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Enid Blyton erzählt Geschichten Aus Umweltschutzgründen wurde dieses Buch auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt Im Auftrag hergestellte Sonderausgabe Alle Rechte vorbehalten © 1980 by Herold Verlag, Fellbach-Schmiden Originaltitel: My first Enid Blyton Book, My second Enid Blyton Book, My third Enid Blyton Book. Deutsch von Eve Marie Helm Umschlag von Christian Heiss Illustrationen von Christi Burggraf © by Tosa Verlag, Wien Druck Ueberreuter Print
Klickedi Klack kann zaubern Am Rande eines großen Feldes wohnte in einem hübschen kleinen Pilzhaus der Zwerg Klickedi Klack. Niemand konnte ihn leiden, noch nicht einmal die Fee Gutherz, die eigentlich jeden mochte. Und warum mochte ihn keiner? Weil Klickedi Klack entsetzlich angab. Er behauptete nicht nur, alles zu wissen und zu können, er prahlte auch damit, klüger als alle Hexen und Zauberer zu sein, und erzählte jedem, der nur ein bißchen zuhörte, daß er der stärkste Zwerg im ganzen Elfenland sei. Viele Leute glaubten ihm das sogar, aber beliebt machte ihn diese Prahlerei nicht. Eines Tages hatte Klickedi Klack frischen Honig zu verkaufen. Eine ganze Menge Leute hatte Interesse daran. Sie standen
vor seinem Haus und schwatzten miteinander.
Klickedi Klack freute sich, daß so viele Leute gekommen waren. Trotzdem konnte er es nicht lassen. Er fing wieder an aufzuschneiden. »Bald werde ich reicher sein als der reichste Mann im Königreich«, sagte er. »Ich habe eine Riesenmenge Gold versteckt.« »Besser gesund als reich«, sagte der Zwerg
Trödel. »Du siehst gar nicht gut aus, Klickedi Klack. So dünn und knochig wie du bist. Es tut mir richtig leid, daß du noch immer glaubst, du seist so klug und stark.« Klickedi Klack wurde böse. »Ich bin dünn, weil ich dünn sein möchte«, antwortete er. »Wenn ich so fett sein wollte wie du, Trödel, dann könnte ich das morgen schon sein.« »Ach, du bist ein Märchenerzähler«, quiekte das Eichhörnchen Schwätzli. »Das kann niemand.« »Ich kann alles und weiß alles!« knurrte Klickedi Klack wütend. »Dann kannst du uns sicher auch erzählen, was das für große Vögel sind, die abends noch so spät in der Luft herumfliegen«, meinte der Elf Luseleicht. »Ja, und mach doch, daß einer von ihnen zu uns herunterkommt, damit wir ihn alle sehen können«, rief Trödel begeistert. »Schau, da oben ist schon wieder einer.« Er zeigte zum Himmel, wo ein Flugzeug langsam über den Wald flog. Trödel aber hielt es für einen großen fremden Vogel, der beim Fliegen laut brummte. Klickedi Klack wußte nicht, wie er reagieren sollte. Wie konnte er diesen fremden Vogel dazu bringen, herunterzufliegen. Er konnte ja noch
nicht einmal genug zaubern, um eine Wolke herunterzuholen. Ein Trick, den schon die jüngsten Feen mit Leichtigkeit beherrschten.
Es blieb ihm trotzdem nichts anderes übrig. Er mußte einfach so tun, als könne er den Vogel wirklich zwingen, herunterzukommen. Also zeichnete er erst einmal einen Kreis um sich. Dann klatschte er dreimal in die Hände, schlug zweimal einen Purzelbaum und schrie dabei ununterbrochen unverständliche Worte, die natürlich gar nichts bedeuteten. Gerade in diesem Augenblick entschied sich der Pilot, der in dem Flugzeug saß, auf dem großen Feld zu landen. Er hatte nämlich nur noch sehr wenig Benzin, und das langgestreckte Feld schien ihm für eine Landung sehr günstig zu sein. Er begann zu kreisen und schraubte sich immer tiefer. Die kleine Versammlung von Elfen und Zwergen beobachtete das Flugzeug mit wachsender Bestürzung. Was für ein riesiger Vogel. Und welch einen Lärm er machte. Trödel bekam Angst. Er hatte das Gefühl, als ob das Monster direkt auf ihn zukäme. Auch das Eichhörnchen Schwätzli zitterte vor Furcht. So einen furchterregenden Lärm hatte es in seinem ganzen Leben noch nicht gehört. »Seht nur, unten hat es zwei Augen, die dauernd die Farben wechseln. Einmal sind sie rot, dann wieder weiß oder blau«, rief Gutherz voller Angst. »Bitte,
Klickedi Klack, sag dem gräßlichen Ding, es soll wieder zurück in den Himmel fliegen.« »Ich kann es nicht. Es geht nicht!« heulte Klickedi Klack. Seine Knie gaben unter ihm nach. »Aber sicher kannst du es«, schrie Trödel. »Du hast es doch auch heruntergeholt. Genauso kannst du es jetzt auch wieder hochzaubern.« Das Flugzeug flog immer niedriger. Klickedi Klack hatte das Gefühl, als ob es im nächsten Moment den Kamin seines Hauses streifen würde. Er konnte es nicht länger mit ansehen. Er sprang aus dem Zauberkreis heraus, in dem er noch immer stand, und rannte weg, als ob der große Vogel hinter ihm her sei. Er sauste die Straße hinunter, preschte in den Wald und wühlte sich in das nächste Kaninchenloch, das er entdeckte. Dort warf er sich, zitternd am ganzen Körper, auf den Boden und hielt sich die Ohren zu. »Warum habe ich bloß gesagt, daß ich den Vogel herunterholen könnte«, heulte er. »Und wie konnte ich wissen, daß er wirklich gehorchen würde. Damit habe ich doch gar nicht gerechnet. Dieser fürchterliche Vogel wird uns alle auffressen. Und ich werde schuld daran sein.« Den ganzen Tag lag Klickedi Klack in dem Kaninchenloch und gab keinen Muckser von
sich. Erst als der Abend kam, wagte er sich wieder heraus und kroch vorsichtig zum Feld zurück. Er schaute und schaute, aber das fremde Monster war verschwunden. »Klickedi Klack«, rief plötzlich jemand so dicht neben ihm, daß er vor Schreck in die Luft sprang. »Wohin bist du nur gelaufen? Klickedi Klack, wir haben dir nie geglaubt, wenn du behauptet hast, der klügste und stärkste Zwerg zu sein. Wir haben gedacht, du gibst nur an. Aber jetzt wissen wir, daß es stimmt: Du kannst alles.« Schwätzli hüpfte auf Klickedi Klack zu, und auch Trödel, Luseleicht und Gutherz kamen heran. »Das fremde Ungetüm landete wirklich auf unserem Feld«, sagte Trödel. »Aber dann erhob es sich plötzlich wieder und flog davon. Kannst du uns sagen, warum?« Klickedi Klack wußte es nicht. Nur der Pilot hätte es der kleinen Gesellschaft erzählen können. Als er den Boden berührt hatte, merkte er nämlich, daß er doch noch mehr Benzin hatte, als er dachte. So hob er wieder ab und flog weiter. Natürlich hatte er die winzigen Wesen, die sich so vor ihm gefürchtet hatten, gar nicht bemerkt. Er sah weder das Eichhörnchen
Schwätzli noch den Zwerg Trödel und auch nicht den Elf Luseleicht und die Fee Gutherz. Alle fanden es großartig von Klickedi Klack, daß er den großen Vogel gezwungen hatte, auf dem Feld zu landen. Und sie konnten gar nicht verstehen, warum der Zwerg so still war und nicht wie sonst mit dieser Heldentat prahlte. Aber Klickedi Klack hatte seine Lektion gelernt. Er würde in Zukunft sehr vorsichtig mit dem sein, was er sagte oder tat. »Das möchte ich nicht noch einmal erleben, daß so ein Biest vom Himmel herunterkommt und uns vielleicht auffrißt. Ich werde nie wieder behaupten, alles zu können. Sicher werden die Leute mich jetzt nicht mehr so großartig finden, aber daran kann ich nichts ändern.« Aber es war komisch. Den einfachen und bescheidenen Klickedi Klack, der nicht mehr so viel herumprahlte, mochten alle viel lieber. Sie besuchten ihn oft und feierten fröhliche Feste in seinem kleinen Pilzhaus. Aber sobald jemand anfing, von dem großen Vogel zu erzählen, wurde Klickedi Klack rot und sagte kein Wort mehr. Und keiner konnte sich vorstellen, warum. Nur Klickedi Klack wußte es. Und wir beide natürlich.
Wie die Stachelbeeren ihre Haare kriegten Es war einmal ein unscheinbarer kleiner Gnom, der davon lebte, daß er den Elfen feine Malpinsel verkaufte. Er hatte wirklich die besten Pinsel im ganzen Feenreich. Keine anderen Pinsel waren auch nur halb so gut wie seine, mit so hauchzarten und trotzdem kräftigen Haaren. »Woher bekommst du bloß die feinen Haare?« fragten die Elfen ihn immer wieder. Aber der Gnom wollte es ihnen nicht erzählen. »Das ist mein Geheimnis«, sagte er und lachte. »Vielleicht mache ich sie aus Mondstrahlen, die ich ganz lang und dünn ausziehe und dann in kurze Stücke schneide.« »Das ist nicht wahr«, riefen die Elfen. »Ach bitte erzähl uns doch, aus was für Haaren du deine Pinsel machst.« Aber der kleine Gnom hatte guten Grund, sein Geheimnis nicht auszuplaudern. Denn dann wäre es aus mit seinem Geschäft gewesen. Seine Haarlieferanten waren nämlich die Raupen, die am ganzen Körper mit feinen weichen Haaren bedeckt waren. Und die gaben ihre Haare durchaus nicht freiwillig her. Der Gnom riß sie
ihnen aus, wenn sie schliefen. Hier ein paar Haare und dort ein paar Haare, das reichte schon für eine ganze Menge feiner Pinsel. Daß die Feenkönigin mit dieser Methode nicht einverstanden gewesen wäre, das war ihm klar. In einem Frühling war die Nachfrage nach seinen Pinseln besonders groß. Den ganzen Mai über kauften Elfen und Feen andauernd neue Pinsel, und er konnte kaum Raupen genug finden, denen er unbemerkt Haare stehlen konnte. Also fing er an, jeder Raupe ein paar
Haare mehr auszureißen. Einmal nahm er sogar eine ganze Handvoll, so daß die arme Raupe quiekend aufwachte. Und eine andere schönbehaarte Raupe wachte morgens auf und sah, daß sie über Nacht kahl geworden war. Der Gnom hatte ihr kein einziges Haar gelassen, und
sie zitterte vor Kälte. Die Königin hörte von dieser Missetat und schaute sich die Raupe an. »Wer könnte dir deine Haare ausgerissen haben?« fragte sie. »Wer würde so etwas Häßliches tun?« »Ich weiß nicht, Majestät«, schluchzte die Raupe. »Auf jeden Fall ist es in der Nacht passiert, als ich schlief.« »Auch bei mir sind die schönsten Deckhaare verschwunden«, meldete sich eine andere Raupe. Und eine dritte rief: »Mir hat man mindestens zwanzig meiner langen Rückenhaare ausgerissen.« »Das ist ja unglaublich«, sagte die Königin streng. »Da muß etwas unternommen werden.« Sie rief ihre Soldaten und befahl ihnen: »Zwölf von euch bleiben jetzt hier und bewachen die Raupen. Versteckt euch dort unter der Hecke, da könnt ihr alles überblicken und sehen, wenn der Dieb kommt. Fangt ihn und bestraft ihn ordentlich. Und schlaft mir nicht ein.« Die Raupen beruhigten sich und krabbelten wieder unter ihre Blätter. Die zwölf Wachmänner suchten sich erst ein gutes Versteck und spielten dann Schnippschnapp bis zum Abend.
Sie waren sicher, daß der Dieb sich nicht blicken lassen würde, bevor es dunkel war. Die Raupen fanden das Spiel so lustig, daß sie sich dauernd einmischten und »schnapp« sagten, wenn es gar nicht richtig war, »schnapp« zu sagen. Das brachte die Soldaten ganz durcheinander. »Unterbrecht uns doch nicht immer«, sagte schließlich der Anführer. »Wir spielen, nicht ihr. Eßt eure saftigen Blätter und hört auf, uns zu stören, sonst werden wir euch allein lassen, und ihr werdet morgen früh alle ganz nackt sein.« Als die Nacht kam, zwängten sich die Soldaten in ihre Verstecke und warteten. Es war so dunkel, daß man kaum die Hand vor den Augen sah. Eine richtige Nacht für einen Dieb. Aber die Zeit verging, und kein Räuber ließ sich blicken. Es wurde zehn Uhr, elf Uhr. Noch immer kein Dieb in Sicht. Die Wachen begannen zu gähnen. Vielleicht würde der Räuber gar nicht kommen. Aber gerade in diesem Augenblick machte sich der kleine Gnom auf den Weg, um nach Raupen zu suchen. Er schaute unter den Blättern, an den Grashalmen, am Boden und an
allen anderen Plätzen nach, wo sie sich normalerweise beim Schlafen aufhielten. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Der kleine Gnom bewegte sich sehr leise. Seine Füße machten kein Geräusch, als er in der Dunkelheit umherschlich, und er bewegte kein Blättchen. »Wo sind heute nacht bloß die Raupen?« murmelte er. »Ich habe das Gefühl, sie haben sich alle aus dem Staub gemacht.« Leise huschte er von Busch zu Busch und fühlte unter den Blättern nach. Endlich fand er eine schöne haarige Raupe, die friedlich zu schlafen schien. »Wunderbar«, dachte der Gnom. »Sie hat ganz besonders viele Haare. Davon kann ich einige feine Pinsel machen.« Er packte eine Handvoll Haare auf dem Rücken der schlafenden Raupe und zog kräftig daran. Mit einem lauten Quieken bäumte sich die Raupe auf. »Iii, Iii!« schrie sie laut. Die Wachen sprangen auf und riefen einander zu: »Der Räuber ist da. Der Dieb ist gekommen.« Entsetzt rannte der Gnom davon. In seiner Hand hielt er die Raupenhaare. Die Soldaten liefen hinter ihm her, durch den Wald bis in den Palastgarten. Dort liefen sie die Wege auf und ab und suchten den Dieb. Wo war er? Wo hatte er sich verkrochen? Der kleine Gnom
hatte sich unter einen großen stacheligen Stachelbeerbusch geflüchtet. Er kringelte sich furchtsam zusammen und fragte sich: »Was
macht man wohl mir mir, wenn man mich findet?« In seiner Hand hatte er noch das Büschel Raupenhaare. Was sollte er damit tun? »Die Soldaten dürfen die Haare nicht bei mir finden«, dachte er. »Fortwerfen kann ich sie auch nicht, dann weiß jeder, daß ich es war. Was soll ich bloß mit ihnen machen?« Er streckte die Hand aus und untersuchte seine Umgebung. Als er dabei zwei oder drei dicke glatte Stachelbeeren berührte, kam ihm die rettende Idee. Er würde den Stachelbeeren die Haare aufstecken, denn sicher würde niemand daran denken, die Früchte nach Raupenhaaren zu untersuchen. Und so pikste er die Raupenhaare in die grüne Schale der Stachelbeeren. Er war kaum damit fertig, als einer der Soldaten unter den Busch leuchtete und rief: »Hier ist jemand. Ich habe ihn! Hier ist der Dieb. Schnell, kommt und nehmt ihn fest.« Der Gnom wurde herausgezogen und untersucht. Haare fand man zwar nicht bei ihm, aber in seiner Tasche hatte er zwei seiner feinen Pinsel aus Raupenhaaren. Dadurch konnte man beweisen, daß er der Dieb war. »Verprügelt ihn ordentlich«, rief der Anführer. »Und werft ihn dann aus dem Feenland hinaus. Vielleicht über-
legt er sich dann, ob sich Stehlen wirklich lohnt!« So wurde der Gnom aus dem Feenland hinausgeworfen und die Tore hinter ihm geschlossen. Er stand draußen und weinte bitterlich. Niemand hat seitdem wieder etwas von ihm gehört. Nur die Stachelbeeren haben noch immer die feinen weichen Haare auf ihrer Schale. Wenn ihr es nicht glaubt, geht hin und seht selber nach!
Der Elf, der den Mond tötete Vor langer Zeit lebte im Elfenland ein dummer kleiner Elf, der Korullchen hieß. Er dachte zwar über alles, was er sah und hörte, stundenlang nach, kam aber nie zu einem Ergebnis. Außerdem glaubte er jeden Unsinn, den man ihm erzählte. Eines Abends fiel ihm eine stachelige Roßkastanie auf den Kopf. Da lief er doch wahrhaftig herum und erzählte jedem, der zuhörte: »Mir ist ein Stern auf den Kopf gefallen. Ich hab es genau gespürt. Er hatte ganz stachelige Strahlen.« Die anderen Elfen, die genau gesehen hatten, was ihm passiert war, machten sich über ihn lustig: »Fang dir den Stern doch«, neckten sie ihn. »Er sitzt sicher noch in deinem Haar.« Und als Korullchen daraufhin in einen Teich schaute, war er ganz sicher, einen Stern in seinem Haar glänzen zu sehen. Er besorgte sich einen Kamm und kämmte sich die ganze Nacht. Und er wunderte sich sehr, daß der Stern nicht herausfallen wollte. Ein anderes Mal hörte er eine Nachtigall singen. Er war so begeistert von ihrem Gesang, daß er den Vogel bat, mit ihm nach Hause zu
kommen, bei ihm zu wohnen und ganz allein für ihn zu singen. Die Nachtigall hörte ihm gar nicht zu. Sie war so mit Singen beschäftigt, daß sie gar nicht merkte, daß Korullchen mit ihr redete. »Du mußt einen Zaun um den Busch bauen«, sagten die anderen Elfen. »Dann kann sie dir nicht mehr entkommen.« So sammelte Korullchen Äste und flocht einen wunderschönen Zaun um den Busch herum. Die Nachtigall beobachtete ihn und wunderte sich, was er da tat: :
»Warum machst du das, Korullchen?« fragte sie. »Wart's ab«, sagte Korullchen. Die Nachtigall wartete und sang inzwischen. Als der Zaun fertig war, sprang Korullchen darüber und lachte. »Hoho«, schrie er. »Jetzt hab ich dich, kleine Nachtigall. Jetzt mußt du mit mir kommen und bei mir wohnen. Ich werde dir auch zum Frühstück wilde Erdbeeren suchen und dir jeden Morgen den Schnabel blank putzen.« »Nein, dazu habe ich keine Lust«, sagte die Nachtigall. »Aber du mußt«, antwortete Korullchen. »Trilla, Trilla, Trillala«, sang die Nachtigall spöttisch. »Und wie willst du mich zwingen, mitzukommen?« »Hast du es denn nicht gemerkt«, lachte Korullchen. »Ich habe einen Zaun um den Busch gebaut, auf dem du sitzt, und jetzt kannst du nicht mehr fort. Ich werde dich fangen und mit nach Hause nehmen.« »Dann fang mich doch«, rief die Nachtigall und breitete ihre Flügel aus. Dann flog sie steil empor und verschwand im Wald. Die Elfen, die Korullchen die ganze Zeit zugehört hatten, lachten sich schief über sein überraschtes Gesicht. »Warum hast du nicht
nachgedacht, Korullchen«, riefen sie. »Du weißt doch, daß eine Nachtigall fliegen kann.«
Korullchen war wütend, aber leider lernte er nichts aus dieser Geschichte. Das Nachdenken war ihm zu mühsam. Deshalb versuchte er es erst gar nicht. Eines Tages flog über den Wald, in dem Korullchen wohnte, ein großer gelber Luftballon. Gerade über Korull-chens Haus verlor er Luft und sank so tief, daß sich seine Schnur in einem Brombeerstrauch verfing und festgehalten wurde. Korullchen aß gerade zu Abend, als er plötzlich den großen gelben Ballon über den Büschen schweben sah. Er hatte ihn nicht kommen sehen und auch kein Geräusch gehört. Entsetzt sprang er auf, so daß sein Teller krachend auf den Boden flog, und rannte heulend vor Furcht in den Wald. »Was ist denn los?« riefen die anderen Elfen und hielten ihn fest. »Der Mond ist herabgefallen. Der große, gelbe Mond. Er kam ganz plötzlich, als ich zu Abend aß, und hätte mich beinahe umgebracht.« Die Elfen dachten sich gleich, daß das eine von Korullchens Schauergeschichten war. Sie liefen zu Korullchens Haus, um nachzusehen, was wirklich passiert war. Als die den Ballon sahen, der ruhig über dem Brombeerstrauch schwebte, erstickten sie fast
vor Lachen. »Korullchen ist doch wirklich zu dumm«, sagten sie. »Er schreit einfach los, obwohl ihm noch gar nichts passiert ist. Aber wir bleiben jetzt dabei, daß es wirklich der Mond ist. Mal sehen, was er dann macht.« Das taten sie dann auch, und Korullchen erzählte ihnen immer und immer wieder, wie der Mond beinahe auf ihn gefallen sei und ihn umgebracht hätte. »Das war böse vom Mond, dich so zu erschrecken«, sagten die Elfen. »Wenn uns das passiert wäre, würden wir den Mond bestrafen.« »Aber wie denn?« fragte Korullchen. »Och, pik ihn einfach ein bißchen mit einer Nadel. Das tut dem Mond weh, er muß schreien, und du bist gerächt. Aber warte damit, bis er in der heißen Sonne eingeschlafen ist.« Korullchen besorgte sich also eine schöne lange Nadel und versteckte sich in den umstehenden Büschen, um zu warten, bis der Mond eingeschlafen war. Als die Sonne hoch am Himmel stand, glaubte er, es wagen zu können. Leise kletterte er auf einen nahe stehenden Baum und stach mit zitternder Hand die Nadel in den runden gelben Ballon. Der Ballon zerplatzte mit einem häßlichen Knall. Korullchen fiel fast vom Baum vor Schreck. Auch die Elfen, die Korullchen
beobachteten, erschraken und stolperten Hals über Kopf in die Büsche. Korullchen sprang vom Baum und rannte um sein Leben. Schließlich sprang er in ein Kaninchenloch und blieb dort, am ganzen Leib zitternd, sitzen.
»Ach du liebes Zwergenmützchen«, jammerte er. »Ich habe den Mond getötet. Er ist geplatzt. Was wird die Feenkönigin dazu sagen? Es ist schrecklich.« Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr schüttelte es ihn vor Entsetzen. »Ich habe wirklich den Mond ermordet«, weinte er verzweifelt. »Es hat >peng< gemacht, und er ist geplatzt. Nur weil ich ihn mit einer Nadel gepikst habe. Wie konnte ich wissen, daß ein so kleiner Stich den Mond töten würde. Nie wieder werden wir im Mondlicht tanzen können!« Den ganzen Tag, die darauffolgende Nacht und auch den nächsten Tag über saß Korullchen in seinem Loch und wurde immer niedergeschlagener. »Das wollte ich doch nicht«, schluchzte er. »Ich wollte den Mond doch nur bestrafen, weil er mich so erschreckt hatte. Und nun ist er tot. Die Königin wird schrecklich böse auf mich sein.« Am Abend des nächsten Tages faßte Korullchen einen mutigen Entschluß. Er wollte zur Königin gehen und ihr beichten, was er getan hatte. So kroch er aus der Höhle und machte sich auf den Weg zu der Lichtung, auf der die Königin Hof hielt. Er war sehr erstaunt, als die Königin ihn so freundlich wie immer begrüßte. »Was hast du
auf dem Herzen, Korull-chen?« fragte sie.
»Eure Majestät, ich habe etwas Schreckliches
getan«, weinte Korull-chen. »Ich habe den Mond getötet.« »Den Mond getötet?« fragte die Königin erstaunt. »Wie hast du denn das fertiggebracht?« »Ich habe ihn mit einer Nadel gestochen, und es machte >pengBeeil dich Tina!< >Beeil dich, Tina!< auf die Nerven geht. Ich würde gern bei den Schildkröten leben. Die würden mich sicher nicht so herumhetzen, wie es hier jeder tut.« In diesem Augenblick, als Tina das sagte, änderte der Wind seine Richtung. Jeder weiß, daß merkwürdige Dinge geschehen, wenn der Wind sich dreht. Manchmal geht dann sogar ein Wunsch in Erfüllung. Und genau das war es, was Tina passierte. Ihr Wunsch ging in
Erfüllung. Alles um sie herum wurde plötzlich schwarz, und ihr wurde schwindlig. Sie streckte die Hand aus und fand auch etwas, woran sie sich festhalten konnte. Die Dunkelheit verschwand. Tina blinzelte überrascht. Sie saß nicht mehr im Klassenzimmer unter ihren Schulkameraden. Sie stand auf einer kleinen Dorfstraße. Die Sonne schien, und um Tina herum standen lauter lustige kleine Häuser mit ziemlich großen ovalen Türen. Erstaunt merkte sie, daß sie sich an eine Schildkröte klammerte, die auf den Hinterbeinen stand, einen blauen Mantel, kurze gelbe Hosen und einen blauen Hut trug und fast so groß war wie Tina. »Laß mich doch endlich los«, sagte die Schildkröte mit tiefer Stimme zu ihr. »Willst du mir den Panzer vom Rücken reißen? So laß doch, bitte, endlich los.« Tina starrte die Schildkröte verwirrt an. »Wer bist du?« fragte sie. »Ich bin Herr Hornbein!« antwortete die Schildkröte. »Würdest du mich jetzt, bitte, loslassen.«
Tina ließ los. »Und wo bin ich?« fragte sie.
»Im Schildkrötendorf«, sagte die Schildkröte. »Jetzt erkenne ich dich auch. Du bist doch das kleine Mädchen, das die Menschen immer >Schild-kröte< nennen. Stimmt's? Du hast dir gewünscht, bei uns zu leben. Dann kommst du am besten mit zu mir. Meine Frau wird sich um dich kümmern.« »Ich möchte nach Hause«, sagte Tina. »Das geht nicht«, antwortete Herr Hornbein. »Jetzt bist du hier und bleibst auch hier. Da ist nichts zu machen. Sei doch froh, daß dein Wunsch in Erfüllung ging. So ein Glück hat nicht jeder. Aber meine Liebe, geh doch nicht so schnell. Ich kann unmöglich mit dir Schritt halten.« Tina ging wirklich nicht schnell. Sie ging immer sehr langsam. Aber die alte Schildkröte brauchte mindestens eine Minute, um fünf Zentimeter vorwärts zu kommen. »Geh doch etwas schneller«, drängte Tina schließlich. »Ich kann einfach nicht so langsam gehen. Wirklich, es geht nicht.« »Mein liebes Kind, man hat dich in der Schule >Schildkröte< genannt, also mußt du sehr langsam gewesen sein. Aber wir sind ja schon da. Da an der Tür steht Frau Hornbein.« Es war alles sehr merkwürdig für Tina. Sie waren an
vielen Schildkröten vorbeigekommen, großen und kleinen. Alle trugen Kleider und sprachen ganz langsam miteinander. Auch die Schildkrötenkinder bewegten sich sehr langsam. Keines von ihnen rannte. Frau Hornbein ging Herrn Hornbein bedächtig entgegen. Sie war gar nicht erstaunt, Tina zu sehen. »Dieses kleine Mädchen will jetzt bei uns im Schildkrötendorf wohnen. Sie muß ja irgendwo bleiben, deshalb habe ich sie mitgebracht.« »Willkommen«, sagte Frau Hornbein und patschte Tina leicht mit ihrer schuppigen Tatze auf den Rücken. »Du bist sicher hungrig. Setz dich hin und ruh' dich ein wenig aus. Ich werde inzwischen das Mittagessen fertig machen. Tina setzte sich und sah zu, wie Frau Hornbein eine Tischdecke holte. Sie brauchte sehr lange, um die Schublade zu öffnen. Sie brauchte noch länger, um die Decke auszuschütteln. Und sie brauchte einfach Jahre, bis sie sie auf den Tisch gelegt hatte. Dann begann sie, den Tisch mit Messern, Gabeln und Löffeln zu decken. Sie brauchte dafür über eine halbe Stunde, und die arme Tina wurde immer hungriger und hungriger. »Laß mich die Teller und die Gläser
herausholen«, sagte sie schließlich ungeduldig und sprang auf. Sie ging mit schnellen Schritten um den Tisch herum. Das Geschirr klapperte, als sie es hinstellte. Frau Hornbein sah ihr zu und sagte dann ärgerlich: »Mein liebes Kind, rase doch nicht so schrecklich hin und her. Das schickt sich nicht für Schildkröten. Außerdem ist es ungesund, wenn man außer Atem kommt und das Gesicht rot wird.« »Aber ich bin keine Schildkröte«, sagte Tina patzig. »Das mußt du nicht so schwer nehmen, Liebes. Bald wirst du ja eine sein. Du mußt nur einige Zeit bei uns wohnen«, sagte Herr Hornbein, der sich die ganze Zeit damit beschäftigt hatte, einen seiner Schuhe auszuziehen und einen Hausschuh anzuziehen. »Du wirst es schon merken. Deine häßlichen Haare werden ausfallen, und du wirst so hübsch kahl wie wir. Dein Hals wird sich in anmutige Runzeln legen, und es wird dir eine feine, harte Schale wachsen.« Tina starrte ihn voll Abscheu an. »Ich will aber keine Schildkröte werden«, schrie sie. »Ich finde euch gar nicht schön.« Herr und Frau Hornbein sahen Tina entrüstet
und ungläubig an. »Du bist aber ein sehr schlecht erzogenes kleines Mädchen«, sagte Frau Hornbein. »Geh jetzt und wasch deine Hände. Herr Hornbein wird sich auch seine Hände waschen und dir zeigen, wo das Waschbecken ist.« Herr Hornbein brauchte fünf Minuten, um zum Waschbecken zu gehen. Er brauchte zehn Minuten, um sich zu waschen und abzutrocknen. Aber während dieser Zeit hatte Frau Hornbein tatsächlich das Mittagessen auf den Tisch gebracht. Tina war so hungrig, daß sie sich die Hände schneller wusch, als sie es je in ihrem Leben getan hatte. Herr und Frau Hornbein brauchten unendlich lange, um ihre Suppe zu essen. Tina war schon fertig, ehe die Horn-beins ihre auch nur halb aufgegessen hatten. Dann mußte sie dasitzen und warten, bis die beiden fertig waren. Sie rutschte so ungeduldig auf ihrem Stuhl herum, daß Frau Hornbein tadelnd sagte: »Du bist ja ein schrecklich nervöses Kind. Zappel doch nicht so. Du mußt wirklich lernen, langsamer zu sein. Du hast dir doch gewünscht, bei uns zu leben. Also dann benimm dich auch ordentlich: sei geduldig, langsam und be-
dächtig.« Das Mittagessen war nicht vor vier Uhr zu Ende. »Beinah Teezeit«, sagte Tina. »Es ist einfach furchtbar. Jetzt kann ich mir auch vorstellen, wie langweilig es für alle gewesen sein muß, wenn ich zu Hause oder in der Schule so getrödelt habe. Es hat sie sicher genauso nervös gemacht, wie ich es hier bin.« »Wenn ich fertig bin, werden wir einen Spaziergang machen«, sagte Frau Hornbein. »Auf dem Marktplatz ist ein Zirkus. Vielleicht möchtest du ihn sehen?« »O ja, dazu hätte ich Lust«, rief Tina. »Bitte beeil dich doch, Frau Hornbein, sonst ist der Zirkus vorbei, ehe du deinen Hut aufgesetzt und deinen Schal umgelegt hast.« »Im Schildkrötendorf gilt es als äußerst unfein, >beeil dich< zu sagen«, korrigierte Frau Hornbein mißbilligend. »Gut erzogene Leute sind langsam. Man
braucht eben seine Zeit für alle Dinge. Du mußt wirklich lernen, langsamer und ruhiger zu werden, liebes Kind.« Es wurde wirklich sechs Uhr, bis Frau Hornbein ihren Hut aufgesetzt, die Schuhe gewechselt und einen Schal umgelegt hatte. Tina dachte, daß sie noch nie, nie in ihrem Leben jemanden gesehen hatte, der so langsam war. Manchmal hörte Frau Hornbein sogar auf, sich anzuziehen. Sie saß einfach da und starrte Löcher in die Luft. »Träum doch nicht«, rief Tina. »Beeil dich doch!« Und sofort erinnerte sie sich daran, wie oft ihre Eltern und die Lehrer diese Worte in dem gleichen gereizten und ungeduldigen Ton zu ihr gesagt hatten. »Was muß ich für ein lästiges Kind gewesen sein«, dachte sie. »Wenn ich daran denke, wie unangenehm ich es fand, mich zu beeilen. Aber so langsam zu sein wie diese Schildkröte hier, finde ich noch viel, viel schlimmer.« Der Zirkus schloß gerade, als sie den Marktplatz erreichten. Das Karussell startete zum allerletzten Mal. Tina weinte fast vor Enttäuschung. Sie stieg auf ein Pferd, und das Karussell begann sich zu drehen. Es drehte sich entsetzlich langsam. Tina schaute die faltigen, schrumpeligen Schildkröten an, an denen sie vorüberschwebte, die alle so
feierlich und ernst aussahen. Sie konnte es einfach nicht mehr ertragen! »Ach, ich wünschte, ich wäre wieder zu Hause!« rief sie. »Ich werde auch nie wieder langsam sein, nie wieder.« Das Karussellpferd, auf dem sie ritt, wieherte plötzlich laut. Es hob seinen Kopf und schaute sie an. »Ich bin ein Wunschpferd«, sagte es. »Du solltest vorsichtig mit deinen Wünschen sein.« Das Karussell lief schneller, schneller, schneller. Es wurde rasend schnell. Dann hielt es an. Ganz benommen schaute Tina um sich. Sie schrie vor Freude: Sie war nicht mehr im Schild226
krötendorf, sondern auf einer Wiese, die vor dem Garten ihrer Eltern lag! Sie sprang vom Pferd und rannte zu dem Gartentor in der Hecke. Dann erst schaute sie zurück. Das Karussellpferd löste sich langsam in Dunst auf und verschwand.
Tina sauste den Gartenweg hinauf. Sie raste die Treppe zum Kinderzimmer hoch. Ihre Mutter starrte sie verblüfft an. Sie hatte Tina noch nie in einer solchen Eile gesehen. »Was ist los mit dir?« fragte sie. »Bist du krank? Du bist ja auf einmal so schnell.« »Ich war im Schildkrötendorf bei den Schildkröten«, rief Tina. »Aber nun bin ich wieder da. Und ich werde nie mehr eine Schlafmütze oder eine Schildkröte sein. Nie, nie, nie wieder!« Es hat geklappt. Tina ist kein Wirbelwind geworden, aber sie ist auch nicht mehr so langsam wie vorher.
Die Elfenbäcker Früher hatte Georg mal ein Spielzeugauto gehabt, das man mit einem Schlüssel aufziehen konnte. Es war ein gelbes Auto gewesen, mit einem Zinnsoldaten als Fahrer und einem Tier aus der Arche Noah als Fahrgast. Eines Tages wollte Georg mit dem Auto im Garten spielen. Aber auf dem Gras fuhr es einfach nicht, so sehr er es auch aufzog. Also ließ er es liegen und ging hinein, um sich ein anderes Spielzeug zu holen. Als er im Haus war, fing es an zu regnen. Seine Mutter rief, er solle im Kinderzimmer spielen, bis die Sonne wieder scheinen würde. So vergaß Georg sein Spielzeugauto, und es blieb draußen im Garten liegen. Es regnete darauf. Spinnen krabbelten
drüber weg. Ein Ohrwurm machte es sich unter der Motorhaube gemütlich, eine große Fliege leistete ihm Gesellschaft. Georg dachte nicht mehr daran, daß er das Auto draußen hatte liegen lassen. Er suchte es ein paarmal im Spielzeugschrank. Georg fand es schade, daß das kleine Auto verschwunden war, denn er hatte gern damit gespielt. Beim nächsten Regen verlor das Auto seine gelbe Farbe. Es bekam Rostflek-ken. Der Schlüssel fiel ins Gras, und der kleine Zinnsoldat am Steuer zersprang in zwei Hälften. Dann löste sich eines der Räder. Das Spielzeugauto war wirklich in einem sehr schlechten Zustand. Eines Morgens liefen zwei winzigkleine, kaum fingerlange Männer
mit Körben daran vorbei. Es waren die Elfenbäcker Hörnchen und Zwieback. In ihren Körben trugen sie Brot und Kuchen, das sie an das kleine Volk verkaufen. Plötzlich sahen sie das Spielzeugauto und blieben überrascht stehen. »Was ist denn das?« fragte Hörnchen. »Das ist ein Auto«, antwortete sein Bruder Zwieback. »Ein altes Spielzeugauto. Ob es wohl noch läuft?« Sie schoben es an, und das Auto bewegte sich auf seinen vier rostigen Rädern ein kleines Stück vorwärts. Das eine Rad wackelte bedenklich, weil es lose saß. »Es fährt«, sagte Hörnchen. »Ich möchte wissen, wem es gehört.« »Wahrscheinlich dem Zinnsoldaten, der am Steuer sitzt«, meinte Zwieback. »Aber er ist zerbrochen und kann nicht mehr fahren. Stell dir vor, Hörnchen, wenn das unser Auto wäre. Dann könnten wir unsere Backwaren damit transportieren. Die Körbe sind manchmal so schwer, und wenn es regnet, wird immer alles naß. Aber wenn wir ein Auto hätten ...« »Weißt du, Zwieback, wir nehmen es uns einfach«, sagte Hörnchen. »Wir tragen jetzt schnell die bestellten Sachen aus, dann schauen wir uns das Auto einmal an, ob es noch zu retten ist. Hier fällt es nur in Stücke.« Als die beiden
kleinen Bäcker von ihrer Arbeit zurückkamen, schoben sie das Auto zu ihrem winzigen Haus unter dem Haselbusch und schauten es sich genauer an. »Es braucht eine neue Lackierung«, sagte Hörnchen. »Das Rad muß wieder festgeschraubt werden«, meinte Zwieback. »Der Schlüssel ist nicht mehr da«, stellte Hörnchen fest. »Wo der wohl geblieben ist?« »Das macht nichts, wir reiben einfach die Räder mit Rollzauber ein, dann fährt es auch so«, sagte Zwieback ganz aufgeregt. Die beiden Elfenbäcker machten sich eifrig an die Arbeit. Sie zogen den Zinnsoldaten hinter dem Steuer hervor und schleppten ihn unter den Haselbusch. Sie schraubten das lose Rad wieder an. Sie kauften eine Dose rote Farbe und lackierten das ganze Auto leuchtend rot. »Die Räder sollten wir gelb streichen, nicht rot«, meinte Hörnchen. »Das würde viel lustiger aussehen.« Also strichen sie die Räder gelb an. An beide Seiten des Autos malten sie in großen gelben Buchstaben ihre Namen und ihren Beruf: »Zwieback u. Hörnchen. Elfenbäcker«. Als sie das alles geschafft hatten, sah das kleine Spiel-
zeugauto wieder wie neu aus. »Jetzt noch ein bißchen Rollzauber auf die Räder, dann kann es losgehen«, sagte Zwieback. Sie holten den Rollzauber und rieben jedes der vier gelben Räder tüchtig damit ein. Dann stie gen sie ein und fuhren los.
Fantastisch, wie schnell das Auto fuhr. Sie rasten den Gartenweg entlang. Das ganze kleine Volk kam staunend herbei, um sie zu sehen. Am nächsten Tag luden sie Brot und Kuchen in das
Auto und fuhren los, um ihre Kunden zu beliefern. Sie brauchten dafür viel weniger Zeit als sonst und freuten sich sehr darüber. Später kauften sie eine winzige Hupe für das Auto, die sie immer übermütig »huuk-huuk« schreien ließen, wenn ein Käfer oder ein Wurm ihren Weg kreuzte. Dieses »huuk-huuk« hörte Georg, als er draußen im Garten beim Haselbusch spielte. Er schaute sich nach dem komischen Geräusch um. Plötzlich entdeckte er das kleine rotgelbe Auto, in dem Hörnchen und Zwieback saßen. Zuerst war er so überrascht, daß er kein Wort herausbrachte. Dann rief er: »He, he, stoppt doch mal. Wer seid ihr denn?« Das Auto hielt an. Hörnchen und Zwieback grinsten zu Georg hinauf. Georg starrte zu ihnen hinunter. Das Auto sah fast aus wie das, das er verloren hatte. Nur daß dieses hier rot war mit gelben Rädern und seins war ganz gelb gewesen. »Ihr habt aber ein hübsches Auto«, sagte er. »Wo habt ihr das her?« »Wir fanden es dort drüben im Gras«, sagte Zwieback. »Es gehörte einem Zinnsoldaten. Er saß am Steuer und war in zwei Teile zerbrochen. Deshalb haben wir das Auto genommen und es wieder hergerichtet. Ist es nicht toll?«
»Eigentlich gehört das Auto mir«, erklärte Georg. »Ganz bestimmt. Ich muß es im Garten liegengelassen haben.« Hörnchen und Zwieback sahen ihn bestürzt an. »Ist es wirklich dein Auto? Das ist schlimm. Du kannst dir nicht vorstellen, wie nützlich es für uns ist. Früher mußten wir unsere Brote und Kuchen immer in Körben zu unseren Kunden schleppen, jetzt können wir alles im Auto transportieren. Aber natürlich, wenn es dir gehört, müssen wir es dir zurückgeben.« Sie hüpften aus dem Auto und sahen ihn traurig an. Georg lachte: »Aber ich werde euch doch das Auto nicht wegnehmen. Ich habe es ja damals im Garten liegen und verkommen lassen. Und es sieht jetzt so schön aus mit der neuen Lakkierung und euren Namen auf beiden Seiten. Ich lasse es euch gern. Ihr müßt mir nur versprechen, immer zu hupen, wenn ihr an mir vorbeifahrt. Tut ihr das?« »Aber klar machen wir das«, sagten die Elfenbäcker glücklich und kletterten zurück ins Auto. »Du bist wirklich ein anständiger Junge. Nicht jedes Kind würde uns so einfach ein Auto schenken, auch wenn es kaputt war. Vielen
Dank!« Sie fuhren weiter und hupten kräftig »huukhuuk.« Jetzt besaßen sie wirklich ein eigenes Auto. Sie konnten weiter als »Zwieback u. Hörnchen. Elfenbäcker« herumfahren und mit ihrer Hupe Ohrwürmer und Käfer aus dem Weg scheuchen. Manchmal findet Georg eine kleine Tasche auf dem Gartenstuhl, gefüllt mit winzigen Zuckerkuchen. Er weiß, woher sie kommen. Sie sind ein Geschenk von Hörnchen und Zwieback und schmecken so gut, daß man es gar nicht beschreiben kann - wie Elfenge-
bäck eben.
Viele Kinder haben schon versucht, das Auto der Elfenbäcker zu entdek-ken, wenn sie Georg besuchen. Aber sie hören nur manchmal ein leises »huuk-huuk«. Sehen kann es nur Georg. Eigentlich schade!
Das Smickelsmockel Zum Geburtstag hatte Anna von ihrer Tante eine Schachtel mit Knetmasse bekommen. Anna freute sich sehr darüber und rannte gleich ins Kinderzimmer, um es ihren Spielsachen zu zeigen. »Ihr denkt sicher, es wären nur farbige Stangen«, sagte sie. »Aber ich kann tolle Dinge damit machen. Paßt nur auf.« Sie nahm ein Stück rote Knetmasse in die Hand und wärmte sie an. Dann begann sie die Masse zu drücken und zu formen, bis ein runder Ball daraus geworden war. Sie rollte ihn über den Kinderzimmerboden. »Da, seht ihr«, sagte sie. »Aus der roten Knete habe ich einen Ball gemacht. Nun paßt auf, was ich aus dem nächsten Stück Knetmasse machen werde.« Sie nahm ein gelbes Stück, drückte es ganz flach, schob dann die Seiten hoch und glättete es. »Jetzt mache ich eine Tasse, aus der man richtig trinken kann«, erklärte sie dabei ihren Puppen. »Nun noch der Henkel, dann ist sie fertig. Schaut, ist sie nicht süß?« Es war wirklich eine niedliche kleine Tasse, die auch kein Wasser durchließ. Die Spielsachen
beobachteten Anna mit großen Augen. Golly, die Negerpuppe, lachte verschmitzt in sich hinein. Das würde ein Spaß werden heute nacht, wenn sie endlich auch mit der Knetmasse spielen konnte. Sie würde ganz wunderbare Sachen herstellen. In der Nacht, als Anna fest schlief, holte sich Golly die Schachtel mit der Knetmasse und machte sie auf. Sie überlegte lange. Was sollte sie zuerst machen? Die Spielsachen kamen und gaben ihr gute Ratschläge. »Mach einen Ball«, sagte das rosa Kaninchen und schaute Golly mit seinen großen Glasaugen an. »Dann werde ich damit spielen.« Das rosa Kaninchen war ein schüchternes kleines Ding, und Golly bekam plötzlich Lust, es zu ärgern. »Nein, ich mache einen Tiger, der wird dich durchs Zimmer
jagen«, sagte sie. Das Kaninchen quiekte. »Dann werde ich fortlaufen und nie wiederkommen.« »Dann mache ich einen roten Fuchs mit buschigem Schwanz und solchen Augen«, sagte Golly und machte ganz große Augen, mit denen sie das Kaninchen anstarrte. »O bitte, schau mich nicht so an«, sagte das Kaninchen und wich zurück. »Tu's nicht! Ich kriege Angst. Mach keinen Fuchs. Ich fürchte mich vor ihm.« »Gut, dann mache ich eine Eule. Eine große heulende Eule«, sagte Golly und amüsierte sich prächtig. »Eine mit groBen Klauen, die kleine Kaninchen greifen können und die immer ruft: Schu-huhuhuhuhuhuhu!« »Seht, seht«, sagte der große Teddybär. »Wenn du weiter so schuhuhust, wirst du Anna aufwecken, du dummes Ding. Sei still. Und trau dich ja nicht, einen Tiger zu kneten, oder einen Fuchs oder eine Eule. Du sollst das Kaninchen nicht immer so ängstigen.« Als Golly wie eine Eule geschrien hatte, war das Kaninchen bis zum anderen Ende des Kinderzimmers gelaufen. Es war in den Papierkorb gekrabbelt und hatte sich unter dem Papier versteckt. Golly grinste. »Ich mache keinen Tiger, keinen roten Fuchs und
auch keine Eule«, sagte sie zum Teddy. »Ich mache etwas ganz anderes. Zufrieden?« Dann fing sie an, hinter der Tür vom Spielzeugschrank zu arbeiten. Es entstand ein ganz eigenartiges Tier. Es hatte einen kleinen Kopf, riesige Ohren, einen langen Hals, einen ganz runden Körper mit Flügeln und einen Fischschwanz. Vorn hatte es drei Füße und hinten etwas, das wie ein Rad aussah. Es war wirklich ein merkwürdiges Wesen. »Was ist das?« fragte der Bär. »Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen.« »Das ist ein Smickelsmockel«, sagte die Negerpuppe grinsend und verpaßte dem komischen Ding noch ein paar Schnurrbarthaare. »Es ist nicht sehr hübsch«, meinte der Teddy und ging dann weg, um mit den anderen Spielsachen Ball zu spielen, bis das Tageslicht durch die Kinderzimmerfenster fiel. »Der Tag kommt«, sagte er dann. »Es ist Zeit, in den Spielzeugschrank zurückzugehen. Golly, ruf das rosa Kaninchen. Es sitzt im Papierkorb, und wenn es nicht herauskommt, wird es noch im Mülleimer landen.« Golly ließ erst alle Spielsachen in den Schrank zurückgehen, dann rief sie das rosa Kaninchen. »Komm heraus. Die Sonne kommt bald, und wir
müssen schlafen gehen.« Das rosa Kaninchen streckte die Ohren aus dem Korb. Es konnte weder einen Tiger noch einen Fuchs oder eine Eule sehen. Also sprang es heraus und rannte über den Teppich. »Ich muß dir noch etwas zeigen«, sagte die Negerpuppe und zog es hinter die Tür des Spielzeugschranks. Da stand das Smickelsmockel und sah sehr wütend aus, denn Golly hatte ihm zwei rotköpfige Stecknadeln als Augen ins Gesicht gesteckt. »Ooooooh, was ist das?« fragte das rosa Kaninchen zitternd. »Es ist ein Smickelsmockel«, antwortete Golly. »Sieht es nicht böse aus?« »Was frißt es?« fragte das arme rosa Kaninchen und bebte so heftig, dass ihm der Schwanz fast abfiel. »Es frißt rosa Kaninchen«, sagte die garstige Golly. Das Kaninchen quiekte laut und sprang so hastig in
den Spielzeugschrank, daß es auf die Spielzeugmaus trampelte und ihr den Schlüssel herausriß. Es krabbelte in die hinterste Ecke und kauerte sich dort zitternd nieder. »Das Smickelsmockel will mich fressen«, schluchzte es. »Ganz bestimmt, das will es!« »Golly ist gemein, daß sie dich so ärgert«, sagte der Bär. »Golly, tu die Knetmasse weg und komm in den Schrank. Und etwas plötzlich, wenn ich bitten darf!« Golly baute das Smickelsmockel schnell wieder auseinander und preßte die Knetmasse wieder in lange Stücke. Sie legte alles ordentlich in die Schachtel auf ein Schrankbrett. »Ich habe das Smickelsmockel in die Schachtel getan«, sagte sie und lachte spitzbübisch. »Ich hoffe, es kann nicht heraus.« »Uiiijijijijij! leg die Schachtel nicht in den Schrank«, kreischte das rosa Kaninchen und versuchte, sich im Baukasten zu verstecken. »Wenn es herauskommt, wird es mich fressen.« »Es kommt nur heraus, wenn es ganz in der Nähe rosa Kaninchen riecht«, sagte die gemeine Golly. Da wurde das rosa Kaninchen ganz wild vor Angst und raste laut fiepend im Schrank herum. Alle wurden schließlich ärgerlich.
»Du hast mir aufs Gesicht getreten«, sagte die blaue Katze. »Und mir bist du schon zweimal über den Schwanz gelaufen«, beschwerte sich der Affe. »Leg dich hin und schlaf, dummes Ding. Golly, mach die Schachtel mit der Knetmasse auf, damit das Kaninchen sieht, daß kein Smickelsmockel drin ist.« »Mach die Schachtel nicht auf, mach die Schachtel nicht auf!« quiekte das Kaninchen. »Wenn du das tust, wird das Smickelsmockel sich sofort auf mich stürzen.« Golly begann, den Deckel anzuheben. Das rosa Kaninchen sprang mit einem Satz aus dem Schrank heraus und kroch hinter die Heizung. Und da mußte es bleiben, denn inzwischen war es Tag geworden, und die Spielsachen durften sich nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen. Am anderen Morgen fand Anna das rosa Kaninchen hinter der Heizung. Es war ganz staubig. Sie mußte es waschen und zum Trocknen auf die Leine im Garten hängen. Das war sehr unbehaglich, denn die Klammern zwickten ihm die Ohren ein. Aber als es in der Nacht zu den Spielsachen zurückdurfte, und der Teddy es freundlich begrüßte, fing es wieder an, wie verrückt zu heulen. »Ich will nicht in die
Nähe der Schachtel, in der das Smickelsmok-kel ist!« schrie es. »Dann werde ich sofort wieder hinter die Heizung kriechen. Ich tu's ganz bestimmt. Ich tu's!« »Jetzt langt's aber wirklich«, sagte der Bär ärgerlich. »Golly, das ist alles deine Schuld. Nun überleg dir auch, wie du das Kaninchen wieder beruhigen kannst. Es hat ja einen richtigen Schock.« »Wirklich Golly, du mußt das unbedingt wieder in Ordnung bringen«, sagten auch die anderen Spielsachen, so verärgert, daß Golly ganz bestürzt dreinschaute. Es gefiel ihr gar nicht, daß jetzt alle gegen sie waren. Sie überlegte lange angestrengt, und endlich fiel ihr etwas ein. »Jetzt mache ich grünen Salat, rote Karotten und gelbe Zwiebeln«, sagte sie fröhlich. »Schaut her!« Alle schauten zu. Sie war wirklich sehr geschickt. Sie nahm das grüne Stück Knete und machte einen feinen Salatkopf daraus. Dann knetete sie drei rote Karotten und fünf niedliche Zwiebeln. Alles sah richtig echt aus. »Hier, rosa Kaninchen«, sagte Golly. »Das ist besser als ein Smickelsmockel, nicht wahr? Da habe ich ein feines Freßfest ganz für dich allein gemacht.« Das kleine rosa Kaninchen war so glücklich, daß
es wie der Blitz zu dem Knetgemüse rannte und den Salat, die Karotten und die Zwiebeln mit einem Haps herunterschluckte. Da es innen nur mit Sägemehl gefüllt war, war es nicht wahrscheinlich, daß die Knetmasse seinem Magen schaden würde. »Du dummes Ding«, schrie Golly entsetzt. »Du hast Annas rote, gelbe und grüne Knetmasse aufgefressen. Jetzt ist nur noch die blaue und die orangefarbene übrig. Was wird sie sagen?« Es war ein ziemlicher Schock für die Spielsachen, besonders für Golly. Über die Hälfte von Annas Knetmasse war im Magen des rosa Kaninchens verschwunden. »Du mußt
wieder welche kaufen«, sagte der Bär. »Aber wo?« fragte Golly mit Tränen in den Augen. Niemand wußte, wo man Knetmasse kaufen konnte. So mußte die Negerpuppe ihre kleine Spardose ausleeren und das Geld in die halbleere Schachtel mit Knetmasse legen. Was würde Anna wohl sagen, wenn sie statt der Knetmasse Geld in der Schachtel finden würde? »Golly wird es sich jetzt besser überlegen, ehe sie jemanden ärgert«, meinte der Teddybär. »Sie kann sich nun eine ganze Zeit kein Eis mehr kaufen, weil sie kein Geld mehr hat.« 256
Das war ziemlich traurig für die kleine Negerpuppe. Drei Nächte mochte sie gar nicht mehr lachen und lief mit trübseligem Gesicht umher. Als dann endlich wieder das fröhliche Grinsen auf ihrem Gesicht erschien, waren alle froh.
Das Tapetenmuster Peter war eigentlich ein sehr guter Schüler, nur eins konnte er einfach nicht: Er konnte nicht zeichnen. Der Zeichenlehrer sagte oft ganz verzweifelt zu ihm: »Also ich weiß nicht, Peter, hast du da einen Mülleimer, ein Haus, einen Elefanten oder eine Banane gezeichnet? Kannst du es wirklich nicht besser? Versuch es doch noch mal.« In dieser Schule mußten die Kinder in der Zeichenstunde oft Muster zeichnen, die sie dann bunt ausmalten. Manchmal waren es ganz einfache Muster, z. B. so: O-OO-O-O-O-O-O-OO-O-O-O-O, aber auch schwierigere wie dieses: ooo + + ooo + + ooo + + ooo + + ooo Den Kindern machte es Spaß, immer neue Muster zu erfinden. Sie nahmen Buchstaben dafür oder Zahlen oder
irgendwelche anderen Zeichen und Figuren. Für so einen Musterbogen konnte man praktisch jede Vorlage verwenden, wenn sie nur ein hübsches oder originelles Muster ergab. Nur Peter haßte das Musterzeichnen. Ihm fiel einfach nie etwas ein. Und wenn er wirklich mal eine Idee hatte zum Beispiel ein Muster aus lauter Flugzeugen dann sahen die Flugzeuge aus wie Vögel ohne Kopf mit zwei Schwänzen. Einfach scheußlich. Eines Tages gab ihnen der Lehrer übers Wochenende eine Hausaufgabe. »Denkt euch ein schönes Tapetenmuster aus«, sagte er. »Eine Tapete, die ihr selbst gern an eure Wand haben möchtet. Zeichnet es auf, und wenn ihr wollt, könnt ihr es auch anmalen.« Armer Peter! Er kam nach Hause und zerbiß fast seinen Bleistift, so angestrengt versuchte er, sich ein Muster auszudenken. Aber es fiel ihm nichts ein. Wirklich gar nichts! »So etwas Blödes«, dachte er und legten den Kopf auf die Arme. »Im Rechnen bin ich gut. Geschichte kann ich und lesen und Diktate schreiben, aber so etwas Einfaches, wie einen Musterbogen zeichnen, das schaffe ich einfach nicht. Mist!« »Sitz nicht so trübselig herum, Peter«, rief
seine Mutter. »Zieh dich an und spiel ein bißchen draußen im Schnee. Die Sonne scheint so schön. Das wird dich aufmuntern.« Peter zog schnell Gummistiefel an, eine dicke Wolljacke und setzte eine Pudelmütze auf. Ganz automatisch ging er zu seinem Lieblingsplatz im nahen Wald. Da stand doch wahrhaftig mitten im Schnee ein kleines Schneehaus mit Schneewänden und einem Schornstein aus Schnee! Die Fenster waren aus dünnem Eis, und statt einer Tür hatte das Haus vorn nur eine Öffnung. »Das ist aber ein hübsches Haus«, dachte Peter. »Ob darin jemand wohnt?« Er schaute durchs Fenster, konnte aber durch die Eisscheiben nichts erkennen. Dann ging er zur Türöffnung und blickte vorsichtig hinein. Das konnte doch nicht wahr sein! Drinnen war ein langbärtiges Heinzelmännchen geschäftig dabei, die Wände seines Hauses zu tapezieren. »Ich glaub, ich spinn«, sagte Peter. »Bist du wirklich ein Heinzelmännchen? Ich habe immer geglaubt, Heinzelmännchen gibt es nur in Büchern. Ehrlich, bist du echt?« »Du hast wirklich eine entzückende Art, einen anzureden«, erwiderte das Heinzelmännchen
erbost. »Du bist vielleicht komisch. Seh ich etwa aus wie ein Geist oder so etwas?« »Warum nicht, könnte doch sein«, meinte Peter. »Du hast aber eine hübsche Tapete. Wo hast du sie her?« »Die habe ich selbst gemacht«, sagte das Heinzelmännchen. »Auch das Muster habe ich selbst entworfen. Gefällt es dir?« »Es ist ein klasse Muster«, sagte Peter. »Wie bist du darauf gekommen? Mir fallen nie Muster ein.« »Das ist ganz einfach«, antwortete das Heinzelmännchen, und seine grünen Augen funkelten, als es Peter anschaute. »Ich gehe einfach hinaus und sehe mich nach Mustern um.« »Sich nach Mustern umschauen«, rief Peter. »Du willst mich wohl verschaukeln! Und wo liegen, bitte sehr, die Muster herum, nach denen du dich umsiehst?« »Im letzten Sommer, zum
Beispiel, habe ich ein niedliches Muster aus Gänseblumenköpfchen gefunden«, sagte das Heinzelmännchen. »Es war ganz leicht zu machen. Einfach ein kleiner Kreis in der Mitte und die Blütenblättchen rundherum. Es wurde eine sehr schöne Tapete. Auch die gefiederten Blättchen von ganz jungem Farn habe ich mal als Vorlage für einen Musterbogen genommen.« »Darauf wäre ich nie gekommen, daß man auf diese Weise Muster finden kann«, staunte Peter. »Aber diese Tapete hier hat kein Muster aus Gänseblümchen oder Farnkraut. Das ist überhaupt kein Blumenmuster. Was ist es? Das hast du dir doch sicher ausgedacht?« »Das habe ich nicht«, antwortete das Heinzelmännchen verschmitzt. »Das ist ein Schneemuster.« Peter schaute es überrascht an: »Aber solchen Schnee habe ich noch nie gesehen.« »Du hast dir eben die Schneekristalle noch nicht aufmerksam angeschaut«, erwiderte das Heinzelmännchen. »Jeder Schneekristall ist ein kleines Muster für sich. Hast du das wirklich noch nie gesehen?« »Nein«, sagte Peter. »Ich verstehe auch gar nicht, was du meinst.« »Was lernt ihr bloß in der Schule«, seufzte das
Heinzelmännchen und verdrehte die Augen. »Dann muß ich es dir wohl erklären. Was Schneeflocken sind, weißt du hoffentlich.« »Na klar«, sagte Peter empört. »Ich bin doch nicht blöd. Es schneit ja wieder wie närrisch.« »Jede der Schneeflocken, die du da fallen siehst, ist aus vielen einzelnen Schneekristallen zusammengesetzt«, sagte das Heinzelmännchen in belehrendem Ton. »Obwohl keiner dieser Schneekristalle dem anderen gleicht, haben sie doch alle etwas Gemeinsames. Sie sind alle sechseckig. Aber was soll ich viel reden. Wir legen jetzt einfach eine Schneeflocke unter mein Vergrößerungsglas, dann wirst du schon sehen, was ich meine.« Der Schnee fiel sehr dicht. Das Heinzelmännchen holte ein Stück schwarzen Samt und ließ eine Schneeflocke darauf fallen. Dann holte es ein Vergrößerungsglas hervor und ließ Peter die Schneeflocke durch das Glas anschauen. Das war herrlich! Der Junge sah zu seiner größten Überraschung, daß die Schneeflocke wirklich aus vielen ganz verschieden geformten Schneekristallen bestand und daß jedes dieser sternartigen Gebilde sechseckig war. Sie sahen schön und zart aus, wie sie da auf dem Samt lagen und glitzerten.
»Die sind ja toll«, rief Peter bewundernd. »Die gefallen mir. Schau mal, hier ist ein Sechseck, das fast wie die Vorlage für dein Tapetenmuster aussieht. Aber es ist doch anders. In dieser einen Schneeflocke sind ja Dutzende verschiedener Muster versteckt.« »So ist es«, sagte das Heinzelmännchen. »Morgen werde ich ein anderes Muster aufzeichnen und damit die andere Wand in meinem Schneehäuschen tapezieren. Das wird sicher interessant aussehen.« »Das glaube ich auch«, meinte Peter. »Aber du hast mich da auf eine tolle Idee gebracht. Ich male ein Schneekristallmuster. Dann werde ich endlich einmal eine gute Note in Zeichnen
bekommen.« »Na, tschüs, denn«, sagte das Heinzelmännchen und ging wieder in sein Haus zurück. »Ich werde jetzt weiter tapezieren. Wenn du magst, komm doch Montagabend vorbei und erzähl mir, wie dir's ergangen ist.« Peter rannte nach Hause. Er platzte ins Wohnzimmer und erzählte seiner Mutter die Geschichte von dem Heinzelmännchen und seinem Vergrößerungsglas. »Ach, zu dumm«, rief er und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Hätte ich es nur gefragt, ob es mir das Glas leiht. Dann könnte ich mir noch einmal angucken, wie die Schneekristalle aussehen. Ich erinnere mich gar nicht mehr so genau an alle Einzelheiten.« »Da kann ich dir helfen«, sagte die Mutter. »Wir haben auch ein solches Vergrößerungsglas.« Die Mutter holte das Glas. Peter fing auf seinem Jackenärmel eine Schneeflocke und schaute sie durch das Vergrößerungsglas an. Wie Sterne oder Blumen sahen die Kristalle aus, wunderschön und ganz vollkommen, obwohl sie so klein waren. Peter schaute sich einen der Kristalle besonders auf-
merksam an, um ihn im Gedächtnis zu behalten. Dann lief er hinein und zeichnete eine ganze Reihe dieses Kristalls auf sein Papier und dann noch eine Reihe und noch eine, so lange, bis das ganze Blatt voll war. Stolz zeigte er den Musterbogen seiner Mutter. »Das ist wirklich das hübscheste Muster, das du jemals gemacht hast«, sagte sie bewundernd. »Eine Tapete mit diesem Muster würde mir auch gefallen.« Zum ersten Mal in seinem Leben bekam Peter eine gute Zensur für ein Bild. Der Lehrer hängte es sogar auf, damit alle es sehen konnten. Gleich nach der Schule rannte Peter in den Wald, um dem
Heinzelmännchen diese fabelhafte Neuigkeit zu erzählen. Aber das Schneehäuschen war weg. Die Sonne hatte es weggeschmolzen. Nur ein nasser Pfahl stand noch da, an dem ein Stück Papier flatterte: die Schneemustertapete des Heinzelmännchens. »Armes kleines Heinzelmännchen«, dachte Peter. »Sein Haus hat nicht lange gehalten. Ich hätte mich so gern bei ihm für die Idee bedankt, in der Natur nach Mustern zu suchen. Das war ein unglaublich guter Tip!«