Herz an Herz
Sharon Kendrick
Isabella hat nur einen Gedanken, als sie bemerkt, dass sie ein Kind erwartet: Paulo, de...
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Herz an Herz
Sharon Kendrick
Isabella hat nur einen Gedanken, als sie bemerkt, dass sie ein Kind erwartet: Paulo, der Mann, den sie seit Jahren bewundert, muss sie aufnehmen. Sie flüchtet zu ihm nach London, denn ihrem Vater, dem Plantagenbesitzer Luis Fernandes, wagt sie nicht einzugestehen, dass sie eine flüchtige Affäre mit einem Dozenten hatte. Für Paulo ist es klar, dass er für die Tochter seines Freundes Luis sorgen wird – nicht ahnend, welche Konflikte auf ihn warten, Er begehrt Isabella so heiß, dass er alle Kraft braucht, seine Gefühle zu unterdrücken….
1. KAPITEL »Komm schon! Komm schon endlich!« Verzweifelt drückte Isabella ein letztes Mal auf die Türklingel und hielt den Daumen so lange darauf, dass der Lärm selbst Tote hätte erwecken können. Spätestens jetzt hätte der Bewohner des eleganten Londoner Stadthauses wirklich reagieren müssen, wenn er zu Hause wäre. Doch außer dem Klingeln war nichts zu hören. Matt ließ Isabella die Hand sinken und musste sich mit dem Unabänderlichen abfinden. Er war nicht da. Also würde sie die Reise hierher nochmals machen müssen – falls sie den Mut aufbrachte, ein zweites Mal zu kommen. Doch plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und ein Mann stand vor Isabella und sah sie wütend an. Er musste gerade geduscht haben, denn sein welliges dunkles Haar war noch feucht und voller schimmernder Wassertröpfchen. Das Licht, das von hinten auf ihn fiel, umgab ihn wie ein Heiligenschein, doch der Ausdruck in seinem Gesicht hatte nichts Engelhaftes an sich. Seine dunklen Augen funkelten gereizt, und Isabellas Herz begann zu rasen. In ihrem aufgelösten Zustand wirkte sein Anblick auf sie besonders schockierend. Der Mann trug nur ein dunkelblaues Handtuch, das er sich um die schmalen Hüften gewickelt hatte, so dass seine muskulösen Schenkel halb entblößt waren. Sein Kinn war teilweise mit Rasierschaum bedeckt, und er hielt einen altmodischen Rasierapparat in der Hand, dessen Klinge im Schein des Deckenlüsters blitzte. Sekundenlang brachte Isabella kein Wort hervor. Diesen athletischen Körper hatte sie schon unzählige Male in der Badehose gesehen, doch noch nie so intim nackt. »Ja?« fragte er ungeduldig. »Wo brennt’s?«
»Hallo, Paulo«, sagte Isabella. Es dauerte einen Moment, ehe er begriff und die sinnlich exotische Schönheit genauer musterte. Sie trug einen nagelneuen Regenmantel, der ihr bis zu den schlanken Fesseln reichte, so dass von ihr selbst eigentlich nur das Gesicht zu sehen war. Ein Gesicht, auf dem die Tropfen des Sommerregenschauers herabrannen. Das dunkle Haar klebte ihr nass am Kopf. Ihre unnatürlich großen goldbraunen Augen schimmerten wie kostbarer alter Bernstein und wurden von den längsten schwarzen Wimpern gerahmt, die er je gesehen hatte. Ihre Lippen waren voll… und ungeschminkt. Und sie beben, dachte er verwundert. Sie wirkte wie ein verirrtes kleines Mädchen, und Paulo war plötzlich alarmiert. Er kannte sie, und irgendwie wusste er auch, dass sie nicht hierher gehörte. »Hallo«, erwiderte er verunsichert und versuchte, sie einzuordnen. »Aber Paulo«, fuhr sie fort, als sie merkte, dass er sie nicht gleich wieder erkannte, »ich habe dir doch geschrie ben und angekündigt, dass ich kommen würde. Hast du meinen Brief nicht bekommen?« Sobald sie einen ganzen Satz gesprochen hatte, fiel es ihm ein. Der Akzent passte zu ihrem südländischen Aussehen, obwohl sie wie er fließend Englisch sprach. Die mandelför migen Augen, diese dunkle, zarte Haut, das schimmernde schwarze Haar, das ihr, vom Regen durchnässt, am Kopf klebte… Das letzte Mal hatte er sie an einem strahlenden Sonnen tag in Südamerika gesehen. Ihr Seidenshirt hatte ihre jungen reifen Brüste aufreizend umspannt, und er hatte sie in diesem Augenblick begehrt. Und vielleicht auch schon vorher. Entschlossen verdrängte Paulo den Gedanken, doch der Ausdruck in seinen Augen wurde weicher. Kein Wunder,
dass er sie an diesem grauen Regentag hier in England nicht sofort erkannt hatte, schon gar nicht in diesem frierenden, trostlosen Zustand. »Isabella! Meine Güte! Ich fasse es nicht!« Er wollte sie nach südamerikanischer Sitte auf die Wange küssen, doch dann erschien ihm das in dieser Umgebung und in seinem halb nackten Aufzug unpassend. Isabella bot ihm die Wange, schien jedoch vor einer Berührung zurückzuschre cken, und er war froh darüber. »Komm rein«, forderte er sie auf und öffnete die Tür weit. »Bist du allein hier?« »Al-lein?« Er runzelte die Stirn. »Ist dein Vater mitgekommen?« Isabella zögerte. »Nein.« »Warum hast du mich nicht wissen lassen, dass du her fliegst?« fragte er. »Das kommt so…« »Unerwartet? Ja, ich weiß.« Isabella wäre mit allem einverstanden gewesen, wenn er ihr nur half. Zwar wusste sie nicht, wie – sie wusste nur, dass Paulo Dantas ein Mann war, der mit allem fertig wurde. »Aber du hast meinen Brief doch erhalten, nicht wahr?« fragte sie. Er nickte nachdenklich. Der Inhalt war ihm seltsam unzusammenhängend erschienen. Sie hatte darin erwähnt, dass sie in Kürze nach England kommen würde, aber dass sie so schnell hier auftauchen würde, hatte er nicht erwartet, denn sie ging ja zur Universität. »Doch… ja, ich habe ihn bekommen. Aber das war vor zwei Monaten.« Isabella hatte ihm an dem Tag geschrieben, als sie Gewissheit hatte. Als sie wusste, dass sie in Schwierigkei ten war. Immer wieder hatte sie sich zurechtgelegt, was sie Paulo sagen würde, doch auf seinen halb nackten Anblick war sie nicht gefasst gewesen. Die sorgfältig formulierten Worte fielen ihr nicht mehr ein. Und mit so etwas konnte man nun mal schlecht auf jemandes Türschwelle heraus platzen.
»Ich wollte dich überraschen«, erklärte sie unsicher. »Das ist dir wirklich gelungen.« Isabella entging Paulos prüfender Blick nicht. »Ent schuldige. Ich bin offenbar zur falschen Zeit gekom men…« »Na ja, ich will nicht abstreiten, dass ich auf deinen Besuch nicht vorbereitet war…« Paulo fuhr sich mit der Hand, in der er den Rasierer hielt, zum Handtuchrand an den Hüften, als wollte er sich vergewissern, dass der Knoten hielt. »Aber ich kann mich schnell rasieren und anziehen.« »Soll ich lieber später wiederkommen?« »Ich soll dich fortschicken, nachdem du Tausende Kilometer gereist bist?« Paulo schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nein. Ich kann es kaum erwarten, zu hören, was Isabella Fernandes auf so dramatische Weise nach England führt.« Sie erbleichte und versuchte sich vorzustellen, wie Paulo reagieren würde, wenn sie ihn in ihr Dilemma einweihte. Doch ehe sie es wagen konnte, sein Haus zu betreten, musste sie etwas anderes klären. Was sie ihm zu sagen hatte, durfte nur er erfahren. »Ist Eduardo hier?« Eine erstaunliche Verwandlung ging mit Paulo vor sich. Seine ernsten Züge wurden weich, und ein strahlendes Lächeln erhellte seine Miene, das ihn noch umwerfender aussehen ließ. »Eduardo? Leider nein.« Er lachte erheitert. »Zehnjährige Jungen spielen lieber mit ihren Kameraden Fußball, als bei ihrem Vater zu sein, und mein Sohn ist da keine Ausnahme. Er kommt erst später zurück. Jemand…« Er zögerte, ehe er weitersprach. »Eine Freundin bringt ihn nach Hause.« »Aha.« Isabella wischte sich einen Regentropfen von der Wange und fragte sich, wer diese Freundin sein mochte. Paulo sah die zitternde Bewegung ihrer Hand. Isabella
schien nervös zu sein. Sehr nervös sogar. So kannte er sie gar nicht. Sie konnte besser schießen als die meisten Männer, und zu Pferde tat es ihr so schnell keiner nach. Er hatte sie vom Kind zur Frau heranwachsen sehen, wenn auch nur in größeren Abständen. »Du kannst ihn später begrüßen. Komm endlich rein, und zieh den nassen Regenmantel aus. Du zitterst ja, Bella.« Sie zitterte wirklich, wenn auch am wenigsten vor Kälte. »D-anke.« Hilflos blinzelte sie gegen die Deckenbeleuch tung an und fühlte sich in der fremden Umgebung gehemmt. Und der Umstand, dass Paulo halb nackt neben ihr stand, brachte sie vollends aus dem Gleichgewicht. Mit klammen Fingern begann Isabella, die Knöpfe des Regenmantels zu öffnen. Paulo verspürte das Bedürfnis, ihr wie einem Kind dabei zu helfen, doch ein Blick auf ihre Brüste, die sich unter dem T-Shirt wölbten, sagte ihm, dass sie alles andere als ein Kind war. Wenn er sich nicht sofort etwas Anständiges anzog… »Warum hast du dir keinen Schirm gekauft, Bella?« versuchte er, seine verräterischen Gedanken zu überspie len. »Hat man dir nicht gesagt, dass es in England sogar im Sommer ständig regnet?« »Ich wollte mir einen kaufen, als ich hier ankam, aber dann hab ich’s einfach vergessen.« Ein Schirm war das Letzte, was sie beschäftigte. Es hatte Wochen gedauert, ehe sie ihren Vater überredet hatte. Es sei ihr Leben und ihre Entscheidung, hatte sie ihm klargemacht. Viele Studenten würden die Universität ohne Abschluss verlassen. Das sei nicht das Ende der Welt. Doch ihr Vater hatte davon nichts hören wollen. Isabella schauderte. Dabei wusste er das Schlimmste noch gar nicht. Paulo schien ihre Not zu spüren, denn er half Isabella, den Mantel abzustreifen, und hängte ihn an einen Haken über der Heizung. »So. Deine Kleidung darunter ist ja glücklicherweise trocken. Komm mit in den Salon.«
Erst jetzt setzte die Reaktion ein. Paulo ließ sie bleiben. Isabella fror innerlich, kämpfte jedoch dagegen an. »Danke.« »Brauchst du ein Handtuch, um dir die Haare zu trock nen?« fragte er und warf ihr einen raschen Blick zu. »Oder möchtest du einen von meinen Pullovern überziehen?« »Nein. Wirklich nicht. Mir geht’s gut.« Das Gegenteil war der Fall. Isabellas Gliedmaßen fühlten sich steif und kalt an, als Paulo sie über einen breiten Gang in einen geräumigen Raum mit einer hohen Decke führte, dessen kühle, klassische Formen durch lebhafte, warme Farben aufgelockert wurden. Die Wände waren in kräftigen Ocker- und Rottönen gehalten und mit leuchtenden Gemälden geschmückt. Eins erkannte Isabella sofort als das Werk eines aufsteigenden brasilianischen Malers. Zwei schwere Sofas mit willkür lich verstreuten Kissen säumten einen Couchtisch, auf dem Zeitschriften und Zeitungen und ein Buch über Fußball lagen. Hier und da standen Fotos eines Jungen in verschie denen Altersstufen – Paulos Sohn. Ein schwarzweißes Studioporträt zeigte eine kühle, wunderschöne Blondine, die zärtlich ein Baby an ihr schimmerndes Haar drückte. Elizabeth, Paulos Frau. »Mach es dir bequem, während ich mir etwas anziehe«, sagte er zu Isabella. »Dann bringe ich uns Kaffee. Wie klingt das?« »Gut«, erwiderte Isabella einsilbig. Paulo kehrte nach oben ins Badezimmer zurück, um sich fertig zu rasieren. Stirnrunzelnd blickte er auf sein Spiegelbild. Irgendetwas an Isabella war anders. Sie hatte leicht zugenommen… aber da war noch etwas anderes, das er nicht bestimmen konnte. Es war mehr als ihre sinnliche Ausstrahlung, die ihn schon vor Monaten verwirrt hatte. Geistesabwesend führte er die Klinge über sein Kinn.
Er kannte Isabella schon von klein auf. Ihre Väter waren befreundet gewesen, und die Freundschaft hatte auch weiter bestanden, nachdem Paulos Vater nach England, der Heimat seiner Frau übergesiedelt war. Paulo selbst war in Brasilien geboren, jedoch als Sechsjähriger mit seinem Vater nach London gezogen. Sein Vater hatte darauf bestanden, einmal im Jahr in die Heimat zurückzukehren. Diese Gewohnheit hatte Paulo auch nach dem Tod seiner Eltern und der Geburt seines eigenen Sohnes beibehalten. Jahr für Jahr hatte er mit Eduardo vor Karnevalsbeginn zwei Wochen auf der Ranch der Fernandos verbracht. Interessiert hatte er all die Jahre über verfolgt, wie das kleine Mädchen zum Teenager erblüht war. Wie alle Jugendlichen war Isabella aufsässig, eigenwillig und frech gewesen. Mit siebzehn hatte sie sich zu einer üppigen, überaus weiblichen Schönheit entwickelt. Dennoch war sie ihm so jung erschienen. Selbst mit achtzehn und neunzehn hatte sie für ihn einer anderen Generation angehört. Immerhin war er zehn Jahre älter, verwitwet und hatte einen kleinen Sohn gehabt. Mit zwanzig schien sich mit Isabella eine plötzliche Verwandlung vollzogen zu haben. Ihre Sexualität war erwacht, und Paulo hatte sich ihr nicht entziehen können. Er hatte Isabella vom Pferd gehoben, und für den Bruchteil einer Sekunde schien die Welt stillzustehen, als er sie in den Armen gehalten hatte. Er war sich ihrer schmalen Taille bewusst gewesen, und Begehren hatte ihn durchflutet. Sie hatten zu lachen aufgehört, sich stumm in die Augen geblickt, und Isabellas Pupillen waren vor Verlangen ganz dunkel gewesen. Begehren. So übermächtig wie eine Droge. Doch er hatte Gewissensbisse verspürt und dagegen angekämpft… Paulo riss sich das Handtuch von den Hüften und blickte ungläubig an sich herab. Er war erregt. Sein Verhältnis zu
Isabella würde nie wieder wie früher sein. Ihre innig unschuldige Beziehung war mit jenem einzigen kurzen Aufflammen des Begehrens beendet worden. Wütend knüllte er das Handtuch zusammen, schleuderte es mit einer gezielten Bewegung in den Wäschekorb und streifte sich seidene Boxershorts über. Im Salon ging Isabella auf und ab und legte sich zurecht, was sie Paulo sagen wollte. Sie musste stark bleiben, denn nur so würde sie diesen Albtraum durchstehen. »Paulo, ich bin…« Nein, damit konnte sie unmöglich sofort herausplatzen, obwohl ihr zum Weinen zu Mute war. »Paulo, ich brauche deine Hilfe…« Sie hörte das Scheppern von Tassen und blickte auf. Erleichtert bemerkte sie, dass er jetzt Jeans und ein TShirt trug. Auf seinem Kinn befand sich ein kleiner roter Blutstropfen. Paulo entging nicht, dass ihre bernsteinfarbenen Augen feucht schimmerten, und sein Herz klopfte rascher. »Was hast du?« fragte er heiser. »Du hast dich geschnitten«, flüsterte sie. Der Anblick des Blutes wirkte auf sie wie ein Omen. Stirnrunzelnd griff Paulo sich ans Kinn. »Wo?« »Rechts. Ja, dort.« Er fuhr sich über die frisch rasierte Haut und blickte betroffen auf seine blutige Fingerspitze. Hatte seine Hand beim Rasieren gezittert? Das war ihm seit Jahren nicht mehr passiert. »Richtig«, sagte er und leckte sich geistes abwesend den Finger. »Kaffee«, entschied er. Obwohl Isabella sich schrecklich fühlte, versuchte sie, einen lockeren Ton anzuschlagen. »Seit ich von zu Hause fort bin, habe ich keinen anständigen Kaffee mehr getrunken.« Paulo lächelte. »Das kann ich mir denken.« Schweigend sah Isabella zu, wie er mit raubtierhafter
Geschmeidigkeit auf ein Sofa glitt. Zu Hause hatten sie ihn immer gato genannt, und es war leicht zu verstehen, warum. Das portugiesische Wort bedeutete »Katze«, aber man benutzte es auch für einen sexy, toll aussehenden Mann. Und niemand konnte bestreiten, dass Paulo Dantas genau das war. Er war groß, dunkelhaarig und athletisch gebaut – der unvergleichliche Abkomme einer englischen Mutter und eines brasilianischen Vaters. Sein Gesicht fesselte durch seine hohen, wie gemeißelt wirkenden Wangenknochen und die unergründlichen schwarzbraunen Augen. Und der volle, sinnlich geschwungene Mund sah aus, als wäre er dafür geschaffen, gleichermaßen Vergnügen und Schmerz zu bereiten. Mit unsicherer Hand nahm Isabella die Kaffeetasse entgegen, die Paulo ihr reichte. »Danke.« Das Ganze ist verrückt, dachte er, während er ihr abge rungenes Lächeln und ihre gehemmten Bewegungen beobachtete. Es war, als hätte er eine Fremde vor sich. Was war nur mit ihr los? »Wie geht es deinem Vater?« fragte er höflich. »Es… geht ihm gut, danke.« Sie versuchte, die Tasse an die Lippen zu führen, doch ihre Finger zitterten so stark, dass Isabella das zarte Porzellan klirrend wieder abstellen musste. »Er lässt dich grüßen.« »Danke.« Es fiel Paulo schwer, sich ruhig zu geben, während Isabellas volle Brüste sich unter dem T-Shirt rasch hoben und senkten. Bildete sie es sich ein, oder hatte Paulo ihre Brüste betrachtet? Wie viel mochte er bemerkt haben? Isabella wusste, dass ihm nichts entging. Hatte er ihr Geheimnis bereits entdeckt? Unauffällig blickte sie an sich herab. Nein, da konnte sie beruhigt sein. Das leuchtend pink farbene T-Shirt und auch die Jeans saßen verhältnismäßig locker und verrieten nichts. Außerdem fiel die Wölbung
ihres Bauches noch nicht auf. Nichts deutete darauf hin, dass sie ein Baby erwartete. Doch ihre Brüste waren schmerzend prall, und die plötzliche Übelkeit konnte jederzeit auftreten. Isabella versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen bebten leicht. »Sicher fragst du dich, warum ich hier bin.« Endlich! »Tja, das kann ich nicht ganz abstreiten«, erwiderte Paulo scherzend, obwohl er neugierig war. »Nur wenige machen die weite Reise von Brasilien unangemel det. Die meisten rufen vorher an.« Isabella wandte sich ab und blickte aus dem vorhanglo sen Fenster zum regenverhangenen Himmel auf. Zu Hause würde es jetzt herrlich warm sein, und eine sanfte Brise würde wehen. »Müsstest du nicht eigentlich die Uni besuchen? Das Semester dürfte doch noch längst nicht zu Ende sein, oder?« Das war der Moment, ihre Geschichte loszuwerden, wenn auch nicht die ganze. Noch nicht. »Na ja, ich habe das Studium abgebrochen.« Paulo wurde wachsam. »Warum?« fragte er kühl. »Ist das dieses Jahr Mode?« Sein abschätziger Gesichtsausdruck gefiel ihr nicht. »Nicht direkt.« »Und warum dann?« hakte er nach. »Du weißt doch, wie wichtig eine abgeschlossene Ausbildung heutzutage ist. Was ist so wichtig, dass es nicht bis zum Semesterende warten kann?« Isabella wollte von ihren Träumen erzählen, die über schaubare Heimat zu verlassen, um die große, weite Welt kennen zu lernen, doch dann fiel es ihr gerade noch rechtzeitig ein. Damit war es jetzt vorbei. Das ging nicht mehr. »Ich musste einfach fort von allem.« Stirnrunzelnd beugte Paulo sich vor, um sie zu betrach ten. Er konnte förmlich spüren, dass sie Angst hatte. Ein
Hauch ihres verführerischen Parfüms erreichte seine Nase, und er entzog sich seinem gefährlichen Bannkreis. »Was ist los mit dir, Bella?« fragte er leise. »Was ist passiert?« Das war das Stichwort, ihm alles zu erzählen. Doch ein Blick in Paulos Gesicht mit dem beunruhigten Ausdruck, und Isabella verschloss sich innerlich. »Nichts ist passiert«, erwiderte sie ausweichend, »außer dass ich fortgegangen bin.« »Das sagtest du schon.« Paulo verbarg seine Gereiztheit nicht. »Aber du hast mir noch keinen einleuchtenden Grund dafür genannt.« Er sah Isabella durchdringend an. »Oder gibt es gar keinen? Ich erwarte eine Erklärung.« Sag’s ihm! Doch sie sah die Missbilligung in seinen dunklen Augen, und der Mut verließ sie wieder. »Ich habe mich gelangweilt.« »Du hast dich gelangweilt.« Paulo klopfte mit dem Finger bedeutsam auf die Armlehne des Sofas. »Also gut, ich war überfordert.« »Überfordert.« Er sah sie ungläubig an. »Wie kann eine schöne, junge zwanzigjährige Frau überfordert sein? Ist da ein Mann im Spiel?« »Nein. Kein Mann.« Das zumindest stimmte. »Zum Teufel noch mal, Bella, es passt nicht zu dir, um den heißen Brei herumzureden! Ich kann einfach nicht glauben, dass eine so intelligente junge Frau wie du alles wegwirft, weil sie sich ,langweilt’! Also? Halte noch einige Monate durch, denn glaub mir, querida, es gibt nichts .Langweiligeres’ als einen stupiden Job. Und darauf musst du dich gefasst machen, wenn du dein Studium jetzt hinwirfst.« Plötzlich wusste Isabella, dass sie es ihm nicht sagen konnte. Jedenfalls nicht jetzt. Vielleicht nie. Sie hätte es einfach nicht ertragen, dass Paulo sie verachtete. Paulo, den sie ihr Leben lang vergöttert hatte. »Ich hatte auch nicht erwartet, dass du das gut findest«,
erklärte sie aufsässig. »Du scheinst nicht weiter als bis zu deiner Nasenspitze zu blicken!« warf Paulo ihr grimmig vor. »Und wie willst du später deinen Lebensunterhalt verdienen? Oder erwartest du, dass Daddy einspringt, meine liebe Bella?« Empört sah sie ihn an. »Natürlich nicht! Ich werde nehmen, was sich bietet. Schließlich bin ich jung und fit. Ich kann kochen, gut mit Kindern umgehen, spreche fließend Englisch und Portugiesisch.« »Toll«, bemerkte er trocken. »Du würdest mir doch notfalls eine Stelle besorgen, nicht wahr, Paulo?« » Ganz sicher nicht!« Seine Stimme wurde gefährlich leise. »Ich würde alles tun, um dich davon abzubringen, die Universität zu verlassen.« Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er beschwörend fort: »Flieg wieder nach Hause, Bella. Beende dein Studium, und komm in zwei Jahren wieder.« Seine Augen funkelten bei der Vorstellung, wie sie in zwei Jahren sein würde. »Dann besorge ich dir eine Stellung, das verspreche ich dir.« Isabella blickte auf ihre Hände, weil sie den Ausdruck in Paulos Augen nicht ertragen konnte. In zwei Jahren würde ihre Welt sich grundlegend verändert haben. »Ja, vielleicht hast du Recht.« »Du gehst also zur Universität zurück.« »Ich… werde darüber nachdenken.« Isabella sah auf die Uhr und tat überrascht. »Oh… Zeit, dass ich gehe.« »Du gehst nirgendwohin«, bestimmte Paulo. »Schließlich bist du gerade erst angekommen. Bleib, und warte auf Eddie. Er muss bald zurück sein.« »Nein, das geht nicht.« Isabella stand auf und hatte es plötzlich eilig, fortzukommen. Ehe Paulo merkte, was los war. »Ein andermal.« »Wo bist du abgestiegen?« »Gleich unten am Ende der Straße«, erwiderte Isabella
ausweichend. »Wo?« »Im Merton.« »Im Merton«, wiederholte Paulo nachdenklich. Während er sie zur Haustür begleitete, hörten sie, wie ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Seltsamer weise fühlte Paulo sich irgendwie schuldbewusst, als die Tür aufging und Judy vor ihnen stand – so kühl, so blond, in einem weichen zartblauen, eng anliegenden Kaschmirkleid. Neben ihr tauchte sein Sohn auf. Sobald er Isabella entdeckte, strahlte er. »Bella!« rief er und warf sich ihr in die Arme, dabei überschüttete er sie mit einem Wortschwall auf Portugie sisch. »Was machst du denn hier? Papa hat mir gar nicht gesagt, dass du kommst.« »Weil Papa es auch nicht wusste«, erklärte Paulo in derselben Sprache. »Bella ist unangemeldet hier aufge taucht, während du fort warst.« »Wirst du bei uns wohnen?« fragte Eddie begeistert. »Bitte, Bella! Bitte!« »Das kann ich leider nicht, Eduardo.« Isabella lächelte bedauernd. Sie hatte Eduardo von Anfang an ins Herz geschlossen, vielleicht, weil sie beide ohne Mutter aufgewachsen waren. Sie hatte ihm das Reiten und Portugiesisch beigebracht und miterlebt, wie aus dem Kleinkind ein gesunder Junge wurde. Und bald würde er sie überragen wie sein Vater. »Ich werde herumreisen und möchte hier so viel wie möglich von Land und Leuten kennen lernen.« »Führt ihr ein Privatgespräch, oder dürfen andere sich auch beteiligen?« warf die Frau in Blau ein. Paulo lächelte entschuldigend und ging sofort ins Englische über. »Judy! Bitte verzeih! Das ist Isabella Fernandes. Sie ist aus Brasilien auf Besuch hier. Isabella, das ist Judy Jacob. Sie…«
»Ich bin seine Freundin«, stellte Judy klar. Isabella rang sich ein Lächeln ab. »Hallo. Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Paulo warf Judy einen Hilfe suchenden Blick zu. »Isa bella ist eine sehr alte Freundin der Familie…« »So alt nun auch wieder nicht«, stellte Judy leise richtig, ohne auf seine stumme Bitte einzugehen. »Im Gegenteil, sie erscheint mir sogar sehr jung.« »Unsere Väter sind zusammen zur Schule gegangen«, erklärte Paulo prompt. »Ich kenne sie schon mein ganzes Leben.« »Wie schön.« Judy bedachte Isabella mit einem knappen Lächeln, dann küsste sie Paulo leicht auf den Mund. »Ich störe euch nur ungern, Liebling, aber die Vorstellung fängt um…« »Und ich muss gehen«, warf Isabella hastig ein, weil der besitzergreifende KUSS sie störte. »Mach’s gut, Paulo. Sie auch, Judy. Nett, Sie kennen gelernt zu haben.« Es kostete sie Mühe, sich höflich zu geben. »Bis bald, Eduardo.« Lächelnd zauste sie dem Jungen das dunkle Haar. »Aber wann sehen wir dich wieder?« drängte er. »Ich melde mich«, log Isabella und blickte zu Paulo, der genau wusste, dass sie nicht wiederkommen würde. In seinem Leben hier war kein Platz für sie, schwanger oder nicht. Falls sie insgeheim noch gehofft hatte, Paulo könnte mehr für sie empfinden als Freundschaft, war dieser Hoffnungsschimmer erloschen angesichts seiner Freundin, die das Abbild seiner verstorbenen Frau war. Judy nannte ihn Liebling und besaß einen Schlüssel zu seinem Apart ment. Tapfer versuchte Isabella, die Situation realistisch zu sehen. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass sie aus heiterem Himmel auftauchen und Paulo sagen würde, sie sei von zu Hause fortgelaufen – schwanger und allein –, und dass er lächeln und alle ihre Probleme lösen würde?
Sie verzichtete auf den üblichen KUSS auf die Wange, um Judy nicht noch mehr zu reizen. Dann schlüpfte Isabella in ihren Mantel und verschwand in die frühe Abenddämme rung hinaus, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte.
2. KAPITEL »Isabella!« rief eine Frauenstimme vom Fuß der Treppe. »Könnten Sie schleunigst runterkommen?« In ihrem Zimmer im Dachgeschoss des hässlichen Hauses im nachgeahmten georgianischen Stil, das auf einem großen Grundstück in einer Nobelgegend stand, richtete Isabella sich seufzend auf. Eigentlich hatte sie jetzt frei. Sie müsse sich schonen, hatte der Arzt ihr beim letzten Besuch dringend geraten. Doch das war leichter gesagt als getan. Was wollte sie jetzt schon wieder von ihr, diese laute, anstrengende Familie? Konnte man sie nicht einmal fünf Minuten in Ruhe lassen? Reichte es nicht, dass sie von frühmorgens bis spät abends arbeitete und sich um die lebhaften Zwillinge der Familie Stafford kümmerte? Von Au-pair-Mädchen wurde erwartet, dass sie halfen, die Kinder zu beaufsichtigen, und leichte Hausarbeit übernahmen. Dabei musste ihnen jedoch auch genug freie Zeit für das Studium und sich selbst bleiben. Ganz sicher durfte von ihnen nicht verlangt werden, unentgeltlich Abend für Abend zu kochen, sauber zu machen, zu bügeln, zu nähen und auf die Kinder aufzupassen. Manchmal fragte Isabella sich, warum sie sich das alles gefallen ließ. War sie schwach? Oder schlichtweg dumm? Dennoch wusste sie genau, warum sie sich gegen diese schäbige Behandlung nicht auflehnte. Sie brauchte nur in den Spiegel zu blicken. Ihr blieb keine andere Wahl. Ihr
Bauch war so dick wie eine überreife Wassermelone, und Mrs. Stafford hatte sich als Einzige bereit erklärt, die werdende Mutter mit dem ungeborenen Baby aufzunehmen. Natürlich hätte Isabella jederzeit nach Brasilien, zur Ranch,, zurückkehren können. Aber wie konnte sie ihrem Vater in diesem Zustand gegenübertreten? Als sie erfahren hatte, dass das Ergebnis des Schwan gerschaftstests positiv war, hatte sie in ihrer Hilflosigkeit einfach nicht den Mut aufgebracht, ihrem Vater die Wahrheit zu gestehen. Und je länger sie mit dem Geständnis gezögert hatte, umso schwieriger war es ihr erschienen. So war es ihr schließlich leichter gefallen, nach England zu fliehen. Zu Paulo. Doch gerade weil sie ihn ihr Leben lang vergöttert hatte, war sie dann zu stolz gewesen, sich ihm anzuver trauen. Zu jenem Zeitpunkt hatte sie es als einzigen Ausweg gesehen, bei den Staffords unterzukommen. Doch inzwischen bereute sie diese Entscheidung längst. Vielleicht auch, weil sie die beiden Männer enttäuscht hatte, die sie liebten. »Isa-bella!« Sie widerstand der Versuchung, ihrer Chefin die Mei nung zu sagen, und stand schwerfällig vom Bett auf, um in bequeme Hausschuhe zu schlüpfen. Das einzig Annehmba re an ihrer Schwangerschaft war die lockere, ungezwunge ne Kleidung, die sie nun tragen konnte. »Ich komme«, rief sie und ging langsam nach unten. Die Zwillinge kamen aufgeregt aus dem Wohnzimmer gestürmt. Charlie und Richie waren sieben und schienen es als ihre Lebensaufgabe zu betrachten, ihrem Au pairMädchen das Leben schwer zu machen. Dennoch mochte sie die beiden Jungen mit den großen Augen, dem schalkhaften Lächeln und ihrer schier unerschöpflichen Energie.
Rosemary Staffords Erziehungsmethoden entsprachen nicht gerade Isabellas Vorstellungen, doch gelang es ihr meist, die beiden Rangen irgendwie in den Griff zu bekommen. Sie hatte versucht, den Zwillingen abzugewöhnen, den ganzen Tag mit Videospielen und Fernsehen zu verbringen. Anfangs hatten die beiden lautstark dagegen protestiert, doch nachdem Isabella dazu übergegangen war, ihnen abends Geschichten vorzulesen, hatten die Kinder sich damit abgefunden und genossen es anscheinend sogar. »Du hast Besuch, Bella!« erklärte Richie. »So? Wer ist es denn?« »Ein Mann!« Isabella blickte verständnislos drein. Wer konnte das sein? »Aber ich kenne keine Männer«, behauptete sie. An der Wohnzimmertür erschien Richies Mutter. »Na ja, das dürfte etwas übertrieben sein«, bemerkte sie leise mit einem bedeutsamen Blick auf Isabellas gewölbten Bauch. »Mindestens einen müssen Sie ja wohl gekannt haben.« Isabella ging darauf nicht ein. Die spitzen Bemerkungen ihrer Chefin war sie längst gewöhnt. Seit sie bei der Familie eingezogen war, hatte Rosemary Stafford immer wieder moralisierende Anspielungen auf Isabellas ledige Mutterschaft gemacht. Isabella fand das seltsam, denn Mrs. Stafford hatte die Zwillinge erwartet, als ihr Mann noch bei seiner ersten Frau lebte. Isabella lächelte schwach. »Um wen handelt es sich?« Typischerweise konnte Mrs. Stafford nicht verbergen, dass sie beeindruckt war. »Er sagt, er sei ein Freund Ihrer Familie.« Charlie und Richie blickten erwartungsvoll zu Isabella auf, doch obwohl sie alarmiert war, ließ sie sich nichts anmerken. »Hat er seinen Namen genannt?« »Ja.« »Und?«
»Er heißt Paulo. Den Nachnamen habe ich vergessen.« Wie versteinert stand Isabella da. »Paulo Dantas?« brachte sie mühsam hervor. »Ja«, erwiderte Mrs. Stafford spitz. »Er ist im Wohn zimmer. Sie sollten lieber mit ihm sprechen, denn er scheint kein Mann zu sein, der gern wartet.« Unwillkürlich strich Isabella sich über das Haar. Was wollte Paulo hier? Und wie musste sie aussehen? In aufsteigender Panik blickte sie in den Dielenspiegel. Sie hatte ihr dichtes dunkelbraunes Haar der Einfachheit halber zu einem Knoten gewunden und es mit einem Schildkrötenkamm festgesteckt. Ihr Gesicht war blass, und sie trug keinerlei Make-up. »Warum haben Sie mir nichts davon gesagt?« fragte Mrs. Stafford pikiert. »Was gesagt?« »Dass ein Mann wie er der Vater Ihres Kindes ist.« Mrs. Stafford öffnete die Wohnzimmertür, so dass Isabella nichts anderes übrig blieb, als den Raum zu betreten und sich dem Unvermeidlichen zu stellen. Paulo stand am Fenster und blickte hinaus. Als Isabella den Raum betrat, drehte er sich langsam um. Seine eben noch entspannte Haltung wurde starr, und er betrachtete Isabella fassungslos – die pralle Rundung ihres Bauches, die schweren Brüste. Seine dunklen Augen glitzerten seltsam, und Isabella fragte sich, was hinter seiner Stirn vorgehen mochte. Schock. Entsetzen. Verachtung. Alles war da. Am liebsten hätte Isabella kehrt gemacht und wäre geflohen. Was hätte sie darum gegeben, alles ungeschehen machen zu können, und sei es nur, um diesen verbitterten Blick in ihrem traurigen, verletzlichen Zustand nicht ertragen zu müssen. »Isabella«, begrüßte Paulo sie höflich, doch seine Stimme klang leise und merkwürdig flach. Er trug einen eleganten dunklen Anzug, als würde er
direkt von einer geschäftlichen Besprechung kommen, und sein blütenweißes Hemd hob sich eindrucksvoll gegen seine olivefarbene Haut ab. Noch nie hatte Isabella Paulo so förmlich gekleidet erlebt. Die Kluft zwischen ihnen schien noch größer geworden zu sein. »Hallo, Paulo.« Obwohl Isabella am liebsten im Erdboden versunken wäre, schaffte sie es, sich ruhig zu geben. »Du hättest dich vorher anmelden können.« »Und wenn ich es getan hätte?« Paulos Stimme klang gefährlich leise. »Hättest du mich so empfangen?« Wieder betrachtete er sie eingehend. »Nein. Wahrscheinlich nicht«, musste Isabella zugeben. Mrs. Stafford, die Paulo bis jetzt bewundernd angesehen hatte, wandte sich mit vorwurfsvoller Miene wieder Isabella zu. »Isabella, wollen Sie mich Ihrem Freund nicht vorstellen?« Sie lächelte Paulo süßlich an. Isabella zögerte, dann trat sie die Flucht nach vorn an. »Paulo, das ist Rosemary Stafford, meine Chefin. Paulo ist…« »Wie nett, dass Sie gekommen sind, Mr. Dantas«, erklärte Mrs. Stafford übertrieben liebenswürdig. »Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Isabella, gehen Sie, und bringen Sie Mr. Dantas etwas zu trinken.« Auf Portugiesisch sagte Paulo zu Isabella: »Schaff sie uns vom Hals.« Sie war immer noch völlig durcheinander und unfähig, sich Paulo zu widersetzen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns allein zu lassen, Mrs. Stafford? Ich möchte mit meinem… Freund gern unter vier Augen sprechen.« Rosemary Stafford verzog das hübsche, geschminkte Gesicht und schmollte. »Ja, sicher. Bestimmt haben Sie einige Probleme zu klären«, bemerkte sie steif und rauschte aus dem Raum, vorbei an Charlie und Richie, die vor der Tür standen und versuchten, das Gespräch zu belauschen. Paulo ging zu den Jungen, zuckte vor ihnen entschuldi
gend die Schultern, dann schloss er ruhig die Tür. Als er sich umdrehte und Isabella ansah, wäre sie vor dem zornigen Ausdruck in seinen Augen am liebsten zurückge wichen. Bereute er es, hergekommen zu sein? Aber was für ein Recht hatte er, sie zu verurteilen? Isabella dachte an all die Demütigungen, die sie seit ihrer Ankunft in England hatte ertragen müssen. Verglichen damit erschien ihr Paulos Zorn plötzlich leicht zu ertragen. Entschlossen straffte sie die Schultern und sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Du schuldest mir eine Erklärung«, sagte er beherrscht. »Keineswegs.« An seiner Schläfe pochte eine Ader. »Nein?« »Meine Schwangerschaft hat nichts mit dir zu tun, Paulo.« Er lachte verbittert. »Vielleicht nicht im üblichen Sinn. Aber du hast mich in dem Moment mit in die Sache hineingezogen, als du deinem Vater gesagt hast, du würdest mich besuchen.« Doch Isabella ließ sich nicht beirren. »Das war vor vielen Monaten! Bevor ich Brasilien verlassen habe. Außerdem habe ich dich ja tatsächlich besucht. Hast du das verges sen, den Tag, als ich vor deiner Wohnungstür stand?« »Natürlich habe ich es nicht vergessen.« Seit Monaten hatten Paulo die Erinnerungen daran nicht mehr losgelas sen. »Damals habe ich mich gefragt, warum du so nervös, so aufgelöst warst.« An jenem Tag war er sehr erregt gewesen und hatte geglaubt, es würde Isabella genauso gehen. Nur so hatte er sich die unglaubliche Spannung zwischen ihnen erklären können. Aber das konnte er Isabella natürlich nicht sagen. Zumindest nicht jetzt. »Und ich habe auch gespürt, dass du mir etwas verschwiegen hast, mir etwas anvertrauen wolltest. Und so war es auch.« Er schüttelte den Kopf. »Meine Güte«, setzte er langsam
hinzu. »Jetzt weißt du es.« »Ja, jetzt weiß ich es«, wiederholte Paulo zynisch. »Ich hatte deine Müdigkeit dem Jetlag zugeschrieben. Dabei…« Betroffen betrachtete er erneut Isabellas gerundeten Bauch. »Du warst schwanger. Schwanger! Du hast ein Baby erwartet.« Das Wort ,Baby’ hatte er ungläubig gehaucht. »Wie ist es dazu gekommen, Bella?« Sie hatte seinem anklagenden Blick standgehalten, jetzt zuckte sie zusammen. »Erwartest du darauf wirklich eine Antwort?« »Nein. Du hast Recht.« Paulo atmete tief durch, um sich wieder zu fangen. »Ist dir klar, dass dein Vater sich schreckliche Sorgen um dich macht?« »Woher willst du das wissen?« »Weil er mich gestern aus Brasilien angerufen hat.« »Wa… warum sollte er dich anrufen?« fragte Isabella stockend. »Das müsstest du dir doch denken können«, erwiderte Paulo scharf. »Er hat mich gebeten, dich aufzusuchen und festzustellen, was mit dir los ist. Warum deine Briefe so ausweichend sind und du nur so selten anrufst.« Er schüttelte den Kopf und sah Isabella durchdringend an. »Du darfst mir glauben, dass es mir alles andere als Spass machen wird, ihn aufzuklären.« »Er weiß es also noch nicht?« Gespannt wartete Isabella. »Das mit dem Baby?« »Ich glaube, nicht«, erwiderte Paulo kalt. »Sonst müsste er ein fantastischer Schauspieler sein. Er macht sich vor allem deshalb große Sorgen, weil er nicht begreifen kann, warum du das Studium abgebrochen hast, um als Au-pairMädchen zu arbeiten.« »Aber das weiß er doch alles!« warf Isabella aufgeregt ein. »Ich habe ihm geschrieben und ihm zu erklären versucht, dass es für mich zu meiner Ausbildung gehört, einige Zeit
in England zu leben.« Sie hatte ihrem Vater regelmäßig und ausführlich, jedoch vorwiegend über allgemeine Dinge berichtet. Dabei hatte sie es sorgfältig vermieden, ihre Schwangerschaft zu erwäh nen. Ihr Vater sollte glauben, sie würde in absehbarer Zeit zurückkehren und ihr letztes Studienjahr wiederholen. Sie war nicht darauf eingegangen, wann sie nach Hause kommen würde, und ihr Vater hatte nicht danach gefragt. Daher hatte sie geglaubt, ihn überzeugt zu haben, dass sie die Welt kennen lernen wollte. »Ich habe ihm jede Woche geschrieben.« »Das hat er mir auch gesagt«, bemerkte Paulo kühl. »Aber Briefe aus dem Ausland liest man nun mal immer wieder und versucht, zwischen den Zeilen zu lesen. Dein Vater vermutet, dass du nicht glücklich bist, obwohl er nicht sagen kann, warum. Deshalb hat er mich gebeten, nach dir zu sehen und festzustellen, ob es dir gut geht.« Er lachte hart auf. »Und hier bin ich.« »Die Mühe hättest du dir sparen können!« »Ja, da hast du Recht, Bella.« Paulo verzog abschätzig die Lippen und blickte sich in dem schmucklosen Raum um, dessen Wandregale mit Videokassetten statt mit Büchern überfüllt waren. Auf dem dicken cremefarbenen Teppich boden lagen Schokoladenpapiere verstreut. »Und was für ein nobles Versteck du dir ausgesucht hast«, höhnte er. Die Kritik war berechtigt, doch Isabella gab sich nicht geschlagen und versuchte, etwas Positives über ihre Situation zu sagen. »Ich mag die Jungen«, betonte sie. »Sie sind mir richtig ans Herz gewachsen.« »Meinst du die beiden Rabauken, die mir mit ihren Skateboards um ein Haar vor den Wagen gelaufen wären?« Isabella erbleichte. »Aber sie dürfen damit doch gar nicht auf die Straße gehen!« Sie konnte die beiden unmöglich rund um die Uhr beaufsichtigen. »Und das wissen sie auch.«
Paulo kniff die Augen zusammen und betrachtete ihr schmales, blasses Gesicht, das gar nicht zu dem schweren Körper passte, und sein Puls beschleunigte sich. Schon einmal in seinem Leben, als seine Frau gestorben war, hatte er tatenlos zusehen müssen. Jetzt empfand er ähnlich, doch diesmal konnte er eingreifen. »Beantworte mir eine Frage«, forderte er. Isabella schüttelte den Kopf. Damit hatte sie gerechnet. »Ich verrate nicht, wer der Vater meines Babys ist, falls du darauf hinauswillst.« »Nein, das ist es nicht.« Fast hätte Paulo gelächelt. Irgendwie hatte er gewusst, dass Isabella zu stolz sein würde, um den Namen preiszugeben. Und er war froh darüber. Dieses Wissen konnte gefährlich sein. Wenn er Bescheid wusste, würde er versucht sein, den Kerl zu finden, und dann… »Hält dich etwas Bestimmtes in diesem Haus oder in dieser Gegend?« »Nein. Eigentlich nicht. Nur… die Zwillinge.« Das sagte Paulo mehr, als Isabella vermutlich ahnte. Der Vater ihres Kindes lebte also nicht hier im Ort. Und nicht in diesem Haus. Das war gut. Paulo presste die Lippen zusammen. »Dann geh nach oben, und pack deine Sachen«, bestimmte er. »Wir gehen.« Verständnislos sah Isabella ihn an. »Wohin?« »Irgendwohin«, erklärte Paulo. »Nur weg von hier.« Müde schüttelte Isabella den Kopf. »Ich kann nicht von hier weg.« »O doch, du kannst!« »Die Jungen brauchen mich.« »Mag sein«, pflichtete Paulo ihr bei. »Aber dein Baby braucht dich noch mehr. Und du brauchst dringend anständiges Essen und ausreichend Schlaf.« Es fiel Paulo schwer, sich ruhig zu geben. »Also geh packen.« »Ich gehe nirgendwohin!« widersprach Isabella heftig. Paulo lächelte bedauernd. Er hatte gehofft, dass es nicht
so weit kommen würde, aber er konnte erbarmungslos sein, wenn er für etwas kämpfte. »Ich fürchte, doch«, beharrte er grimmig. Isabella dachte nicht daran, sich von Paulo herumkom mandieren zu lassen, und warf trotzig den Kopf zurück. »Du kannst mich nicht zwingen, Paulo.« »Ich gebe zu, dass es nicht gut wäre, wenn ich dabei gesehen würde, wie ich eine Hochschwangere zu meinem Wagen trage, aber wenn es sein muss, tue ich’s«, warnte er. »Du kannst dich wehren, so viel du willst, Bella. Ich hoffe aber, dass es dazu nicht kommt, denn was auch passiert, ich gewinne. Das tue ich immer.« »Und wenn ich mich weigere?« fragte sie herausfor dernd. Jetzt bediente er sich der einzigen Waffe, mit der er ihr klarmachen konnte, dass er es ernst meinte. »Dann sage ich deinem Vater die Wahrheit. Warum du Brasilien verlassen hast. Die Wahrheit könnte jedoch Auswirkungen haben, mit denen du dich im Moment sicher nicht herumschlagen möchtest. Habe ich Recht?« »Das würdest du nicht tun«, flüsterte Isabella. »O doch, ich würde. Das darfst du mir glauben.« Hilflos und wütend sah sie Paulo an. »Bastard!« »Bitte benutze nicht ausgerechnet dieses Wort als Beleidigung«, riet er ihr gereizt. »Bei deinem augenblick lichen Zustand ist das völlig unpassend.« Kalt blickte er auf Isabellas Hände. »Es sei denn, auf deiner Geheimnisliste steht auch ein Ehering.« Das leichte Beben ihrer Lippen gab ihm die Antwort. »Nein? Dann, meine liebe Bella, bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als mit mir zu kommen, nicht wahr?« Es war viel zu einfach, zu verführerisch. Doch was würde ihr das bringen? Konnte sie sich an diese kühle Verachtung gewöhnen, an den harten, abschätzigen Ausdruck in Paulos Zügen? »Ich kann nicht einfach gehen,
ohne fristgerecht zu kündigen. Was soll aus den Jungen werden?« Paulo verzichtete darauf, sie erneut zu ermahnen, dass sie jetzt an sich denken müsse. »Sie haben immer noch ihre Mutter, die sich zur Abwechslung mal um sie zu kümmern hat. Ist sie berufstätig?« Langsam schüttelte Isabella den Kopf. »Sie arbeitet zu Hause«, erwiderte sie, wie Mrs. Stafford ihr eingeschärft hatte. Dabei hatte ihre Chefin das Faulenzen zu einer wahren Kunst entwickelt. Sie ging einkaufen, Kaffee trinken. Zu Mittagessenverabredungen. Und gelegentlich verbrachte sie den ganzen Tag im Bett, telefonierte mit Freunden… »Geh nach oben.« Unbeholfen bewegte sich Isabella, als sie sich Paulo zuwandte. Die lange unterdrückten Gefühle drohten sie plötzlich zu übermannen, doch sie blinzelte die Tränen fort. »Im Moment kann ich von hier nicht weg«, beharrte sie. Paulo widerstand der Versuchung, sie in die Arme zu nehmen und sie zu trösten. Das stand ihm nicht an. Noch nicht, und erst recht nicht hier. »Das weiß ich. Deshalb will ich dir ja auch helfen. Während du deine Sachen packst, spreche ich mit deiner Arbeitgeberin.« »Sollte ich das nicht lieber selbst tun?« Wie naiv und unschuldig sie trotz ihrer Schwangerschaft aussah. Ungeduldig schüttelte Paulo den Kopf. »Sie wird wütend sein, stimmt’s?« Isabella strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Sie wird einen Tobsuchtsanfall bekommen.« »Na ja, auf den kannst du sicher verzichten. Soll sie ihn an mir auslassen. Und jetzt geh, querida. Geh schon.« Die vertraute Liebkosung rührte sie, und sie griff Halt suchend nach einer Stuhllehne. Seit Monaten hatte Isabella ihre Muttersprache nicht mehr gehört, und der
Schutzpanzer, den sie um sich errichtet hatte, war plötzlich durchbrochen. Stumm nickte sie und stieg so schnell, wie ihr Zustand es erlaubte, hinauf in ihr Zimmer unter dem Dach. Es gab nicht viel zu packen. Isabella hatte nur wenige Sachen mit nach England gebracht, und selbst die passten ihr nicht mehr. Daher hatte sie sich Kleidungsstücke gekauft, die für das ungewohnte, kalte Klima und ihren unförmigen Körper geeignet waren. Große, lockere Overalls, zwei Kleider und zwei Hosen mit enormer, verstellbarer Taillenweite, die Isabella jetzt voll ausfüllte. Auch neue Unterwäsche hatte sie sich kaufen müssen und war sich in dem Geschäft wie eine Aussätzige vorgekom men. Sie hatte sich gefühlt, als wüssten alle, dass sie eine ledige Mutter war. Dass kein Mann ihre schweren Brüste liebevoll und stolz betrachten würde, die der plumpe Schwangerschafts-BH umspannte. Mit wenigen Griffen hatte Isabella ihre Sachen und die wenigen Toilettenartikel im Koffer verstaut und ihren Pass an sich genommen. Auf dem Fensterbrett stand ein Hochzeitsfoto ihrer Eltern, das sie wehmütig betrachtete, bevor sie es zu ihren übrigen Habseligkeiten legte. Nach einem letzten Blick durch den winzigen Raum, der in den letzten fünf Monaten ihr Zuhause gewesen war, schloss Isabella leise die Tür hinter sich. Am Fuß der Treppe erwartete Isabella eine seltsame Szene. Paulo stand dort, neben ihm Rosemary Stafford, die wütend auf ihre beiden Jungen einredete. »Wollt ihr wohl endlich still sein!« schrie sie die Kinder an, die jedoch gar nicht auf sie achteten. Charlie und Richie schwirrten wie aufgescheuchte Hummeln in der Diele herum. Die unerwartete Entwicklung der Dinge hatte sie aufgestachelt, gleichzeitig wirkten sie verunsichert, als ahnten sie, dass ihr Leben sich jetzt
verändern würde, und das nicht ganz nach ihrem Ge schmack. Als Isabella das Ende der Treppe erreichte, nahm Paulo ihr den Koffer ab. »Ich trage ihn schon mal zum Wagen«, erklärte er. Fast hätte Isabella ihm nachgerufen: Bitte lass mich nicht allein! Aber das wäre feige gewesen. Also wandte sie sich Rosemary Stafford zu und dachte daran, wie oft sie dieser Frau aus der Patsche geholfen hatte. An die vielen Male, als sie sich von einem Moment auf den anderen bereit erklärt hatte, die Kinder zu hüten. Ohne zu klagen. »Tut mir Leid, dass ich Sie so unverhofft verlassen muss…« »Ach, verschonen Sie mich mit Ihren Lügen!« schnitt Rosemary Stafford ihr giftig das Wort ab. »Es sind keine Lügen«, widersprach Isabella. »Ich kann so nicht weitermachen. Wirklich nicht. Die Wahrheit ist: Ich bin in letzter Zeit immer so schrecklich schlapp und müde…« »So? Und was ist mit den anderen ,Wahrheiten’, die Sie mir aufgetischt haben?« Rosemary Stafford verzog die pink geschminkten Lippen. »Sie hatten mir versichert, dass der Vater Ihres Kindes nicht plötzlich auftauchen und hier alles durcheinander bringen würde!« Isabella wollte klarstellen, dass Paulo nicht der Vater ihres Babys sei, aber das hätte zu nichts geführt. Was konnte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen? Die Jungen standen mit großen Augen da und lauschten gespannt. Wie sollte sie zwei Siebenjährigen die ganze verrückte Situation erklären? Dem fühlte Isabella sich nicht gewachsen. Mit unsicherer Hand zauste sie Richie das blonde Haar. Ihn hatte sie ganz besonders ins Herz geschlossen, und sie wollte ihm nicht wehtun. »Ich schreibe euch«, versprach sie. »Nehmen Sie die Hände von dem Jungen, und sparen Sie
sich die dummen Sprüche!« fuhr Mrs. Stafford sie an. »Worüber wollen Sie einem Siebenjährigen schon schrei ben? Über die Geburt? Oder die Empfängnis?« Schaudernd fragte Isabella sich, wie die Frau so etwas vor ihren Kindern aussprechen konnte. »Zeit, dass wir fahren«, erklärte Paulo, der zurückge kommen war und an der Haustür stand. Sein Gesicht lag im Schatten, und seine Züge waren starr, wie aus Marmor gemeißelt. Nur seine Augen glitzerten – hart, dunkel, eiskalt. Wie lange mochte er dort schon gestanden haben? Hatte er Mrs. Staffords Unterstellung gehört… dass er der Vater des Babys sei? Isabella fühlte sich elend. Sie hatte es nicht einmal abgestritten. »Isabella«, drängte Paulo leise. »Komm.« Impulsiv bückte sie sich und zog die beiden Jungen an sich. Richie weinte, und sie brauchte ihre ganze Willens kraft, um nicht auch in Tränen auszubrechen. Das würde die Kinder nur noch mehr verwirren. Also küsste sie die Jungen nur kurz auf die Stirn. »Ich schreibe euch«, versprach sie. Dann nahm Paulo sie wie eine Kranke am Arm und führte sie zum Wagen.
3. KAPITEL Sobald die Haustür sich hinter ihnen geschlossen hatte, gab Paulo Isabellas Ellenbogen frei. »Mein Wagen steht etwas weiter oben an der Straße«, erklärte er in dem sachlichen Ton, den Isabella an ihm früher nicht gekannt hatte. Paulo hatte den Wagen bewusst etwas entfernt abgestellt. Für alle Fälle. Schließlich hatte er nicht gewusst, was er vorfinden würde. Oder wen. Außerdem war er nicht sicher
gewesen, ob Isabella freiwillig mitkommen würde. Und was er tun konnte, falls sie sich weigerte. Dennoch war er entschlossen gewesen, ohne sie nicht zu gehen. Schweigend folgte Isabella ihm zum Wagen. Paulo ging ungewöhnlich langsam, vermutlich, damit sie mit ihm Schritt halten konnte. In letzter Zeit geriet sie so schnell außer Atem. »Wohin bringst du mich?« fragte sie vorsichtig. »Bringen klingt so, als würde ich dich gegen deinen Willen hier fortholen«, bemerkte Paulo und blickte auf ihren Kopf, der ihm gerade bis zur Schulter reichte. Isabella erschien ihm viel zu klein für die schwere Last, die sie als Schwangere tragen musste. »Du scheinst mich jedoch ziemlich bereitwillig zu begleiten.« Welche Frau würde das nicht tun? dachte Isabella, und ihr Herz klopfte rascher. »Wohin?« wiederholte sie heiser. Ein Flugzeug brauste dröhnend über sie hinweg, und Paulo sah zum Himmel hinauf, bis es in der Ferne verschwand. »Fürs Erste kommst du mit zu mir nach Hause, Bella.« Er warf ihr einen warnenden Blick zu, als erwartete er Widerspruch. »Denk darüber nach. Das erscheint mir am vernünftigsten.« Ihr auch. Und hatte sie sich das nicht von Anfang an gewünscht? Ehe Paulo ihr halb nackt die Tür geöffnet hatte. Ehe die schöne Judy erschienen war und ihr den Mut genommen hatte, Paulo ihr schreckliches Geheimnis anzuvertrauen. »Meinst du nicht auch?« Isabella nickte und fragte sich, was Judy dazu sagen würde. »Ich denke schon.« »Und hinterher…« Paulo schwieg bedeutsam. »Danach gibt es für dich mehrere Möglichkeiten.« »Ich gehe nicht nach Brasilien zurück!« erklärte Isabella bestimmt. »Du kannst mich nicht dazu zwingen.« Paulo hielt es für besser, sich dazu nicht zu äußern. Noch
nicht. »Hier ist mein Wagen.« Ein mitternachtsblauer Sportwagen stand sauber am Rinnstein geparkt. Entsetzt betrachtete Isabella den tiefgezogenen glänzenden Flitzer und zögerte. »Was ist los?« fragte Paulo. Sie blickte auf und bemerkte den besorgten Ausdruck in seinen dunklen Augen. Hilflos deutete sie auf ihren prallen Bauch und legte die Hände daran. »Sieh mal…« »Ich sehe«, erwiderte er, und sein Herz pochte unruhig. »Ich bin so dick und unförmig, und dein Wagen ist so flach und tief.« Doch Paulo öffnete ihr die Wagentür. »Du glaubst, du passt da nicht hinein?« »Sieh nicht hin«, bat Isabella. »Das wird kein schöner Anblick.« Vorsichtig begann sie, sich in den Wagen zu zwängen. Paulo wandte sich grimmig ab und blickte zu dem Haus zurück, das sie verlassen hatten. Von einem Fenster im ersten Stock sahen die beiden Jungen ihnen verloren nach. Noch wusste Paulo nicht, wie alles weitergehen sollte. Er konnte Isabella nur vorübergehend eine Zuflucht bieten. Bereits jetzt war ihm jedoch klar, dass er in Gewissenskon flikte geraten würde. Das war unvermeidlich. Er kannte Isabellas Vater seit seiner Kindheit. Paulos Gedanken schweiften zurück. Und nach dem Tod seiner Frau vor zehn Jahren hatten er und sein Sohn Sommer für Sommer Luis’ Gastfreundschaft genossen. Eddie war noch ein Säugling gewesen, als seine Mutter bei jenem vermeidbaren Autounfall auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Das ganze Land war entsetzt und in Aufruhr gewesen, doch die Person, die den Unfall verursacht hatte und schuld an Elizabeths Tod war, hatte Fahrerflucht begangen und war bis zum heutigen Tag nicht gestellt worden. In den einsamen, trostlosen Tagen nach Elizabeths Tod hatte Paulo es für wichtig gehalten, dass
Eddie seine südamerikanische Heimat kennen lernte. Als Vater fühlte Paulo sich verpflichtet, Luis Fernandes mitzuteilen, wie es um seine Tochter stand. Doch Isabella war kein Kind mehr. Würde sie von ihm, Paulo, erwarten, dass er sich auf ihre Seite schlug und ihrem Vater gegen über das Baby nicht erwähnte? Und wie lange sollte er schweigen? Paulo reihte sich in den Verkehr ein und deutete mit dem Kopf zum Haus der Staffords. »Wie lange hattest du vorgehabt, bei den Leuten zu bleiben?« »Das weiß ich nicht.« Isabella blickte starr geradeaus. »Ich habe einfach von einem Tag zum anderen gelebt und die Dinge auf mich zukommen lassen. Mrs. Stafford meinte, ich könnte mich auch während der Arbeit um mein Baby kümmern.« Paulo packte das Lenkrad fester. »Aber du musst doch irgendeine Vorstellung haben, Bella! Wenn das Baby sechs Monate, ein Jahr alt ist… würdest du dann nach Brasilien zurückkehren, damit dein Vater sein Enkelkind sehen kann? Oder hattest du vor, es ihm für immer vorzuenthalten?« »Das habe ich dir doch schon gesagt«, erwiderte Isabella müde. Sie wünschte, Paulo würde endlich aufhören, sie mit diesen Dingen zu bedrängen. Dennoch fiel ihr auf, dass er bisher darauf verzichtet hatte, ihr die eine grundlegende Frage zu stellen. »Ich weiß es wirklich nicht, obwohl ich mir darüber schon den Kopf zerbrochen habe. Glaub mir, ich habe inzwischen so viele Möglichkeiten durchgespielt, dass ich manchmal das Gefühl habe, mir platzt der Kopf.« Paulo presste die Lippen zusammen. Nach Elizabeths Tod war es ihm ebenso ergangen. Da hatte das Leben für ihn auf einmal keinen Sinn, keine Ausrichtung mehr gehabt. Er wagte einen raschen Blick auf Isabellas bleiche, verhärmte Züge, und Mitgefühl wallte in ihm auf. »Aber je mehr du darüber nachdenkst, umso unsicherer wirst du, nicht
wahr? Und zum Schluss weißt du immer noch nicht, was du tun sollst.« Sein Einfühlungsvermögen war entwaffnend. Die Wärme und Behaglichkeit im Wagen wirkten entspannend auf Isabella. Ihre Lippen begannen zu beben, und sie blickte durch das Fenster hinaus auf die Stadt, damit Paulo nicht sah, wie aufgewühlt sie war. »Ja. Das ist doch verständ lich.« Sie sprach jetzt sehr leise. »Wie immer ich mich auch entscheide, einer wird irgendwie darunter leiden.« Die letzten Worte hatte sie fast geflüstert, und Paulo konnte sie kaum verstehen. Er spürte, dass Isabella den Tränen nahe war. Dies war nicht der richtige Augenblick, um sie mit Fragen zu überhäufen, schon gar nicht, nachdem sie so zart und verletzlich aussah. Wie mager und schwach sie trotz des unförmigen Bauches wirkte. Von Isabellas früher so üppigen Formen war nichts mehr übrig geblieben. Sie sah aus, als könnte eine Windbö sie wegpusten. »Du hast dich nicht richtig ernährt«, bemerkte Paulo vorwurfsvoll. »Dafür hatte ich in den letzten Monaten nicht viel Zeit.« »Hast du schon zu Abend gegessen?« »Nein«, musste Isabella zugeben. Sie hatte sich in ihr Zimmer geflüchtet, weil sie zu müde gewesen war, um im Kühlschrank der Staffords unter der wertlosen Fertigkost nach etwas Nahrhaftem zu suchen. »Für dein Baby ist es wichtig, dass du dich gesund ernährst«, gab Paulo zu bedenken. »Und für dich selbst natürlich auch. Wir gehen jetzt erst mal irgendwo etwas essen.« Übelkeit überkam Isabella, und sie schüttelte den Kopf. »Beim bloßen Gedanken an Essen wird mir schlecht«, gestand sie. »Es ist einfach zu viel passiert. Das musst du doch verstehen.« »Du könntest wenigstens versuchen, etwas zu essen.«
Paulo lächelte ironisch. »Mir zuliebe.« Nervös verschränkte Isabella die Finger im Schoß. »Du gibst keine Ruhe, bis ich nachgebe, nicht wahr?« »Richtig. Tröste dich mit dem Gedanken, dass ich nur dein Bestes will.« »Wie lieb du bist, Paulo.« Der leicht sarkastische Ton, in dem sie das gesagt hatte, brachte ihn zum Lächeln. Ihr alter Kampfgeist war also noch nicht ganz erloschen. »Eher praktisch, würde ich sagen«, stellte er richtig. »Wir müssen miteinander reden und überlegen, wie deine Zukunft aussehen soll. Und das können wir bei mir zu Hause nicht ungestört tun.« »Wegen Eduardo?« »Ja.« Paulo fragte sich, wie er seinem Sohn, der Isabella vergötterte, ihre Schwangerschaft erklären sollte. »Er wird wissen wollen, warum du hier bist. Und wir können ihm das nicht sagen, solange wir die Situation selbst nicht überblicken. Außerdem würde er möglicherweise schockiert sein, wenn er dich so…«, er verspürte einen bitteren Geschmack im Mund, »… hochschwanger sieht.« Isabella dachte an die kühle blonde Schönheit, die einen Schlüssel zu Paulos Wohnung besaß, und es kostete sie Überwindung, die Frage zu stellen, die ihr auf dem Herzen lag. »Und was ist mit Judy? Wie wird sie es aufnehmen, wenn ich mich dir wieder aufdränge? Wird sie das nicht… stören?« »Das glaube ich nicht.« Drückendes Schweigen folgte. Schließlich wandte Isabella sich Paulo zu und betrachtete sein markantes Profil. »Wir haben uns getrennt«, erklärte er ruhig. »So?« Eine Welle der Erleichterung durchflutete Isabella, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Was ist denn passiert?« Paulo presste die Lippen zusammen. Am liebsten hätte er ihr gesagt, das gehe sie nichts an. Dennoch war es
Isabella gewesen, die, ohne es zu wollen oder zu wissen, in ihm Zweifel an seiner Beziehung zu Judy hatte aufkommen lassen, Zweifel, die schließlich zum Bruch geführt hatten. Bis dahin hatte er irgendwie geglaubt, gemeinsame Interessen und ein für beide Teile befriedigendes Sexleben würden ihm genügen. Doch Isabellas Besuch hatte ihm bewusst gemacht, dass seine Gefühle für Judy nur recht oberflächlich waren. Was ihm vorher als angenehm und wünschenswert erschienen war, hatte er plötzlich als Zeitverschwendung empfunden. »Wir hatten uns irgendwie auseinander gelebt«, sagte er. »Aber ihr seid noch befreundet?« »So könnte man’s nennen«, erwiderte Paulo widerstre bend. Das hatte Judy sich gewünscht. Nachdem sie erkannt hatte, dass er es ernst meinte, als er mit ihr Schluss machte, hatte sie sich mit »Freundschaft« zufrieden gegeben. Doch im Grunde seines Herzens wusste er, dass sie niemals nur Freunde sein könnten. Dafür begehrte Judy ihn zu sehr. »Wir sollten nicht über mein Liebesleben reden, Bella.« »Über meins auch nicht«, forderte sie. »Soll das heißen, du willst nicht verraten, wer der Vater deines Kindes ist?« Sie zuckte leicht zusammen. »So ist es.« »Kenne ich ihn?« »Wieso glaubst du, ich würde es dir sagen, wenn du ihn kennst?« Ihre unangebrachte Loyalität ärgerte Paulo, nötigte ihm jedoch auch Bewunderung ab. »Und wenn ich dich dazu zwinge?« fragte er herausfordernd. Die Straßenbeleuchtung warf bizarre Schatten auf sein Gesicht, und Isabella fühlte sich verunsichert. »Das könntest du nicht.« »Wetten?« »Ich wette nie.«
»Das nehme ich dir nicht ab«, erwiderte Paulo leise. »Du bist der wandelnde Beweis dafür, dass du dich auf ein überaus gewagtes Spiel eingelassen hast.« Und du hast verloren, dachte er, sprach es jedoch nicht aus. Der Ausdruck auf Isabellas Gesicht machte das überflüssig. Vor einer Ampel musste Paulo halten, und er setzte sich so, dass er Isabella besser ansehen konnte. In diesem Moment vergaß sie das Baby. Vergaß alles. In dem gedämpften Licht waren Paulos Augen ganz dunkel. »Paulo…« Doch er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu und fuhr weiter. »Wir sind da«, erklärte er kurz darauf einsilbig. Er hielt vor einem italienischen Restaurant, und Isabella atmete auf. Wer weiß, was ihr herausgerutscht wäre, als sie Paulos Namen geflüstert hatte. Das Essen würde ihn hoffentlich von seinem Kreuzverhör ablenken. Außerdem war sie hungriger, als sie gedacht hatte. Es würde schön sein, zur Abwechslung mal das Essen serviert zu bekom men. Das Restaurant war klein und anheimelnd und wurde von Kerzenlicht erhellt. Es war jedoch so voll, dass Isabella sicher war, man würde sie abweisen. Aber das war nicht der Fall. Paulo schien hier gut bekannt zu sein. Auf seinen Wunsch hin wies man ihnen einen Tisch in einer Nische abseits der anderen Gäste zu. Unschlüssig blickte Isabella auf die Speisekarte, die man ihr vorgelegt hatte, und auf die Namen der vielen Gerichte, die sie nicht kannte. Als sie schließlich den Kopf hob, sah sie, dass Paulo sie forschend betrachtete. »Weißt du, was du essen möchtest?« »Nein.« Er deutete auf eine Stelle im unteren Bereich seiner Speisekarte. »Probier doch mal die Spinatlasagne«, schlug er vor. »Sie ist nahrhaft und kräftigend. Genau das, was
du jetzt dringend brauchst, querida.« Sie nickte. »Gut.« So viel Folgsamkeit war er an Isabella nicht gewöhnt. Als der Ober an ihren Tisch kam, fiel Paulo erneut auf, wie müde sie wirkte. »Trink einen Tomatensaft«, drängte er. »Den magst du doch, nicht wahr?« »Ja.« Isabella faltete ihre Serviette auseinander und breitete sie sorgfältig auf ihrem Schoß aus, während Paulo die Bestellung aufgab. »So, das war’s.« Nachdenklich fuhr er mit dem Finger über die blütenweiße Tischdecke, dann beugte er sich über den Tisch zu Isabella vor. »Wir, oder besser gesagt, du musst einige wichtige Entscheidungen treffen.« »Ich fliege nicht nach Hause.« »Nein. Das sagtest du bereits.« Paulo presste die Lippen zusammen. »Im Übrigen könntest du gar nicht nach Brasilien fliegen. Das weißt du doch sicher auch, nicht wahr, Bella? Keine Fluggesellschaft würde eine Hoch schwangere in deinem Zustand jetzt noch mitnehmen.« Er schwieg und blickte bedeutsam auf ihren Bauch. »In der… wievielten Woche bist du?« Zögernd verriet Isabella: »In der siebenunddreißigsten.« »Nur noch drei Wochen«, stellte Paulo fest und sah ihr eindringlich in die Augen. »Wann bist du schwanger geworden?« Das Blut schoss Isabella in die Wangen. »Darauf brauche ich nicht zu antworten.« »Nein«, räumte Paulo ein. »Aber ich kann’s mir auch selbst ausrechnen.« Er schloss die Augen halb und rechnete kurz nach, dann sah er Isabella erstaunt an. »Es muss in der Karnevalszeit gewesen sein.« »Paulo, bitte!« Er kümmerte sich nicht um ihre abwehrende Reaktion und überlegte stirnrunzelnd. »Du musst also kurz nach meiner Abreise schwanger geworden sein.«
Warum sollte sie das abstreiten? »Ja.« »Oder auch während meines Besuchs bei Euch?« tastete Paulo sich weiter vor und verspürte einen eifersüchtigen Stich im Herzen. »Nein!« widersprach Isabella hastig. Wieder runzelte Paulo die Stirn, ohne darauf zu achten, dass der Ober das Essen und Wein servierte. »Also, wer ist es? Ich erinnere mich nicht, dich mit einem Mann gesehen zu haben. Da gab es keinen leidenschaftlichen Liebhaber um dich herum. Keinen Mann, mit dem du ausgegangen bist.« Das Gegenteil war der Fall gewesen, fiel Paulo ein. Isabella war kaum von seiner Seite gewichen. Ihr Vater hatte sich darüber sogar lustig gemacht und gescherzt: »Sie ist dein Schatten, Paulo.« Luis hatte gelacht, und Isabella hatte ihn spielerisch in den Bauch geknufft. Verlangend und schuldbewusst hatte Paulo beobachtet, wie ihre vollen Brüste sich dabei hoben und senkten. In diesem Augen blick war ihm eins klar gewesen: Wenn der Gastgeber geahnt hätte, was in ihm vorging, hätte er ihn auf der Stelle von der Ranch gejagt. »Also, wer ist es?« wiederholte Paulo, doch seine Stimme klang seltsam hohl. Geistesabwesend probierte Isabella die Pizza, dann schaff te sie es endlich, Paulo anzusehen. »Muss ich dir den Vater nennen, wenn ich bei dir wohnen will? Machst du das zur Bedingung?« »Ich muss seinen Namen nicht wissen. Und ich werde dich schon gar nicht dazu zwingen.« Er schwieg lange, dann setzte er gefährlich leise hinzu: »Aber wenn er auftaucht und dich sehen will…« »Das wird er nicht«, versicherte Isabella hastig. »Dazu wird es nicht kommen. Darauf gebe ich dir mein Wort, Paulo.« »Du scheinst dir deiner Sache sehr sicher zu sein.« Er
sah sie durchdringend an. Endlich fragte er leise: »Heißt das, mit dieser Affäre ist es aus und vorbei?« Affäre? Wenn er wüsste! »Ja.« Isabella kämpfte mit sich. Sie war es Paulo schuldig, ihm die Wahrheit zu sagen. Oder zumindest einen Teil davon, ohne sich lächerlich zu machen. »Es ist vorbei. Eigentlich hat es gar nicht richtig angefangen, wenn du es genau wissen willst.« Stolz, fast trotzig hielt sie dem Blick des Mannes stand, den sie vergöttert hatte, solange sie zurückdenken konnte. »Aber ich könnte keine Minute bei dir wohnen, wenn du mich wegen dem, was ich getan habe, verachten würdest, Paulo.« »Dich verachten?« Er betrachtete sie, ihren stolz zurück geworfenen Kopf, und Zorn übermannte ihn. Wie traurig, das erste Kind auf diese Weise zu bekommen! Das hätte Isabella nicht passieren dürfen! So etwas dürfte keiner Frau passieren, schon gar nicht Isabella. Er dachte an die Zeit vor Eduardos Geburt, als Elizabeth alles bis ins Kleinste vorbereitet hatte. Nichts hatte sie dem Zufall überlassen. Er hatte sie sogar aufgezogen, weil sie die Krankenhaustasche schon Monate vor der Nieder kunft gepackt hatte, und Elizabeth hatte mit ihm gelacht. Paulos Ton wurde sanfter. »Warum sollte ich dich verachten?« »Warum wohl?« Isabellas Augen glänzten unnatürlich, und sie blickte auf ihren Teller. »Weil ich ein Kind erwarte. Als unverheiratete Mutter. Ich habe meinen Vater ent täuscht«, fügte sie heiser hinzu. »Und mich selbst auch.« Paulo beugte sich über den Tisch zu ihr vor, so dass die Flamme der Kerze sich in seinen dunklen Augen widerspie gelte. »Jetzt hör mir mal gut zu, Isabella Fernandes, und spar dir die Selbstvorwürfe«, flüsterte er ihr eindringlich zu. »Wir leben nicht im Mittelalter. Du wirst dein Kind allein aufziehen. Na und? Meine Güte, ein Drittel der englischen Bevölkerung ist geschieden, und unzählige
Kinder sind die Leidtragenden von zerbrochenen Ehen. Wenigstens wird dein Kind nicht darunter leiden müssen, dass die Eltern sich getrennt haben.« »Aber unter diesen Umständen wollte ich kein Kind haben!« »Das weiß ich doch.« Paulo nahm ihre Hand und blickte nachdenklich darauf. Sie war klein und kalt, und er begann, sie sanft zu massieren, bis sie warm wurde. Als er spürte, dass Isabella bebte, überkam ihn der unwidersteh liche Drang, sie zu trösten, zu beschützen. »Es gibt gar kein ,Merton-Hotel’, nicht wahr?« sagte Paulo unvermittelt. Isabella blickte auf. »Woher weißt du das?« Er lächelte seltsam. »Woher wohl? Ich habe dich ge sucht.« »Wirklich?« »Natürlich.« Nachdem Isabella Paulos Haus so überstürzt verlassen hatte, war er mit Judy ins Theater gegangen. Geistesabwe send und gelangweilt hatte er die Vorstellung über sich ergehen lassen und sich hinterher, beim Abendessen, lästige Fragen von Judy anhören müssen, die ihn hartnäckig über Isabella ausgefragt hatte. Nachdem Judy zu viel Wein getrunken hatte, war sie weinerlich, fast hysterisch geworden und hatte ihm vorgeworfen, er würde ihr Verschiedenes über seine Beziehung zu der Brasilianerin verschweigen. Schließlich hatte sie ihn mit Unterstellungen überschüttet, die ihn gleichermaßen entsetzt und erregt hatten. Grimmig hatte er Judy nach Hause gebracht und sich ihren Verführungsversuchen entzogen. Danach war er in seine Wohnung gefahren und hatte die Auskunft angeru fen, um sich die Telefonnummer des »Merton-Hotels« geben zu lassen. So hatte er erfahren, dass es ein solches Hotel gar nicht gab.
Isabella wollte also gar nicht, dass ich sie aufspüre, hatte er damals gedacht. Das hatte ihn überrascht, denn normalerweise machten die Frauen es ihm leicht, sie zu finden. Aber offenbar hatte Isabella genau das nicht gewollt. Jetzt wusste er, warum. Forschend sah Paulo sie an. »Warum hast du mich an jenem Tag überhaupt aufgesucht, Bella?« fragte er vorsichtig. »Wolltest du mich um Hilfe bitten?« Sie zögerte und schien mit sich zu kämpfen. »Ich… ja.« »Aber dann hast du es dir aus irgendeinem Grund plötzlich anders überlegt. Ich frage mich, warum.« Gespannt wartete er. »Warum bist du gegangen, ohne dich mir anzuvertrauen?« »Ich hab’s dann doch nicht über mich gebracht. Als es so weit war, hat mich einfach der Mut verlassen, es dir zu sagen.« »Das war alles?« fragte Paulo zweifelnd. Wieder zögerte Isabella. Auf keinen Fall wollte sie zugeben, dass das Auftauchen seiner Freundin sie davon abgehalten hatte. Die Erkenntnis, dass es in seinem Leben bereits eine Frau gab. »Das war alles.« Sie hob den Kopf und sah Paulo in die Augen. »Ach, Paulo!« seufzte sie. »Was habe ich nur getan?« Ihre Seelenqual ging ihm ans Herz, und er drückte Isabel la beruhigend die Hand. »Daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern, Bella. Du hast einfach Pech gehabt, das ist alles…« »Nein, bitte, sag das nicht!« Sie sprach jetzt sehr leise. »Hier geht es um ein Baby, und nicht um eine Pechsträh ne.« »So meinte ich das nicht. Du bist ein Risiko eingegangen und hast einen hohen Preis dafür bezahlt.« Paulo lächelte verbittert. »Hat niemand dir gesagt, dass es so etwas wie sicheren Sex nicht gibt?«
Die Worte beschworen unerwünschte Bilder herauf – Isabella in intimer Umarmung mit einem anderen Mann, ihr seidiges dunkles Haar auf dem Kissen eines Fremden. Bei der Vorstellung verspürte Paulo einen bitteren Ge schmack im Mund. Er legte seine Serviette auf den Tisch und warf Isabella einen herausfordernden Blick zu. »Ich hoffe nur, es war’s wert, querida.« Wert? Durch einen Tränenschleier blickte Isabella auf ihren Teller. Wenn Paulo wüsste, dachte sie traurig.
4. KAPITEL Es ging bereits auf neun Uhr zu, als Paulo in die stille, von Bäumen gesäumte halbmondförmige Straße einbog. Die Nacht war kalt und klar, und Mondlicht überflutete die hohen Stadthäuser, so dass sie silbrig blass, fast geisterhaft wirkten. »Ob Eduardo schon schläft?« flüsterte Isabella, die sich nach dem Essen ebenfalls schläfrig fühlte. Sie war selbst erstaunt gewesen, dass sie fast alles verspeist hatte. »Du scheinst ziemlich idealistische Vorstellungen über die Schlafenszeit von Kindern zu haben «, erwiderte Paulo trocken und schob den Schlüssel ins Schloss. »Bestimmt sitzt er noch vor seinem Computer.« Er öffnete die Haustür und ließ Isabella eintreten, dann stellte er ihren Koffer in der Diele ab. »Hallo!« rief er. Irgendwo ertönte Geschirrklappern, dann tauchte eine Frau Mitte vierzig auf und wischte sich die nassen Hände an der Hose ab. Sie hatte kurzes rotes, gelocktes Haar, das mit grauen Strähnen durchzogen war, und ihr sommer sprossiges Gesicht zeigte keinerlei Make-up. Ihre dunkel blaue Hose und das gleichfarbige Polohemd waren so sauber und frisch gebügelt, dass sie wie eine Uniform wirkten. Nach einem kurzen, neugierigen Blick auf
Isabellas Koffer lächelte sie Paulo an. »Gut. Sie kommen gerade rechtzeitig, um Ihrem Sohn eine Geschichte vorzulesen.« »Aber er behauptet doch, zu alt für Geschichten zu sein«, erwiderte Paulo belustigt. »Ja, sicher. Aber bei seinem Vater macht er wie bei allem eine Ausnahme, würde ich sagen.« Sie nickte Isabella freundlich zu. »Hallo.« »Jessie, darf ich Ihnen Isabella Fernandes vorstellen. Sie ist eine sehr alte Freundin der Familie.« »Ja, ich weiß. Eddie hat mir schon viel von Ihnen erzählt«, sagte Jessie lächelnd zu Isabella. »Und, Isabella, das ist Jessie Taylor. Sie ist für uns viel, viel mehr als eine Wirtschafterin. Wie würden Sie sich selbst nennen, Jessie?« »Ihre willige Sklavin, Paulo. Wie sonst? Schön, Sie kennen zu lernen, Isabella.« Jessie reichte ihr die Hand. »Ihr Vater besitzt diese tolle Viehranch, nicht wahr?« »Ja«, bestätigte Isabella. »Vermissen Sie Brasilien nicht sehr?« »Nur im Winter.« Gespielt schaudernd zog Isabella ihren Regenmantel fester um sich. Sie war dankbar, dass Jessie ihre Schwangerschaft taktvoll überging. »Isabella wird fürs Erste hier bei uns wohnen«, erklärte Paulo. Jessie nickte. »In Ordnung. Im Gästezimmer, nicht wahr?« fragte sie vorsichtig. Paulo kniff die Augen zusammen. Glaubte Jessie etwa, er würde eine Hochschwangere mitbringen, um mit ihr heiße Nächte zu verbringen? Er sah, dass Isabella das Blut in die Wangen stieg, und vermutete, dass sie das Gleiche dachte. »Ja, natürlich«, betonte er. »Im Gästezimmer. Ist das Bett gemacht?« »Nein. Aber ich kann es beziehen, ehe ich gehe«, erbot
Jessie sich sofort. »Nein, nein, bitte lassen Sie nur«, warf Isabella ein. »Das mache ich selbst. Wirklich! Ich bin nicht hilflos.« Doch Jessie wollte davon nichts wissen. »Kommt nicht infrage! Das würde ich nicht im Traum zulassen. Sie sehen abgespannt aus. Setzen Sie sich lieber erst mal, meine Liebe.« Aber Isabella zögerte. »Komm schon, setz dich«, drängte Paulo leise. »Fühl dich hier wie zu Hause.« Isabella war viel zu müde, um ihm zu widersprechen. Erleichtert ließ sie sich auf eins der beiden breiten Sofas in der Mitte des Raumes sinken und streifte sich behutsam die Schuhe von den geschwollenen Füßen. Als Isabella aufblickte, sah sie, dass Paulo sie besorgt beobachtete. Sie lächelte matt. »Du hast doch gesagt, ich soll es mir bequem machen.« »Richtig. Irgendwie habe ich wohl einfach auf deinen Widerspruch gewartet«, bemerkte er trocken. »Ich hatte keine Ahnung, wie halsstarrig du sein kannst.« »Und ich hatte keine Ahnung, wie bevormundend du sein kannst.« »Nein?« Als Isabella nicht antwortete, lächelte Paulo erheitert. »Bleib da. Ich gehe Eddie erst mal Gute Nacht sagen.« Als Paulo das Zimmer seines Sohnes betrat, lag Eddie bereits im Bett und gähnte schläfrig. »Hallo, Papa.« »Hallo, mein Sohn.« Paulo lächelte gerührt. »Hast du meine Nachricht erhalten?« »J…a.« Eddie rieb sich die Augen und gähnte erneut. »Wie geht’s Bella?« »Sie ist… müde. Und sie wird bei uns wohnen.« Der Junge strahlte. »Wirklich? Super! Wie lange?« »Das weiß ich noch nicht.« Paulo schwieg und legte sich
zurecht, wie er dem Jungen die komplizierte Situation erklären sollte. Aber Kinder kamen mit der Wahrheit ja meist am besten zurecht. »Sie erwartet ein Baby, weißt du?« Eddie nahm die Fäuste von den Augen und blinzelte. »Toll! Wann?« Erleichtert lächelte Paulo. »Bald. Schon sehr bald.« Eddie setzte sich aufgeregt im Bett auf. »Wird das Baby auch hier wohnen?« »Das bezweifle ich«, erwiderte Paulo sanft. »Es ist möglich, dass Bella nach der Geburt nach Brasilien zurückkehrt.« »Och.« Eddie machte ein enttäuschtes Gesicht und kuschelte sich wieder unter die Decke. »Judy hat angeru fen.« »So?« Paulo runzelte die Stirn. Von jeher war er zu den Frauen in seinem Leben ganz offen gewesen. Und von Anfang an hatte er Judy klargemacht, dass er weder Liebe noch eine Partnerin fürs Leben oder eine Ersatzmutter für seinen Sohn suche. Damit könne sie leben, hatte Judy ihm versichert. Doch im Lauf der Zeit hatte sich herausgestellt, dass Judy das nicht schaffte. Und ihr Verhalten nach der Begegnung mit Isabella hatte Paulos Vermutungen bestätigt. Doch Judy war hartnäckig, und Paulo zu sehr Gentleman, um Judys Schmollanrufe abzustellen. »Wollte sie etwas Bestimmtes?« erkundigte er sich vorsichtig. Eddie schnitt ein Gesicht. »Nur das Übliche. Sie wollte wissen, wo du bist, und ich hab’s ihr gesagt. Als ich Bella erwähnte, wurde sie ganz still.« »So?« »Mm.« Eddie gähnte. »Papa… muss ich morgen zur Schule gehen?« Paulo machte ein ernstes Gesicht. »Natürlich. Du hast doch noch keine Ferien.«
»Nein, leider. Aber…« Eddie biss sich auf die Lippe. »Ich möchte Bella so gern sehen. Letztes Mal ist sie gleich wieder gegangen.« »Diesmal geht sie nicht so schnell fort«, versuchte Paulo seinen Sohn zu beruhigen, der jedoch keineswegs überzeugt zu sein schien. Dann sagte Paulo sich: Ach was! Was machte schon ein Schultag, wenn er dem Jungen damit helfen konnte, mit der ungewöhnlichen Situation besser fertig zu werden? »Na ja, vielleicht darfst du zu Hause bleiben«, lenkte er ein und nahm das Märchenbuch von der Bettablage. »Ich sagte vielleicht«, betonte er, aber seine Augen funkelten vielversprechend. »Soll ich die Geschichte zu Ende lesen?« »Ja, bitte!« »Wo waren wir stehen geblieben?« »Da, wo der Junge seinen Vater aus Versehen in einen Frosch verwandelt.« »Ist das Wunschdenken, Eddie?« fragte Paulo trocken. Er hatte das Seitenzeichen im Buch gefunden und begann vorzulesen. Doch nach wenigen Minuten war Eddie fest eingeschlafen. Leise knipste Paulo das Licht aus und verließ den Raum auf Zehenspitzen. Als Paulo nach unten kam, fand er Isabella immer noch auf dem Sofa vor. Sie hatte sich ausgestreckt und war eingeschlummert, die Hände friedlich über dem gewölbten Bauch gefaltet. Zum ersten Mal schien die Anspannung von ihr abgefal len zu sein. Paulo blieb vor Isabella stehen und betrachtete sie. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie viel sie in der seelenlosen Atmosphäre bei den Staffords durchgemacht haben musste – schwanger, verängstigt und völlig vereinsamt. Ihr Haar lag in seidigen Wellen über dem Samtkissen ausgebreitet, das sie sich unter den Kopf geschoben hatte, und ihre dichten dunklen Wimpern
warfen Schatten auf ihre Wangen. Der oberste Knopf des Kleides war geöffnet, so dass die Haut über den Brüsten zu sehen war, unglaublich zart, fast durchscheinend. Versonnen blickte Paulo auf eine Ader, die nahe der Halsmulde pochte. Ein Geräusch ließ ihn aufblicken. Jessie stand auf der anderen Seite des Raumes und hatte mit angesehen, wie er die Schwangere betrachtete. Eine Frage schien der Wirtschafterin auf der Zunge zu brennen, doch sie sagte nur: »Das Gästezimmer ist fertig.« »Danke.« Paulo wandte sich von der schlafenden Isabel la ab und ging ins Esszimmer, um sich einen Whisky einzuschenken und zu überlegen, was er tun sollte. Seit Elizabeths Tod arbeitete Jessie für ihn, und manchmal dachte er, eine gute Fee, und nicht die Vermitt lungsagentur, hätte sie ihm geschickt. Jessie war selbst Witwe und wusste, dass tatkräftige Hilfe wichtiger war als Weinen und Klagen. Sie war jung genug, um mit Eddie herumzutollen, doch auch wieder nicht so jung, um das Gefühl zu haben, im Leben etwas zu versäumen, indem sie ein fremdes Kind betreute. Paulo wusste auch, dass Jessie jetzt eine Erklärung erwartete. Das war er ihr schuldig. Dennoch wollte er nicht über Isabella sprechen, während sie schlafend dalag. Er trank einen Schluck Whisky und sah Jessie unschlüssig an. »Ich gehe jetzt«, sagte sie. »Im Kühlschrank steht ein Salat, falls Sie hungrig sind.« »Wir haben auf der Rückfahrt gegessen.« Er deutete mit dem Kopf auf das Tablett mit den Kristallkaraffen. »Möchten sie noch auf einen Drink bleiben?« Doch Jessie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich bin verabredet.« »Verabredet?« Sie lächelte nachsichtig. »Überrascht Sie das, Paulo? Ich
weiß, ich bin schon über vierzig, aber warum sollte ich nicht trotzdem eine Beziehung haben?« Ihm wurde bewusst, dass Jessie sich verlieben, ihn möglicherweise sogar verlassen konnte. Seltsamerweise beunruhigte ihn das weniger, als er gedacht hätte. »Ist es… ernst?« »Noch nicht«, erwiderte sie ruhig. »Aber ich glaube, das könnte es werden.« »Donnerwetter! Und ich dachte, Sie leben nur für Ihre Arbeit.« »Irrtum.« Paulo atmete tief ein und folgte Jessie in die Diele, wo er ihr in den Mantel half. »Hören Sie, Jessie…« Sie drehte sich um und sah ihn an. »Ja?« »Wegen Isabella…« Doch Jessie schüttelte den Kopf. »Nein. Sie brauchen mir nichts zu sagen. Und ich stelle auch keine Fragen.« Sie schnitt ein Gesicht. »Na ja, vielleicht eine einzige. Aber wahrscheinlich wissen Sie schon, welche.« Gefasst sah Paulo sie an. »Und das wäre?« »Sind Sie der Vater?« Fast hätte Paulo sich an seinem Whisky verschluckt. Er brauchte einige Sekunden, ehe er antworten konnte: »Also, Jessie… das ist so verrückt, dass es fast schon komisch ist! Fast«, fügte er entrüstet hinzu. »Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass ich eine Beziehung zu Judy unterhalten habe, während eine andere Frau von mir ein Kind erwar tet?« »Nein, natürlich nicht.« Jessie zuckte die Schultern. »So gesehen, ist die Vorstellung wirklich verrückt. Aber werden die anderen das nicht annehmen?« »Warum sollten sie?« Paulos Stimme klang nicht ganz überzeugend. »Isabella ist schließlich erst zwanzig.« »Und Sie sind erst dreißig«, gab Jessie zu bedenken. »Das ist doch kein übermäßiger Altersunterschied.«
»Außerdem kenne ich sie schon, seit sie ein Kind war«, beharrte Paulo. »Na ja, ein Kind ist sie nun wirklich nicht mehr«, hielt Jessie dagegen. Nachdem die Wirtschafterin gegangen war, kehrte Paulo in den Salon zurück. Wieder blieb er vor der schlafenden Isabella stehen und betrachtete ihre gelösten Züge. Jessie hatte Recht. Isabella war wirklich kein Kind mehr. Sie atmete ruhig und lag entspannt da, die Arme über dem Kopf, ein Lächeln auf den Lippen. Das erste wirkliche Lächeln an diesem Tag, dachte Paulo. Aber vielleicht war das gar nicht so überraschend. Möglicherweise bot ihr im Moment nur der Schlaf eine befreiende Zuflucht. Plötzlich wurde ihm schmerzlich bewusst, wie sehr er dieses sanfte Lächeln vermisst hatte. Von Rührung überwältigt, beugte er sich über Isabella und schüttelte sie leicht. »Bella«, flüsterte er. Sie reagierte nicht, hauchte nur etwas Unverständliches und kuschelte sich auf dem Sofa zurecht, dabei legte sich der Stoff des Umstandskleids fest um ihre Schenkel. Unwillkürlich hielt Paulo den Atem an. Unter dem Stoff zeichnete sich deutlich die Wölbung des Babys ab. Der Anblick hätte abstoßend wirken müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Isabella sah wunderschön aus, und Paulo kämpfte mit sich, ehe er erneut sanft ihre Schulter berührte. Doch Isabella bewegte sich nur leicht im Schlaf. Verlangen durchflutete Paulo so unerwartet, dass er einen Laut von sich gegeben haben musste, denn Isabella öffnete halb die Augen und sah ihn an. In dem unwirklichen Zustand zwischen Wachen und Schlafen erschien es ihr irgendwie ganz natürlich, dass Paulos Gesicht ihrem so nah war, und sie war sicher, dass er sie jetzt küssen würde. Davon hatte sie ihr Leben lang
geträumt, und sie streckte erwartungsvoll die Arme aus. »Paulo«, wisperte sie verklärt. Er schüttelte den Kopf. Isabella hat nur Beschützergefühle in mir geweckt, nicht mehr, versuchte er sich einzureden. Die Natur bediente sich manchmal solcher Tricks. Sie machte eine Frau, die ein Kind unter dem Herzen trug, so schön, dass sie in Männern Bechütze rinstinkte weckte. »Zeit zum Schlafengehen«, erwiderte er ernst, doch der vertrauensvolle Ausdruck in Isabellas Augen ging ihm ans Herz. »Du siehst aus, als würdest du dringend Schlaf brauchen. Wenn du willst, trage ich dich hinauf.« »Nein, nein. Ich kann gehen.« Isabella war jetzt hellwach. »Außerdem bin ich viel zu schwer, als dass du mich tragen könntest.« »Nein, das bist du nicht. Wetten, dass du federleicht bist? Stell mich auf die Probe.« »Nein«, wehrte sie ab und setzte sich mühsam auf. Paulo half ihr auf die Füße und legte stützend den Arm um sie, wie er es früher bei Elizabeth getan hatte. Doch Elizabeth war fast so groß wie er gewesen, während Isabella neben ihm rührend klein und zerbrechlich wirkte. Sie reichte ihm knapp bis zur Schulter. Dennoch wusste er, wie zäh und stark Isabella sein konnte. Er sah wieder vor sich, wie sie selbst die widerspenstigsten Pferde gezähmt hatte. »Komm«, drängte er leise. »Lehn dich an mich, Bella.« Zu schläfrig, um sich gegen Paulo aufzulehnen, ließ sie sich nach oben ins Gästezimmer bringen, in dem ein großes Bett mit einer einladend aufgeschlagenen Daunen decke stand. »Zieh dich aus«, sagte Paulo, als sie sich seufzend auf das Bett fallen ließ. »Nein.« Isabella legte den Kopf auf die Hände und schloss die Augen.
»Bella«, mahnte er. »Wenn du dich nicht ausziehst, tue ich es.« Verwirrt öffnete sie die Augen. Es war kein Traum. Paulo war wirklich hier. Und er wollte sie ausziehen! »Das kann ich auch allein. Wirklich, Paulo.« Zweifelnd sah er sie an und glaubte ihr erst, als sie den Verschluss ihrer goldenen Armbanduhr löste und sie über das schmale Handgelenk streifte. »Gute Nacht«, sagte er unvermittelt. »Gute Nacht, Paulo.« Er lehnte die Tür nur an, damit das Licht aus dem Korridor in den Raum fiel, falls Isabella aufwachen sollte. In der ihr fremden Umgebung sollte sie nicht hilflos im Dunkeln herumtasten müssen. Doch Paulo war rastlos. Seltsamerweise fühlte er sich zu unruhig, um sich jetzt mit den Zeitungen und Unterlagen zu befassen, die im Arbeitszimmer auf ihn warteten. Er duschte und schlüpfte unbekleidet ins Bett. Wie unter einem Zwang beschäftigte er sich erneut mit der Frau im Nebenzimmer. Vom wem mochte sie schwanger sein? Und wie konnte er sie dazu bringen, in ihre Heimat zurückzukehren, denn das war die einzige vernünftige Lösung. Starr blickte Paulo in die Dunkelheit und wusste selbst nicht, warum die Vorstellung ihm nicht gefiel. Als er auch nach einiger Zeit keinen Schlaf fand, be schloss Paulo, sich doch noch mit seiner Schreibarbeit zu beschäftigen. Er streifte Jeans und ein schwarzes T-Shirt über und sah auf dem Weg nach unten kurz bei Isabella vorbei. Das Korridorlicht fiel auf ihre gelösten Züge. Sie hatte die Lippen im Schlaf leicht geöffnet… Rasch wandte Paulo sich ab und ging nach unten. Er arbeitete einige Papiere durch, dann blickte er auf die Uhr und gähnte. Der neue Tag war bereits angebrochen.
Besser, er legte sich schlafen. Doch er schaltete den Computer ein und begann, Solitai re zu spielen. Paulo musste eingenickt sein, denn er hörte nicht, wie die Haustür geöffnet und geschlossen wurde. Und er bemerkte auch die leisen Schritte nicht, die sich seinem Arbeitszimmer näherten. Ihm wurde erst bewusst, dass er nicht allein war, als jemand vor seiner Tür schwer atmete. Paulo öffnete die Augen und war sofort hellwach. »Bella?« rief er leise. »Bist du da?« »Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen«, meldete sich schneidend eine weibliche Stimme. »Ich bin’s nur.« Benommen richtete er sich auf und sah eine große, schlanke Gestalt den Raum betreten. Paulo traute seinen Augen nicht. »Judy?« »Ja, Judy!« erwiderte sie spöttisch. »Dachtest du, es wäre dein kleines brasilianisches Temperamentsbündel?« Paulo schaltete die Oberbeleuchtung ein, und seine Augen mussten sich erst an die Helligkeit gewöhnen. Ungläubig sah er die Besucherin an, die sich unangemeldet bei ihm eingeschlichen hatte. Das künstliche Licht schmeichelte Judys blonder Schön heit, ihren langen, schlanken Beinen, den leuchtend blauen Augen und ihrer makellosen Haut. Sie trug Jeans und eine teure Felljacke, und ihre Augen funkelten herausfordernd. »Hallo, Judy«, sagte Paulo vorsichtig. »Ich hatte dich nicht erwartet.« Sie zog die Augenbrauen hoch und lachte. »Das ist nicht zu übersehen.« Ruhig erklärte er: »Ich wusste nicht, dass du immer noch einen Schlüssel hast.« »Kleine, nette Überraschungen machen das Leben doch erst interessant, Paulo.« Er seufzte. »Bitte, Judy, ich möchte keine Szene.« »Nein. Deine Begrüßung zeigt deutlich, was du möch
test.« »Was soll das heißen?« »Übernachtet diese Frau bei dir? Sie ist doch hier, nicht wahr?« »Du meinst Isabella?« Judy verzog abschätzig das Gesicht. »Das weißt du doch genau! Du hast gedacht, ich wäre sie, als ich reinkam, stimmt’s? .Bella’! Na ja, tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, Paulo. Wie lange wird sie bleiben?« Seine Miene zeigte keine Regung, und nur seine Augen glitzerten warnend. »Ich glaube nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt für so ein Gespräch ist«, erwiderte er mühsam beherrscht. »Außerdem geht dich das nichts an.« Jetzt wirkte Judys Gesicht fast hässlich. »Ihretwegen hast du Schluss mit mir gemacht, nicht wahr?« forderte sie Paulo heraus. »Nachdem sie damals hier bei dir aufge taucht ist, hast du dich verändert. Das habe ich genau gemerkt. Du bist scharf auf sie, nicht wahr, Paulo? Du begehrst sie mehr, als du mich je begehrt hast.« Um seinen Mund erschien ein harter Zug. Judy wusste also offenbar nicht, dass Isabella schwanger war. Und er dachte nicht daran, Judy aufzuklären. »Hör mal, ich bin sehr müde. Wenn es dir nichts ausmacht…« Sie sah den abweisenden Ausdruck in seinen Augen. »Was hat sie, das ich nicht habe, Paulo?« fragte sie fast flehend. »Sag es mir.« Doch er schüttelte nur den Kopf. »Geh nach Hause«, antwortete er leise. »Geh jetzt, ehe es zu spät ist.« Judy verstand ihn völlig falsch, und in ihren Augen blitzte es auf. »Für was? Meinst du, zu spät, um mir widerstehen zu können? Aber ich möchte doch gar nicht, dass du mir widerstehst, Paulo. Ich will es genauso wie du. Was macht es schon? Niemand wird es erfahren.« Sie trat an den Schreibtisch, und der überwältigende Duft ihres Parfüms betäubte Paulos Sinne. »Komm schon, Paulo. Um
der alten Zeiten willen.« Abscheu stieg in ihm auf, und er schüttelte erneut den Kopf. »Nein.« »Nein?« Judy warf das blonde Haar zurück. »Bist du dir da sicher?« Was für eine verrückte Situation, dachte Paulo. Eine wunderschöne Blondine bat ihn um Sex. So etwas wünschten sich heißblütige Männer in ihren wildesten Träumen. Er jedoch sorgte sich darum, Judy könnte die Schwangere wecken, die oben schlief. »Ganz sicher. Und, bitte, sprich leise«, forderte er. »Es ist besser, du gehst sofort.« »Und was ist, wenn ich bleibe, und… das tue, Paulo?« Judy streckte die Hand aus, und er wusste genau, wo sie ihn berühren wollte. »Ich will es nicht.« Er ergriff ihr Handgelenk und hielt es fest. »Ich will es nicht«, wiederholte er. »Nie mehr. Hast du verstanden, Judy?« Fassungslos sah sie ihn an. Eine Frau, die noch nie abge wiesen worden war. Dann entriss sie ihm ihren Arm. »Und warum nicht?« brauste sie auf. »Aber du willst es mit Bella tun, nicht wahr?« Er brauchte sie nicht nochmals aufzufordern zu gehen. Seine Miene sagte alles. Er hörte, wie Judy durch die Diele rannte, dann fiel die Haustür so laut ins Schloss, dass der Krach wie ein Gewehrschuss im Haus widerhallte. Gefasst schaltete Paulo den Computer aus und beschloss, sich etwas zu trinken zu holen. Barfuss ging er in die Küche, wo er sich ein Glas Wasser einschenkte und es austrank, während er aus dem Fenster blickte. Draußen funkelten silbrig weiße Sterne am dunklen Nachthimmel, und unwillkürlich musste Paulo an die Ranch von Isabellas Vater denken. Dort waren die Sterne so groß, so hell und nah, dass man das Gefühl hatte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um sie vom
Himmel pflücken zu können. Paulo drückte das leere Wasserglas an seine Wange und dachte an die Bombe, die nun bald platzen musste. Was würde Isabellas Vater sagen, wenn er erfuhr, dass seine geliebte Tochter ein Baby erwartete? Von einem Mann, dessen Namen sie nicht preisgeben wollte! Ihr Vater würde einen Tobsuchtsanfall bekommen. Paulo drehte sich um, um schlafen zu gehen, als er Isabella an der Tür bemerkte, die ihn schweigend beobach tet hatte. Sie trug jetzt ein weites weißes Nachthemd und Bettso cken und hatte das Haar zu zwei dicken dunklen Zöpfen geflochten, die ihr zartes Gesicht umrahmten. Sie sah so unglaublich lieb und unschuldig aus, dass ihr gewölbter Bauch fast unanständig wirkte. »Habe ich dich aufgeweckt?« fragte Paulo und versuch te zu lächeln. »Anscheinend ja.« »Ich habe… Geräusche gehört. Dann wurde die Haustür zugeschlagen.« »Hat dich das erschreckt?« »Nur im ersten Moment, bis ich merkte, wo ich bin. Aber wahrscheinlich wäre ich auch so aufgewacht. Übelkeit«, fügte Isabella hinzu, als sie den fragenden Ausdruck in Paulos Augen sah. »Damit muss man sich gegen Ende der Schwangerschaft herumplagen.« »Ja.« Nachdenklich blickte Paulo auf Isabellas prallen Bauch. »Möchtest du ein Glas Milch trinken?« »Gern.« »Setz dich. Ich bring es dir.« Isabella zog sich einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor und ließ sich darauf nieder. Paulo öffnete den Kühlschrank, goss Milch in ein großes Glas und reichte es Isabella. Dann lehnte er sich an die Anrichte und sah zu, wie Isabella die Milch austrank. Fasziniert verfolgte er, wie sie den weißen Hand, den die
Milch auf ihrer Oberlippe hinterlassen hatte, mit der Zunge ableckte. Unglaublich, wie sexy eine Hochschwan gere sein kann, dachte Paulo. Isabella spürte, dass er sie beobachtete, und versuchte, sich unbeteiligt zu geben. Doch das fiel ihr nicht leicht. Das Baby in ihr bewegte sich genau in dem Augenblick, als ihre Brüste sich auf eine Weise zu spannen begannen, die nichts mit der Schwangerschaft zu tun hatte. Ihr Körper sandte verwirrende, widersprüchliche Signale aus! Isabella stellte das Glas mit einem dumpfen Geräusch auf dem Tisch ab. »Hatte… Elizabeth eine leichte Schwan gerschaft?« Paulo runzelte die Stirn. »Nein. In den ersten fünf Monaten und auch danach war sie oft sehr krank.« Forschend blickte Isabella ihn an. Jetzt, in der Stille der Nacht, fiel es ihr leichter, Paulo Fragen zu stellen, die ihr vorher nicht über die Lippen gekommen wären. »Sie fehlt dir sehr, nicht wahr?« Er antwortete nicht sofort. »Ja. Anfangs schrecklich. Aber das liegt inzwischen lange zurück«, fügte er nachdenklich hinzu. »Manchmal kommt es mir vor, als ob das einem anderen passiert wäre. Wir waren zwei Jahre zusammen, und Lizzie ist jetzt zehn Jahre tot.« »Fragt Eduardo nach ihr?« »Manchmal.« Isabella ließ Paulo nicht aus den Augen. »Kommt er mit der Familie seiner Mutter zusammen?« »Gelegentlich.« Plötzlich brauste Paulo auf. »Was soll das, Isabella?« fuhr er sie an. »Willst du mich aushorchen?« Die Frauen fragten ihn nicht nach seiner Frau. Bewusst übersahen sie die wenigen Fotos von Elisabeth und ihrem kleinen Sohn, die im Haus herumstanden. Nie sprachen sie Eddie auf seine Mutter an. Paulo hatte das Gefühl, sie könnten den Gedanken nicht ertragen, dass er eine andere Frau geliebt und mit ihr ein Kind hatte.
»Willst du jede schmerzliche Einzelheit aus mir heraus quetschen, während du dich stur weigerst, mir zu sagen, wer der Vater deines Kindes ist?« fragte er scharf. »Das ist etwas anderes.« »Wieso?« »Weil sich nichts ändert, wenn du es weißt«, erwiderte Isabella steif. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass es aus ist.« »Und warum dann dieses Kreuzverhör? Gelten für uns verschiedene Maßstäbe?« Isabella schüttelte den Kopf. »Wenn es etwas nützen könnte, würde ich es dir sagen.« »Du traust mir also nicht zu, die Sache für mich zu behalten?« hakte Paulo nach. »Nein«, gab Isabella zu. Nun musste Paulo lächeln. »Sehr klug von dir, querida. Sehr klug.« Fasziniert beobachtete er, wie ein seidiger Zopf über Isabellas Brust glitt, als sie den Kopf hob, um ihm in die Augen zu sehen. »Und jetzt geh wieder ins Bett, Bella«, sagte er rau. »Du brauchst deinen Schlaf.« Und ich muss aufpassen, dass ich den Verstand nicht verliere, dachte er. An der Tür blieb Isabella stehen. Paulo wollte nicht, dass sie ihm unbequeme Fragen stellte, doch eins musste sie einfach wissen. »Hast du vorhin mit jemandem gespro chen?« »Ich… hatte unerwarteten Besuch.« Er lächelte grimmig. Warum ein Geheimnis daraus machen? »Judy war hier.« »Aber du hast doch gesagt, es sei aus zwischen euch?« Die Frage war heraus, ehe sie es verhindern konnte. »Das ist es auch.« Paulo warf ihr einen raschen Blick zu. »Sie wird nicht wiederkommen.« »Aha.« Isabella bemühte sich, einen unbeteiligten Ton anzuschlagen. »War es ernst zwischen euch? Wohl schon, denn sie besaß ja einen Schlüssel zu deiner Wohnung.«
Blitzschnell überlegte Paulo, wie er das Thema abbiegen konnte, denn er spürte, dass die Wahrheit Isabella wehtun würde. »Ich halte nichts mehr von ›ernsten’ Beziehungen, Bella«, erklärte er ausweichend. Sie verspürte einen Stich im Herzen. »Nein. Tja, ich sollte jetzt wohl wieder ins Bett gehen.« Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Paulo die Regungen, die sich auf ihrem Gesicht abzeichneten. Vielleicht war Judy doch scharfsinniger, als er ihr zugetraut hatte. »Ja, das ist das Beste, Bella«, pflichtete er ihr bei. »Gute Nacht.«
5. KAPITEL Zaghaftes Klopfen an der Tür weckte Isabella. Sie gähnte und nahm ihre Armbanduhr vom Nachttisch. Meine Güte, fast zehn! Träge streckte Isabella sich unter der Bettdecke. So ausgeruht hatte sie sich noch nie gefühlt, seit sie in England war. Herrlich, mal richtig ausschlafen zu können! Bei den Staffords wäre sie um diese Zeit schon seit Stunden auf den Beinen gewesen. Das Pochen an der Tür wurde lauter. Isabella setzte sich im Bett auf und strich sich die zer zausten Zöpfe glatt. »Herein!« Vorsichtig wurde die Tür auf gestoßen, und ein dunkel haariger Schöpf erschien. Eduardo! Er wirkte schüchtern und aufgeregt zugleich. Isabella lächelte. »Hallo, Eduardo. Komm rein.« »Hallo«, erwiderte der Junge vorsichtig. »Oder soll ich lieber Eddie sagen? So nennt Jessie dich doch auch, nicht wahr? Wäre dir das lieber?« Der Junge nickte. »Aber nur in England. In Brasilien kannst du mich bei meinem richtigen Namen rufen.« Leicht
verlegen stand er da. »Soll ich die Vorhänge zurückzie hen?« Isabella spürte, dass der Junge unsicher war, und strahlte. »Das wäre prima. Dann kann ich gleich feststel len, was für eine Aussicht ich von hier habe.« Nachdem die Vorhänge zurückgezogen waren, flutete fahles Winterlicht in den Raum. In der Ferne konnte Isabella einen Park ausmachen. Eddie drehte sich um, und Isabella klopfte auf die Bettkante. »Komm, und setz dich zu mir. Oder musst du in die Schule?« Stirnrunzelnd blickte sie auf ihre goldene Armbanduhr. »Bist du nicht schon spät dran?« »Papa hat gesagt, ich darf heute schwänzen… um dich zu begrüßen«, fügte Eddie scheu hinzu. »Ich fühle mich geehrt.« Isabella klopfte erneut auf die Matratze. »Komm und setz dich.« Wieder zögerte der Junge, dann kam er näher und folgte der Aufforderung mit einem unsicheren Blick auf Isabellas gewölbtem Bauch. »Papa sagt, du bekommst ein Baby.« »Ja, das stimmt. Ich bin schwanger.« Vermutlich hatte Paulo seinem Sohn davon erzählt, als er ihm die Gute nachtgeschichte vorgelesen hatte. Isabella fragte sich, was Paulo dem Jungen gesagt haben mochte. »Tut es weh?« fragte Eddie. Sie lächelte. »Nein. Warum sollte es wehtun?« »Da muss doch zusätzliche Haut nachwachsen.« Jetzt musste Isabella herzlich lachen, worauf das Baby sich protestierend bewegte. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, gestand sie. »Es tut höchstens mal weh, wenn das Baby strampelt. Manchmal tritt es einen ganz schön. Hier.« Sie deutete auf ihre Seiten und schnitt ein Gesicht. »Vielleicht wird’s ein Fußballspieler«, schlug Eddie hoffnungsvoll vor. »Und wenn’s ein Mädchen wird?«
Er zuckte die Schultern. »Das kann zuschauen.« »Oder es wird der Star einer Damenmannschaft.« »Nö!« Energisch schüttelte Eddie den Kopf. »Mädchen spielen nicht Fußball. Jedenfalls nicht richtig.« Isabella lachte und genoss das gemütliche Bett und den behaglichen Raum. Inzwischen flutete helles Winterson nenlicht ins Zimmer und warf Lichtkegel auf das frische blau-weiße Bettzeug. Das Gästezimmer war luxuriös eingerichtet, doch irgendwie fehlte ihm die persönliche Note. Eine Vase mit Blumen könnte das ändern, überlegte Isabella. Aber würde das nicht so aussehen, als wollte sie sich hier auf Dauer niederlassen? »Papa schickt mich, um dich zu fragen, ob du zum Frühstück Kaffee oder Tee trinkst?« Isabella traute ihren Ohren nicht. »Dein Vater? Also dann sag ihm, ich trinke morgens nur Kaffee, und zwar brasilianischen.« »Aha. Dann muss ich Gedanken lesen können.« Paulo stand an der Tür, in den Händen ein Tablett mit einer Kanne, der verführerischer Kaffeeduft entströmte. Gebannt blickte Paulo zum Bett, wo Isabella mit halb aufgelösten Zöpfen saß, Eddie einträchtig neben ihr. Das Bild war so ergreifend, dass Paulo unwillkürlich den Atem anhielt. Er stellte sich vor, wie es gewesen wäre, wenn Elizabeth nicht gestorben wäre. Möglicherweise hätte Eddie Ge schwister bekommen und dann so wie jetzt auf dem Bett seiner schwangeren Mutter gesessen. Traurigkeit überfiel Paulo bei dem Gedanken an alles, was sein Sohn hatte entbehren müssen. »Darf ich reinkommen?« fragte er. »Natürlich.« Isabella war die schmerzliche Regung in Paulos Zügen nicht entgangen, und sie fragte sich, was in ihm vorgehen mochte. »Papa, Bella sagt, das Baby strampelt.«
»Das tun Babys nun mal.« »Ich früher auch?« »Klar.« Paulo stellte das Tablett ab. Er hatte nicht bedacht, dass die Anwesenheit einer Schwangeren im Haus bei seinem wissbegierigen Sohn neue Denkprozesse auslösen würde. »Deine Mutter hat immer gesagt, aus dir würde später bestimmt mal ein Fußballspieler.« »Genau das hat Isabella eben auch von ihrem Baby gesagt!« Die beiden Erwachsenen tauschten Blicke. »Tatsäch lich?« Paulo nahm die Kanne auf schenkte Isabella Kaffee ein. Jetzt wünschte sie, sie wäre sofort aufgestanden und hätte sich wenigstens die Zöpfe neu geflochten oder ihr Haar etwas geordnet. Aber womöglich hatte Paulo nicht einmal bemerkt, wie zerzaust sie aussah. Vorsichtig nahm sie ihm die Tasse ab. »Danke.« Er versuchte, in ihren Zügen zu lesen. »Gut geschlafen?« »Mm.« Erwartungsvoll sah Eddie seinen Vater an. »Was unter nehmen wir heute, Daddy?« »Isabella muss zum Arzt…« »Nein, das muss ich nicht!« Paulo ließ sich nicht beirren. »Doch, Bella.« »Aber ich war erst letzte Woche beim Arzt«, widersprach sie. »Nicht hier in London«, gab Paulo zu bedenken. »Au ßerdem musst du den Arzt kennen lernen, der dir bei der Geburt hilft. Er ist Brasilianer, ein Freund von mir.« Paulo gab Zucker in seinen Kaffee. »Darüber hinaus ist er einer der besten Geburtshelfer des Landes. Ich habe schon mit ihm gesprochen.« Er sah, dass Isabella aufbegehren wollte, und wandte sich seinem Sohn zu. »Geh, und bring Bella einige Cracker, Eddie, ja? Schwangere Frauen müssen zum Frühstück etwas essen.«
Als Eddie aus dem Zimmer eilte, stellte Isabella ihre Tasse ab und sah Paulo entschlossen an. »Ich bin nicht so hinterwäldlerisch, dass ich bei der Entbindung einen Landsmann brauche.« »Mag sein. Aber warum solltest du dir die Sache nicht ein bisschen leichter machen?« hielt Paulo dagegen. »Du kannst dich mit ihm auf Portugiesisch unterhalten.« »Aber ich spreche Englisch ebenso gut!« Paulos Augen funkelten. »Das weiß ich. Ich gebe mich jedoch erst zufrieden, nachdem du auf Herz und Nieren untersucht worden bist.« »Du tust gerade so, als wäre ich ein Auto! Welchen Arzt ich hinzuziehe, ist meine Sache, Paulo, und geht dich nichts an.« »O doch«, widersprach er und sah sie eindringlich an. »Es geht mich sehr wohl etwas an.« »Nein. Du hast dich mir praktisch aufgedrängt! Mein Vater hat dich nur gebeten, nach mir zu sehen«, erklärte Isabella nachdrücklich. »Das war alles. Du hast dann darauf bestanden, mich zu dir zu holen.« »Und nachdem du damit einverstanden warst, bist du mir ausgeliefert, fürchte ich. Also hör auf, dich zu sperren, Bella«, setzte er bestimmt hinzu. »Ich fühle mich für dein körperliches und seelisches Wohl verantwortlich und habe damit auch gewisse Rechte.« »Rechte?« Pikiert sah Isabella ihn an. »Was für Rechte?« Paulo lächelte nachsichtig. »Na ja, zum Beispiel darauf zu achten, dass du auf dich aufpasst, was du bisher nicht getan hast. Dazu gehören die einfachsten Dinge wie richtige Ernährung, genug Schlaf und frische Luft.« Er blickte auf, weil Eddie ins Zimmer zurückkehrte. »Und ein bisschen Gymnastik kann auch nicht schaden.« Isabella hielt es für besser, sich dazu nicht zu äußern. Ihr Schweigen schien Paulo zu beunruhigen. Er trank einen Schluck Kaffee, ließ sie jedoch nicht aus den Augen.
»Außerdem, querida«, sagte er schließlich, »wie steht’s mit der Babyausstattung?« »Babyausstattung?« Isabella sah ihn befremdet an. »Was ist damit?« »Genau! Du hast noch keine, stimmt’s? Keine Wiege, keinen Kinderwagen. Noch nicht mal Windeln. Außerdem brauchen auch Neugeborene Spielzeug und Ablenkungen.« Isabella schüttelte den Kopf. »Nein. Babys brauchen Liebe und Geborgenheit«, widersprach sie in lockerem Ton. »Alles andere ist nebensächlich.« »Eine tolle Ausrede, wenn man keine Lust zum Einkaufen hat«, bemerkte Paulo trocken. »Und wo sollen Babys schlafen?« »In Schubladen, wenn’s sein muss!« »Geht das?« fragte Eddie erstaunt, der mit einem Teller Cracker hereinkam. »Klar!« Isabella nahm sich ein Stück von dem Knabber gebäck. »Als die Menschen noch in Höhlen lebten, hatten sie keine Wiegen.« »Als sie noch in Höhlen lebten, war das Wort des Mannes Gesetz. Und das finde ich gut«, erklärte Paulo kühl. »Als Hausherr schlage ich vor, wir ziehen heute los und kaufen alles, was du brauchst, Bella.« »Können wir auch in Spielzeugläden gehen, Papa?« Eddie konnte seine Begeisterung nur schwer zügeln. »Wenn Isabella dazu nicht zu müde ist.« Stirnrunzelnd schenkte Paulo ihr Kaffee nach. »Nur interessehalber, wie hattest du dir die Geburt bei den Staffords vorgestellt, Bella? Wolltest du das Baby wirklich in einer Schublade unterbringen?« »Natürlich nicht. Mrs. Stafford hatte mir angeboten, die alte Ausstattung der Zwillinge zu benutzen. Die stand irgendwo in der Garage und war völlig verstaubt. Aber Mrs. Stafford meinte, man könne sie sauber bekommen.« »Darauf möchte ich wetten«, bemerkte Paulo grimmig.
»Und jetzt schlage ich vor, du gehst dich duschen und anziehen, Bella.« Er blickte auf die Uhr. »Um zwölf ist dein Arzttermin.« Typisch Paulo, einfach das Kommando zu übernehmen, dachte Isabella, während sie in dem luxuriösen Bad, das zu ihrem Zimmer gehörte, genüsslich duschte und sich die Haare wusch. Danach kehrte sie ins Zimmer zurück und zog sich ihr anderes Umstandskleid an. Sie hatte sich nur zwei gekauft, weil sie nicht unnötig Geld für Sachen ausgeben wollte, die sie später nie mehr tragen würde. Immerhin hatte Paulo dieses Kleid noch nicht gesehen, dessen leuchtendes Gelb ihrer olivfarbenen Haut schmeichelte und ihr dunkles Haar rötlich schimmern ließ. Wenn man schwanger ist, dauert alles lange, überlegte Isabella seufzend, nachdem sie sich vor den Frisiertisch gesetzt und die Bürste aufgenommen hatte, um ihr feuchtes Haar strähnenweise zu bändigen. Eine Bewegung an der offenen Tür ließ Isabella aufmer ken. Im Spiegel erblickte sie Paulo. »Soll ich dir das abnehmen?« erbot er sich. »Das Haarbürsten?« In seinen Augen blitzte es auf. »Ja.« Er kam zu Isabella an den Frisiertisch und nahm ihr die Bürste ab. »Entspann dich«, riet er ihr und begann, die Borsten durch die feuchten Locken zu ziehen. »Entspann dich völlig.« Entspannen? Wie konnte sie sich entspannen, wenn er sich hinter ihrem Rücken bewegte und sie mit seinen dunklen Augen im Spiegel immer wieder herausfordernd anblick te? Doch die gleichmäßigen Bürstenstriche beruhigten Isabel la allmählich und verliehen ihr ein trügerisches Gefühl von Frieden und Geborgenheit. »Ich muss deinen Vater heute anrufen, Bella«, sagte Paulo unvermittelt. »Er erwartet meinen Bericht und
wird sich fragen, warum ich mich noch nicht gemeldet habe. Du solltest auch mit ihm sprechen.« Isabella bemühte sich, gefasst zu bleiben. »Nicht heute.« »Wann dann?« »Morgen. Wenn ich mich… ruhiger fühle.« »Glaubst du wirklich, dass vierundzwanzig Stunden so viel ausmachen?« fragte Paulo. »Das weiß ich nicht. Ich muss mir erst überlegen, was ich ihm sagen soll.« »Wie war’s mit der Wahrheit?« schlug Paulo ironisch vor. »Oder bist du dazu nicht fähig?« »Ich habe ihn nicht belogen«, versuchte Isabella sich zu verteidigen. Paulo lachte verächtlich. »Stattdessen bist du einfach davongelaufen. Ich fürchte, das genügt nicht, Bella.« Steif saß sie da. »Es genügt, solange ich es für richtig halte.« »Nicht, wenn ich es ihm sage«, erwiderte Paulo täu schend sanft. »Das würdest du nicht tun!« »Nein?« Paulos Stimme klang hart. »Glaub mir, ich werde tun, was ich für dein Wohl und das deines Babys für notwendig halte.« »Auch gegen meinen Wunsch?« »Deine Wünsche interessieren mich nicht«, erklärte Paulo scharf. »Für mich zählt nur, was du brauchst. Hast du dir schon mal überlegt, was alles schief gehen könnte?« Alarmiert sah Isabella ihn an. »Zum Beispiel?« Paulo atmete tief ein. Er wollte sie nicht ängstigen, aber sie durfte den Kopf auch nicht in den Sand stecken. »Du bist jung und fit und gesund, aber eine Schwangerschaft birgt gewisse Risiken in sich. Und als intelligente Frau weißt du das auch, Bella. Dein Vater muss von dem Baby erfahren.« Wenn während der Niederkunft etwas schief ging…
Paulo packte die Haarbürste so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Das heißt jedoch nicht, dass du ihm sagen musst, wer der Vater ist«, lenkte er ein. Jetzt noch nicht. Er griff nach dem Föhn und trocknete Isabellas dunkles Haar in dem warmen Luftstrom, bis es ihr in schimmernden Wellen zur Taille herabfiel. »Warten wir ab, was der Arzt sagt«, bemerkte er schließlich. Am liebsten hätte Isabella aufbegehrt, doch sie wusste, dass das nur Zeitverschwendung gewesen wäre. Und letztlich hatte Paulo ja Recht. »Also gut«, gab sie seufzend nach. Behutsam hob er die schwere Haarmasse an und band sie im Nacken mit einem gelben Band zusammen, das zu Isabellas Kleid passte. »Schön, wenn du dich mal geschla gen gibst, Bella«, neckte er sie. Die Arztpraxis befand sich in einem Nobelviertel in Knightsbridge, und Isabella fragte sich unbehaglich, wie viel die medizinische Betreuung kosten würde. Als sie jedoch vorsichtig darauf zu sprechen kam, winkte Paulo ab. Der Arzt unterhielt sich mit ihr auf Portugiesisch, obwohl sie betonte, dass sie fließend Englisch spreche. »Möchten Sie, dass Paulo während der Untersuchung dabeibleibt?« fragte er schließlich. Entsetzt sah Isabella Paulo an. »Nein«, nahm er ihr lächelnd die Antwort ab. »Isabella ist da altmodisch, nicht wahr, querida? Sie weiß, dass Männer bei so etwas leicht ohnmächtig werden.« Sie bedachte ihn mit einem eisigen Lächeln. Der Arzt untersuchte sie gründlich mit hochmodernen Geräten und äußerste sich zufrieden, während er die Herztöne des Babys prüfte. Danach zog Isabella sich wieder an und saß nervös da, bis er ihr versicherte: »Alles ist bestens. Aber es könnte noch
besser sein. Sie haben sich nicht genug geschont«, warnte er. »Und Sie sind leicht untergewichtig. Sie müssen gut auf sich Acht geben, wissen Sie?« »Ja«, erwiderte Isabella kleinlaut. Später wurde Paulo wieder hereingeführt, und der Arzt breitete Ultraschallfotos auf dem Schreibtisch aus. »Sehen Sie, was für ein süßes Baby Sie beide haben«, bemerkte er und blickte lächelnd von einem zum anderen. Bewegt betrachtete Isabella die winzigen Gliedmaßen. Als sie Paulo ansah, bemerkte sie in seinen Augen einen warmen Glanz. »Ein wunderschönes Baby«, pflichtete Paulo dem Arzt bei und lächelte Isabella so innig an, dass ihr beinahe schwindlig wurde. Nachdem sie die Praxis verlassen hatten, fragte Isabella Paulo argwöhnisch: »Hör mal, Paulo, was hast du mit dem Doktor gesprochen, während ich mit der Arzthelferin den nächsten Termin vereinbart habe?« »Er hat gesagt, wir hätten ein wunderschönes brasiliani sches Baby gemacht.« Als Isabella ihn schuldbewusst ansah, fügte Paulo gelassen hinzu: »Wie die Dinge liegen, ist es doch normal, dass er mich für den Vater hält.« »Und warum hast du ihn nicht aufgeklärt?« »Was hätte ich ihm schon sagen sollen?« fragte Paulo kühl. »Dass du dich weigerst, den Vater zu nennen?« »Das ist mein Recht.« »Oder weißt du es selbst nicht?« Isabella schoss das Blut ins Gesicht. Hielt Paulo sie wirklich für so flatterhaft? »Natürlich weiß ich, wer der Vater ist!« In seinen Augen blitzte es triumphierend auf, und sie merkte zu spät, dass sie in eine Falle getappt war. Täuschend sanft fuhr Paulo fort: »Aber er weiß nichts von dem Baby, nicht wahr, Bella? Du hast es ihm nicht
gesagt.« Ihre Lippen bebten, doch sie hielt sich tapfer. Zu lange schon hatte sie ihr Geheimnis gehütet. »Nein.« Paulo sah sie durchdringend an. »Und warum nicht?« Bisher hatte sie niemandem verraten, wer der Vater ihres Kindes war. Wenn sie sich Paulo oder ihrem Vater anvertraute, würden sie Roberto ausfindig machen und ihn zwingen, die Vaterrolle zu übernehmen. Isabella schauder te. Niemals! »Darauf brauche ich nicht zu antworten.« »Natürlich nicht. Aber findest du nicht, dass der Mann ein Recht hat, von seiner Vaterschaft zu erfahren? Und nicht nur das Recht, sondern auch eine Verantwortung dem Kind gegenüber.« »Nein! Es ist aus, und es wäre daher sinnlos, es ihm zu sagen.« Dennoch verspürte Isabella Gewissensbisse. Sie war Paulo gegenüber nicht fair. Schließlich ließ sie zu, dass er alles bezahlte und für sie sorgte. Und er hatte sie gerettet, ihr Zuflucht gewährt. Dabei war ihr im ersten Moment gar nicht klar gewesen, wie dringend sie diese auf erzwungene Ruhe brauchte. Damit war sie Paulo auch in gewisser Weise verpflichtet. Verärgert ließ Paulo den Motor an und fragte sich, warum es ihm fast lieber gewesen wäre, wenn Isabella nicht gewusst hätte, wer der Vater war. Irgendwie hätte Paulo die Vorstellung von einer flüchtigen Affäre mit schwer wiegenden Folgen besser verkraftet. Hatte sie den Mann geliebt? Liebte sie ihn möglicherweise immer noch? Vielleicht behauptete sie nur aus Selbstschutz, dass es vorbei sei. Sie konnte das Baby ausspielen, um wieder an den Mann heranzukommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Liebhaber beim Anblick eines süßen Säuglings schwach wurde, der sein eigenes Fleisch und Blut war. Isabella warf Paulo einen forschenden Seitenblick zu. Seine harter Gesichtsausdruck entmutigte sie. Ihre
Situation war traurig genug, doch beim bloßen Gedanken an ein Leben mit Roberto wurde ihr übel. Sie liebte ihn ebenso wenig wie er sie. Ein Leben mit ihm wäre eine Katastro phe. »Paulo?« begann sie zaghaft, doch er schlug hart auf das Lenkrad. »Ich hätte dich nie für einen solchen Feigling gehalten«, brauste er auf. »Was, glaubst du, wird nach der Geburt geschehen?« »Keine Ahnung.« Eine stählerne Hand schien sich um Isabellas Bauch zu legen, und sie verzog schmerzlich das Gesicht. Ein Blick auf ihre bleichen Züge, und Paulos Zorn war verflogen. »Ist es das Baby?« fragte er besorgt. Sie atmete ganz flach, wie man es ihr beigebracht hatte. »Nein, ich glaube nicht.« Dennoch verlangsamte Paulo das Tempo. »Sicher?« Isabella nickte. »Es ist nur einer von diesen…«, sie suchte nach der medizinischen Bezeichnung, »… Braxton-HicksKrämpfen, der Probelauf der Natur, bevor’s richtig losgeht.« Isabella presste die Stirn an die kühle Scheibe, damit Paulo nicht merken sollte, dass sie den Tränen nahe war. Doch ihm entging nichts. Ohnmächtige Wut erfüllte ihn, und er hätte sie am liebsten an jemand oder etwas ausge lassen. Wenn Isabella nicht schwanger gewesen wäre, hätte er angehalten und sie geküsst. Grimmig kämpfte er gegen das Verlangen an und fragte sich, wie er an so etwas auch nur denken konnte. Als sie zu Hause ankamen, hatte Isabella ihr inneres Gleichgewicht wieder gefunden, doch Paulo behandelte sie weiterhin wie eine Kranke. Er bestand darauf, dass sie ein Omelett und Salat aß und sich anschließend hinlegte. »Aber ich bin nicht müde!«
»Nein?« Er sah sie zweifelnd an. »Mir geht’s gut. Wirklich«, beharrte sie, ließ jedoch zu, dass er ihr die Schuhe auszog. »Du siehst aber nicht gut aus.« Sanft drückte Paulo sie gegen die Kissen. »Völlig erschöpft.« Isabella legte den Kopf auf das Kissen und blickte Paulo in die Augen. »Aber du hast Eduardo doch versprochen, dass wir heute Spielzeug kaufen gehen. Er freut sich so darauf.« »Das können wir auch. Aber erst nachdem du geschlafen hast«, bestimmte Paulo und strich ihr eine dunkle Locke von der Wange. »Das ist Erpressung«, widersprach Isabella matt. »Na und? Vergiss nicht, was der Doktor gesagt hat.« Danach sah Paulo wiederholt nach ihr, um sich zu vergewissern, dass die Schmerzen nur falscher Alarm gewesen waren. Dennoch genoss er es, die Schlafende zu betrachten, zu beobachten, wie ihre vollen Brüste, der gewölbte Bauch, in dem das Kind heranwuchs, sich gleichmäßig hoben und senkten. Als Isabella erwachte, fühlte sie sich sehr viel besser. Sie machte sich auf die Suche nach Paulo und fand ihn und seinen Sohn beim Scrabble-Spielen am Esstisch. Paulo sah sie prüfend an und nickte zufrieden. »Jetzt siehst du schon viel besser aus«, meinte er. »Bella!« Eddies Miene hellte sich auf. »Papa hat gesagt, ich darf dich nicht aufwecken, weil du schlafen musst.« »Da hatte er Recht.« Ihre Wangen waren gerötet, und sie gähnte. »Und Papa hat auch gesagt, wir könnten Spielzeug für das Baby kaufen, wenn es dir gut geht. Geht es dir gut, Bella?« »Mir geht’s prima. Ich freue mich schon aufs Einkau fen.«
Paulo stand auf. »Na gut. Wir verbringen einen ruhigen Nachmittag im Spielzeuggeschäft. Aber nur unter der Bedingung, dass du dich ausruhst, wenn ich es für richtig halte.« Isabella wollte ihn daran erinnern, dass er nicht ihr Arzt sei, doch das warnende Funkeln in seinen Augen hielt sie davon ab. »Einverstanden«, gab sie nach. »Ich mache mich nur rasch fertig.« Paulo entschied sich für eins der größten Kindergeschäf te der Stadt und schien entschlossen zu sein, den Laden leer zu kaufen. Isabella musste ihn bremsen. »Ich brauche doch nur einen kleinen Kinderwagen, den man notfalls auch zur Tragetasche umfunktionieren kann, Paulo. Fürs Erste genügt das völlig.« Nachdenklich blickte er auf Isabellas schmale, ringlose Finger auf seinem Ärmel. »Und was ist mit einer Wiege? Einem hohen Essstuhl für das Kleine?« Doch Isabella wehrte ab. »Dafür ist es noch viel zu früh. Das Baby kann im Kinderwagen schlafen, bis…« Sie sprach nicht weiter. Paulo kniff die Augen zusammen. »Bis du nach Brasilien zurückkehrst?« Seltsamerweise konnte Isabella sich das irgendwie nicht vorstellen. »Wahrscheinlich. Hier kommt der Verkäufer«, versuchte sie ihn abzulenken. Schließlich ließ Isabella Paulo einen Kindersitz fürs Auto kaufen, eine Auswahl an Kaschmirdecken und ein Tonband mit Stimmungsmusik für das Baby. Danach gesellten sie sich zu Eduardo, der in der Spiel zeugabteilung mit einer Eisenbahn beschäftigt war. Als sie herankamen, blickte er auf und machte ein enttäuschtes Gesicht. »Och! Kann ich nicht noch etwas länger hier bleiben, Dad?« »Klar.« Paulo lächelte verständnisvoll. »Komm, Isabella.
Wir schlendern hier noch ein wenig herum und sehen uns an, womit das moderne Baby spielt.« Überall lockten Versuchungen, doch Isabella wollte sich mit ganz einfachen Dingen begnügen. Eine Stofftierpyra mide erregte ihre Aufmerksamkeit. »Die gibt’s in allen Farben.« Paulo hielt einen hellblauen und einen rosa Teddy hoch und bewegte sie wie Marionet ten, sehr zur Belustigung anderer Frauen im Geschäft. »Womit rechnest du, Bella? Wird’s ein Junge oder ein Mädchen?« Eine harmlose Frage, die ihr jedoch noch niemand gestellt hatte. Vielleicht, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Doch Paulos Worte weckten schmerzliche Gefühle in ihr – Hoffnung, Verzweiflung und tiefes Bedauern. Wie schön wäre es, wenn wir ein ganz normales Elternpaar wären, und Paulo wäre der Vater des Babys, dachte Isabella traurig, und Tränen traten ihr in die Augen. »Isabella!« Paulos Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Sie versuchte, etwas zu sagen, brachte jedoch nur ein unverständliches Flüstern heraus. »Isabella? Was hast du?« »Nichts.« Erst jetzt sah er den unnatürlichen Glanz in ihren Augen, die bebenden Lippen, und handelte ganz instink tiv. Sie standen neben einem großen roten Spielzelt. Ohne zu zögern, schlug Paulo die Laschen zurück und zog Isabella ins Zeltinnere. Dort, in ihrer eigenen kleinen Welt, nahm er Isabella in die Arme, und sie schmiegte sich an ihn und ließ ihren Tränen freien Lauf. Paulo spürte ihren warmen Atem an seinem Seidenhemd. Als sie die Hände auf seine Schultern legte, verspürte er plötzlich den unwiderstehlichen Drang, Isabella zu küssen. Sanftes rötliches Licht hüllte sie ein und verlieh der Umgebung etwas Unwirkliches. »Wir können hier nicht bleiben«, flüsterte Isabella mit tränenerstickter Stimme.
»Wir bleiben, wo es uns gefällt«, sagte Paulo ebenso leise. »Ganz ruhig, Bella. Du darfst dich nicht aufregen… und auch nicht das Baby.« Und mich auch nicht, dachte er schuldbewusst. Ihr Bauch drückte gegen ihn, so dass Paulo spüren konnte, wie das Baby sich in ihr bewegte. Doch statt sich abgestoßen zu fühlen, empfand er die intime Erfahrung als erregend und wunderbar. Um Isabella zu trösten, strich er ihr zärtlich übers Haar, während ihre Tränen sein Hemd durchnässten. Als der Tränenfluss versiegt war, fing Paulo den letzten schimmernden Tropfen mit der Fingerspitze auf und hob Isabellas Kinn an, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. »Möchtest du dich aussprechen?« fragte Paulo leise. Wie konnte sie? Dann hätte sie ihm gestehen müssen, dass sie sich wünschte, er wäre der Vater ihres Kindes. Doch das hätte ihn nur erschreckt. Matt schüttelte sie den Kopf. »Ich bin einfach nur überempfindlich«, sagte sie. »In diesem Zustand ist man ein Nervenbündel.« »Wem sagst du das?« erwiderte er grimmig. »Ach, Paulo!« »Ich weiß, Bella.« Er zog sie fester in die Arme. Sie fühlte sich so warm und hilflos und verletzlich an. So klein und zerbrechlich. Er musste sie einfach umfangen halten. Sie brauchte das. Es beunruhigte ihn jedoch, dass auch er es brauchte. »Was hast du?« fragte er auf Portugiesisch. »Es tut mir ja… so Leid.« Paulo runzelte die Stirn und strich Isabella eine tränen feuchte Locke zurück. »Nichts braucht dir Leid zu tun.« »Ich bin schwanger, oder etwa nicht?« wisperte Isabella. Er sah ihr in die Augen, und der Drang, es zu erfahren, wurde unbezähmbar. »Hast du es darauf ankommen lassen?« fragte er ernst. »Bist du das Risiko bewusst eingegangen, Bella? Wolltest du den Mann damit halten,
weil er dich nicht so geliebt hat wie du ihn?« Entsetzt sah sie ihn an. »Nein, natürlich nicht!« Sie hatte Roberto nicht einmal geliebt! Doch das konnte sie Paulo schlecht sagen. Dann würde er ihre Handlungsweise noch weniger verstehen. Er kniff die Augen zusammen und schien zu spüren, was in ihr vorging. »Selbst wenn du es bereust, Bella, musst du dich mit den Folgen anfinden. Sonst machst du dir und dem Baby alles noch schwerer. Hier.« Sanft strich er ihr übers Haar. »Komm jetzt. Wir fahren nach Hause.« Paulo wies Eduardo an, mit Isabella auf einer Bank in der Eingangshalle des Geschäfts zu warten, während er den Wagen holte. Mehrere Autofahrer verlangsamten das Tempo, um zuzusehen, wie der große, gut aussehende Mann der bleichen, schwangeren Frau in den Wagen half.
6. KAPITEL »Sofort ins Bett!« bestimmte Paulo, sobald sie zu Hause waren. »Aber…« »Ins Bett!« wiederholte er grimmig. »Von jetzt ab ge horchst du dem Arzt aufs Wort. Er sagt, du brauchst Ruhe, und ich werde dafür sorgen, dass du sie bekommst.« Ein Blick auf Paulos entschlossene Miene verriet Isabella, dass es zwecklos gewesen wäre, sich ihm zu widersetzen. Also zog sie sich in ihr Zimmer zurück, wo das Bett einladend auf sie wartete. Ehe der Schlaf sie übermannte, dachte sie daran, wie liebevoll Paulo sie in dem kleinen Zelt umfangen gehalten hatte… Am Abend brachte er ihr Suppe, Toast und Obst, danach schlief Isabella weiter. Es war, als würde ihr Körper dankbar die Ruhe nachholen, die sie bei den Staffords
nicht gefunden hatte. Zu ihrer Überraschung schlief Isabella bis zum Morgen durch. Als sie erwachte, war alles still im Haus. Niemand schien da zu sein. Doch nachdem sie sich geduscht und angekleidet hatte, fand sie Paulo im Salon auf dem Sofa vor. Er wirkte gelöst, und sein dunkles Haar war zerzaust, als wäre er zwischendurch auf der Couch eingenickt. Auf den Knien hatte er eine Zeitung ausgebreitet, und die Jeans umspannten seine muskulösen Schenkel. Bei seinem Anblick schlug Isabellas Herz rascher, und das Baby versetzte ihr protestierend einen Tritt. Um sich zu fangen, atmete Isabella tief durch. »Hallo, Paulo.« Er blickte von der Zeitung auf. Wie blühend und sanft sie aussieht, dachte er. Irgendwie atemlos, und ihre Augen glänzten. Und wie wunderbar die unschuldig aussehende weiße Bluse zu ihren dichten dunklen Locken passte. Am liebsten hätte Paulo das Band gelöst, das ihr Haar zusam menhielt, damit die seidige Fülle ihr ungebändigt über die Schultern fiel. »Guten Morgen«, erwiderte er beherrscht und legte die Zeitung weg. »Oder sollte ich besser sagen, Guten Tag?« Isabella lächelte entschuldigend. »Ich hab verschlafen.« »Das ist gut.« »Hast du schon gefrühstückt?« »Noch nicht. Ich wollte auf dich warten. Dann habe ich zu lesen angefangen und das Essen ganz vergessen.« Paulo reckte sich und stand auf. »Ich kümmere mich um das Frühstück.« »Wo ist Jessie?« »Einkaufen gegangen«, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Vor über einer Stunde hatte er die Wirtschafterin fortgeschickt. Er wollte einige Dinge mit Isabella besprechen, und zwar allein. Zum ersten Mal seit
Elizabeths Tod fühlte er sich durch Jessies Anwesenheit in seiner Privatsphäre gestört, obwohl die Wirtschafterin schon so lange und unermüdlich für ihn arbeitete. Und er hätte nicht genau sagen können, ob das mit Isabella zu tun hatte oder mit dem Umstand, dass es in Jessies Leben jetzt einen Mann gab. Jessies Verhalten hatte sich geändert – doch es war nicht so sehr, was sie sagte, sondern eher, was sie nicht sagte. Die gespitzten Lippen. Die hochgezogenen Brauen. Das wissende Lächeln. Als würde sie ein Geheimnis kennen, das sie ihm vorenthielt. Aber Paulo dachte nicht daran, sie danach zu fragen. Isabella überflog die Schlagzeilen, doch die dramati schen Weltnachrichten interessierten sie wenig. Aber das ging wohl den meisten schwangeren Frauen so. Ihre Welt beschränkte sich auf das Baby, das sie unter dem Herzen trugen. Es war fast Mittag, als Isabella und Paulo frühstückten. Er wartete, bis sie ein Croissant gegessen hatte, ehe er mit der Predigt begann, die er sich zurechtgelegt hatte. »Ich muss mit dir reden, Bella.« Der Kaffee schmeckte ihr plötzlich nicht mehr. »Und worüber?« »In dem Kindergeschäft wärst du fast zusammenge klappt«, erklärte er anklagend, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Es wird nicht wieder vorkommen, das verspreche ich dir.« »Natürlich nicht! Weil es keine anstrengenden Unter nehmungen mehr geben wird. Dr. Cardoso ist bereit, dich in Zukunft hier zu Hause zu behandeln, Bella.« Paulo schob ihr die Obstschale zu. Um weiteren Predigten über richtige Ernährung vorzubeugen, nahm Isabella sich eine Orange. »Ich hätte dich nicht durch halb London schleppen dürfen«, bemerkte Paulo schuldbewusst.
Langsam begann Isabella, die Orange zu schälen, und verzichtete darauf, ihn daran zu erinnern, dass er sie nicht hatte schleppen müssen. »Fertig?« »Noch nicht.« Er sah zu, wie sie sich eine saftige Frucht spalte in den Mund schob, und fühlte Verlangen in sich aufsteigen. »In Zukunft wirst du dich ausruhen, wann immer es notwendig ist, und auch vernünftig essen.« Belustigt hielt sie Paulos Blick stand. »So?« »Jawohl. Du solltest versuchen, das Beste aus dieser erzwungenen Schonzeit zu machen, querida. Sie wird bald genug vorbei sein. Hörst du mir überhaupt zu?« fragte er streng. »Hast du mich verstanden?« »Klar.« Sie hob die Kanne. »Kaffee?« »Ja, bitte.« Paulo war mit seinen Vorhaltungen noch nicht am Ende, aber er ließ sich ablenken. Schweigend schenkte Isabella ihm Kaffee ein. So musste es sein, wenn man mit einem Mann zusammenlebte. Die kleinen vertrauten Gesten. Das gemeinsame Frühstück. Sie blickte auf Paulos Hals, der unter dem geöffneten Hemd sichtbar war, und fragte sich, wie es sein musste, das Hemd langsam aufzuknöpfen, die Haut darunter zu entblößen und sie mit den Fingerspitzen zu berühren. War es Wahnsinn oder einfach Vermessenheit, dass sie sich nach Paulo sehnte, während sie das Kind eines anderen unter dem Herzen trug? Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. »Noch eine Scheibe Toast?« fragte sie leise. »Nein, danke.« Paulo wusste, dass Isabella ihn beobach tete, und es gefiel ihm. Gleichzeitig war er sich der Ironie der Situation bewusst. Er war es nicht gewöhnt, mit einer Frau zu frühstücken. Morgens hatte er stets darauf geachtet, allein zu sein, ganz gleich, mit wem er die Nacht verbracht hatte – oder wie wunderbar es gewesen war. Das hatte er sich seines Sohnes wegen zur Pflicht gemacht. Seine Freundinnen waren darüber nicht glücklich gewesen, doch keine hatte es auf eine Auseinandersetzung ankommen
lassen. Erst jetzt wurde Paulo bewusst, dass er wie gebannt auf Isabellas üppige Brüste blickte. Wie sie so dasaß, in der weißen Baumwollbluse, die ihr über den gewölbten Bauch fiel, ohne einen Hauch Make up, unterschied sie sich krass von den raffiniert ge schminkten Schönheiten, die nach dem Tod seiner Frau durch sein Leben gegangen waren. Die kühlen Blonden mit dem verheißungsvollen Lächeln… Wenn ihm jemand vorausgesagt hätte, dass er sich körperlich zu einer Frau hingezogen fühlen würde, die von einem anderen Mann schwanger war, hätte er diese Person glatt für verrückt erklärt. Wie kam es also, dass er die tiefe Mulde zwischen Isabellas vollen Brüsten am liebsten mit der Zunge liebkost hätte? Sein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet, und er kämpfte das Verlangen nieder. Er fing Isabellas erwartungsvollen Blick auf. »Heute musst du mit deinem Vater sprechen«, drängte Paulo. »Du kannst es nicht mehr länger aufschieben. Und sag ihm die Wahrheit, Bella. Etwas anderes kommt nicht infrage. Er muss wissen, dass du ein Baby erwartest und ihn in etwa zwei Wochen zum Großvater machen wirst.« Eine Orangenscheibe entglitt Isabellas Hand. »Paulo, ich hab dir doch schon gesagt… ich kann es nicht!« Sie würde es nicht ertragen, ihrem Vater wehzutun, ihn zutiefst enttäuschen zu müssen. Sie liebte ihn, und sie hatten einander immer so nahe gestanden. Bis jetzt. »Du kannst und darfst es nicht mehr aufschieben«, erklärte Paulo grimmig. Furcht überkam ihn bei dem Gedanken, Isabella könnte bei der Geburt etwas zustoßen, und er ereiferte sich beim Reden. »Warum kannst du es nicht? Was hält dich davon ab? Hast du Angst vor seinem Zorn? Ist er so ein Tyrann, dass du es nicht wagst, ihm reinen Wein einzuschenken? Was kann denn schon
passieren, Bella?« »Das lässt sich mit wenigen Worten umreißen«, sagte sie leise. »Ich bin sein einziges Kind. Seine einzige Tochter. Mein Vater hat alle seine Hoffnungen und Träume auf mich gesetzt…« »Das weiß ich.« »Dann musst du doch verstehen, dass ich ihm das nicht antun kann, Paulo?« Er sah, dass ihre Augen verräterisch glitzerten, ließ sich jedoch nicht erweichen. »Ist es für Gewissensbisse nicht etwas zu spät?« »Du bist es gewöhnt, dich durchzusetzen, Paulo. Aber bei mir beißt du auf Granit.« Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Offenbar«, erwiderte er kalt. »Wenn du es ihm nicht sagen willst, werde ich es tun. Du weißt, wie ich denke. Punkt, Schluss.« Als er zur Tür ging, blickte Isabella alarmiert auf. »Wohin willst du?« »Fort von dir und deiner Sturheit.« Schuldbewusst bemerkte er, dass es um Isabellas Lippen zuckte. »Wenn du mich brauchst, ich bin im Arbeitszimmer. Du weißt, wo das Telefon steht.« Er verließ den Raum und schloss die Tür übertrieben leise hinter sich. Allein zurückgelassen, fühlte Isabella sich rastlos. Sie trug das Frühstücksgeschirr in die Küche und ging dann ziellos im Zimmer auf und ab, um den unvermeidlichen Anruf noch etwas hinauszuschieben. Das Haus war groß und weitläufig, doch die Wände schienen Isabella erdrücken zu wollen, und sie fühlte sich wie eine Gefangene. Schließ lich setzte sie sich aufs Sofa und schaltete eine Weile von einem Fernsehprogramm zum anderen, doch sie konnte sich auf nichts konzentrieren. Verloren blickte sie aus dem Fenster in den Regen hinaus, der gegen die Scheibe prasselte. Im Grunde wusste
sie ja, dass Paulo Recht hatte. Man konnte ein Baby nicht ewig geheim halten. Sie musste ihren Vater anrufen. Reiß dich zusammen, und sag’s ihm! ermahnte Isabella sich. Aber wie sollte sie anfangen? ,Papa, du hast doch immer gesagt, du wolltest gern Großvater…’ Isabella schüttelte den Kopf und kehrte zum Sofa zurück. Ein Blick auf die Armbanduhr sagte ihr, dass ihr Vater jetzt sicher zu Hause beim Mittagessen saß. Nicht der richtige Zeitpunkt für so einen Anruf. Sie würde es später versuchen. Nach der Siesta. Irgendwann musste Isabella eingenickt sein, denn fernes Klingeln weckte sie. Sie hörte, wie die Zimmertür geöffnet wurde, und schlug die Augen auf. Dann stand Paulo mit ernster, angespannter Miene vor ihr. »Was ist, Paulo?« fragte Isabella beunruhigt. »Ist etwas passiert?« »Du solltest lieber mitkommen und mit deinem Vater sprechen.« Immer noch leicht benommen, blickte sie zu ihm auf. »Hat er angerufen?« »Schluss damit, Bella! Du musst mit ihm reden, und zwar jetzt.« Mühsam richtete sie sich auf. »Damit warte ich bis nach der Siesta«, erklärte sie verschlafen. »Ich rufe ihn später an.« Doch Paulo schüttelte den Kopf und erwiderte seltsam beherrscht: »Du hast mich nicht verstanden. Die Zeit des Aufschubs ist vorbei, Bella. Dein Vater ist am Telefon und möchte mit dir sprechen.« »Nein!« »Er ist am Apparat und wartet.« Paulos Ton sagte ihr alles. »Weiß er von dem Baby?« fragte sie entsetzt. »Was glaubst du denn?«
Bebend stützte Isabella sich auf die Armlehne des Sofas und stand auf. »Du hast ihm Bescheid gesagt, nicht wahr, Paulo?« Er sah sie fest an. »Ich musste es tun.« »Nein!« Isabella war fassungslos. »Du hast die Ent scheidung getroffen und getan, was du für richtig gehalten hast…« »Isabella«, unterbrach Paulo sie eindringlich. »Dein Vater hat sich schreckliche Sorgen um dich gemacht, weil du dich nicht mehr gemeldet hast. Er hat mich ohne Umschweife gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei. Was hätte ich da sagen sollen? Das Unvermeidliche mit einer Lüge noch schlimmer machen? Wie würde ich dann dastehen?« »Ist das alles, was für dich zählt? Wie du dastehst?« Paulo schüttelte den Kopf. »Ob du es glaubst oder nicht, ich mache mir etwas aus dir. Das habe ich schon immer getan. Warum hätte ich dich sonst hierher gebracht? Aber versuch bitte auch, dich in meine Lage zu versetzen. Dann wirst du merken, dass du mir gegenüber ungerecht bist. Nach allem, was dein Vater für mich getan hat, bin ich verpflichtet, ihm die Wahrheit zu sagen, sonst könnte ich ihm nicht mehr in die Augen sehen. Ich will doch nur dein Bestes, Bella, bitte glaub mir.« Einen Moment schwieg Paulo, um Isabella Zeit zu geben, das Gesagte zu verarbeiten. Er wusste, dass er ihr wehtat, sie vielleicht sogar ängstigte, doch sie musste sich endlich den Tatsachen stellen. »Du führst dich kindisch auf, querida. Werde endlich erwachsen.« Sanfter fuhr er fort: »Also… dein Vater wartet ungeduldig und möchte alles hören. Nun geh in mein Arbeitszimmer, und sprich mit ihm. Los, mach schon.« Isabella erkannte, dass sie klein beigeben musste. Jetzt ließ das Geständnis sich nicht mehr aufschieben. Gleichzei tig schämte sie sich, weil sie die beiden Männer enttäuscht
hatte, die sie am meisten liebte. Mit ihrem Zögern, ihrer Feigheit hatte sie alles nur noch schlimmer gemacht. Hilflos sah sie Paulo an. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Mitgefühl, der ihr Mut machte. Hoch aufgerichtet ging sie ins Arbeitszimmer, wo der Telefonhörer auf den Schreibtischakten lag. Mit unsicherer Hand nahm Isabella ihn auf. »Papa?« »Bella, bitte sag mir, ob das wahr ist.« Die Stimme ihres Vaters klang benommen, fast ungläubig. »Papa…« Mehr brachte sie nicht hervor. »Ist es wahr? Du bist schwanger?« fragte er anklagend. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, sich zu verstecken. »Ja«, flüsterte Isabella. »Ja, Papa… ich bin schwanger.« »Meu Deus«, sagte er matt. »Ich hätte merken müssen, dass etwas nicht stimmt. Deine Erklärung, warum du das Studium abgebrochen hast, hat mich nicht überzeugt. Du hattest dich so gut gemacht. Ich hätte hellhörig werden müssen!« »Papa, ich glaube nicht…« »Nein!« schnitt er ihr ungeduldig das Wort ab. »Ich war es, der deine arme Mutter im Stich gelassen und als Vater versagt hat.« Das war schlimmer als alles, was Isabella erwartet hatte. »Nein, Papa, das ist nicht wahr, und du weißt es auch. Du bist der beste Vater der Welt.« Sie atmete tief ein. »Es tut mir so schrecklich Leid, Papa.« Kurzes, angespanntes Schweigen folgte, und sie spürte, wie ihr Vater um Fassung rang. »Dir tut es Leid?« Sein Ton veränderte sich. »Aber du bist doch nicht die Einzige, die daran beteiligt war, Bella. Was ist mit dem Vater… deines Babys?« »Was soll mit ihm sein?« Ein Schatten fiel auf den Schreibtisch. Isabella blickte in Paulos ernstes Gesicht, und die Hand, mit der sie den Hörer hielt, begann zu
zittern. »Ich möchte nicht über ihn sprechen.« »Aber ich«, beharrte ihr Vater. »Papa…« »Was sagt er dazu?« drängte er. »Hat er vom Heiraten gesprochen?« »Nein. Und selbst wenn er es getan hätte, würde ich es nicht wollen. Heutzutage muss eine Frau nicht heiraten, wenn sie es nicht möchte.« »Bitte komm mir nicht mit dem feministischen Unsinn, Bella«, wies ihr Vater sie zurecht. »Deine eigenen Wün sche sind zweitrangig, denn schließlich musst du an das Baby denken.« Nach kurzem Schweigen forderte er: »Gib mir Paulo, Bella.« Wortlos reichte sie den Hörer an Paulo weiter, der fast unbeteiligt dabeigestanden hatte. Isabella hielt es für besser, bei ihm zu bleiben, um zu erfahren, was die beiden Männer besprachen. »Luis?« Paulo war darauf vorbereitet, dass Isabellas Vater wütend auf ihn sein würde, weil er ihm die Sache so lange verschwiegen hatte. »Paulo, wie konntest du mir das antun?« »Tut mir Leid, Luis«, erwiderte er nur. »Dafür ist es wohl ein bisschen spät, meinst du nicht auch?« Isabellas Vater seufzte. »Ich hätte sehen müssen, was los war. Alle anderen haben es gemerkt.« Wieder schwieg er. »Aber vielleicht musste es so kommen. Sie hat dich ja schon immer vergöttert…« Jetzt war Paulo alarmiert. »Luis…« »Vielleicht wollte es das Schicksal so«, fuhr Isabellas Vater resigniert fort. »Ich habe schon immer gedacht, dass ihr gut zueinander passt.« Er schien nachzudenken. »Mit Vorwürfen kommen wir nicht weiter. So etwas passiert nun mal. Jetzt habt ihr zueinander gefunden, und nur das zählt. Ich muss mich wohl erst an die Vorstellung gewöh nen. Das verstehst du doch sicher. Vorhaltungen wären das
Letzte, was Isabella jetzt gebrauchen kann. Sag ihr, ich rufe sie in ein, zwei Tagen wieder an, ja?« »Sicher«, erwiderte Paulo gefasst. »Mach’s gut, Paulo.« »Bis dann, Luis.« Langsam legte Paulo auf und blickte starr auf das Telefon. Als er endlich den Kopf hob, lag in seinen Augen eine Kälte, die Isabella ängstigte. »Was ist?« flüsterte sie. »Setz dich«, befahl er. »Paulo?« »Setz dich«, wiederholte er. Zögernd ließ Isabella sich auf einen Stuhl sinken. »Also gut. Ich sitze.« So ernst hatte sie Paulo noch nie erlebt, und ihr Herz pochte unruhig. Auf das Schlimmste gefasst, fragte sie: »Was hat er gesagt?« Doch Paulo sah sie nur an und überlegte, wie er es ihr beibringen sollte. »Was hat er gesagt, Paulo?« flehte Isabella. Er lachte ironisch. »Er glaubt, dass ich der Vater deines Babys sei.« Im ersten Moment war Isabella so betroffen, dass sie kein Wort hervorbrachte. »Aber das ist doch verrückt!« Aufgebracht schüttelte sie den Kopf. »Total verrückt! So etwas Unglaubliches…« »Isabella.« Paulo wählte seine Worte jetzt sehr vorsich tig. »Denk doch darüber nach.« Er setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber, so dass ihre Knie sich fast berührten. »Ich denke darüber nach.« Unfasslich! Wie sollte sie von einem Mann schwanger sein, den sie noch nicht einmal geküsst hatte? »Ich meine, wir haben nicht…« Verwirrt verstummte sie. »Miteinander geschlafen?« half Paulo ihr weiter, »nichtig, Bella, das haben wir nicht. Es macht einen wahnsinnig, wenn einem etwas unterstellt wird, das man nicht getan
hat«, fügte er leise hinzu. »Wie kann mein Vater dann so etwas annehmen?« »Da ist er nicht der Einzige«, erklärte Paulo brutal. »Die Stafford hat es auch gedacht. Ebenso der Arzt. Sogar Jessie vermutet es insgeheim, obwohl ich ihr gesagt habe, dass das Kind nicht von mir ist.« »Aber wieso nehmen alle es an?« »Alles deutet nun mal darauf hin, Bella.« Paulo beugte sich zu ihr herüber, so dass sein Gesicht ihrem ganz nah war. »Erstens, du hast dich beharrlich geweigert, den Namen des Kindsvaters zu nennen.« »Aber…« »Zweitens«, unterbrach Paulo sie kalt, »sobald du wusstest, dass du schwanger bist, hast du Brasilien verlassen und bist nach England geflogen – zu mir. Oder etwa nicht?« »Na und?« hielt Isabella matt dagegen. »Deswegen musst du noch lange nicht der Vater sein.« Paulo lächelte ironisch. »Allein deshalb noch nicht. Wenn du jedoch außerdem bedenkst, dass das Knistern zwischen uns nicht nur deinem Vater aufgefallen ist, sondern auch anderen…« Er sprach nicht weiter und runzelte nachdenklich die Stirn. »Und das vor fast neun Monaten…« Das letzte scheinbare Beweisstück fügte sich ein und vervollständigte das Bild – nur war es ein Trugbild. »Meine Güte!« »Genau!« Paulos Züge wurden hart. »Jetzt will ich nicht mehr abstreiten, dass es damals zwischen uns gefährlich geknistert hat. Nur ein Narr würde das versuchen.« Er presste die Lippen zusammen. »Dennoch war es bei mir bloß Wunschdenken. Während meines Aufenthalts in Brasilien habe ich mit niemandem geschlafen. Von dir lässt sich das natürlich nicht sagen.« Isabella konnte ihn nicht ansehen und blickte unglück
lich auf ihren Schoß. Sie wusste, was Paulo ihr vorwarf: dass sie ihn begehrt habe und dann prompt mit einem anderen ins Bett gegangen sei. Und war das im Grunde genommen nicht die schreckliche Wahrheit? »Die Umstände mögen gegen mich sprechen, querida, aber falls dein Vater mich unter Druck setzen sollte, musst du mir eins verraten.« Sie wusste, was Paulo meinte, noch ehe er es aussprach. Die Frage, der sie bisher hartnäckig ausgewichen war. »Wer ist der Vater deines Kindes?«
7. KAPITEL »Er heißt Roberto.« Isabella konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bebte. In Paulos Augen erschien ein kalter Ausdruck, und er schüttelte den Kopf. »Das genügt mir nicht. Ich will seinen vollen Namen wissen.« Inzwischen war Isabella nicht mehr in der Verfassung, sich gegen Paulo aufzulehnen. Die Dinge hatten sich überstürzt, und sie schaffte es nicht mehr, sich ihm gegenüber zu behaupten. »Sein Name ist Roberto Bonino, und er…« »Wer ist er?« Jetzt wurde es kritisch. »Ich kannte ihn von der Univer sität her.« Sie atmete tief durch. Doch Paulo spürte sofort, dass Isabella ihm auswich. »Ein Mitstudent, meinst du?« Ihr wurde heiß. »Nein.« »Raus mit der Sprache, Bella.« Sein Ton zwang sie, ihn anzusehen, obwohl ihre geröte ten Wangen sie verraten mussten. »Er… war ein Dozent.« Das Schweigen, das ihrer Enthüllung folgte, wurde immer drückender. »Einer von deiner Universität?«
»Ja.« Irgendwie hatte Paulo mit dem Schlimmsten gerechnet, doch die Wahrheit war ebenso schwer zu ertragen. Enttäuschung erfüllte ihn, dann folgte kalte Wut. »Aber das ist Missbrauch von Abhängigen!« empörte er sich. »Er war nur Gastdozent…« »Und damit wird das, was er angerichtet hat, entschuld bar?« Bedrückt senkte Isabella den Kopf. »Nein. Natürlich nicht.« Jetzt konnte Paulo seinen Zorn nicht mehr zügeln. »Es war also Liebe, Bella? Die große Liebe, wie man sie im Märchen findet? Ein Blick, und es war um dich geschehen…« Paulos dunkle Augen glitzerten gefährlich. »Du warst so verliebt, dass du nicht mehr klar denken konntest?« Die zynischen Anschuldigungen schmerzten, und sie fühlte sich hilflos. In ihrem Leben hatte es nur einen einzigen Mann gegeben, der diese Wirkung auf sie hatte, und der saß ihr gegenüber. »Nein. So war es nicht, Paulo.« Am liebsten hätte er sie in die Arme gerissen, doch er zwang sich, still sitzen zu bleiben. »Was dann? Wie stand es zwischen euch? Sag’s mir, Bella.« Sie konnte ihm nicht ins Gesicht sehen, fürchtete sich vor seiner Verachtung, seinem Zorn, wenn sie ihm gestand, wie es zu der hässlichen Verführung gekommen war. Paulo war es gewesen, der das Feuer in ihr entfacht, das Verlangen geschürt hatte, bis sie nicht mehr vernünftig denken konnte. Und dann, als sie für ihn bereit gewesen war, hatte er Brasilien verlassen. »Ich hatte bei ihm Psychologie belegt«, erklärte Isabella matt. »Psychologie? Großartig!« Paulo beherrschte sich nur noch mühsam. »Da hätte er sich erst mal selbst analysieren sollen.« Ohne darauf einzugehen, fuhr Isabella fort: »Eigentlich
war er für mich mehr eine Art Kumpel. Jedenfalls dachte ich das. Meist sind wir mit der Clique losgezogen…« »Hatte er keine Freunde in seinem Alter?« höhnte Paulo. »Na ja, eigentlich war er nicht viel älter als die meisten seiner Studenten, daher passte er zu uns.« »Klar.« Paulo sah, wie Isabella litt, und fügte etwas sanfter hinzu: »Und?« Sie betrachtete seine markanten Züge, auf denen Licht und Schatten spielten. Ein stolzes, edles Gesicht, das jetzt wie eine steinerne Maske wirkte. »Ich glaube, ich war völlig durcheinander.« Zumindest das stimmte. Sie hatte sich verzweifelt nach Paulo gesehnt, sich wie besessen an die Erinnerung an ihn geklammert. »Und sexuell erregt«, bemerkte er brutal. »Oder hast du das vergessen?« Abscheu erfüllte Isabella. »Sagen wir, ich war nicht uninteressiert…« Sie sah, dass Paulo zurückzuckte, als hätte sie ihn geohrfeigt, und versuchte, möglichst ehrlich zu sein. »Wir hatten beide einige Gläser getrunken, und…« Sie sprach nicht weiter, weil sie sich schämte. Paulo war so aufgebracht, dass er dem jungen Dozenten die Faust ins Gesicht geschlagen hätte, wenn er ihn vor sich gehabt hätte. »Er hat dich betrunken gemacht?« rief er außer sich. »Nein, natürlich nicht.« Wofür hältst du mich eigentlich? hätte Isabella ihn am liebsten gefragt, wagte es jedoch nicht, weil er es ihr dann schonungslos gesagt hätte. »Ich hatte zwei Glas Wein auf nüchternen Magen getrunken und bin Alkohol nicht gewöhnt.« Sie sah Paulo fest an. »Na los«, forderte sie ihn heraus. »Sag’s schon! Nenn mich Schlampe! Nenn mich, was du willst, wenn du dich dann besser fühlst.« Er würde sich besser fühlen, wenn er ihren vollen rosigen Mund küssen dürfte, bis sie Robertos KUSS nur noch als schal empfinden würde. Heftig schüttelte er den Kopf, als
könnte er den Wunsch damit verscheuchen. »Du bist keine Schlampe, Bella«, sagte er leise. Jetzt hatte sie ihm fast alles verraten, was er wissen musste. Warum saß sie dann so steif und abwehrend da. »Da ist noch etwas, was du mir verschweigst, nicht wahr, Bella?« Sie biss sich auf die Lippe und blickte fort. »Da ist sogar noch einiges. Aber ich glaube nicht, dass du das wissen möchtest.« Verbitterung durchflutete Paulo, und er presste die Lippen zusammen. »Ich meine nicht die schmutzigen Einzelheiten deiner Nacht mit diesem…« Er verstummte, denn die Bezeichnung, die ihm auf der Zunge lag, war zu gewöhnlich, um sie vor einer Frau auszusprechen. »Warst du noch Jungfrau?« fragte Paulo unvermittelt, obwohl er die Antwort eigentlich zu kennen glaubte. »Ich… ja.« Isabella senkte den Kopf, als Paulo einen Laut des Entsetzens von sich gab. Einen Augenblick lang kämpfte Paulo gegen die Eifer sucht an, dann umfasste er Isabellas Gesicht und sah sie traurig an. »Es hätte meins sein sollen«, flüsterte er. Obwohl sie den Tränen nah war, hielt sie seinem Blick stand. »Was hätte deins sein sollen?« wisperte sie. Paulo ließ die Hand sinken, so dass sie sich vor Isabellas Bauch befand. Dann, zu seinem eigenen Entsetzen, strich Paulo behutsam über die pralle Rundung, unter der sich das Baby befand. Bei der Berührung atmete Isabella tief ein. »Das. Dein Baby. Es hätte meins sein können.« Seine Stimme klang heiser, und er begann, den Nabel mit dem Finger zu umkreisen. »Das, Bella.« In diesem Moment begann das Baby, sich in ihr zu bewegen. »Meins.« »Deins? Wie das?« »Was glaubst du denn? Auf dem natürlichen Weg, ein Kind zu zeugen, natürlich. Ich hätte mit dir schlafen sollen«, flüsterte er und sah, dass sie blass wurde. Sein
Zorn war verflogen, und er empfand nur noch Bitterkeit und Bedauern, wie seit dem Tod seiner Frau nicht mehr. Er hatte ein kostbares Geschenk verschmäht, und ein anderer war für ihn eingesprungen und hatte ihn darum gebracht. »Wenn ich doch nur auf mein dummes Gefühl gehört hätte«, stöhnte Paulo auf. Verwirrt sah Isabella ihn an. »Wovon redest du?« »Ach, Bella, du weißt genau, was ich meine!« Er sprach drängend, doch er streichelte ihren Bauch so sanft, fast besitzergreifend, dass sie ihn gewähren ließ. »Du hast mich genauso begehrt wie ich dich, nicht wahr?« sagte er leise und sah ihr eindringlich in die Augen. Sie konnte der Frage nicht ausweichen, selbst wenn sie es gewollt hätte. Schluss mit dem Verstecken, den Halb wahrheiten. Und sie wollte und konnte nicht lügen. Erst recht nicht nach allem, was Paulo für sie getan hatte. Und noch tat. Selbst jetzt. »Ja«, gestand sie schlicht. »So nachgiebig?« bemerkte Paulo verwundert. »Das ist so gar nicht die Bella, die ich kenne.« Sie fragte sich, ob es die Bella, die er gekannt hatte, überhaupt noch gab. Und dann geschah das Unglaubliche. Paulo zog sie auf die Füße und nahm sie in die Arme. Der Ausdruck in seinem Gesicht ermutigte sie zu fragen: »Und warum hast du es nicht getan?« Es war fast beängstigend, dass Paulo genau wusste, was sie meinte. »Dich lieben, Bella?« Versonnen strich er über ihre Taille. »Was für Gründe möchtest du hören? Dass du erst zwanzig warst und ich dich noch für unschuldig hielt? Dass du die Tochter meines Gastgebers warst?« Oder weil er gespürt hatte, welche Gefahr und Aufregung sie für sein wohl geordnetes Leben, seine sorgsam gesteuerten Gefühle bedeutete? »Aber natürlich gelten diese Hinderungsgründe heute nicht mehr, oder doch?« setzte er hinzu, ohne den Blick von
ihr zu wenden. Ihr Herz pochte heftig, und sie versuchte, in Paulos Augen zu lesen. In diesem Moment war es leicht, sich ihn als ihren Geliebten vorzustellen. »Paulo!« hauchte sie, und das Baby trat sie genau in die Herzgegend. »Was ist, querida?« fragte er zärtlich, doch ehe sie antworten konnte, beugte er sich über sie und küsste sie. Und plötzlich konnte sie nichts mehr denken, wusste nur noch, dass ihr Traum sich endlich erfüllte. Wie lange habe ich darauf gewartet? dachte Paulo und küsste sie verlangend, fast verzweifelt. So leidenschaftlich hatte er noch bei keiner Frau empfunden, schon gar nicht bei einer hochschwangeren. Einen berauschenden Augenblick lang überließ er sich der Süße dieses Kusses, der sie miteinander eins werden ließ, als hätte es immer nur sie beide gegeben. Er küsste Bella. Die süße, halsstarrige Bella. Und sie war schwanger. Unwillkürlich bewegte Paulo die Finger leicht nach oben und berührte die schwere Fülle ihrer Brust. Und er gab der Versuchung nach. Er umfing sie. Streichelte sie, bis ihre zarte Spitze hart wurde. Lustvoll stöhnte Isabella auf, die Knie drohten unter ihr nachzugeben. Ihr Puls begann zu rasen, und Verlangen durchströmte sie, während das Baby sich erneut regte. Sie klammerte sich an Paulos breite Schultern und erwiderte seinen KUSS, als würde ihr Leben davon abhängen. Und vielleicht war es auch so. Widerstrebend löste Paulo die Lippen von ihren und blickte in ihre verklärten Züge. Er konnte kaum sprechen, weil er so erregt war. »Wir müssen sofort aufhören, Bella«, drängte er heiser. » Jessie müsste gleich zurückkommen.« Und auch sein Sohn, wurde ihm entsetzt bewusst. »Und Eddie!« sprach Isabella aus, was er dachte. Hastig fuhr sie sich über die geröteten Wangen, dabei wurde ihr
bewusst, dass ihr Haar zerzaust sein müsste. »Ich sollte lieber gehen und mich… herrichten«, erklärte sie atemlos. Als sie gehen wollte, hielt Paulo sie zurück. Er müsste ihr zu verstehen geben, dass er jetzt begriff, warum sie ihr Geheimnis so lange gehütet hatte. »Deshalb hast du es nicht über dich gebracht, deinem Vater von dem Baby zu erzählen, nicht wahr? Weil dieser Roberto seine Stellung als Dozent missbraucht hat.« Isabella nickte. »So würde Papa es sicher sehen. Bestimmt hätte er einen großen Wirbel gemacht, den Mann mögli cherweise sogar vor Gericht gezerrt. Dann hätten die Medien ein gefundenes Fressen gehabt. Verstehst du jetzt, warum ich nach England geflohen bin, Paulo?« »Ja«, erwiderte er langsam. »Aber jetzt hast du mich kompromittiert, querida, oder etwa nicht? Dein Vater ist überzeugt, dass das Baby von mir ist. Wenn wir ihm die Wahrheit sagen, wird das genau den Wirbel auslösen, den du unbedingt vermeiden wolltest.« »Was soll ich dann tun?« Paulo dachte nach. »Du bleibst hier. Bei mir. Und Eduarde. Nachdem das Baby geboren ist…« Er zuckte die Schultern und lächelte siegessicher. Das Lächeln brachte Isabella auf den Boden der Tatsa chen zurück. »Was dann?« fragte sie verunsichert. »Was schlägst du vor?« »Dann könnten wir unserer Leidenschaft freien Lauf lassen, Bella«, erwiderte er in samtigem Ton und beobach tete ihre Reaktion. »Warum sollte ich die Vaterrolle übernehmen, ohne das damit verbundene Vergnügen zu genießen? Bleib hier. Bei mir. Wir werden ein Liebespaar.« Ein Liebespaar. In dem Raum war es still, und Isabella hörte nur das Ticken der Uhr, das ihr bisher nicht aufgefallen war. Und obwohl Paulo wissen musste, wie sehr sie ihn begehrte, hielt irgendetwas sie zurück.
Sie hatte bereits einen schweren Fehler begangen und wollte keinen zweiten riskieren. Wenn sie, ohne zu zögern, zu Paulo ins Bett stieg, würde er möglicherweise glauben, sie sei bei allen Männern so willig. »Für wie lange?« fragte sie schneidend. »Bis du genug von mir hast?« Paulo sah sie durchdringend an. Die Frage dürfte ihr nicht leicht gefallen sein. Das war wieder die alte Bella. Ihr Kampfgeist war ungebrochen, ganz gleich, was das Schicksal ihr aufgebürdet hatte. »Wer kann das sagen, querida? Bis es vorbei, das Feuer erloschen ist.« Er schwieg und beobachtete ihre Reaktion. »Aber natürlich bleiben dir andere Möglichkeiten, wenn der Vorschlag dir nicht gefällt.« Er sah, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss, und seine Augen funkelten. »Aber wie ich sehe, gefällt er dir«, stellte er zufrieden fest. Er trug nur einen einfachen Pullover und ausgeblichene Jeans, die seine muskulösen Schenkel wie eine zweite Haut umspannten. Der Anblick ließ Isabella erschauern, und die erregendsten Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Stolz warf sie den Kopf zurück und sah Paulo an. »Ich kann nicht abstreiten, dass wir uns stark zueinander hingezogen fühlen«, erwiderte sie zögernd. »Aber ich darf nicht nur an mich selbst denken. Bald wird sich mein Leben um mein Baby drehen. Ich kann mich nicht einfach in eine Affäre mit dir stürzen, denn es ist gut möglich, dass ich nach der Geburt alles anders sehe.« »Oder auch nicht«, widersprach er. Isabella ließ sich nicht beirren. »Dann musst du wohl abwarten, wie die Dinge sich entwickeln, Paulo.« Damit hatte er nicht gerechnet, wie sein enttäuschter Gesichtsausdruck verriet. Isabella beobachtete Paulo genau. Und plötzlich las sie in seinen Zügen etwas, das sie erst in jüngster Zeit an ihm kennen gelernt hatte.
Respekt.
8. KAPITEL »Was ist los?« Paulo schaltete den Fernseher aus und blickte zu Isabella hinüber, die sich auf dem Sofa unbe haglich bewegte. Sie hatte gesagt, er müsse abwarten, wie sie sich ent scheiden würde, und er war entschlossen, geduldig zu sein. Auch wenn das Warten ihn verrückt machte. Gähnend wandte sie sich Paulo zu und las die unausge sprochene Frage in seinen Augen. Natürlich hatte Isabella gespürt, dass er sie beobachtete, während er seit einer guten Stunde so getan hatte, als würde er fernsehen. Den frühen Abend hatte Isabella mit Eddie verbracht, der ihr ein Computerspiel beigebracht hatte. Jetzt musste sie dafür büßen, dass sie über eine Stunde aufrecht vor dem kleinen Bildschirm gesessen hatte. Sie versuchte, eine bequemere Stellung zu finden. »Nichts.« »Etwas hast du«, beharrte Paulo. Ihm war nicht entgan gen, wie blass sie aussah. Ob sie auch so eine schlechte Nacht hinter sich hatte wie er? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich hatte sie tief und fest geschlafen, nachdem sie sich seiner sicher sein konnte. Paulo seufzte. Er hätte nicht sagen können, wann eine Frau ihn abgewiesen hatte. Und von Isabella hätte er das schon gar nicht erwartet. Erst recht nicht, nachdem sie seinen KUSS so leidenschaftlich erwidert hatte. »Komm schon, Bella«, drängte er sanft. »Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt.« »Ihr tut der Rücken weh«, erklärte Eddie, der den Raum im Pyjama betrat, um Gute Nacht zu sagen. »Das tut er abends um die Zeit immer, nicht wahr, Bella? Vor allem, wenn sie lange sitzt.«
»So?« Paulo warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, dann stand er auf, um seinen Sohn ins Bett zu bringen und ihm eine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Als Paulo zurückkam, bemerkte er, dass Isabella es sich auf dem Sofa bequemer gemacht hatte. Dennoch wirkte sie immer noch bedrückt. Wortlos setzte er sich zu ihr und spürte, dass sie sich verkrampfte. »Wie kommt es, dass Eddie besser als ich weiß, wie du dich fühlst?« Sie zuckte die Schultern. »Er hat gehört, wie ich Jessie erzählt habe, dass mir in bestimmten Situationen der Rücken wehtut.« Nur zu gern hätte Paulo Isabella in die Arme genommen und sie geküsst. »Ist das ungewöhnlich?« fragte er rau. »Nein, das ist ganz normal. Damit müssen wir rechnen, hat man uns gesagt.« »Wer ist ,man’?« fragte Paulo irritiert. »Die Leiter des Schwangerenkursus, den ich regelmäßig besucht habe, während ich als Au-pair gearbeitet habe. In den Büchern für werdende Eltern steht das auch.« »Vielleicht sollte ich sie ebenfalls lesen«, überlegte Paulo laut. Dann fragte er: »Kann man etwas gegen die Rückenschmerzen tun?« »Massagen«, erwiderte Isabella sachlich. »Sie lindern, aber beseitigen können sie die Schmerzen nicht.« »Hm.« Paulo stand auf. »Also, dann dreh dich um.« Meine Güte! Dass Paulo sie liebevoll massierte, fehlte ihr gerade noch. »Nein, das ist wirklich nicht…« »Umdrehen«, bestimmte er. Widerstrebend gab Isabella nach und hoffte nur, dass Paulo nicht merkte, wie verlegen sie war. Geschickt massierte er ihr den Rücken und hörte sie wohlig aufstöhnen, als die Verspannung langsam nachzu lassen begann. Es war verrückt, doch das harmlose Kneten ihrer Haut
kam Isabella fast unanständig vor. »Tut das… gut?« fragte Paulo nach einer Weile mit sinnlicher Stimme. Isabellas Herz klopfte so laut, dass sie sicher war, er müsste es hören. »Sehr… gut«, brachte sie mühsam hervor. »Besser?« fragte Paulo schließlich. »Mm. Viel besser.« Isabella wünschte sich, er würde endlos so weitermachen, während der Verstand ihr sagte, dass Paulo damit aufhören müsste. »Dann geh ins Bett. Ich bringe dir etwas Heißes zu trinken.« Isabella schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht durstig.« »Ich habe dir extra einen köstlich schmeckenden Scho koladentrunk besorgt, als ich von der Firma nach Hause kam«, drängte Paulo. »Du hast mir doch gesagt, du hättest Heißhunger auf Schokolade, Bella. Außerdem habe ich gesehen, dass du dein Abendessen heute kaum angerührt hast.« »Dir scheint nichts zu entgehen, mein lieber Paulo«, neckte sie ihn. Sehr wenig, dachte er, während er Isabella stützend den Arm bot. Und schon gar nichts, was irgendwie mit ihr zu tun hatte. Seit sie bei ihm lebte, war sie eine ganz andere Frau geworden. Ihr Haar schimmerte wie Mahagoni, und ihre Haut schien förmlich zu erblühen. In ihrem Zimmer angekommen, entkleidete Isabella sich vorsichtig und schlüpfte in ihr Nachthemd, in dem sie sich vorkam wie in einem weiten weißen Zelt. Sie saß im Bett, als Paulo ihr einen Becher heiße Schokolade brachte. Gedankenverloren setzte Paulo sich aufs Fensterbrett und sah sich im Zimmer um. Isabella musste im Garten gewesen sein, denn in einer hohen Silbervase befanden sich Zweige mit Beeren und farbenfrohen Blättern. An so etwas dachte Jessie nie. Der natürliche Schmuck gefiel
Paulo. In einer Ecke des Raumes stand fertig gepackt Isabellas Köfferchen für das Krankenhaus, daran lehnten eine Tasche mit Babysachen und ein brauner Teddybär, den Paulo persönlich abgeholt hatte, nachdem sie den Besuch im Spielzeuggeschäft vorzeitig hatten abbrechen müssen. »Du bist für den Tag X gerüstet?« fragte er zufrieden. Isabella folgte seinem Blick und nickte. »Besser als vorher.« »Dabei hast du dich erst so dagegen gesperrt.« Paulo dachte daran, dass sie noch nicht das Geringste für das Baby besorgt gehabt hatte, als er an jenem Tag bei den Staffords erschienen war. »Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung so grundlegend zu ändern?« »Dass ich meinem Vater die Wahrheit gesagt habe, glaube ich.« Isabella seufzte, und wieder wurde ihr bewusst, wie viel sie Paulo verdankte. »Du hattest Recht, mich dazu zu drängen, Paulo. Es war dumm von mir, dass ich anfangs nicht den Mut dazu hatte.« »Jeder darf mal feige sein, Bella«, erwiderte er sanft. Wenn sie es damals nicht gewesen wäre, hätte sie sich nie zu ihm nach London geflüchtet. Sie hatte sein Leben durcheinander gebracht, doch seit sie da war, fühlte er sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Die Ärmste hatte seit Beginn ihrer Schwan^ gerschaft viel durchmachen müssen. Betont beiläufig fragte er: »Hättest du Lust, morgen Abend mit dem Taxi zu mir in die Firma zu kommen? Ich könnte dir mein Büro zeigen, und wir würden hinterher irgendwo fein essen gehen.« Entsetzt blickte Isabella auf ihren Bauch. »In diesem Zustand?« Paulo lächelte und zuckte die Schultern. »Warum denn nicht?« »Was werden deine Mitarbeiter denken?«
Er machte eine gleichmütige Handbewegung. »Wen kümmert es, was sie denken?« Aufmunternd lächelte er. »Also? Hättest du Lust?« »Ja«, gestand Isabella fast scheu. Am nächsten Tag nahm Isabella Eddie mit, weil es besser aussehen würde, wenn Paulos Sohn sie begleitete. Sie lernte Paulos sichtlich neugierige Mitarbeiter kennen, denen anzumerken war, dass sie Isabella für die zukünfti ge Ehefrau ihres Direktors hielten. Während Eddie damit beschäftigt war, den Bildschirm schoner am Computer seines Vaters zu ändern, nahm Isabella Paulo beiseite und flüsterte ihm zu: »Weißt du, was alle denken?« »Dass ich der glückliche Vater sei«, erwiderte er in selbstverständlichem Ton. Sie sah das vergnügte Funkeln in seinen Augen und musste lachen. Wenn Paulo die Sache so gelassen nahm, brauchte sie sich nicht unnötig den Kopf zu zerbrechen. Danach entspannte Isabella sich und ließ sich durch das Gebäude führen. Dabei behandelten alle sie so übertrieben höflich, wie es der schwangeren Geliebten eines reichen Mannes gebührte. Nach dem Rundgang durch das eindrucksvolle Hochhaus aus Chrom und Glas fuhren sie zu dritt im Taxi nach Covent Garden, wo Paulo und Eddie sich mit Hamburgern und Milchshakes stärkten, während Isabella eine dickflüs sige Erdbeermilch vorzog. Auf der Heimfahrt im Taxi fragte Paulo: »Müde, Bella?« Sie schüttelte den Kopf. »Kein bisschen.« »Rückenschmerzen?« Lächelnd winkte sie ab. »Meinem Rücken geht’s gut.« Daraufhin klopfte Paulo an die Trennscheibe und wies den Fahrer an, bei den Parlamentsgebäuden vorbeizufah ren, weil er Isabella die historischen Bauten im prachtvol len abendlichen Lichterglanz zeigen wollte.
Eddie wandte sich Isabella zu. »Ein toller Abend!« erklärte er begeistert. »Fast wie Ferien.« Das fand Isabella auch. Doch jeder Urlaub musste leider einmal enden… Am nächsten Abend empfing Isabella Paulo zum Dank mit einem Martini, als er von der Arbeit nach Hause kam. Doch falls die hausfrauliche Geste ihn erstaunte, äußerte er sich nicht dazu. Er trank einen Schluck aus seinem Glas und betrachtete Isabella nachdenklich. »Ach, übrigens, heute Morgen ist ein Brief aus Brasilien für dich gekommen«, erklärte er und stellte sein Glas auf den Tisch. Dann zog er einen dünnen Luftpostumschlag aus der Jacketttasche. Überrascht blickte Isabella darauf. »Von meinem Vater!« »Richtig. Warum verständigt ihr euch eigentlich nicht über E-Mail? Eddie sagt, er habe es dir neulich im Schnellverfahren beigebracht.« »Da siehst du’s! Daddy steht mit der modernen Technik auf Kriegsfuß. Er würde seine Post von Brieftauben befördern lassen, wenn er könnte.« Paulo lächelte nur. Einen Moment lang hielt Isabella den Brief unsicher in der Hand. Seit dem schicksalsschweren Telefongespräch mit ihrem Vater hatten sie mehrmals miteinander gespro chen. Nachdem er Paulo für den Vater ihres Babys hielt, war Isabella auf Zornesausbrüche und Vorwürfe gefasst gewesen, doch zu ihrer Verwunderung war beides ausgeblieben. Ihr Vater schien sich stillschweigend mit der Situation abgefunden zu haben, was überhaupt nicht zu ihm passte. »Na, komm schon, Bella! Mach den Brief auf!« Gespannt sah Paulo zu, wie sie den Umschlag mit bebenden Fingern aufriss, das Blatt herausnahm, entfalte te und den Inhalt überflog. Erleichterung erhellte ihre
Züge, nachdem sie den Hauptteil gelesen hatte. »Gute Nachrichten?« fragte Paulo. »Gewissermaßen«, erwiderte Isabella ausweichend. Sie las den Brief noch einmal, und ihre Wangen röteten sich. Paulo ließ sie nicht aus den Augen. »Möchtest du ihn nicht laut vorlesen?« »Lieber nicht.« »Bella«, sagte Paulo warnend, »ich dachte, mit der Geheimnistuerei sei jetzt endlich Schluss.« Sie war sich ihrer Sache nicht sicher und versuchte, sich herauszureden. »Eine Frau sollte immer ein kleines Geheimnis haben, wusstest du das nicht?« Doch Paulo streckte die Hand nach dem Brief aus. »Bitte.« Widerstrebend reichte Isabella ihm das Blatt. Rasch überflog Paulo die Zeilen, um den Grund ihres Zögerns zu finden. Er brauchte nicht lange zu suchen. Sicher wäre mir das alles auf die übliche Weise lieber gewesen, aber ich will auch nicht verschweigen, dass ich froh über die Entwicklung der Dinge bin. Paulo ist ein großartiger Mensch und Vater. Ich könnte mir für Dich keinen besseren Ehemann wünschen, Bella. Also liebe und achte ihn. Paulo hob den Kopf und sah, dass Isabella starr auf das Glas Mangosaft blickte, das sie sich eingeschenkt hatte. »Bella? Sieh mich an!« »Ich möchte nicht darüber reden«, wehrte sie ab. »Aber ich. Oder hast du die kirchliche Trauung schon beantragt und mit den Hochzeitsvorbereitungen begon nen?« »Natürlich nicht!« »Da wir offensichtlich heiraten werden, könntest du den Bräutigam wenigstens davon unterrichten, findest du nicht?« »Denkst du wirklich, ich hätte meinem Vater gesagt,
wir würden heiraten?« »Woher soll ich das wissen?« Paulo war versucht, das Samtband zu lösen, mit dem Isabella sich das Haar zurückgebunden hatte. »Wohin gehst du?« Sie hatte den Stuhl zurückgeschoben und atmete schwer. »Möglichst weit weg von dir!« Rasch stand Paulo auf und verstellte ihr den Weg. »Hör auf damit, und beruhige dich erst mal.« »Ich will mich nicht beruhigen!« erwiderte sie heftig. »Ich… fühle mich wie… Oh! Au!« »Das Baby?« vermutete Paulo sofort. Isabella war, als würde ihr jemand ein Seil um die Taille legen und es dann festziehen. Halt suchend tastete sie nach Paulos Schultern und krallte die Finger hinein. »Nein, das glaube ich nicht.« »Ich rufe den Arzt…« »Nein! Nein. Warte!« Einige Male keuchte Isabella, dann wurde sie ruhiger. »Nein. Es geht schon wieder. Alles ist in Ordnung.« Paulo beugte sich über sie, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. »Sicher?« Ihr Herz schien stillzustehen. Wie erstarrt stand sie da, und ihr wurde bewusst, dass sie sich immer noch an Paulos Schultern klammerte. »Ganz sicher.« Als sie die Hände sinken ließ, musste Paulo an sich halten, um sie nicht zu ergreifen. »Soll ich nicht doch lieber den Arzt rufen?« Isabella schüttelte den Kopf. »Was könntest du ihm schon sagen?« »Dass du eine Wehe hattest.« »Nein, Paulo. Das war eher ein Krampf, keine Wehe. Außerdem ist es schon wieder vorbei.« »Bestimmt?« »Ja.« »Ich möchte kein Risiko eingehen.«
»Wer geht ein Risiko ein? Der Schmerz ist weg.« Um Paulo zu überzeugen, breitete Isabella die Arme aus. »Siehst du? Alles in Ordnung. Ich gehöre nicht zu den hysterischen Frauen, die zehn Mal den Arzt rufen – jedes Mal falscher Alarm. Und jetzt geh. Musst du nicht arbeiten?« Resigniert zuckte Paulo die Schultern. Er wollte bleiben. Er wollte Isabella küssen, und noch viel mehr. Vielleicht war es wirklich besser, er zog sich zurück. »Auf meinem Schreibtisch liegt immer genug Arbeit.« »Dann geh, und erledige sie«, versuchte Isabella ihn zu verscheuchen. »Und was wirst du tun?« »Ich habe nicht vor, mich weit zu entfernen. Also mach dir keine Sorgen, Paulo.« »Das tue ich nicht.« Eine glatte Lüge, dachte er auf dem Weg zum Arbeits zimmer. Paulo sorgte sich, wenngleich um etwas ganz anderes. Es machte ihm nichts aus, dass alle Welt ihn für den Vater des ungeborenen Kindes hielt. Hatte er diesen Glauben nicht sogar bewusst geschürt, indem er Isabella in seine Firma gebeten hatte? Jetzt fragte er sich, was geschehen würde, wenn das Baby da wäre. Er hatte Bella angeboten, sie bei sich aufzunehmen, solange sie wolle. Inzwischen drängte sich ihm der Gedanke auf, dass sie möglicherweise gar nicht bei ihm bleiben… oder seine Geliebte werden wollte. Hatte sie ihn nicht selbst gewarnt, sie könnte nach der Geburt alles vielleicht ganz anders sehen? Nachdem ihr Vater von dem Baby wusste und sich darauf freute, konnte Isabella ihn um den Finger wickeln. Was würde sie also davon abhalten, als ledige Mutter nach Brasilien zurückzukehren? Bei der Vorstellung, Isabella könnte ihn mit dem Baby
verlassen, überkam Paulo ein bedrückendes Gefühl der Leere. Nach Elizabeths Tod hatte er sein Leben ganz auf seinen Sohn ausgerichtet und nicht bedacht, dass alles sich ständig im Wandel befand. Stirnrunzelnd schaltete Paulo den Computer ein. Isabella ging ruhelos durch das Haus und wusste nicht, wie sie sich beschäftigen sollte. Schließlich setzte sie sich und schrieb wie versprochen einen langen Brief an Charlie und Richie, in der Hoffnung, dass Mrs. Stafford ihn ihren beiden Söhnen geben würde. Nachdem Isabella die Briefmarke auf den Umschlag geklebt hatte, nahm sie ein Putztuch zur Hand und zog damit von Raum zu Raum, um alle Spiegel zu polieren. Danach reinigte sie die beiden Waschbecken im GästeWC, obwohl dort alles blitzte. Nachdem sie die Gewürze auf dem Bord neu geordnet hatte, rief sie das nächste portugiesische Delikatessengeschäft an und bestellte sich verschiedene Leckerbissen ins Haus. »Und wann möchten Sie die Sachen geliefert haben, Madam?« Im Spiegel erhaschte Isabella einen Blick auf sich und kam sich kugelrund vor. »Geht’s morgen früh?« Vielleicht lag es an der vornehmen Lieferadresse, dass der Mann, ohne zu zögern, erwiderte: »Kein Problem, Madam.« Als Eddie am nächsten Tag aus der Schule kam, stürmte er wie stets sofort in die Küche, wo er Isabella inmitten von Kochutensilien antraf. Neugierig näherte er sich der Arbeitsfläche, wo Isabella gerade Zwiebeln hackte, als würde ihr Leben davon abhängen. »Was kochst du denn Leckeres?« fragte er interessiert. Isabella lächelte. »Da Jessie nicht da ist, mache ich uns Feijoada zum Abendessen.« »Was ist das?«
»Komm schon, Eddie«, neckte sie ihn. »Das weißt du doch. Das ist das brasilianische Nationalgericht. Mit verschiedenen Fleischsorten und Würstchen…« Eddie blickte auf die zahlreichen Töpfe und Pfannen auf der Arbeitsfläche. »Scheint schwer zu kochen zu sein.« »Eigentlich nicht. Es erfordert nur viel Kleinarbeit und viele verschiedene Zutaten, die alle zu unterschiedlichen Zeiten in den großen Eintopf kommen, weißt du?« »Kann ich dir helfen?« »Klar. Wasch dir die Hände, dann kannst du mir das Knoblauchzerkleinern abnehmen. Siehst du die kleine Presse hier? Pass auf.« Isabella beugte sich über Eddies Schulter. »Du legst die Zehen einzeln da hinein und drückst, bis sie zerquetscht sind.« So fand Paulo Isabella und Eddie vor, als er von der Arbeit nach Hause kam. Er lockerte sich die Krawatte und ging direkt zur Küche, wo Isabella gerade ein großes Stück Fleisch aus dem Topf nahm und Eddie ihr gebannt zusah. Beim Anblick der beiden einträchtig Beschäftigten blieb Paulo lächelnd an der Tür stehen. Der verlockende Duft rief Erinnerungen an seine Kindheit zurück. »Mm. Feijoada.« Schnuppernd kam er näher. »Wieso das?« »Magst du es etwa nicht?« fragte Isabella forsch. Paulo lächele seinem Sohn verschwörerisch zu. »Zeigt mir den Mann, der Feijoada nicht mag. Dann zeig ich euch den Mann, der es nicht verdient. Nein, ich musste nur denken, dass die Zubereitung des Gerichts für jemanden, der sich müde fühlt, ziemlich abenteuerlich ist.« »Aber ich bin überhaupt nicht müde!« Isabella warf eine Hand voll Lorbeerblätter in den Topf. Prüfend sah Paulo sie an. »Das sehe ich«, sagte er langsam. »War das nicht Bohnerwachs, was ich in der Diele gerochen habe?«
»Na ja, heute ist Jessies freier Tag, und irgendwie musste ich mich schließlich beschäftigen«, erklärte Isabella in lockerem Ton. Paulo nickte. »Eddie, möchtest du dir nicht erst mal die Schuluniform ausziehen?« »Klar, Papa.« Nachdem Eddie gegangen war, betrachtete Paulo Isabella von der Seite. Ihr Bauch war jetzt so unförmig, dass sie plump wirken musste, doch das war nicht der Fall. Sie sah einfach üppig und dabei glaublich schön aus, ihre Wangen waren von der Arbeit am Herd gerötet. »Du bereitest dein Nest vor«, bemerkte Paulo unvermit telt. Den Kochlöffel in der Hand, drehte Isabella sich um. »Wie?« »Du machst dein Nest bezugsfertig. Deshalb tust du das alles.« Paulo deutete in die Runde. »Putzen und kochen. Du bereitest dich auf die Geburt vor.« »Woher willst du das wissen?« »Ich weiß es einfach. Bei Elizabeth war es auch so. Die Natur sagt der werdenden Mutter, dass das Heim für den Neuankömmling bereit sein muss.« Isabella suchte in seinen Zügen nach Zeichen von Trauer. »Erinnert dich meine Anwesenheit an damals?« fragte sie leise. Paulo hielt ihrem Blick stand. »Ein bisschen.« Als sie schmerzlich zusammenzuckte, schüttelte er den Kopf. »Das ist kein Problem, Bella. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, mit dem zu leben, was Elizabeth passiert ist. Mir blieb nichts anderes übrig… schon wegen Eddie.« Er kniff die Augen zusammen. »Deshalb weiß ich, wovon ich rede. Das war eben wieder eine Wehe, nicht wahr?« Eine plötzliche Vorahnung dessen, was ihr unmittelbar bevorstand, ließ Isabella schaudern. Dennoch wandte sie
sich wieder dem Herd zu und rührte die Bohnen um. »Das kann nicht sein«, widersprach sie mit bebender Stimme. »Das Baby soll erst nächste Woche kommen.« »Babys kommen nur selten pünktlich.« »So?« Isabella versuchte zu lächeln. Jetzt brauste Paulo auf. »Hör auf, die Wehen zu über spielen. Ich sehe genau, wann du eine hast.« Sie konnte ihm also nichts vormachen! Isabella ließ den Kochlöffel fallen und umklammerte ihren Bauch, wie sie es längst hatte tun wollen. Erst nach einigen Augenblicken wurde ihr bewusst, dass Paulo wie ein Schutzengel vor ihr stand. Furchtsam sah sie ihn an und stöhnte. »Es tut so weh!« »Was ist?« Er legte die Hände an ihre Taille und spürte, wie Isabella sich verkrampfte. »Eine neue Wehe?« Stumm nickte sie. Seine Hände fühlten sich stark und beruhigend an, aber war das nicht nur Wunschdenken nach dem messerscharfen Schmerz, der sie eben durchzuckt hatte? Und niemand konnte ihr helfen. »Paulo… ich habe Angst.« Er nahm die Hände von ihrer Taille und strich ihr tröstend über das Haar. »Ich weiß, querida. Du musst dich entspannen, denk daran. Sei ganz locker und ruhig. Darauf bist du vorbereitet worden, Bella. Du weißt, was du tun musst. Denk an das richtige Atmen. Und an die Entspannung. An alles, was man dir im Mutterschaftskurs beigebracht hat. Du weißt es. Und ich weiß es auch. Vergiss das nicht. Ich hab’s schon mitgemacht und bin da, um dir zu helfen.« Er zögerte, ehe er hinzufügte: »Wenn du es möchtest.« Wenige Minuten später ließ ein weiterer scharfer Schmerz Isabella aufschreien. »Wieder eine Wehe!« stieß sie heiser hervor. Paulo blickte auf die Uhr. »Zehn Minuten Abstand«, stellte er beherrscht fest.
»Ist das in Ordnung?« flüsterte Isabella. Was man sie gelehrt hatte, schien plötzlich wie verflogen zu sein. Angestrengt überlegte Paulo. Alles schien nun viel schneller zu gehen als erwartet. »Ich rufe Jessie an, damit sie herkommt und sich um Eddie kümmert.« Er sah, wie Isabella sich vor Schmerzen krümmte. »Ich glaube, es ist so weit. Ich bringe dich jetzt ins Krankenhaus, Bella.« Diesmal überrollten die Wehen sie förmlich, und Schweißperlen rannen ihr über die Stirn. Dabei war das erst ein Vorgeschmack auf das, was kommen würde… Hilfe suchend umfasste Isabella Paulos Hand. »Lass mich nicht allein, Paulo«, flehte sie. »Bitte verlass mich nicht.« Ihre Verzweiflung zerriss ihm fast das Herz. »Ich verlasse dich nicht«, versprach er rau und griff nach dem Telefon.
9. KAPITEL Das rotierende Blaulicht des Krankenwagens warf bizarre Muster auf Isabellas und Paulos Gesichter, und das schrille Heulen der Sirene hallte in ihren Ohren, während sie zum Krankenhaus brausten. Wie durch einen Nebel nahm Isabella alles um sich her wahr. Sie klammerte sich an Paulos Hand und versuchte vergeblich, eine erträgliche Stellung einzunehmen. Paulo bemühte sich, ruhig zu erscheinen, aber das war schwerer, als er gedacht hatte. Erst hatte er versucht, Dr. Cordosa zu erreichen, doch der Geburtshelfer war segeln gegangen und befand sich auf der Rückfahrt über die Autobahn. Besorgt blickte Paulo zu Isabella hinüber. Wenn die Wehen sich so alarmierend häuften, würde der Arzt sowieso zu spät kommen. »Wie fühlst du dich, Bella?« fragte Paulo mitfühlend.
»Mir ist heiß!« Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. »Ist mit Eddie alles in Ordnung?« »Hör auf, dich um ihn zu sorgen. Alles ist bestens. Jessie ist bei ihm.« »Und was wird aus der Feijoada? Sie ist nur halb gar…« »Bella!« unterbrach Paulo sie warnend. Im Krankenhaus wurden sie sofort in die Notaufnahme gebracht, wo man Isabella trotz ihrer Proteste auf ein Rollbett legte. Paulo begleitete sie bis zur Entbindungssta tion. Als die Geburtshelferin kam, um Isabella zu untersu chen, klammerte diese sich erneut verzweifelt an Paulos Hand und wollte ihn nicht gehen lassen. Die Ärztin schob ihn sanft zur Seite und sprach zu ihm wie zu einem Kind. »Könnte der Vater sich bitte auf die andere Seite des Bettes zurückziehen?« Paulo wollte erklären, dass er gar nicht vorhatte, bei der eigentlichen Geburt dabei zu sein, als er spürte, wie Isabellas Fingernägel sich erneut in seine Handflächen gruben. Hilflos blickte er Isabella an und sah den bitten den Ausdruck in ihren Augen. Sein Herz hämmerte. Sie hatte ihn angefleht, ihn nicht zu verlassen, fiel ihm entsetzt ein. »Natürlich.« Taktvoll hielt er den Blick auf Isabellas Gesicht gerichtet, während die Ärztin die intime Untersu chung vornahm. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Paulo sich gehemmt. Mehr als alles hätte er sich für Isabella eine einfache Geburt gewünscht, doch als die Geburtshelferin ihrem Assistenten auf der anderen Seite des Entbindungsraumes einen bedeutsamen Blick zuwarf und dieser davoneilte, befürchtete Paulo sofort, dass es Komplikationen geben würde. Zwar versuchte das Team, dies zu überspielen, aber als zwei weitere Ärzte den Raum betraten, wusste Paulo, dass
die Geburt nicht normal ablaufen würde. Ein Blick auf die Namensschilder der Männer sagte ihm, dass der eine Geburtshelfer, der andere Kinderarzt war. Bedeutete das etwa, dass Mutter und Kind in Gefahr waren? Paulo schlug das Herz bis zum Hals, und zum ersten Mal seit Jahren betete er wieder. Schon einmal in seinem Leben hatte er eine Frau verloren. Das Schicksal konnte doch unmöglich so grausam sein, ihm diese auch noch zu nehmen. Aber er durfte seine Ängste nicht auf Bella übertragen. Sie war so tapfer. Grimmig entschlossen kämpfte sie gegen die immer häufiger auftretenden Wehen an, und Paulo fühlte sich hilflos wie nie zuvor in seinem Leben, weil er nichts für Isabella tun konnte, obwohl sie ihn so dringend brauchte. Für sie gab es nur noch den Kampf ihres Körpers, alles andere wurde bedeutungslos. Sie lehnte die Medikamente ab, die man ihr geben wollte. Paulos bloße Anwesenheit tat Isabella gut. Sie verschränkte ihre Finger krampfhaft mit seinen, als die Wehen so stark wurden, dass sie glaubte, es nicht mehr zu ertragen. Wann immer sie die Augen öffnete, sah sie verschwommen Paulos Züge vor sich, und was sie darin las, gab ihr Mut. Und noch etwas sah sie dort, das ihr neue Kraft verlieh – Stolz und Bewunderung. Man brauchte Isabella nicht zu sagen, dass sie pressen und immer wieder pressen musste, denn ihr Körper tat fast von selbst alles, um das Kind zur Welt zu bringen. »Hier ist Ihr Baby!« rief jemand. »Kommen Sie, und sehen Sie, wie Ihr Kind geboren wird, junger Vater«, drängte die Ärztin lächelnd. Um nichts auf der Welt hätte Paulo sich das entgehen lassen. Paulo ließ Isabellas Hand los und trat näher, um mitzuer leben, wie erst ein dunkelhaariger Kopf auszutreten
begann, dann eine Schulter. Er nahm wahr, wie geschäf tig es um ihn her zuging, dann glitt das Baby heraus. Doch auch nach einigen Sekunden gab es keinen Laut von sich. Wieder hektische Tätigkeit, dann, endlich, der erste durchdringende Schrei, der Paulo zusammenfahren ließ. »Ein Mädchen!« Der Kinderarzt beugte sich über den Säugling, um seine winzige Nase und den Mund zu reinigen. Paulo kam näher und blickte in Isabellas bleiches Gesicht, das von schweißfeuchtem Haar gerahmt war. Langsam bückte er sich und strich ihr eine Locke aus der Stirn, obwohl er Isabella am liebsten geküsst hätte. »Gratuliere, querida« flüsterte er. »Du hast eine wunderschöne Tochter.« Eine Welle der Erleichterung durchflutete Isabella. Erst jetzt spürte sie, wie erschöpft sie war. »Kann ich sie in den Arm nehmen?« »Nur einen Augenblick«, sagte der Kinderarzt und legte ihr das kleine Bündel behutsam in die Arme. »Ihr Herzschlag war während der Geburt etwas schwach, ihr Atem zu langsam, deshalb müssen wir sie in der ersten Nacht auf die Überwachungsstation bringen, um sie zu beobachten. Haben Sie schon einen Namen für sie?« Verklärt blickte Bella auf den winzigen Kopf, die dunklen Löckchen, und alle düsteren Gedanken, die sie seit Beginn der Schwangerschaft gepeinigt hatten, waren verflogen. Dieses Baby war ein Wunder. Überwältigende Liebe erfüllte Isabella. »Estella«, erwiderte sie verträumt. »Das heißt ,Stern’«. »Nein, du bist der Star«, sagte Paulo leise auf Portugie sisch, so dass nur Bella ihn verstehen konnte. Sie blickte zu ihm auf und sah das Leuchten, die Liebe in seinen Augen. Er war so stolz, als wäre er der Vater. Isabellas Lippen begannen zu beben, und sie blickte auf ihr Baby und küsste es auf den Kopf Als Isabella mitten in der
Nacht die Augen aufschlug, war irgendetwas anders. Benommen setzte sie sich auf und blickte sich um. Nach der Geburt hatte sie gebadet und war danach sofort eingeschlafen, während Paulo an ihrem Bett saß. Doch jetzt war er fort, und das Kinderbett neben ihr war leer. Furcht erfasste Isabella, und sie klingelte verzweifelt, bis eine Krankenschwester herbeigeeilt kam. »Wo ist mein Baby?« »Ihre kleine Tochter ist immer noch auf der Überwa chungsstation. Aber nicht mehr lange. Es geht ihr bestens.« »Ich möchte sie sehen.« »Das können Sie. Aber warten Sie damit besser bis zum Morgen, und ruhen Sie sich erst mal aus.« »Ich will sie jetzt sehen«, beharrte Bella. Die Schwester bestand darauf, sie im Rollstuhl zur Babystation zu fahren. Als sie vor der Verglasung standen, kämpfte Isabella gegen die aufsteigenden Tränen an. Hinter der hellen Glaswand stand Paulo und hielt den Säugling in den Armen, dabei sprach er liebevoll auf das kleine Wesen ein. Bei dem Anblick gab Bella einen heiseren Laut von sich. Die Schwester beugte sich zu ihr herunter. »Alles in Ordnung?« Bella nickte. Ich liebe ihn. Ich habe ihn immer geliebt. Die Schwester lächelte verständnisvoll. »Ihr jungen Mütter! Natürlich lieben Sie ihn. Sie haben doch gerade sein Kind geboren.« Erst jetzt wurde Isabella bewusst, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte. Und vielleicht spürte auch Paulo, dass er beobachtet wurde oder von ihm die Rede war, denn er blickte unvermittelt auf und strahlte. »Ich gehe zu ihnen rein«, erklärte Isabella der Schwester. »Ich fahre Sie…« »Nein. Ich möchte gehen«, beharrte Isabella. »Wirk lich.«
Gebannt verfolgte Paulo, wie sie sich langsam aus dem Rollstuhl erhob, den Arm der Schwester stolz zurückwies und aufrecht die verglaste Kabine betrat, um zu ihm zu kommen. Isabella sah das Leuchten in seinen Augen, die so dunkel waren wie Estellas, so dass man ihn glatt für ihren Vater halten konnte. Aber er war es nicht. »Du hältst mein Baby auf dem Arm«, sagte sie leise. »Das weiß ich. Ich kann ihr einfach nicht widerstehen. Möchtest du sie zurückhaben? Dachte ich’s mir. Hier.« Lächelnd reichte er Isabella das Kind. »Geh zu Mummy.« Ganz sanft legte er es ihr in die Arme. Instinktiv suchte das Baby nach der Brust seiner Mutter, und eine Welle der Liebe durchflutete Isabella, so mächtig, dass sie vor Glück erschauerte. Schweigend beobachtete Paulo die ersten vorsichtigen Erkundungsversuche von Mutter und Kind und fühlte sich ausgeschlossen. Er begehrte Isabella. Stunden nachdem sie das Kind eines anderen Mannes geboren hatte, begehrte er sie so verzwei felt, dass es schmerzte. Hilflos blickte Paulo auf die Wanduhr. Vier Uhr morgens. »Ich sollte jetzt lieber gehen«, meinte er. »Wenn Eddie aufwacht, möchte ich zu Hause sein. Wir besuchen dich morgen, Bella«, verabschiedete er sich. »Träum was Schönes.« Isabella und die Schwester blickten ihm nach, als er über den Krankenhauskorridor davonging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Kopfschüttelnd wandte die Schwester sich wieder Isabel la zu. »Na, so was! Er hat Sie zum Abschied nicht mal geküsst«, scherzte die junge Frau. Isabella küsste Estella auf den Kopf. »Sicher hat die aufregende Geburt ihn zu sehr mitgenommen«, erklärte sie müde.
Oder hatte Paulo sie nicht küssen wollen?
10. KAPITEL Am nächsten Morgen erschien Paulo bereits auf der Station, ehe die Belegschaft der Nachtschicht gegangen war. Unter dem Arm trug er eine Flasche Champagner mit einer rosa Schleife. Drei Schwestern blickten auf, als er am Stützpunkt auftauchte, und reagierten beeindruckt auf den großen, gut aussehenden Mann im eleganten Anzug. »Ich weiß, ich komme sehr früh.« Er lächelte gewin nend. »Aber ich wollte Bella noch sehen, ehe ich in die Firma fahre.« Wie auf ein Stichwort sprang das Trio auf. »Ich bringe Sie hin«, erklärten die Schwestern wie aus einem Mund. Paulos dunkle Augen funkelten amüsiert. »Ich weiß, wo sie ist«, erwiderte er. »Eine Lernschwester hat es mir gesagt. Wenn Sie erlauben, würde ich Bella gern überra schen.« Isabella war gerade dabei, das Baby zu stillen. In ihren Arm gekuschelt, lag es da und sog begierig an der Brust seiner Mutter. Ein merkwürdiges, unglaublich aufregendes Gefühl, fand Isabella und lächelte zufrieden. Paulo blieb vor der Verglasung stehen und beobachtete sie. Wie leicht und selbstverständlich sie dem Kind die Brust gibt, dachte er bewundernd. Bei Eddies Geburt war das Stillen nicht so verbreitet gewesen. Außerdem hatte Elizabeth nach der Entbindung an Depressionen gelitten, so dass Paulo dem Säugling meist die Flasche gegeben hatte, damit Elizabeth sich ausruhen konnte. Bella hob den Kopf und begegnete Paulos Blick. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen ging ihr durch und
durch. Dann betrat er die verglaste Kabine und stellte den Champagner auf das Schließfach. »Hallo, Bella«, sagte er leise. »Hallo.« Sie fühlte sich gehemmt, aber das war eigent lich auch nicht verwunderlich. Paulo hatte sie körperlich und seelisch völlig entblößt erlebt, als sie ihr Kind zur Welt brachte. »Ich dachte, ich schaue auf dem Weg zur Firma noch kurz bei dir vorbei.« Isabella lächelte. »Schön, dass du gekommen bist.« Nachdenklich betrachtete Paulo den Säugling, der jetzt gesättigt schlummerte. War Eddie damals auch so winzig gewesen? »Was macht Estella?« »Sie ist einfach wunderbar.« Wie ihre Mutter, dachte Paulo. »Darf ich sie auf den Arm nehmen? Oder wacht sie dann auf?« Isabella schüttelte den Kopf. »Nimm sie nur«, erwiderte sie sanft. Behutsam nahm Paulo ihr das Baby ab. Es überraschte ihn, wie glücklich es ihn machte, das kleine Wesen wieder in den Armen zu halten. Es roch nach Milch – und nach Bella –, und er verspürte das übermächtige Verlangen, sie zu küssen. Gerührt sah Isabella zu, wie er Estella in den Armen wiegte, ihren Kopf mit den Lippen berührte. In diesem Moment liebte Isabella ihn noch mehr, weil er so warm herzig und zärtlich sein konnte. Ich wünschte, er würde mich so umfangen halten, dachte sie sehnsüchtig. »Ich habe deinen Vater angerufen«, berichtete Paulo. Ihr Herz schlug schneller. »Und?« »Er ist ganz aus dem Häuschen vor Freude und Stolz. Vor lauter Rührung hat er anfangs kein Wort herausgebracht, was überhaupt nicht zu ihm passt.« Paulo brauchte Isabella nicht zu verraten, dass Luis ihm
überschwänglich gratuliert und ihn mit Fragen nach Mutter und Kind überhäuft hatte. Und natürlich hatte der frisch gebackene Großvater auch wissen wollen, wem das Kind ähnlich sehe Paulo oder Bella. »Das ist schwer zu sagen«, hatte Paulo ausweichend erwidert. »Wie geht’s Eddie?« fragte Isabella. Paulo fuhr mit der Nasenspitze zärtlich über das seidige Haar des Säuglings. »Er ist außer sich vor Begeisterung. Nicht mal der Computer kann es mit dem Baby aufnehmen. Heute Abend bringe ich Eddie mit.« Paulo besuchte Isabella jeden Morgen und Abend, bis sie das Krankenhaus mit dem Baby eine Woche später verlassen durfte. Strahlend führte Paulo sie ins Freie, wo ein großes, blitzendes Familienauto geparkt stand. Isabella, die das in eine warme Decke gehüllte Baby auf den Armen trug, war überrascht. »Was ist das? Ein neuer Wagen?« »Richtig.« Paulo hielt ihr die Tür auf. »Gefällt er dir?« »Sehr. Aber was ist mit dem alten?« »Nichts. Er steht in der Garage. Das hier ist unser Zweitwagen. Jetzt, da wir zu viert sind, brauchen wir ein größeres Auto.« Er meint es nicht so, wie es klingt, versuchte Isabella sich einzureden, während sie Estella auf dem eingebauten Kindersitz festschnallte. Zu Hause stand Eddie erwartungsvoll an der Eingangstür und begrüßte die Ankömmlinge stürmisch, dabei hüpfte er vor Begeisterung von einem Bein aufs andere. Sein Vater hatte ihn an den meisten Tagen mit ins Krankenhaus genommen, wo er nur noch Augen für das Baby gehabt hatte, das sich mit seinen winzigen Fingern an seine Hand klammerte. Es rührte Paulo, dass die beiden sich so gut verstanden. Dabei hatte er immer geglaubt, Eddie würde ein Einzel kind bleiben. Irgendwie hatte Paulo nicht mehr an eine
feste Bindung und die Möglichkeit geglaubt, weitere Kinder zu haben. Keine Frau hatte ihm genug bedeutet, um mit ihr noch einmal eine Familie gründen zu wollen. Während er jetzt beobachtete, wie glücklich sein Sohn über das Baby war, sah er das alles plötzlich in einem ganz anderen Licht. Als in den nächsten Tagen verschiedene Babyutensilien ins Haus geliefert wurden, fragte Paulo sich immer öfter, ob Eddie bei einem berufstätigen Vater und einer Haushälterin nicht zu kurz kam. Bei dem Lärm, dem Durcheinander und der Liebe, die das neue Familienmit glied ins Haus brachte, schien der Junge förmlich aufzu blühen. Zurück in Paulos Haus, fühlte Isabella sich anfangs etwas verunsichert. Obwohl sie nur wenige Tag fort gewesen war, hatte sie sich verändert. Sie war jetzt Mutter, mit allen damit verbundenen Pflichten und Verantwortungen. Dennoch empfand sie ihr neues Leben immer noch irgendwie als unwirklich. In ihrer schwersten Zeit war Paulo unermüdlich um sie bemüht gewesen. Dabei hatte er sie in entwürdigenden Situationen erlebt – stöhnend, sich vor Schmerzen krümmend. Er hatte ihr die Stirn abgetupft, ehe sie das Baby geboren hatte, sie dabei sogar beobachtet. Aber er hatte sie nicht berührt, sie nicht geküsst, obwohl sie insgeheim gehofft hatte, er würde es tun. Empfand er nichts mehr für sie? Isabellas Verunsicherung verschwand, als sie sich umsah. Die Diele war festlich mit Luftballons geschmückt, neben dem Telefon stand ein riesiger Blumenstrauß, und der Küche entströmte ein verführerischer, nur allzu vertrauter Duft. »Dein Feijoada«, erklärte Paulo, als er Isabella schnup pern sah. »Wir haben es eingefroren, nachdem die Wehen bei dir eingesetzt hatten. Eddie meinte, das wäre für deine
Heimkehr genau das richtige Willkommensmahl.« »Eddie hat Recht. Etwa Schöneres hätte ich mir nicht wünschen können.« Isabellas Blick fiel auf einen rosa Ballon mit der silbernen Aufschrift »Es ist ein Mädchen!«, der die Treppe hinaufschwebte. »Alles das hier ist wunderbar. Ihr habt euch so viel Mühe gegeben«, fügte sie bewegt hinzu. Jessie kam lächelnd aus der Küche. »Willkommen zu Hause!« begrüßte sie Isabella und umarmte sie. »Danke, Jessie!« »Darf ich sie mal sehen?« Isabella schob die Kaschmirdecke etwas beiseite, so dass Estellas kleines Gesicht zu sehen war, und seufzte. »Ist sie nicht wunderschön?« Versonnen betrachtete Paulo die Mutter. Sie sah atem beraubend aus. Ihre vorher so schwerfällige Figur schien über Nacht gertenschlank geworden zu sein. Da sie so jung und fit sei, habe ihr Gewebe sich sofort wieder zurückgebildet, hatte die Schwester Isabella erklärt. Jetzt trug sie safranfarbene Jeans und ein leuchtend rotes T-Shirt, das ihre Brüste fest umspannte. Die dunkle Lockenmähne hatte sie mit einem schwarzen Band zurückgebunden, und ihr ungeschminktes Gesicht strahlte und wirkte taufrisch. Dennoch stimmte etwas nicht. Sie verhält sich so zurückhaltend, dachte Paulo. Fast fremd. Ihre Bewegungen waren fahrig und irgendwie gehemmt. Wirklich warmherzig und gelöst wirkte sie nur, wenn sie sich mit dem Baby beschäftigte. Oder mit Eddie. Bei mir nicht, wurde Paulo bewusst. »Komm mit nach oben, und sieh dir an, was wir für Estella vorbereitet haben«, sagte er leise. »Kann ich Ihnen das Baby abnehmen?« erbot Jessie sich prompt. »Damit Sie einen Moment verschnaufen können.«
»Natürlich.« Isabella lächelte, doch seltsamerweise fühlte sie sich ohne das Kleine auf dem Arm nicht wohl. »Ich möchte Estella auch sehen, Jessie!« bat Eddie. Zögernd folgte Isabella Paulo die Treppe hinauf. »Wohin gehen wir?« fragte sie. »Zum Zimmer direkt neben deinem.« Ihm war nicht entgangen, dass ihre Stimme argwöhnisch klang. Doch Isabella vergaß ihre Zweifel, als sie die Tür öffnete und einen Blick in den Raum warf. Was für Mühe musste Paulo das gekostet haben! »Meine Güte!« rief sie staunend aus. »Wie hast du das alles zu Wege gebracht?« Es war das entzückendste Kinderzimmer, das sie sich überhaupt vorstellen konnte. Eine Seite wurde von einer Szene aus »Alice im Wunderland« beherrscht, während die übrigen Wände mit Kirschblütenmotiven tapeziert waren. Eine altmodi sche Wiege mit zartrosa Spitzenbettzeug stand an der Märchenwand, und auf dem glänzenden, neu gestriche nen Fensterbrett saßen mehrere Stoffpuppen. Obwohl ich möglicherweise nur vorübergehend hier bleibe, hat Paulo sich unglaubliche Mühe gegeben, dachte Isabella hoffnungsvoll. »Gefällt’s dir?« fragte er. Sie drehte sich zu ihm um. »Gefallen? Ach, Paulo, wem würde das nicht gefallen?« Er lächelte erleichtert. »Du hast nämlich ein Gesicht gemacht, als hättest du Angst, man könnte dich den Löwen vorwerfen«, scherzte er, dann wurde er wieder ernst. »Was ist los, Bella? Dachtest du etwa, ich würde dich hier herauflocken, um dich zu lieben?« »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte sie sachlich. Sie war sicher, dass er sie nicht verletzen, sie achten und ihr Zeit lassen würde. Gleichzeitig tat es ihr weh, dass er wie ein Fremder auf der anderen Seite des Raumes stand. Paulo runzelte die Stirn, als er den Ausdruck in Isabellas
Augen sah. »Du bist müde, Bella. Und du hast gerade ein Kind geboren. Hältst du mich für ein Ungeheuer?« »Du bist alles andere als ein Ungeheuer«, widersprach sie. »Ich bin dir ja so dankbar für alles, was du getan hast, Paulo.« Er wollte ihre Dankbarkeit nicht, nur ein Zeichen, eine Geste, dass sie ihn immer noch begehrte. »Nicht der Rede wert.« »Aber diese Einrichtung hier muss dich ein Vermögen gekostet haben«, gab Isabella zu bedenken. Der Glanz verschwand aus seinen Augen. »Bitte sprich nicht mehr davon, Bella. Es ist nur ein bescheidener Versuch, mich für die Güte erkenntlich zu zeigen, die dein Vater mir all die Jahre über erwiesen hat.« Und damit hast du dich revanchiert? dachte Isabella. Sie wollte Paulo berühren, die Fingerspitzen über sein Kinn gleiten lassen, doch sie hatte Angst. Gerade erst hatte sie ein Baby zur Welt gebracht und mit Männern außerdem schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn sie eine Beziehung mit Paulo einging, musste sie ganz sicher ein, das Richtige zu tun. In ihrem Herzen gab es keinen Zweifel, aber er musste wissen, dass sie nicht nur aus einer Laune heraus mit ihm schlief. Falls er sie immer noch begehrte. Paulo spürte Isabellas innere Zerrissenheit. »Natürlich darfst du nicht denken, du müsstest jetzt bleiben, weil ich das Zimmer neu eingerichtet habe.« Er sah sie forschend an. »Vielleicht hast du dich ja längst entschieden zu gehen.« Nur mühsam konnte Isabella verbergen, wie entsetzt sie war. »Gehen?« Paulo zwang sich weiterzusprechen. »Es ist doch denkbar, dass du wieder nach Hause möchtest«, schlug er leise vor. »Nach Brasilien. Um Estella ihrem Vater zu zeigen.«
Isabella sah ihn fest an. »Roberto will mich nicht. Das habe ich dir schon gesagt. Und ich will ihn auch nicht. Es ist aus. Genau genommen, hat es gar nicht erst begonnen.« Für sie war Roberto nur ein Schattenmann gewesen, ein unbefriedigender Ersatz für den einzigen Mann, den sie je geliebt hatte. »Aber er könnte anders empfinden, wenn er von dem Baby erfährt.« »Er wird es nicht erfahren.« »Findest du nicht, dass er ein Recht darauf hat?« »Ich entscheide, ob ich es ihm sage oder nicht«, beharrte Isabella. »Deine Gefühle für ihn könnten sich ändern.« Paulo fragte sich, welcher Dämon ihn dazu trieb, gegen seine eigenen Interessen zu handeln. »Was ist, wenn Estella ihrem wirklichen Vater immer ähnlicher wird? Das biologische Band könnte so stark werden, dass du zu ihm zurückkehren möchtest.« Isabella zeigte keine Regung, obwohl Paulos Einwände ihr wehtaten. Er sprach so, als wünschte er sich, es würde so kommen. Unten begann das Baby zu schreien, und Isabella blickte auf. »Das ist Estella!« »Ja. Das Baby hat dich gerettet«, bemerkte Paulo spöttisch. Etwas später beobachteten Isabella und Paulo Eddie, der auf einem Sofa saß und das Baby liebevoll in den Armen hielt. »Hältst du die Kleine auch gut fest?« fragte Paulo sanft. Sein Sohn warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Klar, Dad. Sieh nur! Sie ist so süß. Viele von meinen Klassenkameraden haben kleine Brüder oder Schwestern. Ich wünschte, Estella wäre mein Schwesterchen! Warum heiratest du Bella nicht? Dann hätte ich auch eins.« Nachdenklich blickte Paulo seinen Sohn an. Eddie hatte
seine Mutter so früh verloren, dass er sich kaum noch an sie erinnerte. Da war es nicht verwunderlich, dass er sich so stark zu dem vaterlosen Baby hingezogen fühlte. Paulos Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. »Kann ich Estella einen Moment übernehmen, mein Sohn?« fragte er sanft und setzte sich zu Eddie aufs Sofa. Isabella sah zu, wie Vater und Sohn sich liebevoll mit dem Baby beschäftigten. Ein Außenstehender hätte sie für eine ganz normale Familie halten können. »Darf ich telefonieren, Paulo?« »Du brauchst nicht jedes Mal zu fragen, Bella.« »Danke.« Sie lächelte heiter. »Ich möchte meinen Vater anrufen und ihn wissen lassen, dass ich glücklich aus dem Krankenhaus entlassen bin.« »Du brauchst mir auch nicht zu sagen, mit wem du telefonierst.« »Ich werd’s mir merken«, versprach Isabella. Estella in den Armen wiegend, ging Paulo im Zimmer auf und ab und versuchte, nicht mitzuhören, was Isabella mit ihrem Vater sprach. »Paulo?« Er blickte auf und sah, dass sie das Haarband gelöst hatte. Die seidigen Locken fielen ihr ungebändigt bis zur Taille, und er widerstand dem Wunsch, Isabella zu küssen. »Bist du durchgekommen?« fragte er rau. Sie nickte. Wie winzig das Baby in Paulos Armen wirkt, dachte sie unwillkürlich. »Er dankt dir für die Fotos und staunt, dass du sie ihm so schnell geschickt hast.« »Die moderne Technik macht’s möglich«, erwiderte Paulo trocken. »Was hat er sonst noch gesagt?« »Er ist schrecklich aufgeregt und kauft bergeweise rosa Sachen für das Baby. Und…« Paulo kniff die Augen zusammen. »Und was?« Isabella zögerte und blickte zu Eddie. Sie will mich allein sprechen, dachte Paulo und folgte
ihr in die Diele. »Was gibt’s?« fragte er leise. Verlegen sah Isabella ihn an. »Na ja… da wir es nicht abgestritten haben…« Wieder verstummte sie. »Sprich weiter«, drängte Paulo. Hilflos zuckte Isabella die Schultern. »Er scheint immer noch zu denken, wir würden heiraten.« »Tatsächlich?« »Ich sollte ihm wohl sagen, das es nicht so ist, aber…« Gespannt sah Paulo sie an und versuchte, in ihren Zügen zu lesen. »Aber was?« Isabella seufzte. Er brauchte nicht zu wissen, dass ihr Vater ihn für den wunderbarsten Mann der Welt hielt. »Tja, ich weiß nicht recht«, erklärte sie unsicher. »Er scheint sehr glücklich darüber zu sein.« »Dann sollten wir dafür sorgen, dass er es bleibt«, schlug Paulo vor.
11. KAPITEL Isabella schaltete Estellas Nachtlicht ein und ging leise nach unten in den Salon, wo Paulo auf sie wartete. Er blickte auf, als sie hereinkam, und verfolgte nach denklich, wie sie die letzten Knöpfe des Oberteils ihres Kleides schloss. Wie hatte er das Stillen eines Babys je für unerotisch halten können? »Schläft sie?« fragte er. »Tief und fest.« Isabella setzte sich auf ihren gewohnten Platz und sah zu, wie Paulo auf dem Käsebrett dunkle Trauben anordnete. Das Abendessen in seinem Haus war ein Erlebnis, das man nicht verpassen durfte. Erstaunt hatte Isabella entdeckt, dass Paulo sich in Küchendingen bestens auskannte und neben verschiedenen Pastagerichten auch ein leckeres Steak zu brutzeln verstand. Vielleicht lag das daran, dass Jessie öfters
Freizeit hatte und nicht ständig da war. Isabella wurde bewusst, dass Paulo sie forschend be trachtete. »Nun? Was hat die Frau Doktor gesagt?« fragte er. Unschlüssig schwenkte Isabella den Rotwein in ihrem Glas. Auf keinen Fall würde sie Paulo verraten, was sie geantwortet hatte, als die Ärztin bemerkte: »Jetzt dürfte Ihr Liebesleben wieder normal verlaufen, nehme ich an.« Isabella hatte nur genickt, denn sie konnte unmöglich bekennen, dass sie noch nie mit Paulo Dantas geschlafen hatte… obwohl sie sich danach sehnte. »Nun, Bella?« drängte er. »Ach, nur, dass Estella das hübscheste, energiegeladenste Baby ist…« »Ja, sicher. Und was noch?« »Dass wir alles richtig machen.« Das »Wir« war Isabella ungewollt entschlüpft. Paulo schaffte es meisterlich, den Eindruck einer glücklichen Familie zu erwecken. »Das ist alles?« Vorsichtig stellte Isabella ihr Glas auf den Tisch. »Worauf willst du hinaus, Paulo?« Das wusste sie genau. »Auf nichts.« »Warum rückst du nicht einfach mit der Sprache heraus und sprichst es aus?« »Das würde dich schockieren, meine Schöne.« Er rang sich ein Lächeln ab. In letzter Zeit war Isabella täglich schöner geworden. Und heute Abend sah sie einfach atemberaubend aus, in dem roten Seidenkleid, das vom Hals bis zu den Knien reichte und der Fantasie dennoch nichts überließ. Paulo fragte sich, ob es einzig dazu entworfen worden war, einen Mann zu reizen, es herunter zureißen. Isabella trank einen Schluck Wein und lächelte selbstbe wusst. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass mich heute nichts mehr schockieren kann.«
Unvermittelt schob Paulo seinen unberührten Käsetel ler beiseite und sah sie an. Wenn er diese Situation noch weiter ertragen musste, würde er den Verstand verlieren. Sie führten das Leben einer Bilderbuchfamilie, doch die Spannung zwischen ihm und Bella wurde allmählich unerträglich. Inzwischen war sie ihm so nah, doch längst nicht nah genug. Seine Nächte waren erfüllt von wilden, erotischen Träumen, aus denen er schweißgebadet und enttäuscht erwachte. Und er wusste – oder hoffte es zumindest –, dass auch Isabella sich unruhig im Bett herumwarf. Er sehnte sich danach, sie zu berühren, ihren Körper zu streicheln, an den er ständig denken musste. Morgens floh er förmlich in die Firma, um Isabellas Bannkreis zu entrinnen. Sie bewegte sich mit einer natürlichen Grazie, wie er sie noch an keiner Frau beobachtet hatte. Ohne mit ihm zu flirten oder ihn herausfordern zu wollen. Doch Abmachung war Abmachung, und Paulo ermahnte sich, die Tatsachen nicht aus den Augen zu verlieren. Er war älter als Isabella – und sehr viel erfahrener. Natürlich wusste er genau, wie er sie ins Bett bekommen könnte. Aber diese Entscheidung musste Bella treffen. Sie ganz allein. Und obwohl er vor der Geburt des Babys offen mit ihr geflirtet hatte, wagte er es jetzt nicht mehr. Paulo trank einen Schluck Wein, ohne etwas zu schmecken. Schweigend saß Isabella ihm gegenüber und wünschte sich, er würde etwas sagen oder tun. »Paulo?« flüsterte sie schließlich und sah ihn erwar tungsvoll an. »Ja, querida?« Er lächelte freundlich. Isabella unterdrückte einen Seufzer. Sie wollte etwas mehr umworben werden. Mit einer Affäre, die von selbst auslief, wie Paulo sie ihr angeboten hatte, konnte sie leben. Auf Trauschein und Ehering war sie bereit zu verzichten.
Paulo sollte ihr nur ein Zeichen geben, dass er sie wirklich begehrte. Bitten würde sie darum nicht. Erregt warf sie die Serviette auf den Tisch und stand auf. »Ach, Paulo Dantas! Du bist so…« »Was?« Seine dunklen Augen funkelten, und er stand ebenfalls auf. »Du bist so dumm!« Isabella verließ das Esszimmer und hätte die Tür am liebsten hinter sich zugeknallt, doch da Eddie und Estella schliefen, verzichtete sie darauf. Am Treppenabsatz holte Paulo sie ein. Seltsamerweise erregte sie die Vorstellung, dass er sie durchs Haus jagte. Sie lief schneller und hatte Paulos Zimmer erreicht, als er sie am Handgelenk zu fassen bekam und zu sich umdrehte. »Dumm, sagst du, Bella?« fragte er leise. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. »Dumm?« Er lachte leise. »Das wollen wir doch mal sehen, querida.« Ehe sie sich’s versah, hatte Paulo sie in sein Schlafzimmer gezogen und die Tür hinter ihnen geschlossen. Erwartungsvolle Erregung erfüllte Isabella, als er sie in die Arme nahm und sie das verlangende Funkeln in seinen Augen sah. »Ach, querida«, stöhnte er. »Bella, querida.« Er hatte das Gefühl, unerwartet im Paradies gelandet zu sein. Stürmisch bedeckte er ihre Lippen mit seinen und küsste sie, bis er atemlos war. Endlich hob er benommen den Kopf und fragte: »Begehrst du mich?« Ich habe dich immer begehrt, dachte sie. »Ja«, wisperte Isabella. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und klammerte sich an ihn. Paulo war ihr sicherer Hafen. Ihr geliebter, wunderbarer Paulo. »Ja, ja, ja.« Noch nie hatte er eine Frau so verzehrend geküsst. Wenn Bella sich weiter so an ihn schmiegte, würde er sie auf der Stelle nehmen. Aber er wollte ihr das Kleid und den Slip
nicht herunterreißen und ohne Vorspiel in sie eindringen. Er beherrschte sich. »Komm«, flüsterte er. »Komm ins Bett.« Isabella nahm die elegante Einrichtung und das breite Bett mit der leuchtenden Tagesdecke kaum wahr. Sie sah nur den Glanz in Paulos Augen, als er sie auf das Bett drückte und die Knöpfe ihres Oberteils zu öffnen begann. »Ich möchte dich berühren«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich muss dich berühren. Überall.« Bella erschauerte, doch sie konnte den Blick nicht abwenden. Ihre Brustspitzen wurden hart, und Verlangen breitete sich in ihrem Schoß aus. Sie fragte sich, ob Paulo in ihren Augen lesen konnte, wie sehr sie ihn liebte, und schloss sie sicherheitshalber. Liebe gehörte nicht zu ihrer Vereinbarung. Einen Moment hielt Paulo inne, weil er spürte, wie erregt auch sie war, dann fuhr er fort, ihre Knöpfe zu öffnen, obwohl er sie einfach hätte aufreißen können. Isabella ließ die Finger über sein Seidenhemd gleiten, dann tiefer, aber Paulo schüttelte den Kopf. »Nein«, flüsterte er. »Nein?« Sie wollte es schön für ihn machen, ihm Lust bereiten und wusste, dass alle Männer dort gern berührt werden wollten. »Querida.« Es fiel ihm schwer, zu sprechen, weil er sich kaum noch beherrschen konnte. »Ich habe viel zu lange darauf gewartet.« Wenn sie ihn dort berührte… Er schob den Stoff des Oberteils zur Seite und stöhnte verlangend auf. Ihre Brüste waren so üppig wie während der Schwangerschaft und unglaublich schön. Beinahe ehrfürchtig beugte er sich über eine Brust und liebkoste mit der Zunge die harte Spitze, die sich unter dem hauchzarten Spitzen-BH abzeichnete. Schwach vor Verlangen, ließ Isabella sich auf die Matratze zurücksinken. »Bitte, Paulo«, flehte sie, ohne genau zu
wissen, um was sie ihn bat. Alles schien zu enden, ehe es richtig begonnen hatte. Er hob den Kopf und blickte ihr in die Augen, deren Pupillen unnatürlich groß waren. »Langsam«, bat er schwer atmend. »Lass es… uns nicht überstürzen.« Wie sollte sie sich daran halten, wenn Paulo die Hand unter ihren Hock schob und einen Laut des Erstaunens von sich gab? »Was ist?« fragte Isabella verwirrt. »Strümpfe.« Er atmete tief ein. »Du trägst Strümpfe.« Unwillkürlich musste Isabella lächeln. Sie mochte von einer . abgelegenen Ranch kommen, doch es gab Dinge, die jede Frau kannte. »Aber alle Frauen tragen Strümpfe«, gab sie unschuldig zu bedenken. »Das sollten sie«, erwiderte Paulo heiser. »Das sollten sie.« Er ließ die Fingerspitzen bereits über die Strumpfbän der zu ihren nackten Schenkeln hinaufgleiten. Und höher. »Oh! Paulo!« hauchte Isabella. »Gato. Queridogato.« »Du machst es mir verflixt schwer.« Er stöhnte auf, als sie den Kopf zurückbog und sich selbstvergessen bewegte. Jetzt konnte er nicht mehr widerstehen und berührte kurz die feuchte Seide ihres Slips. Als er die Hand wieder fortnahm, gab Isabella einen kleinen Protestlaut von sich, und er berührte sie erneut. Er spürte, wie bereit sie für ihn war, hörte Isabella unzusammenhängende Worte flüstern, die er nicht verstand. Sie sprach Englisch und Portugiesisch durchein ander, und ihre Stimme war flehend und voller Verlangen. Rhythmisch und zielstrebig begann er, sie zu streicheln. Hatte er nicht davon geträumt, sie so vor sich zu haben, hingebungsvoll ausgestreckt auf seinem Bett? Sich verlangend windend, während sie an nichts anderes dachte
als ans Vergnügen, die dunklen Locken ungebändigt über sein Kissen gebreitet… Er lächelte und reizte sie mit dem Finger. Schwer atmend beugte er sich über sie und nahm ihre Brustspitze in den Mund, ohne sein erregendes Spiel zu unterbrechen. Ihr war, als hätte sie eine andere Welt betreten, in der es nur noch Gefühle gab. Lust, die Paulo ihr bereitete. Und er schien genau zu wissen, was er tun musste, um sie in immer größere Erregung zu versetzen. Er spürte, wie Isabella sich anspannte. Das konnte nur eins bedeuten. Ihre ekstatisch verzückten Züge sagten ihm, dass sie alles um sich her vergessen hatte und nur noch auf das wartete, was jetzt in ihr geschehen würde. Er beschleunigte das Tempo seiner Berührungen, dabei beschwor er in ihrer Muttersprache erotische Bilder herauf, die Isabella förmlich dahinschmelzen ließen. »Paulo!« schrie sie selbstvergessen. Er lächelte, als er sah, wie sie sich ihm entgegenbog, als er hörte, wie sie lustvoll aufstöhnte, als sie die Erfüllung fand. Gebannt beobachtete Paulo, wie Isabella allmählich ruhiger wurde und sich an ihrem Hals eine verräterische Röte auszubreiten begann. Ein kleiner Seufzer entrang sich Isabellas Kehle, und sie reckte sich träge wie eine Katze. Endlich öffnete sie die Augen und sah ihn an. »Oh!« flüsterte sie verwirrt. »Was war das?« Er hatte es vermutet. Nein, im tiefsten Inneren hatte er es gewusst. Doch Isabellas Frage – mit allem, was sie bedeutete – erfüllte ihn mit einem berauschenden Macht gefühl. Jetzt wusste er es. Robert hatte mit ihr ein Kind gezeugt. Aber sie hatte dabei nichts empfunden. »Das war das Vergnügen, das du verdient hast, querida«, bemerkte er zufrieden. »Und dieses Vergnügen werde ich dir wieder und immer wieder bereiten.«
»Immer wieder?« Isabella sah ihn verklärt an. Paulo lächelte. »Sooft du möchtest. Aber lass uns nun endlich diese Sachen loswerden.« Wenn er jetzt nicht handelte, würden sie nie miteinander schlafen. Doch das wollte er unbedingt. Er konnte es kaum noch erwarten, Isabella zu spüren, Haut an Haut, Körper an Körper. Zielstrebig ertastete Paulo den Seitenreißverschluss ihres Kleides und zog ihn auf. Mit bebender Hand streifte er es ihr über die Hüften. Es war lange her, seit er eine Frau so ausgezogen hatte. Die Frauen, mit denen er nach Elizabeths Tod geschlafen hatte, waren alle sehr erfahren gewesen. Und so willig. So ordentlich. Selbstverständlich waren sie erst ins Bad verschwunden, ehe sie ins Bett kamen, gewaschen, die Zähne geputzt und geduscht, und sie hatten nach Parfüm und Seife und chemischen Essenzen geduftet. Während Bella… sie roch wie eine richtige Frau. Er beugte sich über sie, um einen Strumpf zu lösen, und wieder erreichte ihn ihr Duft. Paulo war versucht, den Kopf in dem dunklen Haarbüschel zu bergen, das sich verlockend zwischen ihren zarten Schenkeln darbot. Später, dachte Paulo. Alles das und viel mehr konnten sie tun aber später. Er ließ das Kleid zu Boden fallen, Strümpfe und Strumpfbänder folgten, so dass Bella nur noch in BH und Slip vor ihm lag. Ihre Brüste unter der schwarzen Spitze des BHs waren geschwollen, und Paulo hoffte, dass Isabella nicht ausgerechnet jetzt das Baby stillen musste. Dann fiel ihm ein, dass sie das nach dem Abendessen getan hatte, und er seufzte erleichtert auf. Während er ihr den Spitzenslip herunterstreifte, bemühte er sich, sie nicht zu berühren, weil er nahe daran war, die Beherrschung zu verlieren. »Bleib im Bett«, drängte er. »Berühr mich wieder«, flehte sie, doch er schüttelte den
Kopf. »Wenn ich es jetzt tue, kann ich für nichts mehr garantieren«, erwiderte er heiser, und seine Augen funkelten vor Begehren. »Erst muss ich mich ausziehen.« Gebannt sah Isabella zu, wie Paulo sich rasch seiner Kleidung entledigte. Sein muskulöser Körper schimmerte in dem schwachen Licht, das von draußen hereinfiel, und Isabella flüsterte, ohne nachzudenken: »Gato…« Lächelnd glitt er zu ihr, zog sie in die Arme und strich ihr die Locken aus dem Gesicht. »Aber ich verstehe davon nicht viel«, gestand Isabella scheu. »Ich bringe dir alles bei«, versprach Paulo und spürte, wie sie in seinen Armen erbebte. Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Nasenspitze, dann auf die Lippen. Es war ein zarter, erkundender KUSS, der immer leiden schaftlicher wurde, bis Paulo nicht mehr warten konnte. Er schob sich über Isabella und stützte sich mit den Ellbogen ab, als sie ihm die üppigen Brüste entgegenhob. »Angst?« fragte er leise. Isabella sah ihn mit großen Augen an. »Warum sollte ich Angst haben?« »Es ist das erste Mal seit der Geburt. Ich werde sehr behutsam sein.« Sie spürte, wie er sich ihr entgegendrängte, und hob ihre Hüften etwas an, so dass er sanft in sie eindringen konnte. »Tu, was du möchtest, Paulo«, hauchte sie erschauernd. Er wagte einen langsamen, kraftvollen Stoß, dann einen zweiten. Erregt suchte Paulo ihren Mund, bewegte die Zunge im gleichen erotisierenden Rhythmus und wurde immer schneller, bis Isabella die Beherrschung zu verlieren begann. Als sie die Lippen wie zu einem Schrei öffnete, wusste er, dass sie es nochmals erleben würde. Nun konnte er nicht mehr warten. Nichts auf der Welt hätte ihn jetzt aufhalten können. Paulo spannte sich an und wusste, dass er das, was nun kommen würde, noch nie
erlebt hatte. Und so war es. Unvergleichlich.
12. KAPITEL Paulo öffnete die Augen, und ihm wurde bewusst, dass sein Kopf auf Isabellas Brüsten lag. Und dass sie versuchte, unbemerkt unter ihm fortzuschlüpfen. Sofort zog er sie wieder in die Arme. »Nein«, sagte er schläfrig. »Du darfst nicht weggehen.« »Paulo«, flüsterte Isabella. »Ich muss. Estella schreit, und ich muss sie stillen.« Widerstrebend rollte er sich auf die Seite und knipste das Licht an. Er blinzelte, geblendet von der plötzlichen Helligkeit, und sah zu, wie Isabella in ihrer nackten Schönheit aus dem Bett stieg. »Kommst du wieder?« fragte er verlangend. Isabella streifte sich das rote Kleid über, ohne sich um die Unterwäsche zu kümmern. Da das Kleid vorn geknöpft wurde, konnte sie das Baby bequem stillen, danach duschen und… Sie schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Es ist zwei Uhr morgens.« Träge stützte Paulo den Kopf auf einen Arm und beo bachtete sie. »Na und?« »Wenn ich Estella gestillt und frisch gewindelt und sie wieder schlafen gelegt habe, ist von der Nacht nicht mehr viel übrig. Dann bleibt mir keine Zeit mehr, hierher zurückzukommen.« Während des leidenschaftlichen Liebesspiels hatte er gemerkt, dass sie es mochte, wenn er die Dinge beim Namen nannte. »Aber ich bin mit dir noch nicht fertig«, forderte er sie
heraus. Der sinnliche Ton verfehlte seine Wirkung auf Isabella nicht, doch sie war nicht nur Geliebte, sondern auch Mutter. Und auch Paulo musste an seine Vaterpflichten denken. Sie hob Slip und BH vom Teppich auf und sah Paulo fest an. »Ich sollte besser nicht hier sein, wenn Eddie auf wacht.« »Das brauchst du auch nicht. Sein Zimmer liegt am Ende des Flurs, und er schläft wie ein Murmeltier. Das weißt du doch«, drängte er. »Außerdem wache ich immer als Erster auf.« »Und wenn Eddie ausnahmsweise einmal früher auf steht als sonst?« »Er klopft immer an.« »Aber es könnte doch sein, dass wir verschlafen«, gab Isabella zu bedenken. »Dann stelle ich den Wecker.« »Paulo!« »Schon gut, schon gut.« Er setzte sich im Bett auf und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte dunkle Haar. Bella hatte ja Recht. Aber ihre Beharrlichkeit nervte ihn, denn in diesem Augenblick begehrte er sie so sehr, dass er Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hätte, um sie wieder bei sich im Bett zu haben. Isabella strich sich das Haar zurück und warf ihm eine Kusshand zu. »Gute Nacht.« »Komm sofort her, und küss mich richtig.« »Und wenn ich es nicht tue?« Paulo lachte sinnlich. »Rate mal, was dann passiert.« Klopfenden Herzens ging sie zum Bett und beugte sich so über ihn, dass er einen gewagten Einblick in die Mulde zwischen ihren Brüsten hatte. Isabellas Gesicht, ihr Mund gerieten in Paulos Blickfeld, dann küsste sie ihn zärtlich auf die Lippen und kehrte zur Tür zurück.
Fast hätte er gefragt: Wann sehe ich dich wieder? Doch ihm fiel ein, dass das nun möglich war, wann immer er wollte. Er seufzte und kuschelte sich zufrieden lächelnd ins Kissen. Innerhalb weniger Sekunden war er einge schlafen. Nachdem sie Estella gestillt hatte, wechselte Isabella die Windeln und sang der Kleinen eine Weile sanft etwas vor. Der Säugling in ihren Armen atmete ruhig und ahnte nicht, was in seiner Mutter vorging. Schließlich legte sie ihn in seine Wiege, deckte ihn liebevoll zu und betrachtete ihn lange. Welche Folgen eine Liebesnacht haben kann, dachte Isabella und wandte sich ab, weil ihr Tränen in die Augen traten. Ihr verzweifelter Versuch, Paulo zu vergessen, hatte ihr dieses winzige Wesen beschert. Auch die heutige Nacht war unwiderruflich, wenn auch aus anderen Gründen. Sie dachte an Paulos Zärtlichkeit, an seine Leidenschaft. Er hatte alles darangesetzt, um sie in sein Bett zu bekommen. Und er begehrte sie nicht nur körperlich… Die letzte Nacht war unwiderruflich, weil sie eines endgültig besiegelt hatte, das wusste Isabella jetzt: Sie liebte Paulo Dantas, und sie würde ihn immer lieben. Doch damit war sie verwundbar geworden. Er war uneingeschränkt ehrlich zu ihr gewesen. »So lange es dauert«, hatte er gesagt. »Bis es vorbei ist.« So wie er vorgeschlagen hatte, ihre Leidenschaft auszuleben. Das hatten sie nun getan. Was würde jetzt kommen? Isabella streifte das rote Kleid ab und warf es in den Wäschekorb. So viel stand fest: Sie musste sich einen Rest ihrer Unabhängigkeit bewahren, und sei es nur, um sich zu beweisen, dass sie Paulo nicht brauchte. Wenn sie ohne ihn nicht mehr sein konnte, war sie verloren. Das Letzte, was sie riskieren durfte, war, völlig von ihm abhängig zu sein, diesem Mann mit dem herrlichen,
kraftvollen Körper und dem wachen Geist hörig zu werden. Gegen Hörigkeit war man machtlos. Dazu durfte es niemals kommen. Isabella erwachte frühzeitig und stillte das Baby, danach duschte sie ausgiebig und erschien gleichzeitig mit Eddie im Esszimmer. »Guten Morgen, mein Liebling«, begrüßte sie ihn lä chelnd. »Hallo, Bella. Wo ist Estella?« »Rate mal.« Eddie grinste. »Sie schläft.« »Richtig. Aber wenn du willst, kannst du zu ihr gehen und nach ihr sehen, ehe du dich auf den Schulweg machst.« Der Junge strahlte, und Isabella fügte hinzu: »Weißt du was? Wenn du heute Abend nach Hause kommst, kannst du mir helfen, sie zu baden. Hast du Lust dazu?« »O ja, Bella, darf ich?« »Was darfst du?« fragte Paulo verschlafen und betrat das Esszimmer. »Hallo, Papa! Isabella sagt, ich könne ihr heute Abend helfen, Estella zu baden!« »Fein.« Paulo setzte sich Isabella gegenüber, schenkte sich ein Glas Orangensaft ein und prostete ihr stumm zu. Es fiel ihr nicht leicht, sich gelassen zu geben. Was hatte Paulo vor? Sonst erschien er zum Frühstück bereits fertig fürs Büro in Anzug und Krawatte. Was tat er dann also barfuß und unrasiert in einem verblichenen alten T-Shirt und den Jeans, die er am Abend zuvor getragen hatte? Und jetzt schob er den nackten Fuß unter dem Tisch auch noch sinnlich an ihrem Bein hoch! Isabella zog das Bein zurück, als hätte Paulo eine anste ckende Krankheit, und wollte sich eine Tasse Kaffee einschenken, doch ihre Hand zitterte so sehr, dass sie es nicht wagte. Sie fing seinen Blick auf. »Kommst du nicht zu spät in die
Firma, Paulo?« fragte sie bedeutsam. »Zu spät?« Er lächelte amüsiert. »Ich bin der Direktor der Bank, querida. Wenn mir danach ist, kann ich auch mal später erscheinen.« »Aber Dad.« Eddie runzelte die Stirn. »Du hast mir doch gesagt, dass du als Direktor immer mit gutem Beispiel vorangehen musst. Und dass du nur zu spät kommen darfst, wenn es einen triftigen Grund dafür gibt. Damals, als ich nicht zur Schule gehen wollte, weil wir eine Mathearbeit schreiben sollten, hast du mich hingebracht.« »Da hat er Recht, Paulo.« »So?« Seine Augen funkelten unternehmungslustig, und er atmete tief durch. »Na ja, ich dachte, ich arbeite heute mal zu Hause.« Isabella wusste genau, worauf er hinauswollte. Aber da spielte sie nicht mit. Wenn sie Paulo ständig um sich hatte, würde sie den Verstand verlieren. »Schade, dass ich dann nicht da sein werde«, bemerkte sie lächelnd. Paulo runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?« »Ich fahre mit Estella zum Arzt.« Besorgt fragte er: »Was ist mit ihr?« »Nichts.« Isabellas Züge wurden weicher. »Es gibt nur eine Kontrolluntersuchung.« »Dann kann der Arzt herkommen. Ich dachte, darauf hätten wir uns geeinigt.« »Nein«, widersprach sie bestimmt. »Das war, als ich schwanger und erschöpft war. Ich muss auch mal hier raus, Paulo. Und wie alle Babys braucht Estella frische Luft. Stimmt’s?« Paulo sah sie durchdringend an. »Ja. Sicher.« Plötzlich hatte Isabella keinen Appetit mehr. Sie ließ den Rest ihres Croissants auf dem Teller liegen und ging in den Wäscheraum, um ein frisches Kinderlaken zu holen. Während sie es über die Unterlage im Kinderwagen
breitete, hörte sie Paulo hinter sich herankommen. Sie war darauf vorbereitet, dass er sie berührte, doch er tat es nicht. Als sie sich zu ihm umdrehte, glitzerten seine Augen ärgerlich. »Was hast du, querida?« fragte er leise. So geschickt hatte ihn noch keine Frau abgewiesen, und sein Verlangen wuchs. »Bereust du, was zwischen uns gewesen ist?« »Nein, natürlich nicht.« »Warum ziehst du dich dann von mir zurück?« Isabella blickte über Paulos Schulter, um sich zu verge wissern, dass niemand sie beobachtete. »Jessie ist hier«, sagte sie leise. »Was erwartest du da?« Er machte eine gleichmütige Handbewegung. »Ich gebe ihr heute frei.« »Nein!« »Aber ja…« »Du bleibst heute zu Hause und gibst Jessie frei, damit du und ich den Rest des Tages im Bett verbringen können?« Paulo lächelte zufrieden. »Klingt prima, finde ich.« »Finde ich überhaupt nicht! Das ist das Letzte, was ich möchte.« Vielleicht war das übertrieben, aber Isabella musste ihm klarmachen, wie sie die Dinge sah. Es folgte ein langes, bedrückendes Schweigen. »Würdest du mir das erklären?« Isabella seufzte. Das war nicht einfach. Sie begehrte Paulo… sie begehrte ihn zu sehr, das war das Problem. »Paulo, ich brauche sehr viel Zeit für mein Baby und kann es mir nicht leisten, mich in eine heiße Affäre mit dir zu stürzen.« »Das eine muss das andere doch aber nicht ausschlie ßen.« »Nein, natürlich nicht. Ich halte es aber für wichtig, für Estella da zu sein. Wenn sie unser Baby wäre, würden wir nur Augen für sie haben, statt füreinander…«
»Aber sie ist nun mal nicht unser Baby«, sagte Paulo traurig. »Nein. Deshalb muss ich mich ihr widmen und eine Beziehung zwischen uns aufbauen. Wenn ich ständig mit dir im Bett bin, ist das nicht möglich, Paulo.« Isabella sah ihn bittend an. »Das musst du doch verstehen.« Er seufzte tief. Im Grunde genommen wollte er es ja auch gar nicht anders. Wenn Isabella sich in Liebesspielen mit ihm verlieren würde und deshalb das Baby vernachlässig te, würde ihn das sogar abgestoßen. »Ich glaube, du hast Recht.« Er seufzte erneut. »Aber die Nächte sollten uns gehören, Bella.« Er warf ihr einen bedeutsamen Blick zu. »Einverstanden?« »Ja, sicher.« Sie wollte sein Gesicht berühren, doch er ergriff ihr Handgelenk und hielt es fest. »Nein, Bella«, sagte er leise und schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht beides haben. Du kannst mich nicht lieben und mich dann den ganzen langen Tag warten lassen.« Er presste seine Lippen auf ihre und küsste sie so verlangend, dass ihr fast schwindlig wurde. Als er sie unvermittelt freigab, sah sie ihn betroffen an. »Siehst du«, erklärte er lächelnd. »Es tut weh, nicht wahr, meine süße querida?« Ehe ihr eine passende Antwort einfiel, drehte Paulo sich um und ging davon. Gegen Abend hatte Paulo sich etwas beruhigt, aber das lag sicher daran, dass er die Nacht kaum erwarten konnte. Auf der Rückfahrt von der Bank hielt er bei einem Blu mengeschäft an und kaufte einen herrlichen Strauß duftender weißer Blumen. Außerdem besorgte er eine Schachtel Pralinen und ein Video für Eddie. Zu Hause war alles seltsam still. Eddie beschäftigte sich im Arbeitszimmer mit seinen Schularbeiten, und Isabella saß im kleinen Salon vor dem Kamin und stillte das Baby. Sie hatte Paulo nicht kommen hören und sprach liebevoll mit der Kleinen, ohne zu merken, dass er an der Tür stand.
Am liebsten wäre er zu Bella gegangen und hätte sie geküsst. Stattdessen sagte er nur leise: »Hallo.« Sie blickte auf, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. »Hallo.« »Hattest du einen schönen Tag?« »So könnte man es nennen.« Sie zögerte. »Paulo… wegen heute Morgen…« »Es tut mir Leid.« »Nein, mir tut’s Leid…« »Ich hab’s zuerst gesagt«, neckte er sie und überreichte ihr den Blumenstrauß, den er hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte. »Für mich?« »Für wen sonst?« Isabella barg das Gesicht in den Blüten und sog ihren Duft ein. Dann sagte sie ernst: »Jessie…« »Wo ist sie?« Paulo schnupperte neugierig. Ja, das war’s, was fehlte. Wenn er sonst aus der Firma nach Hause kam, hantierte Jessie geschäftig in der Küche und bereitete das Abendessen zu. Heute jedoch gab es keine verlockenden Düfte. »Wo ist sie?« wiederholte er. »Unterwegs, um Champagner zu kaufen.« Stirnrunzelnd überlegte Paulo. »Aber wir haben genug Champagner im Keller.« »Das weiß ich. Sie wollte ihren eigenen spendieren.« »Querida, du sprichst in Rätseln.« Isabella atmete tief ein. »Jessie hat sich verlobt.« »Tatsächlich?« Paulo schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht glauben.« »Es stimmt aber. Du kannst Jessie gleich selbst fragen.« Die Haustür wurde geöffnet. In der Diele ertönten Schritte, kurz darauf betrat Jessie, eine Flasche Champag ner im Arm, atemlos den Raum. »Jessie, ist das wahr?« fragte Paulo gespielt ernst. »Wol
len Sie den großen Schritt wirklich wagen und heiraten?« »Ja.« Jessie strahlte. »Ist es nicht wunderbar?« »Doch, sicher«, erwiderte Paulo langsam. »Es kommt nur ziemlich überraschend, das ist alles.« »Für mich kam es das auch, als Simon mir den Antrag machte«, gestand Jessie. »Vor allem, weil wir uns eigent lich noch gar nicht so lange kennen, und…« Sie lächelte scheu, fast entschuldigend. »Er möchte, dass ich bei Ihnen zu arbeiten aufhöre, sobald Sie mich entbehren können. Sie brauchen mich doch sowieso nicht mehr lange, nicht wahr?« Paulo schwieg betroffen. Sein ganzes wohl geordnetes Leben schien plötzlich aus den Fugen zu geraten. »Sie wollen kündigen?« Leicht verwundert sah Jessie ihn an. »Natürlich. Ich kann hier doch nicht den Haushalt führen, wenn ich zu Hause einen Ehemann habe.« Sie blickte lächelnd zu Isabella. »Außerdem habe ich den Eindruck, dass ich hier überflüs sig geworden bin. Sie brauchen mich nicht mehr, Paulo. Jetzt haben Sie Isabella und das Baby.« Er wollte etwas erwidern, verzichtete dann jedoch darauf. Dies war nicht der richtige Augenblick, um an sich zu denken. Bisher war Jessie für ihn unentbehrlich gewesen. Sie hatte ihn all die Jahre über versorgt und unterstützt, da musste er sich mit ihr freuen. »Gratuliere, Jessie.« Lächelnd schüttelte er ihr die Hand und umarmte sie spontan. Über ihren Kopf hinweg versuchte er, mit Isabella Blickkontakt aufzunehmen, doch sie schien völlig mit dem Baby in ihren Armen beschäftigt zu sein. »Und jetzt sollten wir die Flasche aufmachen und Pizzas bestellen«, schlug er vor. »Das muss gefeiert werden.« Das Abendessen fand ausgelassen und leicht chaotisch im Esszimmer statt, nachdem Jessie Simon angerufen und ihn zum Mitfeiern herbeigeholt hatte. Es war nicht zu
übersehen, dass der Bibliothekar, ein großer, sympathi scher Mann, sehr verliebt in seine zukünftige Frau war. Bei Isabella regte sich fast so etwas wie leiser Neid. Dennoch lächelte sie, als alle, selbst Eddie, die Gläser hoben und auf das frisch verlobte Paar anstießen. Nachdem Jessie und Simon sich überschwänglich verab schiedet hatten, begann der Junge zu gähnen. »Na komm, mein Sohn«, sagte Paulo leise und schloss die Haustür. »Zeit fürs Bett.« Eddie gähnte erneut. »Gute Nacht, Bella.« »Gute Nacht, mein Liebling.« Während Isabella angebissene Pizzastücke wegwarf und die abgestandenen Champagnerreste in die Spüle goss, fühlte sie sich seltsam nervös, erst recht, als sie sich umdrehte und sah, dass Paulo sie beobachtete. »Lass das doch stehen«, riet er irritiert. »Aber…« »Lass das stehen, Bella«, beharrte er. »Verflixt noch mal, komm endlich her, und küss mich, bevor ich verrückt werde.« Darum brauchte er sie nicht zwei Mal zu bitten. Sie schmiegte sich in seine Arme und bot ihm erwartungsvoll die Lippen. Dann gab es nichts anderes mehr als die Glut seines Kusses. Schließlich hob Paulo ihr Kinn leicht an, so dass sie ihn ansehen musste, und bemerkte die dunklen Schatten unter ihren Augen. »Du bist müde«, stellte er besorgt fest. »Überrascht dich das?« Isabella lächelte. Er schüttelte den Kopf und wurde erregt, als er an die leidenschaftlichen Stunden der letzten Nacht dachte. »Nein. Es war unser erstes Mal, und ich war unersättlich. Ich konnte einfach nicht genug von dir bekommen.« »Das habe ich gemerkt«, flüsterte Isabella. »Aber habe ich mich beklagt?« »Nein.« Paulo zog ihre Hand an die Lippen und küsste
jede Fingerspitze einzeln. »Doch heute Nacht wirst du schlafen.« Beunruhigt sah Isabella ihn an. Sicher, sie wollte nicht nur für Paulo da sein. Deshalb hatte sie ihn am Morgen zur Arbeit geschickt. Doch die Nächte sollten ihm gehören. Oder begehrte er sie jetzt nicht mehr? War sein Verlangen gestillt? »Du meinst, allein?« Paulo lachte, als hätte Isabella etwas Unanständiges vorgeschlagen. »Nein, mit mir. In meinen Armen. Aus nahmsweise ohne Sex.«
13. KAPITEL »Isabella, da kommt ein Fax von Paulo für Sie!« »Bin gleich da. Danke, Jessie.« Sorgsam deckte sie Estella zu, ehe sie ins Arbeitszimmer ging, um nachzusehen, was für eine Nachricht Paulos Faxgerät ausspuckte. »Was steht denn drin?« Jessie wirkte leicht beleidigt. »Ich hab’s nicht gelesen. Es könnte ja auch persönlich sein.« Isabella nahm das Blatt auf. Inzwischen war es ein unausgesprochenes, aber offenes Geheimnis, dass sie nachts bei Paulo schlief. Das war deutlich geworden, als Jessie Isabellas vermisste Halskette beim Aufräumen hinter der Matratze in seinem Zimmer gefunden hatte. Immerhin war Jessie jedoch so taktvoll gewesen, keine Fragen zu stellen. In letzter Zeit war sie mehr damit beschäftigt, ihren Verlobungsring zu betrachten. Isabella lächelte ihr zu. »Jetzt sind’s nur noch wenige Tage, Jessie. Sie werden Paulo sehr fehlen.« Die Wirtschafterin schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Er braucht mich jetzt nicht mehr. Nun beginnt für uns beide ein neues Leben.« Isabella hörte kaum noch hin, weil sie das Fax überflog.
Es war die Kopie eines Zeitungsausschnitts aus einem der größten, landesweit verbreiteten Blätter Brasiliens. Das Erscheinungsdatum lag eine Woche zurück. Ein Mädchen für Isabella Fernandes und Paulo Dantas. Voller Stolz und Freude gibt Luis Jörge Fernandes die Geburt seiner Enkelin Estella Maria in London, Eng land, bekannt. Aufgebracht zerknüllte Isabella das Papier und ging in die Diele, als das Telefon klingelte. Sie nahm den Hörer ab. Das konnte nur Paulo sein. Er war es. »Hast du mein Fax bekommen?« fragte er. »Ja.« Isabella schwieg. Sicher, alle hielten Paulo für den Vater. Es jedoch in der Zeitung zu lesen… »Mir fehlen die Worte! Dazu hatte mein Vater kein Recht. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist!« »Nein?« erwiderte Paulo trocken. »Ich kann es mir gut vorstellen. Offenbar will er uns Gewissenbisse verursachen und uns so zum Heiraten zwingen.« »Gewissensbisse?« »Du weißt, was ich meine. So sieht er es jedenfalls.« »Dann werde ich ihn gleich mal anrufen und die Dinge klarstellen«, erklärte Isabella gereizt. Längeres Schweigen folgte. »Es sei denn, du möchtest es«, bemerkte Paulo. Isabella blickte auf den Hörer in ihrer Hand. »Was?« »Heiraten.« Wenn das ein Antrag sein sollte, ließ er viel zu wünschen übrig. Falls Paulo ihn ernst meinte. Isabella fragte sich, ob das nicht wieder nur seine Art von fragwürdigem Humor war. »Ich lasse mich nicht erpressen«, erklärte sie scharf. Wieder schwieg Paulo lange. »Also gut, Bella. Aber ruf deinen Vater bitte erst an, nachdem wir darüber gespro
chen haben.« »Paulo…« »Nicht jetzt, Bella. Ich bin im Büro und habe zu tun. Wir können alles bereden, wenn ich nach Hause komme.« Isabella legte auf und war so durcheinander wie noch nie in ihrem Leben. Sie war froh, dass das Wochenende bevorstand und Eddie bei einem Schulfreund übernachten wollte. Geistesabwesend schaltete sie den Ofen ein, in den Jessie einen vorbereiteten Auflauf geschoben hatte. Als Paulo später die Küche betrat, bemerkte er das zornige Funkeln in Isabellas Augen und beschränkte sich auf ein bedeutsames: »Hallo.« Auf einen Begrüßungskuss verzichtete er. Es fiel ihr schwer, sich beherrscht zu geben. »Hallo«, erwiderte sie einsilbig. Paulo entkorkte eine Flasche Wein und schenkte sich ein Glas ein. »Möchtest du auch welchen?« »Nein, danke«, erwiderte Isabella steif. Schweigend trank Paulo einen Schluck Wein und beo bachtete sie. »Ach komm, Bella«, sagte er schließlich seufzend. »Auf wen bist du wütend? Auf mich oder auf deinen Vater?« »Auf euch beide! Und auf deinen herablassenden Hei ratsantrag kann ich verzichten, Paulo Dantas! Weil Jessie geht, fühlst du dich verraten! Aber langfristig ist es bestimmt billiger, eine neue Wirtschafterin einzustellen, als zu heiraten. Ganz sicher bringt das weniger Probleme mit sich!« »Da hast du Recht«, erwiderte Paulo kühl und verließ die Küche. Befremdet sah Isabella ihm nach. Sie hatte erwartet, dass Paulo versuchen würde, ihr leidenschaftlich klarzuma chen, warum er sie unbedingt ehelichen wolle. Stattdessen reagierte er gleichgültig und ließ sie einfach stehen.
Damit bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen: Er wollte sie eigentlich gar nicht heiraten. Gleich darauf verließ Paulo das Haus, ohne sich zu verab schieden oder Isabella zu sagen, wohin er ging. Zum ersten Mal, seit sie ein Liebespaar waren, verbrachte Isabella die Nacht in ihrem eigenen Zimmer. Hellwach lag sie in ihrem Bett und hörte Paulo erst lange nach Mitternacht zurück kehren. In den einsamen Stunden bis zum Morgengrauen wurde Isabella schmerzlich bewusst, wie sehr er ihr fehlte. Sie vermisste ihn im Bett. Nicht nur als Liebhaber. Sie vermisste auch, wie er sie nachts in den Armen hielt. Seine Zärtlichkeit nach dem Sex. Wie er den Arm besitzergreifend über sie legte. Er gab ihr Wärme und das Gefühl von Geborgenheit… Irgendwann musste Isabella eingeschlafen sein. Als Estella sie morgens um sechs weckte, fühlte sie sich wie zerschlagen. Nachdem sie das Baby gestillt und gewickelt hatte, lohnte es sich nicht mehr, ins Bett zurückzukehren. Also duschte sie ausgiebig und ließ sich mit dem An kleiden Zeit. Nur aus Gewohnheit brühte sie Kaffee auf und bereitete Toast zu. Insgeheim hoffte sie, die Geräusche würden Paulo aus seinem Zimmer locken. Doch er erschien nicht zum Frühstück. Und der Stolz verbot ihr, zu ihm zu gehen. Schließlich zog Isabella das Baby warm an und packte es in den Kinderwagen. Der Park lag verlassen da, und es war bitterkalt. Die Bäume hatten das letzte Laub verloren, und alles wirkte nackt und öde. Isabella nahm die schneidende Kälte kaum wahr und hing ihren Gedanken nach. Vielleicht war es gut, dass ihr Vater die Dinge beschleunigt hatte. Dadurch war sie jetzt gezwungen, eine Entscheidung zu treffen… Estella bewegte sich unter der Decke, und Isabella wurde bewusst, dass sie schon über zwei Stunden
unterwegs war. Niedergeschlagen kehrte sie schließlich nach Hause zurück. Als sie den Kinderwagen in die Diele schob, hörte sie aus dem Salon Männerstimmen. Leise betrat Isabella den Raum. Paulo stand vor dem Kaminfeuer, und seine Miene war finster, fast bedrohlich. Dann bemerkte Isabella den anderen Mann. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, und ihr Blick fiel auf sein Haar, das unordentlich über den Kragen seines alten Leinen Jacketts fiel. Dennoch erkannte Isabella ihn sofort. Es war fast elf Monate her, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, unrasiert und im Alkoholrausch laut schnarchend. Mitten in der Nacht war sie aus seinem Bett geschlüpft und hatte sich entsetzlich geschämt. Doch in jener Nacht war sie schwanger geworden, und obwohl sie den Ausrutscher zutiefst bereute, hätte sie sich jetzt ebenso wenig ein Leben ohne Estella vorstellen können wie ein Leben ohne… »Paulo?« flüsterte sie. »Du hast Besuch, Bella«, erklärte er schneidend. »Willst du ihn nicht begrüßen?« »Hallo, Roberto«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme, doch sie spürte instinktiv, dass ihr Gefahr drohte. Roberto drehte sich um. Angewidert betrachtete Isabella ihn, und ihr wurde eiskalt. Dennoch zeigte sie keine Regung. Als der erfahrene Roberto sie verführt hatte, war sie eine andere gewesen. Er hatte ihre Verletzlichkeit und ihre Abhängigkeit als Studentin gewissenlos ausgenutzt. »Was willst du hier?« fragte sie beherrscht. »Ich glaube, ich lasse euch beide jetzt besser allein«, erklärte Paulo und verließ den Raum. Immer noch konnte Isabella kaum fassen, dass Roberto vor ihr stand. Mit seiner bloßen Anwesenheit befleckte er dieses Haus, das ihr zur zweiten Heimat geworden war. »Wie hast du mich gefunden, Roberto?«
Er zuckte die Schultern. »Ganz einfach. Durch die Geburtsanzeige deines Vaters. Paulo Dantas ist in Brasilien ein bekannter Bankier. Und in England auch, wie es scheint.« Neidvoll sah er sich im Raum um und betrachtete Isabella. »Für eine Frau, die gerade ein Baby zur Welt gebracht hat, siehst du klasse aus.« »Warum bist du gekommen?« fragte sie eisig. »Was glaubst du?« Wieder blickte Roberto sich um. »Wo ist sie?« Das Herz schlug Isabella bis zum Hals. »Wer?« brachte sie mühsam hervor. »Stell dich nicht dumm.« Sie hielt es für klüger, Roberto nicht unnötig aufgebracht und wütend zu machen. »Wo ist sie?« wiederholte er. »Meine Tochter Estella.« Isabella wurde starr vor Angst, doch sie schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen. Sie musste sich stark zeigen. Es ging um ihre Tochter. »Du bist gerade erst angekommen, Roberto«, sagte sie leise. »Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?« Sie sah, dass er zögerte. »Gegen einen guten Schluck habe ich nichts einzuwen den. Dantas war sehr unhöflich zu mir.« Anzüglich betrachtete Roberto Isabellas Brüste, die sich hoben und senkten. »Und ich denke, ich weiß auch, warum.« »Ich hole dir etwas zu trinken.« Isabella floh in die Küche, wo sie sich auf einen Stuhl sinken ließ und mit den Tränen kämpfte. So fand Paulo sie. Er sagte kein Wort, als sie den Kopf hob. Was er in ihren Augen las, machte ihn glücklich. Doch er wollte es von ihr hören. »Begehrst du ihn?« fragte er ruhig. Isabella fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. »Wie kannst du so etwas fragen?« Paulo zwang sich, es auszusprechen. »Er ist der Vater
deines Kindes.« »Paulo«, flehte sie, »bitte hilf mir.« Ihr verzweifelter Ton ging ihm ans Herz. Bei allem, was geschehen war, hatte Isabella bisher nie ihren Kampfgeist verloren. Doch wie sie ihn jetzt ansah, völlig hilflos… hoffnungslos. »Komm mit in den Salon«, forderte Paulo sie auf. »Er möchte etwas trinken.« »Der wird sich wundern!« erklärte Paulo grimmig. Roberto blickte auf, als er sie gemeinsam zurückkommen hörte. »Statt eines Drinks bringst du deinen Liebhaber mit, Isabella«, bemerkte er zynisch und kniff die Augen zusammen. »Aber vielleicht hast du ihm noch gar nicht erzählt, wie intim wir waren.« »Haben Sie die weite Reise gemacht, um an Ihre Glanz leistung im Bett zu erinnern, Bonino?« fragte Paulo täuschend liebenswürdig. Das Blut schoss Roberto ins Gesicht. »Eine sehr weite Reise«, gab er zu. »Aber ich denke, sie war es wert.« »Was wollen Sie? Geld?« In Robertos Augen erschien ein verschlagener Ausdruck. »Ich bin gekommen, um über das Besuchsrecht bei meiner Tochter zu reden.« Entsetzen packte Isabella. »Sie ist nicht Ihre Tochter«, erklärte Paulo bestimmt. Die beiden Männer sahen sich an. »Estella ist meine Tochter«, betonte Paulo. Isabellas Beine drohten unter ihr nachzugeben, und sie blickte voller Panik zu Roberto. »Sie lügen, Dantas«, widersprach er. Paulo schüttelte den Kopf und zog Isabella an sich. »Wir sind ein Liebespaar«, sagte er herausfordernd. »Das waren wir von Anfang an, nicht wahr, querida?« Es stimmte sogar. In ihrem Herzen hatte es nie einen anderen Mann gegeben als Paulo. Sie brachte kein Wort
hervor und nickte nur stumm. »Das… nehme ich… Ihnen nicht ab«, versuchte Roberto stockend, sich zu wehren. »Beweisen Sie, dass Estella Ihre Tochter ist.« Paulos Stimme klang kalt und erbarmungslos. »Los, wenden Sie sich an die britischen Gerichte. Sie können sich auf einen endlosen, ziemlich kostspieligen Prozess gefasst machen und werden verlieren. Das garantiere ich Ihnen.« Einen Moment war Roberto sprachlos. »Und wenn ich gewinne?« Paulo zuckte die Schultern. »Sie werden nicht gewinnen. Wir werden nicht zulassen, dass Sie Estella außer Landes bringen. Selbst wenn Sie sich den Rückflug von Ihrem Dozentengehalt leisten könnten – was ich bezweifle, denn Sie werden es nicht mehr lange beziehen.« Paulos Augen glitzerten gefährlich. »Wenn Sie auf ihrer Forderung bestehen, beauftrage ich die besten Anwälte des Landes, die nachweisen werden, dass Sie als Vater ungeeignet sind. Und das dürfte nicht schwer zu beweisen sein, besonders wenn man Ihre ungewöhnlichen Gepflo genheiten im Umgang mit Ihren Studentinnen unter die Lupe nimmt.« Roberto befeuchtete sich die Lippen. »Ich muss jetzt etwas trinken. Danach gehe ich.« Doch Paulo überhörte die Forderung. »Haben Sie Ihre Dozentenstelle noch?« fragte er in demselben ruhigen Ton. Roberto schluckte. »Natürlich.« Jetzt lächelte Paulo, doch es war ein hartes, grausames Lächeln. »Was, meinen Sie, werden Ihre Vorgesetzten dazu sagen, dass Sie eine Ihrer Studentinnen verführt haben? Sie werden außer sich sein, stimmt’s? Die übrige Studentenschaft sicher auch. Und ihre Eltern? Die würden auf die Barrikaden gehen. Selbst in freizügig denkenden Kreisen wird man kaum ein Auge zudrücken, wenn jemand seine Stellung an der Universität missbraucht,
finden Sie nicht auch?« Roberto hatte zu zittern begonnen und wirkte wie ein in die Enge getriebenes Tier. »Was haben Sie vor?« fragte er kleinlaut. Paulo löste sich von Isabella und trat drohend einen Schritt vor. »Ich hätte Lust, Ihnen das Gesicht zu zerschla gen und Sie zu zwingen, ein volles Geständnis abzulegen, um es der Leitung Ihrer Universität zukommen zu lassen. Ich möchte Sie ins Gefängnis bringen und dafür sorgen, dass Sie nie mehr einen verantwortlichen Posten beklei den…« »Paulo…« »Nein, Bella«, schnitt er ihr das Wort ab und wandte sich wieder dem Mann zu, der in sich zusammenzusinken schien. »Aber ich möchte mir an Ihnen nicht die Finger schmutzig machen, Sie erbärmlicher kleiner Casanova. Deshalb rate ich Ihnen, ein für alle Mal aus Isabellas Leben zu verschwinden.« Um seinen Mund erschien ein unerbitt licher Zug. »Sollten Sie es dennoch wagen, auch nur ein Wort über Ihre… flüchtige Bekanntschaft mit Isabella durchsickern zu lassen, werden wir alles abstreiten und Enthüllungen folgen lassen, die Ihnen bis ans Ende Ihres Lebens Leid tun werden, das dürfen Sie mir glauben.« Er kniff die Augen zusammen. »Ach, und falls mir zu Ohren kommen sollte, dass Sie nochmals fragwürdige Beziehun gen zu einer Ihrer Studentinnen anzuknüpfen versu chen…« Er lächelte grimmig und schüttelte den Kopf. »Tun Sie’s lieber nicht, Bonino«, warnte er. »Und jetzt raus aus meinem Haus, ehe ich’s mir anders überlege und Sie mir vornehme.« Roberto schnappte nach Luft wie ein gestrandeter Fisch. Hilflos wandte er sich Isabella zu, doch als er ihre Miene sah, zuckte er nur die Schultern. Dann drehte er sich um und verließ den Raum. Das Zuschlagen der Haustür war das einzige Geräusch,
das die Stille durchbrach. »Wie soll ich dir je danken?« flüsterte Isabella und streckte die Hand nach Paulo aus, doch er schüttelte den Kopf, und sie ließ den Arm sinken. »Einen erbärmlichen Kerl wie ihn von Estella fern halten zu können, das ist Dank genug«, erwiderte Paulo kühl. »Du brauchst nicht mit mir zu schlafen, um dich erkenntlich zu zeigen, Bella.« »Erkenntlich?« Sie war fassungslos. »Aber gestern hast du mich doch gebeten, dich zu heiraten.« »Wir wissen beide, was du darauf geantwortet hast.« »Ich dachte, du scherzt.« »Scherzen?« wiederholte er ungläubig. »Warum sollte ich mit so etwas scherzen?« Isabella sah ihn fest an. »Weil du keine ,festen Bezie hungen’ mehr willst, wie du mir selbst gesagt hast.« »Ja«, -musste Paulo zugeben. »Es war ziemlich arrogant von mir, so etwas zu äußern. Aber damals dachte ich wirklich so.« »Außerdem hast du mich ganz nebenbei gefragt, ob ich dich heiraten will«, bemerkte Isabella anklagend. »So, als würde dir das eigentlich egal sein.« »Bella«, gab Paulo geduldig zu bedenken, »unsere Beziehung war nie mit normalen Maßstäben zu messen, meinst du nicht auch? Aber wenn du einen Diamantring und einen Kniefall willst…« »Nein!« rief sie. »Du könntest jedoch versuchen, mich zu überzeugen, dass unsere Beziehung sich nicht irgendwann ,totläuft’, wie du vorausgesagt hast. Wenn es sowieso dazu kommt, wozu dann erst heiraten?« Paulo runzelte die Stirn. »Das habe ich nicht gesagt.« »Doch!« Er schüttelte den Kopf. »Nein«, widersprach er. »Du hast gefragt, wie lange wir ein Liebespaar sein würden, und ich habe geantwortet, das wüsste ich nicht… bis es
sich totläuft. Aber das wird nicht geschehen, nicht wahr, Bella?« fragte er leise. »Das wissen wir beide.« Er sah, dass ihre Lippen bebten, und lächelte siegessicher. »Wir lieben und achten uns und harmonieren wunderbar miteinander. Und ich bin glücklich, wenn ich mit dir zusammen bin. Was uns verbindet, findet man nur selten, glaub mir, querida.« »Warum hast du es dann gesagt?« »Warum?« Nachdenklich strich Paulo ihr übers Haar. »Weil ich verletzt und enttäuscht war. Und wütend auf mich selbst, weil ich nicht verhindert habe, dass ein anderer dein Liebhaber wurde. Dennoch wollte ich dich beschützen, auf dich aufpassen. Schon damals hätte ich dir am liebsten einen Heiratsantrag gemacht, aber du warst noch so jung, und ich wollte dir Zeit lassen. Deshalb war ich bereit zu warten. Und ich dachte, wenn wir erst mal miteinander schlafen…« »Was dann?« fragte Isabella mit unsicherer Stimme. »Dann würdest du wissen, wie sehr ich dich liebe.« Paulos Züge wurden weich. »Ich war sicher, dich mit meinem Verhalten überzeugen zu können, dass es für mich keine andere Frau mehr gibt.« Er lachte sinnlich. »Bella, glaubst du etwa, ich sei bei jeder Frau, mit der ich geschlafen habe, im Bett so gewesen wie bei dir?« »Sprich ja nicht mehr von ihnen!« warnte sie. Lächelnd sah Paulo ihr in die Augen. »Ich liebe dich. Frag mich nicht, wie und wann es passiert ist, Bella. Es ist einfach so.« Sie strich ihm zärtlich über das Kinn. »Ich habe dich immer geliebt, Paulo«, gestand sie fast scheu. »Schon als Kind. Aber als ich schwanger wurde, habe ich mich so geschämt, dass ich dachte, niemand würde mich mehr lieben können.« »Und jetzt denkst du das nicht mehr?« »Nein, Paulo! Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt.«
Als er die Arme ausbreitete, schmiegte Isabella sich selig an ihn. »Jetzt fehlen nur noch die Geigen«, flüsterte Paulo und küsste sie.
14. KAPITEL Isabella wandte sich vom Spiegel ab, und ihr Brautkleid raschelte leise. »Wie sehe ich aus?« »Verführerisch, querida. So sexy, dass ich dir das Kleid am liebsten gleich wieder ausziehen und dich den ganzen Nachmittag über lieben möchte. Aber leider«, fügte er dramatisch hinzu und befestigte einen goldenen Manschet tenknopf, »muss ich zu einer Hochzeit.« »Brautkleider sollen auch sexy aussehen«, gab Isabella zu bedenken. »Deswegen habe ich mir das hier ja ausge sucht.« »Ja, sicher«, bemerkte Paulo trocken. »Aber ich habe den Verdacht, dass du mich auch in einem Sack verrückt machen würdest.« »Wunderbar.« Isabella lächelte zufrieden. »Meinst du, wir sollten mal kurz bei Papa anklopfen? Die Wagen müssen gleich hier sein, und wir wollen doch nicht zu spät kommen.« »Ich war gerade bei ihm«, berichtete Paulo. »Er trägt seinen Cut und spielt mit den Kindern. Eddie ist begeistert von ihm.« »Estella auch.« Nachdem Luis sich überzeugt hatte, dass seine Tochter glücklich war, zeigte er sich sehr angetan von dem Leben, das sie mit Paulo und ihren Kindern in London führte. »Kein Heimweh?« hatte er anfangs besorgt gefragt. Bella hatte zu Paulo geblickt. »Meine Heimat ist jetzt hier«, hatte sie schlicht geantwortet.
Eher beiläufig hatte Luis erwähnt, er habe die Leitung der Ranch seinem Manager übertragen und wolle sich in Salvador ein Apartment kaufen. Nachts im Bett hatte Paulo Bella eingeweiht, dass ihr Vater schon seit längerem eine Romanze hatte. »Meinst du wirklich?« »Er deutete so etwas an, als ich ihn vom Flughafen abgeholt habe.« Paulo betrachtete Bellas Gesicht im Mondlicht. »Er kennt die Dame schon lange… aber er wollte warten, bis du verheiratet bist. Macht es dir etwas aus, dass er eine neue Liebe gefunden hat?« »Ausmachen?« Isabella lächelte verklärt. »Nichts liegt mir ferner als das! Dazu bin ich selbst viel zu glücklich. Ich könnte jedem nur raten, die große Liebe zu heiraten.« »Fein«, sagte Paulo in sinnlichem Ton und küsste sie. Isabella hatte ihrem Vater anvertraut, dass sie den Universitätsabschluss nachholen würde. »Sie ist noch jung genug, um alles zu verwirklichen, was sie sich vorgenommen hat«, hatte Paulo dazu bemerkt. »Solange er dir nicht weitere Babys beschert«, hatte ihr Vater sie geneckt und seiner Enkelin liebevoll das Haar gezaust. Daraufhin hatten Paulo und Isabella sich verständnisinnig angesehen. Für Luis war Paulo der Vater der kleinen Estella. Und für sie beide natürlich auch. Zärtlich beobachtete Isabella, wie er sich eine rote Rose ins Knopfloch steckte. Er war der umwerfendste Bräuti gam, den sie sich vorstellen konnte. Ihr Gato. Als Isabella den Brautstrauß aufnahm, blitzte an ihrem Finger der kostbare Diamantring, den Paulo ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. »Ich glaube, wir sollten jetzt lieber gehen.« »Gleich«, sagte Paulo leise. »Erst müssen wir noch etwas Wichtiges tun.« Isabella rückte ihm die Rose zurecht und sah ihn kokett
an. »Habe ich etwas vergessen?« Er lächelte vielsagend. »Das natürlich.« Und er küsste sie.
-ENDE