Die Söhne des Teufels Western von U. H. Wilken Die Texas Rangers sorgen im Westen für Recht und Ordnung. Sie jagen Verb...
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Die Söhne des Teufels Western von U. H. Wilken Die Texas Rangers sorgen im Westen für Recht und Ordnung. Sie jagen Verbrecher und führen sie ihrer gerechten Strafe zu - und manchmal müssen sie auch töten, wenn es ihr Auftrag verlangt. Delmer und Joshua McKinney hatten den alten Russo töten müssen, diesen verwilderten Einsiedler, der ohne Grund Menschen umbrachte, Vieh abschlachtete und die Bevölkerung in Angst und Schrecken hielt. Und nun, Jahre später, sind sie selbst in schrecklicher Gefahr. Russos zwei Söhne haben sich auf ihre Fährten gesetzt, wollen Rache nehmen - blutige Rache. Sie sind noch grausamer als ihr Vater, sind wie Schakale, die einmal Blut gerochen haben. Und im Todestal soll die Entscheidung fallen... *** »Stehenbleiben, Russo!« Heiser tönte es zornig durch den fauchenden Sturm, der durch die Bergschlucht orgelte. »Gib endlich auf, sonst -« Vom Sturm zerfetzt, verloren sich die Worte in der zerklüfteten Bergwildnis. Zwei Männer hetzten den hünenhaften Russo die Bergflanke empor. Ständig trieben sie ihn vor sich her und hätten schon
schießen können, doch noch zögerten sie und hofften, daß er sich ergab. Keuchend arbeitete Russo sich unheimlich schnell voran, als wollte er in den Himmel stürmen und zwischen die tief dahintreibenden grauen Wolken springen. Verbissen und manchmal irr auflachend, versuchte er, den Verfolgern zu entrinnen und in seinem Schlupfwinkel dort oben auf den sturmgepeitschten Anhöhen unterzutauchen. Aber sie wollten ihn haben! Nicht noch einmal sollte ihnen dieser alte bissige und bösartige Bärenwolf Russo entwischen, den die Menschen unten auf den weiten heißen Ebenen »das Vieh« nannten, weil er alles roh verschlang, weil er roh handelte und weil er hier in seinem Reich der Bergwildnis schon so manchen Menschen umgebracht hatte. Wieder brüllte einer der Verfolger warnend und zum letztenmal. Doch wieder reagierte der Einsiedler nicht darauf, und während die drei Männer durch den Sturm rannten, sank die Nacht mit ihren schwarzen Schattenfeldern hernieder. Immer nur für Augenblicke erschien bleich der Mond zwischen den Wolkenlücken. Mündungsfeuer stachen durch die Dunkelheit; dumpf erstickte der Knall der Schüsse, erstarb das Echo. Ein Fremder vernahm die Schüsse. Seit Ausbruch des Sturms lagerte dieser große schlanke Fremde nun schon oberhalb der Bergflanke im spärlichen Schutz der Felsen und der sturmgeschüttelten Bäume. Und obwohl er nicht mehr jung war, richtete er sich, ohne sich aufstützen zu müssen, mit der geschmeidigen Kraft eines durchtrainierten Mannes auf, dessen Zuhause die Wildnis, die Weite und die sonnendurchglühte Wüste sind. Im Nu hatte er die Winchester gepackt - und schon lag sie feuerbereit in seinen sehnigen schlanken Händen.
Dieser Mann hatte seinen vierzigsten Geburtstag überlebt und das hieß im Westen schon eine ganze Menge! In seinen rauchgrauen Augen funkelte es hell und hart wie Metall in gleißender Sonne und so kalt wie Eis - und doch war in diesen Augen, die endlose Fernen gesehen hatten, ein Ausdruck von Herzenswärme, der das Leben bejahte. Ein Fremder... So waren nicht nur Russo und seine beiden Verfolger hier am Canyon - eine schicksalhafte Begegnung! Irgendwann in den kommenden Jahren sollte dieser Zufall sich wiederholen... In dieser Nacht trafen sie aufeinander. Sekunden nur waren es noch bis zu dieser nächtlichen Begegnung - und der große Fremde stand mit angehobener Winchester vor der verwehenden Holzasche seines längst erloschenen Lagerfeuers. Wildes Keuchen drang näher. Metall schlug klirrend gegen Felsgestein. Zundertrockene Äste halbabgestorbener Mesquitesträucher am Hang brachen, und losgestoßene kleine Steine rollten rasselnd abwärts. »Halt, Russo...!« Doch Russo wollte um keinen Preis aufgeben. Vielleicht würde er noch nicht einmal auf seine beiden jungen Söhne Gersh und Henry hören. Und warum sollte er auch - waren sie doch so gemein, wild und hemmungslos wie er, so grausam, unbelehrbar und skrupellos! Zudem befanden sie sich irgendwo hier im Südwesten von Texas, um vermutlich wieder ihren bösen Trieben und Instinkten nachzugehen. Und wie ein gejagter Büffel rannte er höher, mit wehendem zotteliggrauem und verfilztem Haar, in schmutzig gewordenes Leder gekleidet, nicht Bär, nicht Wolf - und dann erblickte er jäh den großen Fremden zwischen den Bäumen und Felsen, und dahinter schemenhaft die Umrisse eines knochigen Pferdes.
Mit berstendem Donner brüllte der Himmel auf, und Regen prasselte gegen die Felsen und zerfetzte die letzten Blätter der Bäume und Sträucher. Grell zuckend fuhr ein Blitz über den Himmel und zersprang zu einem gleißenden Diagramm. Mit brüchiger Stimme schrie Russo den Fremden an, doch die Worte waren nicht zu verstehen; vielleicht war es auch nur ein Aufschrei der Wut, des Jähzorns und des Hasses. Der Fremde tat nichts, stand reglos, obwohl der Sturm sich gegen ihn stemmte - doch die Winchester schreckte Russo zurück, obwohl er selber bewaffnet war mit Gewehr, Colt und Bowiemesser. Keuchend warf er sich herum, sah die beiden Verfolger wie gespenstische Schatten durch die Regenschauer kommen, riß das Gewehr hoch und schoß. Einer der Verfolger zuckte zusammen und kippte weg, warf sich angeschossen hin - und sein Gefährte feuerte auf Russo. Der Hüne schwankte im grellen Schein eines Blitzes, als hätte der Blitz ihn getroffen. Das Gewehr wirbelte nach hinten weg und schlug hart klirrend auf. Langsam ging Russo in die Knie und kippte dann auf die Seite. Einer der Verfolger hastete heran, kniete nieder, drückte Russo auf den Rücken und bemerkte erst jetzt die Nähe des Fremden. Unwillkürlich wollte er im ersten Moment die Waffe auf den Fremden richten, doch da winkte der große hagere Mann kalt und beherrscht ab und kam mit gesenkter Winchester heran. Forschend blickte er auf das verzerrte Gesicht des Todgeweihten, über das der Regen rann. Russo atmete wie ein verendender Büffel, doch selbst jetzt noch, an der Schwelle des Todes, brach sein unseliger Haß noch einmal durch. »Meine - Jungs - werden euch finden und - töten, ihr verdammten - Bastarde! Ihr müßt - sterben -«
Es war aus mit dem alten Russo. Der Mann, der ihn erschossen hatte, um nicht selber draufzugehen, der gezwungen worden war, zurückzuschießen, erhob sich und blickte mit braunen Augen den Fremden an. »Das war der alte Russo«, sagte er, noch etwas außer Atem, »ein Mensch, der unmenschlich gehandelt hat. Wir sind lange Zeit hinter ihm hergewesen. Wenn er Hunger hatte, kam er aufs Weideland und fiel Rinder an, erschoß sie, schnitt das beste Fleisch heraus und ließ alles andere liegen - und dann knallte er die Tiere aus purer Lust am Töten ab. Und wenn Cowboys hinzukamen, um die Tiere zu retten, schoß er sie aus dem Sattel... Ich bin froh, daß es mit ihm ein Ende hat.« Danach wandte der Mann sich ab und ging langsam zu seinem Gefährten zurück, half ihm, stützte ihn und geleitete ihn heran. Blut rann aus der Stirnwunde, die der Streifschuß gerissen hatte, und sickerte zwischen den Fingern der vorgehaltenen Hand durch. Auch dieser Mann blickte auf den Toten - und der Fremde stellte bei beiden Verfolgern eine große Ähnlichkeit fest. Beide waren drahtig, hart und sehnig, mehr als mittelgroß, und beide hatten braune Augen und dunkles Haar. Sie waren Brüder. Und der Verwundete atmete tief ein und entspannte sich merklich, warf dem Fremden einen seltsamen Blick zu und schloß beim Aufzucken eines Blitzes wie geblendet die Augen. Dann sagte er in das Grollen des Gewitters hinein: »Er hat zwei Söhne - und auch ich hab' einen kleinen Jungen. Es ist verdammt schwer, einen Mann zu erschießen, der Vater ist. Da denkt man an viele Dinge - ich jedenfalls.« »Russo ist im Haß gestorben, Delmer«, sagte der andere, der Russo getroffen hatte, und verlieh seiner Stimme einen harten Klang. »Er starb noch mit dem ganzen Haß seines Lebens auf den Lippen. Seine Söhne würden uns jagen und erledigen. Das
ist nicht nur in den Wind gesprochen, Delmer! Wir müssen mit allem rechnen! Die Söhne wissen doch, daß wir beide auf ihren alten Vater angesetzt worden waren.« »Gott sei Dank, daß es vorbei ist, Joshua.« Der verwundete Delmer schwankte. »Leg mir einen Verband an, Bruder. Und dann wollen wir aufbrechen. Für mich ist das Leben als Texas Ranger vorbei - und ich geh zu meiner Frau und zu meinem Kleinen zurück und bleib' für immer bei ihnen.« »Die beiden werden sich freuen - Lena und der kleine Terry. Aber willst du wirklich Schluß machen? Was willst du denn tun?« Sie sprachen miteinander, als wäre der große Fremde gar nicht da. Das verriet ein großes Selbstvertrauen und eine innere Stärke. Und sie mußten auch erkannt haben, daß sie diesem Fremden vertrauen konnten. Diese Begegnung in der stürmischen Unwetternacht hier in der Bergwelt im Grenzland zwischen dem südwestlichen Texas und dem Wüstenland New Mexico Territory war schon höchst seltsam. Es war so, als sollte das so sein, verfügt vom Schicksal dieser drei Männer, die morgen schon wieder ihre eigenen Wege gehen würden, die die Entfernung trennen sollte. Und vielleicht würden Zeit und Raum sie diese Nacht vergessen lassen. »Was ich tun werde, Jo?« Der Angeschossene seufzt, doch das war im Gewittergrollen nicht zu hören. »Wir ziehen nach Westen. Es soll da irgendwo im Department Arizona ein riesiges schönes Tal geben - die Leute nennen des ›Sundown Valley‹, weil man dort angeblich die schönsten Sonnenuntergänge erleben kann. Yeah, dahin werden wir gehen. Und wenn du uns mal besuchen willst, dann reite zur Stadt Paradero...« Sie sahen auf Russo und dann auf den Fremden. »Wir sind die McKinney-Brüder - beide Texas Ranger. Und wer sind Sie, Mister?«
Der Fremde lächelte flüchtig. »Jemand, der nichts gegen Texas Ranger hat. Ich bin schon mal in Paradero gewesen. Diese kleine Town liegt in der Nähe des Flusses, den die Einheimischen Rio Sabrina genannt haben - nach einer alten Begebenheit. Dort soll sich ein wunderschönes mexikanisches Mädchen namens Sabrina im Wasser des Flusses das Leben genommen haben, weil der Sohn eines reichen amerikanischen Ranchers sie nicht geheiratet hat. Nun, vielleicht ist was Wahres dran.« »Wenn Sie mal hinkommen sollten, irgendwann, dann können Sie mich und meine kleine Familie ruhig mal besuchen.« Delmer McKinney verzog vor Schmerzen das Gesicht. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das sage. Bestimmt sehen wir uns nie wieder... Gehen wir, Joshua. Wir nehmen Russo mit in die Stadt.« »Dann werden seine Söhne schon bald wissen, daß wir ihn gestellt haben, und dann wird alles wieder von vorn anfangen, dieser Haß, diese Kämpfe.« »Ich geh weit nach Westen, Bruder - aber du willst weiter als Ranger arbeiten. Du bleibst also in diesem Gebiet. Ich mach mir Sorgen um dich. Du solltest auch den Dienst quittieren und dann mitkommen.« »Nein, ich bleibe. Und ich würde mein Gesicht verlieren verstehst du mich?« »Ja.« Joshua McKinney hob Russo an, und der Fremde half ihm, den Toten auf den Lagerplatz zu bringen. Dann ging Joshua McKinney weg und kam mit den Pferden zurück. Während seiner Abwesenheit hatten der Fremde und sein Bruder Delmer kein Wort miteinander gewechselt. Schließlich ritten die beiden Brüder und Texas Ranger mit dem leblosen Russo davon in die dunkle Tiefe des Canyons, und in der Ferne grollte es dumpf und schwer.
»Ja, ich mach Schluß mit diesem Rangerleben, Joshua«, sprach Delmer McKinney mit schwerer und schleppender Stimme, »ich halte das nicht länger durch, das geht mir an die Nerven... Da muß unsereins so einen Mistkerl wie Russo suchen, jagen und fassen, und wenn man ihn erwischt hat, dann ist man auch noch gezwungen, zurückzuschießen. Diesmal hast du es getan - doch beim nächsten Mal muß ich es dann vielleicht tun, um zu überleben. Und diesmal haben wir einen Mann zur Strecke gebracht, der zwei Söhne hat. Ich will nicht mehr Väter oder Söhne oder Brüder erschießen müssen, auch wenn sie mich dazu zwingen sollten. Yeah, darum mach ich Schluß, Jo.« Der Bruder respektierte diese Entscheidung, die Delmers Leben vielleicht in andere Bahnen verlaufen ließ - doch wer konnte das jetzt schon wissen. »Ich reite weiter als Ranger, Delmer - was sollte ich denn sonst machen! Kann schon möglich sein, daß ich bis an mein Lebensende -« Polternd tobte der Gewitterschlag über die nächtlich dunklen Berge hinweg und verebbte grollend. Wieder nahm der Sturm zu und entwurzelte Bäume auf den ungeschützten Höhen. Kaltes bleiches Mondlicht stach durch Wolkenfetzen hervor und stieß als gleißende Lanze in die tiefen Canyons hinein. Das Unwetter machte jede Unterhaltung zunichte. So mußten sie schweigen, doch wohl jeder von ihnen dachte irgendwann an diesen großen Fremden, dem sie begegnet waren und der sie irgendwie tief beeindruckt hatte. Leblos und schlaff lag Russo zusammengeschnürt und festgezurrt auf dem Pferd, bedeckt mit einem Tuch, durch das der Regen drang. Der Fluch dieses Toten lebte noch weiter. Zwei Brüder zogen durch das Unwetter hinab auf die weite Ebene - und dort auf dem Berg zwischen den Felsklippen kauerte der Fremde mit dem Rücken an einen Fels gelehnt,
hatte sich eingehüllt und starrte gedankenversunken in die vorbeiziehenden Regenschauer. Irgendwann sollte ihn sein Pferd in das ferne, westwärts gelegene Sundown Valley tragen, nach der Town Paradero und zu Delmer McKinney und dessen Frau Annalena und deren gemeinsamen Sohn Terrence, genannt Terry. Und der Junge sollte diesen Mann einfach gernhaben. Doch dann würde der Fremde, der den McKinneys kein Fremder mehr wäre, wieder fortreiten, denn er war so rast- und ruhelos wie der Wind, und dann sollte viel Zeit vergehen - sehr viel Zeit. Und sie sollten kaum noch aneinander denken, nur manchmal vielleicht noch. Nach jenem kurzen Besuch sollten dann wieder Jahre verstreichen - bis zu der Zeit, da die Rache der Söhne des alten Russo herangereift war und die Saat des Bösen aufging. Der Fremde war in Vergessenheit geraten. Selbst in der Erinnerung gab es ihn nicht mehr... *** Die Jahre waren also dahingegangen, und in all diesen Jahren war viel geschehen. Noch immer lebten und arbeiteten Delmer McKinney und seine Frau Lena auf dem Rancho und wurden von Vaqueros unterstützt. Noch immer saß auch Delmer McKinneys Bruder Joshua im Sattel und ritt für die Truppe der Texas Ranger im Kampf gegen Viehdiebe, amerikanische und mexikanische Banden und verdiente sich so wahrlich hart genug seine wenigen Dollar für eine recht bescheidene Lebensführung - doch er war auf seine Art zufrieden und wohl auch glücklich. Delmer McKinney und seine Frau hatten den Jüngling nicht halten können. Es hatte Terrence in die Ferne getrieben. Größer
als alle Seßhaftigkeit war diese Sehnsucht geworden, dieses Fernweh - und er war jung... Und der große Fremde hatte in diesen Jahren so manche Kämpfe durchstanden, denn er war einer der größten Gunfighter des Westens, ein gutherziger, aber sehr rauher und harter Mann, dessen Leben die Einsamkeit war. Sie alle gingen und ritten verschiedene Wege - und dann, wie unter der Macht des Schicksals, führten ihre Wege zusammen. Es kam zu einer Tragödie des Tötens! *** Wieder tobte ein Unwetter über Prärien, Wüsten und Bergschluchten hinweg. Wie damals, als der alte Russo sein Leben aushauchte, zuckten auch zu dieser frühen nächtlichen Stunde die fahlen Blitze über den dunkel verhangenen Himmel, und ihr grelles Licht holte eine windschiefe Adobehütte am Rande einer kleinen mexikanischen Ortschaft aus dem Dunkel hervor. Nur sekundenlang waren die dort angeleinten Sattelpferde unter den wild schlagenden Ästen alter Laubbäume zu sehen. Der trübe, anheimelnd gelbe Lichtschein einer rußenden Lampe sickerte durch das verhangene kleine Fenster ins Freie und machte den prasselnden Regen als gleißende Streifen sichtbar. Im Innern dieser Hütte hockten etliche bewaffnete Männer beisammen, rauchten, tranken und sprachen miteinander. Zwei waren Brüder. Der eine hieß Gersh, der andere Henry. Sie waren die Söhne des alten Russo. Und sie beide blickten auf den Dollar, den erst Gersh und nun Henry auf den Tisch geworfen hatte. Eine Seite des Dollars brachte die Entscheidung.
Langsam nahm Gersh Russo den Dollar wieder an sich und blickte seinen Bruder lächelnd an. »Du darfst ihn erledigen, Henry. Schade - ich wollte es gerne...« »Nun sei nicht traurig, Gersh«, meinte Henry Russo mit einem treuherzigen Augenaufschlag und lächelte wie verschämt, »es sind ja zwei, so wie wir. Du kannst dir dann den anderen vornehmen. Das macht vielleicht noch mehr Freude!« »Darauf kannst du dich verlassen!« versetzte Gersh Russo haßerfüllt. »Die McKinneys haben unseren Alten zu Tode gehetzt - wie einen Kojoten! Und da soll auch noch ein Fremder dabeigewesen sein, dort in der Sierra; niemand kennt seinen Namen. Und die McKinneys hatten ihn auch nicht beschrieben. Ist ja wohl auch unwichtig... Jedenfalls jagen wir jetzt! Es ist genau umgekehrt. Und wenn du mir auch nicht glauben willst, Bruder - ich hab' Dad verdammt gern gehabt.« »Ich doch auch, aber er war eben ein Einzelgänger, er wollte ja immer allein sein, da oben in den verdammten Bergen!« Henry Russo verzog zynisch das Gesicht. »Also, ich knall diesen Joshua McKinney ab! Du und die Jungs haltet euch heraus.« »Sicher - nur wenn du den Ranger nicht voll treffen solltest, helfen wir dir.« Gersh blickte in die Runde. Die Männer, die sich hier versammelt hatten, bildeten zusammen eine Bande, die nur Gewalttätigkeit kannte und völlig verroht war. »Wir würden das schon richtig machen, Henry. Ganz schön richtig satt! Wenn ich nur wüßte -« Er brach ab, holte mehrmals schnell hintereinander Luft und mußte krampfthaft husten. Einen Fluch murmelnd, fuhr er mit dem Handrücken über den Mund und wischte den Speichel ab. »Verdammt, ich glaub', ich hab' mir einen aufgesackt... Yeah, wenn man nur wüßte, wo genau der andere McKinney ist, dieser Delmer McKinney! Der ist, glaube ich, nach Westen gegangen, soll eine Frau und einen
Jungen haben. Ich hab' da was gehört von einem Sundown Valley.« »Wenn ich den Ranger McKinney umgelegt habe, dann können wir ja in aller Ruhe nach dem anderen suchen«, schlug Henry Russo vor. »Und wenn wir getrennt reiten und uns dann irgendwo wiedertreffen, verlieren wir nicht soviel Zeit. Dann haben wir mehr Zeit für unsere Rache, Bruder.« »Ihr macht viel zuviel Theater darum«, spottete grinsend der mittelgroße, fast schmächtig-zierlich wirkende junge Mexikaner Manuelito. »Schießt sie über den Haufen, und noch ein paar Leute dazu, und die Sache hat sich.« So wie Manuelito, so dachten wohl auch die anderen. Doch die Russos wollten sich an den Vorbereitungen zur tödlichen Rache ergötzen und sich an den Qualen ihrer Opfer erfreuen. »Halts Maul, Hombre«, sagte Henry Russo schroff, »du weißt ja gar nicht, was es heißt, seinen Alten zu verlieren! Dich hat man irgendwo am Wegrand gefunden und wie einen Haufen Dreck zusammengefegt.« »Du sagst es«, meinte Manuelito ungerührt und grinste breit, kaute auf dem geflochtenen Lederkinnriemen seines Sombreros und schwieg. »Bueno«, entschied Gersh Russo, »du erledigst den Ranger McKinney, und dann suchen wir getrennt nach dem anderen McKinney.« Draußen tobte das Unwetter und stampften unruhig die Pferde. Wenig später kam Henry Russo aus der Adobehütte hervor, stieg in den nassen Sattel und ritt in die Ortschaft hinein. Vor einer Tienda hielt er unter dem schadhaften Vordach an und blickte in den Schankraum hinein, wo unruhig die Talglichter flackerten. Nur wenige Mexikaner saßen an einem Tisch, und an der Theke lehnte ein junges mexikanisches Mädchen. Der Desperado glitt vom Pferd, zog es durch die Einfahrt und stellte es im Stall unter. Dann ging er nach vorn und in die
Tienda hinein, trat an die Theke heran und verlangte einen kleinen Krug Mescal. Der Mexikaner hinterm Tresen schob ihm den gefüllten Krug zu und betrachtete ihn verstohlen. Im Schein der blakenden Talglichter hatte Henry Russos Gesicht dämonische Züge, die aber auch wilde Leidenschaft verrieten. Ihm war deutlich anzusehen, daß er sich vor dem Mord an Joshua McKinney noch einmal körperlich austoben wollte, daß er sich stark für das Mädchen interessierte, und als er nun schweigend fünf Dollar auf den Tresen legte, lächelte die Muchacha ihn an, strich über die Hüften und ging barfuß in Sandalen nach hinten. Wenig später folgt er ihr, sah eine Tür zu einem Spalt geöffnet und einen Lichtstreifen hervorfallen. Lächelnd schob er sich in den kleinen Raum hinein, schloß die Tür und näherte sich dem Lager, beugte sich über die Muchacha und fragte leise: »Wie heißt du?« »Sarita«, hauchte sie. »Das ist ein schöner Name für dich, er paßt zu dir. Du bist sehr schön, weißt du das?« Ungeniert entkleidete er sich, legte aber den breiten Waffengurt mit den beiden schweren Colts griffbereit dicht neben das Lager und glitt dann zu ihr unter die Decke. Sie kicherte, als er sie umständlich auszog und gelegentlich zwischendurch fluchte. Doch dann schmiegten sie sich aneinander, spürten die heiße Haut des anderen, und seufzend gab sie sich ihm hin. »Ich werde dich vermissen«, flüsterte sie, als er wieder neben ihr lag und sich sein Atem allmählich beruhigte. »Ich komme ja wieder«, versprach er, »ich muß erst einen Hundesohn umlegen.« »Du willst jemanden töten?« hauchte sie und richtete den bloßen Oberkörper ein wenig auf. »Kannst du denn überhaupt noch ruhig schlafen?« »Warum denn nicht?« lachte er kurz auf. »Es ist ja nur ein Texas Ranger, Amiga mia.«
»Oh, wie aufregend! Aber ist das nicht zu gefährlich?« Daß er einen Ranger ermorden wollte, störte sie anscheinend nicht. Die Ranger waren nicht beliebt, eher verhaßt in diesem trostlos öden Landstrich im Grenzgebiet wie alles und wie jeder, der das Gesetz vertrat, was mit dem Gesetz zu tun hatte, mit Recht und Ordnung. »Gefährlich?« dehnte er und verschränkte die Arme unterm Kopf, räkelte sich behaglich und grinste dann abfällig. »Ein wenig schon, Muchacha - aber danach verschwinden wir, mein Bruder und ich und die anderen Compadres.« »Dann wirst du nicht wiederkommen«, meinte sie betrübt. »Wenn nun jemand kommen sollte, hierher, und nach euch fragt - was dann?« »Du wirst den Mund halten, nicht wahr?« »Si, naturalmente! Ich bin doch keine Verräterin, ich liebe dich doch - si, te quiero. Aber wo kann ich dich finden? Ich möchte so gern fort von hier, irgendwohin, wo es besser ist.« »Kannst du schweigen wie ein Grab, amiga mia?« »Ja«, behauptete sie, »ich schwöre es bei meinem Leben.« »Bueno, Carina - du wirst mich in Llano finden. Komm nach - ich brauche dich.« Er schien sich doch ein wenig in sie verliebt zu haben, jedenfalls mehr, als es ihm vielleicht selber recht war. »Aber zu keinem ein Wort darüber!« warnte er nach kurzem Schweigen. »Es würde dich das Leben kosten, Muchacha!« »Ich weiß, Carino - mein heißgeliebter Liebling«, hauchte Sarita und schmiegte sich an ihn, strich tätschelnd über seine Brust hinweg und küßte sein Ohr. Sie war ein armes Ding, das für ein paar schmutzige Dollar ihre Ehre hergab, doch in diesem Leben wurde keinem was geschenkt, schon gar nicht so einem armen mexikanischen Mädchen, das auch ein Recht auf Liebe und ein wenig Glück hatte.
Und weil dieses schäbige Dasein für sie so hoffnungslos war, so zerstörerisch ihrem Herzen und ihrer Seele gegenüber, griff sie nach jedem Halt, auch wenn er noch so fragwürdig war. Und Henry Russo war sich darüber im klaren, daß er dieses Mädchen völlig in der Hand hatte. Er blieb bei Sarita bis zum frühen Morgen. Als er ins Freie trat, war das Unwetter vorübergezogen, und fern im Osten überstrahlte die aufgehende gelblich-rote Sonne den Horizont und versprach einen seidigblauen Tag, der vielleicht so manchen Menschen an das Paradies denken ließ. Es war gutes Schußwetter. Heute und an den kommenden Tagen - nur mußte man die Sonne im Rücken haben. Doch es reichte auch vortrefflich, wenn man im Schatten eines Hinterhaltes lag... Henry Russo schloß sich seinem Bruder und den Komplizen an, und gemeinsam ritten sie davon, ohne daß die Pferde Staub aufwirbelten, denn der sandige Boden war noch feucht. Das Mädchen Sarita sah ihnen nach vom Fenster ihres kleinen Zimmers aus, und mit all ihren Hoffnungen waren auch die Ängste gekommen. Gnadenlose Männer ritten in die Ferne - und einer wollte töten. Sollte er es nicht schaffen, würde sein Bruder an seine Stelle treten und den Schwur der blutigen Rache erfüllen. Sie und die Komplizen waren eine Gemeinschaft von Halunken, eine Brut des Bösen, die es auf zwei Brüder abgesehen hatte, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen. Das einzige, was sie getan hatten, war, daß sie Südwesttexas von einem bösartigen Einsiedler und heimtückischen Mörder erlöst hatten, und das im Auftrage ihres Commanders in El Paso. Diesen Brüdern ging es nicht allein um Vergeltung und Rache. Sie suchten nach jedem Grund, um blutig zuschlagen zu können. Das Schicksal des Vaters ließ sie ziemlich kalt. Sie konnten ohnehin nicht mehr irgend etwas Schönes und Gutes
empfinden. Vermutlich wußten sie gar nicht, daß es auch Blumen gab in diesem Land. Sie hatten längst den Blick verloren für alle Schönheit und damit jegliches Gefühl menschlicher Wärme, Treue und Redlichkeit. Der Fluch des alten Bärenwolfes Russo war zu unheilvollem Leben erwacht; er schien dem Grab entstiegen zu sein… *** Die McKinneys sollten sterben...! Einer war dem Tode furchtbar nahe. Selbst im Schattenkreis des durchschwitzten staubigen Stetsons funkelten heimtückisch die Augen des Mordschützen und offenbarten Niederträchtigkeit und Rachegedanken. Dieser Gesetzlose wollte wieder einmal aus dem Hinterhalt morden, und die Waffe zum Töten lag schon feuerbereit in seinen Händen. Und dann kam der verhaßte Mann Joshua McKinney über den steinigen Paßweg geritten - und der Lauf des Gewehres folgte genau seinen Bewegungen und senkte sich langsam, da er abwärts ins Tal ritt und die Entfernung zwischen ihm und dem Mordschützen und damit dem Gewehr ständig zusammenschrumpfte. Joshua McKinney konnte eigentlich nicht die geringste Chance haben, mit dem Leben davonzukommen. Denn Henry Russo war verteufelt treffsicher. Zudem wußte er seinen Bruder und die Komplizen hinter sich in der Deckung bizarrer Felsklippen am Talrand. Aber er wollte es allein erledigen, und darum hatte er hier am Paß Joshua McKinney aufgelauert. Es war jetzt soweit, und Henry Russo wartete nicht länger. Jäh spie sein Gewehr eine Feuerlanze durch die hitzeflimmernde Luft. Scharf stieß der Knall des Schusses zerfetzend in die Stille hinein, und mit dem Aufwiehern des strauchelnden Pferdes begann das Echo zu toben. Schwer
stürzte McKinney zu Boden, und aufwallender roter Staub schlug über ihm zusammen. Schlenkernd rollte er mit schlaff schlagenden Armen den Hang abwärts, durchbrach Dornengestrüpp, wurde von einem dieser graugrünen Mesquitesträucher aufgefangen und blieb wie tot an der riesigen Distelrose liegen. Hallend verlor sich das Echo des Schusses irgendwo jenseits der Klippen. Mit schlagenden Steigbügeln raste das reiterlose Pferd davon; Staub quirlte unter den trommelnden Hufen hoch und verbarg das Aufblitzen der blanken Hufeisen in der Sonne. Noch geduckt, als fürchtete er, beschossen zu werden, hetzte Henry Russo davon, rannte um die Felsen, erreichte sein Pferd und stieß das Gewehr in den Scabbard. »Yeah!« kam es pfeifend und fauchend über seine Lippen, doch es klang nicht wie ein Stoßseufzer. Mit einem Ruck riß er sich kraftvoll in den Sattel und trieb das Pferd mit einem Sporenstoß an, und während er sich nun dem liegenden Texas Ranger näherte, tauchte hinter ihm am Talrand sein Bruder Gersh und Manuelito mit den anderen auf und verhielten abwartend, grinsten und nickten sich zu, als wollten sie damit sagen: Ich hab's ja gewußt, er erwischt den Bastard von Ranger... Schlaff und regungslos lag Ranger Joshua McKinney vor den erregt stampfenden Hufen des Pferdes, das Henry Russo trug. Drohend hielt Russo den Sechsschüsser in der rechten Hand und starrte auf sein Opfer. Der Anblick des hervorsickernden Blutes nötigte ihm nur ein zynisches und grausamverräterisches Grinsen ab. Er warf einen schnellen Blick zurück und auf die wartenden Reiter - dann stieg er langsam aus dem Sattel und trat mit schußbereitem Colt an den Ranger heran. »Das war's, du Schwein.« Joshua McKinney war tot - ermordet.
»He!« rief Henry Russo und winkte, und das Echo antwortete: »He - he - he -« Langsam setzte er den rechten Fuß gegen den Körper seines Opfers und drückte ihn herum, so daß er auf dem Rücken zu liegen kam. »Gersh!« »Was ist los, Henry?« brüllte Gersh, und das Echo beider Stimmen schlug zusammen und hallte völlig verworren durchs Tal. Doch es gab einen Menschen, der die Namen verstehen konnte - ein alter Mexikaner, der abseits vom Tal im Schatten saß und seine dürren Ziegen bewachte. Und dieser alte Mann erhob sich und witterte in den heißen Südwind, schleppte sich dann bergan, gestützt auf einen langen Stock, und erreichte den Talrand. Niemand entdeckte ihn, doch er sah und hörte alles, und er beobachtete, wie Gersh Russo und die anderen zu jenem Mann neben dem Sattelpferd und dem Toten ritten... »Ich hab' ihn voll erwischt, Gersh!« rief Henry Russo. »Noch der andere McKinney, und wir haben unseren Alten gerächt!« Die Reiter erreichten jene Stelle, wo der Tote lag, und scharten sich um ihn. Feiner Staub hüllte sie alle ein und strich nur langsam zur Seite - und dann ritten sie alle davon und ließen den Toten unter dem weiten blauen Himmel zurück. Der Alte atmete schwer und bekam vor Anstrengung rote und wäßrige Augen. Er sah, wie sich ein Reiter aus dem Rudel löste - und das war der Mordschütze. »Wohin willst du?« rief dieser Gersh, und der andere antwortete: »Noch mal nach dem Pueblo! Ich will Sarita noch einmal sehen!« »Du bist verrückt! Laß diese Mexikanerin, vergiß sie und Pueblo! Wo, zum Teufel, willst du uns treffen?« »In Llano - wenn ihr dann noch dort seid!«
Wild auflachend jagte Henry Russo davon - und die anderen tauchten in der staubigen Weite unter. Der alte Mann ging ins Tal. Hoch zogen die Totenvögel schon ihre lautlosen Kreise. *** »Jedesmal ist es wunderschön«, sagte sie träumerisch versunken und blickte in die Glut des Sonnenuntergangs dort fern im Westen, wo dieses paradiesische Tal endete und wo die Wüste mit all ihren roten Felsmassiven und hohen Kakteen begann, »so schön nach einem heißen Tag. Manchmal, Delmer, möchte ich weinen beim Anblick der sinkenden Sonne, aber ich weiß nicht, warum.« Sanft legte er den Arm um sie. »Du denkst an den Jungen, Lena - das ist es«, sprach er langsam und weich. »Du bist mit deinen Gedanken und mit deinem Herzen bei ihm, und wenn die Sonne untergeht, fragst du dich, wo er wohl jetzt, an diesem Abend, sein mag, wo er schlafen wird, ob er gesättigt oder hungrig ist. Ja, du denkst an Terry, Lena, und wie schön es wäre, wenn wir alle wieder beisammen wären, an einem Tisch und in diesem Haus.« »Ich mache mir Sorgen - ja, viele große Sorgen, Delmer.« Zögernd nahm sie den Blick von dem Feuer des Sonnenuntergangs am fernen westlichen Horizont und legte die abgearbeiteten schlanken Hände an seine Brust. »Und ich mach mir Sorgen um dich - und um deinen Bruder Joshua....« Ihr melancholisches Lächeln verschwamm und wich einem ernsten Ausdruck. »Ist es nicht sehr seltsam, Delmer, daß ich gerade jetzt so oft an ihn denke? An eure gemeinsame Zeit als Texas Ranger? Weißt du - manchmal gibt der Himmel einem von uns Zeichen, die wir zunächst nicht verstehen und uns erklären können, doch es sitzt dann tief im Herzen und läßt uns keine Ruhe mehr... O ja, Delmer«, seufzte sie, während ihre Hände
an ihm hinabsanken und sie sich wieder dem Sonnenuntergang zuwandte, »ich wäre unendlich glücklich, wenn wir alle wieder unter einem Dach wären! Sieh doch mal unseren jungen Vaquero da drüben an, den jungen Corky! Mein Gott, er ist so jung wie Terry, und doch bleibt er hier. Er fühlt sich bei uns wie zu Hause, und ich glaube, daß die anderen Männer auch so empfinden, die für unser Rancho reiten. Warum kommt Terry nicht heim? Himmel, warum nicht!?« »Es wird ihm nichts zugestoßen sein, Lena«, gab er ihr Zuversicht und versuchte, ihr Bangen zu mildern. »Er wird wiederkommen, ich weiß es - und du wirst ihn in die Arme nehmen, Liebling.« Sie standen vor dem Steinhaus ihrer Ranch, die im spanischmexikanischen Baustil errichtet worden war, damals vor unzähligen Jahren, und die heute mehr einer alten Missionsstation ähnelte. Im roten Sonnenschein stiegen die ersten Bodennebel ganz zart und wie in luftigen Schleiern über dem Grasland im Tal auf und legten sich um die weidenden Rinder und reitenden Cowboys, die sich ständig um das Vieh kümmerten und Annalena McKinney viel Arbeit abnahmen. Vor Mann und Frau wartete am Rande des staubigen Ranchhofes ein Sattelpferd mit hängenden Zügelenden. Das Gurren und Gackern von Federvieh drang leise aus dem Stall hervor; die Hühner machten sich zur Nachtruhe bereit und rückten auf den Stangen zusammen. Warm fächelte der Wind aus dem Süden durch das Geäst des großen alten Laubbaumes, der mit seinen weitausladenden Ästen und Zweigen die Sonne umarmt hielt. Delmers Atemzüge kamen schwer, doch er fühlte sich nicht bedrückt. Er war ein rauher Mann, doch er war auch sensibel, und das wußte nur Lena, seine Frau. Sie spürte, wie er die Hände auf ihre Schultern legte, und sie griff danach. Der Wind spielte mit ihrem blonden Haar, das die
Sonne ausgetrocknet und noch heller gemacht hatte. Der Sonnenschein war wie ein zauberhafter Hauch, der die vielen kleinen Sommersprossen auf ihrem Gesicht nicht mehr erkennen ließ. »Ich kann es noch immer nicht glauben, Delmer«, flüsterte sie. »Endlich soll Schluß damit sein? Endlich wirst du dich nur um die Ranch und um uns alle hier kümmern?« »Ja, Lena. Ich hab' schon mit dem Town Mayor gesprochen, mit anderen Bürgern auch - und sie alle wissen Bescheid und akzeptieren meinen Entschluß, auch wenn sie ihn nicht gutheißen - in ihrem Sinne. Sie haben mir da so vieles erzählt na ja, du weißt schon: Dollars, Ranch, Altersversorgung. Und natürlich haben sie auch angedeutet, daß es doch eine große Ehre wäre, Sheriff zu sein, Ordnungshüter und Gesetzesvertreter. Natürlich ist es das, aber ich will Zeit haben - für dich, Lena.« Sie wandte sich ihm abermals zu und blickte in seine braunen Augen, und ihre Stimme klang nahezu feierlich: »Wenn das alles wahr ist, Delmer McKinney, dann ist dieser Sonnenuntergang heute abend der schönste, den ich je erleben durfte.« Sanft legte er die rauhen Hände an ihre Wangen und gab ihr einen Kuß. »Er ist es, Lena.« Da kamen ihr die Tränen, und sie sah ihm nach, wie er zum Pferd ging, in den Sattel stieg und davonritt. »Gott beschütze dich, Delmer. Ich habe einen wunderbaren Mann.« Delmer McKinney ritt nach Paradero, denn er war Sheriff dieser Stadt. Für alle Zeit wollte er den Staub der Vergangenheit von seinen Stiefeln wischen. Als er in das Sundown Vally gekommen war, vor vielen Jahren, da hatte er, als die Leute ihn auserkoren, willig zum Stern des Gesetzes gegriffen, denn die kleine Ranch hatte alle seine Ersparnisse gekostet. Es hatte für ihn keinen anderen Weg gegeben, und so
war er dann zum Sheriff geworden. Nun sollte Schluß damit sein. Er hatte seine Pflicht getan. Und dieser aufrechte Mann ritt einsam der Nacht entgegen. Hinter ihm sank die Sonne in den Staub der Wüste hinein. *** Department Arizona / New Mexico Territory. Mit dem heißen langen Sommer kam die Zeit der Dürre ins Land, und die Hitze legte sich bedrückend auf die Gemüter. Die Menschen litten mit den Tieren unter der Hitzeglocke. Tagsüber schien alles Leben zu erlahmen und zu ersticken, doch allabendlich pulsierten Leidenschaft, Liebe und Haß um so mehr, und wer ohnehin schon zu Gewalttätigkeit neigte, verlor vollends die Beherrschung. Die Menschen handelten und reagierten völlig anders als zu gewöhnlichen Zeiten. Ein Mann trotzte all diesen Witterungseinflüssen und blieb stets ruhig und bedächtig. Es war der einsame große Fremde. Langsam ritt er in die kleine Town Camp Bowie. In der Ferne buckelten sich wie rauchverhangen die Chiricahua Mountains, das Land der Apachen, und die Sonne stand im Zenit und knallte die Mittagshitze auf die Dächer, Höfe und Straße der Stadt. Wie leergefegt lag die breite staubige Straße vor ihm, und die Luft darüber flimmerte und verglaste. Irgendwo schlug eine Haustür in zundertrockenen Holzangeln knarrend zu, und schwach pendelnd bewegten sich die hängenden Schilder von Store, Barber's Shop und Clothing House an rostigen Haken unter den Vordächern hin und her. Es war so still, daß das Singen des Chinook zu hören war, dieses Summen des Windes, der von Vergänglichkeit und Vergessen zu erzählen schien. Er kam als ein Fremder, doch er war schon mehrmals in Bowie gewesen in all den vielen vergangenen Jahren, und er
hoffte verhalten, den Sheriff wiederzusehen und nicht sein Grab aufsuchen zu müssen. Dumpf schlugen die Hufe seines Pferdes durch die lastende Stille, und die Schatten von Mann und Pferd zogen über die staubige Straßenfläche und wischten dahin, erreichten den Rand des Gehsteiges genau vor dem Sheriff's Office und schmolzen zusammen, krochen unter die Stiefel des Mannes und unter die Hufe des nun stehenden Pferdes. Stählerne Radsporen drehten sich klirrend an den staubigen und abgetretenen brüchigen Stiefeln des schlanken großen Mannes, als er auf den Plankenweg stieg. Wie zögernd blieb er stehen, drehte sich halb herum und rieb dabei mit den Stiefeln knirschend über den Flugsand hinweg, den der Wind auf den Plankensteg geworfen hatte. Sein Blick schweifte forschend umher, die Straße hinauf, und blieb an den steinernen Baracken des Armeepostens haften. Dort flatterte träge die Flagge am Mast, doch von der Besatzung waren nur zwei Posten zu sehen, die lustlos mit geschulterten Gewehren ihre Kontrollgänge machten und offensichtlich gegen die Mittagsmüdigkeit ankämpften. Glitzernd in der grellen Sonne spannte sich die Telegrafenleitung von einer Stange zur anderen und in die Ferne davon. Langsam wandte der Mann sich der Tür des Office zu, öffnete sie und trat ein. Der Dämmerschein im Office ließ ihn die Augen verengen; suchend blickte er sich um und gewahrte einen hinterm Tisch zusammengesunkenen älteren Mann mit schlohweißen Haaren. Vom Sheriffsstern an der ledernen Weste war nichts zu sehen, doch es war der Sheriff aus alter Zeit. Wie ein müdes altes Väterchen saß er dort auf dem Stuhl, auf dem er auch schon früher Platz genommen hatte, und auch die alten Bilder hingen noch im Office, nur waren sie noch mehr vergilbt und vom Rauch gebräunt. Stilles Lächeln entspannte das rauhe zerfurchte Gesicht des Fremden. Mit flachen tastenden Schritten trat er an den Tisch
heran und griff nach dem Stück Papier, das dort vor dem Oldtimer lag. Stirnrunzelnd las er den Klartext, und als er die Hand mit dem Telegramm sinken ließ, spürte er den Blick des Sheriffs, der aufgewacht war, ohne sich dabei bewegt zu haben. »Zum Teufel, was -« Jäh brach die Stimme ab, und der Sheriff ruckte hoch und starrte seinen staubigen Besucher ungläubig und wie erschüttert an. »Das - das kann doch nicht wahr sein! Bist du es wirklich, oder penn' ich noch?« »Du bist putzmunter, Freund«, versicherte der Fremde lächelnd. »Mein Gott«, ächzte der Oldtimer, »wie kommst du denn hierher?« »Auf meinem Pferd und durch diese Tür da, Juke... Wie ich gesehen habe, hast du schlechte Nachricht bekommen.« »Yeah - ein Texas Ranger ist erschossen worden: Joshua McKinney. Hast du ihn gekannt?« »Ich kann mich nicht daran erinnern, Juke - ich bin schon zu vielen begegnet, auch Texas Rangern. McKinney? Kann schon möglich sein; der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, aber wer heißt nicht alles McKinney...« »Jedenfalls kriegen alle Sheriffs im New Mexico Territory diese Nachricht, weil die Halunken nach Westen geritten sind, raus aus Texas. Ein alter Mexikaner, der seine Ziegen aufs Land getrieben hatte, war Zeuge der Ermordung des Rangers. Einer der Halunken soll nach einem Dorf geritten sein, das sie Pueblo nannten, und dann hat der mexikanische Hirte auch noch den Namen einer anderen Stadt gehört: Llano. Es kann damit aber auch das Wüstengebiet der Llano Estacados gemeint gewesen sein.« »Yeah«, dehnte der große ernste Mann nachdenklich, »doch es gibt so eine kleine Stadt im Grenzgebiet, die Llano heißt, ich weiß das genau, und sie liegt so versteckt, daß man sie kaum findet.«
»Willst du dich der Sache annehmen? Das brauchst du nicht. Ich wette, daß alle Texas Ranger von El Paso aus nach Spuren suchen, und auch alle US Marshals in die Sättel gestiegen sind!« »Sicher, das wird so sein, Juke, aber ich bin sowieso unterwegs und will zur mexikanischen Grenze. Da treibt sich jemand herum, der sich so nennt wie ich, nur heißt er nicht wirklich so, und was mich daran mächtig stört, ist die Tatsache, daß er ein Dreckskerl ist, der meinen Namen versaut. Dieses Llano liegt auf dem Weg dorthin. Mir macht es nichts aus, wenn ich abbiege und die Stadt aufsuche. Vermutlich werde ich auch eher dort eintreffen, noch vor einem US Marshal. Die Texas Ranger dürfen Texas nicht verlassen, ihre Befugnisse enden an der Grenze nach New Mexico.Yeah, ich werde mich mal umsehen, Juke. Es kann ja nicht schaden, denke ich.« »Vielleicht ist schon eine Schwadron US Kavallerie nach dorthin auf dem Marsch«, warf der alte Juke ein. »Willst du dir selber einmal wieder Kummer aufladen?« »Du kennst mich ja...« »Und ob ich dich kenne! Du hast dich in all den Jahren nicht geändert, du bist immer noch der Sattelwolf.« Der greise Sheriff, der als Hüter des Gesetzes einfach nicht totzukriegen war, was ungeheure Tapferkeit, aber auch Spürsinn, Klugheit und Bedachtsamkeit verriet, schüttelte den Kopf und richtete sich am Tisch auf. »Weißt du, es ist mir so was wie eine Ehre, dich als Freund zu haben. Du gehörst zu diesem Land, mein Junge, und wenn du einmal nicht mehr sein solltest, dann - ja, dann wird der Westen sterben, und ich glaube, daß nur noch der Wind dann von dir erzählen wird und du in den Legenden weiterleben wirst. Das mußte ich dir einmal sagen, das wollte ich dir schon damals sagen, aber du bist ja so plötzlich wieder weggeritten, irgendwohin, weiß der Teufel. Warum bist du nur immer so
ruhelos, alter Junge! Willst du denn niemals ein festes Zuhause haben?« »Der Westen ist mein Zuhause, Juke«, murmelte der »alte Junge« ein wenig melancholisch. »Ich muß mit dem Wind umherziehen, mit den Wolken da oben. Warum das so ist und immer so sein wird - ich weiß es nicht.« »Aber du hast dir doch früher Zeit genommen und bist mal irgendwo für längere Zeiten geblieben, hast dich ausgeruht von all dem Dreck, der uns immer umgibt, wenn wir gegen Unrecht und Verlogenheit kämpfen.« »Weißt du, Juke«, meinte der Gunfighter seufzend und kopfschüttelnd, »diese Geruhsamkeit, von der du sprichst, hat es nie gegeben. Alles, was wir früher erlebt haben, ist nur schön in der Erinnerung. Wir vergessen die miesen, dreckigen Zeiten, das Elend, den Hunger, diesen ewigen Haß und die Kämpfe, und die Erinnerung verleiht allem so was wie einen Glorienschein. Nein, Juke, Geruhsamkeit gibt es nur in unseren Erinnerungen. Wir werden die alten Fehler immer wieder machen. Frag mich nicht. Der Wind kann dir auch nicht antworten. Yeah, und darum reite ich so ganz nebenbei auch nach Llano.« Juke ging zum Röhrenofen und nahm die Blechkanne mit dem lauwarmen Kaffee vom Eisendeckel. »Möchtest du eine Tasse?« »Wenn du ihn so zubereitet hast wie früher, dann lieber nicht...« »Was soll das heißen, he? Immerhin lebst du ja noch!« Polternden Schrittes kam jemand über den Plankensteg heran und stieß die Tür auf. Es war ein Soldat, der dem Sheriff ein Stück Papier überreichte. »Für Sie, Sheriff. Kam gerade eben durch.« Während der Soldat das Office verließ, las Juke mit blinzelnden Augen das Telegramm.
»Juke, deine Augen sind nicht mehr so wie früher«, murmelte der sehnige Mann ernst. »Zeit für dich, den Stern abzulegen, sonst schießt dich noch irgendein kleiner schäbiger Halunke über den Haufen. Du hast früher mal den Blick eines Adlers gehabt...« »Ja, nicht wahr?« hüstelte Juke und grinste. »Jetzt hab' ich nur noch die Augen eines Misthaufenadlers. So ein alter Hahn kann ja doch nur die Würmer erkennen, die da aus dem Mist hervorkommen. Aber diesen Mist hier kann ich noch alle Tage lesen. Der mexikanische Hirte - hier steht's - hat sich endlich an zwei Namen erinnern können... Du sagst, daß du den Namen McKinney irgendwann schon einmal gehört haben könntest. Well, vielleicht kannst du dich jetzt besser erinnern. Zwei der Halunken, die den Ranger umgebracht haben, heißen Henry und Gersh. Sagt dir das was?« »Das könnten Brüder sein, wie?« Nachdenklich blickte der rauhe große Mann zu Boden, auf dem eine zertretene Zigarre lag und ein wenig Sonnenschein schwach seine Kreise malte. »Nicht immer scheint wirklich die Sonne, nicht wahr? Und manchmal sehnt man sich nach Regen - wie jemand in der Wüste nach einer Wasserstelle...« »Mir scheint, daß du ein bißchen zuviel in der Sonne gewesen bist«, versetzte Juke bissig. »Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf Regen!« Der ruhige und besonnene Blick der rauchgrauen Augen des wettergebräunten Mannes schweifte hinaus auf die Straße, und er kniff die Augen zusammen und dachte konzentriert nach. Der alte Juke störte ihn dabei nicht und wartete still und gespannt, wußte er doch, daß der Gunfighter irgendwo in seiner Vergangenheit auf die Suche gegangen war. Dabei betrachtete Juke den tiefhängenden langläufigen Colt seines Besuchers; schwer ruhte die sechsschüssige Waffe in der zerschrammten Halfter. Doch mit diesem Colt schoß der Gunfighter nur selten - er war ein Mann der Winchester, er
verließ sich mehr auf dieses hervorrgende, stets funktionierende Gewehr, dessen Drall eine genaue Treffsicherheit ermöglichte. Und der Gunfighter mußte jederzeit, zu jeder Sekunde, feuerbereit sein! Der Tod griff ewig und immer mit knöcherner Klaue nach ihm und wollte ihn aus dem Licht des Lebens reißen und in die Tiefe der Vergessenheit stoßen, ins Dunkel hinein! Juke war ein erfahrener alter Mann, und er wußte, daß gerade diese Männer mehr am Leben hingen als alle anderen. Er selber gehörte auch dazu. Wer so nahe dem Tod war, lebte das Leben und liebte es - und es war jedesmal grauenvoll, einen Menschen töten zu müssen! »Regen«, sprach plötzlich der Gunfighter ih die Stille des Office hinein, »und eine Unwetternacht in den Bergen... Da kam ein Mann genau auf mich zu, er war groß wie ein Riese und sah aus wie ein Bär und bissiger Wolf zugleich - und da kamen zwei Männer, sie waren Brüder und Texas Ranger. Und der eine mußte den Alten der Berge erschießen. Das war der alte Russo. Und die Brüder nannten ihren Namen... Yeah, jetzt weiß ich es wieder, Juke.« Er drehte sich wieder um und wandte sich dem Sheriff zu, und die Muskelstränge in seinem zerfurchten rauhen Gesicht arbeiteten und verhärteten jäh das Gesicht, machten es wie zu Stein. »Großer Gott, sie haben einen McKinney umgebracht, so, wie es der Alte geschworen hatte, damals im Unwetter, als der Regen vom dunklen Himmel strömte. Seine Söhne rächen sich! Joshua McKinney ist tot, und nun werden sie nach dem anderen suchen, und ich kenne Delmer McKinney und weiß, wo er steckt. Juke, du mußt sofort eine Nachricht losjagen. Über den Telegrafen nach der Stadt Paradero! Delmer McKinney muß gewarnt werden, es geht um sein Leben, um das seiner Frau und seines Sohnes! Die Russos schrecken vor nichts zurück! Beeile dich, Juke, lauf hin zum Armeeposten. Inzwischen kümmere ich mich um mein Pferd.«
Sporenklirrend trat er hinaus, und auch Juke machte sich sofort auf den Weg. Die glühende Mittagshitze nahm ihnen fast den Atem. Es war so heiß, daß selbst die Fliegen wie tot an den Wänden klebten und sich nicht rührten. So schnell und so gut es ging, rieb der Gunfighter sein Pferd ab, massierte die Beinmuskeln und führte es dann langsam an den Wassertrog heran, der hinter dem Officehaus im Schatten stand. Ächzend und krebsrot im Gesicht vor Überanstrengung, kam Juke auf den Hof und keuchte: »So eine Sauerei! Die Leitung ist unterbrochen! Wahrscheinlich haben wieder einmal halbirre Apachen soviel Tiswin gesoffen, daß sie die Leitung zerstört haben. Was soll ich denn jetzt machen? Der Ritt zur nächsten Stadt ist zu weit.« »Dann warte ab, bis die Leitung wieder zusammengeflickt worden ist, Juke. Die Halunken können noch nicht im Sundown Valley sein. Uns bleibt also noch ein wenig Zeit. Ich mach mich jetzt auf den Weg nach Llano. Vielleicht trinke ich später mal von deinem Kaffee...« Entschlossen stieg er in den Sattel, beugte sich hinab und legte Juke die Hand auf die knochige Schulter, klopfte zweimal sanft darauf und lächelte rauh - und dann ritt er vom Hof, auf die Straße hinaus und durch die Stadt davon nach Süden. Juke war ihm bis zum Straßenrand gefolgt und sah ihm beinahe wehmütig und schmerzerfüllt nach. Immer dann, wenn jener Mann davonritt, kam es Juke so vor, als ginge das Leben nun für ihn zu Ende, als gäbe es nichts mehr, worauf er sich freuen könnte. Und Juke fühlte sich als Sheriff und hier in dieser Stadt unter den vielen Menschen verdammt einsam. Freunde wie den alten Juke hatte der geheimnisvolle Fremde in so mancher Stadt - nicht aber in Llano! ***
Mit dem sengenden Wind kam er aus der rot flammenden Wüste und in die ihm unbekannte kleine Grenzstadt Llano geirrt. Terrence war ein abgerissener armer Kerl, der nach Hause wollte - nach all den großen und bitteren Enttäuschungen in der Fremde, nach Not und Elend, nach der rastlosen Zeit ohne Heim und Herd. Ein junger Mann, der zu träumen aufgehört hatte, wo er doch immer so gern und so oft geträumt hatte von fernen Prärien und Bergen, von großartigen Abenteuern unter den glitzernden Sternen und dem neblig-orangefarbenen Nordlicht über den bewaldeten Bergen hoch oben im Norden, wo es noch die letzten freien Indianer gab. Ein Traum von vielen war vorbei, und Arizonas Wüste hatte ihn wieder. Und Terrence fand sich in dieser schäbigen und staubigen Town Llano im Grenzland des Department Arizona nicht zurecht. Er sah die Einwohner, meistens Mexikaner und Mischlinge, und er spürte ihre Blicke, die nichts Freundliches hatten, aber auch nichts Feindseliges. Hier tauchten Fremde auf und verschwanden wieder, und niemand fragte nach dem Woher und Wohin. Doch diese Hitze, die alles ausdörrte und den Verstand so manchen Menschen zum Stillstand brachte, machte die Menschen auch hier besonders streitsüchtig. Diese Streitsucht schlummerte heimtückisch in so manchem und konnte bei der kleinsten Ursache ausbrechen. Doch davon ahnte und wußte Terrence nichts, und er dachte auch gar nicht einmal daran, denn er war viel zu erschöpft und müde und sehnte sich nach einem Glas kühlen Biers. Durst trieb ihn schließlich in den halbdunklen Pulqueria-Saloon. Hier war es ein wenig angenehmer, doch auch nicht gerade kühl, und die ganze Atmosphäre war muffig, verbraucht und staubig, schmutzig und irgendwie einem Rattenloch ähnlich.
Die Luft war vermieft und rauchgeschwängert. Stummel von Talglichtern standen auf den Tischen und auf der Theke. Bewaffnete Männer hockten abseits in einer Ecke an einem Tisch und betrachtete ihn, als wäre er ein Aussätziger und hätte die Blattern, doch sie schienen sich nicht besonders für ihn zu interessieren, denn sie nahmen die Blicke schnell wieder von ihm. An der Theke blieb er stehen und legte sein Bündel darauf. »Ein Bier«, bestellte er mit staubheiserer und brüchig klingender Stimme. »Hab' mächtig Durst, Mister.« »Ja«, sagte der Bartender einsilbig, füllte ein milchig aussehendes Glas und schob es ihm hin. »Bezahl' gleich, Hombre.« Terrence fuhr sich durchs zerwühlte und schweißfeuchte blonde Haar, nickte und schluckte, suchte in seinen ausgebeulten Taschen und legte einen Dollar hin. »Mein letzter...« »Das reicht gerade für ein kleines Besäufnis«, stellte der Mann fest und verzog das Gesicht, »aber du brauchst bestimmt nicht viel zum Besoffensein, wie? Was willst du hier in Llano?« »Nichts«, antwortete Terrence achselzuckend, »ich bin nur zufällig hier. Hab' gar nicht gewußt, daß es hier 'ne Town gibt.« »Ja, das wissen nicht alle, ist auch gut so, denke ich. Wohin willst du eigentlich? Du siehst aus wie ein Tramp. Haben sie dich aus der Armee rausgeworfen? Ziemlich heruntergekommen, wie?« »Oh yeah!« seufzte Terrence »Mir geht's gar nicht gut. Ich hab die Schnauze voll von allem. Ja, ich will nach Hause.« »Wo ist das? Noch weit -« Der Bartender verstummte vor dem jähen Gebrüll in einem der Hinterräume. Auch Terrence horchte unwillkürlich hin.
Ebenso horchten die anderen Männer am Tisch auf und warfen sich grinsend vielsagende Blicke zu. Nebenan hatten den Stimmen nach Mann und Frau eine wilde Auseinandersetzung, die sich in wüsten Schreiereien verlor - und dann knallte irgend etwas krachend gegen die Wand und zerbarst splitternd. Es mußte sich um einen Hocker, Stuhl oder Tisch gehandelt haben. »Nein!« schrie der Mann wütend. »Du kommst nicht mit! Ist schon schlimm genug, daß du mir nach Llano gefolgt bist! Dabei hab' ich dich doch noch einmal besucht und dir alles erklärt! Was willst du hier? Hau ab, laß mich in Ruhe! Du kotzt mich an! Es ist aus und vorbei mit dieser Scheißliebe, hörst du? Aus! Ich muß zu den anderen hin, und du würdest mich nur aufhalten! Du bist wie ein Klotz am Bein, wie 'ne Klette! Nein, Schluß jetzt!« »Amigo mio, sag nicht so was!« tönte es aufschluchzend durch die Wände. »Dios mio! Ich hab' an dich geglaubt, an unsere Liebe, an alles Glück, und ich wollte dir alles geben, alles!« »Ha! Was hast du denn, was besitzt du denn schon? Deinen Körper, nichts weiter! Du bist so blöd und dumm wie das verdorrte Bohnengestrüpp da draußen!« »Du quälst mich, Henry Russo! Du hast mich ausgenutzt und mich wie eine Hure behandelt! Alles war also Lüge. O dios mio, was für eine Schande!« »Pah! Du hast dich mir doch vor die Füße geworfen! Weißt du, was du bist? He, weißt du das? Aah, laß mich in Ruhe, du ekelst mich an! Hör auf mit dem Gewimmer, sonst schmeiß ich dir den anderen Stuhl an den Kopf!« »Oh, wie kann man nur so niederträchtig sein, so verlogen! Du gibst damit an, einen Texas Ranger umgelegt zu haben, aber das war nichts anderes als Mord! Ja, du bist ein Mörder ich will keinen Mörder lieben, jetzt nicht mehr! Vaya al diablo! Geh zum Teufel!«
Gehässig lachte Henry Russo auf. »Das geht nicht - ich bin's selber! Sarita, du hübsches Miststück, du wirst das Maul halten, claro? Und jetzt verschwinde aus Llano und reite auf deinem Maultier zurück nach Pueblo!« Schritte polterten, dann knallte eine Tür zu - und mit rasselnden Radsporen kam Henry Russo aus dem Hinterraum in den Pulqueria-Saloon und warf seine Ausrüstung mit dem Gewehr auf einen der freien Tische. In alter Gewohnheit rückte er den Waffengurt mit den Colts zurecht und kam an die Theke. Sein Gesicht glühte, und er hatte Mühe, die Wut zu überwinden und wieder ruhig zu werden. »Gib mir einen doppelten Whisky!« herrschte er den Bartender an. »Presto! Beeile dich, Mann, sonst spuckt meine Galle!« »Nur keine Aufregung«, meinte der Keeper gelassen, »du bekommst deinen Whisky.« Er langte nach der Flasche und wollte ein Glas füllen, doch Russo entriß ihm die Flasche und trank sofort daraus. Schnaufend setzte er sie ab und fuhr mit dem Handrücken knurrend über die Lippen. In seinen Augen war kein guter Ausdruck, als er dem jungen blonden Terrence einen stechenden Blick zuwarf. Terrence wandte sich halb ab und wollte wohl damit Russo klarmachen, daß ihn das alles nichts anging und er mit allem nichts zu tun haben wollte - doch gerade das war sein Fehler, denn Henry Russo fühlte sich wie verächtlich abgewiesen, wie übergangen und nicht beachtet. Aber er wollte ja beachtet werden! Er fühlte sich nach dem Mord gleich wie ein Riese und Coltkönig. Russo war ohnehin gereizt. Er hatte Sarita in Pueblo noch einmal besucht und ihr ausgeredet, nach Llano zu reiten - aber gerade das hatte sie getan. Und sie hatte ihn hier im PulqueriaSaloon entdeckt und war nicht mehr von seiner Seite gewichen. Sein Bruder und die anderen waren schon weitergeritten, sie
hatten umsonst hier auf ihn gewartet - und all das hatte ihn in Wut versetzt. »He, Kleiner, du willst wohl nichts mit mir zu tun haben, wie? Gibst dich wohl nicht mit jedem ab, oder? Sieh mich an, verdammt!« Terrence wollte Frieden und keinen Streit. Er versuchte, sanft und beruhigend zu lächeln, wollte ganz ruhig wirken, obwohl ihm das Herz bis zum Halse emporschlug. Einem Streit, womöglich anschließend mit Colts ausgetragen, wäre er rettungslos unterlegen, und darauf zielte es dieser Russo offensichtlich ab... »Ich?« sagte Terrence mit belegter Stimme und sah ihn mit flackernden Augen an. »Doch, ich hab' nichts gegen Sie, Mister - warum sollte ich?« Noch wußte niemand hier im Pulqueria-Saloon, wer sich dieser kleinen Stadt Llano näherte - und niemand würde auch den Namen dieses einsamen Reiters erfahren, dieses großen hageren Mannes, der aus der Wüste kam. Und dieser Gringo hatte den Stadtrand fast schon erreicht... »Du kleiner Scheißer!« giftete Russo den jungen Terrence an. »Du lügst aus Angst! Natürlich hast du was gegen mich, das sehe ich dir an! Du wagst nur nicht, mir das zu sagen, aus Angst, daß ich dich übern Haufen schießen könnte!« Weitab noch vom Pulqueria-Saloon stampften die Hufe des Pferdes durch den heißen Staub der sandigen Straße. Zusammengesunken saß der große Fremde im Sattel, als schliefe er. »Nein, nein«, beteuerte Terrence, »ich hab' keine Angst, das sieht nur so aus, Mister. Ich -« Aus dem Hinterraum kam in diesem Moment das junge mexikanische Mädchen Sarita hervor, barfuß auf Sandalen, ärmlich gekleidet, wie gedemütigt zu Boden blickend, doch voll innerlichem Zorn, beseelt von einem kaum mehr unterdrückbaren Haß auf Henry Russo.
»Ich geh jetzt«, sagte es, »und ich komm nie wieder! Ich lauf dir nicht hinterher.« Draußen neben dem Gebäude verhielt der Fremde im schmalen Schattenstreifen und glitt vom Pferd, zog die Winchester aus dem Gewehrschuh und blickte sich dann stirnrunzelnd und mit verkniffenen Augen um. Langsam bewegte er sich ums Haus und näherte sich der Schwingtür des Pulqueria-Saloons. »Hoffentlich bist du bald verschwunden!« fauchte Russo. »Ich bin ein Amerikaner, ich gebe mich nicht länger mit 'ner Mexikanerin ab!« Sarita ging zur Tür mit ihrem kleinen Bündel, in dem etwas Proviant war, und drückte die Türflügel halb auf. Von dort aus sagte sie in den Raum hinein: »Weißt du, was du für mich bist, Russo? Ein widerlicher Americano, ein Pistolero, der aus dem Hinterhalt schießt, der lügt und ein armes Mädchen ausnutzt! Ich verfluche dich, Russo!« Dann verschwand sie. »So ein billiges Miststück!« grollte Russo, trank und starrte dann wieder Terrence an - und diesmal war es ganz deutlich in seinem Gesicht zu erkennen, daß er sich abreagieren wollte, nicht mit Worten allein: Er wollte schießen! Und vielleicht wieder einmal töten... Terrence versteifte sich. Angst packte und lähmte ihn - er war wie eine Feldmaus, so wehrlos den Fangkrallen eines Bussards über sich ausgesetzt. Seine Sehnsucht nach Abenteuern besagte noch lange nicht, daß er besonders mutig wäre. Auch neigte er überhaupt nicht zu Gewalttätigkeiten; mit seinem ganzen Herzen liebte er den idyllischen Frieden, und er fand Gewalt und Haß erniedrigend. Selbst die schönste Landschaft konnte die Menschen nicht friedfertig stimmen, und sie brachten es fertig, aus einem Paradies eine Hölle zu machen. Henry Russo wollte die Hölle.
Und Terrence hatte es wohl gehört, daß dieser Mann einen Texas Ranger erschossen hatte. Wer das tat, schreckte vor nichts zurück und erschoß auch jeden anderen kaltblütig, ohne mit der Wimper zu zucken. Draußen sprach die junge Mexikanerin, doch ihre Stimme war so gedämpft, so leise, daß niemand im Pulqueria-Saloon ihre Worte verstehen konnte, und niemand sah, daß sie mit einem Fremden sprach, der ihr jäh auf dem Gehsteig begegnet war und sie angesprochen hatte... »Geben Sie mir den Rest vom Geld, Mister«, bat Terrence, »ich muß jetzt weiter, hab' noch einen ziemlich langen Weg.« »He«, dehnte Russo, »du trinkst noch einen mit mir, Kleiner, ist das klar?« Er wollte Terrence zum Bleiben zwingen und ihn dann irgendwie dazu bringen, nach der Waffe zu greifen. »Nein«, antwortete Terrence aufbegehrend und abweisend. »Suchen Sie sich einen anderen aus, mit dem Sie sich schießen können!« Diese Worte hatte er in plötzlichem Zorn gesprochen. Wäre es nicht so furchtbar heiß und drückend gewesen, dann wären ihm die Worte niemals so über die Lippen gefahren. Und als er begriff, daß er einen riesengroßen Fehler gemacht hatte, strich er sich hastig das Geld ein und wandte sich der Tür zu. In diesen Sekunden hatte er drei Wahrnehmungen. Es war ein Moment des Schicksals - vielleicht Zufall, vielleicht aber auch ein Zeichen des Himmels. Er vernahm das metallische Klirren handgeschmiedeter Radsporen. Er sah vor sich an der Tür einen großen Fremden. Und zugleich hörte er hinter sich ein schabendes Geräusch, das entstand, wenn ein Colt aus dem Halfter gezogen wurde. Und dann, mit dem Geräusch des knackenden Colthahns, hörte er Russo scharf und fauchend sagen: »Bleib' stehen, Hombre! Oder du fällst tot aus der Tür!«
Terrence stand wie festgenagelt. Vor sich - ganz nahe - hatte er das rauhe und zerfurchte sonnengebeizte Gesicht des fremden großen Mannes, das schon ein wenig schüttere sandfarbene Haar, die schiefergrauen Augen, die ruhig und fast so kalt wie Eis blickten - und er konnte es sich nicht erklären, warum er so plötzlich Vertrauen zu einem Fremden haben konnte! Dieser Mann war wohl seine einzige Rettung - in seinen Händen lag Terrences Leben! Und irgendwie kam dieser Fremde Terrence bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern, ihm irgendwo begegnet zu sein. Was Henry Russo an haßerfüllten Worten noch sagte, hörte Terrence nicht. Er war vom Anblick des Fremden völlig gefangen. Noch immer blickte er in diese Augen, in denen es wie Rauch schwelte, aber die eisige Kälte wich sekundenlang einem Ausdruck von menschlicher Wärme und entschlossener Hilfsbereitschaft. Ja, es war ein schicksalhafter Augenblick an der Tür des Pulqueria-Saloons, doch niemand ahnte es. Terrence und Russo wußten nicht, wer der Fremde mit der Winchester war und was er hier wollte, und der Fremde kannte nicht Russo und konnte sich nicht an Terrence erinnern. Dies alles war ein unwahrscheilicher Zufall! »Dreh dich um und zieh!« Da war wieder Henry Russos Stimme, so voller Bosheit und Niederträchtigkeit! Und diese Stimme war wie ein Dolchstoß in Terrences Rücken hinein. Er hatte kaum mehr einen Willen, und er reagierte gar nicht. Der Fremde sah in die braunen Augen des jungen Terrence und bemerkte das fiebrige Flackern. »Rück mal beiseite, Junge«, sagte er ruhig und kam langsam und mit gesenkter Winchester herein. »Du stehst mir im Weg.« Er meinte damit: In der Schußbahn. Doch das begriffen weder Terrence noch Russo, Terrence bewegte sich mit
schleppenden Schritten zur Seite und verharrte abseits wie ein Häufchen Elend. Klirrend drehten sich die Sporenräder an den brüchigen alten Reitstiefeln. Lässig und doch nicht schlaksig schritt der Fremde auf den Tresen zu. Die Blicke der Anwesenden folgten ihm und ließen ihn nicht mehr los. Sogar Henry Russo ahnte Unheil, doch er war sich seiner Schnelligkeit und Treffsicherheit allzu siegesbewußt. Doch sehr wahrscheinlich hätte er ganz anders gehandelt, schon vorher, wenn das Wetter ihm nicht auch so zu schaffen machte. Vielleicht hätte er dann den jungen blonden Terrence gar nicht beachtet. Draußen an der Tür erschien die junge Mexikanerin Sarita und verkrampfte sich; sie hob die Hände mit dem Bündel daran ans Gesicht, als wollte sie die Augen verdecken. »Whisky«, verlangte der Fremde und legte die Winchester auf die Theke, aber so, daß er blitzschnell danach greifen konnte. Dann lehnte er sich an und blickte kalt umher, und kein Wort kam aus ihm hervor, als er Henry Russo betrachtete. Terrence wollte nicht Zeuge sein, wollte nicht zusehen - und er drückte die Türflügel auseinander und ging fast schwankend hinaus, an der Mexikanerin vorbei und zur Hausecke. Horchend blieb er stehen. Im Pulqueria-Saloon war es noch totenstill. Niemand lachte, niemand sprach. Fröstelnd trotz der sengenden Hitze zog Terrence die Schultern an und machte dann, daß er zu seinem Klepper kam, einem derart knochigen Tier, daß niemand es ihm stehlen würde. Das könnte jeder getrost tun, ohne befürchten zu müssen, aufgeknüpft zu werden, denn hier war Arizona, das einzige Land, wo es keine Todesstrafe für Pferdediebstahl gab. Im Saloon trank der Fremde etwas vom Whisky und blickte dabei über den Rand des abgestoßenen Glases hinweg Henry Russo unverwandt an. Die Gäste und der Keeper warteten schweigend und reglos ab.
»Amigo mio!« hauchte Sarita an der Tür. »Te quiero! Sei vorsichtig - ich liebe dich.« »Verschwinde!« fuhr Russo sie giftig an und langte wieder zur Flasche. Noch immer hielt er den Colt in der Rechten, hatte jedoch die Hand gesenkt. Nicht eine einzige Sekunde lang ließ er den Fremden aus den Augen. Vielleicht vermutete er in ihm einen US Marshal, der seine Spur gefunden hatte. In Llano war noch immer nicht Leben zu spüren. Die Bewohner und die anderen, die hier nur Station machten, hielten sich auch weiterhin in den Häusern auf, und Terrence stand neben dem Pferd und blickte bangend zum Saloon zurück. Dieser Fremde mußte ihm doch irgendwie schon einmal begegnet sein! Es war nicht sein Aussehen, sondern seine Stimme, die Terrence bekannt vorkam. Sie beide waren Fremde in Llano, sie waren sich auch als Fremde begegnet - doch es gab in ferner Vergangenheit eine kleine gemeinsam verlebte Episode der Freundschaft. Beide hatten sich in den Jahren danach im Aussehen stark verändert; die rauhe Zeit hatte eben bei beiden ihre Narben hinterlassen. Auch war Terrence noch ein Junge gewesen. Lang war es her, da dieser große Fremde in Terrences Leben getreten war und in ihm die Sehnsucht nach der Ferne geweckt hatte. Terrence konnte nicht hören, was im Pulqueria-Saloon gesprochen wurde. Wäre er dort geblieben, hätte er sich an alles erinnert und zugleich Schreckliches erfahren. Es trieb ihn weiter - er wollte hier nicht länger bleiben. Und so zog er sich aufs Pferd und ritt langsam an. Er mußte noch einmal am Saloon vorbei... »Was starrst du mich so an, Kerl?« zischelte Henry Russo, dem unter dem ruhigen, aber kalten Blick des Fremden allmählich die Nerven durchgingen. »Willst du was von mir?«
»Yeah«, antwortete der große Mann ernst und sehr bedächtig. »Ich will deine Waffen und dich - und nicht dein Leben. Gib auf, Russo. Niemand knallt einen Texas Ranger wie einen tollwütigen Kojoten ab und entkommt dann auch noch. Oder hattest du das geglaubt? Hast du angenommen, mit einem Mord deinen Vater rächen zu können? Nein, Russo.« »He«, flüsterte Russo und setzte die Flasche ab, »was heißt das? Wer bist du?« Angespannt wich er von der Theke ab. Er blickte nicht auf die Winchester, die vor dem Fremden lag, doch er wußte, daß sie sich dort befand, und er glaubte, daß der Gegner nach dem Gewehr greifen würde. Außerdem nahm er an, einen riesengroßen Vorteil zu haben, hielt er doch schon den Colt in der Hand! »Du bist wohl lebensmüde, wie? Du willst hier in Llano also deinen Geist aufgeben. Wie schön von dir. Dann fang mal an. Du wirst aber keine schöne Leiche abgeben - ich werde dich nämlich mit Blei durchlöchern und zerfetzen.« Draußen kam Terrence nähergeritten. Der Fremde lächelte nicht über die herausfordernden Worte des Halunken. Für ihn war dies alles bitterer Ernst und eine große Gewissensfrage, denn er erschoß nicht gern einen Menschen, auch wenn es der dreckigste Kerl war. Aber Russo würde ihn dazu zwingen, denn er hatte einen Colt schon gepackt. Das bedeutete, daß dem Fremden gar keine Zeit bleiben würde, zu versuchen, Russo lediglich kampfunfähig zu schießen. Der Schuß mußte sitzen! Und das behagte dem großen Fremden gar nicht! »Dann versuch's mit dem Zerfetzen«, entgegnete er frostig. »Ich wundere mich nur, daß du hier in diesem Nest allein bist ohne deinen Bruder. Der sucht wahrscheinlich nach dem anderen McKinney...« »Stimmt, im Westen - und er wird ihn aufspüren und in die Hölle jagen! Vielleicht helfe ich ihm noch dabei, denn dich
erledige ich alle Male, wetten? Das ist für mich ein Kinderspiel, siehst du?« Kaum hatte er ausgesprochen, da riß er die Rechte mit dem schweren Colt auch schon hoch und wollte schießen. Die Winchester auf der Theke hatte ihn glauben lassen, daß der Fremde danach greifen würde - doch der zog so erschreckend schnell den Colt, daß es für das menschliche Auge unmöglich war, dieser blitzartig schnellen Handbewegung zu folgen. Dabei handelte der Fremde mit einer schon traumhaften Sicherheit - die Waffe schien ihm in die Hand zu springen, und wie er es überhaupt schaffte, den Hahn zurückzureißen, zu zielen und abzudrücken, war ein Rätsel. Laut dröhnend entluden sich zwei Colts. Es hörte sich wie ein Knall an, doch es waren zwei. Aber der Schuß des toten Desperado fuhr nach oben in die Decke hinein und ließ den Adobemörtel abbröckeln. Schlaff stürzte Russo gegen die Theke und fiel zu Boden. Krachend schlug die Rechte mit dem rauchenden Colt in einen Spucknapf hinein. Pulverrauch breitete sich wallend im Saloon aus. Reglos stand der Fremde mit dem Colt am Tresen. Kein Muskelstrang bewegte sich im Gesicht. In den Augen war es ausdruckslos da war nichts von Haß oder Genugtuung zu erkennen, reinweg gar nichts! Alle seine Empfindungen verbarg dieser Mann wie unter einer dicken Decke aus Eis. Niemand sollte jemals seine Gedanken ergründen können. Er hatte nicht herzlos geschossen, nicht kalt und abgebrüht, doch kaltblütig und entschlossen, weil Henry Russo ihm keine andere Wahl gelassen hatte. Nach Westen... Also war der andere Russo unterwegs, um Böses zu tun, und ein von Haß getriebener Mann fand irgendwann immer denjenigen, den er suchte, und wenn Jahre dabei draufgehen würden.
Langsam schob er den Colt in den Halfter zurück und nahm die Winchester, warf die Cents auf den Tresen und wandte sich der Tür zu. Die Mexikanerin kam herein, ging steif, die Hände ineinander verkrampft. Das Bündel schlug ihr gegen die Beine. Sie blickte den Fremden nicht an, auch nicht die anderen - sie starrte nur auf Henry Russo, und sie schwankte zu ihm, fiel auf die Knie und begann zu weinen. Als der Fremde aus dem Pulqueria-Saloon kam und ins heiße Freie trat, ritt gerade Terrence vorbei und aus Llano hinaus. Der Mann sah dem Jungen nach, und in seinen Augen war ein Ausdruck des Nachdenkens und des Suchens. Vielleicht ahnte er, daß er diesen jungen Mann wiedersehen würde. Mit einem Ruck wandte er sich ab und stakste zu seinem Pferd. Als er in den Sattel stieg, war Terrence schon verschwunden, und in wenigen Stunden würde sich seine Spur irgendwo westwärts in der Wüste unter dem blutroten Schein der untergehenden Sonne verlieren. Der Fremde zog das häßliche Pferd sanft herum, schnalzte und ritt auf die Straße hinaus, näherte sich der Schwingtür des Pulqueria-Saloons und beobachtete scheinbar ungerührt, wie Männer den leblosen Banditen und Rangermörder Henry Russo hervorschleppten, vom schluchzenden Mädchen Sarita gefolgt. Das Leben hatte ihr nur eine kleine Rolle in einer kleinen Episode zugedacht gehabt - und doch hatte sie dem Fremden mit wenigen Worten so vieles erzählt und verraten in der Verzweiflung und Angst um Russo, aber auch im Zorn und in Haßliebe. Und eigentlich war dies hier alles nur eine kleine Episode im Leben des großen ernsten Fremden, dessen Namen längst zu einer Legende geworden war.
Er würde Sarita wohl niemals wiedersehen, und wenn auch die Zeiten kamen und gingen, und alles Neue wurde irgendwann alt und alltäglich, reif zum Vergessen. Er war aus der Wüste gekommen, und er verschwand auch wieder in der großen weiten Wüste des Department Arizona. Es mochte sein, daß Russo jenem Halunken das Leben gerettet hatte, der sich im Grenzgebiet so nannte wie der Fremde. Denn der Fremde ritt nicht weiter zur Grenze. Wie ein einsamer alter Wolf, wachsam und gefährlich, zernarbt und weise, zog er seines Weges und in die helle Sternennacht hinein, die ihn auf seinem langen Ritt einholte. Er wollte Delmer McKinney beistehen. In westlicher Ferne lag ein riesiges Tal, genannt Sundown Vally - ein Paradies, das zu einem Tal des Todes werden sollte... »Corky.« Annalena McKinney stand am Stangenkorral hinter den Stallungen und winkte dem blutjungen Cowboy, und Corky kam sofort angeritten, schwang sich vom Pferd und blickte sie mit braunen Augen fragend an. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm schon, daß sie sich um ihren Mann und seinen Boß sorgte. Sie hatte sich bereits wetterfeste Kleidung angezogen und lederne Handschuhe übergestreift, doch sie trug keine Reitstiefel mit Sporen. »Corky«, bat sie, »sage Compadre Mendoza, daß ich nach Paradero fahre. Ich möchte meinen Mann abholen. Er will seinen Abschied nehmen, doch vielleicht halten die Bürger ihn noch länger auf. Dann wird er froh darüber sein, daß ich ihn von diesem Trubel erlöse. Aber vielleicht«, sie unterbrach sich und atmete schwer und tief ein, »vielleicht überlegt er es sich ja doch noch anders und trägt noch weiterhin den Stern für Paradero. Und das, Corky, möchte ich nun wirklich nicht, und ich werde um ihn kämpfen. Er soll endlich seine Ruhe und
seinen inneren Frieden haben, und den wird er nur hier auf der Ranch finden, sonst nirgendwo.« »Si, Señora - ja, Ma'am«, antwortete der junge Corky. »Soll ich den Buggy vorfahren?« »Ich habe die Pferde schon vorgespannt, Corky, und auch etwas Proviant auf den Zweispänner gelegt. Das geht schon in Ordnung. Reite zu Compadre Mendoza, ja? Er ist ein guter Vormann, er wird während meiner Abwesenheit hier alles regeln. Und paßt gut auf euch auf!« Corky schluckte. »Sie wollen allein -?« »Ja, Corky - ich habe keine Angst vor diesem flüchtigen Alleinsein, denn ich weiß ja, wofür ich es tue.« So kam es, daß Annalena McKinney die Ranch verließ und mit dem Buggy allein davonfuhr. Nur einmal blickte sie zurück auf die Ranch, die sie Rancho Grande genannt hatten, und ein Ausdruck von Wehmut, Schmerz und Sorge, aber auch von Stolz und Zufriedenheit, lag wie verwischendes Rouge auf ihrem herb-schönen Gesicht. Und sie dachte an den Sohn Terry. Wenn er eines Tages heimkehren sollte, dann würde er hier an dieser Stelle stehenbleiben und am Talrand verharren, und er würde von hier aus die Ranch dort unten im weiten Tal liegen sehen. Es müßte doch für ihn ein ganz überwältigender Anblick sein! Das Elternhaus endlich wiederzusehen, dieses Tal, die Heimat, das Zuhause. »Oh, mein Gott, laß ihn heimkommen.« Die Hufe der beiden Wagenpferde schlugen trommelnd weiter und unterbrachen mit ihrem Stakkato die lastende Stille einer scheinbar unberührten Wildnis mit all ihren Tausenden von Kakteen, staubigen Comas und Mesquitesträuchern, mit den roten Felsen und den herrlich bunten Blumen, die da blühten im Schatten der Felsmassive und Bäume. Und am rauchigen Horizont des Tals stieg bläulicher Dunst über dem
Rio Sabrina empor - dort lagen die Blumenteppiche, leuchteten die frischen grünen Bäume in der Sonne, gleißten die stillen Wasser, die rastlos plätschernd ihren Weg durch das steinige Bett nahmen. Dort begann das Weideland des Ranchers Maxwell Steiner, der felsenfest glaubte, allmächtig zu sein, und der jeden anderen Zwei-Kühe-Rancher hier in diesem gewaltigen Tal als Dorn im Auge betrachtete, weil er keinen anderen neben sich zu dulden bereit war. Aber so war es wohl immer und überall: Wer klein war, nicht so stark, geriet schnell unter die Stiefel des Mächtigen und mußte sich ducken, um zu überleben. Und es gab sehr viele Kleine, die zusammen die Masse bildeten, die große Herde, die einem Leithammel folgte, sogar blindlings in den Abgrund des Lebens hinein. Annalena McKinney kannte dieses entbehrungsreiche und harte Leben in Licht und Schatten des Daseins. Wer immer in der Sonne besonders groß dastand, der warf auch einen größeren Schatten als alle anderen. Und sie wußte, daß man als Mensch nur dann das Schöne und das Reine sehend erleben konnte, wenn man zuvor durch häßlichen Schmutz gegangen war, hatte gehen müssen, weil nun eben einmal jedem Dunkel das Licht folgte, dem auch nur wieder eine kleine Zeitspanne vergönnt war. Sie fuhr durch ein Tal, das so groß war, daß ein Mann tagelang im Sattel sitzen mußte, um es von Ost nach West zu durchqueren. Über allem spannte sich an diesem Tag, wie zuvor tagsüber auch, ein seidigblauer Himmel, über den kleine weiße Wolken hinwegsegelten und zueinander finden sollten. So hell dieser Himmel war, so grau war alles das, was man Zukunft nannte. Es war wie Asche, die im Wind verwehte. Im Fahrtwind kräuselte sich locker ihr blondes Haar. Sie sah nicht mehr zurück, blickte weit voraus und dachte an ihren Mann.
Paradero war ihr Ziel - jene Stadt, die einen so schönen Namen hatte. Denn Paradero bedeutete Aufenthalt, Ende und Verbleib. Vielleicht war damit die Seßhaftigkeit gemeint - und nichts anderes... *** Sonnenuntergang im Sundown Valley. Alles in der Town Paradero, die Häuser, Höfe, Straßen und Menschen, sah kupferfarben aus wie im Schein eines ruhig flackernden Kaminfeuers. Die Gluthitze war mit dem Wind und den Wolken gen Westen gezogen, und die Nacht nahte von Osten her, lautlos und unaufhaltsam. In den Häusern aber nistete noch die Tageshitze als drückende Wärme und trieb wohl alle Menschen hinaus in den weichen Abendwind. Festlich mit weißen Bettlaken bedeckt, standen im Schatten eines kühlen Innenhofes mehrere gedeckte Tische, umgeben von Bürgern, die sich besonder gut gekleidet hatten, um ihren Sheriff würdevoll zu verabschieden. Aber wie das bei solchen Anlässen ist, wurde auch hier besonders viel getrunken - und schon fielen so einige männliche Wesen durch derbe, nicht stubenreine Witze auf und so manche Lady kreischend und schnatternd aus der Rolle. Schnaufend wischte Delmer McKinney sich mit einem Tuch die feuchte Stirn und die Hände ab und blickte lächelnd, aber auch ermattet und vom ganzen Trubel geschafft, umher. Dick, behäbig und stampfend kam der Deputy Sheriff daher und keuchte wie eine Lok unter letztem Dampf. »Mann, wie fühlt man sich denn so ohne Stern und Verpflichtung, Delmer?« fragte er fistelnd und rührselig. »Ist es schlimm?«
»Ach, weißt du, >Napoleon