John Roscoe Craig
Unter falscher Flagge
Seeabenteuer – Roman Seewölfe Nr. 14
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFA...
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John Roscoe Craig
Unter falscher Flagge
Seeabenteuer – Roman Seewölfe Nr. 14
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHRTEN
UND SEESCHLACHTEN DES SEEWOLFS PHILIP
HASARD KILLIGREW UNTER SIR FRANCIS DRAKE
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde »Seewolf« genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der »See wölfe«. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der »Marygold« unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I, der dazu bei trug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg. * Dreißig Soldaten sind ein gefährlicher Gegner für die Mann schaft, mit der Philip Hasard Killigrew die »Santa Barbara« auf die Azoren-Insel Flores gebracht hat. Der Seewolf kann die Insel nicht mehr verlassen - nicht ohne einen neuen Fockmast. Und die Spanier lauern an allen Ecken und Enden. Sie haben noch eine Rechnung mit dem Seewolf zu begleichen - ganz abgesehen davon, daß sie die »Santa Barbara« und die »Barcelona« zurückholen wollen. Eine volle Woche liegen sie fest. Und jeden Tag kann ein Ge schwader spanischer Kriegsgaleonen auftauchen, die dem Seewolf seine Beute wieder abjagen, die ihn und seine Männer töten ..! *
SEEWÖLFE-Bücher erscheinen 14täglich irn
Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus.
Copyright © 1975
Expose: Wilhelm Kopp
1.
Die See war glatt wie eine geschliffene Marmorplatte. Die Seevögel, die noch vor Minuten die kleine Karacke begleitet hatten, waren so plötzlich verschwunden, als hätte das Meer sie verschluckt. Schlaff hingen die Segel von den Masten. Es war, als hätte die Welt aufgehört zu atmen. Die Männer aus Gambia standen an Deck und starrten sich aus großen Augen an, in denen die Furcht vor dem Unbekann ten zu lesen war. Die jungen Frauen und Mädchen hatten sich unter der Back verkrochen und hockten zusammengedrängt auf den Mittel decksplanken. Ihre Bekleidung bestand aus einem schmalen Hüfttuch, das sie sich vor ihrer Abreise auf Flores besorgt hat ten. Eine der Frauen begann leise zu wimmern. Die anderen kümmerten sich nicht darum. Sie hatten alle mit ihrer eigenen Angst genug zu tun. Der große Schwarze auf dem Quarterdeck krampfte beide Hände um die Reling. Die Engländer, die sie aus dem Bauch des spanischen Schiffes befreit hatten, hatten ihm die Grund begriffe des Segelns beigebracht, aber sie hatten ihm nicht ge sagt, was er tun sollte, wenn das Meer und der Wind sich in ein furchteinflößendes Schweigen hüllten. Die Stille war unheimlich. Nicht einmal das Knarren der Ta kelage, das sie seit den beiden Tagen, die sie auf See waren, ständig in den Ohren gehabt hatten, war mehr zu hören. Der große Schwarze spürte die Angst, die ihn ebenso wie sei ne Brüder und Schwestern gepackt hatte. Er versuchte sie ab zuschütteln, aber die Ehrfurcht vor der Mutter Natur ließ seine Hände leicht zittern. „Fürchtet euch nicht!" rief er mit heiserer Stimme über Deck. „Der schlafende Wind wird bald wieder erwachen und unsere Segel füllen."
„Nein, Bogo!" rief einer der Männer auf dem Mitteldeck. „Das große Wasser ist ein Verbündeter der weißen Männer! Es mag uns nicht, und es wird uns verschlingen!" „Rede keinen Unsinn, Onoba!" rief Bogo. „Wir werden ..." Ein tiefes Grollen, das aus der Tiefe des Meeres aufzusteigen schien, riß dem Schwarzen auf dem Quarterdeck die Worte von den Lippen. Die Frauen unter der Back begannen zu kreischen und zu wimmern. Sie preßten sich noch enger zusammen und verbargen ihre Köpfe unter verschränkten Armen. Für die einunddreißig Männer und siebzehn Frauen hatte der Weltuntergang begonnen. Sie warfen sich auf die Decksplan ken, als die Karacke plötzlich, wie von einer unsichtbaren Faust gepackt, angehoben und zur Seite geschleudert wurde. Das dumpfe Grollen war in ein schmetterndes Donnern über gegangen. Die Luft war von einem Moment zum anderen mit einem Höllenlärm angefüllt. Die Karacke krängte stark nach Steuerbord. Kreischend rutschten die Schwarzen über das schräggeneigte Deck und suchten verzweifelt nach einem Halt. Bogo, der an der Steuerbordreling des Quarterdecks in die Knie gegangen war, beobachtete mit weit aufgerissenen Au gen, wie dicht neben dem Rumpf des Schiffes das Wasser zu kochen begann. Eine Fontäne jagte mit einem Knall in die Hö he und überschüttete das Deck. Im Nu schwamm das Mittel deck. An den Speigatten gurgelte das Wasser, als es sich seinen Weg zurück ins Meer suchte. Nur eine Kabellänge von der Karacke entfernt brach das Meer auf. Riesige Wellenberge schienen von diesem Höllenauge in alle Richtungen zu springen. Ungläubig starrte Bogo den heranbrausenden Wassermassen entgegen. „Haltet euch fest!" brüllte er. Er erkannte seine eigene Stim me nicht wieder. Krampfhaft dachte er daran, was ihm die Eng länder gesagt hatten. Bei Sturm mußten als erstes die großen Segel eingeholt werden. Sein Kopf ruckte in die Höhe. Sturm?
Die Segel hingen immer noch schlaff von den Rahen! Der er ste Wellenberg traf die Karacke. Er warf das Schiff herum und überschüttete die Decks. Durch das Brausen und Donnern hörte Bogo noch andere Laute. Holz splitterte. Die Rahe des Fock mastes war auf die Back gestürzt und hatte sich durch die Planken gebohrt. Bogo konnte nicht sehen, ob eine der Frauen unter der Back verletzt worden war. Eine zweite riesige Welle packte das Schiff und drehte es herum. Es neigte sich stark nach Back bord. Bogo schloß in diesem Augenblick mit seinem Leben ab. O noba hatte recht gehabt. Das Meer war drauf und dran, sie zu verschlingen. Die bösen Geister gestatteten es nicht, daß schwarze Männer ein Schiff über ihren Rücken steuerten. Eine weitere Welle richtete die Karacke wieder auf. Bogo hörte einen entsetzten Schrei. Er sah, wie Onoba von den Was sermassen gepackt und in die Höhe geschleudert wurde. Doch bevor die Welle ihn über das Schanzkleid reißen konnte, griff Onoba nach den Wanten des Großmastes und krallte seine Fin ger darum. Sekundenlang hing er außenbords. Bogo sprang mit einem Satz auf die Reling des Quarterdecks und warf sich nach vorn in die Wanten. Er ließ sich aufs Mitteldeck fallen, und bevor Onobas Hand sich von dem geteerten Tau der Großmastwanten lösen konnte, hatte Bogo sie gepackt. Mit einem wilden Schrei zog Bogo Onoba an Deck zurück. Es schien, als hätte Bogos Schrei die bösen Geister vertrieben, die sich in die Herzen der Schwarzen genistet hatten. Die Männer, die platt auf den Decksplanken lagen und sich irgendwo festgeklammert hatten, sprangen auf und eilten Bogo zu Hilfe. Die Frauen kreischten nicht mehr. Bogo starrte zu der Stelle hinüber, die die mächtigen Wellen berge ausgespuckt hatte. Das Wasser schlug dort große Blasen. Dämpfe stiegen in den wolkenlosen Himmel, wenn sie platz
ten. Bogos Kopf ruckte herum. Weit hinten rollten die riesigen Wellen davon. Die Karacke dümpelte in einer langen Dünung, die dem Schiff nicht mehr gefährlich werden konnte. „Tarim!" rief Bogo. „Stell dich wieder ans Ruder und halte das Schiff so, daß die Wellen gegen den Bug laufen!" Ein großer schlanker Mann, der noch am ganzen Körper zit terte, lief unter das Quarterdeck und drückte mit dem Kol derstock die Pinne nach Steuerbord. Bogo schickte drei weitere Männer auf die Back, um die zer splitterte Rahe über Bord zu werfen. Die ersten Frauen tauchten unter der Back auf. Als sie sahen, daß die Männer sich wieder um das Schiff zu kümmern began nen, verloren sie langsam ihre Furcht. Doch als die erste von ihnen, ein vielleicht fünfzehnjähriges Mädchen, das brodelnde Wasser und die heißen Dämpfe sah, flüchtete es kreischend unter die Back zurück. Bogo erschrak, als mit einem lauten Knall eine weitere Fon täne aus dem Wasser stieg und kurz darauf große Blasen an der Wasseroberfläche zerplatzten und weiße Dämpfe ausspuckten, die einen unerträglichen Gestank verbreiteten. Doch der große Mann wußte, daß er keine Furcht zeigen durf te. Er mußte seinen Brüdern durch sein Verhalten beweisen, daß die bösen Geister nicht die Absicht hatten, sie zu vernich ten. Er trieb die Männer an, gab ihnen Aufgaben, befahl das Deck zu säubern und die Takelage wieder in Ordnung zu brin gen. Zehn Männer beauftragte er damit, eine neue Rahe am Fockmast hochzufieren, aber sie schafften es nicht, sie richtig anzubringen. Verzweiflung krampfte Bogos Herz zusammen. Erst zwei Tage waren sie unterwegs, und die Fahrt zurück in ihre Heimat würde sicher noch mehr als dreißig Tage dauern. Gewiß, die Engländer hatten ihnen die Handhabung der Kara cke erklärt und ihnen in der kurzen Zeit einiges beigebracht.
Aber genügte das, um eine so weite Fahrt unbeschadet zu über stehen? Wenn sie wenigstens Batuti bei sich gehabt hätten! Aber der hatte sich entschieden, bei den weißen Männern zu bleiben. Ein leises Rauschen schreckte Bogo aus seinen Gedanken. Sein Kopf ruckte hoch. Er sah, wie sich das Großsegel zu blä hen begann. Die Leinwand knatterte und schlug gegen den Mast, doch dann hatte der aufkommende Wind das Segel ge füllt, und das Schiff nahm Fahrt auf. Die Männer fielen sich in die Arme vor Freude. Sie blickten hinaus zu der Stelle, an der das Wasser immer noch zu kochen schien. Sie hatten die bösen Geister besiegt. Sie brauchten kei ne Angst mehr zu haben. Jetzt würden sie es auch schaffen, nach Hause zu segeln. Erst nach Minuten bemerkte Bogo, daß der Wind aus südli cher Richtung wehte. Die Karacke lief nach Norden - zurück zu der kleinen Insel, von der aus sie ihre Heimreise angetreten hatten. Die Sonne stand im Zenit. Bogo bemerkte verzweifelt, wie der Wind stetig auffrischte, und er hatte nicht den Mut, das Schiff wenden zu lassen. Die Engländer hatten ihnen gezeigt, wie man eine Karacke schräg gegen den Wind fuhr, doch Bogo zweifelte daran, daß sie in der Lage waren, das so hastig Ge lernte in die Tat umzusetzen. Vielleicht war es doch besser, sie fuhren zurück zu der klei nen Insel und warteten bei den Engländern, bis der Wind aus Norden wehte und sie zurück an die afrikanische Westküste trieb. Bogo sprach mit Tarim und Onoba und den anderen Män nern. Der Schreck saß ihnen allen noch zu tief in den Knochen. Sie hatten ihren Mut verloren. Sie waren bereit, ihr Schiff dort hin laufen zu lassen, wohin der Wind es trieb. Vielleicht be sänftigte das die bösen Geister, denen sie noch einmal entkommen waren.
Bogo erkannte die Insel an ihrer höchsten Erhebung wieder. Von dort aus waren sie losgesegelt. Fast drei Tage waren in zwischen vergangen, und er hoffte, daß die Engländer noch nicht wieder fortgesegelt waren. Bogo wußte nicht, was er von den Engländern erwartete. Was konnten die weißen Männer, die sie von den Spaniern befreit hatten, schon anderes tun, als ihnen Mut zuzusprechen? Daß sie die Karacke nicht bis an die Küste Afrikas begleiten würden, war Bogo klar. Er wußte, daß der Führer der Englän der so schnell wie möglich nach Norden in seine Heimat zu rücksegeln wollte. Der Wind, der jetzt stetig von Süden blies, trieb die Karacke auf die dunkle Küste zu. Zerrissene Felsen vulkanischen Ur sprungs reichten weit hinaus ins Meer. Eine halbe Meile vor den Felsen trugen die Wellen kleine Schaumkronen. Bogo erschrak, als er sah, wie dicht sie bereits an der Küste waren. Er schrie ein paar Befehle über das Deck, doch die Männer, die zur Insel hinübergestarrt hatten, reagierten nur langsam. Bogo zitterte, als er sah, wie sich die Karacke nur langsam drehte und immer mehr auf die Stelle zutrieb, wo sich die Wel len an einem unterirdischen Hindernis brachen. Über Bogo knatterte das Großsegel und schlug gegen den Mast. Er sah, wie zwei Männer an einem Tau zerrten, um das Segel zu trimmen. Es war das verkehrte. Die Großsegelschot wurde vom flatternden Segel übers Deck geschleift, und ehe die Schwarzen es packen und belegen konnten, sauste es mit einem peitschenartigen Knall über Bord und klatschte ins Was ser. Einer der Männer, die sich auf der Back aufhielten, nahm sich ein Herz und warf sich dem flatternden Großsegel entgegen. Er packte zu und hangelte sich an die Schot heran, bis er sie in den Händen hielt. Die anderen Männer faßten mit zu und halfen ihm, das Segel zu bändigen. Zu viert zogen sie an der Schot,
liefen zurück bis zum Achterkastell und belegten sie an der Nagelbank. Bogo atmete auf. Das war noch einmal gutgegangen. Er beug te sich über die Reling des Achterdecks und blickte hinab ins Wasser, das eine hellgrüne Färbung angenommen hatte. Er erschrak, als er dicht unter der Wasseroberfläche das schwarze Lavagestein sah. Er brüllte dem Mann am Kolderstock einen Befehl zu, doch es war zu spät. Zuerst war nur ein leises Knirschen zu hören. Die Karacke begann zu zittern. Dann war es Bogo, als würde ein riesiges Ungeheuer das Schiff unter Wasser packen und zu sich hinab zerren. Die Karacke schüttelte sich. Das Knirschen ging in ein lautes Krachen und Bersten über. Das Schiff legte sich nach Steuer bord, so daß ein Schwung Wasser über das Schanzkleid rausch te und die kreischenden Frauen unter der Back durcheinanderwirbelte. Bogo konnte sich im letzten Moment an der Achterdeckreling festkrallen. Sein Kopf knallte gegen Holz, und er sah Sterne. Er öffnete den Mund, um seinen Männern zu befehlen, das Schiff zu verlassen, doch in diesem Augenblick richtete sich die Ka racke wieder auf. Das Knirschen war verstummt. Bogo schüttelte sich und sprang auf die Beine. Das Schiff war wieder frei! Er lief zum Niedergang, der aufs Mitteldeck hinabführte. Er wußte, daß er jetzt bei seinen Gefährten sein mußte, damit sie nicht den Kopf verloren. Die Frauen und Mädchen hatten sich wieder unter der Back zusammengekauert und starrten Bogo mit vor Angst weit auf gerissenen Augen an. Die meisten Männer lagen noch platt auf dem gewölbten Mit teldeck und krallten sich an allem fest, was ihnen einigermaßen Halt bot, „Steht auf, Männer!" rief Bogo, „Wir sind wieder frei! Es
kann nicht mehr lange dauern, dann haben wir die Bucht er reicht. Die Engländer sind bestimmt noch da. Sie werden uns helfen!" Onoba und Tarim stellten sich an Bogos Seite. Sie ahnten wohl, daß sie alle verloren waren, wenn sie jetzt nicht die Ner ven behielten. Bogo jagte die Männer an ihre Plätze. Die Segel mußten besser getrimmt werden, sonst trieb der Wind sie a bermals auf die unter Wasser liegenden Felsen. Bogo zuckte regelrecht zusammen, als er den Schrei hörte, der von der Back über das Schiff wehte. Es war ein Schrei vol ler Angst und Entsetzen. „Wir sinken!" Bogo befahl Onoba und Tarim, sich um die Männer zu küm mern. „Wir müssen es bis zur Bucht schaffen!" Er wies auf einen zerklüfteten Lavafinger, der weit ins Meer hinausragte und nur noch eine knappe Seemeile von der Karacke entfernt war. „Dort hinten ist die Bucht. Dort sind wir in Sicherheit!" Er rief einen weiteren Mann herbei und verschwand mit ihm unter Deck. Die Gedanken in seinem Kopf jagten sich. Was war, wenn die Engländer die kleine Bucht von Punta Lagens schon wieder verlassen hatten? Was war mit den Soldaten, die diese Karacke von Spanien zur Azoreninsel Flores gebracht hatten und auf dem Morro Grande eine Ausguckstation hatten bauen sollen? Würden die Spanier sie mit geladenen Kanonen erwarten? Bogo biß sich die Unterlippe blutig. Nein, niemals wieder würde ihn ein weißer Mann in Ketten legen. Lieber wollte er sterben. „Hörst du es gurgeln?" fragte Sedom, der Mann, der ihm aufs Unterdeck gefolgt war. Bogo zuckte zusammen. Er lief zum Bug, aber nirgends konnte er ein Leck entdecken. An der Ladeluke zum Laderaum warf sich sich auf den Bauch und starrte in die Dunkelheit hin
unter. Das Rauschen und Gurgeln, das er hörte, ließ seine Kopfhaut kribbeln. Er konnte nicht sehen, wie groß das Loch war, durch das Wasser ins Schiff strömte, aber er wußte, daß die Karacke nicht mehr lange schwimmen würde. Sie mußten sie unverzüg lich an Land bringen oder aber im Boot verlassen. Bogo schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie durften das Schiff nicht verlieren. Es war die einzige Möglichkeit, zurück in ihre Heimat zu gelangen. Sie mußten die Bucht erreichen, und wenn die Engländer noch in Punta Lagens waren, würden sie ihnen helfen, die Karacke abzudichten. Bogo richtete sich auf. Durch das Plätschern des eindringen den Wassers hörte er die Schreie, die vom Deck zu ihm herun terdrangen. Was war da schon wieder los? Bogo lief zum Niedergang und war mit wenigen Schritten wieder auf dem Hauptdeck. Er spürte, daß das Schiff sich schon zur Seite legte und am Bug wegsackte. Tarim und Onoba liefen auf Bogo zu. Ein dumpfes Krachen, das von weither ertönte, erfüllte die Luft. Entsetzt blickte Bogo hinaus aufs Wasser. Tarim wies mit einer Hand hinüber zu dem zerklüfteten Lava finger, hinter dem kleine Wölkchen in den wolkenlosen Him mel stiegen. „Da, sie schießen!" rief er. „Bestimmt haben die Spanier die Engländer angegriffen! Wir müssen umkehren und von hier verschwinden !“ Bogo schüttelte den Kopf. „Wir können nicht umkehren, Tarim", sagte er. „Unser Schiff läuft voll Wasser. Wenn wir es nicht bald an Land setzen kön nen, wird es untergehen." Tarim und Onoba schauten Bogo entsetzt an. „Dann werden wir also doch als Sklaven verkauft", murmelte Onoba tief enttäuscht, „oder die Spanier werden uns töten."
Bogo straffte die Schultern. Er wußte, wie schnell seine Ge fährten den Mut verlieren konnten. Sie brauchten jemanden, der ihnen mit gutem Beispiel voranging. „Männer!" rief er. „Hört mich an! Wir alle wollen keine Sklaven werden. Wir wollen unsere Freiheit verteidigen! Wir müssen jetzt an Land gehen, um das Loch in unserem Schiff zuzustopfen. Vielleicht können wir den Engländern, die dort in der Bucht mit den Spaniern kämpfen, zu Hilfe eilen und ge meinsam die Spanier töten. Es ist unsere einzige Chance, denn nur die Engländer können unser Schiff reparieren." Die Schwarzen schrien durcheinander. Ein paar von ihnen hatten Musketen in den Händen, die Philip Hasard Killigrew ihnen mitgegeben hatte. Andere liefen zu den Nagelbänken und zogen Belegnägel heraus, mit denen sie den Spaniern auf die Köpfe klopfen wollten. Bogo gab ruhig seine Befehle. Er hatte die Entschlossenheit auf den Gesichtern seiner Gefährten gesehen, und er wußte, daß sie ihr Leben aufs Spiel setzen würden, um ihre Freiheit zu behalten. Der Bug der Karacke war immer tiefer abgesunken. Sie be wegte sich nur noch schwerfällig voran. Die Backgräting wur de bereits vom Meerwasser überschwemmt. Bogo starrte auf die Spitze des Lavafingers, den sie fast er reicht hatten. Atemlos wartete er darauf, daß sie Einblick in die kleine Bucht erhielten, in dem die beiden von den Engländern gekaperten spanischen Galeonen vor Anker lagen. Die Mastspitzen der Schiffe tauchten auf. Das Krachen der Kanonen und die helleren Schüsse der Musketen waren jetzt deutlich zu hören. Geschrei schallte zur Karacke hinüber. Bogo hatte die Hände zu Fäusten geballt. Hoffentlich war es noch nicht zu spät! Die schwer beschädigte Karacke schob ihren Bug um den La vafinger und gab den Blick in die Bucht von Punta Lagens frei. Bogo sah die kleine Ortschaft, deren Häuser an den schrägen
Abhang gebaut waren, der bis nahe zum Strand abfiel. In der Ortschaft wurde nicht gekämpft. Bogos Augen suchten den runden Strand ab, und plötzlich sah er wieder die grauen Wölkchen aufsteigen. Das Krachen folgte Sekundenbruchteile danach. Eine Kugel schlug in die schwarzen Lavafelsen und riß große Brocken heraus. Prasselnd fielen sie herunter. Ein paar Spanier, die sich am Fuße der Felswand aufhielten, sprangen auf und rannten davon. Schüsse peitschten auf, und die Spa nier, deren Helme in der hellen Nachmittagssonne glänzten, warfen sich platt in den Sand. Bogo blickte zu der Stelle hinüber, an der die Schüsse abge feuert worden waren. Seine Augen begannen zu leuchten. Er drehte sich zu seinen Männern um und rief: „Wir kommen nicht zu spät! Seht, die Engländer haben sich verschanzt! Los, Männer! Setzt das Schiff auf den Strand, und dann werden wir die Spanier aus ihren Löchern jagen!" Der Südwind blies genau in die Bucht hinein. Die schwerfäl lige Karacke fuhr langsam an den beiden ankernden Galeonen vorbei. Bogo sah die überraschten Gesichter der beiden Män ner, die als Ankerwachen auf den Schiffen geblieben waren, und winkte ihnen zu. Er schickte seine besten Schützen mit ihren Musketen auf die Back, um von dort aus die Landung der anderen zu decken. Dann knirschte der tief hängende Bug der Karacke über den Sand des flachen Strandes. Der Rumpf ächzte, und Bogo befürchtete für einen Moment, daß das Schiff auseinanderbrechen könnte, aber dann hatte er keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Er hielt sich am Schanzkleid fest, als er merkte, wie sich die Karacke langsam nach Steuerbord neigte, und als das Schiff mit einem Ruck auflief, schwang er sich laut schreiend über Bord. Er klatschte ins Wasser und schwamm auf den Strand zu. Die anderen Schwarzen sprangen von der Backgräting hinab. Sie brüllten aus Leibeskräften. Die Männer mit Musketen hiel
ten ihre Waffen hoch über dem Kopf, damit sie nicht mit dem Wasser in Berührung gerieten. Endlich spürte Bogo Land unter den Füßen. Er stapfte und watete durch das Wasser. Von den Häusern sah er einen Mann herbeilaufen. Er hockte sich plötzlich hin und zog die lange Muskete, die er in den Händen hielt, an die Schulter. Bogo wollte sich ins Wasser werfen, doch da krachte ein Schuß hinter ihm. Einer der Männer auf der Back der Karacke hatte gefeuert. Der Mann vor den Häusern warf beide Hände in die Luft und kippte nach hinten um. Reglos blieb er liegen. Ein wilder Schrei stieg aus den Kehlen der Schwarzen. Bo gos Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzerrt. Etwas Besse res hatte nicht passieren können. Seine Gefährten hatten er kannt, daß die Spanier nicht unverwundbar waren. Einer der ihren hatte es geschafft, einen weißen Mann zu töten! Ein Rausch schien die Schwarzen zu packen. Ungeachtet der weiteren Kugeln, die jetzt auf sie zuflogen, stürmten sie unter Bogos Führung an den Strand - auf die Stelle zu, wo sich die spanischen Soldaten verschanzt hatten. 2. Philip Hasard Killigrew hockte neben Ferris Tucker und war tete, bis der Schiffszimmermann aus seinem Pulverhorn genü gend Pulver in den Zündkanal des Fünfpfünders geschüttet hatte. Neben ihnen kauerten die anderen Männer des Prisenkom mandos im heißen Sand des schmalen Strandes. Der Graben, den sie ausgehoben hatten, gewährte ihnen nur wenig Schutz vor den Kugeln der Spanier, doch Hasard war froh, daß er die Männer hatte überzeugen können, diesen Graben auszuheben. Sonst wären sicher nur noch die Hälfte von ihnen am Leben
gewesen. Der Bootsmann Ben Brighton und der junge Donegal Daniel O'Flynn feuerten gerade ihre Musketen ab, aber die Spanier hatten sich eine gute Deckung ausgesucht, in den zerklüfteten Felsen waren sie kaum zu sehen. Hasard hatte eine gute Möglichkeit gefunden, die Soldaten aus ihren Deckungen zu scheuchen. Er schoß einfach auf die Felswand. Die herunterstürzenden Brocken prasselten dann auf die Soldaten herunter, und wenn sie nicht von ihnen erschlagen werden wollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Weite zu suchen. Auf diese Art hatten Ben Brighton und die anderen Männer bereits sieben spanische Soldaten ausschalten können. Ein Blick hinüber zu den Häusern von Punta Lagens zeigte Hasard, daß die Männer, die dort wohnten, noch nicht in den Kampf eingreifen wollten. Wahrscheinlich nahmen sie an, daß die Soldaten die paar Engländer allein überwältigen würden oder aber sie hatten einen großen Respekt vor den Fünfpfün dern, die den Engländern in die Hände gefallen waren. „Fertig'', sagte Ferris Tucker. Der Schiffszimmermann hatte die Kanone auf einen Vorsprung in der Felswand gerichtet, unter dem er ein paar spanische Soldaten vermutete. Hasard nickte. Er wartete noch. Er wollte erst feuern, wenn sich die Soldaten bemerkbar machten. Bisher hatte sich der Kampf, der jetzt schon über drei Stunden andauerte, nur auf größere Entfernung abgespielt. Hasard hatte anfangs vermutet, die Soldaten würden ihren kleinen Verteidigungsring stürmen, aber das war den Spaniern wohl zu gefährlich gewesen. Jetzt hatten sie bereits ein paar Tote zu beklagen, und das Verhältnis hatte sich zugunsten der Engländer verändert. Er fluchte leise vor sich hin. Er hatte gehofft, daß Ferris Tu cker nur wenig Mühe mit dem neuen Fockmast hatte, aber zu ihrem Pech waren die Soldaten, die die Karacke an Land ge setzt hatte, schon bald aus dem Landesinneren zurückgekehrt.
Sie hatten die Engländer sofort angegriffen, so daß die Arbeit am Mast nicht hatte fortgesetzt werden können. Dreißig Soldaten waren ein gefährlicher Gegner für die Crew, mit der Philip Hasard Killigrew die „Santa Barbara" hierher nach Flores gesteuert hatte. Aber sie hatten unmöglich die Insel verlassen können. Sie brauchten den Fockmast, wenn sie die beiden Schiffe nach England bringen wollten. Zum Glück waren ihnen die Kanonen in die Hände gefallen. Es war nicht auszudenken, wie es jetzt um sie stünde, wenn die Spanier sie vom Plateau über dem Strand aus auf sie hätten abfeuern können. Er sah, wie sich ein paar Spanier aufrichteten, um ihre Mus keten abzufeuern. „Ben, Achtung!" rief er. Seine Hand mit dem brennenden Holzspan zuckte nach vorn. Die kleine Flamme schlug ins Zündloch, setzte das Pulver mit einem Zischen in Brand, und dann explodierte die Pulverladung und jagte die Eisenkugel aus dem Lauf. Krachend schlug sie in die Felsen. Lavabrocken brachen aus der zerklüfteten Wand und polterten herunter. Hasard hörte die Schreie der Spanier. Gestalten in schimmernden Rüstungen sprangen hinter ihren Deckungen hervor und liefen davon. Ben Brighton und Dan O'Flynn feuerten. Hasard sah, wie einer der Spanier zu Boden ging und hinter einem Felsvorsprung verschwand. Er wußte nicht, ob der Mann tot oder verletzt war. Jedenfalls hatte er keinen Schrei ausge stoßen. Dafür schrie jetzt jemand in Hasards Rücken. Er wandte sich um, und als er sah, wie sich Batuti, der große Neger aus Gam bia, aufrichten wollte, brüllte er: „Hinlegen!" Batuti ließ sich fallen. Sein Gesicht klatschte in den Sand. Er prustete und spuckte, als er den Kopf wieder hob. Seine rechte Hand wies hinüber zur Bucht, wo zwischen den beiden vor Anker liegenden Galeonen eine Karacke aufgetaucht war.
Hasard erkannte das Schiff sofort wieder, und er sah mit ei nem Blick, wie schwer es angeschlagen war. Sein Kopf ruckte herum, um zu sehen, was die Spanier unternahmen, aber die Soldaten waren wahrscheinlich zu überrascht. Und sie konnten wohl deutlich genug sehen, daß die Mannschaft der Karacke nicht aus Spaniern bestand, die ihnen zu Hilfe eilen würden. Er beobachtete, wie die Gambia-Neger ihr beschädigtes Schiff an den Strand setzten. Er wußte nicht, ob jemand dem Rudergänger den Befehl gegeben hatte, das Ruder so zu stel len, daß die Karacke beim Auflaufen nach Steuerbord krängte. Jedenfalls war es eine Meisterleistung, wie er sie sich nicht besser zugetraut hätte. Deutlich sah er an Backbord die zerfetz ten Planken im Rumpf, durch die ungeheure Wassermengen in das Schiff eingedrungen sein mußten. Die Schwarzen sprangen brüllend von der Backgräting ins Wasser. Hasard ruckte herum, als Ferris Tucker ihn an der Schulter packte und auf die Hütten am Hang hinwies. Einer der Bewoh ner von Punta Lagens war am Strand aufgetaucht und zielte mit einer Muskete auf die Schwarzen. Eine Kugel, die auf der Ka racke abgefeuert wurde, warf den Spanier auf den Rücken. Mit ohrenbetäubendem Gebrüll stürmten die Gambia-Neger auf die Felswand zu, an deren Fuß sich die Spanier verschanzt hatten. „Feuer, Männer!" schrie Hasard und riß selbst die Muskete hoch, die zu seinen Füßen lag. Er jagte die Kugel hinüber zur Felswand, wo sich ein paar Soldaten erschrocken erhoben hat ten. Eine Salve zwang sie wieder in Deckung. Hasard nutzte die Gelegenheit. Er packte ein Entermesser und eine Pistole und sprang auf. „Los, Männer!" schrie er. „Jetzt jagen wir die verfluchten Spanier ins Meer!" Wie ein Mann erhoben sich die Engländer. Neben Hasard
sprangen der rothaarige Riese Ferris Tucker und der GambiaNeger Batuti auf. Ben Brighton und Dan O'Flynn sprangen aus dem Graben, gefolgt von Blacky, Smoky, dem Kutscher und sechs weiteren Männern. Sie alle hatten ihre Musketen wegge worfen. Die langen, schweren unhandlichen Dinger waren bei einem Kampf Mann gegen Mann nur hinderlich. Die heranstampfenden, brüllenden Schwarzen sahen wirklich furchterregend aus, und Hasard war froh, daß sie auf seiner Seite standen. Batuti lief ihnen entgegen und rief ihnen ein paar Worte zu, und dann vereinigten sich die Schwarzen und ihre Retter, die sie aus dem Bauch einer spanischen Sklavengaleone befreit hatten. Einer der Spanier schoß seine Muskete ab. Die Kugel traf ei nen der Schwarzen in die Brust und riß ein fürchterliches Loch. Die Wut der Gambia-Neger wurde dadurch nur noch mehr an gestachelt. Die spanischen Soldaten ergriffen die Flucht. Hasard sah, wie sie auf eine Felsspalte zuliefen. Dahinter verbarg sich ein stu fenförmiger Aufgang zum Plateau. Neben ihm feuerte Ferris Tucker seine Pistole ab. Einer der Soldaten warf die Arme hoch, stolperte noch ein paar Schritte weiter und brach dann zusammen. Die restlichen Spanier hatten Glück. Sie schafften es, das Pla teau zu erreichen. Die Schwarzen wollten ihnen nachstürmen, aber Batutis mächtiges Organ hielt sie zurück. Es war keine Sekunde zu früh. Ein Hagel von Gesteinsbrocken regnete den stufenförmigen Aufgang herunter. Die Schwarzen schrien vor Enttäuschung auf, daß die Spanier ihnen entkommen waren. Hasard war nicht weniger enttäuscht, aber er fing sich schnell wieder. Die Soldaten würden einige Zeit brauchen, um sich von ihrer Niederlage zu erholen. In der Zwischenzeit mußte die Arbeit am Fockmast mit aller Eile vo rangetrieben werden, denn ein weiteres, viel größeres Problem wartete jetzt auf Ferris Tucker, den Schiffszimmermann.
Hasard befahl ein paar seiner Leute, die toten oder verwunde ten spanischen Soldaten ins Dorf zu bringen. Ben Brighton sollte die Einwohner von Punta Lagens zusammenrufen und die Hütten noch einmal gründlich nach Waffen absuchen. Ha sard und seine Männer konnten es sich nicht leisten, das Risiko in Kauf zu nehmen, von hinten angegriffen zu werden. Von Batuti ließ sich Hasard erzählen, was die Schwarzen in diese Bucht zurückgetrieben hatte. Als er von dem kochenden Meer hörte, wußte er, daß es sich nur um ein Seebeben handeln konnte, wie sie in dieser vulkanischen Gegend häufiger auftra ten. Die Schwarzen hatten viel Glück gehabt, daß sie das Be ben, in dessen Zentrum sie sich anscheinend befunden hatten, lebend überstanden hatten. Daß sie, anschließend zu dicht an die Küste gefahren waren, konnte man nur als Dummheit be zeichnen, aber Hasard wußte aus Erfahrung, wie einem ein so unheimliches Ereignis wie ein Seebeben zusetzen konnte. Daß die Schwarzen durchgedreht waren, konnte er gut verstehen. Ferris Tucker besah sich den Schaden an der Karacke. Er fluchte ununterbrochen vor sich hin, und als Hasard ihn fragte, wie lange er für eine Reparatur des Lecks brauchen würde, antwortete der Schiffszimmermann brummend: „Unter einer Woche ist da gar nichts drin." Hasard schüttelte den Kopf und schlenderte den Strand ent lang. Er brauchte jetzt Ruhe, um nachdenken zu können. Eine Woche, das war eine verdammt lange Zeit. Ihm brannte die Zeit unter den Nägeln. Nicht, daß er die Soldaten fürchtete. Sie würden sich hüten, einen zweiten Angriff zu wagen, nach dem die Engländer Verstärkung erhalten hatten. Vielmehr fürchtete Hasard, daß eine der zahlreichen spanischen Flotas, die um diese Zeit aus der Neuen Welt zurück nach Europa se gelten, sie in der Bucht von Punta Lagens entdecken konnte. Vielleicht wurden sie auch von der grauen Rauchfahne ange lockt, die etwa acht Seemeilen nördlich von Flores auf der In sel Corvo in den wolkenlosen Himmel stieg. Sie konnte nur
von der Besatzung der „Santa Barbara" stammen, die sie dort an Land gesetzt hatten. Hasard fühlte sich ein bißchen müde. Er war enttäuscht, daß er den Auftrag Francis Brakes, die „Santa Barbara" nach Ply mouth zu bringen, nicht hatte so ausführen können, wie er es vorgehabt hatte. Statt mit der Galeone auf dem Kurs nach Eng land zu segeln, saß er hier auf der Azoreninsel Flores fest. Und jeden Tag mußte er damit rechnen, daß ein Geschwader spani scher Kriegsgaleonen auftauchte, die ihm seine Prisen wieder abjagen und ihn und seine Männer töten konnten. Am sichersten wäre es, den Fockmast fertigzustellen und dann sofort die Heimreise anzutreten. Aber er wußte, daß er das den Schwarzen nicht antun konnte - sie waren viel zu hilf los. 3. Der Fockmast der „Santa Barbara", den Ferris Tucker aus ei ner Pinie geschnitten hatte, verlieh der Galeone wieder ein ver nünftiges Aussehen. Die Galeone war segelbereit, doch noch hatte Ferris Tucker sein zweites Problem nicht gelöst. Drei Tage waren seit dem Kampf mit den spanischen Solda ten vergangen, und die Männer um Hasard hatten sie noch nicht wieder zu Gesicht gekriegt. Hasard war mit Blacky, Dan O'Flynn, Batuti und ein paar Schwarzen zwar aufs Plateau gestiegen, doch zu weit hatten sie sich nicht vorgewagt, denn sie wollten die Soldaten nicht in die Enge treiben und zu einem Kampf provozieren. Hasard vermu tete, daß sie sich auf dem Morro Grande, der höchsten Erhe bung der Insel, verschanzt hatten. Die Einwohner von Punta Lagens - es handelte sich um sieb zehn Männer, fünf Frauen und ein paar Kinder - hatten sich in zwei Häuser zurückgezogen, die Hasard von den Schwarzen
bewachen ließ. Die Spanier hatten ihn gebeten, wenigstens einen Mann aufs Plateau zu lassen, der sich um ihre Schafe kümmern konnte, aber er hatte abgelehnt, da er verhindern wollte, daß die Soldaten und die Spanier am Strand eine ge meinsame Aktion gegen sie planten. In einer Hütte waren die schwarzen Frauen und Mädchen un tergebracht. Hasard hätte sie am liebsten auch eingesperrt, denn es waren ausnahmslos junge Geschöpfe, die ihre festen, steilen Brüste auch noch herausfordernd darboten, wenn einer der eng lischen Seemänner an ihnen vorbeiging. Hasard hatte seinen Männern bei Androhung von Peitschen hieben untersagt, eine der schwarzen oder spanischen Frauen auch nur zu berühren, aber im Laufe der eintönigen Tage war die Atmosphäre immer gespannter geworden. Dazu kam, daß er den Schwarzen nicht verbieten konnte, sich mit ihren jungen Landsmänninnen zu vergnügen. Ihm blieb nichts weiter übrig, als mit Batuti zu sprechen, und es stellte sich heraus, daß die jungen Frauen über sein Verbot genauso empört waren wie die Engländer. Um die Disziplin nicht ganz zum Teufel gehen zu lassen, erlaubte Hasard eine Verbrüderung erst nach Einbruch der Dunkelheit und dann auch nur für die Hälfte der Mannschaft. Die andere Hälfte konnte ihr Glück dann in der nächsten Nacht suchen. Ihm war nicht wohl bei der ganzen Geschichte. Er wäre kein Mann gewesen, wenn ihn diese jungen, unbefangenen und fröhlichen Mädchen nicht auch erregt hätten, aber er wußte genau, daß er sein Recht verspielte, den Männern Befehle in diesem Fall zu erteilen, wenn er sich selbst an diesem ange nehmen Spiel beteiligte. Hasard war froh, daß er es nicht getan hatte, als der erste Streit ausbrach. Er hatte es kommen sehen. Es war immer das gleiche. Siebzehn Mädchen kümmerten sich um acht Männer, und doch mußten sich Blacky, Smoky und Pete Ballie ausge rechnet um eine der Schönen streiten. Zugegebenermaßen war
Nuva, um die der Streit entbrannt war, die hübscheste der Mädchen, aber lohnte das einen Streit unter Männern? Er konnte im letzten Moment einen Kampf verhindern. Ha sard war wütend und schickte sie alle drei zur Ankerwache hinaus auf die Galeonen. Als er Nuva im Beisein von Batuti fragte, was denn losgewesen sei, stellte sich obendrein heraus, daß das Mädchen eigentlich keinen von den dreien haben woll te. Sie hatte erst ein Auge auf ihn und dann auf Donegan O´Flynn geworfen. Der wiederum hatte es angesichts der mächtigen Fäuste von Blacky, Smoky und Pete Ballie gar nicht erst gewagt, in den Konkurrenzkampf einzutreten. In dieser Nacht war er der lachende Vierte. Tagsüber hielt Ferris Tucker die Männer unter Dampf. Hasard hatte ihm genau fünf Tage Zeit gegeben, das Leck in der Kara cke abzudichten. Es war ein Wunder, daß sich das Schiff überhaupt noch bis in die Bucht hinein über Wasser gehalten hatte. Das Leck er streckte sich über vier Yards und hatte die Höhe eines ausge wachsenen Mannes. Drei Spanten waren angeknackst, doch die konnte Ferris Tucker unmöglich ersetzen. Er richtete sie und besserte sie, so gut es ging, aus. Er stützte sie mit ein paar kräf tigen kurzen Balken ab. Die Karacke lag nach Steuerbord gekrängt, so daß die Back bordseite mit dem Leck zum Strand hin zeigte. Ferris Tucker hatte als erstes ein kleines Floß herstellen lassen, auf dem er arbeiten konnte. Die zerfetzten Planken waren bereits herausgeschnitten, und Ferris Tucker hatte bereits starke Planken von innen gegen die Spanten schlagen lassen. Jetzt war er dabei, die innere Beplan kung von außen zu kalfatern. Zu dieser Arbeit hatte sich Ferris Tucker Smoky, Blacky und Pete Ballie geholt. Die Männer fluchten ununterbrochen vor sich hin. Die Arbeit selbst stank ihnen zwar auch, aber das schlimmste war, daß sie nicht wuß ten, ob ihr Streit vom vergangenen Abend noch weitere Folgen
hatte. Voller Wut hämmerten sie das Werg mit den Kalfatereisen in die Fugen zwischen den Planken und verfluchten Batuti, der auf dem Floß Pech kochte, dessen fürchterlicher Gestank den drei Männern in die Nase stieg. Ferris Tucker war am Strand dabei, die Planken für die Au ßenhaut zurechtzuschneiden. Dazu benutzte er nicht frisch ge schlagenes Holz von der Insel, sondern Planken, die er von allen drei Schiffen zusammengesucht hatte. Hasard hielt sich an Bord der „Santa Barbara" auf. Das ungu te Gefühl, das ihn seit Tagen in regelmäßigen Abständen über fiel, hatte sich noch verstärkt. Am liebsten hätte er umgehend den Befehl erteilt, die Segel zu setzen und in See zu gehen. Er wußte, daß er wegen der Schwarzen seine beiden Prisonschiffe aufs Spiel setzte, doch er konnte nicht anders handeln. Außer dem brauchte Ferris Tucker jetzt nur noch einen Tag, um die Karacke seeklar zu kriegen. Hasard ließ sich von zwei Männern wieder an den Strand ru dern. Er war voller Unruhe. Er sah, wie seine Männer häufig zu der Hütte hinüberstarrten, wo sich die jungen Afrikanerinnen im Sand aalten. Nuva winkte ihm zu, doch er reagierte nicht dar auf. Er hörte das Kichern der Mädchen. Verdammt, er kam sich vor wie ein Idiot! Wenn nur dieses blöde Gefühl nicht wäre! Ferris Tucker blickte Hasard entgegen. Der rothaarige Riese war der einzige neben ihm, der sich noch nicht mit einem der Mädchen vergnügt hatte. Der Schiffszimmermann hatte die letzten Tage wie ein Berserker gearbeitet, und am späten A bend war er todmüde umgefallen. „Morgen sind wir fertig", sagte er brummend zu Hasard, der sich die Arbeit Tuckers anschaute. „Ferris, ich will verdammt sein, wenn nicht noch irgend etwas geschieht, womit ich nicht gerechnet habe", sagte Hasard leise. „Ich spüre es ganz deutlich in den Knochen."
Ferris Tucker nickte grinsend zu der Hütte mit den Mädchen hinüber. „Vielleicht solltest du mal rübergehen. Dann wirst du das Ge fühl bestimmt los." Hasard schüttelte den Kopf. Er war nicht zu Scherzen aufge legt. Er blickte Ferris Tucker plötzlich fest an und sagte: „Fer ris, kannst du die Nacht nicht durcharbeiten? Wir könnten ein großes Feuer auf dem Floß entfachen. Bei dem Licht müßte es doch möglich sein, die Planken zu kalfatern." Ferris Tucker hatte schon den Mund geöffnet, um zu protes tieren. Doch an den Augen des jungen Killigrew sah er, wie ernst es ihm war. „Die Männer werden meutern", sagte er brummend. „Vor al lem die drei da, die du gestern abend von ihrem Vergnügen abgehalten hast." Er wies zum Floß hinüber, wo Blacky, Smo ky und Pete Ballie schufteten. „Laß sie bis zum Einbruch der Dunkelheit weiterarbeiten", sagte Hasard hart. „Wenn sie mit der Innenverplankung fertig sind, können sie sich meinetwegen in der Hütte ausruhen. Alle anderen werden dir helfen oder die Galeonen seeklar machen." „Aye, aye", sagte Ferris Tucker, und als er sich umdrehte, um den Männern auf dem Floß Bescheid zu sagen, konnte er ein Gähnen nicht unterdrücken. Er brauchte den Schlaf von allen am nötigsten, aber er wäre der letzte gewesen, der darauf be standen hätte, eine Pause einzulegen. Die Unruhe, die Hasard gepackt hatte, war immer stärker ge worden. Eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit hatte er es nicht mehr ausgehalten. Zusammen mit Donegan Daniel O´Flynn war er aufgebrochen, um das Plateau zu besteigen und das Meer zu beobachten. Irgend etwas hatte ihn die ganze Zeit beunruhigt, und jetzt, da er im Schein der untergehenden Sonne den schmalen grauen Streifen der Insel Corvo am Horizont sah, wußte er, was es war. Die Rauchwolke, die seit Tagen in den Himmel gestiegen
war, war verschwunden. Hasard fand keine Zeit, darüber weiter nachzudenken. Ein Schrei O'Flynns, der auf einen großen Lavafelsen gekrochen war, ließ ihn herumfahren. Er sah die weit aufgerissenen Augen des Jungen, und er brauchte keine Bestätigung mehr. Er wußte auch so, was der Junge entdeckt hatte. Mit ein paar Schritten hatte er den Felsen erreicht und kroch ebenfalls hinauf. „Verfluchter Mist", sagte Dan O'Flynn. Philip Hasard Killigrew konnte ihm nur stumm zustimmen. Die spanische Kriegsgaleone, die sich langsam an die kleine Bucht heranschob, war mit mindestens sechsunddreißig Kano nen bestückt. Sie fuhr nur unter Marssegel. Es sah nicht so aus, als wollte sie die Bucht noch vor Dunkelheit anlaufen. Sie hatte es auch nicht nötig. Sie konnte in aller Ruhe vor der Bucht an kern und bis zum nächsten Morgen warten, um die Gegner zusammenzuschießen, wenn sie sich nicht ergaben. Auf dem großen Schiff, das nur knapp eine halbe Meile von der Küste entfernt war, herrschte absolute Stille. So sehr Ha sard auch seine Ohren anstrengte, es war weder das leise Schlagen einer Glocke noch ein laut gerufenes Wort zu hören. Hasard hatte genug gesehen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich die Feuerkraft der Galeone vorstellte, aber keinen Moment dachte er daran, vor den Spaniern zu kapitulie ren. Irgendeinen Ausweg mußte es geben. Eines war Hasard klar. Sie mußten von der Insel herunter. Wenn es den Spaniern gelang, die drei Schiffe in der Bucht zu zerstören, waren sie verloren. Dann brauchten die Spanier nur ihre Seesoldaten an Land zu setzen. Gegen eine vierfache Ü bermacht standen die Engländer auf verlorenem Posten. Hasard wollte sich umdrehen, doch in diesem Augenblick er hielt er einen Stoß gegen die rechte Schulter. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte vom Lavafelsen hinunter. Er hörte den dumpfen Knall einer Muskete, und dann krachte er auf den
felsigen Boden. Dicht neben ihm rollte sich Dan O'Flynn ab. „Was verdammt..." legte Hasard los. „Drei Soldaten!" zischte der Junge. „Sie haben sich ange schlichen und wollten uns abknallen. Zwei von ihnen zielen noch auf den Felsen." Hasard zog die Pistole aus dem Gürtel und überprüfte sie. Außer ihr hatte er nur noch ein Messer bei sich. Dan O'Flynn war sogar ohne Schußwaffe. Er packte den gekürzten Stiel sei ner Enterpike fester und begann auf allen vieren auf einen an deren Felsen zuzukriechen. Hasard schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Als er den Lavafelsen umrundet hatte, konnte er einen Blick hinunter zur Kriegsgaleone werfen. Ein paar Seesoldaten hatten sich an Steuerbord aufgebaut und zielten mit ihren Musketen an Land. Die Entfernung war für einen sicheren Schuß zu groß, aber Hasard spürte ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, als er daran dachte, was eine der Neunpfünderkanonen der Spanier hier anrichten konnte. Er hoffte, daß die Männer auf der Kriegsgaleone auf ihre Landsleute Rücksicht nahmen. Er nahm sich nicht die Zeit, vorsichtig zu sein. Er wollte bei seinen Leuten unten in der Bucht sein, wenn sie die Kriegsga leone entdeckten. Wahrscheinlich hatten sie den Musketen schuß gehört, und wie er den Bootsmann Ben Brighton kannte, würde der sofort ein paar Männer zusammenrufen, um nachzu sehen, was oben auf dem Plateau los war. Hasard mußte das verhindern, denn die anderen Soldaten würden die Gelegenheit sicher nutzen, die Männer in der Bucht anzugreifen. Die Soldaten hatten die Kriegsgaleone bestimmt längst entdeckt, dessen war er sich sicher. Mit ein paar Sätzen erreichte Hasard den nächsten Felsen. Er hatte keine Ahnung, wie dicht die Spanier waren, aber nach dem Klang des Musketenschusses zu urteilen, war er nicht viel mehr als zwanzig Yards von ihnen entfernt. Er warf einen kur zen Blick zur Seite. Von Dan O'Flynn war nichts zu sehen.
Hasard hob die Hand mit der Pistole, bevor er die Deckung der schwarzen Felsen verließ. Er sah die drei Spanier im selben Augenblick, als auch sie ihn entdeckten. Einer von ihnen war noch mit dem Laden seiner Muskete beschäftigt. Die anderen beiden hatten ihre langen, unhandlichen Waffen auf einer ei sernen Gabel liegen und zielten immer noch auf die Stelle, an der Hasard und Dan O'Flynn noch vor Sekunden gestanden hatten. Sie versuchten, ihre Musketen herumzureißen. Hasard zögerte nicht. Seine Pistole spuckte Feuer und Rauch. Die Kugel traf den Spanier einen Fingerbreit über dem glänzenden Brustschild in den Hals. Der Mann wollte schreien, aber nur ein Gurgeln drang über seine Lippen. Er ließ seine Muskete fallen und griff sich an den Hals. Blut schoß ihm aus dem Mund und tränkte die weiten Ärmel seines Hemdes. Plötzlich sackte er zusam men. Er fiel zur Seite und stieß gegen den anderen Soldaten, der seine Muskete auf Hasard gerichtet hatte. Die Muskete schwenkte herum. Wirkungslos fauchte die Ku gel in den wolkenlosen Himmel, den die letzten Strahlen der untergehenden Sonne blutrot färbten. Hasard stieß einen wilden Schrei aus und stürzte sich auf den Soldaten. Der Spanier riß seinen Degen heraus, aber er fand nicht mehr die Zeit, die Spitze auf den angreifenden Feind zu richten. Bevor er die Waffe hochschwingen konnte, war Hasard bei ihm und stieß ihm das lange Messer bis zum Heft in die Seite, die vom Brustpanzer nicht mehr geschützt wurde. Der Soldat sackte schlaff zusammen. Er war sofort tot. Hasard riß das Messer aus dem Leib des Toten und wirbelte herum. Er sah, wie der dritte Spanier seine Muskete über dem Kopf schwang und sie auf Dan O'Flynn niedersausen lassen wollte. Der Junge lag vor dem Soldaten auf dem Boden und schüttelte benommen den Kopf. Hasard warf sein Messer. Er wußte, daß er viel Glück brauch te, wenn sein Wurf O'Flynn noch retten sollte. Kaum hatte das
Messer seine Hand verlassen, brüllte er den Schlachtruf der Killigrews, um O'Flynn aus seiner Besinnungslosigkeit zu rei ßen. Das Messer traf den Spanier auf der Rückenplatte seines Pan zers. Der Stoß genügte, um ihn etwas abzulenken. Der Lauf der schweren Muskete strich haarscharf an Dan O'Flynns Kopf vorbei. Der Schwung riß den Spanier vor. Er stolperte über den am Boden liegenden Jungen, ließ die Muskete fallen und stütz te sich mit beiden Händen ab. Hasard war sofort bei ihm. Bevor sich der Soldat in seiner Rüstung, die seine Bewegungsfreiheit ziemlich beschränkte, herumdrehen konnte, hatte Hasard ihm den Degen aus der Gür telhalterung gezogen und die Spitze an den Hals gesetzt. Die Augen traten dem Spanier aus dem Kopf. Er stammelte ein paar Worte und schwieg dann, als er bemerkte, daß der Engländer sie nicht verstand. O'Flynn hatte sich inzwischen aufgerappelt, aber er schien immer noch nicht ganz bei Besinnung zu sein. Seine Augen waren noch leicht glasig. Seine rechte Hand tastete über eine Stelle an seiner Schläfe, wo die Haut aufgeplatzt war. Hasard wartete, bis Dan O'Flynn wieder klar war. Dann be fahl er dem Jungen, die Musketen den Felsabhang hinunterzu werfen und die anderen Waffen der Spanier einzusammeln. Als der Junge damit fertig war, trat Hasard von dem regungslos daliegenden Spanier zurück. Er nickte zu den beiden Toten hinüber und sagte: „Du kannst dich um sie kümmern, wenn du willst." Er wußte nicht, ob der Spanier verstanden hatte, was er mein te, aber das kümmerte ihn nicht mehr. Er rief Dan zu, er solle vorauslaufen und Ben Brighton berichten, daß alles in Ordnung sei. Sekunden später folgte er ihm, nachdem er noch einen Blick auf die Kriegsgaleone geworfen hatte, die jetzt vor der Bucht beidrehte und quer zu dem schmalen Buchtzugang vor Anker
ging. Hasard konnte nur hoffen, daß die Spanier sich sicher genug fühlten, die Nacht abzuwarten und erst mit dem neuen Tages licht ihre Aktionen zu beginnen. 4. Ben Brighton hatte genau richtig reagiert. Als er den Muske tenschuß oben in den Felsen vernommen hatte, wollte er im ersten Moment wirklich Hasard mit ein paar Männern zur Hilfe eilen. Doch dann hatte der Kutscher, der als Ankerwache auf der „Santa Barbara" eingeteilt war, die spanische Kriegsgaleone gesichtet. Ben Brighton hatte sofort den Gambia-Negern befohlen, sich mit Musketen zu bewaffnen und den Felsabhang zu beobach ten, ob die Soldaten von Land aus einen zweiten Angriff wag ten. Er selbst hatte alle Männer, die Ferris Tucker im Augenblick entbehren konnte, auf die beiden Galeonen befohlen, den An ker hochholen lassen und die Schiffe dicht neben der schmalen Buchtenge in den Schutz der ins Meer hinauslaufenden Fels vorsprünge manövriert. Er hatte Smoky auf den Großmast der „Barcelona" gejagt, um festzustellen, ob er die Mastspitzen der Kriegsgaleone sehen könne. Doch zum Glück waren die Lava felsen hoch genug, um die seitliche Bucht vor dem Blick vom Meer aus zu schützen. Hasard hatte sich zur „Santa Barbara" hinausrudern lassen. Er sprach kurz mit Ben Brighton. Der Bootsmann war kühl. Hasard konnte ihm keinerlei Erre gung anmerken. Als Hasard ihn nach seiner Meinung fragte, sagte er: „Völlig aussichtslos. Das einzige, was uns bleibt, ist zu kämpfen, bis sie uns alle getötet haben, oder aber die Waf
fen zu strecken." Hasard blickte den erfahrenen Bootsmann skeptisch an. Er hatte von Ben Brighton mehr erwartet. So leicht durfte ein eng lischer Seemann nicht aufgeben. „Morgen früh werden sie ihre Seesoldaten an Land setzen", sagte Ben Brighton. „Dann werden sie uns von zwei Seiten angreifen. Gegen die Geschütze der Kriegsgaleone nimmt sich unsere Bewaffnung aus wie ein Zahnstocher gegen ein Enter messer. Wenn du meine Meinung hören willst, Hasard, morgen bei Sonnenaufgang hat unser letztes Stündlein geschlagen." Hasard machte eine wilde Handbewegung. „Unsinn, Ben", sagte er hart. „Morgen früh sind alle drei Schiffe auf See, und auch die Galeone da draußen wird uns nicht am Auslaufen hindern!" Damit drehte er sich um und gab den Männern an Bord den Befehl, die beiden Galeonen nach Einbruch der Dunkelheit wieder an ihre alten Plätze zu bringen, damit sie die Karacke vom Strand ziehen konnten, wenn Ferris Tucker seine Arbeit beendet hatte. Dann wandte er sich wieder Ben Brighton zu. „Ich vermute, daß die Spanier im Schutz der Dunkelheit ver suchen, ein Boot mit Soldaten in die Bucht einzuschleusen. Nimm dir zehn von Batutis Männern und schaff eine der Ka nonen nach vorn aufs Kap, wo du die Buchtenge gut überbli cken kannst. Nimm ein paar Kartätschen mit und halte voll drauf, wenn du ein spanisches Boot siehst oder hörst." „Was haben wir damit gewonnen?" fragte Ben Brighton brummig. Der Bootsmann spürte, warum Hasard ihm diesen Auftrag gab und ihn nicht bei den Schiffen ließ. Er fluchte im stillen auf diese jungen Kerle, die immer mit dem Kopf durch die Wand wollten, und wenn sie auch aus yarddicken Quadern bestand. „Ich werde in der Nacht mit ein paar Männern zur Kriegs
galeone hinausrudern und versuchen, die Spanier mit ein paar Fässern Pulver manövrierunfähig zu sprengen", sagte Hasard. „Wenn es uns gelingt, werden wir im Schutz der Dunkelheit aus der Bucht entfliehen." Ben Brighton nickte. Dann drehte er sich abrupt um und ver ließ das Schiff. Als er an Land ruderte, schlich sich ein Grinsen in sein Gesicht. Dieser verdammte Killigrew! Er war schon ein verwegener Bursche. Und es schien so, als wache er erst richtig auf, wenn die Lage aussichtslos war. Ben Brighton dachte wieder einmal, daß Hasard seinen Kriegsnamen Seewolf wirklich verdient hatte. Die Dunkelheit senkte sich innerhalb von Minuten wie ein schwarzes Tuch über die Bucht. Die Schatten der dunklen La vafelsen verschwammen ineinander, und die Gambia-Neger mußten sich auf ihr Gehör verlassen, wenn sie die Spanier rechtzeitig bemerken wollten, die sicher in dieser Nacht versu chen würden, die Feinde ins Meer zu jagen. Ben Brighton hatte sich Bogo und zehn weitere Schwarze ausgesucht. Keuchend und schwitzend wuchteten sie das Fünf pfündergeschütz auf den Felsvorsprung, von dem aus sie die schmale Buchteinfahrt beobachten konnten. Das Licht einzel ner Sterne, die zwischen den Wolken hervorschauten, reichte nicht aus, Einzelheiten auf der Kriegsgaleone zu erkennen. Ben Brighton war sich darüber im klaren, daß sie es nicht einmal bemerken würden, wenn die Spanier ein Boot zu Wasser lie ßen. Wenn er Glück hatte, würden die Riemenschläge die Spa nier verraten. Der Bootsmann blickte zurück in die Bucht. Hinter dem dunklen Schatten der Karacke sah er den rötlichen Schein des Feuers, das auf dem Floß brannte, und dessen Licht die Ar beitsstätte von Ferris Tucker beleuchtete. Ein Schuß durchbrach die Stille, die trotz der emsigen Ge schäftigkeit über der Bucht lag. Bei der Karacke schrie ein Mann auf. Ben Brighton hatte den kleinen Mündungsblitz oben
auf den Lavafelsen gesehen. Er winkte Bogo zu sich heran und bedeutete ihm durch Zeichen, mit ein paar Männern zurückzu laufen und den heimtückischen Schützen auszuschalten. Er behielt drei Männer zurück. Sie mußten genügen, den Fünfpfünder zu bedienen. Gedämpfte Stimmen drangen an Ben Brightons Ohr. Er sah, wie sich die Männer bei der Karacke in den Schutz der Dunkelheit flüchteten. Der Bootsmann fluchte leise. Wenn es den Spaniern auf dem Plateau gelang, die Män ner an der Arbeit zu hindern, fiel der Plan des Seewolfs ins Wasser. Oder aber sie mußten die Karacke in der Bucht zu rücklassen und die Schwarzen mit an Bord der beiden Galeo nen nehmen. Eine halbe Stunde rührte sich unten am Strand nichts. Das Feuer auf dem Floß brannte langsam herunter. Dann hatten die Männer Bogos die Stelle erreicht, an dem sich die Spanier ver borgen hatten. Ben Brighton hörte den Kampflärm. Er sah Schatten durch den zuckenden Feuerschein laufen, und dann schienen die Schwarzen die Spanier in die Flucht geschlagen zu haben. Ben Brighton grinste, als der rötliche Schein hinter der Kara cke wieder intensiver wurde. Ferris Tucker verlor keine Zeit. Einer der Gambia-Neger packte den Bootsmann am Arm. Er stieß einen leisen Laut aus und deutete aufs Wasser. Ben Brighton lauschte, und dann hörte er es auch. Die Spa nier ruderten sehr vorsichtig, aber es war fast unmöglich, jedes Geräusch zu vermeiden, wenn die Riemen ins Wasser getaucht wurden. Ben Brighton wartete, bis das Boot auf der Höhe seiner Ka none war. Er brauchte nur die Höhe geringfügig zu verändern. Schnell hielt er die Lunte, die er unter seiner Segeltuchjacke verborgen hatte, ans Zündloch, und mit einem ohrenbetäuben den Krachen spuckte die Kanone die Kartätsche aus, die von der Wucht der Treibladung auseinandergefetzt wurde. Da das Geschütz keinen Halt hatte, wäre es fast von dem
Felsvorsprung heruntergestürzt. Das schmale Felsband, gegen das die Kanone beim Rückstoß geprallt war, knirschte verdäch tig. Ben Brighton war in Pulverdampf gehüllt. Während er daran ging, den Fünfpfünder neu zu laden, befahl er den drei Schwar zen, das Geschütz wieder an den alten Platz zu bugsieren. Erst als er eine neue Kartätsche in den Lauf gestopft hatte, drehte er sich um und besah sich die Wirkung, die die erste Ladung sei ner Kanone gehabt hatte. Er hörte das Schreien und Jammern von verwundeten Män nern, das immer deutlicher wurde, je mehr das taube Gefühl vom Donnern des Geschützes in Ben Brightons Ohr nachließ. Der Bootsmann strengte seine Augen an, und dann sah er das zweite Boot. Die Spanier waren damit beschäftigt, die Verwundeten aus dem ersten Boot, das Ben Brighton nirgends entdecken konnte, aufzulesen. Einer der Spanier hatte eine Fackel entzündet, um die Männer im dunklen Wasser besser sehen zu können. Ben Brighton richtete die Kanone auf diese Fackel, aber er zögerte noch. Wenn er auch dieses Boot zerschoß, würde den Spaniern nichts weiter übrigbleiben, als an Land zu schwim men. Und dort konnten sie den Engländern gefährlich werden. Vielleicht aber ruderte das zweite Boot zur Kriegsgaleone zu rück, wenn es die Spanier aus dem ersten Boot aufgelesen hat te. Der Bootsmann wußte nicht, wie viele Spanier von seiner La dung Eisen verwundet oder getötet worden waren, aber eines war sicher: Die Spanier hatten gemerkt, daß sie es mit einem zu allem entschlossenen Gegner zu tun hatten. Ben Brighton hoff te, daß die Spanier kein weiteres Risiko eingingen und lieber auf den neuen Tag warteten, in dessen Licht sie die Engländer mit ihren Kanonen in Stücke schießen konnten. Der Kanonenschuß hatte die Männer am Strand wieder aufge scheucht. Sicher hatte Hasard ein Boot bemannt, das den Spa
niern entgegenfahren sollte. Ben Brighton grinste, als er sah, wie das Boot der Spanier gewendet und zur Galeone zurückgepullt wurde. Die Fackel verlöschte. Nichts als schwarze Dunkelheit umgab den Lava felsen, auf dem der Bootsmann mit seinem Fünfpfünder stand. Diese Dunkelheit wurde jäh von einem weißen Blitz zerris sen. Ben hatte Sekunden vorher einen Lichtpunkt vom Meer her aufleuchten gesehen, aber daß die Spanier eine ihrer Kano nen abgefeuert hatten, merkte er erst, als die Kugel etwa drei ßig Yards von ihm entfernt einschlug und ihn und die drei Schwarzen mit einem Hagel aus Lavasplittern überschüttete. Die drei Männer hatten sich auf den Boden geworfen und die Arme über dem Kopf verschränkt. Sie erwarteten einen weite ren Schuß, aber nichts geschah. Erst nach Minuten wagte Ben Brighton, den Kopf wieder zu heben. Vorsichtig kroch er eine schräge Felsplatte hinauf, bis er übers Meer blickten konnte. Er sah jetzt nicht einmal mehr den Schatten der Kriegsgaleone, aber daß sie noch vor der Bucht lag, das war so sicher, wie Lissys Vater ein alter Hurenbock gewesen war. Hasard hatte die Spanier verflucht, als er den toten Neger sah, der in seinem Blut langgestreckt auf dem Floß lag. Er hatte die Männer sofort angerufen und ihnen befohlen, in Deckung zu gehen. Ferris Tucker hatte sich den toten Neger geschnappt und hatte ihn an den Strand gelegt. Drei Mädchen liefen herbei und kümmerten sich schluchzend um den Mann, dem nicht mehr zu helfen war. Hasard rief Batuti zu sich und sprach eine Weile mit ihm. Dann holte sich der riesige Gambia-Neger ein paar Männer und machte sich auf den Weg. Er sollte das Plateau erklimmen und die spanischen Soldaten auf der anderen Seite der Insel ins Meer jagen, damit Ferris Tucker seine Arbeit an der Karacke endlich vollenden konnte. Die Außenplanken waren bereits befestigt. Sie brauchten jetzt nur noch kalfatert zu werden.
Die Männer warteten gespannt, ob es Batuti gelingen würde, die Spanier aus ihren Felslöchern aufzustöbern. Fast eine halbe Stunde dauerte es, dann rief Batuti vom Rand des Plateaus zum Strand hinunter, daß alles in Ordnung sei. Ferris Tucker war im nächsten Moment wieder auf dem Floß. Smoky, Blacky und Pete Ballie waren ihm gefolgt. Zu viert hämmerten sie das Werg in die Ritzen zwischen den Planken. Als sie fast damit fertig waren, begann Ferris Tucker die Ritzen mit Pech auszufüllen. Auf dem Floß kochte inzwischen Teer, mit dem die reparierte Stelle noch überstrichen werden sollte. Blacky, Smoky und Pete Ballie dachten nicht mehr an die schwarzen Schönen, die ihnen in dieser Nacht hatten gehören sollen. Sie wußten, um was es ging. Wenn es ihnen nicht ge lang, den Spaniern ein Schnippchen zu schlagen, fanden sie sich nach ein paar Wochen auf einer der stinkenden spanischen Galeeren wieder, oder aber die Spanier schossen ihnen ein Loch in den Kopf, was immer noch besser war als das erste. Als sie auch die letzte Ritze mit Werg verstopft hatten, jagte Ferris Tucker sie vom Floß. Sie sollten sich bei Hasard melden. Den Rest würde er selbst in einer halben Stunde erledigt haben. In diesem Augenblick hörten sie den Kanonenschuß, der von der Kriegsgaleone abgefeuert worden war. Hasard, der mit Dan O'Flynn das Boot belud, mit dem sie zu den Spaniern hinaus rudern wollten, zuckte regelrecht zusammen. Er preßte die Lippen zusammen, als er sah, wie die Kugel dicht an der Stelle, an der Ben Brighton seine Kanone aufgebaut hatte, einschlug. „Ben", murmelte Dan O'Flynn. „Ob es ihn erwischt hat?" Hasard drehte sich abrupt herum. „Steh hier nicht rum!" schnauzte er den Jungen an. „Sorg da für, daß die Pulverfässer richtig verstaut werden. Ich will noch mit Ferris sprechen, wie weit er ist, dann brechen wir auf." Dan O'Flynn starrte den Seewolf aus weit aufgerissenen Au gen an. Berührte es ihn so wenig, daß Ben Brighton da oben auf den Felsen vielleicht von einer Kugel zerrissen worden
war? Dan hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er beeilte sich, die Schwarzen anzuweisen, wo sie die Pulverfäs ser verstauen sollten, denn er wußte, daß Hasard fuchsteufels wild werden konnte, wenn seine Befehle nicht umgehend ausgeführt wurden. Smoky, Blacky und Pete Ballie kamen Hasard bereits entge gen und berichteten, daß Ferris Tucker noch eine halbe Stunde brauche, die Karacke wieder seetüchtig zu machen. Hasard erteilte Pete Ballie den Befehl, zusammen mit Ferris Tucker die Karacke ins Wasser zu bringen. „Nehmt euch so viele von Batutis Leuten, wie ihr finden könnt", sagte er. „Hast du Matt Davies gesehen?" Pete Ballie schüttelte den Kopf. „Sag am Strand Bescheid, daß er sich sofort bei mir melden soll", sagte Hasard. „Wenn wir das Boot beladen haben, fahren wir los." „Aye, aye", sagte Pete Ballie und lief davon. Hasard ging zum Boot zurück. Smoky und Blacky folgten ihm. Hasard hatte ihnen nicht gesagt, daß sie für das Höllen kommando ausersehen waren, aber für die beiden bestand kein Zweifel daran. Wer sonst als sie kam für so etwas in Frage? Dan O'Flynn stand neben dem abfahrbereiten Boot. Er hatte die Riemen bereits ausgelegt. Die Schwarzen, die beim Bela den des Bootes geholfen hatten, standen abwartend da. Hasard schickte sie zu Ferris Tucker hinüber. „Los, ins Boot!" sagte Hasard zu Blacky und Smoky. Blacky warf einen skeptischen Blick auf Dan O'Flynn und sagte zu Hasard gewandt: „Soll der Knirps etwa auch mit?" Dan O'Flynn atmete scharf ein. „Sag noch einmal Knirps, du hirnloser Affe, dann werde ich..." , „Schluß!" sagte Hasard scharf. „Ihr könnt euch streiten, wenn wir zurück in England sind, oder wenn die Fische an euch knabbern, aber nicht jetzt!"
„Verdammt will ich sein, wenn ich mir so etwas von diesem stinkigen Bilgewassersäufer sagen lasse!" zischte Dan O'Flynn zitternd vor Wut. „Dan!" Hasards Stimme klang wie der Knall einer Peitsche. Das Bürschchen zuckte regelrecht zusammen. Er preßte die Lippen aufeinander, watete durch das flache Wasser zum Boot und stieg hinein. Er setzte sich vorn in den Bug. Es war der Platz, den Hasard ihm zugewiesen hatte, denn der Junge konnte mit seinen Adleraugen auch in der Nacht am besten von ihnen allen sehen. Hasard ballte die Hände zu Fäusten. Wütend blickte er zur Karacke hinüber. Wo blieb Matt Davies? Er hatte ihm zwar nicht gesagt, daß er an dem Kommando teilnehmen sollte, aber in einer solchen Situation, in der sie sich jetzt befanden, hatte jeder Mann zur Verfügung zu stehen. Wenn Davies nicht in der nächsten Minute auftauchte, würde er ohne ihn losfahren. Und wenn sie bei diesem Unternehmen nicht alle ins Gras bissen, würde er Davies die Peitsche spüren lassen, bis er begriff, was es hieß, seine Kameraden in einem Augenblick wie diesem im Stich zu lassen. Der Seewolf wollte sich gerade umdrehen, als er den Schatten eines Mannes auf sich zuhuschen sah. Es war Matt Davies. Der stämmige Mann keuchte. Sein Ge sicht glänzte von Schweiß. Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Entschuldigen Sie, Sir. Ich wußte nicht, daß Sie mich brauchen." Er hatte mit voller Absicht Sir zu Hasard gesagt. Der Seewolf merkte es, und seine Wut auf den Mann steigerte sich noch. „Los, rein ins Boot!" sagte er scharf. „Wir sprechen uns noch, Davies!" Hasard schwang sich als letzter übers Dollbord. Er hörte die flüsternde Stimme Blackys, der etwas zu Smoky sagte. Und Hasard verstand die Worte genau. „Der Hurensohn war bei den Weibern, während wir wie die
Idioten geschuftet haben!" Was Smoky murmelte, konnte Hasard nicht verstehen, aber es war sicher nichts Schmeichelhaftes für Matt Davies. Der See wolf begann zu grinsen. So wie es aussah, brauchte er sich kei ne Gedanken über eine Bestrafung von Davies zu machen. Das würde sich innerhalb der Mannschaft von selbst lösen. Matt Davies schien sich auch darüber klar zu sein. Er hatte die Lippen zusammengepreßt. Den rechten Arm hatte er leicht angehoben. Hasard sah den scharfen Haken, der Matt Davies die fehlende rechte Hand ersetzte, im Schein des Feuers, das vom Floß herüberleuchtete, aufblitzen. Blacky und Smoky, die jetzt die Riemen packten und zu pul len begannen, sahen aus, als wollten sie sich jeden Augenblick auf Davies stürzen. Zu gern hätten sie Matt auf der Stelle ver prügelt, aber der scharfe Blick des Seewolfs hielt sie zurück. „Konzentriert euch auf das, was vor euch liegt", sagte Hasard leise. „Wenn unser Unternehmen schiefgeht, sind wir alle ver loren. Und ich fühle mich verdammt noch mal zu jung zum Sterben oder um ein Lebenlang an eine Galeerenbank gekettet zu sein." Er sah, wie die Männer nickten. Die Riemen tauchten fast lautlos ins Wasser. Smoky und Bla cky waren die besten Rudergasten, die Hasard jemals erlebt hatte. Wenn ihnen beiden es nicht gelang, ungehört an die Ga leone heranzukommen, dann würde es niemand schaffen. Dicht unterhalb der Buchtenge horchte Hasard nach oben zu den Felsen hin. Er stieß einen leisen Schrei aus, der dem einer Möwe ähnelte. Vom Felsen aus folgte umgehend die Antwort. Ein Stein fiel Hasard vom Herzen. Ben Brighton lebte. Die Kugel der Spanier hatte ihm nichts anhaben können. Das Boot glitt lautlos aufs Meer hinaus. Voraus vermeinte Hasard die schattenhaften Umrisse der Kriegsgaleone zu er kennen, aber er war sich nicht sicher. Mit kurzen Handbewe gungen bedeutete er Smoky und Blacky, mehr nach Backbord
zu halten. Sie wollten um die Galeone herumrudern und vom Meer aus auf sie zufahren. Hasard hoffte, daß die Wachen der Spanier sich nur auf die Seite zum Land hin konzentrierten. Ferris Tucker wischte sich mit dem Handballen das rote Haar aus der Stirn. Sein bloßer Oberkörper war schweißüberströmt und glänzte im Licht des Feuers, das auf dem Floß brannte. Die milde Luft war erfüllt von einem infernalischen Gestank, aber Ferris Tucker nahm es nicht wahr. Er war froh, daß er seine Arbeit beendet hatte. Vorn auf der Back der gekrängten Karacke turnte Pete Ballie herum, der die letzten Anstalten traf, die dicken Trossen zu befestigen, mit denen die beiden Galeonen die Karacke ins Wasser hinausziehen sollten. Ferris Tucker rief ein paar Schwarze herbei und befahl ihnen, das Floß wegzuschaffen. Das Feuer wurde gelöscht. Der Schiffszimmermann nahm den Eimer mit Teer hoch und watete an den Strand. Er hörte die tiefe Stimme Pete Bailies, der sich ebenfalls noch einmal an Land pullen ließ, nachdem er seine Männer losgejagt hatte, um die beiden Galeonen in die richtige Position zu bringen. Ferris Tucker wartete auf den Rudergänger. Gemeinsam be sprachen sie die geplante Aktion, die in der Dunkelheit gar nicht so einfach durchzuführen war. Dann pullte Pete Ballie hinaus zu den Galeonen, die inzwischen an der richtigen Stelle vor Anker lagen. Pete Ballie hatte an die Gangspills der beiden Schiffe je acht Mann beordert. Er hoffte, daß es ausreichte. Er wartete, bis das Zeichen von Ferris Tucker erfolgte. „Los, Männer!" rief Pete Ballie. „Legt euch ins Zeug! Wir müssen es schaffen, sonst massakrieren uns die Dons!" Die Männer stemmten sich gegen die Spillspaken und began nen die Trommel zu drehen. Pete Ballie stand unter der Back und beobachtete, wie sich die Trosse spannte. Immer wieder lief er an der Trosse entlang und überprüfte die Zeisinge, mit
denen die Trosse am Kabelar angesteckt war. Das Kabelar war handlicher als die schwere Trosse und schmiegte sich besser um die Spilltrommel. Von Land her hörte er die Kommandos von Ferris Tucker. Die Schwarzen, die noch an Land geblieben waren, hatten sich mit großen Balken ausgerüstet und benutzten sie als Hebel. Als Ferris Tucker sah, wie die Karacke langsam vom Sandstrand herunterrutschte, feuerte er die Männer noch mehr an. „Sie kommt! Sie kommt!" schrie Pete Ballie. „Los Männer, noch dreimal rum, und wir haben es geschafft!" Hastig schlug er einen weiteren Zeising an, dann lief er zum Gangspill zurück und stemmte sich mit gegen die Spillspake, gegen die Lewis Pattern keuchend drückte. Sie spürten es plötzlich ganz deutlich. Mit einem Schlag ließ das Zerren der Trosse nach. Sie hörten den Schrei von Ferris Tucker, der sie alle erlöste. „Wir haben es hingekriegt, Männer!" brüllte Pete Ballie. „Sie schwimmt wieder!" Die Männer wollten in sein Gebrüll einstimmen, aber er brachte sie schnell wieder zum Schweigen. In der Nacht war der Lärm meilenweit zu hören. Pete Ballie teilte zwei Männer als Ankerwache ein. Dann wollte er sich über das Schanzkleid der „Barcelona" schwin gen, um an den Berghölzern hinunter in das Boot zu klettern, das längsseits der Galeone lag. Er erkannte den Mann drüben an Deck der „Santa Barbara" und stieß einen leisen Fluch aus. „Verdammt, Gary, bist du verrückt?" rief er leise hinüber und gab seihen Mahnern einen Wink, loszupullen. „Geh sofort wie der unter Deck und leg dich hin!" „Ich kann nicht, Pete", antwortete Gary Andrews, der ziem lich wackelig auf den Beinen stand. „Ich halte das nicht mehr aus. Niemand kümmert sich um mich. Ich weiß nicht einmal, was hier vor sich geht."
„Verdammt, dann frag doch Carter!" sagte Ballie scharf. „Er bleibt an Bord und kann dir Märchen erzählen!" Pete Ballie hörte nicht mehr, was Gary Andrews noch sagte. Das Boot war schon zu weit von der „Santa Barbara" entfernt. Er konnte Gary Andrews verstehen. Wahrscheinlich setzten ihm das Fieber und die Brustwunde, die ihm ein Spanier beim Ausbruch auf der „Santa Barbara" mit einem Entermesser bei gebracht hatte, höllisch zu. Die ganze Zeit hatte er allein im Vordeck gelegen. Niemand hatte Zeit gehabt, ihm zu berichten, was seit Anbruch der Nacht geschehen war. Sie pullten auf die Karacke zu, die wieder Wasser unter dem Kiel hatte und jetzt ebenfalls vor Anker lag. Pete Ballie hörte Ferris Tucker fluchen. Er jagte die Schwarzen nur so übers Deck, aber da sie ihn nicht richtig verstanden, mußte er ihnen fast jeden Handgriff vorexerzieren. „Wo bleibst du denn, verdammt noch mal!" fauchte der rot haarige Riese Pete Ballie an, als er sich über das Schanzkleid schwang. „Die schwarzen Bastarde bringen mir die ganze Ta kelage durcheinander." Pete Ballie grinste. Er wartete auf die Befehle von Ferris Tu cker. Noch war allerhand zu tun, um die Karacke wieder segel fertig zu machen. Die Wanten mußten neu gespannt werden, Rahen an den Masten hochgefiert und schließlich die Segel angeschlagen werden. Jeder der Männer erhielt zwei Schwarze zugeteilt. Sie waren verdammt geschickt, wenn ihnen erst einmal gezeigt wurde, was sie tun sollten. Im Nu war die Takelung der Karacke abge schlossen, und Ferris Tucker atmete auf. Jetzt konnte Hasard mit seinem Tanz auf der Kriegsgaleone beginnen. Alle drei Schiffe waren bereit zum Auslaufen. Der Schuß ging aus der falschen Richtung los. Ferris Tucker, der am Strand stand und das Beladen der Boote überwachte, die die gesamte Ausrüstung an Bord der Karacke zurücktransportieren sollten, drehte sich erschrocken herum.
Er sah die Mündungsblitze der Musketen oben auf dem Pla teau. Ein Mann schrie. Das Klirren von Waffen und die hellen Detonationen von Pistolen waren zu hören. Die gutturale Stimme Batutis brüllte etwas, das Ferris Tucker nicht verstehen konnte. Der Schiffszimmermann überlegte, was er tun sollte. Im ers ten Moment wollte er ein paar Männer zusammenrufen, um den Schwarzen zu Hilfe zu eilen, doch dann schüttelte er den Kopf. Batuti und seine Männer mußten mit den spanischen Soldaten allein fertig werden. Sie durften hier unten keine Zeit verlieren. Wenn der Seewolf mit dem Angriff auf die Kriegsga leone begann, mußten alle drei Schiffe zum Auslaufen bereit sein. Ferris Tucker trieb die Männer an den Booten, die ebenfalls zum Plateau hochstarrten, wieder an. Ein paar der Schwarzen wollten auf den stufenförmigen Aufgang zum Plateau zustür men, um ihren Gefährten beizustehen, doch Ferris Tucker hielt sie mit gezogener Pistole zurück. Er hätte den Burschen gern erklärt, weshalb er es tat, aber sie verstanden ihn ja doch nicht. Onoba starrte die Pistole in Tuckers Faust mit rollenden Au gen an. Seine kräftigen Hände schlossen und öffneten sich. Hinter ihm drängten sich die anderen Schwarzen. Einer von ihnen erhob drohend die Faust. Ferris Tucker fluchte. Er hörte leise Schritte im Sand. Als er den Kopf zur Seite drehte, sah er die schwarzen Mädchen aus der Dunkelheit auftauchen. Der Schiffszimmermann deutete zur Karacke hinüber. „Bringt sie an Bord", sagte er keuchend. „Verdammt noch mal, wir helfen euch doch nur! Kann mich denn keiner von euch Affen verstehen?" Ein Mädchen trat zwischen Ferris Tucker und Onoba. Der Schiffszimmermann erkannte Wobia, eines der Mädchen, die Batuti dem Seewolf angeboten hatte. Sie stand Nuva in ihrer Schönheit kaum nach, und Ferris Tucker gestand sich ein, daß
er Batutis Angebot nicht so leichtfertig abgelehnt hätte wie der Seewolf. Wobia redete hastig auf die Männer ein. Onobas Haltung ent spannte sich. Schließlich drehte er sich um und gab seinen Männern Befehl, mit dem Beladen der Karacke fortzufahren. Wobia wandte sich um und blickte Ferris Tucker lächelnd an. „Wir nix Affen", sagte sie. „Wir Engel." Sie nahm seine große schwielige Hand, an der noch Teerreste klebten, und legte sie auf ihre feste Brust. „Beim siebenschwänzigen Klabautermann", murmelte der rothaarige Riese und zog seine Hand zurück. „Seht zu, daß ihr auf euer Schiff kommt, bevor ich euch allen den Hintern ver sohle!" Er drehte Wobia um, gab ihr mit seiner mächtigen Pranke ei nen Klaps aufs Hinterteil und schob sie auf den Strand zu, wo der grinsende Kutscher mit einem anderen Mann im Boot war tete, um die kostbare Ladung aufzunehmen. Ferris Tucker schüttelte den Kopf, als er die Mädchen kichern hörte. Die Situation konnte für diese Geschöpfe noch so ernst werden, sie hatten immer nur das eine im Kopf. Das Boot mit den Mädchen stieß vom Strand ab, während ein anderes mit Pete Ballie gerade wieder anlegte. Der Rudergän ger blickte zum Plateau hoch, wo der Kampflärm noch zuge nommen hatte. „Hoffentlich schaffen sie es", sagte er. Ferris Tucker zuckte mit den Schultern. Er sah ein paar Schat ten auf sich zueilen und winkte mit dem rechten Arm. „Hierher!" rief er. „Alle Sachen in das Boot!" Er wollte sich schon wieder umdrehen, als Pete Ballie leise aufschrie. „Vorsicht, Ferris, das sind Spanier!" Ferris Tucker riß die Pistole hoch und feuerte auf den ersten Mann, der sich auf ihn stürzen wollte. Die Kugel streckte den Mann sofort nieder. Wenn Tucker gehofft hatte, die anderen
Spanier würden sich durch diesen Zwischenfall aufhalten las sen, so hatte er sich getäuscht. Die Einwohner von Punta Lagens waren diesmal fest ent schlossen, nicht zurückzuweichen. Sie hatten den Zeitpunkt abgewartet, an dem sich nur noch wenige Männer am Strand aufhielten. Außer Ferris Tucker und Pete Ballie war nur noch Stenmark in der Nähe. Der blonde kräftige Schwede, der jetzt aus dem Boot sprang, war mit Ballie von der Karacke herüber gepullt. Die Spanier hatten sich mit allem bewaffnet, was ihnen in die Finger geraten war. Einige von ihnen schwangen Bretter und dicke Knüppel über den Köpfen. Schweigend gingen sie gegen ihre Feinde vor, denn sie woll ten verhindern, daß ihnen weitere Engländer oder Neger in die Quere gerieten. Wahrscheinlich hätten sie ihre Beine unter die Arme genommen und sich irgendwo zwischen den Lavafelsen verkrochen, wenn sie auch nur geahnt hätten, daß sie sich aus gerechnet drei der besten Kämpfer genähert hatten, die es in Hasards Mannschaft gab. In den nächsten Minuten spürten sie es am eigenen Leib. Fer ris Tucker und Pete Ballie, der Fäuste wie Ankerklüsen hatte, wüteten unter den Spaniern wie Berserker. Sie kümmerten sich kaum um die Latten und Knüppel, die auf ihre Rücken und Arme sausten. Sie schlugen mit ihren eisernen Fäusten eine Gasse in die Feinde, und wer von den Spaniern das Pech hatte, nicht gleich umzufallen, mußte noch die Schläge von Stenmark einstecken, die ihm dann den Rest gaben. Innerhalb von zwei Minuten lagen mehr als die Hälfte der Spanier stöhnend im Sand. Ihnen war es nicht gelungen, auch nur einen der Feinde zu erschüttern. Einer von ihnen schrie leise auf und deutete nach rechts. Ein paar von Batutis Männern, die die Ladung der Karacke zu den Booten schleppten, hatten den Kampf bemerkt und stürm ten nun herbei.
Die Spanier hatten genug. Die ersten drehten sich um und lie fen davon, und bevor die Schwarzen heran waren, hatten sich auch die restlichen Spanier abgesetzt und waren im Dunkeln verschwunden. Vier von ihnen lagen noch bewußtlos im Sand. Stenmark wollte sie ins Wasser werfen, aber Ferris Tucker winkte ab. „Laß sie", sagte er. „Die verkriechen sich schon, wenn sie aufwachen. Los, wir müssen uns beeilen, damit wir endlich fertig werden." Die Schwarzen schleppten die Weinfässer heran, die die Ka racke von Flores nach Spanien hatte bringen sollen. Drei von den zehn Fässern befanden sich bereits auf der „Santa Barba ra", zwei weitere auf der „Barcelona". Der Kampf auf dem Plateau tobte immer noch. Ab und zu klangen Schüsse auf, doch der Hauptkampf schien sich Mann gegen Mann abzuspielen. Ferris Tucker hätte gern ein paar Schwarze zur Verstärkung nach oben geschickt, aber dann mußten sie darauf verzichten, die drei Fünfpfünderkanonen an Bord der Karacke zu bringen. Tucker fragte sich zwar, was die Schwarzen damit wollten, denn sie würden sich mit den Dingern höchstens selbst versen ken, aber Bogo und Onoba hatten darauf bestanden, die Kano nen mitzunehmen. Ben Brighton hielt es auf seinem Posten nicht mehr aus. Dort hinten auf dem Plateau tobte der Kampf zwischen den Schwar zen und den spanischen Soldaten. Unten am Strand wurde si cher jede Hand gebraucht, um die Ladung wieder an Bord der Karacke zu bringen. Und er hockte hier mit den drei Negern untätig herum. Er glaubte nicht daran, daß die Spanier von der Kriegsga leone es wagen würden, ein zweites Mal ein Boot zur Landung in die Bucht zu schicken. Der erste Versuch hatte sie zu viele Opfer gekostet. Entschlossen drehte sich Ben Brighton herum. Er packte die
Pistolen, die neben ihm lagen und gab den drei Schwarzen, die genauso unruhig waren wie er selbst, ein Zeichen. Sie sprangen sofort auf. Sie schienen froh zu sein, daß Ben Brighton sich endlich entschlossen hatte, den kämpfenden Männern zu Hilfe zu eilen. In der Dunkelheit war es nicht einfach, durch die zerrissenen Lavafelsen zu klettern. Ben Brighton hatte sich die Umgebung genau eingeprägt, und trotzdem mußten sie immer wieder Umwege in Kauf nehmen, weil sie nicht wußten, wie tief die Schluchten waren, die ihnen den Weg versperrten. Das Kampfgetümmel hatte inzwischen an Heftigkeit abge nommen. Es schien fast so, als sei bereits eine Entscheidung gefallen. Ben Brighton hoffte, daß Bogo und seine Männer es geschafft hatten, die spanischen Soldaten abzuschlagen. Wenn er es grob überrechnete, konnte die Stärke der spanischen Truppe nur noch knapp fünfzehn Mann betragen. Wie Ben Brighton den Seewolf kannte, hatte der sicherlich die gleiche Rechnung auf gestellt und dementsprechend die Leute eingeteilt. Ab und zu krachte ein Schuß, und eine Mündungsflamme zuckte durch die Dunkelheit. Ben Brighton fragte sich, auf was die Spanier eigentlich schossen. In dieser Dunkelheit war doch nichts zu erkennen, schon gar nicht ein Schwarzer. Vielleicht machten sie sich mit diesen Schüssen selbst Mut. Vom Rand des Plateaus aus wurde nicht ein einziger Schuß abgefeuert. Ben Brighton überlegte, ob er es wagen sollte, die Spanier von hinten anzugreifen. Er konnte dabei leicht in die Feuerlinie seiner eigenen Leute geraten. Er mußte es wagen. Er konnte die Männer am Rande des Pla teaus durch einen Ruf warnen und darauf hinweisen, daß er in den Kampf eingegriffen hatte. Die drei Schwarzen verstanden, was Ben Brighton vorhatte, und ihre weißen Zahnreihen leuchteten, als sie grinsend nick ten.
Der Bootsmann schlich voraus. Er orientierte sich nach dem letzten Mündungsblitz. Er hoffte, daß die Spanier alle zusam menhockten. Wenn sie sich über ein größeres Gelände verteilt hatten, konnte er in einige Schwierigkeiten geraten. Sie hörten Stimmen. Spanische Worte drangen an ihre Ohren, und dann krachte es wieder, und eine Mündungsflamme blitzte nur ein paar Yards vor ihnen auf. Sie erhellte die Felsbarriere, hinter der sich fast ein Dutzend spanische Soldaten verbargen, für Sekundenbruchteile. Ben Brighton packte seine Pistole fester. Er würde sie als Schlagwaffe benutzen, wenn er sie abgeschossen hatte. Sie mußten über die Spanier herfallen wie die Kastenteufel, und bevor die sich von ihrem Schrecken erholt hatten, mußten ih nen die Männer vom Plateaurand zu Hilf e geeilt sein. Ben wartete noch ein paar Minuten, bis der nächste Spanier seine Muskete abfeuerte. Wie auf Kommando sprangen die Schwarzen auf. Ben konzentrierte sich auf den Mann, der eben geschossen hatte. Er glaubte das erschrockene Gesicht des Spaniers zu sehen, aber wahrscheinlich narrten ihn die Lichtre flexe des Mündungsfeuers, die sich wie ein Echo in seinen Au gen wiederholten. Er spürte, wie seine Faust gegen etwas Hartes krachte. Ein heißer Schmerz zuckte bis zu seiner Schulter hoch. Er warf sich nach vorn, und während er brüllte: „Wir haben die Dons in der Klemme!", bohrte sich sein Knie in den Unterleib des spa nischen Soldaten. Neben Ben Brighton zuckte eine Flamme in die dunkle Nacht. Die Kugel zischte über seinen Rücken hinweg. Er hörte die Schwarzen neben sich nun ebenfalls schreien. Der Kampf war im vollen Gange. Ben feuerte seine Pistole ab. Er schoß einfach in die Luft, denn er wollte nicht irgendeinen seiner eigenen Männer treffen. Dann schwang er die Waffe herum und hieb sie dem Spanier, der seine Hände nach oben streckte und nach Bens Hals griff,
auf den Helm. Es gab einen hellen Klang. Der Helm flog zur Seite. Ben schlug abermals zu, und diesmal sackte der Spanier mit einem leisen Seufzer zusammen. Das Geschrei, das plötzlich vom Plateaurand herüberwehte, war Musik in Ben Brightons Ohren. Wie ein Berserker warf er sich in das Getümmel, das um ihn herum tobte. Kein Schuß war bisher mehr gefallen. Vielleicht hatten die Spanier ebenfalls Angst, einen der eigenen Leute zu treffen. Ben Brighton spürte eine Bewegung neben sich und packte zu. Seine Hände krallten sich in nackte Haut. Sofort ließ er wieder los und rief leise: „Brighton!" Es war höchste Zeit. Der Neger, den er gepackt hatte, wollte schon zu einem mächtigen Schlag ausholen. Dann stieß Bens Faust gegen einen Brustpanzer. Er hieb mit seiner Pistole zu und riß dem Spanier mit dem rechten Fuß die Beine unter dem Leib weg. Plötzlich zuckten Flammen auf. Ben Brighton sah, wie der Spanier unter ihm eine Pistole auf ihn richtete. Im letzten Au genblick konnte er sich zur Seite werfen. Die Kugel fuhr durch den Ärmel seiner Jacke und versengte ihm die Haut. Krachend traf der runde Knauf seiner Pistole den gepanzerten Arm des Soldaten, der die Pistole mit einem leisen Schrei fal len ließ. Bens linke Faust traf das Gesicht des Mannes. Blut schoß dem Spanier aus der Nase. Mit einem Ruck riß Ben Brighton seinem Gegner das Messer aus der seitlich hängenden Scheide und setzte dem Soldaten die Spitze an die Kehle. Der Mann erschlaffte sofort. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er Ben Brighton an. Immer mehr Fackeln beleuchteten das Geschehen. Ben Brigh ton sah, daß die spanischen Soldaten den Widerstand aufgege ben hatten. Batuti hatte sein Gesicht zu einer furchterregenden Grimasse verzerrt, und Ben vermutete, daß der schwarze Her kules die Spanier am liebsten alle massakriert hätte. Ohne den überwältigten Soldaten aus den Augen zu lassen,
erhob sich Ben. Bevor die Schwarzen Amok laufen konnten, rief er Batuti zu: „Fesselt die Dons! Aber so, daß sie nicht mal mehr ihren kleinen Finger rühren können!" Batuti begann zu grinsen. „Aye, aye!" brüllte er. „Wir wickeln ein wie Ferkel in Bana nenblätter." Die Schwarzen packten zu. Einer von ihnen griff sich den Soldaten, den Ben zu Boden geworfen hatte. Keiner der Spa nier dachte mehr an Widerstand. Zu groß war die Enttäu schung, daß sie sich von hinten hatten überrumpeln lassen. Ben Brighton zählte die Gefangenen. Es waren dreizehn. Er vermutete, daß sich noch mehr Soldaten auf dem Plateau auf hielten, und da er verhindern wollte, daß sie ihre Kameraden befreien konnten, befahl er Batuti, die Gefangenen mit hinunter an den Strand zu nehmen. Die Schwarzen gingen nicht gerade sanft mit den Spaniern um, und Ben konnte sie verstehen, als er von Batuti hörte, daß der Mann auf dem Floß an seiner Schußverletzung gestorben war. Am Fuße des Plateaus erwarteten Ferris Tucker, der Kutscher und ein paar Schwarze die Gefangenen. Ferris Tucker war froh, als er Ben Brighton bej den Männern sah. Er hatte die ganze Zeit an Ben gedacht und befürchtet, die Kanonenkugel hätte ihn zerrissen. Gemeinsam schleppten sie die Gefangenen zu der Hütte, in der die Mädchen gehaust hatten. Mit einigen Knüppeln und Brettern wurde die Tür verrammelt. Vor den anderen Hütten standen die einheimischen Spanier mit ihren Frauen und Kindern. Die Angst stand in ihren Augen. Ben Brighton ging zu ihnen hinüber und sagte ihnen noch ein mal eindringlich, daß sie nichts zu befürchten brauchten, wenn sie sich ruhig verhielten. Sollten sie allerdings versuchen, die Soldaten zu befreien, würde er seinen Männern den Befehl erteilen, ohne Rücksicht zu schießen.
Die Leute verschwanden in den Hütten. Ben ging zum Schiffszimmermann zurück. „Ist auf den Schiffen alles klar?" fragte er. Ferris Tucker nickte. „Wir warten nur noch darauf, daß die Kriegsgaleone da drau ßen in die Luft fliegt", sagte er grinsend. 5. Hasard konnte nicht die Hand vor Augen sehen. Immer wie der tippte er Blacky und Smoky an, mit dem Pullen kurz auf zuhören. Sie lauschten in die Dunkelheit. Sie hörten nichts. Verdammt, hatte er sich im Kurs so sehr geirrt? Krampfhaft schloß sich seine Hand um die Ruderpinne. Er tippte Blacky und Smoky an, die sich sofort wieder in die Riemen legten. Die schmalen langen Blätter tauchten geräuschlos in das bewegte Wasser. Hasard öffnete den Mund und streckte die Zunge heraus, um den Wind aufzunehmen, der aufgefrischt hatte und aus nördli cher Richtung wehte. Gab es hier vor der Bucht eine Strömung, die er nicht bemerkt hatte? Nach seinen Überlegungen mußten sie die Kriegsgaleone längst erreicht haben. Er hörte das leise Zischen aus dem Bug des Bootes. Blacky und Smoky hörten sofort auf zu pullen. Hasard beugte sich vor. Nur undeutlich konnte er die Umrisse von Donegal Daniel O'Flynn und Matt Davies erkennen. Dan schob sich zwischen den beiden Rudergasten hindurch und deutete mit dem rechten Arm nach Backbord. Hasard lauschte. Da! Jetzt hatte er es auch gehört. Der auffrischende Wind spielte seine leise Melodie in der Takelage, und der mächtige Rumpf des Schiffes schien mit seinem Knarren den Takt dazu zu schlagen.
Hasard legte das Ruder herum und stieß Blacky an. Blacky und Smoky pullten weiter. Die Geräusche wurden immer deut licher. Hasard vernahm das Klatschen der Wellen, die gegen den Rumpf der Kriegsgaleone schlugen. Er nahm an, daß die Spanier immer noch quer vor der Buchteinfahrt lagen, gehalten von einem Bug- und einem Heckanker. Jetzt trug der Wind auch die Geräusche aus der Bucht zu ih nen herüber. Der Seewolf zerbiß einen Fluch auf den Lippen. Hoffentlich schafften es die Männer, sich die spanischen Sol daten vom Leib zu halten. Kleine Lichtpunkte zuckten durch die Dunkelheit, aber sie waren nicht hell genug, um die Umris se der Kriegsgaleone aus der tiefen Schwärze der Nacht zu reißen. Die Geräusche der Galeone, an deren Takelage der Wind zerrte, wurden immer deutlicher. Hasard hörte die Stimmen von Männern. Wahrscheinlich beobachteten sie das Spektakel an Land. Blacky und Smoky hörten plötzlich zu pullen auf. Donegan O'Flynn hatte ihnen ein Zeichen gegeben. Ein kurzer Ruck ging durch das Boot, und Hasard befürchtete im ersten Augenblick, daß sie die Galeone gerammt hätten. Doch dann erkannte er die mächtige Trosse, an der sich Dan festgeklammert hatte. Matt Davies belegte die Vorleine des Bootes an der Trosse, Smoky und Blacky holten die Riemen ein und legten sie geräuschlos ins Boot. Hasard strengte seine Augen an. Ein paar Yards von ihnen entfernt ragte das mächtige Heck der Kriegsgaleone in den schwarzen Himmel. Die Konturen verschwammen vor Hasards Augen. Er kletterte an Blacky und Smoky vorbei über die Ducht in den Bug des Bootes und versuchte zu erkennen, ob sie an der Trosse zur Heckgalerie hinaufklettern konnten. Er flüs terte mit Dan, aber selbst der konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Ohne ein weiteres Wort schwang sich das Bürschchen über
das Dollbord und hangelte sich wie ein Affe an der dicken An kertrosse hoch. Sekunden später hatte ihn die Dunkelheit ver schluckt. Hasard fluchte über die Vorsicht der verdammten Dons. Nicht einmal in der Kapitänskammer brannte ein Talglicht. Wahr scheinlich hatten sie Angst, daß die Engländer aus der Bucht auf sie schießen würden, wenn sie durch ein Licht ihre Position verrieten. Das Boot dümpelte ziemlich stark in der kurzen Dünung. Ha sard fragte sich, wie lange die Spanier ihr Schiff noch quer zur Windrichtung vor der Bucht liegen ließen. Wenn der Wind noch mehr auffrischte, würden sie sicher den Heckanker einho len. Dan O'Flynn tauchte wie ein Gespenst aus der Dunkelheit auf. Er nickte hastig. „Kein Problem, auf die Heckgalerie zu gelangen", flüsterte er. „Aber wir müssen aufpassen. Ich habe auf dem Quarterdeck drei Dons gesehen. Sie starren zur Bucht hinüber." Hasard nickte kurz. Er gab Blacky und Smoky ein Zeichen, daß sie die Pulverfässer zum Hochhieven vorbereiten sollten. Dan war bereits wieder in der Dunkelheit verschwunden. Matt Davies folgte ihm nun, das Seil in der Hand, an dem ein Pul verfaß hing. Es gab ein leises Geräusch, als Davies mit seinem Eisenhaken gegen die Heckgalerie stieß. Sekundenlang verharrten die Männer, aber die Spanier schienen nichts gehört zu haben. Jetzt schwang sich Hasard zur Ankertrosse hinüber. Zwischen dem Boot und der Heckgalerie klammerte er sich fest, packte die Leine, die neben ihm hing, und zog zweimal daran. Sie straffte sich sofort. Hasard biß sich auf die Unterlippe, als sie durch seinen Handteller fuhr, aber er durfte nicht loslassen. Sonst fiel das Pulverfaß ins Wasser oder schlug gegen die Bordwand der Galeone. Mit einer Hand und beiden Beinen kletterte er höher. Ein Arm
streckte sich ihm entgegen und nahm ihm die Leine aus der Hand. Das Pulverfaß schwebte an ihm vorbei. Hasard ließ sich an der Ankertrosse hinunterrutschen. Dies mal nahm er drei weitere Leinen entgegen. Smoky und Blacky mußten nur noch abwarten, bis Hasard und die beiden anderen die Pulverfässer auf die Heckgalerie gehievt hatten, dann war die Reihe an ihnen. Sie hatten genaue Instruktionen, an welcher Stelle sie die restlichen vier Pulverfässer anzubringen hatten. Hasard erhoffte sich von der Explosion an der Backbordseite dicht oberhalb der Wasserlinie einen großen Erfolg, aber sicher war er nicht. Aus diesem Grund hatte er sich entschlossen, durch die Kapitänskammer in das Achterschiff einzudringen und wenn es ging, die Ruderanlage außer Gefecht zu setzen. Es klappte alles wie am Schnürchen. Nur Hasards Handfläche brannte, als hätte jemand mit einem Messer hineingeschnitten. Er verfluchte sich, daß er nicht Matt Davies die Aufgabe über lassen hatte, die Pulverfässer so lange über Wasser zu halten, bis sie von der Heckgalerie aus ohne Geräusch hochgezogen werden konnten. Matt Davies' Eisenhaken hätte es nichts aus gemacht, das gleitende Seil zu halten. Nach ein paar Minuten hatte er es endlich geschafft. Das letz te Pulverfaß schwang in der Luft und verschwand nach oben in der Dunkelheit. Hasard, der sich kaum mehr halten konnte, mußte mit der zerschundenen Hand die Trosse packen und zog sich Stück für Stück hinauf, bis er die Hände von Dan und Matt Davies vor sich auftauchen sah. Er griff zu. Langsam zogen sie ihn hoch. Mit den Füßen, die in leichten Leinenschuhen steckten, stützte er sich an der Bordwand ab. Dann stand er auf der Heckgalerie und unterdrückte mühsam das Keuchen seiner Lungen. Er brauchte eine ganze Weile, bis sich sein Atem wieder beruhigt hatte. Unter ihnen plätscherte es leise. Blacky und Smoky waren be reits am Werk.
Hasard gab Dan und Matt Davies ein Zeichen. Es wurde Zeit, daß sie handelten. Von der Bucht her waren immer noch die Geräusche von Schüssen zu hören, und auf dem Plateau blitz ten ab und zu kleine Lichtpunkte auf, die aussahen wie Wetter leuchten. Dan stand bereits an der Tür, die von der Kapitänskammer auf die Heckgalerie hinausführte. Er versuchte sie aufzudrü cken, aber sie war verriegelt. Hasard hörte, wie Dan mit dem Messer in die Ritze zwischen die beiden Türflügel fuhr und den innenliegenden Riegel hochzudrücken versuchte. Das schaben de Geräusch war deutlich zu hören. Schritte klangen auf. Die drei Männer preßten sich eng an die Wand und hielten den Atem an. Zwei Männer unterhielten sich über ihnen auf dem Achterdeck. Einer von ihnen lachte leise. Hasard überlegte schon, ob er versuchen sollte, auf die Poop zu klettern und die beiden Spanier auszuschalten. Die Dons schienen seine Gedanken erraten zu haben. Langsam entfernten sich ihre Schritte. „Los, weiter!" flüsterte der Seewolf. Dan drehte das Messer. Es knirschte leise, und dann schlug etwas gegen Holz. Der Riegel war heruntergefallen. Langsam schob Hasard die Galerietür auf. Wenn sie jetzt Pech hatten, dann schlief der Kapitän der Kriegsgaleone in seiner Koje und wachte von dem Lärm, den sie trotz aller Vor sicht verursachten, auf. Vielleicht hielt er schon seine Pistole in der Hand und wartete nur darauf, daß sich der erste Eindring ling zeigte, um ihm eine Kugel in den Wanst zu jagen. Sie konnten sich nur langsam vortasten. Hier drinnen schien es noch dunkler zu sein als draußen. Hasard hatte ein solch großes spanisches Schiff noch nie betreten, und er wußte nicht, ob die Kapitänskammer genauso eingerichtet war wie die der „Barcelona" oder der „Santa Barbara". Er stieß mit der Hüfte gegen eine scharfe Kante und konnte im letzten Augenblick einen Schmerzlaut hinunterschlucken.
Verdammt, es hatte keinen Sinn, hier im Dunkeln her umzutappen. So würden sie die Tür, die hinaus auf den Gang führte, niemals finden, ohne Lärm zu verursachen. Eine Öl lampe konnten sie nicht anzünden. Das Licht würde durch die seitlichen Fenster der Kapitänskammer fallen und sofort die Wachen an Deck alarmieren. Hasard zog eine Lunte und Flintsteine aus der Hosentasche. Es klickte leise, als er die Steine gegeneinanderschlug. Ein paar Funken sprangen auf und setzten die Lunte in Brand. Er schirmte den glimmenden Punkt mit der Hand ab. Viel konnte er immer noch nicht sehen, aber die Konturen der näheren Umgebung zeichneten sich wenigstens ab. Er konnte den große Schreibtisch rechtzeitig erkennen und entdeckte die Öllampe, die darauf stand. Er nahm sie an sich und reichte sie an Dan weiter. Im schwachen Schein der glimmenden Lunte tastete er sich weiter. Hinter sich hörte er das Schlurfen von Schritten. Matt Davies schleppte die Pulverfässer in die Kapitänskammer. Endlich hatte Hasard die Tür gefunden, die zum Gang hinaus führte. Er öffnete sie vorsichtig und fragte sich, wo der Kapitän der Kriegsgaleone steckte. Mit aller Wahrscheinlichkeit hielt er sich auf dem Quarter deck auf, und das hieß, daß er seiner Mannschaft irgendwelche Befehle gab. Wollten sie ein weiteres Boot an Land entsenden? Hasard wußte, daß er sich beeilen mußte. Wenn die Spanier abermals versuchen sollten, Seesoldaten an Land zu setzen, konnte es für ihn unmöglich werden, zurück in die Bucht zu pullen. Er schlich auf den Gang hinaus. Alles war stockdunkel. Die glimmende Lunte gab zuwenig Licht, um weiter als einen hal ben Schritt blicken zu können. Mit flüsternder Stimme gab er Dan und Matt Davies den Be fehl, drei der vier Pulverfässer in den Gang zu schaffen. Se kunden später standen die beiden neben ihm. Dan hielt ein Faß,
dessen Deckel er bereits abgenommen hatte. Hasard erkannte es erst im letzten Augenblick und zuckte mit der Lunte zurück. Ein Fluch lag auf seinen Lippen, aber er unterdrückte ihn. „Schließ die Tür!" flüsterte er. Dan stellte das Pulverfaß ab und zog die Tür leise zu sich heran. „Wo ist die Öllampe?" Hasard hielt die glimmende Lunte an den Docht. Nach einer Weile leckte die Flamme hoch. Plötzlich lag der Gang im Schein der flackenden Flamme vor ihnen. „Schnell jetzt!" sagte Hasard scharf. Dan O'Flynn und Matt Davies begannen ihre Arbeit. Sie hat ten alles genau besprochen. Hasard hielt die Öllampe in der Linken, mit der Rechten hatte er seine Pistole aus dem Gürtel gezogen. Er stand jetzt dicht an der Tür, die hinaus aufs Quar terdeck führte. Während Matt Davies ein Pulverfaß zwischen zwei Ober decksbalken mit Tampen befestigte, streute Dan eine Pulver spur zur Tür hin, neben der Hasard stand. Dort kippte er das Pulverfaß, das noch halb voll war, und keilte es fest, damit es nicht wegrollen konnte. Mit dem Pulver des dritten Fasses legte Dan weitere Spuren zu den einzelnen Kammern. Sie hatten nur knappe drei Minuten für die Arbeit gebraucht. Hasard hatte sich gerade zur Tür der Kapitänskammer zurück gezogen und wollte die Öllampe löschen, als er die Schritte und Stimmen hörte. Mit ein paar Sätzen war er zurück an der Tür zum Quarter deck. Dan und Matt Davies verschwanden in einer Kammer. Zum Glück war sie leer. Hasard hatte seine Öllampe gelöscht und stellte sie jetzt neben seinen Füßen auf die Planken. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Würden die Männer auf den ersten Blick entdecken, was hier los war? Seine rechte Hand krampfte sich um den Knauf seiner Pistole.
Er wußte, daß es jetzt um ihr Leben ging. Wenn es ihm nicht gelang, die Spanier zu überwälten und das Pulver rechtzeitig zu entzünden, war alles aus. Dann konnten sie sich höchstens selbst mit in die Luft sprengen, um ihren Kameraden in der Bucht den Fluchtweg freizumachen. Die Tür wurde geöffnet. Hasard hörte die Stimmen von drei Männern. Sie kamen ihm irgendwie bekannt vor. Die Tür wur de wieder geschlossen, und einen Moment herrschte Stille. Hasard hörte, wie Flintsteine gegeneinander geschlagen wur den. Eine kleine Flamme zischte auf und entzündete den Docht ei ner Kerze. Die kleine Flamme warf zitternde Schatten gegen die Wände. Hasard erkannte zwei der Männer, obwohl sie ihm den Rü cken zugedreht hatten. Es waren Juan Descola, der Capitan der „Barcelona", und de Pordenone, jener Spanier, der versucht hatte, die „Santa Barba ra" zurückzuerobern. Hasard fand keine Zeit mehr, sich darüber zu wundern, wie die beiden Männer an Bord der Kriegsgaleone gelangt waren. Er nahm die Bewegung des dritten Mannes, der die Kerze in der Hand hielt, aus den Augenwinkeln wahr. Der Mann hatte das Pulverfaß zwischen den Oberdecksbalken entdeckt und wirbelte blitzartig herum. Es war, als hätte er Hasards Gegen wart gespürt. Seine Hand zuckte hinunter zur Hüfte und riß den Degen aus dem Gehänge. Descola und de Pordenone reagierten nicht viel langsamer, und Hasard blieb keine andere Wahl. Der Schuß hörte sich in dem engen Gang wie die Detonation einer Fünfpfünderkanone an. Auf der Brust des Mannes, der sicher der Capitan der Kriegsgaleone war, breitete sich ein gro ßer roter Fleck aus. Seine Augen quollen hervor. Er versuchte die rechte Hand mit dem Degen zu heben, aber er schaffte es nicht mehr. Klirrend fiel die Waffe auf den Boden.
Der Capitan sackte auf die Knie. Noch immer hielt er die Kerze in der linken Hand. Er starrte Hasard an. Spanische Wor te sprudelten über seine Lippen, die von einem Blutschwall erstickt wurden. Das Gekeife von Juan Descola brachte den Seewolf wieder zur Besinnung. De Pordenone hatte ebenfalls seinen Degen gezogen und stürzte auf ihn zu. Der Seewolf schleuderte ihm die Pistole entgegen. Der Spa nier sah das Geschoß viel zu spät. Er reagierte erst, als ihn der Knauf schon an der Schläfe traf. Ohne einen Laut sackte de Pordenone zusammen. Hasard sprang vor, um dem knienden Mann die Kerze aus der Hand zu reißen, damit sie nicht auf die Pulverspur fiel. Juan Descola dachte, der Seewolf wolle ihn angreifen. Schreiend drehte er sich um und wollte flüchten. Er rannte gegen die breite Brust von Matt Davies, der blitzschnell mit seinem spitz geschliffenen Eisenhaken an der rechten Hand zupackte. Descola quiekte wie ein angestochenes Schwein. Erst als der Eisenhaken seine Haut am Hals ritzte, schwieg er. Er würgte, und die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu fallen. „Schnell, Dan!" rief Hasard. „Verkeil die Tür zum Quarter deck!" Der Junge handelte sofort. Auf dem Deck der Kriegsgaleone herrschte helle Aufregung. Laute Stimmen schrien nach dem Capitan. Dan hatte gerade den Riegel vorgelegt und war in eine der Kammern zurückgelaufen, um etwas zu holen, mit dem er die Tür richtig verschalken konnte, da rüttelten schon die ersten Fäuste an der Tür. „Zurück!" rief Hasard. „Dan, sind die Pulverspuren noch in Ordnung?" Dan O'Flynn tauchte in der Tür der Kammer auf. Im flak kernden Licht der Kerze war nicht viel zu erkennen. Der Ca
pitan der Kriegsgaleone war zur Seite gekippt. Er hatte beide Hände in die blutüberströmte Brust gekrallt. Er bewegte sich nicht mehr. Wahrscheinlich war er bereits tot. Hasard riß den bewußtlosen de Pordenone hoch und schleppte ihn in die Kapitänskammer, während Dan die Pulverspuren neu legte. Die Spanier auf dem Quarterdeck bearbeiteten die Tür mit den Kolben ihrer Musketen. Die ersten Bretter splitterten bereits. Hasard zündete mit der Kerze die Lunte des Pulverfasses an, das an der Decke zwischen den Balken hing. Dann lief er zu rück in die Kapitänskammer. Dan O'Flynn wartete schon mit einem brennenden Span in der Hand. Matt Davies hielt immer noch Juan Descola im Schwitzkas ten. „Soll ich ihn abmurksen?" fragte er grollend. Der Spanier kreischte wie ein Irrer. Er schien einige Brocken Englisch zu verstehen. „Schmeiß ihn ins Wasser", sagte Hasard. Dann wandte er sich um und befahl Dan O'Flynn, den anderen Spanier ebenfalls hinaus auf die Galerie zu schaffen, wenn die Pulverspur auf zischte. Hasard nahm dem Bürschchen den Span aus der Hand und ließ ihn auf die Pulverspur fallen. Jetzt ging es um Sekunden. Hasard hoffte, daß Blacky und Smoky ihre Arbeit inzwischen beendet hatten. Dichte Rauch wolken hingen plötzlich im Raum. Blitzschnell fraß sich die Flamme an der Pulverspur entlang, erreichte nach Sekunden die Tür zum Quarterdeck und das festgekeilte Pulverfaß. Die Detonation war fürchterlich. Die Tür der Kapitänskam mer wurde mit ungeheurer Wucht aus ihren Angeln gerissen. Holzsplitter fauchten durch die Kammer. Hasard befürchtete schon, daß auch die Ladung unter der Decke des Ganges gleich mit hochgeflogen sei, doch dann hätte der Druck sie gegen die Wände geschleudert. Er hörte die Schreie der Männer auf dem Quarterdeck, die den größten Teil der Pulverladung abgekriegt
hatten. „Verdammt, Sir! Willst du mit in die Luft fliegen?" Dan O´Flynns Stimme klang schrill. Hasard wirbelte herum. Er hörte das Klatschen im Wasser und die tiefe Stimme von Blacky, die irgend etwas brüllte. Schüsse krachten auf dem Achterdeck der Kriegsgaleone. Ü berall schien jetzt Licht zu sein. Hasard nahm Anlauf. Er hoffte, daß das Pulverfaß zwischen den Oberdecksbalken rechtzeitig explodieren würde, sonst schossen die Dons ihn ab wie auf dem Schießstand. Mit einem weiten Satz flog er über die Heckgalerie. Rasend schnell rückte das schwarze Wasser auf ihn zu, und bevor er eintauchte, sah er, wie dicht neben ihm das Wasser aufspritzte. Sie schossen auf ihn! Die Detonation, die das ganze Schiff erzittern ließ, hörte sich unter Wasser wie ein dumpfes Grollen an. Als er auftauchte, war das reinste Chaos um ihn herum. Er sah, daß das gesamte Heck der Kriegsgaleone in Flammen stand. Der Besanmast knickte langsam ab und krachte an Steuerbord ins Wasser. „Hierher, Hasard!" Er nahm die brüllenden Stimmen nur im Unterbewußtsein wahr. Er konzentrierte sich auf das Schiff, und so entdeckte er das brennende Stück Holz, das auf ihn zuflog, gerade noch rechtzeitig, um wegtauchen zu können. Etwas traf ihn an der linken Schulter. Ein dumpfer Schmerz breitete sich aus, aber er konnte den Arm noch bewegen. Wieder tauchte er auf, und diesmal sah er das Boot nur ein paar Yards von sich entfernt. Mit ein paar Armschlägen schwamm er hinüber. Blacky zerrte ihn über das Dollbord und ließ ihn einfach fallen. Im nächsten Augenblick saß er bereits wieder auf der Ducht und begann zusammen mit Smoky zu pullen wie ein Irrer. Schnell wurde der Abstand zwischen dem Boot und der Kriegsgaleone größer. Sie hielten auf die Bucht zu. Hasard
schaute sich um. Der Kampf in der Bucht schien zu Ende zu sein. Hoffentlich hatten Ferris Tucker und Ben Brighton es geschafft, die spanischen Soldaten abzuschlagen. „Vorsicht!" schrie Dan O'Flynn. „Sie wollen auf uns schie ßen!" Hasards Kopf ruckte herum. Hohe Flammen schlugen aus dem Heck der Galeone. In ihrem Licht konnte er deutlich se hen, wie sich hinter den Geschützpforten etwas bewegte. In diesem Augenblick wurde das große Schiff wie von einer unsichtbaren Faust angehoben. Auf der ihnen abgewandten Seite der Galeone stieß ein Feuerblitz in die Höhe. Ein ohren betäubender Lärm schallte zu ihnen herüber. Die Dons an den Geschützpforten wurden durcheinander gewirbelt. Ein paar von ihnen hatten ihre Kanonen noch abge feuert, aber die Kugeln flogen weit an dem Boot der Engländer vorbei. Hasard schaute auf Juan Descola und de Pordenone hinunter. Sie waren beide bewußtlos. Der kleine Giftzwerg von der „Barcelona" hatte eine mächtige Beule auf der Stirn, die sicher von Davies' Eisenfaust herrührte. Die Kriegsgaleone sackte langsam achtern ab. Hasard ver meinte das Gurgeln zu hören, mit dem das Wasser in die unte ren Räume der Galeone strömte. Die beiden Pulverfässer mußten ein ungeheures Loch in die Bordwand gerissen haben. „Gut gemacht, Blacky und Smoky", sagte er grinsend. Die Gesichter der kräftigen Männer glänzten vor Schweiß. Aus ihren Augen leuchtete der Triumph über den geglückten Überfall, Das war so recht nach ihrem Geschmack gewesen. Sie hatten den Felsen, der die Buchteinfahrt abschirmte, er reicht. Hasard schrie ein paar Worte hinauf, damit Ben Brigh ton oder die Schwarzen, die noch oben waren, ihnen nicht eine Ladung Eisenstücke um die Ohren bliesen. Aber er erhielt kei ne Antwort. Dort oben auf der Felsklippe blieb alles ruhig. „Alle drei Schiffe stehen schon unter Segel!" rief Dan
O´Flynn jubelnd. „Sie haben es geschafft! Mann, wir können aus dieser verdammten Bucht abhauen!" Stimmen hallten durch die Nacht. Hasard grinste erleichtert, als er das mächtige Organ von Ferris Tucker hörte. „Was ist mit Ben?" schrie er den Schiffen entgegen. „Ich bin auf der ,Santa Barbara'!" Hasard atmete auf. Ben war also in Ordnung. „Rudert zur Karacke hinüber", sagte Hasard zu Blacky und Smoky. „Wir wollen Bogo und seinen Männern ein Geschenk überreichen." Er blickte auf die beiden spanischen Kapitäne hinunter, De Pordenone kam in diesem Augenblick zu sich. Er schüttelte verwundert den Kopf, und als er sah, wo er sich befand, wollte er sich einfach über Bord werfen. Matt Davies hielt ihn mit seinem Eisenhaken zurück. „Hiergeblieben!" sagte er knurrend. „Unsere schwarzen Freunde warten schon auf euch!" Die „Barcelona" und die Karacke lagen dicht beieinander. Hasard rief nach Batuti, der sich darauf von der „Barcelona" mit einem Tau auf die Karacke hinüberschwang. Hasard blieb im Boot, als die Schwarzen die beiden spanischen Kapitäne an Bord hievten. Hasard erklärte Batuti, daß die Dons seine Brü der zurück nach Westafrika bringen sollten. Wenn sie das Schiff irgendwo anders hinsteuerten, sollten sie ihnen die Keh le durchschneiden. Wenn sie aber in ihrer Heimat angelangt seien, sollten sie ihnen das Leben schenken. Batuti erklärte Bogo die Worte Hasards. Er nickte eifrig und schaute die beiden Kapitäne, die inzwischen an den Großmast gefesselt worden waren, grinsend an. Hasard und seine Männer legten von der Karacke ab und schwangen sich an Bord der „Barcelona". Hasard rief zur „San ta Barbara" hinüber, daß Ben Brighton den Dons noch erklären solle, was ihnen bevorstünde, wenn sie ihren Auftrag nicht richtig ausführten, und Ben Brighton steuerte die „Santa Barba
ra" beim Auslaufen aus der Bucht an die Karacke heran und erklärte den Kapitänen, weshalb sie auf die Karacke gebracht worden seien. Juan Descola fluchte ununterbrochen, während de Pordenone kein Wort sagte. Erst als Bogo ihm ein Messer an die Kehle hielt, schwieg Juan Descola. Es sah aus, als ob er den Verspre chen der Schwarzen keinen Glauben schenkte. Ben Brighton zuckte mit den Schultern. Es war nicht seine Sache. Hasard war froh wie alle seine Leute, daß er die Bucht end lich verlassen konnte. Draußen brannte die havarierte Galeone. Die Flammen schlugen inzwischen schon durch die Planken des Quarterdecks und leckten an den geteerten Wanten des Großmastes empor. Der kräftige Wind, der aus nördlicher Richtung blies, trieb die drei Schiffe schnell aus der Bucht. Die Galeonen hatten nur das Großsegel und die Fock gesetzt. Um außerdem noch mit Mars segeln zu fahren, waren die Galeonen zu schwach besetzt. Hasard jagte Ferris Tucker und drei weitere Männer an die Backbordkanonen der „Barcelona". Er glaubte zwar nicht, daß die Spanier in Anbetracht ihres brennenden Schiffes noch dar an dachten, die zwei Galeonen und die Karacke zu beschießen, aber sicher war sicher. Eine Kabellänge von der Kriegsgaleone entfernt segelten sie aufs offene Meer hinaus. Sie sahen, wie die spanischen Seesol daten Boote zu Wasser ließen. Auf der Back stand ein Mann, der wild gestikulierte. Durch seinen Kieker konnte Hasard das verzerrte Gesicht des Mannes erkennen. Er schien Befehle an seine Mannschaft zu geben. Dan O'Flynn, der neben Hasard stand, holte tief Atem. „Die wollen doch nicht etwa ..." Die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er sah, wie ein paar der schweren Zwölf pfünder auf die davonsegelnden Galeonen gerichtet wurden. „Ferris!" brüllte Hasard über das Deck. „Jag ihnen ein paar Kugeln hinüber, damit sie endgültig die Lust verlieren, auf uns
zu schießen!" „Aye, aye!" Ferris Tucker hatte die brennende Kriegsgaleone bereits anvisiert. Nacheinander hielt er einen brennenden Span an die Zündlöcher der Kanonen. Brüllend entluden sich die Geschütze. Die Decksplanken der „Barcelona" erzitterten unter den polternden Rädern der Lafetten. Dichter Qualm hüllte die Männer auf dem Deck ein. Hasard beobachtete die Kriegsgaleone durch seinen Kieker. Er sah, daß Ferris Tucker ziemlich hoch gehalten hatte. Die beiden ersten Kugeln zischten wirkungslos durch die Takelage der Galeone, die achtern immer mehr wegsackte. Noch konnte sie aber ihre Zähne zeigen und zubeißen. „Verdammt, halt ein bißchen tiefer!" rief Hasard zum Mittel deck hinunter, wo die Männer die erste Kanone bereits wieder nachluden. In diesem Moment hörte Hasard das Krachen. Er blickte wie der zur Kriegsgaleone hinunter. Er sah, wie sich der Großmast unendlich langsam nach Steuerbord neigte. Das Splittern des Mastes übertönte sogar das Prasseln des Feuers, das mit unge heurer Gewalt auf dem Achterdeck wütete. Hasard sah, wie lange Feuerzungen aus den Stückpforten der Kriegsgaleone leckten. Unwillkürlich zog er die Schultern ein. Wenn die Kugeln trafen, hatten sie nichts zu lachen. Auf diese Entfernung waren die Zwölfpfünderkugeln verheerend. Er atmete auf, als er sah, daß die Kugeln etwa dreißig Yards vor der „Barcelona" ins Wasser schlugen. Hohe Fontänen spritzten hoch. Der Mast der brennenden Kriegsgaleone krach te endgültig zusammen und fiel an Steuerbord ins Wasser. Die Toppstenge zerschlug ein Boot, in das sich gerade ein paar Spanier hatten hineinziehen wollen. Es versank sofort in den Fluten. Der Verlust des Hauptmastes hatte den Dons endgültig den Rest gegeben, Hasards Männer jubelten, als immer mehr Dons ins Wasser sprangen, um sich schwimmend ans Ufer zu retten.
Sie waren schon fast eine Meile entfernt, als eine riesige Exp losion die Luft erzittern ließ. Der Brand hatte die Pulverkam mern der Kriegsgaleone erreicht. Das Schiff wurde förmlich in Stücke gerissen, und wer von den Spaniern noch nicht weit genug von der Galeone entfernt gewesen war, den hatte es si cher mit in die Tiefe gerissen. Hasard drehte sich um und blickte zur „Santa Barbara" und zur Karacke hinüber. Er segelte die „Barcelona" dichter an die „Santa Barbara" heran und rief durch den brausenden Wind Ben Brighton zu, daß sie die Karacke noch ein Stück südwärts begleiten wollten. Wahrscheinlich gehörte die Kriegsgaleone, die dort hinten vor der Bucht von Punta Lagens explodiert war, zu einer Flota, die sich auf der Heimreise nach Spanien befand. Sie hatte wohl die Rauchfahne des Feuers gesehen, das die ausgesetzten Spanier auf Corvo entfacht hatten. Hasard nahm an, daß der Capitan den Auftrag erhalten hatte, nachzusehen, was die Rauchfahne zu bedeuten hatte. Er hatte die Spanier an Bord genommen und war nach Flores gesegelt, um die Englän der zu schnappen, die dort vor Anker lagen. Hasard hatte keine Lust, mit seinen beiden unterbemannten Galeonen einer spanischen Flota in die Arme zu segeln. Lieber steuerte er noch ein paar Tage nach Süden und paßte auf, daß die spanischen Kapitäne Juan Descola und de Pordenone den richtigen Kurs hielten. 6. Den ganzen nächsten Tag und die darauffolgende Nacht steu erten die „Barcelona" und die „Santa Barbara" noch südlichen Kurs. Bogo, Onoba und Tarim waren froh darüber. Langsam verloren die Schwarzen ihre Furcht vor den beiden Spaniern. Sie hatten sie aufs Quarterdeck gebracht. Der braungebrannte de Pordenone mit der Adlernase und dem
Bärtchen auf der Unterlippe stand an der Quarterdecksreling. Er schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Er unterhielt sich mit Bogo. Die beiden Männer redeten haupt sächlich in Zeichensprache. De Pordenone hatte wohl den Ein druck gewonnen, daß die Schwarzen es mit ihrem Versprechen ernst meinten. Des kleine Giftzwerg Juan Descola war am Besanmast fest gezurrt. Der Stinkstiefel mit dem gelblichen Gesicht und sei nem martialischen Knebelbart war sich wohl darüber im klaren, daß er auf dieser Reise nichts zu lachen hatte. Zu sehr hatte er die gefangenen Schwarzen gequält und ihren Stolz ver letzt. Noch immer hing seine Kleidung voll von dem Speichel der Frauen, die ihn angespuckt hatten, als er noch an den Hauptmast gefesselt gewesen war. Nur der Fürsprache de Por denones hatte er es zu verdanken, daß er aufs Quarterdeck ge holt worden war. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang verständigte sich Hasard mit Ben Brighton, daß es an der Zeit war, auf östlichen Kurs zu gehen. Sie gaben Zeichen an die Karacke, und nachdem man einander noch einmal zugewinkt hatte, wurden auf den beiden Galeonen die Rahen gebraßt und die Schiffe auf den neuen Kurs gebracht. Die Segel der Karacke blieben rasch zurück. Hasard konnte nur hoffen, daß de Pordenone die Schwarzen heil in ihre Heimat zurückbrachte. Hasard ging in die Kapitänskammer und legte sich in seine Koje. Die ganze Nacht über hatte er auf dem Deck gestanden. Wenn irgend etwas Außergewöhnliches geschah, würde Ferris Tucker ihn wecken. Das Wetter meinte es gut mit ihnen. Der steife Wind blies aus Nordwest. Die beiden Galeonen liefen gute Fahrt, obwohl sie nur das Großsegel und die Fock gesetzt hatten. Der Wind kam achterlicher als dwars, und sie segelten raumschots mit Back bordhalsen. Hasard schlief gerade ein, als er den Lärm von Deck hörte.
Erschrocken sprang er auf und knallte mit dem Kopf gegen die Kojendecke. Fluchend rollte er aus der Koje. In diesem Moment wurde die Tür zur Kammer aufgerissen. Ferris Tuckers breite Figur füllte den Rahmen aus. Der rothaa rige Riese fluchte unterdrückt. „Die Kerle sind verrückt", sagte er knurrend. „Kaum warst du unter Deck, da haben sie sich Matt Davies geschnappt und ihn auf die Gräting gebunden. Sie wollen ihm zwanzig Schläge mit der Siebenschwänzigen überziehen, weil er in der Nacht, als die Spanier mit der Kriegsgaleone auftauchten, als einziger bei den Weibern war, während alle anderen wie die Irren geschuf tet haben." Hasard grinste. Er dachte an die wutverzerrten Gesichter von Blacky und Smoky, als sie losgerudert waren, um die Kriegs galeone in die Hölle zu blasen. Er konnte die Männer gut ver stehen. Matt Davies hatte seine Strafe verdient. Doch andererseits waren sie sowieso hoffnungslos unterbesetzt, und wenn Davies jetzt zwanzig Hiebe übergezogen kriegte, war er die nächsten drei Tage an Deck nicht mehr zu gebrauchen. Das konnten sie sich nicht leisten. Wenn ein spanisches Schiff auftauchte, brauchten sie jeden Mann. Hasard schüttelte den Kopf. „Er hat es verdient", sagte er, „aber zwanzig sind zuviel. Bla cky soll ihm fünf geben, das genügt." Er wollte sich in die Koje zurücklegen, aber Ferris Tucker schüttelte den Kopf. „Du solltest an Deck gehen. Wenn du dabei bist, wird es kei nen Krawall geben." Hasard nickte. Seufzend erhob er sich und zog den Hosengür tel stramm. Der Wind pfiff ihm um die Ohren, als er das Deck betrat und zur Quarterdecksreling hinüberging. „Nur fünf Hiebe, Blacky!" sagte er scharf. Er sah, wie Matt Davies, der flach auf der Gräting lag, zur
Seite ausspuckte. Wahrscheinlich wollte er damit andeuten, daß diese fünf Schläge für ihn nicht mehr waren als ein Mü ckenstich. Blacky schien das gleiche zu denken. „Und hinterher kriegt er noch 'ne Extraration Wein, wie?" sagte er grollend. „Nur fünf, verstanden?" Hasard schnitt Blackys Worte mit ei ner Handbewegung ab. „Los, fang an." Blacky starrte Hasard eine Weile wütend an, dann drehte er sich um und ließ die Lederstriemen auf den blanken Rücken von Matt Davies sausen. Es klatschte, und Davies' Körper bäumte sich ein wenig auf, aber kein Laut des Schmerzes drang über seine Lippen. 7. Beim zweiten Schlag platzte die braungebrannte Haut. Blut fäden rannen die Wirbelsäulenwölbung hinab. Blacky schlug zum drittenmal zu. Diesmal konnte Matt Davies ein leises Stöhnen nicht verhindern. „Ha, du alter Hurenbock!" schrie Blacky. „Ich werde dir zei gen, was es heißt, deine Kameraden in die Pfanne zu hauen!" Wieder klatschte das Leder auf den blutenden Rücken. Hasard sah bewegungslos zu. Für ihn war das Schauspiel nichts Neues. Auf den Schiffen seines Alten gehörten solche Disziplinarstrafen zum normalen Arbeitstag. Hasard hatte schon miterleben müssen, wie bärenstarke Männer förmlich zu Tode gepeitscht wurden. „Schluß jetzt!" sagte Hasard scharf, als Blacky zum sechsten Mal zuschlagen wollte. „Bindet ihn los und bringt ihn unter Deck. Ferris, für alle Männer eine Kanne Wein. Ob Davies etwas kriegen soll, bleibt den Männern überlassen." Hasard sah, wie Dan O'Flynn und Batuti die Fesseln des Aus
gepeitschten lösten. Matt Davies war wirklich ein harter Brocken. Er richtete sich sofort auf und schüttelte seinen stiernackigen Schädel. Er tau melte etwas, als er sich erhob, doch nach Sekunden stand er bereits wieder fest auf seinen stämmigen Beinen. Hasard drehte sich um und ging zur Kapitänskammer zurück. Er grinste, als er die lauten Worte von Davies hörte. „Die Schläge verdaue ich, Blacky, aber wenn du mir die Kanne Wein verweigerst, dann werde ich dir mit meinem Ha ken die Nase aus dem Gesicht reißen!" Brüllendes Gelächter folgte. Hasard vermutete, daß Blacky und Matt Davies sich jetzt gegenseitig auf die Schultern klopf ten. So waren diese Männer nun einmal. Jemand hatte sich ge gen seine Kameraden gestellt und war dafür bestraft worden. Hinterher war die Sache schnell vergessen, und man war wie der eine Mannschaft, die zusammen dem Teufel den Schwanz ausriß. Hasard ließ sich auf sein Lager fallen. Nur noch im Halb schlaf hörte er die brüllenden Stimmen der Männer, die sich ihren Wein von Ferris Tucker holten. „Mit dem Seewolf bis in die Hölle!" schrie einer, und die an deren stimmten ein. Hasard grinste, und er wäre nicht ehrlich gewesen, hätte er behauptet, daß diese Worte ihn nicht gefreut hätten. Es war noch nicht lange her, da war er für diese Männer nichts weiter als ein grüner Junge gewesen, mit dem sich ein echter Seemann die Nase abputzen konnte, und jetzt schien es, als hätte ihn auch der sturköpfigste Kerl unter ihnen akzeptiert. Sie hatten den zwanzigsten Längengrad überschritten. Der steife Wind hatte vollends auf West gedreht. Die beiden Ga leonen segelten dicht zusammen auf nordöstlichem Kurs. Beide Schiffe wurden auch weiterhin nur mit Großsegel und Fock gefahren. Dementsprechend langsam waren sie. Die „Barcelona" lag höher im Wasser als die „Santa Barbara",
da sie keine Ladung an Bord hatte. Sie war schwieriger zu handhaben als die „Santa Barbara", aber sie war auch um eini ges schneller. Ab und zu mußte Hasard die Fock backbrassen lassen, damit die „Santa Barbara" wieder heranschließen konn te. „Segel Backbord voraus!" Hasard konnte die Worte, die der Ausguck im Großmars von Ben Brightons Galeone gerufen hatte, nur undeutlich verste hen, aber er erfaßte sofort, was sie zu bedeuten hatten. Land war nirgends in der Nähe. Also konnte der Mann, es war der blonde Jim Maloney, nur ein anderes Schiff entdeckt haben. Hasard drehte sich zu Ferris Tucker um, der hinter ihm auf dem Quarterdeck stand. „Gib mir den Kieker, Ferris", sagte er. „Verdammt, meinst du, das ist..." Hasard unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung. „Wer weiß, wie lange die Dons bei den Bermudas vor Anker gelegen haben", sagte er. „Möglich ist alles." Er nahm dem Schiffszimmermann den Kieker aus der Hand und ging aufs Mitteldeck hinab, um an den Wanten zum Großmars hinaufzuklettern. Im stillen hoffte er immer noch, daß es sich um ein einzelnes Schiff handelte, das der Ausguck der „Santa Barbara" entdeckt hatte, doch Jim Maloney schrie sich die Kehle heiser. Hasard brauchte sich darüber nicht mehr lange zu wundern. Er setzte den Kieker an die Augen und ließ ihn über die nördli che Kimm wandern. Wohin er auch schaute - überall sah er Segel und Mastspitzen. Der Seewolf blieb ruhig. Es hatte keinen Sinn, jetzt in Panik zu geraten. Der Weg nach Norden war ihnen durch den riesi gen Geleitzug, der auf dem Weg in seine Heimat Spanien war, abgeschnitten. Ein leises Kribbeln lief Hasard über den Rücken, als er sah, daß mindestens zehn bis an die Zähne armierte Kriegsgaleo
nen um den Geleitzug herumwimmelten. Zwei Möglichkeiten gab es. Sie konnten versuchen, den Spa niern zu entwischen, denn der Geleitzug fuhr so langsam wie sein langsamster Fahrer. Das hieß aber, daß sie vor dem Wind segeln mußten, und das hätte sie sehr schnell unter die spani sche Küste gebracht. Die zweite Möglichkeit war, die Spanier zu täuschen und im Geleitzug mitzufahren. In der Nacht konnten sie dann ihre Chance suchen, aus dem Verband auszubrechen und nach Nor den zu entfliehen. Hasard winkte zur „Santa Barbara" hinüber. Ben Brighton, der auf dem Achterdeck stand, winkte zurück und brüllte ein paar Befehle. Langsam schob sich die „Santa Barbara" dichter an die „Barcelona" heran. Hasard kletterte inzwischen hinunter und begab sich aufs Quarterdeck. „Laß dich zu uns rüberpullen!" schrie er gegen den steifen Wind hinüber. Wenig später wurde an der Steuerbordseite der „Santa Barba ra" ein Boot abgefiert. Ben Brighton und zwei Männer kletter ten über eine Jakobsleiter hinunter. Hasard erkannte Lewis Pattern, den dicken Segelmacher, und den Schweden Stenmark. Mit kräftigen Schlägen pullten die beiden das Boot zur „Bar celona" herüber. Hasard schickte Dan O'Flynn in den Groß mars. Er sollte ihn warnen, wenn eins der Kriegsschiffe Kurs auf sie nahm. Blacky half Ben Brighton an Bord. Dann hievten ein paar Männer das Boot an Deck, während Hasard mit Ben Brighton und Ferris Tucker hinunter in die Kapitänskammer ging. Hasard kam sofort zur Sache. „Wir haben keine andere Wahl, als im Geleitzug mitzuse geln, Ben", sagte er. „Und dazu brauche ich dich hier an Bord der ‚Barcelona‛. Sicher wird man uns fragen, woher wir kom men. Du bist lange genug auf einem Spanier gefahren, um die
richtigen Antworten geben zu können." Ben Brighton nickte. „Die ganze Sache gefällt mir gar nicht", sagte er. „Wir sollten die ,Santa Barbara‛ sausen lassen, die Männer herüberholen und uns nach Süden verdrücken." Hasard ruckte herum. „Und die Ladung der ,Santa Barbara‛?" fragte er scharf. „Würdest du Kapitän Drake mit leeren Händen unter die Au gen treten, nachdem er dir eine Prise anvertraut hat?" Ben Brighton schüttelte den Kopf. „War nicht so gemeint, Hasard", sagte er. „Es ist nur ein höl lisches Ding, in einem spanischen Geleitzug mitzufahren. Wenn sie merken, daß wir Engländer sind, werden sie uns an en Rahen aufbaumeln!" „Wir müssen es riskieren", sagte der Seewolf verbissen. Er schüttelte den Kopf. Nein, er konnte die „Santa Barbara" nicht einfach aufgeben. Drake hatte ihm die Prise anvertraut, und er, Hasard, war dafür verantwortlich, daß sie sicher im Hafen von Plymouth landete. Vielleicht würde Drake es ihm nicht einmal übelnehmen, wenn er erfuhr, in welch einer Situation Hasard ein Schiff aufgegeben hätte, aber Hasard selbst hätte es sich niemals verziehen. Wenn er die „Santa Barbara" nicht nach England brachte, war er ein Versager. „Ferris", sagte er, „du läßt dich von Stenmark und Pattern zur ,Santa Barbara' hinüberpullen. Setz die spanische Flagge und sag Stenmark, er soll sich seine verdammten blonden Haare mit Teer einschmieren, damit man ihn für einen Don hält. Das gilt auch für Jim Maloney und alle anderen Männer. Ihr werdet genügend Klamotten an Bord finden, mit denen ihr euch wie echte Dons verkleiden könnt." Ferris Tucker fuhr sieh mit seiner linken Hand durch die bors tige rote Mähne. Hasard grinste. Ihm fiel etwas ein. Er hatte doch in der großen Truhe, die neben der Koje stand ...
Er ging hinüber, öffnete den Deckel und zog grinsend eine lo ckige schwarze Perücke hervor. Ferris Tucker riß den Mund auf und vergaß, ihn wieder zu schließen. „Nein, Sir", sagte er heiser. „Das kannst du nicht von mir ver langen. Die Männer werden sich die Bäuche halten vor Lachen. Ich werde zum Gespött aller englischen Seeleute!" „Das ist noch nicht alles, Ferris", sagte Hasard, der sich ein Lachen kaum verkneifen konnte. „Mit deinen Klamotten siehst du wirklich nicht wie ein Capitan aus." Er zog eine betreßte Montur aus der Truhe und hielt sie in die Höhe. Wußte der Teufel, wem sie einmal gehört hatte. Dem Giftzwerg Jun Descola auf keinen Fall. Der hätte zwei mal in die Hose hineingepaßt. Ferris Tucker erklärte sich nach einigem Hin und Her bereit, die Sachen zu probieren. Sie paßten nur knapp. Tuckers Schul tern schienen die Nähte der Jacke sprengen zu wollen. „Die Perücke, Ferris", sagte Hasard sanft, als sich der Schiffszimmermann in seiner neuen Montur aus der Kammer schleichen wollte. Tucker stöhnte. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimas se. Doch dann riß er Hasard die Lockenperücke aus den Hän den und stülpte sie sich über den Kopf. Ben Brighton, der die ganze Zeit kein einziges Wort gesagt hatte, konnte sich nicht mehr beherrschen. Er prustete los. „Beim dreimal verfluchten Klabautermann!" brüllte Ferris Tucker. „Warum muß er nicht einen solchen Mop aufsetzen?" „Wir haben keine roten Haare, Ferris", sagte Hasard grinsend. „Wir sehen auch so von weitem wie Dons aus." Ferris Tucker drehte sich wütend herum und stiefelte aus der Kammer und den Gang entlang hinaus aufs Quarterdeck. Am Niedergang zum Mitteldeck blieb er stehen und starrte die Männer der „Barcelona" wütend an. Blacky, Smoky und die anderen standen mit offenem Mund
da. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie Ferris Tucker erkann ten. „Das - das - das ist doch ...", stotterte Matt Davies. Sie brüllten alle auf einmal los. Blacky schlug sich auf die Schenkel. Der Kutscher kicherte in seinem hohen Diskant. „Ruhe, ihr Bastarde!" Ferris Tuckers Gesicht war rot angelau fen. „Ich werde euch mit der Peitsche übers Deck jagen, wenn nicht jeder von euch innerhalb einer Minute wie ein Don aus sieht, verstanden?" Blacky trat ein paar Schritte vor und wackelte dabei mit den Hüften. „Haben Sie für mich nicht auch so eine feine Lockenpracht, Sir?" fragte er und spitzte beim Sprechen die Lippen. Ferris Tucker begann zu kochen. Er riß einen Belegnagel aus der Quarterdecksbrüstung und schleuderte ihn auf Blacky, der erst im letzten Moment dem Geschoß ausweichen konnte. „Schluß jetzt, Leute!" befahl Hasard laut. „Tut, was Ferris euch gesagt hat. Wir werden mit dem Geleitzug segeln, und dazu müßt ihr wie Dons aussehen. Ihr wißt, was euch erwartet, wenn uns die Spanier erwischen." „Aye aye!" Die Männer verschwanden unter Deck. Sie wußten, daß ihnen ein paar harte Stunden bevorstanden, in denen es buchstäblich um ihr Leben ging, wenn sie nicht gut genug schauspielerten. Die Männer mit hellen Haaren rieben sich Teer und Asche in die Haare. Sie zogen die Sachen der Spanier an, die sich noch fanden, und nach wenigen Minuten standen sie wieder an Deck. Ferris Tucker und die beiden Rudergasten pullten bereits wieder zur „Santa Barbara" hinüber. „Eine Kriegsgaleone hält auf uns zu!" Der Schrei aus dem Großmars ließ die Männer zusammenzu cken. Schnell und scharf erfolgten Hasards Befehle. Dan O'Flynn schwang sich über die Wanten nach unten und nahm wie die anderen Männer seinen Platz ein, nachdem auch er sei
ne blonden Haare mit Teer schwarz gefärbt hatte. Hasard hoffte, daß der spanische Kommandant kein zu schar fer Hund war. Er ahnte, welche Schwierigkeiten er ihnen berei ten konnte. Wenn er annahm, daß sie auf eigene Faust aus der Neuen Welt zurück nach Spanien gefahren waren, würde er sie vielleicht alle in Ketten legen lassen. Und eins war sicher: Wenn auch nur ein Spanier die Decks der „Barcelona" oder der „Santa Barbara" betrat, waren Hasard und seine Männer verlo ren. Die Flotte, die Hasard jetzt deutlich mit bloßem Auge erken nen konnte, bestand aus mindestens achtzig Schiffen. Hasard kannte das spanische Dekret aus dem Jahre 1561, das es den Kapitänen verbot, allein über den Atlantik zurück in die Hei mat zu segeln und somit den immer frecher werdenden Korsa ren und Piraten Gelegenheit zu geben, das Schiff zu kapern. Die riesigen Flotten, die das Gold und das Silber aus der Neuen Welt transportierten, wurden meistens in Havanna zusammen gestellt und segelten dann über die Azoren ostwärts mit dem traditionellen Zielhafen Sevilla, wo die Casa de Contratacion die unermeßlichen Schätze in ihrem Goldturm hortete. Die Kriegsgaleone war von der gleichen Größe wie das Schiff, das Hasard vor der Bucht von Punta Lagens in die Luft gejagt hatte. Sie hatte vierundzwanzig Zwölfpfünder und acht zehn Fünfpfünder an Bord, die auf zwei Decks verteilt waren. Eine Breitseite dieser Galeone konnte die „Barcelona" in ihre Bestandteile zerlegen. Hasard sah das wütende Armwinken des Kapitäns auf der Poop der Kriegsgaleone. Wie ein gereizter Schwan rauschte das Schiff heran. Als es eine Halse fuhr, um auf Parallelkurs mit den beiden kleinen Galeonen zu gehen, sah Hasard den Namen des Schiffes, der mit großen goldenen Lettern auf der Heckgalerie stand. Es war die „Cartagena". Hasard wartete, bis sich die Kriegsgaleone bis auf fünfzig Y ards genähert hatte. Er schob Ben Brighton vor, als er sah, daß
der spanische Kapitän sich anschickte, etwas zu ihnen herüber zurufen. Der Wind trug die Worte deutlich zu ihnen herüber. „Was will er?" fragte Hasard und sprach unwillkürlich leise. „Er will wissen, woher wir kommen und welche Ladung wir an Bord haben." „Antworte ihm, bevor er mißtrauisch wird", sagte Hasard has tig. „Du weißt, was du ihm zu erzählen hast!" Ben Brighton mußte laut brüllen, denn die Kriegsgaleone lag in Luv. Vielleicht war das ihr Glück, denn der Wind verzerrte Bens Worte. Er schrie hinüber, daß sie von Afrika heraufsegel ten und Gewürze und Seidenstoffe aus Asien an Bord hätten. Hasard schwitzte Blut und Wasser. Der Kapitän der Kriegsga leone fragte Ben Brighton Löcher in den Bauch. Die Namen der Kapitäne? Ben brüllte hinüber, daß die „Barcelona" unter dem Kommando von Juan Descola, die „Santa Barbara" unter dem des Kapitäns de Pordenone stünde. Zielhafen? Cartagena. Hasard sah, wie sich Ben Brightons Gesicht zu einem schma len Grinsen verzog, als der spanische Kapitän einen längeren Sermon herüberrief. „Was hat er gesagt?" fragte Hasard. „Er meinte, wir hätten Glück gehabt", sagte Ben Brighton, ohne die Lippen zu bewegen. „Sie hätten vor zwei Tagen süd lich von Terceira Piraten gesichtet. Wahrscheinlich verfluchte Engländer." Hasard blieb ernst. Das war wahrscheinlich Drake mit der „Marygold" gewesen, der dort auf der Lauer gelegen hatte. Vielleicht hatte er sogar versucht, sich aus dem Geleitzug einen fetten Happen herauszuholen. Drake war alles zuzutrauen. Wieder rief der Kapitän der Kriegsgaleone etwas herüber. Hasard befürchtete schon, daß er beabsichtigte, ein Boot zur „Barcelona" hinüberzuschicken, denn ein paar Spanier hantier
ten an der Barkasse, die auf dem Mitteldeck stand. Ben Brighton antwortete auf die Worte des Spaniers mit ei nem kurzen: „Si, capitan!" Dann begann er plötzlich, in Spa nisch Befehle über Deck zu schreien. Die Männer glotzten ihn an, als hätte er sich in den Klabautermann verwandelt. Zi schend gab er die Anweisungen in Englisch an Hasard weiter. „Wir sollen mit dem Geleitzug bis nach Cadiz fahren. Befehl des Admirals. Außerdem sollen wir alle Segel setzen, damit wir die Geschwindigkeit der anderen Schiffe halten können," Hasard begriff sofort. Da er die Befehle zum Setzen der Marssegel nicht laut über Deck brüllen konnte, sprang er den Niedergang zum Mitteldeck hinunter und trieb die Männer lei se an. Er selbst kletterte mit Dan O'Flynn und Batuti in den Großmast. Sie arbeiteten wie die Irren. Hasard warf einen kur zen Blick zur „Santa Barbara" hinüber. Ferris Tucker hatte schnell geschaltet. Seine Männer befan den sich ebenfalls auf den Rahen und setzten die Marssegel. Wie der Blitz war Hasard wieder an Deck, um den anderen zu helfen, die Rahen zu brassen und die Schoten dichtzuholen. Es war keine leichte Aufgabe für eine so kleine Crew, eine Galeo ne unter vollem Zeug zu segeln. Der spanische Kapitän schrie wieder etwas, und es klang ziemlich verärgert. Ben Brighton beugte sich über die Quart erdecksbrüstung und rief Hasard leise zu: „Er will das Latei nersegel am Besan auch noch sehen, der verfluchte Hund!" Hasard jagte mit Batuti aufs Quarterdeck. Ben Brighton woll te mit anfassen, aber Hasard jagte ihn zurück an die Reling. Um keinen Preis durfte der Spanier merken, daß sie unterbe mannt waren, denn dann würde der Kapitän sofort ein paar Leute übersetzen lassen, die ihnen helfen sollten, die Schiffe heil in die Heimat zu bringen. Und sobald der erste spanische Seemann seinen Fuß an Bord der „Barcelona" oder der „Santa Barbara" gesetzt hatte, würde er merken, was hier gespielt wurde.
Minuten später blähte sich das Lateinersegel im Wind. Der Spanier schien zufrieden, als auch auf der „Santa Barba ra" das Besansegel gesetzt worden war. Die Kriegsgaleone entfernte sich langsam, blieb aber in Büchsenschußweite und führte die beiden Galeonen zum Geleitzug. Hasard achtete darauf, daß er der „Santa Barbara" nicht da vonlief. Die Kriegsgaleone segelte jetzt weit voraus, um wieder den Schutz der südlichen Flanke zu übernehmen. Die „Barce lona" und die „Santa Barbara" hängten sich an den Schluß des Geleitzuges, der aus sechsundachtzig Handelsgaleonen bestand - fetten Happen, die der Seewolf am liebsten einen nach dem anderen gekapert hätte. 8. Die Sonne stand als riesiger glutroter Ball über der westlichen Kimm. Die „Barcelona" und die „Santa Barbara" segelten im mer noch dicht nebeneinander am Tampen des Geleitzuges. Hasard wartete auf die Nacht. Es mußte ihnen gelingen, aus dem Geleitzug auszubrechen, wenn sie im Hafen von Cadiz oder Sevilla nicht von den Spa niern aufgeknüpft werden wollten. Hasard sah, wie Ferris Tucker auf der Poop der „Santa Barba ra" sich dauernd am Kopf kratzte. Wahrscheinlich verfluchte er die Perücke, unter der er sicher schwitzte. Sie hatten sich mit Zeichen verständigt. Tucker wußte, daß sie nach Norden ab drehen sollten, wenn Hasard auf der „Barcelona" dreimal mit dem Knauf seines Degens gegen die Kanone auf dem Quart erdeck schlug. Hasard blickte in die Takelage hinauf. Sie hatten bisher keine Schwierigkeiten mit den Segeln gehabt. Der Wind blies noch immer mit gleichbleibender Stärke aus West. Nur selten muß ten die Männer die Segel neu trimmen.
Mit zusammengepreßten Lippen beobachtete Hasard, wie die letzten Wolken, die die Nächte zuvor den Himmel verdunkelt hatten, zerrissen und sich langsam auflösten. Die breite Sichel des zunehmenden Mondes stand bereits am roten Himmel. Es würde nicht einfach sein, unbemerkt zu entwischen, denn in einer sternklaren Nacht und bei Mondschein konnte man die Segel eines Schiffes noch auf zwei Seemeilen erkennen. Und es war die Frage, ob die Begleitschiffe die „Barcelona" und die „Santa Barbara" überhaupt so weit vom Geleitzug abfallen las sen würden. Hasard hörte die Stimmen seiner Leute vom Mitteldeck. Er grinste. Ben Brighton versuchte den Kerlen Spanisch beizu bringen, aber außer si und no schienen sie nicht viel zu behal ten. Hasard ärgerte sich, daß er nicht schon viel früher daran gedacht hatte, fremde Sprachen zu erlernen. Ben hatte ihnen mit seinen Spanischkenntnissen praktisch das Leben gerettet. Hasard beschloß in diesem Moment, seine freie Zeit in Zu kunft sinnvoller zu nutzen. Er würde außer Spanisch auch noch Französisch und vielleicht Holländisch lernen. Ben Brighton fluchte. „Ihr blöden Hornochsen", sagte er wütend. „Ihr lernt es nie!" Hasard hörte, wie er die Stufen zum Quarterdeck hinaufstieg. Ben Brighton blieb neben ihm stehen und schaute ebenfalls zum Himmel hinauf. „Sieht schlecht für uns aus", sagte er. Hasard zuckte mit den Schultern. „Irgendwie wird es schon klappen", sagte er. „Sie können nicht auf alle sechsundachtzig Schiffe aufpassen." „Sie werden es zumindest versuchen", erwiderte Ben Brigh ton und wies mit der rechten Hand nach vorn. Hasard blickte über das Vorkastell hinweg und sah die drei Kriegsgaleonen, die beigedreht hatten und anscheinend warte ten, bis die letzten Schiffe des Geleitzuges sie passiert hatten. „Sie treiben die Schäfchen für die Nacht zusammen", sagte
Ben Brighton sarkastisch. „Wenn du glaubst, daß wir ihnen in dieser Nacht entwischen können, dann hast du einen sonnigen Humor." Hasard preßte die Lippen aufeinander. Er wußte, daß Ben Brighton recht hatte, aber er weigerte sich, die Ladung der „Santa Barbara" verloren zu geben. Als Ben Brighton den Mund öffnete, wußte er schon, was der Bootsmann sagen wür de. „Wir sollten es uns noch mal überlegen", sagte Ben. „Drake wird uns nicht die Köpfe abreißen. Sicher hätte auch er in die ser Lage die Ladung aufgegeben und wäre mit der ‚Barcelona‛ davongesegelt. Niemand wird uns einen Vorwurf machen." Hasard schüttelte stur den Kopf. „Das stimmt nicht, Ben", sagte er. „Ich selbst würde mir mein Leben lang vorwerfen, daß ich beim ersten Kommando, das mir übertragen wurde, jämmerlich versagt hätte. Ich soll eine Prise nach Plymouth bringen, und das werde ich auch tun. Es muß einfach einen Weg geben." Ben Brighton schwieg. Er kannte den Seewolf inzwischen gut genug, um zu wissen, daß jetzt Widerspruch sinnlos war. Er hoffte nur, daß sie nicht alle durch die Sturheit Hasards mit dem Leben zahlen mußten. Die vier Kriegsgaleonen - eine weitere war an Backbord auf getaucht - scheuchten die „Barcelona" und die „Santa Barbara" dichter an die anderen Schiffe heran. Die Besatzungen der bei den Galeonen hatten alle Hände voll zu tun, die Segel zu be dienen. Hasard stand an der Reling der Poop und schlug die Faust auf das breite Geländer. Wenn der Wind weiterhin mit dieser Stär ke aus Westen blies, hatten sie die spanische Küste in zwei, höchstens drei Tagen erreicht. Und wenn die Kriegsgaleonen sie den Guadalquivir hinauf nach Sevilla geschleust hatten, saßen sie in der Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Ben Brighton hatte Hasard in den letzten Tagen einiges über
die spanischen Häfen erzählt. Insbesondere über Sevilla, wo die Casa de Contratacion ihren Sitz hatte und den gesamten Handel zwischen Spanien und der Neuen Welt kontrollierte. Die Casa hatte ihre eigenen Zollbeamten und Soldaten, deren Grausamkeiten bei allen Seefahrern bekannt waren. Der Tod war noch das geringste Übel, das ihnen geschehen konnte, wenn sie in die Hände der Casa-Soldaten fielen. Warum, zum Teufel, war er nicht gleich von Flores aus nach Norden gesegelt? Er hatte sich von der Kriegsgaleone täuschen lassen. Er hatte angenommen, daß sich die Flota nördlich von Flores befunden hatte. Dieser Irrtum konnte jetzt tödlich für sie sein. Hasard blickte zur Mondsichel hoch, die ihr bleiches Licht auf die bewegte See warf. Durfte er das Leben seiner Männer aufs Spiel setzen, nur weil er selbst die Niederlage nicht einge stehen wollte, die doch unausweichlich war? Hasard schüttelte den Kopf. Wie groß war denn ihre Chance, mit der „Barcelona" den Kriegsgaleonen zu entkommen, wenn er die Männer von der „Santa Barbara" herüberholte und die andere Galeone aufgab? Gewiß, das Schiff war ohne Ladung schnell, doch sicher war es nicht, daß sie den Kriegsgaleonen ungeschoren davonsegelten. Zwei Nächte und zwei Tage hatte Hasard noch Zeit, etwas zu unternehmen. Vielleicht half ihnen der Wettergott, indem er einen Sturm schickte, der die Schiffe des Geleitzuges ausei nandertrieb. Hasard bedauerte, daß er nicht auf die „Santa Barbara" ge gangen war. Mit ihr hätte er die Flucht vielleicht gewagt. Die „Barcelona", die ohne Ladung war, hätte er ohne Bedauern zurückgelassen. Der nächste Tag begann so strahlend, wie der letzte zu Ende gegangen war. Kein Wölkchen zeigte sich am azurblauen Himmel. Eine Herde Tümmler begleitete den Konvoi. Die schlanken, silbrig glänzenden Körper schossen elegant aus dem
Wasser und tauchten fast spritzerlos wieder ein. Hasard war von diesem Bild jedesmal aufs Neue fasziniert, doch heute hatte er kaum Augen dafür. Er hatte die ganze Nacht über auf Deck verbracht und auf eine Gelegenheit ge wartet, den Dons doch noch ein Schnippchen zu schlagen. Es war alles umsonst gewesen. Er wußte nicht, ob die Kapitä ne den neu zum Geleitzug gestoßenen Galeonen mißtrauten, jedenfalls schien es ihm so, als würden die Kriegsschiffe be sonders auf die „Barcelona" und die „Santa Barbara" aufpas sen. Der Wind wehte mit einer entnervenden Gleichmäßigkeit. Wenn er nicht bald umschlug oder zu blasen aufhörte, würden sie am nächsten Abend die portugiesische oder spanische Küste erreichen. Es waren kleinere Schiffe als die „Barcelona" und die „Santa Barbara" im Geleitzug, aber sie hatten Lateinersegel an allen Masten und waren ziemlich schnell. Die „Santa Barbara" war eins der langsamsten Schiffe - zum Glück nicht das langsamste, sonst hätte Ferris Tucker wahr scheinlich Schwierigkeiten mit den Kriegsgaleonen gekriegt. Noch hinter den beiden von den Engländern gekaperten Prisen segelte eine dickbäuchige Galeone, die bis zu den Ladeluken mit Schätzen beladen zu sein schien, denn sie lag sehr tief im Wasser. Ben Brighton, den Hasard hinunter in die Kammer zum Schlafen geschickt hatte, erschien auf dem Achterkastell. Sein erster Blick galt dem Himmel. Für die Spanier war dieses Wet ter ein Geschenk Gottes, für die Engländer der Anfang vom Ende, „Wenn der Wind anhält, sind wir morgen abend in Ca diz", sagte der Bootsmann brummig. Hasard schwieg. Was hätte er darauf auch schon antworten können? Ben Brighton hatte recht. Und mit jeder Minute, die verstrich, waren sie ihrem Verhängnis, das in dem spanischen Hafen auf sie wartete, ein Stück näher. Hasard gab das Kommando über die „Barcelona" an Ben
Brighton ab. Er selbst ging hinunter aufs Mitteldeck, um mit den Männern zu sprechen. Um Dan O'Flynn und Batuti brauchte sich Hasard nicht zu sorgen. Die beiden würden mit ihm dem Teufel ein Ohr abse geln, davon war er fest überzeugt. Blacky und Smoky waren ebenso wie Matt Davies aus hartem Holz geschnitzt, aber es war zweifelhaft, ob sie mit seiner Ent scheidung, die „Santa Barbara" um keinen Preis aufzugeben, einverstanden waren. Er konnte es auch nicht an ihren Gesich tern ablesen. Von allen Leuten war der Kutscher am zuversichtlichsten. Er konnte die Befürchtungen der anderen nicht verstehen. Schließ lich hatten die Dons sie bisher in Ruhe gelassen, und dem See wolf würde schon rechtzeitig etwas einfallen, um sie aus dieser Patsche wieder herauszuholen. Die Männer hatten den verwundeten Gary Andrews an Deck geholt, damit er frische Luft schnappen konnte. „Wie geht's dir?" fragte Hasard. Er bückte sich und schlug das Hemd beiseite, das über dem dicken Verband lag. Gary Andrews grinste verkrampft. Sicher bereitete die klaf fende Wunde über der Brust, die von einem Messerstich eines Spaniers herrührte, höllische Schmerzen. „Alles halb so schlimm, Sir", sagte er gequält. „Wenn es ge gen die Dons geht, bin ich dabei." Hasard grinste ihn an. „Nicht gleich übertreiben", sagte er. „Vielleicht schaffen wir es nächste Nacht, heimlich zu verduften. Und wenn nicht, wird uns schon irgendwas einfallen, um den Dons eine Nase zu dre hen. Ich wollte eigentlich die Ladung der ,Santa Barbara' nicht aufgeben und mit leeren Händen zu Kapitän Drake zurückkeh ren. Er wird vielleicht nichts sagen, aber er und alle anderen werden denken, daß wir ganz schöne Flaschen sind, uns die Prise von den Dons wieder abjagen zu lassen. Was meint ihr?" Er schaute Blacky und Smoky an, doch sie sahen stumm an
ihm vorbei. Sie hatten bei Francis Drake gelernt, den Mund zu halten. Sie waren es nicht gewohnt, nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Matt Davies wischte mit dem linken Ärmel über den glänzen den Metallring an seiner Hand. Der spitzgeschliffene Haken reflektierte das gleißende Sonnenlicht. Hasard hatte diesen ge drungenen Mann beim Kämpfen gesehen, und er wußte, daß Davies den Begriff Furcht nicht kannte. Die fehlende rechte Hand behinderte ihn nicht. Eher das Gegenteil war der Fall. Der spitze Haken war eine fürchterliche Waffe. Er riß große Wunden, aber noch größer war der Schock, den der verwunde te Gegner erlitt. Matt Davies war ein Mann, der gern lachte, und er war der einzige in der Mannschaft, der ein paar Peitschenhiebe in Kauf nahm, um mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zuhalten. „Wenn uns die Dons erwischen, ketten sie uns an den Riemen einer Galeere", sagte er. Seine braunen Augen blickten Hasard offen an. „Oder sie hängen uns an die nächste Rahnock", sagte Hasard. „Es ist reiner Selbstmord, noch weiter mit dem Geleitzug zu fahren", fuhr Matt Davies fort. „Wenn wir erst in einem spani schen Hafen sind, rettet uns nichts mehr. Aber, zum Teufel, ich will verdammt sein, wenn ich mir von den schwarzhaarigen Affen mein Prisengeld wieder abjagen lasse!" Ein Grinsen zog sein breites Gesicht noch mehr in die Breite. Hasard hätte Matt Davies für diese Worte umarmen können, denn er sah, welche Wirkung sie auf die anderen Männer hat ten. Es war, als wäre ein Funke übergesprungen, und Dan O´Flynn, das vorlaute Bürschchen, rief: „Mit dem Seewolf durch die Hölle!" Hasard konnte nur mit Mühe verhindern, daß die anderen Männer in das Gebrüll mit einstimmten. „Ruhe, verdammt noch mal!" sagte er scharf. „Wollt ihr uns die Dons auf den Hals hetzen?" Er blickte hinüber zu der
Kriegsgaleone, die auf Kabellänge neben ihnen hersegelte. „Wir werden heute nacht versuchen, abzuhauen, wenn der ver dammte Mond uns nicht wieder einen Strich durch die Rech nung macht. Sonst werden wir mit nach Cadiz segeln. Ben Brighton kennt sich dort aus. Wenn alle Stricke reißen, können wir dort immer noch unsere Schiffe aufgeben und versuchen, uns irgendwie durchzuschlagen." „Oder die Spanier arrangieren für uns eine kleine Reise nach Valladolid", sagte Matt Davies sarkastisch. Blacky spuckte über Bord, und Dan erklärte Batuti, was es mit dieser Reise auf sich hatte. Hasard grinste, als er sah, wie der Schwarze bleich wurde und mit den Augen zu rollen be gann. Valladolid - das war seit Jahrzehnten eine Schreckensvision der englischen, französischen und holländischen Kaperfahrer und Piraten. Von allen Repressalien, die die Spanier sich für ihre Feinde ausgedacht hatten, war die Reise nach Valladolid die gefürchtetste. Von den Galeerenbänken oder aus einem der fürchterlichen spanischen Kerker konnte man mit ein bißchen Glück noch entfliehen, doch wenn man erst einmal auf der Pla za von Valladolid stand, war die Hölle nicht mehr weit. Hasard hatte gehört, daß die Dons dort an einem einzigen Tag einmal siebzehn englische und französische Piraten bei lebendigem Leib geröstet hatten. Grauenhafte Geschichten kursierten unter den Seeleuten, und die Dons sorgten dafür, daß den Männern der Gesprächsstoff nicht ausging. Denn schließlich sollten diese Greueltaten zur Abschreckung dienen. Hasard grinste. Die Dons konnten tun, was sie wollten. Die Kaper und Piraten waren durch die Bank hartgesottene Kerle, die sich einen Teufel darum scherten, was sie erwartete, wenn sie von den Dons erwischt wurden. Sie wollten großen Profit einstreichen - und einige wollten nicht einmal das. Sie wollten nur kämpfen und Abenteuer und Gefahren erleben.
Hasard ließ die Männer allein. Ben Brighton rief einen leisen Befehl, die Fock verdammt noch mal richtig zu trimmen. Die Männer eilten an die Schoten. „Halt sie in Bewegung, Ben", sagte der Seewolf, „damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Ich werde mich jetzt ein wenig aufs Ohr legen. Heute nacht versuchen wir es noch ein mal." Ben Brighton warf einen Blick zum Himmel und schüttelte den Kopf. „Keine Chance", murmelte er, aber Hasard hörte es schon nicht mehr. Er verschwand im Gang zur Offizierskammer. 9. Hasard fühlte sich alles andere als wohl, als er den Anker an der Bordwand rumpeln und dann ins Wasser klatschen hörte. Die Gesichter seiner Männer waren blaß und ernst. Wahr scheinlich sahen sich einige von ihnen bereits auf der Plaza von Valladolid und spürten die Hitze unter dem Hintern. Die „Santa Barbara" hatte sich dicht neben die „Barcelona" gelegt. Hasard erhielt zum erstenmal seit zwei Tagen Gelegen heit, mit Ferris Tucker zu sprechen. Die Männer auf der „Santa Barbara" waren völlig mit den Nerven herunter. Schließlich hatten sie nicht gewußt, was nun eigentlich gespielt wurde. Hasard beruhigte die Männer. Er sagte ihnen, daß noch nicht alles verloren sei. Seine Worte klangen fest, aber wenn er zu den bis an die Zähne bewaffneten Kriegsgaleonen hinüberlins te, die die Reede von Cadiz abschirmten, glaubte er selbst nicht daran, was er sagte. Hasard hätte am liebsten seine Wut laut hinausgeschrien. Die ganze Zeit über hatte der Wind ständig von Westen geweht, erst als es zu spät war, aus dem Geleitzug auszubrechen, hatte er gedreht. Seine Stärke hatte eher noch zugenommen, doch
jetzt blies er aus dem Mittelmeer in den Atlantik hinaus. Der Wind war warm, und dennoch fröstelte der Seewolf. Mit großen Augen betrachtete er das heillose Durcheinander, das auf der Reede herrschte. Boote, Barkassen und Kähne pendel ten zwischen den einzelnen Schiffen hin und her. An Land wa ren Soldaten aufgezogen, die eine eigenartige Uniform trugen. Hasard ging zu Ben Brighton hinüber, der mit Ferris Tucker sprach und ihm einige Anweisungen gab. „Siehst du die Soldaten dort?" fragte Hasard. „Was hat das zu bedeuten? Ob sie uns durchschaut haben?" Ben Brighton schüttelte den Kopf. „Das sind Männer der Casa", sagte er. „Sie sorgen dafür, daß niemand von der Silberflotte an Land geht. Sie wollen verhin dern, daß sich jemand seinen eigenen Anteil von der Ladung nimmt. Siehst du dort hinten die breiten Boote?" Er wies mit der rechten Hand zur Mole hinüber. Hasard sah ein paar Männer, die in Schwarz gekleidet waren. Sie bestiegen gerade die Boote, die von vier Rudergasten geru dert wurden. „Das sind die Inspektoren der Casa", fuhr Ben Brighton fort. „Sie gehen jetzt an Bord der einzelnen Schiffe und vergleichen die Ladung mit den Frachtbriefen. Wenn nicht alles haargenau stimmt, ist die Hölle los. Dann landet die gesamte Mannschaft zusammen mit ihrem Kapitän im Kerker von Cadiz, wo sie langsam verrotten, bevor ihnen der Prozeß gemacht wird. Be vor der Inspektor das Schiff nicht betreten hat, darf niemand an Land. Die Soldaten würden ihn ohne weiteres abknallen." Hasard biß sich auf die Unterlippe. „Verdammt, wenn einer von ihnen die ,Barcelona' oder die ,Santa Barbara' betritt, sind wir geliefert!" Ben Brighton blieb ruhig. „Laß mich nur machen", sagte er. „Schließlich sind wir keine Westindienfahrer. Die Casa hat auf unseren Schiffen nichts zu suchen. Ich werde ihnen erzählen, daß wir morgen früh unsere
Reise nach Cartagena fortsetzen werden." „Und du glaubst, sie lassen sich darauf ein?" fragte Hasard skeptisch. Ben Brighton nickte. „Sie wissen, daß sie große Schwierigkeiten kriegen, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten", sagte er. „Die Casa hat in Spanien viele Feinde, und die anderen Städte warten nur dar auf, Sevilla etwas am Zeuge flicken zu können." „Verdammt harte Sitten", sagte Hasard. „Und ich dachte im mer, die Señores stoßen sich gesund, wenn sie eine Fahrt hinter sich haben." „Das tun sie auch", sagte Ben Brighton grinsend. „Sie müssen nur die richtigen Männer schmieren. Auch mit den Inspektoren läßt sich reden, nachdem sie erst einmal den Anteil des Königs an der Ladung gesichert haben. Dann erst wird der Rest der Ladung versteuert. Ein spanischer Kapitän, der es wissen muß, hat mir mal erzählt, daß eine ganze Horde von Beamten, Funk tionären und Inspektoren wie die Geier darauf warten, sich ihren Teil an der Silberflotte zu sichern. Und wenn man dann noch eine einflußreiche Persönlichkeit am Hofe kennt, unter deren Schutz man sich stellen kann, ist man in zwei, drei Jah ren ein reicher Mann und hat für den Rest seines Lebens ausge sorgt." „Lassen sich die Bücher denn nicht nachprüfen? Es gibt doch sicher auch ehrliche Männer unter den Dons, oder nicht?" Ben Brighton lachte. „Die Kerle sind raffiniert genug, die Sache so zu drehen, daß sie so schnell nicht überführt werden können", sagte er. „Als ein mißgünstiger Neider einmal den Tenedor de Prastimentos anzeigte - das ist der Proviantmeister, der sämtliche nach der Neuen Welt auslaufenden Schiffe ausrüstet -, er würde in die eigene Tasche wirtschaften, da brauchten die Beamten der Ca sa allein ein ganzes Jahr, um die komplizierte Buchhaltung des Mannes vom vorigen Jahr zu überprüfen. Außerdem scheint er
einen Teil seines bereits erworbenen Vermögens den Prüfern zugesteckt zu haben, so daß er voll rehabilitiert wurde und auch weiterhin die Casa betrügen konnte." Hasard blickte dem Boot nach, das die Inspektoren zu den einzelnen Schiffen brachte. Inzwischen waren weitere Boote vom Ufer abgestoßen und wurden über die Reede gepullt. Eins näherte sich den beiden Galeonen, die von den Engländern gekapert worden waren. Hasard sah, wie sich die Hände seiner Männer zu Fäusten ballten. Einige von ihnen hielten bereits ihre Waffen in den Händen. Hasard hoffte, daß niemand die Nerven verlor. Er selbst hatte auch ein flaues Gefühl im Magen, aber er durf te es sich nicht anmerken lassen. Trotzdem tastete seine rechte Hand langsam zum Gürtel, in dem er eine Pistole stecken hatte. Zum Glück wurde das Boot von der Backbordseite auf die „Barcelona" zugepullt. Ben Brighton wartete nicht ab, bis die Rudergasten ihr Boot an die Bordwand der „Barcelona" anleg ten. Er rief hinüber, daß die „Barcelona" und die „Santa Barbara" Schiffe aus Cartagena seien, die sich dem Geleitzug aus NeuSpanien nur angeschlossen hätten, weil sie englische Piraten in der Nähe der Azoren gesichtet hätten. Er gab die Namen der Kapitäne und die Ladung der beiden Schiffe bekannt. Zu Hasards Erstaunen nickte der Mann der Casa nur und be fahl den Rudergasten, das nächste Schiff anzusteuern. Als es sich entfernt hatte, atmete Hasard heftig aus. „Verdammt, ich hätte nicht geglaubt, daß sie das schlucken", sagte er mit heiserer Stimme. „Sie wissen genau Bescheid", erwiderte Ben Brighton ruhig, „welches Schiff zur Flota gehört und welches nicht. Bevor sie von Havanna auslaufen, geben sie Bescheid nach Sevilla, wel che Schiffe im Geleitzug mitfahren, welche Ladungen sie an Bord haben und wann sie ungefähr in der Heimat eintreffen." Hasard blickte Ben Brighton mit zusammengekniffenen Au
gen an. „Und weshalb hast du das nicht vorher gesagt?" Ben Brighton grinste. „Ich wollte euch nicht die ganze Spannung versauen", sagte er.“ „Das ist dir vollauf gelungen." Hasard hätte dem Bootsmann am liebsten einen Belegnagel an den Kopf geworfen. Aber er beherrschte sich. Er hatte jetzt an etwas anderes zu denken. Er glaubte einfach nicht daran, daß die Kriegsgaleonen die beiden Schiffe am nächsten Mor gen weiterfahren lassen würden, ohne sie zu kontrollieren. Er dachte an die letzte Nacht, in der der Mond wiederum eine Flucht verhindert hatte. Ben Brighton hatte vorgeschlagen, die Kanonen der „Barcelona" außenbords zu hieven, die Männer von der „Santa Barbara" herüberzuholen und abzuhauen. Bei der steifen Brise hätten sie mit der leichten Galeone eine Chan ce gehabt, den Kanonen der Kriegsgaleonen zu entkommen. Hasard hatte sich geweigert, die Kanonen aufzugeben. Ver dammt, er wollte um die Prise kämpfen, die Kapitän Drake ihm anvertraut hatte. Und dazu brauchte er die Kanonen. Sie hatten in der Nacht ein paarmal versucht, sich mit Ferris Tucker zu verständigen, der nur darauf lauerte, daß die „Barce lona" endlich etwas unternahm. Aber eins der Kriegsschiffe, die „El Bravo", war die ganze Zeit so dicht hinter ihnen gese gelt, daß sie es nicht gewagt hatten, englische Worte zu wech seln. Am Nachmittag des folgenden Tages hatten sie dann die spa nische Küste erreicht. Den Männern auf den gekaperten Schif fen wurde es immer mulmiger, und Hasard schloß sich da nicht aus. Er hatte versucht, die „Barcelona" abfallen zu lassen und weit hinter den anderen Galeonen am Tampen des Geleitzuges herumzubummeln, um irgendwann die Gelegenheit zu nutzen und abzuhauen. Aber die „El Bravo" hatte sie weitergescheucht und ihnen befohlen, gefälligst Anschluß zu halten.
Hasard hatte überlegt, ob er es nicht trotz der Kriegsgaleone wagen sollte, den Kurs zu ändern und nach Norden abzudre hen. Er hatte gesehen, daß die „El Bravo" alles andere war als ein feuerbereites Kriegsschiff. Die Decks wimmelten von Men schen. Hasard schätzte, daß sich dort mindestens vierhundert Menschen aufhielten, die im Grunde nichts auf einem Kriegs schiff zu suchen hatten. Bevor die Männer der „El Bravo" ihre Kanonen ausgefahren hätten, wären die „Barcelona" und die „Santa Barbara" sicher längst außerhalb ihrer Reichweite ge wesen. Aber leider war die „El Bravo" nicht das einzige Begleit schiff, und Hasard wußte nicht, ob die anderen Kriegsgaleo nen in dem gleichen erbarmungswürdigen Zustand waren wie die „El Bravo". Nein, wenn sie sich absetzen wollten, dann mußte es unbe merkt geschehen, oder aber sie konnten sich gleich selbst ver senken. Ben Brighton hatte aufgeatmet, als der Befehl des Admirals der Flota von Schiff zu Schiff weitergegeben wurde, daß die Flota auf der Reede von Cadiz vor Anker gehen würde. Er hat te schon befürchtet, daß die kleineren Schiffe, zu denen auch die „Barcelona" und die „Santa Barbara" gehörten, ohne Auf enthalt den Guadalquivir hinauffahren und erst in Sevilla an kern sollten. Die Männer hatten ihre Zuversicht schnell wiedergefunden. Sie hofften, daß die Aufmerksamkeit auf der Reede von Cadiz nachlassen würde. Die Dons würden sicher nicht damit rech nen, daß zwei ihrer Schiffe plötzlich verschwanden. Wenn der Wind seine Richtung beibehielt, würden sie eben weiter nach Osten fahren und versuchen, an der afrikanischen Küste wieder den freien Atlantik zu erreichen. Kurz vor Cadiz hatte dann der verdammte Wind um ein hundertachtzig Grad gedreht, aber es war zu spät gewesen. Sämtliche Kriegsschiffe hatten sich inzwischen ans Ende des
Geleitzuges sacken lassen, um später, nachdem alle Schiffe vor Anker lagen, die Reede abzuschirmen, indem sie sich quer da vorlegten - und zwar breitseits zum Ostwind. Die schweren Schiffe zerrten an den Bug- und Heckankern. Hasard vermute te, daß die Kriegsgaleonen zur See hin ihre Kanonen ausgefah ren hatten, um jeden nur möglichen Feind von vornherein abzuschrecken. Allein das mußte der Grund sein, daß sie nicht wie jedes der anderen Schiffe im Wind lagen, sondern quer davor. Hasard sah, wie die ersten Inspektoren die Schiffe verließen und sich an Land zurückpullen ließen. Er kannte den Befehl des Admirals, daß die größeren Schiffe erst am nächsten Mor gen entladen werden sollten. Alles, was über zweihundert Ton nen hatte, konnte es nicht wagen, über die Sandbänke von San Lucar vor der Mündung des Guadalquivir zu fahren. Die Ladungen der großen Galeonen wurden auf kleine Kähne gehievt - alles unter Bewachung durch die Beamten der Casa. Die kleineren Galeonen fuhren den Guadalquivir hinauf und legten an den Kais von Sevilla an - direkt unter dem Torre del Oro, dem Goldturm, in dem die Schätze der Neuen Welt lager ten. Die Sonne versank glutrot im Meer. Von Osten her schoben sich mächtige Türme von weißen Wolken heran, deren Spitzen von den Strahlen der untergehenden Sonne in ein purpurnes Rot getaucht wurden. Obwohl sie hier auf der Reede von Cadiz in einer riesigen Falle hockten, genoß Hasard das Bild, das sich seinen Augen bot. Mehr als hundert Schiffe dümpelten auf dem bewegten Wasser. Die ersten Ankerlaternen wurden gesetzt. Etwa eine Kabellänge von der „Barcelona" entfernt lagen zwei riesige Galeassen. Hasard hatte von den Schiffen gehört, die vor fünf Jahren die Schlacht von Lepanto entschieden hatten, als die päpstliche Flotte, vereinigt mit den Spaniern, Genuesen und Venezianern die Türken vor der Küste Griechenlands vernich
tend schlugen. Der Rumpf der Galeassen war bedeutend kraftiger und wider standsfähiger als bei den Galeeren. Sie hatten nicht nur Bugka nonen, sondern auch Geschütze an Steuerbord und Backbord. Sie waren wendig wie eine Galeere, doch ihre HochseeEigenschaften waren nicht sehr gut. Auf den Galeassen blieb es dunkel, während auf den Ga leonen der Flota ein reges Leben herrschte. Auf fast allen Schiffen war inzwischen ein Inspektor der Casa gewesen, und wahrscheinlich begann man, nachdem der Anteil des Königs festgelegt war, jetzt darum zu feilschen, was in die eigene Ta sche und was in die Lagerhäuser der Casa wandern sollte. Die Kähne und Barkassen der Casa-Inspektoren waren ver schwunden. Dafür setzte ein reger Verkehr unter den einzelnen Schiffen ein. Überall wurden Boote zu Wasser gelassen, Wahr scheinlich waren viele Kapitäne miteinander befreundet und nutzten die erste Gelegenheit, sich nach der sechzigtägigen Fahrt wiederzusehen und eine Flasche Wein miteinander zu trinken. Hasard war so in Gedanken versunken, daß er regelrecht zu sammenzuckte, als Ben Brighton ihn am Arm herumzog. „Da!" sagte er nur und wies auf ein kleines Boot, das von zwei spanischen Seeleuten direkt auf die „Barcelona" zugepullt wurde, Hasard kniff die Augen zusammen. Die Sonne war inzwi schen untergegangen, und die Dunkelheit senkte sich schnell über das Land. Hasard erkannte am Heck des Bootes einen Mann in eleganter Kleidung. Der weiße Spitzenkragen leuchte te. „Was mag der von uns wollen?" fragte er verblüfft. Ben Brighton atmete schneller als gewöhnlich. Seine breiten Schultern hoben sich. Hasard wartete seine Antwort nicht ab. Er lief zur Quarterdecksbrüstung und rief Dan O'Flynn leise zu, er solle Ferris Tucker und die anderen Männer von der „Santa
Barbara" herüber auf die „Barcelona" holen. Carter solle als Ankerwache drübenbleiben und einen Stummen markieren, falls jemand ihn ansprechen sollte. „Aye, aye, Sir", flüsterte Dan. Er hatte genau wie die anderen das Boot ebenfalls entdeckt und wußte, was jetzt auf dem Spiel stand. Dicht vor dem Bug der „Barcelona" hielt das Boot an. „Hola, nave!" rief der Mann, der aufgestanden war. „Hier ist Capitan Romero Valdez von der ,Isabella von Kastilien'. Wo ist denn Senor Juan Descola, mein alter Compadre? Hat er seine Saufnase schon in einen Krug Wein getaucht?" Ben Brighton übersetzte die Worte hastig und blickte den Seewolf fragend an. Hasard überlegte fieberhaft. Entweder ließ er den Capitan der „Isabella" an Bord und nahm ihn als Gefangenen mit, oder aber er versuchte, den Mann abzuwimmeln, indem er erklärte, der gute Juan Descola läge seit einem halben Jahr krank darnieder, und er, Alfonso Sowieso, hätte jetzt die „Barcelona" unter sei nem Kommando. Die Wahrscheinlichkeit, daß Valdez in West indien von Descola gehört hatte, war gering, aber vielleicht war Valdez ein mißtrauischer Mensch. Andererseits würde die Mannschaft der „Isabella" sicher Alarm schlagen, wenn die „Barcelona" am nächsten Morgen auslief, ohne daß ihr Capitan auf die „Isabella" zurückgekehrt war. „Hola! Was ist los?" rief der Spanier ungeduldig. Ben Brighton blickte Hasard fragend an. „Hol ihn an Bord", sagte Hasard entschlossen. „Sag ihm, daß Kapitän Descola schon in seiner Kammer sitzt und seinen Ma deira säuft." Ben Brighton fand keine Zeit, Einwände zu erheben. Hasard hatte sich bereits umgedreht und Blacky einen Wink gegeben, die Jakobsleiter hinunterzulassen. An der anderen Seite des Schiffes kletterten gerade Ferris Tucker, Pete Ballie und die anderen Männer der „Santa Barbara" über das Schanzkleid an
Bord. Ferris Tuckers schwarze Lockenperücke hing ihm schief ins Gesicht, und er knurrte etwas, als er Dan O'Flynns Grinsen bemerkte. Mit einer kurzen Handbewegung scheuchte Hasard die Männer über Deck. Er zog Ferris Tucker am Ärmel und stieg den Niedergang zum Quarterdeck hinauf. Hasard wollte sich in der Kapitänskammer auf die Lauer legen. Ben Brighton war inzwischen in die Kühl hinabgestiegen, um Capitan Romero Valdez in Empfang zu nehmen. Er zischte Blacky und den anderen etwas zu, und die Männer mimten spanische Seeleute, die beim Aufklaren des Decks waren. Dan O'Flynn begann sogar damit, ein paar spanische Brocken zu palavern, und Ben Brighton hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, so scheußlich klang das. Zum Glück war Capitan Romero Valdez nicht mehr ganz nüchtern. Außerdem war er völlig sorglos. Während der zwei monatigen Fahrt von Westindien herüber in die Heimat hatte er Tag und Nacht mißtrauisch das Meer beobachten müssen. Hier, im sicheren Hafen von Cadiz, brauchte er nichts mehr zu be fürchten. Ben Brighton half dem Capitan die Stufen zum Quarterdeck hoch und führte ihn durch den Gang in die Kapitänskammer. Romero Valdez öffnete die Tür selbst. Sein Gesicht strahlte vor Wiedersehensfreude. Er wollte schon die Arme ausbreiten, als er den fremden jungen Riesen vor dem Schreibtisch stehen sah, Er blickte in zwei eisblaue Augen, die aus einem Gesicht schauten, das von Wind und Wetter gezeichnet war. Ein Ge sicht, das Härte und Wildheit verriet. Dieser große junge Mann strahlte etwas aus, das Romero Valdez zusammenzucken ließ. Daß er nicht Juan Descola war, hätte selbst ein Blinder ge merkt. Romero Valdez aber hatte einen Instinkt, der ihn vor einer drohenden Gefahr warnte. Dieser Mann dort vor dem Schreibtisch war eine Gefahr für
ihn, das merkte er trotz des Alkohols, den er schon an Bord seines Schiffes getrunken hatte. Er griff zur Hüfte, an der sein Toledo-Degen hing. Gleichzeitig wollte er einen Schritt zur Seite treten, um aus dem Wirkungskreis des Mannes zu kom men, der hinter ihm stand. Eine riesige Pranke legte sich um sein rechtes Handgelenk. Romero Valdez schrie leise auf. Er wollte den Degen heraus reißen, aber die Faust, die seinen Arm gepackt hatte, war wie ein Schraubstock, Der Capitan drehte den Kopf. Er sah einen grimmig drein blickenden Riesen mit einer schwarzen Lockenperücke, die zu ihm paßte wie eine Wollmütze zu einer Hafenratte. Valdez blieb nichts anderes übrig, als den Knauf seines De gens loszulassen, wenn er sich seinen Arm nicht brechen lassen wollte. Mit der anderen Hand zog Ferris Tucker den Toledo-Degen aus der Scheide und reichte ihn Hasard, „Durchsuch ihn nach weiteren Waffen, Ferris", sagte Hasard und richtete die Spitze des Degens auf die Magengegend von Romero Valdez. Ferris Tucker tastete den Spanier ab, fand aber keine Pistole und kein Messer. Er stieß den Capitan auf den Schreibtisch zu. Dabei rutschte ihm die Perücke vollends ins Gesicht. Er fluchte laut, riß sich das Ding vom Kopf und feuerte es in eine Ecke. Der Capitan der „Isabella von Kastilien" stand mit leicht ge krümmtem Rücken vor Hasard und Ben Brighton. Seine Be nommenheit, die vom genossenen Wein herrührte, war wie weggewischt. Seine schwarzen Augen huschten durch den Raum, als ob sie einen Ausweg suchten. Valdez hatte inzwischen begriffen, und je mehr er über diese Ungeheuerlichkeit nachdachte, desto größer wurde seine Angst. Wenn die Engländer es gewagt hatten, mit einer riesi gen spanischen Flota zu segeln und rotzfrech auf der Reede von Cadiz zu ankern - unter den Kanonen von zehn großen
Kriegsgaleonen! -, dann würden sie sicher nicht zögern, das Leben eines spanischen Kapitäns auszulöschen, wenn er ihren Zielen im Wege stand. Hasard beobachtete das Mienenspiel des Spaniers. Er konnte in dem bleichen Gesicht lesen wie in einem Buch. Er sah, wie das Entsetzen des Capitans von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Hasard begann zu grinsen und bedeutete dem Spanier mit ei ner einladenden Handbewegung, Platz zu nehmen. Ferris Tu cker trat hinter den Capitan und rammte ihm einen Stuhl in die Kniekehlen, daß ihm gar nichts anderes übrigblieb, als sich zu setzen. Hasard holte eine Flasche Wein hervor und schenkte zwei Gläser voll, die auf dem Schreibtisch standen. Er schob das eine dem Capitan zu und nahm das andere hoch. „A su salud, capitan!" sagte er und setzte sein Glas an die Lippen. Über den Rand des Glases hinweg musterte er den Spanier, der sich nicht rührte. „Wenn er nicht will...", sagte die tiefe Stimme von Ferris Tu cker, und ehe Hasard etwas sagen konnte, hatte der Riese das Glas geschnappt und sich den Inhalt in den Hals geschüttet. Hasard übersah es großzügig. Er wandte sich an Ben Brigh ton, der die Szene grinsend beobachtet hatte. „Frag den Don, woher er aus Westindien kommt", sagte er. „Vielleicht verrät er uns auch, was seine ,Isabella' geladen hat." Ben Brighton stellte die Fragen auf Spanisch. Romero Valdez hatte nicht vor, als Held zu sterben. Seine Worte sprudelten nur so heraus. Bis auf den Namen Porto Bel lo verstand Hasard gar nichts, obwohl er von Ben Brighton schon allerhand gelernt hatte. Hasard blickte Ben Brighton an. Der Bootsmann war plötz lich ernst geworden, und Hasard hatte das Gefühl, als ob Ben nicht gern wiederholte, was der Spanier gesagt hatte.
„Nun, was hat er gesagt?" fragte er gespannt. „Er hat drei Monate in Porto Bello gelegen", erwiderte Ben Brighton zögernd. „Und?" fragte Hasard unwillig. „Er hat doch eine ganze Wei le gequatscht, das kann doch nicht alles gewesen sein, was er gesagt hat!" Ben Brighton seufzte gottergeben. „Seine Ladung besteht aus Silberbarren." „Und wieviel?" fragte Hasard, der langsam wütend wurde. „Verdammt, Ben, laß dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!" Ben Brighton holte tief Luft, bevor er antwortete. „Dreißig Tonnen", sagte er mürrisch. Hasard vergaß für einen Moment das Atmen. Dreißig Tonnen Silber! Ein unermeßlicher Schatz. Hasard mochte gar nicht daran denken, wie viele Schiffe dafür gebaut werden konnten, die Englands Seemacht auf den Ozeanen vergrößerten. Ben Brighton seufzte leise. Er hatte nicht umsonst mit der Antwort gezögert. Am liebsten hätte er dem jungen Seewolf verschwiegen, was sich in den Laderäumen der „Isabella" be fand. Der Köder war viel zu groß, als daß ein Mann wie Philip Hasard Killigrew nicht danach schnappen würde. Der Bootsmann hatte schon gehofft, am nächsten Morgen un behelligt von den Kriegsgaleonen von der Reede vor Cadiz verschwinden zu können, Doch jetzt sah er das Blitzen in den eisblauen Augen des Seewolfs, und er wußte, daß ihnen die größte Gefahr noch bevorstand. Ben Brighton hatten die Haare beim Unternehmen vor der Bucht von Punta Lagens schon zu Berge gestanden, doch ge gen das, was sie hier auf der Reede vor Cadiz erwartete, wenn sie es wagen sollten, die „Isabella" zu kapern, war der Angriff auf die einzelne Kriegsgaleone vor Flores nur ein Kinderspiel gewesen.
„Frag ihn, wie viele Männer er an Bord hat." Hasards Stimme klang heiser. Er blickte Ben Brighton nicht an. Seine brennen den Augen waren auf den Capitan gerichtet, Ben Brighton übersetzte die Frage ins Spanische. Als er die Zahl hörte, atmete er etwas auf, Achtundvierzig Männer! Auch dieser verdammte Seewolf mußte einsehen, daß es unmöglich war, gegen eine dreifache Übermacht zu kämpfen. Und selbst wenn sie es schafften, die Männer der „Isabella" zu überwältigen - wie sollten sie an den Kriegsgaleonen vorbei die freie See gewinnen? Eine einzige Breitseite genügte, um die „Isabella", die mit einer solchen Ladung sowieso nicht sehr beweglich war, auf den Grund des Meeres zu schicken, Ben zuckte mit den Schultern, „Keine Chance, Hasard", sagte er. „Selbst wenn wir die ,Bar celona' und die ,Santa Barbara' zurücklassen, können wir mit sechzehn Mann gegen die Dons nichts ausrichten." „Hm", machte Hasard und kratzte sich am Hinterkopf. Ben Brighton stöhnte laut auf. Er wußte dieses „Hm" genau zu deuten. Der Teufelsbraten von einem Killigrew war am Ü berlegen, wie er das Ding schaukeln konnte, „Natürlich müssen wir die ,Barcelona' und die ,Santa Barbara' opfern", sagte Hasard nachdenklich. „Schließlich ist das Silber tausendmal mehr wert als die beiden Galeonen mit der Ladung, Das Kapern ist keine Schwierigkeit, denn die Überraschung ist auf unserer Seite. Die Dons sind entweder besoffen oder schla fen, darauf möchte ich wetten. Die Frage ist, wie wir durch die Kette der Kriegsgaleonen entwischen." „Völlig unmöglich", sagte Ben Brighton und legte seine gan ze Überzeugungskraft in die Worte. „Allenfalls hat die ,Isabella' zwanzig Kanonen an Bord, aber wie ich die Dons kenne, haben sie die meisten in Porto Bello gelassen, damit sie noch mehr Ladung aufnehmen können. Mit viel Glück kannst du einem der Kriegsschiffe den Großmast wegschießen, aber dann hat dich auch schon das nächste versenkt."
Hasards Stirn lag in Falten. Er hatte die Worte des Boots manns gar nicht gehört. „Man müßte ...", murmelte er, und plötzlich stand er auf. „Ja, so könnte es gehen. Los, Ferris, fessele den Capitan. Ben, du entschuldigst dich bei ihm in meinem Namen, aber wir haben keine andere Wahl. Wenn er sich vernünftig benimmt, ge schieht ihm nichts. Er hat mein Wort als englischer Gentle man." Ben Brighton stand der Schweiß auf der Stirn. Er übersetzte Hasards Worte ins Spanische, während Ferris Tucker den Capi tan fesselte und ihm einen Knebel in den Mund steckte. Dann folgten die beiden Hasard aufs Deck, wo der Seewolf bereits die anderen Männer auf der Kühl um sich versammelt hatte. 10. Hasard hatte es nicht anders erwartet. Die Männer grinsten ihn verwegen an. Der Plan, den er vor ihnen ausgebreitet hatte, fand ihre volle Zustimmung. Nur Ben Brighton stand mit erns tem Gesicht etwas abseits und murmelte irgendwas von gegrill tem Hackfleisch. Sie hatten Gary Andrews an Deck geholt. Er wollte unbedingt mit von der Partie sein, aber als er mit Gewalt aufstand, war sein Brustverband nach ein paar Minuten rot von Blut. Hasard kommandierte den Kutscher ab. Er sollte sich um Andrews kümmern. Ferris Tucker und Batuti hatten ihre besonderen Aufgaben er halten, Stenmark sollte in einem Dingi bei den beiden Galeo nen bleiben, bis der Schiffszimmermann und der schwarze Herkules ihre Aufgaben erfüllt hatten. „Männer", sagte Hasard leise. „Es kommt auf die richtige Zeitabstimmung an. Wenn nur einer von uns zu früh oder zu spät handelt, geht unser Plan in die Hose. Dann treten wir alle
samt die Reise nach Valladolid an." Sie nickten. Sie wußten, was auf dem Spiel stand, doch der Lohn, der ihnen winkte, schien ihnen das Risiko, das sie ein gingen, wert zu sein. Ferris Tucker schwang sich an Backbord über das Schanz kleid und warf die Schleppleine des Bootes los, mit dem er und seine Männer von der „Santa Barbara" herübergepullt waren. Es dauerte nur Minuten, dann tauchte Carter auf, der als An kerwache auf der „Santa Barbara" zurückgeblieben war. Tu cker hatte ihm ihren Plan in groben Zügen erzählt. Alle Männer waren bereit. Batuti und Stenmark, der im Dingi bleiben sollte, arbeiteten an der Fockrahe, um das Focksegel der „Barcelona" vorzuheißen. Hasard blickte zur „Isabella von Kastilien" hinüber, die an ih rer Ankertrosse in der Dünung schwojte. Dan O'Flynn hatte das über zweihundert Tonnen große Schiff, das etwa zwei Kabel längen von ihnen entfernt weiter an Land lag, entdeckt. Die Galeone war nur noch in den Umrissen zu erkennen. Die Wol ken, die von Osten heranflogen, bedeckten inzwischen den Himmel. Nur ab und zu riß ein Loch auf. Dann tauchte der vol ler werdende Mond die Reede von Cadiz mit den unzähligen Schiffen der Silberflotte in ein milchiges Licht. „In die Boote, Männer", sagte Hasard, nachdem Dan O'Flynn und Smoky mit dem Capitan aufgetaucht waren. Jeder wußte, wo sein Platz war. Die Boote lagen bereits längsseits der „Barcelona". Das eine Boot war mit sieben Mann besetzt, unter ihnen Dan O'Flynn und Lewis Pattern, der dicke Segelmacher. Carter und zwei weitere Männer halfen dem Kut scher, den verwundeten Gary Andrews ins Boot zu schaffen. Kurze Zeit später pullten die Männer los und verschwanden in der Dunkelheit. Sie hatten die Aufgabe, die „Isabella" zu um runden und an Steuerbord an Deck zu klettern, wenn die ande ren Männer die Galeone an Backbord geentert hatten. Hasard wartete einen Moment, bis das Boot verschwunden
war. Dann gab er seinen Männern das Zeichen. Zu sechst leg ten sie sich in die Riemen. Hasard selbst pullte mit. Ben Brighton saß mit Capitan Romero Valdez im Heck des Bootes. „Nimm ihm die Fesseln und den Knebel ab, Ben", sagte Ha sard leise. „Aber erzähl ihm, daß sein letztes Stündchen ge schlagen hat, wenn er anfängt zu schreien." Die Männer hörten, wie der Bootsmann auf den spanischen Kapitän einredete. Valdez nickte. Über sein Gesicht liefen di cke Schweißperlen. Er hatte Angst, und Hasard hoffte, daß sie so lange anhalten würde, bis sie die „Isabella" in ihrer Gewalt hatten. Sie orientierten sich an den Ankerlaternen der Galeonen. Ha sard achtete darauf, daß sie nicht zu dicht an anderen Schiffen vorbeifuhren. Sie hörten laute Stimmen und Gelächter von den Decks. Die Spannung und Anstrengung, die die Männer über zwei Monate hatten ertragen müssen, war wie weggeblasen. Sie waren in Sicherheit. Sie feierten ihre Rückkehr in die Hei mat und freuten sich auf den nächsten Tag, an dem sie endlich an Land gehen konnten. Der Kopf des Capitans ruckte hin und her. Hasard sah, daß der Capitan immer nervöser wurde, je mehr sie sich der „Isa bella" näherten. Wahrscheinlich überlegte er sich, wie er die Engländer überlisten konnte. „Ben, nimm deine Pistole und halte sie ihm unter die Nase", sagte Hasard leise. „Ich glaube, der Kerl wittert Morgenluft. Erklär ihm, daß wir nicht spaßen. Wenn er auch nur ein ver kehrtes Wort sagt, drückst du ab, klar?" „Aye, aye", erwiderte Ben Brighton. Er zog seine Pistole aus dem Gürtel und drückte sie dem Spanier in die Seite. Leise zischte er die Worte, die Valdez seinen Leuten zurufen sollte, wenn sie die „Isabella" erreicht hatten. Romero Valdez schluckte ein paarmal. Der Druck der Pisto lenmündung hatte ihm den letzten Rest von Mut genommen.
Warum sollte er sein Leben riskieren? Welche Chance hatten die Engländer denn, den Kordon der Kriegsschiffe zu durch brechen? Absolut keine! Valdez hatte Zeit. Irgendwann am nächsten Tag würde die Bombe platzen. Bis dahin war ihm sicher etwas eingefallen, wie er aus dem Schlamassel herauskommen konnte. Sie steuerten das Heck der Galeone an. Hasard konnte im schwachen Licht der Ankerlaterne die goldenen Buchstaben unter der Heckgalerie lesen. Es war die „Isabella von Kasti lien". Nicht weit von ihnen entfernt meinte er einen Schatten zu se hen. Er hörte ein leises Platschen, das entstand, wenn Riemen ins Wasser getaucht wurden. Das andere Boot war also bereits an seiner Position. Hasard pullte mit den anderen an der Steuerbordseite des Schiffes entlang. Es war soweit. Ben Brighton stieß die Pisto lenmündung in die Seite des Capitans. Die Stimme von Romero Valdez klang ein wenig heiser. Ha sard grinste. Sicher würden die Männer auf der „Isabella", die Heiserkeit eher auf den Weingenuß als auf die Angst ihres Capitans schieben. Ben Brighton nickte Hasard zu. Valdez hatte genau die Worte gerufen, die Ben ihm vorgesagt hatte. Der Capitan erzählte seinen Männern, daß er mit seinem alten Freund Juan Descola an Bord kommen wolle, da auf der „Barcelona" Ebbe in den Fässern sei. Die Besatzung der „Isabella" hegte keinen Argwohn. Sofort wurden Fallreeps ausgebracht, und hilfreiche Hände streckten sich den Männern entgegen, Hasard hatte die Pistole von Ben Brighton übernommen. Er wich nicht von der Seite des Capitans. Selbst als sie über das Schanzkleid kletterten, achtete er darauf, daß die Mündung der Pistole weiterhin in den Leib des Spaniers drückte. Hasard sah mit einem Blick, daß sich nur vier Mann in der
Kühl aufhielten. Er gab Matt Davies und Blacky mit dem Kopf ein kurzes Zeichen, daß sie das Quarterdeck entern und die sich dort aufhaltenden Dons ausschalten sollten. In diesem Moment merkten die Spanier, daß etwas faul war. Einer der Dons wollte zur Pistole greifen, die in seinem Gürtel steckte. Seine Hand zuckte zurück, als Jim Maloney ihm sein zweischneidiges Messer an die Kehle hielt. „Keine Bewegung, hombres!" sagte Ben Brighton auf spa nisch. „Euer Capitan hat als erstes eine Kugel im Bauch, und ihr werdet es auch nicht überleben, wenn sich einer von euch muckst." Sie erstarrten. Vom Quarterdeck war ein dumpfer Laut zu hö ren, dann war es wieder still. Nur die Wellen, die mit entner vender Gleichmäßigkeit gegen die Bordwand klatschten, unterbrachen die Stille, An Backbord schoben sich Schatten über das Schanzkleid. Sekunden später tauchten Dan O'Flynn und Lewis Pattern hin ter den Spaniern auf. Dan hielt eine Enterpike in der rechten Hand. Den Schaft hatte er auf die Hälfte gekürzt, damit er die Pike im Nahkampf besser handhaben konnte. Die Dons leisteten keinen Widerstand. Sie nahmen sich an ih rem Capitan ein Beispiel. Warum sollten sie tapferer sein als er? Jim Maloney und Smoky verschwanden im Niedergang, der zu den unteren Decks und den Laderäumen führte. Nach einer Weile tauchte Smoky wieder auf. „Runter mit den Dons!" zischte er. „Ich habe den richtigen Platz für sie gefunden!" Mit den beiden Männern, die sich auf dem Quarterdeck auf gehalten hatten, waren es erst sechs Spanier, die sie hatten aus schalten können. Sie wußten, daß sich noch weitere zweiundvierzig an Bord befanden. So wie es aussah, hatten sie sich gründlich besoffen, nachdem Valdez das Schiff verlassen hatte. Und nun schliefen sie in irgendeiner Ecke der Galeone
ihren Rausch aus. Der Kutscher brachte Gary Andrews unter die Back, wo sich die Kombüse befand. Alle anderen Männer gingen auf Suche nach den restlichen Dons. Ab und zu waren klatschende Schlä ge zu hören. Einmal schrie ein Mann, aber Hasard war sicher, daß sich niemand von den anderen Schiffen, die in der Nähe vor Anker lagen, um die Geräusche kümmern würde. Sie hat ten wahrscheinlich alle mit ihrem eigenen Rausch genug zu tun. Es dauerte fast eine Stunde, bis sie siebenundvierzig Dons un ter Deck eingesperrt hatten. Den letzten konnten sie nicht fin den. Hasard blies die Suche nach einer Weile ab. Vielleicht war der Mann abgehauen, um schon heute abend an Land zu sein, oder aber der Capitan wußte nicht einmal, wie viele Männer er genau an Bord hatte. Auf jeden Fall konnte ihnen dieser eine Spanier nicht mehr gefährlich werden. Hasard ließ den Kutscher rufen und drückte ihm eine Pistole in die Hand. „Du bewachst die Luke des Laderaums, in dem die Dons ho cken", sagte er. „Schieß jedem den Kopf ab, der sich hervor wagt." Der Kutscher blickte auf die Pistole in seiner Hand. „Und wenn zwei auf einmal auftauchen?" fragte er. Hasard schob ihn zum Niedergang. „Dann laß dir was einfallen", sagte er. „Wenn wir den Schuß hören, helfen wir dir schon." Der Kutscher zog ab. Die anderen Männer hatten inzwischen ihre Stationen eingenommen. Noch hatten sie eine halbe Stun de Zeit. Die Segel wurden vorgeheißt. Hasard inspizierte die „Isabella". Die Galeone hatte je sechs Kanonen an der Back bord- und der Steuerbordseite, zwei Drehbassen auf der Back und ebenso auf dem Achterdeck. Am liebsten hätte Hasard die Kanonen noch laden lassen, damit sie zurückschlagen konnten,
wenn ihre Flucht mißlang. Aber viel genutzt hätte es sicher nicht. Außerdem hatte er viel zu wenige Leute, um gleichzeitig die Segel und die Kanonen bedienen zu lassen. Capitan Romaro Valdez wurde in eine kleine Kammer neben der Kapitänskammer eingesperrt. Hasard ließ ihn wieder fes seln und knebeln, damit er ihre Flucht nicht doch noch im letz ten Augenblick sabotierte. Dann war es soweit. Hasard ließ die verabredeten Blinksignale hinüber zu den beiden Galeonen geben, auf denen Batuti und Ferris Tucker warteten. Nur Sekunden später gaben die beiden ihr „Verstanden!" zurück. „Setzt die Segel!" rief Hasard leise. „Es geht los, Männer! Jetzt oder nie! Ich erwarte von jedem, daß er sein Bestes gibt!" „Ave, aye, Sir!" Die Antwort schien aus sämtlichen Ecken des Schiffes zu tönen. Hasards Augen glänzten. Er wußte, daß sie es schaffen wür den. Mit diesen Männern mußte es einfach klappen. Selbst der alte John Killigrew wäre auf diese Crew stolz gewesen. Der Wind begann leise in der Takelage zu singen. Die herab fallenden Segel blähten sich sofort im steifen Ostwind. Vorn am Bug klang das Schlagen eines Beiles. Blacky kappte die Ankertrosse. 12. Ferris Tucker hatte auf die kurzen Blinksignale von der „Isa bella" geantwortet und blickte zur „Barcelona" hinüber, ob Batuti soweit war. Stenmark, der im Boot zurückbleiben sollte, stand an Steuerbord in der Kühl und hielt die Vorleine des Dingis kurz. Ferris Tucker stieß einen leisen Pfiff aus. Die Antwort folgte sofort. Auf der „Barcelona" erlöschte die Ankerlaterne nur Se kunden später, nachdem auch Ferris Tucker sie auf der „Santa
Barbara" gelöscht hatte. Stenmark enterte von Bord und stieg in das Dingi. Ferris Tucker winkte ihm zu und warf die Vorlei ne los. Das Dingi schor ab. Mit ruhigen Schritten ging der Schiffszimmermann über das Deck der Galeone, die sie von der „Marygold" aus gekapert hatten, Die „Santa Barbara" stellte mit ihrer Ladung einen schönen Wert dar, aber im Vergleich zu dem Silberschiff war sie nur ein Haufen wertloses Holz. Ein bißchen tat es Ferris Tucker schon leid, daß sie die „Santa Barbara" opfern mußten, doch wenn der Plan des Seewolfs klappte, winkte ihnen ein sagenhafter Gewinn. Ferris Tucker ging unter die Back bis zur Beting. Mit kurzen Hieben seines Handbeiles kappte er die Ankertrosse. Rau schend verschwand die Trosse durch die Ankerklüse und klatschte ins Wasser. Jetzt mußte er sich beeilen. Er lief zurück zur Kühl, schwang sich über das Schanzkleid zur Back hinauf und kroch Sekunden später über die Backgraling und von dort auf den Bugspriet. Mit wenigen Handgriffen setzte er die vor geheißte Blinde. Der Wind fing sich sofort darin und schlug Ferris Tucker die Leinwand ins Gesicht. Der Schiffszimmermann fluchte unterdrückt. Es war schon eine höllische Arbeit. Er hastete über die Decks zurück zum Kolderstock, um die Galeone vor den Wind zu bringen. Bevor er unter dem Quar terdeck verschwand, warf er einen kurzen Blick zur „Barcelo na" hinüber. Auch dort flatterte bereits die Blinde unterm Bug spriet. Ferris Tucker packte den Kolderstock und legte Hartruder. Er mußte sich ganz auf sein Gehör verlassen. Er wußte genau, wann sich die Blinde mit Wind füllte und richtig stand. Als es soweit war, laschte er das Ruder fest, lief hinaus aufs Deck und kontrollierte den Kurs. Er grinste. Er konnte sich noch immer auf sein Gefühl verlas
sen. Die „Santa Barbara" hielt genau Kurs auf eine der beiden Kriegsgaleonen, die sie sich aufs Korn genommen hatten. Mit ein paar Sätzen war Ferris Tucker in den Wanten des Fockmastes. Mit traumwandlerischer Sicherheit bewegte er sich auf der schmalen Rahe. Die Fock fiel herunter. Ferris Tu cker rutschte an den Wanten hinunter, packte unten die Schot, holte sie dicht und trimmte die Fock an Backbord. Er mußte seine ganze Kraft aufwenden, um die Fockschot dichtzuholen und an einer Klampe zu belegen. Jetzt erst fand Ferris Tucker Zeit, einen Blick hinüber zur „Barcelona" zu werfen. Batuti hatte den Kurs zweimal korri gieren müssen. Er turnte gerade auf der Fockrahe und setzte die Fock. Batuti schaute zu den Kriegsgaleonen hinüber. Noch rührte sich nirgends etwas. Langsam zog die „Santa Barbara" an der „Barcelona" vorbei, doch die unbeladene Galeone würde schnell wieder aufholen, wenn Batuti erst einmal die Fock gesetzt hatte. Ferris Tucker sah, wie die Leinwand herunterfiel und im ach terlichen Wind flatterte. Der Schiffszimmermann nickte aner kennend, als das Segel in den nächsten Sekunden dichtgeholt wurde und sich mit dem steifen Ostwind füllte. Für einen Mann, der erst vor Tagen in die Geheimnisse des Segelns ein geweiht worden war, war das eine außergewöhnliche Leistung. Ferris Tucker wurde das Gefühl nicht los, als hätte Batuti frü her schon mal was mit Segelschiffen zu tun gehabt, und sei es auch nur mit den Fischerbooten an der Küste von Gambia. Der Schiffszimmermann schwang sich wieder aufs Schanz kleid und turnte über die Rüsten der Fockwanten nach vorn zur Backgräting. Er kontrollierte die Taue, mit denen er die Pulver fässer festgezurrt hatte. Alles war in bester Ordnung. Jetzt brauchte er nur noch im richtigen Zeitpunkt die Lunte anzu zünden, dann konnte das Feuerwerk beginnen, das ihnen den Weg in die Freiheit bahnen sollte.
Ein Pfiff tönte von der „Barcelona" herüber. Ferris Tucker versuchte das Dunkel mit seinen Augen zu durchdringen. Er glaubte Batuti auf der Back zu sehen, aber er war sich nicht sicher. War der Seewolf inzwischen auch soweit? Ferris Tucker beugte sich zur Seite und blickte nach achtern. Ein paar Fle cken leuchteten in der Dunkelheit. Das konnten nur die Segel der „Isabella" sein. Ein heller Schrei ließ Ferris Tucker herumzucken. Ein Mann, wahrscheinlich die Ankerwache, auf einer der Kriegsgaleonen hatte die beiden Schiffe entdeckt, die unter Blinde und Fock genau auf Rammkurs segelten. Ferris Tucker holte seine Flintsteine heraus. Schon nach we nigen Schlägen brannte die Lunte. Zischend fraß sich der sprü hende Funken weiter. Auf der einen Kriegsgaleone war plötzlich die Hölle los. Männer brüllten durcheinander. Laternen wurden geschwenkt und Flüche ausgestoßen. Wahrscheinlich wollte man die besof fenen Idioten, die da direkt auf die Kriegsgaleonen zusteuerten, auf sich aufmerksam machen. Ferris Tucker konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Knapp hundert Yards waren die beiden Galeonen noch von den ankernden Kriegsschiffen entfernt, und den Dons blieb kaum noch Zeit, ihrem Verhängnis auszuweichen. „Batuti!" brüllte Ferris Tucker. „Presto, presto! Claro!" rief eine Stimme durch die Nacht, und Ferris Tucker brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, daß es Batutis Stimme gewesen war. Der schwarze Höllensohn dachte wohl immer noch an die Order, nur Spanisch zu spre chen, und er hatte die beiden einzigen Wörter gebraucht, die er von dem Unterricht Ben Brightons behalten hatte. Ferris Tucker überlegte nicht mehr lange. Mit einem gewalti gen Satz sprang er vom Schanzkleid kopfüber in das bewegte Wasser. Als er prustend wieder auftauchte, begann er mit kräf
tigen Zügen zu schwimmen. Erschrocken drehte er sich herum, als er ein wildes Platschen und röhrende Laute vernahm. Im ersten Augenblick dachte Ferris Tucker an ein Seeunge heuer, das sich hierher auf die Reede von Cadiz verirrt hatte, aber als das Lebewesen dicht bei ihm aufhörte zu zappeln, er kannte er das grinsende Gesicht Batutis. Der schwarze Herku les wies mit der rechten Hand auf einen Schatten, der aus der Dunkelheit auf sie zuschoß. Das Dingi war schnell heran. Ferris Tucker und Batuti zogen sich gleichzeitig über das Dollbord und grinsten Stenmark auf der Ducht an. Der blickte sich schon nach der „Isabella" um, die mit geblähten Segeln heranrauschte. „Deinen Schwimmstil mußt du mir mal zeigen", sagte Ferris Tucker zu Batuti. „Damit hättest du die Spanier ganz allein in die Flucht geschlagen." „Nix schwer", erwiderte Batuti grinsend. „Immer nur auf Wasser hauen, damit es dich nicht verschluckt." Ferris Tucker wollte noch etwas sagen, aber da war die „Isa bella" plötzlich neben ihnen. Sie ergriffen die Tampen, die ih nen zugeworfen wurden, und ließen sich nach oben ziehen. Hasard hatte nördlichen Kurs eingeschlagen und segelte lang sam mit halbem Wind an ein paar ankernden Galeonen vorbei. Ab und zu klangen Rufe von den anderen Schiffen herüber, aber Hasard hatte absolutes Schweigeverbot gegeben. Nach ein paar Minuten legte Hasard die „Isabella" direkt vor den Wind. Die Rahen wurden gebraßt und die Schoten an Backbord dichtgeholt. Die „Isabella" nahm langsam Fahrt auf. Dan O'Flynn hing vorn auf dem Bugspriet. Er hatte die Aufga be, das Dingi nicht aus den Augen zu lassen und aufzupassen, daß die „Isabella" das Boot nicht verfehlte. Die beiden Galeonen waren nur noch etwa hundert Yards von den beiden Kriegsschiffen entfernt, zwischen denen Hasard mit der „Isabella" durchbrechen wollte. Jetzt mußten Ferris Tucker und Batuti die Zündschnüre in Brand setzen.
Hasard strengte seine Augen an. Da! Ein kleiner Lichtpunkt fraß sich durch die Dunkelheit! Auf der einen Kriegsgaleone herrschte plötzlich Zustand. Ha sard hörte die Schreie der Männer gegen den Wind. Er sah, wie Laternen geschwenkt wurden. Er betete, daß die Spanier zu spät begriffen, was hier gespielt wurde. Wenn die Kapitäne nur einigermaßen auf Zack waren, würden sie die Trosse des Heckankers kappen lassen. Die Schiffe würden sich dann von allein in den Wind legen und so vielleicht dem Rammstoß entgehen. Dan O'Flynns helle Stimme krähte durch die Nacht. „Das Dingi! Ein Strich Steuerbord voraus!" Ben Brighton gab sofort einen Befehl an den Rudergänger. Behäbig legte sich die „Isabella" etwas zur Seite. Hasard jagte ein paar Männer mit Tauen nach Steuerbord, um Ferris Tucker, Batuti und Stenmark an Bord zu holen. Aufgeregte Worte flogen hin und her. Hasard sah, wie Ferris Tucker und Batuti klatschnaß über das Schanzkleid gezogen wurden. Ben Brighton jagte einen Mann los, der die Vorleine des Dingis achtern befestigen sollte. Blacky klopfte Ferris Tucker auf die Schulter. Hasard brüllte vom Quarterdeck herunter. „Jeder Mann auf seine Station, verflucht noch mal! Wir sind hier nicht auf einer Hochzeitsreise!" Die Männer liefen durcheinander, nach wenigen Sekunden herrschte wieder absolute Stille. Immer lauter wurde das Gebrüll, das von den Kriegsga leonen zu ihnen herüberschallte. Im Licht der Laternen sah Hasard, wie sich die Seesoldaten an Steuerbord drängten und den Galeonen entgegenstarrten, die ihren Kurs stur beibehiel ten. Nur noch fünfzig Yards waren die „Barcelona" und die „San ta Barbara" von ihren Zielen entfernt. Hasard begann zu grinsen. Jetzt rächte es sich, daß die Dons
vor Bug- und Heckanker lagen - und zwar breitseits zum Ost wind. Wahrscheinlich hatten sie nicht im Traum daran gedacht, daß ihnen innerhalb des Halbkreises, den die Kriegsgaleonen auf der Reede von Cadiz bildeten, jemals Gefahr drohen könne. Wenn schon, dann hatten sie mit einem Angriff von See her gerechnet. Und diesem Feind wollte man die Breitseite zeigen. Waffenbereitschaft rangierte bei ihnen vor Seemannschaft, darum lagen die Kriegsgaleonen nicht, wie es sich gehörte, im Wind, sondern quer zu ihm. Hasard korrigierte den Kurs der „Isabella" um einen Strich. Er hielt genau auf die Lücke zwischen den beiden Kriegsgale onen zu. Zwanzig Yards waren die „Barcelona" und die „Santa Barba ra" noch von ihnen entfernt. Die Dons gerieten in Panik. Wahr scheinlich hatten sie inzwischen die brennende Lunte entdeckt, die zu den großen, auf der Backgräting festgezurrten Pulverfäs sern führte. Gebannt beobachtete Hasard die Rammfahrt seiner beiden Prisenschiffe. Hoffentlich gingen die Pulverfässer nicht zu früh oder zu spät in die Luft! Noch zehn Yards! Die ersten Dons retteten sich mit waghalsigen Sprüngen ins bewegte Wasser. Dann war es soweit. Zuerst bohrte sich der Bug der „Santa Barbara" in den Rumpf der Kriegsgaleone, die Backbord voraus lag. Holz knirschte. Der Bugspriet der kleineren Handelsgaleone knickte weg wie ein Streichholz. Der Fockmast splitterte unter dem Anprall und krachte mitsamt dem Segel auf das Deck der Kriegsgaleone. Hasard hatte die Hände um die Brüstung des Quarterdecks gekrallt, daß die Knöchel weiß hervortraten. Warum explodier ten die verdammten Pulverfässer nicht? War durch den Anprall die Lunte vielleicht weggerissen worden? Hasard hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als
ein weißer Blitz mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den dunklen Himmel zuckte. Im Nu war die Nacht von Feuer erhellt. Hasard beobachtete das Chaos, das auf dem Deck der Kriegsgaleone ausbrach. Die Explosion hatte ein riesiges Stück aus der Bordwand gefetzt, so daß die oberen beiden Decks freilagen. Das Holz hatte Feuer gefangen. Schon prasselten die Flammen yardhoch. Immer mehr Männer sprangen einfach ins Wasser und ver suchten sich schwimmend zum nächsten Schiff zu retten. Die „Santa Barbara" selbst stand nun ebenfalls in Flammen. Sie hatte sich förmlich in die Kriegsgaleone verbissen und hing fest. Hasard hatte auf die „Barcelona" nicht mehr geachtet. Erst die zweite Explosion erinnerte ihn wieder daran. Er lief hinüber auf die Steuerbordseite. Während die „Santa Barbara" ihr Ziel im Vorschiff getroffen hatte, war die „Barcelona" mittschiffs in die zweite Kriegsgaleone gekracht. Die Explosion hatte den Großmast einfach weggefegt. Er hing jetzt zur Seeseite hin über Bord. Holzsplitter flogen pfeifend durch die Luft und klatschten ins Wasser. Hasard hörte das Bersten von Holz. Es klang, als breche das Schiff auseinander. Und tatsächlich sackte das Vorschiff der Kriegsgaleone ab. Der Bugspriet stand schon waagerecht zur Wasserfläche. Männer schrien und retteten sich mit einem Sprung ins Wasser. Ein paar von ihnen schafften es nicht mehr, aus der Gefahrenzone zu entrinnen. Der splitternde Fockmast schlug mitten zwischen ihnen ein und riß sie mit sich in die Tiefe. Hasard preßte die Lippen zusammen. Bis jetzt lief alles genau nach Plan. Die beiden Kriegsgaleonen, zwischen denen sie hindurchsegeln wollten, um das freie Meer zu erreichen, waren außer Gefecht gesetzt. Hasard glaubte nicht daran, daß noch einer der Dons daran dachte, sich an die Kanonen zu stellen und den Feind zu beschießen.
Die Verwirrung unter den Spaniern schien vollkommen. Auf allen Schiffen der Flota wimmelte es jetzt von Männern. Sie blickten entsetzt auf die brennenden Kriegsgaleonen und wuß ten nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Nur ein Capitan schien die Situation richtig zu deuten, als er die unter vollem Zeug segelnde „Isabella" an sich vorbei rauschen sah. Hasard hörte seine gebrüllten Befehle. „Er will uns beschießen!" rief Ben Brighton. Hasard wußte, daß es kein Zurück mehr gab. Sie durften von ihrem Kurs nicht abweichen, wenn sie nicht eins der brennen den Wracks rammen wollten. Vielleicht hätte er doch die Ka nonen laden lassen sollen. Hasard schüttelte den Gedanken ab. Er beachtete die Ga leone nicht mehr, auf der die Kanonen aus den Stückpforten geschoben wurden. Sie blieb achteraus, und es war fraglich, ob die Dons bei diesen Lichtverhältnissen überhaupt etwas treffen würden. Sie waren nur noch hundert Yards von den brennenden Kriegsgaleonen entfernt. Das Vorschiff der einen war bereits abgesoffen. Ein Stück von der Back und der Stummel des ab gebrochenen Fockmastes ragten noch aus dem Wasser. Das Achterschiff begann jetzt ebenfalls voll Wasser zu laufen und würde dem anderen Teil sicherlich bald folgen. Durch das Prasseln der Flammen hörte Hasard das Krachen von Musketen. Blacky, der mit drei anderen Männern auf der Back stand, fluchte laut. Die Kugel war haarscharf an seinem Ohr vorbeigepfiffen und in den Fockmast geschlagen. „Schießt zurück!" schrie Hasard. „Jagt sie ins Wasser!" Auf der Back krachten die Musketen der Engländer. Hasard sah, wie drüben auf dem Vorschiff der Kriegsgaleone, die von der „Santa Barbara" gerammt worden war, zwei Männer zu sammenbrachen. Die anderen Dons verschwanden hinter dem Schanzkleid. Hinter der „Isabella" entlud sich donnernd ein Geschütz. Die
Engländer hielten die Luft an. Sie hörten das Heulen der Kano nenkugel, und dann schlug das Eisen in Holz. Hasard hätte am liebsten gejubelt. Die Dons hatten viel zu hoch gezielt. Sie hatten sich um fünfzig Yards in der Entfer nung verschätzt und die schwer angeschlagene Kriegsgaleone, deren Capitan gerade dabei war, aus seinen verschreckten Leu ten wieder eine handlungsfähige Mannschaft zu formen, mitt schiffs getroffen, wo sich die meisten Soldaten aufhielten. Die Kugel hatte eine zweifache Wirkung, und beide ermög lichten Hasard und seiner Crew den endgültigen Druchbruch. Die Seemänner und Soldaten auf der Kriegsgaleone verloren endgültig den Kopf, als sie sahen, daß sie von den eigenen Leuten beschossen wurden. Sie mußten annehmen, daß die „Isabella" nicht das einzige Schiff war, das sich in Feindeshand befand. Der Capitan der Galeone aber, der das Geschoß abgefeuert hatte, hütete sich, ein zweites Mal zu schießen. Wahrscheinlich hatte er sich durch diesen einen Schuß sowieso schon seine Karriere als Capitan versaut. Das Achterschiff der Kriegsgaleone an Steuerbord der „Isa bella" krängte zur See hin. Hasard hörte das Gurgeln des Was sers, das wahrscheinlich in die geöffneten Stückpforten schoß und den Untergang noch beschleunigte. Das bewegte Wasser wimmelte von schwimmenden Män nern. Dazwischen trieben Stücke von zerfetzten Planken und zersplitterten Spieren. Ein paar Männer versuchten sich an das Dingi zu klammern, das die „Isabella" hinter sich herschleppte. Der Schwede Stenmark feuerte seine Muskete dicht über den Kopf eines Dons ab, der entsetzt die Schleppleine losließ und ins Wasser zurückfiel. Mitten zwischen den beiden zerstörten Kriegsgaleonen braus te die immer schneller werdende „Isabella" hindurch. Die „Barcelona", deren Vorschiff in hellen Flammen stand, trieb langsam auf eine andere Galeone zu. Der Capitan hatte die Ge
fahr bemerkt. Männer krochen auf den Rahen herum und setz ten Segel. Hasard fürchtete schon, das Schiff würde die Gele genheit nutzen, der „Isabella" den Weg abzuschneiden, doch die Furcht des Capitans, seine kostbare Ladung zu verlieren, ließ ihn sofort eine Halse fahren, nachdem die brennende „Bar celona" an ihm vorübergetrieben war. Im Schutz zweier ande rer Kriegsgaleonen ging er wieder vor Anker. Hasard hörte seine Männer Begeisterungsrufe ausstoßen, als sie die Wracks hinter sich zurückließen. Er atmete ebenfalls auf. Bis zum Schluß hatte er immer noch befürchtet, daß irgend etwas Unvorhergesehenes geschah, das ihnen einen Strich durch die Rechnung machte. Noch waren sie nicht außer Gefahr, darüber war er sich völlig im klaren. Die „Isabella" war nicht besonders schnell - kein Wunder bei einer solchen Ladung. Wenn die anderen Kriegs galeonen sofort unter Segel gesetzt wurden und die Verfolgung aufnahmen, sanken ihre Chancen auf ein Minimum. Hasards beste Verbündete waren der steife Ostwind und die Dunkelheit. Verdammt noch mal, sie mußten es einfach schaf fen! Die brennenden Schiffe blieben hinter ihnen zurück. Die Heckankertrosse der einen Kriegsgaleone war gebrochen, und der Wind hatte das Schiff mitsamt der in ihr verkeilten „Santa Barbara" herumgetrieben. Hasard hielt unwillkürlich den Atem an. Sie hatten mächtiges Glück gehabt, daß das erst jetzt geschah, denn sonst hätte ihnen der Rumpf der brennenden Kriegsgaleone den Weg in die Frei heit versperrt. Hasard wollte sich gerade umdrehen, als er die Stichflamme in den schwarzen Himmel stechen sah. Sekunden später rollte der Donner einer gewaltigen Explosion über das Wasser. Die Kriegsgaleone war in die Luft geflogen. Wahrscheinlich hatte das Feuer die Munitionskammern erreicht und die Pul vervorräte des Kriegsschiffes entzündet. Von der „Santa Barba
ra" war nicht mehr viel übriggeblieben, als sich der Qualm der Explosion verzog. Hasard beobachtete die Reede von Cadiz durch seinen Kie ker, und dann sah er, was er befürchtet hatte. Zwei der Kriegs galeonen begannen Segel zu setzen. Viel zu spät zwar, aber vielleicht noch früh genug, um die „Isabella" zurückzuerobern. Hasard drehte sich zu Ben Brighton herum. „Zwei von ihnen setzen Segel", sagte er. „Was meinst du, wollen wir genau nach Westen halten oder lieber auf Kap da Roca zu?" „Was ist das Vernünftigste?" fragte Ben Brighton zurück. „Genau nach Westen hinaus auf den Atlantik", sagte Hasard und blickte den Bootsmann erstaunt an. Ben Brighton verzog sein wettergebräuntes Gesicht zu einem leichten Grinsen. „Dann wirst du Kurs auf Kap da Roca nehmen, wie ich dich kenne", sagte er. Doch gleich darauf fügte er hinzu: „Die Dons werden ebenfalls annehmen, daß wir genau vor dem Wind se geln, um möglichst viele Meilen zwischen uns und Cadiz zu bringen. Vielleicht schaffen wir es so, sie abzuhängen." Hasard nickte und betrachtete den untersetzten Bootsmann von der Seite. Sonst war Ben Brighton für Hasards Geschmack immer ein bißchen zu vorsichtig gewesen, aber wenn er erst einmal auftaute, war er nicht abgeneigt, mit der Großmutter des Teufels ein Tänzchen zu wagen. „Bring die alte Dame auf Kurs Nordwest, Ben", sagte der Seewolf. „Die Dons sollen uns noch suchen, wenn wir schon längst in der ,Bloody Mary' in Plymouth sitzen und das vergif tete Zeug von Nat Plymson saufen!"
13.
Die Augen fielen Hasard vor Müdigkeit bald zu. Steuerbord achteraus zeichneten sich die ersten grauen Streifen über der Kimm ab. Noch immer jagten dunkle Wolkenfetzen über den nachtschwarzen Himmel. Hasard sah, daß seine Männer genauso fertig waren wie er. In der Nacht hatte sich der steife Ostwind zu einem ausgewachse nen Sturm gesteigert. Es war so schnell gegangen, daß Hasard, der die Segel noch möglichst lange hatte stehen lassen wollen, den Befehl zum Bergen der Marssegel zu spät gab. Die Männer schafften es noch, das Großmarssegel zu bergen, aber ehe sie damit fertig waren, hatte das Fockmarssegel schon in Fetzen von den Rahen gehangen. Hasard war nichts weiter übriggeblieben, als auch noch das Großsegel zu reffen und nur mit der Fock zu fahren. Lewis Pattern saß seither unter Deck und nähte ein neues Fockmars segel. Die anderen, die in der kalten feuchten Witterung an Deck aushalten mußten, hatten ihn beneidet. Erst eine Stunde vor dem Morgengrauen hatte der Sturm nachgelassen. Inzwischen fuhren sie schon wieder mit Großse gel, Blinde und Lateinersegel am Besan. Hasard hoffte, daß Lewis Pattern mit dem Marssegel bald fer tig war, denn wahrscheinlich würden sie bald wieder mit vol lem Zeug fahren können. Der Seewolf war über die schwere Ladung froh gewesen, denn dadurch lag die „Isabella" auch im dicksten Sturm noch ziemlich ruhig. Hasard mochte die Galeone. Sie war zwar et was plumper als die englischen Galeonen, aber sie war stabil und konnte eine Menge vertragen. Die Dons verstanden es schon, gute Schiffe zu bauen. Hasard nickte Ben Brighton zu, der neben ihm auf der Poop stand.
„Ich schau mal nach den Männern", sagte er. „Wir müssen sehen, daß wir alle ein wenig Schlaf kriegen. Hoffentlich bleibt der Wind so wie jetzt." Ben Brighton blickte nach Osten. „Könnte sein", sagte er. „Ich nehme an, daß er noch mehr nach Süden dreht." „Wäre nur gut für uns", murmelte Hasard, schwang sich aufs Quarterdeck und war mit ein paar Schritten am Niedergang zur Kühl. Hasard sah seinen Männern an, daß sie am Ende ihrer Kräfte waren. Selbst die bärenstarken Ferris Tucker, Blacky und Batu ti sahen aus wie durch die Mangel gedreht. Ihre Kleidung troff vom Wasser, das immer wieder in Gischtschleiern über das Deck wehte. Hasard zog Ferris Tucker beiseite und erklärte ihm, daß es keinen Zweck hatte, wenn sie sich kaputt arbeiteten. Der Schiffszimmermann sollte die Leute einteilen und die Hälfte unter Deck schicken, damit sie sich ausschlafen konnten. Danach ging Hasard weiter zur Back. Der Kutscher fluchte leise vor sich hin. Er war nie zufrieden mit dem Fraß, den er kochte, obwohl sich noch niemand von der Crew beschwert hatte. Gary Andrews lag in eine Decke gewickelt. In der Nacht hatte er noch Fieber gehabt, aber jetzt blickten seine Augen wieder klar. Hasard hoffte, daß er endgültig über den Berg war. Aber für die Arbeit fiel er auch weiterhin aus. Eine einzige heftige Bewegung würde genügen, um die Brustwunde wieder aufrei ßen zu lassen. Hasard wandte sich an den Kutscher. „Ich dachte, du bewachst die Spanier?" „Sie haben mich zum Kochen hochgeholt", sagte der Kut scher brummig. „Matt hat die Wache am Niedergang über nommen." Hasard wollte noch ein paar Worte an Gary Andrews richten,
als der Schuß das Heulen des Windes übertönte. Für Sekunden standen alle Männer an Deck still. Hasard reagierte als erster. Der Schuß war unter Deck gefal len, also hatte er etwas mit den gefangenen Spaniern zu tun! Hasard rannte los. Mit großen Schritten lief er an der Gräting vorbei und war als erster am Niedergang. Er schlitterte die Stu fen hinunter und knallte dabei mit dem Kopf gegen einen Decksbalken, daß er Sterne sah. Das Licht einer Öllampe erhellte das Zwischendeck nur mä ßig, aber Hasard konnte die beiden Männer, die sich dort hinten an der Ladeluke auf den Planken wälzten, deutlich erkennen. Matt Davies hatte Mühe, sich des Mannes zu erwehren, der ihn von hinten angesprungen hatte. Immer wieder versuchte er, mit seinem spitzgefeilten Haken nach seinem Gegner zu schla gen, aber der wich geschmeidig aus. Neben den beiden Kämpfenden lag eine Pistole am Boden. Der Mann, der wie ein Spanier gekleidet war, wollte mit der freien Hand danach greifen, doch Hasard war schneller. Er hat te seine Benommenheit überwunden, war mit ein paar Schritten neben Matt Davies und trat die Pistole, die der Spanier wahr scheinlich als Schlagwaffe hatte benutzen wollen, zur Seite. Hasard hörte hinter sich ein Geräusch. „Vorsicht, die ver dammten Dons kriechen aus ihrem Loch!" schrie Matt Da vies. Hasard warf sich mit aller Kraft gegen die Luke und versuch te sie wieder zuzuknallen, bevor es dem ersten Spanier gelang, herauszukriechen. Allein hätte der Seewolf es wohl kaum geschafft, aber plötz lich waren sie alle da. Ferris Tucker schlug einem der Spanier, der seinen Kopf durch die Luke steckte, einen Belegnagel über den Schädel. Blacky und Batuti warfen sich auf den Lukende ckel, und das Bürschchen Dan O'Flynn fuchtelte mit seiner Enterpike herum. „Verdammt, Junge, sei vorsichtig mit dem Ding", sagte Ferris
Tucker. „Wenn du mich damit piekst, reiß ich dir die Ohren ab." Der Spanier, der Matt Davies von hinten angefallen hatte, fiel auf den Rücken, als Matt ihm den Ellenbogen in den Magen stieß. Angesichts der feindlichen Übermacht versuchte er gar nicht erst, sich wieder zu erheben. „Was war los, Matt?" fragte Hasard. „Wie konnte der Kerl aus der Luke kriechen, ohne daß du es gemerkt hast?" „Verdammt und zugenäht! Der Kerl kam nicht aus der Luke!" Matt Davies war ziemlich beleidigt. „Er muß einen anderen Weg gefunden haben." „Vielleicht ist das der Mann, nach dem wir gesucht haben", sagte Dan. Er hielt dem Spanier seine Enterpike unter die Nase. Der Mann sprudelte ein paar Worte hervor, aber niemand verstand ihn. „Werft ihn zu den anderen", sagte Hasard. Er wollte sich schon umdrehen, als er den blutigen Arm von Matt Davies sah. Matt zuckte mit den Schultern. „Nur eine kleine Schramme von der Kugel", sagte er. „Geh rauf zum Kutscher und laß dich verarzten", sagte Ha sard. „Carter, du übernimmst hier unten die Wache. Alle halbe Glasen wird hier abgelöst. Wir können es uns nicht leisten, daß einer hier einpennt, klar?" „Aye, aye", sagte Carter, und die anderen Männer trollten sich wieder an Deck, nachdem sie den Spanier zu seinen Kum panen geworfen hatten. Ben Brighton gab Pete Ballie, der am Kolderstock stand, den Befehl, einen Strich weiter nach Steuerbord zu halten. Ben hatte recht gehabt. Der Wind hatte auf Südost gedreht und trieb die schwerfällige „Isabella" vor sich her. Hasard berichtete Ben von dem Vorfall und blickte dann zu rück nach Osten, wo sich der Himmel aufklarte und langsam rot färbte. Noch war nichts von einem Verfolger zu sehen, aber das
konnte sich schnell ändern. Zu wertvoll war die Ladung der „Isabella", als daß die Dons sie ohne weiteres entwischen las sen konnten. Der Sturm hatte auch sein Gutes gehabt. Vielleicht hatte er die Verfolger abgetrieben. Hasard schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, über Dinge nachzudenken, die er doch nicht beeinflussen konnte. Er mußte die „Isabella", mit den dreißig Tonnen Silberbarren im Bauch nach England bringen - eine Aufgabe, die ihm und seinen Männern alles abverlangen würde. Und obendrein hat ten sie noch achtundvierzig Dons und ihren Capitan an Bord. Sie würden nicht die ganze Fahrt über stillhalten. Wie leicht es zu einer Explosion kommen konnte, das hatte Hasard vorhin erlebt. „Auf nach Old England", sagte Ben Brighton grinsend, als hätte er Hasards Gedanken erraten. „Ich freue mich schon auf das Gesicht von Kapitän Drake, wenn er von deinem Coup in Cadiz erfährt..." ENDE Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 15
Jagd durch die Biskaya Von John Roscoe Craig Der Sturm beutelt die „Isabella von Kastilien". Die Männer des Prisenschiffs sind zum Umfallen müde. Doch diese Nacht hält noch mehr Überraschungen für Philip Hasard Kiliigrew bereit. Capitan Romero Valdez, sein Gefangener, ist trotz Verwundung und Fieber und trotz des Sturmes in einem Dinghi geflohen. Und als Hasard merkt, daß Valdez ein Geheimfach in der Kapitänskammer aufgebrochen und irgend etwas mitgenom men hat, da weiß er, daß es für den Spanier etwas Wichtigeres geben muß als den Tod. Aber auch der Seewolf ist zäh. Ihm ist klar, daß die spanische Flotte hinter ihm herjagt. Trotzdem befiehlt er seinen Männern: „Sucht den Bastard!"