George Romero Susanna Sparrow
Horror-Roman Nach einem Drehbuch von George Romero
Wilhelm Goldmann Verlag
Titel der ...
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George Romero Susanna Sparrow
Horror-Roman Nach einem Drehbuch von George Romero
Wilhelm Goldmann Verlag
Titel der Originalausgabe: Dawn of the Dead Originalverlag: St. Martin's Press Inc., New York Aus dem Amerikanischen übertragen von Frank N. Stein
Made in Germany • 8/79 • 1. Auflage • l .-15. Tsd. © der Originalausgabe 1978 bei Dawn Associates © der deutschen Ausgabe 1979 beim Wilhelm Goldmann Verlag, München Umsdilagentwurf: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München Fotos: Neue Constantin Film GmbH, München Satz und Druck: Presse-Druck Augsburg Verlagsnummer: 3895 Lektorat; Doris von Kornatzki • Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-03895-2
Das Einschlafen fiel Francine Parker schwer. Jeden Abend war es eine Anstrengung, die Ereignisse des Tages und die Erinnerungen an die Vergangenheit zu verdrängen, die ihr Gemüt belasteten. Jetzt, als sie schlief, zeigte ihre gequälte Miene, daß sie selbst im Traum nicht davon verschont blieb. Mit dreiundzwanzig Jahren war sie schlank und sehr attraktiv. Nach ihrer Scheidung hatte sie ihre Brille mit Kontaktlinsen vertauscht, ihr brünettes Haar silberblond gebleicht und elf Kilogramm Übergewicht, verursacht durch Spaghetti, Schokoladekuchen und Häuslichkeit, binnen kurzern abgehungert. Es war eigentlich ein komischer Traum, der sie jetzt heimsuchte. Wäre sie wach gewesen, sie hätte über seine Symbolik vielleicht gelacht - sie war an das Spülbecken in der Küche gefesselt, die Arme bis zu den Ellenbogen in Seifenschaum, und ihr Exehemann Charlie küßte sie auf den Nacken. Endlich setzten sich die summenden Geräusche von Stimmen, Elektronikanlagen und dem allgemeinen Durcheinander eines wildgewordenen Fernsehstudios angesichts einer landesweiten Katastrophe gegen die lächerliche Misere einer Hausfrau durch, und Francine kam langsam zu sich. In ihrer Ver-
wirrung wußte sie nicht, wo sie war - und dann fiel es ihr ein; sie war Mrs. Francine Parker, zweite Sendeleiterin der Fernsehstation WGON, Sie war nicht mehr Mrs. Charles Parker, mit neunzehn Hausfrau, mit einundzwanzig zu Tode gelangweilt. In den zwei Jahren seit ihrer Scheidung hatte sie wirklich viel erreicht, aber dies war nicht der Augenblick für Selbstbelobigung, nicht angesichts eines nationalen Notstandes. Fran taumelte. Ihr langes Haar hing in fettigen Strähnen S
um ihr verschwitztes Gesicht. Jeans und Bluse, die sie nun schon tagelang anhatte, waren zerknittert und klebten ihr am Leib. Sie hatte an der Wand gesessen, mit einem alten Mantel zugedeckt. »Alles okay?« fragte eine Stimme aus dem Nebel, der sie umgab. Fran starrte den jungen Mann, der sie aufgefangen hatte, an und wußte im ersten Augenblick nicht, wo sie ihn hintun sollte. »Jetzt sitzen wir erst richtig m der Scheiße«, sagte der junge Mann, den sie endlich erkannte - Tony, der Redaktionsbote. Seine schwarzen Haare waren zerzaust, seine olivfarbene Haut von Schmutz- und Schweißspuren gezeichnet. Trotzdem ging er ruhig zu den anderen Schläfern am Boden und weckte sie so vorsichtig, wie er es bei Fran getan hatte. Das Stimmengewirr wurde lauter und wurde unterscheidbar. Fran erkannte, daß die Geräusche von einem Monitor kamen. Noch immer unfähig, den unsinnigen Traum abzuschütteln, schaute sie sich um. Am anderen Ende des Raumes gab es Gedränge um den Monitor. Kleine Figuren, die sich ungeschickt wie Strichmännchen bewegten, diskutierten heftig miteinander. Ringsum waren die Menschen erschöpft und aufgelöst, und trotzdem liefen sie wie wild durcheinander. »Woher das kommt? Was, zum Teufel, spielt das für eine Rolle, woher das kommt?« sagte Sidney Berman erbost, während sein zerzauster schwarzhaariger Kopf rhythmisch auf und ab wippte. Sein Gesicht war gerötet. Hier ging es nicht um Banales, wie oft in seiner viel gesehenen vormittäglichen Talkshow. Hier ging es um Leben und Tod. Was für Einschaltquoten! dachte er. »Ja, aber das ist . . .« sagte Dr. James Foster ruhig, während die Augen hinter seiner Brille glitzerten. Sein schütteres, blondes Haar war unter dem heißen Scheinwerferlicht feucht vor Schweiß. »Das ist eine ganz andere Untersuchung«, unterbrach Der-
Francine Parker, dreiundzwanzig Jahre alt, zweite Sendeleiterin bei der Fernsehstation WGON. (Gaylen Ross.)
man. »Sie versuchen -« »Aber wenn wir das wüßten, könnten wir . . .« Dr. Foster schob sich auf die Stuhlkante vor und gestikulierte. »Das wissen wir nicht«, gab Berman zurück. »Wir wissen es nicht. Wir müssen von dem ausgehen, was wir wissen.« Francines Blick wanderte von der Diskussion auf dem Bildschirm zu dem wilden Durcheinander im Raum. Redakteure hetzten mit Fernschreiben in den Händen hin und her, Sekretärinnen ordneten die Stapel von Meldungen in die einzelnen Fächer für die Reporter, überall rannten Leute, stolperten über Kabel, behinderten einander. »Ich träume immer noch«, sagte eine Stimme, und einen Augenblick lang glaubte Francine in ihrer Schläfrigkeit, es wäre ihre eigene. Dann begriff,sie, daß es eine Männerstimme gewesen war. Sie wandte sich ihr zu. Es war ein junger Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, jemand, der von Tony bei seiner Runde geweckt worden war. »Nein, das tun Sie nicht«, sagte Francine leise. »Ich bin dran mit dem Mantel«, sagte eine junge Frau, die Francine als Kunstredakteurin erkannte. Die Frau hielt ihr im Tausch für den dicken Mantel, der Fran als Decke gedient hatte, eine Tasse Kaffee hin. Fran griff dankbar danach. »Die Jungs von der Technik schnappen über«, sagte die Frau vertraulich zu Fran. »Eine ganze Reihe hat schon das Weite gesucht. Ich weiß nicht, wie lange wir noch senden können.« Die Frau wickelte sich in den Mantel und machte es sich für ein Nickerchen bequem. Fran wankte hinüber zu den Schaltpulten. Die Techniker schienen unter dem Druck von Verwirrung und Chaos zusammenzubrechen. »Achtung, Kamera z w e i . . , Wer ist an Kamera zwei, verdammt noch mal - ein Blinder?« schrie jemand. »Bildfeld halten . . . Bildfeld halten . . .« lallte ein anderer, wie zu sich selbst gewandt. »Noch einmal die Rettungsstationen.« 8
»Wir haben eine Meldung, daß die Hälfte der Rettungsstationen ausgefallen ist«, sagte der erste. »Ich brauche eine neue Liste.« »Klar«, sagte sein Partner erbost. »Ich zieh' sie mir aus den Rippen.« Wie eine Schlafwandlerin stand Fran erstarrt mitten im Redaktionsraum, von der Tollhausatmosphäre hypnotisiert. Sie fühlte sich völlig hilflos, als ihr die Aussichtslosigkeit der Lage zum Bewußtsein kam. Ihr Blick richtete sich wieder auf den Monitor.
Sidney Berman lockerte seine Krawatte und warf sich in Positur. »Das glaube ich nicht, Doktor Foster, und ich glaube nicht. ..« »Glauben Sie, daß die Toten ins Leben zurückkehren?« fragte Fester mit Betonung. Seine Worte lösten in der ganzen Redaktion einen Schock aus. Gelesen hatte man das den ganzen Tag, aber es zu hören, schuf eine neue Wirklichkeit. »Glauben Sie, daß die Toten ins Leben zurückkehren und die Lebenden angreifen?« wiederholte Foster. »Ich bin mir einfach nicht klar darüber, was ich glauben
soll!« Im Studio, einige Türen von der Redaktion entfernt, machte sich unter den Technikern Panik breit. Man hörte aufgeregtes Gemurmel. Das war keine Fernsehserie - das war das wirkliche Leben! »Alles, was wir erfahren, ist, was Ihresgleichen uns erzählt«, schrie Berman. »Und es fällt schwer genug, das zu glauben . . . Es fällt schwer genug, auch ohne Ihr Auftreten und Ihre Behauptung, wir müßten alle menschliche Würde vergessen und . , .« Berman wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
»Menschliche Wür- . . . Sie können doch nicht -« brauste Foster auf.
»Alle menschliche Würde vergessen«, wiederholte Berman. »Sie halten hier keine Talkshow ab, Mr. Berman«, sagte Foster empört. »Sie können es sich sparen, den Zuhörern moralischen Quark vorzusetzen.« »Sie sprechen davon, jeden menschlichen Verhaltenskodex aufzugeben, und es gibt viele von uns, die dazu nicht bereit sind, Doktor Foster . . .« Die Erregung unter den Technikern und Bühnenarbeitern wuchs. Ein Schrei der Zustimmung gellte. Die Brille rutschte Foster von der Nase. Das Einverständnis von Zuschauern und Technikern mit dem Moderator brachte ihn aus der Fassung. Arbeiter und Kameraleute verließen ihre Posten und drangen mit emporgereckten Fäusten auf ihn ein, fluchten und beschimpften ihn. Polizeiwachen versuchten, das Getümmel unter Kontrolle zu bringen und zu verhindern, daß Leute vom Flur hereinstürmten. Fran starrte dumpf auf Schaltpult und Monitor. »Frannie«, rief ein Mann, »kümmern Sie sich um die neue Liste der Rettungsstationen. Charlie hört die Notfrequenzen ab.« Fran gelang es, sich von der Wahnsinnsszene auf dem Pultmonitor loszureißen. Sie kämpfte sich durch das Gedränge und gelangte zu Charlie, der ein Notfunkgerät bediente. »Wiederholen . . . kann Sie nicht verstehen«, sagte Charlie. »Rettungsstationen?« sagte Fran und blätterte in dem Papierwust auf Charlies Schreibtisch. »Die Hälfte ist schon nicht mehr in Betrieb«, sagte er, wahrend er Notizen zu machen versuchte. »Ich gebe mir Mühe, wenigstens für die unmittelbare Umgebung etwas zu bekommen. Seit zwölf Stunden senden wir überholte Informationen.« »Das sind Rettungsstationen«, sagte Fran besorgt. »Wir können die Leute doch nicht zu stillgelegten -« »Wiederholen, New Hope . . .« sagte Charlie ins Mikrofon. Er reichte Fran die Zettel und sagte zu ihr: »Ich tue, was ich ro
kann. Die sind ab jetzt gültig. Skip und Dusty sind auch am Funk. Viel Glück.« Er tätschelte sie am Gesäß, als sie die Listen zusammenraffte und davoneilte. Am Pult blieb sie stehen und sagte zu dem Studiotechniker: »Ich storniere die alten Rettungsstationen. Die neuen liefere ich, sobald ich kann.« »Givens will sie beibehalten«, sagte der dickbäuchige, grauhaarige Mann barsch. Fran hatte stets Ärger mit ihm gehabt. Er ließ sich von hübschen jungen Damen nicht gerne Anweisungen geben. »Wir schicken die Leute zu Stationen, die schon geschlossen sind«, sagte sie wütend. »Ich storniere die alte Liste.« Als sie zum anderen Regieraum ging, hielt ein bewaffneter Polizist sie auf. Sie versuchte sich vorbeizudrängen in der Meinung, er hätte sie ungewollt behindert. »He, die ist in Ordnung«, sagte Tony im Vorbeilaufen. »Wo ist Ihre Marke?« fragte der Beamte scharf. Fran griff nach dem Revers ihrer Bluse und stellte überrascht fest, daß die Marke fehlte. Dabei war sie überzeugt, sie heute morgen gut befestigt zu haben - oder war das gestern früh gewesen? Tage, Stunden, Minuten gingen in dem unüberschaubaren Wirbel einfach unter. Sie wußte, sie würde in Panik geraten, wenn sie sich Zeit zum Nachdenken nahm. »Herrgott«, schrie sie. »Sie ist in Ordnung«, sagte einer der Reporter im Vorbeigehen. »Ich hatte sie vorhin noch«, versuchte Fran den Polizisten zu überzeugen. »Ich habe da drüben geschlafen . . .« Sie wies auf die an der anderen Wand lehnenden Gestalten. »Jemand hat sie gestohlen«, sagte der Reporter. »Es sind schon viele verschwunden.« Er wandte sich dem Beamten zu. »Sie gehört dazu. Lassen Sie sie durch.« Der Beamte trat widerwillig zur Seite und starrte sie alle beide erbost an.
Sie gingen durch den überfüllten Korridor zu einem kleinen Kameraraum. Es war wie zur Stoßzeit in der U-Bahn. »Ich glaube das einfach nicht«, sagte Fran, als sie sich durch das Gedränge zu schieben versuchten. »So eine kleine Marke kann viele Türen öffnen. Sie ersparen sich viel Ärger, wenn Sie eine Plakette haben - irgendeine.« »Jetzt geht wirklich alles drunter und drüber«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem jungen Mann, als sie eine kleine Kameraanlage erreichten. Die Kamera war auf eine Maschine gerichtet, wo eine Liste der Rettungsstationen abrollte. Die Liste lief über den gesendeten Live-Auf nahmen nach draußen. Ein rothaariger Kameramann drehte sich um, als Fran hereinkam. »Haben Sie neue?« »Muß sie erst tippen. Nehmen Sie die alten weg.« »Givens will, daß sie -« »Nehmen Sie sie weg, Dick. Givens soll zu mir kommen!« sagte sie scharf. Entscheidungen waren ihre Sache. Der Mann schaltete die Kamera ab, griff nach seinen Zigaretten und verließ das Pult. Fran ging weiter zum Studio. Als die Liste der Rettungsstationen vom Monitor verschwand, sah sie, daß die Diskussion zwischen Berman und Foster noch immer im Gange war. Fran ging durch den Mittelgang und fand am Ende der fünften Reihe vom Podium einen freien Platz. Sie brach auf dem Sitz beinahe zusammen, spürte zum erstenmal, wie geschwächt sie körperlich war. Der Arzt hatte ihr erklärt, daß sie sich müde fühlen würde, aber in den letzten zwei Tagen hatte sie nicht viel darüber nachgedacht. Das einzige, was sie immer wieder daran erinnerte, war die ständige Übelkeit. »Tja, ich glaube nicht an Gespenster, Doktor Foster«, sagte Berman gerade. »Das sind keine Gespenster. Es sind auch keine Menschen! n
Es sind Leichen. Jede nicht begrabene menschliche Leichen, deren Gehirn intakt ist, wird sich wieder in Bewegung setzen. Und es liegt gerade an solchen verantwortungslosen Leuten wie Ihnen, daß die Öffentlichkeit in derart unverantwortlicher Weise auf die Situation reagiert!« Die Zuschauer und Techniker erhoben erneut ihr Protestgeschrei. »Sie haben nicht zugehört«, versuchte Foster den Lärm zu überbrüllen. »Sie haben drei Wochen lang nicht zugehört ... Was ist erforderlich ... was braucht es, damit die Menschen begreifen?« Fran atmete tief ein, erhob sich und ging nach vorn zum Aufnahmebereich, der von den Kabeln und Makros und Geräten der Live-Technik umgeben war. Das Geschrei wurde ohrenbetäubend. Fran starrte die beiden Sprecher an, als wären sie Marionetten. »Die Situation ist beherrschbar«, sagte Dr. Foster mit flehender Stimme und streckte die Hand aus, als wolle er ein Friedensangebot machen. »Die Menschen müssen sich darauf einstellen. Es ist außerordentlich schwierig ... bei Freunden . . . bei Angehörigen .. . aber ein Toter muß deaktiviert werden, indem entweder das Gehirn zerstört oder vom Rest des Körpers abgetrennt wird.« Ein neuer Ausbruch erschütterte das Studio. Dr. Foster versuchte, sich über das Geschrei hinweg verständlich zu machen. »Die Lage muß unter Kontrolle gebracht werden ... bevor es zu spät ist ... Sie vermehren sich zu schnell. . .« Fran konnte es nicht mehr ertragen, wie der arme, hilflose Mann einen Haufen brüllender und durcheinanderwogender Wahnsinniger zu überzeugen versuchte. Sie ging durch den überfüllten Raum zu einer zweiten Notfunkanlage. Skip und Dusty saßen dort und kritzelten hastig mit, was durchgegeben wurde. »Einsatzbereite Rettungsstationen?«
»Sie kippen um wie die Fliegen«, sagte Dusty. »Hier sind ein paar. Ich glaube, Foster hat recht, wissen Sie, Ich glaube, wir verlieren den Krieg.« »Ja, aber nicht an den Gegner«, sagte Fran stoisch. »Wir machen uns selbst kaputt.« Sie hielt den beiden den Rest ihres lauwarmen Kaffees hin. »Nicht mehr viel drin, aber laßt es euch schmecken.« Dusty und Skip waren für einen Schluck Kaffee dankbar. Fran eilte zu einem Drucker für das optische Souffliergerät. Über dem allgemeinen Lärm war die Stimme des Moderators immer noch zu vernehmen. »Die Menschen sind nicht bereit, Ihre Lösungen zu akzeptieren, Doktor Foster«, sagte Berman leidenschaftlich. »Und ich kann es ihnen nicht verdenken.« »Jeder Tote, der nicht vernichtet wird, gesellt sich zu ihnen! Er steht auf und tötet! Die Mensdaen, die er tötet, stehen auf und töten!« Die Haare Fosters waren zerzaust, sein Blick zuckte hin und her. Es war ein aussichtsloses Unterfangen. Das Publikum und Berman wollten einfach nicht begreifen. Sie wollten verhätschelt werden, sie wollten glauben, daß es dem Staat auf wundersame Weise gelingen würde, >die Bösen< zu verjagen, und am nächsten Morgen, in den Nachrichten alles wieder so wie früher sein mußte: ein bißchen Politik, ein bißchen Crime, Sportergebnisse und sonniges Wetter. Aber so würde es einfach nicht mehr sein, jedenfalls sehr lange nicht mehr. Fran gab die Liste einsatzbereiter Rettungsstationen an die Schreiberin vor dem Soufflierdrucker und lief zurück in den Regieraum. Um die Monitorpulte herrschte Chaos, das der wutentbrannte Dan Givens, der Sendeleiter, noch zu steigern schien. »Niemand hat die Befugnis dazu. Ich verlange .. .«, schrie er zornig. Als Fran um die Ecke kam, entdeckte er sie, brüllte aber weiter: »Garrett, wer hat Sie angewiesen, die Liste weg14
zulassen?« »Niemand«, mischte Fran sich ein. »Das war ich. Sie sind überholt«, sagte sie schlicht, um ihre Nerven zu schonen. »Ich wünsche, daß sie ständig weiterlaufen«, schrie Givens, während sein gerötetes Gesicht sich noch dunkler färbte. »Wollen Sie die Leute in den Tod schicken, wenn Sie ihnen Stationen nennen, die geschlossen sind?« fuhr ihn Fran an. »Wenn die Rettungsstationen nicht dauernd auf dem Bildschirm sind, gucken die Leute nicht mehr hin. Sie schalten auf einen anderen Kanal!« Fran starrte den hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann fassungslos an. In einem solchen Augenblick dachte er an etwas so Unsinniges wie Einschaltquoten. »Ich wünsche die Liste im Bild, solange wir senden«, wiederholte Givens. Bevor Fran jedoch eine zornige Antwort geben konnte, stand einer der Techniker, der Givens zugehört hatte, auf und verließ das Schaltpult. Der Sendeleiter geriet außer sich. »Lucas ... Lucas, was, zum Teufel, machen Sie da? Setzen Sie sich an Ihren Platz. Lucas... wir sind auf Sendung!« Der stämmige, ältere Mann warf lediglich einen Blick über die Schulter und rief in das Durcheinander: »Kann ich jemand mitnehmen?« Zwei Männer auf der anderen Seite der Schaltanlage griffen nach ihren Aktentaschen und folgten dem Techniker zur Tür. Die Tür wurde von demselben Beamten bewacht, der vorher Fran angehalten hatte. Die ständige Belastung begann sich jedoch auf ihn auszuwirken, und er sah die drei Männer nervös an, »Officer, Officer«, schrie Givens, »halten Sie sie auf. Halten Sie die Leute auf. Lucas, kommen Sie sofort zurück . . . « Der Geräuschpegel nahm zu. Leute begannen hin- und herzustürmen, und über dem Lärm war die Stimme der Regie aus den Lautsprechern zu hören: »Was ist denn bei euch los, ver-
dämmt noch mal? Umschalten ... Umschalten ... Wo ist die Bildmischung?... Wir verlieren das Bild,« Givens brüllte immer noch, »Officer, die Leute aufhalten . . .« Der junge Beamte starrte die Männer an, als sie auf ihn zutraten. Dann packte er seinen Karabiner fester, öffnete die Tür und ließ sie hinaus. Ohne einen Blick auf den kreischenden Givens zu werfen, schloß er sich ihnen an. »Holt einen her, der mit dem Ding umgehen kann«, schrie Givens und sprang ans Pult. Er versuchte verzweifelt, die komplexe Anlage zu bedienen. »Los, wer damit umgehen kann, dem zahle ich das Dreifache . .. das Dreifache. Wir bleiben auf Sendung!« Der letzte Satz klang wie eine Drohung. Fran schüttelte nur ungläubig den Kopf und ging langsam in Richtung Studio davon. In dem großen Saal herrschte nach wie vor höchste Anspannung. Redaktionsangehörige versuchten, ihre Arbeit korrekt zu verrichten, aber ihre Gesichter wirkten versteinert. Es war, als müßte jeder weitere Hinweis auf eine Krise ihre scheinbare Gelassenheit zerstören. »Sie töten aus einem Grund«, sagte Dr. Foster wie in Trance. Er hatte das Jackett ausgezogen und wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn. »Sie töten, um sich zu ernähren! Sie essen ihre Opfer! Verstehen Sie, Mr. Berman?« fragte er gedehnt, als spräche er zu einem Kind. »Das ist es, was sie aufrechterhält.« Fran wurde von einer Welle von Übelkeit erfaßt und mußte sich an die Korridorwand lehnen. Unablässig stürzten Leute an ihr vorbei, als müßten sie in letzter Sekunde einen Zug erreichen. Sie versuchte zur Ruhe zu kommen und verfolgte die Diskussion, während Angestellte des Hauses angewidert das Studio verließen. »Wenn wir aufgepaßt hätten. Wenn wir richtig auf die Erscheinung reagiert hätten ... ohne Emotionen ... ohne ... 16
Emotionen. Es wäre nicht so weit gekommen!« sagte Dr. Fester drängend zu seinem schrumpfenden Publikum. Er wischte sich mit dem schmutzigen, feuchten Taschentuch erneut die Stirn, lockerte die Krawatte und öffnete den obersten Kragenknopf. Der sonst so ruhige, gelassene Mann war ein Nervenbündel geworden, verzweifelt, zitternd vor Zorn und Enttäuschung. Fran hatte noch bei keinem Menschen einen so radikalen Wandel erlebt. »In Philadelphia wie in allen anderen großen Städten des Landes herrscht Kriegsrecht«, fuhr Foster mit heiserer, krächzender Stimme fort. »Die Bürger müssen die schauderhaften . , . schauderhaften Konsequenzen dieser Erscheinung begreifen. Sollten wir nicht fähig sein, die Ausbreitung zu verhindern . . . infolge der von Gefühlen gesteuerten Haltung der Bevölkerung ... gegenüber ... diesen ... Fragen der Moral.« Er war aufgestanden, hielt sich mit einer Hand am Stuhl fest und hob die andere: »Auf Anweisung der Bundesregierung, des Präsidenten der Vereinigten Staaten . . . dürfen Bürger sich nicht mehr in Privatwohnungen aufhalten. Gleichgültig, wie gut sie geschützt sein mögen, wie groß die Vorräte . . .« Das Stimmengewirr im Studio schwoll an. Eine Frau stieß einen gellenden Schrei aus und sank zu Boden, ein Mann schrie immer wieder: »Luft, Luft, ich bekomme keine L u f t . . . « Foster versuchte das Geschrei zu übertönen, aber seine Stimme klang brüchig, und er war kaum zu verstehen. »Die Bevölkerung wird in zentralen Bereichen der Stadt zusammengeführt...«, schrie er den Technikern zu, die ihre Posten verließen, die Kopfhörer zu Boden warfen und zur Tür stürzten. Eine Kamera begann zu rotieren, und auf den Monitoren war nur noch verschwommenes Wirbeln zu sehen. Fran hastete auf die unbesetzte Kamera zu. Sie versuchte sich an das zu erinnern, was Givens ihr für den Einsatz in einem Notfall erklärt hatte, aber ihr Gehirn schien leer zu sein. Sie richtete die Kamera auf Foster, starrte m den Sucher und 17
traute ihren Augen nicht. Foster stand auf dem Tisch, sein Hemd hing aus der Hose, seine Augen waren die eines Irren. Seine Stimme überschlug sich. Er glich einem alten Propheten, der ungläubigen Barbaren Unheil voraussagt; »Die Leichen werden Trupps der Nationalgarde mit Spezialausrüstung zur geordneten Beseitigung übergeben .. .« Plötzlich brach ein Mann aus der vordrängenden Menge und lief schnell auf Fran zu. Sie zuckte zusammen, als die Gestalt im Suchbild erschien. »Frannie«, rief der Mann, den sie plötzlich erkannte - es war Steve -, »komm um neun Uhr aufs Dach. Wir verschwinden.« »Steve... ich kann das einfach nicht fassen. - Was...« »Wir hauen ab. Mit dem Hubschrauber.« Ein anderer Techniker kam heran und übernahm Frans Kamera. Steve zog sie mit sich, außer Hörweite des Mannes, und sagte mit leiserer Stimme: »Neun Uhr. In Ordnung?« »Steve, das geht n i c h t . . . wir müssen -« »Wir müssen gar nichts, Fran«, sagte Steve unbeirrt. »Wir müssen überleben.« Sie blickte in die braunen Augen des Mannes, den sie liebte. Seine schwarzen Haare standen wirr durcheinander, sein Anzug war zerknittert. »Irgend jemand muß überleben«, sagte er, »Du bist um neun Uhr oben. Daß ich dich ja nicht holen muß.« Er drehte sich um und verschwand m der Menge. Fran schaute sich nervös nach dem Kameramann um, ein wenig schuldbewußt ihrer Pläne wegen. Als der Saal sich leerte, wurden Fosters und Bermans Stimmen immer lauter. »Nur zu«, sagte der Kameramann ruhig zu Fran. »Bis Mitternacht senden wir ohnehin nicht mehr. Es werden Notsender eingerichtet. Unsere Aufgabe ist ... beendet, fürchte ich.« Wie in Trance ging Fran zu der Ecke, wo sie Handtasche
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Steve Andrews, Hubschrauberpilot bei der Verkehrsüberwachungsabteilung der Fernsehstation WGON, versucht, sich und seine Freunde in Sicherheit zu bringen. (David Emge.)
und Mantel zurückgelassen hatte. Nun brauchte sie nur noch die vierzig Minuten zu warten, bis es neun Uhr war. Und. was dann? Wie sollte es weitergehen? Der Gedanke ließ sie schaudern.
Verglichen mit der sirrenden Erregung im Sender, war es sonst im dunkelnden Philadelphia ruhig. Die Gebäude der weitläufigen Wohnsiedlung, verbunden durch Fußwege und Spielplätze, standen da wie Grabsteine, als die ersten Sterne sich am düsteren, luftverseuchten, dunkelblauen Himmel hervorwagten. Plötzlich war an der Dachkante das Funkeln eines Greifhakens zu sehen. Lautlose Gestalten kletterten wie Balletttänzer am Gebäude hinauf. Männer mit den schußsicheren Westen der Bereitschaftspolizei, die modernsten Spezialwaffen an die Brust gedrückt, bezogen Stellung auf den Dächern und in den dunklen Ecken der Siedlung. Am Zugang zu einer der Feuertreppen des Hauses kauernd, spürte Roger DeMarco einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Ohne sich aufzurichten, versuchte er das schmerzende Bein auszustrecken, um den Krampf loszuwerden. Drei Kollegen kauerten stumm neben ihm. Die Stille täuschte. Es hatte gar nicht den Anschein, als sei dies die nationale Katastrophe, über die Politiker sich seit Monaten ereiferten. Die Bevölkerung hatte eher das Gefühl, daß der Staat ihnen etwas vormachte. Niemand, schon gar nicht die Ungebildeten, die Abergläubischen und die streng Religiösen, glaubte an die Erklärung der Behörden über die Rückkehr der Toten ins Leben. Niemand wollte glauben, daß der Ehemann, die Ehefrau, das Kind oder die Eltern, die man eben verloren hatte, zurückkehren sollten, um Angst und 20
Bereitschaftspolizist Roger DeMarco kämpft gegen die Zombies in einem Wohnblock. (Scott H. Reiniger.)
Schrecken zu verbreiten und Menschenfleisch zu verschlingen. Selbst Roger, der politisch nicht sehr viel verstand, begriff, daß die am Ruder befindlichen Kräfte nicht das Vertrauen der Bevölkerung besaßen. Der Aktienindex war unter den Tiefpunkt der Carter-Administration gefallen, die Arbeitslosigkeit hatte zugenommen, die Inflation wütete. Da eine Präsidentenwahl bevorstand, glaubten die meisten Menschen, das Ganze sei nur ein Manöver mehr, um zu erreichen, daß sich das Land hinter den Kandidaten der herrschenden Mehrheit stellte. Roger schaute auf die Uhr. Die Gestalten neben ihm überprüften ihre Waffen. Der Sekundenzeiger an Rogers Uhr erreichte die Zwölf. »Licht«, murmelte Roger. Wie aufs Stichwort flammten Scheinwerfer auf und erfaßten das Haus. »Martinez«, ertönte eine körperlose Stimme hinter einem großen Lastwagen. Es war der Abteilungskommandeur, der ein Megaphon mit elektronischer Verstärkung benutzte. »Martinez, wir haben aufgepaßt«, sprach er, an den puertorikanischen Anführer des Bewohneraufstands gewandt, weiter: »Sie wissen, daß das Haus umstellt i s t . . . « Die Bewohner hatten sich geweigert, das Gebäude zu verlassen, und sich im Keller ihren eigenen Friedhof eingerichtet. Alle Lichter, die in der Siedlung noch gebrannt hatten, erloschen der Reihe nach. »Der kleine Saukerl hat sie alle in ein Gebäude geschafft . . . doofer Kerl«, sagte der Kommandeur zum Sergeanten neben sich. »Sieht so aus, als wollten sie sich wehren«, erwiderte der Sergeant. Der Kommandeur griff wieder nach dem Megaphon. »Martinez ... für die Leute hier in der Siedlung tragen Sie die Verantwortung. Wir wollen nicht, daß irgend jemandem
etwas passiert, und Sie wollen es auch nicht.« Roger lauschte auf eine Antwort, aber sie blieb aus. »Ich gebe Ihnen drei Minuten Zeit, Martinez«, schrie die Megaphonstimme. »Legen Sie Ihre Waffen nieder und kommen Sie heraus«, fuhr der Kommandeur fort, ein drahtiger, grauhaariger Mann um die Fünfzig. »Es wird weder gegen Sie noch gegen Ihre Leute etwas unternommen . . .« »Jetzt nicht«, murmelte Roger. »Drei Minuten, Martinez«, dröhnte die verstärkte Stimme über die Betontürme, die verlassenen Spielplätze, die mit rostenden Autos aus zweiter Hand vollgestellten Parkplätze. Roger blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. »Die Uhr läuft. . .« Die Siedlung glich einem Standfoto. »Los, Martinez!« sagte Roger drängend. Eine der kauernden Gestalten stolperte plötzlich auf Roger zu. »Ja, los, Martinez«, zischte Wooley bösartig. »Zeig deinen dreckigen Hintern . . . damit ich ihn dir wegknallen kann.« Roger sah besorgt zu dem großen Mann hinüber, der in seiner Wut die Deckung verlassen hatte und Heckenschützen eine ideale Zielscheibe bot. »Ich knalle ihnen allen den Hintern weg«, tobte er. »Drekkiges Pack. Knallt den Puertorikanern und Niggern die Ärsche weg . . . « Roger konnte sehen, daß der Mann aus Alabama, ein Söldnertyp, die Beherrschung zu verlieren begann. Überdies machte er sich Sorgen um den Rekruten neben Wooley. Der Blick des jungen Mannes zuckte nervös hin und her. »Nur ruhig bleiben«, warnte Roger leise. »Nicht einfach losballern, wenn wir reingehen.« Der Junge nickte dankbar. Roger war froh darüber, in all diesem Wirrwarr und Schrecken eine Spur Menschlichkeit beweisen zu können. Wenn Louise ihn nur so sehen könnte,
dachte er. Obwohl sie schon seit zwei Jahren geschieden waren, hätte er sie auf der Stelle wieder geheiratet, nur um diesen Schlamassel nicht mehr miterleben zu müssen. »Warum stecken wir das Dreckspack überhaupt in solche Hotels?« erregte sich Wooley. »Scheiße, Mensch. So gut hab' ich's nicht zu Hause. Mit eurem Gerede lockt ihr die nicht heraus. Ihr müßt sie rausballern. Knallt ihnen die Ärsche weg!« Der Junge hörte mit aschfahlem Gesicht zu. »Kommst du zurecht?« fragte Roger. Der Junge nickte mühsam. »Fangt doch endlich an«, fauchte Wooley und ging auf und ab wie ein Tier im Käfig. »Das ist doch nur Zeitverschwendung!« Schlagartig, ohne Ankündigung, wurde die Metalltür zur Feuertreppe aufgerissen, und mehrere Gestalten stürzten aus dem Dunkel. Geschoßbahnen von Handfeuerwaffen kreuzten sich in der Nacht. Eine Kugel fetzte durch den Schädel des Rekruten. Er starb mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht und kippte gegen Roger. Es knallte an allen Ecken, und die Soldaten warfen sich zu Boden. Nur Wooley stand ungedeckt und arrogant und feuerte eine Salve aus seinem Sturmgewehr. Auf der Straße schrie der Kommandeur ins Megaphon: »Vorgehen ... vorgehen. Verdammt noch mal!« »Alle Trupps, alle Trupps!« brüllte der Sergeant ins Funksprechgerät. »Alle Trupps, voller Einsatz!« Mit einem Gefühl des Abscheus, gemischt mit Trauer, schob Roger die tote Last des jungen Soldaten weg. Seine M 16 war zwischen der Dachinnenkante und dem Toten eingeklemmt. Wahllos fielen Schüsse, so daß Roger Schwierigkeiten hatte, die Leiche wegzuschieben und in Deckung zu bleiben. Eine kleine Gruppe von farbigen und puertorikanischen jungen Männern schwärmte auf dem Dach aus, wie im Spiel. Plötzlich tauchte hinter einem Aufzuggehäuse eine Patrouille M
auf, die Waffen im Anschlag. Eine Salve, und die zurückweichenden jungen Zivilisten mußten über die Leuten ihrer gefallenen Kameraden steigen, die in ihrer Hast niedergemäht worden waren. Ein zweites Geschoß traf den Rücken des toten Rekruten. Eine Sekunde danach, als Roger sich endlich befreit hatte, wurde er an der Brust getroffen, aber die Panzerweste dämpfte den Aufprall zum Glück. Roger verlor das Gleichgewicht und rang nach Luft, während seine Waffe über den Boden rutschte. Roger hechtete hinterher, aber bevor er sie erreichte, schnitt ihm einer der Farbigen den Weg ab. Der Junge hatte eine Pistole in der Hand und schien damit umgehen zu können. Roger erstarrte. Der junge Mann zielte sorgfältig, wie in Zeitlupe. Gerade als er den Abzug durchziehen wollte, fetzte eine Salve in seinen Rücken, und er stürzte.auf das Flachdach, während unter ihm eine Blutlache entstand. Roger schaute sich hastig um. Er konnte noch nicht recht glauben, daß er davongekommen war. Am liebsten hatte er sich bekreuzigt, was er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. »Los, ihr blöden Kerle .. . laßt euch abknallen«, schrie Wooley, dem gar nicht aufgefallen war, daß er Roger gerade das Leben gerettet hatte. Roger schauderte bei dem Gedanken, daß Wooley ebensogut auf seinen, Rogers eigenen Schatten hätte feuern können. Wie ein aufgezogener Spielzeugsoldat gab Wooley eine Salve nach der anderen ab, obwohl das Gefecht zu Ende ging. Roger sah seine Waffe mitten auf dem Dach liegen. Er sah aber auch, daß hinter dem Sturmgewehr ein Aufbau der Müllverbrennungsanlage hochragte, und er hetzte hinüber, riß die Waffe an sich und warf sich hinter das Gehäuse. Im Schatten verbarg sich eine Gestalt, ein junger Zivilist, der gerade zu laden versuchte. Als Roger sich zu Boden warf, sprang der
Mit Tränengas treiben die Polizisten die Bewohner aus ihren Häusern.
Junge erschrocken davon. »He, halt...«, schrie Roger. Der Junge erstarrte für einen Augenblick, dann traf er seine Entscheidung und ranntt über das Dach. »Halt, Kleiner ... Nicht da hinaus!« brüllte Roger, aber bevor er ausgesprochen hatte, wurde die zierliche Gestalt von einer Salve niedergemäht. Roger sank an die Wand. Das war schlimmer als in Vietnam. Das war seine Heimatstadt, sein Land, und sie kämpften nicht gegen Asiaten, sondern gegen ihre Mitmenschen.
Er hängte sich den Karabiner um und ging mit der Handvoll Überlebender die Treppe hinunter ins Gebäude. Im Haus herrschte heller Aufruhr. Polizeitrupps und Einheiten der Nationalgarde stürmten durch die Gänge und brachen Türen auf. Die Menschen wurden wie Vieh zusammengetrieben und mit vorgehaltenen W äffen in Schach gehalten. Manche der Zivilisten, bewaffnet mit Pistolen, Flinten, Reifenhebern, Klappmessern, einer sogar mit Pfeil und Bogen, ergaben sich verzweifelt, andere versuchten erfolglos, sich zu wehren. In jedem Stockwerk entbrannten kleine Gefechte. »Masken«, schrie der Kommandeur ins Megaphon. »Gasmasken .., Gasmasken .,.«, gab der Sergeant über Funk weiter. Ein Regen von Tränengaskanistern krachte durch die Fenster, und in den Korridoren quollen Gaswolken empor. Viele Zivilisten, die sich schon in den Gängen aufhielten, stürmten zu den anderen hinaus, und es bildete sich eine dichte Masse hustender, keuchender Flüchtlinge. Manche versuchten, sich den Weg freizuschießen, konnten aber mit ihren tränenden Augen nicht zielen, und die Geschosse surrten als Querschläger von Wanden und Türstöcken zurück und verwundeten Unbeteiligte, die aus ihren Wohnungen stürzten. Immer mehr Überlebende des Gefechts auf dem Dach schlos-
sen sich den Trupps an, die alle Gänge durchkämmten. 28
»Weiter zu den unteren Etagen«, befahl einer der Offiziere. Seine Stimme drang hinter der Gasmaske hervor, mit der er aussah wie ein prähistorisches Untier. »Ein Stockwerk nach dem anderen. Treibt sie in den Fluren zusammen, bis wir sie die Treppen hinunterführen können.« Roger, Wooley und die anderen legten ihre bizarren Masken an. Wooley schien sich etwas beruhigt zu haben. Roger hatte beinahe den Eindruck, als sei er zu ruhig, zu friedlich. Das Gesicht des riesenhaften Mannes war grellrot, der Schweiß tropfte von seiner Stirn. Als er die Gasmaske anlegte, wirkte
er so unheimlich wie die hundert anderen Soldaten und Polizisten. Ein Trupp fand im obersten Stockwerk eine Tür verschlossen. Sie wurde aufgebrochen. Ein altes puertorikanisches Paar kniete betend vor einem kleinen Altar. Ein schmächtiger Mann um die Dreißig, offenbar ihr Sohn, seine Frau und vier kleine Kinder drängten sich in einer Ecke zusammen. Der junge Mann lieferte seine Schußwaffe ab. Roger schaute dumpf zu, als die Familie hinausgeführt wurde. Das kleinste Kind umklammerte ein Stoffhäschen. Im Korridor schien es halbwegs ruhig zu sein. Aber plötzlich stürzte ein junger Farbiger aus einer der Wohnungen, eine Frau erschien unter der Tür und kreischte, er solle stehenbleiben. Als er durch die Gaswolke stolperte, richtete Wooley sich auf und feuerte. Der Farbige stürzte krachend zu Boden, und die Frau warf sich hysterisch schreiend über ihn. Wooley, der wieder außer sich zu sein schien, trat die Tür einer anderen Wohnung ein und feuerte blindlings ins Innere. Die geordnete Reihe der Zivilisten geriet plötzlich in Auflösung, alles lief durcheinander. Die jüngeren Leute, von Panik erfaßt, versuchten zu fliehen, während die Älteren niederknieten oder sich zu Boden warfen. Ihre Gebete blieben unerhört, als Wooley seinen Wahnsinnstanz fortsetzte. »Wooley ist übergeschnappt, Scheißspiel.. .« sagte einer 19
der Uniformierten. »Wooley«, brüllte Roger, aber der andere trat schon die nächste Wohnungstür ein. Roger warf sich auf ihn und packte ihn an den Schultern. Wooley versuchte sich loszureißen. Seine Waffe ratterte los, die Geschosse peitschten wild durch die Gegend. »Mensch ... helft mir doch«, keuchte Roger. Aus dem Tränengasnebel tauchte eine uniformierte Gestalt auf, so groß und breit wie Wooley, den Roger allein nicht zu bändigen vermochte. »Treten Sie zurück«, sagte der Mann. »Helfen Sie mir doch«, stieß Roger hervor. Wooley warf sich plötzlich herum und schleuderte Roger an die Wand. Roger vermochte ihn wieder festzuhalten, als er die Mündung seiner Waffe auf die offene Tür richtete. »Verdammt, Sie - müssen - zupacken«, keuchte Roger. »Weg von ihm«, dröhnte die Stimme. Roger war so verblüfft, daß sein Griff um Wooley sich kurz lockerte, so daß Wooley sich losreißen und Roger wegstoßen konnte. Mehr brauchte der andere Hüne nicht. Er legte die Waffe an und schoß Wooley in den Kopf. Der Mann aus Alabama, brach zusammen und blieb regungslos liegen. Der Hüne drehte sich um und lief durch den Flur. Ein paar Offiziere starrten ihn drohend an, aber niemand versuchte ihn aufzuhalten. Er verschwand im Gasnebel, während die anderen sich daranmachten, wieder Ruhe unter den Zivilisten herzustellen. Roger war noch immer völlig betäubt. Die kaltblütige Art des Hünen jagte ihm Schrecken ein und faszinierte ihn gleichzeitig. Ein gellender Schrei riß Roger aus seiner Versunkenheit. Eine Hand schob sich aus dem Nebel und half Roger auf die Beine. Die Augen weit aufgerissen und durch die Insektenlinsen seiner Gasmaske starrend, erkannte Roger endlich, was 30
Wooley in den Wahnsinn getrieben hatte. In der dunklen Wohnung, deren Tür Wooley eingetreten hatte, lagen in einer Blutlache die Überreste eines menschlichen Körpers. Er war in Stücke gerissen worden und sah aus wie ein Klumpen Fleisch, auf den sich ein Rudel hungriger Wölfe gestürzt hatte, Roger rang nach Luft. Er wankte an die Tür und lehnte sich an den Rahmen. Sein Begleiter, ein großer, schlanker Mann mit blonden Haaren, offenbar Ende Zwanzig, betrat die Wohnung, Auf der anderen Seite der Überreste lag noch eine Leiche, ebenfalls verstümmelt. Ein Bein fehlte, ein Arm war zerfleischt. Die Leiche versuchte vorwartszukriechen - auf die Soldaten zu! Wieder gellte ein Schrei. Als Roger entsetzt herumfuhr, sah er, daß die Frau im Korridor das grauenhafte Schauspiel bemerkt hatte. Vielleicht war es ein Verwandter, ein Nachbar von ihr gewesen. Jetzt war es nur noch ein Klumpen blutigen Fleischs. Die Frau rannte kreischend durch den Flur, und die von den Soldaten zusammengetriebenen Zivilisten gerieten wieder in Aufruhr.
»Um Gottes willen, um Gottes willen«, stammelte der Soldat neben Roger. Ein Offizier kam heran. Der blonde Soldat wies auf die sich am Boden windende Leiche. »Schießen«, zischte der Soldat. »Durch den Kopf - schießen.« Der junge Offizier war wie festgebannt. Seine ganze Ausbildung hatte ihn auf Derartiges nicht vorbereitet. Er zog langsam seine Pistole heraus. Bevor er jedoch abdrücken konnte, stürzte sich aus dem Dunkel eine gespenstische Erscheinung auf ihn. Es war eine Frau mit wirr abstehenden Haaren, die ihn ansprang und in die Arme zu beißen versuchte. Der Offizier wollte sie beruhigen, dann entdeckte er, daß ihr ganzer
Körper von blutenden Wunden übersät war. Sie gehörte zu den wandelnden Toten! Der Offizier ließ die Pistole fallen und versuchte, sich aus dem eisernen Griff der eigentlich eher schwächlich wirkenden Frau zu befreien. Roger stürzte herbei, um ihm zu helfen. Unter der Schlafzimmertür tauchte plötzlich noch eine Gestalt auf. Der blonde Soldat, der endlich zu sich gekommen war und seine Pistole ziehen wollte, bemerkte sie nicht. Plötzlich fühlte er an seinem Bein etwas Kaltes, Klebriges. Er blickte hinunter und sah zu seinem grenzenlosen Entsetzen, daß die verstümmelte Leiche seinen Knöchel umklammerte und sich mit aufgerissenem Mund näher heranzog. Der junge Mann versuchte sich loszureißen, stürzte aber zu Boden und riß einen Tisch und eine Lampe mit. Er versuchte davonzukriechen, aber das Gewicht der Leiche, die ihn festhielt, verhinderte sein Entkommen. Er schleppte den Untoten mit, während er die Pistole herauszureißen versuchte. Roger und der Offizier, ein älterer Mann mit Stirnglatze und dunklem Bartschatten, rangen mit der weiblichen Untoten. Sie flog wie an einem Gummiband gegen die Wand und mit derselben irren Kraft wieder zurück. Der Offizier zielte auf die Brust der Frau und drückte ab. Das Geschoß traf, brachte sie aber nicht zum Stehen. Er gab den nächsten Schuß auf ihren Hals ab, und sie drang weiter auf ihn ein, während das Blut aus den Wunden an Hals und Brust über Hauskleid und Schürze rann. Es gelang dem blonden Soldaten endlich, seine Pistole herauszuziehen und einen Schuß auf das grauenhafte Wesen abzugeben, das immer näher herankroch und den jungen Mann ins Bein zu beißen versuchte. Der Schuß, aus solcher Nähe abgegeben, klatschte den Kopf der Kreatur ringsum an die Wand und über seine Hose. Der Junge, der am ganzen Körper zitterte, war jedoch darüber, daß das Ungeheuer ihn losgelassen hatte, so erleichtert, daß er nicht bemerkte, wie be-
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sudelt er war. Er konnte sich aus seinem Schockzustand nicht befreien, hob den Arm und feuerte seine Waffe immer wieder an die Decke ab, bis der Offizier sie ihm aus der Hand schlug und ihm eine schallende Ohrfeige gab. »Es ist einer von ihnen . . . Mein Gott, es ist einer von ihnen«, schrie ein anderer Offizier, als der männliche Untote
im Korridor erschien. Die anderen Soldaten versuchten die panikerfüllte Menge zu beruhigen, »Auf den Kopf feuern«, schrie ein anderer. Eine junge, schwarzhaarige Frau kam auf sie zugestürzt. »Nein! Nein!« schrie sie und schlang die Arme um den Zombie, ohne sich von den Soldaten abhalten zu lassen. »Miguel . . . Dios mio . . . Miguelito . . .« Der Untote starrte sie mit leeren Augen an. Sie umkrallte ihn fester.
»Miguel... mi vida ... Miguelito .. .« »Packt sie, schafft sie weg hier«, schrie der Offizier, der den Untoten als erster entdeckt hatte. Er richtete seine Waffe auf das Unwesen, aber die Frau lockerte ihren Griff nicht. Der Untote packte sie nun und versuchte, seine Zähne in ihren Hals, in ihre Arme zu schlagen. Das Gesicht der Frau verzerrte sich unter der gräßlichen Erkenntnis, daß das nicht mehr ihr Ehemann war, sondern ein furchtbares Ungeheuer. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus, als er wieder zubiß, und versuchte sich loszureißen, aber der Untote war nicht abzuschütteln. Ein Soldat wollte sich von hinten auf ihn stürzen und ihn wegreißen, während ein zweiter sich bemühte, die Frau aus dem Griff des teuflischen Wesens zu befreien. Aber der Untote riß erneut einen Fleischfetzen aus dem Arm der Frau, und sie kreischte wie von Sinnen, wahrend ihre Augen sich verdrehten. »Weg da ... um Himmels willen, weg!« schrie der Offizier, der immer noch versuchte, freie Schußbahn zu bekommen. Roger verfolgte entsetzt, wie der junge Soldat langsam wie33
der zu sich kam und sich von den Überresten des zerschossenen Zombies zu befreien versuchte. Plötzlich stürzte sich das weibliche Ungeheuer auf den anderen Uniformierten, und die beiden krachten zu Boden. Roger warf sich auf sie und riß sie von dem Offizier los, dann schleuderte er sie an die Wand. Wieder prallte sie ab und kam auf ihn zu. Diesmal hob Roger die Waffe, und gerade, als sie nach ihm greifen wollte, drückte er ab, die Mündung auf ihre Stirn gerichtet. Das Geschoß brachte sie endlich zum Stillstand. Draußen auf dem Flur ließ ein Soldat seinen Gewehrkolben auf den Schädel des Untoten niedersausen. Das Wesen lockerte den Griff um die tobende, kreischende Frau. Der Uniformierte, der nach ihr gegriffen hatte, zerrte sie weg. Und der Offizier, der auf den Untoten gezielt hatte, konnte endlich abdrücken. Die erste Kugel durchschlug die Schulter des Zombies, die zweite seinen Hals, die dritte seinen Schädel. Mit einem qualvollen Aufstöhnen stürzte der Untote zu Boden.
Eine Sekunde lang herrschte Stille, als die Menschen erleichtert aufatmeten. Ein paar Leute murmelten halblaut Gebete, dann hörte man ein Schlurfen, als Bewachte und Bewacher betäubt durch den sich verziehenden Tränengasnebel gingen.
Roger und der Offizier sahen einander stumm an und tappten hinaus in den Korridor. Roger trat zur Seite, als der Offizier in die dahinziehende Menge erschöpfter, verwirrter Menschen stapfte. Roger, der am Türrahmen lehnte, duckte sich und fuhr herum, als ein Schuß fiel. In der Wohnung bot sich ihm ein furchtbarer Anblick. Der blonde junge Soldat hatte sich in den Kopf geschossen. Er lag halb auf dem weiblichen Zombie, mit ihr im Tod vereint. Roger wankte blindlings gegen den Strom der Menschen zur Nottreppe. Er warf sich durch die Metalltür und stürzte würgend an das Geländer. Da er seit über zwölf Stunden
nichts gegessen hatte, brachte sein Magen nichts herauf. Im stillen Treppenhaus klang sein Keuchen unnatürlich laut. Er 34
versuchte, sich mit tiefen, bedächtigen Atemzügen zu beruhigen, nahm die Gasmaske ab und hustete. »Du bist nicht allein, Bruder«, dröhnte eine Stimme. Roger spannte die Muskeln an und griff nach seiner Waffe. Im Schatten konnte er den Ort des Sprechers jedoch nicht ausmachen. Als er den Kopf hob, entdeckte er den Uniformierten, der Wooley niedergeschossen hatte. Er saß, die Gasmaske noch angelegt, auf der Stufe über ihm und zielte mit seinem Sturmgewehr auf Rogers Kopf. »Du warst in Wooleys Einheit«, sagte er drohend. »cIh hab nichts gesehen«, stammelte Roger und hängte sich den Karabiner über, um seine friedlichen Absichten zu bezeugen. Der andere ließ die Waffe sinken. Als er die Maske abnahm, sah Roger, daß er ein Neger war. »Laufen Sie weg?« fragte Roger. Der Hüne zuckte die Achseln und schüttelte unentschlossen den Kopf. »Ich meine nicht wegen Wooley«, fuhr Roger fort. »Ich
meine nur, weil...« Er stockte. »Ja, ich weiß.« »Viele laufen weg«, sagte Roger. »Ich könnte es auch tun.« Er starrte den Neger an, dessen Miene grimmig wirkte. »Ich könnte es heute nacht noch tun.« Der Farbige starrte Roger an. Der Blick eines kaltblütigen Killers, dachte Roger, aber auch der eines Mannes, der alles gesehen, alles getan und einfach nicht die Geduld oder die Zeit hat, Angst in sich aufkommen zu lassen. »Ein Freund von mir hat einen Hubschrauber«, sagte Roger. »Er fliegt für WGON. Er will mit dem Helikopter abhauen, und ich soll mitkommen,« Roger spürte die schweren Schläge seines Herzens, als er unaufgefordert dieses Geständnis ablegte, aber der Farbige lächelte nur.
»Halten Sie es für richtig, wenn man abhaut?« fragte Roger,
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kam sich aber gleich darauf albern vor. Mein Gott, dachte er, jetzt werde ich ihn gleich noch fragen, ob ich pinkeln gehen darf. Das Lächeln verschwand, die breiten Schultern hoben und senkten sich. Der Neger richtete sich zu seiner vollen Größe von über einsneunzig auf und stieg die Treppe hinunter, vorbei an Roger, der ihm folgte wie ein treuer Hund. Roger fühlte sich von dem Hünen, von der Stärke, die er ausstrahlte, magisch angezogen. Als sie die Stufen hinuntergingen, hörten sie einige Etagen unter sich ein Geräusch. Sie erstarrten. Das Geräusch wurde lauter. Roger und der Farbige legten ihre Karabiner an. Das Geräusch kam näher. Das leise Scharren und Poltern schien von müden, schleppenden Schritten zu kommen. Roger hoffte, daß es keiner von den wandelnden Toten war. Er besaß nicht die Kraft, noch einmal einem dieser Wesen gegenüberzutreten. Trotzdem wußte er, daß er seine Pflicht würde tun müssen. Keuchende Atemzüge wurden neben den Schritten hörbar. Roger starrte in die Dunkelheit und sah aus den Schatten eine Gestalt auftauchen. Sie sank unten an die Mauer, und die beiden Männer hielten das für ein Zeichen, daß das Wesen sich zur Attacke bereitmachte. Ihre Finger krümmten sich um die Abzüge ihrer Waffen, Die Gestalt löste sich von der Wand, tauchte aus dem Nebel auf, zeigte sich als geisterhafter Umriß im schwarzen, langen Gewand. »Senores«, sagte eine schwache Stimme. »Darf ich vorbei?« Die Gestalt sank auf eine Treppenstufe und begann zu husten. Eine kraftlose, knochige Hand klammerte sich an das Geländer. Roger erkannte den alten Pfarrer aus der Gegend hier. Seine Gemeinde bestand in der Hauptsache aus Puertorikanern, die in dieser Siedlung lebten. Roger beugte sich zu dem erschöpften alten Mann hinunter, der nach Atem rang. Sein bleiches 36
Der alte Pfarrer der Puertorikaner berichtet Schauerliches: Die Bewohner des Hauses verstecken ihre lebenden Toten in einem Keller.
Gesicht und die leeren, wäßrigen Augen brachten Roger auf den Gedanken, daß dieser Mann wohl nicht mehr lange leben würde. Der alte Priester preßte die Hand auf die Brust, umklammerte das Kruzifix, das er trug. »Bringen wir ihn zu den Sanitätern«, flüsterte Roger dem Farbigen zu. »Nein . . . nein . . . nein, bitte, lassen Sie mich. .. nur vorbei«, keuchte der alte Mann. »Meine Schwester ... ich muß in den siebten Stock . . . meine Schwester suchen . . .« »Sie holen alle herunter«, sagte Roger. »Wahrscheinlich haben sie sie schon heruntergeschafft. Kommen Sie.« »Meine Schwester«, sagte der alte Pfarrer beharrlich. »Sie ist tot . . . hieß es. Die Toten bringen sie nicht hinunter.« Roger und der Neger sahen einander an. Der Priester versuchte mühsam, wieder auf die Beine zu kommen. »Lassen Sie mich vorbei. Martinez ist tot. Die Leute hier werden jetzt tun, was Sie verlangen. Es sind einfache Leute, aber stark. Sie haben wenig, und sie geben es nicht ohne Gegenwehr auf. Und ihre Toten schon gar nicht!« ereiferte er sich, aber der Ausbruch war mehr, als sein geschwächter Zustand zu ertragen vermochte. Er sank hustend und nach Luft ringend in sich zusammen. Roger trat einen Schritt auf ihn zu, aber der alte Mann hob abwehrend die Hand. »In den letzten Wochen sind viele auf den Straßen gestorben. Im Keller dieses Gebäudes finden Sie sie ,. .« : Die beiden Soldaten starrten einander entsetzt an. »Ich habe ihnen die Sterbesakramente gespendet«, sagte der Priester, als er sich erneut aufraffte. »Tun Sie jetzt, was Sie wollen .. .« Als der alte Mann die Treppe hinaufstieg, wollte Roger ihm helfen, aber der Farbige streckte seine riesengroße Hand aus.
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»Ihr seid stärker als wir«, sagte der Geistliche über die Schulter, während er in den Nebel hinaufwankte. »Aber ich glaube, sie werden bald stärker sein als ihr.« Sein Husten verklang auf der Treppe über ihnen. »Die Toten stehen auf, Senores«, hallte seine Stimme noch einmal aus dem Dunkel. »Wir müssen aufhören zu töten ... oder der Kampf ist verloren . . . « Roger sah seinen Begleiter an. Sie hängten sich wortlos die Karabiner über und begannen mit dem langen Abstieg zum Keller des Gebäudes. Die Schritte des alten Priesters waren kaum noch zu hören. Als sie im Kellergeschoß ankamen, waren Soldaten schon damit beschäftigt, die Bretter herauszureißen, mit denen man den Zugang vernagelt hatte. Die Mieter hatten in ihrer Hast nach allem gegriffen, was sich angeboten hatte - alte Stuhllehnen, die Rückwand eines Basketballkorbs, mehrere Sperrholzplatten dienten dazu, den Zugang von beiden Seiten zu versperren. Die übrigen Soldaten standen m Bereitschaft, die Karabiner und Flammenwerfer erhoben. Ihre Blicke wirkten dumpf und leer; sie hatten in den letzten vierundzwanzig Stunden mehr durchgemacht, als einem Menschen zugemutet werden durfte. Bis auf das Knarren und Quietschen, das die Nägel beim Herausziehen verursachten, war es still. Die Männer schauten teilnahmslos zu, als die Bretter entfernt wurden. Ein kreischender, nervenzerreibender Laut ließ sie zusammenzucken. Die letzten Bretter flogen heraus, als tobe ein Sturmwind durch, die Kellerräume, die Tür wurde aus den Angeln gerissen, und eine Flut von Untoten ergoß sich in den Flur. Die meisten farbigen und puertorikanischen Bewohner waren nun grauenhafte Zombies, die Augen weit aufgerissen. Von jedem Alter, jeder Größe und Gestalt, strömten sie in einer
Mit sch u ß bereiten Waffen erwarten Peter Washington und Roger DeMarco die lebenden Toten. {Ken Foree und Scott H. Reiniger.)
wogenden, ausdruckslosen Masse auf die wie betäubt dastehenden Soldaten zu. Die Männer vermochten nicht rechtzeitig zu reagieren, und der unaufhaltsame Strom der Untoten hinderte sie, sich frei zu bewegen und zu schießen. Sie versuchten tapfer, sich zu wehren und die anrückenden Kreaturen niederzuringen. Die Zombies krallten und bissen, wo sich ein Arm, ein Bein, ein Hals zeigte. Klauen schlossen sich um Handgelenke und Arme. Einige Soldaten wurden im Gewühl niedergetrampelt. Der fassungslose Kommandeur riß seinen Blick von den wütenden Untoten los und schrie: »Zurück ... zurück ... ausschwärmen ...« Die hinteren Reihen konnten sich in den größeren Vorraum zurückziehen, und als die miteinander ringenden Gestalten Platz fanden, gelang es vielen Soldaten, die Waffen anzulegen
und zu feuern. Diejenigen, die dazu nicht imstande waren, wurden von den Untoten überrannt. Roger und der Neger trafen in dem Augenblick ein, als die Attacke begann, und sie kämpften mitten im Getümmel Seite an Seite. Mehrere Kreaturen griffen gleichzeitig an, und während Roger mit seinem Gewehrkolben zuschlug, schoß der Farbige sie der Reihe nach nieder. Im dunklen Vorraum und in den Gängen wogte der Kampf hin und her. Die gut ausgebildeten Soldaten wurden auseinandergetrieben und sahen sich dem wilden Ansturm der Untoten hilflos gegenüber. Der Kommandeur, der in Korea und Vietnam Frontdienst gemacht hatte, verlor die Übersicht und zog sich fassungslos in eine Ecke zurück, wo ein Zombie die Finger in seine Uniform krallte. Als die Mehrheit der Untoten in die Gänge strömte, rückten die Mutigeren unter den Soldaten vor. Hier, in dem düsteren, muffigen Lagerkeller, zwischen Kinderwagen, Fahrrädern, großen Koffern, Schachteln in allen
Größen, alten Betten und anderem Mobiliar, lagen Überreste zerstückelter Leichen. Obwohl viele von ihnen zerfressen waren, bewegten sie sich noch. Ihre Köpfe waren unversehrt. Zwei von den Soldaten wichen zurück, von Übelkeit geschüttelt. Von den feuchten, schmutzigen Wänden hallten die Schüsse und das Geschrei von draußen wider. Roger verfolgte entgeistert, wie der hünenhafte Farbige ruhig in den Raum trat. Er ging gelassen auf die sich windenden Wesen zu und schoß sie der Reihe nach in die Köpfe. Roger mußte zweimal hinsehen, bevor er erkannte, daß dem Neger die Tränen über das Gesicht Hefen. Ein junger, schwarzer Untoter bewegte sich mit einem Arm über den Boden auf den Hünen zu. Dieser zielte und drückte ab. Roger hörte nur ein metallisches Klicken. Er geriet in Panik und wollte auf den Hünen zulaufen, der ruhig und beherrscht nachlud. Roger beobachtete entsetzt, wie der Untote immer näherrückte, sein Mund ein klaffendes Loch. Der farbige Hüne zuckte nicht mit der Wimper und rief auch nicht nach Unterstützung, obwohl Roger nur wenige Schritte entfernt stand. Roger kam plötzlich zu sich, trat hinter den Hünen heran und feuerte auf den Kopf des Zombies. Das Wesen wand sich, zuckte, blieb still liegen, aber der Farbige wischte sich nur die Tränen aus den Augen und lud seine Pistole. Er hob nicht einmal den Kopf, um zu bestätigen, daß Roger ihm das Leben gerettet hatte. Roger lief auf die andere Seite des Kellers und begann der Reihe nach, die Wesen in den Kopf zu schießen. In einer Ecke lagen mehrere übereinander. Manche regten sich nicht, andere wanden und krümmten sich. Roger schoß wie ein Wahnsinniger, von Abscheu geschüttelt. Die Wesen hoben nie die Köpfe, bemerkten ihn nicht e i n m a l . , Ein lautes Knarren lenkte Rogers Aufmerksamkeit an die Decke. Eine doppelte Ladetür war geöffnet worden, und einige Soldaten starrten hinab in den Lagerkeller. »Jesus Christus«, stieß einer von ihnen ungläubig hervor. 42
Im Keller hocken die Zombies .
Sie ernähren sich von Menschenfleisch
Er richtete seine Lampe auf Roger. »Seid ihr okay da unten?« Roger nickte dumpf. »Das muß der Ort sein, wo man sie hineingeworfen hat«, sagte der Soldat mit der Lampe. Roger blickte auf den Leichenhaufen unter der Öffnung. Er war zu betäubt, um registrieren zu können, was in der letzten halben Stunde geschehen war. »Braucht ihr mehr Leute?« fragte der Soldat, und Roger schüttelte den Kopf. Draußen wurde der Kampflärm wieder lauter und erinnerte die beiden Männer daran, daß noch nicht alles vorbei war. Der farbige Hüne, der seine Pistole geladen hatte, trat einige Schritte vor und entdeckte eine Leiche, die in ein Bettlaken gehüllt und mit einem Strick umwickelt war. Sie sah aus wie eine Mumie. Sie versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien. Der Neger schoß ihr unbeirrt in den Kopf. In der Nähe wand sich die Leiche eines kleinen Kindes, aber dort, am Ende des Leichentuchs, wo die Füße des Kindes hätten sein müssen, war blutiges, zerfetztes Fleisch. Der Neger zerschoß dem kleinen Untoten den Schädel. »Sie.,. fallen übereinander her«, sagte Roger stockend, als
er zu dem Farbigen trat,
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»Nur über die frischen Leichen . . . bevor sie wieder aufstehen«, sagte der Neger leise. »Warum haben die Leute sie hier untergebracht?« fragte Roger. »Warum liefern sie sie nicht ab ... oder ... oder vernichten sie selbst? Es ist "Wahnsinn . . . Warum tun sie das?« »Weil sie immer noch glauben, daß das Sterben etwas mit Würde zu tun hat«, sagte der Neger, als er auf den Kopf eines anderen sich aufbäumenden Zombies schoß. Die beiden Männer gingen hinaus in den Korridor, wo ihre Kameraden immer noch von dem scheinbar endlosen Strom der wandelnden Toten überrollt wurden. Andere, die Glückliche-
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ren, vermochten die Schädel angreifender Zombies zu zerschießen. Die Einheiten versuchten die Stellung zu halten, auch ohne die Hilfe ihres überforderten Kommandeurs, aber die Attacken kamen so wahllos, so hirnlos, daß Vernunft, Taktik und Zusammenarbeit sinnlos blieben.
Philadelphia, die Stadt der brüderlichen Liebe, war übersät mit den Leichen ihrer Bürger. Mondschein lag über der verwüsteten Stadt und beleuchtete das makabre Schauspiel. In den frühen Morgenstunden spiegelten sich die wenigen noch brennenden Lichter im Wasser des Delaware. Die Stille wurde durchbrochen nur vom Klatschen der Wellen und dem gelegentlichen Knarren der hölzernen Schwimmdocks. Das Schild mit der Aufschrift »Stadt Philadelphia - Polizei Kein Zutritt«, das sonst unerwünschte Besucher vom Bootshafen fernhielt, war nur noch an einer Seite befestigt und klirrte gegen den Metallpfosten. Die wenigen großen Polizeiboote, die noch hierlagen, schwankten lautlos im Wasser. In der Mitte des langen Kais saß die Leiche eines Uniformierten an einem Funkgerät. Steve Andrews saß im Cockpit des WGON-Hubschraubers und starrte angestrengt hinaus auf das Schwimmdock mit der großen quadratischen Landemarkierung. Es war ein Düsenturbinen-Hubschrauber mit einer Motorleistung von etwa 420 PS. Er wußte, daß die Maschine maximal vier Personen befördern konnte, den Piloten eingeschlossen. Der Helikopter hatte eine Reisegeschwindigkeit von ungefähr 200 km/h, und der volle Tank reichte für eine Flugdauer von rund drei Stunden. Da die Maschine auch für den Nachtflug ausgerüstet war und über eine starke Funkanlage verfügte, 47
hatte Steve großes Zutrauen zu ihr. Er wußte, daß der Hubschrauber sie an einen sicheren Ort bringen würde. Francine Parker saß teilnahmslos neben ihm. Ihr Schweigen sagte mehr aus, als alle Worte es gekonnt hätten. Sie starrten voller Entsetzen auf das, was aus ihrer Stadt geworden war. Steve ließ den Hubschrauber herabsinken und landete genau in der Mitte der Landemarkierung auf den Kufen. Neben dem Dock schwamm angekettet ein kleiner Treibstoffleichter mit Pumpen und Schläuchen für das Auftanken der Polizeihubschrauber und -boote. Während die Rotorblätter sich noch fauchend drehten, sprang Steve aus der Kanzel. Als Schatten in der Ferne sah er zwei Leichen auf schwimmenden Flößen liegen. Eine Glokkenboje schrillte, aber seit dem frühen Abend waren keine Schiffe oder Boote eingetroffen. »Komm«, rief Steve zu Fran hinauf. »Ich brauche dich.« Fran Öffnete ihren Sicherheitsgurt und sprang heraus. Steve lief zur anderen Seite des Hubschraubers hinüber, duckte sich unter den Rotorblättern, ergriff ihre Hand und zog sie zur Treibstoff pumpe. »Ich sehe Roger nicht«, sagte Steve, als er sich umsah. »Wir geben ihm noch zehn Minuten.« »O Gott!« schrie Fran auf. Sie war wie angewurzelt stehengeblieben und starrte die zwei verstümmelten Leichen in der Nähe der Pumpen an. »Du bist überhaupt nicht draußen gewesen, sagte Steve mitfühlend. »Es fällt schwer, sich daran zu gewöhnen.« Er sagte es wie ein erfahrener alter Kämpfer, aber nur wenige Stunden zuvor war er genauso angstgeschüttelt und entsetzt gewesen wieErsie. wollte sie weiterzerren, aber die Leiche eines Zivilisten
lag im Weg, und Fran rührte sich nicht von der Stelle. Irgend etwas hinderte sie daran, über den Toten hinwegzusteigen. Steve ließ ihre Hand los, lief zu den Pumpen, betätigte den 48
Hebelmechanismus, prüfte den Tankinhalt und rannte zurück zu Fran. Dabei zog er den langen, schweren Schlauch über das Gesicht des zivilen Opfers, das von einem großkalibrigen Geschoß zerfetzt worden war. Er unterdrückte die Übelkeit, um Fran kein schlechtes Beispiel zu geben, sprang über die Leiche und hastete zum Hubschrauber, gefolgt von Fran. Während die Rotorblätter sich immer noch drehten, stieß Steve die Schlauchdüse in den Tankstutzen. Fran stand wieder regungslos. Ihr Blick ging in die Runde. Sie fühlte sich noch immer bedroht. Steve packte plötzlich ihre Hand und legte sie um die Schlauchdüse. »Genau so«, erklärte er ruhig. »Wie beim Auto.« Fran legte die Finger um den Mechanismus und betätigte den Drücker. »Richtig. So festhalten, bis es rausspritzt.« Steve lief zurück zum Wachschuppen. Die rotierenden Drehflügel wisperten unheimlich über Frans Kopf. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, ihre Ohren an die Stille, vermochte sie anderes wahrzunehmen. Sie hörte das sanfte, rhythmische Geräusch der an die Flöße schlagenden Wellen, das Knarren der alten Holzplattformen. Aber alles erschien ihr zu still, zu friedlich. Im Wachhaus schien ein Orkan gewütet zu haben. Der Funker saß zusammengesunken in seinem Sessel. Steve hörte das Klacken von Morsezeichen. Er hatte auf dem College auch Morsen gelernt, was sich jetzt als nützlich erwies. Die Sendetaste lag unter der Leiche, und Steve mußte den Toten wegziehen und im Sessel aufrichten. Er entdeckte im Hinterkopf des Funkers ein kleines Einschußloch, aber als er den Toten zurückbog, sah er, daß das Geschoß beim Austritt das Gesicht zerfetzt hatte. Das Blut war noch nicht geronnen. Steve wurde von Übelkeit erfaßt, aber er erholte sich schnell und schaltete auf Sendung, um hinauszumorsen: >FUN-
KER TOT .. . POSTEN VERLASSEN.< 49
Dann setzte er sich in einen leeren Sessel und preßte die Hände an die Schläfen. Gerade jetzt durfte er nicht die Nerven verlieren. Nicht, wenn Francine sich nur noch mit Mühe aufrecht hielt. Auf dem Treibstoffdock begann Francines Arm zu erlahmen. Sie wurde immer nervöser und sehnte sich nach Steves Rückkehr. Ein Schatten huschte über die Leiche auf dem schwankenden Dock. Fran konnte über dem Rauschen der Rotorblätter Motorengeräusch hören. Sie schaute zum Ufer hinüber und sah die Scheinwerfer eines sich nähernden Fahrzeugs. Steve wurde durch das Motorengeräusch aus seiner Versunkenheit gerissen. Er trat unter die Tür und schaute zum Dock hinüber. »Ich hoffe, das ist Roger«, rief er Fran zu, mehr, um sich zu vergewissern, daß sie noch da war, als um irgendeine Mitteilung zu machen. »Was treibst du?« fragte sie gepreßt. »Ich komme gleich.« Er lief ins Haus, griff nach einem ErsteHilfe-Kasten und warf ihn in einen Rucksack, den er mitgebracht hatte. Er blickte sich im Halbdunkel um, fand noch einen Werkzeugkasten, den er ebenfalls mitnahm. Er stand auf und ging rückwärts hinaus, um sich noch einmal zu vergewissern, daß er nichts Wertvolles zurückgelassen hatte. Plötzlich spürte er etwas Hartes im Rücken. Er zuckte zusammen und fuhr herum, sah sich einer hochgewachsenen, schattenhaften Gestalt gegenüber. Steve wußte nicht, wie lange er schon beobachtet worden war. Die Gestalt trat vor, und im Licht der Lampen am Kai erkannte Steve die Uniform eines Polizeioffiziers. Steves Blick glitt vom grimmig-entschlossenen Gesicht des Mannes zu dem Gewehr, das der Polizist auf ihn richtete. Aus der Dunkelheit trat ein zweiter Polizeibeamter heran. Er zielte mit einer Pistole auf Steve, der sich in der Falle wußte. Er fragte sich, 50
ob es noch mehr Uniformierte gab, und ob sie Fran überwältigt
hatten. Frans Aufmerksamkeit galt nicht mehr dem Treibstoffschlauch, aus dem das Benzin ins Wasser rann, weil sie die Düse nicht direkt in den Tankstutzen hielt. Sie strengte die Augen an, um das sich nähernde Fahrzeug zu beobachten. Sie hoffte, daß es Roger war, damit sie endlich abfliegen konnten. Sie kannte ihn nicht näher und wußte nur, daß Steve sich vor einiger Zeit mit ihm angefreundet hatte, nachdem sie in einer Bar in der Nachbarschaft Bekanntschaft geschlossen hatten. Eines Abends waren sie Übereingekommen, zusammenzuhalten, wenn es einmal gefährlich werden sollte. Aus dem Augenwinkel nahm Fran plötzlich etwas wahr — ein Polizeifahrzeug, von dem sie nicht wußte, ob es schon die ganze Zeit dortgestanden hatte. Heranfahren hatte sie es nicht hören können. Die Türen waren weit aufgerissen, und nun bewegte sich eine der Hecktüren. Sie wünschte sich, daß Steve zurückkommen möge. Sie hatte seit einer Viertelstunde nichts mehr von ihm gehört. Dann begriff Fran, daß sie keiner Halluzination erlegen war, Sie konnte eine Gestalt erkennen, die einen großen Pappkarton trug. Sie stellte erleichtert fest, daß die Gestalt Polizeiuniform trug und sich zwei Karabiner umgehängt hatte. Sie lief auf das Startfloß zu. »Ganz ruhig bleiben«, sagte plötzlich eine Stimme aus dem Dunkel. Fran fuhr entsetzt herum und ließ den Schlauch fallen. Sie starrte in die Mündung eines Gewehrs. »Wenn Sie sterben, ist das Ihre eigene Schuld«, sagte der Polizeibeamte drohend. Fran blieb fassungslos stehen, und im nächsten Augenblick schrie der Uniformierte mit dem Karton unterm Arm zum Wachhaus hinüber: »Los, Chef. Da kommen Freunde von denen.«
Im Wachhaus wurde Steve von dem Mann mit dem Karabiner in Schach gehalten, während der mit der Pistole das herankommende Auto beobachtete. Die Scheinwerfer näherten sich rasch. »Wer sind Sie?« fragte der Offizier mit dem Karabiner. »Wir gehören zu WGON, Sie wissen schon, die Fernsehstation. Wir ~« . Der andere Mann unterbrach ihn. »Noch etwa eineinhalb Minuten«, meldete er. Der Mann mit dem Gewehr gab Steve einen Stoß, daß dieser hinausstolperte. Steve hob den Kopf und sah, daß das Auto auf den langen, schmalen Kai einbog. Die beiden Offiziere führten Steve zum Hubschrauber, wo Fran zitternd vor Angst wartete. Der erste Offizier griff in die Kanzel und zog Steves Gewehr heraus. »Augenblick mal«, schrie Steve. »Wir sind nur hier, um aufzutanken. Die Männer waren schon tot. Sie sind hiergewesen. Sie wissen es. Offenbar wollte jemand an die Boote heran. Wir hatten nichts damit zu tun -« Einer der Offiziere, die im Wachhaus gewesen waren, bemerkte die Kennzeichnung auf der Maschine. »Oh, WGON-Verkehrsüberwachung ... Steve Andrews«, sagte er belustigt. »Richtig, das bin ich«, sagte Steve. »Was Sie nicht sagen«, erwiderte der andere. »Mit dem Vogel kamen wir viel weiter, Chef«, sagte der Mann, der Fran überfallen hatte. Er saß zufrieden auf dem Pilotensitz. Der Mann mit dem Karton stürmte auf das Dock, nachdem er seine Last in einem der Boote untergebracht hatte. »Paßt nicht alles rein«, sagte er. »Wie viele Leute passen in das Ding da?« fragte der Mann, der sich nach Steves Identität erkundigt hatte. Für Steve stand inzwischen fest, daß das keine Polizeibeamten sein konnten,
daß sie sich die Uniformen einfach Irgendwo angeeignet hatten und nun das Weite suchen wollten. »Ich setz´ mich aber nirgends rein, wo ich nicht selbst steuern kann«, sagte der Mann, der Steve mit dem Gewehr bedroht hatte. »Das ist wahr«, meinte der andere, der zum Fahrzeug zurückgegangen war und den nächsten Karton holte. »Wenn ihm etwas zustößt, sitzen wir da. Bleiben wir beim Motorboot.« »Mit dem Vogel kommen wir viel weiter«, erklärte der erste wieder. Plötzlich war über den Scheinwerfern des herankommenden Autos ein rotes Blinklicht zu erkennen. »Mensch, das ist ein Streifenwagen«, sagte der Mann mit dem Gewehr. Im nächsten Augenblick heulte eine Sirene auf. Der Mann im Hubschrauber, der immer noch die Pistole auf Fran gerichtet hielt, sagte: »Sie haben uns gesehen!« »Keine Sorge«, sagte der Chef gelassen. »Wir sind von der Polizei.« Der Mann, der das Boot belud, warf seinen Karton auf den Dockrand und nahm sein Gewehr vom Rücken. »Na und!« schrie er seinen drei Komplizen zu. »Nichts wie ins Boot!« Der Anführer starrte Steve scharf an, richtete den Blick auf den Streifenwagen und wieder auf den jungen Piloten. . . »Du haust ab, was, Flieger?« Steve blieb stumm. Er hatte Angst wie nie zuvor in seinem Leben. Er war froh darüber, Fran bei sich zu haben, weil er sich vor ihr nicht gehenlassen durfte. »Du und deine Freundin, ihr haut mit dem Verkehrsvogel von WGON ab ...« höhnte der andere. »Regt euch ab«, sagte er zu seinen Genossen. »Die ziehen auch Leine.« Nach einer Ewigkeit, wie es Fran und Steve erschien, hielt der Streifenwagen am Dock. Steve wollte darauf zugehen, um
festzustellen, ob Roger darin saß, aber der Mann mit dem Gewehr hielt ihn zurück. Der Wagen hielt, und zwei bewaffenete Soldaten sprangen heraus. Steve sah erleichtert, daß einer davon Roger war. Den hochgewachsenen Neger, den er bei sich hatte, kannte er nicht. »Was ist los, Officer?« fragte Roger unschuldig. Er ließ sich nicht einmal mit einem Seitenblick anmerken, daß er Steve kannte. »Hab' Ihre Freunde hier erwischt beim Benzinklauen«, sagte der Mann mit dem Karabiner. »Was meinen Sie mit >Freunde