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Parker und die »Spinne« Roman von Günter Dönges Als man ihn erschießen wollte, war Josuah Parker verständlicherweise peinlich berührt. Er lustwandelte im Lincoln Park, hart an Ufern des Michigan-Sees, genoß die kühle Abendbrise und dachte über ein Gespräch nach, das er erst vor knapp einer Stunde mit einem gewissen Paul Treston geführt hatte. Er ließ sich die Worte dieses Mannes gründlich durch den Kopf gehen und achtete nicht weiter auf die beiden Männer, die ihm unauffällig folgten. Der Butler schritt auf eine einsame Parkbank zu, die von hohen Sträuchern umgeben war. Dort wollte er sich in aller Ruhe eine seiner berüchtigten schwarzen Torpedos anzünden. Dort konnte er sicher sein, daß er mit dem Duft dieser Zigarre keinen harmlosen Passanten belästigte. Er hatte die Parkbank noch nicht ganz erreicht, als er auf die Männer aufmerksam wurde. Ohne jeden Argwohn nahm er sie zur Kenntnis. Seine Augen registrierten nur die beiden Parkbesucher, die korrekt und unauffällig aussahen und nicht die Spur an berufsmäßige Schläger oder Mörder erinnerten. Diese beiden Männer trugen dunkle Anzüge, weiche Hüte und rauchten. Sie schienen sich in eine interessante Diskussion verbissen zu haben. Sie redeten angeregt aufeinander ein und übersahen den Butler, der inzwischen die Bank erreicht hatte. Parker nahm umständlich Platz und gestattete sich den Luxus, seine schwarze Melone abzunehmen. Den altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm lehnte er gegen die Bank, entspannte sich und griff nach seinem abgewetzten, ledernen Zigarrenetui. Die beiden Parkbesucher kamen langsam näher. Ihre Stimmen waren bereits zu vernehmen, dann sogar schon einzelne Wortfetzen. Sie unterhielten sich allem Anschein nach über die augenblickliche politische Lage und wurden sich nicht einig darüber, ob der zur Zeit herrschende Präsident nun gut sei oder nicht. Parker klappte währenddessen das Etui auseinander und wollte sich mit Kennerschaft eine der pechschwarzen Zigarren heraussuchen, als plötzlich die beiden Männer vor ihm standen. Parker sah fragend hoch. Er spürte sofort, daß etwas nicht stimmte. Er ließ sich durch die glatten Gesichter der beiden Män-
ner nicht täuschen. Er wußte, daß sie sich ganz sicher nicht nach der Tageszeit erkundigen wollten. »Mister Parker…?« fragte einer der beiden Männer gedehnt. »Ich verstehe nicht recht«, antwortete Josuah Parker und tat verwirrt. Seine Finger beschäftigten sich inzwischen mit dem Zigarrenetui. Sie griffen nicht mehr nach einem der schwarzen Torpedos, sondern fingerten an dem Stahlrahmen herum. »Sind Sie Parker oder nicht?« fragte der Mann ungeduldig. Sein Partner interessierte sich inzwischen für die nähere Umgebung und nahm den Kopf etwas zur Seite. Wahrscheinlich sollte er die kommenden Vorgänge absichern. »Ich bin in der Tat Butler Parker«, sagte Parker. »Ich möchte das auf keinen Fall abstreiten.« »Dann ist ja alles in Ordnung«, erwiderte der Mann und grinste kalt. »Mehr wollten wir gar nicht wissen.« Während er noch redete, zog er blitzschnell eine Automatik, auf deren Mündung ein überdimensional großer Schalldämpfer aufmontiert war. »Sind Sie sicher, daß Sie mich meinen?« erkundigte sich der Butler. »Vollkommen!« Der Mann hob die Schußwaffe und ließ den Butler in die Mündung schauen. »Wodurch, wenn ich fragen darf, habe ich mir Ihren Unmut zugezogen?« fragte Parker. »Spielt keine Rolle, Alter…!« Der Gangster grinste und wandte sich an seinen Partner, »alles in Ordnung, Butch…?« »Alles in Ordnung, Steve«, lautete die Antwort. »Sie haben den Augenzeugen dort oben am Fenster des Hochhauses übersehen«, warf Parker ein. Er tat das würdevoll und gemessen, wie es eben seine Art war. Dadurch wirkte er völlig überzeugend. So überzeugend, daß die beiden Gangster sich unwillkürlich etwas umwandten, um nach dem Hochhaus zu sehen. Dadurch räumten sie Parker die echte Chance ein, etwas gegen seine beabsichtigte Ermordung zu tun. Parkers rechter Zeigefinger befand sich bereits in Position. Parker zögerte nicht, aktiv zu werden. Sein Zeigefinger drückte auf eine kaum sichtbare Erhebung im Innern des Zigarrenetuis. Fast synchron damit gab es dann eine dumpfe Detonation. Aus einer der fest eingebauten und unrauch-
baren Zigarren schoß eine Ladung Feinstschrot hervor. Die beiden Gangster wurden völlig überrascht. Getroffen von einer Unzahl feinster Schrotkügelchen, hüpften die Kerle wie Springbälle hoch und brachen in lautes Brüllen aus. Die Schrotkügelchen sorgten für eine Vielzahl von Schmerzquellen und hinderten die beiden Gangster daran, sich sofort mit dem Butler zu beschäftigen. Parker hingegen verfügte über seine volle Einsatzfähigkeit. Er hielt bereits seinen Universal-Regenschirm in der Hand und benutzte ihn als eine Art Golfschläger. Und da der Butler sich auf diversen Golfplätzen ausgezeichnet auskannte, wußte er diesen improvisierten Schläger auch sicher zu handhaben. Innerhalb weniger Sekunden lagen die beiden Gangster entkräftet am Boden. Sie waren derart beeindruckt, daß sie an Gegenwehr überhaupt nicht dachten. Im Grunde waren sie sogar ohnmächtig. Parker beugte sich über die beiden Männer und scheute sich nicht, ihre Taschen zu durchsuchen. Er wollte schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Wenn es sein mußte, konnte er sehr neugierig sein. Seine Erwartungen wurden nicht getäuscht. Er fand buchstäblich nichts, was auf die Identität dieser beiden Gangster hätte schließen lassen. Ihre Taschen waren leer. Das zeichnete sie als harte Profis aus. Gangster dieser Sorte gingen jedem unnötigen Risiko aus dem Weg. Ihnen lag nie daran, schnell identifiziert zu werden. Parker fand und sammelte diverse Waffen ein. Mehr war im Moment nicht zu holen. Anschließend streifte er den beiden Männern die Schuhe aus und warf sie irgendwohin ins Gesträuch. Eine zusätzliche, flüchtige Untersuchung zeigte ihm, daß die beiden Gangster nicht ernstlich verletzt worden waren. Auf weitere Maßnahmen verzichtend, setzte Parker sich die schwarze Melone auf, griff nach seinem Regenschirm und verließ gemessen den Schauplatz dieses Zwischenfalls. Das heißt, er dachte nicht daran, den Park zu verlassen. Er schlug einen kleinen Bogen und baute sich dann hinter dem Gesträuch auf. Es dauerte nur noch wenige Sekunden, bis die beiden Gangster wieder zu sich kamen. Sie richteten sich ohne jeden Übergang auf und wußten anschließend nicht, wohin sie zuerst fassen sollten. Wie gesagt, sie waren von einer Vielzahl kleiner Schrotkügelchen getroffen worden. Und jedes dieser kleinen Kügelchen hinterließ
eine Schmerzquelle für sich. »Dieser… äh… verdammte… oh, Hund«, stöhnte der Gangster, der Parker angesprochen hatte. »Ich bring den Kerl um…!« reagierte der zweite Mann und befingerte seine getroffene Kehrseite. Er stöhnte und ächzte und wagte sich nicht zu bewegen. »Los, weg hier, bevor er die Bullen alarmiert«, sagte der erste Mann. Dann trat er vorsichtig den ersten Schritt, knickte ein und fing sich gerade noch ab. Humpelnd, vorsichtig, wie auf rohen Eiern gehend, hielt er dann auf die nahe Rasenfläche zu. Sein Partner folgte ihm mit ähnlicher Vorsicht. Er litt unter einigen Schrotkügelchen, die seine Kehrseite getroffen hatten. Auf Zehenspitzen gehend, schlich er seinem Partner nach. Parker folgte ihnen vorsichtig. Die beiden Männer dachten nicht im Traum daran, daß sie verfolgt wurden. In ihrer Vorstellung war einfach kein Raum dafür, daß eines ihrer Opfer die Nerven hatte, ihnen kaltblütig zu folgen. Deckungsmöglichkeiten boten sich Parker ausreichend an. Er brauchte sich noch nicht einmal anzustrengen, um unsichtbar zu bleiben. Der Lincoln Park war schließlich eine grüne Oase, ausreichend mit Baum- und Buschgruppen bepflanzt. Stöhnend und humpelnd erreichten die beiden Gangster einen nahen Parkplatz. Sie mühten sich ab, einen der dort abgestellten Wagen zu erreichen. Sie krochen förmlich in den Buick hinein und brauchten einige Zeit, bis sie sich einigermaßen niedergelassen hatten. Parker hatte ausreichend Gelegenheit, sich das Kennzeichen dieses Wagens zu merken. Um die beiden Gangster in Trab zu versetzen, leistete Parker sich einen kleinen Streich. Er griff in den Kies und hob eine Handvoll davon auf. Diese Ladung warf der Butler geschickt auf das Wagendach des Buick. Die kleinen Steinchen prasselten auf das Dach herunter und verursachten im Wageninnern ein rätselhaftes Dröhnen. Wie von einer Feststoffrakete angetrieben, schoß der Buick danach vom Parkplatz, kurvte auf kreischenden Pneus in die Hauptstraße ein und hätte beinahe noch einen dicken Begrenzungsstein mitgenommen. Parkers Pokergesicht verzog sich zu einem jungenhaften Lächeln. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr er die beiden Männer erschreckt hatte.
Nachdem die beiden Rücklichter nicht mehr zu sehen waren, wandte der Butler sich ab und schritt würdevoll und gemessen zurück in den Park, um seinen kleinen Spaziergang fortzusetzen. Wie schon gesagt, er dachte über ein Gespräch nach, das er erst vor einer guten Stunde mit einem gewissen Paul Treston geführt hatte. Es gab da einige Dinge, die genau überlegt werden mußten. Und es ging ihm vor allen Dingen um den Weg, wie er seinen jungen Herrn für diesen Fall interessieren konnte. Für den Fall nämlich, daß hier tatsächlich ein Verbrechen vorlag…! * »Wem haben Sie in letzter Zeit besonders nachdrücklich auf die Füße getreten?« fragte Mike Rander, nachdem Josuah Parker seinen ausführlichen Bericht beendet hatte. Nach dem Zwischenfall im nahen Lincoln Park war der Butler zurück in die Dachgartenwohnung seines jungen Herrn gegangen und hatte dort von seinen Erlebnissen erzählt. »Ich wüßte nicht, Sir, wer besonders ungehalten sein könnte!« antwortete Parker. »Zudem gibt es im Augenblick keinen Fall, mit dem ich mich beschäftige.« »Sind Sie sicher, Parker?« Mike Rander saß in seinem Arbeitszimmer und studierte Akten. Josuah Parker hatte ihm einen Drink serviert und die Gelegenheit genutzt, vom Überfall zu berichten. Während Mike Rander seine Frage stellte, schaute er seinen Butler besonders mißtrauisch an. Schließlich wußte er nur zu gut, wie gern Parker sich mit Kriminalfällen befaßte. »Ich möchte einräumen, Sir, daß ich mich zur Zeit mit dem Gedanken trage, einem gewissen Mister Paul Treston etwas Hilfestellung zu leisten.« »Wer ist Paul Treston?« wollte der junge Anwalt wissen. »Der Chefbuchhalter der Wanting-Betriebe, Sir.« »Aha. Und wer sind die Wanting-Betriebe?« »Sie gehören einem gewissen Clive Wanting, in dessen Betrieben Rechen und Datenverarbeitungsmaschinen hergestellt werden.« »Bekannte Firma?« fragte Rander weiter. »In Fachkreisen bekannt, Sir«, erläuterte der Butler, der bereits wieder einmal ungewöhnlich gut und umfassend orientiert war, »die Wanting-Betriebe beliefern die NASA und stellen Kompakt-
Computer für die Raumfahrt her.« »Hört sich sehr gut an. Und warum braucht nun der Chefbuchhalter dieser Betriebe Ihre Hilfestellung? Warum wendet er sich nicht an seinen Chef, diesen Clive Wanting?« »Das ist leider ausgeschlossen, Sir, da Mister Wanting verschwunden ist. Schon seit zwei Tagen! Mister Treston, besagter Chefbuchhalter, weiß nun nicht, wie er sich verhalten soll.« »Hat Trestons Chef denn nicht hinterlassen, wo er zu finden ist?« »Er wollte wegen einer dringenden Verhandlung nach New York fliegen, Sir, meldete sich aber seit seinem Weggang nicht mehr. Mister Treston rief in New York an, dort wartete man vergeblich auf Mister Wanting.« »Wie kamen Sie an Paul Treston?« wollte Mike Rander wissen. »Wieso wandte er sich ausgerechnet an Sie?« »Eine flüchtige Bekanntschaft ohne jede tiefere Bindung«, erwiderte der Butler gemessen, »ich lernte Mister Treston vor vielen Monaten einmal in einem Fachgeschäft für Bastler und Hobbyfreunde kennen. Er erinnerte sich meiner und rief mich an diesem Abend an. Genau gesagt, wenn meine Uhr mich nicht trügt, vor anderthalb Stunden.« »Und vor einer halben Stunde wollte man Sie erschießen! Sehen Sie da einen Zusammenhang?« »Ich glaube nicht, Sir, möchte diese Möglichkeit allerdings auch nicht ausschließen.« »Welchen Rat haben Sie diesem Chefbuchhalter Treston gegeben, Parker?« »Ich riet ihm, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen, Sir.« »Ausgezeichnet, Parker. Genau das hätte ich jetzt auch vorgeschlagen. Wenn Sie mich fragen, so wird dieser Clive Wanting bald wieder auftauchen. Kein Fall für uns! Ganz zu schweigen davon, daß wir dazu auch gar keine Zeit hätten!« »Ich darf bemerken, Sir, daß die beiden Gangster, die mich zu erschießen trachteten, zu der Sorte der sogenannten Profis gehören.« »Den Eindruck habe ich auch, Parker, aber mit Treston und dem Verschwinden seines Chefs hat das überhaupt nichts zu tun.« »Ich habe mir erlaubt, mir das Kennzeichen des Buick zu merken, in dem die beiden Täter flüchteten«, sagte Parker weiter. »Schön, ich habe begriffen.« Mike Rander stand auf und nickte. »Sie wollen natürlich herausbekommen, warum man Sie erschie-
ßen wollte. Kann ich sehr gut verstehen. Setzen Sie sich also mit Lieutenant Madford in Verbindung. Er kann ja herausfinden lassen, wem der Buick gehört. Wahrscheinlich wurde er gestohlen, was Sie dann nicht weiterbringen wird.« »Ich möchte mir erlauben, Sir, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Auch Gangster pflegen hin und wieder Fehler zu machen.« »Schön, tun Sie, was Sie mal wieder nicht lassen können, Parker, aber lassen Sie mich in Ruhe…! Ich möchte damit nichts zu tun haben. Wir haben uns verstanden?« »Vollkommen, Sir. Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu tangieren.« Parker verbeugte sich knapp und verließ würdevoll das Arbeitszimmer seines jungen Herrn. Er brannte darauf, aktiv zu werden. Seit der Lösung seines letzten Kriminalfalls war schon viel zuviel Zeit verstrichen. Parker wollte sich wieder betätigen und seine reichlich bemessene Freizeit sinnvoll ausfüllen. Parker wollte gerade hinüber in sein Apartment gehen, als das Telefon in der großen Wohndiele anschlug. Parker hob ab und meldete sich. Er zuckte mit keiner Wimper, als auf der Gegenseite sich ein gewisser Paul Treston meldete. »Was kann ich für Sie tun, Mister Treston?« erkundigte sich Parker höflich und würdevoll. »Ich… also… Hören Sie, Mister Parker!« Paul Trestons Stimme war schrill und verriet Panik, »hören Sie, Mister Parker… ich… Mein Chef ist erschossen worden…!« * In unmittelbarer Nähe des City Golf Course verließ Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum und schaltete die Lichter aus. Dann orientierte er sich eingehend. Durch die Frontscheibe seines Privatwagens studierte er die Front eines modernen Apartmenthauses, von wo aus Paul Treston angerufen hatte. Das Haus war noch ziemlich neu. Es gab einen roten Baldachin, der sich von der Tür quer über den Gehsteig bis hinüber zur Fahrbahn spannte. Auf einem Parkplatz standen teure Wagen. Sie allein deuteten daraufhin, daß die Mieten in diesem Apartmenthaus nicht gerade niedrig waren.
Parker stieg aus. Vorsichtig, wie er nun einmal war, rechnete er selbstverständlich mit einer Falle. Der Vorfall im Lincoln Park wirkte immerhin noch in ihm nach. Nichts ereignete sich, als er auf den Eingang des Apartmenthauses zuschritt. In der großen Halle herrschte vornehme Ruhe. Ein Hauswart war nicht zu sehen. Parker nahm den Lift und fuhr hinauf in die dritte Etage. Von dort aus hatte Paul Treston angerufen. Genauer gesagt, vom Apartment Nummer 57 aus. Als er den Lift verließ, kam ihm bereits Paul Treston entgegen. Er war schrecklich aufgeregt und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Paul Treston war ein kleiner, vertrocknet aussehender Mann von gut fünfundfünfzig Jahren, unauffällig und devot wirkend. Er trug einen schlecht sitzenden dunkelgrauen Anzug und ein zerknittertes Hemd mit einer viel zu bunten Krawatte. »Mister Parker!« sagte er hastig, »gut, daß Sie kommen. Ich bin völlig verzweifelt. Mister Wanting… Mister Wanting, verstehen Sie… Erschossen…! Dort in seinem Apartment.« »Ich denke, wir sehen erst einmal nach«, schlug der Butler gelassen vor. »Darf ich Ihnen übrigens empfehlen, eine gewisse Fassung zu zeigen?« Ohne sich weiter um Paul Treston zu kümmern, schritt Parker dann auf das Apartment Nummer siebenundfünfzig zu, dessen Tür weit geöffnet war. Licht fiel in den dämmrigen Korridorgang. »Dort drüben… im Salon«, stotterte Treston und wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn, »erschossen!« »Sie sagten es bereits, wenn ich mich recht erinnere«, antwortete Parker fast abweisend, »ich schlage vor, Mister Treston, Sie bleiben hier in der Diele zurück. Ich hoffe, Sie haben im Tatzimmer nichts verändert, oder?« »Nichts, Mister Parker, nichts… rein gar nichts!« »Ausgezeichnet, in der Tat, sehr gut!« Parker nickte würdevoll und betrat den Salon. Mit einem schnellen, umfassenden Blick orientierte er sich. Der Salon war teuer, vielleicht etwas zu protzig eingerichtet. Es gab tiefe Ledersessel, ein Ecksofa, dicke Teppiche, ein Sideboard und einen mächtigen Arbeitstisch in der Nähe des tiefen, breiten Fensters. An der Wand hinter dem Schreibtisch erhob sich ein großer
Schränk, dessen offene Fächer mit Akten und Papieren aller Art bedeckt waren. Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit schütterem blondem Haar lag seitlich neben dem Schreibtisch und rührte sich selbstverständlich nicht mehr. Er mochte etwa knapp vierzig Jahre alt gewesen sein. Parker informierte sich weiter. Der Mann neben dem Schreibtisch war von zwei Schüssen niedergestreckt und getötet worden. Diese beiden Schüsse mußten aus nächster Nähe abgegeben worden sein, wie die Schmauchspuren am Anzug bewiesen. »Ich schlage vor, Sie kommen nun herein«, sagte Parker zur Diele hin, »fühlen Sie sich imstande, einige Fragen zu beantworten?« Paul Treston trat zögernd näher und nickte. Scheu sah er zu seinem toten Chef hinüber und wischte sich schleunigst wieder den Schweiß von der mehr als hohen, haarlosen Stirn. »Wann fanden Sie Ihren Chef?« fragte Parker überraschend gezielt. »Ein paar Minuten vor dem Anruf«, antwortete Treston. »Wieso fanden Sie hierher zur Wohnung von Mister Clive Wanting?« »Eine komische Geschichte«, sagte Treston und schüttelte noch nachträglich den Kopf, »ich rief von meiner Wohnung aus noch einmal hier an. Es hätte ja sein können, daß Mister Wanting zurückgekommen war. Und da passierte es, verstehen Sie?« »Kein Wort, wie ich fürchte«, sagte der Butler. »Hier beim Chef wurde abgehoben«, redete Paul Treston hastig weiter, »ich hörte deutlich das Atmen… Und auch das Klicken, als abgehoben wurde. Ich fragte, wer da sei, aber keine Antwort. Da hab’ ich mich sofort in den Wagen gesetzt und bin hierhergefahren.« »Eine äußerst interessante Geschichte«, stellte der Butler fest, »als Sie hier her kamen, war die Wohnung natürlich leer, nicht wahr?« »Stimmt, Mister Parker, die Tür war nur angelehnt, aber die Wohnung war leer. Bis eben auf Mister Wanting! Als ich ihn sah, habe ich Sie sofort angerufen.« »Ein vernünftiger Entschluß«, lobte der Butler zurückhaltend. »Fiel Ihnen übrigens auf, daß die Tatwaffe nicht vorhanden ist?« »Danach habe ich überhaupt nicht gesehen, Mister Parker. Sagen
Sie, was machen wir jetzt…? Mister Wanting ist doch ermordet worden? Ich begreife das einfach nicht…!« »Wann und wo verabschiedete er sich von Ihnen?« »Draußen in der Firma, in Evanstone! Von dort aus wollte er sofort zum Flugplatz fahren. Ich selbst hatte ihm die Flugkarte reservieren lassen.« »Vor zwei Tagen also…!« »Vor genau zwei Tagen. Es war Abend, als er wegfuhr. Und später, als er sich von New York aus nicht meldete, habe ich mehrfach hier in seiner Wohnung angerufen, aber niemals eine Antwort bekommen. Bis eben…!« »Sehr rätselhaft«, bemerkte Parker. »Ich fürchte, Sie werden der Polizei viele Fragen beantworten müssen.« »Natürlich, Mister Parker! Wenn ich nur ahnte, von wem mein Chef umgebracht worden ist! Ich habe keine Ahnung.« »Die Firma Wanting stellt Kompakt-Computer her?« »Ja, ich habe Ihnen ja davon erzählt, Mister Parker.« »Gab es da irgendwelche Neuentwicklungen?« »Mister Wanting experimentierte immer herum, Mister Parker. Ich glaube, er hatte eine ganz neue Sache entwickelt, aber davon verstehe ich als Buchhalter nichts. Ich weiß nur, daß er einen größeren Kredit dafür brauchte. Deshalb wollte er ja in New York mit einer Bankengruppe verhandeln.« »Ich fürchte, ich muß Sie nun nach eventuellen Feinden Ihres Dienstherrn fragen«, meinte Parker. »Sie meinen, ob Mister Wanting Feinde gehabt hat?« »So kann man es natürlich ausdrücken«, räumte der Butler ein, »gab es solche Feinde?« »Wenn es welche gab, kenne ich sie nicht«, erwiderte Treston und schüttelte den Kopf. »Gut, Mister Wanting war nicht gerade ein bequemer Chef, aber man konnte mit, ihm auskommen.« »War er in irgendwelche Affären verwickelt?« »Nein, Mister Parker, ich glaube nicht.« »War er verheiratet?« »Nein… Das heißt, er war mal verheiratet, wurde aber schon vor Jahren geschieden. In letzter Zeit traf er sich häufig mit Miß Norma Calway.« »Wo könnte ich Miß Calway unter Umständen erreichen?« wollte der Butler wissen. Paul Treston nannte eine Adresse, die Parker sich einprägte. Und als er seine nächste Frage stellen wollte, kam
es zu einer jener Überraschungen, die Parker im Grunde seines Herzens liebte. Die Tür zum Apartment wurde jäh aufgedrückt. Vom Salon aus konnte man in die kleine Diele hineinschauen. Parker erkannte zwei Männer, die er vor ganz kurzer Zeit schon einmal gesehen hatte. Es handelte sich um jene beiden Profis, die ihn im Lincoln Park hatten umbringen wollen… Daß sie diesen Plan nach wie vor verfolgten, war eindeutig zu sehen. Beide Männer trugen Schußwaffen und machten einen sehr entschlossenen Eindruck! Leicht hinkend traten sie näher. Wie gut Parkers Schrotladung gewirkt hatte, ließ sich an den vielen Heftpflastern erkennen, die sie mit sich herumtrugen. Die Stimmung der beiden Profis war schlecht. Sie mußte sich tief unter dem normalen Pegel bewegen. Sie ließen dem Butler natürlich keine Chance. Schon deshalb nicht, weil Parker ja auf den Chefbuchhalter Rücksicht nehmen mußte. Parker konnte und durfte es nicht auf eine Schießerei ankommen lassen. Wenigstens jetzt noch nicht. »Ich muß einräumen und gestehen, daß Sie äußerst hartnäckig sind«, sagte Parker zu den eintretenden Mördern. »Leider entzieht es sich meiner Kenntnis, warum Sie mich unbedingt aus dem Weg räumen wollen, wie es im Volksmund so treffend heißt.« Steve, der etwas kleinere der beiden Männer, der auch schon im Lincoln Park die Unterhaltung gepflegt hatte, sah den Butler aus zusammengekniffenen Augen an. Diesmal sagte er nichts, weil ihn ein Heftpflaster im Mundwinkel daran hinderte. Butch, der stämmigere der beiden Mörder, grinste tückisch. »Noch einmal legst du uns nicht rein«, meinte er dann. Dann deutete er mit dem Schalldämpfer seiner Waffe auf Treston und fügte hinzu: »Wer ist das?« »Paul Treston…?« dienerte der Chefbuchhalter sofort. Er hatte längst begriffen, wer diese beiden Männer waren. Er fürchtete um sein Leben. Dementsprechend war auch die Schweißentwicklung auf seiner hohen Stirn. »Und weiter…?« fragte Butch ungeduldig. »Ich… ich bin Chefbuchhalter in den Wanting-Betrieben«, führte Treston näher aus. »Das dort… ist mein Chef…!« Steve und Butch sahen gleichgültig auf den am Boden liegenden
Toten. Parker hatte den Eindruck, daß sie dieses Bild bereits sehr gut kannten. Butch sah seinen Partner Steve fragend an. Parker gewann immer mehr den Eindruck, daß Steve der Mann mit der Initiative war. Ob das aber nun stimmte, spielte im. Augenblick keine Rolle. Hier handelte es sich um zwei Berufsmörder, die sich durch Blicke darüber verständigten, daß auch Paul Treston sicherheitshalber umgebracht werden mußte. Anders ließen sich diese schnellen Blicke nicht deuten. »Bevor Sie etwas tun, was Sie später vielleicht bereuen müssen, sollten Sie sich einen bestimmten Brief ansehen«, sagte Parker, die Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkend. »Brief…?« fragte Steve mühsam, denn das Heftpflaster am Mundwinkel störte ihn wirklich. »Einen ganz bestimmten Brief, dessen Kopie ich bei mir trage«, führte der Butler weiter aus. »Das is’ doch wieder so ‘n schmutziger Trick«, meinte Butch mißtrauisch. »Ich kann Ihr Mißtrauen verstehen«, sagte Parker, »natürlich kann ich Sie nicht zwingen, sich diesen Brief anzusehen!« »Wo ist der Brief?« knautschte Steve hervor. »In meiner bescheidenen Brieftasche«, erklärte Parker. »Hol ihn raus, Butch«, sagte Steve zu seinem Partner, »aber paß auf!« »Darauf kannste Gift nehmen«, antwortete Butch. Er grinste Parker an und bedeutete ihm mit einer Bewegung seiner schallgedämpften Handfeuerwaffe, sich etwas zur Wand umzuwenden. Parker gehorchte. Äußerlich sich gelassen gebend, bereitete er sich innerlich auf eine Aktion der Verzweiflung vor. Wenn sein Bluff mißlang, mußte er damit rechnen, daß sofort geschossen wurde. Er fühlte die Mündung der Waffe, die gegen seine Rippen gepreßt wurde. Dann kroch die Hand des Gangsters vorsichtig zu den Revers seines Jacketts hoch und suchte nach der Brieftasche. Parker hielt für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an. Jetzt mußte sich zeigen, ob die beiden Gangster überrumpelt werden konnten! Butch, der die Brieftasche aus der Innentasche von Parkers Zweireiher hervorgefingert hatte, trat vorsichtig etwas zurück und gab Parker die Möglichkeit, sich wieder umzuwenden.
Dann wog Butch die Brieftasche prüfend in der Hand. Gleichzeitig sah er verächtlich auf die Brieftasche, deren Deckleder angegriffen und unansehnlich aussah. »Mach sie auf«, sagte Steve, der neugierig geworden war. »Und wenn das wieder so ein übler Trick ist?« warnte Butch. »Dann ist er geliefert«, verkündete Steve drohend. »Nun mach das Ding schon auf…!« Parker sah desinteressiert und gleichgültig aus. Seinem Gesicht war nicht abzulesen, daß sich in der nächsten Sekunde etwas tun mußte. Butch zögerte noch einen kurzen Augenblick, dann klappte er die prallgefüllte Brieftasche auf, aus deren Rändern Briefschaften und Papiere hervorlugten. Und genau in dem Moment, als er diese Brieftasche aufklappte, genau in diesem Moment erlebte er eine äußerst peinliche Überraschung. Die Brieftasche schien in seinen Händen zu explodieren. Eine kleine Feuersäule schoß hervor, die gleichwertig eine grauweiße Nebelwand mit ins Zimmer riß. Funken sprühten, grelles Licht blendete die Augen. Butch sprang verständlicherweise entsetzt zurück. Er setzte sich derart unglücklich von der zu Boden fallenden Brieftasche ab, daß er seinen Partner anrempelte. Steve kam dadurch nicht zum Schuß. Er mußte erst einmal den leicht geblendeten Butch zur Seite stoßen, wenn er ihn nicht aus nächster Nähe treffen wollte. Diese geplante Verzögerung nutzte der Butler weidlich aus. Was ja auch durchaus verständlich war. Parker, der seinen Universal-Regenschirm nach wie vor in Händen hielt, genierte sich nicht, nachhaltig zuzulangen. Steve brüllte auf, als er seine Waffe verlor. Er warf sich auf Parker. Und zwar in dem Augenblick, als Butch gerade trotz hindernder Sicht seinen ersten Schuß löste. Das Resultat war überraschend. Steve wurde getroffen. Nicht besonders schwer, aber es handelte sich immerhin um einen Streifschuß, der ihm die Lust an einer weiteren Auseinandersetzung nahm. Paul Treston sperrte Mund und Nase auf, wie es so treffend umschrieben wird. Er wußte nicht, was sich dort vor seinen Augen in Wirklichkeit
abspielte. Er sah Rauch, Feuer, hörte einen Schuß, hörte ein entsetztes Brüllen und sah dann einen altväterlich gebundenen Regenschirm, der durch die Luft wirbelte. Und als er sich von seiner grenzenlosen Überraschung erholt hatte, stand Josuah Parker steif, gemessen und würdevoll vor zwei Männern, die auf dem Teppich Platz genommen hatten und sich mit ihren Blessuren beschäftigten. »Würden Sie nun die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, warum Sie mich unbedingt ermorden wollen?« fragte Parker sich an die beiden Gangster wendend, »ich kann mir vorstellen, daß Sie dies nicht aus einer gewissen Langeweile tun.« Steve massierte sich seinen getroffenen Oberschenkel. Daß es sich um einen Streifschuß handelte, war deutlich zu sehen. Butch fuhr sich gedankenverloren über eine dicke Beule am Hinterkopf und schaute respektvoll auf Parkers Regenschirm. »Ich fürchte, ich werde Sie der zuständigen Polizei übergeben müssen«, redete der Butler weiter. »Wenn schon…!« maulte Butch und verbiß sich die Schmerzen am Hinterkopf. »Sie sind auch noch dran!« stöhnte Steve, der mit der Streifwunde beschäftigt war, die noch nicht einmal sonderlich stark blutete, »Sie bleiben auf der Liste, Parker…!« »Ich kann Ihre Erregung durchaus verstehen«, erwiderte Parker höflich, »verstehen kann ich allerdings nicht, warum Sie sich derart hartnäckig mit meiner bescheidenen Wenigkeit befassen.« »Ich… ich rufe die Polizei an«, erbot sich Paul Treston. »Verlangen Sie Detektivlieutenant Madford oder Sergeant McLean«, bat Parker. »Die Zusammenarbeit mit diesen beiden Herren war bisher immer das, was man recht ersprießlich nennt.« Während Paul Treston ans Telefon ging und die Polizei anrief, musterte enttäuschten und wütenden Eindruck machten. Nach wie vor blieb die Frage unbeantwortet, ob Butch und Steve etwas mit dem Verschwinden und der Ermordung von Clive Wanting zu tun hatten. Wer würde darauf eine Antwort geben können? Parker dachte an die Auskünfte, die Paul Treston ihm erteilt hatte. Der ermordete Clive Wanting wollte Geld für eine seiner Erfindungen auftreiben, für eine Erfindung auf dem Gebiet der Kompakt-Computer. Ging es um diese Erfindung? War Parker ohne sein Dazutun in eine harte Spionageaffäre hin-
eingeschliddert? Wenn das stimmte, konnte er sich auf weitere, mörderische Überraschungen gefaßt machen… * Lieutenant Madford, ein drahtiger, energischer Detektiv, musterte die beiden Gangster Steve und Butch. Dann wandte er sich an Sergeant McLean, der neben ihm stand. »Haben wir die beiden Figuren nicht schon mal gesehen?« fragte er dann. »Sie nennen sich Steve und Butch«, erläuterte der hinzutretende Parker und deutete dann auf den verletzten Steve. »Dies ist jener Mann, der Steve heißt.« »Mir geht ein Licht auf«, sagte McLean, ein großer, breitschultriger Mann von etwa fünfzig Jahren, der, was seine Ausmaße anbetraf, einem Grislybären glich. »Steve Hotchins und Butch Amsen. Erinnern Sie sich, Sir?« »Natürlich erinnere ich mich«, erwiderte Madford zurück. Etwas an ihm erinnerte stets an einen gemäßigten Choleriker. »Affäre Murdoch…! Hotchins und Amsen erhielten damals je drei Jahre!« Steve Hotchins und Butch Amsen schienen überhaupt nicht zuzuhören. Sie wußten, daß sie im Augenblick restlos verspielt hatten. McLean winkte zwei uniformierte Beamte in den Salon, die draußen in der Diele respektvoll gewartet hatten. »Handschellen und abführen«, sagte er, auf die beiden Gangster deutend, »und höllisch aufpassen! Nehmt zwei Streifenwagen, Jungens! Man kann nie wissen…!« Lieutenant Madford wollte etwas sagen, schluckte seine Worte aber hinunter. Er widmete sich Parker und dem Chefbuchhalter Treston. Madford wollte endlich wissen, was anlag. Dementsprechend fielen seine Fragen auch aus. Sie kamen scharf wie Pfeffer. »Ich schlage vor, Sir, Sie unterhalten sich erst einmal mit Mister Treston«, sagte Parker höflich und distanziert. »Er dürfte sich in der Vorgeschichte dieses Falles besser auskennen als meine bescheidene Wenigkeit.« Madford nickte und drängte den immer noch ängstlichen und fassungslosen Paul Treston in eine Ecke des Salons. Dann feuerte er eine Frage nach der anderen ab. Er war damit derart beschäftigt, daß er nicht weiter auf den Butler achtete.
Josuah Parker nutzte seine Chance. An einer ausführlichen Unterhaltung mit Madford war er nicht interessiert. Er brannte darauf, sich mit einer gewissen Norma Calway zu unterhalten, deren Adresse er ja von Treston erfahren hatte. »Ich werde mir die Freiheit nehmen, eine meiner Zigarren zu rauchen«, sagte er zu McLean, der draußen im Korridorgang stand und der Gruppe nachschaute, die gerade im Lift verschwand. Drei uniformierte Polizisten führten Steve und Butch ab. »Sie… Sie wollen rauchen?« sagte McLean und drehte sich entsetzt zu Parker um, »aber bitte nicht hier, Parker. Wir haben unsere Gasmasken nicht mitgebracht.« »Ich bin sicher, daß Sie einen Ihrer kleinen, manchmal geglückten Scherze machen wollen«, entgegnete der. Butler würdevoll. »Von Scherz kann überhaupt keine Rede sein«, wehrte McLean ab, »Sie tun uns allen einen Gefallen, wenn Sie drüben im Treppenhaus rauchen. Da ist die Längslüftung besser!« Parker verzichtete auf eine Antwort. Er konnte einfach nicht verstehen, warum die Spezialmischung seiner Zigarren stets auf eisige bis entsetzte Ablehnung stieß. Er hielt seine Spezialzigarren für unübertroffen. Er beeilte sich, McLean zu verlassen, der natürlich nicht ahnen konnte, daß Parker sich eigentlich nur absetzen wollte. Ohne Verzicht auf Würde, dennoch schnell, eilte Parker zum Lift hinüber, dessen Korb sich, wie die Leuchtanzeige auswies, nach unten senkte. Parker wollte nicht warten, bis der Lift wieder oben war. Daher nahm er die Treppe und stieg nach unten. Er hatte die untere Halle noch nicht ganz erreicht, als er plötzlich dumpfe Schüsse hörte. Sie fielen in schneller Reihenfolge. Bruchteile von Sekunden später peitschten Schüsse anderen Kalibers auf. Sie stammten mit größter Sicherheit aus den Dienstwaffen der Polizei. Parker zog seinen vorsintflutlich aussehenden Colt und beeilte sich, in die Halle zu gelangen. Er wollte die Treppe gerade verlassen, als ein Geschoß dicht an seinem Kopf vorbeizischte und sich in die Wand bohrte. Parker orientierte sich. Neben der geöffneten Lifttür lag ein uniformierter Beamter, der sich nicht mehr rührte. Hinter einer riesigen Blumenvase hatte ein weiterer Beamter De-
ckung genommen und feuerte in Richtung Eingang. Ein dritter Beamter lag hinter einem umgestürzten Sessel und schoß ebenfalls. Aber von Steve Hotchins und Butch Amsen war nichts zu sehen. Sie schienen sich bereits abgesetzt zu haben. Vor dem Haus röhrte ein Wagenmotor gequält auf. Dann kreischten Reifen, die beim schnellen Anfahren übertourten. Wagentüren wurden knallend zugeschlagen. Draußen vor dem ApartmentHaus weitere Schüsse. Die beiden Polizeibeamten erhoben sich. Sie achteten nicht weiter auf den Butler, sondern eilten auf ihren Kollegen zu, der vor der geöffneten Lifttür lag. Dieser Mann war offensichtlich böse getroffen worden. Durch den Eingang stürmten nun zwei Polizeibeamte. Sie sahen ziemlich verschmutzt und mitgenommen aus. Auch sie hielten Schußwaffen in ihren Händen. Wahrscheinlich hatten sie dem davonjagenden Wagen einige Schüsse nachgeschickt, nachdem sie von den Gangstern erst einmal eingedeckt worden waren. Parker zog sich vorsichtig zurück. Aus Erfahrung wußte er, was jetzt folgte, nämlich Verhöre, das cholerische Herumbrüllen Madfords und die allgemeine Hektik, die stets solch einer Schießerei folgte. Parker drückte sich elegant an der Treppe vorbei und verschwand hinter einer unauffälligen Tür hart neben der Treppe. Wahrscheinlich führte sie in die Arbeits- und Wirtschaftsräume dieses großen Hauses. Er wurde nicht enttäuscht. Hinter der Treppe befand sich ein langer Korridorgang, von dem einige Türen abzweigten. Parker wählte jene Tür, die ihm versprach, ihn auf dem schnellsten Weg in den Hinterhof zu bringen. Wenige Minuten später hatte der Butler es geschafft. Er stand im gesuchten Hinterhof und wollte hinüber zu einer schmalen Gasse gehen, die hinter einem geöffneten Hoftor zu erkennen war. Parker schritt würdevoll auf dieses Tor zu. Er überlegte gerade, wie er sich ungesehen in den Besitz seines parkenden Privatwagens setzen konnte, als er plötzlich eine weitere, peinliche Überraschung erlebte. Diese Überraschung bestand in einem Revolverlauf, der ihm nachdrücklich und unmißverständlich gegen den Rücken gepreßt wurde. Worauf Parker blitzschnell reagierte und sicherheitshalber
erst einmal die Arme hochnahm. Er war keineswegs erpicht darauf gleich hier an Ort und Stelle erschossen zu werden…! * »Parker…?« hörte er dann eine erstaunte Stimme hinter sich. »In der Tat, mein Name ist Parker, Josuah Parker«, antwortete der Butler und nahm die Arme langsam wieder herunter. Er wandte sich um, zumal der Druck des Revolverlaufs sofort verschwand. »Mann, da hätte ich ja beinahe Blödsinn angestellt«, sagte ein mittelgroßer Mann mit fleischigem Gesicht und kräftiger Nase, »ich hab’ die Knallerei drüben im Haus gehört und dachte mir gleich, daß sich hier was tun würde.« »Ich möchte annehmen, daß ich Sie kenne«, sagte Parker. Er studierte das Gesicht des Mannes, der seine Waffe gerade wegsteckte, »richtig, sind Sie nicht Mister Dave Lounters?« »Stimmt, Dave Lounters von der Detektei Custer…!« »Natürlich, wie konnte ich nur einen winzig kleinen Moment zweifeln«, entschuldigte Parker sich. »Sie sehen mich erstaunt, Mister Lounters. Darf ich höflichst fragen, was Sie hier tun?« »Sagen Sie mir mal erst, was da drüben im Haus los ist?« »Eine Schießerei… Sie fand wohl im Zusammenhang mit der Ermordung von Mister Clive Wanting statt!« »Wie bitte…? Wanting ist erschossen worden?« Lounters Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Sie kennen Mister Wanting?« »Persönlich nicht, aber wegen Wanting habe ich mich hier aufgebaut. Chefauftrag, verstehen Sie?« »Kein Wort, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben soll.« »Wanting hat sich vor einer guten Woche an meinen Chef gewandt, verstehen Sie? Er fühlte sich bedroht. Um was es genau ging, weiß natürlich nur Custer. Schön, er schickte mich los! Seit drei Tagen bin ich hinter Wanting her und lasse ihn nicht aus den Augen.« »Sind Sie vollkommen sicher?« fragte Parker, dem diese lapidare Erklärung kaum reichte. Er dachte an den Toten oben im Apartment. Und erst jetzt fiel ihm tatsächlich ein, daß Wanting erst vor
ganz kurzer Zeit niedergeschossen worden sein mußte. Das hatte man an gewissen Merkmalen leicht ablesen können. »Natürlich bin ich sicher«, antwortete Lounters, »seit drei Tagen wird Wanting wechselnd unter Sichtkontrolle gehalten.« »Wann haben Sie ihn heute zuletzt gesehen?« »Na ja, ich würde sagen, so ungefähr vor zwei oder zweieinhalb Stunden. Er ließ seinen Schlitten drüben in einer Querstraße stehen und ging zu Fuß hier durch die Gasse rüber ins Haus. Kurz danach flammte Licht in seinem Apartment auf. Ich sah ihn auch deutlich am Fenster stehen. Übrigens war er nicht allein.« »Ihre Hinweise sind außerordentlich interessant«, stellte Parker fest, »wissen Sie zufällig, wer sich zusätzlich in seiner Wohnung befand?« »‘ne Frau… Ich glaube, es war diese Calway, seine Freundin, verstehen Sie?« »Ich bemühe mich jedenfalls«, sagte Parker, »Sie hörten im Verlauf dieser zweieinhalb Stunden keine Schüsse.« »Nichts! Das heißt, unter uns, Parker, ich“ war mal für ‘ne halbe Stunde drüben in ‘ner kleinen Bierbar und hab’ ein paar Hamburger gegessen…!« »Reißen Sie mich bloß nicht rein«, bat Lounters. »Sie wissen doch, wie Custer ist! Der schmeißt mich glatt raus. Gibt ohnehin Stunk, wenn er von diesem Mord hört!« »Mister Wanting kam also allein, als Sie ihn verfolgten?« »Er war allein, das ist sicher, Parker. Ich schätze, die Frau hat schon oben in seinem Apartment auf ihn gewartet, sagen Sie, ob sie’s getan hat…?« »Das entzieht sich meiner Kenntnis!« »Wie kommen Sie eigentlich hierher?« wollte Dave Lounters wissen und rieb sich den Rücken seiner kräftigen Nase. Parkers erster Eindruck verstärkte sich noch etwas. Lounters schien mindestens ein halbes Dutzend dieser flüssigen Alkohol-Hamburger zu sich genommen zu haben. Er stand nicht mehr vollkommen sicher auf den Beinen. »Mister Wantings Chefbuchhalter, ein gewisser Mister Treston, bemühte sich um meine Wenigkeit«, erläuterte Parker, »laut Mister Treston ist Mister Wanting schon seit zwei Tagen verschwunden, beziehungsweise nicht mehr in der Fabrik gewesen!« »Kann schon stimmen«, gab Lounters grinsend zurück, »ich weiß genau, daß er nicht in seinem Betrieb war… Er fuhr vor zwei Ta-
gen raus zum Flugplatz. Da war ich gerade mal wieder auf ihn angesetzt, aber er gab dort nur seine Flugkarte zurück und brauste wieder runter in die Stadt. Dann war er laufend unterwegs, Sie verstehen? Wenn Sie mich fragen, hatte er Angst! Mächtige Angst sogar. Drüben im Loop stieg er als Mister Brown in einem kleinen Hotel ab, dort wohnte er auch bis jetzt, ich meine, bis eben, als er sich auf die Socken machte und hierher zurück in seine Wohnung fuhr.« »Von wem fühlte Mister Wanting sich bedroht?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Keine Ahnung, da müssen Sie den Chef fragen, verstehen Sie…? Custer läßt doch niemals die Katze aus dem Sack, dieser verdammte Geheimniskrämer… Ich weiß nur, daß Wanting Angst hatte, von irgendwelchen Burschen umgelegt zu werden.« »Eine durchaus begründete Angst, wie sich zeigte«, entgegnete der Butler. »Sie entschuldigen mich jetzt bitte, Mister Lounters. Ich habe noch zu tun!« »Ich werd’ auch abhauen und dem Chef Bescheid sagen«,’meinte Lounters und rülpste diskret. »Nochmals, Parker, reißen Sie mich bloß nicht rein…! Custer geht sonst an die Decke, verstehen Sie?« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und verschwand in der schmalen dunklen Gasse. Er war durchaus zufrieden, daß er diesen Dave Lounters getroffen hatte. Gewisse Dinge und Möglichkeiten schälten sich nun heraus. Laut Lounters hatte Mister Wanting sich also bedroht gefühlt. Und deswegen hatte er sich an die Detektei Mike Custer gewandt, eine Detektei, mit der Parkers junger Herr, Mike Rander, schon einige Male zusammengearbeitet hatte. Vor knapp einem Jahr zum letzten Mal, wie Parker sich erinnerte. Der Butler erreichte eine Nebenstraße und kam von dort aus zurück auf die Hauptstraße, wo sein hochbeiniges Monstrum stand. Er verzichtete darauf, seinen geplanten Ausflug zu einer gewissen Norma Calway zu unternehmen, sondern schlenderte harmlos zurück zum Eingang des Apartment-Hauses, wo Sergeant McLean bereits ungeduldig auf ihn wartete. Parker hütete sich, auch nur ein einziges Wort über seine Unterhaltung mit Lounters zu sagen. Diskret wie er war, wollte er solche Dinge nicht an die unnötig große Glocke hängen…!
* »Und was sagte Madford zu dieser ganzen Geschichte?« fragte Mike Rander eine gute Stunde später, nachdem der Butler sich bei ihm zurückgemeldet hatte. »Ich fürchte, Sir, man mußte seine Äußerungen als unqualifiziertes Toben bezeichnen«, erwiderte der Butler, der seinem jungen Herrn natürlich einen genauen Bericht erstattet hatte. »Kann ich mir vorstellen.« Mike Rander schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. »Drei Polizeibeamte bringen zwei Gangster nach unten zum Wagen und werden aus dem Hinterhalt heraus überfallen. Die beiden Gangster verschwinden spurlos und lassen nur diesen toten Clive Wanting zurück…!« »Auch ich war das, Sir, was man gemeinhin schockiert nennt«, gestand der Butler. »Diese Zwischenfälle haben mir allerdings eindeutig bewiesen, daß der Überfall im Lincoln Park auf meine bescheidene Wenigkeit in einem direkten Zusammenhang mit dem Verschwinden und der Ermordung von Mister Wanting steht.« »Das kann man wohl sagen«, pflichtete Mike Rander seinem Butler bei. »Eindeutiger geht’s nicht…! Aber warum hat man Wanting erschossen? Und warum ist man so hartnäckig hinter Ihnen her? Es ist doch wohl so, daß Sie gleich nach Ihrem Gespräch mit dem Chefbuchhalter Treston ebenfalls erschossen werden sollten.« »Diesem Eindruck kann ich mich in der Tat nicht verschließen, Sir.« »Demnach muß Treston doch also beschattet worden sein! Demnach muß Ihre Unterhaltung mit ihm genau mitverfolgt worden sein. Wo fand diese Unterhaltung mit Treston statt?« »In einer seriösen Bar, Sir, die dazu noch recht gut besucht war. Ich könnte Ihnen nicht sagen, ob mir während dieser Unterhaltung etwas aufgefallen ist.« »Treston bestimmt auch nicht…!« Rander drückte die gerade angerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und blieb dann nachdenklich neben dem großen Fenster stehen, durch das man hinaus auf den nächtlichen See schauen konnte. »Sie rechnen also mit irgendeiner Spionagegeschichte?« »Ich möchte mich auf keinen Fall unnötig festlegen, Sir«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflich-vorsichtigen Art, »es hat allerdings den Anschein, wie ich schnell hinzufügen möchte.«
»Na schön, zerbrechen wir uns jetzt nicht unnötig den Kopf, Parker! Ich werde morgen mit Mike Custer reden. Er muß mir sagen, warum Wanting sich hilfesuchend an ihn gewandt hat. Ich muß wissen, vor wem er sich fürchtete. Vielleicht bringt uns das weiter.« »Sie kennen Mister Custer gut, Sir?« »Nun ja, wir sind nicht gerade befreundet! Sie wissen doch, Custer hat früher mal hin und wieder für mich gearbeitet. Auf dem Umweg über das Anwaltbüro selbstverständlich.« »Darf ich fragen, Sir, warum Sie auf die weiteren Dienste von Mister Custer verzichteten?« »Wegen irgendwelcher Spesengeschichten…!« Als Mike Rander den fragenden Blick seines Butlers bemerkte, fügte er hinzu: »Custer ging darin sehr pauschal vor… Ich will nicht gerade sagen, daß er betrog, aber er legte verschiedene Abmachungen sehr weitherzig aus! Daraufhin trennten wir uns.« »Sie kennen Mister Custer gut Sir?« »Custer ist ein kleiner, dicker, gerissener Bursche. Sehr tüchtig in seinem Fach. Sehr clever! Er hat seine Privatdetektei sehr schön hochgebracht und beschäftigt jetzt gut ein Dutzend Leute. Er scheint sich in seiner Branche durchgesetzt zu haben.« Parker deutete das anschließende Gähnen seines jungen Herrn vollkommen richtig. Er erkundigte sich noch nach irgendwelchen Wünschen, um sich dann von Mike Rander für den Rest der Nacht zu verabschieden. Parker ging hinüber in sein Apartment und begab sich zu Bett. Lange noch lag er wach herum und dachte nach. Es gab da gewisse Dinge, die ihm bereits jetzt schon nicht mehr schmeckten. Er wollte gerade das Licht ausschalten, als das Telefon sich meldete. Da Parker die Hauptleitung auf seinen Privatanschluß umgestellt hatte, um Mike Rander eine ungestörte Nachtruhe zu bescheren, brauchte er nicht aufzustehen, sondern nur seinen rechten Arm zu bemühen. Er hob den Hörer des Nebenapparates ab und meldete sich. Parker, wurde nicht enttäuscht. Mit solch einem oder ähnlichen Anruf hatte er eigentlich die ganze Zeit über schon gerechnet. Er kannte doch die Praktiken gewisser Gauner und Gangster, die es einfach nicht lassen konnten, dumpfe Drohungen auszustoßen. »Hören Sie, Parker«, sagte eine verzerrt und undeutlich klingende Stimme, »Sie wissen, daß wir verdammt hartnäckig sein können.
Bisher haben Sie Glück gehabt. Aber morgen, irgendwann im Laufe des Tages, sind Sie reif… Es sei denn, Sie setzen sich sofort ab und nehmen sich für die kommenden Wochen ‘nen längeren Urlaub, klar?« »Ich verstehe, um der Wahrheit die Ehre zu geben, natürlich kein Wort«, antwortete der Butler, »könnten Sie sich unter Umständen etwas präziser ausdrücken?« »Sie stecken Ihre dreckige Nase in Dinge, die Sie nichts angehen! Bin ich jetzt deutlicher gewesen?« »Oh, ich vermute, Sie spielen auf den Fall Clive Wanting an, ja?« »Du lieber Himmel, kapieren Sie aber schnell«, kam die ironische Antwort. »Denken Sie an meine Warnung! Falls Sie morgen noch hier in der Stadt sind, hetze ich meine Leute auf Sie…! Den Abend werden Sie dann mit Sicherheit nicht mehr erleben…« »Sie scheinen mich gut zu kennen«, antwortete Parker, der plötzlich wußte, worüber er nachgedacht hatte. »Und ob ich Sie kenne…!« »Auf der anderen Seite kennen Sie mich nun wieder gar nicht«, redete der Butler dann weiter. »Sie müßten sonst wissen, daß ich mich niemals einschüchtern lasse. Es würde meinen ureigensten Prinzipien widersprechen, wie ich beiläufig feststellen möchte…!« Nachdem der Butler diese Feststellung getroffen hatte, legte er auf und löschte das Licht. Er gedachte einen erholsamen Schlaf zu tun. Daran vermochte auch dieser Anruf nichts zu ändern…! * Nach gut einer Stunde wurde Parker wach. Nicht sein stets wacher Instinkt hatte ihn geweckt, sondern ein dunkles Schnarren. Parker richtete sich auf, schaltete das Leselicht ein und stellte erst einmal den elektrischen Schnarrer ab, der sich neben seinem Bett an der Wand befand. Das bewußte Schnarren hatte ihm auf elektrischem Weg angezeigt, daß ungebetener Besuch draußen vor der Tür stand. Der noch unbekannte Besucher wußte natürlich nicht, daß er ungewollt Alarm geschlagen hatte. Er konnte ja nicht wissen, wie leidenschaftlich gern der Butler bastelte und wie gut und raffiniert er den Dachgarten samt dem Penthouse abgesichert hatte.
Parker kleidete sich schnell an, ging dabei aber nicht hastig vor. Gemessenheit und Würde zeichneten ihn auch in der jetzigen Situation aus. Nachdem er korrekt angekleidet war, schaltete er den Schnarrer wieder ein. Er meldete sich nach wie vor, ein sicheres Zeichen dafür, daß der unbekannte, nächtliche Besucher immer noch an der Tür herumbastelte, die ihm den Zutritt zum Dachgarten versperrte. In der Wohndiele des Penthouse öffnete der Butler einen kleinen Wandschrank und schaltete das darin befindliche Fernsehgerät ein. Auf dem kleinen Bildschirm war wenig später eine mittelgroße Gestalt zu erkennen, die tatsächlich vor der Tür zum Dachgarten stand und sich angestrengt abmühte, das komplizierte Schloß zu knacken. Parker hatte genug gesehen. Er griff nach der schwarzen Melone und nach seinem Universal Regenschirm. Dann legte er einen kleinen Hebel um, der sich ebenfalls im Wandschrank befand und betrat eine kleine Garderobenkammer, die völlig unverfänglich aussah. Diese begehrte Garderobe, in der selbstverständlich Hüte und Mäntel untergebracht waren, hatte so etwas wie einen doppelten Boden. Auf einen Knopfdruck hin schwenkte die Rückfront dieser Garderobe zur Seite und gab eine steile Wendeltreppe frei. Ohne zu Zögern stieg der Butler nach unten. Auf diesem direkten Weg kam Parker hinunter in die darunter befindliche Etage, die ebenfalls zu Mike Randers Räumen gehörte und in der sich eine Scheinfirma befand, in der nie gearbeitet wurde. Die Wendeltreppe endete hier in einem großen Rollschrank, aus dem der Butler wenig später hervortrat. Auf diesem Weg war es ihm gelungen, den Dachgarten zu verlassen, ohne gesehen zu werden. Ein Fluchtweg oder ein Geheimzugang zum Penthouse, der sich schon oft ausgezahlt hatte! Wenn es sein mußte, konnten Josuah Parker oder sein junger Herr sogar noch eine weitere Etage darunter erreichen. Ebenfalls auf dem Weg über eine getarnt angebrachte Wendeltreppe. Da Mike Rander der Besitzer dieses riesigen Bürohochhauses war, hatte er sich diesen räumlichen Luxus leisten können. Parker dachte nicht daran, den Türknacker zu überraschen. Ihm kam es darauf an, diesen nächtlichen Besucher später diskret zu verfolgen. Er wollte herausfinden, mit wem er es zu tun hatte und
wo dieser Besucher wohnte. Nachdem der Butler die Räume der Scheinfirma verlassen hatte, benutzte er die Feuertreppe nach unten. Es handelte sich, wie bei allen Neubauten, natürlich um eine feuersichere Innentreppe, die bis hinunter ins Erdgeschoß führte. Dort angekommen, suchte Parker die Tiefgarage auf und setzte sich an das Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Er fuhr hinaus zur Straße und hielt dort an. Dann schaute er auf seine Uhr. Er hatte genau gestoppt, wann er den kleinen Hebel im Wandschrank der Diele umgelegt hatte. Seiner Schätzung nach blieben dem nächtlichen Besucher vor der Tür nur noch zehn Sekunden. Es konnte demnach nicht mehr lange dauern, bis dieser Mann ebenfalls unten auf der Straße auftauchte…! * Der mittelgroße Mann vor der Tür mühte sich verzweifelt ab, das Schloß zu knacken. Sein ohnehin schon fleischiges, gedunsenes Gesicht hatte sich vor Anstrengung vollkommen verzerrt. Der Mann zweifelte schon seit Minuten an seinem Können. Verständlich, wenn man bedenkt, daß er bisher fast jedes gängige Türschloß hatte bewältigen können. Der Mann beugte sich gerade wieder zum Türschloß hinunter und leuchtete es mit einer kleinen, aber leistungsstarken Taschenlampe an, als er auf der ganzen Linie überrascht wurde. Seine Hand, die den komplizierten Nachschlüssel führte, schien urplötzlich von einem starken, unerklärlichem Tremor befallen zu sein. Die Finger samt Hand zitterten wie Espenlaub. Nur bedeutend stärker und nachhaltiger…! Und dieses Zittern griff prompt auf den ganzen Körper des Mannes über. Ein böser Schüttelfrost schien ihn zu packen. Ein Schüttelfrost, der sich fast bis zur Raserei steigerte. Der entsetzte Mann wollte seine Hand zurückziehen, doch das gelang nicht sofort. Der starke Stromstoß, auf keinen Fall natürlich lebensgefährlich, hielt ihn fest und schüttelte ihn weiter durch. Bis der Zeitkontakt ablief. Der Mann, endlich befreit vom Strom, sackte kraftlos in sich zusammen und starrte mit entsetzten Augen auf die Tür, die sich
auf geheimnisvolle Art und Weise so nachdrücklich gewehrt hatte. Doch damit nicht genug. Parker hatte seinerzeit beim Bau dieser Abwehranlage daran gedacht, daß erschöpfte und schweißüberströmte Eindringlinge einer kräftigen Erfrischung bedurften. Der kraftlos in sich zusammengesackte Mann wurde ohne jede Vorwarnung aus einigen versteckt angebrachten Druckdüsen mit eiskaltem Wasser übergossen. Der Eindringling sprang hoch, als sei er von einer Peitschenschnur getroffen worden. Während ihm das Druckwasser um die Ohren knallte, flüchtete er sich hinüber zum Lift, dem einzigen Zugang zu dieser kleinen viereckigen Diele. Doch die Tür zum Lift ließ sich erstaunlicherweise nicht öffnen. Erstaunlicherweise für den Eindringling. Auf keinen Fall aber für den Butler, denn er hatte schließlich all jene Überraschungen entworfen und eingebaut. Innerhalb weniger Sekunden wirkte der Eindringling wie ein begossener Pudel. Von den Druckstrahlen immer wieder durchgebeutelt und herumgeworfen, zerrte der Mann verzweifelt am Griff der Lifttür, die sich nach wie vor nicht öffnen ließ. Bis auch hier der Zeitkontakt abgelaufen war. Und die Tür sich endlich öffnen ließ. Zitternd am ganzen Leib, raste der Eindringling mit dem Lift hinunter in die große Empfangshalle im Erdgeschoß. Er kroch auf zitternden Knien aus dem Lift und schleppte sich entkräftet durch die leere und dunkle Halle hinüber zur großen Glastür. Dann endlich hatte er es geschafft und konnte zu seinem Wagen laufen, der hart am Straßenrand parkte. Bevor er einstieg, sah er noch einmal an der hohen dunklen Hauswand hinauf. Nichts war zu sehen. Nichts war zu hören. Und dennoch hatte er das sichere Gefühl, spöttisch ausgelacht zu werden. Der Mann mit dem fleischigen Gesicht setzte sich ans Steuer und fuhr los. Sein Bedarf war restlos gedeckt, wie der Volksmund es wohl treffend ausgedrückt hätte. Er wollte so schnell wie möglich zurück in vertraute Gefilde, wo mit bösen Überraschungen nicht zu rechnen war. Und er nahm sich vor, sich auf solche Abenteuer nicht mehr einzulassen, mochte das versprochene Honorar auch noch so hoch sein. Es gab eben Dinge, die mit Geld nicht zu be-
zahlen waren. Der Mann mit dem gedunsenen Gesicht war derart mit sich beschäftigt, daß er überhaupt nicht auf den nächtlichen Straßenverkehr achtete. Immer wieder mußte er an die überraschenden Dinge denken, die ihm passiert waren. Im nahen Loop angekommen, ließ er den Wagen in einer Seitenstraße der Randolph Street stehen und rannte förmlich durch einen dunklen Torbogen in einen Innenhof hinein, wo er in einem Anbau verschwand. Parker, der ihm selbstverständlich wie geplant gefolgt war, nahm dieses Detail ungerührt zur Kenntnis. Seine Neugier hatte sich damit allerdings noch längst nicht erschöpft…! * Im Erdgeschoß des Anbaues gab es eine Reihe von Fenstern, deren Scheiben aus dickem Milchglas bestanden. Neben dem Eingang zum Erdgeschoß war eine Art Firmenschild angebracht. Daraus ging hervor, daß in diesem dreistöckigen Anbau eine Sauna samt Bodybuilding-Institut untergebracht waren. Parker drückte die unverschlossene Tür vorsichtig auf. In dem dahinterliegenden Treppenhaus brannte eine Art Notlicht. Rechts an der Wand führte eine relativ steile Treppe hinauf in die erste Etage. Links von der Treppe ging es hinüber zu den Räumen der Sauna. Parker war nicht auf Vermutungen angewiesen. Richtungspfeile erklärten eindeutig, wo was zu finden war. Im Gegensatz zu dem schäbigen Äußeren des Anbaus war im Innern nicht an Farbe gespart worden. Alles machte zumindest einen sauberen Eindruck. Wohin mochte der Mann mit dem gedunsenen Gesicht gegangen sein? Parker entschied sich für das Erdgeschoß. Er hielt auf die Pendeltür aus Glas zu, die links von der Treppe weit im Hintergrund zu sehen war. Unterhalb der Treppe gab es dort auch eine Art Kassenschalter. Ein Beweis dafür, daß es sich hier keineswegs um eine private Anlage handelte, sondern um ein Unternehmen, das auf Einkünfte angewiesen war. Parker drückte die Pendeltür aus dickem Milchglas auf und stand in einem querlaufenden, schmalen Korridor, von dem einige Türen abzweigten.
Er hörte eine aufgeregte Stimme, die gequetscht klang. Sie paßte zu dem Mann, den Parker so diskret verfolgt hatte. Dieser Mann schien von einem Zimmer aus zu telefonieren. Josuah Parker genierte sich nicht, genauer hinzuhören. Er wollte ja schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Er pirschte sich näher an eine der Türen heran und warf einen Blick in das dahinter liegende Zimmer. Es handelte sich eindeutig um einen Büroraum, der mit hellen, modernen und sehr zweckmäßigen Möbeln eingerichtet war. Neben einem der beiden Schreibtische stand der Mittelgroße. Er wandte Parker den Rücken zu. Er tropfte noch aus allen Nähten und redete aufgeregt in den Telefonhörer hinein. »… keine Ahnung, Boß, aber reinkommen is’ nicht! Nein, wirklich nicht! Dieser verdammte Bursche muß die Tür unter Strom gesetzt haben… Ich hab’ vielleicht einen gewischt bekommen…! Und dann setzte man mich noch unter Wasser! Wie, ob ich zuviel getrunken habe, Boß? Keinen Tropfen! Nein, ich phantasiere auch nicht, ich weiß nur, daß wir so an den Dachgarten niemals rankommen… Sitzt nicht drin! Nein, wirklich nicht!« Parker lobte insgeheim diesen Mann. Wie nüchtern und richtig sah er doch die Möglichkeiten! Ein Hereinkommen auf den Dachgarten war tatsächlich ausgeschlossen. Niemand wußte es besser als Parker. Der Mann am Telefon redete weiter. »Schön«, antwortete er gerade, nachdem er einige Sekunden lang geschwiegen hatte, »versuchen wir’s morgen… Gut, irgendwo auf der Straße. Ist dieser Parker wirklich so gefährlich…?« Die Antwort auf der Gegenseite fiel etwas länger aus. Parker faßte sich in Geduld und wartete weiter ab. Bis der Mittelgroße mit dem gedunsenen Gesicht wieder an der Reihe war. »Wie geht’s Steve und Butch?« fragte er. »Gut…? Prächtig! Da haben wir den Greifern von der Polente ja ganz schön eingeheizt, wie? Klar, Boß, jederzeit! Ich mach’ jetzt Schluß!« Der Mittelgroße legte auf und wischte sich durch das nasse Haar. Dann zündete er sich eine Zigarre an und wandte sich dabei langsam um. Er sah den Butler, doch dieser optische Eindruck brauchte einige Zeit, bis er von seinem Geist erfaßt wurde. Das brennende Streichholz hielt er so lange mit den beiden Fingern fest, bis die Flamme seinen Zeigefinger versengte und er wütend zusammen-
zuckte. »P… P… Parker!« stotterte der Mann dann fassungslos. »Sie scheinen mich zu kennen«, stellte der Butler fest, »ich hatte leider noch nicht das Vergnügen, Ihnen vorgestellt zu werden!« »Wie… wie kommen Sie… Sie denn hierher?« stotterte der Mittelgroße weiter. »Ich erlaubte mir, Ihnen zu folgen«, antwortete der Butler, »mich beeindruckte Ihre Hartnäckigkeit, wenn ich es so ausdrücken darf! Sie verschwendeten viel Kraft daran, meine bescheidene Wenigkeit im Penthouse meines Herrn zu besuchen.« »I…i…ich…?« fragte der Gedunsene gedehnt zurück. »Versuchten Sie nicht, die Tür zum Dachgarten zu öffnen?« erkundigte sich der Butler gemessen. »Ich kann mich doch unmöglich getäuscht haben. Darf ich jetzt und hier erfahren, was Sie von meiner bescheidenen Wenigkeit wünschen? Vielleicht kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein.« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, stritt der Gedunsene alles ab. »Verschwinden Sie! Hier ist jetzt geschlossen.« »ich werde gehen«, gab der Butler zurück, »vorher möchte ich aber noch erfahren, in wessen Auftrag Sie sich so abmühten. Mit anderen Worten, wer ist jener Boß, mit dem Sie sich eben am Telefon unterhielten?« »Boß…? Ach so! Das ist der Inhaber der Sauna hier. Überhaupt nicht geheimnisvoll!« »Und wie lautet der Name dieses Inhabers, wenn ich diese Frage stellen darf?« »Joe Allinson… Steht ja draußen am Firmenschild!« »Und Sie fungieren, wenn ich richtig unterstelle, als Manager dieses Unternehmens?« »Stimmt haargenau. Und daher sage ich Ihnen noch einmal, daß Sie verschwinden sollen. Oder wollen Sie wegen Hausfriedensbruch angezeigt werden?« »Ich habe leider Ihren Namen vergessen«, entschuldigte sich Parker. »Dan Forster. Ist ja schließlich kein Geheimnis…!« »Darf ich weiterhin fragen, warum ich mir den Unwillen verschiedener Herren zugezogen habe?« »Ich verstehe kein Wort…!« Dan Forster tat nach wie vor ahnungslos. Seine anfängliche Nervosität legte sich von Sekunde zu Sekunde. Er wurde immer selbstsicherer.
»Nun, die beiden Gangster Steve Hotchins und Butch Amsen versuchten immerhin, mich in zwei Fällen zu erschießen. Diese beiden Berufsmörder dürften Ihnen doch nicht unbekannt sein.« »Sie sollten mal zu ‘nem Arzt gehen«, gab Dan Forster frech zurück, »was faseln Sie sich da eigentlich zusammen? Wer sind Steve Hotchins und Butch Amsen? Nie von gehört…!« »Der Name Clive Wanting ist Ihnen natürlich ebenfalls unbekannt, nicht wahr?« »Nie von gehört«, behauptete Dan Forster. Er grinste ironisch. »Wissen Sie was, Parker? Sie sollten für ein paar Monate verreisen und sich irgendwo auf dem Land erholen. Ist für Sie vielleicht sehr gesund!« »Diesen freundlichen Vorschlag machte man mir bereits vor knapp einer Stunde«, antwortete Parker. »Ich denke, ich werde mir dieses Anerbieten einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und wandte sich ab. Er ging zurück zur Pendeltür aus dickem Milchglas und… wurde Sekunden später peinlich berührt. Aus dem kleinen Kassenschalter, um den er sich nicht weiter gekümmert hatte, ragte eine Hand hervor. Es war natürlich nicht die Hand allein, die Parker schockierte. In dieser Hand befand sich immerhin ein solide aussehender 45er, dessen Mündung genau auf ihn gerichtet war, eine Geste, die man tunlichst nicht übersehen durfte. Parker blieb stehen und hob höflich die Arme. Er wollte damit kundtun, daß er im Moment überspielt worden war. Er konnte auch nichts dagegen unternehmen, daß hinter ihm schnelle Schritte zu hören waren. Noch weniger Einwände konnte er dagegen erheben, daß ihm ein sandsackartiger Gegenstand auf die schwarze Melone gelegt wurde. Und zwar so nachdrücklich, daß Parker taumelnd in die Knie ging, um sich anschließend würdevoll auf dem Fußboden niederzulegen. Als Parker wieder zu sich kam, fühlte er sich nicht besonders gut. Der Sandsack, den man ihm auf die Melone gelegt hatte, verursachte immer noch einigen Kopfschmerz. Zudem war die Melone tief in seine Stirn getrieben worden. Parker hatte einige Mühe, sie wieder in einen korrekten Sitz zu bringen. Er sah sich interessiert um.
Ohne viel Phantasie war zu erkennen, wo er sich befand. Man hatte ihn in einen kleinen Saunaraum hineingesteckt, der nicht größer als eine Kammer war. Parker lehnte mit dem Rücken gegen die drei steil ansteigenden Liegepritschen. Vor seinen Augen befand sich der Heißdampfentwickler, der erfreulicherweise nicht in Tätigkeit war. Dieser kleine Saunaraum hatte natürlich keine Fenster. Es gab nur oben an der Wand eine Absaugvorrichtung für die heiße, feuchte Luft. Die Tür zur Sauna machte einen ungemein soliden Eindruck. Mit normalen Mitteln war sie gewiß nicht zu öffnen. Parker richtete sich auf. Er war dankbar für das schwache Licht unter der Decke. Die Glühlampen der feuchtigkeitssicheren Kapsel wurde zusätzlich durch ein starkes Drahtgitter geschützt. Parker nahm eine Art Bestandsaufnahme vor. Er wollte herausfinden, was man ihm abgenommen hatte. Nun, er durfte zufrieden sein. Gewiß, Zigarrenetui und Brieftasche waren aus seinen Taschen zwar verschwunden, auch sein vorsintflutlicher Colt fehlte, doch sonst hatte man ihm alles gelassen, selbst den UniversalRegenschirm. Parker setzte sich auf die untere Pritsche und wunderte sich ausgiebig darüber, warum man ihn noch nicht umgebracht hatte. Bisher hatte man dies doch wesentlich energischer betrieben. Waren für die Gangster neue Gesichtspunkte aufgetaucht? Ein feines Zischen erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah prompt hinüber zum Heißdampfentwickler, aus dessen Gitter weiße Wölkchen hervorquollen. Diese Wölkchen wurden innerhalb weniger Sekunden zu dicken, kompakten Wolken, die in den engen Raum hineinwallten. Nun war dem Butler alles klar. Feuchte Heißluft sollte ihn ganz sicher nicht in den Genuß einer Saunabehandlung bringen. Man wollte ihn ersticken. Eine sicherere Art gab es nicht. Sie war für die Gangster risikolos. Parker begann höchst ordinär zu schwitzen, wie man sich vorstellen kann. Die feuchte Heißluft öffnete weit seine Poren. Es zeigte sich, daß der Butler für diese Art der Behandlung falsch gekleidet war. Hier ließ sich mit dem würdevoll-korrekten Sitz seiner pechschwarzen Berufskleidung nichts anfangen. Parker berechnete seine Chancen.
Er gab sich, wie schon so oft, wieder einmal keinen Illusionen hin. Es war leicht abzuschätzen, wann ihm die Luft knapp wurde. Alles hing davon ab, wie heiß die Luft war, die man in die Sauna hineinwirbelte, und welche Mengen man ihm vorsetzte. Parker gestattete sich den Luxus, sein schwarzes zweireihiges Jackett auszuziehen. Dann folgten das schneeweiße Hemd, der Stehkragen und die schwarze Krawatte. Anschließend kamen die Schuhe und die Socken an die Reihe. Parker hatte keinerlei Hemmungen. Ihm ging es nur darum, sich etwas Erleichterung zu verschaffen. Das Zischen des Dampfentwicklers wurde giftiger und drohender. Der kleine Saunaraum wurde bereits von heißen Nebeldämpfen gefüllt. Schweiß rann über Parkers Gesicht. Das Licht oben an der Decke war nur noch ein ganz schwaches, schüchternes Glühen. Parker studierte das Innenthermometer. Nachdem er wußte, wie heiß es inzwischen geworden war, schwitzte er womöglich noch mehr. Er ließ sich auf eine der Pritschen nieder und überlegte innerlich kühl, was zu tun war. Um die Tür brauchte er sich erst gar nicht zu kümmern. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß sie so gut gesichert worden war, daß sie sich von innen nicht öffnen ließ. Blieb die Absaugvorrichtung oben an der Decke. Ließ sich dort etwas machen? Parker versuchte auch das erst gar nicht. Sein Verstand sagte ihm, daß die Gangster dafür gesorgt hatten, daß dort oben keine frische Luft zu bekommen war. War der Heißluftentwickler zu zerstören? Gewiß nicht…! Auch in dieser Hinsicht ließen die Gangster sich bestimmt auf kein Risiko ein. Blieb also nur noch die Selbsthilfe. Es ging darum, frische, atembare Luft zu erhalten, wenn auch in vielleicht kleinen Dosen. Diese Selbsthilfe mußte aber in einer Art und Weise ausgeführt werden, daß die Gangster keinen Verdacht schöpften. Daß sie draußen vor der Sauna warteten, konnte sich der Butler leicht ausrechnen. Er überlegte, was er an Hilfsmitteln noch bei sich hatte. Er griff nach seinem schwarzen Zweireiher und suchte unter den Kugelschreibern, die sich an der Innentasche befanden. Er wählte einen Kugelschreiber, der einen soliden Eindruck machte. Nach außen hin handelte es sich dabei um einen Schreiber, der vier
Farben enthielt. Daher sein solides, rundes Aussehen. Parker schraubte diesen Vierfarbenschreiber geschickt auseinander. Statt der vier Minen kam ein Stahlbohrer ans Tageslicht, der sich mit den übrigen Zutaten des Kugelschreibers zu einem kleinen, handlichen, aber ungemein wirkungsvollen Spiralbohrer zusammenfügen ließ. Dann machte sich der Butler an die Arbeit. Schweißüberströmt, bereits hin und wieder nach Luft schnappend, ließ der Butler sich am Fuß der Tür nieder und brachte sein erstes Bohrloch an. Es zeigte sich wieder einmal, wie gut Parkers Werkzeuge waren. Der Bohrer, aus einem hochwertigen Spezialstahl, der sich selbst durch Stahlbeton gefressen hätte, drang leicht und gängig in das Holz ein. Parker schraubte ihn tief und tiefer und scherte sich nicht daran, daß der Schweiß bereits in Bächen an seinem Körper herunterrann. Ihm ging es um frische Luft. Sie allein war in dieser Lage lebensverlängernd. Vorsichtig zog er den Bohrer zurück, als die Spitze ins Leere stieß. Er beugte sich noch tiefer hinab… und nickte zufrieden. Deutlich spürbar war die frische, kühle Luft, die durch das Bohrloch in die überhitzte Sauna drang. Nun wußte der Butler, daß er auf dem richtigen Weg war. Nun ging es darum, noch einige weitere Bohrlöcher anzubringen. Dann konnte ihm kaum noch etwas passieren. Er legte keine Pause ein. Es zeigte sich, wie hartnäckig der Butler war. Er steckte niemals auf. Es zeigte sich aber auch, über welch eine hervorragende Kondition Josuah Parker verfügte. Ein normaler Durchschnittsbürger hätte vor Erschöpfung und Atemnot eine längere Pause einlegen müssen. Parker arbeitete hingegen konzentriert und kraftvoll weiter. Er hörte kaum noch auf das wütende Zischen des Heißdampfes, der in die Sauna hineingetrieben wurde. Er achtete nicht darauf, daß ihm der Schweiß wie Gießwasser aus allen Poren drang. Parker bohrte sein nächstes Loch, dann das nächste. Dann legte er sich flach auf den Boden und brachte Mund und Nase in die unmittelbare Nähe der Bohrlöcher. Tief und konzentriert sog er die frische Luft an. Er wußte, daß er zumindest nicht mehr ersticken konnte. Nun hing alles davon ab, ob er nicht ver-
brüht wurde. Der Heißdampf wurde von Sekunde zu Sekunde immer quälender. Die Hitze auf seinem fast nackten Körper steigerte sich bis zur Unerträglichkeit. Parker kam sich wie ein Krebs vor, der in Kürze serviert werden sollte. Nach einer Ewigkeit – Parker hatte jedes Zeitgefühl verloren und auch nicht die Zeit gehabt, nach seiner unförmigen Zwiebeluhr zu schauen – vermißte der Butler plötzlich etwas. Er nahm den schweißüberströmten Kopf etwas hoch. Und dann erst ging ihm auf, daß das hartnäckige, böse Zischen nicht mehr zu hören war. Man schien die Dampfzufuhr abgestellt zu haben. Genau in diesem Augenblick fühlte Parker sich wie neubelebt. Sein stoßweises Hecheln, sein Luftschnappen an den Bohrlöchern wich einem wesentlich ruhigeren Atmen. Parker spürte instinktiv, daß der Höhepunkt dieser Heißdampfbehandlung überschritten war. Würden die Gangster ihn nun sofort herausholen, oder erst den Heißdampf absaugen? Nun, so schnell, wie Parker es sich gewünscht hätte, ging es nicht. Die Gangster draußen vor dem Saunaraum ließen sich sehr viel Zeit. Parker hatte so unbewußt Zeit und Gelegenheit, sich wieder zu erholen. Nach wie vor brühte ihn der heiße Dampf ab, doch die Hitze steigerte sich nicht mehr. Der Wärmehaushalt seines Körpers konnte sich nun besser auf die in der Sauna herrschende Hitze einstellen. Erst jetzt nahm Parker sich die Zeit, seine Zwiebeluhr zu befragen. Er war überrascht, daß seit seiner Einschließung bereits anderthalb Stunden vergangen waren. Ihm war die Zeit wesentlich kürzer vorgekommen. Da er es haßte, unkorrekt gekleidet zu sein, zwang er sich in seinen Zweireiher. Er gestattete sich nur den Luxus, auf seinen schwarzen Binder zu verzichten. Dann schraubte er den Spezialbohrer wieder zu einem normal aussehenden Kugelschreiber zusammen und wartete auf das Erscheinen der Gangster. Plötzlich richtete der Butler sich auf. Siedendheiß wurde ihm bewußt, daß die drei Bohrlöcher den heißen Dampf ja auch hinausgelassen hatten! Waren die Gangster darauf aufmerksam geworden? Hatten sie Verdacht geschöpft? Hatten sie die ganze Zeit über draußen vor der Saunatür gewartet?
Falls nicht, mußte Parker schleunigst dafür sorgen, daß die Bohrlöcher verschlossen wurden. Er machte sich sofort an die Arbeit. Er zerriß sein Taschentuch, fertigte ein paar Pfropfen an und preßte sie in die drei Löcher hinein. Dann griff er nach seinem Universal Regenschirm und wartete ab. Nach geraumer Zeit – in der Sauna war es etwas erträglicher geworden sah er, daß der Verschlußhebel sich senkte – die Tür wurde vorsichtig aufgezogen. Parker legte sich äußerst malerisch auf der unteren Pritsche zurecht und schloß halb die Augen. »Mann, was ‘ne fürchterliche Hitze«, hörte er eine Stimme, die seiner Schätzung nach Dan Forster gehören mußte, »is’ ja zum Ersticken…! Das hat er bestimmt nicht überlebt, Boß…!« »War ja auch der Zweck der Übung«, erwiderte eine zweite Stimme, die kalt und schneidend klang. »Los, Forster, holen Sie ihn raus!« Durch die halbgeschlossenen Augen beobachtete Parker die Umrisse einer mittelgroßen Gestalt, die sich durch den wallenden Hitzenebel kämpfte. Dann beugte Dan Forster sich über den Butler und… zuckte kaum zusammen, als Parker den bleigefütterten Griff seines Universal Regenschirms gegen Forsters Stirn legte. Dan Forster, der Mann mit dem gedunsenen Gesicht, stöhnte fast wohlig auf. Dann nahm er neben dem Butler Platz und rührte sich vorerst nicht mehr. »Was ist denn, Forster…?« schnitt die Stimme des Bosses durch den weißen Dampfnebel. »Ich… ich schaff es nicht«, ächzte Parker gekonnt und neutral zurück. Schritte näherten sich. Eine weitere Gestalt tastete sich durch den Nebel und passierte den Butler, der bereits hart neben der Tür Stellung bezogen hatte. Der Boß der Sauna merkte nichts. Er stolperte nur über den am Boden liegenden Forster, rutschte auf dem nassen Boden aus und schlug der Länge nach auf die untere Pritsche. Bevor er sich wieder aufgerichtet hatte, verließ Parker würdevoll den engen Saunaraum und schloß korrekterweise die Tür hinter sich. Er vergaß nicht, den schweren Sicherungshebel wieder vorzulegen. Womit die Tür dann bombensicher ver-
schlossen war. Nun taumelte der Butler doch. Der schnelle Übergang vom brühheißen Dampf zur Kühle des Vorraums brachte sein Gleichgewicht etwas in Unordnung. Parkers Blutgefäße mußten sich erst auf die neue Temperatur einstellen. Sein Kreislauf mußte sich einregulieren. Parker nahm auf einer Bank Platz und sog langsam und vorsichtig die vergleichsweise kalte Luft ein, die hier im Vorraum herrschte. Es dauerte schon einige Sekunden, bis er wieder einigermaßen fit war. Er gestand sich nachträglich ein, daß die Gangster ihn wohl früher oder später geschafft hätten, falls es ihm nicht gelungen wäre, die drei kleinen Bohrlöcher anzulegen. Parker brachte seinen schwarzen Binder in die richtige Lage. Dann stand er auf, rückte sich die schwarze Melone zurecht und interessierte sich anschließend für die Armaturentafel links an der Wand. Da er technisch interessiert und versiert war, kam er schnell hinter die Bedeutung der einzelnen Knöpfe und Schalthebel. Es gab vor allen Dingen ein großes, geriffeltes Handrad, mit dem man den heißen Dampf in die Sauna einströmen lassen konnte. Es gab ferner einen Drehschalter, mit dem sich die gewünschten Hitzegrade einrichten ließen. Parker brauchte nur zuzulangen, um die beiden eingeschlossenen Gangster in Siedehitze zu bringen. Ein verlockender Gedanke. Parker hatte alle Möglichkeiten, sich umgehend zu revanchieren. Doch er verzichtete auf diese Revanche. Sie war seiner bescheidenen Ansicht nach zu gefährlich. Er wußte ja nicht, wie es um den Kreislauf der beiden Gangster stand. Konnten sie diese Hitzegrade vertragen? Parkers Hand zog sich vorsichtig von der Schalttafel zurück. Es genügte wohl, wenn die beiden eingeschlossenen Gangster in der abklingenden Hitze des Saunaraums bieten. Für sie war es sicher noch heiß genug! * Parker nahm sich die Freiheit, die Räumlichkeiten der Saunaanlage zu besichtigen. Im Erdgeschoß, so fand er bald heraus, gab es neben der Klein-
sauna noch eine Art irisch-römisches Bad, Duschanlagen, Massageräume und einen großen Raum mit einzeln installierten Schwitzkästen. Anschließend besuchte Parker die erste Etage. Hier waren die diversen Büroräume untergebracht. Sie ließen darauf schließen, daß der Kundenbesuch der Allinson-Sauna recht gut sein mußte. Neben den eigentlichen Büroräumen gab es noch eine Art Verkaufsraum. Hier konnten die Kunden Spezialitäten an Duftwässern und Seifen erstehen, um später zu Hause ihre Gesundheitskuren fortsetzen zu können. Womit Parkers Interesse aber immer noch nicht erloschen war. Er wußte ja, daß das Haus noch eine dritte Etage besaß. Den Zugang dazu fand er hinter einer Tapetentür im Korridor der zweiten Etage. Eine steile Treppe führte hinauf in eine Wohndiele. Von hier zweigten die Privaträume des Saunabesitzers ab. Parker sah sich einen Raum nach dem anderen an. Er merkte sehr schnell, daß Mr. Allinson sehr gut verdiente. Die Einrichtung war sehr komfortabel. Allinson hatte zusammengetragen, was gut und teuer war. Nichts aber deutete darauf hin, daß dieser Joe Allinson, der zusammen mit seinem Manager Dan Forster in der Kleinsauna briet, ein Gangster war. Nun, Parker hätte sich darüber auch nur gewundert, denn die Erfahrung hatte ihn längst gelehrt, daß besonders einflußreiche Gangsterbosse sich immer erfolgreich zu tarnen verstanden. Parker wollte den Arbeitsraum Mr. Allinsons gerade wieder verlassen, als das Telefon klingelte. Parker ging ohne zu zögern an den Schreibtisch und hob den Hörer ab. »Ja…?« fragte er undeutlich und gedehnt. »Wie steht’s?« wollte eine verzerrt klingende Stimme wissen, die der Butler schon einmal gehört hatte. Es handelte sich genau um jene Stimme, die ihn zu Hause in Mike Randers Dachgartenwohnung angerufen hatte. »Alles in Ordnung…!« gab Parker ebenso undeutlich zurück. »Kaum zu glauben«, sagte die verzerrt klingende Stimme. »Schafft ihn weg! Irgendwohin…! Ich lasse euch die Papiere morgen rüberbringen.« »Okay«, sagte Parker, der durchaus den Jargon beherrschte. »Was is’ mit diesem Anwalt…?« »Der kommt jetzt auch… Moment mal, wer spricht denn da?«
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, gab der Butler sich in diesem Augenblick zu erkennen, »hoffentlich sind Sie nicht zu sehr enttäuscht. Ich fürchte, Sie rechneten mit meinem Hinscheiden, nicht wahr?« »Parker…?« fragte die undeutliche Stimme gedehnt zurück. »In der Tat! Bemühen Sie sich, Ihrer verständlichen Enttäuschung Herr zu werden. Ihre beiden Mitarbeiter Allinson und Forster sind im Moment leider verhindert.« Auf der Gegenseite blieb alles still, doch der Mann mit der undeutlich verzerrten Stimme hatte noch nicht aufgelegt, wie sich an seinem heftigen Atmen erkennen ließ. »Hören Sie, Parker«, sagte die Stimme schließlich, »einigen wir uns, ja? Vergessen Sie, daß es einen Mister Wanting gab… Dafür zahle ich Ihnen eine anständige Summe. Ich verlange nur, daß Sie sich nicht in die Arbeit der Polizei einmischen.« »Sie scheinen von der Arbeit der zuständigen Polizei keine besonders hohe Meinung zu haben!« »Wenn wir uns einigen, lasse ich Sie in Ruhe… Wenn Sie weiter mitmischen, finde ich Leute, die Sie früher oder später erschießen! Sie wissen, daß gegen einen plötzlichen Schuß kein Kraut gewachsen ist.« »Darf ich höflichst fragen, warum Sie mich so fürchten?« »Ich weiß eben, wie gut Sie sind, Parker. Deswegen will ich Sie ausschalten.« »Glauben Sie ernsthaft, daß ich auf Ihr Angebot eingehen werde?« »Nein, eigentlich nicht…!« war die Antwort auf der Gegenseite, »gut, lassen wir es also darauf ankommen! Kampf bis aufs Messer, Parker! Wir werden ja sehen, wer überleben wird! Noch etwas, Sie bekommen niemals heraus, wer ich bin und warum Wanting sterben mußte. Sie haben nicht die Spur einer Chance…!« »Sie sind das, was man überheblich nennt«, erwiderte Parker höflich und zurückhaltend. »Ich kenne mich in den üblichen Tricks eben aus«, lautete die Gegenantwort. »Drehen Sie Allinson und Forster erst gar nicht durch die Mangel. Die wissen nichts… Die sind von mir nur bezahlt worden.« »Wie die beiden Berufsgangster Steve und Butch. nicht wahr?« »Das sind Dinge, um die Allinson sich gekümmert hat…! Begreifen
Sie, ich bleibe wie die Spinne im Hintergrund, aber bei mir laufen alle Fäden zusammen.« »Ich möchte auf keinen Fall unhöflich erscheinen«, schickte der Butler in seiner Antwort voraus, »aber wenn Sie Wert darauf legen, nenne ich Ihnen gern die Adresse eines erstklassigen Psychiaters. Sie müßten von Ihrem Spinnenkomplex so schnell wie möglich befreit werden!« Die Gegenseite schien beleidigt zu sein, denn sie schmetterte den Hörer wütend in die Gabel, während Parker fast vorsichtig auflegte. Er blieb noch einen Moment neben dem Schreibtisch stehen und dachte darüber nach, ob sich in der Vergangenheit schon einmal irgendein Gangster als eine Spinne bezeichnet hatte. Als Parker nichts einfiel, wandte er sich ab, verließ das Zimmer und später dann den Anbau, in dem die Allinson-Sauna-Betriebe untergebracht waren. Parker hatte bewußt darauf verzichtet, sich mit Allinson oder Forster zu unterhalten. Ihm lag daran, daß sie seine engsten Feinde blieben, denn sie kannte er ja schließlich. Um sie aber nicht zu lange der Hitze auszusetzen, rief er von der nächsten Telefonzelle aus die nächste Polizeistation an und informierte sie über zwei eingeschlossene Saunagäste. Es war wirklich reiner Zufall, daß Parker vergaß, seinen Namen zu nennen…! »Hoffentlich geht Ihre Rechnung auf«, sagte Mike Rander Stunden später, nachdem Josuah Parker ihm Bericht erstattet hatte. Der Butler servierte seinem jungen Herrn das Frühstück, und nichts deutete darauf hin, daß er einige harte, fast lebensgefährliche Abenteuer hinter sich gebracht hatte. Genau das Gegenteil war der Fall. Parker sah taufrisch und ungewöhnlich elastisch aus. Das Sauna-Dampfbad schien ihm bestens bekommen zu sein. »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, ist ein Teil dieser Rechnung bereits aufgegangen«, antwortete Josuah Parker, während er Mike Rander heißen Kaffee nachservierte. »Mister Allinson dürfte inzwischen längst befreit sein. Er hat der Polizei gegenüber aber mit Sicherheit nicht gesagt, wer ihn eingeschlossen hat. Sonst hätten sich hier bereits einige Polizeibeamte eingefunden.« »Sie betrachten es also als angenehm, wenn Sie weiterhin mit Allinson und Forster zu tun haben?« »Gewiß, Sir, man kennt sich jetzt immerhin und weiß, was man voneinander zu halten hat.«
»Hoffentlich denkt auch die Spinne so…!« »Hoffentlich, Sir…! Da dieser Mann im Hintergrund aber ungewöhnlich selbstherrlich ist und sich äußerst sicher fühlt, dürfte er die Mannschaft seiner Handlanger kaum auswechseln.« »Warten wir’s ab! Haben Sie eine bestimmte Vorstellung darüber, wie alles nun weitergehen soll?« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich einige bescheidene Vorschläge entwickeln.« »Dann mal los, Parker!« Mike Rander lehnte sich zurück und ließ sich von seinem stets dienstbereiten Butler die Frühstückszigarette anzünden, was der Butler mit Würde und Umsicht erledigte. »Es gilt, Sir, zwei Personen einen Besuch abzustatten«, begann Parker dann und nahm dienstbereit am Kopfende des Tisches Aufstellung, »einmal müßte man sich mit Mister Wantings Freundin Norma Calway unterhalten. Zum anderen sollte man bei Mister Custer gewisse Erkundigungen einholen. Er müßte ja wissen, warum Mister Wanting sich bedroht fühlte.« »Dann werde ich Miß Calway übernehmen«, entschied Mike Rander und lächelte. »Ich hoffe, das entspricht Ihren Erwartungen, Parker.« »Ganz sicherlich, Sir! Glauben Sie, daß Mister Custer mir Rede und Antwort stehen wird?« »Sie meinen, wegen der damaligen Vorfälle? Ich denke schon! Er ist im Grunde ein umgänglicher Bursche, nur eben etwas leichtsinnig und zu geldgierig. Sie werden schon den richtigen Ton treffen.« »Sir, es ist damit zu rechnen, daß Lieutenant Madford sich einfinden wird!« »Es geht also wieder einmal darum, wieviel und was wir ihm sagen sollen, oder?« »Das ist meine Frage, Sir!« »Sollte er uns stellen, werden wir ihm die ganze Wahrheit sagen«, entschied Mike Rander, »es kann gar nicht schaden, wenn er ein wachsames Auge auf diese Allinson-Sauna hält…! Nur Madford weiß schließlich, was mit diesem Allinson los ist. Vielleicht handelt es sich bei ihm um ein vollbeschriebenes Blatt!« Das Klingeln des Telefons unterbrach die Unterhaltung. »Darf ich Sie bitten, Sir, ausnahmsweise einmal selbst den Hörer abzunehmen?« sagte Parker. »Falls Lieutenant Madford am Apparat ist, möchte ich bereits unterwegs sein!«
Mike Rander meldete sich und nickte dem Butler dann sofort verstohlen zu. Er hörte einen Moment zu und erklärte sich dann bereit, auf Lieutenant Madford zu warten. Nachdem er aufgelegt hatte, zwinkerte Mike Rander seinem Butler zu. »Sie hatten wieder mal die richtige Nase«, sagte er dann, »Madford will uns sprechen. Ich denke, Sie setzen sich jetzt ab, Parker, und sehen sich mal bei Custer um. Vielleicht ist er eingeweihter, als wir denken!« »Nee, Parker, von ‘ner Spinne weiß ich nichts«, sagte Mike Custer, ein untersetzter, dicklicher, ewig schwitzender Mann von zirka fünfundfünfzig Jahren. Die kleinen, listigen Augen beherrschten das fleischige Gesicht. Er kaute auf einer dicken Zigarre herum und erinnerte an einen Buddha. Mike Custer, der Inhaber der Privatdetektei hatte sich Parkers Geschichte angehört, eine Geschichte, die Parker in vieler Hinsicht gefärbt und abgeändert hatte. Schließlich hatte er ja Dave Lounters versprochen, von gewissen Vorfällen nicht zu sprechen. Dave Lounters, der neben dem Schreibtisch an der Wand stand, sah den Butler dankbar an. Er wußte noch sehr gut, welch einen großen Fehler er bei der Überwachung des ermordeten Clive Wanting begangen hatte. »Sind Sie vollkommen sicher, Mister Custer?« erkundigte sich Parker sicherheitshalber noch einmal. »Haben Sie schon mal von ‘ner Spinne gehört?« fragte Custer, sich an seinen Mitarbeiter Lounters wendend. »Nee, muß irgendeine neue Größe in der Unterwelt sein«, antwortete Lounters, »aber ich werde mal meine Antennen ausfahren, Chef.« »Nur dann, wenn hier ein offizieller Auftrag vorliegt«, entschied Custer, »sieht ja so aus, als wollte Mister Rander wieder mit mir zusammenarbeiten, oder?« Während er redete, sah er den Butler mit einem schnellen, schlauen Blick an. Er schätzte seine Möglichkeit ab, mit Mike Rander endlich wieder ins Geschäft zu kommen. »Diese Möglichkeit besteht durchaus«, räumte der Butler höflich ein, »wenngleich das letzte Wort selbstverständlich Mister Rander sprechen muß, wie Sie verstehen werden, Mister Custer.« »Dann soll er sich aber möglichst schnell äußern«, gab Custer zurück, »ich habe eine Menge Kunden, die draußen vor der Tür stehen und nur darauf warten, von mir bedient zu werden.«
»Oh, wenn das so ist, Mister Custer, möchte ich Ihre kostbare Zeit auf keinen Fall weiter in Anspruch nehmen«, erklärte Josuah Parker und stand sofort auf. »Was ist denn los?« fragte Custer, der noch nicht ganz begriffen hatte. »Mister Parker will sich absetzen und zur Konkurrenz gehen«, fiel Dave Lounters schnell ein. Man sah es ihm an, daß diese Entwicklung ihm überhaupt nicht paßte. »Aber Sie haben mich doch völlig mißverstanden«, schränkte Mike Custer schnell ein, »natürlich will ich für Mister Rander arbeiten. Überhaupt schade, daß wir uns damals getrennt haben. Wäre überhaupt nicht notwendig gewesen.« »Ich schlage vor, die Vergangenheit auszuklammern«, sagte Josuah Parker würdevoll. »Kommen wir, wenn’s erlaubt ist, auf den Kern der Sache zurück. Eine sogenannte Spinne ist Ihnen also unbekannt?« »Sagte ich doch schon, nie von gehört.« Mike Custer hob bedauernd die Schultern, »wahrscheinlich hat man sich mit Ihnen nur einen schlechten Scherz erlaubt.« »Nach einen Scherz sahen die diversen Mordanschläge allerdings nicht aus«, erwiderte der Butler. »Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß gewisse Männer sich alle Mühe gaben, mich ins Jenseits zu befördern, Anstrengungen, die ich nicht sonderlich schätze, wie Sie verstehen werden.« »Und das alles im Zusammenhang mit dem Mord an Clive Wanting«, faßte Mike Custer zusammen. Er sackte förmlich in sich zusammen und schloß nachdenklich die Augen. Er schien einen kleinen Schlaf einlegen zu wollen, doch in Wirklichkeit dachte er sicher angestrengt nach. »Gut, ich werde mit der Sprache rausrücken«, sagte er dann plötzlich und öffnete weit die Augen. »Sie wollen wissen, weshalb Wanting sich an mich gewandt hatte. Aber ich hoffe, Parker, Ihr Chef weiß später zu schätzen, daß ich hier ausgepackt habe!« »Ich bin dessen sicher«, behauptete der Butler. »Wanting erschien vor genau vier Tagen hier bei mir im Büro«, berichtete Custer nun und wirkte sehr konzertiert, »er war in heller Aufregung. Er bat um diskreten Schutz. Ich fühlte ihm auf den Zahn und bekam heraus, daß er ermordet werden sollte…!« »Von wem, wenn diese bescheidene Frage gestattet ist?« »Das wußte er natürlich auch nicht«, gab Custer zurück, »sein
Mörder hatte sich ihm noch nicht vorgestellt. Diese Mordandrohung hing mit irgendeiner Erfindung zusammen, die er gemacht hatte. Um was es da gegangen ist, hat Custer mir nicht erzählt. Es muß sich aber um irgendeine tolle, elektronische Sache gehandelt haben.« »Ich vermisse, um offen zu sein, den logischen Zusammenhang«, warf der Butler gemessen und höflich ein. »Hören Sie genau zu«, redete Mike Custer weiter, »Wanting sollte die Unterlagen seiner Erfindung an seinen Mörder verkaufen. Geboten wurden ihm runde fünfzigtausend Dollar. Wanting ging darauf natürlich nicht ein. Dieses Angebot hätte ja glatt von einem Verrückten stammen können. Als der Zeitpunkt der Übergabe dieser Erfindung verstrichen war, wurde auf Wanting geschossen. Das hat er wenigstens behauptet. Und später rief ihn der Unbekannte an und drohte ihn innerhalb der nächsten Tage umzulegen, wie er sich ausdrückte.« »Eine äußerst verworrene Geschichte«, fand Josuah Parker, »hatte Mister Wanting irgendeinen bestimmten Verdacht?« Nachdem Parker geendet hatte, sahen Mike Custer und sein Mitarbeiter Dave Lounters sich schnell an, als büßten sie mehr. »Er hatte demnach also einen Verdacht?« bohrte der Butler weiter nach. Er tat so, als habe er von diesem schnellen Blick des gegenseitigen Einverständnisses nichts gesehen. »Er glaubte, sein Chefbuchhalter Treston sei der Mann am Telefon gewesen«, sagte Mike Custer dann. »Mister Paul Treston?« wunderte sich Parker laut. »Genau, jener Treston, der sich hilfesuchend an Sie gewandt hat«, bestätigte Custer und nickte. »Hatte Mister Wanting dafür irgendwelche Beweise?« wollte der Butler wissen. »Er will die Stimme des Mannes am Telefon wiedererkannt haben. Moment mal, Parker, Sie wissen nicht, daß Treston vor knapp vier oder fünf Tagen von Wanting entlassen wurde?« »Allerdings, das ist mir gänzlich unbekannt«, gestand Josuah Parker, »ich muß ehrlich einräumen, daß ich das bin, was man gemeinhin überrascht nennt.« »Kann ich mir vorstellen! Sie wollen natürlich auch wissen, warum dieser Treston entlassen wurde, oder?« »Ich brenne darauf, diese Gründe zu erfahren.« »Treston stand die ganze Zeit über mit Wantings geschiedener
Frau in engster Verbindung. Er belieferte sie seit der Scheidung mit internen Geschäftsberichten. Als Wanting schließlich dahinterkam, feuerte er Treston. Hätte ich übrigens auch getan!« »Demnach darf man also unterstellen, daß es zwischen Treston und seinem Chef Mister Wanting zu einem handfesten Krach kam, ja?« »Und ob Sie das unterstellen dürfen, Parker! Der Krach war fast in jedem Büro der Wanting-Betriebe zu hören. Das hat Lounters leicht herausgefunden. Und jetzt kommt der Knalleffekt, auf den Sie ja wohl gewartet haben! Treston drohte seinem Chef Wanting, er würde ihn umbringen. Das hat er mehrfach laut herausgeschrien, bevor Wanting ihm einen Kinnhaken verpaßte und ihn dann an die frische Luft setzen ließ. Was sagen Sie jetzt? Glauben Sie nicht auch, daß man mit diesem Treston bereits einen verdammt guten Mörder hat?« »Ich möchte mich im Moment jeder Stellungnahme enthalten«, entgegnete der Butler höflich, »wenn Sie erlauben, möchte ich diese Dinge erst noch einmal in aller Ruhe durchdenken!« »Ich rate Ihnen, diesem Treston mal auf den Zahn zu fühlen«, sagte Custer. »Wenn Sie mich fragen, Parker, dann ist Treston ein raffinierter Bursche, der sich nur deshalb an Sie gewandt hat, um sich so etwas wie ein Alibi aus erster Hand zu verschaffen!« Parker war sichtlich beeindruckt, als er das Detektivbüro Custer verließ. Die Dinge, die Mike Custer ihm verraten hatte, ließen den so scheinbar komplizierten Fall plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Handelte es sich hier nur um einen privaten Racheakt? Falls ja, dann blieb allerdings immer noch sehr unverständlich, warum sich ein Mann wie Paul Treston mit handfesten und abgebrühten Gangstern abgegeben hatte. War Treston überhaupt der Mann, solche Kontakte zu schaffen? Hatte er die erforderlichen Nerven, sich mit Gangstern abzugeben? Nun, Parker gestattete sich den Luxus, dies sehr zu bezweifeln. Er war schon immer ein sehr guter Menschenkenner gewesen. Treston war in seinen Augen niemals der Mann, der routinierte Gangster engagierte, damit sie irgendwelche Rachepläne durchführten. Hinzu kam noch ein wichtiges Detail. Wenn Treston der Mann war, der sich als die Spinne ausgab, warum hatte er sich dann gleichzeitig darum bemüht, Parker angeblich um Hilfe zu bitten,
ihn aber synchron dazu umbringen zu lassen. Nein, Parker erlaubte sich, die Dinge nach wie vor etwas anders zu sehen. Es gab noch sehr viele Fragen zu klären. Es durfte nichts überstürzt werden. Und es war schließlich noch eine Frage, ob Mike Custer wirklich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt hatte. Einem Mike Custer war sicher nicht unbedingt zu glauben. Parker verließ das graue unscheinbare Bürogebäude im Loop, in dem Mike Custers Büros untergebracht waren und wollte hinüber zur anderen Straßenseite gehen, wo sein hochbeiniges Monstrum stand. Er hatte die belebte Straße noch nicht ganz hinter sich gebracht, als plötzlich ein Buick auftauchte, der förmlich aus einer Straßenlücke hervorschoß und Kurs auf ihn nahm. Parker wußte sofort, daß dies kein Zufall sein konnte. Er blieb im Rahmen seiner erlaubten Schrecksekunde erst einmal wie angewurzelt stehen, dann aber, der Wagen schoß unverkennbar weiter auf ihn zu, verwandelte der Butler sich in einen mehr als eleganten Torero. Er wartete praktisch bis zur letzten Zehntelsekunde. Dann aber, elegant und geschmeidig, wich er mit einem geschickten Sidestep zur Seite aus. Der Mann am Steuer des Buick war nicht in der Lage, diesen Schwenker nachzuziehen. Dazu hätte er seinen Wagen praktisch auf der Stelle herumreißen müssen. Parker befand sich bereits so gut wie in Sicherheit, als der Autofahrer scharf abbremste. Er wollte Parker wenigstens noch mit dem herumgleitenden Heck des Buick erwischen. Doch zu spät…! Parker befand sich bereits in Sicherheit. Er wartete nicht ab, bis etwa Schüsse auf ihn abgefeuert wurden. Er verschwand eiligst, aber ohne Verzicht von Würde und Gemessenheit, zwischen den übrigen parkenden Wagen und sah dem davonjagenden Buick interessiert nach. Nur wenige Passanten hatten diesen Zwischenfall bemerkt. Sie umringten Parker und bestürmten ihn mit Fragen. Parker entschuldigte sich mit dem Hinweis auf einen alten, hinfälligen Mann, der besser hätte aufpassen sollen und sorgte dafür, daß er der allgemeinen Fürsorge entkam. Ihm war nicht danach, etwa die Polizei zu informieren. Fragen hätte er gerade jetzt nur höchst ungern beantwortet.
Dieser fast peinliche Zwischenfall erinnerte ihn daran, daß er nach wie vor auf einer gewissen Mordliste stand. Es gab die Spinne, die ihn unbedingt umbringen lassen wollte! Parker beschloß, den Dingen sofort auf den Grund zu gehen. Er setzte sich in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr los, nicht ohne noch einmal an der Front des Hauses hochzusehen, das er vor wenigen Minuten erst verlassen hatte. In einem weitgeöffneten Fenster erkannte er Mike Custer und seinen Mitarbeiter Dave Lounters. Beide mußten auf den Vorfall aufmerksam geworden sein. Sie winkten zu Parker herunter und bedeuten ihm, schleunigst noch einmal zurückzukehren. Parker tat so, als habe er nicht verstanden. Er gab Gas und fuhr los. Sein Ziel waren die Räumlichkeiten einer gewissen Sauna. Dort wollte er sich unter anderem nach dem werten Befinden zweier Männer erkundigen! Dan Forster sah ungewöhnlich mitgenommen aus. Die Schwitzkur in der Sauna schien an seiner Substanz gezehrt zu haben. Er wirkte irgendwie zerknittert. Als Parker plötzlich vor ihn stand, bekam Dan Forster einen ungewöhnlich starken Blutandrang zum Kopf und schnappte hörbar nach Luft. Sein an sich schon gedunsenes Gesicht kündete einen nahen Schlaganfall an. »Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl?« fragte Josuah Parker und lüftete gleichzeitig höflich seine schwarze Melone. »Die Sorge trieb mich her. Ich wollte mich nach Ihrem augenblicklichen Befinden erkundigen.« Dan Forster zwang sich zur Ruhe. »Wie bitte?« fragte er und tat ahnungslos. »Um genauer zu sein, Mr. Forster, wie ist Ihnen die Sauna bekommen?« »Welche Sauna?« erwiderte Forster und wußte natürlich sehr genau, wovon Parker sprach. »Sie müssen mich verwechseln…!« »Lassen wir es bei dieser angeblichen Verwechslung«, schlug Josuah Parker vor, »ich möchte, wenn es sich einrichten läßt, den Inhaber der Sauna, Mr. Joe Allinson sprechen.« »Ihr Name bitte?« fragte Forster geschäftsmäßig. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich überflüssigerweise noch einmal vor. »Ich habe die Ehre, für Mr. Mike Rander zu arbeiten.« »Moment, ich werde sehen, ob Mr. Allinson zu Hause ist«, ant-
wortete Forster. »Ich bedanke mich im voraus für Ihre Liebenswürdigkeit«, gab der Butler gemessen. Dann ließ er sich auf einen der Sessel nieder und wartete. * Dan Forster konnte nicht schnell genug aus dem Vorraum der Sauna hinauskommen. Er brannte wohl darauf, seinen Chef zu informieren. Schon nach knapp einer Minute kam er zurück und zwang sich ein Lächeln ab. »Der Chef wartet oben im Büro«, sagte er. »Sehr schön!« Parker erhob sich und fand mit traumwandlerischer Sicherheit seinen Weg, zumal er ja noch in der vergangenen Nacht sich in diesem Haus umgesehen hatte. Sah Dan Forster schon zerknittert und mitgenommen aus, so erst sein Chef Allinson! Der Mann mit der kalten Stimme trug nur einen Bademantel und sah noch jetzt rot aus wie ein gekochter Krebs. Haß stand in seinen Augen, als er den Butler musterte. »Hoffentlich nehme ich Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch«, meinte der Butler, »ich komme gerade von einem gewissen Mister Mike Custer, seines Zeichens Inhaber einer Privatdetektei!« »Kenn’ ich!« schnaufte Allinson kurzatmig. »Und… Was weiter?« »Ich holte einige bescheidene Auskünfte ein«, redete der Butler weiter. »Ich erfuhr zu meiner grenzenlosen Überraschung, daß es in Kreisen der Unterwelt eine >Spinne< geben soll, deren Identität aber leider noch nicht bekannt ist.« »Hören Sie, Parker«, meinte Allinson und richtete sich auf. »Wir sind unter uns. Reden wir also offen miteinander. Mit Ihrer raffinierten Tour erreichen Sie bei mir überhaupt nichts. Ich weiß genau, daß Ihre Naivität nur Raffinesse ist. Sie wollen mich aufs Glatteis führen, aber bei mir haben Sie da Pech gehabt.« »Warum begeben Sie sich wegen eines Unbekannten in Gefahr?« fragte der Butler zurück. »Sie haben von einer gewissen Spinne, wie sie sich nennt, einen wahrscheinlich hochdotierten Auftrag übernommen. Aber ich möchte Ihnen gleich sagen, daß Sie die-
sen Auftrag nicht ausführen können. Ich habe nämlich etwas dagegen, wenn man mich umbringen will. Und Ihre Mitarbeiter Dan Forster, Butch Amsen und Steve Hotchins bringen Sie ebenfalls nur unnötig in Gefahr. Warum das alles? Warum lassen Sie sich vor den Karren eines Mannes spannen, der sich schlicht und einfach die >Spinne< nennt?« »Ich weiß genau, was ich tue«, gab Allinson zurück, »und was Sie angeht, Parker, so werden wir Sie schon schaffen… Ich verspreche Ihnen sogar, daß wir Sie verdammt schnell schaffen werden. Ich kann nämlich gewisse Dinge nicht vergessen!« »Sollen Sie meinen kleinen Scherz mit der Sauna mißverstanden haben?« fragte Parker besorgt. »Sie haben mich reingelegt, gebe ich offen zu, aber bei dieser einen Panne wird es bleiben, das schwöre ich Ihnen, Parker!« »Hoffentlich werden Sie von Mister Treston nicht zu sehr enttäuscht werden«, warf Parker beiläufig ein, brachte aber den Namen des Chefbuchhalters in die Unterhaltung. Er war auf die Reaktion des Gangsterbosses gespannt. Doch der Name Treston schien Allinson nichts zu sagen. Er reagierte überhaupt nicht. Ja, er schien diesen Namen überhaupt nicht mitbekommen zu haben. »Wie, wenn ich fragen darf, konnten Sie die Sauna verlassen?« fragte der Butler, das Thema wechselnd, »wer war nun schneller? Die von mir informierte Polizei? Oder vielleicht irgendwelche Helfershelfer von Ihnen?« »Die Polente war hier«, antwortete Allinson, »die Kerle stellten dumme Fragen. Na schön, dafür habe ich ihnen dumme Antworten gegeben. Hatten Sie geglaubt, mich reinlegen zu können?« »Dann hätte ich die Polizei ja wohl nicht informiert und gebeten, Sie und Mister Forster aus der Sauna herauszulassen«, antwortete Parker. »Ich möchte noch einmal betonen, daß ich aus reiner Menschlichkeit heraus anrief.« »Dafür werden Sie die Quittung schon noch bekommen«, drohte Allinson. »Womit die Feindseligkeiten nach wie vor bestehen bleiben, nicht wahr?« »Und ob, Parker…! Und wenn ich’s kostenlos tun müßte, Sie bleiben auf der Strecke! Dafür verwette ich meine Haut!« »Welch eine verderbliche Rachgier, die aus Ihnen spricht«, wunderte sich der Butler und schüttelte verweisend den Kopf. »Ich
denke, ich empfehle mich, bevor es zu weiteren Akten der Unfreundlichkeit kommt.« »Richtig! Hauen Sie ab, bevor ich platze!« »Ich bin ohnehin in Eile, werde also gehen«, entgegnete der Butler, »Sie wissen ja, Mister Allinson, ich suche einen Mann, der sich die >Spinne< nennt. Er muß übrigens sehr viel Geld und Einfluß haben.« »Wieso?« wollte Allison wissen. Er beugte sich nun doch etwas interessiert vor. »Nun ja, Sie sollen ja bekanntlich nicht sehr billig sein«, meinte der Butler, »hinzu kommt, daß ein Arbeiten mit Ihnen sehr gefährlich ist. Sie sind genau der Typ, der sich ohne weiteres gegen seinen Auftraggeber stellt, falls diese Aktion Geld verspricht. Oder sollte ich Sie falsch eingeschätzt haben?« Allinson stand mühsam auf. Sein Bademantel verschob sich etwas. Die krebsrote Haut war zu sehen, die auf einen längeren Saunaaufentnalt hindeutete. »Wie Sie mich sehen, ist mir egal«, sagte er gereizt, »Hauptsache, die Polizei kann mir nichts am Zeug flicken. Und das kann sie nicht, was Sie auch erzählen, Parker!« »Ich bemühe mich ehrlich, die Polizei aus dem Spiel zu halten«, antwortete der Butler, »kleine Auseinandersetzungen mit Gangstern pflege ich ohne Hilfe der Polizei zu erledigen. Ich darf mich jetzt wohl empfehlen, ja?« Parker stand auf, lüftete seine Melone und verließ die Wohnetage des Mister Allinson. Er wußte übrigens, daß er noch längst nicht draußen auf der Straße war. Ein Mann wie Allinson war schließlich heimtückisch…! * Parker war ehrlich überrascht, daß man ihn ungeschoren die Sauna passieren ließ. Er hatte mit einem grundsoliden Überfall gerechnet, doch nichts ereignete sich. Er kam ungehindert in den Innenhof, ging hinüber zur Hauptstraße und setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Nach seinen Gesprächen mit Mike Custer und Allinson drängte es ihn natürlich, nun noch einmal mit Paul Treston ins Gespräch zu kommen, jenem Mann also, der all diese Dinge schließlich ins Rollen gebracht hatte.
Als Parker den Motor anließ, kam die erwartete Überraschung. Eine Stimme meldete sich vom Rücksitz her. »Nicht nervös werden, Parker«, sagte diese Stimme, »immer hübsch weiterfahren, dann passiert auch nichts!« »Mister Butch Amsen, wenn ich nicht irre?« erkundigte Parker sich, dem diese Stimme nur zu vertraut war. »Stimmt haargenau, Parker«, sagte Butch Amsen, der nun in Parkers Rückspiegel zu erkennen war. »Wetten, daß ich ‘ne entsicherte Kanone in der Hand habe?« »Ich fürchte, diese Wette würden Sie in jedem Fall gewinnen«, gab Parker zurück. »Stimmt«, antwortete Butch Amsen. »Wohin sollte denn die Reise gehen, Parker?« »Ich wollte Mister Treston einen – Höflichkeitsbesuch abstatten«, erwiderte der Butler, »ich fürchte allerdings, daß ich das ursprüngliche Fahrtziel nun ändern muß, ja?« »Stimmt wieder mal haargenau«, meinte Butch. »Ein guter Bekannter wartet auf uns.« »Ihr Partner Steve Hotchins?« »Mann, sind Sie ein kluger Junge«, freute Butch Amsen sich mit einem ironischen Unterton. »Der kann’s kaum erwarten, bis wir bei ihm sind.« »Welchen Kurs müßte ich einschlagen?« wollte Parker wissen. Er wirkte nach außen hin völlig gelassen. Und innerlich war er es auch wirklich. Er schalt sich nicht, daß er vergessen hatte, seinen Wagen zu sichern, was er normalerweise immer tat. Vielleicht war es sogar gut, daß die Gangster wieder aktiv wurden: So blieb der innige Kontakt in jedem Fall erhalten. »Wir fahren rüber zum Hafen«, schlug Amsen vor. Dem Ton seiner Stimme war zu entnehmen, daß er sich erstklassig fühlte. Was wollte er auch mehr. Er hatte den verhaßten Gegner vor der Mündung seiner gewiß nicht kleinkalibrigen Waffe und er hielt sich für unangreifbar. »Im Hafen sag ich dann näher Bescheid…!« Stocksteif, als habe er den bewußten Ladestock verschluckt, saß der Butler am Steuer seines Wagens und steuerte das hochbeinige Monstrum durch den Verkehr. Er verzichtete bewußt auf jede weitere Unterhaltung. Er ahnte, daß Amsen, aus einer verständlichen, inneren Spannung heraus, bald beginnen würde, sich mit ihm zu unterhalten. Parker brauchte tatsächlich nicht lange zu warten.
»Das mit der Sauna war erstklassige Arbeit«, meinte Butch Amsen wohlwollend, »der Chef hat vielleicht getobt!« »Hauptsache, es gefiel Ihnen«, meinte Parker freundlich. »Hat dem Boß mal gar nicht geschadet, daß er selbst durch die Mangel gedreht worden ist!« plapperte Butch Amsen weiter. »Von Allinson mal ganz zu schweigen, der tut ja immer so, als hätt er die Weisheit mit Löffeln gefressen.« »Sie sind bei Mister Allinson angestellt?« forschte Parker. »Kurzfristig nur, für Spezialaufgaben«, erwiderte Amsen. »Sonst arbeiten Steve und ich immer auf eigene Rechnung.« »Auf Rechnung der >Spinne< doch, wenn mich nicht alles täuscht.« »Wer ist denn das, die >Spinne