Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER Wer einsam reitet Das harte Leben im ...
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Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER Wer einsam reitet Das harte Leben im Westen hat Alan Gannon schon als Kind gezeichnet. Und auf rauen Wegen ist er dann zum Mann gereift. Er hat es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, stets den Kleinen und Schwachen gegen die Herrschsucht und Unduldsamkeit der Mächtigen zu helfen: mit schnellem Colt und heißem Blei! Immer wieder führt ihn sein Trail dorthin, wo Siedler Hilfe brauchen. Überall muss Alan kämpfen – und töten! Bis die Toten ihm in seinen Träumen erscheinen, die Schatten der Vergangenheit immer mächtiger werden und Alan selbst zu einem einsamen Wolf wird… Der Fremde, der aus der Postkutsche steigt, ist blass und schrecklich mager. Seine abgetragene Weidekleidung schlottert um seinen Körper. Der Fremde hebt langsam die Hand und fährt sich damit übers Gesicht, so als wollte er etwas fortwischen. Dann beginnt er zu schwanken. Er fällt auf die Knie, bevor jemand zu ihm treten und
ihn stützen kann. Und dann legt er sich langsam auf die Seite. Die drei Männer, die die Postkutsche erwarteten, betrachten ihn. Der Marshal kniet nieder und untersucht ihn kurz. Er öffnet auch die Jacke und das Hemd des Mannes und erkennt darunter einen blutdurchtränkten Verband. »Er ist verwundet, bewusstlos und krank«, sagt der Marshal kniend nach oben. »Wir müssen ihn in ein Bett legen und den Doc holen. Dies ist ein verwundeter, kranker, erschöpfter und halb verhungerter Mann!« Joe Powder, der Hotelbesitzer und Posthalter des kleinen Städtchens Smoky Day, und Abe Bissel, der Besitzer des Generalstore, stehen bewegungslos da und blicken auf den Bewusstlosen nieder. Sie betrachten ihn auf eine unpersönliche Art, und es liegt etwas von Mitleidlosigkeit darin. Es ist etwa so, als würde ihnen jemand zumuten, ein krankes Pferd zu kaufen und durchzufüttern. Der Hotelmann sagt schließlich widerwillig: »Sehen Sie nach, Bart, ob er Geld oder Wertsachen in den Taschen hat.« Der Marshal gehorcht, denn schließlich ist Joe Powder der Vorsitzende des Bürgerrates. Der Marshal findet nichts anderes als einen leeren Tabaksbeutel und eine alte Pfeife, ein altes Klappmesser und einen abgebrochenen Kamm. »Kein Geld«, sagt er. »Der ist krank und abgebrannt! Und er braucht einen Arzt, ein Bett und Nahrung!« Nach dieser Feststellung wartet er ab. Joe Powder nickt schließlich. »Nun gut«, sagt er. »Er bekommt von mir ein kräftiges Essen, sobald er
wach ist. Und dann muss er unsere Stadt wieder verlassen. Nach unseren Stadtgesetzen ist mittellosen Tramps, die keiner Arbeit nachgehen, der Aufenthalt in der Stadt verboten. Weisen Sie ihn aus, Marshal, wenn er…« »Der wird erst in drei Tagen wach, und dann wird er nicht gehen können«, brummt Barton Dale. Er wirkt sehr stur, sehr gleichgültig und gefühllos. »Wir könnten ihn ebenso gut jetzt schon aus der Stadt tragen, ihn in ein Gebüsch legen und dort umkommen lassen«, sagt er nach einer kurzen Pause noch unpersönlicher und gleichgültiger. Und dennoch ist für ein feines Ohr ein Klang von Bitterkeit und Verachtung in seiner Stimme zu hören. Die beiden Männer der Stadt betrachten ihn einen Moment misstrauisch. Dann starren sie auf den Bewusstlosen. Eine Frau kommt herbei. Sie trägt einen weiten Umhang und einen Einkaufskorb. Sie ist jung, blond und ansehnlich. Ja, sie ist hübsch und begehrenswert, mit braunen Augen und einem roten Mund. Die Männer greifen an ihre Hüte, und jeder von ihnen betrachtet das Mädchen Jessie Kelley auf seine eigene Art. Sie aber kniet bereits nieder, untersucht den Bewusstlosen, erhebt sich schnell und sagt: »Zum Teufel mit euch Männern! Ich dachte, der arme Bursche hier wäre betrunken. Doch er ist krank! Zum Teufel mit euch! Sicherlich hat der Mann kein Geld und ihr kennt ihn nicht! Und da steht ihr da und überlegt, wie ihr ihn loswerden könnt. Ich will euch die Entscheidung abnehmen! Bringt ihn zu mir! Bart, helfen Sie mir! Wie kann man bei diesem
Wetter einen kranken Mann mitten auf der Straße liegen lassen! Vorwärts, Männer!« Ihre Stimme klingt etwas kehlig, doch energisch und voller Zorn. Der Marshal bückt sich und nimmt den Fremden wie ein Kind auf die Arme. Er folgt dem Mädchen schweigend. *** Auf Jessie Kelleys Geheiß legt der Marshal den Bewusstlosen auf das Bett des Mädchens. Dann blickte er sich um. Er hat sich schon immer gefragt, wie es wohl in Jessie Kelleys Schlafzimmer aussehen mag. Nun sieht er es, und er schluckt einmal mühsam, so als müsste er etwas herunterwürgen. Dann sieht er eine volle Minute lang zu, wie sich das Mädchen um den Bewusstlosen müht. Er bewegt sich nicht. Er steht nur da, reglos, sehr breit und stark. Als Jessie dem Bewusstlosen die Stiefel auszieht, fragt der Marshal schwerfällig: »Kennst du ihn, Jessie? Ist er dir vielleicht gar kein Fremder? Oder warum darf er sonst hier in deinem Zimmer auf deinem Bett liegen?« Sie blickt ihn über ihre gerade Schulter hinweg einige Sekunden lang an. »Bart, er ist krank und braucht Hilfe«, sagt sie. »Und ich bin noch nicht so hart wie die meisten Männer in dieser Stadt und in diesem Land. Ich glaube noch daran, dass die Menschen einander helfen müssen, dass auch ein Fremder Anspruch auf Hilfe und…«
»Vielleicht ist er ein entflohener Verbrecher«, murmelt der Marshal und beugt sich vor. »Das ist eine Kugelwunde, und sie hat sich wieder entzündet, ist aufgebrochen und eitert schlimm. Vielleicht ist dieser Mann auf der Flucht, und er wird dir Unannehmlichkeiten…« »Hol den Doc«, unterbricht sie ihn. »Dieser Mann lag krank am Boden, und es ist ein schlimmer Tag für einen Kranken, kalt, nass und unfreundlich. Bart, ich bin eine Frau. Und ich bin zufrieden darüber, dass ich keinen Kranken am Boden liegen sehen kann, sondern ihm helfen muss. Ich freue mich darüber, dass ich in dieser elenden Stadt und in diesem üblen Land noch so fühlen kann. Hol den Doc!« »Sicher, sicher, Jessie«, murmelt er, und er starrt noch zwei Sekunden auf ihren geraden Rücken. Er geht zur Tür und murmelt von dort: »Jessie, auf mich kannst du immer zählen – immer!« Aber sie hört es gar nicht richtig. Sie ist sehr mit dem Kranken beschäftigt. *** Es ist drei Tage später, und es ist der 23. März 1875, als Alan Gannon zur Besinnung kommt. Er liegt ganz still, und er spürt den hämmernden und stechend ziehenden Schmerz der entzündeten Wunde. Aber er lebt, und das kommt ihm etwas unwirklich vor. Auch als sein Blick klar genug ist und sein Verstand wieder richtig zu arbeiten beginnt, als die Erinnerung wieder ganz und gar
vorhanden ist, kommt ihm noch eine ganze Menge unwirklich vor. Er begreift, dass er im Schlafzimmer einer Frau liegt. Er erkennt das an vielen Dingen. Und er wundert sich. Er wird sich darüber klar, dass dies kein Hotelzimmer ist, in dem ihn die Stadtbehörden untergebracht haben, weil auch ein mittelloser Tramp ein Anrecht auf Hilfe und Barmherzigkeit hat, wenn er krank und hilflos am Boden liegt. Alan Gannon verspürt eine leise Neugierde. Und dann spürt er außer dieser Neugierde und dem Schmerz seiner Wunde noch etwas: Hunger! Er will sich aufsetzen, doch er schafft es nicht. Er fühlt sich zu schwach, und seine Wunde beginnt schlimmer zu schmerzen. Dann aber hört er im Nebenzimmer die Stimmen einiger Frauen. Worte wie: »Meinen Sie denn, Jessie, dass der Ausschnitt auch nicht zu gewagt ist?« oder: »Diese Spitze muss aber richtig zur Geltung kommen, denn sie ist teurer als der ganze Stoff.« Alan Gannon hört das alles. Und er hört dann auch eine andere Frauenstimme, etwas zu dunkel für eine Frauenstimme, doch irgendwie wunderbar melodisch und angenehm anzuhören. Alan Gannon schließt die Augen. Er denkt an seinen letzten Kampf. Er denkt daran, wie er blutend aus jener wilden Stadt ritt, einsam und ohne Hoffnung, voll Bitterkeit und freudlos. Er denkt an seinen Weg, diesen harten, schlimmen und einsamen Weg, ohne Hilfe, ohne Freunde – ganz allein!
Er hatte zuvor den letzten Glauben an diese Welt verloren. Dann denkt er an die Fahrt in der Kutsche. Wo bin ich hier?, fragt er sich. Er hört im anderen Zimmer ein Glöckchen bimmeln, und er begreift, dass es ein Ladenglöckchen ist. Schritte nähern sich der Tür. Sie wird geöffnet. Und aus schmalen Augen betrachtet Alan Gannon das eintretende Mädchen. Er weiß sofort, dass sie es ist, die jene dunkle, kehlige und so melodische Stimme hat. Sie tritt an sein Bett und lächelt auf ihn nieder. Es ist ein warmes, frauliches Lächeln. Nein, sie ist kein junges Mädchen mehr. Sie ist bestimmt nicht jünger als fünfundzwanzig. »Nun, geht es jetzt etwas besser?«, fragt sie. Dann beugt sie sich nieder und legt leicht ihre Fingerspitzen auf seine aufgesprungenen Lippen. »Nein! Noch nicht sprechen! Erst bekommen Sie eine kräftige Hühnersuppe!« Sie blickt noch einmal auf ihn nieder, und sie wirkt sehr warmherzig und mitleidig. Alan Gannon erwidert diesen Blick mit ausdrucksloser Ruhe, und er murmelt nur flach und tonlos: »Sie machen sich viel Mühe mit mir, Madam. Das kann ich Ihnen nicht…« Sie ist bereits hinaus, und nun wird er sich darüber klar, dass seine Stimme viel zu leise und undeutlich erklang. Ihr leiser Schritt und das Rascheln ihrer Röcke waren laut genug, um diese leise und flache Stimme zu übertönen. ***
Dann ist die junge Frau wieder bei ihm am Bett. Er spürt ganz plötzlich ihre Nähe und erwacht aus einem Halbschlaf. Sie setzt ihn etwas auf und schiebt ihm ein zweites Kissen hinter den Rücken. Er erkennt, dass er selbst essen könnte, doch da hält sie ihm auch schon den gefüllten Löffel an die Lippen. Die Suppe tut ihm gut. Er schläft danach sofort ein. Als er wieder erwacht, fühlt er sich sehr viel besser. Die junge Frau kommt herein, und nun trägt sie Speisen auf einem Tablett. Sie lächelt warm und gut auf den Mann im Bett nieder, setzt ihn auf und stellt ihm das Tablett mit den prächtig duftenden Speisen auf die Oberschenkel. »Ist es richtig so?«, fragt sie. »Oder soll ich Sie wieder füttern?« Er blickt sie an. »Ich frage mich, warum Sie das für mich tun«, murmelt er. »Sie lagen krank und bewusstlos im Regen«, erwidert sie schlicht, und damit hat sie wohl auch schon alles erklärt und gesagt. Er beginnt zu essen. Das Steak ist zart, und sie hat es zuvor schon in Stücke geschnitten. Sie muss über sein baldiges Erwachen genau informiert gewesen sein, sodass sie bald danach das Essen bereit hatte. Zum Steak gibt es Stampfkartoffeln und Apfelmus. Zwischendurch trinkt er Milch. Es ist ein gutes Essen für einen halb verhungerten Mann. Als Alan Gannon fertig ist, fühlt er sich wieder sehr müde und erschöpft.
Er legt sich zurück und sagt: »Wenn Sie mir jetzt meine Kleidung bringen würden, Madam, dann könnte ich aufstehen. Ich möchte Ihnen wirklich nicht mehr zur Last fallen. Sie haben ohnehin schon mehr für mich getan, als ich jemals wieder…« »Mein Name ist Jessie Kelley«, unterbricht sie ihn ruhig. »Und ich weiß genau, dass ein Cowboy manchmal eine Pechsträhne erwischt. Sie sind doch ein Cowboy? Oder sind das keine Lassonarben auf Ihrem Handrücken?« »Mein Name ist Alan Morgan«, erwiderte Alan Gannon, und sonst sagt er nichts. Er beantwortet die Frage nicht, ob er ein Cowboy sei. »Ich möchte aufstehen«, sagt er nochmals. »Sie brauchen noch einige Stunden«, erwidert sie ruhig. »Schlafen Sie, Mr. Alan Morgan. Wenn Sie aufwachen, werden Ihre Kleidungsstücke dort auf diesem Stuhl liegen.« Nach diesen Worten nimmt sie das Tablett und geht zur Tür. Dort hält sie inne, wendet sich halb ins Zimmer zurück und sagt ruhig: »Jetzt weiß ich es, Mister, Sie sind ein einsamer Wolf, und Sie lassen sich nichts schenken. Es bedrückt Sie, hier Hilfe annehmen zu müssen. Sie gehören zu der Sorte, die niemals um etwas bittet und lieber stirbt. Sie gehören zu jenen Enttäuschten, die den Glauben an die Welt verloren haben. Ich weiß das seit gestern, denn Sie redeten im Fiebertraum. Mister, ich kenne Sie schon besser, als Sie glauben. Und ich sage Ihnen: Seien Sie nicht so verteufelt stolz, Mann! Hören Sie endlich auf damit, sich zu schämen, dass Sie hilflos sind. Und hören Sie auch endlich damit auf, sich zu wundern, dass Ihnen jemand hilft, ohne dass er sich einen Vorteil davon
verspricht. Mister, wenn es Sie beruhigt, dann können Sie meine Hilfe damit bezahlen, dass Sie, wenn es Ihnen besser geht, einem anderen armen Teufel helfen. Und nun schlafen Sie! Und hören Sie damit auf, sich zu schämen, hilflos zu sein. Das kann jedem Menschen mal passieren, auch dem Stolzesten, dem Stärksten, dem Größten! Und das sind Sie sicherlich nun auch nicht.« »Nein«, sagt er müde und schläft vor Erschöpfung ein. Sie betrachtet ihn von der Tür her nachdenklich. Dann geht sie hinaus. *** Diesmal schläft er sechs Stunden. Es ist Abend, als er erwacht, doch im Zimmer ist es noch hell genug, sodass er seine gewaschenen Kleidungsstücke auf dem Stuhl erblicken kann. Alles ist gesäubert und geflickt. Seine Socken sind gestopft, und die Stiefel sind geputzt. Er kleidet sich an, und die langen Ruhetage und das Essen haben ihm Kraft gegeben. Die Wunde ist wieder sauber und geschlossen. Er spürt nur ein feines Ziehen. Sein Verband wurde gegen ein Pflaster vertauscht. Also musste ihn der Arzt wieder behandelt haben, indes er schlief. Als er angekleidet ist, muss er sich auf den Bettrand setzen und ausruhen. Dann erhebt er sich wieder und zieht sich noch seine Jacke an. Er verlässt das Zimmer und gelangt in einen Schneiderladen für Frauen- und Kinderkleidung.
»Hallo, Miss Kelley!«, ruft er. Er geht zur Ladentür, doch die erweist sich als verschlossen. Er kehrt zurück und öffnet eine andere Tür neben dem Schlafzimmer. Er tritt in eine kleine Küche, und hier brennt eine Lampe. Der Küchentisch ist gedeckt. Ein reichliches kaltes Abendbrot ist bereit. Und ein Zettel lehnt an der Kaffeetasse. Er nimmt ihn und liest »Mr. Alan Morgan! Ich liefere ein Hochzeitskleid ab, zehn Meilen südlich der Stadt, und bleibe auch zur Hochzeit dort. Das Abendbrot ist für Sie bestimmt. Bitte, lassen Sie es nicht verderben. Viel Glück, Cowboy! Jessie Kelley.« Er liest den Brief, und er ist sich nicht sicher, ob sie tatsächlich unterwegs ist, um ein Hochzeitskleid abzuliefern und zur Hochzeit zu bleiben. Er hat den Verdacht, dass sie außer Haus gegangen ist, damit er sich bei ihr nicht zu bedanken braucht. Er blickt auf das Abendbrot. Es besteht aus einem Salat, verschiedenen Wurstsorten und selbst gebackenem Brot. Butter und Käse sind ebenfalls da. Wieder begreift er etwas. Dieses Mädchen, welches hier als Schneiderin für sich sorgt, lebt sonst bestimmt nicht so üppig. Sie hat gewiss all diese Dinge für ihn eingekauft. Er soll sich noch einmal an guten Dingen richtig satt essen. Er stöhnt vor Beschämung. Aber er begreift, dass er sie beleidigen würde und dass verschiedene Dinge wahrscheinlich verderben würden, wenn sie nicht gegessen werden. Er tritt an den Herd. Und der Kaffeetopf ist voll und heiß.
Als er fertig ist, erhebt er sich und sucht nach einem Bleistift. Er öffnet eine Schublade, und da erblickt er in einer offenen Schachtel etwas Geld. Es ist nicht viel, vielleicht dreißig Dollar, und vielleicht ist es Wechselgeld oder der Verdienst dieser Woche oder das Wirtschaftsgeld für diesen Monat, vielleicht auch die Miete. Nun, es gibt viele Möglichkeiten. Und für Alan Gannon bedeutet dieses Geld einige Möglichkeiten. In diesem Land könnte er für zwanzig Dollar schon ein Pferd bekommen, kein gutes zwar, aber doch eines, welches ihn jeden Tag zwanzig Meilen weit tragen könnte. Und dann besäße er immer noch zehn Dollar. Alan Gannon starrt auf das Geld. Dann schiebt er die Schublade wieder zu. Und er sucht nicht länger nach einem Bleistift. Er verlässt das kleine Haus durch die Hintertür. Er schließt ab und hängt den Schlüssel an einen Haken neben der Tür, den er nach kurzem Tasten findet. Dann geht er langsam davon. Wenig später tritt er aus einer schmalen Gasse hervor und steigt auf den Plankengehsteig der Hauptstraße. Es regnet längst nicht mehr. Ein kalter Wind trocknete während der letzten Tage den Schlamm. Und dieser kalte Wind lässt den Mann nun erschauern und frösteln. Er erreicht den Saloon. Es ist der einzige Saloon der Stadt. Einige Sattelpferde sind an den Haltestangen festgebunden. Die meisten Pferde tragen das gleiche Brandzeichen. Es sind fünf
Sterne, die im Halbkreis über einer geraden Linie angeordnet sind. »Das ist der Starbow-Brand«, sagt eine Stimme hinter Alan Gannon. Er blickt sich um, und nun sieht er den Marshal von Smoky Day zum ersten Mal bewusst. Damals, am Tag seiner Ankunft, da sah er alle Dinge nur noch sehr undeutlich und verschwommen. Der Marshal steht an der Ecke des Saloons. Er trägt seinen schwarzen Stetson ohne jeden Kniff, und auch die Krempe ist nicht verbogen. So wirkt schon der Hut des Mannes irgendwie starr, steif, unnachgiebig, eigenwillig, eben ganz anders als üblich. Alan Gannon tritt näher heran. »Ich suche Arbeit«, sagt er. »Sitzt dort drinnen im Saloon vielleicht ein Rancher oder ein Vormann, der Arbeitskräfte einstellt, ganz gleich, für welche Arbeit? Ich würde…« »Verlassen Sie diese Stadt!«, unterbricht ihn der Marshal hart. »Wir dulden hier keine Tramps! Wenn Sie in zehn Minuten noch in der Stadt sind, dann werde ich ziemlich rau mit Ihnen umgehen, Fremder.« Er tritt dicht an Alan Gannon heran. Er ist kleiner als dieser, doch sehr viel breiter und darum schwerer. Selbst wenn Alan sein volles und normales Körpergewicht haben würde, der Marshal wäre schwerer. Und er sagt Alan ins Gesicht hinein, indem er den Kopf in den Nacken legt: »Es ist verteufelt traurig, wenn sich ein Mann von einem Mädel, welches sich in diesem Land ihr Auskommen
mühsam und schwer verdienen muss, aushalten lässt. Zum Teufel mit Ihnen!« Alan Gannon tritt langsam zurück. Die Schwingtür des Saloons wird aufgestoßen. Einige Männer treten heraus. Es sind sporenklingelnde Burschen, die sehr selbstbewusst und sogar etwas großspurig auftreten. Der Marshal betrachtet sie wortlos und – wie es scheint – mit einer Art verdrossenem und brütendem Schweigen. Die Männer werfen ihm und Gannon scharfe Blicke zu. Dann gehen sie zu den Pferden, sitzen auf und reiten davon. Sie nahmen sich die Pferde mit dem Starbow-Brand. Ihr Hufschlag verklingt bald vor der Stadt. Alan Gannon sah selten eine so hartbeinige und raue Mannschaft. Er konnte die Härte und die Mitleidlosigkeit dieser Mannschaft wittern. Sie war wie ein Geruch vorhanden, und sie wurde ausgedrückt durch die schweigsame Arroganz, das Klingeln der Sporen, die Großspurigkeit der Bewegungen, durch eine herausfordernd wirkende Lässigkeit. Der Marshal neben Alan atmet langsam aus. Und dann sagt er: »In zehn Minuten sind Sie aus der Stadt, Tramp!« Damit geht er weiter. Alan aber tritt vor die Schwingtür des Saloons und späht darüber hinweg hinein. Es ist ein ziemlich großer Saloon mit zwei Billardtischen, einer langen Bar, einem Podium, auf dem ein Klavier steht, Spieltischen und einigen Nebenräumen. Einige Frachtfahrer sitzen beisammen. Einige Fremde sind da und dort
einsam an Tischen verteilt. Zwei Männer stehen am langen Schanktisch. Alan Gannon tritt ein. Der Mann hinter dem Schanktisch trägt die deutlichen Zeichen eines Preiskämpfers an sich. Sein Gesicht ist zerschlagen und voller Narben, die nicht immer gut verheilten. Denn man boxt ja noch nicht mit Handschuhen. Alle Preiskämpfe, die in den großen Städten im Osten und an der Küste ausgetragen werden, trägt man mit den bloßen Fäusten aus. Der ehemalige Preiskämpfer hinter der Bar – sicherlich hat er sich von seinen Ersparnissen diesen Saloon gebaut oder gekauft – blickt Alan mit kühlem Interesse entgegen. Alan legt seine Fingerspitzen auf die Schanktischkante und sagt: »Ich suche einen Job. Gibt es hier einen?« »Ich habe einen Hausnigger«, sagt der Saloonbesitzer. »Sie sind doch der Fremde, der in Jessie Kelleys Haus gepflegt wurde?« Alan nickt. Er wendet sich um und geht hinaus. Er spürt die Blicke einiger Gäste auf sich ruhen, unpersönliche Blicke von kühlem Interesse und ohne wärmende Anteilnahme. Ein streunender Hund wird so betrachtet. Man schätzt ihn ab, sagt sich, dass er halb verhungert ist und nicht viel taugt, und gibt ihm keine Chance. Alan Gannon tritt wieder in den kalten Wind. Von seinem Standort aus kann er gut zum großen Generalstore spähen. Dort hält ein Wagen. Zwei Männer kommen gerade wieder nacheinander aus dem Store. Und die Stimme des Storehalters ruft ihnen nach: »Das wäre alles! Und ich sage euch,
dass euer Kredit nun endgültig erschöpft ist! Kommt nicht wieder, bevor ihr nicht eure Schulden beglichen habt!« Nach diesen Worten zeigt sich der Storehalter kurz in der Tür, aber nur, um diese zu schließen und dann dahinter den Rollladen herunterzulassen. Alan Gannon sagt zu den beiden Männern: »Ich suche Arbeit.« Sie betrachten ihn. Es sind zwei verschieden wirkende Männer. Einer ist nur mittelgroß, sehr drahtig und zäh. Er hat seinen Hut weit zurückgeschoben, und man sieht im Lampenlicht, welches aus dem Store fällt, dunkelrotes Haar. Es ist lockiges Haar. Der andere Mann ist ein Riese mit blonder Haarmähne, die ihm fast bis auf die Schultern fällt. »Du lieber Himmel«, sagt der Riese, »er sucht Arbeit. In diesem elenden Land kommt jemand zu uns und fragt um Arbeit!« »Er ist ein Fremder, und er weiß nicht, wer wir sind«, sagt der andere Mann und betrachtet Alan scharf. »Abgebrannt?«, fragt er. Alan nickt. »Kein Geld, kein Pferd, keinen Sattel und keinen Colt mehr?« »Nichts mehr«, sagt Alan. »Vaugh, so ging es uns damals in Kansas«, sagt der drahtige Rotkopf. »Richtig, wir wollten damals eine Postkutsche überfallen«, brummt der Riese. Er klettert auf den Fahrersitz und brummt von dort aus nieder: »Fremder, bei uns gibt es keine Arbeit für Sie. Aber wir können Sie zum Schulhaus mitnehmen. Dort
feiern die Siedler eine Hochzeit. Und dort braucht man immer irgendwelche Helfer und ist auch nicht kleinlich. Essen und ein Trinkgeld bekommen Sie bestimmt. So eine Siedlerhochzeit dauert manchmal drei Tage. Also sitzen Sie auf – da hinten im Wagen!« Alan Gannon gehorcht. Und bald rollt der Wagen aus der Stadt und über die nächtliche Weide. Nach etwa fünf Meilen versperren Reiter den Weg. Sie umzingeln den Wagen, und eine harte Stimme ruft: »Heute wird es rau, Jungs!« Der riesige Vaugh stößt sofort einen zornigen Schrei aus und brüllt: »Das sollt ihr mal versuchen! Hört mal, ihr Narren! Ihr könnt uns nicht einfach mitten auf dem Weg wie eine Banditenbande überfallen! Das ist Wegelagerei, Überfall und Landfriedensbruch! Das werdet ihr euch überlegen!« »Genug gebrüllt, Vaugh McQuown«, sagt der Sprecher der Reiter lässig. Und dann fragt er kühl: »Hast du auch etwas zu sagen, Curley Holloway? Wenn ja, dann heraus damit! Wir lassen jeden Mann zu Wort kommen!« »Gebt uns nur den Weg frei«, sagt Curley Holloway. Er wendet sich an den riesigen Vaugh McQuown neben sich und stößt schärfer hervor: »Fahr los, Vaugh! Fahr einfach los!« »Halt!« Alan Gannon, der sich hier Alan Morgan nennt, ruft dieses Wort scharf. Und er fügt für alle Männer verständlich hinzu: »Halt, erst möchte ich aussteigen!« Dabei schwingt er sein Bein über den Rand des Wagenkastens und springt ab. Er fällt, denn der Wagen fährt an, und er ist auch noch nicht kräftig
genug, um einen Sprung von einem fahrenden Wagen abfedern zu können. Er rollt sich vor dem Hinterrad zur Seite und setzt sich dann am Rand des Weges auf. Es geht ganz schnell. Zuerst krachen zwei Schüsse. Sie gelten den beiden Wagenpferden. Die beiden armen und unschuldigen Tiere stürzen tot zu Boden. Der Wagen schwankt und stürzt fast um. Lassos fliegen, und lange Bullpeitschen knallen. Die Reiter treiben die beiden Männer mit Lasso- und Peitschenhieben vom Wagenbock. Eine Stimme brüllt scharf: »Wenn ihr zu den Waffen greift, dann überlebt ihr das nicht! Lasst euch verprügeln, oder ihr werdet erschossen!« Der riesige Vaugh McQuown brüllt wild auf und reißt einen der Reiter vom Pferd, so als wäre der Mann nur eine Stoffpuppe. Er schleudert ihn gegen den Wagen. Doch dann rammt einer der Reiter das Pferd gegen ihn. Und dann prasseln die Schläge mit den Bullpeitschen und den Lassoenden hageldicht auf Vaugh McQuown und Curley Holloway nieder. Die Reiter schwingen sich von den Pferden. Es sind sieben starke und gewalttätige Burschen. Vaugh McQuown schlägt zwei von ihnen von den Beinen und schleudert einen dritten Burschen zu dem noch bewusstlosen Mann – dem alten Mann – den er gegen den Wagen geworfen hat. Dann drängt der Anführer sein Pferd gegen den Riesen und schlägt mit dem Ende der Bullpeitsche zu. Es ist wie ein Keulenschlag, denn das Ende ist so dick wie ein Hammerstiel und so schwer wie eine Eisenstange.
Der Riese stürzt über Curley Holloway, der schon zu Boden geprügelt wurde. Aber das ist den Kerlen noch nicht genug. »Vorwärts! Gebt es ihnen noch mehr! Besorgt es ihnen, damit sie die Lektion nicht vergessen!« So befiehlt die harte Stimme des Anführers. Alan Gannon erhebt sich langsam, und er kann alles sehen und hören. Er erschauert. Denn nun fallen die rauen Burschen über die Bewusstlosen her. Der im Sattel sitzende Anführer aber kommt zu Alan Gannon geritten. Er starrt vom Pferd aus auf ihn nieder, und er ist ein großer, starker, geschmeidiger und breitgesichtiger Mann, blond und mit einem Bart unter der ziemlich kleinen Nase. Er ist ein harter und unduldsamer Mann, der gewiss jeden Widerstand und jede Schwierigkeit mit Gewalt angeht. »Du bist schlau, Tramp«, sagt er lässig. »Ich sah dich in der Stadt mit dem Marshal vor dem Saloon, nicht wahr? Und du bist rechtzeitig vom Wagen gesprungen. Du bist schlau.« »Ich wollte bis zum Schulhaus mitfahren«, erwidert Alan Gannon. »Es soll dort eine Hochzeit gefeiert werden. Und ich dachte, ich könnte mir dort einen oder zwei Dollar und etwas Essen verdienen.« »Ich bin Henry Blaisdell, der Vormann der Starbow Ranch«, sagt der Reiter schwer. »Und du kannst auf dieser Ranch einen Job bekommen. Warum hast du mich in der Stadt nicht darum gebeten? Oder hat dir der Marshal davon abgeraten? Wer bist du? Wie heißt du? Wo kommst
du her? Warum standest du mit dem Marshal vor dem Saloon?« Alan Gannon schweigt einige Sekunden. Dann spricht er sanft: »Mein Name ist Alan Morgan. Ich hatte etwas Pech beim Spiel. Ich komme aus Iowa herüber. Und der Marshal verbot mir die Stadt. Das ist alles, Sir.« Henry Blaisdell grinst vom Pferd nieder. Im hellen Mondlicht blitzen seine starken Zähne. Er hat hinter seinen dicken und breiten Lippen ein Gebiss, von dem man glaubt, es könne Steine zerkleinern. Seine Männer kommen herbei. Sie schnaufen noch. Und einige fluchen noch, denn ihre beiden Opfer haben sich zur Wehr gesetzt. Es gibt einige zerschlagene Gesichter unter ihnen, und Blut fließt da und dort noch aus Nasen und Mundwinkeln. Nun umgeben sie ihren rauen Vormann und den fremden Tramp. Und der Vormann sagt immer noch grinsend: »Alan Morgan nennst du dich. So heißt auch der Boss der Starbow Ranch, nämlich Jeff Morgan! Du bist doch nicht gar mit ihm verwandt, he?« »Bestimmt nicht! Es handelt sich nur um eine zufällige Namensgleichheit. Ich habe in diesem Teil der Staaten keine Verwandten.« Alan sagt es mit einem deutlichen Ton von williger Unterwerfung. Denn er möchte keinen unnötigen Ärger. Er hat längst erkannt, dass er unduldsamen Burschen begegnet ist, die jeden Zweifel an ihrer selbstherrlichen Pose auf gewalttätige Art zerstören. Es macht ihm nichts aus, wenn sie ihn für einen kleinen und jämmerlichen Burschen halten, ohne Stolz und Selbstachtung.
Er will jetzt nur noch ohne Ärger und Verdruss fort. Doch Henry Blaisdell sagt entschieden: »Tramp, du kommst mit uns! Du bekommst auf der Starbow Ranch Arbeit. Pete, du nimmst ihn mit aufs Pferd! Was ist mit den beiden Narren dort?« »Wir haben es ihnen besorgt, sodass sie es nicht vergessen werden«, erwidert einer der rauen Burschen. »Dann reiten wir heim!« Henry Blaisdell reitet nach diesen Worten langsam an. Seine Männer beeilen sich, in die Sättel zu kommen und ihm zu folgen. Einer der Reiter drängt seinen Schecken an Alan Gannon heran und sagt bitter: »Also los, Bruder. Sitz hinter mir auf. Aber mach dich leicht, sage ich dir! Mach dich so leicht wie eine Feder. Oder ich werfe dich hinunter und ziehe dich am Lasso hinter mir her.« Er nimmt den Fuß aus dem Steigbügel, damit Alan sich selbst darin aufstemmen und hinter ihn aufs Pferd kommen kann. »Pete, bring den Tramp mit!«, tönt die Stimme des Vormannes von vorn, schon ziemlich weit entfernt. »Hast du gehört, Hombre?«, fragt Pete zu Alan nieder. Der sitzt jetzt hinter ihm auf. Er hat begriffen, dass man ihn sonst mit Gewalt mitschleifen würde, denn immerhin wurde er ja Augenzeuge von Gewalttätigkeiten, die man auch als Wegelagerei, Terror und Landfriedensbruch auslegen könnte. ***
Nach drei Meilen erreichen sie die Schule. Sie liegt nicht in der Stadt, sondern im Schutz von Wald und Hügeln, weil sie hier für alle Schulkinder gleichmäßig weit oder nah zu erreichen ist. Die vielen Siedlerkinder hätten es sonst zu weit, und in der Stadt selbst sind nicht genug Kinder, dass man dort eine zweite Schule haben müsste. Es ist ein recht hübsches und ziemlich großes Schulhaus, mit einem Garten, einem angebauten Wohnteil, einer Scheune mit Stall und einem Corral. Vor dem Haus sind Wagen abgestellt. Zwei große Feuer brennen. Und alle Fenster sind erleuchtet. Die harte Mannschaft der Starbow Ranch reitet dicht heran und zügelt die Pferde. Einige Männer und Frauen erscheinen aus Scheune, Stall und Küche. Und auch aus dem großen Schulraum treten Menschen, die sehen wollen, wer da gekommen ist. Doch es herrscht sofort ein bedrücktes Schweigen. Denn diese Menschen gehören zu einer völlig anderen Sorte als die grinsenden Reiter der Starbow Ranch. Die Menschen dort sind Siedler, alles arme Schlucker, die aus dem Osten kommen oder die es irgendwo schon mal versucht haben und kein Glück hatten. Und sie fürchten sich. Das ist für Alan Gannon ganz klar zu erkennen. Sie fürchten sich vor den rauen Reitern, vor den revolverschwingenden Reitern der unduldsamen Ranch, in deren Schatten sie mehr oder weniger leben. Nach etwa einer langen und schweren Minute, die wie eine unsichtbare Drohung in der Luft hängt, lacht der Vormann der Starbow Ranch laut auf und
sagt dann: »Morgen soll Hochzeit sein! Aber es sieht aus, als wäre dies hier eine Trauerversammlung. Well, wo ist die Braut? Wo ist die schöne Braut?« »Die Braut ist beschäftigt. Die Schneiderin ist bei ihr. Die letzte Anprobe des Hochzeitskleides findet statt.« »Und heute soll Polterabend sein?«, fragt Henry Blaisdell. Wieder wird es still. »Wir sind gar nicht eingeladen worden«, sagt einer der Reiter. »Wir werden die Braut im schönen Kleid gar nicht bewundern können«, sagt ein anderer Reiter, und er sagt es seufzend, gemacht traurig und hinterhältig böse. »Ich habe noch nie eine Braut im Hochzeitskleid gesehen«, sagt ein dritter Mann. »Unsere schöne Schullehrerin muss besonders prächtig darin aussehen. Ich glaube, Jungs, wir verpassen etwas!« Wieder wird es still. Dann sagt Blaisdells Stimme trocken: »Wir wollen die Braut im Hochzeitskleid sehen! Und wir wollen lustig sein. Wir wollen Polterabend feiern. Los! Ich sehe da die beiden Musikanten aus der Stadt. Los, fangt an, Jungs! Das wird ein lustiger Abend, Leute! Heute werden wir alle Freunde. Heute werden wir uns verstehen. Die Schollenbrecher und die Kuhtreiber, die feiern heute ein Fest. Vorwärts! Vorwärts!« Als er dies gerufen hat, stoßen seine Reiter freudige Schreie aus und schwingen sich aus den Sätteln. Die meisten von ihnen übergeben Alan Gannon die Zügel ihrer Pferde. Und er hört Befehle wie: »Sorge für meinen Gaul, Buddy!« oder: »Binde
ihn dort drüben an, damit ich ihn zur Hand habe!« oder: »Bring ihn weg, Tramp, damit wir Platz haben zum Tanzen!« Alan Gannon entfernt sich mit fünf Pferden, die er an den langen Zügelleinen hinter sich herzieht. Er bringt sie hinüber zu dem Tränketrog neben der Scheune und dem Stall. Die restlichen vier Pferde werden von ihren Reitern selbst irgendwo abgestellt oder angebunden. Eine Fiedel und ein Banjo beginnen widerwillig zu spielen, indes Alan sich um die Pferde kümmert. Die Siedler und deren Frauen stehen immer noch erschrocken und bewegungslos herum. Sie haben Furcht, das sieht man ihnen an. Es kommt ihnen nicht geheuer vor, dass sich die wilde Mannschaft einer harten Ranch jetzt selbst zur Feier eingeladen hat. Und dann packen auch schon einige Cowboys Siedlerfrauen und schwenken sie nach dem Klang der Musik im Kreis herum. Vor dem Schulhaus und zwischen den beiden Feuern kommt ein Fest in Gang, ein seltsames Fest. Es ist eine helle Sternennacht, eine Frühlingsnacht. Der Wind strömt warm von Süden herbei, und er bringt den Geruch von Erde mit, ein Frühlingswind, der das erste Grün aus Bäumen und Sträuchern lockt, weil er sanft streichelt und lind ist. Die Siedler sehen stumm und starr zu, wie sich ihre Frauen mit den Revolvercowboys der Starbow Ranch auf dem Platz vor dem Haus drehen. Sie wagen keinen Protest. Alan Gannon, der die Pferde angebunden hat, lehnt an der Stallwand und sieht schweigend zu.
Und er weiß alles! Er kennt sich aus. Er weiß alle Dinge zu deuten und braucht keine Fragen zu stellen. Die Starbow-Mannschaft beherrscht das Land. Sie ist gefürchtet, niemand wagt es, gegen sie aufzubegehren. Und so ertragen und erdulden die Siedler jetzt, dass sich die harte und wilde Horde selbst einlud und nun sicherlich bald ein widerwärtiges Vergnügen in Gang bringen wird. Alan sieht genau, wie einige der Siedler in den Taschen die Hände zu Fäusten ballen, wie sie immer wieder würgend schlucken und sich langsam bis an die Wand des Schulhauses zurückziehen, bis sie dort eine schweigsame Versammlung bilden, die zusehen muss, wie ihre Frauen mit den etwas angetrunkenen Cowboys tanzen. Die Fiedel und das Banjo spielen widerwillig und freudlos. Doch sie sind bald auch kaum noch richtig zu hören. Denn die wilden Burschen von der Ranch lassen laut ihre Stimmen ertönen. Ihr Vormann aber kommt nun aus dem Anbau, in dem sich die Wohnung der Lehrerin befindet, jener Lehrerin, die morgen einen Siedler heiraten will und die jetzt das Hochzeitskleid anprobiert. Henry Blaisdell hält eine Puterkeule in der Hand und beißt ein großes Stück Fleisch davon ab. Dann hält er die gebratene Keule in die Luft und ruft: »Ruhe, Ruhe!« Fiedel und Banjo verstummen. Die Tänzer halten inne. Und die wirren Laute und Töne verstummen. Nur einer der Cowboys sagt noch mit übertriebener Höflichkeit zu einer Siedlerfrau, die seine Mutter
sein könnte: »Lady, es war mir eine Ehre! Sie tanzen wie eine Elfe. Ich…« »Halt dein Maul, Shorty!«, sagt Blaisdell kalt. Er blickt sich im Kreis um. »Die Braut kommt jetzt«, verkündet er. »Ich war bei ihr und habe es ihr gesagt. Die Braut kommt im Hochzeitskleid. Und weil wir morgen nicht eingeladen werden, bekommen wir heute unseren Tanz. Sie wird mit jedem von euch prächtigen Jungs tanzen. Und sie wird jedem von euch guten Burschen einen Kuss geben. Das ist so Sitte in unserem Land. Und es wird Wein ausgeschenkt. Und ein gutes Abendbrot gibt es. Dafür werden wir viele Scherben machen, denn Scherben bringen Glück. Da kommt die schöne Braut!« Er ruft die letzten Worte mit einer schneidenden Schärfe, aus der eine böse und wilde Freude deutlich herauszuhören ist. Er breitet die Arme aus, macht eine spöttische Verbeugung und stößt ein lautes »Ah!« aus, welches von seinen Reitern aufgenommen und vielstimmig wiederholt wird. Alan Gannon sieht nun auch die Braut. Selbst bei der gewiss nicht guten Beleuchtung kann man erkennen, dass sie sehr bleich ist, dass sie am ganzen Körper zittert und dass sie ihre ganze Verachtung und Empörung laut in die Nacht schreien möchte. Sie trägt ihr Hochzeitskleid, welches die Gäste doch erst am Hochzeitstag sehen sollen. Alan erblickt auch Jessie Kelley, die Schneiderin, die ihn in ihr Haus nahm, als er in Not war und Hilfe brauchte. Jessie Kelley kam mit der Braut heraus. Gewiss ist sie gerade mit der letzten Anprobe fertig
gewesen und fand nichts mehr auszusetzen an ihrem Werk. Es ist ein wunderschönes Kleid. Und auch Jessie Kelley ist blass und voll hilflosen Zorns. Henry Blaisdell aber wirft den erst halb abgenagten Puterschenkel achtlos zur Seite, tritt vor die bleiche und starre Braut, verbeugt sich übertrieben tief und schwingt den Hut. »Ich habe die Ehre des ersten Tanzes«, sagt er. »Und ich küsse die Braut nach alter Sitte!« Er tritt an die Starre heran, umfasst sie, küsst sie auf eine raue und wilde Art. Und dann beginnt er, mit ihr zu tanzen. Wie eine wehrlose Puppe hängt sie in seinen Armen. Fiedel und Banjo spielen misstönig. Doch die acht Cowboys brüllen begeistert los. Sie beginnen die Melodie zu singen, klatschen den Takt mit ihren harten Händen und sie zwingen die Siedler rechts und links neben sich, ebenfalls lustig zu sein, zu klatschen und Lärm zu machen. »Du lieber Himmel!«, murmelt Alan Gannon. »Warum sehe ich immer wieder solche Dinge? Warum komme ich immer wieder in ein Land und auf eine Weide wie hier?« Er verstummt bitter. Und er denkt nun: Ich sollte mir eines dieser Pferde stehlen und aus dem Land reiten, so als würde ich von den Teufeln der Hölle gejagt. Er beobachtet die tanzende Braut, und er kann erkennen, dass sie einer Ohnmacht nahe ist. Blaisdell tanzt mit ihr nun rings um den Hof, und so kommen sie an den hier abgestellten Pferden
und Alan Gannon vorbei, der bewegungslos an der Stallwand lehnt. Blaisdell hält einmal inne. Er glaubt, jetzt weit genug abseits zu sein. Alan hört ihn zu der Braut sagen: »Das habe ich dir versprochen, nicht wahr, Barbara? Ich habe dir versprochen, dass ich, wenn du diesen Siedler nehmen solltest, kommen würde und…« Mehr kann Alan Gannon nicht hören. Denn der Lärm drüben wird nun wieder lauter. Fiedel und Banjo werden vom Gesang übertönt. Und die Cowboys holen sich wieder Tänzerinnen. Auch Jessie Kelley, die Schneiderin aus Smoky Day, muss mit einem der Burschen tanzen. Alan Gannon wendet sich plötzlich ab und verschwindet um die Stallecke. Er kann nicht mehr länger zusehen, denn sein kalter Jähzorn ist wieder da, jener kalte Jähzorn, der so oft zerstörend und vernichtend wurde und vor dem er sich fürchtet. Er zittert am ganzen Körper. Doch dann ist es plötzlich still, ganz jäh und gefährlich. Ja, diese Stille ist wie eine lauernde Gefahr. Ein Mann wie Alan Gannon spürt das. Und nun kann er auch nicht mehr fortlaufen. Er muss ganz einfach umkehren und sehen, was geschieht. Er tritt wieder hinter der Stallecke hervor. Und da sieht er es. Es ist ein Siedler mit einer Schrotflinte, ein großer, blonder und junger Mann, der zwar derbe Stiefel, doch seinen besten Anzug trägt. Dieser Mann kam hinter dem Schulhaus hervor, und vielleicht steht dort noch sein Pferd. Dieser Mann sagt jetzt laut und mit einem misstönenden Grimm: »Blaisdell, jetzt gingen Sie zu
weit. Sie haben meine Braut geküsst, und sie wollte das nicht. Kommen Sie her, Blaisdell. Kommen Sie her, und ziehen Sie den Revolver. Denn ich werde Sie töten. Geh weg von ihm, Barbara. Jetzt bringe ich diesen Schuft um.« Er setzt sich mit der Schrotflinte in den Händen, die er im Anschlag hält, in Bewegung. Die Braut im Hochzeitskleid will fortlaufen. Blaisdell hält sie mit einem schnellen Griff fest. Er tut es mit der Linken. Mit der Rechten zieht er den Revolver und schießt von der Hüfte aus. Er trifft den Siedler, denn dieser machte gar nicht den Versuch, seine Schrotflinte abzufeuern. Er hätte ja mit dem groben Schrot auch seine Braut verletzt. Er bekommt Blaisdells Kugel in die Schulter und setzt sich langsam zu Boden. In die Stille aber sagt Blaisdell laut: »Er hat genug gebrüllt, dass er mich umbringen will. Nun gut, es ist ihm nicht geglückt. Jungs, wir sind hier wohl doch nicht so gern gesehen, wie wir glaubten. Wir reiten weiter. Schluss mit dem Spaß!« Er wendet sich ab und geht zu seinem Pferd. Dabei kommt er in Alan Gannons Nähe. Im hellen Mondschein kann Alan deutlich das böse Grinsen erkennen, das Blaisdell zeigt. Es ist ein böses, rachsüchtiges und zufriedenes Grinsen. Blaisdell wirbelt plötzlich herum und ruft den Menschen zu: »Ich habe seine Braut heute nicht zum ersten Mal geküsst. Das weiß doch jeder Mensch im Land. Warum, zum Teufel, regt es ihn auf, wenn ich Barbara Peters ein- oder zweimal mehr küsse?« Er wartet gar keine Antwort ab, sondern tritt zu seinem Pferd. Und indes er seinen Sattelgurt
anzieht und aufsitzt, ruft einer seiner wilden Burschen laut. »Wir haben noch keine Scherben gemacht!« »Hoiii!« So brüllt ein anderer Mann und läuft ins Haus hinein. Andere folgen ihm. Sie kommen mit Stapeln von Tellern, mit Tassen und Schüsseln heraus, mit all dem Geschirr, welches von vielen Siedlerfamilien aus der Umgebung für die Hochzeit zur Verfügung gestellt wurde. Und sie werfen das Geschirr zu Boden oder gegen die Hauswand. Sie lachen vor Vergnügen und stellen sich betrunkener, als sie in Wirklichkeit sind. Die Siedler sehen starr zu. Und die Braut kniet weinend neben ihrem verwundeten Bräutigam am Boden. Jessie Kelley lehnt jetzt nicht weit von Alan Gannon entfernt an der Ecke des Schulhauses. Sie blickt ihn einmal seltsam an. »In die Sättel!« Henry Blaisdell ruft es scharf und reitet davon. Der krummbeinige Pete kommt auf einem Schecken zu Alan und sagt: »Hüpf auf, Buddy. Wir vergessen dich schon nicht. Und ich bin für dich verantwortlich. Blaisdell will dich auf der Ranch haben.« Alan Gannon sitzt wortlos hinter ihm auf. Als sie anreiten, kommen sie an Jessie Kelley vorbei. »Pfui Teufel«, sagt diese. »Ich hätte Sie nicht…« Die Stimme versagt ihr vor Zorn und Verachtung. Doch dann ruft sie hinter Alan Gannon her: »Sie verteufelter Schuft! Ich habe Sie nicht von der Straße in mein Haus geholt und Sie dort gesund gepflegt, damit Sie dann mit solchen Banditen
reiten! Sie Schuft, warum suchen Sie sich nicht irgendwo eine anständige und bessere Arbeit?« Er hört es, indes Pete das Pferd scharf antreibt, um Anschluss an die Mannschaft zu bekommen. Er hört es also, doch er wendet sich nicht um. Er blickt nicht zurück. Sie reiten noch etwa sieben Meilen weit. Petes Pferd bleibt bald immer mehr zurück und keucht unter der doppelten Last. Doch irgendwann erreichen sie die Starbow Ranch. Es ist eine sehr große Ranch mit vielen Gebäuden und weitläufigen Corrals. Als Pete und Alan beim Corral vom Pferd rutschen, tritt einer der Pferdeburschen heran und sagt: »Der Fremde soll sofort ins Büro kommen. Sofort!« »Dann los, Langer«, sagt der kleine, krummbeinige Pete zu Alan Gannon. Alan entfernt sich wortlos. Er kommt zwischen Ställen und Schuppen hindurch auf den weiten Ranchhof. Das Haupthaus ist einstöckig, mit vielen Räumen und einer großen und überdachten Veranda. Ein Anbau, dessen Eingangstür offen steht, ist erleuchtet. Alan Gannon geht langsam hinüber und tritt ein. Drei Männer befinden sich im Ranchbüro. Sie betrachten ihn scharf. Henry Blaisdell ist einer der drei Männer. Der Vormann der Starbow Ranch sagt kühl: »Schließ die Tür, Tramp!« Alan Gannon gehorcht. Dabei betrachtet er die beiden anderen Männer. Und es fällt ihm nicht schwer, diese beiden Männer einzustufen.
Einer ist gewiss der Rancher selbst, denn er ist tadellos gekleidet. Er ist ein schlanker, dunkler und scharfgesichtiger Mann. Der andere ist ein farbloser, eiskalter und stets wachsamer Revolvermann. Alan Gannon kennt ihn nicht, und dennoch ist er überzeugt, dass dieser eiskalte Bursche dort einen berüchtigten Namen hat, den er schon hörte. Alan Gannon steht neben der Tür. Er blickt den Männern nicht in die Augen, und er hat eine sehr unterwürfige Haltung angenommen. Er wittert schon lange eine Gefahr und Verdruss, und es wäre ihm lieb, wenn diese Burschen ihn nicht als das erkennen, was er ist. »Ziehen Sie sich aus, Mann!« Dieser Befehl kommt vom Boss der Starbow Ranch selbst. »Ziehen Sie sich aus, Mann! Oder wollen Sie freiwillig zugeben, dass Sie ein Sheriff oder Deputy sind?« Alan Gannon schüttelt müde den Kopf. »Du lieber Himmel«, sagt er, »wie kann nur jemand auf die Idee kommen, dass ich ein Gesetzesmann bin? Das ist doch verrückt!« »Sie standen mit dem Marshal vor dem Saloon. Und dann befanden Sie sich in der Gesellschaft zweier Trotzköpfe, die von meinen Männern verprügelt wurden«, murmelt Jeff Morgan. »Sie kamen als Tramp ins Land…« »Ich war krank, verwundet und ohne einen Cent in der Tasche«, unterbricht ihn Alan Gannon. »Glauben Sie, dass die Regierung einen kranken Gesetzesvertreter in dieses Land senden würde?« »Warum nicht? Warum denn nicht, wenn sich der kranke Gesetzesmann als Tramp verkleidet und
zuerst einmal als eine Art Urlauber in diesem Land herumstreunt, dabei langsam gesund wird und da und dort Zeuge verschiedener Begebenheiten wird wie zum Beispiel einer Schlägerei zwischen meinen Leuten und zwei Burschen wie diesem Vaugh McQuown und diesem Curley Holloway – warum nicht? Vielleicht hat es sich so ergeben, dass Sie krank waren, Urlaub machen sollten und während dieser Zeit gegen mich Beweise sammeln wollten. Also, wollen Sie das zugeben?« »Es wäre gelogen«, murmelt Alan Gannon. »Dann ziehen Sie sich aus bis auf die Haut«, sagt der Rancher. Sein scharfes und auf eine männliche Art sogar angenehm wirkendes und markantes Gesicht verhärtet sich. In seinen dunklen Augen tanzen jedoch unruhige Funken. Alan Gannon ist kein Narr. Er hat längst begriffen, dass er diesen Männern ausgeliefert ist. Er entkleidet sich. Bald darauf steht er in seiner ganzen mageren Nacktheit vor ihnen, und sie sehen das breite Pflaster auf seiner Schulter. Henry Blaisdell tritt vor ihn, fasst zu und reißt das Pflaster mit einem Ruck ab. Das ist schmerzvoll. Doch Alan Gannon schwankt nur leicht. »Es ist eine Kugelwunde«, sagt Blaisdell trocken. Dann hilft er den beiden anderen Männern, Alan Gannons Kleidung zu durchsuchen. Und sie haben sogar Erfolg. Ins Taschentuch eingeknotet finden sie drei Zehn-Dollar-Stücke. Alan Gannon ist mehr als überrascht. Und er begreift sofort, wer ihm das Geld ins Taschentuch eingeknotet hat. Es muss Jessie Kelley gewesen
sein, jenes mitleidige und gutherzige Mädchen. Und er hat bisher noch nicht gewusst, dass sie Geld in sein Taschentuch knotete. Blaisdell aber grinst grimmig. »Er sagte, dass er keinen Cent in der Tasche habe und ein Tramp sei. Und jetzt hat er einen ganzen Cowboy-Monatslohn in der Tasche. He!« »Wenn Sie sich erkundigen würden«, murmelt Alan, »dann würden Sie in der Stadt hören, dass ich schon vor einigen Tagen mit der Postkutsche kam. Die Fahrkarte galt nur bis Smoky Day, weil ich kein Geld für eine Fahrkarte bis Laramie hatte. Und ich brach auf der Straße zusammen und wurde bewusstlos. Miss Kelley nahm mich in ihr Haus und pflegte mich. Von ihr muss dieses Geld sein. Ich wusste nicht, dass sie es mir ins Taschentuch gebunden hatte. Ich bin kein Gesetzesmann. Sie brauchen meine Kleidungsstücke nicht zu ruinieren. Die Stiefel sind aus Alabama und haben sechzig Dollar gekostet.« Der Revolvermann, dessen Namen Alan noch nicht kennt, grinst bei diesen Worten. Denn er hält einen von Alans Stiefeln in der Hand. Er trennt schon das Futter auf. Nun aber benutzt er die Klinge seines Green-River-Messers, um die Sohle zu entfernen. Er ruiniert die zwar gebrauchten und schon etwas abgetragenen, doch noch brauchbaren Maßstiefel vollkommen. Er ruiniert sie mit einer bösen Zufriedenheit, die etwas von seinem gemeinen Wesen verrät. »Ich wurde nicht vorgestellt«, sagt er. »Mein Name ist Oakley Fisher. Und du solltest mir jetzt nicht drohen, weil ich deine Stiefel ruiniere. Oder
würdest du einem Oakley Fisher drohen, nackter Mann?« »Nein«, murmelt Alan bereitwillig. Der Revolverheld ruiniert nun auch seinen zweiten Stiefel. Doch er findet nichts. Auch die beiden anderen Männer fanden nichts, obwohl sie Alan Gannons Kleidung fast in Stücke rissen und alle Nähte auftrennten und das Futter herausrissen. Sie fanden keinen Ausweis, keinen Silberstern eines Sheriffs oder die Plakette eines Deputys. Die drei Männer betrachten ihn hart. Der Vormann Henry Blaisdell wischt die Kleidung vom Tisch auf den Fußboden. »Du kannst dich anziehen«, sagt er dabei. »Und dann verlässt du dieses Land. Lauf Tag und Nacht, bis du fünfzig Meilen weit gekommen bist!« Nach diesen Worten wartet er, bis sich Alan Gannon angekleidet hat. Dann tritt er auf ihn zu und schlägt ganz plötzlich in Alan hinein. Er trifft ihn hart, schlägt Aufwärtshaken und hämmert auf Alans Rippen. Er schlägt ihn zu Boden, reißt ihn hoch und stößt ihn aus der Tür in den Hof hinaus. Als Alan langsam aufsteht und wie ein betrunkener Kranker schwankt, da sagt der Vormann hart: »Wir dulden hier keine Fremden, die mit dem Stadtmarshal im Dunkeln stehen und mit rebellischen Burschen in einem Wagen durch die Nacht fahren. Scher dich aus diesem Land, Tramp!« Alan Gannon sagt kein Wort. Er wendet sich langsam ab und schwankt davon. Er geht etwas nach vorn geneigt und hält eine Hand gegen den schmerzenden Magen gedrückt.
Und in ihm ist der kalte Zorn, vor dem er sich so sehr fürchtet. Es ist ein schlimmer Zorn, der zerstören und vernichten will. Wenn Alan Gannon jetzt einen Revolver hätte… *** Alan marschiert den Weg zurück, den er gekommen ist. Es ist schon lange nach Mitternacht, als er wieder bei dem Schulhaus angelangt ist. Und hier ist alles ruhig. Die Feuer vor dem Haus brennen nicht mehr. Die abgestellten Wagen sind fort. Nur ein einziger Wagen steht noch drüben neben dem Stall. Es ist ein kleiner Zweiräder. Er ist angespannt. Aus dem Wohnanbau des Schulhauses kommt eine Frau herüber. Im Mondlicht erkennt Alan sie genau. Es ist Jessie Kelley. Sie hat auch das letzte Licht gelöscht. Sie sieht ihn neben dem Wagen stehen, hält inne und nähert sich dann. Er erkennt deutlich die energische Bewegung ihrer Schultern und das stolze Heben ihres Kopfes. Er legt die drei Zehn-Dollar-Stücke auf das Sitzbrett des Wagens. Sie glänzen deutlich im Mondlicht. »Ich möchte kein Geld von Ihnen, Miss Kelley«, sagt er ruhig. »Ich danke Ihnen für Ihre gute Absicht und für alle Dinge, die Sie für mich taten.« Nach diesen Worten wendet er sich ab und geht davon. Er ist fünfzig Schritte weit, als sie den Wagen neben ihn lenkt und zu ihm sagt: »Vielleicht habe ich Ihnen dumme und ungerechte Worte
nachgerufen. Vielleicht muss ich mich entschuldigen. Sie sehen auch aus, als hätte man Ihre Kleidung zerrissen und Sie verprügelt. Bitte, steigen Sie zu mir in den Wagen. Ich kann Sie ein Stück mitnehmen. Wohin wollen Sie? Sind Sie nicht schon wieder vollkommen erschöpft?« Er bleibt stehen. Und sie hält den Wagen an. Sie betrachten sich im Mondlicht eine Weile schweigend. »Dies ist ein übles Land«, sagt er. »Was geschah mit dem verwundeten Bräutigam?« »Man brachte ihn in die Stadt, und seine Braut fuhr mit«, erwidert sie. »Die Siedler fuhren alle wieder heim, und sie alle haben neue Furcht bekommen. Nur ich blieb noch und brachte die Küche in Ordnung. Steigen Sie ein, Alan Morgan! Wohin wollen Sie?« »Auf dem schnellsten Weg aus diesem Land hinaus«, sagt er. »Diese Burschen von der Starbow Ranch halten mich für einen Gesetzesmann, der sich als Tramp in dieses Land geschlichen hat, um Beobachtungen zu machen und Beweise zu sammeln. Sie durchsuchten mich nach einem Ausweis, und wenn sie herausgefunden haben, dass ich einige Tage in Ihrem Bett lag, Miss, dann werden die Burschen sicherlich auch zu Ihnen kommen und Sie fragen, ob Sie vielleicht…« »Sollen sie kommen!«, unterbricht sie ihn. Er klettert zu ihr in den kleinen Wagen. Sie fährt langsam an und lässt das willige Pferd trotten. »Ja, es ist ein übles Land«, sagt auch sie. »Es ist ein Land voll kleiner Leute, die sich furchtsam im Schatten der großen, rauen und unduldsamen
Ranch ducken. Dabei hielten wir diesen Jeff Morgan am Anfang alle für einen Gentleman, für einen ehemaligen Offizier.« »Und für was wird er jetzt gehalten?«, fragt Alan Gannon. Sie überlegt. »Wenn er seinen harten Vormann und seine Leibwächter nicht hätte, dann könnte ihn ein halbwegs mutiger und harter Mann an den Ohren aus dem Land zerren«, sagt sie. »Aber er hat eine große Ranch aufgebaut.« »Er nicht. Seine Frau erbte die Ranch. Von ihrem Großonkel erbte sie die Ranch. Das war noch ein Mann. Jeff Morgan hat die Ranch etwas größer gemacht mit Hilfe eines rauen Vormannes, einer rücksichtslosen Mannschaft und eines berüchtigten Revolverhelden. Er hat seine Nachbarn vertrieben, eingeschüchtert, ausgekauft und…« »Ich kenne das alles«, sagt er. »Dieses Spiel kenne ich. Es ist immer das gleiche harte Spiel. Aber was geht mich das an? Ich laufe aus dem Land, und ich will unter keinen Umständen bleiben. Ich kann auch gar nicht bleiben!« Er sagt es bitter. Das Mädchen schweigt eine Weile. Dann fragt es: »Sind Sie auf der Flucht, Alan Morgan?« »Es ist nicht mein richtiger Name«, erwidert er. »Und man kann wohl sagen, dass ich auf der Flucht bin. Das kann man wohl sagen.« »Vor dem Gesetz?« »Nein, nicht vor dem Gesetz.« Er sagt es abweisend. In dem Klang seiner Stimme ist eine deutliche Zurückweisung, die dem Mädchen sagt, dass er ihre nächste Frage nicht beantworten würde.
Deshalb fragt sie nicht, sondern stellt sachlich fest: »Und Sie besitzen keinen Sattel, kein Pferd, keinen Revolver, keinen Cent mehr, und Sie nehmen dennoch kein Geld von einem Mädchen an. Dabei hätten Sie es eines Tages zurücksenden können, Mister. Sie suchen eine Arbeit, nicht wahr?« »Jetzt nicht mehr«, sagt er. »Hier in diesem Land nicht mehr. Ich mag hier nicht bleiben!« Sie schweigen nun eine Weile. Dann aber stoßen sie auf zwei schwankende Gestalten. Es sind Vaugh McQuown und Curley Holloway. Der Riese trägt seinen kleineren Partner. Als der Wagen hält, schnauft Vaugh McQuown und sagt: »Jessie, die verteufelte Bande von der Starbow Ranch hat es uns besorgt. Und sie haben den guten Curley fast totgeschlagen. Unsere beiden Pferde haben sie erschossen, einfach erschossen, diese höllischen Pferdemörder. Jessie, kannst du mir deinen Wagen leihen, damit ich Curley heimschaffen kann? Denn auch ich bin ziemlich mitgenommen.« Jessie und Alan sind indes schon aus dem leichten Zweiräder geklettert. Nun helfen sie Vaugh McQuown dabei, den stöhnenden und halb bewusstlosen Curley in den Wagen zu setzen. Jessie klettert auf die eine Seite und Alan auf die andere Seite. So kann Curley nicht hinausfallen. Vaugh McQuown tritt an das Pferd, schnauft schmerzvoll und klettert hinauf. An Alan Gannons Stelle hätte er im Wagen keinen Platz, denn er ist zu massig und zu breit. Also setzt er sich auf das Zugpferd und brummt: »Es sind ja nur wenige Meilen. Jessie, du bist sehr anständig zu uns. He,
Tramp, wie kommt es, dass du wieder vorhanden bist?« Alan sagt es ihm, indes sich das Pferd in Bewegung setzt. Es geht langsam, denn es trägt einen Mann von zweieinhalb Zentnern und muss überdies noch den Wagen ziehen. Aber es ist ein zähes, kräftiges Bergpferd. Und es sind auch wirklich nur wenige Meilen. Lange Zeit wird kein Wort geredet. Doch dann fragt das Mädchen ernst: »Was werdet ihr tun, Vaugh?« Der Riese vorn auf dem Zugpferd knurrt unverständliche Worte. Doch dann sagt er: »Wenn wir jetzt noch länger auf unseren Parzellen bleiben, dann wird die Starbow-Mannschaft das nächste Mal noch rauer mit uns umspringen. Vielleicht wird man unsere Hütten anzünden oder aus dem Hinterhalt auf uns schießen. Vielleicht wird man unsere Stuten töten, das Wasser vergiften oder andere Teufeleien verüben. Sie haben dem guten Curley schlimm in die Rippen getreten. Er ist nicht so stabil wie ich. Ich kann etwas vertragen. Doch Curley ist zarter. Ich denke, wir geben auf und ziehen fort, sobald Curley wieder reiten kann. Wir können uns gegen den Willen der Starbow Ranch nicht halten. Man müsste mit Henry Blaisdell, mit Jeff Morgan, dem Rancher, und auch mit seinem Revolverhelden Oakley Fisher zurechtkommen. Und das kann nur ein schneller Revolverkämpfer, einer von den ganz Großen. Ein Alan Gannon zum Beispiel, der vor einigen Wochen in Kansas für die Siedler Partei ergriff und sie vor den Großranchern schützte, bis der Gouverneur endlich eingriff. Aber man erzählt sich, dass Alan Gannon dann später
noch nachträglich von einigen Revolverschwingern und Großranchern in die Zange genommen und erschossen worden wäre. Also auch Alan Gannon kann uns nicht helfen. Er wäre auch ein Narr, wenn er es täte. Denn auch in Kansas bekam er keinen Dank.« Er verstummt bitter. Niemand spricht mehr etwas. Alan Gannon zuckte unmerklich zusammen, als Vaugh McQuown seinen Namen aussprach. Die Worte des Riesen rissen die Erinnerung wieder neu auf, und die Bitterkeit in Alan wird wieder mächtig, jene Bitterkeit und Freudlosigkeit, die ihn schon viele Jahre begleiten, die ihn zu einem einsamen Reiter machten, der dann da und dort, so wie hier in diesem Land, auf Dinge stößt, die ihn auf die Dauer nicht gleichgültig lassen. Er erschauert. Denn er fürchtet sich davor, dass er auch hier bald Partei ergreifen wird, so wie vor einigen Wochen in Kansas und davor in Texas und davor in New Mexico und Arizona und davor… Er verspürt deshalb eine Art Furcht, bis sie die kleine Pferderanch von McQuown und Holloway erreichen. Er hilft, den nun bewusstlosen Curley Holloway hineinzutragen. Und weil auch McQuown sich hinlegen muss und vollkommen erschöpft ist, hilft er dem Mädchen. Zum Teufel, ich erlebe eine endlose Kette von Gewalttaten, bin selbst in Mitleidenschaft gezogen und komme immer wieder mit den Opfern zusammen, denkt er. Als Jessie Kelley ihn nicht mehr benötigt, geht er hinüber und spannt das Pferd vom Wagen. Er bringt es in den Stall und legt
sich dann ins Stroh. Er selbst ist ebenfalls müde, erschöpft und voller Schmerzen. Er schläft sofort ein. Und er weiß nicht, was am nächsten Tag werden soll. *** Alan Gannon tritt fröstelnd an den Brunnen. Er holt einen Eimer Wasser herauf, trinkt aus der Schöpfkelle und wäscht sich. Dann hört er die Stimme des Mädchens hinter sich: »Und jetzt möchten Sie sich wohl einfach davonschleichen, nicht wahr? Sie kommen mit einem leeren Magen nicht sehr weit, denn Sie sind noch ziemlich krank und schwach. Ihre Klugheit muss Ihnen sagen, dass Sie zunächst unbedingt eine kräftige Mahlzeit haben müssen. Kommen Sie!« Er zögert. Sein Stolz setzt ihm zu. Doch dann wird er sich darüber klar, dass Stolz jetzt das Dümmste ist, was er sich leisten kann. Denn er ist schwach und hat Hunger. Und hier kann er ein gutes Frühstück bekommen. Er gehorcht. Er geht zum Haus hinüber. Es ist eine zweiräumige Blockhütte, roh und primitiv. Sie ist ein Obdach für zwei Männer, für Vaugh McQuown und Curley Holloway, die hier zwei Siedlerparzellen von je hundertsechzig Acres abgesteckt haben und eine Pferdezucht begannen. Als Alan eintritt, steht Jessie Kelley schon vor dem primitiven Herd. »Es sind nur Kartoffeln, Zwiebeln, Speck und einige Mohren vorhanden«, sagt sie. »Und etwas Brot und Kaffee gibt es noch. Mister, Sie bekommen
eine Kartoffelsuppe und Brot. Die Vorräte blieben im Wagen zurück, den wir nicht mitnehmen konnten, weil die Starbow-Mannschaft zwei Pferde tötete. Mister, Sie könnten nach dem Frühstück ein oder zwei Pferde nehmen und den Wagen holen. Oder ist das zu viel verlangt?« Er schüttelt den Kopf. »Ich werde immer in Ihrer Schuld stehen«, murmelt er. Er deutet mit einer Kopfbewegung auf den Durchgang zum Nebenraum. Es ist keine Tür, nur ein Durchgang, vor dem eine Decke hängt. »Wie geht es den beiden Männern?«, fragt er. »Schlecht!« Sie sagt es scharf und bitter. »Sogar Vaugh McQuown war erledigt und hätte sich und Curley niemals bis auf diese Ranch bringen können. Zumindest Curley wird wohl eine ganze Woche lang krank sein.« »Ich werde den Wagen holen«, sagt Alan ruhig. »Ganz gleich, was geschehen wird, ich werde den Wagen mit der Ladung holen.« Er tritt vor den Spiegel, der neben der Tür an der Wand hängt. Auf einem Brett liegen Seife und Rasierzeug. Alan blickt in die Spiegelscherbe. Und er erschrickt. Ein hageres, hohlwangiges und stoppelbärtiges Gesicht ist zu erkennen. Es ist sein Gesicht. Und es kommt ihm sehr fremd vor. »Sie haben bis zum Frühstück Zeit genug, um sich zu rasieren«, sagt das Mädchen vom Herd her. Alan gehorcht wortlos. Und als er dann mit Jessie Kelley am roh zusammengezimmerten Tisch beim Frühstück sitzt, ist sein Gesicht glatt bis auf einige blutunterlaufene Beulen und einige Risse.
Sie essen schweigend, doch dann fragt das Mädchen: »Hat Blaisdell Sie verprügelt? Sind das die Zeichen von Blaisdells Fäusten?« Er hebt die Hand und berührt mit den Fingerspitzen die größte Anschwellung. Sie befindet sich auf dem linken Wangenknochen. Seine Fingerspitzen zucken leicht. »Ja, Blaisdell verprügelte mich«, erwidert er. »Diese Prügel waren sozusagen eine Kostprobe oder ein Vorgeschmack dessen, was mir blüht, wenn ich auf dieser Weide bleibe. Und Blaisdell wird auch heute früh sicherlich einen oder zwei Reiter losgeschickt haben, die meiner Fährte folgen und nachsehen, was ich inzwischen getan habe. Blaisdell hat mich laufen lassen und zuvor gereizt, damit ich etwas tue, was ihm verrät, wer ich wirklich bin: nur ein Tramp oder etwas anderes.« Er trinkt nach diesen Worten die Tasse leer. Dann erhebt er sich und murmelt: »Ich nehme mir also zwei Pferde aus dem Corral und hole den Wagen. In zwei Stunden kann ich wohl damit zurück sein.« Er will hinaus, doch das Mädchen sagt hart: »Sie brauchen einen Revolver oder ein Gewehr, Mister. Und ich kann Ihnen eine Waffe geben!« Sie erhebt sich schnell, kommt zu ihm und geht vor ihm hinaus. Er folgt ihr, und sie führt ihn zu ihrem leichten Zweiräder, der drüben beim Stall steht. Sie öffnet das Fach unter dem Sitz und greift hinein. Sie holt einen Revolver heraus. »Hier, das ist der Revolver meines Bruders«, sagt sie. »Sie können ihn haben, Alan. Denn ein Mann ohne Revolver ist in diesem Land…«
»Ich möchte keine Waffe«, murmelt er. Doch wie unter einem starken Zwang streckt er die Hand aus und erfasst die Waffe. Es ist ein großer Colt mit einem dunklen Griff aus Walnussholz. Die Waffe wirkt sehr gefährlich und geheimnisvoll. Als er sie in der Hand hält, da spürt er sofort, wie gut sie darin liegt und wie ausgewogen sie ist. Es ist ein Colt, der nicht in jede Hand passt. Es ist eine Waffe, die für eine bestimmte Art von Männern gemacht wurde. Es ist ein Buntline-Colt, eine Sonderanfertigung für lange Hände, ausgewogen mit einem mit Blei ausgegossenen Griff. Alan Gannons Blick wird funkelnd und scharf. Seine Lippen werden sehr schmal, pressen sich gegen die Zähne und werden blutleer. Er tut einige schnellere Atemzüge. Plötzlich wirft er die Waffe in die Luft, fängt sie wieder auf und lässt sie am Bügel um den steifen Zeigefinger wirbeln. Er hantiert damit wie ein Artist, wie ein Jongleur. Und auf seinem Gesicht spiegeln sich viele Gefühle und Gedanken wider. Das Mädchen beobachtet ihn scharf. Und dann sieht Jessie, wie er erwacht, wie er sich wieder in die Hand und unter Kontrolle bekommt. Er wirft die Waffe auf den Wagensitz, so als wäre sie glühend heiß und als hätte er sich die Hand verbrannt. »Ich will keine Waffe«, sagt er. »Gewiss, Blaisdell hat mich verprügelt. Und man hat mir auf der Ranch meine Sachen ruiniert. Ich stehe in Stiefeln ohne Sohlen. Aber warum sollte ich Blaisdell, seinen Boss oder diesen Revolvermann Oakley Fisher dafür töten? Und warum soll ich mich in
dieses harte Spiel hier um Weide und Macht einmischen? Nein. Ich trolle mich aus dem Land, sobald ich den Wagen gebracht habe!« Nach diesen Worten geht er davon. Das Mädchen aber steht bewegungslos da und denkt darüber nach, wer er sein könnte. *** Er findet den halb umgestürzten Wagen, richtet ihn mit Hilfe der Pferde und eines Zugseiles wieder auf, spannt die Pferde an und will losfahren. Die Ladung wurde nicht beschädigt. Bevor Alan Gannon jedoch losfahren kann, bekommt er Besuch. Es sind zwei Reiter, deren Pferde den StarbowBrand tragen, und sie gehören zu der Sorte von Cowboys, die eigentlich gar keine Cowboys sind, weil ihnen Revolverlohn gezahlt wird und sie auch bereit sind, sich diesen Revolverlohn zu verdienen. Sie kommen langsam herangeritten, und Alan erwartet sie. Sie halten an, betrachten ihn ausdruckslos, und dann sagt der ältere Bursche trocken: »Blaisdell sagte dir gestern, dass du aus dem Land laufen und erst wieder anhalten sollst, wenn du fünfzig Meilen hinter dir hast. Blaisdell sagte dir das, nicht wahr? Und dennoch hast du angehalten. Wir folgten deiner Fährte. Du hast dich wieder mit diesen beiden Pferdedieben Vaugh McQuown und Curley Holloway zusammengetan. Du warst gestern schon mit ihnen zusammen in diesem Wagen. Und jetzt bist du sogar für sie beschäftigt. Oder wolltest du vielleicht diesen Wagen stehlen?«
Alan Gannon gibt keine Antwort. In ihm breitet sich eine tiefe Mutlosigkeit aus. Er atmet aus, und seine jetzt mageren und knochigen Schultern, die sonst ausgefüllt sind mit festen Muskeln und Fleisch, sie senken sich müde. Das ist es wieder, denkt er. Ich bin schon wieder mitten drin! »Was wollt ihr von mir?«, fragt er etwas heiser, und die beiden Revolverreiter der Starbow Ranch halten es für Furcht, was seine Stimme so heiser und gepresst erklingen lässt. »Steig ab und lauf. Los, du elender Tramp. Du sollst absteigen und aus dem Land laufen!« Der Sprecher nimmt bei seinen Worten die Bullpeitsche vom Sattelhorn. Er beginnt sofort zuzuschlagen. Alan springt vom Wagen, so schnell er kann. Er beginnt zu laufen. Der Reiter folgt ihm und schlägt ihm das schmerzvolle Leder noch einige Male über den Rücken. Ein Schlag hinterlässt auf Alans Nacken eine blutige Strieme. Dann lässt der Reiter von ihm ab und kehrt zu seinem Gefährten zurück. Alan hält einen Moment an. Er kann sehen, wie die beiden Burschen die Pferde wieder ausspannen, wie sie den Wagen umkippen und die Pferde dann fortjagen. Er geht weiter. Die Peitschenhiebe schmerzen, und er denkt daran, dass sie ihn wie einen Hund fortjagten. Wenig später hört er wieder den Hufschlag der beiden Reiter. Sie holen ihn schnell ein und reiten im Schritt links und rechts neben ihm. »Du wolltest also Blaisdells Befehl trotzen und für die beiden Pferdediebe arbeiten?«, fragt einer der beiden Revolverreiter. Er meint damit gewiss die
beiden Pferdezüchter McQuown und Holloway, und Alan fragt sich, ob diese beiden Männer vielleicht doch mal Pferde gestohlen haben. »Ich wollte Unterkunft und Essen bezahlen«, erwidert er. »Miss Kelley bat mich, den Wagen zu holen. Und ihr bin ich etwas schuldig. Ich wollte nach dieser Arbeit aus dem Land gehen. Lasst mich nur zufrieden!« Er geht nun schneller, so schnell er kann. Sie reiten immer noch neben ihm zu beiden Seiten. Dann sagt einer rau: »Blaisdell gab uns einen Befehl! Er sagte uns, dass wir dir Beine machen sollten, wenn du unterwegs angehalten hättest. Und du hast nicht nur angehalten. Es sieht für uns so aus, als würdest du für die beiden Pferdezüchter arbeiten. Sie haben dich schon aus der Stadt mitgenommen im Wagen. Du gehörst zu ihnen. Alles andere waren nur Ausreden. Nun, Freundchen?« Als er die beiden letzten Worte spricht, schwingt er wieder die Bullpeitsche. Sie trifft schmerzvoll auf Alans Nacken und Rücken. Der zweite Reiter benutzt sein Lassoende. Sie prügeln auf Alan ein, der zu laufen beginnt. Doch dann rammt ihn ein Pferd. Er stürzt, rollt sich über den Boden und in einen Busch hinein, der ihn vor den Peitschenschlägen schützt. Die Reiter warten nicht lange. »Komm heraus!«, fordert einer mit kehliger Stimme. »Komm heraus. Es ist noch nicht genug. Du hast den Denkzettel noch nicht richtig bekommen. Komm heraus!«
Er kann sie gut sehen, und er wird auch von ihnen gut gesehen, denn der Busch hat noch keine Blätter. »Lasst mich zufrieden«, sagt er. »Hört, ich bin nur ein Bursche in einer Pechsträhne. Ich kam in dieses Land, weil meine Fahrkarte nicht weiter reichte. Und ich stieg hier aus, um vielleicht Arbeit zu finden. Lasst mich in Ruhe!« Seine Stimme klirrt, und er schämt sich tief in seinem inneren Kern, dass er die beiden Burschen bittet. Er hasst sie. Er hat ihre Sorte immer gehasst. Und er hasste auch stets ihre Auftraggeber, jene andere Sorte, die sich solcher Burschen bedient. Er kommt langsam aus dem Busch. »Bist du wirklich kein Sheriff oder Deputy der Bundesregierung?« Einer der beiden Reiter fragt es mit hinterhältiger Sanftheit. »Zum Teufel, wer hat euch diesen Floh ins Ohr gesetzt?« Alan Gannon stöhnt es fast. »Die Regierung oder die County-Behörden würden doch keinen so kranken und geschwächten Mann schicken wie mich«, fügt er hinzu. Die beiden Reiter sitzen nun wie auf ein geheimes Kommando ab. Sie haben ein kaltes Glitzern in den Augen. Und ihr Lächeln ist ohne Freundlichkeit. Es ist ein falsches Lächeln, welches böse Absichten tarnen soll. Sie bauen sich vor Alan Gannon auf, und einer spricht: »Die Siedler haben vor einigen Monaten eine Bittschrift abgesandt. Sie baten in der Hauptstadt um Hilfe. Die Post wurde überfallen. Die Banditen warfen alle Briefe einfach weg, und so fanden wir auch diese Bittschrift und nahmen
ihren Inhalt zur Kenntnis. Die Siedler werden sicherlich bald darauf eine zweite Bittschrift aufgesetzt und abgesandt haben. Denn es kam ein US Deputy Marshal in unser Land. Er stieß fünfzig Meilen von hier auf ein einsames Hügelcamp, in dem einige Burschen saßen, die ihn kannten. Sie schossen sofort und verwundeten ihn schwer. Sie wurden ebenfalls schlimm verletzt und ergriffen blutend die Flucht. Sie ritten aus dem Land und erzählten unterwegs einigen Freunden die Geschichte. Diese Freunde ritten hin, um nach dem Marshal zu sehen. Sie fanden ihn nicht mehr vor. Sie fanden das Camp. Sie fanden die Spuren eines Kampfes. Sie fanden auch Blutspuren. Nur der Marshal war verschwunden. Und du bist ebenfalls ein Mann, der verwundet war, der eine Kugelwunde hat. Mister, wir werden herausfinden, ob du der Marshal bist. Gestern haben wir nur mit dir herumgetändelt. Und Blaisdell hat dich sogar laufen lassen. Wir wollten sehen, was du tun würdest. Nun, bist du ein Marshal der Bundesregierung, der den Siedlern Schutz geben soll? Antwort!« Alan Gannon sieht nun ein, dass es schlimm für ihn wird. Da sie ihm erklärt haben, warum sie gerade in ihm einen Marshal vermuten, ist ihm nun alles klar. Und er weiß, dass die beiden Burschen ihm von Blaisdell nachgesandt wurden, um ein Geständnis aus ihm herauszuprügeln. Sie wollen genau wissen, ob er der verschwundene US Deputy Marshal ist, der zufällig in den Hügeln auf ein Camp mit Gesetzlosen stieß und sofort angegriffen und verwundet wurde.
Alan ist noch zu schwach, um mit diesen Kerlen kämpfen zu können. Doch er bekommt nun Hilfe. Jessie Kelley kommt in ihrem Wagen angefahren. Dass sie hier auftaucht, ist leicht zu erklären. Denn die beiden Revolverreiter der Starbow Ranch haben ja schon auf der Pferderanch nach dem angeblichen Tramp gefragt und sind dann auf dessen Fährte weitergeritten. Und so ist Jessie den beiden Reitern gefolgt, so schnell sie konnte. Um diese Jahreszeit sind Spuren besonders gut zu erkennen. Es war nicht schwer für das Mädchen, hier an diesen Ort zu gelangen. Sie sieht schon aus der Ferne, dass der Tramp in Not ist, dass ihn die beiden Revolverreiter gestellt haben. Sie fährt mit dem Zweiräder schnell heran, zügelt das Pferd und ruft dann scharf: »Alan, kommen Sie her und steigen Sie ein! Sie fahren mit mir!« Alan geht sofort zu ihr hinüber. Die beiden Burschen sind etwas verblüfft. Sie müssen erst überlegen. So gelangt Alan bis an den Wagen. Er sieht dort den Revolver auf dem Fußbrett verborgen. Vielleicht hatte sie sogar den Fuß daraufgestellt. Nun aber braucht Alan Gannon nur zuzugreifen. Doch er hätte es nicht getan. Wahrhaftig, er hätte es nicht getan, wenn man ihn hätte in den Wagen klettern und unbehelligt abfahren lassen. Doch inzwischen haben sich die beiden Burschen entschlossen. »Hier geblieben!« So ruft der eine.
»So kommst du uns nicht davon!« So ruft der andere Mann. Alan steht nun mit dem Rücken zu ihnen. Er verbirgt mit seinem Körper den vorderen Teil des Wagens, dessen Fußbrett und den ganzen Sitz vor den Blicken der beiden Männer. Er greift die Waffe fast lässig und wie spielerisch, die ihm der Fuß des Mädchens nun noch zuschiebt. Er schiebt sich die Waffe in den Hosenbund und wendet sich langsam um. Das Mädchen treibt das Pferd an und fährt aus der Schusslinie. Alan aber sagt: »Jetzt habe ich einen Revolver, Jungs. Jetzt müsst ihr aufhören. Jetzt müsst ihr mich zufrieden lassen. Die Lady hat mir einen Revolver gebracht. Und ich bin euch nun nicht mehr hilflos ausgeliefert. Los, schert euch zum Teufel!« Sie staunen. Und sie sehen den Revolver im Hosenbund, denn er trägt seine Jacke nun offen. Sie begreifen, dass sie übertölpelt wurden. Und das macht sie noch böser. Sie glauben nicht, dass er sie mit einem Zug aus dem Hosenbund schlagen kann, während sie ihre Waffen aus gut eingeölten Holstern ziehen können, glatt und schnell. Deshalb versuchen sie jetzt, wofür sie von einer harten Raubranch bezahlt werden. Sie wollen sich nun ihren Revolverlohn verdienen. Sie ziehen mit einer bösen Wut, weil sie reingelegt wurden. Alan Gannon ist schneller. Er zieht den Revolver auch aus dem Hosenbund noch schneller als ein zweitklassiger Revolverschwinger. Er zeigt ihnen die Revolvermündung, bevor sie die Läufe ihrer Waffen hochbringen können.
Jetzt spüren sie den jähen Schock einer heißen Furcht. Sie gleichen jetzt zwei streunenden Wölfen, die einen Hund gestellt zu haben glaubten, der sich ganz plötzlich in einen Berglöwen verwandelte. »Nun?« Alan stößt es bitter hervor. »Schon gut, schon gut«, sagt der eine Bursche. Und der andere murmelt heiser: »Nichts für ungut, Marshal. Wir reiten aus dem Land. Wir reiten gar nicht zu Jeff Morgan und Henry Blaisdell zurück. Wir reiten einige Tage lang, bevor wir damit aufhören.« Alan lächelt bitter. Er weiß, dass sie sich jetzt vor ihm fürchten. Er konnte sie im Ziehen schlagen, obwohl er den Revolver im Hosenbund stecken hatte. Sie wissen nun, dass er einer der ganz Großen sein muss. Er denkt daran, dass sie ihn mit der Peitsche geschlagen haben und dass er in einen Busch flüchten musste, um ihren Schlägen zu entgehen. Er spürt wieder das Brennen der Hiebe, besonders im Nacken, wo die Haut aufplatzte. Sein Zorn wird mächtig, und in seinen Augen beginnt es gefährlich zu leuchten. Die beiden Burschen erkennen es, und sie werden um einige Zoll kleiner. Wie leicht wäre jetzt eine Rache, denkt er. Ich könnte sie dazu zwingen, sich gegenseitig abwechselnd mit der Peitsche zu verprügeln. Er denkt es bitter. Doch er hat nicht den Wunsch nach dieser Rache. Er sagt: »Mein Name ist Alan Morgan Gannon, und ich bin kein Marshal. Ich bin nur jener Alan Gannon, von dem ihr vielleicht schon hörtet. Und ich sage euch, dass ich eure Haut in Streifen schneiden werde, wenn wir uns auf dieser Weide
nochmals begegnen sollten. Habt ihr das verstanden?« »Genau, Sir!« Sie sagen es zweistimmig und nicken heftig. »Fort mit euch!« Als er es sagt, gehorchen sie so schnell wie Rekruten ihrem Ausbilder, der nicht mit sich spaßen lässt. Und als ihr Hufschlag verstummt, wendet sich Alan um und legt den Revolver wieder auf das Fußbrett des Wagens, den er mit drei oder vier langen Schritten erreicht. Sein Gesicht ist sehr bleich, und es ist ausdruckslos und verschlossen. »Danke für die Hilfe«, sagt er. Das Mädchen achtet gar nicht auf diese Worte. Es blickt ihn starr an und sagt nun endlich: »Alan Gannon sind Sie, der berühmte Revolverkämpfer Alan Gannon!« »Der berüchtigte Revolverheld«, verbessert er. »Es gibt eine Menge Leute, die mich so nennen. Nur die Menschen, die in Not sind, die bedroht werden und die sich von mir Schutz und Hilfe erhoffen, die nennen mich einen berühmten Revolverkämpfer! Aber meist nur so lange, wie sie meine Hilfe nötig haben. Später dann…« Er verstummt bitter und macht eine müde Handbewegung. »Später dann«, wiederholt er und spricht diesmal weiter, »bin ich in ihren Augen nichts anderes mehr als ein Revolverschwinger. Sie fürchten sich dann vor mir, und sie erinnern sich mehr und mehr daran, dass ich Blut vergoss. Sie vergessen, dass ich es für sie tat, für sie, weil sie Schutz und Hilfe
nötig hatten. Die Menschen vergessen schnell, was sie vergessen wollen.« Er macht wieder eine müde und resignierende Handbewegung. »So wie hier auf dieser Weide, so fand ich es oft. Das war wohl stets mein Schicksal.« »Sie müssen uns helfen, Alan Gannon«, sagt das Mädchen drängend. Es wirkt nun sehr entschlossen. Es kommt sich vielleicht wie eine erschöpfte Schwimmerin vor, die plötzlich etwas sieht, woran sie sich festhalten kann. »Sie müssen uns helfen, Alan Gannon«, wiederholt sie, und nun ist eine herzliche Bitte im Klang ihrer Stimme. »Denn wer könnte uns denn sonst helfen? Wenn nicht ein rechtlicher und…« »Das Gesetz kann diesem Land helfen«, sagt er fast grob. Und dabei denkt er an den US Deputy Marshal, der in das Land gekommen ist, der auf ein Camp mit Gesetzlosen stieß, verwundet wurde und nun verschwunden ist. Was wurde aus diesem Gesetzesmann? Schleppte er sich verwundet fort, und konnte er sich zu Menschen retten, die ihn gesund pflegten? Oder verkroch er sich irgendwo und starb in einem Versteck? Auf jeden Fall aber ist es so, dass ein einzelner Gesetzesmann keinen Erfolg hatte. Ein ähnliches Unglück könnte auch dem nächsten Gesetzesmann zustoßen. Dies hier ist ein gefährliches Land. Und dennoch wiederholt Alan Gannon: »Das Gesetz kann diesem Land helfen. Das ist der Weg. Ein Gesetzesvertreter muss für Ordnung sorgen, und alle rechtlichen Menschen müssen hinter ihm
stehen. Sie müssen ihm Schutz und Hilfe geben. Er muss gewiss sein, dass die ehrenwerte und rechtschaffene menschliche Gemeinschaft hinter ihm steht. Er darf nicht einsam sein. Dann wird es gehen. So ist es eines Tages überall gegangen.« »Sie sprechen wie mein Bruder«, sagt Jessie Kelley heftig. »Der sprach die gleichen Worte. Und er und seine Freunde wollten eine Sheriffwahl durchführen.« Sie verstummt bitter. Alan Gannon aber fragt: »Und was war dann?« »Er wurde in den Hügeln aus dem Hinterhalt mit einem Gewehr erschossen, mit einem Büffelgewehr.« Sie sagt es schlicht und ernst. Dann fügt sie hinzu: »Und der Revolver meines Bruders rettete Sie jetzt eben, Mr. Gannon.« Er senkt den Kopf und nickt. Ja, dieses Mädchen rettete ihn nun schon zum zweiten Mal. Zuerst hat sie ihn von der Straße aufgelesen, wo er krank und erschöpft lag. Und nun brachte sie einen Revolver in seine Reichweite. Er weiß, wie schlimm es vorhin für ihn geworden wäre, wenn er sich nicht mit einem Revolver hätte schützen können. Und es war die Waffe ihres Bruders. »Alan Gannon, Sie stehen in meiner Schuld«, sagt sie herb und etwas schrill. Er zuckt leicht zusammen, und sein gesenkter Kopf hebt sich. »Was wollen Sie von mir?« Er fragt es gepresst. Sie betrachtet ihn. »Ich beziffere den Wert meiner Hilfe auf hundert Dollar«, sagt sie kühl. »Als mein Bruder noch lebte, bewirtschafteten wir eine kleine Ranch. Das war vor zwei Jahren. Ich bin damals in
die Stadt gezogen und habe meinen Schneiderladen eröffnet. Ich wollte unsere kleine Ranch nicht mehr sehen. Doch jetzt ist es anders! Mr. Gannon, Sie werden Ihre Schulden von hundert Dollar bei mir abarbeiten. Sie werden zwei Monate auf der Ranch wohnen und dort alle Dinge in Stand setzen, die es nötig haben. Ich möchte nicht, dass das Haus, die Scheune, der Stall und die Corrals verfallen. Der Brunnen muss wohl ebenfalls gereinigt werden. Bringen Sie die Ranch wieder in Ordnung. Was Sie dafür benötigen, können Sie im Store holen. Die Rechnungen werde ich bezahlen. Es müssen auch noch einige Pferde und Rinder von uns auf der Weide zu finden sein. Unser Brandzeichen ist ein großes K. Ganz einfach die Kelley Ranch. Nun, Mister, wollen Sie Ihre Schulden bezahlen?« Sie fragt es herb und blickt ihn fest und kühl an. Er erwidert diesen Blick bitter. »Ich habe schon immer meine Schulden bezahlt«, murmelt er. Und noch bitterer spricht er weiter: »Miss, Sie sind nicht fair zu mir. Sie wissen nun, dass ich jener berüchtigte Alan Gannon bin, jener Mann mit bitterem Revolverruhm, von dessen Kämpfen man sich Geschichten erzählt. Sie wollen sich für hundert Dollar einen Revolvermann kaufen.« »Ich habe etwas über tausend Dollar gespart. Die können Sie haben«, unterbricht sie ihn hart. Er tritt nun ganz dicht vor sie hin, denn sie ist aus dem Wagen geklettert. Ganz dicht tritt er vor sie. »Was Sie mit mir machen, werden Sie noch bereuen«, murmelt er. »Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Das ist klar. Doch Sie nutzen das sehr
rücksichtslos aus. Wissen Sie, was Sie von mir verlangen?« Sie schluckt schwer und nickt heftig. »Gewiss«, sagt sie. »Sie sind der legendäre Kämpfer Alan Gannon, der schon oft für die Kleinen und Schwachen eingetreten ist und der schon so manchen großen Piraten auf die Knie zwang. Ich weiß, was ich von Ihnen verlange. Sie sollen uns helfen! In diesem Land leben noch etwa fünfzig Siedlerfamilien in Angst und Furcht. In diesem Jahr will die Starbow Ranch diese Siedler endgültig vertreiben. Mit Curley Holloway und Vaugh McQuown fing die Starbow Ranch an. Und zuvor war mein Bruder an der Reihe. Sie sollen helfen, Alan Gannon. Denn wozu sonst sind Sie ein unbezwingbarer Kämpfer? Steigen Sie ein! Ich bringe Sie zu Ihrer neuen Arbeitsstätte. Und wir fahren an dem umgekippten Wagen vorbei, nehmen die Vorräte mit und fangen auch die beiden Pferde ein. Vorwärts, Mister! Sie stehen auf meiner Lohnliste, bis Ihre Schuld abgearbeitet ist!« Sie will sich zu ihrem Wagen wenden. Doch er hält sie am Unterarm fest. »Ich werde die Hundert-Dollar-Arbeit verrichten«, sagt er. »Doch erwarten Sie nur nicht, dass ich den Revolver Ihres Bruders nehme und es wieder auf mich nehme, für ein feiges Land zu kämpfen und Blut zu vergießen. Miss, Sie haben mich noch nicht gefragt, warum ich so krank und schwach bin, warum ich eine schlecht verheilte Schusswunde hatte und warum ich gewissermaßen auf der Flucht bin. Ich möchte Ihnen das erzählen. Ich habe vor einigen Wochen drüben in Kansas für eine Siedlergemeinschaft gekämpft, die von
Großranchern bedrängt wurde. Diese Großrancher setzten Revolverreiter ein. Ich tötete den schlimmsten Revolverhelden, einen Mann, für den sogar Steckbriefe Belohnungen versprachen. Er taugte nichts. Gar nichts! Und nun ist sein Bruder hinter mir her, ein dummer Junge, ehrgeizig, wild und verblendet. Er will seinen Bruder rächen und hat den Ehrgeiz, selbst ein berüchtigter Revolverheld zu werden. Vor diesem Jungen war ich auf der Flucht. Und ich war zuvor krank, sehr krank. Ich lag in der Hütte eines Freundes, dem es selbst nicht gut ging. Und jene Siedler, zu denen mein Freund gehörte und für die ich eingetreten bin, die kümmerten sich überhaupt nicht um mich. Sie hatten den Winter vor der Tür, und ihre Ernten waren vernichtet worden. Ich war vergessen, und vielleicht hatte ich auch zu viel Blut vergossen. Es waren einige Männer gestorben, als ich die Siedler gegen die Rancher führte. Wir hatten gewonnen, doch teuer bezahlt. Das konnten die Leute wohl nicht vergessen. Nun, ich musste dann vor diesem Jungen, der seinen berüchtigten Bruder rächen wollte, die Flucht ergreifen, denn ich will keinen Jungen töten müssen. Ich musste alles verkaufen, was ich besaß, um eine Fahrkarte zu erwerben. So kam ich nach Smoky Day. Und da war ich so sehr in Not, dass ich nun Ihnen gehöre, Miss Kelley – für hundert Dollar auf zwei Monate! Vielleicht wird auch der wilde Junge bald hier auftauchen, der gewiss meiner Fährte folgte. Er will mich töten. Doch ich werde keinen Revolver mehr anfassen, um damit für andere Menschen zu kämpfen. Nie wieder! Das habe ich oft genug getan, und ich wurde immer einsamer dabei.«
»Hier ist alles anders, Alan«, sagt das Mädchen. »Steigen Sie ein! Hier ist alles anders!« Sie sieht ihn aus nächster Nähe an, und nun erscheint ein seltsamer Ausdruck in ihren Augen. *** Sie richten den umgestürzten Wagen wieder auf, fangen die beiden Pferde ein und spannen an. Sie arbeiten wie zwei Kameraden. Dann fahren sie mit beiden Wagen bei der Pferderanch vorbei, und sie treffen Vaugh McQuown diesmal wach an. Er sitzt in eine Decke gehüllt am Tisch und isst von der Kartoffelsuppe, von der Jessie Kelley einen großen Topf voll kochte. »Ich komme schon wieder auf die Beine«, sagt er, indes Jessie und Alan die Vorräte hereinbringen. »Und ich sorge dann schon für Curley und mich!« Alan sagt nichts. Doch Jessie bittet McQuown darum, dass Alan sich ein Pferd und einen Sattel ausleihen und von den Vorräten etwas mitnehmen darf. »Sicher«, sagt McQuown kauend und betrachtet Alan von oben bis unten. »Aber was will er mit einem Reitpferd?« »Er ist Alan Gannon, und er arbeitet die hundert Dollar ab, die er mir schuldig ist. Er arbeitet sie als Ranchhelfer auf meiner verlassenen Ranch ab, indem er alle Dinge ausbessert, in Stand setzt und repariert, die es nötig haben«, erwidert sie herb. McQuown staunt. »Du lieber Himmel«, sagt er dann. »Sind Sie vielleicht jener Alan Gannon, der… Ho, solange Alan Gannon im Lande und auf der Kelley Ranch
bleibt, werden Curley und ich hier auch aushalten, denke ich.« *** Als er am Nachmittag mit Jessie zur Kelley Ranch fährt, hat er ein Reitpferd hinter dem Wagen angebunden. Das große Tal verengt sich etwas. Hinter der Enge erblickt Alan dann ein verwittertes Blockhaus. Es hat vier Räume und eine Veranda. Es gibt noch eine Scheune, einen Stall, einige andere Nebengebäude und ein Schlafhaus mit einer Küche und einem Speiseraum für die Reiter. Die Corrals sind groß und weitläufig. Doch alles macht einen verlassenen und trostlosen Eindruck. Das Mädchen hält den Wagen beim Brunnen an und sagt: »Das ist die Ranch. Ich war seit dem Tod meines Bruders nicht mehr hier. Es gibt hier viel Arbeit für Sie, nicht wahr?« Alan Gannon nickt. »Hat Jeff Morgan nicht versucht, diese Ranch von Ihnen zu kaufen?«, fragt er. »Natürlich! Selbstverständlich hat er das versucht«, erwidert das Mädchen. »Es ist keine große Ranch, aber wir hatten manchmal vier Reiter und dreitausend Rinder. Und mehr als fünfzig Pferde!« Alan Gannon fragt nichts mehr. Er klettert aus dem Wagen, hebt einen Sack und einige Pakete heraus, alles Dinge, die Jessie Kelley sich von McQuown und Holloway lieh, bindet sein Pferd hinter dem Wagen los und nickt dem Mädchen dann zu.
»In Ordnung. Ich arbeite zwei Monate hier für Sie, Miss Kelley!« Sie blickt ihn seltsam an, betrübt und ärgerlich zugleich, irgendwie bedauernd und zugleich auch besorgt. Es liegt eine Mischung von Gefühlen in ihren Blick. Und sie sagt: »Alan, Sie halten mich für hart, kalt und berechnend. Doch warum soll ich Sie nicht auf diese Art um Hilfe bitten? Es geht doch auch nicht nur um mich! Ich brauche keine Hilfe. Ich habe meinen Schneiderladen in der Stadt. Aber mehr als fünfzig Siedlerfamilien brauchen Hilfe. Sie brauchen einen Mann, der…« »Das will ich gar nicht hören«, sagt er rau und geht zum Haus hinüber. Er schleift den Sack hinter sich her. Als er den ersten Raum betreten hat, kann er sofort erkennen, dass hier schon oft Menschen übernachtet oder sogar gewohnt haben. Hinter ihm tritt das Mädchen ein. Es bringt den Revolver und legt ihn wortlos mitten auf den Tisch. »Nehmen Sie die Waffe wieder mit«, sagt er. »Ich will hier nur arbeiten und nicht schießen!« »Sie brauchen diese Waffe, um sich zu schützen«, sagt sie nun ziemlich ärgerlich. »Ihren Bruder hielt sie nicht am Leben«, murmelt er. Da stampft sie mit dem Fuß auf und eilt hinaus. Er folgt ihr nicht, doch durch die offene Tür hört er sie losfahren. Er blickt auf die Waffe, die auf dem staubigen Tisch liegt, und er denkt dabei an Jessie, an ihre Art, wie sie von ihm Besitz ergriffen hat, wie sie nun zu kämpfen beginnen will und sie sich von ihm, einem Revolverkämpfer, Hilfe erhofft.
Mit einem Mal hat er den Verdacht, dass sie die ganze Zeit – seit zwei Jahren – nur darauf gewartet hat, den Kampf aufnehmen zu können. Denn warum behielt sie sonst die Ranch und verkaufte sie nicht? Sie muss doch wohl auf gewisse Dinge gewartet haben. *** Am dritten Tag klettert Alan Gannon auf das Pferd und reitet los. Jessie Kelley hat ihm die Grenzen der Ranch genau beschrieben. Alan sieht eine Menge Rinder. Sie tragen bis auf sehr wenige Tiere den Sternenbogen-Brand der Starbow Ranch. In einem Seitental trifft Alan dann auf ein Rudel Pferde. Es ist ein Hengst mit sieben Stuten, die einige Fohlen bei sich haben. Die Tiere, bis auf die Fohlen, tragen alle das K-Brandzeichen der Kelley Ranch. Sie haben in den verborgenen Kesseln hier in den Hügeln überwintert, und sie sind jetzt noch winterzottig und struppig wie Indianermustangs. Er fängt den Hengst, der ihn sogar angreifen will, mit dem Lasso. Und an diese Lassoschlinge, der man nicht entkommen und die schmerzvoll werden kann, erinnert sich der Hengst noch gut. Er wird sofort zahm und folgt dem Reiter willig. Und weil er der Pascha der sieben Pferdemütter ist, folgen sie ihm mit seinen Söhnen und Töchtern. Die langbeinigen Fohlen sind schon recht flink auf den Beinen, aber es dauert dennoch ziemlich lange, bis Alan sie alle im Corral hat. Als er aus dem Sattel steigt, da spürt er, dass er nicht mehr allein ist. Er wendet sich um und blickt zum Haus hinüber.
Und richtig, er hat Besuch bekommen. Es ist der Revolverheld Oakley Fisher, Jeff Morgans Leibwächter und Revolvermann. »Komm her, Tramp!« Oakley Fisher ruft es kalt und auf eine arrogante Art. Er steht neben der Ecke des Hauses und hat seine Hände in die Hüften gestützt. Alan Gannon geht hinüber und fragt sich, ob Oakley Fisher schon Bescheid weiß, ob die beiden Revolverschwinger, die er zum Teufel gejagt hat, nicht vielleicht doch im Land geblieben sind und verkündet haben, auf wen sie gestoßen sind. Und Oakley Fisher weiß Bescheid. Das wird schnell klar. Denn er sagt kühl: »Jessie Kelley verkündet überall in der Stadt, dass sie einen gewissen Alan Gannon angeworben hätte und dass dieser Alan Gannon für sie die verlassene Ranch wieder in Gang bringen würde. He, Tramp! Ist es möglich, dass du dieser Alan Gannon bist?« Alan blickt ihn an, und er erkennt im Hintergrund der hellen Augen ein unruhiges Funkeln. Es ist ein unstetes Leuchten. »Mein Name ist Alan Gannon«, sagt er. »Aber ich trage keinen Revolver. Ja, ich bin sogar jener Alan Gannon, nicht irgendeiner. Aber ich will hier keinen Verdruss. Ich bin Miss Kelley hundert Dollar schuldig. Die arbeite ich hier ab. Das wird zwei Monate dauern. Lasst mich nur in Frieden. Dann bin ich in zwei Monaten wieder fort.« Oakley Fisher starrt ihn stumm an, länger als eine Minute. Dabei spielen seine Fingerspitzen am Revolvergriff. Sie streicheln das glatte Holz, und sie vibrieren manchmal, so als spürten sie elektrische Ströme, als wären sie erregt.
»Alan Gannon«, sagt der Revolverheld dann, »der große Alan Gannon? Der Mann, gegen den die Ringold-Brüder nichts werden konnten? Der Mann, der gegen Sego Uvalde bestand und den ein Bat Quinnt nicht von den Beinen schießen konnte? Und im vergangenen Herbst, da war es Percy Jones, der berüchtigte und gefährliche Percy Jones, auf dessen Kopf dreitausend Dollar ausgesetzt waren.« Er legt den Kopf schief. »Sie haben sich doch dreitausend Dollar verdient, Alan Gannon. Wie kommt es, dass Sie abgebrannt, halb verhungert und krank sind?« »Das geht Sie nichts an, Fisher«, murmelt Alan Gannon. Der Revolverheld betrachtet ihn mit einem flackernden Blick. »Gannon«, sagt er dann, »wenn ich Sie töte, dann gehöre ich zu den ganz Großen.« »Ich habe keinen Revolver bei mir, und es gibt hier keine Zeugen, die zusehen und dann in der Welt verkünden könnten, wie tüchtig Sie sind, Oakley Fisher.« Alan sagt es mit spürbarer Verachtung. Der Revolverheld grinst. »Für heute wollte ich nur herausfinden, ob Sie wirklich der große Alan Gannon sind – jener Alan Gannon! Nun weiß ich es! Und ich habe Sie gesehen, Mister. Sie wirken gar nicht so imponierend auf mich. Sind ein unterernährter, noch sehr schlapper und müde wirkender Genesender. Ich kann Sie zu jeder Zeit und an jedem Ort schlagen. Sie sind nur ein Schatten Ihrer früheren Größe. Nun gut! Das ist mir recht!«
Er geht zur anderen Ecke des Hauses und stößt dort einen Pfiff aus. Ein graues Pferd kommt fast lautlos herbei. Der Revolverheld sitzt auf und blickt über den Pferdekopf hinweg auf Alan Gannon. Er sagt: »Die Starbow Ranch treibt in den nächsten Tagen einige tausend Rinder über diese Weide. Es sind Rinder, die in den Hügeltälern und im Schutz der Hügel den Winter verbrachten. Es soll ein gutes Jahr gewesen sein. Wenig Wölfe, wenig Viehdiebe, keine Blizzards.« Nach diesen Worten zieht er sein Pferd herum und reitet davon. Alan Gannon blickt ihm nach. Und jetzt weiß er, warum die Starbow Ranch auch gegen McQuown und Holloway so rau wurde. Diese Ranch liegt ebenfalls noch in der Talverengung und vor dem Siedlerland. Die Starbow Ranch aber will ihre Herden ins Siedlerland treiben, dorthin, wo die Wintersaat schon bald zu grünen beginnt und die Frühjahrsbestellung in Gang kommt. Rinderherden auf dem Siedlerland, das bedeutet Krieg, wenn sich die Siedler nicht vertreiben lassen, sondern zu kämpfen beginnen. Doch sie werden einen Reitboss nötig haben, einen erfahrenen Kämpfer, der sie anführt, ihnen die Befehle gibt, der die Verantwortung übernimmt. Alan Gannon begreift jetzt, welche Rolle ihm Jessie Kelley zugedacht hat. Und er weiß jetzt, dass auch die maßgebenden Männer der Starbow Ranch dies annehmen müssen. ***
Als Oakley Fisher davonreitet, da weiß Alan Gannon, dass es nun sehr gefährlich für ihn wird, wenn er noch länger als einen Tag auf dieser Weide und in dieser Stellung als Ranchhelfer bleibt. Er geht zum Haus hinüber, tritt ein und holt den Revolver aus dem großen Tonkrug. Er sieht nun zum ersten Mal nach, ob die Waffe richtig geladen ist. Dann wiegt er sie in seiner Hand und betrachtet sie. Aber dann schüttelt er den Kopf und legt sie in das Versteck zurück. Er geht hinaus und reitet wieder fort. Er hat sich immer noch kein richtiges Bild über den Rinderbestand der Ranch machen können. Und heute Vormittag kamen ihm die Pferde dazwischen. Obwohl es nun schon Nachmittag ist, reitet er nochmals über die Weide, um sich umzublicken. Mit seinen Gedanken ist er jedoch immer noch mit dem bitteren Problem beschäftigt. Plötzlich verändert er seine Richtung und ruft entschlossen: »Nun gut, ich muss noch einmal mit ihr reden! Sie kann doch nicht einfach von mir verlangen, dass ich mich für eine Hundert-DollarSchuld abschießen lasse oder selbst wieder zum Revolver greife, um einen Mann zu töten. Das kann sie doch nicht von mir verlangen! Zum Teufel, jetzt habe ich genug! Jeder Mensch ist sich selbst am nächsten. Ich habe genug! Schon lange habe ich genug! Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder für andere Menschen etwas auf mich nehme, was mich am Ende noch einsamer und noch freudloser macht, was mir meinen bitteren Ruhm einbrachte und was normalen Bürgern
Furcht einflößt. Ich bin in Jessies Schuld, aber sie kann das doch nicht so kalt und grausam ausnutzen!« Nachdem er dies gesprochen hat, weil er sich endlich Luft machen musste, reitet er der Stadt entgegen. *** Voll bitterer Gedanken erreicht er die kleine Stadt Smoky Day, deren Lichter er einige Meilen weiter in der Nacht erkennen kann. Er erreicht die Stadt noch vor dem einsetzenden Regen, und er reitet vor Jessie Kelleys Schneiderladen, sitzt ab und betritt den Gehsteig. Er klopft mehrmals an die Tür und wartet dann zwischendurch einige Atemzüge lang. Nach einer Weile wird im Laden eine Lampe angezündet. Jemand schiebt den Riegel der Eingangstür zurück und schließt das Schloss auf. Es ist Jessie, denn indes sie aufsperrt, ruft sie etwas erregt: »Ich komme! Ich komme! Ich habe alles bereit! Haben Sie im Mietstall meinen Wagen anspannen lassen, Sam? Ich…« Nun hat sie die Tür geöffnet und erkennt Alan Gannon. »Ich – ich dachte, es wäre Sam Miller«, sagt sie. »Dessen Frau erwartet nämlich ein Baby. Und sie haben mir versprochen, mich holen zu lassen, wenn es so weit ist, dass sie den Doc holen müssen.« Sie tritt zur Seite, damit Alan eintreten kann. Im Schein der Lampe, die sie angezündet hatte, betrachtet sie ihn aufmerksam. Irgendwie spürt sie instinktiv, was in Alan Gannon ist. Sie atmet scharf
ein, und ihre Nasenflügel blähen sich etwas und vibrieren. Sie wirkt ganz so, als wittere sie etwas. »Kommen Sie in die Küche, Alan«, sagt sie plötzlich herb und geht an ihm vorbei. Er folgt ihr, und er verspürt ein bitteres Schuldgefühl. Als er langsam in die Küche tritt, steht sie schon am Tisch und schenkt Kaffee ein. »Setzen Sie sich und trinken Sie, Alan«, sagt sie ruhig. »Und wenn Sie getrunken haben, dann können Sie mir sagen, aus welchem Grund Sie zu mir gekommen sind.« Er trinkt. Und dann sucht er nach Worten. Und ganz plötzlich bricht es aus ihm heraus: »Gewiss, ich schulde Ihnen etwas, Jessie Kelley! Aber die Schuld ist nicht so groß, dass Sie von mir verlangen können, dass ich einen Revolver in die Hand nehme und auf Männer schieße, dass ich Männer töte und verletze. Sie haben hier überall erzählt, wer ich bin und dass ich Ihre Ranch wieder in Gang bringen will. Oakley Fisher war bei mir. Ihn würde ich sicherlich als Ersten umbringen müssen. Ich aber habe keine Lust dazu. Ich will fort. Ja, ich will aufgeben und fort! Ich bin gekommen, um meinen Dienst zu quittieren. Ich möchte Sie bitten, mich zu entlassen. Ich wollte mich nicht still und heimlich fortstehlen. Ich hoffe, dass Sie mich verstehen können, dass Sie mir verzeihen, mich gehen lassen. Ich kann meine Schulden nicht bezahlen. Es tut mir Leid. Doch ich bin jenen Menschen, für die ich kämpfen müsste, wenn ich bliebe, nichts schuldig, Jessie. Und Sie werden mir jetzt diese Schuld stunden oder gar erlassen. Denn Sie können wirklich nicht von mir verlangen, dass ich Männer erschieße und mir damit wieder eine
neue Hölle erschaffe. Denn es wird so sein wie überall. Niemand nimmt mir nachher einen Teil der Verantwortung ab. Niemand kommt zu mir und sagt, dass alles, was ich tat, von der Gemeinschaft gebilligt und mit verantwortet wird. Nein, wenn ich hier fertig sein würde, wäre es wie überall. Der wilde Tiger tat seine Schuldigkeit. Der wilde Tiger biss die Wölfe tot! Aber er ist nun mal ein wilder Tiger! Welches Schaf möchte etwas mit einem wilden Tiger zu tun haben?« Er erhebt sich nach diesen Worten. »Ich wollte mich ehrlich verabschieden, Jessie«, murmelt er. Sie betrachtet ihn ernst. Und sie versteht ihn gut. »Weil Sie überall ein einsamer Fremder waren, Alan, war es so«, sagt sie dann sanft. »Sie traten stets nur für andere Menschen ein, nicht für sich selbst, weil Sie nie einen festen Platz hatten, nie einen Besitz oder etwas, wofür Sie kämpfen mussten, weil Sie es sonst verlieren konnten. Aber hier ist es anders! Alan, ich verkaufe Ihnen meine Ranch! Für tausend Dollar, die Sie erst in fünf Jahren zu zahlen brauchen. Alan, Sie können eine Ranch kaufen, die ich niemals bewirtschaften könnte und die verloren wäre. Sie werden dadurch zu einem Rancher, haben Grund und Boden, sind Besitzer und sorgen für Ihren Besitz. Sie…« »So geht das nicht«, murmelt er und wendet sich zur Tür. Bevor er jedoch die Küche verlassen kann, kommt von der Straße jemand in den Laden gestürmt. Es ist ein Mann in derben Stiefeln und derber Kleidung, ein nicht sehr großer, magerer und drahtiger Mann, rotköpfig und
sommersprossig. Und dieser Mann ist sehr erregt und ruft sofort: »Das Baby kommt, Jessie! Das Baby kommt! Ich bin mit dem Wagen gekommen und habe schon den Doc drin sitzen! Ich habe im Mietstall Bescheid gesagt, dass sie dort deinen Wagen anspannen.« »Dann fahr mit dem Doc schon los, Sam«, sagt Jessie ruhig. »Ich komme nach. Und ich wette, dass ich euch eingeholt habe, bevor ihr bei deinem Haus angekommen seid!« »Das glaube ich nicht, denn ich fahre heute wie der Teufel!« Der kleine Mann wirbelt herum. Er läuft schon wieder hinaus und ruft: »Danke, Jessie, dass du kommst! Danke! Marthe wird sich sehr darüber freuen! Und ich auch! Ich auch!« Dann ist er hinaus. Jessie lächelt auf eine ernste Art, die viel von ihrer innerlichen Kraft und Stärke verrät. Sie blickt Alan Gannon seltsam an, sehr nachdenklich und studierend. »Nun gut, Alan«, sagt sie dann. »Ich gebe Ihnen Ihr Versprechen zurück, zwei Monate auf meiner verlassenen Ranch zu arbeiten. Ich gebe Ihnen dieses Versprechen jedoch nur unter einer Bedingung zurück.« »Welche Bedingung?«, fragt er misstrauisch. »Sie kommen mit mir zu den Millers hinaus. Sams Frau bekommt ein Baby. Sie hörten es ja soeben. Sie kommen mit mir hinaus zu der Siedlerstätte der Millers. Sie haben nichts anderes zu tun, als vierundzwanzig Stunden dort zu bleiben. Dann können Sie reiten, wohin Sie wollen. Bitte, holen Sie meinen Wagen aus dem Mietstall.
Binden Sie Ihr Pferd hinten an. Ich suche indes aus dem Nachlass meines Bruders einen Regenumhang heraus. Denn Sie werden einen solchen Regenschutz nötig haben, Alan Gannon.« »Ich will nichts mehr von Ihnen, gar nichts mehr«, sagt er etwas verdrossen und geht hinaus. Er sagt nicht, ob er ihr zur Siedlerstätte der Millers folgen wird. Doch sie ist sich darin sehr sicher. Als er wenige Minuten später mit dem Wagen vor den Laden fährt und ein Reitpferd hinten anbindet, da tritt sie mit zwei vollen Taschen heraus, stellt sie in den Wagen und klettert hinein. »Hier ist der Regenumhang«, sagt sie zu Alan, als dieser neben ihr Platz nehmen will. »Wenn Sie ihn nicht umhängen, werden Sie ziemlich nass und sind in meinen Augen ein Narr.« Er brummt ein undeutliches Wort, hängt die Ölhaut um und nimmt die Zügel in die Hand. *** Alan Gannon und Jessie Kelley fahren schweigend durch die Regennacht. Plötzlich erblicken sie zwei gelbliche Lichter. Und vor ihnen fährt nun ein Wagen. Sie können ihn erkennen, weil er sich gegen die beiden Lichtquellen abhebt. Es ist also der Wagen des Siedlers Sam Miller, der den Doc bei sich hat. Und sie haben den schweren Wagen eingeholt. Bald darauf halten sie vor einer Blockhütte. Sam Miller und der Arzt springen sofort vom Wagen und eilen hinein. Durch die beiden Fenster fällt das gelbe Licht, das den beiden Wagen den Weg wies.
Jessie nimmt ihre große Reisetasche und ein Paket unter der Segeltuchplane hervor und ruft schnell: »Sorgen Sie für die Pferde, Alan! Ich schicke Sam Miller sofort wieder heraus. Denn er kann seiner Frau bestimmt nicht dabei helfen, ein Baby zu bekommen.« Mit diesen Worten läuft sie zur Tür und verschwindet ebenfalls in der nicht sehr großen Blockhütte, deren Dach mit Erde gedeckt ist und die halb in einen Hügelhang hineingebaut wurde. Alan Gannon sitzt noch einige Sekunden lang bewegungslos auf dem Fahrersitz. Zum Teufel, denkt er, warum hat sie mich mitgenommen? Damit ich die Pferde versorge? Er klettert vom Wagen und geht zu den dunklen Gebäuden hinüber, die er undeutlich neben dem Wohnhaus erkennen kann. Er findet einen Stall und eine Scheune sowie einen halb offenen Schuppen, der als Werkstatt und Unterstellplatz dient. Im Stall ist eine Laterne. Alan findet sie schnell und zündet sie an. Der Stall ist leer bis auf eine Milchkuh. Alan geht wieder hinaus und bringt dann nach und nach die Pferde herein, nachdem er die beiden Wagen unter den halb offenen Schuppen fuhr. Obwohl er sehr müde und erschöpft ist, reibt er die Pferde mit Stroh ab und schüttet ihnen etwas Kornfutter in die Tröge, das er in einer fast leeren Futterkiste findet. Auch etwas Heu ist da. Alan hängt seine Sachen zum Trocknen auf. Dann setzt er sich auf die Futterkiste. Er ist müde und erschöpft, und er fühlt sich hier im Stall sehr einsam und weit entfernt von allen Menschen.
Und doch soll dort drüben, keine sechzig Schritte von ihm entfernt, in dieser Nacht ein Menschlein geboren werden, in einer stürmischen und kalten Regennacht, in einem rauen Land und im Schatten von Unduldsamkeit und Härte einer mitleidlosen Raubranch. Die Stalltür öffnet sich. Ein Mann kommt herein. Es ist der Siedler Sam Miller. Er trieft vor Nässe, und er keucht. Er lehnt sich gegen die Wand neben der Tür und nickt Alan zu. »Danke, dass Sie die Pferde in den Stall und die Wagen in den Schuppen gebracht haben«, sagt er müde. »Dies ist eine verteufelte Nacht. Der Wind hat das Schornsteinrohr weggerissen. Und so lief der Regen durch das Loch im Dach. Der Ofen qualmte ohne Abzug fürchterlich. Ich musste das erst in Ordnung bringen, weil meine Frau keine Luft mehr bekam und der Doc auch kochendes Wasser haben musste. Ich konnte Ihnen deshalb nicht früher helfen, Mr. Gannon.« Er spricht den Namen irgendwie vorsichtig und voller Respekt und – ja, er spricht ihn fast ehrfürchtig aus. »Schon gut«, murmelt Alan. »Ich bin einigermaßen zurechtgekommen.« Er sagt es müde, und er ist auch müde. Die Wärme im Stall schläfert ein. Draußen rauscht der Regen nieder, und es tut gut, ein warmes Plätzchen gefunden zu haben. Es wäre jetzt ziemlich bitter, einsam reiten zu müssen, und er besitzt ja nichts als ein Pferd und einen alten Sattel. Und selbst diese Dinge wurden ihm geschenkt. Er betrachtet den kleinen, drahtigen Siedler, und nun verspürt er sogar einen Anflug von Neid. Denn
dieser Mann hier hat ein Dach über dem Kopf. Er hat einen festen Platz, ein Heim, Frau und Kinder. »Es wird nicht mehr lange dauern«, murmelt Sam Miller und knetet seine Hände, dass die Fingerglieder knacken. »Das Baby wird bald kommen«, sagt er. »Und es wäre schön, wenn es endlich ein Junge würde. Wissen Sie, Mr. Gannon, ich habe schon drei Mädchen. Ich würde wahrhaftig gerne einen Jungen haben.« Nach diesen Worten senkt er den Kopf und schüttelt ihn dann betrübt und bitter. »Noch besser allerdings wäre es«, murmelt er, »wenn wir überhaupt keine Kinder hätten. Dann könnten Marthe und ich leichter von hier fortgehen und unser Glück an einem anderen Ort versuchen. Denn ich bin hier ruiniert. Ich habe hier vollkommen verloren.« Er wendet sich zur Seite und tritt an die Box, in der sich die Milchkuh befindet. Er legt seine Arme über die obere Stange und sein Kinn auf die Handrücken. Sam Millers Schultern zucken nun. Alan Gannon, der ihn beobachtet, glaubt nun wahrhaftig, der Siedler weint. »Siedeln Sie hier schon lange?«, fragt er. »Diesen Herbst fünf Jahre. Und diesen Herbst hätte ich auch die Wartezeit erfüllt und müsste den Besitztitel bekommen. Aber bis zum Herbst werde ich mich nicht mehr halten können, es sei denn…« Er verstummt und wendet sich mit einem Ruck um. »Werden Sie uns helfen, Mr. Gannon?«, fragt er schrill.
Alan streicht langsam mit den Fingerspitzen über Stirn und Augen. Er hockt mit angezogenen Beinen auf der Futterkiste und lehnt sich gegen einen Stützbalken des Stalldaches. Er betrachtet den kleinen, hageren und abgearbeiteten Mann ausdruckslos. Und dann stellt er die Frage: »Warum sollte ich Ihnen und den anderen Siedlern helfen? Warum erwartet man das immer wieder und überall von mir? Warum soll ich euch Siedlern helfen? Was verpflichtet mich dazu? Warum, warum, warum?« Sam Miller staunt nun, und er wirkt erschrocken und verstört. Schließlich senkt er den Kopf und schluckt mühsam, »Sicher«, sagt er dann, »wenn man es sich richtig überlegt, dann haben Sie nicht den geringsten Grund, für einige arme Lehmbrecher etwas zu riskieren. Niemand riskiert etwas umsonst. Entschuldigen Sie, Mr. Gannon. Meine Frage war nur so gestellt, weil Ihr Name bekannt ist und weil es einige Geschichten gibt, die davon erzählen, dass Sie an anderen Orten Siedlern geholfen haben, sich gegen Willkür, Gewalt und Unduldsamkeit zu behaupten. Ich dachte nur, dass…« »Was dachten Sie?« »Dass es vielleicht aus irgendeinem Grund Ihr selbst gewählter Lebenszweck sein könnte, Siedlern zu helfen, Kleinen und Schwachen.« Er geht zum Holzeimer, stülpt ihn um und benutzt ihn als Schemel. Er stemmt seine Ellbogen auf die Knie und stützt sein Kinn in beide Hände. Er sagt: »Ich sehe Ihnen an, dass Sie krank waren, und deshalb können Sie wohl nichts riskieren. Aber warum bringen Sie dann Jessie Kelley die Ranch wieder in Gang?«
»Auch das ist vorbei«, murmelt Alan. »Ich habe gekündigt. Und ich werde fortreiten. Ich habe Miss Kelley nur noch hergebracht, weil sie das so wollte. Und ich soll hier vierundzwanzig Stunden bleiben. Wenn diese Zeit um ist, werde ich fortreiten.« »Sicher, und ich wünsche Ihnen viel Glück.« Sam Miller verstummt bitter und lauscht. Doch dann senkt er wieder den Kopf und stützt das Kinn in die Hände. »Ich brachte im vergangenen Jahr keine Ernte ein«, sagt er. »Mein Korn verbrannte. Nicht nur meines. Das Feuer vernichtete die Ernte vieler Siedler. Mein Vieh wurde vergiftet. Und drei Tage vor Weihnachten wurde ich in der Stadt schlimm verprügelt, sodass ich drei Wochen im Bett liegen musste. Da ich keine Ernte verkaufen konnte, fehlte uns bald das Geld. Und in der Stadt bekamen wir keinen Kredit mehr. Ich bin ruiniert. Jetzt hat Marthe auch noch die Sorge mit dem Baby. Unsere drei Mädchen sind ja nun schon so alt, dass sie Brot essen können. Doch mit einem Baby ist das immer so eine Sache. Marthe kann nämlich die Kinder nie lange stillen. Das ist der Kummer. Und die Milchkuh werden wir nicht mitnehmen können. Die gehört schon dem Storehalter. Jedes Stück auf dieser Siedlerstätte gehört irgendwem. Eines der beiden Pferde werde ich dem Doc als Bezahlung geben. Das ist es, Mr. Gannon. Wir werden fortgehen müssen – irgendwohin, wo ich Arbeit finde. Hier finde ich keine bezahlte Arbeit. Die Leute in der Stadt fürchten sich vor der Starbow Ranch. Ich muss irgendwo hin, wo ich Lohnarbeit verrichten kann. Und wir werden nur unseren Wagen und ein Pferd
haben. Damit müssen wir neu anfangen. Und dabei wäre ich fein heraus gewesen, wenn die letzte Ernte nicht verbrannt wäre. Ich hatte tausend Tonnen gutes Alfalfa-Gras, und ich hatte prächtigen Weizen, eine kleine Herde Rinder, einige Schweine und eine Menge Hühner. Aber eines Tages waren die Rinder vergiftet. Und die Schweine waren aus dem Pferch entkommen, weil jemand ein Loch hineingemacht hatte. Einige Büffelwölfe, die aus den Hügeln gekommen waren, hatten sich auf die Schweine gestürzt, bevor ich sie fand. Nun, mir geht es nicht allein so böse. Die Starbow Ranch wird uns bis zum Sommer erledigt haben. Wir können ja nicht mehr länger hier aushalten. Wir konnten keine Wintersaat in die Erde bringen, und mit der Frühjahrsbestellung müssten wir jetzt schon beginnen. Doch wir haben nichts! Das letzte Saatkorn ist verbraucht.« Er erhebt sich und tritt an die Tür. Er öffnet sie und lauscht in den Regen hinaus. Dabei starrt er zum Haus hinüber. »Ich muss mal hinüber und fragen, wie es mit Marthe steht«, murmelt er und läuft auch schon durch den Regen. Alan Gannon erhebt sich und geht in die Ecke zu einem Strohhaufen. Er legt sich hinein. Das Licht der Laterne reicht nicht bis zu ihm. Er fühlt sich müde, ausgehöhlt und schlapp. Als er die Augen schließt, ist er auch schon fest eingeschlafen. Im Stall ist es warm, und die Geräusche der Tiere sind einschläfernd. ***
Als er erwacht, weiß er nicht zu sagen, was ihn weckte. Aber bald darauf hört er es. Denn Sam Miller brüllt es draußen in die Nacht: »Es ist ein Junge! Dem Herrn im Himmel sei gedankt, Marthe hat es geschafft! Und es ist ein Junge!« Die Stalltür wird aufgerissen. »Es ist ein Junge!« Sam Miller ruft es und kommt herein. »Jessie Kelley will, dass Sie hinüber ins Haus kommen«, sagt er. »Sie sollen sich meinen Sohn ansehen.« Er setzt sich auf die Futterkiste, und nun wirkt er mit einem Mal sehr schlaff und erschöpft, ausgebrannt und müde. Seine Freude über den Jungen ist plötzlich wie weggeblasen. »Ein Junge ist es«, murmelt er. »Und was wird aus ihm werden? Alan Gannon, wird es meinem Sohn vielleicht so gehen wie Ihnen? Und wie mir?« Alan sagt kein Wort. Er geht hinaus. An seinem Rücken hängen Strohhalme. Draußen regnet es nicht mehr. Am Himmel leuchten vereinzelt Sterne, und es ist sehr still und kalt. Alan zögert. Er starrt auf die erleuchteten Fenster des kümmerlichen Hauses, auf diese zweiräumige Hütte, die in den Hügelhang gebaut und mit Erde und ausgehobenem Rasen gedeckt wurde. Dort öffnet sich die Tür. Sie knarrt, denn sie hängt in Ledergehängen. »Alan, kommen Sie!« Es ist Jessies Stimme. Und da gehorcht er. Sie lässt ihn eintreten. Am Tisch sitzt der alte Arzt John Worth hinter einer Tasse Kaffee. Drüben am Küchentisch sind
Lebensmittel aufgebaut. Sie wurden von Jessie mitgebracht. Und Jessie selbst stellt eine dritte Tasse auf den Tisch. »Was ist mit Sam?«, fragt sie. »Er sitzt im Stall auf der Futterkiste«, erwidert Alan. »Setzen Sie sich und trinken Sie Ihren Kaffee«, sagt das Mädchen. Dann geht es ins andere Zimmer. »Es ist ein strammer Junge«, sagt der alte Arzt müde und schlürft seinen Kaffee. »Es ist ein prächtiger Junge.« Er betrachtet Alan Gannon scharf. »Aber dieses Land ist schlimm«, fügt er hinzu. Dann öffnet sich wieder die Tür. Jessie erscheint. Sie trägt das rotgesichtige Baby auf einem Kissen im Arm. »Das ist Sam Millers Sohn«, sagt sie. Mehr sagt sie nicht. Doch ihre Augen sind groß und fordernd. Alan Gannon blickt das rotgesichtige Neugeborene an. Es ist hässlich, denkt er. Alle Neugeborenen sind hässlich. Auch ich war so. Und auch meine Mutter und mein Vater hatten tausend Hoffnungen und Wünsche. Er wendet sich ab und geht zur Tür. »Wohin?«, fragt Jessie scharf. »Sie wollen mich auf diese Art zwingen, Jessie«, murmelt er von der Tür her. »Ja, das will ich«, erwidert sie schlicht. »Denn ich kenne Sie besser, Alan. Als Sie in meinem Bett lagen und im Fiebertraum sprachen, erzählten Sie mir alles. Ich weiß genau, Alan, warum Sie…«
»Genug«, sagt er. »Ich nehme mein Pferd und reite fort!« Er geht hinaus und eilt über den Hof. Und dabei wird ihm klar, wie gut Jessie seine Geschichte kennt. Sie wusste ganz genau, warum er immer wieder und überall für Leute eintrat, die so waren wie seine Eltern. Bevor er jedoch das gesattelte Pferd aus dem Stall führen kann, hört er etwas, was ihn erstarren lässt. Auch Sam Miller hört es. Und er stöhnt vor jäher Sorge. Das Geräusch ist klar und deutlich in der Nacht. Es ist der Hufschlag einer reitenden Mannschaft. Und er klingt irgendwie drohend und Unheil verkündend. »Du lieber Himmel«, sagt Sam Miller gepresst. »Es gibt nur eine Mannschaft in diesem Land. Und das ist die Starbow-Horde. Warum kommt sie mitten in der Nacht zu mir geritten?« »Sie sucht nach mir«, erklärt Alan Gannon. »Das ist doch ganz klar. Sie haben auf der Kelley Ranch angefangen, nach mir zu suchen. Dann ritten sie gewiss zu McQuowns und Holloways Pferderanch. Und von dort aus ritten sie nach Smoky Day. Dort hat ihnen dann sicherlich jemand gesagt, dass ich mit Jessie Kelley die Stadt verließ. Und jeder weiß, wohin Jessie fahren würde. Jeder weiß, dass Sie, Sam, in der Stadt waren und den Doc holten. Und jeder weiß, dass Jessie ihrer Freundin Marthe beistehen wollte. Also ist es ganz erklärlich, wenn die Starbow-Mannschaft jetzt hier auftaucht. Sie will mich haben.« »Und Sie können ihr nicht entkommen«, sagt Sam Miller schnell. Er deutet auf das Pferd.
»Jagen Sie das Tier davon. Die Starbow-Reiter verfolgen dann das reiterlose Pferd. Und Sie könnten sich eines von meinen Tieren nehmen und bekämen einen größeren Vorsprung. Hören Sie! Das ganze Land ist vom Regen aufgeweicht. Jede Fährte ist jetzt deutlich und klar zu erkennen. Los, Alan!« Aber der schüttelt den Kopf. »Ich könnte ihnen nicht entkommen«, sagt er und führt das Pferd in die Box zurück. Er nimmt dem Tier den Sattel wieder ab. Sam Miller läuft indes hinaus. Als Alan fertig ist, setzt er sich ruhig auf die Futterkiste. Und der hallende Hufschlag ist nun ganz nah. Die Reiter haben nun die Siedlerstätte fast erreicht. Sam Miller kommt in den Stall zurück. Er hat eine Waffe mitgebracht. Es ist ein Revolver. »Ich hatte ihn als Postfahrer immer bei mir«, sagt er keuchend. »Doch ich konnte damit nie etwas treffen, was kleiner war als ein Haus. Die Waffe ist geladen und gut gepflegt. Ich wollte sie bei der nächsten Gelegenheit verkaufen, um etwas Reiseproviant zu bekommen, wenn wir von hier fort müssen.« Er eilt wieder hinaus und zu seinem Wohnhaus hinüber, um bei seiner Familie zu sein, wenn die Starbow-Reiter angelangt sind. Er schafft das noch gerade rechtzeitig. Jessie Kelley und der Doc treten zu ihm vor das Haus. Und sie blicken auf die Reiter, die aus der Nacht kommen und sich im Halbkreis verteilen. »Ist dieser Alan Gannon hier?« Henry Blaisdells Stimme fragt es mit drohender Härte. Er fragt es laut. Alan Gannon hört es bis in den Stall herein.
Und er sitzt immer noch wie müde und erschöpft auf der Futterkiste und betrachtet Sam Millers Revolver. Die Waffe ist langläufig und gut gepflegt. Für einen armen Siedler ist sie ein ziemlich wertvoller Besitz, und solch einen Wertgegenstand lässt ein Siedler deshalb nicht verkommen. Alan Gannon hält diese Waffe in der Hand und ist sich sehr sicher, dass sie gut funktionieren wird und genau schießt. Er spürt es instinktiv und hat es im Griff. Denn er ist ja nun einmal auf eine schreckliche und tödliche Art dafür begabt. Er besitzt jene gefährliche Kombination von Sicherheit, Schnelligkeit, Instinkt und kühlem Verstand. Er hört draußen Henry Blaisdells Stimme noch schärfer sagen: »Los, Jungs! Sucht nach Alan Gannon! Er wird unseren Hufschlag gehört haben und geflüchtet sein! Seht nach, wohin seine Fährte führt!« Als Alan Gannon das hört, hat er genug. Sein kalter Zorn ist mit einem Mal stärker als seine Bitterkeit. Er erhebt sich, steckt den Revolver in den Hosenbund und tritt aus dem Stall. »Suchen Sie mich, Blaisdell?« Seine Frage klingt scharf und kühl. Die Reiter reißen die Pferde herum. Zwei oder drei Männer sitzen ab. Der Vormann Henry Blaisdell stößt einen scharfen Laut aus, der Zufriedenheit verrät. Und der Siedler Sam Miller drängt Jessie und den Doktor ins Haus. Er spricht dabei kein Wort. Einige Sekunden ist es still. Dann antwortet Blaisdell klirrend: »Well, Gannon! Ja, ich suche nach Ihnen! Wenn Sie eine Waffe haben, dann werfen Sie diese jetzt fort! Und
dann kommen Sie her! Meine Leute sind fast alle mit Schrotflinten ausgerüstet. Kommen Sie, Gannon! Und ohne Waffe!« Wieder vergehen einige Sekunden. Alan bewegt sich nicht. Doch seine Worte sind unmissverständlich. Er sagt knapp und ruhig: »Blaisdell, Sie sind kein Halbgott! Sie können von mir aus zur Hölle fahren! Jawohl, gehen Sie zum Teufel, Blaisdell!« Und damit ist es heraus. Es ist eine Herausforderung. Man hat Alan Gannon nun weit genug in die Ecke gedrängt. Jetzt ist er schließlich doch zu einem Kampf bereit. Und Blaisdell ist aus keinem anderen Grund hergekommen. Blaisdell sieht in Alan Gannon die große Gefahr. Er sieht in ihm den Mann, der bald fünfzig im Land verstreute Siedlerfamilien anführen und zu einer Macht werden lassen könnte. Und dies wäre nicht zum ersten Mal so. Als Blaisdell die Herausforderung hört, nimmt er sie sofort an. Er schwingt sich aus dem Sattel und ruft seinen Leuten zu: »Los, Jungs! Holen wir ihn uns!« Er läuft auf Alan Gannon zu und feuert einen Lauf seiner Schrotflinte ab. Die Kugeln streuen noch sehr weit, denn die Entfernung ist noch etwas zu groß. Eine Kugel bekommt Alan in den Oberschenkel. Eine andere streift seine Wange. Noch zwei weitere Schrotflinten und ein Gewehr krachen. Alan wirft sich zu Boden. Und dabei beginnt sein Revolver zu krachen. Er hat sich nicht getäuscht. Die Waffe schießt leicht und sicher.
Er trifft Henry Blaisdell mit dem ersten Schuss. Dann trifft er zwei andere Männer, die ihre Schrotflinten abfeuern. Und dann schießen plötzlich noch zwei Gewehre aus der Nacht. Zwei, drei Starbow-Reiter laufen brüllend zu ihren Pferden zurück, sitzen auf und ergreifen die Flucht. Es scheint ihnen, als wären sie in einen Hinterhalt geraten. Denn vor den beiden erleuchteten Fenstern des Siedlerhauses hoben sie sich gut ab, und die beiden Gewehrschützen dort draußen in der Nacht hatten gutes Ziel. Henry Blaisdell und vier Männer bleiben zurück. Diese sind alle verwundet. Zwei von ihnen setzen sich fluchend auf. Und die beiden Gewehrschützen kommen langsam aus der Nacht herangeritten. Es sind Vaugh McQuown und Curley Holloway. Sie halten an, blicken auf die Verwundeten und den riesigen Henry Blaisdell, der als einziger Mann bewegungslos am Boden liegt. Sie blicken auf den Doktor, auf das Mädchen und auf den Siedler, die aus dem Haus kommen, und dann blicken sie auf Alan Gannon. Curley Holloway sitzt krumm und schief auf seinem Pferd. Der Ritt ist ihm sicherlich schwer gefallen und hat ihn fast zerbrochen. »Diese höllische Bande!«, sagt er. »Sie waren zuvor bei uns. Wir hörten sie kommen, liefen aus dem Haus, nahmen unsere Pferde und ritten ein Stück fort. Es regnete immer noch stark, und so blieben wir unbemerkt. Die Bande zertrümmerte unsere ganze Einrichtung und ritt wieder weiter. Wir waren wütend und folgten ihr. Sie ritten zur
Stadt und von dort aus hierher. Und wenn wir nicht gekommen wären, dann hätten sie dir heute die Haut abgezogen, Alan Gannon.« »Ja, das hätten sie«, sagt dieser. Er erhebt sich langsam und hinkt über den Hof, bis er bei Henry Blaisdell ist. Hier kniet er nieder und betrachtet Blaisdell. Er berührt ihn sachte, und seine Finger zucken und vibrieren. Blaisdell ist tot. Der harte und selbstherrliche Vormann der Starbow Ranch reitet nie wieder über diese Weide, vernichtet irgendwelche Dinge oder übt Terror aus oder veranstaltet Menschenjagden. »Du lieber Himmel«, sagt Sam Miller mit zitternder Stimme. »Das war also Blaisdell! Und das war sein raues Rudel, vor dem sich das ganze Land fürchtete. Und binnen weniger Sekunden und mit wenigen Schüssen ist alles völlig anders. Alan Gannon, Sie haben dieses Land von einem schlimmen…« »Schon gut«, murmelt Alan Gannon, und er beobachtet, wie der Arzt dem Siedler einen Wink gibt, und hört ihn sagen: »Los, Sam! Wir müssen für die Verwundeten sorgen! He, Vaugh McQuown! Du bist stark genug, um sie alle nacheinander ins Stroh des Stalles zu legen.« Alan Gannon sieht das alles. Dann wendet er den Kopf und betrachtet Jessie Kelley. Sie steht immer noch unbeweglich da und wirkt noch sehr erschrocken. Er geht zu ihr hinüber und hält dicht vor ihr an. Er spürt nun, wie die Schrotkugel in seinem Oberschenkel schmerzt und wie das Blut in seinen Stiefel läuft. Aber er lässt sich noch nichts anmerken. Er betrachtet das Mädchen aus nächster Nähe und
sagt: »Nun, Jessie, jetzt haben Sie es geschafft. Sie haben von mir verlangt, dass ich mit Ihnen zu den Millers fahre und hier vierundzwanzig Stunden warte. Sie wussten, dass die Starbow-Mannschaft nach mir suchen würde. Deshalb haben Sie überall verkündet, wer ich bin und dass ich für Sie die Kelley Ranch wieder…« »Nicht so! Nicht so, Alan«, unterbricht sie ihn heftig. »Ich habe Sie mit herausgenommen, damit Sie dabei sind, wenn das Baby kommt, und damit es Ihr Herz anrührt bei dem Gedanken, dass die Millers mit ihren kleinen Kindern und dem Baby fort müssen. Ich wusste aus Ihren Fiebergesprächen, wie es Ihren Eltern erging, als Sie noch ein Junge waren. Ich hatte begriffen, dass Sie bisher den Siedlern und kleinen Leuten überall beistanden, weil dies für Sie eine Art Lebenszweck geworden war. Doch Sie wurden dabei verbittert und einsam. Nun, ich wollte Sie dennoch auf diese Art für uns gewinnen. Eben bin ich fast gestorben vor Angst. Als ich die Schüsse hörte, bereute ich sehr, dass Sam uns ins Haus drängen konnte. Ich verspürte eine heiße Furcht, dass Sie getötet würden, Alan. Und nun…« Sie verstummt, und sie wirkt sehr hilflos. »Und nun ist es hier wie überall woanders zuvor«, sagt er etwas rau. »Ich werde bleiben und aushalten, bis ich entweder getötet worden bin oder eine Raubranch an mir zerbrach. Ich bleibe im Land, Miss!« Nach diesen Worten wendet er sich ab und geht davon. Er holt sein Pferd aus dem Stall und sitzt auf. Sam Miller, der mit McQuown einen neuen Verwundeten in den Stall trägt, ruft keuchend: »Mr.
Gannon, Sie sind doch verwundet! Sie hinken doch!« »Das ist nichts«, sagt er und reitet davon. Sam Millers Revolver ließ er dort zurück, wo er sich bei Blaisdell niedergekniet hatte. Curley Holloway reitet neben ihn und fragt: »Wohin, Alan?« »Auf die Kelley Ranch«, sagt dieser. »Sie liegt in der Talenge. Und was die Starbow Ranch auch in Gang bringen wird, sie muss bei mir vorbei.« Er treibt das Tier schneller an. Curley Holloway, der sehr erschöpft ist, gibt es fluchend auf, ihm zu folgen, und reitet zurück. *** Gannon tritt in das Haus, und er macht kein Licht, sondern tastet sich durch die Dunkelheit zu dem Ledersofa und lässt sich mit einem Stöhnen darauf niedersinken. Plötzlich hört er eine Frauenstimme sagen: »Erschrecken Sie nicht, Mr. Gannon. Ich bin nur eine schwache Frau. Und ich habe mich vor dem Regen in dieses Haus geflüchtet. Ich dachte, dass ich hier die Nacht verbringen müsste. Ich habe mich im benachbarten Zimmer auf das Bett gelegt. Sie sind doch Mr. Alan Gannon, nicht wahr?« Alan setzt sich auf. Durch die kleinen Fenster fällt fahles Licht herein. Es ist nur ein Schimmer, aber Alan kann nun die Umrisse der Frau erkennen. Sie steht in der Tür zum anderen Zimmer. »Ja, ich bin Alan Gannon«, sagt er. »Und wer sind Sie?«
Sie antwortet nicht sogleich, sondern bewegt sich zum Tisch und zündet dort die Lampe an. Dann wendet sie sich um, und der Lampenschein könnte nicht günstiger für sie sein. Er umfließt sie so, als wäre sie ein wunderschönes Bild eines großen Meisters und als wäre dieses warme und schmeichelnde Licht von jenem Meister so gemalt, um zusammen mit dem Antlitz zu wirken, um es zu verschönen. Alan Gannon macht einen schnelleren Atemzug. Denn er sieht nun das genaue Gegenstück von Jessie Kelley. Was an Jessie hell, licht und blond ist, ist an dieser Frau dunkel, geheimnisvoll und lockend. »Mein Name ist Laurah Morgan«, sagt sie jetzt. Alan betrachtet sie. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Alan Gannon«, spricht sie. »Und vielleicht ist es gut und so gewollt, dass ich mich vor dem Regen in ein Haus retten musste. Ich sehe Sie jetzt, Alan Gannon. Und ich…« »Sie sind Jeff Morgans Frau oder Schwester?«, fragt er. »Seine Frau«, murmelt sie und tritt langsam näher. »Es regnet nicht mehr«, sagt er. »Und ich sah draußen Ihr Pferd nicht. Wo haben Sie das Tier stehen?« »Ich weiß nicht«, erwidert sie und betrachtet ihn aufmerksam. Sie steht nun vor ihm, eine Frau in Denim-Hosen und zierlichen Justin-Stiefeln, und sie trägt eine knappe Hemdbluse und hat ihr Haar gelöst.
»Blaisdell ist hinter Ihnen her«, sagt sie plötzlich. »Blaisdell ist mit einem Rudel unterwegs, um Sie zu suchen. Und wenn er Sie findet, dann wird er…« »Er und seine Bande haben mich gefunden«, unterbricht Alan sie bitter. Und er kann sehen, wie sie leicht zittert und ihre blauen Augen sehr groß werden. »Und was geschah?«, fragt sie. Alan Gannon erhebt sich, und er belastet sein verwundetes Bein noch nicht. Er fürchtet sich davor, denn der Schmerz wird ziemlich schlimm sein. »Ich musste Henry Blaisdell in Selbstverteidigung töten«, sagt er. Dann versucht er den ersten Schritt, doch nun macht sein Bein nicht mehr mit. Er knickt ziemlich deutlich erkennbar ein. In diesem Moment sieht die Frau, dass sein Hosenbein von Blut verklebt ist. »Sie sind verwundet! Ich sehe das erst jetzt! Nun, Mr. Gannon, legen Sie sich wieder hin. Ich komme mit Schusswunden gut zurecht. Und Sie haben mit Blaisdell und dessen Rudel gekämpft? Sie haben Blaisdell getötet, obwohl der einige raue Burschen bei sich hatte?« »Er war ein Narr«, sagt Alan bitter und setzt sich, denn sie hat nun beide Hände auf seine Schulter gelegt und drückt ihn nieder. »Er war ein Narr, der sich für unbezwingbar, für unverwundbar und riesengewaltig hielt. Er rannte mit einer Schrotflinte auf mich los und feuerte. Dieser Narr, was hat er wohl geglaubt? Er glaubte fest, die Starbow Ranch zu sein, diese Ranch zu verkörpern, all ihre Macht, ihre Größe und Stärke. Das glaubte Henry Blaisdell.«
Sie wendet sich ab, tritt zum Herd, macht Feuer und setzt Wasser auf. Dann nimmt sie das Brotmesser und kommt zu Alan. Sie zerrt ihm den Stiefel vom Fuß und schlitzt mit dem Messer das Hosenbein auf. Sie betrachtet einige Sekunden lang die Wunde und betastet sie. »Die Kugel sitzt nicht tief«, sagt sie dann. »Es ist nur eine kleine runde Schrotkugel.« Sie bückt sich leicht und holt einen Dolch aus ihrem Stiefelschaft. Die kleine und zierliche Waffe hat eine dünne und sehr spitze Klinge. »Wenn ich heißes Wasser habe, dass ich die Klinge abkochen kann, werde ich Ihnen die Kugel damit entfernen, Alan Gannon«, spricht sie. »Wo finde ich Verbandszeug?« »In der Kommode dort«, murmelt er. Er stellt nun die Frage: »Warum helfen Sie mir, Madam? Ich bin doch…« »Vor Blaisdell habe ich mich immer gefürchtet«, sagt sie. »Mein Mann war Blaisdell nie gewachsen. Blaisdell fühlte sich immer mehr als der wirkliche Boss, und ich gehörte wohl zu den vielen Dingen, die er sich wünschte. Ich habe mich immer vor ihm gefürchtet.« Sie geht zur Kommode und sucht sich heraus, was sich zu einem Verband eignet. »Auch vor diesem Revolverhelden Oakley Fisher fürchte ich mich«, sagt sie dann. »Auch Oakley Fisher hat Wünsche. Wenn er mich anblickt, erkenne ich das.« »Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragt er und blickt zu ihr auf.
Sie steht vor ihm, und nun gehen Ströme von ihr aus, die er deutlich spüren kann. »Kommen Sie mit mir«, sagt sie. »Treten Sie an Henry Blaisdells Stelle. Werden Sie Vormann und Verwalter der Starbow Ranch. Es ist meine Ranch, verstehen Sie? Mein Mann spielt nur den Boss, aber er taugt nichts. Er kann eine Kuh kaum von einem Stier unterscheiden. Blaisdell hat sich nie darum gekümmert, was Jeff Morgan sagte. Jeff Morgan war immer nur ein Kartenhai, der von einer Stadt zur anderen zog. Er sieht nur blendend aus, und als ich ihn kennen lernte, da stellte er sich als einstiger Major der Konföderiertenarmee vor. Ich dachte, er befände sich nur vorübergehend in einer Pechsträhne so kurz nach dem Krieg. Aber er war nicht einmal Soldat. Er war nichts! Ich half ihm, in den Spielsaloons die Dummen auszuplündern. Bis ich dann diese Ranch erbte. Und er taugt nicht dafür. Er möchte mir beweisen, dass er…« »Schon gut«, unterbricht Alan Gannon sie. »Es ist nicht nötig, dass Sie mir das alles erzählen. Wenn Henry Blaisdell die treibende Kraft der Starbow Ranch war, dann wird ja jetzt Frieden im Land sein. Und dann werden sicherlich keine Siedler mehr vertrieben. Madam, ich denke nicht daran, Vormann dieser Ranch zu werden.« Sie kommt dicht zu ihm. »Ich brauche Hilfe«, sagt sie. »Jemand muss diesen Revolverhelden Oakley Fisher vertreiben. Und jemand muss die Starbow-Mannschaft in meinem Sinne führen. Nur so kann ich mich von Jeff Morgan befreien.« Jetzt lächelt er bitter.
»Madam«, sagt er, »ich möchte nicht. Ich wurde schon eingekauft für hundert Dollar! Ich bringe diese Ranch wieder in Gang. Ich kann meinen Posten hier nicht aufgeben.« Sie starrt ihn an. Ihre blauen Augen sind nun sehr dunkel. »Bin ich nichts wert?«, fragt sie. »Habe ich dem berühmten Alan Gannon nicht genug geboten?« »Ich glaube, ich kenne Sie jetzt genau«, sagt er. »Sie sind schön, begehrenswert, schlau und entschlossen. Drei Männer dienten Ihnen. Es waren Blaisdell, Oakley Fisher und Jeff Morgan, dessen Namen Sie tragen. Jeff Morgan gilt als Boss und muss alles verantworten, was geschieht. Henry Blaisdell aber wurde zu selbstherrlich und wollte nicht länger dienen, sondern der Boss sein, Madam. Und Oakley Fisher will jetzt ebenfalls mehr als nur Revolverlohn. Und nun kam ich ins Land. Sie kamen her, um mich kennen zu lernen. Jetzt aber hören Sie, dass ich Henry Blaisdell töten musste. Und schon sind Sie kühl und schnell entschlossen.« »Wozu?«, fragt sie etwas schrill. »Sie sind der große Raubrancher«, sagt er. »Sie wollten mich eben einkaufen, und wahrscheinlich hätten Sie sogar den vollen Preis gezahlt. Aber ich hätte tun müssen, was Sie fordern. Nein, Madam!« Sie nickt. »Es war ein Versuch«, sagt sie kühl. »Sie hätten Vormann einer großen Ranch werden können. Und ich hätte Ihre Treue vergolten.« Sie tritt ins andere Zimmer, holt ihre Jacke und geht an Alan vorbei zur Tür.
»Da Sie und ich zu keiner Einigung kommen konnten«, sagt sie kühl, »kann ich Ihnen auch nicht behilflich sein.« »Ich bekomme die Kugel auch allein heraus«, sagt er. »Hoffentlich finden Sie Ihr Pferd, Madam.« »Ich weiß genau, wo es ist«, erwidert sie und öffnet die Tür. »Nun gut, Gannon! Wir sind Feinde! Halten Sie nur zu den Siedlern, und halten Sie nur zu dieser blonden Ziege, dieser Jessie Kelley, die ihren Bruder rächen möchte. Ich bin euch allen über!« Nach diesen Worten verschwindet sie. *** Alan Gannon hat die Kugel entfernt und die Wunde verbunden. Er hat sich dann ausgestreckt und ist in einen unruhigen Schlaf gefallen. Als er erwacht, ist keine halbe Stunde vergangen, denn die Sonne scheint immer noch durch das gleiche Fenster, und die Lichtgrenze ist nur ein kurzes Stück über den Boden an der Wand entlanggewandert. Draußen schnaubt ein Pferd. Und dann wird die Tür aufgestoßen. Ein Mann kommt mit schussbereitem Revolver herein. Gannon erkennt Jeff Morgan, den Gatten der Frau, die ihn vor kurzem verließ. Alan Gannon setzt sich langsam auf. Er betrachtet Jeff Morgan ruhig und sagt dann: »Das wird leicht für Sie sein, Jeff Morgan. Denn ich habe keinen Revolver zur Hand. Sie werden nur nicht behaupten können, mich in einem fairen Kampf getötet zu haben. Denn dazu müssten Sie eine
Waffe bei mir zurücklassen, eine abgeschossene Waffe. Was nun, Mister?« Alan erhebt sich und tritt zum Herd. Er findet noch Kaffee im Topf und trinkt. Seinem Bein geht es besser. Da nun die Kugel heraus ist, schmerzt die Fleischwunde erträglich. »Sie werden schon irgendwo einen Revolver haben«, sagt Jeff Morgan und kommt näher. Er geht vorsichtig um Alan herum und betrachtet ihn. Doch er kann erkennen, dass Alan keine Waffe in seiner Kleidung verborgen haben kann. »Sie haben meinen Vormann Blaisdell getötet«, sagt Jeff Morgan. »Diesen Menschenjäger«, erwidert Alan. »Er war ein Narr. Er war Vormann und führte ein raues Rudel. Das stieg ihm zu Kopf. Morgan, Blaisdell hätte Sie eines Tages zum Teufel gejagt. Und er hätte sich Ihre Frau erobert. Er war der Typ, der sich alles mit Gewalt erobert und jeden Widerstand zerbricht. Ihr Revolverheld Oakley Fisher hätte Sie vielleicht schützen können, vielleicht aber auch nicht. Wo haben Sie den Revolverschwinger jetzt? Sind Sie vielleicht ganz allein hergekommen? Vor einer Stunde noch war Ihre Frau hier. Sie wollte mich für die Starbow Ranch gewinnen.« »Ich weiß das«, brummt Morgan. Er geht umher und durchsucht den Raum. »Meine Frau sucht immer nach einem starken Mann«, sagt er dabei. »Und weil das so ist, Alan Gannon, will ich jetzt mit Ihnen kämpfen. Wo haben Sie Ihre Waffe? Los, nehmen Sie Ihre Waffe! Und dann…« Alan Gannon geht zur Fensterbank. Dort steht der Tonkrug, in dem der Revolver von Jessie Kelleys
Bruder liegt. Auch ein Tabaksbeutel und eine Pfeife liegen dort. Alan stopft sich die Pfeife, und dabei beobachtet er Jeffrey Morgan, der jetzt seinen Revolver sinken lässt und mit einem Mal sehr unsicher und etwas ratlos wirkt. »Diese Frau ist Gift für Sie, Jeff Morgan«, murmelt Alan Gannon und sucht nun nach einem Zündholz. Er rückt die große Tonvase zur Seite und murmelt: »Nanu, da waren doch irgendwo Zündhölzer…« Er greift nach dem oberen Rand der Vase und kippt sie etwas um, damit er hineinsehen kann. »Ah, da sind sie ja«, sagt er wie beruhigt und greift in die große Tonvase hinein. Als er die Hand wieder zum Vorschein bringt, geschieht das blitzartig. Jeff Morgan reagiert beachtlich schnell. Er reißt seinen Revolver hoch und schießt. Es ist ein blitzschneller Schnappschuss, der übereilt abgegeben wird. Die Kugel zerschmettert die große Tonvase neben Alan Gannons Schulter. Zu einem zweiten Schuss kommt Jeffrey Morgan nicht. Denn kaum dass er abgedrückt hat, verletzt ihm Alan Gannons Kugel die beiden mittleren Finger und prellt ihm die Waffe aus der Hand. »Sie Narr! Ich hätte Sie auch mitten in die Stirn schießen können«, sagt Alan Gannon bitter in die jähe Stille, die nun auf die beiden Schüsse folgt. Pulverrauch breitet sich aus und beißt in die Augen. Alan tritt zur Tür und stößt sie auf. Dabei hält er Jeff Morgan ständig unter Beobachtung. Doch Morgan ist nicht hart genug, um noch einmal mit der unverletzten Hand nach dem Revolver zu
greifen, der nur einen Schritt vor ihm auf dem Boden liegt. Er kniet am Boden, hat tränende Augen und presst die schmerzvoll zuckende und blutende Rechte in die linke Achselhöhle und drückt sie mit dem Arm fest gegen den Körper. Dabei stöhnt er auf, und es ist ganz klar, dass er ein Mann ist, der keine Schmerzen ertragen kann. Alan Gannon tritt langsam zu ihm. »Ich werde Ihnen einen Notverband anlegen, und dann können Sie zum Doc reiten«, sagt er. »Der Doc wird wahrscheinlich noch bei den Millers sein. Nun, Jeff Morgan, Sie sind nicht besonders hart. Sie sind auch nicht besonders gut mit einem Revolver. Sie müssen ganz einfach närrisch und verrückt gewesen sein, mich anzugreifen.« Er bringt Leinenzeug an den Tisch, welches er für seinen eigenen Verband nicht mehr benötigt hatte. »Setzen Sie sich auf diesen Stuhl dort und legen Sie Ihre Hand auf den Tisch, Jeff Morgan«, sagt er trocken und unpersönlich. Morgan gehorcht, doch er ächzt und stöhnt dabei so, als hätte er den ganzen Arm verloren. Alan macht dann einen dicken Verband. Dann hebt er Morgans Colt auf und schiebt ihn in Morgans Holster. Morgan liegt halb über dem Tisch. Sein so energisches und gut geschnittenes Gesicht zuckt ständig. Auf seiner Stirn stehen Schweißperlen. Es sind viele bittere Gedanken in ihm. Und noch nie sah er sich selbst in so nüchterner und klarer Selbsterkenntnis. Er atmet flach, und er fühlt sich leer und ausgehöhlt. »Kann ich gehen?«, fragt er nach einer Weile.
Alan Gannon nickt. »Natürlich! Sie können gehen!« Jeff Morgan erhebt sich. Er geht zur Tür. Dort hält er inne und blickt zurück. »Sie taugen nicht viel, Morgan«, murmelt Alan, »doch ich habe irgendwie Mitleid mit Ihnen. Sie wirken äußerlich so beachtenswert, dass man von Ihnen wohl immer zu viel verlangte, viel mehr, als Sie geben konnten. Und so bereiten Sie sich und anderen Menschen stets Enttäuschungen. Auch jetzt wieder.« Jeff Morgan sagt nichts. Er geht schweigend hinaus. Bald darauf verklingt der Hufschlag seines Pferdes. *** Alan schläft bis in den späten Nachmittag. Dann bereitet er sich ein Essen, und als er gegessen hat, bekommt er Besuch. Es sind Vaugh McQuown und Curley Holloway. Sie sitzen ab und kommen zum Brunnen, an dem Alan sein Geschirr wäscht. »Selbst wenn wir hier nicht willkommen sind, bleiben wir«, sagt Curley und hinkt zur Bank vor dem Haus. Er benutzt ein Gewehr als Stock und sagt dann von der Bank aus: »Wir werden Verstärkung bekommen. Sam Miller reitet von einer Siedlerstätte zur anderen und sagt dort Bescheid. Wenn die Starbow Ranch ihre Drohung wahr machen sollte und ihre Herde durch die Talenge auf das Siedlerland treiben will, dann halten wir sie an der Grenze der Kelley Ranch auf. Aber du musst uns führen, Alan.«
Der nickt nur leicht und schweigt. Erst später, nachdem er das Geschirr ins Haus gebracht und ins Regal und in den Schrank gestellt hat, sagt er ruhig: »Wie jede Ranch wird auch die Starbow Ranch ein jährliches Frühjahrs-Round-up durchführen. Ich reite hin und vertrete dort die Interessen der Kelley Ranch. Ich fand noch eine Menge Kelley-Rinder auf der Weide, doch die meisten Tiere sind sicherlich abgewandert. Es ist notwendig, dass die Kelley Ranch ihre Ansprüche anmeldet.« Als er dies gesagt hat, staunen ihn Curley und McQuown an. Dann schütteln sie bedenklich die Köpfe und seufzen. Sie blicken einander betrübt an, und Curley sagt: »Habe ich das richtig gehört, mein lieber Freund Vaugh? Hat dieser Gentleman gesagt, dass er zum Round-up-Camp der Starbow Ranch reiten und dort die Interessen der Kelley Ranch wahrnehmen will?« Vaugh McQuown nickt. »Das hat dieser Mister gesagt«, bestätigt er. Curley blickt dankbar gen Himmel. »Du lieber Himmel, ich danke dir«, sagt er, »denn ich habe also doch noch meinen ganzen Verstand beisammen und mir nicht nur eingebildet, irgendwelchen Unsinn zu hören.« Er erhebt sich ächzend von der Bank und presst sich beide Hände gegen die Seiten, so als schmerzten ihn noch sehr die Rippen. »Mr. Gannon«, spricht er sarkastisch. »Sie sind sicherlich ein tüchtiger Bursche. Aber auch die Weidemannschaft der Starbow Ranch hat Haare auf der Brust. Und wenn dieser Oakley Fisher mit einigen schlimmen Schießern auftaucht, dann
werden Sie kaum die Interessen der Kelley Ranch vertreten können. Mister, Sie haben den Vormann der Starbow Ranch im Kampf getötet! Haben Sie das vergessen?« »Nein, daran denke ich jede Minute, an diesen unnötigen und sinnlosen Kampf, zu dem ich mehr oder weniger von beiden Seiten gezwungen wurde. Ich denke oft genug daran.« Er sagt es bitter. Nach diesen Worten schweigen sie, und sie sitzen nun nebeneinander auf der Bank vor dem Haus. Die Nacht ist hereingebrochen. Plötzlich wird Hufschlag hörbar. Reiter kommen. Vaugh McQuown erhebt sich, brummt zufrieden und sagt: »Da kommen sie! Ich habe gewusst, dass sie alle kommen würden. Well, dort kommen sie also!« Er geht ins Haus und kommt mit einer brennenden Laterne zurück. Er hängt sie neben der Haustür an die Wand. Und dann geht er zum Stall hinüber und holt auch dort die Laterne heraus. Als auch diese brennend an der Wand neben dem Stalltor hängt, ist es einigermaßen hell auf dem Ranchhof. Und die Reiter kommen nun in den Hof geritten. Sie kommen in loser Ordnung, nicht als geschlossene Mannschaft. Sie reiten in den Hof, halten ihre Pferde an, stellen sie in der Runde ab oder binden sie an und treten dann langsam vor. Sie bilden im Laternenschein einen Halbkreis, und sie räuspern sich unsicher, scharren mit den Füßen, und wenn man ihre Gesichter besser erkennen könnte, dann würde man besorgte
Mienen sehen, unsichere Blicke und Sorge und Misstrauen erkennen. Sie betrachten die drei Männer vor dem Haus. Der kleine Sam Miller tritt vor. »Ich habe sie alle zusammengeholt«, sagt er. »Dies sind alle Siedler, Farmer und Kleinrancher des Landes. Und sie sind alle gekommen, um hinter Ihnen zu stehen, Mr. Gannon, wenn die Starbow Ranch die ihr auf meiner Siedlerstätte zugefügte Niederlage rächen will.« Nach diesen Worten ist es still. Man hört nur Atemzüge, Füßescharren und gelegentlich ein Räuspern. Und Curley Holloway und Vaugh McQuown wirken plötzlich etwas bedrückt. Alan hört das an ihren gepressten und fast wie seufzend klingenden Atemzügen. Sam Miller wirft beide Hände hoch und ruft so, als wollte er sich selbst Mut machen und den Weg zeigen: »Wir werden hinter dem Mann, der es mit der Starbow Ranch aufnahm, der ihren gewalttätigen Vormann niederkämpfte und der…« »Schon gut, mein Freund!« Alan Gannon unterbricht ihn mit diesen Worten, und seine Stimme klingt zwar ruhig und selbstsicher, doch sie hat einen spürbaren Beiklang von Bitterkeit und Zurückweisung. Er blickt in die Runde, und er hat sich von der Bank erhoben und macht nun einige Schritte. Vor einem der Männer bleibt er stehen. »Sie haben daheim sicher eine Frau und Kinder?«, fragt er. »Meine Frau, deren Mutter und vier Kinder«, erwidert der Mann etwas tonlos und gepresst.
»So ist es mit fast allen von euch Männern«, sagt Alan Gannon und tritt zurück, sodass er sie alle übersehen und betrachten kann. »Ich kenne das! Ich habe es schon da und dort erlebt. Ihr seid so verteufelt klein, dass eure Familien ohne euch verloren sind. Denn ihr hinterlasst nichts, was euren Familien eine Hilfe wäre. Eure Arbeitskraft ist vorerst euer einziger Besitz. Und ihr würdet gut kämpfen, wenn eure Frauen und Kinder unmittelbar bedroht würden, etwa durch eine Indianerhorde, die euch skalpieren will. Doch so hofft ihr immer noch, es könnte für euch ohne den höchsten Einsatz einigermaßen gut ausgehen. Nun gut! Vielleicht wird das so sein. Denn ich will eure Hilfe nicht! Ich will nicht die Hilfe von Angstvollen! Ihr könnt mir nicht helfen. Ich habe auch nicht um Hilfe gebeten. Sam Miller hat euch auf eigene Veranlassung zusammengeholt. Ich will keinen Schutz von euch. Ich habe da und dort schon vor den gleichen Problemen gestanden, und ich bin damit fertig geworden. Reitet heim zu euren Familien. Ich brauche euch nicht.« Als er es gesagt hat, ist es lange still. Dann sagt eine erleichterte Stimme aus dem Hintergrund: »Seht ihr! Ich habe es euch doch gesagt. Der braucht keine Hilfe von uns armen Schluckern. Der schießt die schlimmsten Burschen der Starbow Ranch einfach ab, und dann haben wir Ruhe, Frieden, Ordnung und Sicherheit im Land. Wir können heimkehren. Jessie Kelley hat sich den richtigen Mann verpflichtet. Und er will unsere Hilfe ja auch gar nicht.« »Weil sie nichts taugen würde und weil einige Burschen von euch getötet werden könnten oder
ihr Blut verlören, wenn die Starbow Ranch wirklich Genugtuung fordern und ein raues Rudel gegen mich und McQuown und Holloway aussenden würde. Doch das wird sie nicht. Ich bin sicher darin, oder ich müsste mich in Jeff Morgan, der heute am frühen Morgen hier bei mir war, sehr getäuscht haben. Er wollte mich hier töten, doch es gelang ihm nicht. Und somit hat sich eine Menge geändert. Reitet heim, Leute!« Er macht eine kleine Pause. Dann spricht er mit kalter Härte: »Eines möchte ich klarstellen! Jemand dort im Hintergrund nannte mich soeben einen Revolverkämpfer, der die schlimmsten Burschen einfach abschießt und auf diese Art Frieden schafft. Hört mich an, Männer! Ich habe diesen Kampf nicht gesucht. Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, bis ich nicht mehr konnte. Glaubt nur nicht, dass mir diese üble Sache Spaß macht. Ich habe eingesehen, dass ich jetzt ganz einfach nicht fortreiten kann. Doch haltet mich nur nicht für einen Revolverschwinger, der gerne seinen Revolver krachen lässt. Ihr armen Narren, ihr könnt überhaupt nicht begreifen, was ihr mir antut, wenn ihr mich für einen dieser Schießer haltet, die für eine Sache nur deshalb Partei ergreifen, damit sie einen Grund haben, herumschießen zu können. Ich habe ganz einfach Mitleid mit euch! Mitleid, habt ihr verstanden? Und nur deshalb nehme ich es auf mein Gewissen, für euch zu schießen, zu vernichten und Blut zu vergießen. Ich weiß auch genau, was sein wird, wenn ich fertig bin, wenn die Starbow Ranch euch nicht mehr bedrohen kann, wenn ihr euch in Frieden und Sicherheit fühlt. Dann werdet ihr…«
Er bricht ab und macht eine müde Handbewegung. Was soll er denn auch noch sagen? Er spürt schon jetzt wieder seine Einsamkeit gegenüber diesen Männern. Er spürt schon jetzt die zwar unsichtbare, doch himmelhohe Wand, die zwischen ihm und ihnen ist. Für sie ist er ein Revolverkämpfer, der es allein mit der Macht aufgenommen hat, der sie alle nicht gewachsen sind. Für sie ist er ebenfalls eine furchtbare Kraft, die vernichten und zerstören kann. Er gehört nicht zu ihnen. Sie werden ihm am Anfang dankbar sein. Doch er wird nie zu ihnen gehören, darin ist er sich sehr sicher. Und er wird nachher wieder einsam ein Stück weiterreiten und wiederum etwas von seinem Glauben an die Welt und ihre Menschen verloren haben. Er wird wieder spüren, wie sehr er ein Einzelgänger ist und wie wenig Gemeinsames es zwischen ihm und den Menschen gibt, die so sind wie diese hier. »Reitet heim«, sagt er rau. »Und sagt nicht nochmals, Jessie Kelley hätte mich verpflichtet. Ich bin hier geblieben, weil ich nicht anders konnte, und das aus verschiedenen Gründen. Reitet, und wartet, bis ich für euch getan habe, was zu tun ist.« Als er diese Worte gesprochen hat, stehen sie noch einige Sekunden stumm und mit gesenkten Köpfen, wie betäubt. Doch in vielen Herzen ist jetzt eine Erleichterung. Das ist gewiss. Sie brauchen nicht zu kämpfen! Und als ob sie sich nun davor fürchteten, dass er seine Meinung ändern könnte und sie doch um Hilfe bitten würde, ergreifen sie nun wie auf ein Kommando die Flucht. Sie reiten schneller vom Hof, als sie kamen.
Als ihr Hufschlag in der Nacht verstummt, sagt Vaugh McQuown leise und ernst: »Verurteile sie nur nicht, Alan! Es sind kleine Burschen, aber sie sind arbeitsam, genügsam, und sie lieben ihre Familien. Sie sind wie fleißige Ameisen und…« »Ich verurteile sie nicht«, sagt Alan. Und er geht davon. Als er später zurück ins Haus kommt, schnarchen die beiden Pferdezüchter um die Wette. Und auch Alan legt sich hin. Er fühlt sich nun wieder etwas besser. Die Bitterkeit ist etwas geschwunden. *** Als am nächsten Tag auch Vaugh und Curley ihre Pferde satteln, fragt Alan: »Wollt ihr denn mit zum Round-up der Starbow Ranch kommen? Habt ihr das vor?« »Auch wir haben einige Dutzend Rinder«, sagt Vaugh. »Und überdies liefen uns einige Stuten weg. Beim Round-up ist es üblich, dass alle Nachbarn zusammenkommen und nach verlaufenen und abgewanderten Tieren sehen. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, dann reiten wir mit.« Er blickt Alan fest an. Dieser erkennt in Vaughs Augen, dass dieser Riese seinen Entschluss nicht ändern wird. Und Curley wird es auch nicht tun, dafür sind sie zu gute Freunde. »Nun gut«, sagt Alan ruhig. Sie erreichen das Camp der Round-upMannschaft zwei Stunden später. Es liegt in einer Senke, in der zwei Rinderherden gehalten werden, die zu beiden Seiten eines langen und nicht sehr
breiten Sees stehen und von Reitern bewacht werden. Das Camp befindet sich unter einigen hohen Bäumen. Die Cowboys sind überall in Bewegung. Der Koch und ein sommersprossiger Junge arbeiten im Camp. Laurah Morgan ist da. Sie kommt auf einem schön gefleckten Pinto ins Camp geritten. Und sie hat einen älteren, schnurrbärtigen und hart wirkenden Cowboy bei sich. Wieder trägt sie ihre ziemlich engen, gestreiften Denim-Hosen, und ihre weiße Bluse sitzt knapp. Ihr rotes Halstuch weht im Wind, und ihr rabenschwarzes Haar hat sie hinten zusammengebunden. Sie wirkt sehr schön, sehr rassig und sehr energisch. Und sie sagt, als sie den Schecken angehalten hat: »Was führt Sie in mein Round-up-Camp, Gentlemen?« »Wir halten Ausschau nach entlaufenen Rindern, die sich unter Ihre Herde gemischt haben, Madam«, erwidert Alan Gannon ruhig und betrachtet den hartgesichtigen Mann an Laurahs Seite. Sie nickt sofort. »Natürlich«, sagt sie, »das ist wohl überall so üblich.« Sie deutet auf den Mann an ihrer Seite. »Dies ist Luke Starr! Er ist der Vormann der Starbow Ranch. Luke, alle Nachbarn, die bei unserem Round-up ihre Interessen wahren wollen, bekommen jede Unterstützung.« Der bärtige Cowboy nickt. »Wir haben einige Kühe der Kelley Ranch mit Kälbern dabei«, sagt er unpersönlich und knapp.
Und er betrachtet Alan Gannon sehr genau und kühl. Er schätzt ihn ab, doch es ist keine Feindschaft in seinen Blicken. »Mit mir werden Sie keinen Streit bekommen, Mr. Gannon«, sagt er noch ruhiger und trockener. »Denn ich bin ein Rindermann, und ich sorge nur für die Rinder der Starbow Ranch. Ich führe die Weidemannschaft und sorge für die Rinder. Wir alle wurden für den Weide- und Herdendienst angeworben.« Als er verstummt, hat er alles gesagt. Er hat sich und alle anderen wirklichen Cowboys sehr deutlich von den Revolverreitern der Ranch distanziert. Alan Gannon nickt ihm zu. »Vielleicht können wir eine Übereinkunft schließen«, murmelt er. »Ich treibe alle StarbowRinder von der Kelley-Weide nach Süden ins Tal hinein und in Richtung zum Round-up-Platz, und Sie lassen dafür die Kelley-Rinder, die Sie zwischen den Starbow-Rindern finden, in Nordrichtung treiben.« »Das können wir tun«, sagt der Weidevormann und Round-up-Boss. Sie blicken sich wieder fest an, und es herrscht keine Abneigung zwischen ihnen. Darüber wundert sich Alan Gannon sehr. Doch er kann sich das alles bald erklären. Er weiß bald genau, warum alles so friedlich und vernünftig ist. Denn Laurah Morgan sagt: »Es hat sich viel geändert, Mr. Gannon! Henry Blaisdell war ein übler Revolverschwinger, ein Rowdy und ein…« »Schon gut«, sagt er, doch sie schüttelt den Kopf und winkt ab.
»Blaisdell war ein Pirat«, sagt sie. »Und Sie mussten sich seiner erwehren, Mr. Gannon. Auch mein eigener Mann war ein Pirat, und er wollte Sie töten, nicht wahr? Sie haben ihm einen gewaltigen Schock eingejagt, denn er ist fortgeritten. Er ergriff richtig die Flucht. Nun gut, diese Ranch gehört mir. Sie hat meinem Mann nie gehört. Und da Sie mich nun gewissermaßen befreit haben, Mister – von Blaisdell und von meinem Mann –, so kann ich die Ranch endlich so leiten, wie ich es gerne möchte. Ich habe auch Oakley Fisher und den Rest aller Revolverreiter entlassen. Die Starbow Ranch beschäftigt nur noch richtige Cowboys. Und ich will mit meinen kleineren Nachbarn Frieden halten, ja, sogar helfen will ich jedem kleinen Nachbarn, der mich um Hilfe bittet. Mr. Gannon, es wird von der Seite der Starbow Ranch keinen Verdruss mehr geben. Jetzt bin ich endlich der Boss, und ich habe in Luke Starr einen guten Vormann. Es ist alles anders geworden, Mr. Gannon. Blaisdell ist tot. Mein Mann ritt fort und ich lasse mich scheiden. Oakley Fisher wurde mit dem Rest der Revolvermannschaft entlassen. Was wünschen Sie sich noch, Mr. Gannon?« »Sie sind eine kluge Frau«, sagt er, und er sagt es bedächtig und etwas nachdenklich. Doch dann nickt er nochmals bekräftigend und wiederholt: »Ja, Sie sind sehr klug, Madam!« Er zieht sein Pferd halb herum. »Ich wünsche nichts als Frieden und Sicherheit für die Kleinen, die im Schatten der großen Ranch leben«, sagt er. »Es ist eine Menge Unheil angerichtet worden. Damals in jener ersten Nacht, als ich in dieses Land gekommen bin, wurden diese
beiden Männer hier sehr übel zerschlagen. Und die Hochzeit im Schulhaus wurde gestört. Der Bräutigam wurde verwundet. Nun, Sie wissen das alles selbst, Madam. Die Starbow Ranch hat einige Dinge gutzumachen. Es ist Ihre Pflicht, Ihren kleinen Nachbarn zu helfen.« Er blickt den Vormann nochmals fest an, und dieser erwidert seinen Blick ebenso offen und klar und nickt leicht. »Ich bin eine Frau«, sagt Laurah Morgan etwas schrill. »Ich habe Wärme und Freundlichkeit lieber als Kälte und Feindschaft. Ich werde tun, was ich kann. Das verspreche ich Ihnen!« »Nun gut, wir werden sehen«, murmelt Alan Gannon und greift an die Hutkrempe. Dann reitet er davon. Curley Holloway und Vaugh McQuown zögern noch. Sie sind immer noch verblüfft und fühlen sich unsicher und überrumpelt. Sie können noch gar nicht begreifen, dass sich nun mit einem Mal alles vollkommen gedreht und geändert haben soll. »Sie werden eine Entschädigung erhalten«, sagt Laurah Morgan plötzlich zu ihnen. »Blaisdell und die rauen Burschen haben Ihnen eine Menge angetan. Die Starbow Ranch wird…« »Wir möchten nichts geschenkt«, sagt Vaugh McQuown heiser. Er greift an den Hut. »Schon gut, Madam! Sie konnten ja nichts dafür. Diese Männer, Blaisdell, Morgan und Fisher, ließen sich von Ihnen nichts befehlen. Es ist schon alles gut, wenn Sie den Siedlern etwas unter die Arme greifen würden, die ja alle ihre Ernte verloren haben und dieses Jahr keine Saat in den Boden bringen konnten, weil…«
»Ich werde mich darum kümmern!« Sie ruft es laut und scharf. Und dann reitet sie davon. McQuown und Holloway nicken dem Vormann Luke Starr zu. »Es wird jetzt besser«, sagt dieser. *** Einige Tage vergehen. Es sind gute und ruhige Tage. Der Frühling ist nun richtig ins Land gekommen. Alan Gannon reitet jeden Tag über die Weide der Kelley Ranch und treibt einige Rudel StarbowRinder nach Süden. Er bekommt auch mehrmals einige Rudel Kelley-Rinder, die einige ungebrannte Kälber bei sich haben. Er bekommt auch Jährlinge, die schon entwöhnt sind, jedoch keinen Brand tragen. Der Cowboy, der sie bringt, sagt lässig: »Schönen Gruß von Luke Starr. Er meint, dass man nicht mehr genau feststellen könnte, wie viele Jährlinge die Kelley Ranch besitze. Er schickt deshalb die gleiche Anzahl Jährlinge, wie dieses Jahr Kälber bei den Kelley-Kühen sind. Er lässt fragen, ob das fair genug wäre.« »Es ist fair«, erwidert Alan Gannon. Und dann braucht er zwei Tage, bis er die Jährlinge alle mit dem Kelley-Brand versehen hat. Manchmal kommen Vaugh McQuown oder Curley Holloway zu ihm herüber und helfen ihm für einige Stunden. Sie bringen auch dann und wann Vorräte oder nehmen Bestellungen mit. Sie berichten auch, dass Jessie Kelley immer noch bei Marthe Miller weilt, sich um deren kleine Kinder kümmert und ihr den Haushalt führt. Und
schließlich erfährt Alan Gannon auch, dass der Saloonbesitzer Lionel Harline ein Kreditgeschäft aufgemacht habe. »Alle Farmer, Siedler und Kleinrancher holen sich von Lionel Harline Kredit«, sagt Vaugh McQuown. »Sie kaufen noch Saatgut und bestellen trotz der vorgerückten Jahreszeit noch ihre Felder, so gut sie können. Sie alle haben wieder Hoffnung und beginnen zu arbeiten wie die Ameisen, deren Bau zerstört wurde und die nie und nimmer aufgeben.« Alan Gannon hört es, und er denkt noch nach Vaugh McQuowns Wegritt viele Stunden darüber nach. Und an Jessie denkt er immer öfter. Er wehrt sich dagegen, aber ihr Bild erscheint immer wieder in Gedanken vor seinen Augen. *** Am anderen Tag fährt Alan Gannon mit dem Wagen in den Wald und schlägt Zaunpfähle. Er ist nun schon fast wieder im Vollbesitz seiner Kräfte und Fähigkeiten, obwohl ihm gewiss noch mehr als zehn Pfund an Gewicht fehlen. Aber das ruhige Reiten, die ständige Bewegung in der frischen Luft und reichliches Essen machen ihn schnell wieder zu jenem besonderen Mann, der er vorher war. Er arbeitet zwei Tage im Wald, und diese Arbeit mit der Axt gibt ihm den letzten Rest von Härte und Ausdauer zurück, der ihm noch fehlte. Curley Holloway und Vaugh McQuown kommen an diesem Tag und helfen ihm viele Stunden. Nach zwei weiteren Tagen spannt er den Wagen an und macht sich auf den Weg zur Stadt, um den
Draht zu holen, den er schon vor Tagen durch McQuown bestellen ließ. Es ist ein schöner Morgen. Er lässt die beiden Pferde stetig trotten, und er denkt daran, dass er heute zu Jessie Kelley muss, denn sie wird den Draht bezahlen müssen. Alan denkt noch darüber nach, wie er sich verhalten soll, wenn er ihr gegenübersteht. Von einem nahen Hügelkamm rechts von ihm blitzt es plötzlich auf. Der Knall ist sehr laut, denn es ist ein Büffelgewehr, welches dort schießt, ein Gewehr mit großem Kaliber und langem Lauf. Alan Gannon spürt den Luftzug der Kugel. Es ist ein glühendes Streifen. Und er handelt instinktiv. Er schnellt vom Fahrersitz in die Höhe, bäumt sich steil auf und wirft die Arme hoch, so als wäre er getroffen. Dann lässt er sich vom Wagen ins Gras fallen. Da sein Fall echt aussehen soll, riskiert er es, sich ziemlich hart aufprallen zu lassen. Doch er hat Glück, er bricht sich nichts dabei. Nun liegt er im Gras auf der Seite und wartet. Er wartet lange. Das Gewehr dort oben auf dem Hügel kracht nun zum zweiten Mal. Die Kugel zupft an Alans Schulterspitze, denn diese ragt hoch genug über das Gras hinweg. Er rührt sich nicht. Die beiden Wagenpferde bewegen sich ebenfalls nicht. Es sind Pferde, die an Gewehr- und Revolverschüsse gewöhnt sind, denn das muss jedes zuverlässige Pferd in diesem Land sein, in dem vor nicht sehr langer Zeit noch die Kriegshorden der Indianer tätig waren.
Alan Gannon wartet also geduldig ab. Er trägt die Waffe von Jessie Kelleys Bruder im Hosenbund, und er muss jetzt daran denken, dass auch Jessies Bruder damals von einem Hügel aus mit einem Büffelgewehr getötet wurde. Jetzt galt es ihm, Alan Gannon, und er ist ebenfalls wie Jessies Bruder ein Mann, der der Starbow Ranch im Weg war. War! Jetzt wurde doch alles anders. Blaisdell ist tot! Und Jeffrey Morgan ist fort! Und der Revolverheld Oakley Fisher und die anderen Revolverreiter wurden entlassen. Laurah Morgan will die Ranch friedlich leiten, will mit ihren Nachbarn gut auskommen und ihnen sogar helfen. Ein starker und furchtloser Mann, der die Starbow Ranch aufhalten könnte und dies auch tun würde, ist nicht mehr vonnöten. Und dennoch wurde von einem Hügel aus mit einem Büffelgewehr auf Alan Gannon geschossen. Einige Minuten verstreichen. Alan liegt vollkommen bewegungslos da, obwohl einige Fliegen und Käfer ihm zu schaffen machen. Bald darauf vernimmt er den Hufschlag, der sich entfernt. Er weiß nun, dass der Heckenschütze fortgeritten ist. Er erhebt sich, geht zum Wagen, klettert hinauf und fährt bis zum Fuß des Hügels hinüber. Dort hält er an und geht hinauf. Es ist ziemlich mühelos. Oben findet er ein Plateau, einige Felsen und Bäume. Er findet Spuren eines Pferdes, eines Mannes und die beiden Patronenhülsen. Sie besagen ihm, dass der Schütze das Gewehr zum dritten Mal geladen hat, denn sonst hätte er nur eine Hülse gefunden.
Als er noch die sehr großen Fußspuren betrachtet und sich wundert, dass dieser auf großem Fuß lebende Mann sehr kleine Schritte macht, hört er von der anderen Seite des Hügels einen Reiter kommen. Bald darauf erkennt er Jessie Kelley. Sie reitet eine rote Stute und kommt den Hügel herauf. Ihr Pferd ist schaumbedeckt. Sie muss es also hart und scharf geritten haben. Sie selbst ist ebenfalls erhitzt und vom Reitwind zerzaust. Ihr blondes Haar hat sich etwas aufgelöst, und Alan findet sie schön so, wie er sie sieht. Sie trägt keine Hosen, sondern bevorzugt einen geteilten Reitrock aus Rehleder. Sie hält neben Alan an und blickt auf ihn nieder. »Ich hörte zwei Schüsse«, sagt sie. »Es war ein Büffelgewehr. Und hier von diesem Hügel aus wurde auch mein Bruder getötet. Hat man auf Sie geschossen, Alan?« »Sicher«, nickt er. »Und ich baue einen Zaun«, fügt er hinzu. »Ich errichte auf der Grenze zur Starbow Ranch einen Zaun. Sie werden den bestellten Draht bezahlen müssen, Jessie.« »Das tat ich gestern schon«, erwidert sie und betrachtet ihn auf eine besondere Art, die er nicht so recht ergründen kann. Eine Weile schweigen sie. »Tut es Ihnen immer noch Leid, Alan?«, fragt sie dann. »Wollen Sie immer noch fort? Fühlen Sie sich immer noch einsam?« Er nickt wortlos. »Wenn ich sicher wüsste«, sagt er, »dass Laurah Morgan hält, was sie versprach, dass sie Frieden
halten und die Ranch auf gute Art leiten wird, nun, dann wäre ich schon fort.« »Sie trauen ihr nicht, Alan?« Er hebt zweifelnd die Schultern und senkt sie wieder. Sie betrachtet ihn noch aufmerksamer. Da sie sich nun schon viele Tage nicht sahen, bemerkt sie die Veränderungen an ihm besonders deutlich. Sie sieht ihn nun, wie er wirklich ist, und so erkennt sie, dass er damals nur ein Schatten seiner selbst war. Er ist so groß, so ruhig, so zuverlässig, denkt sie, und sie verspürt ein tiefes Bedauern darüber, dass er ein Revolvermann ist. Er beantwortet ihre Frage mit den knappen Worten: »Ich traue keinem Menschen und besonders keiner Frau. Nein, ich traue dieser Laurah Morgan nicht. Es ist nicht schwer, ihr Spiel zu durchschauen.« Er macht eine kleine Pause und sagt dann: »Man schoss auf mich. Man wollte mich töten. Miss Jessie, haben Sie vielleicht den heimtückischen Schützen reiten sehen? Sie kamen ungefähr aus der Richtung, in die er geritten ist.« Jessie Kelley antwortet nicht sogleich. Sie wartet zwei Atemzüge lang, und sie nagt dabei an ihrer vollen Unterlippe. »Ich konnte den Reiter nicht erkennen. Er war zu weit entfernt und verschwand auch bald hinter einer Bodenwelle.« Diese Worte spricht sie ruhig. »Nun gut, Jessie«, murmelt Alan. Und dann betrachten sie sich. Sie betrachten sich lange und schweigend, und sie verspüren einen starken Strom, der gegenseitig ist, sodass jeder wie von einer starken Kraft berührt zu sein glaubt.
*** Der bestellte Draht ist vor dem Store am Rande des Gehsteiges aufgestapelt. Als Alan den Wagen herangefahren hat und aussteigt, tritt der Town Marshal Barton Dale aus dem Store und sagt: »Gut, dass Sie kommen! Denn der Draht kann hier auf dem Gehsteig nicht liegen bleiben. Er behindert die Passanten.« »Ich lade ihn auf und schaffe ihn aus der Stadt«, erwidert Alan Gannon. Der bullige Marshal betrachtet ihn, und er blickt auf den Revolver, den Alan im Hosenbund stecken hat. Er hebt die Hand und deutet mit dem Daumen über die Schulter in den Store hinein. »Drinnen hängt ein gebrauchter Revolvergürtel mit Holster. Er ist billig zu haben, vielleicht sogar als Draufgabe für das Geschäft mit dem Draht. In einem Holster trägt sich ein Revolver besser. Und er lässt sich auch schneller ziehen, nicht wahr?« »Warum geben Sie mir einen Rat, Marshal?«, fragt Alan langsam. Barton Dale tritt noch dichter an ihn heran. »Ich liebe Sie nicht besonders, Alan Gannon«, murmelt er. »Das hat verschiedene Gründe, und einer ist Jessie, für die Sie wahrscheinlich der Wundermann geworden sind. Ich liebe Sie also nicht sehr, Gannon. Und doch achte ich Sie. Hören Sie, Mister. Es ist ein wilder Junge angekommen – aus Kansas. Er nennt sich Bill Jones und gibt vor, der Bruder jenes berüchtigten Percy Jones zu sein, auf den dreitausend Dollar Belohnung ausgesetzt
waren und den Sie, Gannon, im Revolverkampf getötet haben. Der wilde Junge hat hier in der Stadt nach Ihnen gefragt. Und er hat sich gestern ziemlich schlimm betrunken. Vielleicht liegt er deshalb noch im Bett. Aber vielleicht kommt er schon in der nächsten Minute auf die Straße. Ich habe kein Recht, ihm die Stadt zu verbieten. Er würde Ihnen dann sicherlich auch außerhalb der Stadtgrenze auflauern. Ich gebe Ihnen nur den guten Rat…« »Schon gut, Marshal«, winkt Alan ab. »Ich will keinen Kampf, und ich will deshalb auch meine Waffe nicht in einem Holster tragen. Überdies wurde vor einer Stunde von einem Hügel aus mit einem Büffelgewehr auf mich geschossen. Wer hat wohl ein solches Büffelgewehr?« Nach diesen Worten tritt er vom Marshal weg und beginnt, den Draht aufzuladen. Es sind fünfzig Rollen zu je hundert Yards. Indes Alan den Draht auflädt, Rolle für Rolle, kommen Bürger der Stadt auf dem Gehsteig vorbei. Sie grüßen höflich, doch mit jener Zurückhaltung, die sie bei anderen Mitbürgern des Landes oder der Stadt mehr oder weniger nicht zeigen. Doch Alan kennt das schon. Daran ist er gewöhnt. Alan grinst einmal bitter und freudlos. Als er die zwanzigste Rolle im Wagen hat, macht er eine kleine Pause. Und da sieht er Oakley Fisher aus dem Hotel treten. Der Revolverheld wendet sich sofort in Richtung Store und kommt heran. Es ist klar, dass er aus keinem anderen Grund auf die Straße gekommen ist als dem, mit Alan Gannon zu reden.
Alan blickt ihm entgegen, und Oakley Fisher sieht nicht so aus, als wäre er heute geritten und hätte mit einem Büffelgewehr geschossen. Er lächelt kalt, bleibt bei Alan stehen und zündet sich einen langen Zigarillo an. Dann setzt er sich leicht auf das Gehsteiggeländer und sagt: »Ein prächtiger Tag wird das heute. Und ein sehr bemerkenswerter Tag in der Geschichte dieser jämmerlichen Stadt.« »Meinen Sie den wilden Kansas-Jungen dort im Hotel?«, fragt Alan knapp. Doch der Revolverheld schüttelt den Kopf. »Nein. Smoky Day bekommt eine Bank. Ein richtiges Bankgeschäft, welches gutes Geld an gute Leute verleiht, Geld arbeiten lässt und für jeden Dollar Zinsen zahlt oder Zinsen einnimmt, je nachdem, ob der Dollar verliehen oder eingezahlt wurde.« Er verstummt lächelnd und deutet dann mit einer Kopfbewegung zum Saloon hinüber. Und nun sieht es auch Alan. Gleich neben dem Saloon steht ein kleines Haus. Es wird neu gestrichen. Und ein Schild wird nun angebracht. Es ist ein großes Schild. Die beiden Männer, die es von einem Wagen nehmen, halten es für einige Sekunden so, dass Alan die Worte lesen kann. SMOKY-DAY-BANK Lionel Harline & Co. Bankgeschäfte jeder Art Alan Gannon denkt nach, und Oakley Fisher beobachtet ihn. »Sie werden bestimmt allein darauf kommen«, sagt der Revolverheld. »Sie finden bestimmt schnell heraus, warum ein Saloonwirt,
der früher Preisboxer war, ein Bankgeschäft eröffnet. Das ist unwahrscheinlich und geradezu grotesk, meint man. Doch das ist es nicht. Denn hinter dem Co. steckt ein schlaues und erfahrenes Weib, welches das alte Spiel um Macht und Reichtum in einem neuen Stil fortsetzen möchte, nachdem die Männer, die auf die Alte raue Art spielten, versagten. Mister, Laurah Morgan ist Lionel Harlines Teilhaberin. Sie hat ihn auf die Idee gebracht. Sie hat ihn sich zum Partner genommen – wieder einen Mann, den sie leiten und lenken zu können glaubt. Ich habe sie belauscht. Jawohl! Ich war der Lauscher an der Wand, als sie ihre Gründungsversammlung durchführten!« Er verstummt und lacht spöttisch. »Sie lassen sich einen Bankmann kommen«, sagt er. »Der Mann wird die Bank leiten. Lionel Harline wird alles verantworten. Und Laurah Morgan wird aus dem Hintergrund die Fäden ziehen. Ich wette, dass alle Siedler und Farmer bald bei der neuen Bank Kredite aufnehmen, um durchhalten zu können. Sie brauchen Kredite, denn sie wollen…« »Schon gut«, murmelt Alan Gannon. Er bückt sich wieder und lädt einige Drahtrollen in den Wagen. Dabei überlegt er, und es wird ihm klar, dass Laurah Morgan bald als Mitinhaberin der Bank die Schuldscheine der Siedler und Farmer besitzen wird, diesmal auf mehr oder weniger legalem Weg. Er hält wieder inne und blickt den Revolverhelden an. »Warum erzählen Sie mir das, Fisher? Sind Sie Laurah Morgans Feind geworden? Oder warum machen Sie mich sonst auf die Machenschaften
aufmerksam, die den Siedlern und Farmern das Fell über die Ohren ziehen sollen, so als wären sie dumme Schafe oder jämmerliche Karnickel?« Oakley Fisher lächelt kalt. In seinen hellen Augen erscheinen wieder jene bösen und unruhigen Lichter der Besessenheit. Seine Stimme schnarrt etwas heiser, und dennoch ist diese Stimme flach und fast ohne jede Betonung der Worte. Er sagt: »Ich will nicht, dass Laurah Morgan ohne mich gewinnen kann. Ich will, dass sie mich braucht. Sie hat mich davongejagt wie einen dummen Jungen. Ich will, dass sie mich zurückholt und mich um Hilfe bittet. Aus diesem Grund muss ich ihre Pläne und Absichten zerstören. Deshalb kläre ich Sie jetzt auf, Alan Gannon. Und wenn erst die Siedler und Farmer aufgeklärt sind, dann wird niemand von ihnen in die Falle gehen und sich von dieser Bank da einen Kredit geben lassen. Alan Gannon, Sie sind ein Mann, der die Siedler und die Städter vereinen könnte. Und vielleicht gründet die Stadt dann eine andere Bank und…« »Vielleicht werde ich das alles tun«, unterbricht ihn Alan Gannon. Er tritt dicht vor ihn hin, hebt die Hand und tippt ihm leicht gegen die Brust. »Revolverschwinger, geben Sie es auf«, sagt er ruhig. »Sie werden nicht mehr benötigt. Geben Sie es auf und reiten Sie fort. Machen Sie es wie Jeffrey Morgan, bevor es Ihnen so ergeht wie Henry Blaisdell!« Oakley Fisher tritt langsam zurück. Seine Hand hängt nun hinter dem Revolvergriff. »Soll das eine Drohung sein?«, fragt er gedehnt, und seine Augen sind nun ausdruckslos, farblos
und verraten nichts, gar nichts. Er ist wahrhaftig ein gefährlicher Revolvermann. Alan Gannon nickt. »Ich werde Sie aus dem Land jagen, Fisher«, sagt er. »Ich werde nicht dulden, dass Sie hier abwarten, bis Laurah Morgan ihr Spiel verloren sieht und Sie braucht. Also gehen Sie. Nehmen Sie Ihr Pferd. Oh, ich begreife Sie jetzt sehr genau. Sie wurden fortgejagt, entlassen. Und Sie haben seit meiner Ankunft in diesem Land keine besondere Rolle gespielt. Sie sind auch der letzte Mann…« Weiter kommt er nicht. Denn vom Hotel her erklingt nun ein wilder Ruf. Es ist ein scharfer Schrei, zornig und kampflustig. »Hoooiii! Alan Gannon! Hier bin ich! Hier ist Percys Bruder Bill! Hier ist der wilde Kansas-Bill!« Alan Gannon tritt von Oakley Fisher weg und wendet sich halb um. Er blickt zum Hotel und erkennt Bill Jones, einen großen, geschmeidigen, rotköpfigen und sicherlich schon wieder angetrunkenen Burschen, dessen ganzer Ehrgeiz es ist, seinen Bruder Percy, jenen berüchtigten Banditen und Revolverhelden, auf den man eine hohe Belohnung ausgesetzt hatte, zu rächen. Bill Jones möchte der Mann sein, der den Bezwinger seines Bruders im Revolverkampf besiegt. Das ist sein wilder Ehrgeiz. Alan Gannon seufzt. Seitlich hinter ihm sagt Oakley Fisher kalt: »Du wolltest mich soeben aus dem Land jagen, Mister. Ich wollte immer warten, bis Laurah mich braucht, bis sie mich bittet, bis sie mir den höchsten Preis zu zahlen bereit ist. Doch jetzt warte ich nicht länger. Mister, wenn du mit dem Jungen dort fertig bist, dann werde ich auf
dich zu schießen beginnen. Geh nur! Geh! Du wirst mich nicht aus dieser Stadt und aus diesem Land jagen. Niemand kann das. Denn ich bin Oakley Fisher!« Alan Gannon hört es nur mit halbem Ohr. Seine Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den wilden Kansas-Jungen Bill Jones. Er sieht ihn vom Hotel aus den Plankengehsteig verlassen und auf die Fahrbahn treten. »Komm nur, bevor ich dich hole!« So ruft Bill Jones. Und er ist wieder betrunken. Bill Jones’ Füße wirbeln den Staub der Fahrbahn auf. Er marschiert mit langen Schritten. Sein Oberkörper schwingt übertrieben hin und her. Er wirkt großspurig und dumm. Hinter sich hört Gannon Oakley Fisher lässig und mit böser Zufriedenheit sagen: »Sie werden diesen Narren zurechtstutzen müssen. Er will Sie töten. Wenn Sie mit ihm fertig sind, dann bekommen Sie es mit mir zu tun. Denken Sie daran!« Alan weiß, dass Oakley Fisher ihn mit diesen Sticheleien nervös machen will. Er betritt ebenfalls die Fahrbahn. Er geht Bill Jones entgegen, und dieser lässt einen wilden Schrei der Freude hören. Alan blickt nach rechts und links. Überall in den Türen und hinter den Fenstern sind Menschen. Sie stehen auch im Store, im Saloon, im Hotel, drüben beim Sattler und beim Barbier. Sie alle sehen zu und halten sich in Deckung. Alan Gannon ist wieder sehr einsam. Niemand schreitet ein. Niemand hilft. Der Marshal ist immer noch im Hotel. Alan Gannon
denkt: Warum nimmt niemand diesem verrückten Bengel den Revolver ab? Dann kann er nichts mehr denken. Denn nun geht es schnell. Bill Jones zieht mit einem Schrei seine beiden Revolver. Jawohl, er hat sich als Zweirevolvermann herausstaffiert. Er zieht die Waffen ziemlich schnell. Wahrscheinlich übt er dies jeden Tag einige Stunden, etwa so wie ein Artist, der ja auch täglich sein Pensum an Training absolvieren muss, um sich Können und Geschicklichkeit zu erhalten. Er beginnt nun, bei jedem Schritt zu schießen, und stößt immer wieder einen wilden Schrei dabei aus. Alan Gannon hält an. Und indes ihn die Kugeln des verrückten Burschen umpfeifen, er an der Wange den Luftzug spürt, eine Kugel an seinem Ärmel zupft und eine dritte Kugel sein Knie streift, da zieht er mit einer ruhigen und fast langsamen Bewegung seinen Revolver aus dem Hosenbund. Er stößt den Revolverlauf wie einen großen Zeigefinger vor und verspürt den Rückschlag in seiner Hand. Bill Jones steht steif da. Dann schwankt er und lässt mit einem Schrei seine Revolver fallen. Er blickt an seinem rechten Arm nieder, der herabhängt. Der Schmerz lässt diesen Arm zucken. Und aus dem Ärmel läuft Blut und tropft in den Staub. Bill Jones fällt auf die Knie und stößt einen seltsamen Laut aus. Es ist wie ein Ausruf der Angst und zugleich der Erkenntnis, verloren zu sein.
Alan Gannon geht zu ihm hin. Der wilde Junge, der sicherlich einsneunzig groß ist und hundertachtzig Pfund wiegt und der sich für hartgesotten und verwegen hielt, hat plötzlich Tränen in den Augen. Alan Gannon blickt auf ihn nieder, denn Bill kniet immer noch im Staub, und der Schmerz im Arm lässt seinen Oberkörper schwanken. »Es ist bald besser«, sagt Alan Gannon. »Wir haben auch einen Arzt in der Stadt, der sich um dich kümmern wird. Und dann reite heim! Reite heim, und trag nie wieder einen Revolver. Denn die beiden Revolver und das Vorbild deines Bruders waren wohl schuld daran, dass du so verrückt warst. Geh nur, mein Junge. Und glaub mir, dass ich gebetet habe, dass meine Kugel dich so trifft, wie ich es wollte, dass sie dir nur den Arm etwas aufschlitzte.« Er steckt den Revolver in den Hosenbund zurück, beugt sich nieder und hilft dem Jungen auf die Beine. Der Arzt John Worth kam schon aus seinem Haus gelaufen. Alan lässt den Jungen, der wieder sicherer geht, los und wendet sich um. Er blickt zu Oakley Fisher, der noch drüben vor dem Store steht. Fisher bewegt sich nicht. Er bewegt sich auch nicht, als Alan Gannon langsam auf ihn zu durch den Staub der Fahrbahn geht. Zehn Schritte vor Oakley Fisher hält Alan an. »Nun?«, fragt er. Er kann sehen, dass der Revolverheld am ganzen Körper zittert, und er erkennt die Blässe unter seiner Haut.
»Schon gut, Mister«, sagt Fisher gepresst, »schon gut. Ich habe es gesehen. Und es war zu viel für mich. Es nimmt mir den Mut und das Selbstvertrauen. Dieser Junge zog und schoss nicht schlecht. Ich weiß das, denn wir haben gestern hinter der Schmiede einige Schießübungen gemacht. Und er konnte nichts erreichen, obwohl er dreimal schießen konnte. Du lieber Himmel, was war das?« Er schüttelt den Kopf und schluckt. »Ich möchte es lieber nicht mit Ihnen versuchen, Mr. Gannon. Passt es Ihnen, wenn ich binnen einer Stunde die Stadt verlassen habe?« Alan nickt schweigend. Dann tritt er zu den Drahtrollen und lädt weiter auf. Als er fertig ist, geht er in den Store und unterschreibt die Empfangsbescheinigung. Der Storehalter und einige Kunden, die bei seinem Eintritt schwiegen, betrachten ihn. Er kann wieder den Anprall einer Strömung spüren, die aus Respekt, Furcht, Zurückhaltung und stillschweigender Duldung besteht, die ganz und gar keine Anerkennung oder Aufnahme in die bürgerliche Gemeinschaft bedeutet. Er spürt wieder deutlich, wie sehr er allein ist auf dieser Welt. Als er die Empfangsbescheinigung unterschrieben hat, verlangt er eine Hand voll Zigarren und geht hinaus. Seinen Gruß erwidern die Bürger wie ein einstudierter Chor. »Guten Tag, Mr. Gannon!« So klingt es ihm vielstimmig nach, betont höflich, doch sehr distanziert.
Bei seinem Wagen wartet Jessie Kelley. Sie hat ihr Pferd verlassen und ist zum Wagen getreten. Etwas weiter entfernt steht der bullige Marshal. Er hat ein Gewehr unter den Arm geklemmt. Jessie ist blass und hat große Augen. »Ich kam gerade in die Stadt«, sagt sie. »Und ich bin ja so froh, dass alles so gut ausgegangen ist. Alan, ich…« »Diese elende Stadt«, sagt er grob und klettert an ihr vorbei auf den Wagen. Er gibt keine Erklärung, warum er die Stadt als elende Stadt bezeichnet hat, doch seine Stimme klirrt vor Bitterkeit. Jessie versteht ihn plötzlich. Denn sie sagt: »Was wissen die Menschen von dir, Alan Gannon? Was wissen sie außer den wenigen Dingen, die sie sahen? Wenn du länger bleiben würdest, vielleicht Jahre, wenn sie dich besser kennen und studieren könnten, dann würde es anders sein. Dann würdest du zu ihnen gehören.« »Ich will keine Jahre hier bleiben«, sagt er. »Ich arbeite für hundert Dollar zwei Monate auf einer kleinen Ranch. Und ich baue diesen Zaun. Das ist alles.« Der Marshal kommt herbei und sagt ruhig: »Ich hätte Oakley Fisher mit diesem Gewehr aufgehalten und einen Kampf verhindert. Bei dem wilden Jungen konnte ich das nicht, weil ich mir das Gewehr erst besorgen musste.« Alan blickt auf ihn nieder, nickt wortlos wie zum Dank und fährt dann los. Jessie Kelley blickt ihm nach und sagt dann zum Marshal: »Ich war nicht sehr fair zu ihm. Er hat ein Recht darauf, gegen mich Bitterkeit zu verspüren.«
Barton Dale erwidert nichts. Er blickt sie seltsam an und geht mit seinem Gewehr davon. *** Nur etwa hundert Yards von den Gebäuden der Kelley Ranch entfernt erhebt sich eine Bodenwelle, auf der Bäume und Büsche stehen, die die Nordwinde im Winter etwas aufhalten. Als Alan Gannon am nächsten Morgen aus dem Ranchhaus tritt, ist der Tag noch nicht richtig da. Es ist alles noch grau und farblos. Er späht und wittert in die Runde. Dann geht er zum Waschtrog beim Brunnen hinüber. Er hat Seife und ein Handtuch bei sich. Und der Revolver steckt diesmal in seinem Stiefelschaft. Er hat gestern den Draht längs der Pfähle verteilt, und er weiß, dass er heute wieder einen ziemlich schweren Tag haben wird. »Es wäre nicht schlecht, wenn Curley und Vaugh mir heute mal wieder helfen kämen«, murmelt er. Dann taucht er seinen Oberkörper in das kalte Wasser des Troges. Als er sich wieder aufrichtet, um sich nun einzuseifen, da kracht aus den Bäumen ein Büffelgewehr. Der dumpfe und scharfe Knall ist unverkennbar. Die Kugel schlägt Alan Gannon von den Beinen, und er kann sich nur noch mit letzter Kraft zur Seite und hinter den Brunnen rollen. Seine linke Schulter scheint gar nicht mehr vorhanden zu sein, so gefühllos und taub ist dort alles.
Doch dann kommt der scharfe und grausame Schmerz. Und das Blut fließt aus der großen Wunde. Alan Gannon liegt keuchend da. Er hält den Revolver in der Hand und wartet. Doch er spürt bei jedem Atemzug, wie er schwächer und schwächer wird. Bald darauf verliert er das Bewusstsein. Und er weiß nicht mehr, dass er nun Besuch bekommt. Diesmal kommt der heimtückische Schütze nachsehen, ob sein Opfer wirklich tot ist. Diesmal hätte Alan Gannon sehen können, wer ihm so grausam und mit einer schrecklichen Entschlusskraft nach dem Leben trachtet. Es ist Laurah Morgan. Sie trägt wieder die großen Stiefel, mit denen sie die Spuren eines Mannes hinterlässt. Und sie hält das geladene Büffelgewehr schussbereit unter dem Arm. So kommt sie langsam und vorsichtig näher. Ihr Gesicht ist bleich und wirkt verkrampft. Ihre Augen wirken sehr starr und haben einen merkwürdigen Glanz. Das Pferd folgt ihr, weil sie die langen Zügel zugleich mit dem Gewehrlauf vor sich in der Hand hält. Sie kommt nicht weit. Hufschlag nähert sich. Jessie Kelley taucht rechts von der Bodenwelle auf. »Mörderin! Mörderin!« So erklingt Jessies gellende Stimme. Hinter ihr erscheinen zwei Reiter. Es sind Vaugh McQuown und Curley Holloway. Laurah Morgan stößt einen wilden Schrei aus, einen Schrei, wie man ihn einer Frau niemals zugetraut hätte. Doch man würde ja auch wohl
einer Frau solch eine Tat nicht zutrauen, rein gefühlsmäßig, obwohl die Geschichte der Menschheit genügend Beispiele aufzeigen kann, dass es auch entartete und kranke Frauen gab, deren Denken und Gefühle verzerrt waren und die Verbrecherinnen wurden. Laurah Morgan stößt also einen seltsamen Schrei aus. Eine Mischung aus Furcht, Entsetzen, Zorn, Hass und der Erkenntnis, verloren zu haben, drückt dieser Schrei aus. Und obwohl das Gewehr geladen ist, denkt sie nicht mehr daran, es zu benützen. Sie lässt es fallen, schwingt sich auf ihr Pferd und ergreift die Flucht. Vaugh McQuown und Curley Holloway folgen ihr. Sie haben es nicht leicht. Denn Laurah Morgan reitet verwegen und verzweifelt und sitzt auf einem wirklich schnellen Pferd. Die beiden erfahrenen Cowboys haben es wirklich nicht leicht, die Frau einzufangen. Indes tut Jessie Kelley für Alan, was sie kann. Sicherlich rettet sie ihm jetzt zum zweiten Mal das Leben, denn ohne ihre Hilfe wäre er verblutet. *** Es ist dasselbe Zimmer, und er liegt im selben Bett. Er spürt die gleichen Düfte und jenes Fluidum von damals. Ja, es ist wieder alles so wie damals, als er in dieses Land und in diese Stadt kam, als er auf der Straße zusammenbrach und ein mitleidiges Mädchen ihn aufnahm und für ihn sorgte, bis er wieder auf eigenen Beinen stehen konnte.
Nur, jetzt ist er kränker als damals. Seine Wunde ist noch frisch und böse wie eine schlimme Krankheit. Er hat viel Blut verloren, und er ist matt und schlapp. Und dennoch begreift er, dass er noch lebt, dass er wieder in Jessies Bett liegt und dass er in ihrer Obhut ist. Diese Gewissheit beruhigt ihn, und er schläft wieder ein. Es wird ein tiefer Schlaf. Als er erwacht, verspürt er Hunger. Und dann ist Jessie bei ihm und füttert ihn wie ein Baby. Der Schmerz in der Schulter ist immer noch da, doch nun sehr viel erträglicher. Er kann noch nichts sagen, denn er ist sehr erschöpft und müde. Und so nimmt er Jessies gutes Lächeln und den frischen Anblick ihres klaren Gesichtes wieder mit in den Schlaf. Als er nach vielen Stunden wieder erwacht, hat ihm die Nahrungseinnahme schon etwas Kraft gegeben. Denn nun ist er völlig klar. Seine linke Schulter ist steif. Er kann den linken Arm nicht bewegen. Doch dies liegt wohl zum großen Teil an dem festen Verband. Er bewegt seine Rechte und streicht damit über sein Gesicht. Er fühlt wieder seine Hohlwangigkeit und die langen Bartstoppeln, die fast schon ein richtiger Bart sind. Er kann daran ermessen, dass er schon viele Tage hier liegt. Und als er auf die Tür blickt, da kommt Jessie herein, so als hätte er sie gerufen. Sie bringt Speisen, und sie schenkt ihm das gute, warme Lächeln, welches ständig während seines langen Schlafes in seiner Seele war wie ein guter Kern, wie Glut in einem fast erloschenen Ofen.
Jessie betrachtet ihn, und er kann spüren, wie sie sich freut. Dann beugt sie sich nieder und küsst ihn auf die Nasenspitze. »Der Doc hat heute Morgen gesagt, dass du gesund werden wirst, wenn du heute Hunger verspürst«, sagt sie. »Ich könnte einen gebratenen Büffel und zum Nachtisch einen eingelegten Walfisch vertilgen«, sagt er. Sie lächelt, richtet ihn etwas auf und stopft ihm noch zwei Kissen hinter den Rücken, dann füttert sie ihn. Er isst schweigend, doch er betrachtet Jessie unentwegt. Nach einer Weile fragt er zwischen zwei Bissen Hühnerfleisch: »Wer war es, Jessie? War es Oakley Fisher?« »Es war Laurah Morgan«, erwidert sie ernst. »Und sie war wohl nicht mehr bei Sinnen, sondern vollkommen…« »Laurah Morgan?« Er fragt es ächzend. »Sie war vollkommen verrückt und durcheinander«, spricht Jessie. »Curley, Vaugh und ich, wir haben sie überrascht. Ich hatte sie zuvor schon in Verdacht gehabt, damals, als sie auf dich zum ersten Mal schoss. Ich habe dich damals angelogen, Alan, als ich sagte, ich hätte den flüchtenden Reiter nicht erkannt. Ich hatte Laurah sehr wohl erkannt, doch ich glaubte nicht, dass sie es gewesen wäre. Es ließ mir jedoch den ganzen Tag keine Ruhe. Spät am Abend wollte ich dann zu ihr. Ich wusste ja, dass sie in der Stadt war. Ich hatte sie hinter der Gardine ihres Hotelzimmerfensters gesehen. Nun, ich wollte also zu ihr. Doch sie war nicht in ihrem Zimmer. Sie war fort. Ich lief zum
Mietstall. Doch dort stand noch ihr Pferd in der Box. Nun suchte ich in der Stadt nach ihr, bei allen Bürgerfrauen, in deren Stuben noch Licht brannte. Doch als ich wieder einmal über die Straße eilte, da hörte ich einen Cowboy der Starbow Ranch, der heimwärts reiten wollte, nach dem Marshal brüllen. Und als der Marshal kam, da rief ihm der Cowboy zu, dass man ihm das Pferd aus dem Mietstallhof gestohlen hätte. Nun wusste ich Bescheid. Laurah hatte auf einem anderen Pferd die Stadt verlassen. Ich bekam nun Angst, nahm mir ebenfalls ein Pferd und ritt zu Curley und Vaugh. Inzwischen war es schon lange nach Mitternacht, und wir berieten dann auch noch eine Weile. Wir wussten auch nicht, wo wir Laurah Morgan finden würden, doch es war uns klar, dass du in Gefahr warst, nachdem du ihre Pläne zerstört hattest. Denn inzwischen hatte es sich natürlich überall herumgesprochen, dass sie hinter der Bank stand und auf diese Art die Siedler in die Hand bekommen wollte. Für mich und meine Vorahnung sah es so aus, als hätte sie sich aus der Stadt geschlichen, um das zu tun, was ihre verschiedenen Helfer oder die ihres Mannes nicht schaffen konnten, ja, was ihr eigener Mann nicht schaffte und was der wilde Kansas-Junge Bill Jones und auch Oakley Fisher nicht schafften. Laurah war wohl irgendwie verrückt geworden. Sie sah in dir den Widerstand, der ihre Pläne immer wieder zerstörte, der ihr Helfer und willige Männer nahm und der die Wende im Land brachte. Sie wollte tun, was zuvor Henry Blaisdell mit meinem Bruder getan hatte. Sie wusste wohl auch, wo Blaisdell das Büffelgewehr und die großen Stiefel versteckt hatte. Blaisdell hatte ja für seine Größe
einen sehr kleinen Fuß und tarnte sich damals mit zu großen Stiefeln. Nun gut, sie lauerte also schon auf dich, indes wir nach ihr suchten. Wir waren inzwischen auch schon auf die Fährte ihres Pferdes gestoßen und dicht in ihrer Nähe. Und dennoch wären wir zu spät gekommen, wenn sie dich besser getroffen hätte, Alan. Ich bin so froh, dass du lebst.« »Was ist jetzt mit ihr?«, fragt er heiser. »Wenn sie keine großartige Schauspielerin ist, dann hat sie den Verstand verloren«, erwidert Jessie. »Sie tobte und schrie. Sie rief uns immer wieder zu, dass sie die ganze Welt hassen würde, dass man sie schon als kleines Mädchen übel behandelt hätte und dass es keine Güte, keine Wärme und keine Schonung und Duldung unter den Menschen gäbe. Sie rief immer wieder, dass sie der menschlichen Gesellschaft alles zurückzahlen würde, besonders jenen erbärmlichen Siedlerfrauen, die früher so oft über sie die Nase rümpften und für die sie als eine Frau aus den Saloons und die Gefährtin eines Spielers Luft war.« Jessie verstummt für einen Moment und füttert Alan wieder. »Laurah war irgendwie von Hass vergiftet«, sagt sie dann nachdenklich. »Sie wollte so groß sein, eine Königin mit Macht, Einfluss, Reichtum und einer selbst geschaffenen Größe, von der die Umwelt abhängig war. Sie wollte auf die menschliche Gesellschaft, von der sie sich früher verachtet und gemieden gefühlt hatte, herabsehen können. Sie sollten alle von ihr abhängig sein, sollten sie fürchten, sollten zu ihr aufblicken, voller Respekt und stets als Bittende. Danach sehnte sie
sich. Sie muss an Jeffrey Morgans Seite einige schlimme Jahre verbracht haben. Ihre Wege an der Seite dieses Mannes müssen schlimm gewesen sein, dass sie sich solche Dinge mit aller Kraft wünschte und dann zerbrach, als sie nichts davon bekam. Wir haben sie auf Veranlassung des Docs mit der Postkutsche in die Hauptstadt bringen lassen. Sie wurde in eine Heilanstalt eingeliefert. Man wird ihr einen Vormund geben, der auch die Leitung ihrer Ranch in geeignete Hände legen wird.« Danach schweigen sie lange. Erst viel später murmelt Alan: »Und mich hätte sie fast totgeschossen. Jessie, ich lag nun schon zweimal vor dir im Staub und…« Sie stellt den Teller weg und sagt: »Du wirst nie wieder im Staub liegen, wenn du bleibst, Alan. Hier ist alles friedlich und gut geworden. Ich möchte wieder auf die Ranch. Und ich müsste jemanden haben, der sie leitet. Alan, du musst bei uns bleiben, bei uns allen und bei mir.« »Warum bei dir?« Sie sagt nichts, doch er kann es von ihren Augen ablesen. Da schließt er die Augen. Und er sieht sich wieder fortreiten, ein einsamer Mann, der aus einer kleinen Stadt reitet, ein Mann, der sich stolz und abweisend gebärdet, weil er keinen Dank für Revolverhilfe haben will, und der das Gefühl hat, als fürchteten ihn alle Menschen. So würde es sein. Er hört Jessie neben sich sagen: »Reite nur nicht wieder fort, Alan. Denn diesmal ist es anders. Diesmal lagst du im Staub, und wir brachten dich in die Stadt. Diesmal warst du nicht so gewaltig als Sieger. Du warst fast tot, und die ganze Stadt
bangte von Tag zu Tag mehr um dich. Sie gewannen dich alle mehr und mehr lieb, denn sie begriffen, dass auch du kein unüberwindlicher Revolverkämpfer bist, sondern dass auch dein Leben in Gottes Hand liegt wie das jedes anderen Lebewesens. Hier ist alles anders, Alan, und ich liebe dich. Ich muss es dir sagen, weil ich dir das schuldig bin. Als ich dich am Boden liegen sah, dort am Brunnen und wie tot, da verspürte ich einen heftigen Schmerz, hier, in meinem Herzen. Und da betete ich, dass es noch einmal einen Anfang geben könnte für dich. Nun, hier ist der Anfang. Werde gesund. Reite nicht fort. Bleib bei uns. Denn du hast hier Freunde. Und die Stadt mag dich. Mögen die Menschen hier auch ängstlich und feige sein, die Hauptsache ist, dass sie dich nicht fürchten, dass sie in dir nicht eine Art Tiger sehen, der…« Ihr fehlen nun die Worte. Ihr fallen keine Vergleiche mehr ein. Doch er begreift genau, was sie ihm sagen will. Er weiß, dass diesmal alles anders ist. Er war hier zuletzt nicht unbesiegbar und stand nicht haushoch über allen Schwierigkeiten. Hier wäre er bald gestorben. Und so kommt er wohl den Menschen mit einem Mal sehr menschlich vor. Wahrhaftig, hier ist es anders! Und Jessie ist vorhanden, ein Mädchen, welches ihn liebt. Auch Freunde sind da: Curley, Vaugh und sicherlich auch Sam Miller, mit dem er damals im Stall auf das Baby wartete, wobei sie sehr viel Gemeinsames zwischen sich entdeckten.
In Alan breitet sich plötzlich Freude aus. Hoffnung und Wünsche regen sich vorsichtig. Und er öffnet wieder die Augen und sieht Jessie an. »Vielleicht habe ich das immer gesucht«, murmelt er. »Vielleicht ritt ich deshalb immer wie ein misstrauischer Wolf zum nächsten Ort. Es wartete nur immer ein neuer Kampf auf mich, nichts von den Dingen, die ich nun deutlich sehe.« »Was siehst du, Alan Gannon?«, fragt sie sanft. »Ich sehe dich und habe alle Hoffnungen«, sagt er. »Und ich weiß jetzt, dass ich dich schon von Anfang an liebte. Doch ich wäre wahrscheinlich wieder fortgeritten, wenn ich gesund geblieben wäre, wenn du mir nicht gesagt hättest, dass…« Er zögert, und er wirkt scheu und verlegen. »… dass ich dich liebe«, sagt sie schlicht. ENDE