie jedes Individuum) hält das Eigene, Bekannte für das Beste. Das ist aber nicht immer zielführend! Es geht ja auch nicht darum, sich extrem zu verstellen und seinem Naturell völlig zuwiderzuhandeln. Überanpassung wirkt ohnehin unglaubwürdig: Wenn Sie z. B. ein eher rationaler Mensch sind, wirken hochemotionale Reden a la amerikanischer Präsidentschaftskandidaten wohl eher deplatziert. Bedenken Sie auch, dass manche Zuhörer Urnen mit Erwartungen an "typisch deutsches" Verhalten begegnen und diese zumindest teilweise erfüllt sehen wollen. Überraschen Sie dann Ihr Publikum positiv mit Abweichungen vom Klischee und zeigen Sie damit Wertschätzung für Gepflogenheiten des Landes, also internationale Kompetenz.
Was können Sie auch für Ihr deutsches Publikum nutzen? Es ist keine Neuigkeit, dass sich Elemente des amerikanischen Vortragsstils international und auch hierzulande immer mehr durchsetzen. Und das zu Recht: Bildhafte Sprache, anschauliche Visualisierung, Fallbeispiele und Interaktion mit den Zuhörern sind unterhaltsamer, bleiben besser im Gedächtnis haften und überzeugen eher als sachlich referierte Zahlen und Fakten. Benutzen Sie so viel wie möglich davon, selbst wenn Sie ein eher nüchterner Zahlenmensch sind. Keine Sorge: Sie werden dadurch noch lange nicht zum Schauspieler, und Ihrer Kompetenz und Glaubwürdigkeit tut es auch keinen Abbruch - im Gegenteil! Es geht ja nicht darum, zu lügen oder wichtige Informationen zu unterschlagen, sondern vielleicht nur um eine Akzentverschiebung. So könnten Sie zwar nach wie vor größten Wert auf Informationen legen, diese aber attraktiver"verpacken".
4.9
Unterschiede und Parallelen zu anderen Kulturen
Aber Sie sollten auch wissen, dass Sie nicht überall und in allen Punkten mit dem amerikanisch geprägten Präsentationsstil richtigliegen. Für andere englischsprachige Länder gilt mit Nuancen grundsätzlich das bisher Ausgeführte. Der größte Unterschied aber liegt im Auftreten des Presenters: Hier gilt bekanntermaßen besonders für Crorsbrttanmen das Gebot des Understatements. Demnach kommen übertriebene Selbstdarstellungen und eine besondere Betonung der eigenen Leistungen weniger gut an als in den USA. Dasselbe gilt für China und Japan. Hier sollten Sie sich nicht nur in Bescheidenheit üben, sondern auch Signale des Understatements richtig interpretieren: Wenn sich nämlich ein Chinese oder Brite gleich zu Beginn für seine mangelnde Vorbereitung oder gar Inkompetenz auf dem Gebiet seines Vortrags entschuldigt, sollte Sie das nicht irritieren. Gemeint ist nämlich eher das Gegenteil.
108
Präsentationen halten
Stark verallgemeinernd gesagt, fahren Sie im asiatischen Kulturkreis mit dem hiesigen Präsentationsstil besser als mit dem US-amerikanischen. Ähnlich sind uns zum Beispiel Japan hinsichtlich der großen Ausdauer beim Zuhören, der eher sachlichen Art, der Vorliebe für Details und dem ausgeprägten Interesse am Unternehmen, dessen Entwicklung und Erfolge (als Indiz für Vertrauenswürdigkeit und den guten Ruf). Auf der anderen Seite bestehen Parallelen zwischen Japan und den USA in einer sehr ausgeprägten Kundenorientierung, die sich in Präsentationen als Eingehen auf Publikumsbedürfnisse niederschlägt. Im Hinblick auf den Sprachstil stellt Frankreich gewissermaßen eine Besonderheit dar. Hier hat man nicht zwischen Fachsprache und Umgangssprache die Qual der Wahl, sondern muss sich auf eine ganz andere Art einstellen, wie sie in "Beruflich in Frankreich" sehr treffend erläutert wird: "Die Vorträge von Franzosen sind ausgeklügelte Elaborate; versehen mit literarischen und historischen Anspielungen [...] Großer Wert wird auf die Originalität eines Vortrags sowie seine geistreiche Präsentation gelegt und weniger auf die Vermittlung bloßer Zahlen und Fakten. Stilistische und rhetorische Fähigkeiten werden in diesem Zusammenhang gegenüber dem Inhalt favorisiert. Originelle; neue Ideen; auch wenn sie etwas oberflächlich oder absurd erscheinen mögen. werden von Franzosen geschätzt; solange sie geschickt verpackt und elegant vorgebracht werden." (Mayr, Themas, S. 117.)
4.10
Tipps und Checkliste: Internationale Präsentationen
Vorlieben, Gewolmheiten und Präsentationsstile sind also zum Teil konträr - keine leichte Aufgabe, wenn Sie ein international zusammengesetztes Publikum haben. Wessen Bedürfnisse sollen Sie befriedigen? Sollen Sie eher ausführlich reden oder sich kurz fassen? Eher emotional oder nüchtern? Mehr Show oder lieber Understatement? Fokus auf Kundennutzen oder Historie des Unternehmens? Monolog oder Interaktion? Leider gibt es keine Patentrezepte. Wenn Sie in Ihrem Publikum tatsächlich Zuhörer aus aller Herren Länder haben, müssen Sie sich auf Ihr Gespür verlassen und flexibel auf Bedürfnisse reagieren können. Das können Sie aber nur, wenn Ihnen zum einen Ihr eigener Stil bewusst ist und Sie zum anderen über ein Repertoire an kulturell angepassten Präsentationsstilen verfügen. Außerdem wird Sie die Erfahrung lehren, welcher Stil für welche Publikumszusammensetzung funktioniert. Als Faustregel gilt immer: So authentisch wie möglich, was aber kein Freibrief für die Beibehaltung jahrelanger Gewolmheiten ist! Wenn Sie eine Präsentation vor einem monokulturellen Publikum halten wollen, informieren Sie sich möglichst vorab über den dort üblichen Kommunikations- und Präsentationsstil. Klären Sie für sich insbesondere die folgenden Fragen: •
Wie sehen Zuhörgewohnheiten und Aufmerksamkeitsspannen aus?
•
Was erwarten die Zuhörer inhaltlich: eher technische Details, Nutzenargumente, Überzeugungsarbeit?
Tipps und Checkliste: Internationale Präsentationen
109
•
Welcher Stil kommt gut an: sachlich, emotional, nüchtern, unterhaltsam, persönlich, locker?
•
Welche Sprache wird erwartet: eher formal oder informell? Fachsprache oder Umgangssprache? Rhetorisch brillant oder nüchtern?
•
Wie sind Präsentationen landestypisch aufgebaut: deduktiv oder induktiv? Stark oder weniger stark durchstrukturiert?
•
Inwiefern ist Interaktion mit dem Publikum üblich? Smalltalk? Fragen zwischendurch oder am Schluss?
•
Womit kann der Presenter in seinem persönlichen Auftreten punkten?
Wenn Sie darauf Antworten gefunden haben, entscheiden Sie, in welchen Punkten Sie sich an den landestypischen Stil anpassen wollen und können.
5
Besprechungen leiten
5.1
Fallbeispiel und Reflexion
Als verantwortlicher für die Neuausrichtung der Marketingaktivitäten einer Hotelkette hat Herr Reimers ein zweitägiges Strategiemeeting einberufen. Teilnehmer sind vier seiner Mitarbeiter, die als Niederlassungsleiter an Standorten in Deutschland (Frau Bach), Großbritannien (Herr Brown), China (Herr Huang) und in der Türkei (Herr Gündüz) tätig sind.
Nachdem Herr Reimers das Thema umrissen hat, schlägt er ein kurzes Brainstorming vor, um spontane Ideen zu sammeln. Herr Brown geht sofort darauf ein und formuliert mehrere Ideen. Auch Frau Bach beteiligt sich am Brainstorming, während Herr Gündüz und Herr Huang keinerlei Anstalten machen, etwas beizutragen. Herr Reimers wundert sich zwar etwas, geht aber zum nächsten Tagesordnungspunkt über, nämlich der Vorstellung eines Konzepts, das er ausgearbeitet hat und heute besprechen möchte. Ihm fällt auf, dass besonders Herr Huang während seiner Erläuterungen eifrig nickt; Herr Reimers freut sich, dass seine Vorschläge anscheinend gut ankommen. Im Anschluss fordert er die Teilnehmer zur Stellungnahme auf und betont ausdrücklich, dass auch kritische Kommentare, Gegenvorschläge und Ergänzungen sehr willkommen seien. Ihm sei besonders daran gelegen, Einschätzungen zur Praktikabilität seiner Vorschläge vor Ort zu erhalten. Als zunächst Schweigen herrscht, beschließt Herr Reimers, einzelne Teilnehmer direkt anzusprechen, um das Eis zu brechen. Er wendet sich zuerst an seinen chinesischen Mitarbeiter, von dem er aufgrund seiner Mimik Zustimmung erwartet. Herr Huang reagiert etwas überrascht, geht aber sofort lobend auf das Konzept ein und meint, es sei sehr gut und es gäbe sicher keinerlei Probleme bei der Umsetzung. Herr Gündüz schließt sich mit einem ähnlich positiven und kurzen Beitrag der Meinung seines Vorredners an. Daraufhin meldet sich die deutsche Kollegin Frau Bach zu Wort und äußert ihre Bedenken zu mehreren Punkten des Konzepts; unter anderem sei ihrer Meinung nach der Zeitplan für die Durchführung der Maßnahmen zu knapp bemessen. Sie begründet ihren Einwand ausführlich und macht einen Gegenvorschlag. Herr Brown aus Großbritannien scheint ihr beipflichten zu wollen, drückt sich aber auf eine so indirekte Weise und in Frageform aus, dass Herr Reimers nicht ganz schlau daraus wird - zumal der Brite gleichzeitig andere Punkte seines Konzepts lobend hervorhebt. Herr Gündüz nickt heftig zum Lob des Briten, schaut aber anschließend etwas irritiert in die Runde und äußert sich nicht mehr. Herr Huang lächelt alle an und antwortet auf eine direkte Nachfrage von Herrn Reimers, dass er mit allem, was gesagt wurde, völlig einverstanden sei. Der Deutsche kann damit nun gar nichts anfangen, denn schließlich liegen ja konträre Einschätzungen auf dem Tisch ...
Unterschiedliches Verhalten am Besprechungstisch
111
Reflexion Wie interpretieren Sie den Beginn dieser Besprechung? Was fällt Ihnen auf?
Was denken, empfinden, erwarten die Beteiligten? Herr Reimers:
Herr Huang:
Herr Gündüz:
Frau Bach:
Herr Brown:
Welche Kulturunterschiede spielen hier wohl eine Rolle?
5.2
Unterschiedliches Verhalten am Besprechungstisch
Bevor wir zur Interpretation dieses Fallbeispiel kommen, noch einmal der Hinweis, dass in diesem Fall nicht notwendigerweise oder ausschließlich kulturbedingte Verhaltensweisen eine Rolle spielen müssen. Die Diskussion könnte durchaus so ähnlich auch in einem deutschen Teilnehmerkreis ablaufen, und wer sich wie und wozu äußert, könnte ganz andere Hintergründe haben als ausgerechnet kulturelle. Allerdings ist bei dieser Zusammensetzung die Wahrscheinlichkeit groß, dass Chinesen, Türken, Deutsche und Briten so oder älmlich kommunizieren würden. Herr Reimers scheint einen kooperativen Führungsstil zu pflegen. Er eröffnet das Meeting mit einem lockeren Brainstorming.. um erste Ideen zusammenzutragen. Außerdem ist er offen für Feedback an seinem Konzept und an der Meinung seiner Mitarbeiter interessiert. Gehen wir einmal davon aus, dass das nicht nur Rhetorik, sondern ehrlich gemeint ist. Die Reaktionen darauf stellen sich in der Übersicht folgendermaßen dar:
112
Besprechungen leiten
Tabelle 5.1
Reaktionen am Besprechungstisch
I
Beteiligung
Lob
Einwand
Frau Bach (D)
./
--
./
Herr Brown (GB)
./
./
?
Herr Huang (eHN)
--
./
--
Herr Gündüz (TR)
--
./
--
5.3
I
Hierarchie und Autorität
Beginnen wir, die Reaktionen des chinesischen und türkischen Niederlassungsleiters näher zu betrachten. Beide beteiligen sich nicht am Brainstorming, denn diese Art der Mitarbeiterbeteiligung ist in hierarchischen Strukturen eher unüblich. Herr Huang äußert sich nur auf explizite Aufforderung seines Chefs hin, und zwar lobend. Einwände oder Gegenvorschläge formuliert er nicht. Älmlich verhält sich Herr Cündüz. Zwar ist nicht auszuschließen, dass beide Mitarbeiter tatsächlich keine Einwände haben, aber besonders ihr überschwängliches Lob deutet auf andere Gründe hin: Grundsätzlich dürfte für beide die Situation, vom Vorgesetzten nach ihrer Meinung gefragt zu werden, ungewolmt sein. Schon gar nicht rechnen sie mit einer Aufforderung des Chefs, sich ehrlich zu äußern und seine Arbeit zu beurteilen. Aufgrund des großen Statusunterschieds hielten sie ein Eingehen darauf auch für Anmaßung und Überschreitung ihrer Kompetenzen, denn schließlich gebührt dem Chef als Autoritätsperson allzeit Respekt und seine Entscheidungen sind nicht zu hinterfragen. Bei Herrn Huang spielt noch der Aspekt des "Gesichtwahrens" eine große Rolle, den wir später ausführlich betrachten (s. 5.7). Indem der Chinese zum Schluss alle anlächelt und allen zustimmt, "gibt" er ilmen "Gesicht". Das verwirrt Herrn Reimers und ist für ihn vielleicht sogar Anlass, auch die vorangehenden lobenden Worte infrage zu stellen. Kultureller Hintergrund ist hier die ausgeprägte Hierarchieorientierung - ein Kulturstandard, der in vielen Ländern verbreitet ist und meist mit einem eher autoritären Führungsstil einhergeht. So manche deutsche Führungskraft mit einem eher kooperativen, partizipativen Stil ist schon an dieser Hürde gescheitert, weil sie nicht darauf vorbereitet war, dass eher Vorgaben und Anweisungen als Einbeziehung erwartet wurden. Aus der Sicht von Mitarbeitern einer hierarchisch geprägten Gesellschaft ist ein Vorgesetzter allwissend und trifft Entscheidungen eigenmächtig, olme die Mitarbeiter direkt zu konsultieren. Deren Part besteht meist im Zusammentragen relevanter Daten und Informationen als Entscheidungsvorlage. Mitarbeiter in wichtige Entscheidungen direkt (und womöglich persönlich) zu involvieren, sich mit ihnen zu beraten oder sogar eigene Konzepte zur Disposition zu stellen, zeugt in diesen Kulturen von Unsicherheit und mangelnder Kompetenz. Diese "Blöße" möchte sich keine Führungskraft geben.
Sachlichkeit und Direktheit
113
In diesem Zusammenhang ist auch das Brainstorming zu sehen. Aus dem Blickwinkel hierarchiebewusster Kulturen zeigt sich der Vorgesetzte mit dem Einsatz dieser Methode als jemand, der eben nicht alles weiß, sondern auch auf die Ideen der Mitarbeiter angewiesen ist. Herr Gündüz und Herr Huang haben sich auch deshalb nicht am Brainstorming beteiligt, weil sie befürchteten, etwas "Falsches" zu sagen - "falsch" im Sinne von abweichend von der Chefmeinung. Zum besseren Verständnis und als Beleg dafür, wie tief das Hierarchiedenken etwa in der türkischen Kultur verankert ist, ein Auszug aus "Beruflich in der Türkei": "In der gesamten türkischen Gesellschaft spielen Hierarchien im Umgang mit den Mitmenschen eine entscheidende Rolle. Für die Einhaltung der Hierarchien ist eine weitere zentrale Verhaltensnorm der türkischen Kultur [ ... ] verantwortlich; nämlich [... ] Achtung; Respekt [... ] - ein sozialer und gradueller Wert; dessen Funktion vor allem darin besteht; das hierarchische Verhältnis der Autorität zu regeln [ ... ]".(Appl, Koytek, Schmid, S. 86). Weiter führen die Autoren aus, dass dieser Wert auch im unternehmerischen Kontext deutlich wird, nämlich in Form eines paternalistischen Führungsstils. Hier klingt schon an, was unter 6.4 noch einmal ausführlicher Thema sein wird: Paternalismus, ein durch gegenseitige Verpflichtungen charakterisiertes Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeitern. Verkürzt gesagt: Loyalität und Respekt gegen Wohlwollen und Fürsorge (auch bei privaten Angelegenheiten).
5.4
Sachlichkeit und Direktheit
Das Verhaltensmuster der deutschen Teilnehmerin Frau Bach sieht ganz anders aus. Sie bringt beim Brainstorming ihre Ideen ein und später äußert sie offen ihre Bedenken zum Chef-Konzept, argumentiert sachlich und macht einen Verbesserungsvorschlag, so wie sie es aus Meetings mit deutschen Teilnehmern gewolmt ist. Sie konzentriert sich also auf das f;Was" und weniger auf das flWie", womit wieder die für Deutsche typische ausgeprägte Sachorientierung, der direkte Kommunikationsstil und eine gewisse Kritikfreude sichtbar werden. Gepaart mit einem mittel bis gering ausgeprägten Hierarchie- und Autoritätsdenken führt es dazu, dass sie auch vor ihrem Vorgesetzten sagt, was sie denkt, natürlich nicht über den Chef, sondern dessen Konzept (die Sache). Angehörige stärker hierarchisch denkender Kulturen sehen dieses Verhalten als Respektlosigkeit, während man sich hierzulande Respekt gerade durch Beteiligung, Äußerung des eigenen Standpunkts und generell eher durch Handeln als durch Passivität verdient. Ganz besonders handlungsorientiert sind US-Amerikaner. Hier wird man überwiegend daran gemessen, was man tut, und weniger daran, wer man ist - ein grundlegender Unterschied zwischen individualistischen, leistungsorientierten und stark hierarchisch strukturierten Gesellschaften.
114
Besprechungen leiten
5.5
Beziehungsorientierung und Indirektheit
Für den britischen Mitarbeiter sind Brainstormings eine gewolmte Routine, vor allem zu Beginn von Meetings; deshalb beteiligt er sich ganz selbstverständlich daran. In der Feedbackrunde zum Chef-Konzept achtet er, im Gegensatz zu Frau Bach, sehr wohl auf das "Wie", indem er nämlich das Positive hervorhebt und gleichzeitig das Negative (den Einwand gegen den Zeitplan) durch indirekte, diplomatische Formulierungen abschwächt. Der Grund dafür liegt hier weniger im Hierarchiedenken als vielmehr in der stärkeren Beziehungsorientierung. Er nimmt auf die Gefühle seines Chefs genauso Rücksicht, wie er es gleichgestellten Kollegen gegenüber tun würde. Indem er Gemeinsames hervorhebt und Trennendes nur "durch die Blume" anspricht, wahrt er die Harmonie und vermeidet Konflikte. Die Art von Frau Bach dürfte ihm sehr brüsk und unhöflich vorkommen. Herr Reimers als Adressat der britisch verpackten Botschaft wiederum ist eher die direkte Art von Frau Bach gewohnt und findet Herrn Browns Äußerungen offenbar verwirrend. Das ist übrigens eines der häufigsten Kommunikationsprobleme in der deutsch-britischen Zusammenarbeit. Die britische Art, höflichen Widerspruch zu äußern, Einwände oder Gegenvorschläge diplomatisch zu formulieren und bestimmte Wörter als" Weichmacher" einzusetzen, können Sie sich auch aneignen. Im Folgenden einige Beispiele:
D Business English
5.6
-
I'm not sure, because ...
-
Hmm, that' s an interesting idea ...
-
I almost agree.
-
Having said that, it' s also true that .
-
WeIl, we quite like that, however,
-
I'm afraid I'm not quite with you on that one.
.
Hierarchiebewusstsein in unterschiedlicher Ausprägung
Um den in unserem Fallbeispiel sehr pointiert dargestellten Kulturunterschied etwas zu relativieren, sei der Vollständigkeit halber erwälmt, dass man natürlich auch hierzulande unterschiedliche Ausprägungen von Hierarchieorientierung und Autoritätsdenken vorfindet. Die im Beispiel skizzierte Situation, dass ein Vorgesetzter seine Mitarbeiter um Feedback zu seinem Konzept bittet, ist auch in deutschen Unternehmen nicht unbedingt die Regel - jedenfalls dann nicht, wenn wirklich ehrliche und ggf. kritische Rückmeldungen erwünscht sind und diese tatsächlich olme Repressalien aufgenommen werden. Welcher Grad von Hierarchie- und Autoritätsdenken tatsächlich herrscht, hängt von vielen Fakto-
Hierarchiebewusstsein in unterschiedlicher Ausprägung
115
ren ab: von der Unternehmenskultur, vom propagierten Führungsstil, vom Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeitern und nicht zuletzt auch von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen der Mitarbeiter. Von daher kann es tatsächlich in bestimmten Unternehmen und Situationen vorkommen, dass sich ein Deutscher ähnlich zurückhält wie der Türke. Nicht umsonst sagt man uns Deutschen ja in manchen Fällen sogar ausgesprochen konformistisches Verhalten und vorauseilenden Gehorsam nach! Der umgekehrte Fall, dass sich also ein Chinese oder Türke wie Frau Bach in unserem Fallbeispiel verhält, ist dagegen ziemlich unwahrscheinlich, selbst wenn es sich um Chinesen oder Türken mit internationaler Studien- oder Berufserfahrung handelt. Die kulturelle Prägung ist in diesem Bereich meist so stark, dass ein völlig anderes Verhalten als das traditionelle selten ist. Eher wäre dann eine Angleichung an das britische Kommunikationsmuster wahrscheinlich: Zunächst ausführlich das Positive, Gemeinsame betonen, um dann diplomatisch und indirekt einen Einwand zu formulieren. Hierarchieorientierung finden wir, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, bei der Mehrheit der Kulturen. Neben der Türkei gelten die arabischen Golfstaaten, China, Japan, Russland, Brasilien, Frankreich und Österreich als eher hierarchisch orientiert. Großbritannien, Deutschland und die Schweiz nehmen eine mittlere Position ein, während Skandinavien (außer Finnland), die Niederlande und die USA eher flache Hierarchien mit entsprechend egalitärem Denken aufweisen. Nach einer Erhebung von Trompenaars/HampdenTurner stellen sich die hierarchischen Unterschiede wie in Abbildung 5.1 dar. Allerdings ist der Sachverhalt komplexer, als diese Übersicht vermuten lässt, denn Hierarchiebewusstsein äußert sich auf unterschiedliche Weise. Ein typisches Beispiel sind die USA, die hier am unteren Ende der Hierarchieausprägung rangieren. Tatsächlich spielen in den USA äußere Symbole von Macht und Status (z. B. repräsentatives Büro, teurer Dienstwagen) eine geringere Rolle als hier. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hierarchieunterschiede vorhanden und auch jedem bewusst sind. Bezogen auf unser Fallbeispiel wäre es also falsch anzunehmen, US-Amerikaner würden sich ihren Chefs gegenüber ähnlich offen und kritisch äußern wie Deutsche. Vielmehr hält man sich mit Widerspruch zu Statements oder Vorschlägen von Vorgesetzten zurück, weil man Nachteile für die weitere Karriere befürchtet - sicherlich nicht zu Unrecht, wenn man sich die Praxis des "Hire & Fire" und die geringe soziale Absicherung vor Augen führt. Die trotz aller Aufweichungstendenzen noch immer relative (!) Sicherheit von Arbeitsplätzen hierzulande trägt nicht zuletzt dazu bei, dass auch kritische Meinungen olme allzu große Angst vor Jobverlust geäußert werden können.
Besprechungen leiten
116
Abbildung 5.1
Hierarchieorientierung (nach Trompenaars, Hampden-Turner, S. 163; Abbildung in Anlehnung an Gibson, 2000, S. 76)
Türkei China
Österreich Brasilien
Frankreich
Japan
Finnland
Großbritannien Deutschland Schweiz
Niederlande Skandinavien (außer Finnland)
USA
Am deutlichsten zeigt sich geringe Hierarchieorientierung in den Niederlanden, wie folgender Auszug belegt: "Niederländische Mitarbeiter sind bereit; sich zu engagieren; sehr viel für den Vorgesetzten zu tun - aber nur; wenn sie wissen; weshalb. Sie sind dem Chef gegenüber sehr selbstbewusst und äußern deutlich; was ihnen nicht passt. Wenn sie von einer Aufgabe nicht überzeugt sind; kann es häufig vorkommen; dass sie diese nicht ausführen. [...] Niederländische Chefs werten widersprüchliche Meinungen generell als positives kritisches Mitdenken der Mitarbeiter. (Schlizio, Schünngs. Themas, S. 30 f.). 1/
Konflikte vermeiden und Gesicht wahren
5.7
117
Konflikte vermeiden und Gesicht wahren
In unserem Fallbeispiel gerät noch ein wichtiger Kulturunterschied in den Blick, der mit ausgeprägter Personenorientierung und indirektem Kommunikationsstil einhergeht: der Wunsch nach Konfliktvermeidung zur Aufrechterhaltung der zwischenmenschlichen Harmonie. Besonders Menschen aus kollektivistischen Kulturen, in denen eine freundschaftliche Atmosphäre am Arbeitsplatz über allem steht, in denen Mitarbeiter ihr Team vielleicht sogar als ihre "Familie" bezeichnen würden, setzen alles daran, Missstimmungen jeglicher Art zu vermeiden. Und dazu gehört eben auch, Negatives auszublenden, Widerspruch zurückzuhalten, über Fehler und Schwächen anderer großzügig hinwegzusehen und eigene Bedürfnisse zum Wohle anderer zurückzustellen. Eine der typischsten Begleiterscheinungen ist die Schwierigkeit, "nein" zu sagen und anderen einen Wunsch abzuschlagen. Die vorsichtigen Reaktionen am Tisch sind deshalb auch Ausdruck des Wunsches, Konflikte zu vermeiden. Außer wahrscheinlich Frau Bach hätten wohl alle auch in einer Diskussionsrunde unter Gleichgestellten versucht, durch indirekte Formulierungen die Harmonie in der Runde zu wahren und niemanden mit Widerspruch oder gar kritischen Bemerkungen persönlich zu verletzen. Für die Deutsche geht es um die Sache und nicht um die Person, d. h., sie trennt ganz klar zwischen diesen beiden: Sie kommt mit Ihrem Chef gut zurecht, hat aber manchmal andere inhaltliche Vorstellungen. Auf diesem Prinzip der Trennung beruht die besonders in Deutschland praktizierte sachliche Kritik. Indirekte Kommunikation zur Wahrung der Harmonie führt zum Konzept des "Gesichts" in asiatischen Kulturen. Gesicht kann man geben, wahren oder verlieren. In unserem Fallbeispiel praktiziert es Herr Huang. Sein Nicken ist nicht unbedingt mit Einverständnis gleichzusetzen und seine verbale Zustimmung nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Ein "Ja" hat viele Bedeutungen: Oft ist es lediglich ein höfliches Signal dafür, dass man aufmerksam ist und zuhört, manchmal bedeutet es "vielleicht" und nicht selten sogar "nein". Grundsätzlich wird man in Asien kaum erleben, dass eine Ablelmung kurz und knapp mit dem Wort "nein" ausgedrückt wird, wie es ja hierzulande üblich ist. Hier ein interessantes Beispiel für ein verstecktes "Nein" aus dem Buch "Cultural Intelligence". Auf die Frage "Ist mein eingereichter Projektvorschlag angenommen? kamen die folgenden Antworten: 11
118
Tabelle 5.2
Besprechungen leiten
Verstecktes "Nein" (nach Thomas, Inkson, S. 111, übersetzt und adap-
tiert) [ Rhetorisches Mittel Bedingtes "Ja"
Gegenfrage
Beispiel einer Formulierung
]
Wenn alles wie geplant läuft, wird der Vorschlag angenommen. Haben Sie auch eine Kopie an das Ministerium
geschickt? Kritik an der Frage
Ihre Frage ist sehr schwer zu beantworten.
Zurückweisen der Frage
Wir können Ihre Frage zurzeit nicht beantworten.
Nicht zur Sache gehörende Ant-
Werden Sie länger als ursprünglich geplant hier
wort
bleiben?
Eingeschränktes "Ja"
Ja, es sieht danach aus, aber ...
Verschiebung der Antwort
Sie werden bald Bescheid bekommen.
Hätten Sie aus einer der Antworten ein "Nein" herauslesen können? Vermutlich nicht. Und weil wir den Code nicht kennen, nehmen wir die Aussagen wortwörtlich. Wo unser Gesprächspartner längst eine Ablehnung ausgesprochen hat, haben wir noch Hoffnung. Ein fatales Missverständnis! Brüske Ablehnungen bedeuten einen Gesichtsverlust, beim Sprecher genauso wie beim Gegenüber. Aus demselben Grund vermeidet man auch Kritik, gibt eigene Fehler oder Schuld nicht zu und fragt nicht nach, obwohl man vielleicht etwas nicht verstanden hat. Besonders wichtig ist Gesichtwahrung vor Dritten. Etwa bei einem Meeting um Erläuterung oder bei einer Schulung um Wiederholung zu bitten, wäre nicht nur ein Gesichtsverlust für den Fragenden, sondern auch für den Befragten. Besonders einer Autoritätsperson wie einem Besprechungsleiter oder Dozenten würde man nach dieser Auffassung die Kompetenz absprechen, nämlich die, sich unmissverständlich auszudrücken. Es sind viel Einfühlungsvermögen und Erfahrung nötig, um die wahre Bedeutung von Worten und Mimik zu entschlüsseln. Als sachliche Deutsche müssen wir interkulturell besonders sensibel sein, wenn uns ein ,Ja", ein "Nein", ein lockeres "No problem!", stummes Nicken oder gar völlig ausbleibende Reaktionen begegnen. Gerade weil viele Deutsche um diese Schwierigkeit wissen, machen sie oft den Fehler, ein "Ja" ihrer asiatischen Gesprächspartner offen anzuzweifeln und sie mit direkten, ja bohrenden Fragen weiter zu bedrängen, wenn sie ausweichende Antworten erhalten. Ganz besonders schlimm ist eine solche Situation für die meisten Asiaten vor Dritten. Wir sollten hier also
Ja = nein und nein = ja?
119
behutsamer vorgehen. Anhaltspunkte für versteckten Widerstand oder Probleme können allgemein gehaltene Aussagen wie" Es ist alles sehr schwierig" oder die mehrmalige Bitte um Wiederholung, etwa einer Anweisung, sein; aus den obigen Gründen (Gesichtsverlust für den Chef) wären das schon sehr deutliche Signale.
5.8
Ja
= nein und nein =ja?
Ein klassisches Verwirrspiel um "ja" und "nein" zeigt eine Episode aus den Erfahrungen einer Chinesin in Deutschland, die sie in dem interessanten Buch .Jntcrkulturcllc Kommunikation" folgendermaßen protokolliert hat: "Als ich einmal meine deutsche Freundin besuchtel fragte sie michlob ich einen Tee möchte. Ich reagierte typisch chinesisch: .Nein. danke!' Ich bekam keinen Tee und fühlte mich enttäuscht. Da sie schon musste, dass ich kein direkter Typ bin. wiederholte sie die Frage. Dieses Mal antwortete ich: .ia. gern!' Sie schaute mich verwirrt an und beschwerte sich. dass sie meine Wünsche immer erraten müsste. [... ] Mit der Antwort .Nein, danke' zeigte ich meine Höflichkeitl auf die in der chinesischen Kultur viel Wert gelegt wird. Ein chinesischer Gastgeber reagiert nicht auf die Sachseite dieser Boiectmjien. für ihn bedeutet diese Antwort: ,Jal aber das ist sehr umständlich für dich!' Er bietet trotzdem seinem Gast Tee an, da es seine Pflicht ist. Wenn ein chinesischer Gast direkt .ia. gerne' antnortet, halten wir ihn für einen schlecht erzogenen Menschen. " (Wang l L. in: Kumbicr. Schulz von Thun, S. 190). I
Weil dieser Fall so typisch ist, in vielen Beziehungskulturen mit indirektem Kommunikationsstil so älmlich vorkommt und immer wieder zu eklatanten Missverständnissen führt, wollen wir ihn anhand des Kommunikationsquadrats genauer betrachten. In der folgenden Abbildung 5.2 sehen Sie leicht abgewandelt und etwas verkürzt, wie die Autoren Schulz von Thun und Kumbier die vier impliziten Botschaften der Antwort "Nein danke, ich möchte keinen Tee" treffend veranschaulichen. Wir haben es hier also nicht nur mit den vier Seiten zu tun und müssen entscheiden, welche der Seiten gerade im Vordergrund steht, was schon im eigenen kulturellen Umfeld nicht immer einfach ist. Vielmehr brauchen wir hier auch noch Hintergrundwissen darüber, was für jede Kultur hinter den verschiedenen Aspekten steckt. Diese Verhaltensregeln sind ebenso wie andere Normen, Einstellungen und Denkweisen in der chinesischen Kultur tief verwurzelt und haben vielfältige Hintergründe, die mit Konfuzianismus, Daoismus, historischen und politischen Entwicklungen nur sehr grob umrissen sind.
120
Besprechungen leiten
Abbildung 5.2
Antwort auf die Frage "Möchtest Du einen Tee?" (in Anlehnung an Schulz von Thun, Kumbier, S. 191)
Sachaussage Nein, keinen Tee.
Selbstoffenbarung
Appell
Ich bin dankbar für Dein Angebot. Ich bin höflich und befolge soziale Spielregeln.
Erfülle Deine Pflicht als
Gastgebetin und frag noch einmal nach!
Beziehungsbotschaft Ich schätze Deine
Gastfreundschaft, aber Teekochen macht Umstände.
Genau wie die Chinesen haben die meisten Angehörigen von Beziehungskulturen ein großes "Appell-Ohr", um versteckte Bedürfnisse anderer zu erspüren und darauf einzugehen. Eine Ablehnung dieser Bedürfnisse fällt schwer, weil damit die harmonische Beziehung gestärt würde. Wenn wir als Angehöriger einer Sachkultur dort etwas ablelmen wollen oder müssen, sollten wir das zumindest zögerlich tun, statt rundheraus mit einem knappen "Nein" zu antworten. Man könnte etwa in Aussicht stellen, noch einmal darüber nachzudenken oder zu versuchen, doch noch eine Lösung zu finden - und zwar selbst dann, wenn eigentlich beiden (!) schon ganz klar ist, dass man bei der Ablehnung bleiben wird. Während wir Deutschen uns innerlich vielleicht gegen ein solches Vorgehen sträuben, weil wir es für unaufrichtig halten, kommt es beim Gegenüber positiv, nämlich als "gesichtgebende" Wertschätzung an. Ein wie auch immer verpacktes endgültiges "Nein" sollte auch stets mit großem Bedauern und vielerlei Begründungen einhergehen. Im Folgenden einige Tipps für eine interkulturell sensible Formulierung auf Englisch:
D Business English -
I'm afraid I've already made other plans ...
-
I'm sorry, I really wish I could, but
-
That might be a bit tricky, because
. But what I could do is ...
Selbstkompetenz: Ambiguitätstoleranz
5.9
121
Tipps für Besprechungen mit hierarchiebewussten Teilnehmern
•
wenn Sie Meinungen in Erfahrung bringen möchten, sollten Sie zunächst vorsichtig sondieren, statt sofort eigene Meinungen und Vorschläge offenzulegen. Am besten, Sie nutzen immer wieder informelle Situationen, um Ihr Thema vorab anzuschneiden. Beim Kaffeetrinken erfahren Sie gewöhnlich mehr als in offiziellen Meetings, in Einzelgesprächen mehr als in größeren Runden.
•
Eine Möglichkeit, Vorschläge und Ideen zu sammeln, besteht darin, dies als klar definierte Aufgabe an Mitarbeiter zu delegieren. Solange Sie nicht Ihr eigenes Konzept zum Gegenstand der Diskussion machen und klarmachen, dass Ihnen die Sammlung als Entscheidungsgrundlage dienen soll, werden Sie viele wertvolle Hinweise erhalten.
•
Hüten Sie sich vor radikalen Neuerungen. Falls Sie zum Beispiel Brainstorming als Methode in hierarchischen Kulturen einführen möchten, sollten Sie das sehr behutsam tun und nicht davon ausgehen, dass es sofort funktioniert. Machen Sie die Funktion der Methode deutlich und zerstreuen Sie jeglichen Verdacht, dass Sie selbst unsicher sind und keine Ideen haben.
•
Bleiben Sie skeptisch, wenn Sie als Vorgesetzter auf Ihre Vorschläge oder Konzepte allzu enthusiastische oder auch gar keine Reaktionen erhalten. Mit den Inhalten haben diese Reaktionen nur in den wenigsten Fällen etwas zu tun.
•
Achten Sie besonders auf die Regeln für Gestehtwahrung.
•
Oft werden Sie eine Gratwanderung unternehmen müssen, um den Erwartungen autoritätsgewolmter Mitarbeiter zu entsprechen und gleichzeitig einen kooperativen Führungsstil einzuführen, wenn Sie es für sinnvoll halten. Machen Sie ruhig immer wieder deutlich, dass Sie die Meinungen Ihrer Mitarbeiter schätzen und auf ihre Unterstützung angewiesen sind, aber zeigen Sie auch, dass Sie die letzte Entscheidungsinstanz bleiben. Allzu häufige Rückversicherung bei Mitarbeitern kann Ilmen als Inkompetenz ausgelegt werden und zu Einbußen an Respekt führen. Im Sinne eines stärker mitarbeiterorientierten Führungsstils können Sie Ihre Entscheidungen transparenter machen, indem Sie sie persönlich vortragen und Fragen zulassen.
5.10
Selbstkompetenz: Ambiguitätstoleranz
In unserem Fallbeispiel gab es mehrere verunsichernde Situationen und scheinbar (!) widersprüchliche Signale. Das ist typisch für interkulturelle Begegnungen und im Umgang mit ihnen braucht man Ambiguitätstoleranz. Darunter versteht man die Fähigkeit, mit verunsichernden Situationen umzugehen, Mehrdeutigkeit und Ungewissheit auszuhalten sowie scheinbar unvereinbare Gegensätze und widersprüchliche Signale zu integrieren. Ambiguitätstoleranz ist eine wichtige Facette internationaler Kompetenz. Wer sie nicht hat, fühlt sich bei interkulturellen Begegnungen oft unwohl und empfindet unstrukturierte
122
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Situationen gar als Bedrohung des eigenen Weltbilds. Um wieder Eindeutigkeit herzustellen, Gewissheit zu erlangen und Unsicherheit zu reduzieren, greift man zu Strategien wie Ignorieren oder Abwerten des anderen Verhaltens oder zu unzulässiger Vereinfachung (Stereotypen) - alles Maßnahmen mit negativen Folgen. Ambiguitätstoleranz brauchen wir nicht nur für den interkulturellen Kontext, sondern auch für unseren immer komplexer werdenden Alltag und eine Welt, in der es kaum noch Gewissheiten und Sicherheit gibt. Schön längst kommen wir mit simplem Schwarz-WeißDenken nicht mehr weit und hängen doch oft noch am mechanistischen Denkmuster, um die Welt für uns zu ordnen und überschaubar zu halten. Aber die Welt lässt sich nicht einteilen in schwarz oder weiß, gut oder böse usw., sondern zeigt Grautöne und Zwischenstufen. Ein differenzierteres Denken wäre viel angemessener und würde auch unsere Ambiguitätstoleranz erhöhen.
Reflexion An dieser Stelle haben Sie Gelegenheit, einmal Ihr eigenes Denkmuster zu überprüfen. Zu welchem der beiden Pole tendieren Sie? Wo würden Sie sich auf den Skalen jeweils ansiedeln? Denken in Extremen (gut/schlecht; richtig/falsch etc.)
Kompromissen, "Grautönen"
Denken in lOO%-Sicherheiten
Wahrscheinlichkeiten
Wertungen und Wahrheiten werden absolut gesetzt
im Kontext relativiert
Wortwahl. z. B. immer, alle, total
häufig, manche, andererseits
(in Anlehnung an Hansch, S. 210 H.) Das sind nur natürlich nur sehr grobe Anhaltspunkte. Wenn Sie sich überwiegend auf der linken Seite verortet haben, könnte die nächste Übung interessant für Sie sein.
Selbstkompetenz: Ambiguitätstoleranz
123
Übung: Ambiguitätstoleranz und Flexibilität Verzichten Sie ganz bewusst darauf, Situationen im interkulturellen Kontext mit absoluten Wertungen wie "richtig oder falsch", "gut oder schlecht" zu v erseh en oder extreme Lösungen a la "alles oder nichts" anzustreben. Beschreiben Sie sie eher mit Ausdrücken wie "anders", "hier passend/unpassend" und relativierenden Adjektiven (manchmal, einige, überwiegend). Suchen Sie nach den Grautönen, nach Mehrdeutigkeiten und versuchen Sie, die so beschriebene Situation oder Geschichte ohne eine endgültige Einordnung und Lösung stehen zu lassen. Vielleicht haben Sie noch eine Situation vor Augen, die Sie in dieser Art beschreiben möchten; auch eine Alltagssituation ist geeignet, um diesen Stil einzuüben.
Verabschieden Sie sich von der Vorstellung, lOO-prozentige Sicherheit und Perfektion erlangen und alle Probleme mit Vernunft und formaler Logik lösen zu können! Wer gelassener mit Unsicherheiten umgehen und flexibler werden möchte, muss seine Komfortzone verlassen, Gewohnheiten durchbrechen und Neues wagen. Erste Schritte könnten folgendermaßen aussehen: •
Ändern Sie Ihre Routinen, z. B.: Nehmen Sie öfter mal einen anderen Weg zur Arbeit. Ändern Sie die gewohnte Reihenfolge Ihrer ersten "Amtshandlungen" im Büro. Schließen Sie mit Ihrem Schlüssel in der linken Hand (wenn Sie Rechtshänder sind) die Tür auf, nehmen Sie Ihr Essbesteck "falsch herum" in die Hand usw. Das hört sich vielleicht merkwürdig an, aber Sie werden sclmell merken, wie eingefahren unsere Gewohnheiten sind. Erk enntn isse aus der Hirnforschung zeigen, dass mit solchen Übungen alte N erv en bah nen verlassen werden und dadurch flexibles und vernetztes Denken angeregt werden kann.
•
Setzen Sie sich ungewolmten Situationen aus, z. B.: Versuchen Sie sich in einem Land, dessen Sprache und Schriftzeichen Sie nicht verstehen, zurechtzufinden (z. B. mit öffentlichen Verkehrsmitteln). Fahren Sie in einem Land mit Linksverkehr Auto. Gehen Sie zu Veranstaltungen, die normalerweise nicht "llir Ding" sind (Lesungen, wenn Sie Literatur nicht interessiert, Sport-Events, wenn Sie diese öde finden, usw.) und nehmen Sie Kontakt zu Gruppierungen oder Vereinen auf, deren Zielgruppe Sie nicht sind (z. B. als Älterer in Discos oder zum Szenetreff gehen, als Deutscher Versammlungen ethnischer Minderheiten besuchen).
124
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Vielleicht fragen Sie sich, wozu solche "Experimente" gut sind? Ganz einfach: Sie eröffnen völlig neue Welten und bieten uns Gelegenheit, die Dinge einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten - älmlich wie beim Arbeiten im interkulturellen Kontext. Dabei lernen wir viel über uns und stellen unsere Belastbarkeit, Toleranz und Flexibilität auf die Probe.
Abbildung 5.3
Zitat Picabia
• "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kannt" (Francis Picabia)
CI.:o...-
_
6
Anweisen, delegieren, kontrollieren
6.1
Fallbeispiel und Reflexion
Herr Möllenhoff, Teamleiter in einer Softwarefirma. zählt vorübergehend auch Herrn Sharma, einen Mitarbeiter aus Indien, zu seinem Team. Herr Sharma wurde im Rahmen eines Joint Ventures für ein Jahr nach Deutschland entsandt, um zusammen mit seinen deutschen Kollegen an einem neuen System zu arbeiten. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit überträgt Herr Möllenhoff dem indischen Mitarbeiter einige Aufgaben, die dieser aber zu seiner großen Verwunderung offenbar nicht in der Lage ist, selbstständig zu erledigen. Jedenfalls kommt Herr Sharma jedes Mal zu ihm, um noch einmal das genaue Vorgehen abzusprechen. Herr Möllenhoff fühlt sich gestärt und findet es überflüssig. immer noch ständig Feedback zu geben und jeden einzelnen Schritt abzusegnen. Meist antwortet er eher knapp und gibt Herrn Sharma zu verstehen, dass er einige Dinge durchaus selber entscheiden könne. Auch wenn Herr Sharma eine Information von Kollegen aus einer anderen Abteilung braucht, bittet er ihn, seinen Chef, den Kontakt herzustellen statt direkt mit den Kollegen zu sprechen. Wenn eine Abgabefrist für einen Zwischenbericht oder eine Zusammenstellung von Unterlagen für eine Präsentation ansteht, erwartet Herr Möllenhoff, dass sein Mitarbeiter genau wie alle anderen die Arbeiten unaufgefordert abliefert. Das allerdings geschieht meist nicht, sondern er hat den Eindruck, Herr Sharma warte darauf, dass er nachfragt und die Berichte bei ihm abruft. Auch kommt er nicht zu ihm, wenn er einen Auftrag ganz offensichtlich nicht richtig verstanden hat; jedenfalls legen manche Ergebnisse das nahe. Andere Ergebnisse zeigen hingegen, dass Herr Sharma durchaus etwas von seiner Arbeit versteht. Als Herr Sharma heute Morgen wieder in seinem Büro steht, beschließt er, einmal ernsthaft mit ihm über seine Unzufriedenheit zu sprechen. Dieser kommt ihm jedoch mit einem Anliegen zuvor, das ihn nur noch mehr verärgert. Diesmal geht es nämlich nicht einmal direkt um die Arbeit, sondern um eine private Angelegenheit: Herr Sharma möchte den Rest des Tages und den nächsten Tag frei haben, weil er dem Cousin seiner Frau bei der Beseitigung eines Wasserschadens in der Wohnung helfen muss. Irgendwie wird Herr Möllenhoff langsam ungeduldig, denn so ist ihm der neue Mitarbeiter keine große Hilfe (Fortsetzung s. 7.1).
Reflexion Wie interpretieren Sie diesen Fall? Notieren Sie hier illre Vermutungen: Herr Möllenhoff erwartet
.
Wichtig ist ihm
.
Anweisen, delegieren, kontrollieren
126
Ihn irritiert
.
Er hält Herrn Sharma für
.
Herr Sharma erwartet
.
Wich.tig ist ihm
.
Ihn irritiert und verunsichert
.
Er hält Herrn Möllenhoff für
.
Diese Kulturunterschiede könnten eine Rolle spielen:
6.2
::::
Gedanken legen Werte und Normen offen
:::~~:f I:::~hv~:O
Gedanken der beiden Protagonisten abgleichen
Herr Sharma wirkt auf mich unselbstständig und unsicher. Vielleicht fehlt ihm auch die nötige Motivation oder er ist schlichtweg inkompetent. Ich verstehe überhaupt nicht; weshalb er mich ständig wegen Kleinigkeiten stört und nichts selber entscheidet; hingegen überhaupt nicht nachfragt; wenn er eine Anweisung anscheinend gar nicht richtig verstanden hat. An Abgabeterminen ständig hinter ihm herlaufen zu müssen; finde ich auch sehr lästig. Die kurzfristige Bitte um zwei Urlaubstage ist eine Frechheit: Er arbeitet völlig ineffizient; will aber trotzdem von einer Minute zur anderen nach Hause gehen - und das auch noch mit einer fadenscheinigen Begründung. Wegen eines Wasserschadens bei einem entfernten Verwandten kann man doch die Arbeit nicht stehen und liegen lassen! Das ist doch letztlich seine Privatsache;was habe ich damit zu tun?
Herr Sharma denkt:
Herr Möllenhoffhat bestimmt Verständnis für meine Lage. Ich muss jetzt unbedingt meiner Familie helfen; das wird einfach erwartet und ist wichtiger als die Arbeit. Ob ich nun noch heute oder erst übermorgen am Projekt weiterarbeite; spielt doch keine große Rolle. Irgendwie wird es schon noch rechtzeitig fertig; wer weiß; was bis dahin noch alles passiert ... Mein Chef scheint ohnehin kein großes Interesse an meiner Arbeit zu haben. Jedenfalls reagiert er jedes Mal; wenn ich mein Vorge-
Paternalismus
127
hen abklären will oder um eine Entscheidung für den nächsten Schritt bitte; leicht genervt. Dabei will ich doch nur ein Feedback und sein OK damit ich weitermachen kann. Schließlich trägt er die Verantwortung und nicht ich! Einmal habe ich einen Auftrag nicht so richtig verstanden und er war verärgert; weil ich deshalb etwas Falsches gemacht habe. Er sagt; ich soll nächstes Mal gleich fragen; wenn ich etwas nicht verstehe. Aber das geht doch auch nicht. Womöglich hält er mich dann für unfähig oder ist sogar beleidigt; weil er meint; dass ich seine Erklärungen für unzureichend halte. Das Fallbeispiel zeigt wieder einen zentralen Kulturunterschied, der schon in anderen Situationen zum Tragen kam und sich diesmal auf das Delegieren von Aufgaben auswirkt:
6.3
Führungsstile: autoritär oder kooperativ?
Im deutschen, anglo-amerikanischen und skandinavischen Kulturkreis finden wir einen eher kooperativen Führungsstil vor, der allerdings mit der Unternehmenskultur und der Persönlichkeit des Führenden stark variieren kann. Meist beteiligen Vorgesetzte hier ihre Mitarbeiter (zumindest zeitweilig) an Entscheidungen. Damit geht die Erwartung an weitestgehend selbstständiges Arbeiten und in gewissem Maße eigenständige Kontrolle einher, genau so, wie Herr Möllenhoff es im Fallbeispiel voraussetzt. Wenn Führungskräfte Aufgaben delegieren, so geben sie auch verantwornmg und Kompetenz ab - so zumindest das Ideal, das auch hier nicht immer vorbildlich funktioniert. Selbst wenn sich auch hierzulande teilweise noch autoritäre Strukturen finden, steht doch dieser relativ kooperative Stil im internationalen Vergleich im krassen Gegensatz zur oft extrem autoritären Führung in vielen stark hierarchischen Kulturen, zu denen auch Indien gehört. Dort trifft der Vorgesetzte Entscheidungen alleine, übernimmt dementsprechend auch die alleinige verantworttmg. gibt Anweisungen und erwartet Ausführung ohne Widerspruch. Er vergibt Aufgaben mit detaillierter Beschreibung der zu erledigenden Schritte, kontrolliert und überwacht engmaschig. Genau daran ist Herr Sharma gewöhnt und wundert sich deshalb, dass Herr Möllenhoff völlig anders handelt. Übrigens ist wichtig zu wissen, dass der Begriff .zrutontärer Führungsstil" in hierarchischen Kulturen nicht negativ besetzt ist. Die meisten Mitarbeiter sehen es als Vorteil, dass nicht sie, sondern der Chef die volle verantwornmg trägt und für alles geradestehen muss. Dementsprechend gering ist im Allgemeinen die Bereitschaft auf den unteren Ebenen, verantworttmg zu übernehmen.
6.4
Paternalismus
Mit ausgeprägten hierarchischen Strukturen geht oft der Kulturstandard !/Paternalismus" einher. Dieser Begriff bezeichnet die Rolle eines Patriarchen, die ein Chef (und besonders ein Firmeninhaber) gegenüber seinen Mitarbeitern einnimmt. Er ist nicht nur Autoritätsperson und trägt jegliche Verantwortung. sondern kümmert sich fast wie ein Vater um seine Mitarbeiter, führt sie eng und übernimmt auch die Rolle des Schlichters oder Richters
128
Anweisen, delegieren, kontrollieren
in Streitfällen. Neben allen beruflichen ist ein solcher Chef auch für die privaten Belange
seiner Mitarbeiter zuständig. So ist es nicht ungewölmlich, dass er über ihre persönlichen Verhältnisse Bescheid weiß, für ihre privaten Probleme Verständnis hat und Hilfe anbietet. Im Gegenzug kann er mit großer Loyalität rechnen. Eine solch enge und emotional geprägte Beziehung bringt es mit sich, dass großer Wert auf Harmonie und Vermeidung jeglicher Konflikte gelegt wird. Genau das bestätigen auch die Autoren von "Beruflich in Indien" und raten: "Ein deutscher Chef sollte sich daher der verannoorwng, die er für seine Mitarbeiter trägt; bewusst sein und darauf achten; negative Spannungen nicht zu lange aufrechtzuerhalten. [... ] Die gegenseitige Abhängigkeit von Vorgesetzten und deren Mitarbeitern ist für viele Deutsche anfangs eher befremdlich und bedarf einer enormen Umstellung des gewohnten Führungsstils. Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, birgt dies aber auch große Chancen für die Zusammenarbeit. Zum einen zeigt sich eine ausgesprochene Loyalität der Mitarbeiter gegenüber ihrem Chef [... ] Zum anderen dient die gute Beziehung als Motivation für die Ivliiarbeiier, dem Chef durch außergewöhnliche Leistungen einen .persöntichen Gefallen' zu tun. Denn in Indien kann man auf der Beziehungsebene meist mehr erreichen als durch sachliche Argumente." (Mitterer, Mimler, Thomas, S. 88-90). In unserem Fallbeispiel ist sich Herr Möllenhoff kaum seiner Rolle bewusst, die Herr Sharma von ihm erwartet. Für ihn ist es selbstverständlich, dass der Chef ihm hilft, wo immer es geht. Das gilt für eine ausführliche Einarbeitung und Vorstellung in einer anderen Abteilung genauso wie für seinen Wunsch nach zwei freien Tagen wegen einer Familienangelegenheit. Herr Möllenhoff sieht dies als Privatsache an, die für ihn keinen hinreichenden Grund für kurzfristige Urlaubswünsche darstellt. Aus seiner Sicht sind Arbeit und Privatleben strikt zu trennen, wobei die Arbeit stets Vorrang hat. Nur in Ausnahmefällen würde er von dieser Regel abweichen. Ein Wasserschaden bei einem entfernten Verwandten gehört für ihn kaum dazu. Ganz anders liegt der Fall für Herrn Sharma: In einer kollektivistischen Gesellschaft wie Indien haben Angelegenheiten der Familie, zu der auch die weitere Verwandtschaft zählt, durchaus Priorität vor der Arbeit. Er würde auch nicht zögern, seinen Chef bei ernsten privaten Problemen um Hilfe zu bitten (Geld sorgen, Krankheiten, Wolmungsnot). In Systemen mit paternalistischem Führungsstil ist das keineswegs unüblich und vor diesem Hintergrund ist Herrn Sharmas Anliegen eher eine kleine Sache. Ein indischer Chef hätte nicht nur Verständnis für die Bitte und würde sie möglichst erfüllen, sondern auch Mitgefühl zeigen, näheres Interesse bekunden, gute Ratschläge geben und bei der Rückkehr seines Mitarbeiters noch einmal nachfragen, ob nun alles in Ordnung sei.
6.5
Selbstständigkeit und Eigeninitiative
Im Gegensatz zur Praxis häufiger Rücksprachen ist es hierzulande eher üblich, eine übertragene Aufgabe - vorausgesetzt, sie ist verstanden worden und lösbar - zunächst alleine zu bearbeiten. Wenn Probleme auftauchen, versucht ein deutscher Mitarbeiter in der Regel zuerst, diese eigenständig zu lösen statt damit sofort zum Chef zu gehen. WelU1 allerdings Fragen auftauchen, die er nicht selber beantworten kann, wenn sich unüberwindbare Bar-
Internalisierte Kontrolle
129
rieren auftun oder gar Fehler passieren, fühlt sich ein deutscher Mitarbeiter verpflichtet, das seinem Vorgesetzten sofort und unaufgefordert zu melden. Auch wenn er die Aufgabe nicht ganz verstanden hätte, würde er in der Regel noch einmal nachfragen, statt sich mit Zweifeln an die Bearbeitung zu machen und zu hoffen, dass es gutgeht. Das ist in anderen Kulturen keineswegs selbstverständlich und oft entzünden sich an dieser Stelle Konflikte, so zum Beispiel auch in der Zusammenarbeit von Deutschen und US-Amerikanern. Auch dort ist das Phänomen, dass man Fehler nicht so leicht zugibt, verbreitet, wenn auch aus anderen Gründen als in unserem Fallbeispiel mit Indien. In den USA sind die Gründe eher in einem unerschütterlichen Glauben an Machbarkeit sowie in enormem Erfolgszwang und Ergebnisdruck zu suchen. Über erledigte Zwischenschritte zu berichten, käme einem deutschen Mitarbeiter ebenfalls nicht in den Sinn, sondern er würde dem Chef lediglich das Endergebnis zum vereinbarten Zeitpunkt präsentieren. Der Mitarbeiter ist hier also selber dafür verantwortlich, seine Zeit so einzuteilen, dass er auch ohne Zwischenkontrollen durch den Vorgesetzten eine Aufgabe termingerecht erledigt. Das verlangt viel Eigenständigkeit und Selbstdisziplin - hierzulande wichtige Werte, die aber eben nicht überall eine so große Bedeutung haben. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich ist auch ein indischer Mitarbeiter in der Lage, übertragene Aufgaben selbstständig zu erledigen und natürlich stellt auch ein deutscher Mitarbeiter zuweilen Rückfragen oder holt gelegentlich Feedback vom Chef ein. Allein die Häufigkeit variiert erheblich. Ähnliche Unterschiede in der Feedbackfrequenz führen auch in deutsch-amerikanischen Teams immer wieder zu Missstimmung.
6.6
Internalisierte Kontrolle
Selbstständiges Arbeiten ist eng mit einem wichtigen deutschen Kulturstandard verknüpft, der sogenannten .regetoriennerien. internalisierten Kontrolle" (Schroll-Machl, S. 90). 'IRegelorientiert" bezeichnet in diesem Fall nicht nur die große Bedeutung von Regeln, sondern auch deren Gültigkeit und Verbindlichkeit für alle - unabhängig von Status, Beziehungen etc. Gerechtigkeit und Gleichbehandlung sind hohe Werte. ,;Internalisierte Kontrolle" am Arbeitsplatz bedeutet nun, die einmal festgelegten Regeln und getroffenen Vereinbarungen so zu verinnerlichen, dass man danach selbstständig und eigenverantwortlich handeln kann. Wegen der daraus folgenden meist hohen Identifikation mit der Aufgabe und einem ausgeprägten Pflichtgefühl sind äußere Kontrollinstanzen entbehrlicher als in vielen anderen Kulturen.
130
Abbildung 6.1
Anweisen, deLegieren, kontroLLieren
InternaLisierte Kontrolle
Ich habe zugesagt,jetzt halte ich mich auch deren und gebe mein Bestes. Ich sehe die Notwendigkeit ein, dass diese Aufgabe nach den vereinbarten Regeln bearbeitet werden muss. Das ist mein Kompetenzbereich . Ich bin für die selbstständi ge Erledigung verantwortlich.
Hier kommt auch der hohe Wert Zuverlässigkeit ins Spiel. In "Die Deutschen - wir Deutsche" heißt es dazu: "Auf alle Beteiligten muss Verlass sein. Eine Sache ist organisiert und jetzt wird von allen erwartet, dass sie sich korrekt an ihre Zuständigkeit halten und ihre Aufgabe erfüllen. Nur im Zusammenspiel aller funktioniert das System [...] Strukturen und Regeln erhalten einen moralischen Wert: Sie einzuhalten wird gleichgesetzt mit Zuverlässigkeit. Im Berufsleben ist übrigens der OIe! weithin lediglich der Repräsentant dieser Struktur. (Schroll-Marhl, S. 90). Die letzte Aussage ist insofern interessant, als sie noch eirunal einen der Gründe dafür erhellt, weshalb "Wir als sachorientierte Deutsche eher schlecht mit Strukturen in beziehungsorientierten Kulturen zurechtkonunen. Wir können uns kaum in die Situation hineinversetzen, dass dort Aufgaben der Person (des Chefs) zuliebe erledigt werden oder, allgemeiner ausgedrückt, um Menschen zufriedenzustellen Unser Einsatz hierzulande dient eher der Sache, also z. B. der Erledigung einer Aufgabe, ob "Wir den Chef oder Kollegen, für den wir etwas tun, mögen oder nicht. Natürlich ist in der Praxis auch der Person mit der Erledigung der Aufgabe gedient und "Wir stellen sie zufrieden; aber die Sichtweise ist eine andere. U
131
Bringschuld oder Holschuld?
6.7
Bringschuld oder Holschuld?
Die unterschiedliche Gewohnheit, Informationen unaufgefordert zu liefern bzw. sie in Eigeninitiative von anderen abzurufen, bezeiclmet man auch als Bringschuld bzw. Holschuld. In sachorientierten Kulturen wie Deutschland ist Information Bringschuld. Wie oben bereits anklang, wird von Mitarbeitern erwartet, dass sie erbetene Informationen, Berichte, Lösungsvorschläge usw. zum vereinbarten Zeitpunkt unaufgefordert liefern und auch initiativ werden, wenn es bei der Erledigung ihrer Aufgabe Probleme gibt. Schroll-Machl bringt gut auf den Punkt, was in der interkulturellen Zusammenarbeit zu einem Risiko geraten kann: Diese "Bringschuld kann dermaßen selbstverständlich sein; dass manche deutsche Chefs gar nicht nach Problemen fragen. Sie gehen vielmehr [... ] davon aUS dass alles planmäßig junkiieniert. solange sie nichts Gegenteiliges hören. Sie rechnen mit der Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Ivliiarbeiier, dass diese bei Störungen auf sie zukommen. Deutsche Chefs sehen mitunter eine wesentliche Managementaufgabe darin, zunächst ihren Mitarbeitern viel Freiraum zu geben und erst dann einzugreiiea. wenn diese allein nicht mehr weiterkommen - was in diesem Zusammenhang auch unter Delegation verstanden wird." (Schroll-Machl, S. 104). 1
Dem steht die Holschuld gegenüber, die Herr Sharma in unserem Fallbeispiel praktiziert. Sie ist besonders in hierarchischen Kulturen anzutreffen, in denen der Vorgesetzte eng führt und entscheidet und die Mitarbeiter dessen Anweisungen meist kritiklos ausführen. In .Beruflich in Indien" beschreiben die Autoren die damit verbundene Arbeitsweise näher: "Das sogenannte ,Check with the boss/-Syndrom bedeutet. dass der Vorgesetzte in alle Arbeitsabläufe einbezogen ioird. die Mitarbeiter halten stets Rücksprache mit ihm [... ] Will der Vorgesetzte über den Fortlauf eines Projekts informiert iocrden. so liegt die Holschuld bei ihm." (Mitterer, Mimler, Themas, S. 40). Es ist sogar so, dass eigenmächtiges Handeln, ohne sich rückzuversichern, als Vertrauensbruch gewertet wird - ein Risiko, das Herr Sharma natürlich nicht eingehen will. In der folgenden Abbildung 6.2 wird das unterschiedliche Verständnis von Delegieren und Bearbeiten einer delegierten Aufgabe noch einmal deutlich. Wie immer, wenn solche konträren Vorstellungen aufeinandertreffen, bleiben Fehlinterpretationen nicht aus. Indem sich Herr Sharma an das in seiner Kultur gängige flCheck with the Boss-Prinzip" hält, macht er auf Herrn Möllenhoff ungewollt einen ungünstigen Eindruck: Dieser deutet dessen Verhalten nämlich als Unsicherheit, mangelnde Motivation oder gar Inkompetenz. Aber auch Herrn Möllenhoffs Verhalten wird von Herrn Sharma falsch interpretiert: Indem er ihn durch seine kurzen Antworten und seine Weigerung, für ihn Kontakte zur anderen Abteilung herzustellen, zu mehr Selbstständigkeit führen will, fühlt sich der Inder flabgewimmelt" und in seiner Arbeit (und Person) nicht wertgeschätzt.
Anweisen, delegieren, kontrollieren
132
Abbildung 6.2
Check with the Boss
Mitarbeiter
arbeitet
arbeitet
Termin
Chefholt Ergebnis
Chef
n
G)
Mitarbeiter
6.8
~I arbeitet
~I arbeitet
Termin
Fatalismus und Zeiterleben
N oeh ein weiterer Aspekt spielt in unserem Fallbeispiel eine Rolle, nämlich Herrn Sharmas Einstellung zu Zeit COb ich nun heute oder erst übermorgen am Projekt weiterarbeite; spielt doch keine große Rolle."). Seine weiteren Gedanken c.lrgendune wird es schon noch rechtzeitig fertig.") könnte man als Optimismus deuten, aber der Nachsatz C... wer weiß; was bis dahin noch alles passiert ... 1/) deutet eher auf Fatalismus hin. Die besonders in Indien sehr ausgeprägte Schicksalsergebenheit beruht auf der Annahme, die Dinge seien vorherbestimmt und der Mensch habe keinen Einfluss darauf. Das führt naturgemäß zu eher passivem Verhalten nach dem Motto "wish & wait", wie folgendes Beispiel eindrucksvoll belegt:
"Herr Klein besichtigt routinemäßig die Chemieanlage seiner Firma. Bei seinem Rundgang begleitet ihn der zuständige indische Werksleiter; Herr Arun. Herrn Klein fällt dabei auf dass einer der beiden Kompressoren für die Kühlanlage nicht funktioniert; was zu Schwierigkeitenführen könnte; sollte der zweite auch ausfallen. Erfragt Herrn Arun; warum und seit wann der Kompressor nicht funktioniert. Dieserentgegnet; dass die Anlage nun schon seit einem Jahreinen Kolbenfresser habe; er werde sich aber bestimmt bald darum kümmern. Kurz darauffällt auch der zweite Kompressor aus; was zu einem l.s-monangen Produktionsausfall führt. Herr Klein ist außer sich; Herr Arun wird fristlos entlassen. (Mitterer, Mimler, Thomas, S. 150). 11
Die Autoren empfehlen daher, im Hightech-Bereich besondere Kontrolle walten zu lassen und jemanden speziell dafür abzustellen, die Sicherheit und Funktionsfähigkeit von Maschinen zu überwachen und jeden Mangel nach oben zu melden.
Empfehlungen für richtiges Delegieren und Kontrollieren
133
Reflexion Bevor Sie weiterlesen, haben Sie an dieser Stelle wieder Gelegenheit, Ihre eigenen Schlussfolgerungen aus den obigen Hintergrundinformationen zu ziehen. Was würden Sie an Herrn Möllenhoffs Stelle anders machen?
6.9
Empfehlungen für richtiges Delegieren und Kontrollieren
Immer wenn konträre Auffassungen aufeinandertreffen, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Eine Harmonisierung ist nicht einfach und verlangt eine Menge Fingerspitzengefühl. Im Folgenden einige Leitlinien, die Ihnen illre Führungsaufgabe in hierarchieorientierten Kulturen erleichtern: •
Am besten fahren Sie anfangs, wenn Sie Aufgaben in sehr kleine Schritte zerlegen und jeden Schritt kontrollieren. Selbst wenn Urnen das nicht liegt und sehr arbeitsaufwändig ist, zahlt es sich meist aus, sich hier zunächst an andere Gewohnheiten anzupassen, um nach und nach die Handlungsspielräume erweitern zu können. Formulieren Sie auch kleine Zwischenziele und vergessen Sie nicht zu loben, wenn diese erreicht sind!
•
Wenn Sie Instrumente wie Ablaufpläne und Checklisten zur Kontrolle einführen wollen, denken Sie daran, die Gründe und Vorteile zu erläutern. Wundern Sie sich aber nicht, wenn Pläne und Listen nicht so haargenau befolgt werden wie von einem deutschen Mitarbeiter, der daran gewölmt ist. Üben Sie Nachsicht!
•
Kontrollieren Sie immer auch, ob besprochene Änderungen, Anpassungen und jegliche Art von Mängelbeseitigung auch wirklich durchgeführt wurden (z. B. Reparatur von Maschinen).
•
Bleiben Sie vor allem während eines komplexeren Projekts mit vielen Arbeitsgängen im engen Kontakt mit Ihren Mitarbeitern und signalisieren Sie Ansprechbarkeit. wenn zu häufig Rückfragen kommen, können Sie versuchen, diese bündeln zu lassen und feste Rücksprachetermine zu vereinbaren. Aber Vorsicht: Das ist eine sehr deutsche Herangehensweise, die behutsam und nicht olme Begründung eingeführt werden darf.
•
Vergewissern Sie sich, ob illre Anweisungen wirklich verstanden wurden. Das ist nicht ganz einfach, weil Sie sich auch bei einem "Ja" als Antwort längst nicht in Sicherheit wiegen können. Je nach Kultur, Verhältnis zum Mitarbeiter und Art der Aufgabe kann es einen Versuch wert sein, die Arbeitsschritte vom Mitarbeiter schriftlich formulieren zu lassen. Achten Sie aber auf drohenden Gesichtsverlust, wenn Sie danach korrigieren müssen!
134
Anweisen, delegieren, kontrollieren
•
Führen Sie Mitarbeiter schrittweise an mehr Selbstständigkeit und verantworttmg heran, indem Sie sie zu eigener Lösungssuche motivieren. Wenn Mitarbeiter zum Beispiel mit Fragen oder Problemen zu Urnen kommen, ist es hilfreich, sich in die Rolle eines Coachs zu begeben statt sofort mit eigenen Antworten aufzuwarten. So können Sie zum Beispiel gemeinsam mehrere Möglichkeiten sondieren, etwa: "Was könnten wir am besten tun; um ... ? Was haben Sie schon ausprobiert? Wie wäre esfür Sie am besten- wenn wir ... oder ... ?"
•
Vermeiden Sie Anweisungen im Befehlston. Selbst der hierzulande übliche kurze und knappe Stil, in dem meist Aufträge erteilt werden, kommt woanders oft als unfreundlich oder gar herrisch an.
•
Genau wie in der eigenen Kultur ist der Aufbau von Vertrauen das A & O. Tun Sie alles dafür, dass Ihre Mitarbeiter das Gefühl haben, etwas wagen zu dürfen und auch bei Fehlern beim Chef nicht in Ungnade zu fallen. Überprüfen Sie Ihre Fehlertoleranz und illre Flexibilität für vielleicht unkonventionelle Lösungswege.
•
Wenn Sie herausfinden wollen, ob es bei der Ausführung von Aufträgen Schwierigkeiten gab oder sogar Fehler vorkamen, die nicht gemeldet wurden, bringen Sie die Sprache möglichst beiläufig und auf indirekte Art darauf. Bauen Sie generell Distanz ab und pflegen Sie die Beziehungsebene. Genau wie in der eigenen Kultur erreichen Sie viel mehr bei Mitarbeitern, wenn die Beziehung stimmt und ein beiderseitiges Gefühl von Wertschätzung vorherrscht.
•
Machen Sie sich klar, dass Sie eventuell mit Erwartungen an illre väterliche Rolle konfrontiert und von Mitarbeitern auch in privaten Angelegenheiten konsultiert werden. Hier müssen Sie selber entscheiden, inwieweit Sie sich darauf einlassen wollen und welche Vor- und Nachteile Sie dadurch haben.
•
Diese Vorgehensweise kostet nicht nur Zeit, sondern erfordert auch eine Portion Flexibilität und Veränderungsbereitschaft von Ihrer Seite. Auf dem Weg zu mehr internationaler Kompetenz bringt es Sie auf jeden Fall voran, wenn Sie versuchen, flexibel mit autoritärem und kooperativem Führungsstil umzugehen und die unterschiedlichen Bedürfnisse auszugleichen.
7
Kritik und Lob
7.1
Fallbeispiel und Reflexion
Fortsetzung des vorigen Fallbeispiels (6.1):
Herr Möllenhoff, Teamleiter in einer Softwarefirma. zählt vorübergehend auch Herrn Sharma, einen Mitarbeiter aus Indien, zu seinem Team. Herr Sharma wurde im Rahmen eines Joint Ventures für ein Jahr nach Deutschland entsandt, um zusammen mit seinen deutschen Kollegen an einem neuen System zu arbeiten. Herr Möllenhoff ist aus verschiedenen Gründen nicht recht zufrieden mit der Leistung des neuen Mitarbeiters und als Herr Sharma heute Morgen wieder in seinem Büro steht, beschließt er, einmal ernsthaft mit ihm zu sprechen. Dieser kommt ihm jedoch mit einem Anliegen zuvor, das ihn nur noch mehr verärgert. Diesmal geht es nämlich nicht einmal direkt um die Arbeit, sondern um eine private Angelegenheit: Herr Sharma möchte den Rest des Tages und den nächsten Tag frei haben, weil er dem Cousin seiner Frau bei der Beseitigung eines Wasserschadens in der Wolmung helfen muss. Herr Möllenhoff sieht diese Bitte als den Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt, und ergreift die Gelegenheit, seine Unzufriedenheit kundzutun. Er bittet Herrn Sharma, Platz zu nehmen, und beginnt, ruhig und sachlich seine Einschätzung darzulegen. Zuerst sagt er, dass er ihm die zwei Tage nicht freigeben könne, weil der Antrag viel zu kurzfristig käme. Auch sei er olmehin mit seiner Arbeit in Verzug und zwei Tage Abwesenheit würden die Situation noch verschärfen. Außerdem sähe er in diesem Fall nicht die Dringlichkeit, denn schließlich ginge es ja nicht um sein eigenes Haus. Als Herr Sharma zwar leicht irritiert wirkt, aber fortfährt, ihn stumm anzulächeln, fühlt sich Herr Möllenhoff nicht ernst genommen und beschließt, noch deutlicher zu werden. Nun blickt er ihn eindringlich an und verleiht seiner Stimme noch mehr Nachdruck. Er äußert seine Verwunderung darüber, dass Herr Sharma sich wegen Kleinigkeiten ständig bei ihm rückversichert, aber nicht nachfragt, wenn ihm eine erteilte Aufgabenstellung nicht klar sei. Jedenfalls sei das seine Erklärung dafür, dass er einmal unbrauchbare Ergebnisse geliefert habe. Er halte das für unprofessionell und erwarte insgesamt mehr Eigenverantwortung und Initiative. Nun macht Herr Möllenhoff eine Pause und fordert seinen Mitarbeiter mit Blickkontakt auf, dazu Stellung zu nehmen. Der aber hält den Blick gesenkt, hat aufgehört zu lächeln und ist stattdessen den Tränen nahe. Herrn Möllenhoff ist diese Situation sichtlich unangenehm und er versucht, seine Kritik noch mit einigen positiven Worten abzumildern. Außerdem betont er, dass das alles selbstverständlich nicht persönlich gemeint sei, sondern lediglich Herrn Sharmas Arbeitsstil beträfe. Als dieser weiterhin reglos und tränenerstickt schweigend vor ihm sitzenbleibt, beendet Herr Möllenhoff die Unterredung und entlässt seinen Mitarbeiter. Er weiß nicht, was er davon halten soll: Ein weinender Mann, der sich nicht einmal zu verteidigen versucht, ist ihm noch nie untergekommen. Seiner
Kritik und Lob
136
Meinung nach ist er nicht einmal besonders hart mit Herrn Sharma ins Gericht gegangen schließlich ist er ja neu hier und außerdem Ausländer und weiß deshalb vielleicht noch nicht so genau, wie man in Deutschland arbeitet. Aber irgendjemand muss mit ihm ja endlich mal Klartext reden!
Reflexion Wie interpretieren Sie die Situation? Was fällt Ihnen auf?
Was denken, empfinden, erwarten ... die Beteiligten?
Herr Möllenhoff:
Herr Sharma:
Welche Kulturunterschiede werden hier sichtbar?
7.2
Kritikgespräche
Zentrales Thema hier ist ein Kritikgespräch - oder neutraler ausgedrückt: Mitarbeitergespräch mit Feedback. Herr Möllenhoff redet "Klartext", wie er selber sagt. Nach deutschem Verständnis heißt das, auch negative Dinge offen anzusprechen und Kritik zu üben, möglichst sachlich und unmissverständlich. Dass er damit Herrn Sharma völlig überfordert, scheint ihm zunächst nicht bewusst zu sein. Als Inder gehört Herr Sharma nämlich zu einem Kulturkreis mit großem Harmoniebedürfnis; man geht Konflikten möglichst aus dem Weg und direkte Kritik ist verpönt. Allerdings steht in hierarchischen Kulturen Vorgesetzten aufgrund ihres hohen Status durchaus das Recht zu expliziter Kritik an Mitarbeitern zu. Deshalb reagiert Herr Sharma nicht nur aus Überraschung so passiv, sondern auch, weil man einer Autorität nicht widerspricht und weil ihn diese negative Rückmeldung verletzt. Denn obwohl Herr Möllenhoff die Kritik sachlich gemeint (und hoffentlich auch so formuliert) hat und dies auch noch einmal beteuert, nimmt Herr Sharma die Rückmeldung persönlich; die hierzulande übliche Trennung von Person und Sache kennt er nicht. Wir können nur spekulieren, ob er sich nicht wertgeschätzt und vielleicht nicht gemocht fühlt; wahrscheinlich hat er das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Schließlich hat er ja das, was Herr Möllenhoff nun kritisiert, nur nach bestem Wissen und Gewissen getan, d. h. hat nach indischen Standards gehandelt.
Kritikvermeidung statt Kritikfreudigkeit
137
Sobald Sie wissen, wie die" typische deutsche" Art, Rückmeldung zu geben, woanders ankommt, können sich darauf einstellen und indirekter kommunizieren. Wenn Sie Fehler korrigieren müssen, sagen Sie es so unpersönlich wie möglich und äußern Sie Feedback grundsätzlich als Vorschlag oder Frage. Auf Englisch könnte es folgendermaßen klingen:
D Business English I think there must have been amistake. (Statt: You have made ... ) -
There seems to be an error/a misunderstanding. Could amistake have crept in? How about checking again ... ?
-
You may want to ...
-
why don't you ... ?
(weitere Vorschläge bei 13.2)
7.3
Kritikvermeidung statt Kritikfreudigkeit
Die große Bedeutung des in den meisten (!) Kulturen geltenden Kulturstandards Harmoniewahrung (um jeden Preis) kann gar nicht oft genug thematisiert werden, denn das ist ein gefährliches Minenfeld in der Zusammenarbeit von Deutschen und Ausländern. Mit kaum einem anderen Verhalten ecken wir derart oft an wie mit unserer direkten Art, anderen die Meinung zu sagen und auf Fehler hinzuweisen. Während man woanders über Unzulänglichkeiten anderer eher hinwegsieht und Kritik, wenn überhaupt, nur sehr indirekt und "durch die Blume" äußert, hält man hierzulande gern den Finger in die Wunde. Während man zur Aufrechterhaltung einer angenehmen Atmosphäre andernorts Konflikten eher aus dem Weg geht, sieht man bei uns die Fäh igk eit zur offenen Auseinandersetzung eher positiv. Beide diametral entgegengesetzte Gewolmheiten haben ihre Hintergründe und jeweils Vor- und Nachteile. Harmoniewahrung und Konfliktvermeidung finden wir in erster Linie in stark kollektivistisch geprägten Gesellschaften, in denen der Zusammenhalt der Familie und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (auch Arbeitsteams!) eine große Bedeutung haben. Hier ist man eingebettet, erfährt Schutz und Akzeptanz, ist aber auch in gewissem Maße abhängig von der Beurteilung und Gunst der Mitglieder. Dass man hier besonders vorsichtig mit kritischen Äußerungen und stets um eine harmonische Atmosphäre bemüht ist, liegt auf der Hand. Eine ausgeprägte Orientierung an Personen und Beziehungen sowie ein indirekter Kommunikationsstil gehen damit einher. Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen: Wir sprechen hier keineswegs von Kulturen, die man hierzulande als traditionelle, dem Leben in der Großfamilie verschriebene Kulturen bezeichnen würde. Die meisten Kulturen sind in diesem Sinne harmoniebedürftiger als wir. Selbst ausgesprochen individualistisch geprägte Länder mit
Kritik und Lob
138
direktem Kommunikationsstil wie die deutschsprachige Schweiz, Skandinavien und angloamerikanische Kulturen gehen bei der Äußerung von Kritik und dem Ansprechen von Konflikten vorsichtiger und diplomatischer vor als wir. Im Folgenden ein Beispiel aus Österreich, das beweist, wie sehr Kulturunterschiede im selben Sprachraum unterschätzt werden! Das Zitat stammt aus einer aufschlussreichen Studie eines Kulturvergleichs Deutschland, Österreich und der Schweiz: "Während Deutsche bei Österreichern das Gefühl bekommen; dass sie nie sagen; was sie wirklich denken und daher unaufrichtig und falsch sind; bemängeln Österreicher; dass sie von Deutschen immer wieder frontal angegriffen und durch deren Schroffheit verletzt werden. Die zentrale Aussage auf Seiten der Deutschen ist dass Österreicher nie wirklich sagen .toas Sache ist'. Die Österreicher aber fühlen sich von den Deutschen durch deren Direktheit .eor den Kopf gestoßen'. [ ...] Völlig entsetzt berichtet etwa ein österreichischer Student dariiber, dass ein deutscher Professor im Gespräch mit ihm die österreichische Wirtschaftspolitik frontal angegriffen hat, und mit noch deutlich spürbarem Entsetzen bekräftigt er nochmals sein völliges Unverständnis bezüglich dieser persönlichen Beleidigung: .Des hat er wirklich gesagW". (Brück, S. 105). l
l
An diesem Beispiel wird noch etwas anderes deutlich, nämlich unsere woanders durchaus gefürchtete Art, Kritik an anderen Ländern zu üben. Gerne sprechen wir Missstände im Land unseres Gesprächspartners an, machen Verbesserungsvorschläge oder stellen kritische (selbstverständlich rein sachlich gemeinte!) Fragen. Damit brüskieren wir andere aber - meist sogar, ohne es zu merken. Denn hierzulande ist es nicht unüblich, sich Kritik von anderen anzuhören, sogar selber einzustimmen und Probleme im eigenen Land zu diskutieren. Es gibt aber kaum ein anderes Land der Welt, dessen Bewohner Außenstehenden Kritik zugestehen, während sie selber über ihr Land schimpfen dürfen.
7.4
Sachliche Kritik - ein Mythos?
Eine der Hauptursachen für unseren Hang zu direkter Kritik ist die starke Sachorientierung und die Trennung von Sache und Person, die in dieser Ausprägung in kaum einer anderen Kultur existiert. Auf diesem Prinzip der Trennung beruht die hierzulande hochgehaltene und wertgeschätzte sachliche oder .jconstruknvc Kritik". Hochgehalten vielleicht, aber wertgeschätzt oder gar willkommen? Man darf getrost bezweifeln, dass das Modell tatsächlich funktioniert. Zwar sind die meisten zutiefst davon überzeugt, dass man sich mit der Kritik !/nur" auf die Sache, also einen Fehler oder ein Fehlverhalten, bezieht und nicht die Person meint. Aber wie sieht die Praxis jenseits aller Theorie aus? Zu selten verbleibt Kritik auf der rein sachlichen Ebene, denn wir sind im richtigen Geben und Annehmen von Feedback kaum geübt. In den wenigsten deutschen Unternehmen herrscht eine funktionierende Feedbackkultur. Zwar ist man hierzulande beim Austeilen von Kritik unter dem Etikett !Isachlich" nicht gerade zimperlich, aber wenn es darum geht, ebendiese Kritik tatsächlich nicht persönlich zu nehmen, scheitern viele. Trotz allen theoretischen Wissens darüber, wie es eigentlich sein sollte, und trotz Gewöhnung an (vermeintlich) sachliche Auseinandersetzungen sind auch wir Deutschen nicht davor gefeit, uns zuweilen angegriffen zu fühlen und gekränkt
Verschiedene Auffassungen von Wahrheit und Ehrlichkeit
139
oder beleidigt zu sein. Jahrelange Animositäten aufgrund von (unabsichtlichen) Kränkungen im Kollegenkreis, wahre Kleinkriege in Büros bis hin zu Mobbing sprechen Bände ... Vielleicht haben hier die Beziehungskulturen einen Vorteil gegenüber dem hiesigen Ideal der Sachkultur, denn für sie ist eine Trennung von Person und Sache gar nicht vorstellbar. Demensprechend ist es für sie selbstverständlich, dass zum Beispiel ihre Kritik an der Arbeit eines Kollegen oder die Ablehnung eines Gefallens Cnein" sagen!) nicht allein auf den Gegenstand bezogen sein kann, sondern immer auch den Menschen mit meint. Ob man das so oder anders sehen sollte, sei dahingestellt und deshalb geht es hier auch nicht darum, über "richtig" oder "falsch" zu entscheiden, sondern eine von unseren Standards abweichende Einstellung zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Mit unserer ausgeprägten Sachlichkeit, die mit schonungsloser Offenheit und oft sogar mit Besserwisserei und Belehrung einhergeht, schockieren wir Angehörige beziehungsorientierter Kulturen regelrecht. Wir bezeiclmen diese Menschen dann gern als "zu empfindlich", wenn sie verletzt reagieren. Ihren indirekten Stil hingegen deuten wir als Zeichen von Unsicherheit oder Inkompetenz, zuweilen sogar als mangelnde Offenheit oder gar als Unehrlichkeit. Besonders letzteres Urteil entspringt unserem Wertesystem und ist eng verknüpft mit der unterschiedlichen Auffassung von Wahrheit und Ehrlichkeit.
7.5
Verschiedene Auffassungen von Wahrheit und Ehrlichkeit
In Deutschland haben wir einen Wahrheitsbegriff verinnerlicht, der teclmischnaturwissenschaftlich definiert ist: Wer sich auf Fakten stützt (Sachorientierung!), sagt die Wahrheit und, so die Schlussfolgerung, ist ehrlich. Im Umkehrschluss ist für uns indirekte Kommunikation tendenziell unehrlich. Gepaart mit einem direkten Kommunikationsstil führt unsere Auffassung von Wahrheit oft dazu, dass wir schonungslos unsere Wahrnehmung, Beobachtung.. Meinung kundtun, selbst auf die Gefahr hin, dass sie bei anderen nicht gut ankommt oder gar verletzt. Aber um der vermeintlichen Wahrheit willen sehen wir keinen Grund, etwas zu verschweigen, diplomatisch abzumildern oder gar zu lügen. Es besteht eine starke Polarisierung Wahrheit - Lüge, und zwar mit klaren, kulturell geprägten Definitionen. Mit Einschränkungen gilt diese Auffassung von Wahrheit und Ehrlichkeit ähnlich im skandinavischen Kulturkreis, in Nordamerika und Australien. Mit Einschränkung deshalb, weil in diesen Kulturen eine stärkere Personenorientierung zu einer deutlich diplomatischeren, indirekten Ausdrucksweise führt, um niemanden zu verletzen und dadurch die dort wichtigere Beziehungsebene nicht zu beschädigen. Kulturen mit hohem Kontextbezug (alle anderen Kulturkreise, in Abstufungen) gehen von einem relativierten Wahrheitsbegriff aus, relativiert durch beziehungsbedingte Faktoren wie Höflichkeitsgebote, Harmoniebedürfnis, Loyalität, Pragmatismus. So werden manchmal Versprechungen aus reiner Höflichkeit gemacht, wobei dem Sprecher von vornherein
Kritik und Lob
140
klar ist, dass er sie nicht einhalten kann. Nach deutscher Definition wäre das wohl eine Lüge. Ein Fallbeispiel aus "Beruflich in der Türkei" (Appl. Koytek, Schmid, S. 109 f.) schildert eine solche Situation, in der eine deutsche Praktikantin in Ankara eine bestimmte Art von Schuhen kaufen will und die Kollegen vor Ort um Rat fragt. Auf die Antwort ,}a da gibt es schon ein paar Geschäfte in der 7. Straße. Da kann ja dann einer von uns mal mitgehen" hakt sie noch einmal nach und fragt, ob denn jemand jetzt gleich mitgehen könne. Sie erntet ein freundliches Lächeln und ein "Ja" von mehreren Seiten, aber niemand bietet sich konkret an; stattdessen wechseln sie das Thema. Die Praktikantin ist enttäuscht und fragt sich, warum die Türken erst Hilfe anbieten, wenn sie es dann doch nicht tun. Vielleicht unterstellt sie ihnen sogar, das Angebot von Anfang an nicht ernst gemeint zu haben, sie also - nach ihrer Interpretation - "angelogen" haben. Was auch immer der Grund dafür war, dass sie niemand begleiten wollte, die Türken haben nach ihren Normen gehandelt: Signale grundsätzlicher Hilfsbereitschaft gesendet und damit die Regeln von Anstand und Höflichkeit gewahrt. Die Zeichen für das türkische "Nein" hat die Deutsche nicht erkannt, nämlich Passivität und Themenwechsel. Dieses Beispiel führt uns wieder zum indirekten Kommunikationsstil in .Jugh-conrexrv-Kulturen und der Schwierigkeit, jemandem eine Bitte rundweg abzuschlagen. l
7.6
Werte hierarchie
Jede Kultur hat ihr eigenes Wertesystem und ihre eigene Definitionen eines Wertes. Das gilt natürlich genauso für jedes Individuum, wiewohl es vom Wertesystem der Nationalkultur geprägt ist. Sich mit den eigenen Werten zu beschäftigen, ist eine spannende und lohnende Sache. Dabei erfahren wir viel über uns und die Hintergründe unseres Denkens, Fühlens und Handelns. Und das hat mehrere Vorteile: Wenn wir wissen, warum wir bestimmte Dinge oder Zusammenhänge so und nicht anders beurteilen, erkennen wir die Subjektivität unserer Sichtweise. Und sobald uns klar ist, dass unser Werte- und Orientierungssystem keineswegs objektiv und allgemeingültig ist, können wir auch ein (ebenfalls subjektives) fremdes System würdigen. Außerdem werden wir freier und flexibler in unserem Verhalten. Das ist nicht nur für Begegnungen im internationalen Kontext nützlich, sondern auch für den privaten und beruflichen Alltag. So können wir zum Beispiel Entscheidungen bewusster treffen, wenn wir unsere Werte kennen. Woher aber sollen wir wissen, nach welchen Werten wir urteilen und handeln? Wie können wir herausfinden, was unsere internen Bewertungsmaßstäbe sind? Eine kleine Hilfe kann die Beantwortung folgender Fragen sein: •
Was ist mir wirklich wichtig im Leben?
•
Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit?
•
Wo steckt meine Energie?
•
Worauf kann/möchte ich nicht verzichten (am Arbeitsplatz, im Privatleben usw.)?
141
Werte hierarchie
Oft haben wir auch sogenannte Glaubenssätze verinnerlicht, die aus der Kindheit stammen und als Grundannahmen über die Welt noch immer handlungsleitend sind. Manchmal halten wir an ihnen fest, obwohl sie nicht mehr zu unserer Lebenssituation passen. Manche Werte stammen von Sprichwörtern, andere beruhen auf Geboten und Verboten von früher, zum Beispiel: •
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
•
Man darf nicht lügen.
•
Der Mensch ist von Natur aus gut/schlecht.
•
Du wirst nur geliebt, wenn du perfekt bist/gute Leistungen bringst.
•
Du musst ... / ... darfst nicht ... Reflexion
Nehmen Sie sich jetzt etwas Zeit, um sich Ihre Werte bewusst zu machen.
Ordnen Sie nun illre Werte nach der Wichtigkeit. Das können Sie in mehreren Schritten tun, z. B. zuerst eine Auswahl der sieben wichtigsten. Wählen Sie unter diesen dann die vier unverzichtbaren aus, von denen Sie eine Prioritätenliste 1-4 anlegen oder die Sie zur besseren Veranschaulichung in die Wertepyramide eintragen (wichtigster Wert an die Spitze, zweitwichtigster darunter etc.)
Abbildung 7.1
Wertepyramide (Begriff und Idee der Wertehierarchie nach Bolles)
3
4
Kritik und Lob
142
Die Werte ganz oben in Ihrer Pyramide stehen vielleicht in anderen Orientierungssystemen viel weiter unten, haben eine andere Definition oder tauchen dort gar nicht erst auf. Reclmen Sie damit, dass genau diese Werte immer wieder Ursache für Irritationen oder gar Konflikte sein können, wenn sie verletzt werden. Je besser Sie diesen Zusammenhang durchschauen, desto gelassener und flexibler können Sie handeln. Wenn Sie über illre Werte nachdenken, kann es auch aufschlussreich sein, sich über deren Geltungsbereich klarzuwerden. Sind zum Beispiel Pünktlichkeit oder Ehrlichkeit für Sie hohe Werte, könnten Sie überlegen, ob das für alle Situationen und Lebensbereiche gilt. Hier ein Beispiel aus dem interkulturellen Kontext: "Erhebliche Unterschiede weisen Wertesysteme zweier Kulturen auf Und zwar gerade dann; wenn ihnen unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen zugrunde liegen. Ein gutes Beispiel dafür sind China und Deutschland; wenn es um Ehrlichkeit beim Geschäftsabschluss geht. Chinesen schätzen Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit; müssen sich aber Fremden gegenüber - so glauben viele Chinesen - nicht daran halten. Das hat [... ] historische Gründe. [... ] Die Chinesen haben gelernt; sich nur mit der eigenen Familie verbunden zu fühlen und haben sich damit eine Lebens- und Verteidigungsgemeinschaft aufgebaut. Außerhalb dieser Bunde zeigen Chinesen selten Loyalität; erst recht nicht gegenüber Fremden." (Krämer, Quappe, S.59). Falls es Ihnen schwergefallen ist, Werte zu finden, hier einige Anregungen. Häufig genannte Werte sind z. B. (in alphabetischer Reihenfolge): Anerkennung, Ehrlichkeit, Erfolg, Familie, Geld, Gerechtigkeit, Macht, Ordnung, Sicherheit, Unabhängigkeit, Zugehörigkeit, Zuverlässigkeit (streng genommen sind z. B. Geld und Familie eher Mittel, um bestimmte Werte zu erreichen; das müssen Sie aber für diese Übung nicht so streng trennen). In Deutschland stehen übrigens in Umfragen seit Jahren unverändert Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Fairness und Familie als wichtigste Werte an der Spitze.
7.7
Feedback geben und loben
Zwar sind wir Deutschen mit Kritik und Gemecker recht schnell bei der Hand und geben auch gern ungefragt (meist negative) Rückmeldung, aber eine Feedbackkultur im engeren Sinne haben wir nicht. Für häufiges Feedback am Arbeitsplatz, und zwar positives, sind dagegen die USA ein Paradebeispiel. US-Amerikanern sagt man nach, dass sie sehr außenorientiert sind und stets gemocht werden wollen; deshalb ist Lob sehr wichtig. Hinzu kommt die Tendenz, gern in Superlativen zu schwelgen. Genau daraus entsteht in der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit oft Unzufriedenheit: Amerikaner sind irritiert und vermuten Probleme, wenn sie vom deutschen Chef kein Feedback erhalten. Deutsche Vorgesetzte verfahren nach der unausgesprochenen Regel: "Wenn ich nichts sage; ist alles in Ordnung. Nur wenn es etwas zu beanstanden gibt; melde ich mich. Hierzulande geht man davon aus, dass jeder sein Bestes gibt und gute Arbeit selbstverständlich ist. Deshalb - so die Schlussfolgerung - muss dies nicht besonders hervorgehoben werden. Nur wenn Leistungen noch verbesserungswürdig sind, erfolgt eine Rückmeldung, nämlich eine negative. An dieses Prinzip sind deutsche Mitarbeiter gewöhnt, wenn auch nicht unbedingt 11
Feedback geben und loben
143
damit glücklich. Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, stehen bei Umfragen nach ihrer Arbeitszufriedenheit Klagen über mangelnde Anerkennung und Wertschätzung durch ihre Vorgesetzten an oberster Stelle. Erhebungen weisen sogar einen Zusammenhang zwischen fehlender Anerkennung und erhöhtem Krankheitsrisiko nach. Mitarbeiter in den USA sind etwas anderes gewalmt. Für sie sind enger Kontakt zum Vorgesetzten und zu Kollegen sowie permanente Abstimmung und Diskussion unverzichtbar, denn das befriedigt ihr Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Leistungsvergleich. Besonders positives Feedback und explizites Lob werden zur Förderung der Motivation erwartet und von amerikanischen Vorgesetzten auch großzügig verteilt; sie feuern ihre Leute geradezu an, um Höchstleistungen zu erzielen. Im Gegensatz zu Deutschland wird wenig kritisiert; ein Zeichen für Unzufriedenheit oder Kritik ist das Ausbleiben von Lob, gemäß dem Motto "If you can't say something -aice. don'i say anything at all" - ein sehr weiser Satz! In unseren deutschen Ohren klingt das Loben auf amerikanische Art manchmal übertrieben und wir tun uns schwer mit dieser ,;Lobhudelei". Aber besonders deutsche Vorgesetzte von Mitarbeitern aus den USA sind gut beraten, ihren Stil hier umzustellen und viel öfter explizit zu loben. Auf Englisch könnte es zum Beispiel folgendermaßen klingen:
D Business English That was brilliant/outstanding! You did a great/an excellent job. It was a good idea of yours to ... Thanks for the effort you've put in this project. I really appreciate it. Dazu gehören übrigens auch die Würdigung und das konkrete Feiern von Erfolgen, was hierzulande meist sträflich vernachlässigt wird. Im Übrigen müssen wir gar nicht unbedingt über den großen Teich blicken, um uns in dieser Hinsicht nützliche Anregungen zu holen: Unser Nachbar Österreich zum Beispiel hat eine ausgeprägte Feedbackkultur und versteht es, Erfolge zu feiern. Wenn Sie Führungskraft sind und sich diesen neuen Stil aneignen, können Sie vielleicht auch etwas davon für Ihren Umgang mit deutschen Mitarbeitern mitnehmen. Diese werden es Ihnen sicher danken. Vergessen Sie vor allem solche Mitarbeiter nicht, die vielleicht eher unauffällig, aber zuverlässig und über Jahre hinweg eine große Stütze der Abteilung oder des Teams sind. Zu Unrecht werden diese Menschen leider oft übersehen. Aber keine Regel olme Ausnahme! Für Sie vielleicht überraschend demonstriert ein Fallbeispiel aus der Türkei, wie falsch man in dieser Kultur mit explizitem Lob liegen kann: .Frau Gruber ist Abteilungsleiterin eines Labors bei einem großen deutschen Unternehmen in der Türkei. Eines Tages bedankt sie sich nach einer besonders stressigen Woche bei ihren Angestellten für die gute Arbeit. Die Mitarbeiter sehen sie fragend an. Viele gehen irritiert davon. Frau Gruber kann nicht verstehen; dass sie sich nicht über das Lobfreuen. Statt sich zu bedanken; versuchen sie so schnell wie möglich zu verschwinden." (Appl, Koytek, Schmid, S. 117). Die Autoren erläu-
Kritik und Lob
144
tern im Anschluss, dass Türken von ihren Chefs Strenge gewalmt sind und kein verbales Lob erwarten. Anerkennung für gute Arbeit werde eher in anderer Form gezollt, etwa "mit Gehaltserhöhungen; Einladungen zum Essen; Prdmienzantung. gemeinsamer Betriebsausflug. (ebd.. S. 118).
1/
Womit sich Frau Gruber in den USA beliebt gemacht hätte, war in der Türkei kontraproduktiv. Genau diese Unterschiede machen das Handeln im internationalen Kontext zu einer großen Herausforderung. Da hilft nur, sich möglichst gut vorzubereiten, unerwartete Situationen und überraschendes Verhalten zu reflektieren und ansonsten aus Fehlern zu lernen. Im Zweifel richtet man aber in Fällen von Lob und Anerkennung sicher weniger Schaden an, wenn man eher einmal zu viel lobt als einmal zu wenig. Was meinen Sie? Noch eine Information ist in diesem Zusammenhang wichtig: Während Sie in Deutschland und den USA einzelne Mitarbeiter problemlos vor anderen loben dürfen, sollten Sie das in kollektivistischen Kulturen tunliehst unterlassen. Besonders in Japan, China, Russland sowie Polen müssen Sie Lob und - wenn überhaupt! - Tadel immer an die Gruppe richten, statt Einzelne herauszuheben. Tatsächlich haben ja auch alle an der Aufgabe mitgewirkt.
7.8
Emotionen
Wenn es um Lob und Kritik geht, drängt sich das Thema Gefühle auf. Besonders im Arbeitsleben gilt hierzulande die Regel, dass Emotionen dort nicht hingehören. Vor allem Fü h ru n gsk räfte meinen, sie könnten sich Gefühle im Job nicht leisten, und versuchen sich stets zu kontrollieren. Dabei übersehen sie aber, dass eine ihrer Aufgaben auch darin besteht, Mitarbeiter zu ermutigen, zu loben, zu korrigieren, Selbstvertrauen aufzubauen und Feedback zu geben. Das ist olme die Beteiligung von Gefühlen kaum möglich, und sei es "nur", dass ihre Worte oder eben ihr Fehlen (wie z. B. ausbleibendes Lob) emotionale Wirkung haben. Die völlige Ausklammerung von Gefühlen ist also eine Illusion. Gerade deutsche Führungskräfte sind gut beraten, eigene Emotionen zu zeigen, wenn sie mit Menschen aus Beziehungskulturen zu tun haben. Das heißt keineswegs, dass sie je nach Situation auch zu weinen anfangen oder in Begeisterungsstiirme ausbrechen müssen. Manchmal reicht es schon, Gefühle anderer nicht einfach zu übergehen, sondern Anteilnahme und Verständnis zu zeigen. Nur, wer auch als ganzer Mensch hinter der Funktion sichtbar ist, wird als authentisch erlebt, kann als Vorbild dienen und anderen Orientierung geben. In unserem Fallbeispiel hätte Herr Möllenhoff mehrmals Gelegenheit gehabt, diesen Rat zu beherzigen: zum ersten Mal, als er über Herrn Sharmas Wunsch nach Urlaub wegen Wasserschaden sprach. Selbst wenn es bei seiner Entscheidung.. den Urlaub abzulehnen, geblieben wäre, hätte er eine einfühlsamere Reaktion zeigen können, nämlich ausführliches Bedauern und umfangreiche Erläuterungen. Die nächste Gelegenheit wäre der Zeitpunkt gewesen, an dem er über Herrn Sharmas fehlerhafte Ergebnisse sprach. Herr Möllenhoff hätte vorab sein Verständnis dafür signalisieren können, dass er es als Neuling in der Fir-
Stimme und Blick
145
ma und beim Arbeiten in einer anderen als seiner Muttersprache möglicherweise nicht leicht habe; er hätte ihn für seine Fortschritte loben können. Er hätte ihn dann nach seiner eigenen Sichtweise fragen können und so vielleicht etwas über seine Beweggründe und Befindlichkeit erfahren. Seine Kritik hätte er trotzdem äußern können, besser aber wohl auf eine etwas indirektere Art, freundlich verpackt und flankiert von Lob für Dinge, die gut laufen. Die letzte Gelegenheit, Emotionen zu zeigen, hatte er, als Herr Sharma zu weinen begann. Zwar hat er das nicht vollständig ignoriert, sondern versucht, ihn mit einigen positiven Äußerungen zu beruhigen, aber für indische Verhältnisse reicht das nicht aus. Hier erwartet man Einfühlsamkeit und Verständnis, denn in Indien sind im Gegensatz zu Deutschland solche Gefühlsausbrüche auch bei Männern kein Zeichen von Schwäche oder gar peinlich.
7.9
Stimme und Blick
In unserem Fallbeispiel haben auch falsch interpretierte non-verbale Signale die Situation verschärft. Herr Möllenhoff fühlt sich von Herrn Sharma zunächst nicht ernst genommen, weil dieser ihn anlächelt, als er ihm die erste schlechte Nachricht überbringt. Vielleicht hat er das Lächeln nach hiesigen Vorstellungen als Überheblichkeit gedeutet, während Herr Sharma damit nur Gesichtsverlust zu vermeiden versuchte. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Lächeln meist Ausdruck von Freude, Sympathie, Freundlichkeit oder Zustimmung ist, bedeutet im asiatischen Kulturkreis eine bestimmte Art des Lächelns etwas anderes: Man lächelt auf diese Weise, wenn man etwas Negatives sagt oder hört, um sein Gesicht (und das des Gegenübers) zu wahren. Es kann ein Zeichen von Unsicherheit, Beschämung oder Nicht-Einverständnis sein und in diesem Fall das Gegenteil von dem bedeuten, was wir hierzulande hineininterpretieren. Wie so oft, wenn wir glauben, dass unsere Worte oder non-verbalen Signale nicht wirken, verstärken wir sie einfach, was nicht immer zum Ziel führt. Herr Möllenhoff verleiht seiner Stimme also mehr Nachdruck und blickt Herrn Sharma eindringlich an. Das aber verbessert die Situation nicht, weil lautes Sprechen unseren direkten Kommunikationsstil noch aggressiver und konfrontativer wirken lässt und das Gegenüber noch mehr in die Defensive drängt. Außerdem sucht und hält er Blickkontakt mit seinem Mitarbeiter, den dieser aber nicht erwidert. Auch hier liegen Fehlinterpretationen auf beiden Seiten vor: Während das Senken des Blickes in manchen Kulturen ein Zeichen für Respekt ist, wird es hierzulande völlig anders interpretiert: "Er kann mir nicht in die Augen schauen" heißt hierzulande, dass jemand ausweicht, etwas zu verbergen hat oder lügt. Blickkontakt zu halten ist bei uns also Ausdruck von Ehrlichkeit und gehört zum guten Ton, wenn man mit jemandem spricht. So werden zum Beispiel in Präsentationsseminaren explizit Teclmiken trainiert, wie und wann man zu seinem Gegenüber oder zu einem größeren Publikum Blickkontakt hält. Beim Agieren im internationalen Kontext sollte man im Hinterkopf behalten, dass das eine für die westliche Welt gültige Regel ist und in manchen Kulturen genau das Gegenteil gilt.
Kritik und Lob
146
7.10
Empfehlungen für das Äußern von Kritik gegenüber Angehörigen aus Beziehungskulturen
•
Oberste Regel: Überlegen Sie mehrmals, ob Sie das Feedback/die Kritik wirklich äußern müssen.
•
Falls die Kritik sein muss: Stellen Sie Positives heraus und Negatives in den Hintergrund.
•
Loben Sie grundsätzlich mehr, als Sie es in Deutschland gewohnt sind. Und keine Sorge: Für Menschen aus Beziehungskulturen klingt das noch lange nicht übertrieben!
•
Geben Sie dem anderen immer zu verstehen, was Sie an ihm schätzen und dass Fehler oder Fehlverhalten nichts daran ändern.
•
Formulieren Sie Negatives (Kritik, Korrekturen) so behutsam wie möglich, z. B. in Frageform (Was halten Sie davon; wenn ... ? Könnte man nicht auch ... ?).
•
Denken Sie immer an das Modell von Pfirsich und Kokosnuss: Der weiche Pfirsich darf nicht zu fest angefasst werden!
8
Kommunikation und Konflikte
8.1
Fallbeispiel und Reflexion
Frau Jahnke ist Mitglied eines fünfköpfigen international zusammengesetzten virtuellen Projektteams im Bereich Telekommunikation, das sich gerade konstituiert hat. Am engsten soll Frau [ahnke mit Frau Chochlowa (Russland) und Frau Hansen (Dänemark) zusammenarbeiten, die sie beide auf einem Kick-Off-Meeting kennengelernt hat und sehr sympathisch fand. Frau [ahnke reclmet daher mit einer guten und reibungslosen Kooperation und wunderte sich umso mehr, dass gleich in den ersten beiden Wochen die Kommunikation nicht nach ihren Vorstellungen verläuft: Wie verabredet hatte sie ihren Teil des Arbeitsplans stichpunktartig zusammengefasst, mit Terminvorschlägen versehen und einige Fragen zur Abstimmung ergänzt. Diesen Entwurf schickte sie per E-Mail an ihre Kolleginnen und bat um Rückmeldung innerhalb einer Woche. Von Frau Hansen kam bald darauf eine E-Mail zurück, während Frau Chochlowa nach einer Woche noch nicht reagiert hatte. Frau [ahnke fürchtete nun, dass die Russin ihre E-Mail womöglich übersehen hatte, und schickte sie zur Sicherheit noch einmal ab, diesmal mit der dringlicheren Bitte um rasche Rückmeldung. Als aber auch nach einer weiteren Woche nichts geschah, begann Frau [ahnke ärgerlich zu werden und sich zu fragen, wie ernst ihre russische Kollegin das Projekt wohl nahm (Fortsetzung s. 8.5).
Reflexion Können Sie sich vorstellen, warum Frau Chochlowa nicht antwortet?
Welche kulturellen Unterschiede könnten hier eine Rolle spielen?
Was würden Sie an Frau Jahnkes Stelle nun tun?
Bei diesem Fall spielen mehrere Gründe eine Rolle, weshalb Frau Chochlowa nicht antwortet. Einer davon ist uns in diesem Buch schon mehrfach begegnet:
148
8.2
Kommunikation und Konflikte
Dehnbarer Zeitbegriff, Hierarchien, Prioritäten
Als Russin ist Frau Chochlowa Vertreterin einer Kultur mit einem eher delmbaren Zeitbegriff, in der Zeit flexibel genutzt wird und Pünktlichkeit nach unserer Definition keine Priorität hat. Oft ist von vornherein klar, dass Fristen oder Termine nicht eingehalten werden können und kaum jemand wundert sich über Verschiebungen oder Verspätungen. Man lässt sich grundsätzlich mehr Zeit und arbeitet wesentlicher gelassener als hierzulande. Vielfach wartet man bewusst ab, ob sich nicht doch noch etwas ändert und sich die Arbeit von allein erledigt. Die Hoffnung "Es wird schon noch klappen" ist allgegenwärtig und Ausdruck eines gewissen Fatalismus. Statt aktives Handeln und Eigeninitiative gibt man quasi die verantworttmg an eine höhere Macht ab. Wenn Russen allerdings dann eine Sache doch noch in letzter Minute und unter Druck bewerkstelligen müssen, können sie sich im Allgemeinen auf ihr großes Improvisationstalent verlassen. Sehr oft klappt das auch, aber beileibe nicht immer, wie folgendes Beispiel aus "Beruflich in Russland" veranschaulicht: "Herr Below bekommt von seinem Chef Herrn Nagel; den Auftrag; ein Projekt zu betreuen. Herr Nagel fragt häufiger nach; ob es gelingen wird; die festgelegten Fristen einzuhalten. Herr Below sichert ihm zu; dass dies kein Problem sein wird. Der russische Kollegeerarbeitet jedoch keinen Projektplan und geht unsystematisch vor. Die Frist läuft nun bald ab. Herr Below beruft kurzfristig ein Gremium ein; dem es in der verbleibenden Zeit jedoch nicht möglich ist; die Aufgaben zu lösen. Der Termin wird nicht eingehalten. Herr Nagel ist sehr verärgert. Bis zum Ablauf der Frist wird er nicht darüber informiert; dass die Projektarbeit nicht termingerecht abgeschlossen werden kann." (Yoosefi, Thomas, S. 108). Der Deutsche hat in diesem Fall schon vieles bedacht, nämlich immer wieder nachgefragt, ob die Frist gehalten werden kann. Die Autoren empfehlen, hier noch einen Schritt weiterzugehen und die russischen Kollegen ein Konzept mit einzelnen Schritten (inkl. Fristen) erstellen zu lassen, die unter seiner Aufsicht abgearbeitet werden. Nun können wir diese Empfehlungen kaum auf unser Fallbeispiel übertragen, weil sich Frau Jahnke ja gegenüber Frau Chochlowa nicht in der Vorgesetztenrolle befindet und keinerlei Veranlassung hat, Terminpläne einzufordern. Dennoch mag der Faktor Hierarchieorientierung auch eine Rolle spielen. Je nachdem, wie klar und offen Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse vorab geklärt wurden, sieht sich Frau Chochlowa vielleicht nur gegenüber der Teamleiterin in der Pflicht und mag nicht auf Anweisung einer gleichgestellten Kollegin handeln. Möglicherweise sieht es für die Russin sogar so aus, als ob sich die Deutsche die Vorgesetztenrolle anmaßt. Das kann besonders dann der Fall sein, wenn die Deutsche einen sehr direkten, formalen Stil in ihren E-Mails gewählt hat. Der sehr ausgeprägte russische Nationalstolz mag es dann Frau Chochlowa womöglich zusätzlich erschweren, sich quasi unterzuordnen und prompt zu reagieren. Auch nicht von der Hand zu weisen ist, dass aufgrund der Gewölmung an starke hierarchische Strukturen nicht einmal die Teamleiterin für Frau Chochlowa eine Autoritätsperson ist, also wenig hätte ausrichten können. Vielleicht sieht sie nur ihren eigenen, direkten
Unterschiedliche Vorlieben für Kommunikationsmedien
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Vorgesetzten als weisungsbefugt. Mit solchen Schwierigkeiten haben Projektleiter oft zu kämpfen. Eine Leitungsfunktion sollten Sie deshalb sehr deutlich machen, wofür ein eher autoritärer Ton und Statussymbole dienlich sind; Letztere sind vor allem bei ersten Geschäftskontakten von großer Bedeutung. In Russland ist das Prinzip der Über- und Unterordnung allgegenwärtig und beobachtbar an einem gewissen Befehlston auf der einen und Gesten der Unterwürfigkeit auf der anderen Seite. Selbstsicheres Auftreten auch in untergeordneten Positionen, wie es vielleicht die Deutsche aus Sicht der Russin an den Tag gelegt hat, ist ungewohnt und wird einerseits abgelehnt, andererseits bewundert. Bewundert dann, wenn sich ein "Westler" etwa mit Behörden auseinandersetzen muss und beharrlich und selbstbewusst sein Anliegen durchzusetzen versucht. Eng verknüpft mit einem eher dehnbaren Zeitbegriff ist die Prioritätensetzung. In polychronen Kulturen, zu denen auch Russland gehört, werden Aufgaben meist parallel bearbeitet und Prioritäten ständig verändert - je nachdem, wie dringlich eine Aufgabe ist bzw. wie dringlich sie gemacht wird. Das betrifft auch Anweisungen, die von Vorgesetzten kommen und ins Leere laufen können, wenn sie nicht nach bestimmten Regeln erfolgen. Besonders Deutsche als Führungskräfte in diesen Ländern klagen sehr oft über das Problem, dass ihre Arbeitsaufträge nicht so befolgt werden, wie sie es aus Deutschland gewolmt sind. Und wie erteilt man Aufträge, die auch wirklich als wichtig bzw. dringlich eingestuft werden? Liefern Sie stets ausführliche und nachvollziehbare Begründungen, erinnern Sie immer wieder an die Aufgabe und fragen Sie nach dem Stand der Bearbeitung. Das Wichtigste aber ist: Sprechen Sie mit dem Mitarbeiter persönlich! Selbst das Telefon ist besser als eine E-Mail. Und genau das wäre auch in unserem Fallbeispiel erfolgversprechender gewesen: mündliche statt schriftliche Kommunikation!
8.3
Unterschiedliche Vorlieben für Kommunikationsmedien
Frau [ahnke hat für ihre Anfrage zweimal die E-Mail gewählt, ein in Deutschland übliches Kommunikationsmittel, das auch in der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg gang und gäbe ist. Dabei übersehen wir oft, dass es trotz dieser internationalen Geschäftsgepflogenheiten kulturell geprägte Vorlieben für bestimmte Kommunikationswege gibt, die das elektronische Medium nicht immer als die ideale Wahl erscheinen lassen: Während wir Deutschen (als sachorientierte Kultur) uns im Beruf gerne schriftlich informieren und austauschen, bevorzugen viele andere Kulturen die mündliche Kommunikation, idealerweise bei einem persönlichen Treffen, als zweitbeste Wahl bei einem Telefonat.
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Kommunikation und Konflikt e
Abbildung 8 .1
Schreiben od er reden?
0 : xyriSle.de
Ich hatte t Ulen mehrfach geschrieben,
dass ...
mündlich Auch Frau ChochIowa hätte als Angehörige einer Beziehung sku ltu r auf ein Te lefonat wahrscheinlich m it größerer Berei tschaft reagiert,. d ie. aus stehende Rückm eldu n g zu geben. Russen gelten als extr em beziehungsoeenüeet und ohne emoocnale Bind ung zwischen Kolkgen oder ~schäftspartnern lauft ra cht viel. Wh"! au ch d ie Vera nstalter der NRW-Tage in Mosk au feststellen m ussten, "Business Knigge Intematicnal" liefert die folgende Begründung; " Die VeT>l11std fung entpuppte sich als Flop. Das lToblem; Das LAnd hatte die Orgattisation an eine Agentur übertragen, die formEll einige Faxe Vt'Tsrndri SOWie'l1I russische Mf!Ssetel11lChmn lediglich eitlige Fakten u nd Zahlen übermittelt haue. Doch nur wnl ein Geschiift f ür einen deutschEn Geschiiftspm-lneT in Moskau vielleicht interessant oder exotisch ist, ht:ißl es noch lange nicht, dass der russische GeschP.ftsp artner dies gemlUSv empfin.dd. Er erhält unzählige Einladungen und Faxe. Wer sich QU S der M asse abheben WIl l, kom mt um 2usiiizliche A nrufe und am ~su:n ein Treffrn nicht herum ." (Oppel. 5. 1(5). E-11dil s sind in der in ternation alen Zus ammenarben unve rzichtb ar. Sie sind zeitsp arend. wei l die Komm uni kati on u na bh ängig von Zeitzonen aufrechter halten wer den kann. Ma n da rf aber au ch ni cht ü bersehen, d ass sich gera de da d urc h der Stres sleve l eüer Betei ligte n erheblich erh öht. Denn och bevorzugen hie rzulande vieje d as schr iftliche Medi um, vor allem wenn sie in einer Fremd sprache kommunizieren müs sen. Im Gegens atz zum mündliehen Au stau sch kÖI1n€Il sie in Ruhe formulieren und fehltmde Vokabe ln n achsehen. ohne - wie in eine m Tejefcn gespr äch - unter Dr uck zu geraten. Au ch der gera de bei uns Deutsehen gef ürch tete Sma Dtalk in einer Premd spea che entf allt we itestgehend. Dies sind einige der Grü n de, wesha lb wi r so gerne E-rvIails verschicken. Diese vermeintl ichen Vor teile sind aber in d er Zu sammenarbeit mit An gehörigen v on Beziehungskul turen gleichzeiti g Nachteile. Denn der A usta us ch ohne Stimme, ohne Körperhaltung und an dere Au sd ru cksfor men bleib t eingeschränkt. Menschen aus Beziehongskaltceen empfinden ihn als unpe rsönlieh u n d ignorieren des hal b E-1fails gerne - wi e es au ch im Fallbeispiel geschehen ist.
Schriftlichkeit: kurz, knapp, direkt
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Wählen Sie also im Zweifel immer eher das" persönlichere" Medium: Telefonat statt EMail, Videokonferenz statt Telefonat usw. Welches Medium sinnvoll ist, hängt natürlich auch von der Komplexität der Aufgabe und der Situation ab. Reine Information, einfache Ja-Nein-Entscheidungen und Routineberichte können am ehesten auf schriftlichem Wege laufen, während umfangreichere Diskussionen als Entscheidungsgrundlage komplexere Medien erfordern. Wenn Sie trotz aller Warnungen weiterhin überwiegend E-Mails verschicken wollen, statt zu telefonieren, sollten Sie Ihren Nachrichten einen möglichst persönlichen Anstrich geben - selbst wenn der vorausgehende Kontakt eher flüchtig war. Nachfolgend einige Vorschläge für eine eher formale ("We ... ") und zwei informelle E-Mails mit Smalltalk-Charakter auf Englisch:
D Business English -
We hope you had a safe trip horne. As we discussed in the meeting, we will ... I hope the flight wasn'ttoo bumpy! ... Anyway, back to work. Could you ... ? How's it going? Not too busy, I hope? [ust wanted to let you know ...
Beziehungspflege dürfen Sie auch am Telefon nicht vernachlässigen. Denken Sie immer daran, ein Telefongespräch mit einer freundlichen Begrüßung und einem persönlichen Einstieg zu beginnen, auch wenn Sie Ihren Gesprächspartner nicht sehr gut kennen! Falls es Ihnen nicht liegt oder unpassend erscheint, selber Smalltalk zu initiieren, gehen Sie auf jeden Fall auf Gesprächsangebote ein. Dasselbe gilt auch für die Anrede mit Vornamen, wenn Ihr Gegenüber damit beginnt. Vermeiden Sie stets, kurz angebunden und einsilbig zu reagieren, auch bei der Beendigung eines Gesprächs. Es geht nicht darum, besonders lange bei Smalltalk verharren. Oft reicht ein Austausch von zwei oder drei Sätzen, bevor Sie zum Geschäftlichen kommen. Das ist kein großer Zeitverlust; die Geste zählt!
8.4
Schriftlichkeit: kurz, knapp, direkt
Wir Deutschen sind im internationalen Vergleich sehr textgläubig. Die Anzahl unserer Hinweisschilder, die umfangreichen Anleitungen zum Ausfüllen von Formularen und seitenlange Gebrauchsanweisungen sprechen Bände. Typisch sind Reaktionen wie: "Aber das steht doch da! Können Sie denn nicht lesen? Dafür ist das Schild doch da!", wenn jemand mündlich nachfragt (Ruder, S. 27). Daran ist auch nichts auszusetzen, solange wir es im eigenen Kulturkreis praktizieren und niemand daran Anstoß nimmt. Wir sollten aber wissen, dass Angehörige vieler anderer Kulturen eine solche Reaktion nicht nur als unhöflich empfinden, sondern auch weniger an schriftliche Kommunikation (z. B. Lesen von Hinweistafeln) gewöhnt sind. Für uns hat Schriftlichkeit also einen hohen Stellenwert: Alles, was schriftlich fixiert ist - sei es eine Anfrage per E-Mail, eine Eintragung im Terminkalender, ein Sitzungsprotokoll oder eine vertragliche Vereinbarung -, gilt als ausreichend und verbindlich. Nach dem Grundsatz "Es gilt das geschriebene Wort" verlassen
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Kommunikation und Konflikte
wir uns meist blind darauf, ohne weiter nachzufragen. Das ist woanders keineswegs so, wie wir bereits im Zusammenhang mit Termintreue und Verträgen gesehen haben. Ein weiterer Grund für Frau Chochlowas Schweigen kann der Ton in der zweiten E-Mail gewesen sein. Möglicherweise hat Frau [ahnke für russische Verhältnisse viel zu direkt und formal formuliert, wie etwa in diesem Beispiel: "In einem deutsch-französischen Projekt hatte eine deutsche Mitarbeiterin ein Fax folgenden Wortlauts nach Frankreich geschickt: /... Ich hatte Sie mehrfach darum gebeten; mir die wichtigsten Ergebnisse des Meetings vom vergangenen Montag mitzuteilen. Da ich morgen früh meinem Vorgesetzten darüber berichten muss; bitte ich Sie nun dringend. mir diese noch heute zu mailen. . ..' Der Vorgang wurde von französischer Seite bis zum Vorstand eskaliert. Die Mitarbeiter beschwerten sich über die völlig unangemessene. unhöfliche Tonart. Ein persönlicher Anruf hätte dieses Problem oermieden." (Hoffmann, Schoper, Fitzsimons, S. 84). Bekanntlich kann man sich einer mündlichen Aufforderung auch schlechter entziehen als einer schriftlichen, besonders dann, wenn man aus einer Kultur kommt, in der man ungern fInein" sagt. Das hätte Frau [ahnke für sich nutzen können. Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, nach dem Kick-Off-Meeting den Kontakt direkt noch einmal mit einem kurzen informellen Anruf zu festigen. Wie wichtig solche Gesten für den Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind, hat sie aber völlig unterschätzt. Besonders in virtuellen Teams machen sich die unterschiedlichen Bedürfnisse nach persönlichem Kontakt bemerkbar und vor allem für Mitglieder aus Kulturen mit starkem Gruppenzusammenhalt bedeutet diese eher fleinsame" Arbeitsweise eine enorme Umstellung.
8.5
Fortsetzung des Fallbeispiels und Reflexion
Allmählich bahnt sich ein handfester Konflikt an: Frau Chochlowa hat sich auch nach weiteren drei Tagen nicht gemeldet. Frau [ahnke ist aber auf eine Rückmeldung angewiesen und inzwischen entsprechend unter Druck. Schon mehrmals hat sie versucht, ihre russische Kollegin telefonisch zu erreichen, aber immer scheint diese in Meetings zu sein. Nach weiteren zwei Tagen ruft Frau Chochlowa endlich zurück und entschuldigt sich sofort ausgiebig dafür, dass sie es nicht geschafft habe, sich früher zu melden. Ein Kollege sei plötzlich erkrankt und sie habe kurzfristig einspringen müssen. Frau Jahnke ist aber inzwischen Entschuldigungen kaum noch zugänglich und erwidert, dass ja ihre E-Mail nun schon einige Wochen her sei. Sie möchte wissen, wieso Frau Chochlowa nicht wenigstens eine kurze Zwischeninfo geschickt habe. Schließlich sei ja die gegenseitige Rückmeldung vereinbart gewesen und jede im Team habe ein Anrecht darauf; aus ihrer Sicht sei es unkollegial, sich überhaupt nicht zu melden. Auch sei Frau Chochlowa nun schuld daran, dass das Projekt in Verzug geraten und vielleicht sogar der Abgabetermin des gemeinsamen Konzepts gefährdet sei. Zu Frau Jahnkes Verblüffung geht Frau Chochlowa gar nicht weiter auf die Vorwürfe ein, wird aber merklich kühler und sagt Frau [ahnke ihre sofortige Rückmeldung per E-Mail zu, was auch geschieht (Fortsetzung des Fallbeispiels s. 9.1).
Bedeutung von Regeln und Vereinbarungen
153
Reflexion Wie interpretieren Sie die Situation? Was fällt Ihnen auf?
Was denken, empfinden, erwarten die Beteiligten?
Frau Jahnke:
Frau Chochlowa:
Welche Kulturunterschiede werden in dieser Szene sichtbar?
8.6
Bedeutung von Regeln und Vereinbarungen
An der konfrontativen Art von Frau Jahnke wird deutlich, welch große Bedeutung Termine und deren Einhaltung für sie haben. Sie hat sich an die Vereinbarungen gehalten und ist davon ausgegangen, dass ihre Kollegin das ebenfalls tut. Hätte jene sich aus wichtigen Gründen nicht daran halten können, hätte sie eine frühzeitige Information darüber erwartet. So sind die Regeln in der Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen, die Frau [ahnke stillschweigend auch für die internationale Teamarbeit vorausgesetzt hat. Vereinbarungen nachzukommen ist für Deutsche selbstverständlich und stellt eine wichtige Facette des deutschen Kulturstandards "internalisierte Kontrolle" dar (s. 6.6). Wer Regeln und Vereinbarungen einhält, gilt bei uns als verlässlich; wer das nicht tut, ist unzuverlässig. Regeln und Vereinbarungen und deren Befolgung haben aber nicht überall einen derart hohen Stellenwert wie hierzulande und in Frau Chochlowas Kultur läuft es in dieser Hinsicht ohnehin anders: Im Zweifel wartet man eher ab, bis jemand konkret nachfragt, entschuldigt sich und setzt spätestens dann alles daran, dem Anliegen noch zu entsprechen. Weil sich am Thema Regeln und Vereinbarungen häufig Konflikte entzünden, an dieser Stelle noch einige Hintergründe dazu. Wir Deutschen gelten im Ausland als "regelverliebt"; das bezieht sich vor allem darauf, nicht nur möglichst viele Dinge vorausschauend zu regeln, sondern auch auf die Einhaltung dieser Regeln zu achten, und zwar bei sich selber als auch bei anderen. Wer sich nicht an Regeln und Vereinbarungen hält, wird im Zweifel darauf hingewiesen und sollte einen triftigen Grund für die Regelverletzung haben. Das ist genau das, was Frau Jahnke tut, indem sie ihre Kollegin zur Rechenschaft zu ziehen versucht. Aus Frau [ahnkes Sicht ist ihre Frage nach einer Erklärung nur recht und
Kommunikation und Konflikte
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billig, da die Kollegin ja gegen die (implizite) Regel" Vereinbarungen werden eingehalten und bei Problemen wird unaufgefordert informiert" verstoßen hat. Frau [ahnkes Konfrontation verfehlt aber ihre Wirkung, weil Frau Chochlowa gar nicht erst darauf eingeht. In der Tat kommt diese Art, andere zur Rechenschaft zu ziehen, im Ausland nicht besonders gut an; sie wird oft als Erziehungsmaßnahme und Belehrung gesehen, wenn nicht gar bespöttelt. Hier sollten wir also im internationalen Kontext besonders vorsichtig sein, um das Klischee vom regelungswütigen und noch dazu schulmeisterlichen deutschen Besserwisser nicht noch unnötig zu strapazieren. Ein besonders großes Fettnäpfchen lauert dort, wo wir der Versuchung erliegen, andere vor Dritten auf Fehler oder Fehlverhalten hinzuweisen. Was auch hierzulande als unprofessionell gilt, beschert deutschen Vorgesetzten im Ausland einen enormen Imageverlust und verursacht großen Schaden. Sie müssen nämlich damit rechnen, dass nicht nur der solchermaßen Zurechtgewiesene verletzt ist, sondern auch die anderen Anwesenden mit Ablelmung reagieren.
8.7
Tipps für mehr Flexibilität im Umgang mit Regeln und Vorschriften
•
Versuchen Sie, nicht immer und "aus Prinzip" auf Vorschriften und deren Einhaltung zu pochen. Gehen Sie lieber mit gesundem Menschenverstand heran und zeigen Sie sich flexibel.
•
Verzichten Sie so oft wie möglich auf Belehrungen, wenn andere eine Regel übertreten oder eine Vorschrift nicht beachtet haben.
•
Überprüfen Sie, inwieweit Sie sich von selbst auferlegten Regeln einengen lassen; begehen Sie selber ab und zu einen Verstoß gegen Vorschriften, die nicht (mehr) sinnvoll oder zeitgemäß sind.
8.8
Austragung von Konflikten und die Rolle von Emotionen
Frau [ahnke hätte also viel eher ein "Lebenszeichen" von Frau Chochlowa gebraucht; deren Entschuldigung zum jetzigen Zeitpunkt kommt für sie zu spät. Vielleicht fühlt sich Frau [ahnke nicht ernst genommen und sieht in der Begründung, ein Kollege sei erkrankt, vermutlich eine Ausrede. Frau [ahnke ist es gewohnt, Kritik direkt anzusprechen und Konflikte offen auszutragen. Deshalb macht sie auch keinen Hehl daraus, was sie vom Verhalten ihrer Kollegin hält, und nimmt eindeutige Schuldzuschreibungen vor. Mit ihren bohrenden Fragen nach den Gründen für Frau Chochlowas wochenlanges Schweigen treibt sie diese zusätzlich in die Enge. Die Russin ist einen derart konfrontativen Stil aber nicht gewolmt, denn in ihrer Kultur versucht man eher, Konflikte verdeckt zu klären, Kompromisse zu finden oder Konflikte gar nicht anzusprechen und stattdessen mit ilmen
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Austragung von Konflikten und die Rolle von Emotionen
zu leben. Auch anderen gegenüber Fehler oder Schuld einzugestehen, ist eher unüblich. Deshalb versucht Frau Chochlowa, dem Streit aus dem Weg zu gehen, indem sie gar nicht erst auf die Vorwürfe der Deutschen eingeht. Damit läuft Frau [ahnkes Wut ins Leere, was diese noch unversöhnlicher macht. Zwar erhält sie jetzt die gewünschte Rückmeldung, aber für sie ist der Konflikt noch nicht aus der Welt geschafft. Aus deutscher Sicht hat Frau [ahnke völlig nachvollziehbar gehandelt: Abbildung 8.2
Konfliktlösung auf Deutsch
,.. I
Lösung suchen
Schuldigen identifizieren
Ursachen klären
Konfli kt offe n ansprechen
Wie bei jeglicher Art von Problemlösung ist hierzulande eine detaillierte Analyse in mehreren Schritten üblich. Besonders wichtig ist, dass der Schuldige festgestellt wird, er seinen Fehler eingesteht und sich möglichst entschuldigt. In vielen Fällen scheint das um des Lerneffekts willen auch sinnvoll. Aber leider schießen wir dabei manchmal über das Ziel hinaus und vergessen vor lauter Schuldsuche, nach vorn zu blicken und Probleme schnell zu lösen. Andere Kulturen (allen voran die USA) sind da pragmatischer und richten ihre Aufmerksamkeit von Anfang an eher auf die Lösungssuche. Manchmal können wir davon lernen! In diesen Zusammenhang passt auch der deutsche Begriff "Streitkultur". Er bezeichnet eine in diesem Fall tatsächlich typisch deutsche Art der Diskussion, die es in anderen Kulturen kaum in dieser ausgeprägten Form gibt. Wir stellen in Gesprächen gern widerstreitende Meinungen gegenüber, verteidigen sie mit möglichst stichhaltigen Argumenten und versuchen, die Meinung des Gegenübers durch Aufdeckung der Schwachpunkte zu entkräften. Oft geht es hierbei ums Rechthaben und Rechtbehalten. Im Prinzip ist an dieser Art der Gesprächsführung nichts zu kritisieren, wenn alle Beteiligten an diesen Stil gewölmt sind und ihn sogar als intellektuelle Herausforderung schätzen. Wenn allerdings Angehörige anderer Kulturen involviert sind, sollten wir uns der Tatsache bewusst sein, dass wir mit diesem Stil eher abschreckend, nämlich rechthaberisch und aggressiv wirken. In vielen Kulturen gilt eben nicht das Herausarbeiten von Pro und Kontra als kompetente
Kommunikation und Konflikte
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Leistung, sondern das Geschick, unterschiedliche Meinungen zu integrieren und ggf. zu einem Kompromiss zu kommen. Diese konträren Haltungen können bei geschäftlichen Meetings ebenso aufeinandertreffen wie in informellen Situationen, wo wir Smalltalk als das Austragen von Meinungsverschiedenheiten leicht missverstehen. Frau Chochlowas Reaktion auf die Angriffe der Deutschen scheint zunächst unverständlich. Sie geht kaum darauf ein und wehrt sich nicht, reagiert aber merklich kühler. Hier sind Emotionen im Spiel, die sich nicht unbedingt in sichtbaren Gefühlsausbrüchen niederschlagen, aber dennoch die Beziehung beeinträchtigen. Russen gelten als sehr emotional. Wer enge persönliche Bindungen zu ihnen aufbauen kann, dem begegnet man mit großer Gastfreundschaft, ausgesuchter Höflichkeit und Hilfsbereitschaft. Sympathie kann man aber auch leicht verspielen und damit unerwartet in Ungnade fallen. In der Terminologie der Kulturstandards bezeichnet man das als "situative Polarität", die im "Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation" folgendermaßen beschrieben wird: "Dieser Kulturstandard geht mit Emotionalität einher und beschreibt das Verhalten einer Person; das ins Gegenteil; in den anderen Pol; sehr schnell umkippen kann; je nach eingetretener Situation oder geänderten äußeren Umständen; in der sich die Person befindet: [ ...] mögen - hassen / NäheDistanz [... ] Geduld - Ungeduld / Loyalität - Aggressivität." (Lyskov-Strewe, Schroll-Machl, S. 108).
8.9
Empfehlungen: Interkulturelle Konflikte besser managen
•
Von Anfang an und immer wieder Erwartungen, Regeln, Vereinbarungen transparent machen und ggf. erläutern. Kalkulieren Sie immer ein, dass andere Ihre verinnerlichten Normen und Regeln gar nicht kennen oder eine lockerere Einstellung dazu haben.
•
Bedenken Sie also immer: Konflikte resultieren weniger aus Bosheit als vielmehr aus Missverständnissen!
•
Verzichten Sie öfter mal auf rückwärtsgewandte Schuldsuche und blicken Sie nach vorn, um eine rasche Lösung des Problems bzw. Konflikts zu finden.
•
Eignen Sie sich generell einen defensiveren Stil für Konfliktsituationen an. Versuchen Sie es auf der Beziehungsebene, wenn die Fronten sich zu verhärten drohen.
Die letzte Empfehlung verdient eine zusätzliche Erläuterung, denn sie stößt hierzulande leicht auf Ablelmung: In unserem Fallbeispiel wäre es wahrscheinlich erfolgversprechender gewesen, wenn Frau [ahnke der ganzen Angelegenheit einen persönlicheren Anstrich gegeben hätte. Dafür hätte sie auf die Gefühlsebene gehen und Frau Chochlowa um Verständnis für ihre (Frau Jahnkes!) missliche Lage bitten können. Außerdem hätte sie noch betonen sollen, wie wichtig gerade Frau Chochlowas Beitrag zum Gelingen des Projekts sei. Vielleicht wenden Sie jetzt ein: "Aber es geht hier doch gar nicht um Gefühle und Verständnis! Frau Jahnke hat doch ein Anrecht auf die Rückmeldung und sie hat doch auch recht mit ihren vonourjen. Und weshalb soll sie die Kollegin jetzt noch umschmeicheln?" Stimmt! Ganz nüch-
Empfehlungen: Interkulturelle Konflikte besser managen
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tem und sachlich betrachtet hat sie recht und auch ein Anrecht auf eine Antwort. Aber was nützt das, wenn es auf die bisherige Weise trotzdem nicht funktioniert? Natürlich könnte sie ihr Recht durchsetzen, zum Beispiel die Sache eskalieren lassen und die Teamleiterin einschalten. Aber damit verhärten sich die Fronten wahrscheinlich und die Zusammenarbeit wird kaum besser. Die Tendenz, "unser gutes Recht" durchzusetzen und dabei womöglich noch laut zu werden, stößt in vielen Kulturen auf Unverständnis und Ablelmung. Meist erreicht man damit nicht einmal sein Ziel - oder nur um den Preis einer gestörten Beziehung.
9
Teamwork
9.1
Fallbeispiel und Reflexion
Fortsetzung des vorigen Fallbeispiels (8.1, 8.5): Nach einigen Anlaufschwierigkeiten gestaltet sich die Teamarbeit inzwischen ganz passabel, wenngleich immer wieder unterschiedliche Herangehensweisen zutage treten. So fällt zum Beispiel auch der Teamleiterin Frau Rüegg (Schweiz) auf, dass einige Teammitglieder öfter und andere seltener in Kontakt zu ihr treten, wenn es neue Erkenntnisse, Ideen oder auch Fragen gibt. Als einzige tritt bisher Frau Chochlowa nie selber in Erscheinung, obwohl einige Vorschläge des Teams ganz offensichtlich aus ihrer Feder stammen. Frau Rüegg vermutet, dass die Russin vielleicht nicht an eine Kommunikation auf Distanz gewölmt ist. Heute hat Frau Rüegg nach längerer Zeit ein persönliches Treffen mit allen Mitgliedern anberaumt, denn der erste Meilenstein ist erreicht und das Team soll ihr den fälligen Zwischenbericht vorstellen. Zu Frau Rüeggs Verwunderung hält sich Frau Chochlowa wieder im Hintergrund und ergreift nur selten das Wort. Im Gegensatz zu ihren Teamkollegen scheint sie keinerlei Interesse daran zu haben, ihren Beitrag zu dem erfolgreichen Zwischenergebnis herauszustellen; stets betont sie die Teamleistung. Die anderen Teilnehmer hingegen nutzen das Forum, um sich mit ihren individuellen Leistungen ins rechte Licht zu rücken; emtge , verkaufen" sich sogar sehr geschickt. Nun fragt sich Frau Rüegg allmählich, inwieweit sich die Russin überhaupt in die Teamarbeit einbringt. Das muss sie bald herausfinden, denn am Ende des Projekts steht auch eine Bewertung aller Mitarbeiter an. Frau Rüegg bemerkt, wie sie im Laufe der Sitzung Frau Chochlowa gegenüber immer ungeduldiger wird und sie mit direkten Fragen herausfordert. Sie muss abe r feststellen, dass sie die Russin damit nur weiter in die Defensive drängt.
Reflexion Wie erklären Sie sich Frau Chochlowas Verhalten?
Welche kulturellen Hintergründe könnten eine Rolle spielen?
Kollektivismus und Individualismus
9.2
159
Kollektivismus und Individualismus
An dieser Stelle wird ein wesentlicher russischer Kulturstandard deutlich, der Kollektivismus. Das bedeutet, dass sich Menschen weniger als Individuen, sondern als Teil einer Gruppe wahrnehmen. Mehr noch als in manch anderen kollektivistisch geprägten Kulturen hat in Russland die Tradition des "Kollektivs" überlebt. Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl bezieht sich nicht nur auf Freunde und Familie, sondern prägt auch den Arbeitsalltag: Wer zusammen arbeitet, versteht sich quasi als Familie - und das mit allen Konsequenzen. Jeder weiß (fast) alles von jedem und Eingriffe in die Privatsphäre sind nicht selten. Die meisten verbringen nicht nur den ganzen Tag bei der Arbeit zusammen, sondern setzen sich auch in den Pausen zusammen und treffen sich oft in der Freizeit. Deshalb ist es für Russen, aber auch für andere Angehörige kollektivistischer Kulturen sehr befremdlich zu beobachten, dass deutsche Kollegen ihre Pausen nicht selten alleine verbringen oder sich sogar einzeln in die Kantine begeben und dort alleine an einem Tisch Platz nehmen. Diese Gewolmheit ist eher in individualistisch geprägten Kulturen anzutreffen, die zudem strikt zwischen Beruf und Freizeit bzw. Geschäftlichem und Privatem trennen. Deutschland ist dafür ein Paradebeispiel. In "Beruflich in Russland" wird ein Fall geschildert, der das für uns kaum nachvollziehbare starke Zusammengehörigkeitsgefühl illustriert: Es geht um die Pausenregelung in einem Hotel in St. Petersburg. Der deutsche Manager hatte die Mitarbeiter mehrmals gebeten, ihre Pausen so zu legen, dass in bestimmten Einrichtungen (Wäscherei, Reinigung) immer jemand anwesend ist. Doch die Mitarbeiter verbringen weiterhin ihre Pausen gemeinsam, schließen ihre Einrichtungen einfach ab und sehen auch keine Notwendigkeit, das zu ändern, als sich ein Kunde beschwert. Nach der Aussage der Autoren ist die "geschilderte Situation ein Beispiel für zum Ritual gewordene Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. Mögliche Ermahnungen oder gar Sanktionen durch die Vorgesetzten tun dem Bedürfnis; den Zusammenhalt im Kollektiv zu wahren; keinen Abbruch. (Yoosefi, Thomas, S. 39). Hinzu kommt hier nach der Aussage der Autoren noch die mangelnde Kundenorientierung. Service und Bedienung nach hiesigen Standards sind selten: "Der Kunde ist in Russland noch immer kein König. [... ] Viele Deutsche berichten; dass sie wegen der schroffen Reaktion einer Verkiiuferin verunsichert waren. [... ] Alles; was nach westlichen Vorstellungen ganz selbstverständlich unter Dienstleistungen fällt; wird in Russland häufig als Service angesehen; für den man extra aufkommen muss." (ebd. S. 39 f.). 11
Zum funktionierenden harmonischen f;Familien"-Leben gehören wie in allen kollektivistischen Kulturen die Vermeidung von Konflikten und größtmögliche Anpassung an die Gruppennormen. Das erfordert die Unterordnung eigener Bedürfnisse und eine gewisse Bescheidenheit im Dienste der gemeinsamen Sache. Besonders in sozialistisch geprägten Ländern sind zum Teil noch (unausgesprochene) Botschaften wie "Einer für alle und allefür einen oder" Wir sind alle gleich und keiner soll sich auf Kosten anderer hervortun allgegenwärtig. In Russland dürfte auch die politische Vergangenheit einen großen Anteil daran haben, dass es zur Überlebensstrategie wurde, sich nicht aus der Masse herauszuheben. Das bezieht sich vor allem auf die ältere Generation, zu der auch Frau Chochlowa gehört. Sie hat 11
11
160
T eamwork
s olche Re geln verinnerlicht und dementsprechen d d anach gehandelt: Sie w ill ni cht au s der Gruppe her austreten u n d keinesfalls be sser al s die an deren Teammitglieder da stehen. Da s k önnte ni cht nu r Unfrieden stiften, s on dern w om öglich so gar Konfl ikte h erv orrufen, was sie auf jeden Fal l vermeiden w ill. Mit dieser Sichtweise steht Fr au Chochlow a im kr asse n Gegensatz zu ihren durch eine
in divi dualisti sche Ku ltur ge prägten Kolle gen Für diese sin d Selbstv erwi rklichung und entf aIhmg hohe Werte und dazu gehört au ch die selbstbewu sste Dar stellung de r eigenen Leist unge n und Komp etenzen. Ganz bes on de rs sti cht ein Teanunitglied au s den USA m it seiner Selb stdarstellung he r au s. D as ist au ch ni cht w ei ter verw underlich, sin d do ch die USA als die am stärk sten vom In divid ualismus geprägte Kul tur. Sich gut d arz ustellen und die eigenen Interes sen zu verfolgen. gilt als positi v u n d h at keinen negativen Beiges chmeck v on Egoismus. Dementsprechen d fäll t die Id entifizierung m it d er Gruppe und Betonu ng des Teamgeists w esentl ich gerin ger aus als etwa bei de r Ru ssin.
Abbildung 9.1
Verschiedene Pers pektiven
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Solange d en Beteil igten nicht bewusst ist, nach welche n gegensätzlichen Pr inzipien und zugrunde lie gende n Wert en sie handeln, bleibt es bei Fehlurteil en. Hi er w äre die Teamleiterin Frau Rüegg gerragt. in einem Einzelgespräch ih re Erw a rtungen a n Fr au Chochl ow a deutlich z u mache n u n d vor dem Hinter grund kultureller Unters chiede zu erl äutern. Sie mü sste sie auf d ie beobachtete Di skrepanz a ufmerk sam machen und zu be de nken geben,. d ass sie sich in einem Umfeld, in dem die Mehrheit aus in di vi du ali stischen Kulturen stam mt, m it ihrer Zurü ckhalt ung a uf Dau er sch adet. Das ka rtn Frau Rüegg n atürlich nur, we1U1 sie sich sel ber dieser H inte rgr ünde bewusst ist Al s Schw eizerin gehört sie einer in dividualisti schen Kul tur a n und hat offensichtlich bisher keine Erfahrungen m it Mi tarbeitern au s kollektivistischen Gesellschaften. Son st könnte sie Frau Ch ochlow as Verh alten von v ornherein be sser einordnen, wür de ni cht an ihrer Leistung zweifehl und ihr ni cht m it Unged uld be ge gnen. wenn Fra u Rüegg ein Ge sprä ch ohne Kenntnis bzw. Thematisienmg der Kulturunterschiede führt, ist d ie Gefahr gr oß, d ass es Fr au Chochlowa als Kr itik auffasst, unter Dr u ck ger ät und dennoch ihr Ve rhalten nicht aus eigener Kr aft än de rn k ann.
Bescheidenheit und Understatement
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Noch viel folgenreicher wäre es allerdings, wenn die Teamleiterin nur nach Augenschein ginge, sich von ihren gewohnten Maßstäben leiten lassen würde und eine Leistungsbeurteilung nach den Kriterien einer individualistischen Gesellschaft schriebe. Leider ist das häufig der Fall und daraus folgt oft eine Verkennung von Leistungen und im schlimmsten Fall die Abwanderung von Talenten. In diesem Zusammenhang mag auch das ausgeprägte russische Hierarchiebewusstsein Auswirkungen auf Frau Chochlowas Verhalten gehabt haben. Möglicherweise war sie davon ausgegangen, dass in Besprechungen genau wie in Russland der Chef im Mittelpunkt steht und dass geringe Beteiligung und keine von der Chefmeinung abweichenden Äußerungen erwartet werden.
9.3
Bescheidenheit und Understatement
Besonders ausgeprägt ist der Wert Bescheidenheit bei Japanern und Chinesen, was auf uns und ganz besonders auf US-Amerikaner sehr befremdlich wirkt. Ein bezeichnendes chinesisches Sprichwort lautet zum Beispiel: "Der Vogel der seinen Kopf heraussirecki, wird abgeschossen." Nach dieser Weisheit ist man in China mit Zurückhaltung und Bescheidenheit immer auf der sicheren Seite, "und so ist es weit oerbreiiei, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Komplimente werden deshalb zwar entrüstet abgewehrt aber dennoch gern gehört. Ein Autor bittet bescheiden um Kridk: wenn er sein Buch mit einer persönlichen Widmung versieht. Ein erfolgreicher Geschäftsmann versichert stets, dass seine Geschäfte nur mäßig laufen. Mancher ist mitlienenschuxr, und wirkt dennoch. als bedürfe er einer kleinen Zuwendung." (Kuan. HäringKuan, S. 105). Aber keine flRegel" olme Ausnahme: Genauso wie Chinesen gerne untertreiben, können sie auch maßlos übertreiben. Während selbstbewusst auftretende Ausländer in China als zu arrogant abgelelmt werden, geben sich manche Chinesen selber gerne überlegen und neigen bei ihrer Selbstdarstellung zu maßlosen Übertreibungen (s. Kuan, Häring-Kuan, S. 115). Westliche Geschäftsleute sind zuweilen auch erstaunt über die zunehmende Ellenbogenmentalität mancher Chinesen. l
l
In Sachen Untertreibungen müssen wir übrigens gar nicht erst weit gen Osten blicken, um eine gewisse Art der Bescheidenheit auch in unserer Nähe auszumachen, nämlich das sprichwörtliche Understatement der Briten. Obwohl es sich um eine individualistisch geprägte Kultur handelt, ist hier übertriebene Selbstdarstellung verpönt. Man spricht und handelt nach dem Gebot "Mach dich nicht wichtig" und übt stets Selbstdisziplin. Das mag u. a. damit zusammenhängen, dass sich Briten stärker als wir mit Gruppen identifizieren (soziale Schicht, Schule, Universität, flClubs", Arbeitsteams). Sie pflegen bekanntlich einen wesentlich indirekteren und höflicheren Kommunikationsstil, als er hierzulande üblich ist; Höflichkeitsfloskeln und Entschuldigungen sind allgegenwärtig. Wenn Sie auf den britischen Inseln gut ankommen wollen, sollten Sie es sich angewölmen, doppelt so oft flbitte", fldanke" und f/Verzeihung" zu sagen, als Sie es von hier kennen! Understatement und indirekter Kommunikationsstil zeigen sich auch darin, dass man eigene Meinungen nur zögerlich kundtut und Widerspruch nur so vorsichtig formuliert,
162
Teamwork
dass die meisten Deutschen ihn gar nicht als solchen erkennen - eine häufige Quelle von Missverständnissen bei deutsch-britischen Begegnungen. Auch zurückhaltende Selbstdarstellung ist ein "Muss": Akademische Titel bleiben unerwähnt, eigene Leistungen und Erfolge werden heruntergespielt, Lob und Anerkennung eher mit dem Hinweis auf Zufall oder Glück zurückgewiesen. Bei Präsentationen kann es vorkommen, dass ein britischer Redner mit den Worten" vveii. I suppose I know a bit about ihai" beginnt, während er in Wahrheit als Experte auf seinem Gebiet gilt. Briten wissen seine Aussage richtig einzuordnen, nämlich als Code für den gegenteiligen Inhalt, während deutsche Zuhörer dann leicht den Fehler machen, die Worte für bare Münze zu nehmen - gemäß dem hier vorherrschenden direkten (,)ow-context") Stil. Beachten Sie diese Kulturunterschiede und stellen Sie sich auch bei Ihren eigenen Präsentationen darauf ein! Gewisse Älmlichkeiten mit dieser Art von Understatement sind auch bei unseren unmittelbaren Nachbarn zu beobachten. In den Niederlanden kommen großspurige Deutsche überhaupt nicht an. Zwar darf man als Deutscher durchaus bestimmt auftreten, aber die eigenen Leistungen und Erfolge nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Auch in der deutschsprachigen Schweiz sollten Deutsche vorsichtig sein. Zum Teil dürfte die Tatsache, dass Deutsche hier, ähnlich wie in den Niederlanden, kritisch gesehen werden, auch dem Syndrom des kleineren Nachbarn geschuldet sein. Davon abgesehen weisen aber die beiden Nachbarländer tatsächlich erkennbare Unterschiede zu Deutschland auf. Zwar pflegen etwa die Schweizer auch einen dem deutschen nahestehenden direkten Kommunikationsstil, gehen aber Konflikten eher aus dem Weg und vermeiden übertriebene Selbstdarstellung. Insgesamt lässt man mehr Höflichkeit und Rücksichtnahme walten; olme "bitte", "danke", "Entschuldigung" usw. geht nichts. Ein Tipp für Deutsche aus "Grüezi und Willkommen", den man auch bei Begegnungen mit vielen anderen Kulturen beherzigen sollte: "Als Deutscher jährt man in der Schweiz in jedem Fall am besten mit maßvoller Selbstverleugnung - so machen es die Einheimischen auch. Nicht zu taut. nicht zu schnell und jede Vehemenz vermeiden." {Sitzler, S. 27). Interessante Parallelen zu unserem Fallbeispiel und den Erläuterungen zeigen sich, wenn wir Verhalten und Einstellungen von Menschen aus den alten mit denen der neuen Bundesländer vergleichen. Selbst heute noch ist zu beobachten, dass in der früheren DDR sozialisierte (vor allem ältere) Menschen zuweilen Schwierigkeiten haben, sich mit westlichem Erfolgsstreben und Einzelkämpfertum zu arrangieren. Umgekehrt haben 'I Wessis" meist wenig Verständnis für diese Anpassungsprobleme und können mit dem Verweis auf innere Werte und Tugenden wie Bescheidenheit und Solidarität wenig anfangen. Schulz von Thun und Kumbier haben in ihrem Buch 'I Interkulturelle Kommunikation" (S. 17 ff.) ein treffendes Bild vom sogenannten Inneren Team von '/Ossis" und 'I Wessis" nachgezeichnet und die Unterschiede ausführlich erläutert. Etwas abgeändert und zusammengefasst stellt es sich folgendermaßen dar:
Unterschiedliche Einstellungen zu Teamarbeit
Abbildung 9.2
163
Ossi trifft Wessi (in Anlehnung an Schulz von Thun, Kumbier, S. 20)
Bücher mit Titeln wie ,)hr könnt uns einfach nicht verstehen!" (Klein) bringen die Problematik auf den Punkt und zeigen frappierende Ähnlichkeiten mit nationalen Kulturunterschieden. Genau wie hierzulande vor bereits längerer Zeit ist der Wert Bescheidenheit auch in Russland im Wandel begriffen. Zwar handelt die Mehrheit noch nach diesem Maßstab, aber die Generation junger Russen hat weniger Skrupel, zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen ihre Vorzüge herauszustellen und auf Erfolge zu verweisen. Wie so oft in Zeiten sehr raschen Wandels verkehrt sich so manche ehemalige Tugend ins Gegenteil und nicht selten schießen manche dabei übers Ziel hinaus. So entstand die Schicht der "neuen Russen", die mit übertriebenem Prestigedenken, Maßlosigkeit und auffälligem Auftreten so manchen Landsmann - und nicht nur den - fassungslos machte. Weniger extrem, aber durchaus auf Status bedacht, sind heute viele russische Geschäftsleute. Als Statussymbole gelten teure Autos, Kleidung. Schmuck und Visitenkarten mit möglichst vielen Titeln. Wie in vielen Ländern großer politischer Umwälzungen und/oder raschen wirtschaftlichen Wachstums werden Sie auch hier auf eine Bandbreite von traditionellen bis modernen Prägungen treffen und Sie sollten genau hinsehen, mit wem Sie es zu tun haben und wie Sie entsprechende Verhaltensweisen zu interpretieren haben.
164
9.4
Teamwork
Unterschiedliche Einstellungen zu Teamarbeit
Nun kommt die Teamleiterin als Schweizerin zwar aus einer individualistisch geprägten Kultur wie der deutschen und auch dort werden eher individuelle als gemeinschaftliche Leistungen honoriert, aber es gibt doch Nuancen und etwas anders gelagerte kulturelle Hintergründe. Insbesondere deutsche Führungskräfte gelten als Individualisten und Einzelkämpfer; ihr Bezug zu Gruppen ist schwach ausgeprägt und die Förderung des Gruppenzusammenhalts sehen sie weniger als Führungsaufgabe an als Kollegen aus anderen Kulturen. Das bestätigt auch die GLüBE-Studie (s. Sonnenmoser, S. 64). Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich der Länder Deutschland, deutschsprachige Schweiz und Österreich. Hierzu ein Auszug aus "Interkulturelles Management", der als weiterer Beleg dafür dienen mag, dass man kaum verallgemeinernd von einem "deutschen" Kulturkreis sprechen kann, wenn man Kulturunterschiede differenziert betrachten will: "Die Tutsache. dass Schweizer die Vorzüge von effizienter Gruppenarbeit mehr als Österreicher zu schätzen missen, ist in den Kulturstandards Effizienz und Gruppenbildung zu erkennen. [..]. Sehr deutlich zeigt sich das bei der Frage nach der bevorzugten Arbeitsweise (Trompenaars. 1993 S. 78). Schweizer entscheiden sich viel häufiger für Teamarbeit als Österreicher. Wenn allerdings ein Fehler in der Arbeit eindeutig zugeordnet werden kann, so entspricht es der schweizerischen Ordnung und Korrekiheii, dass die einzelne Person dafür zur Verantwortung gezogen wird. Schließlich ist doch jeder für sich alleine verantwortlich (eberuia, S. 184). Österreicher hingegen fühlen sich weniger stark zur Teamarbeit hingezogen. Sie trachten nach Freiraum, den sie nicht gerne aufs Spiel setzen. Diese Freiräume geben ihnen die Möglichkeit ihr Arbeitsfeld im Zuge der Betonung von Zuständigkeiten selbst zu strukturieren und auch selbst in der Hierarchie aufzusteigen. Wenn sie aber im Team arbeiten. sind sie eher bereit, alle Konsequenzen gemeinsam zu tragen, auch wenn ein Teammitglied einen Fehler verursacht hat (eoenda. S. 82). Damit werden Konflikte innerhalb der Teams vermieden. Hier kann man auch einen deutlichen Unterschied zu Deutschland erkennen. Im Sinne des im Vergleich zur Schweiz stärker ausgeprägten Leistungsgedankens arbeiten Deutsche lieber alleine und stehen auch bei Teamarbeitfür ihre Fehler alleine ein." (Brück, S. 204). 1
l
9.5
Mitarbeiterbeurteilung und Zielvereinbarungen
In kollektivistischen Kulturen wird nicht angestrebt, die Leistung des Einzelnen in einem Team zu identifizieren und zu belohnen. Ergebnisse von Teamarbeit werden immer dem Kollektiv zugeschrieben und dafür werden alle oder niemand belohnt. Vor diesem Hintergrund sind auch Personalbeurteilungen zu sehen. Hier steht eben nicht die individuelle Leistung des Mitarbeiters im Mittelpunkt, sondern sein Verhalten als Gruppenmitglied (z. B. Kooperation, Geduld, Verständnis, Fairness). Eng damit verbunden ist die Auffassung, dass gemeinsam verbrachte Pausen und sonstiges informelles Beisammensein am Arbeitsplatz (z. B. bei Geburtstagsfeiern) und Smalltalk zur Beziehungspflege als Teil der Arbeitszeit gesehen werden. Beurteilt werden Menschen ja auch schon, bevor sie überhaupt einen Arbeitsplatz antreten, nämlich bei Vorstellungsgesprächen. Auch hier gilt: Wenn Sie als
Empfehlungen für den Umgang mit kollektivistisch geprägten Teammitgliedern
165
Deutscher einen russischen Bewerber überwiegend danach beurteilen, wie selbstbewusst er sich darstellt und" verkauft", können Sie gewaltig irren. Ein zuverlässigeres Bild über seine wahren Kompetenzen bekommen Sie, wenn Sie konkrete Fachfragen stellen und ggf. Assessment Center abhalten. In diesen Zusammenhang gehört auch das Thema "Management-by-Objectives (MbO)". Die Führung durch Zielvereinbarung oder Zielvorgabe ist ein klassisches Instrument der westlichen, individualistischen Kulturen. Der Vorgesetzte führt und beurteilt einzelne Mitarbeiter nach ihrer individuellen Leistung und Aufgabenerfüllung, und zwar anhand von vorher festgelegten, messbaren Zielen. In den individualistischen Kulturen gibt es zwar Unterschiede, die aber im Vergleich zum Vorgehen in kollektivistischen Kulturen minimal sind: Während es in eher hierarchischen Gesellschaften (z. B. Frankreich) üblicher ist, Ziele vorzugeben, vereinbaren in eher egalitären Gesellschaften (z. B. Niederlande) Vorgesetzte und Mitarbeiter die Ziele gemeinsam. In Deutschland findet man beide Varianten, je nach Unternehmenskultur, Branche oder individuellem Führungsstil. Grundsätzlich ist dieses Führungsinstrument dort geeignet, wo abgegrenzte Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten Tradition haben, wie etwa in Deutschland. Problematisch kann es werden, wenn Sie es auf Angehörige kollektivistischer Kulturen anwenden, da dort nicht individuelle Leistungen oder Einzelinteressen im Vordergrund stehen, sondern die von Gruppen. Das Herausheben Einzelner könnte den Gruppenzusammenhalt beeinträchtigen, was wegen der großen Bedeutung harmonischer zwischenmenschlicher Beziehungen kontraproduktiv und in traditionellen, kollektivistisch geprägten Unternehmen ein grober Führungsfehler wäre. Dass man nicht Einzelne vor Gruppen loben oder gar auf Fehler hinweisen soll, wissen inzwischen die meisten. Aber auch andere gut gemeinte, vermeintlich harmlose Signale der Anerkennung oder Bevorzugung können einzelne Mitarbeiter in eine unangenehme Lage bringen und großen Schaden anrichten.
9.6
Empfehlungen für den Umgang mit kollektivistisch geprägten Teammitgliedern
•
Thematisieren Sie die unterschiedlichen Kulturstandards, machen Sie Ihre Erwartungen und Beurteilungskriterien transparent und verfahren Sie danach.
•
wenn noch offen ist, ob das Team eher nach individualistisch oder kollektivistisch geprägten Normen arbeiten soll, können die Diskussion und eine Vereinbarung darüber eine erste echte Teamaufgabe sein.
•
Setzen Sie nie Ihnen vertraute Instrumente (z. B. zur Zielvereinbarung) ein, ohne sie auf Kulturverträglichkeit überprüft und erläutert zu haben.
Teamwork
166
9.7
Selbstkompetenz: Emotionen nutzen, flexibler handeln
Frau Rüegg bemerkt, dass sie immer ungeduldiger wird und deshalb die Russin fast bedrängt. Damit hat sie einen wichtigen ersten Schritt getan: Sie nimmt ihre Emotionen wahr und bemerkt, wie diese ihr Verhalten beeinflussen. Sie hätte aber noch einen zweiten Schritt machen müssen, zu dem wir weiter unten kommen. Übung 1 Nutzen auch Sie Emotionen als Information, statt sie zu übergehen oder sich von ihnen überwältigen zu lassen! ~
Fragen Sie sich zum Beispiel:
~
Welche Emotionen haben mich gerade im Griff? Warum habe ich so ein komisches Gefühl? Was genau verunsichert mich gerade? Worüber ärgere ich mich jetzt konkret? Bevor wir Frau Rüeggs Situation weiter analysieren, haben Sie hier Gelegenheit, Antworten zu finden. Versuchen Sie sich an eine Situation zu erinnern, für die Sie illre Emotionen im Nachhinein klären möchten. Notieren Sie hier Ihre Antworten zu den obigen Fragen:
Falls es Urnen schwerfällt, heben Sie sich die Übung einfach auf, zum Beispiel für illre nächste Autofahrt im Berufsverkehr, für eine Auseinandersetzung mit Kollegen, für eine wichtige Entscheidung oder für eine Situation im interkulturellen Kontext. Frau Rüeggs Antworten auf diese Fragen würden vielleicht folgendermaßen lauten: "Ich ärgere mich darüber; dass die Russin mir keinen Beweis ihrer Kompetenz liefert. Ich verliere langsam die Geduld mit ihr; weil sie sich meinen Fragen entzieht." wenn Frau Rüegg genauer hinsehen würde, könnte sie erkennen, was wirklich geschieht, wenn Gefühle im Spiel sind: Es werden nämlich meist •
vorannahmen nicht erfüllt,
•
Erwartungen enttäuscht,
•
Werte verletzt.
Selbstkompetenz: Emotionen nutzen, flexibler handeln
167
Konkret hat Frau Chochlowa also Frau Rüeggs Vorannahme, alle Teammitglieder würden sich gleichermaßen beteiligen und selbst darstellen, nicht erfüllt. Auch hat sie Frau Rüeggs Erwartung enttäuscht, Hinweise für die Mitarbeiterbeurteilung zu erhalten. Sie hat vielleicht Werte wie Ehrlichkeit und Offenheit berührt und möglicherweise auch das Vertrauen der Schweizerin in die eigene Führungskompetenz erschüttert. Sobald Frau Rüegg die Situation auf diese Weise reflektieren und all diese Faktoren in Betracht ziehen kann, wächst die Chance auf eine bessere Kanalisierung der Gefühle und auf flexibleres Verhalten.
Übung 2 Machen auch Sie den zweiten Schritt und versuchen Sie, illre Situation weiter aufzuschlüsseln: Diese Vorannahme wurde nicht erfüllt:
.
Diese Erwartung wurde enttäuscht:
.
Diese Werte wurden verletzt:
.
10
Problem lösung
10.1
Fallbeispiel und Reflexion
In der polnischen Niederlassung einer deutschen Versicherungsgesellschaft sind Frau Hermanski (Polin) und Frau Roth (Deutsche) als Sachbearbeiterinnen tätig. Mittlerweile sind sie ein gut eingespieltes Team mit älmlichen Kompetenzen und Aufgaben. Eine gewisse Arbeitsteilung besteht lediglich aufgrund der Sprachkenntnisse, wenngleich beide Frauen in beiden Sprachen arbeitsfähig sind: Wenn Präsentationen oder schriftliche Berichte auf Deutsch anstehen, übernimmt Frau Roth diese; für derartige Aufgaben auf Polnisch ist Frau Hermanski zuständig. Vor diesem Hintergrund wundert sich die polnische Teamleiterin Frau Montowska über folgende Begebenheit sehr: Zwei Kollegen des Stammhauses aus Deutschland sagten sich kurzfristig in der polnischen Niederlassung an, um Vorschläge für ein neues Bearbeitungsverfahren inkl. Softwareprogramm zu besprechen. Dazu benötigten sie einige Zahlen vorab und baten darum, in Form einer kurzen Präsentation über das bisher in Polen praktizierte Vorgehen und die genutzte Software informiert zu werden. Frau Montowska teilte den Kollegen ihr Bedauern darüber mit, dass sie selber wegen einer Geschäftsreise nicht anwesend sein könne, ihnen aber ihre deutsche Mitarbeiterin Frau Roth zur Verfügung stünde. Als sie Frau Roth darüber informierte und um die Vorbereitung der Präsentation für den nächsten Morgen bat, brach diese zu ihrer Überraschung in helle Verzweiflung aus: Das sei viel zu kurzfristig, sie habe gerade etwas ganz anderes auf dem Tisch und könne unmöglich in nur ein paar Stunden alle nötigen Informationen zusammentragen und dann auch noch eine gute Präsentation daraus erstellen. Frau Montowska versuchte deutlich zu machen, dass es ja nicht um einen ausführlichen Bericht oder eine perfekte Powerpoint-Präsentation ginge, sondern es reichen würde, wenn sie die aktuellsten Zahlen nähme, eine Demo der Software laufen ließe und ansonsten über ihre eigenen Erfahrungen mit dem Programm und der hiesigen Vorgehensweise berichte. Frau Roth schien einen Moment zu überlegen, blieb aber bei ihren Bedenken. Da schaltete sich ihre Kollegin Frau Hermanski ein und bot an, die Aufgabe zu übernehmen. Zwar sei ihr Deutsch nicht so gut, aber um den Kollegen aus Deutschland einen Überblick zu geben, würde es schon reichen, meinte sie. Frau Montowska war einerseits erleichtert, andererseits aber äußerst befremdet über Frau Roths Verhalten.
Reflexion Wie erklären Sie sich Frau Roths Verhalten?
Anweisungen befolgen, Atmosphäre wahren
169
Warum, glauben Sie, meldet sich Frau Hermanski für die Aufgabe?
Welche kulturellen Unterschiede könnten hier eine Rolle spielen?
10.2
Gedanken als Ausdruck von Werten und Normen
Frau Roth denkt:
Ich lasse mich ungern bei einer angefangenen Aufgabe unterbrechen; das bringt meine Planung durcheinander. "Eins nach dem anderen" ist mein Prinzip. In so kurzer Zeit kann man keine vernünftige Präsentation erstellen. Mein Motto: "Ganz oder gar nicht." Entweder ich liefere gründliche Arbeit ob, oder ich lasse es gleich bleiben. Sich so kurzfristig anzusagen l ist eine Frechheit. Solche Besuche kann man schließlich auch längerfristig planen und ankündigen. Ich hasse eS zu improvisieren und vor anderen mit Halbwissen dazustehen. Außerdem bin ich dann schuld, wenn ich etwas Falsches sage. Natürlich könnte ich einfach von meinen Erfahrungen berichten, aber fundiert ist das nicht. Ich verstehe gar nicht. weshalb sich meine Kollegin mit ihrem holprigen Deutsch die Sache zutraut. I
Frau Hermanski denkt:
Eigentlich ist mein Deutsch noch nicht so gutl aber wenn es nur um einen Überblick gehtl werden sie schon genug verstehen. Lieberjetzt auf die Schnelle etwas zusammenstellen und sich einbringen als später ungefragt mit einem neuen Programm konfrontiert zu werden. Ich sitze auch gerade an einer ganz anderen Aufgabel aber es macht mir nicht so viel aUS diese Sache schnell dazwischenzuschieben; schließlich ist sie jetzt wichtiger. Dass sich Frau Roth einer Anweisung der Chefin verioeigeri. ist ja schon ein starkes Stück. Das würde ich nicht wagen. Ich kann meine Kollegin jetzt nicht hängenlassen; auch die Chefin nichi, denn sie ist sehr nett und stellt sich immer vor uns. I
10.3
Anweisungen befolgen, Atmosphäre wahren
In anderen Fallbeispielen wurde schon erläutert, wie sich unterschiedliche Grade von Hierarchiebewusstsein auf die Zusammenarbeit auswirken können. Das ist auch bei diesem Beispiel wieder der Fall: Was Frau Roth tut, nämlich eine Anordnung der Chefin (zunächst) nicht zu befolgen, sondern ihre eigene Zeitplanung als Gegenargument zu benutzen, würde ihrer polnischen Kollegin vermutlich nicht in den Sinn kommen. Abgesehen
Problemlösung
170
davon, dass Frau Hermanski noch aus anderen Gründen einspringt, ist sie als Polin wesentlich stärker als die Deutsche an die Befolgung von Anweisungen gewöhnt, ohne (allzu großen) Widerstand zu leisten. Das heißt nicht, dass sie alles immer widerspruchslos hinnehmen würde. Bedenken genauso wie eigene Vorschläge und Ideen würde sie am ehesten im 4-Augen-Gespräch mit der Chefin äußern, denn Autoritäten bzw. deren Anweisungen vor anderen infrage zu stellen, würde einen Gesichtsverlust bedeuten. Das führt wieder zum Kulturunterschied Personen- gegenüber Sachorientierung. Wie viele andere Kulturen, für die der Mensch und seine Befindlichkeit im Vordergrund stehen, achten Polen auf den Erhalt einer positiven und vertrauensvollen Beziehung. Mit ihrem Angebot versucht sie, einen ernsthaften Konflikt zu verhindern und damit die konfrontative Situation zu "retten" sowie langfristig die Harmonie im Team aufrechtzuerhalten. Aber auch ohne einen drohenden Konflikt würde sich die Polin vermutlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer kollektivistischen Kultur der Erreichung der Teamziele stark verpflichtet fühlen und alleine deshalb einspringen, wiewohl Eigeninitiative und pro-aktive Problemlösung im Kollektivismus nur schwach ausgeprägt sind.
10.4
Monotasking oder Multitasking?
Eng mit der unterschiedlichen Einstellung zu Zeit sind Mono- und Multitasking verbunden (s. 2.3: Monochrones vs. polychrones Zeiterleben). Wie Frau Roth bevorzugen die meisten Deutschen das Monotasking, d. h. immer nur eine Aufgabe zu einer Zeit zu erledigen statt mehrere parallel zu handhaben. Dieses Vorgehen hat zweifellos große Vorteile und ist für viele Situationen nützlich. Auch Untersuchungen zu Multitasking scheinen es zu bestätigen: Die Annahme, Menschen könnten verschiedene Dinge zur gleichen Zeit in hoher Qualität erledigen, ist ein Irrglaube. Unsere Aufmerksamkeit lässt sich nicht beliebig aufteilen; volle (!) Konzentration auf eine Sache geht immer zulasten einer anderen. Eine echte Gleichzeitigkeit ist bei Multitasking also nicht gegeben und Studien zeigen, dass dabei die Fehlerhäufigkeit steigt und die Produktivität sinkt. Also doch lieber kein Multitasking? Die Antwort ist: Es kommt darauf an - nämlich darauf, um welche Art von Aufgaben es geht, ob zum Beispiel Gründlichkeit oder Schnelligkeit und Flexibilität gefragt ist. Ideal ist es also, wenn Sie in der Lage sind, sich in bei den "Systemen" zu bewegen. Vielleicht können wir von anderen Kulturen lernen, nämlich wie man Multitasking betreibt, ohne allzu große qualitative Abstriche zu machen und olme zu leiden. Denn: "Simultanes Handeln bedingt auch eine gestreute Aujmerisamkdt, die wiederum globales assoziatives Denken befördert". (Demangeat, Molz, S. 34). Die größte Gefahr für eingefleischte flMonotasker" liegt nämlich darin, unflexibel zu werden und nicht auf kurzfristige Änderungen reagieren zu können - ein großer Nachteil in unserer sclmelllebigen Zeit. Im Fallbeispiel steht Frau Roth für diesen Typus, während die polnische Mitarbeiterin offenbar Multitasking beherrscht und improvisieren kann.
Gründlichkeit zur Unsicherheitsvermeidung
10.5
171
Gründlichkeit zur Unsicherheitsvermeidung
Eng damit verknüpft ist ein weiterer wichtiger deutscher Kulturstandard, nämlich dem bei vielen Deutschen tief verankerten Wunsch nach Gründlichkeit oder gar Perfektion. Nach jüngsten Umfragen bezeichnet sich jeder dritte Deutsche als Perfektionist, vor allem im Beruf. Tendenziell sind eher Frauen als Männer betroffen, was sich für Frauen im Berufsleben negativ auf die Karriere auswirkt. Denn nicht, wer die meiste Arbeit leistet oder Aufgaben perfekt erledigt, wird gesehen und befördert, sondern wer präsent ist und seine Arbeit gut "verkauft". Ein hoher Perfektionsanspruch spiegelt sich in Frau Roths Prinzip "Ganz oder gar nicht" und in Begriffen wie "gute" bzw. "vernünftige" Präsentation wider. Während vermutlich ihre polnische Kollegin einen weitaus geringeren Anspruch an Vollständigkeit und Güte der Präsentation hat, kann Frau Roth anscheinend nur mit einem perfekten Ergebnis leben. wenn dafür die Rahmenbedingungen nicht stimmen, liefert sie lieber gar nichts ab - nicht zuletzt, um Fehler zu vermeiden und nicht angreifbar zu sein. Das führt uns zu der sogar wissenschaftlich erhobenen Kulturdimension der Unsicherheitsvermeidung (Hofstede). Gemeint ist das Ausmaß, in dem sich Menschen von unvorhersehbaren oder nicht eindeutigen Situationen verunsichern lassen und mit entsprechenden Strategien darauf reagieren, um diese Unsicherheit zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Wiewohl es hier natürlich auch große individuelle Unterschiede gibt, rangiert Deutschland - genauso wie Österreich, die Schweiz und besonders Japan - in Erhebungen auf Hofstedes Skala .Vermeidung von Unsicherheiten" relativ weit oben. Deutsche tun viel, um Unsicherheiten und mögliche Risiken (auch Fehler!) zu reduzieren und sich gegen Unwägbarkeiten abzusichern. Zu den für diesen Zweck als nützlich empfundenen Strategien gehören: •
exakte und langfristige Planung,
•
Erstellung und Einhaltung von Regeln, Abläufen und Plänen,
•
umfassende schriftliche Dokumentation,
•
ausgeprägte Ordnungsliebe.
Ebenso der Absicherung dient das, was Frau Roth aus unserem Fallbeispiel gedanklich durchgeht: gründliche Analysen, gewissenhafte Zusammenstellung von Zahlen, Daten und Fakten für eine Vorbereitung, die möglichst alle Eventualitäten berücksichtigt und Fehlerquellen ausschließt oder zumindest minimiert. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Bestreben, gründlich zu arbeiten und Fehler zu vermeiden, ist grundsätzlich sicher sinnvoll und nützlich. Nicht zuletzt werden ja wir Deutschen genau dafür im Ausland auch geschätzt und nicht zufällig sind deutsche Produkte noch immer bekannt für gute Qualität, hohe Zuverlässigkeit und Funktionalität. Affinität haben wir in dieser Hinsicht zu den Iapanem. die ebenfalls auf höchste Qualität und technische Perfektion setzen. Allerdings können überzogene Ansprüche an Perfektion, Gründlichkeit und Fehlerlosigkeit auch Nachteile mit sich bringen, die nicht nur in der internationalen Zusammenarbeit zutage treten.
Problemlösung
10.6
Nachteile von Perfektionismus
•
Zeitverknappung: Wer trotz hoher Arbeitsbelastung am Prinzip der Gründlichkeit oder gar am Perfektionsanspruch festhält, gerät oft zeitlich in Verzug.
•
Stress, Burn-out: Die mit der Zeitverknappung einhergehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit verursacht bei vielen Menschen Gefühle ständiger Überforderung und Einbuße an Selbstvertrauen.
•
Starrheit: Übertriebene Absicherung gegen alle Unwägbarkeiten (des Lebens) durch Vorausplanung und Gründlichkeit führt zu Starrheit - bei Systemen (Bürokratie) genauso wie Menschen (Verlust von Spontaneität und geistiger Beweglichkeit).
•
Verpasste Chancen: Wer (zu) lange plant, analysiert und versucht, sich gegen alle Eventualitäten abzusichern, verpasst möglicherweise den richtigen Zeitpunkt zum Handeln (z. B. Markteintritt mit neuen Produkten oder Dienstleistungen).
•
Karrierekiller: Wer viele Aufgaben übernimmt und stets versucht, diese auch gründlich und möglichst perfekt zu erledigen, hat keine Zeit für strategische Ziele, wie z. B. Aufstieg. Wer aus Angst vor Wissenslücken oder Fehlern nicht mit seiner Arbeit oder seinem Wissen nach außen tritt, wird leicht übersehen oder gilt gar als inkompetent.
•
Beziehungsstörungen: Wer hohe Ansprüche hinsichtlich Perfektion an sich selber stellt, überträgt diese Ansprüche oft auch auf andere. Wer sie nicht erfüllen kann oder will, fällt leicht in Ungnade und die persönliche Beziehung zu Kollegen kann leiden.
•
Nichtbeachtung des Pareto-Prinzips (80/20-Regel), nach dem 80 Prozent aller Ergebnisse in 20 Prozent der Arbeitszeit erreicht werden (heutzutage spricht man sogar von 90 zu 10 Prozent!). Umgekehrt bedeutet das, dass Sie in einem Großteil der Arbeitszeit nur noch ein Fünftel an Output generieren. Und das liegt an der aufwändigen Feinarbeit, nachdem das Wesentliche erledigt ist - sei es bei der Produktentwicklung, Veranstaltungsplanung, Produktion oder Umsetzung. Wenn es um den letzten Schliff geht, kosten Kontrollen und Detailplanungen, Korrekturen und Nachbesserungen unverhältnismäßig viel Zeit und Energie!
Improvisationstalent als System
Abbildung 10.1
173
Pareto-Prinzip
Zeit
Ergebnisse
20%
80%
80%
20%
10.7
Improvisationstalent als System
Improvisation hat bei uns einen negativen Beigeschmack und steht eher für eine Notlösung als für die meist angestrebte perfekte Lösung. In der polnischen Kultur ist das ganz anders: Improvisationstalent ist als Fähigkeit, flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren und Schwierigkeiten kreativ zu meistern, hoch angesehen. Es zeugt von Lebenstüchtigkeit und Souveränität. In manchen Ländern trägt diese Fähigkeit sogar spezielle Namen. In Brasilien zum Beispiel gibt es dafür mehrere Begriffe: "jogo de cintura" (etwa: Spiel der Taille) und "jeitinho", wörtlich übersetzt "der kleine (Aus)Weg", im übertragenen Sinne etwa "der Dreh" oder "Trick (17)". Für deutsche Ohren klingt besonders der letzte Begriff schon nach unlauteren Methoden, aber so ist es meist gar nicht. Vielmehr versuchen die Brasilianer mit viel Kreativität und großem Improvisationstalent, ein Problem irgendwie und oft in letzter Minute doch noch zu lösen. Dafür interpretiert man durchaus auch schon mal Regeln etwas freier, umgeht formale Strukturen und nutzt dabei auch Beziehungen, um zum Beispiel an wichtige Informationen zu kommen oder Verfahren zu beschleunigen. Das ist in vielen Ländern so und wenn Sie sich als Deutscher nicht darauf einlassen können, werden Sie es schwer haben. Nicht viel anders ist es in Frankreich. Hier spricht man vom "Systeme D", wobei "D" offiziell für "se debrouiller" (im Volksmund für "se demerder") steht und etwa "sich zu helfen wissen, irgendwie zurechtkommen" bedeutet. Laut den Autoren von "Beruflich in Frankreich" geht es auch hier darum, Probleme mit gesundem Menschenverstand und durchaus auch auf unkonventionelle Weise zu meis-
Problemlösung
174
tern, wie folgender Auszug belegt: "Auf originelle und geistreiche Weise werden Strukturen und Vorschriften der jeweiligen Situation angepasst. [ ... ] Deswegen ist in französischen Unternehmen - im Vergleich zu den deutschen - oft ein spontaneres; intuitiveres Vorgehen anzutreffen; bei dem häufig improvisiert wird. [... ] Während man in Deutschland versucht; durch eine Durchführung genau nach Plan alle Unwegsamkeiten auszuschalten; sehen viele französische Angestellte gerade in unvorhersehbaren Situationen eine MotivationsquelleI da diese für sie eine Herausforderung darstellen." (Mayr, Themas, S. 133 f.). Unvorhergesehen Probleme zu meistern sieht man hierzulande noch immer eher als ungeliebte Störung im Arbeitsablauf an denn als Herausforderung. Zwar wird auch hierzulande immer öfter das Wort "Problem" durch den Begriff "Herausforderung" (oder gar englisch "challenge") ersetzt, aber nicht selten handelt es sich um reine Wortkosmetik. Nur weil der neue Begriff nun in vielen (amerikanisierten) Unternehmensleitlinien steht und verwendet werden soll, ist er in seiner dahinterliegenden Bedeutung noch längst nicht verinnerlicht. Es gehört eben mehr als eine neue Sprachregelung dazu, Schwierigkeiten tatsächlich als Herausforderung oder gar Chance zu begreifen.
10.8
Gründlichkeit oder Trial & Error?
Anknüpfend an den Begriff "challenge" wollen wir als weiteres Beispiel die USA betrachten. Herausforderungen begegnet man dort mit großem Selbstbewusstsein, Optimismus und einer gehörigen Portion Pragmatismus. Gerade die ausgeprägte Handlungsorientierung und die Vorliebe für schnelle Lösungen, gepaart mit Fehlertoleranz und großer Flexibilität beim Nachbessern, kollidieren oft mit deutschen Vorstellungen. Während Deutsche dazu tendieren, Produkte oder Dienste erst dann anzubieten, wenn sie "perfekt" sind, handeln US-Amerikaner eher nach dem Prinzip "Trial & Error" (Versuch und Irrtum): erst sclmell entscheiden und handeln und später ggf. korrigieren. Im folgenden Beispiel entzündet sich ein Konflikt daran, dass die amerikanischen Kollegen einer deutschamerikanischen Softwarefirma nach Ansicht der Deutschen unausgereifte Programme schicken (siehe Abbildung 10.2). Auch Briten ähneln hier mehr den Amerikanern als uns. Im Gegensatz zur deutschen Planungs- herrscht hier eher Handlungsorientierung vor. Ausgeprägte Kompromissbereitschaft in Kombination mit dem berühmten britischen "common sense" (gesunder Menschenverstand) führt zu großer Flexibilität und Toleranz gegenüber ambivalenten Situationen - ein enormer Vorteil in Zeiten raschen Wandels, der hierzulande noch kaum gesehen wird. Wahrscheinlich kennen Sie die Arbeitsweise "Versuch und Irrtum", die auch hier zum Teil Einzug gehalten hat, und vielleicht billigen Sie sie nicht. Besonders deutschen Ingenieuren fällt es schwer, so "oberflächlich" zu arbeiten. Das hängt zum Teil auch mit unterschiedlichen Denkstilen zusammen: In Deutschland geht man bei der Problemlösung deduktiv vor, d. h. von der Theorie zur Praxis. Erst wird der theoretische Hintergrund aufgearbeitet und daraus eine Lösungsstrategie entwickelt. Im Zweifel präsentiert man keine Lösung als eine schlechte (wie Frau Roth im Fallbeispiel). Beim anglo-
m
Fehlerkultur
amerikanischen Ansatz ist es gen au umgekehrt. Briten zum Beispiel entwi ckeln zuer st Id een in einem Brainstormin g u n d .,schauen, ob eine Theorie äaxu passt. Britisches M otto: Besser eine temporäre Löeung als keine Lösung." (Kräm er, Quapp e, S. 140). Abbildung 10.2
Deutsch-amerikanische Zusammenarbeit (nac h einem BeispieLvon S1a te, SchroU-Machl, S. 77 ff. )
Pl'rfl' kt ionist l'l'l !
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le ;vneo;: r teien,
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Eri;)ohr..",gw...-.tauw:h for dern.
if'll""riere'1.
Was Sie im Einzelnen tun kÖIU1en bzw . vermeiden sollten: •
Missbrau chen Sie niemals Enteendungen oder die Besetzung von Projek tletterpesten (für internationale Teams], u m missliebige Mit arbeite r " loszu wer den", Das setzt die falschen Zeichen! Damit ver stärken Sie die ohnehin wa chsende Auslan dsmüd igkeit unnötig. Derselbe unerwünschte Effekt tritt ein, wenn Sie zu rü ckkehrenden Expatr iates ke inen ad äqua ten Posten anbieten oder gar d ie in Aussicht gestellte Beförder ung ablehnen. Nicht selten gehen solche rm aßen enttäu schte I\titarbeiter in die innere Kü ndigung ode r verlassen d as Unternehmen ganz - ein schwerer Verlus t un d gew altiger Image schad en l
•
Nicht inuner ist eine Beförderung möglich oder gar d ie beste Möglichkeit einer Hon erieru ng. Manchmal ist es für Rückkehrer genau so attraktiv, einen erw eiterten Handlungsspielraum zu bekommen oder an Pr ojekren beteiligt zu we rden. in d ie sie ihre neuen Erfahrungen einbrin gen können. Untersc hätzen Sie nie, da ss Expatriates auf Ihrern Au sland sposten in der Regel mehr Verantwortung trogen und mehr Weisun gsbefu gnisse hatten als im Mutterhau s. Wenn d iese Mitarbeiter auf ihren alten Platz zurückkehre n müssen, fühlen sie sich nicht nur tmterford e'rt, sondern auch durch hierarchische und bü rokratische Zwän ge eingeschränkt
Internationale Kompetenz honorieren und nutzen
267
•
Nutzen Sie zurückkehrende Expatriates als Innovatoren! Machen Sie deren Wissen und Erfahrungen möglichst v ielen in Ihrer Organisation zugänglich und nehmen Sie das als Ausgangspunkt für Organisationsenhvicklung. Diese kann mit Vorträgen, Veröffentlichungen im Firmen-Newsletter oder Einspeisen in Wissensmanagementsysteme beginnen und in eine Einbeziehung in Mentoring- oder Traineeprogramme für Führungsnachwuchs münden.
•
Denken Sie immer daran, dass Ihre Expatriates im Ausland interkulturell kompetente Ansprechpartner im Stammhaus brauchen, die sie verstehen und auch unkonventionelle, weil kulturell angepasste Problemlösungen mittragen. Zeigen Sie Wertschätzung dafür, statt daran mitzuwirken, in der Ferne mühsam aufgebautes Vertrauen im Handstreich zu zerstören. Wer sich im Ausland alleingelassen oder unsensibel betreut fühlt, erbringt selten Höchstleistungen.
•
Aber nicht nur Expatriates verdienen Ihre Aufmerksamkeit! Viel zu wenig wird auch das Potenzial anderer Mitarbeiter genutzt, die mit internationalen Aufgaben betraut sind oder waren. So haben auch Mitglieder einer internationalen Projektgruppe für das Unternehmen wertvolle Kenntnisse und Erfahrungen gewonnen, die Sie nutzen sollten: Setzen Sie sich dafür ein, dass nach Abschluss eines internationalen Projekts die .Jcssons leamed" nicht nur innerhalb des Projektteams diskutiert, sondern die Erkenntnisse auch mit einem größeren Kreis geteilt werden. Schaffen Sie Plattformen, um einschlägige Erfahrungen dem Unternehmen als Ganzes zur Verfügung zu stellen. Stellen Sie Möglichkeiten für Vernetzung und informellen Austausch von Mitarbeitern zur Verfügung, die in verschiedenen internationalen Teams tätig sind oder waren. Das fördert nachweislich die Innovationskraft eines Unternehmens (Gibson, 2008, S. 1).
•
Auch Impatriates bringen wertvolle Kompetenzen und neue Sichtweisen mit und tragen dadurch zu Innovation und mehr Vielfalt bei - vorausgesetzt, sie werden tatsächlich als Bereicherung gesehen und bei ihrer Integration unterstützt.
•
Denken Sie auch an Mitarbeiter, die an ihrem Arbeitsplatz nur am Rande mit international ausgerichteten Tätigkeiten betraut sind - etwa "nur" mit Korrespondenz, Terminkoordinierung oder gelegentlichen Geschäftsreisen ins Ausland. Auch diese brauchen Austauschmöglichkeiten und Feedback sowie Unterstützung durch Training oder Coaching, um sich weiterzuentwickeln. Gerade Ältere werden bei Weiterbildung und Förderung oft vernachlässigt. Übertragen Sie auch ihnen echte Verantwortung und geben Sie Rückmeldung.
268
Hinweise für Personalentwickler und Entscheider: Internationale Kompetenz fördern
Abbildung 2.3
Immaterielle Honorierung
• Setzen Sie Weiterbildung, Coachings und MentoringAufgaben als Zeichen Ihrer Anerkennung ein. Oft bewirken Sie damit mehr als mit finanziellen Zuwendungen!
~----" Mit all diesen Maßnahmen setzen Sie ein Zeichen für den hohen Stellenwert internationaler Kompetenzen. Und nicht nur das: Sie signalisieren damit auch, wie wichtig Ihnen Mitarbeiter sind, die Neues wagen, sich weiterentwickeln, ihre Erfahrungen mit anderen teilen und damit einen wichtigen Beitrag leisten, ihr Unternehmen auf dem Weg zu echter Internationalisierung voranzubringen. Gleichzeitig investieren Sie in die Zukunft, indem Sie qualifizierte Mitarbeiter an sich binden. Bedenken Sie, dass sich junge High Potentials ihr Unternehmen heutzutage nicht mehr in erster Linie danach aussuchen, wie viel sie verdienen können, sondern welche Entwicklungsmöglichkeiten - auch persönliche! - sie haben und wie viel Handlungsspielraum ihnen zugestanden wird. Leider scheitern gute Absichten oft an Barrieren innerhalb der Unternehmen - nicht nur hierzulande, sondern auch international (Briscoe, Schuler, Claus, S. 230): Konkurrenzkampf untereinander, mangelndes Vertrauen, Wissen als Machtfaktor, aber auch schlicht Unkenntnis und Unterschätzung vorhandener Ressourcen. Hier kann man ansetzen und systematisch aufklären.
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Ausblick: Internationale Kompetenz und Diversity Management
Mit zunehmender Internationalisierung wachsen die Komplexität und Diversität von Unternehmen. Diversity Management hat das Ziel, Vielfalt nicht nur handhabbar zu machen, sondern sie bewusst wertzuschätzen, zu fördern und zu nutzen. Der Diversität und nicht der Homogenität der Beschäftigten in Unternehmen gehört die Zukunft. Schon längst kann man nicht mehr vom "standardisierten Kunden" (männlich. deutsch, weiß ...) sprechen. Die Heterogenität von Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern muss sich auch in der Belegschaft eines Unternehmens widerspiegeln. Und dazu gehören auch Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Wertesystemen. Ob Menschen mit Migrationshintergrund oder zeitlich begrenzt hier tätige ausländische Fach- und Führungskräfte (Impatriates) - sie alle tragen zu mehr Vielfalt in Unternehmen bei. Die Forderung nach mehr Diversität rückt auch zunehmend Frauen ins Blickfeld: Gut ausgebildet und mit meist überdurchsclmittlichen "Soft Skills" ausgestattet, sind sie bestens geeignet, Aufgaben im internationalen Umfeld zu übernehmen. Für die Zusammenarbeit mit Angehörigen der meisten Kulturen der Welt ist der weibliche, eher beziehungsals sachorientierte Kommunikationsstil ein Vorteil, und die hierzulande verbreitete "Deutung dieses Stils als Schwäche greift im Ausland auf jeden Fall zu kurz. (Fischlmayr, SchrollMachl, S. 426). US-amerikanische Erhebungen bestätigen, dass Frauen als Expatriates überdurchsclmittlich erfolgreich sind (Adler, 1994). In Deutschland sind sie noch eine Minderheit. Das Potenzial von Frauen zu erkennen und zu fördern ist auch Aufgabe der Personalentwicklung. 11
Diversity Management zielt längst nicht mehr allein darauf, Benachteiligungen abzubauen. Vielmehr gilt es, das Innovationspotenzial von Vielfalt zu erkennen und als Wettbewerbsvorteil zu nutzen. Internationale Konzerne und Unternehmen im anglo-amerikanischen Raum haben das erkannt und praktizieren Diversity Management seit Jahren. Wenngleich in Deutschland die konkrete Umsetzung noch in den Kinderschuhen steckt, wächst auch hier das Bewusstsein für diesen wichtigen Ansatz. Inzwischen wurde im Auftrag der Bundesregierung die sogenannte "Charta der Vielfalt" verabschiedet und bereits von mehreren Hundert Unternehmen unterzeiclmet. "Mit einer Unterzeichnung bekennen sich die Unternehmen zum wirtschaftlichen Nutzen von Vielfalt und zu Toleranz; Fairness und Wertschätzung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. [ ...] Eine Befragung von 155 Charta-Unterzeichnern hat ergeben; dass in rund 87 Prozent der Fälle ein aktives Diversity Management die Kreativität und die Innovationsfähigkeit der Angestellten steigert und damit einen erheblichen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens hat." (http://www.vielfalt-als-chance.de). Auch andere Studien bestätigen: Die Fähigkeiten von Mitarbeitern, die sich hinsichtlich Herkunft, Nationalität, Ethnie, Alter, Geschlecht usw. unterscheiden, kreativ zu nutzen, schafft Synergieeffekte. Diese Menschen zu vernetzen und den Austausch zu fördern, steigert nachweislich die Innovationskraft eines Unternehmens (s. Gibson, 2008). Und
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Ausblick: Internationale Kompetenz und Diversity Management
damit wird auch internationale Kompetenz zu einem wichtigen Erfolgsfaktor, nämlich für die Arbeit in heterogenen Gruppen jeglicher Art. Denn wer internationale Kompetenz besitzt, ist offen und für Unterschiede sensibilisiert, geht flexibel mit anderen Sichtweisen um und kann sich anpassen. Und darum geht es bei Diversity Management ja auch: Gleichberechtigung statt Diskriminierung, Wertschätzung statt Abwertung, Annäherung statt Abgrenzung, Kooperation statt Koexistenz.
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Stichwortverzeichnis Ambiguitätstoleranz 28, 121 Anweisungen 127,213 Besprechungen 110, 121, 191 Beziehungskultur 44, 146 Beziehungsnetzwerk 204, 239
Gefälligkeiten 202, 203 Gesichtsverlust 118, 170 Gesichtwahren 92, 112 Großbritannien 110,215 Gründlichkeit 74, 171, 174
Beziehungsorientierung 114
Harmonie 88, 137
Brasilien 62, 173, 228 Business English 14, 264
Hierarchie 84, 87, 112, 210
China 110, 142, 161, 203 Coaching 258, 263 deduktiv 103 delegieren 125, 127, 133
Impatriate 262, 267 Improvisationstalent 148, 173 Indien 43, 125 indirekte Kommunikation 58, 88,
Denkstil 103, 174 deutsche Kulturstandards 21, 34
117,139 Indirektheit 59, 114 Individualismus 159 induktiv 103
direkte Kommunikation 21
interkulturelle Kommunikation 13, 52
high-context 89
Direktheit 113
Interkulturelle Trainings 258
Distanzzonen 79
internationale Kompetenz 13, 179,
Diversität 269
252, 254 Interpretation 224
Ehrlichkeit 58, 139 Einfühlungsvermögen 27, 225 E-Mails 148, 150 Emotionen 75, 144, 166 Empathie 28, 225 Entscheidungen 49, 84, 195 Expatriate 206, 212, 228, 261 Familie 47, 202, 228 Feedback 142, 194 Fehlerkultur 175 Feminität 53 Flexibilität 70, 123, 154 Frankreich 70, 85, 108, 173 Fremdsprache 64, 187, 264 Freundschaft 218,236 Führungsstil 111, 127
Japan 83, 216 Kollektivismus 159 Kommunikationsmedien 149
Kommunikationsquadrat 50, 51, 57, 119 Konflikte 147, 154 Konfliktlösung 155 Konfliktvermeidung 117, 137 Konsens 84
kontrollieren 125, 133 Kritik 135, 146 Kulturdimensionen 20, 249
kulturelle Prägung 22, 30, 37 Kulturkreise 34, 55 Kulturschock 241 Kulturstandard 20, 21 Kulturunterschied 20, 29
276
Lob 135, 142, 227 low-context 21, 89 Loyalität 113,128,211
Maskulinität 53 Meeting 18, 19, 62, 81, 186 Metakommunikation 53, 91, 192 monochron 66
Monotasking 170 multikulturelle Teams 178 Multitasking 66, 170 Niederlande 55, 102, 116, 217
5tichwortverzeichnis
Sachorientierung 21, 54, 138
Schriftlichkeit 74, 151 Schweigen 83, 91 Schweiz 34, 164 Selbstkompetenz 14,28,121, 166, 208, 224 Selbstmanagement 14, 242 Selbstständigkeit 128, 131, 198 Smalltalk 19,46, 151 Soft Skills 181, 255 Sprecherwechsel 78, 91, 92 Status 56, 87, 210 Stereotype 36, 122, 182 Südafrika 71, 201 Synergieeffekt 29, 178, 269
Non-verbale Kommunikation 79
Optimismus 75 Qrientierungssystem 17, 23 Osterreich 34, 138, 164 partikularistisch 86 Partnerin 228, 239 Paternalismus 113,127 Perfektionismus 172 Personalentwicklung 255
Teamarbeit 158, 164 Teambuilding 187, 263 Teamentwicklung 187 Teamleiter 182 Teufelskreis 89, 90 Trial 8: Error 174 Türkei 60, 113, 140 Understatement 106, 107, 161 universalistisch 86
Personenorientierung 55, 202 Perspektivenwechsel 25, 27
Unsicherheitsvermeidung 171, 198 USA 97, 142, 174, 214
Planung 65, 66, 74 Polen 168 polychron 66 Präsentation 97 Präsentationsstil 98, 107 Prioritätensetzung 50, 149 Projektmanagement 74, 178
Verbindlichkeit 86 Verhandlungen 83, 94 Verhandlungsstil 93, 94 Vertrauen 44, 186, 207 vi rtuelle Teams 196
Regeln und Vereinbarungen 153 Reintegration 187, 244, 266 Resilienz 28, 208 Russland 147, 159
Wahrheit 58, 139 Wahrnehmung 5, 25, 224 Werte 15, 140
Sachkultur 44, 120 Sachlichkeit 74, 76, 113
Zeit 64, 86, 148 Zielvereinbarung 164, 165
Vorbereitungstrainings 261
Über die Autorin I'dARICN Ksur ist als Trainerin und Coach für Unternehmen und Organisationen im Bereich internationaler Zusammenarbeit tätig. Als Inhaberin vo n Keup training & coaching unterstützt sie Fachund Führungskräfte bei der Entwicklung ihrer internationalen Kompetenzen, verhilft zu erfolgreichem Selbstmanagement und zu neuen Perspektiven Schwerpunkte ihrer kulturspezifischen Trainings sind Deutschland, die USA u nd Brasilien, wo sie mehrere Jahre lebte und arbeitete. Sie ist systemischer Coach, Suggestopädin und akkreditierte TMS (Team Management Systems)Beraterin sowie Ivlitglied der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft und der SIETAR (Society fOT Intercu1tural Education, Training and Research). Ihre Trainings und Coachings tragen das Siegel "Qualität, Transparenz, Integrität" des Forums Werteorientierung in der Weiterbildung e. v.
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