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Zu diesem Buch Von einem Tag auf den anderen bekommt Cassandra Palmer eine Aufgabe, von der viele träumen: Sie wird die Pythia, der Welt mächtigste Seherin. Doch wieder einmal stehen in Cassandras Fall die Vorzeichen . . . nun ja, anders. Der Titel ist Teil eines Erbes, das sie antreten muss, ob sie will oder nicht. Und mit einem Mal verfügt sie über unfassbar große Macht, was die einflussreichsten Vampire, Elfen und Magier der Stadt alarmiert. Zu allem Überfluss stellt Cassandra fest, dass sie mit einem Bann belegt wurde, der alle potenziellen Liebhaber verschreckt - bis auf diesen einen Vampir mit der unwiderstehlichen erotischen Ausstrahlung. Cassandra ist es leid, immerzu Spielball der anderen zu sein. Wozu ist sie denn im Besitz grenzenloser Macht, wenn nicht, um sie einzusetzen? Karen Chance lebte in Frankreich, Großbritannien und Hongkong, kehrte aber stets wieder zurück in ihre amerikanische Heimat. Derzeit hat sie sich in Orlando, Florida, niedergelassen. Ihre spannende, heitere und romantische Serie um die Heldin Cassie Palmer wurde in den USA ein großer Erfolg. Auf Deutsch liegen bereits die ersten beiden Bände »Untot mit Biss« und »Hinreißend untot« vor.
Karen Chance
Hinreißend Untot ROMAN
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Claimed by Shadow«, Ich möchte Marlin und Mary dafür danken, dass sie mir buchstäblich Unterschlupf vor dem Unwetter geboten haben. Katrina war ein Albtraum, aber ihr habt jenes Jahr in etwas Positives verwandelt. Besonderer Dank gebührt meiner Lektorin Anne Sowards, die die verschiedenen Versionen dieses Buchs mit unendlicher Geduld begleitete. Für all die großartigen Ideen verdienen Sie den Status eines Mitautors, aber da man Ihren Namen nicht aufs Cover gesetzt hat, nenne ich ihn hier. Eins
Man konnte nicht viel von einem Tag erwarten, der in einem Kasino begann, das voller Dämonen war und wie die Hölle aussah. Aber zu jenem Zeitpunkt dachte ich nur, dass ein Bordell mehr Spaß machen sollte, insbesondere eins für Frauen, mit einer Belegschaft aus attraktiven Inkuben. Doch die dämonischen Lover hingen nur an den Tischen mm, hielten ihren Kopf so, als litten sie an Migräne, und schenkten ihrer Gesellschaft keine Beachtung. Selbst Casanova mir gegenüber wirkte unglücklich. Seine Haltung war verführerisch - vermutlich reine Angewohnheit -, aber sein Gesichtsausdruck war nicht so nett. »Na schön, Cassie!«, sagte er scharf, als einer seiner Jungs plötzlich zu weinen begann. »Sag mir, was du hier im Dantes willst, und dann mach den Abgang! Ich muss mich ums Geschäft kümmern.« Er deutete auf drei alte Frauen, die auf Barhockern an der Theke saßen. Sie ließen den Satyr-Kellner dahinter an einer Stelle schrumpfen, an der er normalerweise ziemlich groß war. Es überraschte mich kaum, denn keine der Damen sah nach unter hundert aus, und ihr wichtigstes Attribut bestand aus schmierigem, verfilztem Haar, das schon bei der Geburt grau gewesen war und bis zum Boden reichte. Am vergangenen Abend hatte ich versucht, Enyos - ihr Name bedeutete passenderweise »Entsetzen« - Mähne zu waschen, aber das Hotelshampoo hatte die Sache kaum verbessert. Nach der Entdeckung einer halb verwesten Ratte unter dem linken Ohr hatte ich es aufgegeben. 3 Immerhin lenkte das Haar von den Gesichtern ab und ließ einen Beobachter nicht sofort erkennen, dass die drei Alten zusammen nur ein Auge und einen Zahn hatten. Enyo versuchte gerade, das Auge von ihrer Schwester Deino (»Grauen«) zu bekommen, denn sie wollte sich den entsetzten Kellner ansehen. Unterdessen riss Pemphredo (»Angst«) mit dem Zahn eine Tüte Erdnüsse auf. Schließlich gab sie es auf, stopfte sich die ganze Packung in den Mund und kaute fröhlich und zahnlos. Ich hatte die Graien nur für Mythen gehalten, Tausende von Jahren vor dem Fernsehen von gelangweilten (und recht verschrobenen) Griechen erfunden. Doch das schien nicht der Fall zu sein. Seit kurzer Zeit befanden sich einige vom Vampirsenat, der Regierung aller nordamerikanischen Vampire, erworbene - na schön, gestohlene - Gegenstände in meinem Besitz, und ich hatte versucht, mehr über sie herauszufinden. Das erste Objekt, eine schimmernde kleine Kugel in einem schwarzen Holzkästchen, hatte zu glühen begonnen, als ich es berührte, und einen Lichtblitz später standen mir plötzlich drei Besucherinnen gegenüber. Es war mir ein Rätsel, warum die Drei gefangen waren, noch dazu im Allerheiligsten einer Vampir-Hochburg. Sie gingen einem echt auf die Nerven, waren aber nicht gefährlich und bedrohten nur meine Zimmerservice-Rechnung. Ich hatte die Mädels mitgenommen, weil die
Alternative gewesen wäre, sie unbeaufsichtigt in meinem Hotelzimmer zu lassen. Für Frauen in ihrem Alter waren sie sehr unternehmungslustig, und bisher hatte ich alle Hände voll zu tun gehabt, sie beschäftigt zu halten. Ich hatte sie vor drei einarmige Banditen gesetzt und mich dann um meine eigenen Dinge gekümmert, aber natürlich waren sie dort nicht geblieben. Wie drei uralte Kleinkinder 4 konnten sie sich nur sehr kurz auf etwas konzentrieren und waren nur wenig später in die Bar gekommen, die Hände voller Souvenirs fragwürdiger Herkunft. Mit einem kleinen roten Plüschteufel unter dem Arm hatte Deino eine kleine Schneekugel vor mir auf den Tisch gelegt und war dann zur Theke gegangen. Die Kugel enthielt eine Plastikversion des Dante's, die jedoch nicht von Schnee umgeben war, sondern von Flammen, die immer dann tanzten, wenn man das Ding schüttelte. Der reinste Kitsch - und bei meinem Glück hielt ich es durchaus für möglich, dass man mich verhaftete, weil ich so etwas geklaut hatte. Es ging mir echt gegen den Strich, den Babysitter für die drei Schicksalsschwestern zu spielen, aber Casanovas Gesichtsausdruck beim Blick zu den Alten teilte mir mit, das ich diese Angelegenheit vielleicht zu meinem Vorteil nutzen konnte. Ich lächelte und beobachtete, wie die Flammen der Hölle das Kasino erneut umschlangen. »Wenn du mir nicht hilfst, lasse ich sie hier. Sie könnten eine Schönheitskur gebrauchen.« Ich ersparte mir den Hinweis darauf, wie schlecht das fürs Geschäft sein würde. Casanova verzog das Gesicht, kippte den Rest seines Drinks und zeigte mir dabei einen breiten, sonnengebräunten Hals unter dem offenen Hemdkragen. Er war natürlich nicht der historische Casanova. Besessenheit durch einen Inkubus-Dämon verlängerte die Lebensspanne eines Menschen, aber nicht in einem solchen Ausmaß. Der italienische Abenteurer, der angeblich so großen Erfolg bei Frauen hatte, war vor einigen Jahrhunderten gestorben, doch sein Ruf überdauerte die Zeit. Und es gab nichts daran auszusetzen, dass dieser Typ seinen Namen trug. Er versuchte es nicht einmal bei mir, und doch musste ich mich immer wieder daran erinnern, dass ich nicht zum Vergnügen hier war. 4 »Deine Probleme sind mir gleich«, sagte er mit Nachdruck. »Wie viel dafür, dass sie verschwinden?« »Es geht nicht um Geld. Du weißt, was ich will.« Ich versuchte, die knappen Satinshorts möglichst diskret in eine bequemere Position zu rücken, aber er bemerkte es. Es war schwer, in einem paillettenbesetzten Teufelskostüm komplett mit Schwanz bedrohlich auszusehen. Sündiges Scharlachrot passte nicht zu meinen rotblonden Locken und dem hellen Teint. Ich sah aus wie eine Kewpie-Puppe, die versuchte, den harten Burschen zu spielen - keine
Wunder, dass Casanova nicht beeindruckt war. Ich hatte ihn irgendwie erreichen müssen, ohne erkannt zu werden, und es schien eine gute Idee gewesen zu sein, mir im Umkleideraum der Angestellten ein Kostüm zu schnappen. Mit einem goldenen Feuerzeug zündete sich Casanova eine kleine Zigarette an. »Wenn du lebensmüde geworden bist, ist das deine Angelegenheit. Aber ich stecke den Kopf nicht in die Schlinge, indem ich Antonio quer komme. Der Mann wird zum Irren, wenn's um Rache geht. Du solltest es wissen.« Ich konnte ihm nicht widersprechen, denn Tony, ein Meistervampir und mein früherer Herr und Gebieter, stand ganz oben auf der Liste jener Leute, die mich in einer Urne auf ihrem Kaminsims haben wollten. Doch ich musste ihn finden, und die Person, die vermutlich bei ihm war - andernfalls war die Urne gar nicht nötig. Weil dann von mir nicht genug für eine Bestattung übrig blieb. Und da Casanova einst Tonys Stellvertreter gewesen war, zweifelte ich kaum daran, dass er wusste, wo sich der ausgefuchste Mistkerl versteckte. »Ich glaube, dass Myra bei ihm ist«, sagte ich knapp. Casanova fragte nicht nach Einzelheiten. Es war nicht unbedingt ein Geheimnis, dass Myra versuchte hatte, mir dabei zu helfen, die Mühsal des Irdischen abzustreifen. Es hatte 5 nichts Persönliches dahinter gesteckt - eher war es eine Art Karriereschritt gewesen —, bis ich ihr 2wei Kugeln in die Brust gejagt hatte. Ich schätze, dadurch war es zu einer persönlichen Sache geworden. »Mein Beileid«, brummte Casanova. »Aber mehr kann ich dir nicht anbieten. Meine Situation ist ein wenig... diffizil, wie dir klar sein dürfte.« So konnte man es auch ausdrücken. Dass Casanova in Tonys Organisation einen so wichtigen Platz einnahm, war ungewöhnlich, gelinge gesagt. Normalerweise hielten Vampire Dämonen für unerwünschte Konkurrenz, doch Inkuben standen auf der dämonischen Machtskala nicht unbedingt ganz oben. Für die meisten anderen Dämonen waren sie kaum mehr als eine Peinlichkeit. Aber Casanova war ein ungewöhnlicher Inkubus. Vor Jahrhunderten hatte er sich in einem attraktiven spanischen Don niedergelassen und geglaubt, einen alternden Wirtskörper gegen einen neuen einzutauschen. Die Übernahme war bereits in Gang gekommen, als er plötzlich merkte: Er schickte sich an, seine Zelte in einem Vampir aufzuschlagen, der zu jung war, um ihn abzuwehren. Bevor der Vampir noch begriff, wie ihm geschah, kam es zu einer Übereinkunft. Casanovas jahrhundertelange Erfahrung beim Verführen half dem Vampir, an Nahrung zu kommen, und Casanova passte es gut in den Kram, einen Körper zu haben, der nicht alterte. Als Tony entschied, mit den Inkuben Geld zu verdienen, war Casanova die perfekte Wahl für ihn.
Sein Laden namens »Dekadente Träume« befand sich gleich neben Tonys Kasino in Vegas, in einem geradezu monströsen Gebäude. Während Urlaub machende Ehemänner das Vermögen der Familie beim Roulette verspielten, fanden ihre vernachlässigten Frauen Trost bei den Wellness-Behandlungen ii aller Art nebenan. Tony wurde von den Einnahmen reich, die Inkuben bekamen mehr Fleischeslust, als sie gebrauchen konnten, und die Damen kamen mit einem Strahlen heraus, das noch Tage andauerte. Eigentlich war es eins von Tonys weniger verwerflichen Etablissements, obgleich an seiner Illegalität natürlich kein Zweifel bestand - im Gegensatz zu dem, was manche Leute glaubten, war Prostitution in Las Vegas verboten. Aber Vampire hatten sich nie groß um die Gesetze der Menschen geschert. »Wie wird Sklaverei heutzutage bestraft?«, fragte ich eisig. Zum ersten Mal verlor Casanova sein überlegenes Gehabe. Er ließ die Zigarette fallen. Heiße Asche krümelte auf den Anzug und hinterließ kleine Brandflecken, bevor er sie wegstreichen konnte. »Damit hatte ich nie etwas zu tun!« Seine Reaktion überraschte mich nicht. Tony verstieß nicht nur gegen die Gesetze der Menschen, sondern auch die der Vampire, indem er einem besonders einträglichen Geschäft nachging: Er verkaufte Anwender der Magie. Der Silberne Kreis - der Magier-Rat, der in der magischen Gesellschaft die gleichen Aufgaben wahrnahm wie der Senat bei den Vampiren - war strikt dagegen, und sein Abkommen mit dem Senat verbot es ausdrücklich. Wer dem Abkommen keine Beachtung schenkte, riskierte Krieg, und allein dafür hätte der Senat Tony umbringen lassen, wenn er nicht schon genug Gründe gehabt hätte, seinen Tod zu wollen. »Es dürfte dir schwer fallen, den Senat davon zu überzeugen, wenn dein Boss alles auf dich abwälzt.« Casanovas Gesichtsausdruck deutete darauf hin, dass er das durchaus für möglich hielt. Er kannte seinen Arbeitgeber so gut wie ich. »Aber wenn ich ihn zuerst finde, verschwindet er von der Bild-fläche, und dann hast du nichts mehr zu befürchten. Es ist also in deinem Interesse, mir zu helfen.« Ich hoffte, damit weiter6 zukommen - Eigeninteresse war bei Vampiren immer ein guter Ansatzpunkt , aber Casanova erholte sich schnell. Mit ruhigen Fingern zündete er sich eine weitere Zigarette an. »Warum bist du so sicher, dass ich weiß, wo er ist? Er sagt mir nicht alles. Er hat jetzt diesen Alphonse, der ihm hilft.« Alphonse war derzeit Tonys rechte Hand und persönlicher Leibwächter. Ich kannte keinen hässlicheren Vampir, und seine Persönlichkeit zeichnete sich durch den gleichen Mangel an Attraktivität aus wie sein Gesicht. Doch er war mir immer noch lieber als sein Boss. Alphonse mochte mich nicht unbedingt,
aber ich bezweifelte, dass er mich zur Strecke bringen würde, wenn Tony den Befehl gab. »Tony musste sich von jemandem vertreten lassen, als er untertauchte. Ich wette, er überließ dir das Ruder, was bedeutet, du weißt, wo er ist.« Casanova musterte mich durch eine Rauchwolke und schwieg eine Weile. »Ich habe vorübergehend die Leitung«, sagte er schließlich. »Aber das gilt nur für Vegas. Du solltest es mit Philly versuchen.« Sofort schüttelte ich den Kopf. Daran lag mir ganz und gar nichts. Philadelphia war Tonys wichtigstes Betätigungsfeld, und dort gab es zu viele Leute, die keine liebevollen Erinnerungen mit mir verbanden. »Oh, dort bekäme ich etwas, aber es wären keine Informationen.« Casanovas Lippen zuckten, und die Erheiterung in seinen whiskyfarbenen Augen war noch verlockender als die glühende Aura der Verführung, die ihn umgab. Ich schluckte und gab mich gleichgültig, was mir ein Lächeln einbrachte, aber keine Informationen. »Du weißt ebenso gut wie ich, wie wenig die Familie von Untreue hält«, murmelte Casanova. »Das gilt insbesondere für einen Dämon-VampirMischling, den die meisten für einen & Freak halten. Und der Umstand, dass ich vorübergehend die Leitung an diesem Ort habe, hat mir keine Bewunderer eingebracht. Viele warten darauf, dass ich einen Fehler mache, und meinen Boss zu verraten ... Das wäre der größte aller Fehler.« Offenheit hatte ich nicht erwartet und war dementsprechend überrascht. Ich sah ihn groß an, während Furcht in mir aufstieg. Rasch versuchte ich, sie aus mir zu verbannen - ich konnte es mir nicht leisten, jetzt Unsicherheit zu zeigen. Wenn ich nicht schnell eine Möglichkeit fand, aus Casanova herauszuholen, was ich wissen wollte ... dann würde Myra bald Dinge aus mir herausholen, mit einem Messer. Ich beugte mich vor und spielte meine beste Karte aus. »Mir ist klar, welche Vorstellungen die Familie von Rache hat. Aber denk mal nach. Wenn Tony vernichtet wird, durch mich oder den Senat, bist du in der idealen Position, dir das eine oder andere anzueignen. Würde es dir nicht gefallen, der Eigentümer dieses Ladens zu werden?« Casanova strich mit der Hand durch sein schulterlanges kastanienbraunes Haar, das perfekte Wellen bildete - es schien eine ganze normale Bewegung zu sein, ohne Berechnung. Er trug einen Anzug aus Rohseide, dessen Braun fast dem der Augen entsprach. Mit Männerkleidung kannte ich mich nicht besonders gut aus, aber die safrangelbe Krawatte sah teuer aus, ebenso die goldene Uhr und die dazu passenden Manschettenknöpfe. Casanova hatte einen erlesenen Geschmack, und er wurde von Tony bestimmt nicht überbezahlt - Großzügigkeit gehörte nicht zu Tonys Charaktereigenschaften.
Er sah sich sehnsüchtig um. »Was gäbe ich für eine Renovierung«, sagte er. »Hast du eine Ahnung, wie schwer es ist, die Gäste an diese Umgebung zu gewöhnen?« Ich verstand, was er meinte. Die Düsternis einer Opiumhöhle, die Bar gestaltet wie ein Drachenkopf, mit Dampf, der gelegentlich aus den Gipsnüstern zischte ... In einer solchen Umgebung blieb für Romantik kaum Platz. »Meine Jungs müssen doppelt so hart arbeiten wie sonst. Letzten Monat habe ich einen Rohrbruch arrangiert, um einen Vorwand zu haben, das Foyer auseinander zu nehmen, aber es gibt so viel zu tun, und ich habe noch nicht einmal mit dem Eingang begonnen. Er schreckt die meisten potenziellen Gäste ab, noch bevor sie die Tür erreichen.« »Also hilf mir.« Er schüttelte reumütig den Kopf, und ein wenig Rauch kam aus seinem Mund, als er seufzte. »Geht nicht, Chica. Tony ruiniert mich, wenn er dahinter kommt. Ich müsste mir einen neuen Körper suchen, nachdem er diesen vernichtet hat, und inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.« Klar, dass Casanova ihn nicht riskieren wollte. Vernünftiger war es, am Rand des Geschehens darauf zu warten, wer gewann - Vernunft dieser Art gehörte praktisch zu den Hauptmerkmalen von Vampiren. Mir stand diese Möglichkeit leider nicht zur Verfügung. Das Vermächtnis einer exzentrischen Seherin hatte mich zur Pythia gemacht so lautete der Titel der besten Hellseherin auf der ganzen Welt. Agnes' Geschenk ging mit ziemlich viel Macht einher, die alle entweder für sich oder aber neutralisiert wissen wollten. Derzeit klebte sie an mir, weil die Seherin dummerweise gestorben war, bevor ich herausfinden konnte, wie man die Macht zurückgab. Ich hoffte, sie auf jemand anders übertragen zu können, vorausgesetzt ich blieb lange genug am Leben, was nicht leicht sein würde, weil: Tony wollte mich tot sehen, der Vampirsenat hatte mich auf dem Kieker, und außerdem war es mir auch noch gelungen, die Magier und ihren Silbernen Kreis zu verärgern. In dieser Hinsicht hatte ich in kurzer Zeit viel erreicht. '5 »Tony wird sich nicht gegen die sechs Vampirsenate durchsetzen«, sagte ich. »Sie sind durch Vereinbarungen gegenseitig verpflichtet, auf der ganzen Welt. Wenn einer Jagd auf ihn macht jagen ihn alle. Früher oder später erwischen sie ihn, und dann gibt er die Schuld für das, was geschehen ist, jemand anders. Sie werden ihn trotzdem vernichten, aber ich wette, zuvor belastet er dich und viele andere. Wenn du mir hilfst, finde ich ihn vielleicht, bevor das passiert.« Casanova musterte mich, während er seine Zigarette in einem schwarz lackierten Aschenbecher ausdrückte. Der Blick seiner dunklen Augen wanderte über mein Kostüm, und die Lippen deuteten ein Lächeln an. »Es heißt, du bist jetzt die Pythia«, sagte er schließlich, und seine langen Finger strichen mir über den Handrücken. »Kannst du nicht deine besonderen
Fähigkeiten benutzen, um mit dieser Sache fertig zu werden? Es würde mir viel bedeuten.« Dort, wo er mich berührte, fühlte sich meine Haut wärmer an, und diese Wärme breitete sich im ganzen Arm aus. Seine Stimme wurde eine Oktave tiefer und rau. »Ich wäre dir ein sehr guter Freund, Cassie.« Er hob meine Hand und drehte sie, strich mit einem Finger über die Innenfläche. Ich wollte eine sarkastische Bemerkung über meine »besonderen Fähigkeiten« machen, als Casanova den Kopf senkte. Seine Lippen folgten der Linie, die er gerade mit dem Finger gezogen hatte; seidenweich waren sie, und doch fühlte es sich an, als hinterließen sie eine Brandspur. Ich vergaß, was ich sagen wollte. Unter dunklen Wimpern hinweg sah er mich an, und ich gewann den Eindruck, in das Gesicht eines geheimnisvollen Fremden zu sehen, dessen Augen eine hypnotische Wirkung hatten. Man sagte, dass es nur einen Unterschied zwischen Don Juan und Casanova gab, den beiden besten Liebhabern der Welt: Wenn Don Juan Beziehungen beendete, hassten ihn die Frauen, doch Casanova bewun 9 derten sie noch immer. Mir wurde allmählich der Grund dafür klar. Ich zog meine Hand zurück, bevor sie auf die Idee kommen konnte, ihn zu packen und über den Tisch zu ziehen. »Schluss damit!« Casanova blinzelte überrascht und streckte erneut die Hand nach mir aus. Diesmal war das Gefühl von Wärme noch stärker, als er mich berührte. Ein Hitzeschauer lief mir über die Haut, und plötzlich dachte ich an warme spanische Nächte, den Duft von Jasmin und goldene Haut an der meinen. Ich schloss die Augen, schluckte und versuchte, diese Empfindungen beiseite zu schieben, aber dadurch schienen sie nur stärker und realer zu werden. Jemand drückte mich auf eine dicke Matratze - ich versank fast darin und spürte die weichen Laken unter den Händen. Seidenes Haar fiel über mich, und starke Hände tasteten über meine Seiten. Sie berührten mich kaum, aber trotzdem wurde mir heiß. Ganz plötzlich änderte sich das Gefühl, und aus verführerischer Wärme wurde sengende Hitze. Für einen Moment dachte ich, Casanova würde tatsächlich versuchen, mich zu verbrennen, doch er ließ meine Hand los, bevor das Gefühl eine schmerzhafte Intensität gewann. Ich öffnete die Augen und stellte fest, dass wir noch immer in der Bar saßen. Den einzigen Hinweis darauf, dass etwas geschehen war, boten mein glühendes Gesicht und der rasende Puls. Casanova seufzte und lehnte sich zurück. »Wer auch immer hinter deinem Geis steckt, er hat gute Arbeit geleistet«, sagte er und gab dem Kellner ein Zeichen. »Aus reiner Neugier ... Wer ist dafür verantwortlich? Ich hätte gedacht, dass es keinen Zauber dieser Art gibt, den ich nicht brechen kann.« »Ich habe keine Ahnung, wovon du da redest.« Ich rieb mir die Stellen der Hand, wo Casanovas Finger Brandmale zu
*7 rückgelassen zu haben schienen, und richtete dabei einen finsteren Blick auf ihn. Von der versuchten Ablenkung hielt ich nichts - immerhin war ich nicht sein kleines Nachmittagsvergnügen. »Der Geis. Ich wusste nicht, dass jemand Anspruch auf dich hat und...« »Was ist ein Gehs?«, fragte ich. Casanova buchstabierte das Wort, was mir kaum weiterhalf. Der Kellner brachte neue Drinks, und ich trank einen Schluck. Mit meiner Stimmung ging's immer mehr bergab. »Stell dich nicht dumm, Cassie. Du weißt, was ich bin. Hast du gedacht, ich würde nichts bemerken?«, fragte Casanova ungeduldig. Dann sah er meinen Gesichtsausdruck, und seine Augen wurden groß. »Du hast wirklich nichts davon gewusst?« Ich schaute ihn böse an. Weitere Komplikationen - genau das, was ich brauchte. »Erklär mir endlich, was los ist, oder ...« »Jemand - ein mächtiger Anwender der Magie oder ein Meistervampir - hat Anspruch auf dich erhoben«, sagte Casanova geduldig und fügte hinzu: »Nein, >Anspruch< genügt nicht als Beschreibung. Es ist mehr ein LASS-DIEFINGER-VON-IHR-Schild, einen Kilometer hoch.« Ein neuer Hitzeschauer kroch mir über den Nacken, als ich dasaß und das Gehörte zu verarbeiten versuchte. Ich erinnerte mich an die kultivierte, amüsierte Stimme eines Mannes, der mir sagte, dass ich ihm gehörte und ihm immer gehören würde. Mistkerl. »Was bedeutet das genau?« »Ein Geis ist ein Zauber, der ein Tabu oder ein Verbot beinhaltet.« Casanova sah meine Verwirrung. »Kennst du die Geschichte von Melusine?« Eine Kindheitserinnerung regte sich in mir, war aber recht 10 vage. »Ein Märchen. Französisch, glaube ich. Sie war eine halbe Fee, die sich in einen Drachen verwandelte, nicht wahr?« Casanova seufzte erneut und kommentierte meine Ignoranz mit einem Kopfschütteln. »Melusine war für sechs Tage in der Woche eine schöne Frau und dazu verdammt, am siebten als halbe Schlange zu erscheinen. Sie heiratete Raymond von Lusignan, nachdem er sich zu einem Geis bereiterklärte, der es ihm verbot, sie am Samstag zu sehen, obwohl sie ihm keinen Grund dafür nannte. Sie verbrachten viele glückliche Jahre, bis ein Cousin Raymond einredete, dass seine Frau die Samstage mit einem Liebhaber verbrachte. Daraufhin spionierte er ihr nach, um die Wahrheit herauszufinden. Damit brach er den Geis, was zur Folge hatte, dass Melusine dauerhaft zu einem Drachen wurde und Raymond die Liebe seines Lebens verlor.« »Willst du behaupten, es sei eine wahre Geschichte?«
»Keine Ahnung. Ich wollte dir nur veranschaulichen, wie ein Geis funktioniert.« Casanovas Hand schwebte über meiner, aber er berührte mich nicht noch einmal. »Deiner ist der stärkste, den ich je gespürt habe, und er existiert schon seit einer ganzen Weile. Er hat sich gut festgesetzt.« »Was meinst du mit >einer ganzen Weile