»Der Prokaskische Krieg« Band 1 von 3 von W.W. Shols
• Rebell des Weltraums • • Der Große Zeitsprung •
2
Vorwort de...
32 downloads
877 Views
596KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
»Der Prokaskische Krieg« Band 1 von 3 von W.W. Shols
• Rebell des Weltraums • • Der Große Zeitsprung •
2
Vorwort der zweibändigen Taschenbuchausgabe W.W. Shols, bürgerlich Winfried Scholz, gehörte bis weit in die 1960er hinein zu den SFAutoren, die regelmäßig mit neuen Romanen hauptsächlich auf dem Leihbuchsektor vertreten waren. Auf Grund seiner Routine und Beliebtheit bei den Lesern wurde er 1961 in das ›Perry Rhodan‹-Autorenteam aufgenommen und schrieb für die ersten zehn PR-Hefte drei Folgen, bevor er aus eigenem Wunsch ausschied. Der Grund war im privaten Umfeld zu sehen. Scholz war Prokurist einer Bielefelder Werbefirma und sein Engagement in dieser Position vertrug sich nicht mit der relativ engen Terminplanung für eine regelmäßig erscheinende Serie wie z.B. Perry Rhodan. 1962 stieg er entgegen besseren Wissens noch einmal bei ›Mark Powers‹ ein und schrieb bei der ersten Konkurrenzserie zum ›Erben des Universums‹ insgesamt sechs Romane verteilt über dreieinhalb Jahre. Seine terminlich unabhängigen Einzelromane, die regelmäßig erschienen, wurden zu dieser Zeit bereits in der Utopia- und/oder Terra-Reihe als Nachdruck erneut auf dem Markt gebracht. Die Taschenbuchausgabe greift aus dieser Schaffenszeit drei Romane heraus, die mit drei weiteren einen kleinen Minizyklus darstellen, der den meisten Lesern eher als dreibändiger Zyklus aus der Terra-Reihe bekannt erscheinen dürfte – »Der Prokaskische Krieg«! Allerdings ist der dem Leser bekannte Zyklus bei Terra nur eine verstümmelte Version! 1959 erschien beim Dörner Verlag »Der Rebell des Weltraums«, der den Beginn der Abenteuer um ›Perry Barnett‹ bildet. Dieser Roman wurde als Utopia 208 1960 nachgedruckt. Der zweite Band »Der große Zeitsprung« erschien ebenfalls 1959 beim Dörner Verlag und wurde 1963 als Terra Heft 266 neu aufgelegt. Der Moewig Verlag verkaufte diesen Band als den Beginn eines dreibändigen Zyklus. »Experiment mit der Ewigkeit« erschien 1961 beim Bewin Verlag und erschien ebenfalls 1963 als Terra 276 beim Moewig Verlag. In dieser Ausgabe erscheinen die Romane des Prokaskischen Krieges erstmalig in chronologischer Reihenfolge und komplett unter dem Serientitel zusammengefaßt. Der eingeführte Namen des Zyklus wurde übernommen, auch wenn er vielleicht unpassend ist, sind die Romane doch eher die Schilderung der Ereignisse, die zur Beendigung dieses Krieges führen. Heinz Mohlberg
3
»Rebell des Weltraums«
Perry Barnett schoß durch den Gravitationslift nach oben, bis er Sohle 23 erreichte. Auf dem Gang zeigten ihm rote Reflexe zur Rechten den Weg zur Psychoabteilung. Allerdings achtete er nicht auf den Farbwegweiser, denn er kannte die Verhältnisse in diesem Distrikt auswendig und hätte den Weg auch mit verbundenen Augen gefunden. Er ging diesen Weg regelmäßig einmal in der Woche. Und das seit zwei Jahren. Wenn jetzt Perry Barnett überhaupt auf etwas achtete, so waren es die lobenden Plakate, auf denen der Bevölkerung in kurzen Szenen bewegliche Bilder von den Kriegsschauplätzen gezeigt wurden. Das war freilich kein Ersatz für die ausführliche Tagesschau der Televisionsstationen. Immerhin trug dieses Mittel der Volksaufklärung dazu bei, daß die Menschen auf Schritt und Tritt an die Schwere der Zeit und an ihre Pflichten zum Aushalten erinnert wurden, daß sie an den Krieg dachten, auch wenn sie hier unter der verwüsteten Erde in sicherer Etappenstellung ihr Leben fristeten, das sich in monotonem Wechsel um Arbeit und Vergnügungssucht drehte. Die meisten Plakate zeigten Typen der Gegner. Menschliche und zugleich unmenschliche Physiognomien. Teuflische, dachte Barnett und kämpfte gegen ein Würgen des Ekels im Hals. Auch dieses Würgen kannte er seit langem. Aber jedesmal, wenn er sich abwenden wollte, zwang ihn der geschürte Haß, noch genauer hinzusehen, und der Abscheu fraß sich wieder ein Stück tiefer in sein Bewußtsein. Als er bei der Psychoabteilung der Raummarine ankam, hielt er sekundenlang inne. Das Plakat über dem Eingang bestand aus zwei Teilen. Links lag eine paradiesische Landschaft, die Perry nur von solchen Bildern und aus Filmen kannte. Buntes Leuchten vor einer grünen Kulisse. Darunter stand das Wort: FRÜHER. Rechts ein Gemälde der Zerstörung in den Farben Braun, Rot und Schwarz. Es war ein starres Bild. Denn auf der Oberfläche Terras gab es, abgesehen von den Kampfstationen und Flughäfen, kein Leben mehr. Nichts eignete sich besser zur Darstellung des toten Planeten als ein in der Technik veraltetes Plakat, dem jede Bewegung fehlte. Darunter standen die Worte: Nach dem Überfall durch die Prokas im Jahre 12348. Es ging wie ein Schlag durch Barnetts Körper. Mit Gewalt riß er sich von der Wirkung des Plakates los. Freilich, sein Haß und die Plakate gehörten hierher. Trotzdem gab es für ihn als Individuum jetzt Wichtigeres zu bedenken. Er trat näher an den Sprechschlitz und nannte seine Bürgernummer. Eine Robotstimme schnarrte nur ein Wort: »Legitimation.« Barnett sprach den Code seiner Anmeldung und erhielt ohne Schwierigkeit Eintritt. »Es lebe die Union!« In dem öden, schmucklosen Raum saß Skeen. »Sie haben drei Minuten, Barnett. Nehmen Sie Platz!« »Danke. Darf ich den Bescheid hören?« »Negativ.« Barnett kam sofort wieder aus dem Sessel hoch und stand unbeweglich da. Nur seine Augen flackerten. »Das ist nicht wahr!« Skeen gab keine Antwort. Denn Barnetts Worte ließen keine logische Entgegnung zu. Höchstens eine subjektive. Skeen hätte sich beleidigt fühlen können, daß der andere seinen Bescheid als Lüge hinstellte. Doch es war klar, daß Barnett nicht einfach hatte abstreiten wollen. Es war ein letztes hoffnungsloses Aufbäumen gegen den endgültigen negativen Bescheid gewesen. »Skeen! Was hat man gegen mich?«
4
»Das gleiche wie bisher. Es haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die Ihre Zulassung rechtfertigen könnten.« »So, so, es haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben«, murmelte Barnett beinahe schüchtern. »Dabei wissen Sie genau, daß ich bis zu meiner Sperrung Raumpilot der Sonderklasse A war. Sie wissen, daß ich gesundheitlich völlig in Ordnung bin und daß ich die Prokas hasse und als meine persönlichen Feinde betrachte. An der außerdienstlichen Eignung kann es also auch nicht mangeln.« »Alles das ist dem Gehirn bekannt«, nickte Skeen. »Doch das Gehirn hat entschieden.« »Verdammt! Darf man denn nicht einmal erfahren, warum das Gehirn so entschieden hat? Ich kenne mich selbst gut genug, um zu wissen, daß ich tauglich bin, daß ich als Kämpfer der Sol-Sirius-Union die besten Dienste leisten könnte. Und das soll jetzt alles vorbei sein?« »Es ist vorbei! Ihr hundertster Antrag wurde bearbeitet. Das Gesetz läßt darüber hinaus keine Wiederaufnahme des Verfahrens zu.« Perry Barnett fiel wieder in Resignation zurück. »Sagen Sie ehrlich, Skeen, gibt es keine Möglichkeit mehr?« »Die Männer, die einsehen, wo ihr Platz ist, sind die wahrhaften Helden unserer Völker. Die Helden im Hintergrund sind die besten Diener unseres Gehirns. Sie haben das Zeug zu einem Helden im Hintergrund, Barnett.« Perry Barnett machte eine knappe Verbeugung. »Ich weiß die Ehre der Marinepsychologie zu schätzen. Meine Zeit ist um. Es lebe die Union!« Draußen war alles anders. Barnett sah nicht die Menschen und nicht die Plakate. Sein Tagtraum gaukelte ihm Dinge vor, die für immer seinem Blick verschlossen bleiben würden. Das freie All, die Sterne, die Schiffe. Er fuhr hinunter auf Sohle 83. * In seiner Wohnung brannte Licht. Als er das sah, fiel ihm wieder ein, daß Bannister auf ihn wartete. Forrest J. Bannister war sein Freund. Von Beruf Arzt. Auf den Tisch hatte er zwei Gläser gestellt. »Voll oder halbvoll?« »Halbvoll.« »Also Trauer?« »Trauer«, nickte Perry und warf sich schweigend in einen Sessel. Als der Freund ihm das Glas reichte, kreuzten sich sekundenlang ihre Blicke. Als sie tranken, wurde es plötzlich dunkel im Raum. Die Lichtzentrale schaltete jeden Tag um diese Zeit ab, wodurch die Bevölkerung zu besonderer Aufmerksamkeit für die Volksunterrichtung angehalten wurde. Alle Sendungen der Television standen zur völlig freien Auswahl. Man konnte ein- oder abschalten, wie man wollte. Eine Handhabung, die dem Individualismus der Bevölkerung weise Rechnung trug. Nur bei der Volksunterrichtung wurde ein sanfter Zwang ausgeübt, indem man auf den Sohlen der Wohnstätten das Licht abschaltete und alle Empfangsgeräte fernsteuerte. Nur von ganz wenigen wurde das als störend empfunden. Der weitaus überwiegende Teil der Bürger dagegen wartete ungeduldig auf die täglichen Nachrichten von den Kriegsschauplätzen. Die beiden stumpfwinklig zueinander stehenden Wände wurden zum Bildträger. Aus der tiefen Schwärze heraus tauchten leuchtende Punkte auf, die aus einem unbekannten Zentrum kommend heranjagten und am dreidimensionalen Bildrand hinter dem Betrachter verschwanden. Ziehende Fixsterne aus der Schau eines zeitreisenden Kreuzers. Die Hymne der Sol-Sirius-Union klang auf. Dann schaltete sich der Sprecher ein.
5
Es war, als versetze der Bildschirm die beiden Freunde hinaus ins freie All. Die Illusion, selbst dabei zu sein, wurde vollkommen. Perry Barnetts Finger krallten sich in den Arm Bannisters. Über eine Entfernung von einem halben Parsec eröffneten die Prokas das Feuer auf einen irdischen Zerstörer. Die XZ 7070 schoß ebenfalls und jagte im Hagel der Angriffe immer näher an den weit auseinandergezogenen Gegner heran. Die Vernichtung der Kugeln sah schließlich aus wie Routinearbeit. Bei einer Distanz von 800 Millionen Kilometern wurden die Aktionen des irdischen Zerstörers den Prokas zum Verhängnis. Ihre Vernichtung war vollkommen. Zum Schluß der Szene setzte sich die XZ 7070 erneut auf Patrouillenkurs und hinterließ den beruhigenden Eindruck, daß sie die Lage im Gebiet des Hemarnschen Sterns vollkommen unter Kontrolle hatte. Der zweite Bericht handelte vom Stellungskrieg auf dem proyon'schen Riesenplaneten Fnehakr. »... der Vormarsch auf Fnehakr geht weiter«, kommentierte der Ansager, und der Bildschirm holte währenddessen das Inferno ins Zimmer. Schließlich folgten Namen und Porträts der an diesem Tag ausgezeichneten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Perry Barnett interessierte das nicht mehr. Er wandte sich nach der Flasche um und wollte erneut einschenken. Doch dann hörte er plötzlich seinen Namen. Als er sich wieder umdrehte, starrte er auf sein eigenes Bild. »Ingenieur Perry Barnett wird vom Innenminister der Verdienststern mit der Planetenschleife verliehen. Barnett ist der dreiundsiebzigste Träger dieser hohen Auszeichnung für besondere Verdienste im Einsatz für die siegentscheidende Rüstung ...« Ein Glas klirrte auf der Tischplatte. Es hatte nur eine Beule, die sich wieder herausdrücken ließ. Doch der gute Venuswein sickerte in den Teppich. »Ist das deine ganze Geistesgegenwart?« fragte Bannister vorwurfsvoll. »Ich pfeife darauf! Sie wollen mir ein Trostpflaster geben. Ihren Etappenorden können sie sich an den Hut stecken.« Als Bannister gegangen war, klickte die Voranmeldung für die Rohrpost. Perry wartete zwanzig Sekunden auf die Kassette. In diesen zwanzig Sekunden schossen die phantastischsten Ideen durch seinen Kopf. – Wenn sich das Gehirn geirrt hätte! Nein, das Gehirn irrte sich nie. Aber die Beamten könnten die Ergebnisse falsch ausgewertet haben. Vielleicht kam jetzt ein Brief, in dem etwas von Einberufung für den Frontdienst stand. Wenn er nicht kam, blieb immer noch die Möglichkeit des Irrtums. Des menschlichen Irrtums. Die Kassette kam. Aber nicht von der Marinepsychologie. Sie hatten ihren Irrtum nicht entdeckt. Perry Barnett würde ab morgen also wieder auf Sohle 84 fahren und zwölf Stunden am Kalkulationsbrett sitzen. Zwölf Stunden jeden Tag. Den Irrtum würde man vertuschen. Irgend so ein kleiner Beamter, der die Schuld trug, würde die Akte verschwinden lassen. – Perry Barnett, der in jeder Beziehung fronttauglich war, würde zwischen Sohle 83 und 84 sein Maulwurfsleben fristen. Denn wenn er noch einmal zu Skeen ging, dürfte er gar nicht mehr nach Hause, sondern verschwände auf Sohle 113. Wie mag es auf Sohle 113 sein? Warum bringen sie in den Nachrichten niemals Bilder von Sohle 113? Auf einen Knopfdruck hin hob sich das Nachtlager aus dem Fußboden. Barnett stellte die Kassette auf den Tisch und kleidete sich aus. Bevor er sich hinlegte, ging er noch einmal an den Tisch zurück. Die Kassette war vom Innenministerium. Als der Deckel aufsprang, sah er die regenbogenfarbige Planetenschleife und den Verdienststern. Ab morgen würde er die Schleife im Knopfloch tragen. *
6
Er trug die Schleife vier Tage. Seine Kollegen bewunderten ihn. Intimere Mitarbeiter hänselten ihn, in dem sie etwas von ›Etappenorden‹ feixten. Aber alle beneideten ihn. Nicht unbedingt wegen des Ordens. Wichtiger war die Tatsache, daß man Barnetts Kopf im Television gezeigt hatte. Auf diese Auszeichnung wartete ein Durchschnittsbürger vergebens. Der Bildschirm bedeutete Publicity. Wenn auch nur für einen Tag. Und dennoch hatte die Schleife eine noch größere Bedeutung. Sie lockte Cora an. Cora kam ohne Begleitung in ein Vergnügungslokal der 83. Sohle. Dort tanzte sie mit drei Männern. Der eine war klein und dick; der hatte sie aufgefordert. Der zweite war groß und häßlich; der hatte sie auch aufgefordert. Der dritte war – männlich; den hatte sie aufgefordert. Und das war Perry Barnett mit der Planetenschleife. Cora tanzte an diesem Abend nur noch mit Perry. »Ich habe dich vorige Woche in den Nachrichten gesehen. Die Planetenschleife ist schon eine tolle Sache. Der 73. warst du, stimmt doch?« »Der 73. mit der Schleife ohne Raketennadel. Mit der Raketennadel wurde das Ding erst zweiunddreißigmal verliehen.« »Davon habe ich keine Ahnung. Ist das ein Unterschied?« »O ja, der Stern für Frontkämpfer ist die eigentliche Kriegsauszeichnung. Solche Leute kriegen dann noch die gekreuzten Raketen ins Band.« »Das ist aber ulkig! Demnach ist die Schleife ohne Raketennadel überhaupt keine richtige Schleife.« Barnett hätte über so viel Naivität unter normalen Umständen lachen müssen, aber heute blieb er völlig ernst dabei und nickte sogar Beifall. »So ungefähr hast du recht. Erst mit den Raketen wird es eine richtige Schleife.« »Na ja, das kann ja noch werden. Tanzen wir noch einmal?« Sie tanzten. Barnett fand seinen Rhythmus nicht. Anfangs war Cora mehr mit ihm zufrieden gewesen. »Warum bist du plötzlich so anders?« »Bin ich anders?« »Natürlich bist du anders. Als ich dich entdeckte, warst du ein fröhlicher Mann. Auch noch, als wir die ersten Tänze machten. Jetzt bist du ein trauriger Mann.« »Traurig bin ich nicht.« »Dann bist du wütend. Natürlich bist du wütend. Hoffentlich nicht über mich?« »Durchaus nicht. Ich bin froh, daß du da bist.« »Davon merke ich nichts mehr. Du bist anders. Und du hast mir noch nicht gesagt, warum.« »Das verstehst du nicht.« »Ich glaube, du unterschätzt mich.« »Mag sein. Aber das ist dummes Zeug. Nimm mich nicht ernst. Ich dachte vorhin daran, daß es niemals möglich sein wird, die Raketen in die Schleife zu kriegen. Ich bin untauglich für den Frontdienst.« »Sei doch froh! Das kann unter Umständen günstig für deine Gesundheit sein.« »Was verstehst du schon davon?« Sekundenlang kam ein Blitzen in Coras Augen. »Ich verstehe sehr viel davon. Vor zwei Jahren war ich mittendrin in einem Schlamassel.« »Vor zwei Jahren? Wo denn?« »Außerhalb des Sol-Systems. So genau weiß ich das nicht mehr.« »Das will ich meinen. Sol hat seit fünf Jahren keinen direkten Angriff mehr erlebt. Bist du vielleicht bei der Sanitätstruppe?« Sie zögerte einen Augenblick. »Ja, so ungefähr ...« Mehr sagte sie nicht. Und Barnett fragte auch nicht weiter. Es kamen Getränke. Dann tanzten sie. Cora sagte, daß Barnett es diesmal wieder besser
7
geschafft hätte. Perry lachte. »Erzähl' mir von deiner Sanitätstruppe!« »Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Cora sah aus wie ein zusammengerollter Igel, und Barnett merkte sofort, daß er auf Abwehr stieß. Er war klug genug, Cora nicht ein zweites Mal zum Erzählen aufzufordern. »Schade«, sagte er. »Ich höre es gern, wenn jemand von draußen erzählt. Draußen ist alles anders. Draußen sind die Prokas und das All.« »Das klingt wie Sehnsucht!« Barnett lachte gequält. »Einer, der noch nie draußen war, wird diese Sehnsucht wahrscheinlich niemals so recht begreifen. Die Nachrichtensendungen, die Filme, die Plakate, die Volksunterrichtung, das ganze Zeug ist Talmi. Freilich, auch dadurch kann der Jugend eine Sehnsucht gegeben werden. Aber bei denen, die draußen waren, ist das schlimmer. Bei mir ist es Heimweh.« »Demnach hast du schon gedient. Verwundet?« »Nicht einmal das. Am Ende meiner Ausbildung wurde ich zum Leutnant befördert und entlassen. ›Wehruntauglich‹. Ich habe sämtliche Flugscheine in der Tasche und doch noch nie einen Proka gesehen. Nicht mal eines der häßlichen schwarzen Kugelschiffe. In der Ausbildung schießt man nur auf harmlose Attrappen. Aber das All kenne ich. Bei meiner Abschlußprüfung bin ich beinahe bis Centauri gekommen.« »Wehruntauglich«, sagte Cora. »Wie kann man wehruntauglich sein, nachdem der Staat das viele Geld für die Ausbildung hinausgeworfen hat?« »Man kann es. Ich bin der lebende Beweis dafür. Meine Daten haben dem Gehirn vorgelegen.« »Also bist du krank.« »Ich bin völlig gesund.« »Unsinn!« Coras Gesicht wurde hart. »Das Gehirn macht keine Fehler. Du kannst fliegen. Wenn Du gesund wärst, hätte man dich nicht abgelehnt. Politische Bedenken kommen bei dir ja wohl kaum in Frage, nachdem man dir vorige Woche erst einen hohen Orden angehängt hat. Wenn du gesund wärst, hätte das Gehirn auf jeden Fall positiv für dich entschieden.« »Du kannst ja meinen Arzt fragen. Nein, nein, mit meiner Gesundheit hat das nichts zu tun. Aber was reden wir darüber! Das Gehirn hat entschieden. Ich muß versuchen, damit fertig zu werden. Ich möchte jetzt wieder tanzen, wenn du Lust hast.« »Ich habe immer Lust«, versicherte Cora und ließ sich auf die Drehscheibe führen. Sie waren die letzten Gäste im Lokal und gingen durch die Tür wie ein Liebespaar. Nach zwei Dutzend Tänzen fanden sie jetzt auch auf der Straße nichts dabei, eng aneinandergeschmiegt zu gehen. Zu Barnetts Enttäuschung hatte Cora nur einen kurzen Weg nach Hause. Sie wohnte in einem unscheinbaren Hotel, das von Privatleuten geleitet wurde. Vor der Tür küßten sie sich leidenschaftlich. Widerstrebend gab er die Frau frei. »Ich möchte dich wiedersehen, Cora. Morgen.« »Ich dich auch.« »Also, gleiche Zeit und am selben Tisch wie heute?« Sie nickte. »Ich komme, Perry. Vielleicht werde ich dir von draußen erzählen.« Er sah sie an. Sie hatte tiefschwarzes, kurzgeschnittenes Haar, braune Augen, eine runde Stirn und bronzeschimmernde Haut. Die Lippen waren voll. So voll, wie er es beim Kuß gespürt hatte. »Gute Nacht, Cora!« *
8
Am nächsten Tag hatte Perry Barnett die längste Arbeitszeit seines Lebens. Nach der Uhr waren es freilich nicht mehr als die vorgeschriebenen zwölf Stunden. Doch sie wurden länger, je mehr er an Cora dachte. Den Tisch, an dem er gestern mit Cora gesessen hatte, erreichte er eine halbe Stunde zu früh. Doch das konnte ein Vorteil sein, wenn er den Andrang einkalkulierte. Wer wußte, ob später die Plätze noch frei waren. Er bestellte gebrannte Getränke. Im ganzen sechs Sorten, die einen Querschnitt der Importe von Wega bis Regulus darstellten. Um acht Uhr war er etwas angeheitert. Danach verlor sich seine gute Laune jedoch wieder im gleichen Verhältnis. Bis auf Coras Platz, den er immer noch freihielt, waren alle Sessel besetzt. Auch an seinem Tisch. Überhaupt war kaum noch etwas von der intimen Atmosphäre des gestrigen Tages zu spüren. Allein die Musik klang, als hätte der Wirt ein Band von den Algolzwergen erworben, die ja bekanntlich auf fünf Beinen tanzten. Cora kam nicht. Es wurde neun. Eine Dame forderte Perry zum Tanzen auf. Als der Tanz zu Ende war, gab es an Barnetts Tisch nur noch einen freien Sessel, nämlich seinen eigenen. Auf Coras Platz saß ein Mann. Barnett wies den Fremden höflich darauf hin, daß er eine Dame erwarte, der dieser Sessel zugedacht sei. Gleichzeitig ließ er jedoch wissen, daß er nichts dagegen habe, wenn der andere seine Zeche verzehre. Die Dame würde voraussichtlich später kommen. Der Fremde grinste und versuchte dabei, ebenso höflich zu sein. Das gelang ihm aber nicht ganz, weil er auf den ersten Blick gewöhnlich wirkte. »Vielen Dank, Barnett. Ich werde mich beeilen.« »Sie kennen mich?« »Allerdings. Ihr Gesicht kam doch vorige Woche über Television. Sie haben einen Orden gekriegt, nicht wahr? Die Planetenschleife steht Ihnen gut.« »Danke«, sagte Perry steif und sah zum Eingang, wo er Cora suchte. Um zehn ging der Fremde. Cora war immer noch nicht da. Um elf ging auch Perry Barnett. In dem kleinen Hotel gab man ihm die Auskunft, daß Cora seit sechs Stunden unterwegs sei. Wann sie zurückkäme, wüßte man nicht. Resigniert suchte Barnett den nächsten Weg nach Haus. Er erschrak, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. »Darf ich mich neben Sie stellen?« kam die Stimme von hinten. Barnett erkannte den Mann aus dem Lokal. »Ich heiße Lavista.« »Freut mich.« »Tatsächlich? Das überrascht mich. Sie waren nicht sehr gesprächig vorhin. Ich dachte, Sie hätten was gegen mich.« »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.« »Verständlich – bei Ihren Sorgen.« Barnett schielte nach der Seite, ohne zu sprechen. Lavista grinste kollegial. »Ich wollte Ihnen helfen?« »Womit?« »Mit Cora.« Wieder sagte Barnett nichts. Diesmal, weil er angestrengt nachdachte. Schließlich fragte er: »Was wissen Sie von Cora?« »Einiges. Vor allem, wo sie steckt.« »Dann reden Sie!« »Nicht hier. Wissen Sie keinen Ort, wo man ungestört sprechen kann?« »Meine Wohnung. Kommen Sie! Bei der nächsten Kreuzung überspringen. Das ist ein
9
Hauptarm mit Expreßband.« In seiner Wohnung lud Barnett zum Sitzen ein. »Danke«, sagte Lavista. »Wenn wir einig werden, ist die Sache in zwei Minuten erledigt.« »Was kostet der Spaß?« »Wenn Sie an Geld denken, sind Sie auf dem Holzweg. Ich brauche Ihre Wohnung für diese Nacht.« »Das ist ein seltsamer Preis. Wollen Sie sich nicht näher erklären?« »Nein, aus bestimmten Gründen will ich das nicht. Genauer gesagt, ich kann es nicht. Damit Sie aber beruhigt sind, verspreche ich Ihnen, hier in diesem Sessel auf Ihre Rückkehr zu warten. Ich werde mich bei Ihren Propagandafilmen langweilen und nichts anrühren. Sicherlich haben Sie doch ein Gästeschloß eingebaut?« »Allerdings.« »Na sehen Sie! Falls Sie mich für einen Dieb halten, bringen Sie alle beweglichen Dinge hinter den Schirm. Alles, was ich von Ihnen wünsche, ist, daß ich mich für ein paar Stunden ausruhen kann.« »Okay! Und nun Ihre Gegenleistung.« »Schreiben Sie auf! Aber nehmen Sie einen Zeitzettel für dreißig Minuten.« »Ihre Anordnungen sind sehr sonderbar, Lavista. Sie reden, als wollten Sie mir eine geheime Formel diktieren.« »So ungefähr ist es. Cora ist auf Sohle 12.« Perry Barnett war sofort wieder mißtrauisch. »Das ist ja höher als die Regierung!« »Ganz recht, das ist bereits Einsatzgebiet. Aber es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, als hinaufzufahren, wenn Sie Cora noch einmal sehen wollen. Ihr Schiff startet morgen. Sie hat Ihnen doch gesagt, daß sie bei der Sanitätstruppe ist.« »Natürlich. Aber wer sind Sie? Was wissen Sie von all dem? Wenn Sie wenigstens eine Uniform hätten.« »Es gibt auch unter uns Zivilisten ehrbare Bürger«, meckerte Lavista. »Oder halten Sie mich für einen Schurken, Barnett?« »Warum kommt Cora nicht selbst? Die Leute im Hotel sind auch nicht orientiert.« »Cora kann nicht kommen. Ich denke, Sie waren Soldat und können das begreifen.« »Sie sind auf jeden Fall gut über mich orientiert.« »Ihre Kurzbiographie stand in der Presse. Also bitte, wollen Sie, wollen Sie nicht? Mir persönlich macht es nichts aus, Cora mitzuteilen, daß Sie den gestrigen Abend als ein Abenteuer betrachten.« »Unsinn! Ich will Cora sehen. Aber bedenken Sie: Sohle 12. Die Kontrollen dort oben.« »Deshalb sollen Sie ja ein Dreißig-Minuten-Papier nehmen. Ihre Notizen lernen Sie unterwegs auswendig. Auf Sohle 12 wird sie niemand mehr lesen können. Den Sonderausweis brauchen Sie erst von Sohle 10 bis 1. Lediglich Ihr Personalausweis muß in Ordnung sein.« »Gut. Diktieren Sie!« »Auffahrt durch Hauptlift Berta. In Sohle 12 Nordstraße geradeaus bis Kreuzung Rot Y. Dann rechts Expreßstraße Y 47. Bei Kreuzung Grün K nach links auf Fußweg K 312.« »Verdammt! So weit? – Verzeihung.« »Auf K 312 ist es Tür 1045.« »Braucht man auf K 312 Bürgernummern?« »Aber nein. Das dürfen Sie natürlich nicht vergessen. Ihre Bürgernummer ist dort nichts wert. Sagen Sie einfach – ›Cora‹! Es ist eine grüne Tür. Haben Sie alles notiert?« »Alles klar. Machen Sie es sich bequem! Werden Sie bleiben, bis ich zurückkomme?« »Selbstverständlich. Moment! Bringen Sie Ihre Sachen in Sicherheit! Mir zuliebe! Wenn später etwas fehlt, bin ich es sonst angeblich gewesen.«
10
Barnett kam noch einmal von der Tür zurück. »Setzen Sie sich in diesen Sessel, Lavista. Wenn Sie hier sitzen, ist das Fremdenschloß ein Kerker für Sie. Die Toilette liegt gleich links von Ihnen. Sie hat keinen Energieschirm. Und hier ist eine Flasche Denebola-Weinbrand. Die Schaltung für Television finden Sie außen an der rechten Lehne. Auf Wiedersehen!« Auf den Straßen leuchteten die lebenden Plakate und riefen die Menschheit zum Durchhalten auf. Barnett sah sie nicht. Der Gedanke an Cora ließ ihn sogar seinen Haß gegen die Prokas vergessen. Den Inhalt des Zettels kannte er schon nach zehn Minuten auswendig. Er steckte ihn in die Tasche und ließ sich durch den Hauptschacht B nach oben tragen. Seine auf Sohle 12 eingestellte Schlüsselmarke würde dafür sorgen, daß sich für ihn im richtigen Augenblick wieder Schwerkraft einstellte. Fußweg K 312 – Tür 1045. Es stimmte genau. Sie war grün. »Cora!« Er sagte das Kennwort, und die Tür verschwand. Sie kam wieder, nachdem er den Gang betreten hatte. Der Gang war leer. Auch das Zimmer mit der offenen Tür. Eine Robotstimme forderte ihn jedoch zum Eintreten auf. »Nehmen Sie Platz! Es kommt gleich jemand.« Es war nur ein unbequemer, steifer Stahlsessel vorhanden, der wie ein Teststuhl aussah. In Ermangelung einer anderen Sitzgelegenheit nahm Barnett damit vorlieb. Sobald er saß, merkte er jedoch, daß er einen Fehler gemacht hatte. Der Sessel, das Zimmer, der Mann, der sich Lavista nannte, das alles zusammen war eine Falle. Barnett rief nach Cora. Aber sie kam nicht. Er versuchte aufzuspringen, doch das ging nicht mehr. Er saß fest auf dem Stuhl, als hielte ihn ein fremder Wille, der stärker als der seine war. Jede seiner Bewegungen traf gegen einen unsichtbaren Widerstand, der seinen Ursprung in diesem Stuhl zu haben schien. Über Barnetts Körper legte sich eine narkoseähnliche Starre. Nach kurzer Zeit konnte er keinen Finger mehr rühren. Nur sein Bewußtsein blieb unbeeinflußt. Das Gehirn hatte die Möglichkeit, völlig normal weiterzuarbeiten. Und in der augenblicklichen Situation machte er regen Gebrauch davon. Die Gedanken nach dem Grund dieser Gewaltanwendung jagten sich und mündeten in der Frage, inwieweit Cora dafür eine Schuld zuzuschreiben war. Cora! – Er hätte diesen Namen noch einmal in Zorn und Verzweiflung hinausgeschrien, wenn sein Mund und sein Kehlkopf dazu in der Lage gewesen wären. So blieb er stumm wie ein Mann, der seine Überwindung mit der Würde des wahrhaft Überlegenen trug. Und falls jetzt irgendwo in der Nähe Menschen und Apparate standen, die geeignet waren, seine Gehirntätigkeit zu verfolgen, so hätten sie tatsächlich ein Nachlassen des geistigen Aufruhrs in Barnett feststellen können. Perry Barnett war immerhin Leutnant der Raummarine gewesen, und der Drill der geistigen und körperlichen Beherrschung steckte auch heute noch in ihm. Das Gefühl der Angst blieb aufgrund seiner Erziehung im Hintergrund. Im wesentlichen richtete sich seine Gehirntätigkeit auf die Tatsachen, und er versuchte, die Lage objektiv zu analysieren. Von den ihm bekannten Menschen gehörten Cora und Lavista zu seinem Problem. Cora hatte nicht von Lavista gesprochen, aber Lavista von Cora. Wahrscheinlich kannten sich also beide. Lavistas Benehmen war in jedem Fall sonderbar gewesen. Barnett hatte es lediglich deshalb akzeptiert, weil er eine Patentlösung für ein Wiedersehen mit der Frau darin sah. Darüber hinaus gab es einen Umstand, der sein Mißtrauen hatte beseitigen müssen. Cora war beim Sanitätspersonal der Raumflotte. Es mußte unbedingt glaubwürdig erscheinen, daß sie plötzlich wieder zum Einsatz kommandiert worden war und keine andere Möglichkeit hatte, als Barnett durch einen Bekannten Bescheid zukommen zu lassen. Dieser Bekannte war eben Lavista. Die Tatsache, daß man Barnett auf die sehr hoch liegende Sohle 12 gelockt hatte, unterstrich die Wahrscheinlichkeit dieses Sachverhalts noch.
11
Lediglich zwei Punkte sprachen dagegen. Einmal waren die Betreiber des kleinen Hotels auf Sohle 83 offenbar in dem Glauben, daß Cora nur für ein paar Stunden ausgegangen sei. Sie hatte sämtliches Gepäck dagelassen und nicht gekündigt. Außerdem entsann sich Perry des Gesprächs mit ihr im Vergnügungslokal. Cora war den ganzen Abend heiter und natürlich gewesen. Sie hatte ihre Erlebnisse im Weltall erzählt und war dann die Antwort schuldig geblieben, als Barnett nach ihrer Tätigkeit fragte. Barnett hatte zu raten versucht und auf Sanitätspersonal getippt. Und Cora hatte gezögert und eine ausweichende Antwort gegeben. Wenn Cora nun überhaupt nichts mit der Raumfahrt zu tun hatte? In diesem Falle wäre es unwahrscheinlich, sie auf Sohle 12 anzutreffen. In diesem Falle hätte sie aber auch gelogen. Warum wohl? Barnett mußte seine Überlegungen unterbrechen. Der Stuhl begann sich plötzlich in Bewegung zu setzen und rollte gegen eine der kahlen Wände, in der sich eine bisher nicht erkennbare Tür auftat. Der Nebenraum war hell erleuchtet. Und wenn das erste Zimmer durch seine Nacktheit überrascht hatte, so verwirrte die neue Umgebung durch die große Anzahl von Geräten. Barnett hätte wesentlich mehr als drei Sekunden dazu gebraucht, alles zu betrachten. Aber mehr Zeit blieb ihm nicht. Denn seine Sehnerven verweigerten plötzlich den Dienst, und es wurde dunkel um ihn. Er fühlte jedoch genau, daß seine Umgebung sich nicht mehr veränderte und daß der seltsame Metallstuhl stehenblieb. Seine Haut war wie abgestorben, sein Gaumen wie ausgetrocknet. Nur zwei Sinne vermittelten ihm noch Kontakt mit der Umgebung: der Geruch und das Gehör. Es roch nach Desinfektionsmitteln, und er hörte die Unterhaltung von drei oder vier Männern, die vollkommen sachlich über eine medizinische Untersuchung sprachen. Barnett merkte nicht, daß ihn Hände berührten, die ihn entkleideten. Er spürte nur ganz dicht vor seinem Gesicht den Atem eines Fremden. Jemand sagte: »Stuhl zur Liege ausfahren und waagerecht stellen.« Dann ließ auch das Gehör nach. Bevor die völlige Besinnungslosigkeit über Barnett kam, war er noch zu der Erkenntnis fähig, daß er absolut wehrlos war, daß eine unbekannte Organisation ihn zum Opfer eines Experimentes ausgesucht haben mochte, und daß er im ungünstigsten Falle bei der zu erwartenden Behandlung sterben konnte. * Als das Bewußtsein zurückkehrte, saß Perry Barnett in einer gut bürgerlichen Wohnung auf einem ganz normalen Sessel. Sobald er die erste Reflexbewegung mit dem rechten Arm durchführte, wurde eine Robotstimme ausgelöst. »Barnett ist erwacht, Sir! Es geht ihm gut.« Woher will der verdammte Mechanismus wissen, ob es mir gut geht? fragte sich Perry. Dabei mußte er feststellen, daß die Maschine recht hatte. Er fühlte sich ausgesprochen wohl und spürte nicht die geringste Nachwirkung irgendeiner ungesetzlichen Behandlung seines Körpers. »Haben Sie bitte einen Augenblick Geduld, Barnett«, sagte die Robotstimme und schlug ihm vor, sich inzwischen von dem auf dem Tisch stehenden Getränken und Zigaretten zu nehmen. Kurz darauf trat ein Mann ein, der sich mit Cox vorstellte. Barnett hatte sich inzwischen klargemacht, daß die anderen im Augenblick die Stärkeren waren. Er hütete sich deshalb, sofort aufzutrumpfen und eine Aufklärung über die Dinge zu verlangen. Immerhin war anzunehmen, daß die Gegner nach einem Plan handelten, der Bedeutung für beide Parteien haben mußte. Cox machte einen wesentlich seriöseren Eindruck als Lavista. Er grüßte kurz und setzte sich
12
Barnett gegenüber. »Sie haben sich inzwischen bedient. Das beweist mir, daß Sie eine natürliche Hemmung in der für Sie völlig undurchsichtigen Situation bereits überwunden haben. Bevor wir nun ins Gespräch kommen, möchte ich Ihnen die Versicherung geben, daß Ihnen während Ihres einstündigen Aufenthalts bei uns weder körperliche noch geistige Schäden zugefügt worden sind. Sie wurden lediglich psychomedizinisch untersucht. Und ich kann Ihnen mitteilen, daß Sie vollkommen gesund sind.« »Ich wüßte nicht«, erklärte Barnett ohne jede Schärfe, »daß ich den Wunsch nach einer ärztlichen Untersuchung äußerte. Sie haben gewiß Verständnis dafür, wenn ich mißtrauisch bin. Außerdem interessiert mich natürlich brennend der Grund Ihrer Manipulationen. Daß ich gesund bin, weiß ich zum Beispiel mit ziemlicher Sicherheit von einem mir sehr befreundeten Arzt. Und schließlich erwarte ich hier auf Sohle 12 eine Dame namens Cora. Ihr Agent namens Lavista behauptete, daß ich sie hier treffen würde ...« Während Barnett sprach, beobachtete er aufmerksam sein Gegenüber. Cox verriet jedoch mit keiner Miene, welche Vermutungen Barnetts nun den Tatsachen entsprachen und welche völlig falsch waren. »Ich muß Sie um Verzeihung bitten, Barnett. Zu Ihrem persönlichen Fall Cora kann ich Ihnen leider gar nichts sagen. Cora war ein Lockmittel, das Lavista benutzte. Auch das Schlüsselwort für die grüne Tür wurde nur gewählt, um Sie zutraulicher zu machen. Uns geht es einzig und allein um Sie.« »Sie legen also Wert auf mich«, folgerte Perry Barnett. Zum erstenmal zeigte Cox die Spur eines Lächelns. Es war das Lächeln des Überlegenen. »Wir legen Wert auf Sie, jawohl. Jetzt, da wir wissen, daß Sie gesund sind, noch mehr als je zuvor.« »Würden Sie mir das bitte näher erklären?« »Ich will es tun, soweit das möglich ist. Andererseits müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß Sie nicht alles erfahren werden. Daß Sie niemals alles erfahren dürfen. Es gibt Situationen im Leben, da ist es besser, möglichst wenig zu wissen. Wir haben Krieg, Barnett.« »Seit fünfundzwanzig Generationen. Wir beide können uns also den Zustand des Friedens, um den jeder Bürger der Sol-Sirius-Union kämpft, gar nicht mehr vorstellen. Sagen Sie mir also bitte, was Sie sagen dürfen. Vielleicht genügt mir das schon.« »Okay! Ich bin befugt, Ihnen den Posten eines Ersten Offiziers auf einem Raumschiff der Beteigeuze-Klasse anzubieten. Wir wissen, daß Sie Inhaber sämtlicher Steuermanns- und Kapitänspatente sind. Wir wissen seit einer halben Stunde außerdem, daß Ihnen gesundheitlich nichts fehlt. Wir gehen kein Risiko ein, wenn wir Ihnen dieses Angebot machen.« »Sie tragen weder Uniform noch Abzeichen. Im Namen welcher militärischen Dienststelle machen Sie mir dieses Angebot?« »Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ihr Auftraggeber muß unbekannt bleiben. Es geht nur darum, daß Sie ein raumsprungtüchtiges Schiff führen. Falls Ihnen militärische Vergleiche am Herzen liegen, dann nehmen Sie zur Kenntnis, daß Sie mit dem Gehalt eines Drei-Sterne-Admirals entlohnt würden.« »Donnerwetter! Das ist das erste wirklich verlockende Angebot. Allerdings rückt das die Angelegenheit erst recht in ein zweifelhaftes Licht. Mit einem Admiralsgehalt für einen Leutnant macht sich Ihr Auftraggeber verdächtig.« Wieder das rätselhafte Lächeln bei Cox. »Die Höhe unseres Angebotes sollte Ihnen mehr ein Beweis für die Vorsicht sein, mit der die ganze Sache behandelt werden muß. Der Krieg verlangt oft eigenständige Entschlüsse. Versuchen Sie einmal strategisch oder auch diplomatisch zu denken. Vielleicht können Sie sich dann auch darüber beruhigen, daß ich
13
keine Uniform trage.« »Demnach soll ich annehmen, Sie verpflichten mich für den Geheimdienst.« »Was Sie annehmen, bleibt Ihnen überlassen. Sie müssen sich nur damit abfinden, daß ich nicht konkreter werden kann. Wenn Sie genügend Phantasie besitzen, dann gibt es noch die Möglichkeiten der Spionage und Gegenspionage. Das alles bleibt ein Risiko, das Sie vor Ihrem Gewissen verantworten müssen.« »Sie reden, als erwarteten Sie überhaupt kein Gewissen von mir. Für den Fall also, daß Sie mich in Spionagedienste zugunsten der Prokas locken wollen, muß ich Ihnen sagen, daß ich die Prokas hasse, daß ich sie als die gefährlichste, gemeinste und skrupelloseste Rasse der Galaxis betrachte, als Feind der Union und als meinen persönlichen Feind. Sollte ich irgendwann im Leben einmal feststellen, daß ich durch irgendwelche Manipulationen zugunsten des Gegners arbeite, so werde ich ohne Bedenken jeden Eid brechen, der mir unter Vorspiegelungen abgezwungen wurde. Außerdem verlange ich die Garantie, daß meine Arbeit niemals zugunsten der Prokas ausgenutzt wird. In dieser Hinsicht dürfte sich mein Auftraggeber keine Hoffnungen machen.« »Sie gefallen mir, Barnett. Die gewünschte Garantie kann ich Ihnen geben. Ich hätte nie geglaubt, daß wir so schnell einig werden.« »Wir sind durchaus noch nicht einig, Cox. Was ich hinsichtlich der Prokas sagte, war rein prinzipiell gemeint, damit Sie über mein persönliches Verhältnis zu dieser Rasse orientiert sind.« Cox' Grinsen glitt zum erstenmal in eine zynische Nuance ab. »Ich wußte gar nicht, daß es ein persönliches Verhältnis zwischen den Prokas und Ihnen gibt. Soweit ich orientiert bin, sind Sie den Gegnern der Union niemals begegnet. Sie wurden nach Abschluß Ihrer Ausbildung entlassen und sind nicht ein einziges Mal an der Front gewesen. Sie haben nicht einen scharfen Schuß abgegeben.« Barnett zögerte. Wollte Cox ihn kränken, damit er ein gefügiger Verhandlungspartner wurde? »Irrtum! Auch in der Ausbildung wird scharf geschossen. Auf treibende Wracks und außer Dienst gestellte Schiffe, die der modernen Kriegstechnik nicht mehr entsprechen. Nachdem Sie diese Unkenntnis in militärischen Dingen verraten haben, muß ich tatsächlich annehmen, Sie sind ein Zivilist. Ihr Angebot verliert dadurch an Reiz für mich. Schließlich und endlich darf man bei einem aufrichtigen Bürger der Union ein ganz bestimmtes persönliches Verhältnis zu den Prokas voraussetzen. Die Volksaufklärung sollte auch Sie überzeugt haben, wer die Prokas sind. Ich kann mir nicht vorstellen, Cox, daß Sie in diesen Dingen gleichgültig sind.« »Ich bin es durchaus nicht, bester Barnett. Doch unsere Ziele sind rein praktischer Natur. Sie brauchen nur ein Schiff zu lenken. Sie brauchen nicht einmal zu schießen. Das besorgen andere. In vierundzwanzig Stunden könnten Sie starten, wenn Sie jetzt zusagen.« »Ich kann nicht ohne weiteres zusagen. Ich bin in Staatsdiensten.« »Bekannt!« winkte Cox mit einer lässigen Handbewegung ab. »Ingenieur in den Konstruktionsbüros auf Sohle 84. Vergraben in der Etappe des galaktischen Krieges. Jetzt sagen Sie bloß, daß Sie noch kündigen müssen.« »Natürlich muß ich das. Und von der Entscheidung meiner Behörde hängt es ab, ob ich freikomme. Erst dann können wir über Ihr Angebot entscheiden.« »Das tut mir leid«, sagte Cox. »Unser Schiff startet in vierundzwanzig Stunden. Sie können die Entscheidung also unmöglich irgendeinem Ihrer Vorgesetzten überlassen. Sie müssen sie selbst treffen. Und zwar jetzt, hier an Ort und Stelle.« »Wollen Sie mich zum Deserteur machen? Anscheinend brauchen Sie willige Werkzeuge, die keine Gelegenheit mehr haben, nach Terra zurückzukehren. Nein, nein, Cox! Das Risiko gehe ich nicht ein.« »Verdammt, Barnett, spielen Sie doch nicht den Säugling! Denken Sie nur mal einen
14
Augenblick an Ihre eigene Situation! Denken Sie daran, was Ihnen das Leben noch geben kann! Das Gehirn hat Ihr Urteil gesprochen. Sie bleiben unter Tage bis an Ihr Ende. Der Weltraum ist Ihnen für immer verschlossen, und es besteht nicht die geringste Hoffnung, daß dieser Beschluß der höchsten Behörde jemals geändert wird. Hier aber sitzt Cox vor Ihnen. Jetzt, in dieser Stunde, haben Sie die letzte Möglichkeit, in den Raum zu kommen. Ich gebe Ihnen die Chance, ein Raumschiff selbständig zu führen. Zunächst als Erster Offizier. Aber welche Aussichten bieten sich für die Zukunft! Harte und fähige Männer bestimmen letzten Endes ihr Schicksal selbst. Ihr Leben kann sich in den Weiten der Galaxis abspielen, wenn Sie jetzt zusagen. Denken Sie an Ihre Sehnsucht nach dem Universum. Und denken Sie auch daran, daß sich kein Augenblick im Leben wiederholt, Barnett! Auch dieser nicht ...« Cox füllte das Glas nach und nahm sich eine Zigarette. Er schwieg, um die Worte auf den anderen wirken zu lassen. Barnett dachte an die letzten hundert Wochen, die zwischen seiner Entlassung und heute lagen. Einmal jede Woche war er auf Sohle 23 gefahren und hatte sich von Skeen examinieren und testen lassen. Hundertmal hatte das Gehirn ›Nein‹ gesagt. Und das hundertste Mal war auch das letzte Mal gewesen. Das Gehirn irrte sich nie. Wer das bezweifelte, tat es auf eigene Gefahr. »Für wie lange Zeit gilt der Vertrag?« fragte Barnett schließlich. »Das ist unbestimmt. Es liegt an Ihnen, an uns und an den ... Umständen.« »Hm, das ist zu unbestimmt.« »Unser Vertrag wird weder schriftlich noch elektronisch aufgezeichnet. Ganz zu schweigen von einer Gedankenkonserve. Sie brauchen nur zu nicken und mitzukommen. Dann sitzen Sie morgen auf einem Schiff. Das ist die Kehrseite der Medaille. Die Vergangenheit wird für Sie tot sein. Ihre Freunde, Ihre Mädchen, Ihre Wohnung. Nicht, daß wir Ihnen jemals eine Rückkehr nach Terra verweigern würden. Aber einem Deserteur steht es nicht gut, zurückzukehren. Das ist im besten Falle ... ungesund.« »Kann ich wenigstens noch Bannister sprechen?« »Wer ist Bannister?« »Der Arzt, von dem ich erzählte. Mein Freund.« Cox schüttelte den Kopf. »Auch Ihr Freund ist Vergangenheit für Sie. Genau wie Cora.« »Cora«, sagte Barnett sinnend. »Was ist mit Cora? Sie wissen es doch, Cox.« »Fragen Sie nicht nach Cora. Fragen Sie niemals danach, Barnett! Sie sind mein Erster Offizier.« »Ihr Offizier?« »Allerdings. Der Kommandant des Schiffes bin ich. Ich denke, wir werden miteinander auskommen.« »Sie haben meine Entscheidung noch nicht.« »Die habe ich in einer Minute.« Sechzig Sekunden vergingen. »Nun?« fragte Cox. »Ich mache mit!« sagte Barnett, und seine Stimme klang beherrscht, als ob es sich um einen Spaziergang handelte. * Cox füllte erneut zwei Gläser und stieß auf gute Zusammenarbeit an. »Was machen Sie mit Lavista?« fragte Barnett. »Der wird bald hier sein.« »Schlecht möglich. Ich habe ihn eingeschlossen.« »Wir haben das Codewort«, grinste Cox.
15
»Demnach war Lavista nicht allein. Das Codewort hilft nur von außen.« »Stimmt genau. Lavista geht nie allein. Das ist nicht sicher genug. Schmeckt der Schnaps? Er stammt von Denebola IV.« »Die Marke kenne ich. Ich habe sie selbst zu Hause.« »Donnerwetter! Wie sich die Geschmäcker gleichen. Darauf trinken wir später noch einen. Kommen Sie jetzt!« Barnett entsann sich, bei der ärztlichen Untersuchung mindestens drei Männer gehört zu haben. Er bekam aber keinen davon zu Gesicht. Cox steuerte genau auf den Ausgang des Appartements zu und führte seinen ›Ersten‹ durch die grüne Tür mit der Nummer 1045 direkt auf die Straße. Auf der nächsten Hauptbahn nahmen sie das Expreßband und fuhren in östlicher Richtung davon. Barnett vermied eine Unterhaltung. Er war äußerst gespannt auf die unmittelbare Zukunft, wollte sich aber nicht den Anschein der Neugierde geben. Die Gedanken an die Vergangenheit unterdrückte er, so gut es ging. Für eine sentimentale Bilanz war jetzt nicht der Augenblick. Auf ihn wartete das Weltall, das feindliche Weltall mit den Prokas. Überraschenderweise zog Cox ihn mitten auf gerader Strecke am Ärmel. »Kommen Sie mit auf das Schrittband! Dann abspringen. Wir müssen unterbrechen.« Wenig später fand Barnett sich in einer unbelebten Seitengasse wieder, in die ihn Cox in unerklärlicher Eile getrieben hatte. Cox war unruhig und sah mißtrauisch in beide Richtungen der Straße. Dann streckte er die Hände in die Taschen, lehnte sich an die Wand und drehte den Kopf ein wenig nach oben. Aus der Ferne betrachtet war das genau die Pose eines gelangweilten Herumtreibers. Barnett direkt neben ihm aber sah nur zu deutlich die Erregung in Cox' Gesicht. Cox sprach Worte irgendwohin. Dann schwieg er eine Weile, als lausche er auf etwas, von dem Barnett absolut keine Vorstellung hatte. Und wieder sprach er. »... nein, das ist unmöglich! Wenn man euch belauscht hat, ist das Quartier in Gefahr. Wenn man nicht alles weiß, könntest du zuviel verraten. Wir treffen uns in der Gasse PZ 384. In zwanzig Minuten.« Cox' Gesicht entspannte sich. Er stieß sich mit der Schulter – immer noch die Hände in den Taschen – von der Wand ab und sagte: »Kommen Sie!« Barnett ging neben ihm wie ein dressierter Hund. Cox sah nicht aus, als ob er jetzt gern Fragen beantworten würde. Barnett schwieg daher. Als die nächste Kreuzung in Sicht kam, deren Lärm auf eine belebtere Hauptstraße schließen ließ, blieb Cox stehen und drehte sich zu Barnett um. »Dies ist PZ 384. Sie ist unser Treffpunkt in zwanzig Minuten, wie Sie gehört haben. Damit wir uns nicht verdächtig machen, werden wir uns trennen und dort drüben im Verkehr untertauchen. In zwanzig Minuten kommen Sie wieder her, okay?« »Okay! Das heißt, wen werden wir hier treffen? Ich meine, falls ich früher hier bin, wäre es ...« »Schon gut. Es ist Lavista. Und überlegen Sie sich einen Brief, den Sie ihrem Freund Bannister schicken können. Der Bursche bringt es noch fertig, unsere ganzen Pläne zu versauen ...« Ehe Barnett weiterfragen konnte, war Cox schon zehn Schritte weg. Er drehte sich also um und ging in entgegengesetzter Richtung. Dabei versuchte er in einer gewissen Naivität, die Haltung seines neuen Kapitäns zu kopieren. Die Hände verschwanden in den Hosentaschen, die Schultern fielen ein wenig nach vorn, und seine Schritte wurden betont langsam. Offenbar war diese lässige Pose geeignet, auf die Umgebung einen beruhigenden Eindruck zu machen. So viel hatte Barnett immerhin kapiert, es kam jetzt wirklich darauf an, absolut unschuldig zu wirken. Denn zweifellos war etwas geschehen, mit dem Cox nicht gerechnet hatte. Sein undeutliches Murmeln vorhin war ein Funkgespräch mit Lavista gewesen. Lavista hatte
16
also offenbar seinen Auftrag nicht ordnungsgemäß ausführen können. Und Cox hatte den Namen Bannister erwähnt. Barnett beschlich ein unangenehmes Gefühl. Er mußte an seine Wohnung denken. Vielleicht waren Bannister und Lavista dort zusammengetroffen? Bannister würde jeden Verdacht sofort der Behörde melden. Und das bedeutete Jagd durch die Polizei. Perry Barnett fühlte sich ausgesprochen unsicher, als er die Kreuzung betrat und plötzlich wieder Menschen begegnete. Hatten ihn zwei Jahre Zivilleben so verändert, daß er schon mit dieser lächerlichen Situation nicht mehr fertig wurde? Seine Augen flackerten, und er versuchte krampfhaft, an jedem Gesicht vorbeizusehen. Verdammt! Gerade dadurch mache ich mich verdächtig. Was ist bloß mit mir los? Wenn ich im Weltraum so reagiere, setzt Cox mich unterwegs an die frische Luft, die es dort nicht gibt. Er suchte verzweifelt die Unruhe zu unterdrücken. – Es kommt eben daher, daß so viel auf dem Spiel steht. Das war heute die Entscheidung meines Lebens. Und zurück kann ich nicht mehr. Dafür habe ich mich schon zu weit mit Cox eingelassen. Das Untersuchungsgericht wäre mein Ende. Gehirnwäsche! Ich kann nicht mehr zurück. Er stand auf einem Expreßband und merkte plötzlich, daß er die Orientierung verlieren würde, wenn er jetzt noch weiterfuhr. An der nächsten Gabel wechselte er die Richtung und rollte zurück. Dabei blickte er aufmerksam nach links, um auf keinen Fall die Gasse PZ 384 zu verpassen. Die Uhr zeigte, daß er noch acht Minuten Zeit hatte. Sechs Minuten vor der vereinbarten Zeit berührte ihn von hinten eine Hand. Bevor er sich noch umdrehen konnte, hörte er eine sachliche Männerstimme sagen: »Folgen Sie uns, Barnett! Sie sind verhaftet!« * Das war das Ende. Barnett fühlte für den Bruchteil von Sekunden einen geheimen Stolz, denn bei der Berührung seiner Schulter war es ihm gelungen, eine durchaus beherrschte Haltung zu bewahren. Die Verhaftungsformel aber hatte ihn fertiggemacht. Hier nützte keine Geistesgegenwart mehr und keine noch so korrekte Haltung. Mit der Verhaftungsformel hatte das Räderwerk einer unbestechlichen Justiz eingesetzt, das für seine kompromißlose Konsequenz bekannt war. Es war sinnlos, sich gegen die absolute Macht der Gerechtigkeit aufzubäumen. Schon nach hundert Metern ging für Perry Barnett die Zivilisation zu Ende. Der Weg führte ganz plötzlich von dem Transportband hinunter in einen Seitengang, der zum separaten Verkehrssystem der Sicherheitsorgane gehörte. Hier begann das Röhrennetz der Polizei und des Staates, das völlig in sich abgeschlossen seine eigenen Gravitationsschächte und Querverbindungen besaß. Hier begann für jeden Sträfling der Weg, der ausnahmslos im Arbeitslager auf Sohle 113 endete. Zunächst sahen die Dinge allerdings noch weniger düster aus. Ein Untersuchungsgefangener ist kein Verurteilter. Die Behandlung war sachlich, korrekt – und unpersönlich. Die Einzelzellen lagen auf Sohle 24, also unmittelbar unter der Regierung und den Behörden. Fünf Minuten nach seiner Einlieferung erhielt Barnett bereits Besuch. Es war Bannister, der vor Erregung nur den Namen des Freundes herausbrachte: »Perry!« »Mensch, setz dich hin und nimm eine Zigarette! Du bist ja mehr durcheinander als ich.« »Der Allgeist ist mein Zeuge, Perry. Ich habe dir helfen wollen. Ich habe geglaubt, man fügt dir einen Schaden zu. Ich hatte keine Zeit, lange zu überlegen. Ich mußte handeln.« »Und du hast gehandelt.« »Perry! Ich wollte zu dir. Ich hatte beinahe deine Wohnung erreicht, als der Mann herauskam.«
17
»Lavista.« »Ich glaube, so hieß er. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn Besuch aus deiner Wohnung kommt. Doch bei Lavista war es eigenartig. Er blickte scheu nach allen Seiten und drückte sich davon wie ein Dieb. Deine Tür stand offen. Da kam noch jemand. Eine Frau. Zierlich und schwarzhaarig. Sie zwängte sich an mir vorbei und sagte kein Wort.« »Kennst du den Namen?« »Die Polizei sagt, daß sie Cora hieße.« »Cora?« Barnett preßte nur das eine Wort heraus, und Bannister beeilte sich, mit seiner Beichte fortzufahren. »Mit einem Blick erkannte ich, daß du nicht zu Hause warst. es stand für mich fest, daß die beiden nur Diebe sein konnten, und ich beeilte mich, sie noch zu erreichen. Das Mädchen bog gerade in eine Nebenstraße mit Normalband ein. Es war nicht schwer, sie zu erreichen. An der nächsten Kreuzung stiegen sie auf Expreß um, und ich blieb hinter ihnen. Damit sie mich nicht bemerkten, ließ ich mehrere Kilometer weit andere Passanten zwischen ihnen und mir. Sie sahen sich immer seltener um und fühlten sich schließlich sicher. In diesem Augenblick stellte ich mich unmittelbar hinter sie und belauschte Bruchstücke eines Gespräches, das mich das Schlimmste für dich befürchten ließ. Sie sagten, du wärest bei Cox, und wer bei Cox sei, der käme nie wieder los. Man sprach von Geheimgängen, aus denen es kein Zurück mehr für dich geben würde. Und Lavista sagte, du wärest ein verdammter idealistischer Trottel, der auf den Trick hereingefallen sei wie ein unmündiges Kind.« »So, sagte er das? Sagte das nicht vielleicht Cora?« »Cora?« »Nun ja, es ist wohl kaum noch von Bedeutung für mich. Aber ich wüßte es gern.« »Cora sagte nichts Gehässiges. Sie nannte dich einen armen Teufel, der vielleicht noch sein Glück machen könnte.« »So, traute sie mir das tatsächlich zu?« »Ich weiß nicht, was du mit Cora willst. Denk doch mal an dich! Deine Lage ist mir furchtbar unangenehm. Es ist immer peinlich, in Untersuchungshaft zu sein, auch wenn sich später alles aufklärt.« »O ja, es ist peinlich, lieber Forry. Aber weiter! Wie bist du so schnell an die Polizei herangekommen?« »Du weißt, daß ich als Arzt an die Notfunkanlage angeschlossen bin. Es dauerte keine drei Minuten, bis die ersten Beamten bei mir waren. Doch die beiden müssen etwas gemerkt haben. Jedenfalls entwickelte sich die Verfolgung zu einer Sensation auf Sohle 83. Lavista ist ihnen aber entwischt. Sie haben noch ein Funkgespräch mit Cox bruchstückweise aufgefangen. Außer dir konnten sie bisher noch keinen fassen.« »Auch Cora nicht?« »Doch, natürlich! Das Mädchen hatten sie sofort. Ich denke, es muß hier in der Nähe untergebracht sein.« »Ein schwacher Trost für mich. Man wird sie nicht zu mir lassen. Und auch mich nicht zu ihr.« »Was redest du andauernd von dem Mädchen. Kennst du sie?« »Kennen ist wohl übertrieben. Aber ich habe mich schon gefragt, ob ich sie vielleicht liebe.« »Du bist verrückt!« »Möglich. Doch was macht das jetzt noch aus? Verrückt oder verliebt oder beides. Auf das Vergnügen, Cora auf Sohle 113 als gleichberechtigter Häftling zu begegnen, verzichte ich.« »Rede doch keinen Unsinn, Perry! Ich will nichts von Sohle 113 hören.« »Das glaube ich dir gern. Doch es hat keinen Sinn, daß wir uns etwas vormachen. Ich wollte zu den Sternen und ende im letzten Stockwerk der Erde. Ich weiß keinen Ausweg.« »Du redest, als sei dein Urteil bereits gesprochen, und als hättest du nicht das geringste
18
Vertrauen in unsere Justiz. Sie ist unbestechlich und vollkommen objektiv. Die Tatsache, daß man dich in der Gewalt von Kidnappern fand, ist doch kein Grund, dich zu bestrafen.« »Aber die Tatsache, daß ich desertieren wollte ...« »Perry!« Bannister stand starr wie eine Säule. »Du wirst dich an den Gedanken gewöhnen müssen. Freilich, nach Sohle 12 lenkte man mich durch eine List. Aber die Entscheidung, in den Weltraum zu fliehen, fällte ich aus völlig freiem Willen.« »Wie kannst du das sagen? Du irrst dich. Man hat dich gezwungen.« »Du kennst mich, Forry. Du kennst meine Sehnsucht nach draußen. Es war schon mehr Fanatismus. Sag mir aufrichtig, ob du nicht an meine freiwillige Zustimmung glaubst. Sag es auf die Gefahr hin, daß man uns zuhört.« »Nun ja, du würdest jede Gelegenheit ergreifen, ins All zu gelangen.« »Unter der Voraussetzung, daß ich nicht gegen die Union zu kämpfen hätte. Du kannst das dazu sagen, selbst wenn es nach Eigenlob stinkt. Aber es ist die Wahrheit. Und wenn das große Gehirn mich prüft, wird das ohnehin alles in die Akte Perry Barnett kommen. Es wird die Bilanz eines idealistischen Patrioten sein, der zu schwach war, sich den Entscheidungen des Gehirns zu fügen. Das Gehirn wird mich zu einem Sträfling degradieren. Das Gehirn hat immer recht.« »Perry, verdammt! Ich kann dich nicht so verlassen.« »Man wird dich zwingen. Also geh und denke mal an mich. Ich bin nur einer von vielen. Mein Schicksal ist unbedeutend gegenüber dem Schicksal der Union.« »Ich allein trage die Schuld, daß es so kam.« »Dieser Vorwurf ist lächerlich. Das Recht und die Ordnung werden in unserem Staat immer siegen. Und das ist gut so. Denk an deine Pflicht als Arzt. Du wirst hier oben gebraucht. Mich braucht man unten. Meine Körperkraft. Du siehst, ich bin auch als Sträfling noch nicht ganz unnütz.« Sie schwiegen nach diesen Worten, ohne daß Bannister Anstalten mache, zu gehen. Schließlich sagte Barnett, daß es Zeit würde. Der Freund schüttelte verbissen den Kopf. »Du redest, als wäre der Widerspruchsgeist in dir schon völlig gebrochen. Ich erkenne dich nicht wieder.« »Keine Sorge, Forry, der Rebell in mir wird bleiben, solange ich atme. Ich verspreche dir, alles zu versuchen, hier herauszukommen, obwohl es mir unvermeidlich erscheint.« »Diese Worte wollte ich genau hören.« »Sei still! Es genügt, wenn einer sich um Kopf und Kragen redet. Du bist nie ein Rebell gewesen und wirst nie einer sein. Aber ich werde noch auf Sohle 113 an Flucht denken. Vielleicht braucht man diese Hoffnung da unten, wenn man nicht verzweifeln will. Es ist ein schöner Traum, Forry, an das Weltall zu denken, an den Staub der Sterne in der Unendlichkeit und an die Prokas, die man schlagen würde, wo sie sich einem stellen. Vielleicht träumen viele auf Sohle 113 von ihren Siegen, die sie nie erringen werden ...« * Forrest J. Bannister war gegangen, als die Wachen ihn dazu aufgefordert hatten. Perry Barnett hatte man zu Skeen geführt, der sich in einem undefinierbaren Grinsen gefiel. Skeen war eine Überraschung für Barnett. »Ich denke, ich bin in den Händen der Polizei. Was soll ich bei der Marine?« »Es dürfte Ihnen gleichgültig sein, wer Sie aburteilt. In jedem Falle entscheidet schließlich das Gehirn. Und das Gehirn ist unfehlbar.« »Das Gehirn irrt sich nie, jawohl!« Von dem nachfolgenden Verhör drang nichts in Barnetts Bewußtsein. Man hatte ihm die
19
Besinnung genommen, denn von Antworten, die vom subjektiven Willen eines Menschen abhingen, hielt man nicht viel. Objektive Ergebnisse brachte allein die Gehirnwäsche. Aufgrund dieser Errungenschaft war es der Justiz erst möglich, einen Beklagten auch als glaubwürdigen Zeugen entweder für oder gegen sich selbst zu verwenden. Das 133. Jahrhundert war in jeder Hinsicht vollkommen. Justizirrtümer gab es nicht. Als Perry Barnett erwachte, saß er wieder im Büro des Marinepsychologen Skeen. Er fühlte sich schwach, denn der Körper hatte während der letzten Stunde des Verhörs enorme Energien verbraucht. Skeen hielt Barnett ein Glas hin. »Nehmen Sie das zur Stärkung!« »Danke!« Barnett trank und wartete. Obwohl er die Ungewißheit wie einen spürbaren Schmerz empfand, wartete er in äußerliche Ruhe auf sein Urteil, das ihn in seinen Details nicht einmal interessierte. Was der Begriff ›Sohle 113‹ bedeutete, würde er früh genug am eigenen Körper erfahren. »Wie fühlen Sie sich?« fragte Skeen völlig unbeteiligt. Und das war schon sehr viel Anteilnahme. Barnett glaubte in diesem Augenblick einen durchaus menschlichen Zug an den Richtern zu bemerken. Leute, die ihresgleichen in die Verdammnis schicken, sind wahrscheinlich niemals ganz frei von einem gewissen Mitleid für ihre kriminellen Gegenspieler – und vielleicht auch nicht ganz frei vom Gefühl der eigenen Schuld. – In bezug auf Skeen war Barnetts Gedankengang jedoch völlig falsch. Skeen hatte nicht die geringste Handhabe dafür, ihn als Sträfling zu entlassen. »Sie sind frei, Barnett. Ich muß Ihnen das im Auftrag der höchsten staatlichen Macht mitteilen, weil das Gehirn so entschieden hat.« * Perry fand den Weg in seine Wohnung mit der Sicherheit eines Schlafwandlers. Wenn ihn jemand gefragt hätte, welche Straßen er gefahren war, er wäre nicht dazu in der Lage gewesen. Allein die Tatsache, daß er sein Heim von innen sah, empfand er als Wunder. Sein erster Handgriff galt dem Videophon. Auf dem Schirm tauchte Bannister auf, der wie vor den Kopf geschlagen dastand. Minuten später war der Freund bei ihm. Ihre Begrüßung hätte nicht anders sein können, wenn Barnett tatsächlich erst nach zwanzig Jahren zurückgekehrt wäre. »Ich bin frei, Forry! Verstehst du das?« Diesen vernünftigen Satz brachte Barnett erst zustande, nachdem sie beide etwas getrunken hatten. Der Freund stand immer noch unter dem Eindruck des freudigen Erschreckens. »Das Verstehen ist halb so wichtig. Die Tatsache ist das Wesentliche. Wie hast du es fertiggebracht, dem Gehirn zu entkommen?« »Ich bin durchaus nicht entkommen. Das Urteil ist unumstößlich. Das Gehirn selbst hat entschieden.« »Dann hast du vorher phantasiert. Nach dem, was du mir gebeichtet hast, mußte man dich verurteilen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Gehirn defekt ist.« »Das wäre der Untergang der Union. Nein, Forry, unser Urteil wird immer subjektiv sein. Es gibt nichts, was wir richtiger als das Gehirn machen könnten. Und ich zweifle nicht an seiner Urteilskraft.« »Und was willst du jetzt tun?« »Arbeiten. Dachtest du an etwas anderes?« »Ich befürchtete es.« »Schon gut, Forry! So schnell wirst du mich wahrscheinlich nicht los. Cox ist mit seinen
20
Leuten längst gestartet. Ich werde morgen wieder auf Sohle 84 sein und den Büroschemel drücken. Für die zwei ausgefallenen Tage hat Skeen mich bereits bei meinem Chef entschuldigt.« Bannister atmete sichtlich auf. Er war jetzt ganz gelöst und lachte zum erstenmal an diesem Tage ohne die geringste Verkrampfung im Gesicht. »Ich freue mich, Perry, daß du vernünftig bist. Du brauchst Abstand von den Ereignissen der letzten Wochen. Bestimmt hast du später mal Glück. Du bist noch jung.« Bannister lachte und behielt sein strahlendes Gesicht noch, als er sich verabschiedete und auf die Straße hinaustrat. Barnett blieb noch einige Zeit auf und spielte mit seinen drängenden Gedanken. Bannister hatte recht. Er brauchte Abstand von den Dingen. Im Augenblick war er ziemlich durcheinander. Aber schließlich faßte er den vernünftigen Entschluß, schlafen zu gehen. Morgen begann wieder der Alltag. Die Episode war zu Ende. Der Krieg und die Gemeinschaft der Unionsvölker forderten ihr Recht. Bei Barnett war es ihr Recht, zu verlangen, daß er seine Pflicht auf Sohle 84 als Ingenieur tat. Perry Barnett trug die Planetenschleife; bei ihm konnte man es also ganz bestimmt verlangen. Er stand auf und schaltete im Bad die Dusche ein. Drei Sekunden später meldete der Hausroboter Besuch. Barnett ging zurück und stellte das Wasser wieder ab. Der Roboter ließ inzwischen Bannister ein. »Nanu, Forry. Dir hängt ja die Zunge aus dem Halse. Mir scheint, du hast auf dem Expreßband noch einen Dauerlauf gemacht. Ist etwas passiert?« »Du mußt jetzt wissen, was du tust«, keuchte der Arzt. »Als dein Freund halte ich es für meine Pflicht, es dir zu sagen. Aber die Entscheidung liegt bei dir. Und vor zehn Minuten hast du etwas sehr Vernünftiges gesagt.« »Dafür redest du jetzt den größten Unsinn. Darf ich vielleicht erfahren, was das alles zu bedeuten hat?« »Ich habe sie gesehen.« »Wen?« »Cora.« Bannister fühlte Perrys Hand auf seiner Schulter. »Wo?« »Ich sah sie auf der Straße und ging ihr nach. Sie verschwand dann in dem Lokal, wo ihr euch kennengelernt habt.« »Wann war das?« »Wann wohl, Menschenskind? Vor fünf Minuten ...« Barnett dachte nicht mehr ans Schlafengehen. Er rannte hinaus, wie er war, und ließ den Freund einfach stehen. In der Bar schlug ihm Musik und verbrauchte Luft entgegen. Mit einem Blick fand er Cora, die an demselben Tisch wie vor vier Tagen saß. Sie starrte auf die Tischplatte und spielte gedankenverloren mit ihrem halbvollen Glas. Barnett war für sie durch andere Gäste verdeckt. Sie bemerkte ihn erst, als er vor ihr stand und um den Tanz bat. In seinen Armen verlor sich ihr ausdrucksloser Blick. Er spürte ihren Körper so nahe, daß es wie ein Schutzsuchen war. Sie sahen sich an und schwiegen. Nur einmal hörte Barnett, wie sie seinen Namen flüsterte. Dann gingen sie an den Tisch zurück. Doch die anderen störten sie. Alles, was sie sagen wollten, blieb unausgesprochen. »Gehen wir?« fragte der Mann. Sie nickte und folgte ihm. In seiner Wohnung waren sie ungestört. Als die Tür zuschnappte, küßte Cora ihn leidenschaftlich. »Wie hast du mich gefunden?« »Durch meinen Freund.« »Der uns verraten hat?« »Er mußte einiges gutmachen. Gern tat er es nicht. Er will mich nicht verlieren.«
21
»Ich will dich nicht verlieren.« »Hast du mich denn?« Sie ließ ihn los und trat ins Wohnzimmer. Sie setzte sich auf den roten Sessel, der sein Lieblingsplatz war. »Nein, wir haben uns beide nicht, Perry. Lassen wir also das alberne Spiel.« »Cora, so war es nicht gemeint.« »Laß nur. Es muß so gemeint sein. Vielleicht liebst du mich. Das wäre nicht gut. Ich liebe dich ganz bestimmt. Und es steht fest, daß es nicht gut ist. Können wir jetzt vernünftig reden? Wir haben keine Zeugen.« »Wir können.« »Gut. Cox läßt fragen, wie es dir geht.« »Danke, wundervoll. Ich hoffe von ihm das gleiche.« »Cox läßt fragen, ob du an deinen Vertrag denkst.« »Ich habe mehrere Verträge.« »Mit ihm hast du nur einen.« »Cora, ist es dein Ernst, daß er mich noch haben will? Ich habe eine Befragung beim Gehirn hinter mir.« »Du bist frei. Das genügt. Die Bedingungen sind geblieben. Kommst du jetzt mit?« »Ist Cox wirklich noch auf Terra?« »Er hat den Start deinetwegen um zwei Tage verschoben.« »Woher weiß er überhaupt, daß ich nicht verurteilt bin?« »Er weiß es nicht. Er nimmt es nur an. Anderenfalls hätten sie auch mich zu den Sträflingen gebracht.« »Das leuchtet mir ein.« »Du mußt dich beeilen.« »Verdammt, Cora! So schnell kann ich nicht ...« »Du kannst, Perry! Du brauchst nichts mitzunehmen. Bei Cox hast du alles, was du brauchst. Und Cox wartet nicht gern. Er ist dein Kommandant.« »Wenn ich nur wüßte, wer er wirklich ist.« »Solche Fragen mußt du dir abgewöhnen. Jetzt komm! Es wird Zeit.« Perry Barnett ging noch einmal durch alle Räume. Er hob hier und da einen Gegenstand auf und legte ihn dann wieder zurück. Auch an der Tür drehte er sich noch einmal um. »Träum nicht, Perry«, sagte Cora. »Mach dir den Abschied kurz. Das sind alles tote Sachen.« »Es war meine Welt.« »Ab morgen ist deine Welt größer! Komm, Perry! Komm!« Er drehte sich zur Tür. Dazwischen stand Cora. Sie war so nahe, daß er sie küssen mußte. Und sie küßte ihn wieder. »Weil es das letzte Mal ist«, sagte sie. »Ich verstehe das alles nicht. Warum soll es das letzte Mal sein? Du warst noch nie so traurig wie heute, Cora.« Sie riß sich los und gemeinsam betraten sie kurz darauf die Straße. Der Weg führte zur 12. Sohle hinauf. Es war der Weg nach oben. Die Ungewißheit nahm wieder von Barnett Besitz, und er vergaß, daß die Frau neben ihm Cora hieß. Von der Gasse PZ 384 waren es noch zehn Kilometer bis zum Bandende. Wenn Barnett geglaubt hatte, daß es ab hier mit dem Tunnelzug weiterging, so war das die erste Fehlspekulation. Cora fand in der Nähe des Bahnhofs einen Hauseingang, der auf ein Hotel schließen ließ. Sie durchquerten jedoch ein wahres Labyrinth von Gängen, ohne einem Menschen zu begegnen. In einem schlecht gelüfteten Zimmer trafen sie plötzlich auf eine altmodische Liftkabine, die offenbar an Stahl- oder Plastikseilen aufgehängt war. »Hier hinein!« kommandierte Cora. Es klang wie ein Befehl, und Barnett vermißte völlig
22
den scherzhaften Ton, der unter Freunden eigentlich zu einem solchen Wort gehört. Der Lift schoß nach oben. Wo sie ausstiegen, war es dunkel. »Sind wir schon oben?« fragte Barnett. »Fast. Dies ist ein Geheimgang etwa fünfzig Meter unter der Erdoberfläche.« »Demnach wären wir bereits höher als Sohle 1, nicht wahr?« »Stimmt genau. Aber frag jetzt nicht so viel. Wir müssen weiter.« Mit einer Handlampe beleuchtete Cora die Umgebung. Barnett erkannte eine Höhle, deren bizarre Unregelmäßigkeit verriet, daß sie teilweise von der Natur geschaffen war. Nur der Boden war eingeebnet, damit sich ein Fahrzeug darauf fortbewegen konnte. Dieses Fahrzeug stand hinter einer Felsnase. Es war kastenförmig, oben offen und hatte vier Räder, die auf Schienen liefen. Die Fahrt in dem vierrädrigen Vehikel nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Von Coras Handlampe beleuchtet, tanzte die zerklüftete Höhlendecke in ihren bizarren Formen wie eine Herde außergalaktischer Kobolde. Manchmal hing der Fels so tief, daß man ihn mit der Hand erreichen konnte. Manchmal schien er ganz zu fehlen, wenn sich der Lichtkegel in unbegrenzter Dunkelheit verlor. Die Fahrt dauerte eine gute halbe Stunde. Als sie ausstiegen, verriet Cora, daß sie beinahe hundert Kilometer zurückgelegt hatten. Bei dem Zustand des Fahrzeugs war das eine anerkennenswerte Leistung. Cora ging voran. Immer noch durch die Höhle. Durch Gänge und Abzweigungen. Bis sie schließlich erneut vor einem Lift anhielten. »Das letzte Stück«, sagte sie. »Wir fahren jetzt nach oben, Perry. Über uns sind siebenhundert Meter Fels. Ja, ja, es stimmt. Wir stecken in einem Berg. Und zwischen den Gipfeln dieses Berges liegt ein Plateau. Komm jetzt. Du mußt den Raumhelm aufsetzen. Terra hat keine Atmosphäre mehr.« * Die Sterne, nach denen Barnett sich zwei Jahre lang gesehnt hatte, waren prosaischer als erwartet. Das lag vor allem an seiner Verfassung, in der er das Plateau betrat. Der Augenblick brachte mehr als nur den Eindruck des nächtlichen Himmels. Er sah Bergkuppen im Mondlicht. Und dazwischen den schlanken Leib eines Raumschiffes der Beteigeuze-Klasse. Es hieß CORA. Sonderbar, warum ausgerechnet CORA? * Cora gab einige kurze Blinkzeichen mit ihrer Lampe. Dann gingen sie los. Es war ein Abstieg über felsiges Gelände. Das Schiff lag etwa fünfzig Meter tiefer. Am Fuße der Wand standen zwei Männer. Wegen der Raumhelme konnte Barnett sie nicht erkennen. Er nahm sich jedoch vor, die Namen Perkins und Lisman zu behalten. Auf dem Schiff würde er schon die passenden Gesichter dazu herausfinden. Die Begrüßung durch Cox war äußerst kollegial. »Zum Teufel, Barnett! Wie haben Sie das geschafft? Sie sind der erste Mann, der dem Gehirn ein Schnippchen geschlagen hat. Entweder ist das der Beweis dafür, daß wir ein neues Gehirn brauchen oder daß Sie ein Mann sind, wie es ihn noch nie gegeben hat.« Perry fand nicht heraus, ob Cox das ironisch oder in vollstem Ernst meinte. Etwas klarer konnte er schon in den Gesichtern der anderen lesen. Da waren Perkins und Lisman. Und außerdem Talcott und der verlegen grinsende Lavista. Diese vier Männer standen etwas reserviert beiseite. In ihrer Haltung war nichts von Zuneigung, ja nicht einmal das geringste
23
Einverständnis mit dem neuen ›Ersten‹ zu entdecken. Im Kommandoraum fühlte er sich wie ein Volontär. Sobald das Startmanöver begann, schien man ihn gar nicht mehr zu beachten. »Wir sind frei«, sagte Cox. Ohne daß man den geringsten Andruck gespürt hatte, war der CORA der Sprung aus Terras Schwerebereich gelungen. Der Planet hing im Fadenkreuz des Heckschirmes und schrumpfte von Sekunde zu Sekunde sichtbar zusammen. »Wir sind frei«, wiederholte Perry Barnett leise, und es klang wie Aufatmen oder wie ein Dankgebet. »Jetzt ist Ihnen aber ein Stein vom Herzen gefallen, was?« Cox hatte noch immer Ironie in der Stimme. Und Talcott und Lisman hatten sie in den Augen. »Nun, was macht das Fliegen, Barnett? Fühlen Sie sich stark?« »Sagen Sie mir das Ziel, Cox.« »Das Ziel ist weit. Ich denke, zunächst genügt der Kurs. Nehmen Sie Rektaszension 7h, Deklination 10 Grad Süd.« »Okay, Sir!« Barnett wechselte mit Cox die Plätze. Er ließ das Mikrophon aufspringen. »Erster Offizier an Besatzung. Flugwache hört auf mein Kommando.« Barnett machte nur zwei Handgriffe, um eine geringe Kursänderung zu erreichen. Wenige Sekunden später lag das Sternbild Einhorn im Zentrum der Kurstafel. Er registrierte zufrieden, daß er dieses Manöver ohne Tabellen geschafft hatte. Etwas war also doch noch von der alten Routine hängengeblieben. Da der Kurs wenig mehr als 20 Grad von der Ekliptik abwich, sah Barnett sich in Höhe des Asteroidengürtels veranlaßt, seine Aufmerksamkeit zu erhöhen. 30 Millionen Kilometer hinter der Marsbahn ertönte das erste Warnsignal für sich nähernde Materie. Der Radarschirm Steuerbord vorn sprach an, zeigte aber nur einen einzelnen Punkt. Barnett unternahm nichts. Er reagierte auch nicht, als drei weitere Gegenstände in den Meßbereich eindrangen. Alle Bahnen zeigten ausgesprochenen Planetoidencharakter. Jeder Raumfahrer konnte sich an den fünf Fingern abzählen, wo die Punkte wieder vom Schirm verschwinden würden. Als der erste abgewandert war, lagen elf weitere Ortungen auf den Schirmen Backbord vorn und Steuerbord vorn und Mitte vor. Zwanzig Minuten später wimmelte es auch auf den Heckschirmen von schleichenden Punkten, und die Zunahme vorn wollte kein Ende nehmen. Ich glaube, der alte Teufel Cox hat diesen Kurs mit Absicht so gesetzt. Und zwar einzig und allein, damit ich ins Schwitzen komme, überlegte Barnett. In Erkenntnis dieses Planes nahm er sich vor, so lange wie möglich ohne Kursänderung zu fliegen. – Mich bringt ihr so schnell nicht durcheinander. Hoffentlich nicht! Es ist zwei Jahre her, daß man mich durch ein so schwieriges Gebiet gejagt hat. Aber ich werde mich nicht kriegen lassen. Der nächste Asteroid war bereits auf 1,8 Millionen Kilometer heran. Dahinter standen vier auf 2 bis 5 Millionen Kilometer. Der dritte davon konnte als einziger gefährlich werden, da er auf Null Grad zur Schiffskoordinate lag. Barnett schaltete den Kalkulator ein und fand heraus, daß der Körper dreitausend Kilometer vor ihnen passieren würde. Die Sicherheitsvorschrift hatte bei der Marine auf fünftausend Kilometer gelautet. Aber offenbar war hier alles anders. Barnett ließ es also darauf ankommen und änderte den Kurs noch immer nicht. Da das Radar auch in größerer Entfernung keinen Körper auf null Grad fand, konzentrierte sich Barnett auf den erwähnten Burschen und kuppelte bei drei Millionen Kilometer den Bildschirm sowie die Hauptprojektionsfläche unter der Decke des Kommandoraumes. Vor den Augen der Männer rollte das Geschehen wie in einem Zeitlupenfilm ab. Aus dem Punkt wurde ein Fleck, und aus dem Fleck ein dreidimensionales Ding. Ein Körper wie ein Fragment, formlos und zerklüftet. Bizarre Schatten lagen zwischen den Stellen, die
24
Sonnenlicht reflektierten. Der Planetoid füllte im Bildschirm ein Viertel der Fläche aus. Ein seltsames Bild für Raumfahrer. Und ein erhabenes Bild. Es spricht immer wieder auf das Gefühl des Menschen an. »Beim Allgeist!« hauchte Talcott ehrfürchtig. »Ist das ein Brocken!« »Irrtum«, sagte Barnett. »Sein größter Durchmesser beträgt fünfunddreißig Kilometer. Es ist die Nitroka. Beachten Sie die Ruinen der Bergwerksbauten. Da hat man vor zwei Generationen radioaktive Substanz abgebaut.« »Das glauben Sie doch selbst nicht, Barnett.« »Fragen Sie Ihren Chef!« »Ist das wahr, Cox?« Der Kapitän nickte. »Barnett hat recht.« »Verdammt, dann sind wir ja viel zu nahe dran! Schmeißen Sie doch den Kerl vom Pilotensitz!« »Ich glaube, bei Ihnen sitzt der Asteroid schon im Gehirn«, erklärte Cox. »Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre Triebwerkkontrolle!« »Aber der Kerl manövriert doch wie ein Verrückter!« Barnett brachte zum erstenmal ein schwaches Grinsen zustande. Er wußte jetzt wenigstens, daß Talcotts Frechheit mit einer gehörigen Portion Feigheit gepaart war. Talcott beruhigte sich, da die anderen offenbar keine Gefahr sahen. Trotzdem beteiligte er sich erst dann wieder am Gespräch, als der Planetoid vorüber war. Barnett ließ den Materiesammler aufleuchten und stellte fest, daß die Dichte der Körper im Abklingen war. Das Schlimmste hatten sie also hinter sich, und vor ihnen dehnte sich der freie Raum mit einigen ungefährlichen Planeten und Kometen. Die vorderen Radarschirme waren bereits frei, als achtern im Gewimmel von einem Dutzend Asteroiden ein Punkt auftauchte, dessen Bahn 90 Grad von der verlangten abwich. Die Messung ergab eine gleichbleibende Annäherung. Also ein Gegenstand, der sich radial von der Sonne entfernte. Das konnte nur ein Raumschiff sein. Im selben Moment spürte Barnett die Hand von Cox auf seinem Arm. »Lassen Sie mich ans Kommando!« In Barnett wurde der Stolz wach. »Muß das sein? Ich habe laut Dienstplan noch vier Stunden Wache.« »Ja, sehen Sie denn das Schiff nicht hinter uns?« »Klar sehe ich das. Man verfolgt uns. Aber das ist doch kein Grund, daß ich schlafen gehe.« Cox zögerte. »Wann haben Sie den Raumer bemerkt?« »Seitdem er aufgetaucht ist.« »Und wie wollen Sie reagieren?« »Beschleunigen!« »Und sonst nichts?« »Wenn das nichts nützt, in den Raumsprung gehen. Auf jeden Fall abhauen.« »Weshalb abhauen?« blieb Cox hartnäckig. »Weil mich die Behörde von Terra sucht. Ich denke, das Gehirn hält sein Verbot für meine raumdienstliche Verwendung aufrecht, und man hat gemerkt, daß ich geflohen bin.« »Okay!« gab der Kapitän sich zufrieden. »Aber lassen Sie das Schiff nicht näher herankommen. Auf einen Schußwechsel können wir uns hier im Sol-System nicht einlassen. Dazu sind wir zu bekannt.« Barnett verstand dieses Argument nicht, unterließ aber auch jede entsprechende Frage. Er nahm sich nur vor, aufzupassen, um aus den Gesprächen der anderen eventuell etwas zu erfahren. Wenn Cox für den Sicherheitsdienst der Union arbeitete, war er bestimmt ein Mann ohne Kompromisse. Wenn er aber für andere arbeitete, dann war er sogar gefährlich für Barnett. Und Barnett wollte nicht so recht an den Sicherheitsdienst glauben. Denn dann wäre
25
eine Verfolgung durch die Polizei oder die Marine völlig sinnlos. Perry Barnett war in Gedanken versunken, als er feststellte, daß der Gegner das Feuer eröffnete. Der Schreck riß ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Noch vor der Jupiterbahn ging die CORA unplanmäßig in den Hyperraum. * Der Raumsprung verzerrte scheinbar alle Maße und Verhältnisse. Der Raumsprung der CORA, dieses modernen Schiffes der Beteigeuze-Klasse, war mit der gekuppelten Zeitdilationsbremse ein Abenteuer durch die Paradoxa der sich aufhebenden Naturgesetze. Die Kurve wurde kürzer als die Gerade, die sich überholende Zeit lief in sich selbst zurück und neutralisierte die Differenz zwischen den Bezugssystemen außerhalb und innerhalb des Schiffes. Der starre Fixsternhimmel geriet in den Sog der Ortsveränderung, und die Lichter des Firmaments zogen in Streifen und Spiralen über den Bildschirm, als stürze das Raumschiff in einen Schlund, vor dem die ganze Galaxis nicht sicher schien. Barnett hatte diesen Anblick erst einmal erlebt. Nämlich damals vor zwei Jahren auf seiner letzten Ausbildungsreise nach Zentaurum. Heute erlebte er ihn ein zweites Mal und fühlte wieder die prickelnde Ehrfurcht vor der letzten Schranke der Weltgeheimnisse. Hier mußte die Grenze des Alls überhaupt liegen. Hier bot sich das Universum plastisch als ein pulsierender Kreis. Mitten in dieser Betrachtung durchfuhr ihn das Entsetzen. Das Heckradar zeigte den Punkt, dem sie entwischt zu sein glaubten. »Verdammt!« zischte Barnett und deutete mit dem Finger darauf. Auch Cox war sehr beeindruckt. Denn sonst hätte er seinen Ersten jetzt bestimmt fertiggemacht. »Ich begreife das auch nicht. Wir sind zweifellos im Pararaum. Aber der Verfolger auch.« »Hä?« kam die schnoddrige Stimme Lismans aus dem Hintergrund. Dem Tonfall nach hielt er die beiden Vorgesetzten offenbar für verrückt und glaubte ihnen kein Wort. Es war allerdings kaum zu fassen! Ein Verfolger fand sein Opfer im Hyperraum wieder! So etwas hatte die Kriegsgeschichte noch nicht gesehen. Sobald Lisman heraus hatte, daß Cox die Wahrheit sprach, wurde er merklich ruhiger. Er mußte wohl Angst haben. Barnett fand das fremde Schiff wieder auf 70 Millionen Kilometer Entfernung. Das war etwa die gleiche Situation wie vorher. Nur daß der Schuß des Verfolgers fehlte. Denn der Schuß hatte den Raumsprung nicht mitgemacht. »Was geschieht, wenn er noch einmal feuert?« fragte Barnett. »Wir werden antworten«, sagte Cox und gab Befehle für Lavista und Perkins, die sofort auf Gefechtsstation kamen. »Der Hund hat gefeuert!« schrie Talcott erregt. »Halt die Klappe, du Blitzmerker!« fauchte Perkins und schoß ebenfalls. Sie verfolgten den Lauf des Torpedos im Bildschirm. Barnett nahm eine Kursänderung von drei Grad vor. Doch auch der Gegner gelangte durch ein ähnliches Manöver aus der Gefahrenzone. »Torpedos sind zu langsam«, maulte Lavista. »Man gut«, sagte Lisman. »Sonst wären wir vielleicht nicht mehr.« Barnett ließ in diesem Augenblick aus eigenem Ermessen die CORA in das normale Kontinuum zurückfallen und änderte noch einmal den Kurs. Die anderen warteten schweigend auf das Ergebnis. Es war gut. Denn der Verfolger hatte jetzt offenbar doch den Kontakt verloren. Nach einer Minute ging Barnett erneut in den Hyperraum.
26
»Verdammt! Der strapaziert aber unsere Aggregate!« lästerte Lisman, der offenbar sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. »Es wird Ihre Sorge sein, lieber Lisman, die Sammler rechtzeitig aufzuladen«, erklärte Barnett. »Im übrigen wurde ich Ihnen namentlich vorgestellt.« »Okay, Barnett! Und damit auch Sie es wissen: Ihr ›Lieber‹ bin ich nicht.« »Sie unterschätzen sich, lieber Lisman. Ich jedenfalls mag Sie furchtbar gern leiden.« Diesmal galt Talcotts Schadenfreude seinem Kameraden. »Mensch, Lisman, so was habe ich auch noch nicht erlebt, daß du nicht wechseln kannst. Hast wohl kein Kleingeld mehr, was? – Au!« Barnett konnte es nicht unterlassen, sich umzudrehen. »Zu spät, Sir«, sagte Lisman. »Ich habe ihn ins Hinterteil getreten.« In diesem Moment erklang das Zeichen zum Wachwechsel. Cox schaltete die Automatik ein. »Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück. Falls Radar was meldet, rufen Sie mich, Lisman. Kommen Sie mit, Barnett! Ich zeige Ihnen jetzt Ihre Kabine.« Der Captain und sein Erster gingen. Die Kabine war durchaus komfortabel. »Gefällt es Ihnen?« »Völlig okay!« »Dann machen Sie es sich bequem. Garderobe und Wäsche finden Sie in dem grünen Schrank, alles andere in dem roten. Der Bordruf hängt hier über Ihrer Koje. Ist alles beschriftet. Ganz rechts das Robotmikrophon. Wenn Sie es bis 10 durchschalten, können Sie aus jeder Ecke des Zimmers sprechen.« »Und wo ist der Robot?« »Unterm Bett.« »Okay! Aber ...« »Fehlt noch etwas?« »Television. In der Nähe von Unionswelten würde ich gern Nachrichten sehen.« »Die Möglichkeit besteht hier selten. Sie müßten dann schon in den Gemeinschaftsraum gehen.« »Hm, gut, man wird sich bescheiden müssen.« »Das klingt, als würden Sie die Propaganda vermissen. Ich hoffe, diese Einstellung eines Höhlenterraners wird sich bei Ihnen noch legen. Hier draußen zählt die Wirklichkeit.« »Trotzdem! Man ist immer nur an einer Stelle. Und als Zivilist meistens da, wo gerade nichts los ist. Ich lasse mich gern über die Gesamtlage auf den Kriegsschauplätzen unterrichten. Oder finden Sie es komisch, daß sich ein Unionsbürger für diese Dinge interessiert? Ich denke, es ist sogar unsere Pflicht, Bescheid zu wissen.« Cox zog ein Gesicht. »Das ist vollkommen richtig. Zu diesem Zweck haben wir ja auch die Anlage im Gemeinschaftsraum. Nur sollten Sie nicht darüber trauern, daß Sie ein Zivilist sind. Auch wir geraten dann und wann in Gegenden, wo etwas los ist. Oder hat Ihnen die Verfolgung vorhin nicht genügt?« »Ich will mich über den Mangel an Gefahren im Weltraum nicht beklagen. Aber das Wesentliche an diesem Krieg ist doch wohl, den Prokas gegenüberzutreten.« »Das Wesentliche ist, daß Sie hier Ihren Posten als Erster ausfüllen. Den Unsinn mit den Prokas sollten Sie sich abgewöhnen. In der Beziehung haben Sie die Einstellung eines Rekruten.« »Cox!« »Ja, bitte?« »Gehört es vielleicht auch zu meinen Pflichten, mir solche Reden gefallen lassen zu müssen?« Der Captain ging zwei Schritte auf Barnett zu.
27
»Wenn Sie zimperlich sind, werden Sie hier nicht lange machen. Außerdem ist die CORA kein Kriegsschiff. Vergessen Sie also, daß Sie einmal Leutnant waren. Dagegen können Sie mehr sein, sobald ich herauskriege, daß Sie zu gebrauchen sind.« »Okay, Cox!« Der Captain grinste. »Das klingt schon besser. Also, Barnett, legen Sie sich in die Klappe. Und vergessen Sie die Prokas!« Auch Barnett versuchte ein Grinsen. »Sind Sie sich im klaren darüber, daß das die schwierigste Aufgabe ist, die Sie mir jemals stellen können? Überlegen Sie! Die Prokas vergessen, die ich hasse! Verraten Sie mir wenigstens, was für ein Gefühl Sie hatten, als Sie zum ersten Male einem solchen Burschen gegenüberstanden.« »Überhaupt keins. Ich habe nämlich noch nie einen Proka gesehen.« »Noch nie?« »Ist das so erstaunlich? Von meiner Besatzung war noch keiner so glücklich.« * Barnett fand die ersten ruhigen Minuten nach seiner überstürzten Flucht aus den Terrahöhlen. Er fragte den Robot nach der Uhrzeit und nach dem nächsten Nachrichtenprogramm. Bis dahin waren noch zwei Stunden Zeit, die er zum Schlafen nutzte. Nach genau zwei Stunden weckte ihn der Roboter. »Es ist Zeit für die Nachrichten, Sir! Bitte, stehen Sie auf.« »Okay, Robby! Schade, daß du kein Interesse an diesem verdammten Krieg hast.« »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Sir.« »Ich verstehe es selbst nicht, Robby. Bis später!« Barnett ging in den Gemeinschaftsraum. Es war niemand anwesend. Die Nachrichten sah er sich allein an. Typisch, dachte er. Keiner interessiert sich für die Lage. Keinen interessiert der Krieg, obgleich die CORA auf das Einhorn zujagt, wo Prokyon und Sirius immerhin kosmische Nachbarschaft haben. Er starrte auf den Beginn eines Duells zwischen einem Marskreuzer und einem ProkaSchlachtschiff. Sie feuerten zugleich ... Aus! Barnett sprang auf, um den Bildschirm wieder einzustellen. Doch Cora hielt ihn davon ab. »Laß diesen albernen Kram, Perry!« »Cora!« »Mach den Mund zu und leg dich schlafen. Du brauchst deine Nerven noch früh genug. Aber nicht für diesen Quatsch.« »Cora! Sei vorsichtig! Ich kann diese Gleichgültigkeit aus deinem Mund nicht vertragen.« Er wollte sie anfassen. Aber sie riß sich los und stieß ihn zurück. Ausgerechnet das beobachtete Lisman, der seinen Kopf gerade durch das nächste Schott schob. »Hallo, Barnett! Lassen Sie die Finger von dem Mädel!« »Als was soll ich diese Unverschämtheit auffassen?« »Als freundliche Empfehlung ...« Cora lief davon, und Lisman kam näher. Und dabei grinste er respektlos wie ein Zivilist. Barnett fiel im Augenblick keine niederträchtigere Bezeichnung ein. »Ich bin neu an Bord, Lisman. Das dürften Sie begriffen haben.« »Okay, Sir!« »Dann bitte ich Sie, zu bedenken, daß ich bisher noch keine Gelegenheit hatte, mich mit Ihren Respektlosigkeiten vertraut zu machen. In meinen Augen ist das hier ein disziplinloser Saustall ...« »Moment, Barnett ...«
28
»Lassen Sie mich ausreden, Maschinist. Ich habe Ihnen erklärt, was die Mannschaft in meinen Augen ist. Und ich verlange, daß Sie das zur Kenntnis nehmen. Die Zukunft wird zeigen, ob ich mich an Ihre Art gewöhne – oder Sie sich an die meine. Kapiert?« »Okay, Sir!« »Und nun erklären Sie mir deutlicher Ihre freundliche Empfehlung!« Barnett fand hinter Lismans Grinsen einen Schimmer von Respekt. »Ich wollte sagen, Sir ... Ich wollte sagen, daß Cora und Cox verlobt sind. Halten Sie sich da lieber raus.« »Okay! Sie können gehen!« * Die Zielkoordinaten blieben drei Wochen lang dieselben. Also 7h und 10 Grad Süd. Nur über die Entfernung wollte Cox sich nicht näher auslassen. Bis Barnett es nach einer Wachablösung selbst merkte. Cox flog auf Beteigeuze zu und gab den Befehl, diesen Kurs zu halten. Die Flugwachen waren mit der Automatik so gut wie die Freizeit. Man stellte nach Kontrolle aller Geräte auf Autopilot und ließ sich im Sessel nach hinten fallen um zu dösen. Lisman und Talcott schnarchten bereits nach fünf Minuten fest. Barnett quälten noch die Gedanken. Beteigeuze – dachte er. Die beiden Planeten dieses Gassternes waren seit fünf Generationen fest in den Händen der Union. Prokas würde es dort also nicht zu sehen geben. Immerhin ließ sich das Ziel mit einiger Sicherheit ahnen, und in knapp vier Wochen würde sich vor Barnett eine neue Zivilisation auftun. Die Zivilisation des Planeten Tremik. Das bevorstehende Erlebnis machte ihn unruhig. Es ließ ihm aber andere Fragen, die vor kurzem noch im Vordergrund standen, als unwichtig erscheinen. An Coras abwesender Art hatte sich nichts geändert. Und das gespannte Verhältnis zwischen Barnett und der Besatzung war allmählich zum Dauerzustand geworden. Man gewöhnt sich an alles, dachte Barnett fatalistisch. * Tremik, der zweite Planet des Riesensterns Beteigeuze, war eine ideale Welt für Menschen. Für Terraner, die aus ihrer unterirdischen Heimat kaum noch eine Erinnerung an ein Leben in natürlicher Frischluft mitbrachten, war Tremik sogar das Paradies. Das Leben spielte sich in seiner urtümlichen Art an der Oberfläche ab. Auf Tremik drängte sich das satte Grün der Wälder wohltuend zwischen die Betonstädte der Zivilisation. Auf Tremik schien eine Sonne, auf Tremik war die Luft ein Lebenselixier, und auf Tremik herrschte eine Fallbeschleunigung von 8,25 Metern. Es war hundertvierzig Jahre her, daß der Krieg an diesem Planeten vorbeiging und ihm nur einen geringfügigen Denkzettel mitgab. Die Spuren der Zerstörung waren längst getilgt. Und die Menschen hatten auch aus der Überlieferung kaum noch eine Erinnerung daran. Ob sie allerdings glücklich waren? – Barnett kam von einem ersten Spaziergang aus der Umgebung zurück. In seiner Kabine überlegte er, was er für die Stadt mitnehmen sollte. Hielt man dort etwas auf gepflegte Garderobe? »Was zieht man denn an in Tremik-Town-17, Robby? Hast du eine Ahnung?« »Ich weiß es nicht, Sir. Denn ich kenne diese Stadt nicht.« »Kennst du wenigstens diesen Planeten? Weißt du, was wir hier wollen?« »Ich weiß es. Aber ich darf es nicht sagen, Sir. Dienstgeheimnis.«
29
»Schön, ich will dein Gewissen nicht belasten. Sonst brennt dir noch ein Kontakt durch. Da ich hier offenbar überflüssig bin, wird es einige Tage dauern, bis wir uns wiedersehen.« In der Nähe der Schleuse traf er Cox. »Hallo, Barnett! Noch immer hier? Ich denke, Sie konnten es kaum erwarten, Tremik-Town17 kennenzulernen.« »Ich habe meine Bude noch etwas aufgeräumt. So long, Cox. In drei Tagen bin ich zurück.« »Good bye, Barnett! Und vergessen Sie nicht, zwischendurch Ihr Geld zu zählen!« Es war klar, daß die anderen ihn los sein wollten. Barnett fühlte sich wie ein Ausgestoßener. Alle anderen steckten unter einer Decke. Und bei einem solchen Haufen spielte er nun Erster Offizier! Er stieg in die Kurzstreckenkuppel und flog damit dicht über den Wald in der von Cox angegebenen Richtung. In einer Entfernung von 75 Kilometern lag die Stadt, in der es anscheinend nicht die geringste Kontrolle gab. Jedenfalls war Cox der Meinung gewesen, daß man sich bei einem solchen Ausflug am besten ohne Ausweispapiere bewegte. Im Weichbild von Tremik-Town-17 herrschte bereits reger Luftverkehr, der zum Zentrum hin immer mehr zunahm. Für Barnett war dieses Gewimmel ungewohnt, und er hatte Mühe, mit den einzelnen Signalbojen fertigzuwerden. Schließlich erreichte er das ihm empfohlene Landedach und stellte die Kuppel dort ab. »Hallo! Sie haben vergessen, die Parkuhr zu drücken!« rief ihm jemand nach. »Oh, Verzeihung! Ich war ganz in Gedanken.« Barnett wurde sein erstes Kleingeld los. »Wohl neu hier, was?« fragte der andere. Er war ein gemütlicher Mensch mit einem harmlosen Grinsen. »So ziemlich«, sagte Barnett vorsichtig und eilte zum Schwerkraftlift, der ihn nach unten brachte. Die Stadt war ein Wunder. Was sich auf Terra in engen unterirdischen Schluchten und Höhlen abspielte, atmete hier die Atmosphäre der Weiträumigkeit. Breite Straßen und grüne Parks lockerten die zum Himmel strebenden Häuserblocks auf. Und der Himmel selbst war blau wie ein ... wie ein ... Barnett fand keinen Vergleich. Ein solches Blau hatte er noch nie erlebt. Drei Stunden ging er durch die Straßen, um sich satt zu sehen. Er mußte gehen, denn Transportbänder gab es nur unterirdisch. Und er wollte unter allen Umständen oben bleiben und die Sonne Beteigeuzes genießen. Nach Lebewesen fremder Spezies hielt er vergebens Ausschau. Es wimmelte von Menschen, wie er selbst einer war. Tremik entpuppte sich als reiner Kolonialstern. Sogar Barnetts Kleidung war gut angepaßt. Er schien hierher zu gehören. Bloß seine innere Einstellung war offenbar anders. Der freundliche Anblick dieser Stadt stand in totalem Kontrast zur Gesamtsituation in der Galaxis. Niemand schien hier an Krieg zu denken. Die wenigen Aufklärungsplakate wurden von keinem Menschen beachtet. Und an einer Straßenecke war sogar die Anlage zur Bewegung des Bildes außer Betrieb. Der häßliche Proka-Teufelskopf verharrte in absoluter Erstarrung. Auch das merkte niemand, nicht einmal ein uniformierter Angehöriger der Schutzwacht. Barnett empfand plötzlich Haß gegen diese Menschen, die in ihrer satten Zivilisation dahinlebten, als herrschte in der Galaxis tiefer Frieden. Er war froh, gegen Einbruch der Dunkelheit engere Straßen zu erreichen, die in ihrer farblosen Art schon etwas mehr an die spartanischen Verhältnisse von Terra erinnerten. Im nächsten Hotel bestellte er sich ein Zimmer für die Nacht. Er bekam es tatsächlich, ohne sich ausweisen zu müssen. Dann ging er in den Gastraum und trug dem Robotkellner die Bereitung eines reichhaltigen Essens auf. Hier im Restaurant war der Unterschied zu den terranischen Verhältnissen am geringsten. Musik und lautes Sprechen erfüllten den Raum. In einer freien Ecke tanzten zwei
30
Paare nach den Rhythmen der Tonkonserve. Als Barnett gegessen hatte, waren es noch genau fünf Minuten bis zur Nachrichtensendung. Er suchte den Bildschirm zunächst vergeblich, fand ihn dann aber oberhalb der Bar, halb von einem Tuch verdeckt. Dieses Tuch starrte er so lange an, bis die fünf Minuten herum waren. Er hockte noch eine sechste Minute, ohne daß aber einer im Saal etwas unternahm, um das Tuch zu entfernen und das Gerät einzuschalten. Perry Barnett war bis zu diesem Zeitpunkt niemandem besonders aufgefallen. Doch das änderte sich mit einem Schlage. Sein Haß gegen die Prokas war während seines kurzen Aufenthaltes in Tremik-Town-17 auch auf die eigenen Artgenossen übergegangen. Die Gleichgültigkeit der Menschen wirkte auf ihn wie das rote Tuch auf den Stier. Er rief nach dem Kellner. Lauter, als es notwendig war. Und das schon verursachte, daß sich mehrere Gäste nach ihm umsahen. Der Roboter kam herangerollt und fragte leidenschaftslos nach Barnetts Wunsch. »Ich möchte die Nachrichten sehen.« »Gewiß, Sir. Ich werde es ausrichten.« »Okay! Aber bitte unverzüglich. Sieben Minuten der Sendung sind bereits verstrichen.« »Gewiß, Sir.« Der Robot verschwand und bewies durch seine unverzügliche Rückkehr, daß er ein guter Dienstbote war. »Mr. Quickly bittet Sie, auf Ihren Wunsch zu verzichten. Die Sendung könnte andere Gäste stören.« Barnett empfand diese Äußerung als das Ungeheuerlichste, das er jemals gehört hatte. Sein erster Verdacht galt Mr. Quickly, dem er ohne weiteres nach dieser Auskunft geheimes Einverständnis mit den Prokas zutraute. »Sage Mr. Quickly, daß ich ihn sofort sprechen muß, und daß er sich auf dem Wege hierher überlegen soll, welche seiner Gäste sich durch die amtliche Volksunterrichtung gestört fühlen könnten.« Der Robot verschwand erneut und kam mit der Nachricht zurück, daß Mr. Quickly nicht zu sprechen sei und ihm, Barnett, empfehle, sich die Nachrichten woanders anzusehen. Der Maschinenkellner rollte sich schnell zur Seite, als Barnett aufsprang. Er stellte sich ganz dicht vor seinen Nachbarn. »Was ist Ihre Meinung, Sir? Vermissen Sie nicht auch die neuesten Nachrichten von den Kriegsschauplätzen?« Der Angesprochene war ein älterer freundlicher Herr, der sich auch durch Barnetts kompromißlose Haltung nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Nein, ich vermisse sie gewiß nicht. Es genügt, daß wir für den Krieg arbeiten. In meiner Freizeit möchte ich Mensch sein. Die Berichte vom Krieg erzeugen nur Verbitterung. Gehen Sie an ihren Platz, junger Feuerkopf, und richten Sie sich nach der Allgemeinheit.« »Nach der Allgemeinheit? Sind Sie die vielleicht? Oder Sie? Oder Sie?« Barnett sah bei jeder Frage einen anderen Gast an und kam in seiner Wut gar nicht auf den Gedanken, daß er sich durch einen solchen Auftritt sämtliche Anwesenden zum Feind machte. Es lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens, daß alle dreißig Gäste eines Restaurants ausnahmslos Verräter an der Sache der Union sein könnten. Einer der Angesprochenen murmelte kaum verständlich, Barnett solle ihm den Buckel herunterrutschen. Ein anderer sagte gar nichts, grinste nur geringschätzig und wandte sich wieder seinem Glas zu. Doch diese Bewegung war aufreizender als jedes ablehnende Wort. Barnett sprang ohne Warnung vor, schlug dem Kerl das Glas aus der Hand und riß ihn nach hinten aus dem Sessel. Der andere überwand den Nachteil der Schrecksekunde überraschend schnell. Perry hätte ihn freilich in jedem Falle angegriffen, ohne seine voraussichtlichen Körperkräfte vorher zu
31
taxieren. Aber jetzt war die Verblüffung auf seiner Seite. Der Fremde war wesentlich stärker, als er in seinem schmalen Anzug ausgesehen hatte, und ging sofort zum Gegenangriff über. Durch zwei technische Griffe, die ihm von der Kriegsschule her noch in den Knochen steckten, machte Perry Barnett sich los und zwang den anderen wieder auf den Boden. Eine Sekunde später wurde ihm jedoch klar, daß er mindestens zwei Gegner hatte. Er mußte den anderen loslassen, um sich mit den Händen an seinem Hals zu beschäftigen, die jemandem gehörten, der hinter ihm stand. Es war wohl ein Zufall, daß er die beiden kleinen Finger sofort zu fassen bekam. Er bog sie ohne Scheu nach hinten und konnte einen Augenblick frei atmen – bis ihn ein Gegenstand an der Schulter traf, der bis ins Rückgrat hinein wirkte. Der Schlag war für Barnett das Zeichen zum Kampf ohne jede Regel. Aus sportlicher Gewohnheit wäre er nie von selbst auf die Idee gekommen, die Arbeit der Fäuste durch harte Gegenstände zu unterstützen. Sein letzter Schmerz ließ ihn aber allen Drill vergessen. Rein instinktiv griff er nach seiner Pistole und schlug sie dem Nächstbesten an den Kopf. Er schlug noch einen zweiten. Das gab etwas Luft. Nur bewirkte der Anblick einer Schußwaffe bei den anderen, daß sie gegen Barnett vorrückten. Einer stolperte über den ersten Besinnungslosen und torkelte genau in Barnetts linke Faust. Trotzdem blieb eine zwölffache Übermacht. Der gesunde Menschenverstand hätte Barnett eigentlich veranlassen sollen, sich nach der Hintertür zu orientieren. Als Verteidiger der Ehre der Nation war ihm das aber völlig unmöglich. Er zwang einen vierten Gegner mit dem Kolben der Pistole zu Boden und wurde dann von drei Seiten buchstäblich auseinandergezogen. Aus zwölf gesitteten Gästen war ein Haufen Raufbolde geworden, und sie nahmen Barnett in die Mache, als wäre er eine Strohpuppe. Die Chance, hier noch lebend herauszukommen, war für ihn gleich Null, obwohl er noch atmete, noch die Sinne einigermaßen beieinander hatte und krampfhaft nach der Möglichkeit einer Gegenwehr suchte. Die Rettung war ein etwa dreißig Pfund schwerer Plastiksessel, der plötzlich quer durch den Raum geflogen kam und mitten in der angreifenden Gruppe landete. Der Anprall warf vier Männer sofort um. Die anderen sieben hielten es für angebracht, sich um die neue Gefahr zu kümmern, und rannten automatisch auf einen Mann zu, der in zehn Meter Entfernung gerade tief Luft holte. Der Herdentrieb gestattete nicht eine Ausnahme, so daß Barnett plötzlich ohne jede Bedrängnis aufstehen konnte. Er war zweifellos reif fürs Bett und für eine fürsorgliche Pflege. Doch die Situation ließ eine solche Überlegung keineswegs zu. Drüben stand Lisman von der CORA und fing den ersten Ansturm seiner Gegner auf, indem er einen gegen den anderen schleuderte. Dann hatte er alle Hände voll zu tun und ging in dem Getümmel unter. Barnett nahm den umgestürzten Plastiksessel und wiederholte das Beispiel des Maschinisten. Es war niemand da, der ihn an seinem Wurf hinderte, und so hatte er Erfolg bei zwei weiteren Gegnern. Drei anderen war es jedoch inzwischen gelungen, wieder auf die Beine zu kommen, und die Lage wurde verzweifelter als vorher. Blinde Wut und gekränkte Eitelkeit führten die Schläge. Und die Übermacht der Gäste begann ihren Vormarsch nach zwei Seiten. Nur, daß auch dieser Vormarsch kein Sieg wurde. Die psychologische Wende kam durch Praxlomza. Praxlomza, der Mann, dessen hochmütiges Schweigen Barnett zu seiner ersten Kurzschlußhandlung verführt hatte, war zweimal am Boden gewesen und bei dieser Gelegenheit plötzlich zu der Erkenntnis gekommen, daß er eigentlich ein Schweinehund sei. Genauso ein feiger Lump wie die anderen Burschen, die sich in ihrer Übermacht so siegessicher vorkamen. Einzig und allein aus diesem Grunde nahm er Barnetts Partei und griff entsprechend in das
32
Handgemenge ein. Daß er dabei den ihm am nächsten stehenden Herrn in eineinhalb Sekunden auf die Bretter legte, war nicht der wesentliche Erfolg seiner Intervention. Wesentlich war – wie gesagt – die psychologische Wirkung, denn von nun an wußte keiner im Saal mehr genau, wer gegen wen kämpfte. Die Fronten verwässerten, und schließlich schlug jeder auf den los, der ihm gerade am nächsten stand. Barnett bewies in diesem Augenblick hohe Intelligenz und drückte sich in den Korridor, wohin Lisman ihm automatisch folgte. Lisman blutete aus der Nase und keuchte noch von der Anstrengung. Trotzdem hatte keiner das Grinsen aus dem Gesicht verloren. »Mensch, Barnett! Sie Unglückswurm! Die hätten Kleinholz aus Ihnen gemacht.« »Ich weiß«, schnaufte der Erste, ebenfalls noch unter Atembeschwerden, »aber kommen Sie von hier weg! Ich habe ein Zimmer oben. Dort können wir uns aufmöbeln.« Sie rollten vier Treppen hinauf, ohne daß Ihnen jemand folgte. Barnett schloß die Tür hinter sich ab und forderte den Maschinisten auf, Platz zu nehmen. Sie wuschen sich und rückten die Kleidung zurecht. Barnett verband Lismans drei Wunden und gab ihm einen Nasenstiller. Er selbst nahm eine Emulsion für eine klaffende Wunde am Kinn. Schließlich reicht er Lisman noch eine Zigarette. Als sie brannte, schien sich der alte Gegensatz wieder einschleichen zu wollen. Denn keiner hatte sich an Bord der CORA gemeiner und respektloser gegen Barnett benommen als gerade Lisman. »Daß gerade Sie mich heraushauen mußten, Lisman, ist wohl eine Ironie des Schicksals.« »Wieso? Halten Sie nicht viel von meinen Kräften? Ich war immer schon der schlimmste Schläger von der ganzen CORA-Besatzung. Fragen Sie doch Cox!« »An Ihren Kräften habe ich nie gezweifelt. Ich denke, Sie wissen schon, was ich meine. Sie haben mir heute das Leben gerettet.« »Das Leben hat Ihnen höchstens Cox gerettet. Oder glauben Sie vielleicht, der Zufall hätte mich in diese Kneipe verschlagen?« »Ach so, Sie wollten spionieren?« »So ungefähr wohl. Vielleicht sollte ich aber bloß aufpassen, daß Ihnen nichts passiert. Sie sehen, wie nötig es war.« »Natürlich, Lisman. Ich muß Ihnen danken. Ich muß es wirklich.« Lismans Grinsen war schwach und ohne jede kränkende Nuance. »Weg mit dem Danken! Es hat mir bis zu einem gewissen Grad Spaß gemacht. Und vor allem: Sie waren unübertrefflich. Das muß Ihnen der Neid lassen.« »Darauf müssen wir einen trinken! Es ist offenbar Ihr erstes Erlebnis mit mir, das Ihnen Spaß gemacht hat. Zum Wohl!« Nach einem kräftigen Schluck fragte Barnett: »Welche Anweisung gab Cox übrigens für die Nacht? Sollen Sie bei mir bleiben?« »Nein, nein, ich rutsche gleich zurück. Wir wollten nur wissen, ob Sie ein gutes Hotel gefunden haben.« »Ich kann mich nicht beklagen, wenn ich von der politischen Einstellung der Leute absehe.« Lisman grinste wieder und fand anscheinend Gefallen an Barnetts Humor. »Dann darf ich mich jetzt wohl empfehlen.« »Ich bitte darum.« * Perry Barnett schlief lange am nächsten Morgen, ohne daß ihn jemand störte. Nach dem späten Frühstück ging er auf die Straße, um einen Spaziergang durch den nächsten Park zu machen. Er war noch nicht weit gekommen, als er das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Sooft er stehenblieb, hielt auch der Mann hinter ihm an. Sooft er schneller ging, hielt der Verfolger
33
das Tempo mit. Barnett drehte sich ganz plötzlich um, und Praxlomza lief fast auf ihn auf. Es war tatsächlich Praxlomza, ohne daß Barnett freilich den Namen kannte. Vorläufig kannte er nur das Gesicht. Erst jetzt fiel ihm auf, wie jung dieser Mensch noch war. Praxlomza stotterte eine Entschuldigung und machte dabei einen wenig überzeugenden Eindruck. »Was wollen Sie von mir?« fragte Barnett. »Ich habe zwei Stunden vor dem Hotel gewartet. Aber ich fand nicht den Mut, Sie anzusprechen.« Barnett lächelte. »Der Mut kommt bei Ihnen wahrscheinlich erst, wenn man Sie ausgeknockt hat. Sie wollen mich also sprechen.« »Ja, Sir.« »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie mit in den Park rüber. Wir können uns dort auf eine Bank setzen.« »Für Sie habe ich immer Zeit, Barnett. Ich danke Ihnen.« Sie gingen weiter. Erst auf der Bank begann Barnett wieder zu sprechen. »Wenn hier einer zu danken hat, bin ich es. Sie haben mich gestern beschämt. Darf ich wissen, wie Sie heißen?« »Praxlomza.« »Prax-lom-za? Verzeihung, ein seltsamer Name für mich. Ich komme von Terra und bin erst ein paar Tage hier im System. Wie kamen Sie auf die Idee, mitten im Handgemenge einfach meine Partei zu ergreifen? Das ganze Theater kam doch nur dadurch, daß ich Sie vom Stuhl riß.« »Ich hasse die feige Übermacht. Die Kerle, die mich unterstützen wollten, sind Strohköpfe.« »Hm, das wäre allerdings ein Grund. Und zwar einer, der Sie als gescheiten Menschen auszeichnet.« »Es gibt noch einen Grund.« »Da bin ich gespannt.« »Sehen Sie, Barnett ...« »Woher wissen Sie meinen Namen?« »Ich erkundigte mich im Hotel.« »Gut, das leuchtet ein. Was also war der Grund, mir zu helfen?« »Nun, ich war im Unrecht. Sie verlangten, daß man das Bildgerät einschaltet. Es ist ein Jahr her, daß ich das auch mal verlangen wollte. Ich hatte nur den Wunsch und habe ihn nie ausgesprochen. Auf Tremik ist das eine Zumutung für die Leute. Tremik ist der verkommenste Planet, den ich kenne.« »Ich finde ihn im Gegenteil sehr sauber. Die Stadt gefällt mir.« »Die Stadt, aber nicht die Menschen. Sie spielen Frieden, und wer sie dabei stört, ist ihr Feind. Sie sagen, daß sie vom Krieg die Nase voll haben.« »Sie hassen den Krieg wie ich«, sagte Barnett. »Stärker als ich den Krieg hasse, können sie es auch nicht. Nur bezweifle ich, daß sie mit der gegenwärtigen Einstellung in der Lage sind, den nächsten Angriff der Prokas abzuwehren. Die fragen dann bestimmt nicht, ob die Tremiks die Nase voll haben.« Die Männer schwiegen eine Weile. Sie dachten beide an den Feind. Praxlomza fragte schließlich: »Sie sind Erster Offizier?« Barnett nickte nur. »Können Sie mich mitnehmen?« »Sie? Wohin?« »Auf Ihr Schiff. Ich will weg von hier. Ich war drei Jahre lang Schiffsjunge und könnte mich schon nützlich machen.« »Wissen Sie, daß das eine verdammte Zumutung ist? In dieser Beziehung hat nur Cox zu
34
bestimmen. Dies ist meine erste Heuer bei ihm. Die Besatzung steht gegen mich. Cox ist der einzige, mit dem ich klarkomme. Aber wenn ich Sie anschleppe, dann verscherze ich mir meine letzte Sympathie auf der CORA.« »Auf der CORA?« schoß es aus Praxlomzas Mund. »Sagten Sie CORA?« »Allerdings. Kennen Sie den Kasten etwa?« »Und ob ich den kenne! Beim großen Gehirn! Sie müssen mich mitnehmen. Ich war ein Jahr auf dem Schiff.« »Langsam, langsam! Dann kennen Sie auch Cox?« »Nein, den nicht. Aber ich weiß, was man sich in diesem Spiralarm der Galaxis über ihn erzählt.« »Dann wissen Sie mehr als ich.« »Und ob ich das weiß! Ich flog vor drei Jahren auf dem Ding, das sich damals noch SPACEBOY nannte. Mein Reeder verkaufte es an einen verrufenen Schmuggler und Gelegenheitspiraten, der aufgrund eines guten Geschäfts in der Lage war, einen Überpreis zu bezahlen. SPACE-BOY gehörte zur Beteigeuze-Klasse. Sie wissen, daß es kein besseres Zivilschiff geben kann. Auch die Bestückung an Waffen ist ein Gedicht.« »Und dieser Käufer wäre Cox gewesen?« »Den Namen Cox hat man stets verschwiegen. Ich kann es also nicht sagen. Aber wenn Ihr Schiff heute noch CORA heißt, dann war der Käufer damals Cox. Wissen Sie, Barnett, als Schiffsjunge ist man Kind für alles. Ich hing beim Smutje in der Kombüse fest. Und Smutjes sind die besten Klatschbasen. Von Smutje Timm erfuhr ich, daß der Käufer der SPACE-BOY das Schiff sofort in CORA umgetauft habe. Cora war nämlich sein Schwarm. Ein schwarzes, feuriges Mädchen, das ihn auf allen Fahrten begleitete. Seine Braut, seine Frau oder was weiß ich.« »Seine Verlobte, um korrekt zu bleiben«, fiel Barnett ein. »Cora ist heute noch an Bord. Sie macht den Lockvogel für Cox. Ohne Cora wäre ich nie von Terra weggekommen. Mein Gott, Prax, du kommst mit aufs Schiff!« Praxlomza fühlte sich hoch geehrt. Barnett hatte ihn geduzt und einfach nur Prax gesagt. Im Restaurant des Hotels nahmen sie das Essen ein. Der Wirt ließ sich nicht sehen. Und der Robotkellner erwähnte die gestrige Saalschlacht mit keinem Wort. Er hatte lediglich die Trümmer beseitigt, wie es sich für einen Maschinendiener gehörte. Nachmittags durchstreiften Barnett und Praxlomza die Parks, und Barnett erzählte seine Lebensgeschichte. Ihr Plan nahm immer mehr Gestalt an. Und Barnett überlegte hin und her, wie er den neuen Freund ohne jede Verdachtserregung zu einem vollwertigen Mitglied der CORA-Mannschaft machen konnte. Als am dritten Tage die Dämmerung hereinbrach, standen die beiden auf dem Flachdach des Hochhauses. Barnett zahlte eine hohe Parkgebühr und bekam seine Flugkuppel frei. »Steig ein, Prax! Ich hoffe, unser Schmuggler hat seine Ware inzwischen verstaut. Normalerweise müßten wir ihn jetzt bei guter Laune antreffen.« * Den Plan, Praxlomza zunächst als blinden Passagier einzuschmuggeln, verwarf Barnett sofort wieder. Schon bei der Landung mußte der neue Mann sofort auffallen, denn in der engen Kabine war kein Platz außerhalb des breiten Sitzes. Und der obere Teil der Kuppel bestand aus glasklarer Hartplastik. Cox ließ sich die Überraschung nicht anmerken. Seine Frage klang eher gelangweilt. »Wer ist denn das?« Cox wurde aufgeklärt, daß Praxlomza ein äußerst brauchbarer Schiffsjunge sei. Barnett bot ihn an wie ein Vertreter seine Ware. Erst dann sprach er von der Not Praxlomzas, erzählte,
35
daß Prax der Verfolgung seiner Behörden ausgesetzt und jetzt auf der Flucht sei. Barnetts Plan gelang tatsächlich besser, als er zu hoffen gewagt hatte. »Sie haben sehr eigenmächtig gehandelt«, sagte Cox. »Es ist mir vollkommen klar, Captain, daß die letzte Entscheidung bei Ihnen liegt. Ich hatte aber einfach keine andere Wahl, als ich erfuhr, wie das Schicksal diesem jungen Burschen mitgespielt hat. In der Stadt wäre er jetzt schon ein Opfer der Schutzwacht, und – Sie werden verstehen, daß ich mich Prax gegenüber auch ein bißchen verpflichtet fühle. Lisman hat Ihnen sicher schon von der Schlägerei im Hotel erzählt ...« Cox lachte breit. »Das hat Lisman allerdings. Ich wußte freilich nicht, daß es dieser Jüngling war, der Sie zunächst ablaufen ließ und sich dann auf Ihre Seite schlug. Na, jedenfalls ist anzunehmen, daß Prax in den politischen Ansichten nicht mit Ihnen einer Meinung ist. Und das beruhigt mich etwas.« »Sie schicken mich nicht zurück?« kam Praxlomzas mißtrauische Frage. »Noch nicht. Für heute können Sie einsteigen. Betrachten Sie aber die nächste Fahrt als Probefahrt. Sollte man mit Ihnen unzufrieden sein, dann fliegen Sie bei der nächsten Zwischenlandung raus – ungeachtet der Lebensmöglichkeit auf dem Planeten.« »Ich werde Sie nicht enttäuschen, Cox. Bestimmt nicht. Und vielen Dank für ... Ihre Güte.« * Es war während einer Freiwache einige Wochen später, als Praxlomza aufgeregt zu Barnett hereinstürzte. »Perry!« keuchte er. »Perry, es wird etwas geschehen!« Barnett sprang von seiner Koje auf. »Was wird geschehen?« »Ich weiß nicht. Aber wenn das gut geht ...« »Bisher ist alles gut gegangen. Wenigstens so ziemlich. Also, reiß dich zusammen!« »Wir fliegen den Poldinischen Stern an. Wissen Sie, was das bedeutet?« »Du weißt, ich bin durch die terranische Zweckpropaganda schlecht orientiert. Aber soviel mir bekannt ist, sind die vier Poldinischen Planeten in den Händen der Prokas.« »Das meine ich auch. Und darauf fliegen wir zu. Cox hat vor wenigen Minuten den Kurs neu gesetzt.« »Woher weißt du das?« »Ich wurde auf die Brücke gerufen, um etwas zu trinken hinzubringen. Ich war mindestens zwei Minuten drin und hörte so was von Talcott. Cox sagte ziemlich abgespannt und nervös – so, Poldini liegt an. Talcott antwortete, daß das kein Grund zur Aufregung sei. Es würde ein Bombengeschäft. Und mit den Herrschaften würde er schon klarkommen. Cox solle sich darüber keine Gedanken machen.« »Die Herrschaften sind zweifellos Prokas. Oder meinst du, daß inzwischen eine Landung unserer Marine in diesem System erfolgt sein könnte?« »Das ist unwahrscheinlich. Wirkliche Erfolge verschweigt unsere Propaganda nie. Seit zehn Jahren aber ist in den Nachrichten wahrscheinlich nicht einmal der Name Poldini gefallen. Dort sitzen allein die Prokas. Und wir fliegen hin. Es ist heller Wahnsinn!« »In deinen Augen. Cox wird aber genau wissen, was er tut.« »Er verläßt sich auf Talcott. Und dem traue ich am wenigsten über den Weg.« »Solange seine eigene Sicherheit auf dem Spiel steht, wird er kein Risiko eingehen.« »Aber der Kerl hat gerade so geredet, als wolle er persönlich zu den Prokas gehen. Ja, verdammt, als ob er schon da gewesen wäre und bei ihnen ein und aus ginge, wie es ihm gerade gefällt.« »Vielleicht stimmt das auch.« Jetzt war Praxlomza der Entgeisterte. »Sie wissen nicht, was Sie sagen. Wer die Prokas sieht, muß sterben. Sie sind uns biologisch
36
überlegen wie die Katze der Maus.« »Sie spucken Gift und schwitzen Feuer, was? Hast du dich noch nie gefragt, ob das vielleicht alles übertriebenes Raumfahrergarn ist? Ich glaube nicht an die Überlegenheit der Prokas. Sie paßt einfach nicht zur Situation des Krieges. Andererseits kann ich mir denken, daß wir den Krieg gegen die Prokas nur deshalb noch nicht gewonnen haben, weil alle Welt in dieser blöden Ehrfurcht vor den Prokas erstarrt. Wenn noch kein Lebender die Prokas gesehen hat, von wem sollen dann wohl die glaubwürdigen Berichte stammen? Denn du glaubst doch tatsächlich an diesen Unsinn.« Praxlomza nickte nur. »Well«, fuhr Barnett fort. »Du hast mir wiederholt versichert, daß du bei mir bleiben möchtest, wohin ich auch gehe ...« Prax nickte noch einmal. »Nun, ich gehe zu den Prokas. Kommst du mit?« Der Schiffsjunge schwieg noch immer. Nur seine Augen wurden groß und starr und verrieten Furcht. Von dem kräftigen Schläger aus der Bar auf Tremik hatte er nichts mehr an sich. »Du kannst es dir überlegen«, sagte Barnett. »Der Ernstfall wird nicht von heute auf morgen eintreten. Aber vielleicht in vierzehn Tagen, wenn es stimmt, daß wir die Poldinischen Planeten anlaufen.« Praxlomza spürte Barnetts Hand auf der Schulter. »Hast du im Augenblick etwas zu tun?« »Nein, Perry.« »Gut, dann leg dich schlafen. Hier bei mir. Ich habe bald Wache und gehe vorher noch in den Gemeinschaftsraum. Propaganda sehen ...« Barnett kam nicht ganz bis zur Tür, als ihn ein Anruf des Captains verharren ließ. »Hallo, Barnett! Hier Cox. Kommen Sie sofort auf die Brücke!« »Es ist doch noch eine Stunde Zeit ...« »Gehorchen Sie, Barnett. Seit wann sind Sie undiszipliniert?« »Dicke Luft!« sagte Praxlomza. »Soll ich nicht doch lieber in meine Kabine gehen?« »Quatsch, du bleibst! Was soll schon los sein? Vielleicht ein fremdes Schiff draußen.« Der Erste stand Sekunden später im Kommandoraum. »Sie wünschen, Cox?« »Kommen Sie näher, Barnett! Noch näher!« Cox hatte die Automatik eingeschaltet und war aufgestanden. Seine Haltung hat noch nie so etwas Offizielles gehabt, dachte Barnett. Sollte der Captain etwa auf militärische Allüren verfallen? Jetzt zog er die Pistole und richtete sie auf Barnett. »Im Namen des Gehirns, im Namen der Sol-Sirius-Union! Sie, Perry Barnett, Reserveleutnant der Kriegsmarine, zuletzt legal wohnhaft Terra-Town-1, Sohle 83, sind verhaftet.« Barnett wurde um eine Nuance weißer im Gesicht. »Was bedeutet das, Cox? Ich verstehe ...« »Schweigen Sie, Barnett! Ich lese den Text der amtlichen Funknachricht, die soeben durchgegeben wurde. Zentralregierung der Sol-Sirius-Union, Terra. Das Gehirn ordnet an, daß Perry Barnett, Leutnant der Reserve und so weiter, der sich der Desertion schuldig gemacht hat, sofort zu verhaften ist. Dieser Befehl gilt für jeden freien Bürger der Union. Der gegenwärtige Aufenthalt Barnett ist unbekannt. Jeder Bürger, der Barnett trifft, ist angewiesen, die Verhaftung durchzuführen und den Vollzug an die nächste Militärbehörde zu melden. Dem Deserteur sind Waffen und Ehrenzeichen sofort abzunehmen. – Geben Sie mir Ihre Pistole und Ihre Planetennadel, Barnett!« Barnett zog die Waffe und hielt sie dem Schmuggler hin. Aber so, daß Cox genau in den
37
Lauf sah. »Wollen Sie vielleicht schießen? Denken Sie daran, daß Perkins und Talcott neben Ihnen stehen! Außerdem bin ich schneller. – Na, wie fühlen Sie sich als Häftling?« Cox' Gesicht strahlte plötzlich in einem schadenfrohen Grinsen. Barnett hielt noch immer die Waffe und mußte es sich gefallen lassen, daß die beiden Männer hinter ihm in ein lautes Gebrüll ausbrachen. Es bedeutete zweifellos Hohn und Spott – und außerdem einen unbezahlbaren Jux für Talcott und Perkins. Barnett sah sich um und erkannte, daß beide nicht im Traum daran dachten, ihn in Schach zu halten. Sie amüsierten sich lediglich auf seine Kosten, und zwar in ihrer ungeniert polternden Art. Und Cox steckte jetzt grinsend seine Pistole ein. »Bin ich hier im Zirkus?« fragte Perry. »Das ist immer noch das beste, was wir für Sie daraus machen konnten, mein Guter. Stecken Sie die Waffe ein, und behalten Sie Ihre geliebte Planetenschleife. Aber zweifeln Sie niemals daran, daß der Haftbefehl echt ist! Wenn Sie wollen, können Sie sich die Durchsage noch einmal vorspielen lassen.« »Demnach verweigern Sie also dem Gehirn den Gehorsam?« »Das tun wir, seit wir Terra verließen. Wir alle. Sie und ich. Spielen wir als weiter die Verräter. Seien Sie froh, Barnett, daß Sie hier auf einem Privatschiff sind, auf dem eigene Gesetze gelten. Aber hüten Sie sich, auf bewohnten Planeten noch öffentlich herumzulaufen. Es kann nicht schaden, wenn Sie sich die nächsten Jahre etwas versteckt halten. Hier auf der CORA haben Sie die beste Gelegenheit dazu. Nicht wahr?« »Ich war noch nie so sehr in Ihrer Hand, Cox. Selbstverständlich mache ich von Ihrem Angebot Gebrauch. Ich werde sogar bemüht sein, Ihr unentbehrlicher Steuermann zu bleiben.« »Das klang sehr makaber«, grinste Cox. »Haben Sie Lust, auf diesen Schreck einen mit uns zu trinken?« Als Barnett etwas lächelte, meinte der Captain: »So ist Ihr Gesicht durchaus brauchbar. Ich hatte schon befürchtet, Ihr Humor sei flötengegangen.« * Drei Tage nach der ›Verhaftung‹ erreichten sie die Poldinischen Planeten. Während des Landemanövers standen alle im Kommandoraum. Cox gab die Befehle. Perkins und Lavista hatten Dienst. Lisman und Talcott standen bei Barnett. »Es ist der zweite Planet«, sagte Lisman. »Hast du keine Angst?« »Die biologische Überlegenheit der Prokas ist eine Legende«, erklärte Talcott. »Ich werde schon mit ihnen klarkommen.« »Und wenn das Gerät bei einer Gedankenverständigung versagt?« »Das tut es nicht.« »Ihrem Reden nach ist das kein Experiment mehr für Sie«, sagte Barnett. »Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der bei der ersten Begegnung mit den Prokas so vertrauensselig wäre wie Sie.« »Wollen Sie behaupten, daß ich lüge?« »Ich frage nur, Talcott. Sie sind mir ein Rätsel. Außerdem möchte ich wissen, wie man eine Verabredung mit den Prokas zustandebringt, ohne sich vorher mit ihnen zu verständigen.« »Seit wann kümmern Sie sich ums Geschäft? Sie sind Steuermann und sonst nichts.« Bevor Barnett etwas entgegnen konnte, setzte das Schiff auf. Sie waren gelandet. Und der Planet war der zweite der Sonne Poldini, besetzt von den Prokas, die hier eine Luft atmeten, wie sie auf Terra einst die Oberfläche bedeckt hatte. »Leichte Raumanzüge anlegen!« befahl Cox. Und Barnett merkte, daß die Stimme zitterte.
38
Er musterte die anderen. Sie waren erregt, und außer Talcott konnte keiner die Angst verbergen. Außer Talcott und Barnett. Bei Talcott war es verständlich. Es gab keinen Zweifel, daß er die Prokas persönlich kannte. Er benahm sich wie einer, der von vornherein alle Risiken ausgeschaltet hat. Und Cox mußte genau darüber orientiert sein. Denn er war Geschäftsmann und kein Vabanquespieler. Auch über seine eigene Unbekümmertheit wunderte sich Barnett wenig. Die Nähe der Prokas verursachte zwar eine gewisse Nervosität. Angst war es nicht, denn dafür konnte er viel zu klar überlegen. – Ich muß die Prokas selbst erforschen. Ich muß die Propagandabilder von Terra und Tremik genauso vergessen wie die Beschreibung Praxlomzas. Ich muß sie als völlig unbekannten Faktor in meine Rechnung einbauen und vorsichtig sein. Nur mit solcher Objektivität wird es sich ermöglichen lassen, mit den Prokas fertig zu werden. Meine Handlungsweise muß aus den Erkenntnissen der Situation entspringen. Dabei fragt es sich allerdings, ob es einem Menschen überhaupt möglich ist, eine solche Situation zu beurteilen ... »Komm her, Talcott!« befahl Cox. Er hielt eine primitive Landkarte in der Hand, die jemand anscheinend aus dem Gedächtnis angefertigt hatte. Die beiden sprachen leise miteinander. Nach zwei Minuten steckte Cox die Karte wieder ein und gab erneut Anweisungen. »Prax und Lisman an Landeschott 1. Barnett und Perkins an Schott 2. Wir löschen in zehn Minuten. Vergleichen Sie Ihre Skalen, damit Sie gleichzeitig fertig werden. Aber erst beginnen, wenn ich es sage. Die Ware wird kommen, sobald Talcott draußen ist. Sie können gehen, Talcott!« Der Maschinist machte eine grüßende Handbewegung. »Hallo, Talcott!« rief Barnett ihn an, bevor er durch die Tür verschwand. »Sagen Sie mir wenigstens, ob die Prokas wie Menschen oder wie Tiere aussehen.« Talcott drehte sich noch einmal um. Er sah etwas verwirrt aus und sagte nichts. »Halten Sie den Mann nicht auf!« schnauzte Cox. »Also, gehen Sie schon, Talcott!« Das Schott schloß sich mit einem dumpfen Klang. Dann herrschte plötzlich die Stille des Weltalls in der Zentrale. Jeder wußte, daß Talcott hinausgegangen war, um den zweiten Poldinischen Planeten zu betreten, der den Prokas gehörte, mit denen Cox ein Geschäft vorhatte. Sie zählten in Gedanken die Sekunden und die Schritte, die Talcott inzwischen tun mußte. Sie fragten sich, wie weit die Prokas wohl entfernt sein mußten, um die Bewegungen der Terraner zu beobachten. Cox griff nach einer Zigarette. Er gab auch den anderen Raucherlaubnis. »Eine Zigarettenlänge haben wir auf jeden Fall Zeit. Aber denken Sie immer an Ihre nächsten Handgriffe. Sobald die Ladung auf dem Schirm sichtbar wird, müssen Sie mein Kommando erwarten.« Die Glimmstengel verqualmten, ohne daß eine Nachricht kam, ohne daß der Bildschirm etwas anderes als eine verlassene Landschaft zeigte. Cox wechselte seinen Platz. Eigentlich hatte er bei den Armaturen für die Schußwaffen bleiben wollen. Doch die Nervosität trieb ihn näher an den Bildschirm. Er suchte die Umgebung des Schiffes ab, ohne eine Spur von Talcott zu finden. »Warum rufen Sie ihn nicht?« fragte Barnett. »Weil der Funkverkehr den Prokas unangenehm ist.« »Hm, man scheint hier über die Prokas sehr genau Bescheid zu wissen. Warum tun Sie eigentlich so geheimnisvoll? Wir gehören doch zusammen.« »Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts angehen, Barnett. Sie sind Steuermann, aber kein Politiker.« »Ich weiß nicht, was Sie veranlaßt, so mißtrauisch zu sein, Cox. Wenn hier mal etwas Unvorhergesehenes passiert, wäre es bestimmt gut, daß ich orientiert bin. Es hat schon
39
Situationen gegeben, wo der eine dem anderen aus der Patsche helfen mußte. Warum wollen Sie uns einreden, daß Talcott noch nie bei den Prokas war?« »Halten Sie den Mund! Wir haben jetzt andere Sorgen.« Cox war genauso nervös, wie er sich gab. Er sah immer wieder auf die Uhr und schaltete in kurzen Abständen den Bildschirm ein, der jedesmal auf einen anderen Abschnitt gerichtet war. Die Sicht reichte im Durchschnitt dreihundert Meter weit. Im Vordergrund sah man steinigen unebenen Boden, dazwischen kniehohes Buschwerk und dahinter Wald. Aber keine Spur irgendeiner Zivilisation. Die Prokas vertragen keine Funkfrequenzen, überlegte Barnett. Wahrscheinlich schaltet Cox deswegen immer wieder ab und traut sich nicht, die Bildgeräte ohne Unterbrechung laufen zu lassen. Diese Erkenntnis war das erste Konkrete, was Barnett über die Prokas erfuhr. Sofort fragte er sich, welche Bedeutung wohl eine Strahlwaffe bei einer Begegnung mit den Fremden haben könnte. Er überlegte noch manches mehr, während die anderen dastanden und warteten. Bei Cox' erstem Fluch entschloß sich Barnett, mehr auf seine Umgebung zu achten. Irgend etwas mußte schiefgegangen sein. Abgesehen von dem Gesicht des Kapitäns und der steigenden Nervosität war noch immer nichts von der mysteriösen Ware zu sehen, die Cox zweifellos erwartete. »Bleiben Sie an Ihrem Platz, Perkins!« brüllte der Captain plötzlich. Perkins hatte nur ein paar Schritte tun wollen, damit ihm die Beine nicht einschliefen. »Verdammt! Was ist denn?« fragte Lisman. »Reden Sie doch, zum Teufel! Es hat keinen Sinn, vor Barnett Geheimnisse haben zu wollen. Wir schneiden uns nur ins eigene Fleisch.« Cox blieb überraschenderweise ruhig. Offenbar sah er ein, daß Lisman recht hatte. »Die Prokas sind verrückt nach Tabak. Unsere ganze Ladung besteht daraus.« »Und was kriegen wir dafür?« »Telepathierelais.« »Gibt es das? Talcott erwähnte vorhin schon so ein Ding.« »Talcott besitzt bereits eins.« »Da er noch nie einen Proka sah, hat er es zweifellos aus zweiter Hand.« Cox überhörte diesen Einwand. »Eine halbe Meile von hier ist ein Treffpunkt vereinbart. Talcott verständigt sich mit einem Proka und veranlaßt die Anlieferung der Relais. Seine Nachricht müßte längst erfolgt sein.« »Ich finde, das ist etwas zuviel verlangt. Eine halbe Meile schafft er nicht in fünf Minuten. Wenigstens nicht auf diesem Gelände.« »Er behauptete, die Prokas hätten ihm Antigrav-Unterstützung zugesagt. Sonst hätte er ja auch mit dem Kleinboot fliegen können.« »Er kennt also die Prokas?« »Zum Teufel! Ja! Er kennt sie und lebt noch. Das ist ja das Wunder. Aber Sie können sich darauf verlassen – es stimmt. Vor einem halben Jahr haben wir ein ähnliches Geschäft abgewickelt. Es war das erste, und es hat besser geklappt als die Schweinerei hier. – Lavista, haben Sie nicht mal behauptet, Sie hätten einem Proka das Leben gerettet?« Der Angeredete zitterte. »Niemals, Cox! Das war bestimmt nur ein Scherz. Ich habe noch nie einen Proka zu Gesicht bekommen und lege auch keinen Wert darauf.« »Wenn Sie einen nachschicken wollen, dann lassen Sie mich gehen.« »Sie, Barnett? Sie hassen doch diese Leute. Ich bin nicht hergekommen, um die Prokas zu töten, sondern um Geschäfte mit ihnen zu machen.« »Ich lege keinen Wert darauf, hier und heute zu sterben. Ich werde auch keinen Proka zu töten versuchen, es sei denn, in Notwehr.« »Wenn ich Sie verliere, fehlt uns der Steuermann. Meldet sich sonst noch jemand?« Perkins sah über Cox hinweg zur Decke. Praxlomza schüttelte mit ungenierter Offenheit den Kopf. Lisman sagte: »Ich würde es tun, Cox. Aber Barnett ist der bessere Mann. Wir sollten
40
auf Sicherheit gehen.« Lavista wurde gar nicht erst gefragt. Cox holte die Karte hervor. »Okay, Barnett. Nehmen Sie das Boot. Sie können in drei Minuten drüben sein. Hier hinter diesem Wald liegt nördlich ein Plateau.« »Wo ist Norden?« »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir richten uns nach der augenblicklichen Lage des Schiffes. Zehn Strich Steuerbord nehmen Sie, dann kommen Sie hin, wenn Sie außerdem die Augen aufmachen. Genau stimmt diese Karte sowieso nicht.« »Okay! Wie ist die Gravitation des Planeten?« »Eins Komma siebenundzwanzig G.« »Na, das ist zu ertragen. Ich brauche also keinen Neutralisator.« »Was Sie brauchen, ist Besonnenheit und Glück. Seien Sie vorsichtig und funken Sie nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Dann aber ohne Rücksicht auf die Nerven der Prokas.« »Hm, können Sie mir noch mehr über diese Burschen sagen? Die bisherigen Auskünfte waren sehr mager.« »Ich kann Ihnen nichts sagen. Wirklich nicht. Talcott allein hat die Prokas gesehen und mit ihnen verhandelt. Mit mehreren von uns wollen sie nichts zu tun haben.« »... sagte Talcott. Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß dieser Mann Sie betrügen könnte?« »Verschwinden Sie, Barnett! Sie reden hier wie auf einer Konferenz. Los, hauen Sie ab!« * Barnett schoß dicht über den Wald hinweg und fand sofort den beschriebenen Platz. Von Talcott allerdings keine Spur. Die Landschaft machte den Eindruck, als hätte se noch nie en Intelligenzwesen irgendwelcher Art betreten. Dreimal überflog er die Lichtung. Dann landete er und stieg aus. Das Gestein war spröde und zersprang unter seinem Schritt. Aber sonst war der Boden solide wie die gute alte Terra-Erde. Was sollte er machen? Er war allein. Ohne Talcott, ohne das geringste Etwas, das es zu finden galt. Doch Sekunden später wußte er, daß diese Feststellung nicht mehr stimmte. Er spürte eine Art Fluidum und drehte sich ruckartig um 180 Grad. Da stand das Flugzeug und daneben eine kleine gläserne Kuppel, in der ein Mensch lag. Die erste Wirkung dieses Anblicks war nicht größer als beim Trick eines indischen Zauberkünstlers, der sein Publikum verblüffen will. Aber dann kam sofort die Erkenntnis hinterher, daß hier kein harmloser Gaukler seine Hand im Spiel haben konnte. Diese Glaskuppel – oder was immer es sein mochte – war die Realität aus einer unbekannten Welt. Und sie war Zeugnis für eine Technik, der die terranische oder sirianische nicht das Wasser reichen konnte. Der Mann in der Kugel war Talcott. Er lag da, als ob er schliefe. Genausogut konnte er aber auch tot sein. Barnett sah sich nach allen Seiten um. Dann starrte er wieder auf die Erscheinung und registrierte Angst. Die Strahlpistole war instinktiv so in die Hände zu liegen gekommen, daß er nur noch abzudrücken brauchte. Doch es war nichts da, auf das es sich zu schießen lohnte. Da war nur die Kuppel, die wie eine Käseglocke aussah. Und darunter Talcott. Der Boden unter der Glocke sah aus wie polierter Stahl. Strauchwerk und Geröll waren verschwunden. Wenn die Prokas das hier innerhalb weniger Sekunden unbemerkt aufstellen konnten, dann mußten sie nicht nur sehr schnell sein, sondern sich auch unsichtbar machen können. – Die Furcht und die logische Überlegung hielten sich die Waage. Barnett sah nichts, was einem Lebewesen glich, mochte seine Erscheinungsform auch noch so fremd und ungewöhnlich sein. Er war trotzdem nicht überzeugt, daß er sich mit Talcott allein auf diesem Plateau befand,
41
und er empfand es als ein Handikap, daß er seine Aufmerksamkeit teilen mußte. Er ging auf die Kuppel zu, bis er sie mit der Hand erreichen konnte. Ob es gefährlich war, sie zu berühren? Er tat es trotzdem. Das heißt, er versuchte es, denn die Mündung des Pistolenlaufes stieß nicht auf den geringsten Widerstand. Nach zwei weiteren Sekunden stand er in der Kuppel, aus der sein Oberkörper herausragte, als trüge er ein Reifenkleid aus Rokoko. Seine Schuhe stießen gegen Wurzeln und Steine, obgleich der Boden unter der Kuppel glatt wie ein Spiegel schien. Barnett spürte, daß jetzt auch ihm der Schweiß aus den Poren trat. War er das Opfer einer Fata Morgana? Er tat noch einen Schritt und stand an derselben Stelle, wo Talcott lag. Talcotts Leib und Barnetts Füße gingen ineinander über, ohne sich zu berühren. Er bückte sich und fühlte nur die Stiefel. Talcott war dünn wie die Luft – oder noch dünner. Die Hände griffen ins Leere. Nur für das Auge existierte er. Und zwar so klar und deutlich, daß die ganze Situation als paradox anzusehen war. Schließlich kam Barnett die Idee, daß es sich um ein dreidimensionales Bild handeln mußte, das die Prokas in diese Landschaft projizierten. Obgleich ihm die technischen Voraussetzungen dafür absolut unklar waren, schien ihm dieser Gedanke doch wenigstens logisch genug, um als Erklärung zu gelten. Und das gab ihm eine Menge seiner Selbstbeherrschung wieder. Er ging aus der Kuppel hinaus und musterte erneut die Umgebung. Noch immer rührte sich nichts, so weit das Auge reichte. Das Flugboot stand starr in der Landschaft, und durch die Vegetation strich ein leichter lauer Wind. »Talcott!« sagte Barnett in der Hoffnung, daß der Mensch genausowenig reagieren würde wie ein Bild, das man in einer Gemäldegalerie anspricht. Doch hier reagierte das Bild. Der Maschinist schlug die Augen auf und bewegte den Kopf. Barnett spürte, wie das Grauen zurückkam. Er dachte zum ersten Mal daran, wie es den Menschen ergangen sein mochte, die in die Hände der Prokas gefallen waren. Die Latrinenparolen des galaktischen Krieges wußten nur, daß keiner zurückkam, der zu den Prokas ging. Aber offenbar war die Art, wie sie ihre Opfer sterben ließen, gänzlich anders, als sich ein Mensch vorstellen konnte. Barnett sah niemanden, der sich zu einem Zweikampf anbot. Er sah auch keine Massen von Lebewesen, die ihn im Rausch ihrer Übermacht angingen. Und doch lauerte hinter allem, was hier passierte, der Tod. Talcotts Bewegung war die Reaktion eines Gefangenen. Er richtete den Oberkörper auf und starrte auf seinen Steuermann und Ersten Offizier. »Talcott! Hallo, Talcott! Sehen Sie mich? Hören Sie mich?« Der Maschinist nickte und hob die rechte Hand. Doch er war offenbar zu schwach, sich ganz aufrichten zu können. »Helfen Sie mir, Barnett! Sie haben uns hintergangen. Sie halten nicht ihre Zusage. Greifen Sie an, ehe sie mich umbringen!« »Wo sind Sie, Talcott? Reden Sie doch!« »Zum Teufel! Fassen Sie meine Hand, ehe die Scheusale zurückkommen! Fassen Sie zu, Barnett! Sehen Sie denn nicht, daß ich genau vor Ihnen liege?« Natürlich sah Barnett ihn liegen. Aber was nützte das? Er sprang noch einmal vor, um Talcott zu fassen. Doch Talcott blieb Luft. Ein lebendes Bild. Ein sprechendes Bild. Sonst nichts. Oder höchstens noch das eine: ein Bild, das starb. Der Körper des Maschinisten verzerrte sich. Er sah aus wie ein Stück Metall, das zur Weißglut entfacht wird und dann in einen Aggregatzustand von Gas übergeht. Talcott verschwand und Sekunden später auch die Kuppel mit dem spiegelglatten Boden. Barnett kämpfte mühsam gegen eine Ohnmacht. Es war gut, daß er jetzt Angst hatte. Denn die Angst hielt ihn bei Bewußtsein. Um seine Stiefel spielte störriges, knittriges Gras, und unter den Sohlen zersprang spröder Stein. Nichts erinnerte an das Bild, das niemals eine
42
Halluzination gewesen sein konnte. Er ging zurück in die Maschine und stieg ein. In der Kanzel fühlte er sich sicherer. Er suchte nach dem Starthebel, denn nichts hielt ihn mehr in dieser Wildnis, aus der sogar die Toten verschwanden. Die Kanzel vibrierte kaum merkbar, nachdem Barnett den Motor angelassen hatte. Der nächste Griff galt dem Höhentriebwerk. Er fand den Schalter, ohne hinzusehen, während seine Augen immer noch durch die rundumlaufende Panoramascheibe auf die unpersönliche Szenerie des Planeten starrten. Sie starrten bis zum nächsten Schock. Denn ... auf der Lichtung stand ein Proka. Es war nur einer. Beim Allgeist! Und das genügte! Es kam nicht darauf an, daß alle Plakate, die man in der menschlichen Zivilisation zeigte, eine pure Lüge waren. Es kam nur darauf an, daß Barnett den Schock überwand, damit er sein Leben rettete. Der Proka war rund wie ein Ball und glasig wie eine Meduse. Barnett sah weder Augen noch Ohren, keine Nase und keinen Mund. Trotzdem, der Schreck für den Menschen rührte nicht von der Form des Prokas her. Auch nicht von der Art, wie er sich benahm. Denn das sah alles sehr harmlos aus. Der Schreck beruhte lediglich auf der Tatsache, daß der Proka da war und daß ihm der Ruf der persönlichen Unbesiegbarkeit vorausging. Welche Sinne besaß das Wesen, um den Menschen wahrzunehmen? Über welche Waffen verfügte es, um ihn zu töten? Barnett schwitzte in der Erkenntnis, daß er von all diesen elementaren Dingen nichts wußte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die beiden Bordkanonen zu entsichern und sie auf den Proka zu richten. Obwohl die Schockwirkung überwunden war, brachte er es nicht fertig, mit der Maschine in den Himmel zu steigen. Hier stand der erste Proka seines Lebens vor ihm. Dies war der Anblick, auf den er jahrelang gewartet hatte. Er konnte einfach nicht fliehen, auch wenn die alte Haßleidenschaft kaum noch Macht über ihn besaß. Es genügte schon, daß er hier einem Feind gegenüberstand, der ihm ein Duell aufzwingen konnte. Barnetts Stellung hinter den Kanonen war eingedrillt. Die Reaktionen in seinem Gehirn drängten sich auf Sekundenbruchteile zusammen. Das Kugelwesen näherte sich mit der Sturheit einer Maschine. Doch es war auf keinen Fall eine Maschine, denn sein ganzer Organismus lag offen da. Klarer als der eines Menschen vor einem Röntgenschirm. Kleidung kannten die Prokas offenbar nicht. Barnett zielte auf das Zentrum der Kugel, um jeden Moment abdrücken zu können. Dann schaltete er den Außenlautsprecher ein und rief klar und deutlich: »Bleib stehen, Proka. Wenn du mit mir verhandeln willst, bleibst du stehen. Wenn du näher kommst, schieße ich.« Er sprach alle Sätze voll aus, ehe sich ihm der Verdacht aufdrängte, daß der andere wohl kaum die terranische Sprache verstand – selbst wenn er über ein Gehör verfügte. Schließlich war der Proka nicht der Allgeist, den man unbekümmert in seiner Muttersprache anreden konnte. Das Wesen verstand ihn tatsächlich nicht. Es rollte oder schob sich weiter in seiner penetranten Sturheit. Als es nur noch zwanzig Meter vom Flugzeug entfernt war, empfand Barnett es als äußerst dringend, jetzt einen Entschluß zu fassen. Freilich wollte er das Schießen vermeiden, denn er sagte sich, daß er vielleicht einen nicht wiedergutzumachenden Fehler damit beging. Andererseits wollte er seinen Flugkörper nicht von dem garstigen Ding berühren lassen. Überhaupt, was war hier das Risiko? Das Handeln oder das passive Stillhalten? Wenn man nicht in der Lage ist, eine Situation richtig zu beurteilen, dann ist jede Entscheidung Sache des Zufalls und des Glücks. Als die Distanz knapp fünfzehn Meter betrug, hatte Barnett noch immer nicht geschossen. Die beiden Kanonenrohre standen nicht mehr annähernd parallel, sondern im spitzen Winkel zueinander. Und im Schnittpunkt der verlängerten Seelenachsen befand sich der Proka. Vielleicht sogar das Herz des Prokas – wenn er so etwas besaß.
43
Barnett schwitzte wie nie zuvor in seinem Leben. Seine Gedanken jagten sich, daß im Gehirn ein körperlicher Schmerz dabei entstand. Du oder ich, Proka? Du oder ich, Proka? Seine Gedankenwellen enthielten in starker Überlagerung aller anderen Probleme nur noch das Problem des Tötens. Und dann spürte er plötzlich den starken Willen. Dieser Wille steckte genau in ihm. Er hätte ihn bedenkenlos als seinen eigenen anerkannt, wenn er nicht so absurd und unmenschlich gewesen wäre. So ähnlich mußte es auch Talcott ergangen sein. Das war eine wunderbare Art, seinen Gegner unschädlich zu machen. Ihm den Willen nehmen und ihn zermalmen nach Lust und Laune. Das ist nicht tragischer, als wenn die Spinne die Fliege in ihrem Netz vernichtet. Barnett sah im Geiste eine gläserne und doch materiallose Kuppel über sich entstehen. Sie nahm in seiner Phantasie die Gestalt des Spinnennetzes an. Doch er wollte nicht die Fliege sein. Ehe der fremde Wille völlig Macht über ihn gewann, drückte er mit beiden Daumen auf die Feuerknöpfe. Der Kugelleib des Proka erzitterte unter dem Ansturm der Energien, versuchte vergeblich, sich am Boden festzusaugen, wurde eine Strecke zurückgetrieben wie ein Blatt im Wind und ging plötzlich in Flammen auf. Im Nu brannte auch seine Umgebung, loderte in Weißglut und zerfiel in Asche. Während sich das Drama vollzog, jagte Barnett seine Maschine nach oben und gab Alarmrufe an das Schiff. Ehe er eine Antwort bekommen konnte, erkannte er bereits den Landeplatz der CORA. Er war übersät mit Tabaksballen, und das Raumschiff setzte bereits die Starter in Tätigkeit. »Zum Donnerwetter, Cox! Melden Sie sich! Und machen Sie die Schleuse auf!« Da kam endlich Lismans Stimme: »Ich werde verrückt! Der Steuermann lebt!« »Hatten Sie etwas anderes gehofft?« bellte Barnett. »Los, machen Sie die Schleuse auf! Oder ich demoliere die Schotten!« Die CORA hing bereits hundert Meter hoch in der Luft, als Barnett in das Schiff einfliegen konnte. Er gab sich nicht die Mühe, seine Kabine ordnungsgemäß festzumachen, sondern schickte Praxlomza hin, der ihm im Gang begegnete. Er selbst rannte in die Kommandozentrale. Doch es begegnete ihm noch jemand: Cora. Als er ihr Gesicht sah, mußte er einfach stehenbleiben. Er sah Angst und Liebe darin. Sicher hätte sie jetzt auch kein noch so unerwünschter Zeuge daran hindern können, sich an Barnett zu klammern und ihn ein dutzendmal zu küssen. »Perry! Perry! – Perry!« Sie sagte einfach nur seinen Namen. »Cora!« Er versuchte, sich sanft aus ihrer Umarmung zu lösen. »Cora, ich liebe dich. Aber du mußt mich jetzt zu Cox gehen lassen.« »Was willst du bei Cox? Du lebst, Perry. Das genügt. Als sie sagten, ihr wäret beide tödlich verunglückt, da wußte ich, daß ich dich liebe, daß ich dich so verrückt und wahnsinnig liebe, wie du es vielleicht nie begreifen wirst. Ich wollte nicht mehr leben, Perry. Ohne dich will ich auf keinen Fall mehr leben.« Jetzt war auch in Barnett keine Abwehr mehr. Was machte es, daß sich das Mädchen einen so unpassenden Augenblick für die Erkenntnis seiner Liebe ausgesucht hatte? Das Schiff stieg weiter in den Himmel und befreite sich von der Gravitation des zweiten Poldini-Planeten. Cox hatte das Kommando und würde jetzt wohl kaum Zeit finden, sich um die verbotenen Wege seiner Braut zu kümmern. Barnett fühlte sich sehr sicher und kostete Coras Umarmung in einer wunderbaren Geborgenheit aus. Doch dieser Tag mußte sich gegen ihn verschworen haben. Coras Kuß dauerte länger als das Startmanöver. Und Cox wunderte sich, daß Barnett nicht kam. Cox kam daher selbst, sobald er die Automatik eingeschaltet hatte. Der Anblick des Liebespaares stachelte seine Eifersucht zu blinder Wut auf. Ein Fluch war
44
alles, was er sagte. Der Rest war eine Kurzschlußhandlung. Er schoß aus einer Entfernung von dreißig Metern. Der konzentrierte Energiestrahl peitschte durch den Gang und fraß sich durch das nächste Zwischenschott. Barnett hatte Cora im letzten Moment zu Boden reißen können. Den nächsten Schuß gab er ab. Und der tötete Cox auf der Stelle. Die Isolierung im Schiff hatte verhindert, daß die Geräusche des kurzen Zweikampfes woanders gehört worden waren. Barnett war wie vor den Kopf geschlagen, als er an der Leiche des Captains stand. Doch mit der Feststellung des Bedauerns war es nicht getan. Cora lag ebenfalls am Boden. Ohnmächtig. Er trug sie in ihre Kabine und legte sie aufs Bett. Dann schleppte er den Toten in die Kapitänskajüte und rief nach Praxlomza, den er vom Gang gleich zu Cora dirigierte. »Cora ist ohnmächtig, Prax. Geh zu ihr und warte, bis sie wach wird. Versorge sie, wenn ihr etwas fehlt. Ich muß jetzt auf die Brücke.« Prax wollte eine Frage stellen. Doch Barnett winkte sofort ab. »Keine Zeit, Junge! Ich muß erst mit der Besatzung reden. Wenn du mich unbedingt brauchst, benutze den Schiffsruf ...« Praxlomza ging zu Cora. Barnett steuerte auf die Brücke zu. Er tat es langsam. Denn er brauchte noch einige Sekunden, um seinen plötzlich entstandenen Plan vor dem eigenen Gewissen zu überprüfen. Als er das Schott aufstieß, war er mit sich im reinen. »Guten Tag, Männer!« »Guten Tag, Erster!« sagte Lisman, während Perkins bockig schwieg und nur neugierig herüberschielte. »Der Captain sucht Sie wie eine Stecknadel«, meckerte Lavista. »Schon gut. Behalten Sie Platz! Wo ist Talcott?« »Ich denke tot«, sagte Lisman. »Man glaubte auch, ich sei tot.« »Talcott ist nicht mehr an Bord gekommen. Wir mußten sehr schnell starten.« »Das habe ich gemerkt ...« Barnett setzte sich in den Kapitänssessel und drehte sich herum, so daß er die drei Männer vor sich hatte. Die Pistole legte er vor sich auf die Knie. »Bevor ich eine Erklärung zur Lage gebe, möchte ich wissen, was sich auf der CORA abgespielt hat.« »Nicht möglich«, schaltete sich Perkins zum ersten Male ein. »Ist es nicht besser, Cox gibt uns den Lagebericht?« »Cox hat mir das Kommando übergeben. Sie dürften trotz Ihres bösen Blicks inzwischen festgestellt haben, Perkins, daß ich im Augenblick die Flugwache halte. Also, Lisman, erzählen Sie! Weshalb haben Sie meine Rückkehr nicht abgewartet?« »Soll ich vielleicht für Cox antworten?« »Ich bitte Sie darum.« »Nun, Sie waren kaum weg, da tauchte eine Riesenflugkuppel auf unserem Gelände auf und setzte die Ladung mit den Telepathierelais ab. Außerdem war noch eine kleine Maschine da, in der offenbar ein Proka den Piloten spielte. Jedenfalls behauptete Cox, der als einziger draußen war, er habe aus diesem Fahrzeug telepathische Impulse verspürt und auch die Nachricht des Mannes verstanden.« »Haben Sie den Proka gesehen?« »Nein, wir nicht. Ich sagte doch, nur Cox war draußen.« »Okay! Und dann?« »Ja, Cox sagte, Sie und Talcott hätten sich auf einer Lichtung getroffen. Da die Prokas aber nicht da waren, hätten Sie gemeinsam zurückfliegen wollen, und dabei wären Sie abgestürzt und umgekommen.« »Sagte Cox ...« »Natürlich Cox! Aber es muß sich um eine Erklärung der Prokas gehandelt haben. Mensch, fragen Sie ihn doch selbst!«
45
»Das geht jetzt leider nicht. Die Maschine ist heil, und ich bin heil. Irgend etwas stimmt an der Sache nicht. Vielleicht sind die Prokas gute Lügner.« »Damn ... Wo steckt denn Talcott?« brauste Perkins auf. »Haben Sie ihn nicht gesehen?« »Ich sah ein Bild von ihm. Wenigstens glaube ich, daß ich es sah. Mein Erlebnis schildere ich Ihnen später. Dann sollen Sie sich selbst ein Bild darüber machen. Ich kann es bisher jedenfalls noch nicht.« »Sagen Sie wenigstens, ob Sie eine Ahnung haben, was mit Talcott passiert ist!« »Ich glaube, ich habe gesehen, wie er starb.« Lavista stöhnte, als habe er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Die anderen schwiegen. Sogar Perkins, der nur scheue Blicke zwischen Barnett und Lisman wechselte. »Also los! Was sagte Cox – oder vielmehr der Proka?« Lisman fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Er entschuldigte sich, daß man nicht rechtzeitig eine Abordnung zum Plateau geschickt habe. Durch Fernbeobachtung habe man verfolgt, daß Sie und Talcott einem Unglücksfall zum Opfer gefallen seien, ohne daß ein Proka dabei gewesen wäre.« »Hat man nichts davon gesagt, daß auch ein Proka starb?« »Nein«, sagte Lisman verwirrt. »Wurde einer getötet?« »Später, Lisman. Erzählen Sie weiter!« »Well, Cox war trotz allem zufrieden. Der Riesenfrachter machte an Luke III fest und spuckte seine Ladung innerhalb von zwei Minuten aus. Gleichzeitig löschten wir die Tabakballen. Ja – und danach sind wir gestartet, weil keiner mehr mit Ihrer Rückkehr rechnete. Den Rest wissen Sie.« »Wie sah der Frachter aus? Waren nicht auch Sie etwas neugierig?« »Lavista ging später noch mit raus.« »Stimmt das, Lavista?« »Ja, natürlich. Ich stand oben im Schiff, ganz dicht bei der Schleuse. Die Dinger kamen hereingeschwebt wie Geister.« »Welche Dinger?« »Nun, die Relais. Verdammt, es sah komisch aus. Jeder Apparat lag in einer Art Seifenblase. Der Proka muß das alles von seinem kleinen Flitzer aus gesteuert haben. Unsere Antigravheber sind vorsintflutliche Werkzeuge gegen das, was die Prokas besitzen. Ich glaube, die nützen jede x-beliebige Energie aus, die gerade in der Nachbarschaft herumschwirrt.« »Wie meinen Sie das?« »Well, ich meine, diese Seifenblasen waren wunderbare Dinger. Eigentlich viel zu schade zum Wegwerfen. Und trotzdem kamen sie nicht mehr aus unserem Lagerraum zurück. Genauso war es schließlich mit dem Riesenschiff.« »So, war das etwa auch so eine – Seifenblase?« Lavista nickte. »Ja, zum Teufel! Sie werden es mir nicht glauben. Das Riesenschiff sah aus wie eine Glaskuppel. Es war durchsichtig. Und als die Relais verladen waren, verschwand es plötzlich im Nichts.« »Es flog also davon?« »Eben nicht! Davon flog der kleine Apparat mit dem Piloten. Das Frachtschiff löste sich auf, wo es war. Ich weiß noch genau, wie ich mir die Augen gerieben habe. Denn das Schauspiel war so unwirklich wie nur etwas!« »Aber die Telepathierelais waren wirklich?« »Wieso? Natürlich. Das erste Stück nahm Cox sofort in die Hand und brachte es hierher. Da steht es.« »Schon gut, Lavista. Ich empfehle Ihnen trotzdem, die Ladung zu prüfen. Gehen Sie hin und zählen Sie nach!«
46
»Weshalb soll ich hingehen? Wir können das genausogut mit dem Bildschirm machen.« »Eben nicht. Sie müssen jedes Stück anfassen. Das Sehen allein ist kein Beweis. Also, verschwinden Sie!« Lavista schob ohne weiteren Widerspruch ab. Den anderen erzählte Barnett sein Erlebnis, wobei sich selbst Perkins als aufmerksamer Zuhörer entpuppte. Nun, schließlich war die Geschichte aufregend genug. »Damned, Barnett! Jetzt weiß ich auch, weshalb Sie Lavista in die Lagerräume geschickt haben. Wenn Ihr Verdacht sich bewahrheitet, sind die Prokas ein elender Haufen von Betrügern.« »Ganz recht. Aber warten wir, bis Lavista zurückkommt ...« Keiner ahnte, wie sehr Barnett auf die erwartete Nachricht gespannt war und wie bedeutungsvoll sie für die gesamte Besatzung der CORA werden konnte. Der Plan des Ersten Offiziers hatte in den letzten Minuten immer klarere Formen angenommen. Das größte Problem war dabei, wie er die Besatzung für sich gewann. Lavista kam herein als ein völlig gebrochener Mensch. Er starrte sie der Reihe nach an und murmelte: »Man kann sie nicht anfassen, Barnett. Man kann sie jetzt nicht einmal mehr sehen. Nur dieses eine Stück, das man Cox gleich beim Empfang in die Hand drückte, ist in Ordnung.« »Also Betrug«, konstatierte Perkins. »Diese gemeinen Hunde! Sie haben uns ruiniert!« »Man muß es Cox sagen«, warf Lisman ein. »In dieses Tabaksgeschäft hat er drei Viertel seines Vermögens gesteckt ...« »Warten Sie«, widersprach Barnett. »Das war noch nicht die letzte Neuigkeit für Sie!« »Goddamn ... hören Sie auf! Wir haben die Nase voll!« »Ich kann es Ihnen nicht ersparen, meine Herren. Was ich Ihnen jetzt sage, ist eine Befehlsausgabe. Sie haben diese sitzend und ohne Widerspruch entgegenzunehmen. Die CORA fährt in Zukunft unter meinem Kommando. Ich übernehme also mit sofortiger Wirkung das Amt des Captains und zwar in meiner Eigenschaft als Reserveleutnant der Unionsmarine. Dabei berufe ich mich auf die Paragraphen 3115 und 3464 des Kriegsgesetzes, die in speziellen Notfällen im Frontgebiet das Kommandoverhältnis regeln, sobald Verdacht auf Meuterei besteht oder der entscheidende Vorgesetzte durch Unfähigkeit, Krankheit oder Tod nicht mehr in der Lage ist, seiner Aufgabe im Interesse der Union gerecht zu werden. Cox hat in Anwesenheit der Zeugin Cora versucht, mich zu töten. Ich erschoß ihn daraufhin in Notwehr.« In Barnetts Pause fielen das Stöhnen Lavistas und ein gepreßter Fluch Perkins'. »Cox ist also tot«, konstatierte Lisman. Auch er konnte nicht verbergen, daß ihn diese Nachricht erschütterte. »Wir werden Cora fragen müssen. Sollten sich Ihre Angaben bestätigen, so muß Ihre Kommandoübernahme anerkannt werden ...« Perkins lachte plötzlich wie ein Verrückter. »Du, Lisman, und Barnett habt die Bürokratie wohl mit Löffeln gefressen. Hoffentlich stimmt das alles mit euren Paragraphen. Ich kenne mich da nämlich nicht aus. Aber ich werde es nachlesen.« »Das ist Ihre Pflicht«, erklärte Barnett humorlos. »Innerhalb der nächsten zwölf Stunden muß ich Sie als Soldaten der Union vereidigen. Und das setzt voraus, daß Sie wissen, was Sie schwören; daß Sie Ihre Rechte und Pflichten kennen.« »Sie haben sich eine Menge vorgenommen, Captain! – Sagen Sie mir wenigstens, ob es kein Risiko für mich ist, wenn ich jetzt den Soldaten spiele. Wird man mich als solchen anerkennen, wenn man herauskriegt, was ich vorher getrieben habe? In den Augen des Gesetzes bin ich ein verachtungswürdiger Raumpirat.« »Ich kann Sie beruhigen, Perkins. Sobald Sie von einem Offizier unter Eid in die Unionsarmee aufgenommen werden, sind Sie als Soldat anerkannt und genießen das uneingeschränkte Recht des uniformierten Ehrenbürgers. Es ist meine Sache als Ihr
47
Vorgesetzter, bei Ihrer Einstellung angemessene Sühne für Ihr Vorleben zu verlangen.« »Damned ... Also bin ich von Ihrer Gnade abhängig. Können Sie sich vielleicht vorstellen, daß mir das nicht paßt?« »Ich kann es mir gut vorstellen. Ich werde Sie gerecht beurteilen. – Sind Sie jetzt zufrieden?« »Noch nicht ganz«, sagte Perkins lauernd. »Sobald Sie mich zu einem vollwertigen Bürger gemacht haben, bin ich verpflichtet, als solcher zu handeln. Meine erste und vornehmste Aufgabe wäre dann, Sie zu verhaften. Oder haben Sie vergessen, was die Zentralregierung auf Geheiß des Gehirns angeordnet hat?« Lavista brachte ein dünnes Kichern zustande, war aber sofort wieder still, da er es für besser hielt, im Hintergrund zu bleiben. Lisman meinte, Perkins' Fragestellung würfe tatsächlich ein Problem auf. »... wenn auch gegen ihren eigenen Willen und gegen Ihr eigenes Gewissen, Sir. Sie sind ein Rebell.« »Nennen Sie es Rebellion, Lisman. Nur sagen Sie nicht, daß ich damit gegen mein Gewissen handle. Und im übrigen steht das hier kaum zur Debatte. Mich zu verhaften, würde jedenfalls keinem von Ihnen gut bekommen. Ich schätze, Sie fahren am besten, wenn Sie meine Befehle befolgen. Sobald wir einigermaßen in Sicherheit sind, werden wir Cox ein Raumbegräbnis geben. Vorher findet allerdings die Vereidigung statt. Ich danke Ihnen, meine Herren.« Barnett stand auf und überprüfte die Bild- und Radarschirme. »Von irgendwelchen Verfolgern ist nichts festzustellen«, erklärte er schließlich. »Hat schon jemand von Ihnen als Pilot fungiert?« Es meldete sich keiner. »Traut sich keiner zu, den Posten des Ersten Offiziers zu übernehmen? Er bekommt drei Wochen Zeit zum Einarbeiten. Na, wie ist es, Lisman?« »Okay, Sir! Ich mach's.« »Gut! Setzen Sie sich in meinen Stuhl! Solange die Automatik läuft, haben Sie nichts zu tun, als auf Warnzeichen zu achten. Wenn Sie nicht klarkommen, rufen Sie mich über die Hauptanlage. Sie, Lavista, gehen auf den Maschinenposten.« »Okay, Captain!« * Barnett ging zu Cora. Praxlomza saß neben ihrem Bett und sprach mit ihr. Perry versuchte ein Lächeln. »Hallo, bist du wach?« »Perry! Oh, Perry!« »Er hätte uns beide getötet, Cora. Ich konnte nicht anders handeln.« »Ich mache dir keinen Vorwurf. Ihr wißt alle nicht, wie teuflisch er sein konnte. Was wird jetzt aus uns?« »Das Schmugglergeschäft nimmt ein Ende. Nach dem Betrug der Prokas ist die Firma Cox sowieso pleite. Der neue Kapitän hat sich entschlossen, mit der CORA auf eigene Faust Krieg zu führen. Die Prokas sind unser Feind. Nach dieser Grundformel wird sich in Zukunft jeder auf diesem Schiff richten.« »So konnten nur Sie entscheiden, Perry«, sagte Praxlomza. »Der Kapitän sind also Sie.« Barnett nickte, und der Schiffsjunge machte einen Luftsprung. »Das ist wie im Märchen. Ich kann es kaum glauben. Was hat denn die Besatzung dazu gesagt?« »Sie hat es mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Trotzdem werden wir mit ihnen klarkommen. Sie sind Landsknechtsnaturen, denen es nicht darauf ankommt, für welchen Herrn sie ihre Haut zu Markte tragen.« Zwölf Stunden später erfolgte die Vereidigung. Dann fand die Beisetzung statt. Barnett hätte nie geglaubt, daß das bißchen Zeremoniell, ohne das solche Feierlichkeiten nicht denkbar
48
sind, einen derartigen Eindruck auf die Männer machen würde. Am meisten hatte er sich über Perkins gewundert, der lammfromm die Formel nachgesprochen und sich beim Abschied von Cox sogar eine Träne der Rührung gestattet hatte. Eine Stunde danach machte Lisman seinen ersten Pilotenunterricht im Kommandantensessel. Die Automatik war abgeschaltet, und Barnett erklärte die Grundgriffe und Hebel. »Es kommt vorläufig nur darauf an, daß Sie fliegen können«, kommentierte er. »Die Einzelheiten der Maschine kommen später dran. Also, wenn Sie Schwierigkeiten haben, rufen Sie auf jeden Fall mich.« »Okay, Captain!« Lisman begann die Übung mit dem Heckschirm. Den Rest mußte er auf später verschieben, denn bevor er noch auf mehr als drei Parsec gehen konnte, zeigte die Radarwarnung einen größeren Körper an, der sich zwischen dem Schiff und dem Poldini-Planeten befand. Entfernung: zweihundertundsechzig Astronomische Einheiten. »Moment!« rief Barnett. »Bleiben Sie auf dem Heckschirm. Koppeln Sie das Zielkreuz mit Radar und stimmen Sie dann die Feineinstellung ab. Sie wissen, weshalb ich das sage?« »Ja, Sir. Wir werden verfolgt.« »Langsam! Das ist ein voreiliger Schluß. Es kann sich um einen Boliden handeln.« »Kann ... aber ich schließe auf ein Raumschiff der Prokas. Die Posi ...« »Schon gut. Denken Sie, was Sie wollen. Aber sprechen Sie nicht allzu viele Vermutungen aus. Lieber fünf Sekunden warten und exakte Zielansprache. So, und jetzt haben wir's.« »Und ich hatte recht!« triumphierte Lisman. »Es ist ein Prokaschiff.« »Natürlich hatten Sie recht. Würden Sie jetzt bitte aufstehen? Ich denke, es ist besser, wenn ich das Kommando übernehme.« Lisman erhob sich etwas verwirrt. »Soweit ich orientiert bin, sind Sie der Waffenexperte, Lisman.« »Jawohl, Sir!« »Dann machen Sie die Waffen klar!« »Okay.« »Wollen Sie den Knaben etwa angreifen?« erkundigte sich Perkins mißtrauisch. »Allerdings«, war die knappe Antwort, worauf Perkins und Lavista mit einem Stöhnen reagierten. Bei Perkins war es Empörung, bei Lavista Angst. Angst konnte jetzt gefährlich werden. »Lavista!« rief Perry. »Captain?« »Wenn Sie jetzt nicht jeden Handgriff sofort ausführen, den ich von Ihnen verlange, sind wir geliefert. Die Überlegenheit im Zweikampf beruht nicht nur auf der besseren Bewaffnung, sondern auch auf der Manövrierfähigkeit. Haben Sie überhaupt das Maschinistenpatent?« »Jawohl, Sir.« »Dann wehe Ihnen, wenn Sie etwas falsch machen.« »Jawohl, Sir.« »Lisman! Koppeln Sie beide Buggeschütze mit meinem Zielschirm. Und bleiben Sie mit der Entfernung immer an meiner roten Marke. Energie gebe ich kurz vor dem Abschuß bekannt.« Barnett fragte sich, ob dieser Piratenkahn auch wirklich zuverlässige Torpedogeschütze hatte. Aber er sprach diesen Gedanken nicht aus, da seine ganze Aufmerksamkeit dem prokaskischen Schiff galt, das langsam aufholte. »Torpedo-Energie 60!« »60 liegt an!« »Feuer!« Lisman drückte vier Knöpfe, und zwei Doppelfächer jagten aus den Bugrohren. Der Rest
49
war ein plastisches, dreidimensionales Drama auf dem Hauptbildschirm. Barnett projizierte es auf die große Wand über seinem Kopf, damit auch die anderen das Schauspiel verfolgen konnten. Sie brauchten jetzt nur noch zuzusehen. Die elektronisch gelenkten Torpedos navigierten selbst. Und sie verfolgten jedes Ausweichmanöver der Prokas, bis sie das Schiff erwischten. Der erste Torpedo prallte auf den Abwehrschirm und detonierte zwei Kilometer vor dem Gegner. Beim zweiten Schuß das gleiche Ergebnis. Der dritte Körper brachte den Abwehrschirm völlig zum Erliegen, und der vierte traf die Kugel selbst. – Das war der Sieg. * Die Stimmung auf der CORA entsprach einem Jubelfest. »Ich bitte um Ruhe, meine Herren! Achten Sie auf die Funkbeobachtung! Es ist damit zu rechnen, daß einige Prokas die Katastrophe überstanden haben.« »Wollen Sie die etwa retten?« fragte Perkins mit einem Akzent seiner alten Aufsässigkeit. »Allerdings«, sagte Barnett nur und mußte Lavistas Meinung zur Kenntnis nehmen, daß es gefährlich sei, Prokas an Bord zu holen. »Ruhe! Zum Teufel! Hören Sie sich das an! Und hier die Richtung, 40 Strich Steuerbord voraus. Der Brocken ist immer noch so groß wie ein dreistöckiges Tremik-Wohnhaus. Versteht jemand von ihnen diese Zeichen?« »Woher wohl?« erklärte Perkins, und seine Haltung war immer noch voller Abwehr. »Wahrscheinlich sind es kosmische Störungen. Sie glauben doch wohl nicht, daß die Prokas funken, wo ihr Körper so empfindlich gegen diese Art von Frequenzen ist.« »Diese Empfindlichkeit ist bestimmt ein Propagandatrick. Denn diese Zeichen kommen ohne jeden Zweifel aus dem Wrack. Wenn Sie nur die geringste Ahnung von den Prokas hätten, würden Sie nicht solchen Blödsinn reden, Perkins! Bitte, das ist ein Rhythmus, der an das alte terranische Morsealphabet erinnert. Oder sollen das gar Worte sein?« »Sprache ist das nicht. Eher Zeichen«, sagte Lisman. »Aber ich habe keine Ahnung, was sie bedeuten sollen. Talcott hätte vielleicht etwas damit anfangen können ...« »Talcott ist tot. Also, zunächst mal Kurswechsel.« Barnett peilte das Schiff auf das Wrackstück ein und rief nach Praxlomza. Der Schiffsjunge kam sofort. »Hallo, Prax! Kennst du dich mit Proka-Funkzeichen aus?« »Ein bißchen.« »Dann setze dich her und hör dir das an!« Praxlomza kramte einen Zettel hervor und versuchte, mitzuschreiben. Die längste Zeit blieb seine Hand still. Doch hin und wieder kritzelte er etwas aufs Papier. Schließlich sagte er: »Es müssen Ortsangaben und Situationsmeldungen sein. Erkennen kann ich nur das Zeichen für unser SOS und für die Zahlen 2 und 3713.« »Hm, SOS war zu erwarten. Zwei könnte heißen, daß noch zwei Leute leben. Also versuchen wir unser Glück!« Plötzlich hatte Lisman eine Idee. »Wir haben ein Telepathierelais vor der Nase. Warum schalten wir das nicht ein?« »Ja, warum eigentlich nicht?« fragte Barnett und stellte den Kasten vor sich auf. »Weiß jemand, wie man damit umgeht?« Lisman und Perkins meldeten sich gleichzeitig. »Perkins!« »Das Ding reagiert auf Gedankenwellen. Hier sprechen Sie hinein.« »Sprechen?« »Auf jeden Fall! Eigentlich soll man hineindenken, aber dabei kommt nicht viel heraus.
50
Kein Mensch kann stumm so konzentriert denken, als wenn er spricht. Also unbedingt sprechen. Das erhöht die Klarheit der Gedanken.« Barnett hielt das Gesicht vor die Öffnung. Er versuchte, in klaren Begriffen zu denken, sich auf das Hauptsächliche zu konzentrieren, ohne jede Konzession an die menschliche Umgangssprache. »Hier Terraner-Raumschiff – hier Terraner-Raumschiff! Freunde für euch, weil in Not. Warten – wir helfen – wenn ihr nicht feindlich. Wir erwarten Antwort, wir erwarten Antwort.« Er wiederholte diesen Text sinngemäß mehrere Male. Dann winkte er die anderen herbei. »Jetzt alle den Mund halten. Versuchen Sie, etwas wahrzunehmen. Heben Sie die Hand, wenn Sie etwas spüren. Reden werden wir später drüber ...« Die Antwort kam. Der fremde Gedankenreichtum war offenbar, aber auch völlig unmenschlich. Barnett verstand: Not – Warten – Gefahr. Sie verharrten noch eine Weile. Dann fragte Barnett: »Was haben Sie aufgenommen, Perkins?« Perkins machte ein Gesicht, als ob ihm der Zahn weh täte. »Elend – Später – Vorsicht, möchte ich sagen. Alles andere habe ich nicht mitbekommen, obwohl der Prokakerl einen halben Roman heruntergeleiert hat.« »Und Sie, Lisman?« »Ja, ich weiß nicht. Es könnte Marter geheißen haben. Dann vielleicht Verzögerung und Tod!« »Jawohl – Sterben hieß es!« rief Praxlomza dazwischen. »Ich habe das ganz deutlich gespürt.« »Wird jemand schlau daraus? Prax, du?« »Völlig, Perry. Sie leben in der Gefahr des Todes, warten aber auf etwas. Also sollen wir ihnen helfen.« »Und wenn das Ganze eine Falle ist?« gab Lavista zu bedenken. »Mißtrauen ist zwar ein gesunder Zug«, antwortete Lisman. »Aber die Umstände sprechen doch wohl eindeutig gegen die Vermutung. Das Trümmerstück dort ist zwar eine Falle, jedoch nur für die Prokas.« Barnett hatte noch einen anderen Grund. Er wollte Gefangene machen. Was würde man auf Terra sagen, wenn erden Menschen die ersten Prokas vorführte? Würde man ihn immer noch als Rebellen und Deserteur behandeln? Oder würde man ihn in jeder Hinsicht rehabilitieren? – Er mußte seine Gedanken unterbrechen, denn die Situation erforderte ungeteilte Aufmerksamkeit. * Das Wrack trieb schräg auf den zweiten Poldini-Planeten zu. Es war kaum radioaktiv. Und die CORA konnte ohne besondere Schutzmaßnahme längsseits gehen. Barnett stieg allein aus. Über Helmmikrophon gab er Anweisungen an seine Mannschaft. Wenn sie jetzt meutern ... Dieser Gedanke zuckte durch sein Hirn und machte ihn für Sekunden unsicher. Das war eine einmalige Chance für die CORA-Besatzung, dem neuen Captain zu entkommen. Aber der Raumer drehte nicht ab, und Barnett strebte dem zerstörten Prokaschiff zu. Ehe Barnett jedoch Anordnungen für die Bergung geben konnte, erschienen aus einer Luke des Schiffes zwei runde Gebilde. »Damned! Was für eklige Apparate!« kommentierte Perkins, der den Bildschirm nicht aus den Augen ließ.
51
»Die stecken in Raumanzügen. Der Proka, den ich auf Poldini II sah, war anders. Lisman, öffnen Sie Schleuse 6 und fahren Sie Halteleinen und Magnetschlepper aus.« »Okay, Captain. Allerdings ...« »Was ist?« »Ich sehe weder Arme noch Beine bei den Kreaturen. Wie sollen die sich an einer Leine festhalten?« »Das werden wir ja sehen. – Da, bitte, wenn das keine Arme sind!« Die Prokas hatten tatsächlich die Möglichkeit, sich mittels der Leinen an die CORA heranzuziehen. Und sie taten es. Kurze Zeit darauf lotste Lisman sie durch die Schleuse, die sich dann sofort wieder schloß. Als auch Barnett wieder im Kommandoraum war und seinen Helm abgeschraubt hatte, stellte er die Automatik an. »Prax, komm mit! – Sie übernehmen das Kommando, Lisman. Wenn es notwendig ist, rufen Sie mich.« »Okay, Captain. Werden Sie uns die Herrschaften auch zeigen?« »Ich werde sie fragen, ob sie Wert darauf legen.« »Okay! Und seien Sie vorsichtig! Nehmen Sie Waffen mit.« »Vielen Dank auch für den Rat. So long!« Die Prokas hockten abwartend am inneren Schleusenschott. Beide hatten bereits ihre Raumanzüge abgelegt und atmeten sichtlich erfreut die Atmosphäre des Schiffes. Barnett ging bis auf zehn Meter heran und blieb dann mit erhobener Waffe stehen. »Prax, halte das Telepathierelais in meine Nähe. Danke! Menschenskind, spürst du diese schockierten Gedanken?« »Es ist reine Angst, Perry, sonst nichts.« »Hm, mir kommt es auch so vor. Und es sind tatsächlich reine Gedanken, nicht lediglich Worte, die man uns mitteilen möchte.« »Ja, und es ist alles klarer als vorhin. Ich habe kaum noch Schwierigkeiten.« »Das liegt wahrscheinlich an der Nähe. Nimm meine Pistole und tritt etwas weiter zurück. Ich will versuchen, mich mit ihnen zu verständigen ...« Die Prokas hockten nahezu bewegungslos auf derselben Stelle. Barnett registrierte die Äußerung des Dankes. »Hast du das gemerkt, Prax?« Der Schiffsjunge nickte nur. Barnett überlegte laut: »Mein Gott, sieh sie dir an, Prax! Sie haben keine Augen, sie haben einen gliedlosen Körper und sind doch längst nicht so häßlich wie die Propagandaprokas auf unseren Plakaten. Verdammt! Warum können sie nicht in Frieden mit uns ...« Barnett brachte den Satz nicht zu Ende. Die beiden Kugelkörper vibrierten plötzlich. Und dann kam der erste zusammenhängende Satz: »Bist du ein Mensch?« »Ja, ich bin ein Mensch.« »Gibt es noch andere Menschen, die den Frieden wünschen?« »Alle Menschen wollen den Frieden.« »Das stimmt nicht!« »Du bist sehr konsequent, Proka. Es gibt Soldaten und Abenteurer, die den Krieg um des Krieges willen führen, aber die sind in der Minderzahl. Sie sind nicht einmal maßgebend. Die Menschheit als Ganzes – auf allen Planeten ihres Reiches – wünscht den Frieden. Unsere Marine kämpft dafür. Unsere Regierung plant dafür. Das Ziel aller Menschen ist der Friede. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß ihr Tausende von uns gefangen und getötet habt. Auch die meisten dieser Toten wollten den Frieden. Sie kämpften dafür und starben dafür.« »Sie hatten die Gedanken der Furcht und des Hasses. Und den Gedanken, die Prokas zu vernichten.« »Und keiner hat an den Frieden gedacht?« Das Kugelwesen verneinte, und Praxlomza tat einen hörbaren Atemzug. »Das verdanken wir der Propaganda der Union.«
52
»Auch ich haßte die Prokas«, sagte Barnett. »Ich haßte euch mehr als alle die, die ihr getötet habt. Die Logik rät mir, eure Gedanken als Lüge zu werten und euch zu vernichten. Denn ihr würdet mich töten, wenn ihr es könntet.« »Deine Sprache ist laut, Mensch. Aber was du verschweigst, ist die größere Wahrheit. Wir Prokas sind gute Telepathen. Du kannst uns nicht belügen.« »Wenn du recht hast, kennst du mich besser als ich selbst. Ich hasse die Prokas, aber ich hasse nicht die beiden Prokas vor mir.« »Das ist paradox. Ich wundere mich, daß eine innerlich so zwiespältige Rasse wie ihr es fertiggebracht hat, den Krieg gegen uns so lange durchzuhalten.« »Die Menschheit wird noch mehr fertigbringen. Sie wird siegen.« »Kannst du dir den Frieden nur vorstellen, wenn ihr vorher gesiegt habt?« »Ein Friede in Unfreiheit ist für die Menschheit unannehmbar«, sagte Barnett stolz. »Denke an die dritte Möglichkeit, Mensch! Kein Sieg – und dennoch Friede in Freiheit!« »Willst du behaupten, es gäbe die Möglichkeit, mit eurer Regierung zu verhandeln?« »Dieser Plan wurde mehrere Male im großen Rat der Prokas abgelehnt, weil die Menschheit zu einer solchen Lösung nicht die Voraussetzung bot.« »Aber der Plan bestand?« »Er ist die Sehnsucht der Prokas.« Barnett fluchte laut, ohne daß die Kugelmänner beurteilen konnten, daß das eine Ungehörigkeit war. »Hast du das verstanden?« Der Schiffsjunge nickte. »Unter heuchelnden Menschen wäre eine Antwort, wie die Prokas sie jetzt gegeben haben, kaum ernstzunehmen. Wir brauchen aber nur anzunehmen, diese Rasse kennt das Heucheln nicht. Unter diesen Umständen könnte unsere heutige Begegnung mehr Bedeutung haben als zehn gewonnene Raumschlachten.« »Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Niemand gibt uns den Beweis, daß die Prokas nicht vielleicht im Gegenteil noch gemeiner, noch hinterhältiger als der unmoralischste Mensch sind. Wenn ich an den letzten Handel mit ihnen denke ...« »Allerdings, da haben sie Cox ganz schön übers Ohr gehauen. Eine Fata Morgana von Telepathierelais gegen eine konkrete Millionenladung Tabak.« In den Dialog der Menschen fiel ein durchdringender Gedanke der Prokas. »Talcott war ein Gauner. Das Bild, das wir bisher von euch Menschen hatten, wurde durch ihn nur noch verschlechtert. Talcott durfte noch eine gewisse Zeit leben, weil wir ihn für das Tabakgeschäft brauchten. Inzwischen wurde er gerichtet. Doch seit unserer Begegnung, Barnett, ist die Situation völlig anders. Wenn ich eine entsprechende Meldung an unsere Regierung geben kann, ist es möglich, daß wir in kürzester Zeit Parlamentäre schicken. Vorausgesetzt, die Regierung der Sol-Sirius-Union hat tatsächlich den aufrichtigen Wunsch nach Frieden.« »Wer seid ihr, daß ihr so reden könnt? Habt ihr Einfluß auf die Politik eurer Rasse?« »Wir sind die wissenschaftlichen Berater des Schiffes, das ihr vernichtet habt. Ich heiße Nam-Legak. Mein Begleiter nennt sich Iks-Wol-Esak. Bei uns ist es üblich, daß der Vorschlag des kleinsten Mannes gehört wird.« Barnett sagte sich, daß er nicht ewig an diesem ungeeigneten Ort mit den Prokas konferieren konnte. Er überlegte, welche Kabine er ihnen anbieten sollte. Schon der Gedanke brachte ihn in Verlegenheit. Was konnte ein Kugelwesen mit einem Bett anfangen? Was würde ihm fehlen? »Unser Schiff ist nicht für eure Rasse eingerichtet«, sagte er. »Wir sind Gefangene«, antwortete Nam-Legak. »Zeige uns euer Schiff und einen Ort, wo wir euch nicht zur Last fallen. Eure Luft ist gut für uns. Auch die Schwerkraft läßt sich ertragen, obgleich sie schwächer ist als die unsere. Verpflegung haben wir bei uns.«
53
»Benötigt ihr noch Dinge aus eurem Schiff? Vielleicht Funkgeräte?« »Die Funkgeräte befinden sich in den Raumanzügen. Wenn ihr einverstanden seid, nehmen wir Verbindung mit unserer Regierung auf.« Barnett zögerte. Er hatte sich noch immer nicht entschlossen. Die Entscheidung, die ihm das Schicksal vorgelegt hatte, konnte bedeutungsvoll für die Zivilisation der Galaxis sein. Ich muß die Sache überdenken. Ich brauche eine Stunde ganz für mich allein, dachte er und erschrak, als die Prokas darauf eine Antwort gaben. »Niemand soll überstürzt handeln. Das Schicksal der Galaxis ist zu bedeutungsvoll ...« Barnett hatte die Waffe längst sinken lassen. »Es ist also nicht mehr notwendig, daß ihr auf das Wrack zurückgeht?« »Nein.« »Prax! Dann führe die zwei in die Kapitänskabine. Nimm das Relais mit und bleibe bei ihnen.« »Allein?« Endlich konnte der neue Kapitän wieder lachen. »Angst?« »Ich weiß nicht ...« »Mach schon. Wenn es dich beruhigt, leg die Pistole aufs Knie. Aber ich denke vielmehr, du wirst eine angeregte Konversation haben. In einer Stunde bin ich zurück und gebe meine Entscheidung bekannt ...« * Barnett ging auf die Brücke und nahm schweigend seinen Kommandantensitz ein, den Lisman ebenso schweigend frei machte. Das Schweigen war überhaupt sehr verbreitet in diesem Moment. In den Augen der Männer standen die Fragen. Sie wußten, daß die Prokas an Bord waren und daß der neue Kapitän ihnen begegnet war. Und sie sahen, daß Barnett bei dieser Begegnung keinen Schaden genommen hatte. Er saß mit dem Rücken zu ihnen und überprüfte die Einstellung der Armaturen. Dann kam sein Befehl. »Lisman! Lösen Sie die Haltetrossen und ziehen Sie die Rettungsleinen ein. Wir stoßen ab.« Auf dem Bildschirm wurde das Trümmerstück des Prokaschiffes kleiner und verschwand schließlich im unendlichen Raum. Barnett spürte, daß sein Schweigen die Männer verrückt machte. Deshalb sprach er. Es war mehr ein lautes Denken, eine Rekapitulation des Erlebten. »Komisch«, sagte Perkins, als Barnett schwieg. »Seit Generationen wird frisch-fröhlich Krieg geführt, und heute kommt man plötzlich auf den Gedanken, daß es besser wäre, ihn nicht zu führen.« »Es ist sinnlos, jetzt über solche Tatsachen zu philosophieren«, erklärte Barnett kategorisch. »Wichtig allein sind die neuen Gesichtspunkte. Neu ist heute, daß der eine vom andern weiß, daß er den Frieden wünscht. Auf unserer CORA befinden sich zum ersten Mal in der Geschichte dieses Krieges Wesen der Prokas und Menschen, die sich nicht gegenseitig zu vernichten suchen. Ich habe die Absicht, diese glückliche Lage auszunutzen und unserer Regierung von der Möglichkeit einer Friedensverhandlung Kenntnis zu geben.« »Ausgerechnet der Rebell ...« »Vielleicht ist gerade ein Rebell besonders für diese Aufgabe geeignet. Ich möchte sachlichere Argumente hören. Machen Sie mit, Lisman?« »Jawohl, Captain!« »Und Sie, Perkins?« »Immer!« »Lavista?« »Ich hasse den Krieg, Sir. Er ist nicht mein Fall. Und mich hat er verdorben.«
54
»Sieh mal an! Diese Selbsterkenntnis ist wirklich verblüffend bei einem Haufen ehemaliger Raumpiraten.« »Schmuggler, Captain! Höchstens Schmuggler. Cox hat sich immer für einen ehrbaren Kaufmann gehalten ...« Perkins brach ab, als der Warnton des Radars plötzlich einsetzte. Doch das war eigentlich nichts Besonderes, denn interstellarer Materie begegnete man des öfteren im Raum. Der Gedanke an das nahe System Poldini ließ aber sofort den Verdacht auf prokaskische Schiffe zu. Es dauerte zehn Minuten, bis das näherkommende Objekt sich auf dem Radar in mehrere Punkte aufteilte, deren Zahl sehr schnell zunahm. »Kometentrümmer?« fragte Lisman. »Hat Poldini periodische Kometen?« »Schon möglich. Aber das hier sind Raumschiffe. Eine ganze Flotte, meine Herren.« Barnett konnte schließlich den Bildschirm kuppeln, und man hatte den Beweis. Raumschiffe im Anflug auf das System Poldini. Der Gedanke an eine Gefahr durch die Prokas konnte aufgegeben werden. Die Form der Schiffe verriet deutlich ihre terranische Herkunft. »Unsere Marine greift Poldini an«, stellte Barnett fest und schaltete den automatischen Wellensucher für den Funkverkehr ein. Im selben Moment kam Praxlomza hereingestürzt. »Perry! Sie rufen die Zentrale. Das heißt, sie wollen es tun.« »Weshalb?« »Sie sagten, es wären mehr als hundert Unionsschiffe im Anflug.« »Donnerwetter! Woher haben sie denn diese Neuigkeit?« »Was weiß ich? Sie behaupten es.« »Dann laß sie nur funken!« »Captain!« brüllte Lisman dazwischen. »Das dürfen Sie nicht zulassen!« »Im Gegenteil. Wir können keinen besseren Beweis bringen, daß es uns mit unserer Vermittlerrolle ernst ist. – Schalten Sie alle Verstärker ein, Lisman. Ich muß versuchen, schon jetzt Verbindung mit unserer Flotte zu bekommen.« »Okay! Wie Sie wünschen!« Man sah Lisman an, daß er diesen Befehl nicht gern ausführte. Barnetts Anruf wurde sofort beantwortet. »Hier Flottenchef Admiral Kingsley! Geben Sie Ihre Personalien!« »Raumschiff Typ Beteigeuze, Name CORA, Eigenschaft: Privatfahrzeug. Kommandant Perry Barnett. Besatzung außerdem vier Mann, eine Frau und – zwei Gäste. Ich lade Sie ein, Admiral, ebenfalls unser Gast zu sein.« »Drehen Sie sofort bei! Sie stehen im Kriegsgebiet unter meinem Oberbefehl. Prisenkommando kommt an Bord.« »Irrtum, Admiral. An Bord kommen nur Gäste. Das Fahrzeug ist in Privatbesitz.« »Folgen Sie den Anweisungen!« kam die unbeirrte Antwort. »Ende!« Die Männer sahen sich an. »Von Ihrer Verhaftung hat er nichts gesagt«, meinte Perkins. »Um so mehr hat er daran gedacht. Mein Name dürfte ihm aus meinem Steckbrief bekannt sein.« »Und trotzdem haben Sie sich verraten.« »Ja, trotzdem, Perkins. Passen Sie auf! Der Admiral ist unruhig geworden. Hier, diese fünf Punkte!« »Sie haben einen Raumsprung gemacht. Entfernung zehn Lichtminuten.« »Sie sind ein Blitzmerker, Lavista. Machen Sie sich jetzt mal nützlich. Ich gebe Ihnen Bildschirm Delta für Außenkontrolle und Schleuse IV. Dort werden wir anlegen. Wenn mehr als fünf Mann an Bord wollen, machen Sie den Laden einfach dicht. Ich bin im Augenblick nicht aufgelegt, mich mit einer Übermacht auseinanderzusetzen.« Lavista machte seine Sache gut. Als das Admiralsschiff längsseits lag, tauchten plötzlich mehr als ein Dutzend Männer in Raumanzügen auf. Er zählte stur bis fünf. Und vor dem sechsten schloß sich die Schleuse, als ob er keinen Eintritt bezahlt hätte.
55
Admiral Kingsley reagierte sofort sauer. »Öffnen Sie die Schleuse, Barnett! Das Prisenkommando umfaßt fünfzehn Mann.« »Tut mir leid, Admiral! Ich habe nur Unterkunftsmöglichkeit für fünf. Aber denen steht dafür jeder Komfort zur Verfügung. Vielleicht darf ich mir gestatten, den Bildsender zu koppeln. Sie haben dann wenigstens das Vergnügen, alle Vorgänge auf unserer Brücke verfolgen zu können. Und Sie dürfen überzeugt sein, daß Ihre Parlamentäre eine angemessene Bewirtung erfahren. – Lavista, Lisman, Perkins! Haben Sie die Pistolen klar?« »Okay, Captain!« »Sie sind verhaftet, Barnett!« brüllte die Stimme des Admirals im Lautsprecher. Und der Bildschirm zeigte deutlich die Zornesröte, die dem Marinegewaltigen ins Gesicht stieg. In diesem Augenblick erreichte das dezimierte Prisenkommando die Brücke. Die fünf Soldaten drangen mit vorgehaltener Waffe ein. Zu einem Schußwechsel kam es jedoch nicht, da die Besatzung der CORA in gleicher Manier dastand. »Guten Tag, meine Herren!« sagte Barnett ohne jede Ironie. »Seltsam, daß wir auf die Art Ihres Besuches in geeigneter Form vorbereitet sind, nicht wahr? Das dokumentierte die Gleichberechtigung zwischen uns und ist die ideale Basis für eine positive Verhandlung.« Ein Offizier trat vor. »Leutnant Barnett, Sir! Ich habe den Auftrag, Sie zu verhaften.« »Wen?« »Sie, Perry Barnett. 10 000 Solar hat das Gehirn als Kopfpreis auf Sie ausgesetzt.« »Sie sind wohl scharf aufs Geld?« »Vermeiden Sie Ausflüchte, Barnett! Die Lage dürfte Ihnen bekannt sein.« »Allerdings, Leutnant! Und wahrscheinlich besser als Ihnen mitsamt Ihrem Admiral. – Hier ist die CORA – umringt von einer hundertfachen Übermacht terranischer Kriegsschiffe. Soweit entspricht die Situation Ihrem eigenen Horizont. Darüber hinaus wäre zu erwähnen, daß die Nachbarschaft des Poldini-Systems von einer Prokaflotte besetzt ist, die nach mehr als tausend Raumkugeln zählt. Allein von Ihrem Verhalten hängt es ab, ob diese Flotte die TerraStreitkräfte vernichten wird, oder ob sie ihren Programmflug zu Ende bringen kann.« »Wenn Sie nicht bluffen, Barnett, sind Sie über Bewegungen und Ansichten unserer Gegner verdächtig gut orientiert.« Barnett zögerte absichtlich mit der Antwort. Denn diese Antwort sollte eine Frage werden. »Wofür kämpfen Sie eigentlich, Leutnant?« »Für den Sieg der Union!« »Was heißt Sieg? Ist das alles? Sieg, Sieg, Sieg?« »Trotz Ihres examinierenden Tones«, sagte Bolzoni schneidend, »darf ich Ihnen antworten, daß unser Sieg dem Frieden dient.« Barnett atmete auf. Er übertrieb es noch absichtlich. »Wenn das aufrichtig gemeint ist, sind Sie mein Freund, Leutnant.« »Ich verzichte auf die Freundschaft eines Deserteurs.« »Ja, freilich! Ich vergaß es ganz«, sagte Barnett scheinbar resigniert und drehte seinen Stuhl um 90 Grad. Dann starrte er in das Gesicht des Admirals auf dem Bildschirm. »Er ist nicht nur ein Rebell!« rief der Admiral. »Er ist auch ein hoffnungsloser Phantast. Leutnant Bolzoni, ich verlange, daß Sie augenblicklich meinem Befehl nachkommen! Wenn Perry Barnett sich nicht innerhalb einer Viertelstunde auf dem Flaggschiff befindet, eröffnet die Flotte das Feuer auf die CORA!« Bolzoni hatte offenbar kein Interesse daran, mit Barnett das Schicksal zu teilen. Seine Leute erhoben erneut die Waffen. Doch auch diese Aktion konnte nicht zu Ende geführt werden, denn mitten hinein platzten die beiden Prokas. Die Reaktion der Marinesoldaten verriet, daß keiner von ihnen bis heute gewußt hatte, wie ihre Gegner wirklich aussahen. Der Schreck lähmte ihre Glieder. Aus dem Lautsprecher drang ein Fluch des Admirals und unmittelbar der folgenschwere
56
Befehl, der die Vernichtung seiner Flotte bedeutete. Denn in diesem Augenblick griffen tausend Raumkugeln der Prokas an und stießen in die geballte Bereitstellung der Terraner. Nur ein Schiff entkam der Vernichtung – die CORA. Und das geschah, weil Nam-Legak und Iks-Wol-Esak an Bord waren. * Die Stimmung der Menschen nach der Schlacht kam einer völligen Resignation gleich. Nicht nur, daß es den Verlust der Flotte zu beklagen gab. Barnett erkannte die Niederlage seiner Idee. Wohl keiner hatte jemals seiner Rasse so sehr geschadet wie der Admiral. Dabei konnte man ihm nicht einmal einen Vorwurf machen. Er hatte gehandelt wie ein normaler Mensch, geleitet von einem gesunden Mißtrauen und geistesgegenwärtig in der Gefahr -– nach dem bewährten Motto: Wer zuerst schießt, stirbt zuletzt. Allein, das Gesetz der Serie verlangt, daß diese Rechnung nicht immer aufgeht. Heute ging sie bei Admiral Kingsley nicht auf. Und die Menschen würden die Leidtragenden sein. In diese Gedanken einer pessimistischen Bilanz drangen die Gedanken des kleinen Iks-WolEsak. »Diese Schlacht ändert nichts an unseren Abmachungen, Barnett.« »Der Admiral hat unsere letzte Vertrauenswürdigkeit verspielt.« »Absolut nicht! Er reagierte wie jede galaktische Intelligenz auf unserer Stufe. Glaubst du, daß die Prokas anders sind? Nein, Barnett, wir sind nicht besser und auch nicht würdiger als ihr. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß unsere Regierung bereit ist, mit eurem Gehirn zu verhandeln. Die einzige Bedingung ist, daß keine Bedingungen gestellt werden. In territorialen Fragen soll gelten, was vor dem Kriege galt.« Für Barnett war das alles wie ein Traum. Er, der Deserteur, der Rebell, hatte das Schicksal der Menschheit in der Hand. Er mußte die Heimkehr wagen, wenngleich er nicht wußte, wie die Regierung der Union reagieren würde. Die Rückkehr konnte ebensogut sein persönliches Unglück bedeuten, konnte bedeuten, daß man ihn auf Sohle 113 schickte. Trotzdem stand es außerhalb jeder Erwägung, das Angebot der Prokas zurückzuweisen. Niemand hatte ein Recht dazu, der eine Verantwortung seiner Rasse gegenüber empfand. Auch nicht er, der unscheinbare Reserveleutnant Perry Barnett. Er wandte sich dem Proka zu. »Mein persönliches Schicksal hat mich oft an der Unfehlbarkeit des Gehirns zweifeln lassen. Doch ich werde es versuchen. Allerdings haben wir nicht die Möglichkeit, die Unionsregierung durch Funk jetzt schon zu unterrichten.« Iks-Wol-Esak dachte eine Frage. »Warum nicht?« »Ich bin vogelfrei für die Menschheit. Man sucht mich tot oder lebendig. Wir haben nur Aussicht auf Erfolg, wenn wir euer Friedensangebot direkt vortragen. Bis dahin ist es besser, die Welt erfährt nichts von ihrem Glück.« »Jeder Tag Krieg fordert Opfer«, gab der Proka zu bedenken. »Der Krieg hat Generationen gedauert. Wenn wir durch unüberlegtes Handeln den Frieden aufs Spiel setzen, wird der Schaden noch größer sein. Ich kann es nicht ändern, daß ich für die Menschen eine sehr zweifelhafte Persönlichkeit geworden bin.« Iks-Wol-Esak gab nach. »Du kennst eure Verhältnisse besser als wir. Also handle, wie du es für richtig hältst.« »Ich danke dir für dein Vertrauen. Noch eine Frage: Kommt ihr mit zur Erde?« »Wir kommen mit.« *
57
Die CORA schaffte die Entfernung in knapp drei Wochen. Der Zeitausgleichende Hyperrace ließ sie Lichtjahre überwinden, ohne daß sich im Ablauf des Kalenders etwas änderte. Es war gut, daß die Zeit der CORA nicht weglaufen konnte, denn sonst hätten die geplanten Friedensverhandlungen einige tausend Jahre später stattfinden müssen, und die Intelligenzen der Galaxis hätten den Schaden gehabt. Cora stand neben Barnett im Kommandoraum, als das Schiff in die Erdatmosphäre eintrat. »Du kennst den Weg in die Stadt, Cora. Wirst du mich wieder so hineinschmuggeln können, wie du mich herausgeholt hast?« Sie nickte. »Verlaß dich auf mich, Perry! Sieh nur zu, daß du richtig auf dem Plateau landest. Und gib getrost noch einmal das Erkennungszeichen von Cox durch, wenn du eine Kontrolle der Raumpolizei verhindern willst. Seine Lizenz ist trotz der Pleite noch nicht erloschen.« »Und wenn sie schon draußen auf uns warten? Sie wissen, daß Cox mich entführt hat.« »Macht nichts. Sie kennen auf keinen Fall den Eingang zum Berg. Laß Lisman das Manöver machen. Wir starten mit den beiden Prokas dann aus tausend Meter Höhe.« »Das schafft eine Flugkuppel nicht. Zwei Mann ist das Äußerste.« »Dann nehmen wir zwei Boote. Du eins und ich eins. Jeder mit einem Proka ...« * Cora und Perry Barnett erreichten unangefochten Sohle 3 und standen kurz darauf vor dem Eingang der Psychoabteilung. Sie traten an den Sprechschlitz und nannten ihre Bürgernummern. »Legitimation!« kam die Aufforderung des Robotportiers. »Alarmdringlichkeit I für Sol-Sirius-Union«, sagte Barnett mit trockenem Gaumen. »Haben Sie keine Voranmeldung?« fragte der Roboter. »Ich mache Sie pflichtgemäß darauf aufmerksam, daß Sie bei Verwendung der Alarmklausel tatsächlich lebenswichtige Gründe für die Union vorbringen müssen. Auf Mißbrauch der Klausel besteht Haftstrafe bis zu 35 Jahren auf Sohle 113.« »Ich bin orientiert.« »Und die Dame?« »Gehört zu mir. Melde unsere Anwesenheit!« Sie durften eintreten. »Es lebe die Union!« In dem öden schmucklosen Raum saß Skeen. »Barnett! Beim Allgeist! Sie kommen freiwillig?« »Ich komme im Auftrage aller Menschen und Prokas, den Intelligenzen der Galaxis. Ich habe dem Gehirn ein Angebot zu machen.« Skeen wurde noch blasser. Der Vergleich mit einer Kalkwand oder einer Schneelandschaft reichte nicht aus. Skeen litt unter einem unerklärlichen Eindruck, der seinen ganzen Körper erzittern ließ. »Ist Ihnen nicht wohl, Skeen?« fragte Cora besorgt und wollte ihm helfen. Doch der Mann winkte ab. »Lassen Sie mich einen Augenblick. Sie wissen nicht, was diese Stunde für mich bedeutet.« »Und Sie wissen nicht, welches Angebot wir dem Gehirn vorzulegen haben.« »Ich weiß es nicht? Doch, Barnett, ich weiß es. Sie bringen den Frieden.« »Allerdings. Zwar nicht den Frieden selbst. Aber ich kenne die Möglichkeit, wie ihn vernünftige und verantwortungsbewußte Menschen erlangen können. Verdammt, Skeen ... wie kommen Sie darauf?« Skeen begann seine Beichte, die ihm von einem Wort zum anderen leichter fiel. Die
58
Erlösung kam über ihn. Ein gutes Vorzeichen für die ganze Menschheit. Er sprach vom Beginn des Krieges und von seinem Verlauf bis zum heutigen Tag. Er sprach vom Gehirn, das als absolute Vernunft die Geschicke der Menschheit gelenkt hatte, und das seit Jahrzehnten seine vertrauten Minister wissen ließ, daß der Krieg in einer Sackgasse enden würde. »... ja, so stand es seit langem um unser Schicksal, Barnett. Das Gehirn rechnete eine weitere Kriegsdauer von 800 bis 850 Jahren aus. Am Ende stand der Tod aller galaktischen Intelligenzen. Es gab keine Siegchancen. Es gab nur noch illegale Zufälle, die helfen konnten. Und das Gehirn konstruierte dreihundertsechsundsechzig Zufälle. Es wählte Menschen aus, die aufgrund ihrer charakterlichen Veranlagung dazu geeignet waren. Vor siebenhundert Jahren starb der erste menschliche Zufallsbote bei den Prokas. Vor drei Jahren starb der dreihundertfünfundsechzigste. Keiner kam wieder. Bis auf Sie, Barnett.« Jetzt war Barnett an der Reihe, die Schockwirkung überwinden zu müssen. »Bei Gott, Skeen, wollen Sie behaupten, man habe mich absichtlich auf diese Art und Weise in das All hinausgeschickt?« Der Psychologe nickte ernst. »Wir brauchten Rebellen und Deserteure, Barnett. Und sie mußten echt sein. Außer dem Gehirn und fünf Premierministern, zu denen ich zähle, gab es niemanden, der davon wußte. Sie wurden offiziell verfolgt. Sie wurden zum Deserteur erklärt. Nur um in die Arme der Prokas getrieben zu werden. Es war eine banale Wahrscheinlichkeitsrechnung. Das Gehirn sagte eben, daß nur der Zufall helfen könne. Und der Zufall muß konstruiert werden. Einer nach dem anderen. Siebenhundert Jahre lang ...« »Ich bitte um Verzeihung, Skeen, wenn ich unterbreche. Die Eröffnung kommt mir sehr überraschend. Hängt vielleicht meine Wehruntauglichkeit damit zusammen?« Der Psychologe konnte wieder lächeln. »Ja, Barnett. Und Sie dürfen es keinem nachtragen, verstehen Sie? Das Gehirn hielt Sie für einen der besten Offiziere der Raummarine. Aber gerade deshalb mußten wir Ihnen die Möglichkeit zur Rebellion geben. Oder hätten wir Sie vielleicht auf irgendeinem Kreuzer inmitten einer Riesenflotte untertauchen lassen sollen? Nein, Barnett, dafür waren Sie uns zu wertvoll. Aber jetzt höre ich Ihren Bericht. Bis jetzt habe ich nur Erklärungen gegeben.« Barnett erzählte ausführlich sein ganzes Abenteuer, und Skeen unterbrach ihn kaum. Lediglich als er erfuhr, daß zwei Wissenschaftler der Prokas bereits in den oberen Höhlen weilten, gab er sofort Befehl, sie holen zu lassen. Allerdings mußte man Cora mitnehmen, um sie überhaupt zu finden. Barnett durfte inzwischen mit Forry Bannister visiphonieren, um ihm die beruhigende Mitteilung zu machen, daß seine medizinischen Diagnosen alle gestimmt hätten. Und Bannister erhielt die Erlaubnis, das Büro Skeens unverzüglich aufzusuchen. * Eine Stunde später standen zwei Prokas und drei Menschen vor Skeens Schreibtisch. NamLegak, Iks-Wol-Esak, Barnett, Cora und Bannister. »Wir werden noch heute die notwendigen Besprechungen mit den anderen Ministern einleiten. Sie alle, die Sie hier anwesend sind, werden daran teilnehmen, aktiv oder passiv. Passiv, Bannister, verstehen Sie? Ich bezwecke lediglich, daß Sie nicht vor Abschluß der Konferenz durch die Welt laufen und von einem Frieden reden, den es noch zu erarbeiten gilt.« »Ich bin mit Vergnügen Ihr Gefangener, Skeen.« »Mein Gast, Bannister, mein Gast! Die Zeit der Gefangenschaften ist vorbei. Denn ich habe die ehrliche Überzeugung, daß der Friede in kürzester Zeit eine Tatsache sein wird.« »Das gebe der Schöpfer des Alls!«
59
Skeen trat plötzlich mit einer kostbaren Kassette auf Barnett zu. »Sie sind Träger der Planetenschleife, Barnett.« »Jawohl, für den Etappendienst.« »Im Namen des Gehirns verleihe ich Ihnen in dieser Stunde des Jahres 13 267 die Raketennadel für Frontkämpfer. Es ist die höchste Auszeichnung, die die Union zu vergeben hat, Barnett. Tragen Sie sie in Ehren. Bitten Sie den Allgeist, daß es die letzte Verleihung dieses Krieges sein möge. Und nun kommen Sie einen Augenblick mit mir. Wir werden eine Unterredung mit dem Gehirn haben.« Barnett sah Skeen groß an.
ENDE
60
»Der große Zeitsprung«
Die Sonne Sol war nur noch ein Punkt am Firmament. Ein flackerndes Licht, das unruhig im Strom der Milchstraße funkelte. Das Raumschiff CORA hatte Kurs Poldini gesetzt, ein System, das man von Terra aus erreicht, wenn man das Sternbild der Zwillinge ansteuert. Doch zwischen Start und Ziel, zwischen Sol und Poldini, lag der nichtssagende routinemäßige Raumsprung, der auf Grund eines Fehlers plötzlich die Welt auf den Kopf stellte. Es nützte auch nichts, daß man den Fehler ziemlich schnell herausfand. Als Iks-Wol-Esak ihn entdeckte, war es bereits zu spät, ihn wiedergutzumachen. Während der Kommandant Perry Barnett das Manöver durchführte, waren Perkins und Lisman bei ihm in der Zentrale. Auch sieben Stunden nach dem Start gab es immer noch einige Sachen einzuräumen und zu ordnen, denn der Abflug von der Erde war beinahe überstürzt erfolgt. Perry Barnett war nicht länger als drei Tage zu Hause gewesen, als das Gehirn, der regierende Elektronendiktator der Sol-Sirius-Union, ihn erneut zu sich gerufen hatte, um ihm und Skeen, dem Marinepsychologen und Minister, seine Anweisungen zu geben. Barnett war so kühn gewesen, das Gehirn zu fragen, weshalb ausgerechnet nach drei Tagen die Sache so eilig geworden wäre. Bis dahin war er nämlich mit Cora durch die Lokale der unterirdischen Stadt gestreift, hatte die Zeit totgeschlagen und sich gefragt, weshalb die Entscheidungen einer Elektronenintelligenz solange auf sich warten ließen. Das Gehirn hatte ihm diese Frage völlig leidenschaftslos beantwortet, indem er ihn an die beiden Prokas verwies, mit denen es während der drei Tage konferiert hatte. Wenn man aber bedenkt, wie kompliziert eine Unterhaltung zwischen Prokas und Menschen vor sich geht – nämlich mit Telepathierelais – dann war zu verstehen, daß Barnett nach seiner Entlassung aus dem Regierungszentrum sein Interview mit den befreundeten Kugelwesen erst einmal zurückstellte, um die Befehle des Gehirns unverzüglich zu befolgen. Dienstroboter halfen ihm, die Besatzung aus einem verkommenen Nachtlokal der 104. Sohle herauszulotsen. Cora mußte den Einkauf mehrerer modischer Perücken unterbrechen und Forry Bannister war gezwungen, innerhalb einer Stunde seine Privatpraxis einem anderen Arzt zu übergeben. Bannister war am wenigsten vorbereitet gewesen, denn er gehörte ja nicht mit zur Schiffsbesatzung und hatte kaum damit gerechnet, daß er die nächste Reise der CORA mitmachen würde. Perry Barnett starrte auf den Bugbildschirm, ohne das Meer der Sterne wahrzunehmen. Seine Gedanken schweiften einen Augenblick ab, und er dachte an die drei Tage auf Terra, an den Auftrag des Gehirns, an die beiden so unmenschlichen Prokas und an Forry Bannisters dummes Gesicht. Wahrhaftig, noch nie hatte der Arzt so tölpelhaft ausgesehen wie in dem Moment, als man von ihm verlangte, im Laufe von 60 Minuten auf der CORA zu erscheinen. Sekundenlang huschte ein Grinsen über Perry Barnetts Gesicht. Dann gewann die nüchterne Umgebung der Kommandozentrale wieder Gestalt für ihn. Im Rückspiegel suchte er Perkins und Lisman, die hinter ihm saßen. »Drei Minuten bis Raumsprung«, sagte er ruhig. »Klar zum Manöver!« »Klar zum Manöver«, wiederholten die beiden. Es war nichts als gewohnte Routinearbeit. Nicht einmal die Bordanlage hatte Barnett eingeschaltet, durch die man sonst die gesamte Besatzung an besonderen navigatorischen Ereignissen teilnehmen ließ. Für die Menschen und die beiden Prokas auf diesem Schiff gab es nur eine Sache von Wichtigkeit, nämlich die Anbahnung von Friedensverhandlungen mit der prokaskischen Regierung. Jeder versäumte Tag konnte Tausende von zivilisierten und intelligenten Lebewesen auf beiden Seiten das
61
Leben kosten. Beinahe ein Jahrtausend lang tobte der große Galaktische Krieg zwischen den Prokas und den Menschen. Dieser Krieg fand keine Parallele in der Geschichte des Milchstraßensystems. Er war der totalste Krieg aller Zeiten, er war die kompromißloseste Begegnung, die es jemals zwischen zwei Intelligenzen gegeben hatte. »Zwei Minuten bis Raumsprung«, kamen Captain Barnetts Worte. Er saß bewegungslos im Kommandantensessel. Perkins und Lisman sahen nur Konzentration in seiner Haltung. Doch seine Gedanken fanden noch genügend Zeit, in die Vergangenheit abzuirren und ihm das Bild des Poldini-Planeten heraufzubeschwören, auf dem die erste Begegnung zwischen dem Menschen Barnett und den Prokas stattgefunden hatte. Barnett war ein Patriot und Fanatiker, wie ihn sich keine Kriegspartei besser wünschen konnte. Doch Barnett war auch ein Auserwählter. Das Gehirn hatte ihn zum Rebellen gemacht und auf einen Weg gebracht, an dem eben diese Begegnung lag. Die Begegnung zwischen ihm und den Prokas Iks-Wol-Esak und Nam-Legak. Seltsam, daß Jahrhunderte vergehen mußten, ehe ein solches Treffen arrangiert werden konnte! Jahrhunderte des Schreckens und des Tötens, des im Grunde sinnlosen Eroberns, Verlierens und Wiedereroberns. »Eine Minute bis Raumsprung!« Barnetts Körper war wach. Sein Blick verfolgte von Sekunde zu Sekunde den Lauf des Chronometers, und trotzdem verschwendete er noch Gedanken an zukünftige Dinge, die hinter dem Raumsprung liegen würden. Die kommenden Friedensverhandlungen mit der prokaskischen Regierung. Barnett war glücklich und stolz. Nicht, daß er sich einbildete, der Retter des Galaktischen Friedens zu sein. Er wußte genau, daß er nur ein Werkzeug stärkerer Kräfte war. Aber diese Kräfte waren gut, weil sie im Sinne der absoluten Vernunft arbeiteten. Und sie hatten für Barnetts Kapazität immerhin noch genug offengelassen, was für ihn zu tun blieb. Noch fünfzehn Sekunden vor Punkt Null mußte er an Iks-Wol-Esak und Nam-Legak denken, die er schon vor dem Start etwas fragen wollte. Nun, es würde Zeit bis nach der Flugwache haben! »Zehn Sekunden bis Raumsprung! Na denn ... meine Herren!« In diesem Augenblick verschwand die CORA für einen außenstehenden Beobachter vom Himmel. Sie lief dem Licht davon. Für jedes äußere Bezugssystem verhundertfachte sie ihre Beschleunigung. Als Zeitgenosse des 133. Jahrhunderts nannte man diesen Vorgang Hyperrace. Da aber überlichtschnelle Geschwindigkeiten unweigerlich eine Zeitverschiebung in die Zukunft bedeutete, hatten sich die Menschen bemüht, eine Möglichkeit zu finden, dieses Handikap auszuschalten. Mit einem Zeitsprung war niemandem in der Gegenwart gedient. Aus naheliegenden Gründen war das Zeitspringen sogar verboten, obgleich man einen Zeitflüchtling in der Gegenwart nicht mehr zur Verantwortung ziehen konnte. Vielleicht konnte man ihn in der Zukunft bestrafen. Voraussetzung dafür war, daß die Polizeibehörde den Fall lange genug im Auge behielt. Nun, das Verbot des Zeitspringens war lediglich eine Vervollkommnung der Gesetzbücher. Die Regierung des Gehirns hatte längst dafür gesorgt, daß Raumschiffe nur mit dem ausgleichenden Hyperrace ausgerüstet wurden, was seit der Entdeckung der temporisierten Mesonen absolut keine Schwierigkeit bereitete. Der Hyperrace wurde dadurch auf eine nahezu zeitlose Ebene verschoben, so daß tatsächlich ein Raumsprung ohne Zeitverlust zustande kam. Das typische Kennzeichen für einen solchen Raumsprung war die sogenannte Sternflucht, eine Erscheinung, die sich auf dem Bildschirm, also bei jeder optischen und radiooptischen Beobachtung, zu erkennen gab. Der scheinbar ruhende Fixsternhimmel geriet beim Raumsprung für das Schiff in eine superschnelle Bewegung. Die Punkte der Sterne zogen sich sofort zu endlosen Lichtstreifen auseinander ... Wie gesagt, ein solches Manöver war für den Raumfahrer des 133. Jahrhunderts eine Alltäglichkeit. Über die hier geschilderten physikalischen Zusammenhänge zerbrach er sich
62
nicht jedes Mal den Kopf. Er machte die notwendigen Handgriffe, die den Schiffsantrieb auf temporisierte Mesonen umstellten, und lehnte sich dann in der Regel bequem in seinem Pilotensessel zurück. Auch Barnett machte darin keine Ausnahme. Nur daß er es diesmal keine drei Sekunden in inniger Berührung mit der Rückenlehne aushielt. Er kam sofort wieder vor und hantierte gereizt an sämtlichen Hebeln und Knöpfen, die etwas mit der Bildübertragung zu tun hatten. Und dann erlaubte er sich einen Fluch, den man ihm nur unter Männern verzeihen konnte. Auch Lisman und Perkins veränderten ihre Position in einem Maße, das bereits gegen die Dienstvorschrift verstieß. Sie verließen ihre Sitze und drängten sich zu Barnett. Seit ihrem gemeinsamen Erlebnis war das persönliche Verhältnis untereinander lockerer und persönlicher geworden. »Verdammt! Was wollt ihr hier? Setzt euch hin! Wie ich den Bildschirm repariere, könnt ihr auch von euren Plätzen aus beobachten ..., wenn es euch interessiert.« »Okay, Barnett. Du mußt entschuldigen. Es sah einfach schaurig aus.« »Was sah schaurig aus? Habt ihr noch nie einen Bildschirm gesehen, der schwarz wird?« »Das schon«, löste Perkins Lisman im Antworten ab. »Nur so unmittelbar nach Eintritt in den Hyperrace wirkt das reichlich aufregend. Man hat dann unweigerlich das Gefühl, es könnte etwas mit dem Sprung schiefgegangen sein.« »Nett, daß du plötzlich auch Gefühle hast, Perkins. Du wirst mir doch wohl nicht krank?« »Bis auf den Schreck bin ich vollkommen gesund und melde Befehl ausgeführt. Maschinist Perkins sitzt wieder und gestattet sich, den Reparaturarbeiten seines Captains zuzusehen.« »Schon gut. Hoffentlich tust du das mit Aufmerksamkeit, damit du endlich etwas dazulernst.« »Ich bin nichts als Konzentration.« »Du bist eine alte Quasselstrippe ...« Lisman und Perkins hockten auf ihren Plätzen. Ihre Gesichter spiegelten eine undefinierbare Stimmung wider. Sie wußten nicht, ob sie besorgt sein oder grinsen sollten. Je länger sie jedoch Barnett zusahen, um so mehr entschieden sie sich fürs Besorgtsein. »Soll ich helfen, Barnett?« fragte Lisman. Der Captain unterließ diesmal einen anderslautenden Befehl und wandte sich achselzuckend um. »Bitte, versuch's! Aber ich sage dir, du wirst nichts finden. Andernfalls bin ich ein Trottel.« »Ich will mich bemühen, dir den Trottel glaubhaft zu machen.« Lisman schaffte es nicht. Er hielt es zehn Minuten aus und schwitzte danach aus allen Poren. Inzwischen war auch Perkins wieder herangekommen, ohne daß jemand etwas dagegen hatte. »Ich würde euch ja gern helfen. Aber wenn ihr schon nichts gefunden habt ...« Lisman winkte resigniert ab. »Gib dir keine Mühe! Es ist kein Fehler zu entdecken.« »Es muß aber einer da sein.« »Natürlich muß einer da sein«, machte Lisman gereizt. »Kaputt ist kaputt. Auch bei einem Televisor.« »Und wenn er nun nicht kaputt ist?« fragte Barnett. Es sollte wohl examinierend klingen, wie er das als Vorgesetzter seinen Leuten schuldig war. Doch es fehlte die Überzeugung in dieser Frage. Lisman beantwortete sie mit einem offenstehenden Mund. »Die Frage regt zu logischem Denken an«, erklärte Perkins in seiner ironisierenden Art. »Wenn der Televisor nicht kaputt ist, dann auf jeden Fall irgend etwas anderes. Denn der Schirm ist schwarz und läßt nicht ein Kerzenlicht erkennen.« »Wir werden eine Radarprobe machen«, entschied Barnett. »Wenn die 30 cm-Welle auch nicht reagiert, sind wir so gut wie tot ...« Die Radargeräte funktionierten tatsächlich nicht. Sie wurden untersucht wie der Bildempfänger. Nur – daß man keinen Fehler fand.
63
Die Männer sahen sich an. Perkins blickte wie einer, der Hilfe braucht. Lisman zerrte mit der Hand am Kragen, als bekäme er keine Luft mehr, und Barnett sah so hilflos aus, wie ihn keiner kannte. »Setzt euch, Jungs! Ihr müßt jetzt mitdenken. Bevor irgend etwas an den Maschinen geändert wird, müssen wir herausfinden, was geschehen ist. Sonst können wir alle draufgehen.« »Du hast gesagt, wir wären so gut wie tot, wenn das Radar kaputt ist. Wir sind aber nicht tot«, murmelte Perkins, und seine Behauptung klang wie eine Frage. »Nein, wir sind nicht tot«, erklärte Barnett verbissen. »Wir sind es noch nicht. Und jetzt sage mir, was du gesehen hast, Lisman. Was geschah, als wir in den Hyperdrive gingen? Sind wir überhaupt hineingekommen?« »Natürlich sind wir das! Drei oder vier Sekunden lang zogen die Sterne Striche. Dann verschwanden sie, und der Schirm wurde schwarz. Unter der Voraussetzung, daß das Gerät nicht defekt ist, darf ich also annehmen, daß in einem meßbaren Bereich keine Materie mehr existiert. So ungeheuerlich es klingt, müssen wir diese Möglichkeit ins Auge fassen, da die Radarbeobachtung das Ergebnis bestätigt.« »Ihr wißt nicht, was ihr redet!« protestierte Perkins. »Ich bin tatsächlich nicht in der körperlichen Verfassung, eine solche Situation anerkennen zu können.« »Die Situation wird sich kaum danach richten, ob du sie verkraften kannst oder nicht. Du mußt schon versuchen, dich ihr anzupassen.« »Vielen Dank für die Empfehlung. Doch ich sehe keine Möglichkeit, mich anzupassen. Ich weiß nicht, wem. Wenn draußen keine Materie vorhanden ist, dann gelang uns wahrscheinlich der Sprung aus der Milchstraße. Aber es ist doch wohl keiner unter euch, dem ich das abnehmen soll. Aus einem Drei-Parsec-Sprung, der für die Dauer von ein paar Wochen errechnet war, kann nicht in zwei Sekunden der Sprung aus der Galaxis gelungen sein.« »Ganz recht! Das wäre erstens nicht möglich und kann zweitens nicht zutreffen, da wir selbst im leeren Raum, also zwischen zwei Nebeln, immer noch Materie orten können. Wir messen aber mit vollkommen betriebsfertigen Geräten nicht ein einziges Atom. Auf der anderen Seite kannst du nicht mit einer Weltuntergangstheorie kommen. Denn dann würden auch wir in diesem Augenblick nicht mehr existieren.« »Vielleicht existieren wir auch nicht mehr.« »Mit Verlegenheitsphilosophie kommst du nicht weit. Auf jeden Fall mußt du diese Kommandozentrale als Tatsache anerkennen. Nein, das Rätsel liegt draußen, außerhalb unseres Schiffes.« »Nun gut, wenn wir existieren, was ich im Augenblick auch gar nicht bezweifeln möchte, so müssen wir eben das übrige All als vernichtet ansehen. Seid mir nicht böse! Aber ihr verlangt Logik von mir. Und wenn ich festgestellt habe, daß draußen nichts ist, dann ist dort auch nichts. Und wo nichts ist, da ist auch kein Universum. Und wo kein Universum ist, können wir nicht existieren.« »Deine Bauernlogik stimmt aber offenbar nicht«, erklärte Lisman ungeduldig. »Sieh dich doch um ...« »Laß bloß das Schulmeistern!« wehrte sich Perkins. »Du weißt genauso wenig Bescheid. Du weißt nicht, wo wir sind und was wir sind. Du weißt gar nichts, mein Lieber. Vielleicht ist das hier der Himmel.« »Wirst du plötzlich religiös?« »Es gibt Leute, die werden eben erst religiös, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Und ich weiß nicht mehr weiter. Bewiesen hat Gott noch keiner. Aber naive Leute wie ich, die den Raum nach Lichtjahren durchkreuzen, haben immer so das komische Gefühl im Magen, daß sie in dieser rätselhaften Endlosigkeit eines Tages doch mal auf Gott stoßen können ...« »Hört auf!« schrie Barnett plötzlich.
64
»Wir reden vom Himmel und du benimmst dich wie ein primitiver Atheist«, sagte Perkins leise, aber vorwurfsvoll. »Das ist mindestens pietätlos.« »Wir sind in Gefahr, und ihr redet ausgesprochenen Nonsens. Wenn du hier Verdacht auf Seelenwanderung hast, dann liegst du völlig schief, mein Junge. Denn unser Schiff existiert noch. Und da man weltliche Werte schwerlich mit in die Ewigkeit retten kann, solltest du dich schnellstens damit abfinden, daß wir noch nicht gestorben sind. Du hast den Tod noch vor dir. Und du hast ihn noch zu fürchten. Also. – Dienstbetrieb, meine Herren!! Wir gehen in den Normalraum zurück.« Für Perkins war das ein Befehl, dem er ohne Überlegung gehorchte. Er setzte sich auf seinen Platz und empfand sogar Erleichterung bei dem Gedanken, daß Barnett ihn in den nächsten Minuten mitsamt dem Raumschiff CORA wieder in einer vernünftigen Galaxis abliefern würde, wo man immer wußte, wie man dran war. Lisman dagegen rührte sich nicht vom Fleck. Ehe Barnett ihn unwillig anbrüllen konnte, sagte er nur ganz leise: »Perry ...« In diesem Wort lagen soviel Angst und Hilflosigkeit, daß Barnett noch verwirrter wurde. »Was ist mit dir, James?« »Ich weiß nicht ... Aber – weißt du wenigstens, was du tust?« »Verdammt! Ich will aus diesem Nichts heraus. Vielleicht ist alles wieder in Ordnung, wenn wir den Hyperrace verlassen.« »Vielleicht. Aber du weißt es nicht. Du weißt nicht einmal, ob du im Hyperraum bist. Und wo du nicht bist, kannst du nicht hinausgehen ...« »Mein Gott, ja! Ich weiß, was du meinst. Doch wir müssen etwas tun! Das Schiff ist in Ordnung. Die Geräte sind völlig unbeschädigt. Hier gibt es nicht die geringste Möglichkeit der Standortbestimmung. Kein Mensch kann hier etwas anderes tun, als auf Verdacht handeln. Das ist unser Risiko ...« »Kein Mensch, freilich. Aber ein Proka vielleicht ...« Perkins war schon wieder heraus aus seinem Sessel. »Captain! Lisman hat recht.« »So, hat er das?« »Du weißt es selbst und willst es nur nicht zugeben. Du hast genauso Angst wie wir. Natürlich will ich auch hier raus aus diesem Totenreich. Denn so was Ähnliches muß es schon sein. Bloß ... wenn es schiefgeht, Captain. Dann ... wir sollten herauszukriegen versuchen, wo wir sind, ehe wir eine Dummheit machen. Und die Prokas sind gescheite Burschen. Erinnere dich, wie Talcott starb! Es war en Luftbild, das nur mit dir geredet hat. Aber du bist durch ihn hindurchgegangen und konntest ihm nicht helfen.« »Was hat das hiermit zu tun?« »Ich weiß nicht. Ich will dir nur beweisen, daß die Prokas Kenntnisse besitzen, an die wir höchstens im Traum denken.« »Die Prokas sind auch nur Menschen ...« »Eben nicht. Sie sind Prokas. Hast du vielleicht Angst, ihnen zu sagen, was passiert ist?« »Lieber wäre es mir schon, wir hätten den ganzen Schaden behoben, bevor die Besatzung alles erfährt.« »Mir wäre manches lieber. Nur halte ich es für falsch, auf die Gemüter Rücksicht zu nehmen. Vielleicht können die Prokas Funkverbindung mit ihren Leuten herstellen.« Barnett durchzuckte es wie ein Blitz. Er hätte sich ohrfeigen können. Funkverbindung war sein Stichwort. Ohne Perkins eine Antwort zu geben, wandte er sich seinen Geräten zu und drehte den Empfänger über sämtliche zur Verfügung stehenden Skalen. Aber auch dieser Hoffnungsschimmer erlosch. »Mich überrascht es nicht«, sagte Lisman, und in seiner Stimme lag eine versteckte Genugtuung, die völlig absurd war. »Alle Geräte sind in Ordnung. Warum sollten wir beim Funken Erfolg haben, wenn es mit Radar und Television schiefgeht? Außerdem wäre es
65
unlogisch.« »Man spürt geradezu deine Freude über den Mißerfolg«, knurrte Perkins wütend. »Mach dich nicht lächerlich! Und verlange nicht, daß das Naturgesetz sich deinen Wünschen beugt! Wenn draußen keine Galaxis ist, kann auch kein Funkverkehr herrschen. Ich schlage vor, wir rufen die Prokas. Alles andere ist verantwortungsloser Unsinn.« »Wie du meinst ...« Barnett hob das Telepathierelais auf sein Armaturenpult und konzentrierte Gedanken. Er sprach nur die Namen der fremden Freunde. Bevor er einen Kommentar zur Lage geben konnte, rollten Nam-Legak und Iks-Wol-Esak durch das Korridorschott. Doch mit Zauberei hatte das nichts zu tun. Das kleinere der beiden Kugelwesen erklärte, sie wären schon minutenlang durch völlig wirre Gedanken aus der Zentrale beunruhigt worden. Sie hätten sich daraufhin bereits entschlossen, die Kommandobrücke aufzusuchen, obgleich sie fürchten mußten, es könne den Menschen unangenehm sein. Barnett erklärte den Prokas die Lage. Oder, besser gesagt, er nannte seine Sorgen, denn zur Lage erwartete er selbst eine Erklärung. Nam-Legak kam bis an den Kommandantensessel heran. Seine Augen reichten nicht höher als die Sitzfläche. Deshalb kletterte er an den Armaturen hoch, um einen Überblick über die verschiedenen Schaltungen zu bekommen. Barnett mußte ihm vieles erklären, während er in seiner Ungeduld auf ein positives Wort der Prokas wartete. Da aber weder Iks noch Nam irgendwelche Vermutungen verrieten, stellte er eine direkte Frage. »Gibt es irgend etwas in eurer Welt, das mit unserem Zustand zu vergleichen ist? Ich meine, habt ihr solche Vorfälle schon einmal bei einem Raumsprung erlebt?« »Ich kann noch nichts dazu sagen«, erklärte Nam-Legak. »Laßt uns erst alles überprüfen.« »Das ist bereits geschehen.« »Menschen überprüfen anders als Prokas. Laß nur, es kann nicht schaden.« »Aber wir verlieren Zeit. Vielleicht kostbare Zeit. Niemand kann sagen, ob wir dadurch unsere letzte Chance verspielen.« »Wenn wir die verspielen, wird der Krieg zwischen unseren Rassen weitergehen. Aber ich kann nichts dazu sagen, ehe ich nicht alle Tatsachen im Schiff kenne. Was ist das hier?« »Die Wellenschaltung für das Funkgerät. Es ist in Ordnung.« »Ich stelle es soeben fest.« »Versucht es bitte mit euren Apparaten! Unter Umständen fangen wir Meldungen der Prokas auf.« »Iks hat es soeben getan. Es gibt keinen Funkverkehr draußen. Es gibt keine Materie und keine Energie. Und es gibt keinen Präzedenzfall in unserer Geschichte. Es muß an diesem Schiff liegen.« »An der CORA?« »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Es muß beim Eintritt in den Hyperraum passiert sein ...« »Ja, natürlich. Aber was? Was ist passiert?« »Wir müssen es untersuchen.« »Das Schiff ist in Ordnung. Ich weiß nicht, was man noch untersuchen könnte. Der Raum draußen ist nicht in Ordnung. Er ist so in Unordnung, daß man ihn nicht untersuchen kann. Und trotzdem muß der Fehler außerhalb der CORA liegen.« »Das ist nichts als eine Annahme«, erklärte Iks-Wol-Esak in unpersönlichem Widerspruch. »Wenn es einen Fehler gibt«, versuchte Perkins seinen Einwand dozierend zu gestalten, »so liegt er auf jeden Fall draußen. Die CORA hat keinen Fehler ...« »Woraus schließt du das?« »Wir haben es festgestellt. Der Captain ist durchaus in der Lage, das zu tun. Immerhin hat er genügend Fachkenntnisse.«
66
»Man muß es logisch machen«, wandte Nam-Legak ein. Sein telepathischer Diskussionsbeitrag hatte rein sachlichen Charakter. »Die Untersuchung hat ergeben, daß außerhalb des Schiffes nichts ist. Und wo nichts ist, kann kein Fehler sein. Fehler setzen eine Existenzform voraus. Für uns gibt es aber nichts als dieses Schiff. Folglich ist der Fehler hier zu suchen.« »Ich kann ihn nicht finden«, sagte Barnett. »Wir haben den ganzen Vorfall rekonstruiert. Soweit uns das überhaupt möglich ist ...« »Freilich – soweit das möglich ist.« Iks-Wol-Esak drückte es in seiner Art etwas umständlicher aus. Lisman und Perkins kamen noch näher an das Telepathierelais heran, um den Sinn der prokaskischen Gedanken etwas intensiver zu erfassen. »Die Rekonstruktion wird immer subjektiv bleiben, da wir alle nicht sagen können, was nun wirklich geschah. Aber es ist unsere einzige Möglichkeit. Auf keinen Fall dürfen wir sagen, das Schiff ist in Ordnung, also liegt es nicht am Schiff.« »Nun gut«, erklärte Barnett. »Ich finde keinen Fehler. Wenn er nicht in der Technik und nicht draußen liegt, dann stimmt etwas nicht mit unserem Denken. – Wir kamen aus dem Normalraum. Wir gingen in den Hyperspace. Die Vermutung liegt nahe, daß wir uns dort aber nicht länger als drei Sekunden aufhielten. Wenn eins feststeht, so ist es die Tatsache, daß wir uns in keiner der bekannten Dimensionen befinden.« »Jawohl«, bestätigte Nam-Legak. »Aber worauf begründet sich der Aufenthalt in den bekannten Dimensionen?« »Es liegt am Treibstoff. Normale Kraft im normalen Raum. Temporisierte Mesonen sind Partikel einer bilateralen Erscheinungsform. Durch sie ist die Existenz im Hyperraum bei konstruktivem Zeitablauf möglich. Ja, mehr noch! Soweit wir wissen, drängen temporisierte Mesonen geradezu auf die zeitlose Ebene.« »Das ist das gleiche Prinzip wie bei uns«, erklärte Iks. »Hast du schon einmal den Treibstoff geprüft?« »Weshalb soll ich den Treibstoff prüfen? Der Sprung ist geglückt, also muß der Treibstoff in Ordnung sein.« »Ich finde, der Sprung ist nicht geglückt«, erklärte Iks-Wol-Esak in einer Denkweise, die er sich überraschend schnell von den Menschen angeeignet hatte. »Und du hast den Treibstoff nicht geprüft.« »Herrje! Was willst du mit dem Treibstoff? Heute morgen war er in Ordnung, als er auf Terra geladen wurde. Und die Maschinen arbeiten einwandfrei.« »Das eben bezweifle ich.« Barnett sah aus wie einer, den man an den Rand der Geduld getrieben hat. »Mein lieber Freund und Proka, ich bin immerhin soweit Techniker, daß ich auf Grund meiner Geräte hier sofort feststellen kann, ob das Triebwerk arbeitet oder nicht.« Iks-Wol-Esak blieb von Barnetts Laune unbeeinflußt. Er mußte über eine sehr rationalistische Mentalität verfügen. »Niemand zweifelt an deinen Kenntnissen, Captain. Aber hier stehen wir vor etwas Unbekanntem. Und Kenntnis kann nur aus dem Erfahrungsbereich kommen. Du solltest einsehen, daß angelerntes Zeug dir hier nicht weiterhilft.« »Das klingt wie eine Lektion. Solltest du etwa mehr wissen als ich?« »Mehr – vielleicht. Aber was hier geschieht, ist mir genauso unbekannt wie euch Menschen.« »Ich schlug bereits vor, den Treibstoff zu untersuchen.« Barnett rollte mit den Augen. Der Blick, den er Perkins und Lisman zuwarf, konnte nur bedeuten, daß er die Prokas für einen Haufen unverbesserlicher Pedanten hielt. Doch Lisman schien ihn in dieser Ansicht nicht zu unterstützen. »Hör zu, Perry! Nimm eine Probe vom Beugungsgitter. Auf jeden Fall haben wir dann Gewißheit.«
67
»Die habe ich schon jetzt. Aber gut, ihr sollt euren Willen haben. Wenn es auch vergeudete Zeit ist. Überleg doch bloß diesen Unsinn! Der Treibstoff soll nicht in Ordnung sein ...« »Schon gut«, winkte Lisman ab. »Ich übernehme die Flugwache. Geht los und findet den Haken!« Barnett gehorchte seinem Steuermann, als sei er gewohnt, von ihm Befehle entgegenzunehmen. Er ging voraus in Richtung Heck. Die beiden Prokas folgten ihm nach telepathischer Verständigung. * Der Raum, den sie betraten, war Labor, Reparaturwerkstatt und Ersatzteillager zugleich. Nam-Legaks Gedanken strahlten den Eindruck der Überraschung aus, mit dem jedes intelligente Lebewesen dem Unbekannten gegenübersteht. »Ich werde euch zeigen, wie es funktioniert«, erklärte Barnett. »Dies hier ist eine Franksche Röhre, eine Weiterentwicklung der Braunschen Röhre.« »Was heißt Franksche und Braunsche? Sind es Farben?« »Nein, es sind die Namen der Erfinder. Paßt auf!« Barnett bediente Schalter und Knöpfe. Plötzlich stand ein dünner Korpuskelstrahl auf der Längsachse der Röhre. »Das ist eine Abzweigung aus den Antriebsaggregaten. Wir werden jetzt feststellen, ob euer Verdacht zu Recht besteht.« »Erkläre, wie man es feststellen kann. Wir möchten den Versuch mitverfolgen.« »Okay! Dort am Ende der Röhre liegt eine Plastikscheibe. Die Korpuskeln wandern im Augenblick durch die Öffnung im Zentrum der Scheibe. Wenn ich jetzt von oben das Magnetfeld einschalte, werden die freien Elementarteilchen in ihrer Bahn beeinflußt. Die negativen werden nach oben, die positiven nach unten abgelenkt. Die neutralen bleiben in ihrer geradlinigen Bahn und verschwinden dann durch die Öffnung. Bei unserem Versuch darf nichts von dem geschehen. Wir brauchen temporisierte Teilchen. Und die machen, sobald sie senkrecht zum Magneten stehen, eine Wendung von nahezu einhundertachtzig Grad. Wir werden also beobachten, daß die Teilchen mit einem scharfen Bogen beinahe in sich zurückfließen. Die rechte Hälfte der Röhre darf von ihnen nicht erreicht werden.« »Ich verstehe«, äußerte Iks-Wol-Esak. »Du wirst temporisierte Mesonen hineinschicken. Weder positiv, negativ noch neutral im Sinne von Plusmaterie und Plusenergie.« »Ganz recht. Aber auch nicht im Sinne von Minusexistenz. Ich kann es nicht definieren. Wir Menschen haben uns hier etwas nutzbar gemacht, ohne zu wissen, was es eigentlich ist.« »Das kommt nicht nur bei den Menschen vor«, tröstete Nam-Legak, äußerte dann aber den Gedankenwunsch, nun endlich das Experiment zu erleben. Barnett schaltete schweigend das Magnetfeld ein. Er ließ es nur für den Bruchteil einer Sekunde in Tätigkeit und riß den Kontakt sofort wieder zurück. Den Arm zog er ruckartig an den Körper, als habe er einen elektrischen Schlag bekommen. Die beiden Prokas zeigten durch leichtes Vibrieren ihrer Kugelkörper Zeichen von Verwirrung. Zunächst war einmal nichts von dem geschehen, was Barnett als Möglichkeiten vorausgesagt hatte. Die Elementarteilchen waren beim Einschalten des Feldes sofort in ein völliges Chaos übergegangen und hatten die ganze Franksche Röhre mit einem einzigen Leuchten gefüllt. Aus Barnetts Gedanken ließ sich nichts darüber ablesen. Das menschliche Gehirn verriet nur einen starken Schock, wodurch jeder logische Gedanke überlagert wurde. Erst langsam – während der Captain mit dem Rücken an die Wand gelehnt stand – kristallisierte sich etwas Zusammenhängendes aus seinen Gehirnwindungen. Es waren keine Erklärungen, sondern nur hilflose Fragen. Es war das Abbild einer Erscheinung, die es nie zuvor in einer Frankschen Röhre gegeben hatte. Das Chaos im Kosmos! Was für ein Paradoxon!
68
»Beim Allgeist! Das kann nicht wahr sein!« »Was kann nicht wahr sein?« bohrte Iks-Wol-Esaks Frage. »Wo liegt der Fehler? In der Röhre oder am Treibstoff?« »Die Röhre ist in Ordnung. Sonst würde der Ruhstrahl nicht geradlinig verlaufen.« »Also liegt es am Treibstoff.« Barnett nickte. Er war unsicher. Oder hatte er sogar Angst? Er wußte es selbst nicht. Hatten die Prokas Angst? Mußten sie nicht vibrieren, wenn sie erregt waren?« »Ich schlage vor, den Versuch zu wiederholen«, erklärte Nam-Legak. »Oder bist du in der Lage, dir aus dieser kurzen Beobachtung ein Bild zu machen?« »Ich kann es mir zusammenreimen. Aber ein Beweis ist das nicht.« »Also schalte noch einmal das Magnetfeld ein! Oder befürchtest du Komplikationen dadurch?« »Ich weiß nicht«, sagte Barnett hilflos. Vielleicht ist alles harmlos. Genauso gut können wir mit einem einzigen Fehlgriff das ganze Schiff vernichten. Wir wissen doch absolut nicht, woran wir sind.« »Aber wir müssen es herausbekommen.« Iks-Wol-Esak schob sich vor und verharrte ganz dicht vor der Frankschen Röhre. »Hör zu, Captain! Dieses Gerät ist ein wunderbares Ding. So etwas habe ich mir schon manches Mal bei meinen Arbeiten gewünscht. Denn wenn ich dich richtig verstanden habe, kann ich darin optisch die Existenzformen ablesen und bestimmen.« »In etwa ja«, gab Barnett zu, ohne daß das Lob des Prokas ihm das geringste Gefühl des Stolzes gab. »Mir hat jedoch genügt, was ich gesehen habe. Und danach ist die Existenzform unseres Treibstoffes überhaupt nicht definierbar. Jedenfalls nicht mit unseren menschlichen Kenntnissen.« »Ich fürchte, eine solche Entscheidung kannst du nicht nach einem Versuch fällen, der nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert hat.« »Ihr seid also unbedingt für eine Wiederholung, ganz gleich, ob wir dabei draufgehen oder nicht. Nun gut. Ich gebe zwei Sekunden Strom in den Magneten.« »Besser wären zehn Sekunden.« Barnett schien plötzlich alles gleichgültig zu sein. Fatalistisch sagte er: »Meinetwegen zehn Sekunden.« Der Versuch begann wie erwartet. Der Strom der Elementarteilchen geriet beim Einschalten des Magnetfeldes in einen völlig unmotivierten Wirbel und verteilte sich über das ganze Vakuum der Röhre. Der Mensch und die Prokas starrten gebannt auf die rätselhafte Erscheinung. Nach zwei und drei Sekunden noch keine Änderung des Vorganges. Es stellte sich weder ein Weltuntergang ein, noch erlitt die Franksche Röhre irgendeinen Schaden. Doch mit Sekunde vier stieg das Rätsel ins Unfaßbare. Der leuchtende Wirbel verlor an Leuchtkraft und erstarb in totaler Unsichtbarkeit. Und dennoch waren Röhre und Magnet in Tätigkeit. Barnett vergaß die Sekunden und starrte nur wie gelähmt auf das Bild des Nichts. Iks-WolEsak übernahm es daher ungefragt, die Geräte auf Null zu stellen. »Du siehst, Captain, wie wichtig es war, den zweiten Versuch zu machen. Mit diesem Material müßte sich eigentlich etwas anfangen lassen.« »Material nennst du das? Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, aus diesem Vorfall vernünftige Schlüsse zu ziehen.« »Du sollst nicht lügen«, erklärte der Telepath. »Dein Gehirn verrät mir, daß du zu sehr vielen Schlüssen bereit bist.« »Wenn du schon in meinen Gedanken spionierst, dann wirst du auch wissen, wie wenig Überzeugung dahintersteckt. Ich mache mir nur Sorgen um alles. Und ich komme mir vor wie
69
in einer Falle.« »Genau wie ich. Aber wir Prokas wollen wieder hinaus, verstehst du? Und deshalb müssen wir wissen, welcher Art die Falle ist.« »Ich pfeife auf diese zweifelhafte Erkenntnis. Mir genügt, daß es irgendeine Falle ist. Und deshalb werden wir umgehend in den Normalraum überwechseln.« »Vorausgesetzt, daß überhaupt die Möglichkeit besteht. Als Offizier der Unionsmarine handelst du damit wenig verantwortungsvoll.« »Ohne Risiko werden wir mit dieser Situation wohl schwerlich fertig«, stellte Barnett fest. »Doch ich habe das Gefühl, wir machen alles schlimmer, je länger wir warten. Nehmt nur die Voraussetzung, daß wir uns auf einem völlig unkontrollierbaren Kurs befinden. Dann möchte ich wissen, an welcher Stelle ihr in den normalen Raum zurückkehren wollt.« »Vielleicht hat er recht«, gab Nam-Legak zu bedenken. »Natürlich«, erklärte der andere Proka. »Jeder kann recht haben. Oder auch keiner. Ich will nur zu bedenken geben, daß wir uns auch in diesem Moment auf die Vernunft verlassen sollten. Jedenfalls – soweit das möglich ist.« »Wie willst du hier Vernunft anwenden, außer in Form von unsicheren Spekulationen?« »Auch das Spekulieren hat einen Sinn und will gekonnt sein. Die Experten eures Kapitalmarktes sind doch wohl der beste Beweis dafür.« »Also gut«, schnarrte Barnett. »Sage uns, worauf du spekulierst!« »Nun, ich weiß nicht, ob es euch aufgefallen ist. Aber die Duplizität der Beobachtungen sollte uns zu denken geben ...« »Welche Duplizität?« »Erinnere dich an den Beginn des Raumsprunges, Captain! Drei, vier Sekunden lang war alles normal. Dann erst verschwanden die Lichtstreifen auf dem Bildschirm. Und was machten deine temporisierten Mesonen in der Frankschen Röhre? Sie verhielten sich völlig identisch. Damit wäre tatsächlich bewiesen, daß alle Schuld am Treibstoff liegt. Sobald du das einsiehst, wirst du nicht sofort versuchen, auf elektrisch geladenen Kraftstoff umzuschalten, sondern dich erst auf das verdorbene Material konzentrieren. Und außerdem rate ich dazu, auch den Normaltreibstoff zu untersuchen, bevor du neue Experimente machst.« »Das ist endlich mal eine vernünftige Idee«, sagte Barnett hoffnungsvoll und wandte sich sofort wieder den Geräten zu. »Was machst du jetzt?« »Ich hole normale Elektronen in die Röhre. Bitte, der Apparat funktioniert noch.« Es klang wie Erleichterung. Der Elektronenstrahl stand waagerecht in der Röhre und traf genau die Öffnung im Zentrum der Plastikscheibe. »Wenn du jetzt den Magneten einschaltest, muß der Strahl nach der Minusseite abweichen, nicht wahr?« »So ist es! Achtung, ich schalte ...« Es war beinahe grauenvoll zu sehen, wie der Strahl der Elementarteilchen das Gegenteil tat. Doch das Grauen verlor sich nach dem ersten Schock. Diesmal fand sich der Mensch schneller zurecht als die Prokas. Denn was hier geschah, konnte er immerhin erklären. »Die Elektronen neigen nach Positiv«, konzentrierte Nam-Legak seine Erkenntnis in einer nüchternen Feststellung. »Was bedeutet das?« »Nicht viel. Es sind eben keine Elektronen, sondern Positronen. Doch auch damit fliege ich die CORA jederzeit in den Normalraum. Ich denke, wir können zufrieden sein.« »Natürlich können wir das«, gab Iks zu. »Ich bin sogar sehr zufrieden. Denn jetzt hast du auch den Beweis, daß dein Hypertreibstoff aus contra-temporisierten Mesonen besteht.« »Als Theoretiker bist du nicht zu schlagen, Iks«, lachte Barnett. »Deine Konsequenz ist verblüffend und plausibel. Aber kannst du mir vielleicht verraten, was ich mir unter contratemporisierten Mesonen vorstellen soll? Selbst von den temporisierten wissen wir nicht mehr,
70
als daß sie eine wesentlich verlängerte Lebensdauer von etwa zwei Sekunden haben – und eben, daß sie eine Kontraktion der Subjektivität verhindern.« »Ich möchte dir durchaus nicht deine gute Laune zerstören«, gab Iks-Wol-Esak zu bedenken. »Du solltest meine Theorie aber bis zum konsequenten Ende verfolgen.« »Was meinst du damit?« »Ich meine, wenn eure temporisierten Mesonen es fertiggebracht haben, euch eine Hyperraumfahrt zu gestatten, bei der die Zeitflucht völlig ausgeschaltet ist, so ist jetzt die gegenteilige Wirkung zu erwarten.« Barnetts gute Laune war tatsächlich wie abgeschnitten. Mißtrauisch fragte er: »Willst du mir vielleicht weismachen, daß wir in die Vergangenheit fliegen?« »Der Flug in die Vergangenheit ist nach dem augenblicklichen Stand der prokaskischen Forschung unmöglich. Und von dir weiß ich, daß die Menschen derselben Überzeugung sind. Nein, nein, das Gegenteil der temporisierten Hyperraumfahrt ist die contra-temporisierte.« »Vielleicht hast du die Güte, nicht immer um den heißen Brei herumzureden. Oder soll ich daraus schließen, daß wir jetzt sozusagen am Ende der Ewigkeit landen werden?« »So ungefähr kann man es ausdrücken ...« Barnett wurde schneeweiß im Gesicht. »Du bist verrückt, Iks!« »Ich bin ein ausgezeichneter Theoretiker, sonst nichts. Und meine Schlüsse sind durchaus naheliegend, wenn du dich an die beiden Experimente erinnerst. Außerhalb des Schiffes ist im Augenblick nicht die geringste Existenzform festzustellen. Weder Energie noch Materie. Und was haben die Mesonen in der Frankschen Röhre gemacht?« »Was weiß ich? Sie waren ja überhaupt nicht mehr nachweisbar.« »Schlimm genug! Sie sind also unserer unmittelbaren Beobachtung entzogen. Sie sind voraussichtlich auf eine Existenzebene abgewandert, die wir aufgrund unserer Wesenheit nicht erfassen können. Was bleibt uns also anderes übrig, als über die Folgen für uns zu spekulieren? Als reines Gedankenexperiment fasse ich unsere Situation so auf, daß wir außerhalb der Zeit leben.« »Zeit ist subjektiv. Welche Zeit meinst du also?« »Ich meine die Zeit an sich. Die Zeit als Ganzes. Mit ihren sämtlichen Variationsmöglichkeiten und Werten. Jede Existenz setzt den Begriff Zeit voraus. Erst durch den Zeitablauf ist Existenz möglich. Und wir leben eben außerhalb der Zeit.« »Das ist paradox. Und während wir uns streiten, vergeht die Zeit. Erfreulicherweise.« »Aber nicht außerhalb des Schiffes. Nur dadurch hast du eine vernünftige Erklärung für das Fehlen jeder stellaren Existenz draußen. Wir haben den Kontakt mit dem Universum verloren. Er ist am absoluten Nullpunkt der Zeit verlorengegangen.« »Phantastisch, mein lieber Iks! Ich muß also annehmen, daß sich während unseres Hyperspace-Startes eine Katastrophe ereignet hat. Wir und das übrige Weltall sind die Alternativen. Eins von beiden wurde vernichtet. Und da ich sicher bin, daß die CORA vollkommen in Ordnung ist, dürfte wohl das übrige Universum dabei draufgegangen sein.« Der Proka hatte keinen Sinn für menschliche Ironie. Er benahm sich wie ein blutloser Dozent. »Dieses Problem dürfte nach meiner Meinung nur mit dem Relativitätsbegriff zu erklären sein. Für uns ist das Universum nicht mehr vorhanden. Für das Universum ist unser Raumschiff vernichtet.« »Das klingt endgültig wie ein Todesurteil. Aber verlorengegangene Kontakte können wieder geflickt werden.« »Das ist meine einzige Hoffnung, Captain. Ich will nur sagen, daß wir bescheiden sein müssen. Wir brauchen das Weltall. Wenn wir es wiederfinden können, sollten wir dankbar sein, auch wenn die Zeit nicht stimmt.« In Iks-Wol-Esaks Gedankenäußerung drängte sich ein Satz des anderen Proka.
71
»Unsere Aufgabe ist es, den Frieden zwischen unseren Völkern zu vermitteln. Wenn wir in einer anderen Zeit auftauchen, ist alles sinnlos. Fast tausend Terra-Jahre lang haben sich unsere Zivilisationen gegenseitig zerfleischt. Sollen es noch einmal tausend Jahre werden?« Iks-Wol-Esak war auf jeden Fall nüchterner, sachlicher und wissenschaftlicher veranlagt als sein Kollege. Nam-Legak ließ ein starkes Verantwortungsgefühl erkennen, und Barnett stellte zum ersten Mal mit Bewußtsein deutliche Unterschiede in den Persönlichkeiten der Fremden fest. Sie wurden ihm in diesem Augenblick noch sympathischer als bisher. Sie wurden sogar menschlicher in ihrer Individualität. Nur zur Sorglosigkeit hatte keiner von ihnen Veranlassung. »Ich glaube, jeder weiß, worauf es ankommt, und wie fragwürdig unsere Mittel sind«, sagte Barnett schließlich. »Der Friede zwischen unseren Völkern ist sehr weit weggerückt. Aber wir kommen ihm nicht näher, wenn wir hier die Zeit vergeuden. Kommt zurück auf die Brücke!« * Perry Barnett ging voran. Zeit vergeuden ..., dachte er. Wo war die Zeit für das Raumschiff CORA? In der Kommandozentrale fand er eine Menge Menschen vor. Der Raum glich einem Versammlungssaal. Cora stand am Eingangsschott und starrte Barnett mit einem Blick an, der ins Leere ging. Auch der Arzt Bannister war da. Und Praxlomza, der Schiffsjunge. Und der fragwürdige Lavista, der noch immer verschlagen wirkte wie in den abenteuerlichen Tagen seines Piratendaseins. Lisman saß im Kapitänssessel, und Perkins hielt sich ebenfalls auf seinem Posten auf. Wahrscheinlich hatte man angeregt diskutiert. Sobald jedoch Barnett und die beiden Prokas eintraten, herrschte Schweigen, und alle Augen waren auf die drei gerichtet. Lisman wollte aufstehen und den Platz für den Captain freimachen. Doch Barnett winkte ab. »Bleib sitzen. Ich mache das vom Co-Pilotenplatz. Drücke die Kupplung heraus. Ich nehme alle Direktfunktionen auf mein Brett. Du, Lavista, setzt sich hinter uns. Du hast ab jetzt Flugwache!« »Okay, Captain!« Barnett rastete seine Kupplung ein, mit der die ganze Steuermannsbedienung auf seinen Platz umgeschaltet war. Die Kontrollichter sprachen sofort an. Noch immer war das Schweigen im Raum. Barnett benahm sich, als wäre niemand außer der Flugwache anwesend. Bis Forry Bannister der Geduldsfaden riß. »Perry, verdammt ...!« Barnett sah ihn fragend an. »Geht in eure Kabinen, Freunde! Ihr steht hier nur im Wege.« »Du glaubst doch nicht, daß du uns so abspeisen kannst.« »Tu mir den Gefallen und geh, Forry! Oder muß ich dich erst darauf aufmerksam machen, daß meine Wünsche auf diesem Schiff als Befehle aufzufassen sind?« »Lisman und Perkins haben uns erzählt, was passiert ist. Willst du uns nicht wenigstens eine Erklärung geben?« »Ich bin nicht in der Lage, euch etwas zu erklären. Und Lisman und Perkins noch viel weniger. Wir machen jetzt ein Experiment. Wenn es glückt, können wir uns später in Ruhe darüber unterhalten.« »Bedeutet das, daß es auch nicht glücken kann?« »Alles Menschliche kann mißlingen. Du als Arzt solltest das wissen ...« »Perry!« Diesmal war es Cora, die seinen Namen rief. Wenn in Bannisters Worten eine Forderung gelegen hatte, so war es bei Cora nichts als ein Flehen. »Perry! Du kannst uns nicht so
72
wegschicken. Lisman und Perkins haben geredet, als ob sie den Verstand verloren hätten. Wir wären in einem Hyperraum, aber nicht in dem richtigen. Und wir hätten uns wahrscheinlich vollkommen verfranzt ...« »So ungefähr stimmt das. Niemand weiß genau, wo wir sind. Aber ihr müßt mir jetzt Zeit lassen, damit wir ins normale Universum zurückspringen. Der Treibstoff ist in Ordnung. Es besteht keine unmittelbare Gefahr. Geht jetzt, Cora! Sei vernünftig, und nimm Praxlomza und Forry mit. Wir sprechen später darüber ...« Cora ging hinaus. Und Praxlomza und Bannister folgten ihr. Dann kam das Kommando. »Alles klar zum Raumsprung! Noch dreißig Sekunden!« Die Kugelkörper der beiden Prokas hockten zu beiden Seiten der Pilotenplätze. Das Telepathierelais stand in Barnetts Nähe, und er spürte zwei völlig verschiedene Gedankengänge, die nur insofern Gemeinsames besaßen, als sie Sorge ausdrückten. »Raumsprung in fünfzehn Sekunden!« Iks-Wol-Esak bangte offenbar um die Richtigkeit seiner Prognose. Sein Gehirn ließ nichts von einer Todesangst deutlich werden. Er dachte nur an die Logik in diesem Fall und wünschte nichts anderes, als die Sterne wiederzusehen. Aus Nam-Legaks Richtung dagegen kam die Forderung nach der richtigen Zeit. In ihm schlug das Gewissen seiner Generation. In ihm schlug das Gewissen der ganzen bisher bekannten zivilisierten Welt, die sich seit einem Jahrtausend nach Frieden sehnte. Und nur hier auf dem Raumschiff CORA, auf dem Staubkorn im Dasein, gab es ein paar Wesen, die den Schlüssel zum Frieden in der Hand hielten. »Raumsprung in zehn Sekunden!« Barnetts Stimme sollte nach Routine klingen. So, wie es bisher bei jedem Raumsprung üblich war. Aber diesmal hatte sie einen Riß. »Drei – zwei – eins ...« Bei ›Null‹ tanzten plötzlich Streifen über den Bildschirm. Nach wenigen Sekunden zogen sie sich zusammen und ließen ein paar flimmernde Punkte zurück. »Sterne!« schrie jemand laut. Es war Lisman. Und noch einmal: »Sterne!« Er zerrte am Sesselverschluß, ließ ihn zurückschnappen und stürzte auf den Bildschirm zu, als wolle er in die Scheibe hineinkriechen. Auch die Prokas verloren viel von ihrer Würde und halfen sich dadurch, daß sie sich einfach an den Sesseln hochzogen. Iks-Wol-Esak landete auf Barnetts Schoß. »Freilich, es sind Sterne«, erklärte er intensiv. »Es fragt sich nur, welche.« Barnett wischte sich über die Stirn. Obgleich er wußte, daß ihn eine navigatorische Aufgabe erwartete, die er wahrscheinlich kaum lösen konnte, atmete er auf wie alle anderen. Wenigstens das Universum wußte er draußen, eine Welt, die man sich vorstellen konnte, eine konkrete Welt, die eine Zeit haben mußte. Der Proka auf seinem Schoß suchte sehr schnell wieder den Boden auf. »Das erste Manöver hat geklappt, Captain. Ganz wie ich es voraussagte.« »Okay, guter Iks! Ich wußte gar nicht, daß du eitel bist. Und was sagst du jetzt voraus?« »Ich fürchte, da gibt es nicht mehr viel zu prophezeien. Über das, was mit uns in der Zeitlosigkeit geschah, können wir nur Vermutungen anstellen. deshalb schlage ich vor, jedes unnütze Streitgespräch zu vermeiden und eine Zeit- und Ortsbestimmung vorzunehmen.« »Eine Zeitbestimmung ist mir nur bei bekannten Konstellationen möglich, und das nur mit einer Genauigkeit von etwa zehn Jahren.« »Dann sollten wir erst einmal die Sternkarten bemühen.« »Okay! James, mach den Kartenrobot klar!« »Gern. Aber vergiß bitte nicht, Cora von dem geglückten Sprung zu unterrichten.« »Das wollte ich gerade tun ...« Nachdem die Leute in den Kabinen die Beruhigungspille geschluckt hatten, stellte Barnett auf Autopilot und trat ebenfalls an den Kartenrobot. Dieses Gerät bestand aus einer großen
73
Mattscheibe und einem Elektronenrechner, der etwa allein ein Zehntel der Schiffsmasse ausmachte. Er verfügte über sämtliche Konstellationsdaten der im 133. Jahrhundert bekannten Welt. Und das war etwa ein Drittel der Galaxis. Innerhalb dieses Gebietes konnte der Kartenrobot jeden Teilausschnitt des Raumes aufgrund optischer Wahrnehmung erkennen und zwar von jedem beliebigen Standpunkt aus. Außerdem verfügte er über Funktionen, die die Bewegung der einzelnen Sterne registrierten. Daraus ließen sich auch innerhalb weniger Minuten zukünftige Konstellationen konstruieren und auf die Mattscheibe projizieren. Die Beobachtungsmöglichkeit für den Menschen wurde dadurch erleichtert, daß man den Bugbildschirm auf eine zweite Deckscheibe umschalten konnte. Es entstanden also zwei übereinanderliegende Darstellungen des beobachteten Raumes. Sobald man aber mit dem Kartenrobot in unbekannten Gebieten die Position festlegen wollte, wurde der Hauptbildschirm von der Navigation direkt elektronisch gekoppelt. Die visuellen Werte gingen damit unmittelbar in das Herz der Maschine, die selbsttätig den genauen Standpunkt auswarf. Nachdem alle Schaltungen durchgeführt waren, blieb den Menschen und ihren beiden Gästen nichts anderes übrig, als zu warten. Mit leisem Summen verrichtete der Robot seine Arbeit. Lisman und Barnett starrten auf die Scheibe, auf der es wie von Funken sprühte. Hin und wieder wanderte ihr Blick zur Uhr. »Wie lange dauert es, bis alle Möglichkeiten geprüft sind?« fragte Nam-Legak. »Etwa achtzehn Minuten.« »Und was geschieht, wenn die Ortsbestimmung erfolgt ist?« »Die Mattscheibe wird ein stehendes Bild zeigen. Und hier an den Seiten springen automatisch die Koordinaten heraus.« »Das ist tröstlich.« »Vorausgesetzt, wir befinden uns in erforschtem Gebiet.« »Ja, natürlich.« Nam-Legaks Entgegnung war wenig überzeugend. Und Iks-Wol-Esak riet ihm, sich nicht zuviel von diesem Versuch zu versprechen. Die Menschen und die Prokas resignierten schon, bevor noch der Kartenrobot die endgültige Bestätigung gegeben hatte. Und tatsächlich traf auch hier die Voraussage Iks-Wol-Esaks ein, über die man sich in diesem Falle allerdings nicht im geringsten freuen konnte. Nach achtzehn Minuten tanzten die Sternproduktionen noch immer ihren wilden Reigen auf der Scheibe. »Wir werden eine Ewigkeit hier sitzen können«, stellte Barnett fest. »Nach achtzehn Minuten beginnt der Kreislauf von neuem. Der Robby gibt nicht eher auf, als bis man ihn abschaltet.« »Aber du gibst jetzt schon auf«, sagte Perkins vorwurfsvoll. Perry Barnett sah ihn an, als habe er ein Kind vor sich. »Uns und das Schiff gebe ich noch lange nicht auf, sondern nur den verrückten Plan, in diesem Weltall jemals noch nach Hause zu finden. Es wird auch dir nichts anderes übrigbleiben, als diese Tatsache anzuerkennen.« Perkins' Erregung hatte wieder einmal ihren Höhepunkt erreicht. In solchen Augenblicken nahm er es bekanntlich nicht sehr genau mit seiner Dienstvorschrift. Er verließ seinen Platz und trat auf den Captain zu, daß es immer ein wenig nach einer körperlichen Drohung aussah. »Eine solche Anerkennung kannst du nicht von uns verlangen, Perry. Jeder von uns hat ein Recht auf seine Heimat. Und dir bleibt nichts als die Pflicht, solange nach dem richtigen Kurs zu suchen, bis du ihn gefunden hast.« Zwischen die beiden Menschen drängte sich plötzlich der kleine Kugelkörper Iks-WolEsaks. Er hätte sich auch ungeniert auf Perkins' Füße gestellt, wenn der nicht unwillkürlich einen Schritt rückwärts gemacht hätte. »Du scheinst immer noch nicht zu wissen, was sich ereignet hat, Perkins. Sonst würdest du nicht einen solch laienhaften Unsinn reden.«
74
Perkins war leider nicht in der Stimmung, eine Lehre anzunehmen. Nicht einmal von jemandem, der es besser wissen mußte als er. »Hör zu, Kugelmann! Natürlich hast du die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wenn wir uns aber schon in einer Gegend befinden, wo wir absolut nichts verloren haben, dann steht doch wohl auch jede Zeit zur Verfügung, um die Suche nach bekannten Regionen fortzusetzen. Wir haben achtzehn Minuten gebraucht, um ein Drittel der Galaxis mit dem Kartenrobot abzugrasen. Jetzt benutzen wir halt die nächsten drei Jahre dazu, um die anderen zwei Drittel zu erforschen. Denn dort liegt Terra, und dort liegt eure langweilige Prokaheimat.« Iks-Wol-Esak verzichtete auf jedes Anzeichen von Erregung. Er behielt seine dozierende Ausdrucksweise bei, auf die Gefahr hin, den Menschen damit zu beleidigen. »Bevor du weitere Anschuldigungen vorbringst, Perkins, lasse dir erklären, wo der Unsinn deines Verlangens steckt. Du denkst fortwährend an die Galaxis. Aber was du da draußen siehst, ist nicht die Galaxis. Dagegen spricht die Wahrscheinlichkeit mit eins zu zwölf Milliarden.« Perkins schien tatsächlich etwas beeindruckt. Er ging einen weiteren Schritt rückwärts und fragte verwirrt: »Das ist nicht die Galaxis? Woher willst du denn das wissen?« »Weil die Wahrscheinlichkeit dagegen spricht. Ich sagte es schon am Prüfstand bei der Frankschen Röhre. Wir waren außerhalb der Zeit und außerhalb des Kosmos. Wir hatten jeden Kontakt mit dem Weltall verloren.« »Aber wir haben ihn wiedergefunden.« »Selbstverständlich. Daran zweifelt niemand. Doch unser Eindringen ins zeitgebundene Universum konnte an jedem beliebigen Punkt erfolgen. Das Ganze war eine reine Zufallsangelegenheit, denn wir hatten ja nicht die geringsten Anhaltspunkte, die wir navigieren sollten. Für eine genaue Standortbestimmung wären also alle Koordinaten der Weltgeschichte notwendig. Wir müßten dabei das ganze Dasein schlechthin als bekannt voraussetzen.« »Aber ...«, stotterte Perkins. »Mein Gott! Draußen sind Sterne! Ganz nah sind sie, Proka! Wir sind in einer Galaxis angekommen!« »Freilich! In irgendeiner. Zufall, daß es nicht in den weiten Räumen zwischen den Nebeln erfolgte. Reiner Zufall. Doch dieses System kann so weit von unserer Milchstraße entfernt sein, daß es unsere Astronomen noch nicht einmal entdeckt haben. Und wenn du den Zeitfaktor berücksichtigst, dann ergibt sich als weitere Möglichkeit, daß unsere Völker bereits seit einigen Milliarden Jahren ausgestorben, vernichtet oder zum Nichts degeneriert sind.« »Verdammt, Proka! Hör auf! Solche Höllenvisionen können sich doch nur in deinem Gehirn abspielen.« »Du nennst es höllisch. Für mich sind es nüchterne Gegebenheiten.« »Ja, freilich, für dich. Für mich ist es das Scheußlichste, was ich jemals mit meinem Verstande wahrnehmen konnte. Und ich glaube nicht, daß es etwas Scheußlicheres geben kann.« »Weshalb nicht? Du denkst mit Schrecken an deine ausgestorbene Rasse. Es ist aber durchaus möglich, daß in diesem Augenblick nicht einmal unsere alte Galaxis mehr existiert. Wenn du das Problem in seiner ganzen Tragweite erfassen willst, brauchst du dir nur vorzustellen, daß dieser Kartenrobot hier sämtliche Daten der Weltgeschichte besäße. Nimm ferner an, er arbeitet mit seiner bekannten Elektronenpräzision pro Stunde eine ganze Galaxis mittlerer Größe durch, dann würde er immer noch anderthalb Millionen terranische Jahre benötigen, um das ganze Universum zu durchkämmen. Wenn du jetzt unsere Rettung und Heimkehr noch dem Zufall anvertrauen willst, dann muß ich an deinem Verstande zweifeln ...« *
75
Iks-Wol-Esaks Darlegungen trafen nicht nur den Gesprächspartner Perkins. Sie brachten alles auf der Brücke durcheinander, was ein Gehirn besaß. Die von dem Proka gezeichnete Perspektive steckte so voller Dämonie, daß man körperliche Schmerzen dabei spürte. Was nutzte dieser Raum mit Sternen draußen, wenn es ein fremder Raum war mit fremden Sternen? Die Situation war kaum verheißungsvoller, als wenn man in dem verunglückten Hyperspace geblieben wäre, der die Zeitebene völlig ignorierte. Verdammt, verurteilt, vergessen von einer Welt, die man nun selbst vergessen mußte. Hier, dieses Schiff mit dem Mädchennamen CORA blieb als Rest einer Zivilisation für das Dasein bis ans Ende. Das Schiff war eine Welt für sich geworden. Eine Welt, die CORA hieß. Cora! Perry Barnett wußte nicht, ob er den Namen gerufen hatte. Er wollte ihn nur denken, und doch kam es ihm selbst wie ein Schrei vor. Cora wußte noch von nichts. Jedenfalls nichts von den wirklichen Ausmaßen der Katastrophe. Sei waren hinausgegangen – Cora, Bannister und Praxlomza. Sie hockten in ihren Kabinen und warteten auf gute Nachricht. Wie lange würden die Lebensmittelvorräte reichen? Bis ans Ende? Bis zum natürlichen Tod? Wer würde der letzte sein, der hier starb? Wer würde das Unglück der absoluten Einsamkeit tragen müssen? »Du siehst zu schwarz«, erklärte Iks-Wol-Esak plötzlich. Barnett erschrak. »Was suchst du in meinen Gedanken?« »Die Hoffnung, Captain.« »Die Hoffnung? Du selbst hast sie uns gerade genommen.« »Nicht die Hoffnung, die ich meine. Draußen sind Sterne. Du tust, als ob sie dich nichts angingen.« »Sie gehen mich auch nichts an.« »Sterne sind Sterne. Auch in dieser Welt. Warum sollten wir eigentlich keinen Planeten finden?« »Ja, warum eigentlich nicht?« * Es kam wieder einmal anders, als sie dachten. Sie brauchten keinen Planeten zu suchen. Der Planet suchte sie. Und er fand sie. Doch bevor sie das merkten, gab es noch viel Wundern und Rätselraten. Und Gefahren und Verzweiflung. Barnett hatte es vorgezogen, den Leuten die Wahrheit zu sagen. Es war sinnlos, das Unvermeidbare zu verschweigen. Es hätte nur unangenehme Fragen, eine Menge Mißtrauen und falsche Hoffnungen gegeben. Cora hatte ihm unter vier Augen versichert, daß sie schon mit allem fertigwerden würde. Sie hatte auch gesagt, daß sie ihn liebte, daß sie lieber auf die heimatliche Galaxis verzichten wolle als auf ihn. Und auch die anderen waren gefaßt gewesen. Bannister fand die richtige Erklärung dafür, als er Barnett Stunden später während der Freiwache im Gemeinschaftsraum traf. Barnett spielte versonnen am Televisionsempfänger, durch den er vor wenigen Tagen noch die Propagandasendungen der Sol-Sirius-Union aufgenommen hatte. Heute blieb der Bildschirm dunkel, heute blieb der Lautsprecher stumm. Der organisierte Haß war ausgestorben. Es gab keinen Sender mehr, der mit diesem Gerät Kontakt aufnehmen konnte. Nicht im Umkreis von hundert Parsec. »Hallo, Perry!« Barnett erschrak. Er hatte nicht gehört, wie Bannister eingetreten war. »Stell das Ding ab, Perry. Du weißt genau, daß es für keine Unterhaltung mehr taugt. Du vergeudest nur Energie damit.« »Willst du bereits rationalisieren?«
76
»Man kann nie früh genug damit anfangen.« Barnett lächelte schwach. »Wegen der Energie mach dir nur keine Sorgen. Die holen wir aus dem Weltraum.« »Ich würde nicht so optimistisch sein. Was in der Galaxis möglich war, braucht nicht unbedingt hier zuzutreffen.« »Raum ohne Energie, meinst du? Ich muß schon sagen, als Arzt hast du reichlich häßliche raumphysikalische Visionen. Du könntest mir beinahe unheimlich werden, wie der kalte Theoretiker Iks-Wol-Esak.« »Spiele nicht den Empfindlichen! In unserer Lage muß man die Kunst beherrschen, sich mit den Dingen abzufinden. Du hast vorhin eine wunderbare Ansprache gehalten und solltest froh sein, daß wir deinen Rat beherzigen.« »Trotzdem kann ich nicht glauben, daß es ohne seelische Komplikationen abgehen wird. Dieser Wechsel ist so konsequent, daß man ihn mit einem anderen Dasein gleichsetzen muß.« »Freilich, mit diesen Komplikationen mußt du rechnen. Und dann kommt es auf deine Initiative an. Wenn die Leute es im Augenblick mit einiger Fassung hingenommen haben, so liegt das daran, daß sie einfach nicht in der Lage sind, die Bedeutung der neuen Situation bis zur letzten Konsequenz zu erfassen. Sie haben noch eine sehr wichtige Illusion.« »Eine Illusion?« »Ja, dieses Schiff. Es ist ein Stück Heimat, ein Stück des gewohnten Milieus. Das macht manches leichter! Vor allem für uns Menschen.« »Du meinst, die Prokas würden größere Schwierigkeiten machen? Ich weiß, die Psychologie ist dein Beruf. Aber hat das auch für die Prokas Bedeutung? Wir kennen sie erst seit knapp einem Monat. Das heißt, kennen ist noch übertrieben ...« »Ihre Mentalität zeigt viele verwandtschaftliche Züge mit der unseren. Doch, doch, Perry! Man kann sie schon beurteilen. Und dabei sind unsere beiden Freunde so verschieden, daß man sie getrennten menschlichen Kategorien zuordnen kann.« »Ich weiß, was du meinst. Iks-Wol-Esak wirkt etwas gefühlskalt auf mich. Vielleicht ist es unsinnig, das von einem Proka zu behaupten. Aber wenn ich ihn mit Nam-Legak vergleiche ...« »Nam-Legak ist wahrscheinlich der schwierigste Fall. Er ist besessen von seiner Aufgabe als Friedensstifter. Und um die zu erfüllen, braucht er die Prokas, die Menschen und deren Krieg. Einen Krieg, auf den er keinen Einfluß mehr hat, von dem er nicht einmal weiß, ob er noch existiert, oder ob er bereits der Vergangenheit angehört ...« Der Summton der Alarmanlage unterbrach Bannisters Rede. Die beiden Männer waren sofort auf den Beinen. Barnett schaltete den Schiffsruf ein und verlangte Lisman. »Hier Kapitän! Was ist los?« »Wir haben Materie in Warndistanz geortet.« »Was für Materie? Staub oder eine ganze Galaxis?« »Ich glaube, eine Sonne«, sagte Lisman unsicher. »So, du glaubst. Eine Sonne hättest du bei einiger Aufmerksamkeit wesentlich früher feststellen können. Ihr habt wohl geschlafen.« »Durchaus nicht. Die Sonne war plötzlich da. Als ob wir einen Riesensprung gemacht hätten.« »Ich komme rauf. Ende!« sagte Barnett kopfschüttelnd. »Hast du das gehört, Forry? Sie haben plötzlich eine Sonne entdeckt. In Warndistanz. Entweder ist hier einer verrückt geworden, oder wir sind in einem völlig unmöglichen Universum gelandet.« *
77
Wenig später saß Barnett im Pilotensessel. Nein, verrückt war Lisman nicht. Diese Sonne hätte man im Normalflug bereits vor einigen Tagen als äußerst verdächtigen Nachbarn erkennen müssen. Und der Captain wußte, daß sie vor zehn Stunden, als sie in diesem unbekannten System ankamen, noch nicht da gewesen war. »Verdammt, James! Habt ihr vielleicht mit dem defekten Hyperrace gearbeitet? Ich habe es ausdrücklich verboten.« »Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß wir uns an die verrückt gewordenen Mesonen heranwagen. Dir bleibt nichts anderes übrig, als den augenblicklichen Zustand zu akzeptieren. Wie es dazu kam, kann ich dir beim besten Willen nicht sagen.« »Okay! Hast du bereits Messungen durchgeführt?« »Gelber Riese. Klasse F 7. Positive Materie. Das Spektrum konnte ich noch nicht auswerten. Aber ein erster Blick zeigte normale Absorptionslinien von Helium, Stickstoff und ionisiertem Sauerstoff. Die Balmerlinien sind verhältnismäßig schwach für einen F-Stern. Aber sonst könnte der Bursche genauso gut in unserer Milchstraße zu Hause sein.« »Du scheinst angenommen zu haben, hier gäbe es andere Elemente als bei uns. Die Positivbestimmung ist doch in Ordnung. Ich möchte nicht plötzlich auseinanderplatzen, falls wir hier mal mit Trümmerstücken aus diesem System zusammengeraten.« »Normale Materie, völlig klar.« »Hast du Manöver gemacht?« »Nein, warum?« »Weil wir damit rechnen müssen, daß fremde Kräfte unser Schiff lenken.« »Fremde Kräfte?« »Klingt wohl sehr phantastisch, was? Aber wie erklärst du dir sonst den Raumsprung? Es war doch ein Raumsprung, nicht wahr?« »Ich finde keine andere Erklärung. Oder es müssen hier solche unterschiedlichen Massenverhältnisse herrschen, daß der Raum nur noch aus Beulen, Löchern und Falten besteht.« »Sind die Konstellationen auf dem Bildschirm gesprungen?« »Nein, das nicht.« »Na also, dann rede nicht einen solchen Unsinn! Bleibe auf Co-Pilot. Hallo, was ist?« Jemand hatte das Schott geöffnet, und Praxlomza steckte seinen Kopf herein. »Können wir reinkommen?« »Wer ist wir?« »Wir alle, Cora, Bannister und die Prokas. Es ist Alarm. Wir sind völlig ...« »Erzähl keine Memoiren! Kommt rein! Aber verkrümelt euch in die Ecke und verhaltet euch ruhig. Wir haben hier zu tun.« »Was ist denn eigentlich passiert?« »Ich habe gesagt, daß ihr euch ruhig verhalten sollt. Seit wann hältst du meine Befehle für humoristische Einlagen?« »Hier!« schrie Lisman plötzlich aufgebracht. »Nebenmaterie!« »Planeten?« »Was weiß ich? Planeten wären wohl das Naheliegendste.« »Planeten können Intelligenz bedeuten. Hast du etwas dagegen, wenn ich dich konsultiere, Iks?« Der Proka kam herangerollt. »Wie kann ich helfen?« »Paß auf! Die Sonne da vorn war vor zehn Stunden noch nicht da. Sie ist im Augenblick aber knapp zwölf Lichtstunden entfernt. Raumverzerrungen konnten nicht festgestellt werden. Kannst du das erklären?« »Raumsprung«, stellte der Proka fest.
78
»Du weißt, die CORA ist nicht mehr dazu in der Lage. Und Lisman hat es auch gar nicht versucht.« »Dann wurde der Sprung von außen verursacht.« »Hältst du das für möglich?« »Wir hatten zu Hause eine solche Einrichtung in der Entwicklung. Als Waffe gegen euch. Und was in der Theorie stimmt, ist auch in der Praxis möglich.« »Demnach tun wir gut daran, wenn wir die geortete Nebenmaterie bereits als Planeten ansprechen. Und auf den Planeten erwartet und wahrscheinlich eine Intelligenz, die uns haushoch überlegen ist.« »Nicht unbedingt überlegen. Aber in der Entwicklung sind sie weiter.« »Du verstehst zu trösten.« »Ich scheue mich nicht, unangenehme Tatsachen hinzunehmen. Andererseits besteht kein Grund, die Dinge zu übertreiben.« »Ich werde verrückt!« schrie Lisman dazwischen. »Die Sonne hat tatsächlich Planeten. Mindestens einen. Hier, Perry!« »Hast du die Werte?« »Moment! Mehr als hundert AEs vom Zentralgestirn entfernt. Größe ... Verdammt! Da ist ein zweiter Planet!« In den nächsten drei Minuten stand fest, daß der Stern fünf Planeten besaß. »Was machen wir?« fragte Lisman unschlüssig. »Gar nichts«, entschied Barnett. »Erstens besteht im Augenblick kein zwingender Grund, irgendeinen der Satelliten anzufliegen. Und zweitens lasse ich mich gern überraschen. Wenn dort irgendwo Wesen hocken, die uns hierhergebracht haben, dann möchte ich unbedingt herausfinden, was sie weiter mit uns vorhaben. Und dann sollen sie uns die Arbeit abnehmen.« »Das ist doch heller Wahnsinn«, erwiderte Lisman respektlos. »Wir haben soviel Fahrt, daß wir an dem ganzen System vorbeischießen. Wenn wir hier heil landen wollen, dann brauchen wir mindestens einen Tag volle Kraft aller Bremsdüsen.« »Wir wollen nicht landen. Soll ich dir das erst schriftlich geben?« »Aber du sagst, man könnte uns zwingen.« »Dann sollen sich die Herren darüber den Kopf zerbrechen, die uns zwingen wollen ...« Zwei Minuten später hatte man die Bestätigung dafür, daß tatsächlich eine fremde Kraft am Werk war. Die Fluggeschwindigkeit nahm rapide ab, und der Kurs lag plötzlich hart Steuerbord. Barnett versuchte sofort, die Kraft zu analysieren. Er konnte es nicht. »Es hat weder etwas mit Elektrizität noch mit Zerfallstrahlung zu tun. Hast du eine Idee, was es sein könnte?« Die Frage galt Iks-Wol-Esak. Der verneinte. »Ich bin leider nicht in der Lage, eine Prüfung durchzuführen. Dazu fehlen mir unsere prokaskischen Geräte. Wenn ich dir helfen kann, dann nur aufgrund meines Intellekts.« »Und was sagt dein Intellekt?« »Wenn es sich nicht um Radioaktivität handelt, haben wir die besten Aussichten, ohne gesundheitliche Schäden davonzukommen. Aber das ist keine Garantie. Die Fremden können durchaus über Einrichtungen verfügen, denen unser Organismus nicht gewachsen ist.« »Okay! Den Trost lasse ich gelten. Schönen Dank, Iks!« Das klang wie eine Entlassung. Doch das Kugelwesen machte keine Anstalten, sich in seine Ecke zurückzuziehen. Es blieb neben Barnett hocken, um wenigstens in der Nähe des Telepathierelais zu sein. Für den Menschen war das eine ungeheure Belastung, denn er stand ununterbrochen mit Iks-Wol-Esak in Gedankenverbindung, wodurch seine eigenen Überlegungen stark an Klarheit verloren. »Verdammt! Kann man diesen Kasten eigentlich nicht abstellen? Ich weiß ja kaum noch, ob
79
du das Schiff lenkst oder ich.« »Ich denke, es ist keiner von uns beiden. Die Navigation haben doch die anderen übernommen.« »Die anderen, die anderen! Wer sind die anderen? Bevor wir zu Bruch gehen, möchte ich wenigstens nichts versäumen, was uns retten kann.« »Versuche getrost, aus dem Kraftfeld herauszukommen. Wenn es dir gelingt, haben wir einen erfreulichen Beweis unserer Stärke. Andererseits könnten wir jedoch manches versäumen.« »Hör dir diesen Theoretiker an!« bellte Lisman dazwischen. »In seiner Neugier bricht er sich noch das Genick, wenn er eins hat. Ich pfeife auf die interessanten Geheimnisse dieses Systems. Mein Leben ist mir wichtiger.« »Das meine ich auch«, kommentierte Perkins aus dem Hintergrund. »He! Kugelmann! Verschwinde in die Ecke! Bevor du den Captain durcheinanderbringst, schlage ich dir lieber den Schädel ein!« »Ich habe keinen Schädel. Also wird es dir schwerfallen«, erklärte Iks-Wol-Esak, ohne daß er gekränkt schien. Und tatsächlich zog er sich aus Barnetts Nähe zurück. Der Versuch, den unbekannten Leitstrahl zu überwinden, erwies sich als nutzlos. Barnett versuchte mehrere Manöver. Doch das Schiff gehorchte ihm nicht. Es lag auf einer tangentialen Bahn, die an dem vierten Planeten vorbeiführte. Man konnte sich im voraus ausrechnen, daß diese Bahn in einen Kreis und dann n eine immer enger werdende Spirale übergehen würde. »Man zwingt uns zur Landung«, erklärte der Captain. Seine Stimme klang offiziell, als hätte er das nur gesagt, weil er es für seine Pflicht hielt. Die Reaktion der Besatzung war durchaus menschlich. Die Angst kam heran. Cora gab sie offen zu erkennen. Die Männer versuchten sie zu verbergen. Lavista hatte aber den geringsten Erfolg damit. »Sie werden uns töten!« schrie er und stürzte zwischen Lisman und Barnett an das Armaturenbrett, um mehrere Hebel umzulegen. Allerdings hatte er nicht die geringste Ahnung von dem, was er tat. Er brachte lediglich die Schaltung durcheinander und empfing einen Boxhieb von Lisman, der ihn für mehrere Minuten jede Angst vergessen ließ. Barnett schwenkte seinen Sessel herum. »Von Töten kann durchaus keine Rede sein. Wir haben es hier mit intelligenten Wesen zu tun. Das braucht wohl nicht noch besonders bewiesen zu werden. Und Intelligenzwesen zeichnen sich nicht unbedingt dadurch aus, daß sie blindlings morden. Auch wenn der Galaktische Krieg andere Schlüsse zuläßt. Wenn man uns hätte vernichten wollen, dann wäre das wahrscheinlich schon hier im Raum geschehen. Denn die entsprechenden Mittel dürften die Fremden besitzen, wie man sieht. Wie die Sache aber im Augenblick steht, haben wir berechtigte Hoffnung, daß man mit den anderen reden kann.« »Das Reden möchte ich bezweifeln«, schaltete Iks-Wol-Esak sich telepathisch ein. »Ihr seht, wie schwer das Reden schon zwischen euch Menschen und uns Prokas fällt.« »Ich denke, solche pedantischen Einzelheiten heben wir uns für später aus«, unterbrach Barnett den Proka. »James, mache alles klar zur physikalischen Zielansprache!« »Okay, Captain!« Der vierte Planet hing im Fadenkreuz des Zentralbildschirmes, während die Meßgeräte arbeiteten. Auf einer Tafel erschienen automatisch die schriftlichen Ergebnisse. – Halbmesser 17463 Kilometer, Dichte in bezug auf die Erde 0,51, in bezug auf Wasser 2,8. Atmosphäre vorhanden. Druck an der Oberfläche 890 Millimeter. 26 Prozent Sauerstoff, 69 Prozent Stickstoff, Rest Edelgase. – Die beiden Prokas ließen ihre selten vernehmbaren akustischen Äußerungen laut werden, die daran erinnerten, daß ihre Rasse vor langer Zeit auch einmal die Sprache als
80
Verständigungsmittel gekannt haben mußte. Barnett wußte, daß diese Geräusche das Zeichen der Erregung waren. Und es konnte nur eine freudige Erregung sein, denn Menschen und Prokas hätten sich keine günstigere Atmosphäre wünschen können. Und die Schwereverhältnisse waren recht erträglich, wenn auch die Gravitation etwas mehr als zehn betrug, wie man es von der Erde her gewohnt war. Immer deutlicher wurde das Bild des Planeten auf der Bugscheibe. Wie er dort frei im Raum schwebte, hatte er etwas Drohendes an sich. Das war freilich nur ein sehr subjektiver Eindruck von unsicheren Menschen und Prokas, denn der Körper sah nicht viel anders aus als seine vielen Konkurrenten, die man bereits in der heimatlichen Galaxis hatte. Hier spielte nicht das Bild die wesentliche Rolle, sondern der Gedanke an das Unbekannte, von dessen Art, Form und Wirken man absolut keine Vorstellung hatte, von dem man nur wußte, daß es einem wahrscheinlich weit überlegen sein würde. Und der Mensch hat es nicht gern, wenn ihm ein anderer überlegen ist. Er wittert sofort Gefahr und fühlt sich erst sicher, wenn er der fremden Kraft eine gleiche oder gar eine überlegene entgegensetzen kann. So kamen Freude und Mißtrauen, Hoffnung und Angst zusammen. Freude und Hoffnung über eine Welt, die ein heimatliches Milieu versprach, in dem Menschen wie Prokas leben konnten. Mißtrauen und Angst über eine Zivilisation, die sie erdrücken, quälen und töten konnte. Sie waren alle zur Passivität verurteilt. Es war mehr Instinkt als Überlegung, wenn Barnett trotz mehrfacher Mißerfolge immer wieder versuchte, die Gewalt des unbekannten Leitstrahls zu durchbrechen. Doch es klappte nicht im geringsten. Die CORA reagierte nicht um eine Winkelsekunde. Und auch das Abschießen der Bugrohre war gewiß nicht die Ursache dafür, daß die Fahrt von Augenblick zu Augenblick gebremst wurde. Bei allem, was geschah, wußte man, daß die anderen die Initiatoren waren. Die anderen – die Stärkeren – und gewiß auch die Gefährlicheren! Lange herrschte Schweigen in der Kommandozentrale. Lisman brach es schließlich, denn solche Bedenken konnte er unmöglich für sich behalten. »Unsere Geschwindigkeit ist immer noch zu hoch! Wir werden abstürzen und als einzelne Atome in die Atmosphäre hinabrieseln. Versuch es noch einmal, Perry!« »Ich habe verdammt genug versucht. Wenn du noch immer nicht kapierst, daß wir gegen diese Macht nicht das geringste Mittel haben, dann mußt du eben als einfältiger Trottel sterben ...« »Habt ihr gehört?« meldete sich jetzt Lavista mit einem schrillen Gewinsel. »Er redet vom Sterben. Er weiß genau, daß wir keine Chance mehr haben. Aber uns will er bis zur letzten Sekunde für dumm verkaufen! Ich verlange ...« Niemand erfuhr jemals, was er verlangen wollte. Praxlomza, der noch aus früheren Tagen eine Rechnung mit Lavista offenstehen hatte, war mit der Faust dazwischen geraten. Lavista knickte um wie ein verdorrter Strohhalm. Seine Rede ging in unartikuliertes Jammern über, und er blieb am Boden liegen, den er in einer Mischung aus Angst und Wut mit den Fäusten bearbeitete, bis ihn ein Fußtritt seines Gegners traf. »Laß das, Prax!« rief Barnett. »Perkins! Bring ihn in die Arrestkabine, bis er sich beruhigt hat!« »Okay, Captain!« Lisman mußte noch ein wenig mit nachhelfen, bis man Lavista endlich draußen hatte. Zu Praxlomza gewandt, fuhr Barnett fort: »Und reiß dich in Zukunft etwas mehr zusammen!« »Den Schlag in die Schnauze hatte er längst verdient.« »Gegen dein Boxen habe ich nichts einzuwenden, das weißt du ganz genau. Nur solche Fußtritte gefallen mir nicht. Soweit ich orientiert bin, hat Lavista nur noch in Ohrfeigen bei dir Schulden ...« »Und im Anspucken ...«
81
»So, spucken willst du also auch noch!« »Nein, natürlich nicht, Perry, Ich bin überhaupt mit ihm quitt.« »Das würde mich freuen. Wir haben fürs nächste tatsächlich andere Sorgen. Und wahrscheinlich brauchen wir dann jeden Mann. Auch so einen wie Lavista.« »Okay, Perry!« »Okay!« Barnett hatte halb nach hinten gesprochen. Als er sich wieder nach vorn drehte und den linken Arm auf die Seitenlehne stützen wollte, spürte er etwas, was sonst nicht da war. Es war Coras Hand. »Cora«, sagte er. »Ja, Perry«, sagte das Mädchen. Sonst nichts. »Warum stehst du? Setz dich wieder. Es kann noch viele Stunden dauern, bis wir landen.« »Laß nur! Ich möchte jetzt bei dir sein. Laß mich hier stehen. Auch Stunden, wenn es sein muß.« Auch bei Cora diese Unsicherheit. Natürlich, wenn die Männer Angst hatten, konnte sich eine Frau nicht ausschließen. Ob Cora daran dachte, daß diese Stunden die letzten sein konnten? Er suchte ihre Hand und sah zu ihr auf. Er sah sie an, wie man das sonst nur unter vier Augen tut. Aber hier war das gewiß so in Ordnung. »Die Atmosphäre dort läßt ein Paradies vermuten. Vielleicht wird alles schöner, als es in der Galaxis jemals für uns sein konnte.« Barnett sah verwirrt geradeaus. Coras Worte klangen wie eine Feststellung. Und doch wußte er, daß sie eine Fragen waren. Cora wollte eine Bestätigung haben. Denn der Gedanke an das Paradies war nur ein Wunsch. »Vielleicht ist es ein Paradies. Bestimmt ist es ein Paradies in seiner Art. Aber ob es uns paßt, kann niemand sagen. Wir sind Fremde dort. Das ist nicht unsere Welt.« »Das Trösten hast du noch nicht gelernt«, sagte Cora. Es war ein Vorwurf mit einem schwachen Lächeln, das alles verzieh. Auch die falsche Sachlichkeit des Mannes. Und nach einer Pause. »Schon gut, Perry. Ich setz mich wieder. Aber denk ein bißchen an mich. An deine – Piratenbraut.« Sie lächelte noch, als sie wieder zurückging. Doch Perry Barnett sah es nicht. Dann kam Perkins zurück. Aber noch bevor er seinen Platz erreichte, lenkte Barnetts Anruf die Aufmerksamkeit auf den Bildschirm. Trotz dichter Atmosphäre war plötzlich die optische Beobachtung der Planetenoberfläche möglich geworden. Und der erste Eindruck rechtfertigte tatsächlich einen Ruf der Überraschung. Die Welt vor ihnen sah aus wie ein einziger Edelstein – in geometrischen Formen von der Hand eines Meisters geschliffen. Innerhalb von wenigen Minuten kristallisierte sich dieses Bild immer deutlicher heraus, bis schließlich Dinge von der Größe eines Häuserblocks erkennbar wurden. »Habt ihr so etwas schon gesehen?« ächzte Perkins. »Das ist ja ein einziges Bienenhaus.« Bienenhaus – das war also der Eindruck bei Perkins. Jeder fand in seiner Phantasie etwas anderes. Doch im Prinzip blieb es das gleiche. »Nichts als Zivilisation«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Keine Spur einer naturgebundenen Umwelt. Das ist eine Technik, deren Stadium nach unserer Philosophie niemals erreicht werden kann, da bis zu ihren Anfängen die Prokas längst degeneriert wären.« »Die Prokas, natürlich!« warf Lisman boshaft ein. »Aber das da haben keine Prokas gemacht. Und auch keine Menschen.« »Diese Welt kennt kein Gefühl«, behauptete Nam-Legak. »Sie ist erstarrt in der Forderung nach Nützlichkeit. Sie wird von uns ein höchstes Maß an Anpassungsfähigkeit verlangen, falls ein Anpassen überhaupt erfolgen kann.« »Ich finde, diese Welt ist schön«, sagte Praxlomza. Und offenbar nicht nur aus lauter
82
Widerspruch. »Das sieht aus, also ob Kinder buntes Papier zerschnitten und wahllos wieder zusammengeklebt hätten.« »Du siehst also eine Spielerei darin«, folgerte Barnett. »Hoffentlich ist es so harmlos wie ein Spiel. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu hoffen.« Dann setzte plötzlich eine Dämmerung ein. Sie kam langsam, aber doch sehr auffällig. Perkins deutete das als böses Zeichen, obwohl er keinen plausiblen Grund dafür angeben konnte. »Du spinnst«, sagte Barnett dazu. »Wir tauchen in den Schatten des Planeten. Wir passieren die Nachtseite.« »Dann geh doch auf Infrarot!« »Ich bin dabei. Es klappt aber nicht.« »Mich würde interessieren, was überhaupt noch klappen soll! In der Schule habe ich immer gelernt, daß die Naturgesetze im ganzen Weltall absolut gleiche Gültigkeit haben.« »Bei der Überzeugung bleibe nur! Wenn etwas nicht klappt, brauchst du nicht gleich die Naturgesetze dafür verantwortlich zu machen. Wahrscheinlich liegt es an unserer primitiven Technik ...« Die Dämmerung wurde intensiver. Die fremde Sonne versank hinter dem Horizont des Planeten. Und die Infrarot-Beobachtung wollte einfach nicht klappen. Schließlich herrschte auf dem Bildschirm völliges Dunkel, so daß Barnett die Radargeräte einspannen mußte. Mit Radar war es wenigstens möglich, den ständig geringer werdenden Abstand zur Planetenoberfläche zu messen. Bei zweitausend Kilometer Höhe erklärte der Captain beruhigend, daß von einem Absturz keine Rede mehr sein könne. »... wir befinden uns im Gleitflug in den ersten atmosphärischen Schichten. Die fremde Kraft ist unwahrscheinlich, aber auch eine Tatsache. Bei gleichbleibender Bremsverzögerung müssen wir ohne Komplikation landen.« »Dafür wird es wahrscheinlich hinterher Komplikationen geben«, meinte Lisman sauer. * Das Landemanöver dauerte knapp zwei Terrastunden. Man mußte es als Manöver bezeichnen, auch wenn der Captain nicht einen einzigen Hebel dafür bediente. Er kümmerte sich lediglich um die Radarortung und gab den anderen von Zeit zu Zeit die Höhe über der Planetenoberfläche bekannt. Hin und wieder sagte einer etwas. Kurz und abgebrochen. Ausschnitte der sich jagenden Gedanken. In jedem Gehirn spielte sich eine Variation zu demselben Thema ab. Bis Barnett die Zahl Tausend nannte. Tausend war die Angabe nach Metern. Ein landendes Raumschiff hätte jetzt sehr schnell Bodenberührung bekommen. Doch die Höhenwerte des Radar änderten sich so langsam, als wäre die CORA eine Taucherkugel, die vorsichtig dem Meeresgrund zustrebt. Die fremde Kraft behandelte die Beute aus dem Weltall wie etwas Zerbrechliches. Sie ließ das Schiff schweben, als sei die Energiesperre etwas so Elastisches wie ein Daunenkissen. Doch das menschliche und auch das prokaskische Gehirn fand wenig Trost in dieser Vorstellung. Das Mißtrauen gegen die fremde Welt behielt die Oberhand. Und nachdem Barnett die tausend Meter angegeben hatte, erstarb jedes Gespräch. »Neunhundert Meter«, sagte der Captain. Und dann: »Achthundert, siebenhundert Meter, fünfhundert Meter ...« Im Schiff war keine Bewegung zu spüren. Die künstliche Schwerkraft der CORA absorbierte jede gravitatorische Wirkung von außen. Der Bildschirm war schwarz. Man konnte sich nur noch auf die Radarortung verlassen. »Vierhundert Meter, dreihundert Meter, zweihundert Meter ...«, kamen die Worte Barnetts. Und es lagen Abstände dazwischen, als ob die Zeit stillstehen wollte.
83
»Hundert Meter ... fünfzig Meter ... vierzig Meter ...! Festhalten! Wir landen! Es kann einen Stoß geben ...« Es gab keinen Stoß. Als das Radar Bodenberührung anzeigte, machte sich im Schiff nicht die geringste Änderung bemerkbar. »Null«, sagte Barnett, und Iks-Wol-Esak war der einzige, der wirklich daran glaubte. »Bitte, noch nicht die Plätze verlassen!« Diese Anordnung war überflüssig, denn niemand fühlte sich veranlaßt, jetzt irgend etwas als erster zu tun. Es genügte, daß man noch lebte und daß die Kommandozentrale ihre alte Vertrautheit behalten hatte. Barnett ging langsam mit der künstlichen Schiffsgravitation auf Null. Mehr und mehr machte sich dadurch die natürliche Schwerkraft des Planeten bemerkbar. »Merkt ihr etwas? Hier herrscht eine Fallbeschleunigung von 1.22 g. Wir sind etwas schwerer geworden. Wir werden bei körperlicher Bewegung etwas mehr Energie aufwenden müssen. Aber sonst ist es zu ertragen. Selbst für Leute, die nicht ganz gesund sind. Habt ihr Schwierigkeiten, Prokas?« »Ihr seid im Vorteil«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Nach eurer Skala ist unser Körper von der Natur auf 0,8 g eingerichtet. Trotzdem werden wir es schaffen. Für den Augenblick gibt es nicht die geringsten Beschwerden. Außerdem sind Nam und ich beste Raumklasse. In der Galaxis habe ich schon einmal das Sechsfache meines Normalgewichtes gehabt.« »Na, dann kann ja nichts schiefgehen!« Barnett gab dieser Feststellung einen betont optimistischen Anstrich, als ob man nur auszusteigen brauche, um angeln gehen zu können. Er versuchte noch einmal den Televisor. Der reagierte jedoch noch immer nicht. »Draußen wird noch Nacht sein«, sagte Perkins. »Eine Nacht mit jenseits von Rot abgehacktem Spektrum«, kommentierte Lisman giftig. »Alles herhören!« kam dann Barnetts Befehl. »Solange unsere Lage nicht genau erkannt ist, hat jeder von uns die doppelte Pflicht zur Disziplin. Ich erkläre hiermit den Ausnahmezustand für die gesamte Besatzung. An Bord eingeteilte Wachen haben nur nach meinen Anordnungen zu handeln. Das Verlassen des Schiffes aus eigenem Ermessen ist verboten. Ist das klar?« Die Bejahung viel verschieden aus. Praxlomza und Perkins brüllten: »Okay!« Lisman, Bannister und Cora nickten schweigend, und die Prokas bestätigten ihre Bereitschaft zum Gehorsam telepathisch. »Wir sind gelandet«, fuhr Barnett fort. »Was wir bisher von diesem Planeten gesehen haben, läßt nur unsichere Schlüsse zu. Es muß eine in höchstem Maße technisierte Welt sein mit entsprechenden Lebewesen. Über das Tragen und Benutzen von Waffen muß später entschieden werden, sobald erste Forschungsergebnisse vorliegen. Bewaffnung kommt also vorerst nur für Leute in Frage, die außenbords gehen. Ich brauche zwei Mann dazu. Wer kommt freiwillig mit?« Spontan meldete sich nur Iks-Wol-Esak. Alle anderen zögerten. Dann kam die Hand von Praxlomza. »Gut, Prax! Du kommst mit. Allerdings hat das Zeit bis zur Dämmerung. Ich möchte kein unnötiges Risiko eingehen und halte die Nacht nicht für eine erste Erkundung geeignet.« »Hoffentlich sind die Fremden so nachsichtig und überlassen uns die Einteilung des Dienstplanes«, gab Lisman zu bedenken. »Ich lasse mich nicht gern außerplanmäßig aus dem Bett holen.« »Auch darauf müssen wir vorbereitet sein. Ich hoffe allerdings auf günstigere Umstände. Sollte jemand den Wunsch haben, sich auszuruhen, so habe ich nichts dagegen, wenn er sich hinlegt. Es genügt, wenn wir hier zu dritt sind. Sobald der Tag anbricht, muß dann alles auf volle Kriegswache.« »Wenn man nur wüßte, wann der Tag anbricht«, stöhnte Perkins. »Ich glaube, ich hätte die Nerven, jetzt trotz allem ins Bett zu gehen.«
84
»Über die Rotation des Planeten liegen keine Messungen vor. Wir müssen das später erledigen. Also, wer ist müde?« »Müde sind wohl alle«, meinte Cora. »Aber ich werde trotzdem kein Auge zubekommen.« »Gerade du solltest aber etwas schlafen, Mädchen.« »Nein, nein, laß nur, Perry. Es hat keinen Sinn.« Niemand ging schlafen. Auch Perkins nicht. Er holte Lavista aus der Zelle zurück, so daß die gesamte Mannschaft wieder versammelt war. Dann vergingen drei ganze nervenaufreibende Stunden, während derer Barnett lediglich eine Direktanalyse der Atmosphäre vornahm. Das Ergebnis veranlaßte ihn zu einem Kopfschütteln. »Da draußen herrscht die ideale Stickstoff-Sauerstoff-Mischung. Die Luft ist würzig wie im Garten eines Sanatoriums. Ihr könnt sagen, was ihr wollt, es muß eine üppige Pflanzenwelt hier geben.« »Unsinn! Davon hätten wir etwas sehen müssen. Ich wette, da draußen ist nichts, was mit einem Paradies Ähnlichkeit hat«, widersprach Praxlomza. »Nicht einen Grashalm werden wir zu sehen bekommen.« »Oh, bist du bescheiden«, meckerte Perkins. »Ich möchte brennend gern eine Wette mit dir abschließen, die ich gewonnen habe, sobald ich dir den ersten Grashalm bringe. Aber um Geld wetten hat für uns ja wohl keinen Sinn mehr.« »Du kannst ja mal versuchen, ob unsere Währung nicht vielleicht auch hier noch eine gewisse Bedeutung hat.« »Quatsch!« sagte Lavista, der sich nicht genierte, schon jetzt wieder an dem Gespräch teilzunehmen. »Ihr redet nur Blödsinn. Bereitet euch lieber auf eine Reihe von Enttäuschungen vor.« »Die meisten Enttäuschungen wirst du erleben«, erwiderte Perkins, »das gebe ich dir jetzt schon schriftlich.« »Ach nee, du hältst dich wohl für sehr mutig, indem du dir selbst laufend Hoffnungen zuflüsterst, die sich nur ein Idiot ausdenken kann.« »Mensch, hör nicht auf ihn!« brummte Praxlomza wütend. »Der kann ja vor lauter Angst nicht mehr normal denken.« Lavista hätte an dieser Stelle gern eine freche Antwort gegeben. Doch er dachte an den Boxhieb, an den Fußtritt und an die dunkle Zelle. Da hielt er lieber den Mund und überlegte sich im stillen, was er alles hätte sagen können, wenn er etwas mehr Autorität besessen hätte. Nach drei Stunden stellte Barnett fest, daß die allgemeine Nervosität immer mehr zunahm. Die teilweise unsinnigen Gespräche führten zu unsachlichen Boshaftigkeiten. Und hinter allem, was einer sagte, standen die Unsicherheit und das Mißtrauen. »Verdammt! Wie lange dauern hier die Nächte? Das hält ja kein Schwein aus!« »Verzeihung, was ist ein Schwein?« fragte Nam-Legak. »Das kann ich dir jetzt kaum erklären. Auf jeden Fall ist das etwas Zoologisches.« »Ich versehe. Ein Wesen eurer Rasse.« Praxlomza grinste. »Wenn du wüßtest, was du jetzt für einen Witz gemacht hast!« »Nach Witzen ist mir nicht zumute. Barnett, findest du nicht auch, daß die Nacht etwas reichlich lang wird? Habt ihr denn keine andere Möglichkeit zur Außenbeobachtung als das Bildgerät? Vielleicht ist es unbrauchbar, und wir sitzen hier in drei Wochen noch und warten.« »Tatsächlich, Perry«, schaltete sich nun auch Bannister ein, der lange geschwiegen hatte. »Ich verstehe zwar nicht viel von eurer Technik hier. Aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, daß die Nacht vorüber sein müßte.« »Was weißt du von der Länge der Nacht auf diesem Planeten?« »Gar nichts. Ich gebe es ja zu. Doch bedenke nur, mit was für einer Fahrt wir die Nachtseite anschnitten. Wir hätten in der Dämmerungszone ankommen müssen.«
85
»Das ist rein gefühlsmäßiges Geschwätz«, wehrte sich Barnett. »Wir haben nicht die geringsten Anhaltspunkte, um über die Zeit- und Größenverhältnisse etwas auszusagen.« »Damit gibst du zu, wie sehr du im dunkeln tappst. Du wartest auf das Licht wie ein Blinder. Und dabei weißt du nicht einmal, ob der Televisor noch jemals in der Lage sein wird, dir Lichtwerte aufzuzeichnen.« »Das Gerät ist in Ordnung ...« »Natürlich, natürlich! Du mußt es ja wissen. Das Schiff ist allerdings auch in Ordnung. Und trotzdem haben wir eine zeitlose Weltreise gemacht, wenn man der Definition deines Freundes Iks-Wol-Esak Glauben schenken darf.« »Verdammt, Forry! Ich sage dir, der Televisor ist in Ordnung. Draußen herrscht eben totale Nacht. Und außerdem haben die Fremden eine Infrarotsperre errichtet.« »So könnte es sein«, erklärte der soeben zitierte Proka aus dem Hintergrund. »Durchaus logisch, durchaus logisch. Aber eine Hypothese. Die Vermutung kann genauso gut falsch sein ...« »Weißt du eine bessere?« »Ob sie besser ist, kann man erst später entscheiden ...« »Na, schieß schon los, du Theoretiker!« »Nun, wenn du zugibst, daß wir überhaupt keine Anhaltspunkte haben, dann ist es durchaus möglich, daß wir mit dem Eindringen in die Dunkelzone den Planeten bereits mehrere Male umrundet haben, ehe wir landeten.« »Unsinn! Dann hätte es hell werden müssen.« »Nach deiner Theorie. Du hast dich eben in deine Infrarot-Idee verrannt. Genauso gut ist es aber denkbar, daß die Sperre alle Wellenlängen blockiert, mit denen der Televisor arbeitet. Denn eine Planetennacht in einer satten Atmosphäre kann niemals so dunkel sein, wie uns das der Bildschirm hier weismachen will. Es gibt immer Sterne am Himmel.« »Der schönste Himmel nützt dir nichts, wenn eine entsprechende Wolkendecke jede Lichtreflexion verhindert.« »Natürlich. Aber auch das ist eine Vermutung. Ich bin der Meinung, du solltest etwas unternehmen. Denn bisher hast du von draußen lediglich ein paar akustische Eindrücke sammeln können, die dir etwas von leichten Luftströmungen verraten.« »Und ich habe die Luft analysiert.« »Schon gut, du bist ein tüchtiger Mann, Captain. Und du hast das Kommando hier. Als Proka weiß ich mich in Geduld zu üben. Es fragt sich nur, ob ihr Menschen es könnt.« Barnetts Unterbewußtsein sah in diesen Worten eine Herausforderung. Er blickte im Kreis von Mann zu Mann, als wolle er sich Rat holen. Dann hatte er einen Entschluß gefaßt. »Iks und Prax! Ihr kommt mit raus! Du, James, übernimmst das Kommando! Perkins, du begleitest uns bis zum Schott der Schleuse. Wenn wir draußen heil angekommen sind, beziehst du den Posten. Nehmt Waffen mit!« Als Barnett hinausging, mußte er an Cora vorbei. Sie flüsterte nur seinen Namen und drückte dadurch mehr aus, als sie in diesem kurzen Augenblick hätte sagen können. Er fand sekundenlang ihre Hand. »Schon gut, Cora. Ich bin vorsichtig. Klar?« Sie nickte mit einem verunglückten Lächeln. »Klar, Perry.« * In der Schleuse erlebte Barnett den Fehler seiner Theorie. Und mit den anderen erlebte er ein Wunder. Das Innenschott hatte dicht gemacht. Und automatisch öffnete sich das Außenschott. Für wenige Sekunden gab es nur das Summen des Motors, der den Riesendeckel in seinem
86
Flüssigkeitsscharnier bewegte. Dann stand plötzlich Licht in der Schleuse. Eine Sichel aus Licht, die wie ein Messer wirkte. Draußen war Tag. Heller Tag. Und je mehr sich das Schott öffnete, um so breiter wurde die Sichel. Doch damit nicht genug des Wunders! Die Welt war grün! Sie war Gras und Sträucher, sie war Bäume, Blumen und blauer Himmel. Die Männer standen wie erstarrt. »Bei Gott!« stöhnte Perkins, und es klang andächtig wie ein Gebet. Seine Hand zitterte etwas, und er schien sich nicht entschließen zu können, den Griff an der Schiffswand loszulassen. Zehn Meter unter ihnen lag das Paradies. »Versteht ihr das?« fragte Perkins so leise, daß man ihn kaum hören konnte. Niemand verstand es. Nicht einmal der Theoretiker der Prokas. »Ich weiß nur eins«, erklärte dieser. »Perkins hat seine Wette gewonnen, und Praxlomza muß zahlen. Wegen des Grashalmes, meine ich.« »Mensch, hat der Knabe Sorgen«, sagte Barnett. »Sage mir lieber, ob du mitkommst!« »Das war so ausgemacht.« »Du wirst Schwierigkeiten mit der Leiter haben.« »Ich brauche keine Leiter. Bei uns springt man aus solchen Höhen.« Endlich zeigte Iks-Wol-Esak eine fast menschliche Seite seines Wesens. Er konnte springen. Und es schien, als ob er stolz darauf wäre. Er war auch stolz, der erste zu sein, der unten ankam, denn schließlich hatte noch kein galaktisches Wesen diesen Planeten betreten. Allerdings gab es beim Aufprall auch die erste Enttäuschung für ihn. Er hatte trotz seines Kalkulatorgehirns die Schwerkraft falsch eingeschätzt und stieß einen wimmernden Laut aus, der auf Schmerzen schließen ließ. Barnett war Sekunden später bei ihm. »Hast du dich verletzt?« Iks-Wol-Esak verneinte. »Du denkst an gebrochene Knochen, Perry. Aber ich habe keine Knochen, das solltest du wissen. Doch eine Gehirnerschütterung kann uns um so leichter erwischen. Ein Prokagehirn ist empfindlich ...« »Ein Prokagehirn ist überentwickelt, anfällig und sensibel. Ich weiß, Iks. Vergiß aber deine Kopfschmerzen, solange wir nicht wissen, ob es hier gefährlich ist.« »Wenn ich nur wüßte, wie man sich hier eine Gefahr vorstellen muß! In Form eines reißenden Urwelttieres existiert sie jedenfalls nicht. Und Intelligenzwesen kann ich auch nicht aufspüren.« »Es muß hier Intelligenzen geben.« »Nicht in unmittelbarer Nähe. Trotzdem – wir müssen auf eine sehr große Gefahr vorbereitet sein. Diese Welt hat etwas Paradoxes. Und was mir paradox erscheint und trotzdem existiert, ist gefährlich. Alles Unbekannte, nicht Erkennbare ist gefährlich.« »Du denkst an unsere erste Beobachtung vom Schiff aus.« »Natürlich. Wir waren uns alle einig darüber, daß dieser Planet nichts von Pflanzenwuchs kennt. Wir waren uns einig darüber, daß er ein einziges Gebäude aus der Schöpfung einer intelligenten Rasse sein müsse. Und jetzt finden wir nichts als wilde Natur.« »Vielleicht ist das hier eine Art Oase, eine große Oase, die sich auf der Gegenseite befindet, die wir vom Raum aus nicht beobachten konnten ...« »Ein schwacher Trost, Barnett. Man muß zwar das Unwahrscheinliche einkalkulieren, aber man sollte sich niemals darauf verlassen.« »Es gibt noch eine andere Möglichkeit ...«, sagte der Captain langsam. Da sie das Telepathierelais im Schiff gelassen hatten, war ihre Gedankenverbindung nur sehr undeutlich. Iks-Wol-Esak konnte so gut wie gar nicht in Barnetts Gehirn lesen. Er mußte also fragen, was
87
der Mensch meinte. »Welche andere Möglichkeit?« »Der beobachtete Planet und dieser hier sind nicht identisch.« »Hm, theoretisch ist alles möglich, nachdem man uns in einem halben Tag Subjektivzeit durch das halbe Universum geschleust hat. Im übrigen ist das aber kaum wichtig. Die Tatsache wirkt zwar verblüffend. Doch unser Hauptproblem ist zunächst einmal dieser Planet mit seiner Vegetation. Mit seiner verrückten Wildnis ...« »Meintest du verrückt?« Der Proka winkte zustimmend mit seinem mittleren Arm. »Eine Wildnis in der Galaxis bestand immer aus Urwäldern, Sümpfen, öden Steppen und Wüsten oder Eisflächen. Und es gab stets eine Fauna von biologischer Kraft, die für das körperlich schwache Intelligenzwesen die Gefahr bedeutete. Und das hier? Barnett, hast du das Empfinden, in einer Wildnis zu sein?« »Ich weiß nicht, Iks. Das viele Grün läßt vermuten, daß wir es hier mit einem Reichtum an Chlorophyll zu tun haben. Und trotzdem ist nichts Vertrautes daran. Es ist unheimlich. Blumen und keine Insekten. Äußerlich sieht das hier eher wie ein Park als wie eine Wildnis aus ...« Sie standen in kniehohem Gras. Für den Proka bedeutete das, daß nur ein Viertel seines Körpers aus dem Meer der sattgrünen Halme hervorragte. In einer Entfernung von hundert Schritten stand der Wald. Sie hatten die Vorstellung, daß es ein Wald war, denn es sah so aus. Barnett hielt nur die Waffe in seinen Händen. »Komm, Iks! Wir können hier nicht anwachsen!« Der Proka blieb an der Seite des Captains. Praxlomza sollte zurückbleiben, um die unmittelbare Nähe des Schiffes zu sichern. Perkins hockte im Rahmen des geöffneten Außenschotts zehn Meter über dem Boden. Sie alle hielten Strahlwaffen in den Händen. »Paß auf, Perkins!« rief Praxlomza nach oben. »Du kannst sie besser beobachten als ich hier. Wenn du etwas Verdächtiges siehst, am besten sofort schießen!« Perkins grinste so unverschämt wie in seinen besten Piratentagen. Praxlomza war gut fünfzehn Jahre jünger als er. Und eine Anweisung aus dem Munde dieses kaum ausgewachsenen Schiffsjungen wirkte natürlich lächerlich. »Sieh zu, daß du dich nicht verdächtig machst, sonst könnte es sein, daß ich dich mit einem Ungeheuer verwechsele.« Praxlomza blieb die Antwort schuldig. Er war zornig. Und Perkins hing zehn Meter über ihm, unerreichbar für den Augenblick. Ich möchte mich tatsächlich mal mit ihm schlagen, dachte Praxlomza. Prax war in der Tat ein kräftiger Bursche, dessen Fäuste sogar den Kapitän schon herausgehauen hatten. Achselzuckend wandte er Perkins und dem Schiff den Rücken zu und blickte zu Barnett und Iks-Wol-Esak hinüber, die mit wenigen Schritten den Wald erreichen mußten. Barnett ging etwas langsamer. Instinktiv faßte er die Waffe fester und brachte den Lauf in die Waagerechte. Anden Bäumen war eine leichte Bewegung zu erkennen, die wie die Reflexion eines Lebewesens wirkte. Und doch konnte nur der leichte Wind die Ursache sein. Bäume sind nun einmal keine starren Dinge. Was war also Überraschendes daran, wenn sie sich bewegten? Als sie den Waldrand erreichten, blieb jede Überraschung aus. Nur, daß die Bäume eben doch anders waren, als man es als Galaxianer von ihnen erwartete. Nicht nur die rippenlosen Blätter waren grün. Der Pflanzenfarbstoff beherrschte auch den Stamm. Barnett faßte danach. Die stachlig rauhe Oberfläche hinterließ einen unangenehmen Reiz auf der Hand. Und sie hinterließ grüne Flecken. »Eklig!« erklärte Iks-Wol-Esak. »Du solltest Handschuhe tragen.« Sie gingen weiter. Durch brusthohe Sträucher und saftstrotzende Lianen. Das beinahe nuancenlose Grün wurde hier und da von roten und gelben Blüten unterbrochen. Blüten – so
88
groß wie Kinderköpfe. Doch sie konnten nicht den Eindruck verwischen, der die Schlangenäste wie Fangarme erscheinen ließ. »Wir wollen zurückgehen und einen Fluggleiter nehmen. Dann bekommen wir jedenfalls ein Bild von der weiteren Umgebung.« »Gewiß«, gab Iks-Wol-Esak sein Einverständnis. »Wir hätten dann auch die Möglichkeit, deine Oasentheorie zu überprüfen. Hier sieht es kaum nach intelligenten Bewohnern aus. Sie müssen woanders stecken.« Sie spürten beide Erlösung, als sie wieder auf die Lichtung hinaustraten. Der Proka hatte sich sehr unsicher in dem Unterholz gefühlt, das ihn um mehr als die Höhe seines Kugelkörpers überragte und in dem er kaum eine optische Beobachtungsmöglichkeit besaß. Barnett dagegen fühlte sich frei, weil ihn nun die Lianen nicht mehr ergreifen konnten. Er war plötzlich überzeugt, daß sie es getan hätten, wenn er nur eine Minute länger in dem Rätselwald geblieben wäre. Auf der Wiese empfing sie Perkins' Ruf. Der Mann hatte seinen Posten an der Schleuse verlassen, war die Leiter hinuntergeklettert und stand dicht neben dem Schiff. »Er winkt«, sagte Barnett besorgt und wurde automatisch schneller. Iks-Wol-Esak überholte ihn noch. So stur und phlegmatisch ein Proka in seinem Normalzustand wirkt, wenn es sein muß, kann er sich mit der Behendigkeit eines Terra-Kaninchens bewegen. Die Besorgnis schien berechtigt. Barnett fand keinen Vorwurf für Perkins, der ohne entsprechenden Befehl seinen Platz verlassen hatte. »Wo ist Praxlomza?« Die Frage interessierte viel mehr. Perkins wußte es nicht. »Wir haben uns blöde Bemerkungen an den Kopf geworfen. Prax war natürlich gereizt. Spaß hat er ja selten vertragen können. Dann hat er irgend etwas in den Bart gebrummt und ist unter das Schiff getreten, so daß ich ihn nicht mehr sehen konnte. Seitdem ist er weg ...« »Was heißt hier ›weg‹?« fragte Barnett ungeduldig. »›Weg‹ heißt ›nicht mehr da‹. Ich habe ihn ein paar Mal angerufen, weil er ja vor allen Dingen nach dieser Seite euren Rücken sichern sollte. Aber er meldete sich nicht. Da bin ich hinuntergestiegen.« »Praxlomza!« schrie Barnett laut. »Gib ein Zeichen! Wir wollen starten.« »Du denkst wohl, er hat sich versteckt ...« »Wenn ihr ins Blödeln kommt, dann ist euch selbst in der heutigen Situation so was zuzutrauen.« Perkins zuckte die Achseln, als würde er von der Welt und dem ganzen Zeitalter mißverstanden. Dann rief auch er nach Praxlomza. Er rief in alle Richtungen und machte dabei mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. – Praxlomza meldete sich nicht. »Verdammt, wenn ich den Kerl erwische, blüht ihm der Karzer«, fauchte Barnett wütend. Er dachte immer noch an einen billigen Scherz. Der Proka war anderer Meinung. »Wenn er im Gras liegt und sich nicht rühren kann, hat das wenig mit einem Scherz zu tun.« »Natürlich, wenn ...« Der Captain hantierte an seinem Funksprechgerät. Ehe er sprechen konnte, hatte der Proka jedoch schon Verbindung mit Nam-Legak aufgenommen. – Sie sollen den Fluggleiter klarmachen. – »Okay«, sagte Barnett. »Ich steige auf und werde das Gelände abfliegen. Nam-Legak soll aber inzwischen Lavista und Bannister herausschicken. Und zwar mit Funkgerät. Wir halten dann laufend Verbindung.« Wenige Minuten später startete Barnett und flog immer größer werdende Spiralen um das Schiff. Nur Sekunden konnte er dem neuen Eindruck widmen, den die endlos scheinende grüne Landschaft von einem Horizont bis zum anderen bot. Keine Oase, registrierte er im Unterbewußtsein. Noch vor einer Viertelstunde hätte diese Erkenntnis eine wesentliche
89
Bedeutung besessen. Jetzt drehte sich alles um den verschwundenen Praxlomza. Barnett flog in Höhen zwischen fünfzig und fünfhundert Meter. Sein Auge suchte jeden Quadratmeter in meilenweiter Umgebung ab. Doch unten stand nur das Schiff, und daneben bewegten sich in einer Kette Iks-Wol-Esak, Perkins, Bannister und Lavista. Anderes Leben schien nicht zu existieren. Und doch mußte Praxlomza da sein. Selbst wenn er tot war. Denn auch ein Toter hat einen Körper. Die kurzen Funkgespräche waren routinemäßiger Verständigungsverkehr. Zum Schluß kam jedesmal das Wort »Fehlanzeige«. Das war alles. Der einzige Unterschied bestand darin, daß jedes Gespräch ein paar Flüche mehr als das vorangegangene enthielt. Bis plötzlich Bannisters Stimme dazwischenkam. »Hallo, Perry! Du mußt sofort landen. Der Proka hat etwas gefunden!« »Stop!« rief Bannister und hielt ihn zurück. »Hier mußt du stehenbleiben, sonst zertrittst du es.« Der Captain hatte etwas ganz Konkretes erwartet. »Ist eure Entdeckung vielleicht aus Glas?« fragte er gereizt. »Quatsch! Siehst du nicht die Spur im Gras?« »Die Spur? Sie ist von euch.« »Von einem Menschen, aber nicht von uns. Niemand ist weiter vor gewesen, nur der Kugelmann. Die Spur kann nur von Praxlomza stammen.« »Na und? Warum verfolgt ihr sie nicht weiter? Warum holt ihr mich herunter?« »Weil Praxlomza nicht mehr da ist. Du kannst das ja selbst wohl am besten beurteilen.« »Natürlich, selbstverständlich«, lenkte Barnett unschlüssig ein. »Aber was ...« »Sieh dir die Spur an«, unterbrach ihn der Proka. Er gehorchte und ging näher heran. Auf der Höhe von Iks-Wol-Esak brauchte er nicht mehr weiterzugehen. Er sah es ganz deutlich. Die Spur endete plötzlich. Es war kein Irrtum möglich. Prax hatte das Gras auffällig niedergetreten – bis zu einer Stelle, die von Barnett drei Meter entfernt war. »Er muß zurückgegangen sein ...« »Dann wäre er uns in die Arme gelaufen. Und eine zweite Spur gibt es nicht. Also ist er nicht zurückgegangen. Jedenfalls nicht in ...« Bannister unterbrach sich, als habe er Hemmungen, den Gedanken auszusprechen. »Nicht in ... nicht in was?« »Nicht in unsere Dimension, könnte man vielleicht sagen.« Barnett sah einen Augenblick lang so aus, als wolle er lachen. Das wäre allerdings ein irres und völlig unsinniges Lachen geworden, denn er wußte genau, daß er so schnell auch keine bessere Erklärung wüßte. Vor allen Dingen keine, die weniger phantastisch anmutete. Unwillkürlich wanderte sein Blick zu Iks-Wol-Esak. »Was meinst du dazu, Iks?« »Ich meine, daß uns Gefahr droht. Eine Gefahr, gegen die wir wehrlos sind. Es besteht kein Zweifel daran, daß Praxlomza bis zu der Stelle dort ging und dann aus dieser Welt verschwand. Ob das nun tatsächlich eine andere Dimension ist, weiß ich nicht. Eine andere Dimension können wir Prokas und Menschen uns nur vorstellen, wenn eine Bewegung im Weltall damit verbunden ist. Eine sehr schnelle Bewegung ...« Die Art und Weise, in der Iks-Wol-Esak sich halb akustisch, halb telepathisch mit den Menschen verständigte, machte den Eindruck seiner Mitteilung noch unheimlicher. Dabei wirkte seine Methode, auch in gefährlichen Situationen eine theoretisierende, nüchterne Ausdrucksweise anzuwenden, keineswegs beruhigend. »Hat schon jemand von euch an der Stelle dort gestanden?« fragte Barnett und zeigte auf die letzten niedergetretenen Grashalme. Perkins ging unwillkürlich einen Schritt zurück, als wolle er eine bestimmte Gefahrenzone vermeiden. Bannister sagte: »Nein.« Ehe sie es verhindern konnten, sprang der Captain vor und stellte sich dorthin, wo
90
Praxlomza verschwunden sein mußte. Doch keine Macht hinderte ihn daran, noch einige Schritte mehr zu machen und dann unversehrt zurückzukehren. »Du solltest nicht so leichtsinnig sein«, wies ihn der Arzt zurecht. »Hier lauern verdammt genug Gefahren, als daß wir es noch nötig hätten, sie absichtlich herauszufordern.« »So, meinst du?« Nach welchen Gesichtspunkten willst du denn hier die Gefahren definieren? Unser blödsinniges Handikap ist doch wohl, daß gerade unsere gescheitesten Überlegungen auch die verhängnisvollsten sein können. Oder stimmt es nicht, Iks?« »Wenn es stimmte, hätten wir schon eine Garantie. Ich möchte mich allerdings lieber darauf stürzen, daß man der Frage mit logischen Folgerungen doch beikommen kann.« »Ein Wesen mit den notwendigen Sinnesorganen kann es bestimmt«, warf Perkins ein. »Ich bezweifle jedoch, daß Menschen oder Prokas diese notwendige Kapazität besitzen.« »Du willst also aufgeben.« »Ich will nichts als rein ins Schiff und weg von diesem Planeten.« »Ein frommer Wunsch, wenn man bedenkt, wie einfach sich ein solcher Start durchführen lassen müßte«, meinte Bannister beinahe gehässig, und man merkte ihm deutlich an, daß er auf diese Weise seine Angst verbergen wollte. Perkins dagegen bekam plötzlich einen nachträglichen Heldenrappel. Er folgte dem Beispiel Barnetts und stellte sich auf das rätselhafte Ende von Praxlomzas Fährte. Allerdings erregte er damit längst nicht mehr das Aufsehen wie sein Vorgesetzter, obgleich er dort eine ganze Zeitlang aushielt und etwas von einer Tür in die unbekannte Dimension phantasierte. Barnett nahm wieder dieses Stichwort auf. »Dimension hin, Dimension her. Prax ist verschwunden. Und es kommt wahrscheinlich auf dasselbe heraus, ob wir weiter nach ihm suchen, oder ob wir hier geistreiche Überlegungen anstellen. Bevor ich aber tatenlos zusehe, wie man uns hier nacheinander abserviert, schlage ich trotzdem vor, daß wir uns so gut wie möglich den Kopf zerbrechen.« »Das war so konfus, als ob ein Pessimist und ein Optimist zugleich gesprochen hätten. Uns wird aber nichts anderes übrigbleiben, als Optimist zu sein«, sagte Bannister. »Und du mußt dich nicht unbedingt an dem Begriff Dimension festhalten.« »Warum nicht? Er ist für mich zur Zeit die einzige Erklärung, die mir einleuchten könnte. Und, ehrlich gesagt, hatte ich die Hoffnung, daß du uns mehr darüber sagen könntest.« Barnett hatte den Proka angesprochen. »Wie kommst du darauf?« »Ich erinnere mich an meine erste Begegnung, die ich mit einem von euch hatte. Deshalb leuchtet mir nicht ganz ein, was du vorhin sagtest.« »Ich kann deine Gedanken ohne Relais leider nicht klar genug lesen. Du mußt dich also schon deutlicher ausdrücken. Was ist mit deiner ersten Begegnung? Und was leuchtet dir nicht ganz ein?« »Du sagtest, Prokas und Menschen könnten sich eine andere Dimension nur schlecht vorstellen. Ich glaube trotzdem, daß ihr in dieser Beziehung weiter seid. Denn damals – vor einigen Wochen – hatten wir noch den zweifelhaften Talcott bei der Besatzung. Er geriet in eure Hände und wurde getötet. Und ich konnte sein Sterben verfolgen, obgleich er sich wahrscheinlich einige Kilometer von mir entfernt befand. Ich sah ihn in einer Art Energieglocke vor mir liegen ...« »Das war keine Energie.« »Es war aber auch keine Materie. Ich konnte durch ihn hindurchgehen. Ich konnte ihn sehen, aber nicht greifen. Aber außerdem konnte ich ihn hören. Ich sprach mit ihm, als ob er tatsächlich vor mir läge. Und er starb vor meinen Augen und war trotzdem weit weg. Es konnte sich also nicht lediglich um eine Bildübertragung handeln, sondern Talcott war tatsächlich bei mir. Er existierte praktisch an zwei Stellen in zwei verschiedenen ..., nun ja, Dimensionen, möchte ich sagen. Oder stimmt's nicht?«
91
»Nein, es stimmt nicht. Das Bild von Talcott damals muß deiner natürlichen Dimension angehört haben, denn sonst hättest du es ja gar nicht wahrnehmen können. Wir sprachen doch kürzlich schon einmal darüber. Talcotts Erscheinung mußt du dir als eine Mischung aus telegraphischen Werten und aus einer abgeänderten Energieform erklären. Auf die telepathischen Werte reagiertest du subjektiv. Die Existenzform aber war konkret. Du kannst sie in die Urgleichung zwischen Energie und Materie genauso wenig einbauen wie zum Beispiel die Begriffe Antienergie und Antimaterie. Denke doch nur an die rätselhaften Vorfälle, durch die wir hier gelandet sind! Wir haben bisher nichts als eine Hypothese für unsere wahrscheinlich zeitlose Raumfahrt. Aber schon eine Hypothese ist viel wert, und man kann etwas damit anfangen. Du brauchst nur anzunehmen, daß dein Hypertreibstoff zu contratemporisierten Mesonenströmen wurde, sobald er in die Energieentwicklung gelangte ...« »Verrückt! Willst du dieses Beispiel etwa auch hier anwenden?« »Wenn man das Prinzip gefunden hat, führt auch alles wieder darauf zurück.« »Damit willst du also sagen, daß man Praxlomza in eine unbekannte Existenzform gebracht hat, oder daß er jetzt zeitlos lebt!« »So in etwa. Jawohl. Eins könnte stimmen. Vielleicht sogar beides. Aber es ist vorläufig nichts als eine Hypothese ...« »Das Gefühl habe ich auch«, bellte Lavista dazwischen. »Was haben wir eigentlich von euren theoretischen Spitzfindigkeiten, wenn nichts dabei herauskommt? Ich halte es für viel gescheiter, wir suchen Praxlomza noch einmal. Und wenn er wirklich weg ist, dann hat es keinen Sinn, daß wir uns hier auch noch opfern. Ich habe verdammt wenig Lust ...« Lavista brach sofort ab, als Barnett einige Schritte näher an ihn herankam. »Was hältst du davon, wenn du dich an meine Befehle erinnerst? Nach deiner Lust wird im Augenblick wohl kaum gefragt. Und wenn du jetzt okay sagst, dann war das vorläufig dein letztes Wort. Verstanden?« »Okay, Captain!« »Okay!« machte Barnett halbwegs zufrieden und gab neue Anweisung. »Wir machen das Ganze noch einmal. Das Zeichen zum Abbruch der Aktion gebe ich aus der Luft.« »Okay, Captain.« Perry Barnett stieg auf. Es kam alles, wie jeder befürchtet hatte: Praxlomza blieb verschwunden. Und eine halbe Stunde später kam der Befehl, zum Schiff zurückzukehren. * Noch bevor Barnett in die obere Schleuse einflog, erreichte ihn ein Ruf von Lisman. »Hallo, Perry! Ich habe den Televisor repariert. Er haut wieder einwandfrei hin.« »Was hast du? Warte, ich bin in zwei Sekunden auf der Brücke.« Zwei Sekunden – das war geprahlt. Trotzdem schaffte Barnett die Rückkehr schneller als die Leute auf der Wiese. »James, du verrückter Knabe! Wie kannst du etwas reparieren, was gar nicht defekt ist?« »Ich wollte dich nur schnell hier haben. Das Bild kam wie von allein wieder.« »Hm, demnach haben die Fremden ihre Sperre aufgehoben. Wir sollten sofort auch den Treibstoff untersuchen.« »Du hast einen ausgesprochenen Kinderglauben. Aber ich will dir die Illusion nicht rauben ...« »Wovon redet ihr eigentlich?« fragte Cora. »Wollt ihr Prax einfach dort unten umkommen lassen?« »Prax existiert nicht mehr. Und wenn er noch existiert, dann haben wir nicht die geringste Möglichkeit, ihn zu erreichen. Nein, Cora, es geht nicht. nicht einmal mit einem
92
beneidenswerten Kinderglauben.« Inzwischen kamen auch die anderen zurück. »Schleuse ordnungsgemäß geschlossen«, meldete Perkins beinahe militärisch. »Okay! James, Perkins und Lavista auf volle Flugwache. Wir versuchen einen Start.« »Moment!« wagte Bannister einen Einwand. »Was ist?« fragte Barnett unwirsch. »Wenn wir gut von hier wegkommen, werden wir Schwierigkeiten haben, diese Stelle jemals genau wiederzufinden.« »Weshalb willst du sie wiederfinden?« »Wegen Praxlomza. Ich meine, es könnte doch sein ...« »Ja, natürlich. Es könnte vielleicht sein. Mensch, Forry, du mußt mich entschuldigen.« »Als Kapitän solltest du den anderen keinen Grund geben, eine Entschuldigung von dir zu verlangen.« »Hallo, Lavista! Mach Boje 1 mit Licht- und Funksignal klar!« »Okay, Captain!« Die Boje blieb auf der weiten Lichtung zurück, während die CORA in den hellblauen Himmel schoß. Auf diese Weise würde man die Stelle, an der man Praxlomza verloren hatte, jederzeit wiederfinden können. Würde man es tatsächlich? Die Stelle, Praxlomza? Barnett hatte wenig Hoffnung. So wenig, daß er einen seiner liebsten Leute an Bord bereits zu den Toten zählte. * Was sich Barnett bei seinem Flug mit dem Beiboot bereits angedeutet hatte, zeigte sich plötzlich als unbestreitbare Tatsache. In Satellitenhöhe sahen die Menschen einen Planeten unter sich, dessen Oberfläche ausschließlich aus Vegetation bestand. Kleine Binnenseen und Meere waren die einzige Abwechslung zwischen grünen Flächen aus Gras und Wäldern. Der Vergleich mit einer tropischen Umwelt lag nahe. Nur wußte man aus näherer Anschauung, daß der Charakter der Wildnis fehlte. Es war ein Park, ein Garten ohne Gärtner. »Kommen wir los?« Bannisters Frage erinnerte an die nüchterne Wirklichkeit. »Wir versuchen es«, erwiderte der Freund. »Vorläufig geht alles planmäßig.« »Dann drückt nur alle den Daumen, daß es dabei bleibt«, sagte Lisman. »Ich verzichte gern auf die Bekanntschaft dieser tüchtigen Rasse.« »Gib mir das Logbuch!« wandte sich Barnett an den Sprecher. »Wir werden diese Episode eintragen müssen.« Lisman gehorchte sofort. Der Optimismus des Captains gefiel ihm. ›Episode‹ nannte er die Sache. Als ob sie bereits überstanden wäre. »Hier, Perry. Falls du mich nach dem Namen fragst, muß ich dich leider enttäuschen.« »Aber der Planet muß einen Namen haben. Man könnte ihn nach Prax nennen.« »Das wäre ein monumentales Denkmal. Doch Denkmäler setzt man nur Toten ...« »Eben. Darum wird er nicht Praxlomza heißen ...« Barnett hielt den Stylo in der Hand und überlegte. Dann blätterte er zurück. »Was heißt Epsilon und Zeta?« Lisman sagte: »Cox hatte die Gewohnheit, alle namenlosen Planeten mit einem griechischen Buchstaben zu bezeichnen.« »Demnach hat die CORA bisher sechs unbekannte Planeten angeflogen.« Lisman nickte. »Ja, ich erinnere mich. Zeta war der letzte.« »Der letzte war der dort. Und er wird Eta heißen.« »Okay, nennen wir ihn Eta. Position und Nebelwelt unbekannt.«
93
»Erinnere mich nicht an die Position, sonst werde ich elegisch.« Barnett schrieb nur das Schiffsdatum und den Namen Eta. Dann klappte er das Buch zu und reichte es zurück. »Distanz 35 000 Kilometer. Fluchtgeschwindigkeit erreicht«, meldete Perkins. Die Menschen sahen sich an. Jeder wußte, daß das der erste Schritt zur Befreiung war. Aber nur zur Befreiung von Eta. Die Zukunft blieb ein Orakel. Vor ihnen lag ein Raum, der niemals Heimat für sie bedeuten konnte. Mancher mochte sogar denken, es wäre besser, auf Eta zu bleiben. Wenn nur diese unbekannte Macht nicht gewesen wäre, die Menschen aus ihrer Mitte riß, als hätten sie nie existiert. »James, übernimm das Kommando!« Ich gehe mit den Prokas ins Labor.« Barnett hielt das Telepathierelais unter dem Arm. »Kommt ihr mit? Mich interessiert, was die Mesonen machen.« Es dauerte eine halbe Stunden, bis der Captain mit Nam und Iks zurückkehrte. Die Probe war negativ verlaufen. Man sah es Barnetts Gesicht an, bevor er etwas sagte. »Raumflug unmöglich ...« »Mein Gott, weshalb fliegen wir dann überhaupt?« schrie Perkins plötzlich. »Das ist ja schlimmer als zu Fuß in der Saturn-Wüste.« »Willst du vielleicht nach Eta zurück und dich von undefinierbaren Fremden von der Wiese pflücken lassen?« »Keiner will wohl zurück, solange er noch normal ist. Aber das hier draußen ist doch genauso ein Wahnsinn.« »Du kannst eben nur noch zwischen einem Wahnsinn und dem anderen wählen.« Perkins' Antwort kam wesentlich zurückhaltender als sein impulsiver Vorwurf. »Du gibst es also auf. Du siehst keinen Sinn mehr in allem, was wir tun.« »Ich gebe niemals auf, mein Junge. Vor allem nicht, solange wir ein Schiff haben, in dem wir zur Not jahrelang leben können.« »Zur Not aber auch nur.« »Wenn dir ein Raumanzug mit Sauerstoffvorrat und Nährtabletten für hundert Stunden lieber ist, kannst du dich sofort evakuieren lassen.« »Danke, da warte ich lieber auf ein günstigeres Angebot.« »Wofür ich Verständnis habe. Und nun halte die Klappe, solange dir nichts Gescheiteres einfällt. Falls du aber eine Idee hast, wie man aus den contra-temporisierten Mesonen wieder temporisierte machen kann, dann melde dich bitte. Bei mir oder bei Iks. Da hast du ...« Barnett brach mitten im Satz ab. Die Ursache war ein Fehler am Televisor. So schien es jedenfalls. Doch jeder wußte, daß es kein Fehler war. Die Erscheinung glich zu sehr dem Erlebnis von gestern. Der Bildschirm erlosch. Diesmal, ohne daß man die Nachtseite des Planeten angeschnitten hatte. Es wurde schwarz auf der Scheibe, während draußen die helle Sonne schien. Senderloses Fernsehen ist nun einmal nur mit Unterstützung reiner Lichtwellen möglich. Aber gerade deshalb wirkte das Versagen des Apparates grotesk. Von einer Infrarotsperre konnte nicht mehr die Rede sein. Im Augenblick war das gesamte Spektrum ausgeschaltet. Der Blick auf den Radarmesser war nur eine Bestätigung dafür, was alle befürchteten. Das Schiff verlor an Fahrt. Der Kurs wich immer stärker von der Einstellung des Autopiloten ab, und nach einer halben Minute war einwandfrei klar, daß die CORA den grünen Planeten ansteuerte. »Sie haben Macht über uns«, klagte Nam-Legak, der sich in den letzten Stunden immer schweigsamer verhalten hatte. »Sie halten uns fest, bis die Galaxis sich gegenseitig zerfleischt hat. Jeden Tag sterben Prokas und Menschen. Jeder neue Tag bedeutet Krieg ohne Ende. Und hier spielt man mit uns, als sei ein Spiralnebel mit Milliarden Sonnen so schwer wie ein Staubkorn.« »Stürzen wir wirklich?« fragte Lavista aus seiner Ecke. Seine Stimme hatte jede Dreistigkeit
94
verloren, und er fragte, weil er sich fürchtete. »Wir stürzen nicht, sondern wir landen. Die Bugrohre sind außer Tätigkeit, und trotzdem ist die Negativbeschleunigung normal ...« Es dauerte fast eine Stunde, bis Barnett Bodenberührung meldete. Und wieder hatte die geringste Erschütterung gefehlt, wie sie bei einer normalen Landung unvermeidbar ist. »Ich brauche zwei Freiwillige«, sagte Barnett. »Ersatz für Praxlomza«, meckerte Lavista. »Du kommst sowieso nicht in Frage«, wies Lisman ihn zurecht. »Also mache nicht noch Propaganda dafür, daß du ein Feigling bist. Nimm mich und Iks-Wol-Esak, Perry.« Der Proka kam sofort näher, als wäre seine Teilnahme eine Selbstverständlichkeit. »Ich bin dabei. Allerdings schlage ich vor, die Umgebung zunächst mal vom Schiff aus zu beobachten.« »Selbstverständlich«, sagte Barnett. »Wir fahren zum ersten Bugschott rauf. Perkins, du bleibst am Schiffsrufmikrophon. Sobald wir außenbords gehen, nimmst du die UKW-Anlage. Auf jeden Fall müssen wir jederzeit Verbindung halten. Ich möchte kein Risiko eingehen.« Mit dieser Feststellung wollte Barnett nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst beruhigen. Denn er wußte genau, daß er mit jedem noch so überlegten und vorsichtigen Schritt ein Risiko einging. Und er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie er sich vor Praxlomzas Schicksal schützen konnte. Nicht einmal das Raumschiff hielt er für sicher. Er tat es aus Vorsicht nicht. Es konnte nicht schaden, wenn man auf das Schlimmste gefaßt war. Durch den Antigravschacht, der sich bei festliegendem Schiff in senkrechter Lage befand und wie ein Fahrstuhl wirkte, gelangten sie nach oben in den Bug. Das bedeutete zwanzig Sekunden Zeit, in der von den Männern nichts als Passivität verlangt wurde. Sie mußten nur stillhalten und sich tragen lassen. Je mehr aber der Körper zur Ruhe kommt, um so intensiver drängt das Gehirn zur Tätigkeit. Die Ruhe fördert das Grübeln. Hier waren es nur zwanzig Sekunden, und doch verlangte Barnett plötzlich zu wissen, wieso die Fremden das Schiff hatten aufrecht landen lassen. Woher wußten sie, daß die CORA auf dem Heck stehen mußte? »Diese Frage ist natürlich berechtigt«, erklärte der Proka. Barnett erschrak. Denn er hatte nur gedacht, aber kein Wort gesprochen. Freilich, Iks-WolEsak war Telepath. Trotzdem würde sich ein Mensch wohl niemals völlig daran gewöhnen können, daß sein Gehirn nicht mehr sicher für Geheimnisse war. Sie setzten auf der oberen Plattform auf. »Denke aber bitte daran«, fuhr der Kugelmann fort, ohne sich um die sensible Reaktion des Menschen zu kümmern, »denke daran, daß die Etaner uns über unendliche Weiten in der Gewalt hatten. Sie haben uns einfach eingefangen, wie man das vielleicht mit einem toten Gegenstand macht. Sie haben uns behandelt wie ein rohes Ei. Die Fahrt wurde völlig exakt gebremst. Wenn das kein Wunder ist, dann ist es die Landung auch nicht.« »Hört bloß auf zu philosophieren!« kam Lisman dazwischen. »Ich bin der Meinung, daß man sich diese Etaner mal ansehen müßte, ehe man sich unnütz den Schädel zerbricht.« »Bitte, sieh sie dir an! Ich habe nichts dagegen. Allerdings fürchte ich, daß es da wenig zusehen gibt. Bisher haben wir keine andere Erfahrung gemacht, als daß sie möglicherweise unsichtbar sind ...« »Ach nein, du denkst wohl an so eine Art Gaspuppen?« »Puppen überhaupt nicht. Aber gasförmiges Leben sollte man nicht so ohne weiteres von der Hand weisen. Oder erwartest du vielleicht Menschen mit zwei Beinen?« »Wenn es danach ginge, was ich erwarte, dann müßte es ein weiser alter Mann sein. Mit gütigen Augen und segnenden Händen. Einer, der niemals den Begriff Feindschaft gekannt hat.« »Du solltest diesen Wunschbildern keinen so großen Raum in deinem Gehirn lassen«, dozierte Iks-Wol-Esak. »Wenn es kritisch werden sollte, wäre dein Reaktionsvermögen
95
schlecht.« »Okay! Ich will mich bemühen, an etwas Schlimmeres zu denken, damit die Enttäuschung später nicht so groß ist. – Gehen wir endlich?« »Natürlich gehen wir. Du hast vollkommen recht. Wir sollten handeln und die Etaner suchen. Denn was mit uns hier Ball gespielt hat, das muß ja auch schließlich existieren ...« Der Captain ging voran auf die Steuerbord-Bugschleuse zu. Nicht weit davon entfernt stand eine Flugkanzel. Lisman sah sie interessiert an, aber Barnett winkte ab. »Vielleicht später.« Ohne Raumanzug betraten sie die Schleuse. Diese Gewißheit hatten sie: auf Eta konnte ein Mensch atmen. Wenn sie trotzdem nicht beide Schotten gleichzeitig öffneten, so nur aus Vorsicht wegen unbekannter Viren oder Bakterien. Solange daraufhin die Atmosphäre nicht untersucht war, blieb es trotzdem ein Wagnis, die Außenluft mit der künstlichen Speicherluft des Raumschiffes zu vermischen. In der Schleuse warteten sie, bis sich der große ovale Deckel in der Schiffswand nach außen bewegte. Es war ein ähnliches Erlebnis wie bei der ersten Landung. Immer größer wurde der Lichtstreifen vor ihnen. Nach zehn Sekunden gähnte ein strahlendes Loch vor ihren Augen. Sie sahen den Planeten, den sie Eta nannten. Aber sie glaubten es nicht. »Wenn das Eta ist, dann sperrt mich in den Arrest«, stammelte Lisman. Barnett hörte überhaupt nicht, was sein Steuermann sagte. Er fand auch selbst keine Worte, sondern lauerte mißtrauisch auf die noch nicht erfolgte Reaktion seines Körpers und seines Gehirns. Dieser Anblick war günstigstenfalls seltsam und rätselhaft. Für einen Menschen, der etwas ganz anderes erwartet hatte, mußte sich eine ungeheure Angst damit verbinden, denn der Wechsel der Tatsachen, dieser Wechsel der stofflichen Dinge war nicht geeignet für die menschliche Mentalität. Wenn man sich hätte einreden können, man säße in einem Tricktheater, das einen mit verblüffenden Effekten unterhalten will, dann wäre durchaus alles in Ordnung gewesen. So aber handelte es sich um unbekannte Wirklichkeit, die keine Hoffnung auf Illusion zuließ. Man mochte sich genarrt fühlen. Bloß nicht zum Spaß. Hinter allem stand die Überlegenheit der Fremden. Und fremde Überlegenheit ist in den meisten Fällen gefährlich. Grün hätte Eta sein müssen. Grün – mit Wiesen, Wäldern und Seen. Doch Eta war braun. Braun in einigen Nuancen über Ocker und Gelb. Und außerdem fehlte alles Biologische. Eta trug kein Leben mehr, nicht einmal Gras. Sie standen am Rande der geöffneten Schleuse und starrten beinahe aus der vollen Höhe hinunter auf den Planeten. Die CORA ruhte auf einer kreisrunden Plattform, die in ihrer geometrischen Genauigkeit niemals von der Natur geschaffen sein konnte. Der Durchmesser des Plateaus war nicht größer als dreißig Meter. Am Rande fiel der Boden sanft ab und endete wenig tiefer in einer platten Ebene, die mit Linien und Winkeln bedeckt war, als hätte sich ein Maler an ihr in abstrakter Technik versucht. Mehr konnte man nicht erkennen. Nicht einmal, ob die Formen zwei- oder dreidimensional waren. Ob sie Fläche oder Körper darstellten. Denn in der Luft lag ein schwacher Nebel, der auf größere Entfernung die Sicht unmöglich machte. »Ich werde hierbleiben«, erklärte Lisman plötzlich. Barnett sah ihn von der Seite an und fand nicht die geringste Farbe in seinem Gesicht. »Nennst du das eine Freiwilligenmeldung?« »Nennst du das einen Planeten?« »Er hat sogar schon einen Namen. Und ich weiß nicht, auf welche Feststellung hin du diesem Weltkörper den Charakter eines Planeten absprechen willst.« Lisman schloß die Augen und drehte sich vom Schott weg. »Verdammt, James! Du kannst doch jetzt nicht schlappmachen.« »Besser jetzt als draußen«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Warum nimmst du nicht Bannister?« »Den Arzt?« fragte Barnett entgeistert. »Der macht seinen ersten Raumflug und war sein
96
Leben lang an die Höhlen von Terra gewöhnt.« »Aber er ist psychologisch reifer. Lisman ist ein Athlet. Starke Fäuste allein genügen hier nicht.« James Lisman verzerrte sein Gesicht, als er diese wenig schmeichelhafte Beurteilung seiner Person hörte. »Ich komme mir vor wie im Test. Hoffentlich findet ihr mit euren psychologischen Spitzfindigkeiten bald ein Ende. Ich habe mich inzwischen nämlich längst erholt.« »Du willst also nicht zurück?« »Durchaus nicht. Denn ich weiß, daß es keinen Sinn hat, vor dem Zeug da draußen weglaufen zu wollen. Bei der Auseinandersetzung mit diesem Planeten werden wir wohl alle eines Tages an die Reihe kommen. Früher oder später. Türmen hat keinen Zweck. Diese Burschen hier holen uns auch aus dem Weltall zurück. Da will ich lieber versuchen, hier mit den Tatsachen fertig zu werden.« »Das klingt schon besser«, sagte Barnett. »Denn den Gedanken an Flucht müssen wir tatsächlich aufgeben. Und wenn du es genau betrachtest, hätten wir es schlimmer treffen können.« »Du meinst die Atmosphäre.« »Allerdings. Ich brauche dir als altem Raumhasen ja wohl nicht zu erklären, daß Planeten in diesem Zustand äußerst selten sind. Und mir ist es so jedenfalls lieber, als wenn wir hier mit Schutzanzügen und Temperaturausgleichern arbeiten müßten. Also, James, du bleibst hier oben und beobachtest die Umgebung.« »Okay, Perry. Haut ab! Die Nerven sind schon wieder in Ordnung.« Lisman machte eine bezeichnende Handbewegung mit der Strahlpistole, durch die er wahrscheinlich andeuten wollte, daß es kaum einen besseren Wächter für die beiden anderen geben könne als ihn. Doch auch jetzt spielte der kleine Prokamann den Besserwisser und konnte es nicht unterlassen, Lisman ein paar dringende Ratschläge zu geben. Vor allem betonte er, daß ein Schießeisen nicht unbedingt ein geeignetes Mittel sei, sich mit den Fremden auseinanderzusetzen. »Also, Lisman! Erst schießen, wenn es tatsächlich der letzte Ausweg ist. Und auch dann lieber noch dreimal überlegen.« »Okay, Iks! Ich werde solange überlegen, bis ich überhaupt keine Möglichkeit mehr zum Schießen habe. Wenn diese Welt schon so verrückt ist, dann wird sich vielleicht sogar die Geistesgegenwart als schädlich erweisen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß ihr zwei jetzt tatsächlich hier oben überflüssig seid ...« Lisman drehte sich nach dem Schott um und starrte in die Ferne, wo irgendwo im Nebel der Horizont liegen mußte. Wie er so dastand, durfte Barnett eigentlich beruhigt sein. Denn der Steuermann hatte tatsächlich den Schock überwunden. Es war, als wolle er beweisen, daß die augenblicklichen Schwierigkeiten nicht nur mit psychischer Stärke gemeistert werden konnten, sondern daß außerdem durchaus nach dem männlichen Typ verlangt wurde. * Wegen der Höhe der Bugschleuse war ein Abstieg mit der Leiter nicht empfehlenswert. Barnett und Iks-Wol-Esak benutzten daher eine der Antigravplatten, auf denen sie schwebend den Boden erreichten. Die ersten Schritte auf dem Plateau machte Barnett mit der Grazie eines soeben geborenen Fohlens. Die Fläche war glatt und eben wie ein Billardtisch. »Ich begreife es nicht. Hier muß es eine Lebensform geben.« »Ohne Zweifel. Doch es hat keinen Sinn, daß wir uns damit beschäftigen, solange wir keinen Kontakt mit ihr haben.« »Vielleicht sind die Wesen bereits tot, die das hier schufen.« »Ich weiß, du denkst an die beliebte Theorie von den ausgestorbenen Rassen, die in ihrer
97
Kultur und Technik weiterleben. Roboterkultur oder so. Doch auch von Robotern ist nichts zu sehen.« »Je mehr ich nachdenke, desto verrücktere Ideen kommen mir in den Schädel.« »Ideen sind immer gut. Halte sie fest. Darüber hinaus sollte man natürlich das Handeln nicht vergessen. Fällt dir eigentlich an der Lage des Schiffes nichts auf?« »Was soll mir daran auffallen? Ich sagte bereits, daß es auf dem Heck steht. Vorschriftsmäßiger kann auch ich die CORA nicht zur Landung bringen. Es ist ein Wunder, natürlich ...« »Das Wunder ist größer als du ahnst. Leider habt ihr Menschen kein absolutes Augenmaß. Dann hättest du längst erkannt, was ich meine.« »Sprich nicht in Rätseln! Was willst du mit meinem Augenmaß? Ich kann immerhin gut schätzen.« »Schätzen hilft hier nichts. Du mußt es schon messen ...« Der Proka stieß Barnett praktisch mit der Nase drauf. Barnett schritt die kurzen Strecken mit seinem Stiefelmaß ab. Das Ergebnis war tatsächlich ein Wunder. Das Plateau bildete einen exakten Kreis. Die vier Stützflächen des Raumschiffes standen mit ihrer äußeren Kante genau 4,52 Meter von dieser Kante entfernt. Das bedeutete, daß auch die Raumschiffsmitte ohne die geringste Abweichung über dem Zentrum des Kreises lag. Diese Tatsache empfand Barnett als die gleiche Sensation, als wenn ein Archäologe mit einigen Spatenstichen Kulturen ganzer Jahrhunderte entdeckte. Hier mußten Mathematiker am Werk gewesen sein, denen eine Technik zur Verfügung stand, mit der sie jede Spielerei zuwege bringen konnten. Mit dem Captain ging plötzlich die Phantasie durch. »Du warst einige Tage auf Terra, Iks. Du kennst unsere Architektur. Man braucht nur den Maßstab zu ändern und sieht in diesem ganzen Bild hier nichts anderes als eine verspielte Dekoration.« »Demnach wäre diese Landschaft eine Tischplatte. Und das Raumschiff hat man sich aus dem Weltall geangelt, weil es gerade so schön hierher paßt.« »Ich weiß, es klingt lächerlich. Aber vielleicht sind wir für die Fremden tatsächlich nichts anderes als bei uns auf Tremik zum Beispiel die Fliege an der Wand. Die CORA und das Plateau passen so gut zusammen, als hätte man uns wirklich allein zu diesem Zweck aus dem All zurückgeholt.« »Wobei du nicht vergessen darfst, daß du eine rein menschliche Ästhetik zugrunde legst.« »Was bleibt mir anderes übrig? Ich könnte natürlich aus dem gleichen Grunde sagen, die Etaner haben dieses Plateau besonders für unser Schiff errichtet. Allerdings kämen wir bei einer solchen Erklärung mit der Zeit in Konflikt. Denn in ein paar Stunden läßt sich keine Landschaft in diesem Stil aufbauen.« »Sage das nicht. Schließlich sind wir mit der Zeit sowieso in Konflikt geraten. Und wenn du dich schon mit einer Fliege vergleichst, dann könnten die passenden Menschen dazu solche Plateaus in Serie herstellen.« Barnett fühlte sich gar nicht wohl bei dem Gedanken an Fliegen. Er mußte dabei unwillkürlich auch an eine Fliegenklatsche und an Insektenvernichtungsmittel denken. Außerdem glaubte er sich an eine Geschichte aus der Jugend zu erinnern, in der etwas von Fliegenfängern vorgekommen war. Er wandte sich der schiefen Ebene zu und prüfte die Oberfläche des Materials. Es war rauh und trotz der mehr als zwanzig Prozent Gefälle zum Abstieg geeignet. Durch den UKW-Sender verständigte er sich mit Lisman in der Schleuse und mit Perkins in der Kommandozentrale. »Erhöhte Aufmerksamkeit, Leute! Wir entfernen uns vom Landeplatz. Paß auf, James, daß du stets Sichtverbindung mit uns hast.« »Okay, Perry! Und sage dem Prokazwerg, daß außerdem der Finger am Druckknopf liegt.
98
Er kann ja leider das Schießen nicht vertragen. Es würde mir leid tun, wenn er sich erschreckt ...« »Mach bloß keine Dummheiten!« Als Antwort hörte Barnett ein freches Kichern in der Membrane. »Der Lisman hat sich überraschend schnell erholt. Er macht bereits wieder Witze.« »Ekelhaft«, äußerte sich Iks-Wol-Esak. »Bevor ich die Menschen kennenlernte, hat es für meine Begriffswelt so etwas nicht gegeben.« »Ja, ja, ich erinnere mich, daß du so etwas schon mal sagtest. Ihr Prokas seid eine völlig humorlose Rasse.« Weil diese Feststellung stimmte, nahm der Kugelmann sie auch nicht im geringsten übel. Er folgte dem Captain auf dem Fuße, als dieser sich vorsichtig auf die schiefe Ebene begab. Das telepathisch-akustische Kauderwelsch, mit dem sich die beiden sonst verständigten, ebbte merkbar ab. Iks-Wol-Esak konzentrierte sich auf eine Reihe von Überlegungen, zu denen die neue Lage die Inspiration gab. Barnett dagegen arbeitete viel mit den Augen. Er empfand den Nebel hier unten dichter als in der Höhe der Bugschleuse, wo er Lisman mit der Strahlpistole wußte. Sehr bald verschwamm die Gestalt des Raumschiffes hinter ihnen, während der Blick nach vorn immer deutlicher zeigte, daß der Mensch die Maßstäbe dieser Landschaft doch sehr stark unterschätzt hatte. Bis zum Fuße des Hanges fehlte der geringste markante Punkt in der Landschaft. Alles war wie glattgehobelt. Immer mehr verstärkte sich der Eindruck, daß die Etaner – wenn sie überhaupt existierten – Wesen von der Größe dreißigstöckiger Häuser sein mußten. Ein solcher Verdacht ist natürlich nicht dazu angetan, die Stimmung eines zwerghaften Wesens zu heben. Barnett und Iks-Wol-Esak teilten daher ein gewisses Mißtrauen zu ihrer architektonischen Umgebung und konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf die großen Unbekannten, mit deren Erscheinen sie jeden Augenblick rechnen mußten. Der Mensch verlor die Übersicht über das Zeitempfinden. Nach einer Minute konnte er schon nicht mehr sagen, wie lange er denn nun wirklich auf dieser schiefen Ebene unterwegs war. Gleichzeitig verlor sich damit das Schätzvermögen für die Entfernungen. Der Mensch wußte also auch nicht, wie weit er sich bereits von dem Raumschiff entfernt hatte, erkannte nicht einmal, ob es bis zur Talsohle nah oder weit war, obgleich die bizarren geometrischen Formen dort unten langsam Gestalt annahmen und sich aus dem Nebel herausschälten. Barnett empfand diese bei den Menschen weitverbreitete Schwäche als Handicap, sobald er sich mit dem Proka verglich. Andererseits mußte er froh sein, daß Iks-Wol-Esak über einen so absoluten Schätzsinn verfügte. Denn wenn er sich selbst nicht zurechtfand, so brauchte er nur seinen Weggenossen zu fragen. Wahrscheinlich hatte der Proka ja nicht nur die Möglichkeit, die Entfernungen auf den ersten Blick zu erkennen, sondern konnte die gleiche Bestimmung mit der Zeit vornehmen. Natürlich, Barnett entsann sich einer Episode auf Terra. Erst jetzt wurde ihm klar, was damals seiner Aufmerksamkeit entgangen war. »Sag mal, Iks, ich habe niemals feststellen können, daß ihr Prokas eine Uhr benutzt. Und trotzdem hast du mir einmal in einer Terra-Bar die Zeit angesagt. Es war am ersten Tage deines Aufenthaltes bei uns, bevor du die Konferenz mit dem Gehirn hattest.« »Wie kommst du ausgerechnet jetzt zu dieser Frage?« »Weil ich dich in Verdacht habe, daß du nicht nur ein absolutes Augenmaß, sondern auch ein absolutes Zeitmaß hast.« »Die Prokas haben es alle. Das sollte dich jetzt aber nicht irritieren.« »Es irritiert mich nicht. Es beruhigt mich. Und wenn wir auf diesem Planeten noch in größere Schwierigkeiten geraten sollten, dann wäre ich dir dankbar, wenn du mich weitere übermenschliche Kräfte eurer Rasse wissen ließest. Wir Menschen haben nun mal unsere Schwächen. Und es ist sehr leicht möglich, daß wir in kritischen Situationen, die wir aus unserem Erfahrungsbereich nicht sofort richtig beurteilen können, falsch reagieren.«
99
Iks-Wol-Esak kannte die Menschen erst seit wenigen Wochen. doch seine anpassungsfähige Denkweise hatte es ermöglicht, daß er die Unterschiede der menschlichen und prokaskischen Mentalität sehr schnell begriff. Wenn Barnett so offen seine Schwächen zugab, so nur deshalb, weil er sich in seiner natürlichen Angst an den psychisch Stärkeren wandte, der ihm Hilfe bringen konnte. Dagegen ließ es die Eitelkeit der Terraner nur ungern zu, wenn ein anderer ihnen diese Schwäche vorhielt. Iks-Wol-Esak sprach daher nur in der Umschreibung von Barnett, indem er nämlich Lisman nannte, der auch ein Mensch war. »Ein Proka besitzt den gleichen Selbsterhaltungstrieb wie ein Mensch. Nur aus diesem Grunde konnte es überhaupt Krieg zwischen unseren Rassen geben. Aus demselben Grunde sind wir aber auch eine einzige Mannschaft auf deinem Schiff. Wenn wir nicht schon vorher Freunde gewesen wären, dann hätte uns jetzt das gemeinsame Schicksal endgültig zusammengeführt. Ich verspreche dir, alles zu tun, um euch Menschen und meinem Rassegenossen Nam-Legak zu helfen, wie es in meiner Macht steht. Nur mußt du selbst als Captain auf deine Leute achtgeben, daß sie nicht in einer Weise reagieren, wie du es befürchtest. Das ist tatsächlich die größte Gefahr. Eure Mannschaft besteht zum größten Teil aus wissenschaftlich ungebildeten Männern. Die meisten waren bisher nichts als Raumfahrer auf einem zweifelhaften Handelsschiff.« »Sie haben immerhin Erfahrung und Praxis. Das ist eine Menge wert«, versuchte Barnett seine Mannschaft zu verteidigen. »Sie sind aber auch typische Draufgänger, die sich am liebsten auf ihre Fäuste verlassen«, wandte der Proka ein. »Lisman zum Beispiel steht jetzt oben im Schott als Wächter über unsere Sicherheit. Mir ist gar nicht wohl bei dem Gedanken, daß er dabei eine Waffe in der Hand hält.« Barnett wollte diese Meinung nicht unbedingt teilen. Er dachte, daß es ganz gut wäre, wenn man sich schützen kann. Doch das Gespräch mußte notgedrungen abgebrochen werden, da die Umgebung jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte. Als ob ein Windstoß in die Nebelwand gefahren wäre, wurde die Sicht plötzlich klarer. Man konnte auf der Talsohle Formen erkennen, die nichts mit einer platten Ebene zu tun hatten. Die breiten Schattenlinien waren Mauern. Iks-Wol-Esak gab ihre Höhe mit etwa vier Metern an. Je weiter sie gingen, um so mehr verloren sie die Übersicht über das weite Gelände. Eine Viertelstunde später erreichten sie die erste Mauer, die ebenso aus Stein bestand wie der ganze Hügel mit seinen Abhängen und dem spiegelglatten Plateau. Die Landschaft war wie aus einem Stück. Sie war fugenlos. Das unterschied die schiefe Ebene von einer Betonbahn und die Mauer von einem irdischen Gebilde dieser Art, das man aus uralter Gewohnheit aus einzelnen Baukörpern zusammensetzte. »Sie müssen Riesen sein«, sagte Barnett. Er verrannte sich immer mehr in diese Theorie, da er sonst keine Erklärung für dieses Bauwerk fand. Und der Proka erkannte mit Besorgnis, daß der Mensch sich dadurch einer leichten Depression auslieferte. Das konnte gefährlich werden. Sie standen jetzt dicht an der Mauer, die senkrecht vor ihnen emporwuchs und die Sicht in das weite Land versperrte. Hinter ihnen stieg der Hang in den Nebel, und das Raumschiff war nur noch als verschwommener Schatten sichtbar. Einzelheiten, wie die offene Schleuse und Lisman, ließen sich überhaupt nicht mehr unterscheiden. Wenigstens nicht für einen Menschen. Das Auge des Kugelmannes dagegen bewies auch hier wieder die Überlegenheit der anderen Rasse. »Komisch, daß ihr Menschen immer rauchen müßt, wenn ihr nervös werdet.« »Wer raucht?« »Lisman.« »Laß ihn rauchen. Das ist besser, als wenn er einschläft.« Sie gingen an der Mauer entlang und suchten eine Öffnung. Eine solche Öffnung gab es nicht. Aber es gab eine Rampe. Iks-Wol-Esak entdeckte sie zuerst.
100
»Wir müssen ein Stück den Berg hinauf. Über die Rampe erreichen wir spielend den Rand der Mauer ...« Die Rampe verlief senkrecht zur Mauer den Hügel hinauf, bildete also einen rechten Winkel zu ihr. Der Proka und der Mensch kürzten ihren Weg jedoch ab, indem sie praktisch auf der Hypotenuse des Dreiecks marschierten. Barnett mußte an die Architektur der alten Ägypter denken, als er auf der waagerecht verlaufenden Oberfläche der Rampe entlangschritt. Diese Vorstellung gab ihm sein volles Selbstvertrauen zurück, denn er dachte nicht mehr an die Riesen, die sich in sein Unterbewußtsein geschlichen hatten. Mit der Vorstellung der alten Ägypter verband sich etwas Archäologisches, Ausgestorbenes. Um so größer war der Schock, als sie wenig später tatsächlich auf Leben stießen. Sie erreichten die Höhe der Mauer, deren Querschnitt nahezu quadratisch war. Wie breite Straßen zogen sich diese steinernen Gebilde durch das Land. In Wurfweite traf sich die Mauer mit einer anderen zu einer Gabelung. Dahinter entdeckten sie Kreuzungen und Kurven. Und zwischen den Mauern lagen die unregelmäßig geformten Parzellen, deren ebenes Niveau wieder vier Meter tiefer lag. »Leben«, sagte Barnett, als er die Pflanzen sah. Das Grün einer dürren Wiese und verkrüppelter Sträucher hinterließ im ersten Augenblick einen tröstenden Eindruck. Doch dann bewegte sich etwas im Moos. Zweige raschelten, und plötzlich stand ein vierbeiniges Wesen vor ihnen. Es stutzte. Ein Tier, dachte Barnett. Er dachte so intensiv, daß der Telepath es verstand. Die Entfernung zu dem fremden Wesen betrug mehr als dreißig Meter. Außerdem stand es unten in dem Kessel. Der Mensch fragte sich, ob trotzdem eine Gefahr bestand. Er machte eine Reflexbewegung nach der Strahlwaffe. »Nicht schießen!« zischte der Proka. Zum ersten Mal brachte er eine Sprachäußerung mit Lautunterstützung vor. Das konnte nur bedeuten, daß auch er erregt war und diese Begegnung für entscheidend hielt. Barnett nannte das übertriebene Vorsicht. Der Blick des Wesens rührte von zwei Augen her, die in einem Gesicht standen. Der Blick hatte etwas Individuelles an sich, aber er verriet nichts von Intelligenz. »Ein Raubtier«, erklärte Barnett noch einmal. »Hier kann nur die Waffe helfen, wenn uns das Biest zu nahe kommt. Auf die Höhe der Mauer verlasse ich mich nicht. Was sind schon vier Meter?« In den Sträuchern begann es erneut zu rascheln. Der Mensch stieß einen Fluch aus. Das Wesen hatte Gefährten. Einen, zwei, drei ... Und aus dem Talgrund wurde plötzlich ein Hexenkessel. »Achtung, Raumschiff!« zischte der Captain ins Mikrofon. »Perkins, James! Bleibt auf Empfang! Wir sind auf Lebewesen gestoßen. Erhöhte Alarmbereitschaft. Ende!« Die fremden Wesen sprangen schreiend durcheinander, ohne daß zunächst ein Sinn in ihrem Verhalten zu erkennen war. Barnett hatte den Eindruck, als wenn er in einen Ameisenhaufen getreten hätte. Nur daß hier der Größenvergleich zu seinen Ungunsten ausfiel. Gespannt starrten die beiden auf das Schauspiel. Sie mußten sehr viel Geduld dabei aufbringen, denn das Geschrei und das Springen dauerte Stunden. Es war, als ob die Wesen überhaupt keine Beziehung zu den beiden Fremden auf der Mauer hatten. Nur wenn diese Anstalten machten, sich zurückzuziehen, verlagerte sich die tobende Menge sehr schnell nach der Wand hin und kam in bedrohliche Nähe. »Verdammt, was sollen wir machen? Wir können doch nicht ewig hier hocken bleiben. Und ein Verständigungsversuch mit einem Haufen von Irrsinnigen scheint mir auch nicht erfolgversprechend.« »Ich versuche schon die ganze Zeit, Gedankenverbindung mit den Burschen zu bekommen«, sagte Iks-Wol-Esak. »Sie haben ein äußerst starkes Fluidum. Doch ihr Gehirn ist völlig
101
verkrüppelt. Ich fürchte tatsächlich, daß du recht hast, wenn du sie Tiere nennst. Intelligenz kann man das jedenfalls nicht nennen.« »Dann schlage ich vor, daß wir hier verschwinden. Ich habe eine Viertelstunde lang Filmaufnahmen gemacht, was als wissenschaftliche Ausbeute erst einmal genügen müßte. Die Mühe, ein solches Biest einzufangen, halte ich in unserer Lage nicht für angebracht. Schließlich haben wir andere Sorgen ...« »Allerdings«, meinte der Proka. »Meine größte Sorge ist nämlich, daß wir bereits in dieser ersten Parzelle solche Verhältnisse vorfanden. Wenn du bedenkst, daß sich dieser Zustand unabsehbar oft wiederholt, dann bist du dir hoffentlich klar darüber, in welcher ungemütlichen Nachbarschaft wir uns befinden. Das Raumschiff ist eingekreist. Und wir wissen nicht, ob noch einmal ein Start gelingt wie gestern in der grünen Landschaft.« »Vorläufig hast du aber auch keinen Beweis dafür, daß diese Wesen dort heraus können. Wir müssen jetzt endlich weg von hier. Dann sehen wir ja, wozu die Biester fähig sind. Wahrscheinlich können sie nichts anderes, als dumm aus den Augen gucken oder sich wie die Irren gebärden ...« »Wie du meinst. Ich schlage aber vor, daß wir uns auf das Schiff zurückziehen. Mit einer weiteren Expedition sollten wir warten, bis wir diese Begegnung ausgewertet haben.« »Wenn du willst, zeige ich an Bord erst den Film. Er wird vor allem Bannister interessieren.« »Und Nam-Legak.« »Okay! Gehen wir!« »Nicht wir, sondern du.« »Was heißt das? Willst du vielleicht meinen Rückzug decken, wo du nicht einmal eine Waffe bei dir hast?« »Höre endlich auf, diesen zweifelhaften Blaster als die letzte Rettung anzusehen! Ich denke vielmehr an deine mangelhafte Gewandtheit. Wenn die Wesen ihr Terrarium verlassen können, wird es darauf ankommen, wer am schnellsten laufen kann. Von uns beiden kann ich das.« Wenn Barnett bedachte, daß die Prokas ungefähr so flink wie Kaninchen waren, dann mußte er Iks-Wol-Esak recht geben. »Also gut. Ich ziehe mich zurück. Aber komme nicht auf die Idee, hier den Helden spielen zu wollen. Sobald ich die Rampe verlassen habe und mich auf dem Hang befinde, folgst du mir.« »Geh schon«, machte der Proka ungeduldig und rollte sich wie zum Trotz noch näher an den Abgrund. Barnett zog sich ein paar Schritte zurück, so daß man ihn vom Grunde des Terrariums nicht mehr sehen konnte. »Was machen sie jetzt?« »Sie kommen wieder näher. Aber sie sind unentschlossen. So lange ich hier sichtbar bin, haben wir auf jeden Fall eine Galgenfrist ...« Die vierbeinigen Wesen von Eta waren so groß wie terranische Pferde, wild wie Raubkatzen und verfügten über Stimmorgane wie etwa die ausgestorbenen Neuweltaffen des alten Erdteils Südamerika. Iks-Wol-Esak studierte ihre Bewegungen und stellte Vergleiche zwischen ihrer und seiner eigenen Behendigkeit an. Er rechnete sich eine knappe Chance aus, denn es war ihm inzwischen völlig klar, daß die Biester die vier Meter hohe Mauer bei einiger Anstrengung überwinden würden. Es kam jetzt nur darauf an, daß der Mensch einen genügend großen Vorsprung gewann. Barnett verließ gerade die Rampe und begann den steilen Aufstieg. Selbst wenn er einen langsamen Dauerlauf durchhielt, würde er mindestens eine halbe Terrastunde brauchen, um das Schiff zu erreichen. Iks-Wol-Esak mußte plötzlich an die Flugkabinen denken. Er tat es aber zu spät, denn seine telepathische Verbindung zu Barnett war längst abgerissen. Und ein Funkgerät hatte er nicht bei sich. Er konnte höchstens versuchen, mit Nam-Legak Kontakt zu
102
bekommen. Die tobenden Vierbeiner drängten sich inzwischen genau unter ihm an der Mauer. Er zählte dreiundzwanzig Wesen, die sich zu einem wirren Knäuel zusammenballten. Und damit bewiesen sie – wenn nicht Intelligenz – so doch Instinkt. Sie lagen übereinander und wuchsen zu einer Pyramide. Der Kopf des oberen Tieres war zum Greifen nahe, und Iks-Wol-Esak machte noch einmal einen verzweifelten Verständigungsversuch, indem er alle Kraft zu einer kurzen Gedankenkonzentration zusammennahm. Das Wesen vor ihm stutzte. Sekundenlang kreuzten sich die Blicke der einander völlig fremden Exemplare. Doch der Proka fand keine Verständigungsbereitschaft bei dem anderen. Der Gegner war ihm an Körpergröße um ein Vielfaches überlegen und mochte das allein als Grund genug auffassen, weiterhin seiner Angriffsabsicht zu folgen. Das hyänenhafte Geschrei hob nach sekundenlanger Unterbrechung erneut an. Iks-Wol-Esak rollte ein Stück zur Seite und schmiedete jetzt ebenfalls ernsthafte Rückzugspläne. Der Captain hatte bisher beängstigend wenig Raum gewonnen. Deshalb mußte unbedingt Nam-Legak eingespannt werden. Eine telepathische Verbindung ist auf eine solche Entfernung selbst zwischen Prokas schwierig. Im Normalfall nimmt man zur Schonung des Körpers die Relais. Das Gerät war aber auf dem Schiff bei Lisman zurückgeblieben. Iks-Wol-Esak rollte noch mehr zur Seite, schloß trotz der Gefahr die Augen und versuchte, die Realität seiner unmittelbaren Umgebung zu vergessen. Alles, was zu seiner Gehirnkapazität gehörte, konzentrierte sich auf die Wellenlänge des Rassegenossen im Raumschiff. Nam, hörst du – Nam, reagiere – Nam – Nam – Und dann kam die Antwort. Iks-Wol – Iks-Wol – erkläre dich – Der schwierigste Teil war geschafft, nämlich die Kontaktaufnahme. Jetzt, wo Nam-Legak ebenfalls Konzentration entwickelte, war die Verständigung durchaus nicht mehr schwierig. Iks-Wol-Esak schlug die Augen auf und empfahl der Besatzung, unverzüglich eine Flugkabine zu schicken, damit wenigstens Barnett aufgenommen werden konnte. Er erwähnte noch, daß es um Sekunden gehen könne. Dann mußte er an seine eigene Sicherheit denken. Der erste Etaner sprang auf die Mauer und stürzte sofort schreiend heran. Für Iks-Wol-Esak gab es bei seiner körperlichen Unterlegenheit nichts als Flucht. Aufatmend stellte er aber schon sehr bald fest, daß der Verfolger seine Geschwindigkeit nicht halten konnte. Ihm konnte der Etaner also nicht gefährlich werden. Dagegen hätte Barnett bei dieser Jagd nicht die geringste Chance gehabt. Er hätte sie nicht einmal durch seinen Vorsprung gehabt. Der reichte einfach nicht. Doch in der Luft erklang plötzlich das zischende Geräusch einer vorbeijagenden Flugkabine. Perkins flog ganz tief und machte Anstalten zur Landung. Offenbar wollte er sich zunächst um den Proka kümmern, da der hinter Barnett weit zurücklag. Doch Iks-Wol-Esak winkte so heftig mit seinen drei Armen und zeigte immer wieder auf den stolpernden Captain, daß Perkins die Geste rechtzeitig begriff. Und während sich aus dem Labyrinth der gigantischen Parzellen eine Angriffswelle von dreiundzwanzig Etanern heranwälzte, bestieg Barnett wohlbehalten das rettende Fahrzeug. * Fliegen kannten die Etaner nicht. Das stellte Barnett sofort mit Befriedigung fest. Und sie konnten nicht so schnell laufen wie der kleine flinke Kugelmann Iks-Wol-Esak. Aus der lebensgefährlichen Jagd hätte ein Spiel werden können, wenn Lisman nicht so verrückt aufs Schießen gewesen wäre. Mit einem Triumphgeheul, das freilich nur Barnett hören konnte, flog Perkins in die Lande-
103
und Ladeschleuse ein. Kaum stand die Maschine, so sprangen beide ab und jagten zur Bugschleuse hinauf, um von dort Iks-Wol-Esaks Weg zu beobachten. Lisman hockte am äußeren Rand und ließ die Beine an der Schiffswand hinabbaumeln. Auf den Knien hielt er den Blaster. »Gegen Iks sind das die reinsten Schnecken. Damn ... so müßte man laufen können!« »In drei Minuten ist er am Schiff. Hoffentlich findet er die Antigravplatte sofort«, meinte Perkins. »Denkst du, Iks ist blind? Wenn ich bis heute auch noch nicht weiß, wo er in seinem Medusenkörper eigentlich seine Augen versteckt hält, so weiß ich doch ganz genau, daß er besser sieht als wir drei zusammen.« Barnett war noch nicht sicher. »Iks wird die Platte zwar sofort finden. Aber ob er sie schnell genug bedienen kann, ist die Frage. Ich fahre lieber hinunter und helfe ihm. Die Etaner sind trotz allem dicht auf.« »Bist du verrückt?« schnaufte Perkins. »Ich bin froh, daß ich dich heil hier habe.« »Hältst du mich vielleicht für wichtiger als den Proka?« »Allerdings.« »Quatsch nicht, Perkins! Iks ist die größte Intelligenzbestie, die mir je über den Weg lief«, erklärte Lisman kategorisch. »Solch ein Gehirn sollte man in unserer gottverlassenen Lage nicht einfach aufs Spiel setzen. Fahr runter, Perry! Du hast noch eine gute Minute. Die Vierbeiner dahinter können gar nichts machen. Außerdem habe ich die Knarre in der Hand ...« »Hör auf mit der Knarre! Ich gebe dir ausdrückliches Schießverbot, verstanden?« »Mensch, schieß nach unten! Sonst fehlen dir am Ende doch noch drei Sekunden.« Lisman hatte völlig recht. Dem Captain blieb keine Zeit mehr für einen Dienstunterricht. Er sprang auf die Platte und schwebte abwärts. Den Boden erreichte er, als Iks-Wol-Esak noch hundert Meter entfernt war. Er winkte ihm zu. Was überflüssig war. Denn mit Prokaaugen war Barnett auch auf einen Kilometer nicht zu übersehen. Es klappte alles wie am Schnürchen. Wie ein Rückzugsmanöver, das man in weniger gefährlichen Zeiten schon ein dutzendmal durchexerziert hatte. Sobald Iks-Wol-Esak auf der Platte stand, stieg sie nach oben. Die Etaner waren mindestens zwanzig Sekunden zurück und verstärkten ihr tierisches Gebrüll, sobald sie feststellten, daß ihnen die Beute entwischt war. Sie verloren sofort wieder ihre Zielstrebigkeit, die in ihrer Verfolgung gelegen hatte, und vollführten wieder die undefinierbaren Tänze wie kurz zuvor in dem Terrarium. Für Lisman war das der Anlaß zu einer Reflexbewegung. Man kann es nur so deuten, daß er sich durch das primitive Benehmen der Etaner beleidigt gefühlt hat. Sein Schuß – es war nur einer – traf genau in das Durcheinander der vierbeinigen Leiber. Und mit diesem einen Schuß hatte er den ganzen Spuk hinweggezaubert. * Die Situation war äußerst gefährlich. Mit Lismans Kurzschluß hatte in diesem Moment keiner gerechnet. Barnett und der Proka hatten mit der Platte gerade das Niveau der offenen Bugschleuse erreicht und mußten sich darauf konzentrieren, an die Wand heranzukommen, um überspringen zu können. Für geübte Leute ist das weiter nicht gefährlich. Ein Schreck kann aber dazu führen, daß man beim Übersetzen die schwebende Platte nach dem Rückstoßprinzip zur Seite stößt, denn die Antigrav-Kräfte arbeiten in Richtung der Schwerkraft und bewirken nur eine geringe Verankerung in der Waagerechten. Der Proka war bereits umgestiegen, als Lismans Schuß fiel. Im selben Moment hatte Barnett zum Sprung angesetzt. Nur Perkins, der noch rechtzeitig seine Hand ergriff, war es zu verdanken, daß er nicht abstürzte. Die Antigravplatte dagegen geriet aus dem Gleichgewicht. Sie schoß in einem
104
flachen Aufwärtsbogen zur Seite, stellte sich dann senkrecht und fiel wie ein Stein nach unten. »Du Riesenidiot!« schrie Perkins nach seiner kaum überwundenen Schrecksekunde. »Man sollte dich für Lebzeiten in den Arrest sperren und dir vor allem niemals mehr ein Schießeisen ...« Mitten im Satz brach er ab. Erst jetzt begriff er, was sich wirklich ereignet hatte. Das heißt, begriffen hatte es wohl im ersten Moment keiner. Nicht einmal der geistesgegenwärtige IksWol-Esak. Aber der optische Eindruck war da. Sie sahen es ganz deutlich und hatten keinen Anlaß, an eine Täuschung zu glauben. Die dreiundzwanzig Etaner waren im Nichts verschwunden. Sie waren nicht etwa vernichtet. Dazu hätte ein einziger Schuß niemals gereicht. Und selbst wenn sie von einer solchen biologischen Empfindsamkeit gewesen wären, daß allein die moralische Wirkung der Waffe tödlich für sie gewesen wäre, so hätten sie immer noch ihre Kadaver zurücklassen müssen. Das Plateau aber war leer. Der Hang war leer. Nichts erinnerte an die Anwesenheit von dreiundzwanzig wildgewordenen, schreienden Vierbeinern. Das größte Entsetzen spürte der Schütze selbst. Der Spuk vor seinen Augen war so eindringlich, daß unmittelbar nach dem Schuß die Pistole in die Tiefe stürzte. Lisman krampfte seine Finger in das Metall des Schleusenrahmens und suchte verzweifelt Halt. Perkins' Vorwurf vernahm er nur im Unterbewußtsein. Barnett erging es kaum anders. Auch er hatte den Schock zu überwinden. Erst Iks-WolEsaks nüchterne Feststellung brachte die Menschen zu klarerem Denken. »Das hättest du nicht tun sollen, James! Nein, du hättest es nicht tun sollen. Wir waren gerettet. Wer in solchen Situationen schießt, handelt unverantwortlich gegen die anderen.« »Verdammt, was ist bloß in dich gefahren?« Auch der Captain schrie ihn an. Alle schrien ihn an. Alle waren gegen ihn. Dabei interessierte der Schuß überhaupt nicht mehr. Der Schuß war eine Bagatelle gegen das verrückte Schauspiel dort unten. Aber die Menschen brauchten einen Sündenbock, den sie für ihre Furcht verantwortlich machen konnten. Sie begriffen nicht, was dieser Planet ihnen an scheinbarem Hokuspokus vorsetzte. Sie fühlten sich hilflos gegen die unbekannten Mächte. Sie hatten das Gefühl, daß s ihnen langsam an den Kragen ging, ohne sich wehren zu können. In einer solchen Situation auf Haltung und Charakter zu achten, ist natürlich recht schwierig. Kulturelle Errungenschaften geraten nur zu leicht in den Hintergrund, wenn die Ereignisse den Egoismus und den Selbsterhaltungstrieb herausfordern. Perkins hätte Grund gehabt, sich mit seiner Heldentat zu trösten. Er hatte ja den Captain gerettet. Trotzdem gebärdete er sich am wildesten und ging Schritt für Schritt auf Lisman zu. Lisman war ihm körperlich durchaus überlegen. Doch in seiner Depression nützte ihm das gar nichts. Er fühlte sich tatsächlich schuldig und schien sogar bereit zu sein, die furchtbarste Strafe dafür zu erdulden. Obgleich er bereits am äußersten Rand der Schleuse stand und sich nur noch mit einer Hand festhielt, versuchte er, dem nachdrängenden Perkins auszuweichen. Dabei verlor er den letzten Halt und stürzte. Sein Schrei erstickte nach dem Bruchteil einer Sekunde. Ob Lisman wirklich nahezu fünfzig Meter im freien Fall abwärts schoß und unten aufschlug, konnte niemand feststellen. Lisman verschwand während des Sturzes. Als sein Schrei abbrach, wurde auch sein Körper unsichtbar. * In der Kommandozentrale trafen sich die Überlebenden. Man kann von Überlebenden sprechen. Denn zwei Männer befanden sich nicht mehr unter ihnen. Und Barnett, Perkins und Iks-Wol-Esak hatten die Furcht von draußen mitgebracht.
105
»... wir sind noch einmal hinuntergefahren und haben das ganze Plateau abgesucht«, schloß Perry Barnett seinen kurzgefaßten Bericht, in dem er auch von der Begegnung mit den dreiundzwanzig Etanern erzählt hatte. »Das Plateau ist flach wie ein Brett. Und genauso übersichtlich ist der Hang. James existiert nicht mehr. Nicht einmal als Toter. Er verschwand wie Praxlomza.« »Und wie die Etaner«, ergänzte Iks-Wol-Esak. »Ja, freilich, wie die Etaner. Aber es fragt sich, ob das etwas miteinander zu tun hat.« »Ich bin überzeugt, daß es eine ganze Menge miteinander zu tun hat.« »Ich kann dir nicht das Gegenteil beweisen. Doch wenn du recht hast, ist das für mich nur eine Erklärung dafür, wie man auf diesem Planeten stirbt. Lisman schoß auf die Etaner, und er selbst stürzte ab. Nach den uns bekannten Gesetzen mußte in beiden Fällen der Tod folgen. Hier verschwindet man anscheinend im Nichts. Mir ist diese Todesart weit weniger sympathisch als die bei uns gebräuchliche.« »Du stellst Behauptungen auf«, sagte Bannister, »für die du nicht die geringste Grundlage hast.« »Ach nein?« machte Barnett. »Ach ja«, nickte der Arzt. »Praxlomza verschwand, als ihn niemand beobachtete. Es ist durchaus möglich, daß er angegriffen wurde. Aber weil wir das nicht wissen, können wir seinen Fall nicht als Beweis heranziehen.« »Ich sagte schon, daß die anderen Fälle auch keine Beweise bringen. Du bist nur auf Vermutungen, bestenfalls auf Schlußfolgerungen angewiesen. Wenn du das Verschwinden als die hier gebräuchliche Methode des Sterbens ansiehst, dann vergißt du, daß die dreiundzwanzig Etaner niemals sterben konnten. Denn Lisman hat nur einen Schuß abgegeben, mit dem er bestenfalls eines der Wesen hätte erwischen können. Verschwunden sind sie aber alle. Wenn Sterben aber gleich Verschwinden wäre, dann müßten zweiundzwanzig Etaner noch existieren.« Iks-Wol-Esak schloß sich sofort der Meinung des Arztes an. »Bannister hat recht. Es besteht kaum ein Anlaß, Prax und Lisman zu den Toten zu rechnen. In der Beziehung dürfen wir wohl etwas optimistischer sein, als es unsere verwirrten Gefühle zulassen. Wahrscheinlich halten uns die Leute in der heimatlichen Galaxis ebenfalls für tot. Wir wissen aber, daß es nicht stimmt.« Iks-Wol-Esaks Bemerkung brachte Nam-Legak sichtlich in Erregung. Jede Erinnerung an die Heimat schien dem kleinen Kugelphilosophen nicht gutzutun. Er brachte sehr traurige, verzweifelte und enttäuschte Gedanken in die Unterhaltung. Er litt ständig unter dem Wissen, daß er sein Ziel – die prokaskische Heimat – niemals erreichen würde. Und daß der galaktische Krieg ohne seine Vermittlung mit dem blutigen Ende beider Rassen enden mußte. »Ihr braucht anscheinend eure Probleme, um weiterhin eine Existenzberechtigung in diesem sinnlosen Universum zu haben.« »Na, ich weiß nicht«, erklärte Bannister, »davon, daß wir uns hier aus lauter Langeweile Probleme aus den Fingern saugen, kann doch wohl nicht die Rede sein. Ich jedenfalls interessiere mich brennend für die Vorgänge auf diesem Planeten. Und zwar mindestens so lange, wie mein persönliches Schicksal damit verbunden ist. Ich glaube auch nicht, daß es eine vernünftigere Einstellung für jemanden geben kann, der noch etwas von der Zukunft erwartet.« »Demnach bist du ein beneidenswerter Optimist«, meinte Nam-Legak. »Ein Optimist schon. Bloß kein beneidenswerter ...« Die beiden Prokas mußten zusehen, wie die Menschen sich Zigaretten ansteckten. Sie selbst hatten kein entsprechendes Rauschgift zur Verfügung, mit dem sie ihre Nervosität bekämpfen konnten. »Komisch, daß ihr nicht rauchen könnt«, sagte Lavista etwas überheblich. »Ich erinnere
106
mich, daß eure Rassegenossen mit uns unlängst noch die tollsten Schmuggelgeschäfte mit Tabak gemacht haben. Wozu braucht man das Kraut denn bei euch?« »Ausschließlich für medizinische Zwecke, du Schlaukopf«, erklärte Iks-Wol-Esak und wandte sich sofort wieder den anderen zu. »Wir sollten etwas unternehmen, anstatt uns mit Vermutungen herumzuärgern.« »Das sagst ausgerechnet du Theoretiker ...« »Ich sage es, weil unsere Informationen längst nicht genügen.« »Und was versprichst du dir von weiteren Informationen?« »Eta hat ein Geheimnis. Alles, was wir hier bisher an sogenannten Unmöglichkeiten erlebten, deutet in eine ganz bestimmte Richtung. Wir haben also Grund zu der Annahme, daß Kräfte dahinterstehen, die mit dem Naturgesetz durchaus in Einklang zu bringen sind. Wenn wir aber unsere eigene Situation richtig beurteilen wollen, dann müssen wir zuvor das Geheimnis dieses Planeten ergründen.« »Der Kugelmann spricht wie ein Kinderschreck«, meckerte Lavista. »Ich habe gar nicht gewußt, daß es auf Proka solche naiven Gemüter gibt. Du hättest Märchenerzähler werden sollen, Iks.« »Du hältst jetzt dein ungewaschenes Maul«, knurrte Perkins den schwarzhaarigen Querulanten an. »Wenn du nur etwas Grips im Kopf hättest, dann würdest du vor Iks dankbar auf den Knien rutschen. – Kümmert euch nicht um diesen Knaben. Und laßt Iks lieber ausreden. Wenn ich ihm zuhöre, dann bilde ich mir immer ein, daß für uns noch ein wenig Hoffnung besteht. Ja, verdammt, solange ich das bißchen Hoffnung habe, mache ich mit, was ein gescheiter Wissenschaftler vorschlägt.« »Du bist ein vernünftiger Bursche«, lobte der Proka, ohne etwa schmeicheln zu wollen. »Du bist auch geistesgegenwärtig. Barnett sollte dich bei der nächsten Expedition mitnehmen.« »Okay«, sagte der Captain. »Akzeptiert. Was versprichst du dir aber davon?« »Nun, Perkins hat noch Hoffnung, wie er sagt. Ich habe sie auch. Und ihr?« »Wir machen uns welche«, versicherte Bannister. »Na gut, wenn wir hier heraus wollen, dann ist uns nicht einfach mit einem Start geholfen. die Etaner holen uns zurück, sobald ihre Laune es ihnen eingibt. Und selbst wenn wir von diesem Planeten endgültig wegkämen, dann trieben wir in einem Universum, mit dem wir nichts anzufangen wissen.« »Glaubst du, dieses Universum ist ein anderes als das, zu dem unsere Galaxis gehört?« »Wenn du alles Existierende als Universum bezeichnest, nein. Aber zwischen uns und der Heimat liegen wahrscheinlich Millionen von Sternnebeln, und außerdem Zeitdifferenzen, die mit unseren augenblicklichen Mitteln und Erkenntnissen nicht zu beurteilen sind. Wir müssen hier forschen. Wir müssen von den Etanern erfahren, wodurch sie uns in der Erkenntnis der Naturgesetze voraus sind. Nur dann besteht die Möglichkeit einer Rettung für uns.« »Ich habe wenig Hoffnung, wenn ich an die pferdeartigen Wesen aus dem Terrarium denke«, sagte Barnett. »Sie sind primitiv, und geistig stehen sie weit unter uns.« »Erstens steht noch nicht fest, ob die Wesen, die wir vorfanden, wirklich die maßgebenden Etaner sind. Sie erinnerten dich an Raubtiere, freilich. Aber wir können uns täuschen. Zweitens wissen wir, daß es hier eine Rasse geben muß, die tatsächlich höher als wir entwickelt ist. Drittens sollten wir uns von jeglichem Vorurteil frei machen, also Eindrücke wie Raubtier oder Primitivität nicht sofort in endgültige Schlüsse umprägen. Wenn wir überhaupt aufgrund unserer bisherigen Erlebnisse ein Urteil fällen können, so ist es dieses: Die Etaner sind in der Lage, von einer Zeit in die andere überzuwechseln. Sie haben es bewiesen. Es ist dabei gleichgültig, ob sie diesen Zeitsprung von sich aus bewirken oder ob sie von anderen Kräften beeinflußt werden. In irgendeiner Form verfügen sie über solche Kräfte. Und das ist ein Beweis für ihre Überlegenheit.« »Du meinst, sie hätten sich durch einen Zeitsprung vor Lismans Schuß gerettet?«
107
»Das ist die naheliegende Erklärung.« »Und welches Argument hast du für Lismans Verschwinden?« »Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sie wollten sich an ihm rächen und holten ihn aus seiner Zeit, oder sie sind durchaus menschenfreundliche Geschöpfe und retteten ihn. Er stürzte bereits und wäre nach unserem Ermessen verloren gewesen.« »Du setzt voraus, daß er jetzt also nicht verloren ist. Ferner ist für deine Theorie Bedingung, daß in der Zeit, in der Lisman sich jetzt befindet, andere örtliche Umstände herrschen. denn sonst würde er trotzdem weiterstürzen und sich auf dem Plateau das Genick brechen. Auch noch im nächsten Jahrhundert.« »Im nächsten Jahrhundert oder auch nächste Woche kann man hier bequem ein Sprungtuch aufspannen, wenn die Etaner sich mit solch primitiven Mitteln zufriedengeben. Jedenfalls haben sie durch die beobachtete Vergangenheit Kenntnis davon, daß Lisman stürzte.« »Das klingt tröstlich. Ich hoffe nur, daß du recht hast mit dieser zweiten Möglichkeit. Die erste wäre schlimmer.« »Wir müssen das Beste wünschen und auf das Schlimmste gefaßt sein. Natürlich ist es auch denkbar, daß die Etaner ein durchaus rachsüchtiges Volk sind. Sie würden sich dann nicht damit begnügen, Lisman in eine andere Zeit zu holen.« »Sie würden ihn quälen«, sagte Bannister. Vielleicht reicht unsere menschliche Phantasie nicht weit genug, obgleich wir auch nicht gerade einfallslos in bezug auf Martermethoden sind.« Iks-Wol-Esak sagte: »Sezieren. Das liegt am nächsten.« »Also ist es ratsam, sich möglichst nicht erwischen zu lassen. Wir werden nach wie vor Waffen tragen. Wenn die Etaner bei einer Schießerei immer so reagieren wie die dreiundzwanzig Vierbeiner vorhin, dann ist das eine gute Lösung für uns. – Perkins, du kommst mit, nicht wahr?« »Wenn du mir die Garantie gibst, daß ich nicht der nächste bin, den die Etaner sich holen ...« »Wie kommst du denn darauf?« »Ich fürchte das Gesetz der Serie. Zweimal sind wir jetzt draußen gewesen. Zweimal haben wir auch einen Mann verloren. Der dritte könnte ich sein ...« »Hm, diese Garantie kann ich dir natürlich nicht geben, nicht einmal dann, wenn du im Schiff bleibst.« Perkins blickte etwas überrascht. »Du meinst, im Schiff ...« »Ich meine, daß keiner von uns sicher ist. Weder hier noch woanders. Wenn du schon auf absolute Garantien Wert legst, dann hättest du am besten gleich deine Geburt verhindern sollen.« Barnetts Argument war zwar ziemlich weit hergeholt, aber es hatte seine Wirkung. »Well«, sagte Perkins. »Wenn du meinst, bin ich mit von der Partie ...« »Und du, Forry?« Der Arzt sah den Freund verblüfft an. »Mich willst du mitnehmen? Ich habe doch überhaupt keine Ahnung von solchen Sachen.« »Ich weiß, du hast niemals eine andere Welt kennengelernt als die Höhlen von Terra. Du hast noch nie einen Raumanzug angehabt. Das ist hier auch gar nicht nötig. Aber ich brauche dein Gehirn, kapiert?« »Mein Gehirn versteht nichts von der Praxis außergalaktischer Welten.« »Von der Praxis Etas verstehen wir alle sehr wenig. Die müssen wir uns erst aneignen. Also, sei nicht zimperlich.« »Und wer bleibt hier?« »Cora, Lavista und Nam-Legak. Bei der Besatzung haben wir wenigstens die Garantie, daß
108
sie nicht aus Versehen ohne uns abfliegen. Lavista, du übernimmst den Sender!« »Okay, Captain.« »Außerdem verbiete ich dir, mit dem Proka Streit anzufangen. Cora wird aufpassen, daß du keine Dummheiten machst, verstanden?« »Eine Frau als Aufpasser«, lästerte Lavista. »Ich komme mir vor wie im Mädchenpensionat.« »Das ist immer noch besser, als in der Hölle braten. Und wenn ich Klagen über dich höre, dann brätst du tatsächlich in der Hölle. Unter meiner Regie.« »Mensch, haut ab! Wer euch zuhört, der nimmt schließlich kein Stück Brot mehr von mir.« »Ist das vielleicht eine Antwort? Ich habe angeordnet, daß du auf dem Schiff bleibst, dich anständig benimmst und das Funkgerät bedienst. Ist das jetzt klar?« »Okay, Captain.« »Okay.« * Diesmal benutzten sie zwei Flugkabinen. Die erste steuerte Barnett. Er hatte Iks-Wol-Esak bei sich. Die zweite flog Perkins mit Bannister im Sozius. In weniger als drei Minuten schwebten sie bereits über dem Labyrinth der Wallmauern. »Man soll sich die Sache tatsächlich erst einmal von oben ansehen«, stellte der Proka fest. »Bis zum Horizont sehe ich nicht als diese abgegrenzten Terrains.« »Es sieht aus wie ein Tierpark mit Freigelände«, nickte Barnett. »Wir sollten tiefer gehen.« »Am besten landest du gleich. Ich möchte mir noch einmal das Loch ansehen, aus dem die Vierbeiner gekommen sind.« Perry Barnett drückte die Maschine nach unten und gab an Perkins die Anweisung, daß er in geringer Höhe warten solle. In weitem Bogen jagten sie über das Land. Aus jeder Parzelle leuchtete ihnen das schwache Grün entgegen. »Ob da überall diese Biester drin hocken? Dann haben wir es mit einigen Millionen zu tun.« »Millionen ist sehr vorsichtig geschätzt. Aber darauf kommt es wohl jetzt nicht an. Dein Vergleich mit dem Tierpark dürfte allerdings nicht stimmen.« »Ich weiß, es fehlen die Besucher.« In diesem Augenblick setzte Barnett auf. Die Landung bereitete auf der Mauer keine Schwierigkeiten. Sie befanden sich genau an der Stelle, wo die dreiundzwanzig Vierbeiner aus ihrer Grube herausgesprungen waren. »Nun, was hast du erwartet?« »Vierbeiner oder keine Vierbeiner. Eins von beidem.« »Das war sehr klug. Du hast immer recht damit. Da, du hast wieder recht. Der große Strauch bewegt sich.« Aus dem Dickicht trat ein Wesen mit vier Beinen. Es sah zu ihnen auf und stutzte.« »Genau wie vorhin«, flüsterte Barnett. Das Flüstern war wohl sinnlos, denn der Etaner hatte sie längst entdeckt. Kurz darauf erschien ein zweiter. »Komm, bevor es kritisch wird«, sagte Barnett. »Du kennst das Programm bereits.« Iks-Wol-Esak zögerte. »Ich bin nicht sicher, Perry. Wieso sind noch Vierbeiner in diesem Loch?« »Weshalb sollten sie nicht drin sein?« »Sie hätten uns gejagt. Dreiundzwanzig Tiere machten vor einer Stunde dort unten einen sinnlosen Tanz. Dreiundzwanzig Tiere verfolgten uns. Und dreiundzwanzig Tiere verschwanden vor unseren Augen im Nichts. Wo kommen diese her?« »Sie waren bereits drin. Sie haben sich vor einer Stunde überhaupt nicht gezeigt.« »Das glaube ich nicht.«
109
»Warum nicht?« »Sieh sie dir doch an. Ihre Bewegungen und ihr Geschrei deuten auf starke Erregung. Sie sind rein aus dem Häuschen. Kannst du dir vorstellen, daß jetzt noch welche im Dickicht stecken?« »Eigentlich nicht. – Bei Gott, du willst doch nicht etwa sagen, daß dies hier dieselben Biester sind, die uns verfolgten?« »Genau das. Ich habe sie inzwischen gezählt. Es sind dreiundzwanzig.« Barnett blieb für einen Augenblick die Antwort schuldig. Wenn der Proka recht hatte, dann waren sie hier bereits dem Geheimnis von Eta auf der Spur. Doch wie es sich andeutete, erschien das alles eher verwirrend als klärend. Der Captain schüttelte mißtrauisch den Kopf. »Irgend etwas stimmt hier nicht, Iks. Deine Zeittheorie muß falsch sein. Es muß sich um eine andere Dimension auf gleicher Zeitebene handeln.« »Meinst du?« »Selbstverständlich! Du gehst genau wie wir Menschen von der Erkenntnis aus, daß Zeitverschiebungen nur in Richtung auf die Zukunft möglich sind.« »Allerdings«, bestätigte Iks-Wol-Esak. »Nun, nehmen wir also an, die Etaner sind in die Zukunft entwichen. Wie kommen sie da hierher? Hierher in die Vergangenheit?« »Es ist ja keine Vergangenheit. Unser erstes Erlebnis ist bereits eine Stunde alt. Im Verhältnis zu dem Verschwinden der Wesen haben wir jetzt Zukunft, hatten wir auch vor zehn Minuten Zukunft.« Barnett mußte dem Proka im Prinzip recht geben, war aber nicht überzeugt. »Deine Theorie ist zu sehr auf den Zufall angewiesen, Iks. Wenn du recht hast, dann müßten die Etaner nur einen ganz kurzen Sprung gemacht haben. Sie hätten nur die Möglichkeit gehabt, unbemerkt nach hier zurückzukehren, als wir im Schiff debattierten. Sobald wir starteten, mußten sie bereits wieder in diesem Loch stecken.« »Selbstverständlich. Die Zeit war knapp. Aber sie reichte. Und an eine andere Möglichkeit glaube ich nicht." »Weil du von deiner Zeittheorie nicht ablassen willst.« »Glaube mir«, erklärte der Proka selbstsicher, »die Zeittheorie ist richtig. Denke an die contra-temporisierten Mesonen ...« »Zum Donnerwetter! Was hat der Planet Eta mit unserer Havarie in der Galaxis zu tun?« »Vielleicht gar nichts, vielleicht alles ...« Mit dieser nichtssagenden Andeutung mußte Barnett sich zufriedengeben, denn die etanische Unruhe wurde bereits wieder kritisch. Das Knäuel der Wesen drängte sich schon dichter an der Wand. »Einsteigen! Los, komm, Iks! Ich habe keine Lust, noch einmal einen solchen Dauerlauf zu machen.« Sobald sie mit der Flugkabine auf Höhe gingen, legte sich die Erregung der Vierbeiner. Sie mußten wohl erkannt haben, daß ihnen auf diesem Wege eine Verfolgung unmöglich war. Als die beiden Flugkabinen über ihrem Terrain kreisten, hatten sie sich bereits wieder ins Gesträuch zurückgezogen. »Brave Tierchen«, murmelte Captain Barnett zufrieden. Es klang etwas gutmütig und herablassend, so wie ein Mensch seinen Hund behandelt. Doch der Mensch fragte sich sofort, ob er Anlaß hatte, eine solche Herrenposition zu beziehen. Bestenfalls war er doch Gast auf diesem Planeten. »Hast du eine Idee?« Diese Frage galt Iks-Wol-Esak. »Ich schlage vor, wir fliegen einige Meilen ins Land. Vielleicht bietet sich überall dasselbe Bild. Wenn es Unterschiede gibt, sind wir vom Zufall abhängig. eine systematische
110
Inspektion dieser Landschaft würde wahrscheinlich Jahre in Anspruch nehmen.« »Okay! Achte du bitte auf die Gegend. Wenn du etwas Besonderes entdeckst, melde dich ...« Perkins und Bannister blieben hinter ihnen. Barnett unterhielt sich mit ihnen über UKWBild und gab ihnen einen Bericht von der letzten Landung. Die Theorien des Proka ließen beide aufhorchen. Sie pfiffen durch die Zähne und rollten vielsagend mit den Augen, enthielten sich aber eines konkreteren Kommentars, da sie lieber erst abwarten wollten, was die Zukunft davon bestätigen würde. Plötzlich spürte Barnett einen Rippenstoß. Der Kugelmann neben ihm deutete auf ein besonders großes Terrain von mehreren Meilen Durchmesser. »Dort brauchen wir nicht auf der Mauer zu landen. Der Boden selbst ist kaum mit Pflanzenwuchs bedeckt.« »Du meinst, wir sollten gleich nach unten gehen?« »Gewiß, es kann nicht gefährlicher sein als vorhin. Wir haben weite unbehinderte Sicht, wenn du auf dem braunen Flecken dort aufsetzt.« »Wie du meinst«, seufzte der Mensch möglichst vertrauensvoll. »Wenn es hier Tiere gibt, dürften sie wahrscheinlich nicht flinker und nicht intelligenter als die anderen sein.« Sie landeten. »Na, fühlst du dich bedrängt?« »Durchaus nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was wir hier wollen. Die nächsten Büsche erreichen wir zu Fuß in einer Viertelstunde. Ich bin aber nicht scharf aufs Zu-Fuß-Gehen.« »Sieh hier durchs Periskop. Deine Augen sind offenbar nicht so gut wie meine.« Barnett gehorchte. »Beim Allgeist! Da wimmelt es von Käfern. Es kann gar nicht so weit sein.« »Gehen wir hin?« »Freilich. Die Tiere sind nicht größer als dein Schuh. Wenn sie lästig werden sollten, brauchst du ja nur zu schießen. Der Wärter, oder wer es sein mag, wird sie schon rechtzeitig aus der Gefahr bringen.« »So unbekannt sind sie uns ja nicht mehr.« »Hast du schon eine Klassifizierung vorgenommen?« »Flüchtig. Es muß sich um die gleichen Vierbeiner handeln, die wir bereits kennenlernten.« »Trotz des Größenunterschieds?« »Die anderen waren eben älter. Wahrscheinlich sind das dort noch Kinder.« »Hoffentlich«, brummte Barnett. »Ich setze dabei voraus, daß etanische Kinder weder beißen noch schreien dürfen ...« Sie gingen näher an das Gewimmel heran. Der Mensch mußte wieder einmal den scharfen Blick des Proka bewundern. Die kleinen Tiere waren tatsächlich in ihrer Form mit den großen identisch. Demnach mußten sie noch sehr jung sein. Und Barnett verlor etwas von seinem Respekt. Er verkürzte den Abstand noch mehr. »Vorsicht!« zischte Iks-Wol-Esak. »Wir haben keine Schutzanzüge. Schon ihr Atem könnte giftig sein.« »Giftig? Das verträgt sich nicht mit dieser Atmosphäre.« »Ich sage nur – Vorsicht. Aus Prinzip. So, von hier aus kann man sie gut sehen ...« »Du schon, aber ich nicht.« Der Mensch ging einfach weiter. Er fühlte sich überlegen. Die krabbelnden Tierchen reichten kaum bis an seine Fußknöchel. Er trat genau unter sie. Und nichts geschah. Doch! Es geschah doch etwas. »Iks, Menschenskind, komm her! Sie tun dir nichts.« Mißtrauisch kam jetzt auch der Proka heran. Bis er ebenfalls von dem Heer der Miniatur-
111
Vierbeiner umringt war. Sie nahmen kaum Notiz von den beiden Eindringlingen. Nur daß sie sich ein Stück vor ihnen zurückzogen. Dem Menschen gefiel das. »Sie haben Respekt, Iks. Siehst du?« Barnett ging den ausweichenden Tierchen nach. Er kam nicht an sie heran. Hatten sie Angst? War es Vorsicht, natürliches Mißtrauen? Perry Barnett machte einen neuen Versuch. Aus dem Stand wagte er einen Sprung, der ihn genau zwischen die Wesen stürzen lassen mußte. In der Eile reagierten sie diesmal tatsächlich anders. Sie zogen sich nicht mehr zurück, weil ihnen dafür der Angriff offenbar zu schnell kam. Sie verschwanden einfach. Barnett nahm diese Tatsache wesentlich gefaßter hin, als er es selbst von sich erwartet hätte. Mit Befriedigung stellte er fest, daß man sich auch an die verblüffendsten Eigenarten fremder Welten gewöhnen konnte. Und Iks-Wol-Esak als Stoiker war sowieso nicht dafür geschaffen, sich über solche Tricks aufzuregen. Er suchte schon wieder nach Erklärungen. »Ich glaube nicht mehr daran, daß hier ein unsichtbarer Tierparkwächter steckt. Dieses Verschwinden muß sich aus den Wesen selbst erklären. Als ob sie von Natur aus in der Lage wären, sich durch solche Zeitsprünge vor einer Gefahr zu schützen.« »Von Natur aus?« Barnett war verblüfft, und er zweifelte ehrlich ein wenig an Iks-WolEsaks Verstand. »Du willst doch wohl nicht behaupten, daß es irgend jemanden im Universum gibt, der die Zeitebenen ohne technische Hilfsmittel wechselt?« »Ich muß es annehmen. Denn solche technischen Apparate sind weit und breit nicht zu sehen.« Sie wiederholten den Versuch, um sicher zu gehen. Dasselbe Ergebnis. Schließlich bemühte sich der flinke Proka, eines der Tierchen mit den Tentakeln zu greifen. Es klappte nicht. Selbst bei schnellstem Zufassen entwich ihm die Beute und wurde unsichtbar. »Es ist unheimlich«, murmelte Barnett. »Nehmen wir an, deine Zeittheorie stimmt. Sie verschwinden also in die Zukunft. Wenn ich es mir genau überlege, ist unsere Sorglosigkeit doch nicht mehr angebracht ...« »Wieso?« »Wir müssen aus dem biologischen Prinzip annehmen, daß sie unser Verhalten als Angriff auf ihr Leben oder wenigstens auf ihre Sicherheit auffassen. Die natürliche Reaktion ist Gegenwehr ...« »Hier ist sie Flucht.« »Nicht unbedingt«, widersprach Barnett. »Es kann mehr als nur eine Flucht sein.« Der Proka verstand auch ohne Telepathierelais. »Du meinst, sie schlagen zurück. Und da sie das erst in der Zukunft tun, müssen wir mit dem Gegenangriff eine unbestimmte Zeit warten, wenn diese Reaktion für die Wesen selbst auch unmittelbar erfolgt. Natürlich, das leuchtet ein!« »Jawohl, so ungefähr meine ich es. Allerdings taten die älteren Tiere nichts dergleichen. Sie flohen nur und fanden sich etwas später wieder in ihrem Terrarium ein.« »Und diese hier sind Kinder und Säuglinge. Auch das sollte man überlegen.« Sie machten noch einen zweiten Versuch, den Perkins und Bannister aus der Luft über den Bildschirm beobachteten. Aus dem Vorratsraum der Flugkabine holten sie einige Katastrophengeräte, unter denen sich auch eine Menge Stangen befanden. Damit bauten sie barrikadenähnlich zwei parallel laufende Wälle von etwa zwölf Metern Länge. »Was soll das werden?« fragte Barnett, der gehorsam assistierte. »Eine Straße«, sagte der Proka. »Es ist eine Straße. So, jetzt benimmst du dich bitte genauso vorsichtig wie zuerst ...« Barnett ließ es sich erklären. Behutsam drängte er sich an einen Schwarm der Tiere heran. Es begann wieder das Spiel des Verfolgens und Ausweichens. Da alles sehr langsam vor sich ging, fühlten sich die Tiere offenbar zu keiner Zeitflucht veranlaßt. Sie ließen sich Schritt für
112
Schritt abdrängen, bis einige von ihnen zwischen den beiden kleinen Wällen landeten. »Wenn wir einen Köder hätten!« »Ja, wenn. Aber weißt du, womit man diese Biester reizen kann?« »Es muß auch so gehen ...« Es ging tatsächlich. Nach und nach wälzten sich acht der Tiere über die von Iks-Wol-Esak errichtete Straße. Sie marschierten darin entlang wie in einem Hohlweg. Die Böschungen zu beiden Seiten überragten sie um einige Zentimeter. »Wenn wir jetzt vorn und hinten dichtmachen, sind die gefangen«, sagte Barnett. »Meinst du wirklich?« »Ich sage das aus Gewohnheit. Aber wahrscheinlich stimmt es nicht. Sobald sie eine Gefahr dabei wittern, werden sie wahrscheinlich verschwinden.« »Probieren wir's doch!« schlug Iks-Wol-Esak vor und nahm eine Metallplatte, die er senkrecht zwischen die beiden Wälle stellte. Das war ein Hindernis, das die Tiere körperlich nicht durchdringen konnten. Und es war wesentlich höher als die Stangen an den Seiten. Der Proka hielt die Platte fest, damit sie nicht umkippte. Er stand da wie ein Dompteur, der trotz eines gewissen Schwierigkeitsgrades erwartete, daß die Tiere das Hindernis nahmen. Sie nahmen es wirklich. Und zwar in ihrer ausgesprochenen Eigenart. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Stangen an den Seiten zu überwinden und so die Platte zu umgehen. Doch die Tiere kamen gar nicht auf die Idee, die einmal eingeschlagene Richtung zu ändern. Sie krochen bis vor die Platte und setzten auf der anderen Seite unbekümmert ihren Weg fort, als hätte die Hürde niemals bestanden. Beide, der Mensch und der Proka, hatten etwas Ähnliches erwartet. Doch als sich der Versuch jetzt mit einer völligen Selbstverständlichkeit vor ihnen abspielte, fiel es ihnen schwer zu glauben, was sie sahen. Das Bauen der Straße, das Aufstellen der Barrikade und das geduldige, fast phlegmatische Kriechen der kleinen etanischen Wesen mutete anfangs wie ein lustiges Spiel an. Hier aber wurde das Spiel unheimlich. Barnett hatte plötzlich das Gefühl, daß es furchtbar heiß wurde. Und selbst Iks-Wol-Esak zitterte mit seinem Tentakel und wollte die Platte nicht länger halten. Sie zogen sich beide instinktiv ein paar Schritte von dem Schauplatz der Zauberei zurück. »Verdammt«, stöhnte der Mensch. »Laß uns einpacken und in die Maschine steigen. Diese Wesen sind auf der einen Seite so primitiv, daß jeder Respekt vor ihnen lächerlich wirkt. Andererseits sind sie uns rein biologisch haushoch überlegen, so daß ich freiwillig niemals eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen wagen würde. Gegen diese Zeitflucht sind wir immer machtlos.« »Du hast dieselbe Theorie wie ich«, meinte der Proka. »Biologisch sind sie uns überlegen. Das heißt also, das Zeitspringen ist ihre natürliche Fähigkeit. Es ist ein Sinn und eine organisch bewerkstelligte Sache bei ihnen. So wie du hörst, siehst und herumläufst, so springen sie in der Zeit.« »Vollkommen richtig«, nickte Barnett. »Ein Wesen unserer Vorstellungswelt, ein Proka oder ein Mensch, hätte einen Umweg in Kauf genommen. Es wäre über die zeitliche Begrenzung gekrochen, weil sie im Gegensatz zu der Platte überwindbar ist, und hätte sich auf der anderen Seite wieder auf die alte Marschroute gesetzt.« »Hätte – sagst du? Was hat es denn sonst gemacht?« Barnett stutzte. Er fühlte sich bei einem Denkfehler ertappt. »Natürlich, so muß die Sache auch tatsächlich vor sich gegangen sein. Der Weg mußte in irgendeiner Form zurückgelegt werden. Der Haken ist nur, daß sich das außerhalb unserer Zeit abgespielt haben muß. Erst auf der anderen Seite der Platte marschieren die Dinger in unserer Gegenwart weiter.« »Stimmt. So muß es sein.« »Aber – eigentlich lohnt dieser Aufwand sich doch gar nicht. Unsere dimensionale Methode müßte doch völlig genügen.«
113
»Du siehst es als Mensch. Sobald du jedoch annimmst, daß die Etaner dumm sind, hat die Sache einen Sinn. Dumme Etaner brauchen wahrscheinlich sehr viel Zeit, um den Umweg herauszufinden, den sie wegen unseres Hindernisses machen mußten. Diesen Verlust gleichen sie durch das Zeitspringen aus ...« Sie hatten die Geräte inzwischen wieder zusammengepackt und in der Flugkabine verstaut. »Steig ein, Iks! Wir wollen weiter ...« Während die Maschine auf Höhe ging, kramte Iks-Wol-Esak in den Zusammenhängen der letzten Unterhaltung. Durch die Nähe des Telepathierelais spürte Barnett auch die halbfertigen Gedanken des Proka, der einen Sinn und eine Deutung aus dem Erlebten erhalten wollte. »... jawohl, eigentlich müßten sie dumm sein. Denn wenn ihr Sinn des Zeitspringens so gut entwickelt ist, dann werden andere Veranlagungen dadurch automatisch vernachlässigt. Diese Regel trifft auf jede Zivilisation und auf jede Intelligenz zu.« »Womit bewiesen wäre, daß diese seltsamen Tiere niemals die richtigen Etaner sein können. Es muß hier eine wirkliche Intelligenz geben, die uns ebenbürtig oder gar überlegen ist.« »Sie ist uns überlegen«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Sie ist uns weit überlegen. Denn sie haben inzwischen unser ganzes Schiff gestohlen.« * Wie leicht und selbstverständlich auf Eta das Verschwinden ist, hatten Menschen und Prokas wahrhaftig in reichlichem Maße erfahren können. Dennoch war der neue Schock für die Fremdlinge auf dieser Welt größer als alle Schrecken und Wunder, die sich ihnen bisher geboten hatten. Bisher waren einzelne Menschen verschwunden. Und einige etanische Tiere, deren persönliches Schicksal kaum in einer Beziehung zu den Fremden aus dem galaktischen Schiff stand. Doch hier hatte eine unbekannte Macht das letzte Stück Heimat hinweggefegt. Ein Stück Heimat für die Menschen und Prokas. Und Freunde. Und für Barnett noch mehr: Cora. Er konnte nur sehen und schweigen. Die Gewißheit, daß alles, was noch Bedeutung und Lebenswert für ihn besaß, Stück für Stück aus seinem Dasein gerissen werden würde, bis er schließlich selbst reif für das Verschwinden war, schnürte ihm die Kehle zu. Die kleine Cora und die große CORA existierten nicht mehr. Was half der Trost, daß sie woanders sein könnten? Oder wann anders? Das alles ging auf Vermutungen zurück, die man sich bisher, mehr oder weniger gescheit, zusammengekratzt hatte. Hinter allem aber blieb das große Fragezeichen. Und die Ohnmacht. Als Tatsache bot sich nur das eine an: Sie waren allein. Vier Mann und zwei Flugkabinen. Und in den Kabinen ein paar Bestände an Notverpflegung. Nährtabletten für ein halbes Jahr. Sie landeten nacheinander auf dem nun freien Plateau. Perry Barnett stürzte als erster hinaus und warf sich auf den Boden. Der Boden war ein einziger Fels. Er schimmerte wie ungeschliffener Marmor. Und an einer Ecke fand Barnett mehlige Rückstände. Hier hatte eine Landestütze des Schiffes den Stein zermahlen. Das war die letzte Spur von der CORA. Die anderen standen steif neben den beiden Kabinen. Wie Schuldige. Dabei waren sie nicht schuldig. Sie hatten Angst wie Barnett. Und Zorn über ihre Ohnmacht. Erst nach Minuten stand Barnett mit zerschundenen Fingern auf. In seinen Augen war ein irres Flackern. »Siehst du, Perkins. Du hättest es dir doch überlegen sollen. Erst wolltest du nicht mit rauskommen. Du wolltest meine Garantie, daß die Etaner dich nicht als nächsten von uns holen. Du wolltest dich in dem letzten Stück Galaxis, oder sogar in dem letzten Stück Terra einpökeln und deinem Schicksal aus dem Weg gehen. Jetzt hast du deinen Dreck!«
114
»Und du den deinen.« »Ja, ja, ja! Wenn es ein Trost für dich ist. Bitte! Aber mehr seelsorgerischen Beistand kann ich dir nicht geben. Wir sind weg und sie sind weg. Wer ist denn nun verschwunden? Sie oder wir? Stellt euch ihre Aufregung vor! Sie stehen am Bildschirm und verfolgen unsere beiden Flitzer, die sich plötzlich in Wohlgefallen auflösen. Sie trauern um uns. Sie halten sich für die letzten Menschen. Und Nam-Legak hält sich für den letzten Proka, der Tag und Nacht seinem Galaktischen Krieg nachheult, aus dem er immer noch einen Galaktischen Frieden machen will. Und Praxlomza rennt wahrscheinlich auch heute noch über eine grüne Wiese und sucht sich nach uns die Augen aus dem Kopf ...« Barnett schloß mit einem irren Lachen, drehte sich einmal um die eigene Achse, wobei er mit dem ausgestreckten Arm ringsum den Horizont beschrieb. Als er den Kreis beendet hatte, sah er genau in Perkins' verzweifeltes Gesicht. Und dieses Gesicht war ihm plötzlich zuwider. »Warum lachst du, dreckiger Pirat? He?« Im nächsten Augenblick sank Perkins durch einen Faustschlag zu Boden. Er war nicht betäubt. Aber er blieb trotzdem liegen, weil dort das Risiko am geringsten war. Und außerdem hatte er gar nicht gelacht. Das Lachen war ihm längst vergangen. Genau wie den anderen. Wenn hier einer das Lachen versuchte, dann wurde etwas völlig Verzerrtes daraus wie bei Perry Barnett. Bannister sah hilfesuchend zu Iks-Wol-Esak. Diesem war ein Milieu, in dem dann und wann die Faust regierte, völlig fremd. Da half es auch nichts, daß Perry Barnett sein bester Freund war. Auf Terra mochte das Gültigkeit gehabt haben. Aber hier? »Regt euch nicht auf«, erklärte der Proka plötzlich. »Der Captain braucht noch zwei Minuten Ruhe. Es tut ihm schon leid, daß er dich geschlagen hat, Perkins. Es war eine Affekthandlung. Das darfst du ihm nicht übelnehmen.« »Demnach macht es nichts aus, wenn ich wieder aufstehe ...« Barnett reichte ihm die Hand. »Entschuldige, Perkins. Ich habe die Nerven verloren. Ausgerechnet ich als der Captain.« »Schon gut, es genügt, wenn du dich blamiert fühlst. Ich kann dir direkt nachfühlen, wie schmerzhaft diese Selbstanklage für deinen Stolz ist ...« Auch der Arzt verlor etwas von seinem Mißtrauen. »Gott sei Dank! Wenn ihr euch nach jeder Schlägerei so schnell vertragt, will ich mich weiter nicht beschweren.« Perkins grinste. »Trotzdem hielte ich es für ausgleichende Gerechtigkeit, wenn du auch mal bei so einem Haken an der Reihe wärest ...« Iks-Wol-Esak äußerte sich dahingehend, daß er die menschliche Psyche immer mehr verstünde. – Selbst in den schwierigsten Situationen bringe es der Mensch fertig, nebensächliche und persönliche Eifersüchteleien auszutragen. Dadurch erkläre sich wahrscheinlich auch die Zähigkeit dieser zweibeinigen Rasse. »Ganz recht«, stimmte Bannister zu. »Wir sind die Meister des Unwesentlichen. Deshalb bringen wir es auf der einen Seite zu keiner rechten Vollkommenheit. Es hat manchen klugen Satiriker bei uns gegeben, der sich über die menschlichen Fehler lustig gemacht hat, und im Endeffekt feststellen mußte, daß menschliche Schwächen menschliche Stärken sind.« Perkins fluchte. Er rieb sich noch die linke Gesichtshälfte, fand aber darüber hinaus die augenblickliche Stegreifphilosophie seiner gebildeten Mitmenschen völlig unangebracht. »Ihr verdammten Intelligenzkrüppel! Ist das alles, was im Augenblick euer Herz bewegt? Ich schlage vor, wir kümmern uns lieber um ein anständiges Nachtquartier. Mich würde zum Beispiel sehr interessieren, ob die Nächte in diesen Breiten kalt oder warm sind. Eventuell steht uns noch ein Duell um die Schlafdecken bevor ...« An die Nacht hatte noch keiner gedacht. Dabei stand die Sonne bereits nahe dem Horizont. »Die Nacht?« fragte Forry Bannister unsicher und mißtrauisch. Barnett machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn es kalt wird, gehen wir in die
115
Kabinen. Die sind isoliert wie das Raumfahrzeug. Perkins hat das bloß in seiner Aufregung vergessen.« Die Nacht kam innerhalb weniger Minuten. Das war auf Eta nicht anders als in den Tropen der galaktischen Planeten. Und es wurde kalt. Die Männer zogen sich in die Flugkabinen zurück. Die Sitze wurden zu Liegen ausgefahren. Dazu genüge ein einziger Knopfdruck. »Komisch, die Infrarot-Beobachtung klappt heute wieder«, sagte Barnett ohne Begeisterung. »Wir werden Wachen einteilen ...« Der Proka war wieder zu ihm gekommen. Bannister und Perkins sollten in ihrem Fahrzeug schlafen. Iks-Wol-Esak erklärte: »Du brauchst nichts einzuteilen. Ihr Menschen habt den Schlaf dringender nötig als ich.« »Willst du damit sagen, daß du die ganze Wache übernimmst?« »Wir haben den Kalender dieses Planeten bisher vollkommen vernachlässigt. Ich werde mich ein wenig mit der Rotation beschäftigen. Die Sterne sind gut sichtbar. Also, geht nur schlafen! Wenn mir die Nacht trotzdem zu lang werden sollte, kann ich dich immer noch wecken.« »Gut. Ich nehme dein Angebot an. Denn ich bin wirklich hundemüde. Aber sobald du irgend etwas Verdächtiges bemerkst, will ich Bescheid haben.« Die drei Menschen legten sich hin und schliefen sofort ein. Trotz der Ungewißheit und der Sorge um die Zukunft schliefen sie. Die Natur war stärker. Iks-Wol-Esak dagegen hatte noch eine Menge Energiereserven. Während man für die Menschen ein Drittel des Tageslaufs als Schlafzeit rechnet, gilt für die Prokas ein Normalverhältnis von 1:10. Der Kugelmann mußte also durchaus kein Philanthrop sein, wenn er die Nachtwache freiwillig übernahm. Der wirkliche Grund war seine Neugierde. Und die Gewißheit, daß er jetzt niemals schlafen konnte. Auch in seiner Rasse steckte tief verwurzelt ein starker Selbsterhaltungstrieb. Was er den anderen gegenüber an Theorien-Fanatismus zur Schau trug, war die Äußerung seines überdurchschnittlichen Intellekts. Als Wesen kannte er den Egoismus und die Angst wie alle anderen. Wenn er sagte, er wolle die Rotation der Sterne beobachten, so stimmte das freilich. Der Vollständigkeit halber hätte er aber getrost hinzufügen können, daß er der Aufmerksamkeit der Menschen nicht so recht traute. So war es ihm auf jeden Fall lieber. Mit dem Periskop suchte er das Land bis zum Horizont ab. In allen Himmelsrichtungen herrschte Stille und Bewegungslosigkeit. Auch der Planet Eta schien zu schlafen. Es war das Gesetz aller rotierenden Planeten, daß die Nacht den Tag ablöste, daß auf das Wachen der Schlaf kam. Ob auch die Romantik des Sternenhimmels Gesetz war? Iks-Wol-Esak wußte aus der Bibliothek des Menschen, daß die Gestirne in dessen Geschichte schon früh eine Rolle gespielt hatten. Genau wie bei den Prokas. Bevor die Wissenschaft die Himmelsmechanik erkannte, waren die Sterne bereits das Privileg der schwärmenden Literaten gewesen. In welchem Stadium befanden sich die Etaner? Iks-Wol-Esak versuchte sich vorzustellen, daß drüben in der Ebene Vierbeiner auf dem Rücken lagen und ehrfürchtig die Lichter am Firmament zählten. Es gehörte sehr viel Phantasie zu dieser Vorstellung. Die Vierbeiner! – Er vergaß einen Augenblick den Himmel und mußte an sie denken. Würden sie kommen? Ein Geräusch hinter ihm erschreckte ihn. Er fuhr herum und mußte feststellen, daß er mit den Menschen allein war. Das Geräusch kam von den Menschen. Der Proka wurde unruhig. Er kannte dieses leichte Grollen nicht. Akustisch hatte es Ähnlichkeit mit der Lautmalerei eines zornigen Menschen. Aber Barnetts Gedanken waren völlig passiv. Er träumte auch nicht. Der Proka stieß ihn an. Barnett war sofort wach und richtete sich auf. Automatisch griff er nach der Waffe.
116
»Was ist los? Kommen sie?« »Niemand kommt. Ich wecke dich deinetwegen. Oder auch meinetwegen. Vielleicht kannst du mich beruhigen ...« Der Captain hatte den Proka noch nie so ratlos gesehen. »Verdammt! Willst du dich nicht deutlicher ausdrücken? Ich habe jetzt geschlafen. Ich habe nicht einmal geträumt.« »Das ist es ja. Dein Gehirn hatte nicht den geringsten Reflex einer Vorstellung. Und trotzdem hast du unartikuliert gesprochen.« Barnett sah ihn sekundenlang dumm an. Dann mußte er plötzlich schallend lachen. »Unartikuliert sprechen nennt man bei uns Schnarchen! Das ist das Harmloseste, was ein Mensch an sich haben kann.« »Aber es klingt gefährlich. Vor allem, weil kein Sinn dahintersteckt.« »Beruhige dich. Ich werde versuchen, das Schnarchen zu unterlassen. Garantieren kann ich dir allerdings nicht dafür ...« Perry Barnett schlief wieder ein. Es ging etwa fünf Minuten gut. Sein erstes Schnarchen fiel praktisch mit der ersten Unruhe draußen auf der schiefen Ebene zusammen. Der Proka war froh, ihm jetzt einen anderen Grund für das Wecken nennen zu können. »Draußen bewegt sich etwas. Ich habe das Periskop bereits auf die Richtung eingestellt.« »Bei Gott, das sind die Pferdewesen«, stöhnte Barnett und rief sofort Perkins über UKW. Die beiden Männer in der anderen Kabine meldeten umgehend Gefechtsbereitschaft. »Okay!« sagte Barnett. »Geschossen wird aber nur auf meinen Befehl!« Das war so gut wie ein Verbot. Es half hier aber genauso wenig wie am Tage vorher bei Lisman. Perkins' Schuß war eine ähnliche Reflexbewegung. Und hier trug Perkins nicht allein die Schuld, denn alle hatten die Beobachtung nach den anderen Richtungen vernachlässigt. Sie starrten nur auf die wogende, quirlende Masse von Vierbeinern, die sich langsam den Hang hinaufarbeitete. Es mußten weit über hundert Etaner sein, die sich dort heranwälzten. Sie waren nackt und waffenlos. Trotzdem flößten sie Furcht ein. Denn ihre Art des Angriffs war überzeugend. Für Verhandlungszwecke hätten weit weniger Individuen genügt. Wer die Menschen kennt, wird sich nicht wundern, daß auf diese Phalanx terranische Strahlkanonen gerichtet waren, und aß die Schützen von Sekunde zu Sekunde den entscheidenden Augenblick näherkommen fühlten. Das Autovisier zeigte die Entfernung mit dreihundertfünfzig Metern an, als Bannister durch die Panoramascheibe einen riesigen Schatten von der Seite auftauchen sah. Erst sein Schrei machte Perkins auf die Gegner aus dem Hinterhalt aufmerksam. Der riß seine Kanone herum und schoß, ohne genau Ziel zu nehmen. * Ob der Schuß die Etaner getroffen hatte, die sich bereits dicht vor den Flugkabinen auf dem Plateau befanden, konnte niemand mehr feststellen. Der Schuß hatte eine wesentlich einschneidendere Wirkung. Er verwandelte die Landschaft. Ohne Übergang blitzte der helle Tag auf. Die vier mußten die Augen schließen, da die geweiteten Pupillen unter soviel Helligkeit nur mit körperlichem Schmerz reagieren konnten. Als sie langsam die Lider öffneten, war alles anders. Nein, nicht alles! Das Plateau mit den beiden Flugkabinen existierte noch. Doch das andere! Aus der glatten schiefen Ebene waren stufenartig angelegte Terrassen geworden. Am Fuße des Hügels, wo man bisher den seltsamen Irrgarten mit den Vierbeinern gewußt hatte, erhob sich eine Stadt mit himmelragenden Hochhäusern und Türmen. Und dazwischen prangte das saftige Grün, das sie bei ihrer ersten Landung im Übermaß angetroffen hatten. In einer
117
solchen Situation war kein Platz für Vorwürfe gegen Perkins. An den Schuß dachte niemand mehr. Barnett sprang als erster hinaus. Die anderen folgten zögernd und wurden zutraulicher, als sie die gleiche wohltuende Atmosphäre vorfanden. »Von Leben keine Spur«, sagte Bannister leise. »Sie haben sich versteckt«, erklärte der Proka, als ob er eine sichere Quelle besäße. »Versteckt?« meckerte Perkins ohne Überzeugung. »Woher wollten die denn wissen, daß ich schieße? Dieser sonderbare Zeitsprung läßt sich doch nur aus der Überraschung erklären. Es war doch keiner darauf vorbereitet.« »Du nicht«, grinste Bannister. »Aber die Etaner. Ich denke, Iks hat recht.« »Natürlich habe ich recht. Man hat uns in die Zukunft geholt. Die Burschen wußten also lange genug, daß dieser Schuß fallen würde. Sie haben heute sogar das Plateau für uns reserviert.« »Alles schön und gut. Ich glaube tatsächlich bald, was ihr sagt. Wenn es auch noch so verrückt für einen normalen Menschen klingt. Rein theoretisch ist es logisch.« »Gut, daß du das einsiehst.« »Ich sehe aber nicht ein, weshalb sie sich verstecken. Wenn sie sich schon so lange auf unsere Ankunft vorbereiten konnten, dann waren sie auch in der Lage, uns hier in Empfang zu nehmen und sich gleichzeitig entsprechend zu schützen, wenn sie uns schon mißtrauen." »Du legst wohl großen Wert auf einen Empfang. Möglichst noch mit einer festlichen Begrüßungsansprache.« »Ich lege Wert darauf, endlich mal mit diesen Herrschaften zu reden. Ich will wissen, woran ich bin. Nichts gegen eure halbgescheiten Theorien. Aber Gewißheit wäre mir lieber ...« »Gewißheit wäre uns allen lieber. Es fragt sich nur, ob sich die notwendigen Verhandlungen mit der Mentalität der Etaner vertragen. Wir wissen nicht einmal, inwieweit wir bei diesen Leuten Intelligenz voraussetzen können.« »Na, hör mal, mein Bester! Sagt dir die Stadt dort nicht schon genug?« »Die Stadt sagt gar nichts«, fiel Iks-Wol-Esak in die Unterhaltung ein. Er meinte es nicht einmal so pedantisch, wie es klang. »Diese Stadt setzt nicht unbedingt die Intelligenz ihrer Erbauer voraus. In der Galaxis kennen wir genügend Spezies, die das aus reinem Instinkt fertigbringen.« »So, dann willst du mir sogar einreden, diese Stadt gehört den seltsamen Pferdegestalten, von denen du bereits behauptest hast, daß sie dumm sind ...« »Ich weiß es nicht. Wir sollten uns überzeugen ...« »Aha, eine Expedition?« »Du selbst kannst es nicht abwarten, mit den Herrschaften zu reden. also wirst du dich bemühen müssen«, erklärte Barnett. »Ich schlage vor, wir fliegen hinüber und sehen uns die Sache zunächst wieder einmal von oben an. Vielleicht können wir dort auch landen. Alle Dächer sind flach.« »Zum Landen müßten sie auch stabil sein.« »Ich rechne damit. Denn Häuser von jener Größe sind schließlich nur unter Berücksichtigung gewisser statischer Werte denkbar.« »Sie sind auch als Fata Morgana denkbar ...« »Ach, halt die Klappe! Du bist wie eine Frau, die immer das letzte Wort haben muß. Setz dich in deinen Flitzer und vergiß nicht, Forry mitzunehmen. Wir starten.« Aus dem Start wurde nichts. Keine der beiden Maschinen reagierte. Im Lautsprecher hörte man Perkins ungesittet fluchen. »Das Biest rührt sich nicht. Ich habe überhaupt kein Magnetfeld.« »Genau wie ich. Wir müssen uns wohl mit einem Fußmarsch abfinden.« »Du gibst aber schnell auf.«
118
»Rede keinen Blödsinn und steig aus! Oder willst du vielleicht das Aggregat in Ordnung bringen?« Alle wußten, daß Perkins bestimmt nicht dazu in der Lage war. Im Lautsprecher hörte man noch Bannisters Aufmunterung. »Los, Perkins, geh an Land! Diese Schweinerei haben wieder die Etaner ausgetüftelt. Sie allein sind auch imstande, die Kabinen wieder flugfähig zu machen ...« Perkins sprang mit einem Gesicht zu Boden, das zum Fürchten Anlaß gab. »Diese verdammten Pferdekreaturen. Langsam habe ich das Gefühl, sie veranstalten mit uns so eine Art Zirkus.« »Zirkus wäre noch das harmloseste. Also nehmen wir zu unserem Vorteil an, sie treiben ein Spiel mit uns ...« »Sie studieren uns«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Sie sind neugierig und wollen wissen, was wir sind. Das kann solange harmlos sein, wie sie uns nicht sezieren.« »Zum Sezieren müssen sie uns erst einmal in ihre Gewalt bekommen.« »Die meisten haben sie schon. Wir vier sind die letzten, die mit Gewißheit noch am Leben sind.« »Du siehst plötzlich alles sehr subjektiv, Proka. Es besteht durchaus noch die Möglichkeit, daß die anderen genauso lebendig sind wie wir.« »Freilich besteht die Möglichkeit. Und ich gebe auch die Hoffnung nicht auf, alle Freunde gesund wiederzusehen. Im Augenblick kann ich aber nur subjektiv urteilen. Wir müssen von dem ausgehen, was augenblicklich mit Sicherheit existiert. Und das bist du, Perkins, das sind Barnett, Bannister und ich ...« »Und die Flugkabinen und die Stadt«, ergänzte der Captain. »Wir werden also hinuntergehen. Es fragt sich nur, ob wir einen oder zwei Mann zurücklassen.« »Wofür?« fragte Iks-Wol-Esak. »Zur Sicherung der Kabinen.« »Hast du eine Vorstellung, wie du die Kabinen vor einem feindlichen Zugriff schützen willst?« Barnett sah das Kugelwesen ratlos an. »Wenn du mir klarmachen willst, daß wir uns auf diesem Planeten mit unseren bisherigen Kenntnissen überhaupt nicht schützen können, dann kann ich ebensogut behaupten, daß all unsere Bemühungen von vornherein lächerlich und nutzlos sind. Wenn Perkins hier mit einer Pistole Wache hält, dann wird er schießen, sobald sich ihm jemand nähert.« »Eben. Und die Erfahrung hat gezeigt, daß wir mit Schießen nichts bessern. Selbstverständlich ist die Möglichkeit gegeben, daß die Angreifer in eine andere Zeit fliehen. Andererseits mußt du damit rechnen, daß sie die Flugkabinen und Perkins verschwinden lassen. Du hast keine Handhabe für irgendeine Prognose. Für dich spielt sich hier alles nach dem Gesetz des Zufalls ab.« Perkins lachte gereizt. »Du mit deinem Gesetz des Zufalls. Je länger man dir zuhört, um so verwirrter wird alles.« »Das Gesetz im Chaos ist ebenso gültig wie das Gesetz im Kosmos«, versuchte Iks-WolEsak zu dozieren. Doch Barnett unterbrach ihn. »Ich schlage vor, ihr verschiebt euer Kolleg auf einen günstigeren Zeitpunkt. Wir marschieren in fünf Minuten ab. Bis dahin hat jeder Zeit, sich mit Verpflegungstabletten zu versorgen. Für den Fall, daß man uns die Kabinen auch noch nimmt, sind Lebensmittel wahrscheinlich wichtiger als Waffen.« »Keine Angst, ich werde beides schleppen«, grollte Perkins und verschwand in seiner Kuppel. Vor Ablauf der gesetzten Frist waren alle marschbereit. Die Nährtabletten hatte man über sämtliche Taschen der Kombination verteilt, so daß für alle vier die Verpflegung für mehrere Wochen gesichert war. An eine spätere Zukunft wagte kaum jemand zu denken. Dafür
119
bereitete die Gegenwart schon genug Sorgen. Sie traten an den Rand des Plateaus und musterten die endlose Treppe, die sich in der Ferne zwischen den Hochhäusern verlor. Barnett nahm die ersten Stufen. Die anderen folgten zögernd. Bannister wollte noch einen Blick auf die beiden Flugkabinen werfen, da er sich bereits damit abzufinden bemühte, sie nie mehr wiederzusehen. Doch in diesem Augenblick kam die nächste Überraschung. Der Planet Eta hatte offenbar keinen Sinn für menschliche Sehnsucht und galaktisches Gemüt. Er verlangte immer wieder Konzentration auf die unmittelbare Gegenwart. Jetzt hatte sich die Treppe in Bewegung gesetzt. Nach dem Proka erholte sich zuerst Perkins von dem Schreck. »Hallo, das ist eine Rolltreppe! Eine abwärtsfahrende Rolltreppe. Die Pferde geben sich verdammt Mühe ...« Viel mehr brachte Perkins an Begeisterungsäußerungen nicht zustande, denn das Tempo der Treppe nahm ständig zu. Ein pfeifender Fahrtwind kam auf. Und keiner der drei Menschen brachte es fertig, stehenzubleiben. Sie kauerten sich auf den Boden und warteten schweigend auf das Ende dieser verrückten Treppenfahrt. Das Ende kam irgendwo im Zentrum der Stadt auf einem riesigen Platz. Die Treppe wurde rapide abgebremst. Kurz bevor sie im Boden verschwand, krächzte der Proka etwas von Abspringen. Noch bevor sie ihre neue Umgebung genauer in Augenschein nehmen konnten, erfolgte ein neuer Übergang. Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sich die Verlassenheit ihrer Umgebung in eine wogende Menge vierbeiniger Wesen. Es war, als ob in einem Film eine neue Szene beginnt. Der Cutter hatte zwei Streifen so zurechtgeschnitten, daß der normale Zeitablauf damit völlig ignoriert wurde. Es war, als litte Eta unter Zeitmangel. Der Aufmarsch von zehntausend Pferdeartigen hätte wahrscheinlich Stunden in Anspruch genommen. So – mit diesem kleinen rätselhaften Trick – standen sie plötzlich da und jagten den Fremden Angst ein. Ihre Menge war erdrückend und deprimierend, obgleich sie eine breite Gasse gelassen hatten, in der sich die Menschen und der Proka bewegen konnten. Der erste sachliche Impuls kam von Iks-Wol-Esak. »Wir dürfen jetzt nichts überstürzen. Vor allem laßt die Pistolen aus der Hand.« »Ich werde mich hüten«, sagte Perkins. Hier brauche ich schon vier Tage Dauerfeuer, um die Burschen einzeln abzufertigen ...« »Spürst du Gedanken?« fragte Barnett. »Ja, eure. Das andere ist undefinierbar.« »Aber es ist etwas da?« »Freilich, sie denken auch. Aber es sind Tausende von Gehirnen. Da kann man nichts machen. Wahrscheinlich ist ihre Art des Denkens auch zu ungewohnt für uns.« »Leute, die eine solche Stadt bauen, müssen ein ähnliches Vorstellungsvermögen haben wie wir. Wir können doch nicht ewig hier stehen und uns gegenseitig anglotzen.« »Zunächst brauchen wir Geduld. Ich versuche herauszufinden, ob es hier einen Führer, Minister, Häuptling oder etwas Ähnliches gibt. Wenn ja, dann müßte er sich logischerweise in unserer Nähe befinden.« »Äußerlich sehe ich keinen Unterschied«, sagte Perkins. »Sie sind alle nackt und häßlich.« »Vor allem sind sie stärker. Komm, bleib hier! Laß mich zuerst gehen!« Iks-Wol-Esak rollte sich näher an die Mauer der Leiber heran. Das verursachte die erste Reaktion bei den Etanern. Etwa ein Dutzend der Vierbeiner löste sich aus der Menge und kam dem Proka entgegen. Das alles war mit einem monotonen Geräusch verbunden, von dem man allerdings nicht sagen konnte, ob es sich um Sprache handelte. Das Geräusch lag bedrückend wie das Summen eines riesigen Bienenschwarms über der ganzen Stadt. Es konnte Erregung, Spannung, Neugierde, Begeisterung oder Haß bedeuten. Die vier wußten es nicht. Sie fühlten
120
sich verlassener als in unbelebter Einsamkeit. Und sie hatten die Angst der Einsamen. Barnett hielt das Telepathierelais in Brusthöhe an seinen Körper gepreßt. Es kam jetzt alles darauf an, mit Iks-Wol-Esak klaren Kontakt zu halten. Denn nur der Telepath würde hier in der Lage sein, eine Verständigung mit den Etanern zu erreichen. Aber Barnett wartete lange und vergeblich auf den ersehnten Kontakt. Der Proka war nicht in der Lage, irgend etwas Nützliches oder auch nur Verständliches zu interpretieren. Wenn sich etwas an der Situation änderte, so war es das, daß die Etaner in ihren vorsichtigen und zögernden Bewegungen dennoch immer näher kamen. Daß die Angst stärker wurde und die Einsamkeit blieb. Die Wesen schlossen einen engen Kreis um sie. Sie waren zum Greifen nahe. Und ihre Nachbarschaft weckte das Gefühl des Ekels. Man mochte sie mit terranischen Pferden verglichen haben. Doch aus der Nähe hielten sie diesem Vergleich nicht stand. Sie waren absolut nicht wie Pferde. Denn dann wären sie schön, edel und rassig gewesen. »Mir wird übel«, ächzte Perkins. »Unsinn!« fuhr ihn Barnett an. »Sie stinken nicht. Und ihr Aussehen darf dich nicht stören. Wir haben jetzt tatsächlich andere Sorgen.« Iks-Wol-Esak gab erneut den Fehlschlag seiner Bemühungen bekannt. Telepathisch kam er nicht an die Etaner heran. Er spürte nur einen klaren Impuls bei Perkins, der die Absicht des Schießens ankündigte, sprang auf den Mann zu und riß ihm die Waffe aus der Hand. Diese Episode machte auf die Etaner anscheinend keinen Eindruck. Sie verwirrte nur die Menschen, die durch ihren persönlichen Zwist die vielen Tausend fremden Wesen um sich herum sekundenlang vergaßen. Barnett hatte keine Kenntnis von Perkins' Gedanken und wollte den Proka maßregeln. Doch der kam auch ihm zuvor. »Gib dir keine Mühe, Captain! Perkins wollte schießen, was du natürlich nicht wissen kannst. Aber ich sage dir, wenn du dem noch eine Waffe in die Finger gibst, sind wir verloren. Benehmt euch endlich mal wie erwachsene Galaxier! Mit solchen Affekthandlungen werden wir in dieser Welt ewig scheitern. Und Scheitern kann auch Sterben bedeuten.« »Er ist verrückt, dieser kleine kugelige Besserwisser. Er spielt sich zum Vormund der Menschen auf und hat selbst keine Möglichkeit, irgend etwas Gescheites zu zeigen. Er ist machtlos wie du, Bannister und ich. Er ist machtloser als ich. Denn ich habe noch meine Fäuste ...« Perkins zeigte seine Fäuste. Er hielt sie hoch, damit sie jeder sehen konnte. Diese Fäuste waren sein letzter Stolz. Und er zeigte sie allen, die auf dem riesigen Platz einen Blick davon erhaschen konnten. Er sprang vor und stürzte sich auf die nächsten Etaner. Allerdings erreichte er sie nicht. Vier oder fünf der Wesen retteten sich vor ihm in einen Zeitsprung. Dann war er selbst an der Reihe und verschwand im Nichts. Barnett fehlte die geringste Spur von Feuchtigkeit unter dem Gaumen. Er wollte sprechen – sagen, daß sie jetzt nur noch drei waren, und daß er Besonnenheit von seiner Mannschaft verlange. – Dann kam auch zu ihm der Übergang. * Der Wechsel zerstörte nichts von den Vorgängen im Organismus der Individuen. Barnett behielt den Gedanken unausgesprochen. Er hätte die Sätze geformt, die ihm draußen auf dem großen Platz auf der Zunge gelegen hatten. doch die neue Situation brachte neue Probleme, und hier waren seine Befehle unsinniger als jemals zuvor. Hier mußte er selbst erst tasten, um sich ganz klar einzureden, daß er noch lebte, daß er gesunde Luft atmete und ein Mensch geblieben war. Über ihm wölbte sich eine fensterlose Kuppel. Das Licht war indirekt. Unbekannte Quellen reflektierten es auf den Wänden. Auf dem Boden standen lange Reihen glasähnlicher
121
Schränke. Und neben sich entdeckte er Iks-Wol-Esak und Forry Bannister. Die drei waren allein. Der Arzt kam noch einen Schritt näher zu ihm und suchte seinen Arm. »Perry! Wenn das so weitergeht, werde ich verrückt. Das hält kein Mensch aus. Was mit uns geschieht, ist ein Widerspruch gegen die Natur ...« »Hör auf!« krächzte Iks-Wol-Esak mit Lautunterstützung. »Man kann sich sehr gut an diesen ewigen Szenenwechsel gewöhnen. Am schlimmsten war es beim ersten Mal. Und wenn du da nicht verrückt geworden bist, wirst du es jetzt bestimmt nicht mehr. Es ist doch völlig unlogisch, sich vor dem Tode zu fürchten, der uns offenbar gar nicht zugedacht ist. Bisher haben die Etaner noch keinen von uns getötet ... Sie hätten es aber wahrscheinlich längst getan, wenn es ihre Absicht wäre.« Bannister beruhigte sich etwas. »Ob tot oder lebendig. In diesem Zustand ist das kein großer Unterschied.« Barnett versuchte es mit einer Aufmunterung, die er zum Teil an sich selbst richtete. »Tote haben keine Hoffnung mehr. Das unterscheidet uns von ihnen ...« Der Proka kam ebenfalls näher. »Ihr solltet endlich damit aufhören, die Vorgänge auf diesem Planeten als widernatürlich anzusehen. Nur solange ihr das Paradoxe darin verwirklicht findet, besteht die Gefahr, daß ihr den Verstand verliert.« »Was ich als Paradoxon erkenne, kann ich nicht als sinnvoll ansehen«, verteidigte sich Bannister. »Realitäten sind aber nicht paradox. Was hier geschieht, muß also für diese Welt sinnvoll sein und dem Naturgesetz entsprechen.« »Demnach vertrittst du die These, daß Gesetze an verschiedenen Orten nicht dieselbe Gültigkeit haben.« »Absolut nicht! Ich bin aber bescheiden genug, um einzusehen, daß unsere galaktischen Erkenntnisse vielleicht nur ein Randgebiet der totalen Weltweisheit berühren ...« »Er will uns trösten. Wir brauchen Trost. Also nehmen wir ihn an«, sagte Barnett und suchte nach einer Nährtablette. »Wir sollten das Essen nicht vergessen. Vielleicht sind wir nur so empfindlich, weil uns die notwendigen Kalorien fehlen.« Sie schluckten die Tabletten. Auch Iks-Wol-Esak erhielt eine. Er schnappte sie Barnett mit dem mittleren Tentakel aus der Hand und ließ sie blitzschnell in seinem Körper verschwinden, ohne daß die beiden Menschen den Vorgang genau verfolgen konnten. Sie wußten bis heute nicht, wie ein Proka eigentlich ißt. Aber da diese Frage durchaus nicht zu den brennenden Problemen zählte, vergaßen sie die Menschen sofort wieder. Der Captain tat einige Schritte den Gang zwischen den langen Kastenreihen hinunter und sah nach rechts und links. »Es ist besser, wir bleiben zusammen. Kommt mit! Vielleicht finden wir einige Etaner.« »Sobald wir sie finden, gehen sie uns aus dem Wege oder lassen uns wieder in eine andere Zeit springen«, sagte Bannister etwas hoffnungslos. »Ich möchte nach den bisher gemachten Erfahrungen vorschlagen, daß wir weniger den Etanern nachlaufen, als uns um ihre Zivilisation und Technik kümmern. Die Vierbeiner sind wie Schatten, die man nicht zu fassen bekommt ...« »Er hat recht«, erklärte der Proka. »Zum Beispiel diese Glaskästen hier. Ich wette, daß sie nicht aus Glas sind. Aber nennen wir sie einmal so.« »Sie sehen aus wie Särge«, meinte der Arzt. »Nach dem Aussehen können wir hier nicht urteilen. Es können ebensogut Maschinen, Betten oder Wohnungen sein.« »Oder Gefängniszellen ...«
122
»Eure Phantasie ist beneidenswert«, brummte Barnett. »Bevor ihr weiter ratet, solltet ihr mal hineinsehen.« Dieser Vorschlag bedeutete einige Schwierigkeiten. Die Glaskästen standen auf hohen schwarzen Sockeln, so daß ein Mensch nicht hineinsehen konnte. Und bei der verhältnismäßig starken Schwerkraft Etas gelang es ihnen auch nicht, hoch genug zu springen. Für den kleinen Kugelmann, der Barnett kaum bis an die Hüfte reichte, war dieses Problem noch größer. »Wir sollten einander auf die Schultern heben«, schlug Bannister vor. »Auf dein Gewicht verzichte ich«, wehrte der Captain sofort ab. »Bei dieser Gravitation, nein ...« »Ich denke an Iks. Den wirst du wohl schaffen können.« »Hm, was meinst du, Iks? Ich glaube nicht, daß unsere gemeinsame Höhe reichen wird. Aber du hast ja ein absolutes Augenmaß.« »Der Glasrand liegt immer noch zu hoch. Auch wenn ich auf deinen Schultern stehe.« »Na siehst du ...« »Trotzdem! Wir sollten es versuchen. Meine Arme sind lang genug, um die obere Kante der Kästen zu erreichen. Wenn ich mich dann ein Stück hochziehe, muß es klappen.« »Wenn du meinst. Also los.« Perry Barnett ging in die Hocke. Iks-Wol-Esak kroch an ihm hoch und setzte sich auf seinen Kopf. Dann drückte der Mensch seine Knie durch. Die körperliche Anstrengung entrang ihm ein Stöhnen. Doch das Stöhnen half anscheinend. Breitbeinig, die Hände stützend ins Genick haltend, stand er an der schwarzen Wand des Kastens. Und plötzlich verschwand das drückende Gewicht auf seinem Kopf. Der Proka hatte die obere Kante erfaßt und zog sich ruckartig höher. Bannister stand ein paar Schritte abseits, um die seltsame Pyramide der beiden besser beobachten zu können. Zunächst empfand er nichts als Bewunderung für die artistische Beweglichkeit des kleinen Kugelmannes. Die drei Tentakel hatte er noch nie in völlig ausgestrecktem Zustand gesehen. Jetzt wunderte er sich, wie lang sie tatsächlich waren. Doch dann sah er mit seinem kritischen Blick ein Zittern in den Tentakeln. Dieser Blick, der ihm bei den Menschen auf Terra den Ruf eines guten Diagnostikers eingetragen hatte, konnte ihn auch hier nicht täuschen. Er hatte während der letzten Tage die beiden Prokas immer wieder heimlich studiert und etwas von ihrer Mentalität zu erfassen versucht. Wenn er sie mit seiner eigenen Art und den vierbeinigen Etanern verglich, dann durfte er sagen, daß die Prokas trotz ihrer anderen Gestalt menschenähnlich waren. Iks-Wol-Esak zitterte. Es mußte die Reaktion auf einen Schreck sein. Der unkriegerische Arzt griff instinktiv nach seiner Waffe, ohne sich darüber klar zu sein, daß er kaum etwas damit anfangen konnte. Denn über den Umgang mit einem Blaster hatte er sich lediglich einmal an Hand einer Gebrauchsanweisung orientiert. Allerdings war er sich noch weniger darüber klar, welcher Anblick sich dem Proka bieten mochte, der ihn so sehr erschrecken ließ. Das Zittern in den Tentakeln dauerte mehrere Sekunden. Dann ließ Iks-Wol-Esak sich zu Boden fallen. Trotz der Höhe und der übermäßigen Gravitation landete er wie eine Katze. Sein Körper war wieder vollkommen ruhig. Nur in seinen Gedanken fand Barnett Erregung und wenig Klarheit. »Wenn es gefährlich ist, müssen wir fliehen«, sagte Bannister. »Aber du denkst offenbar nicht an Flucht.« »Nein, ich denke nicht daran«, gab Iks immer noch erregt zur Antwort. »Flucht hat keinen Sinn. Auch dein Schießeisen nicht, Forry. Abgesehen davon, daß du kaum weißt, wo der Feuerknopf sitzt.« »Sage endlich, was du gesehen hast«, forderte der Captain ungeduldig. »Ich habe festgestellt, daß diese Kästen Särge sind.«
123
»Na und? Sind sie leer oder liegen Tote drin?« »Es liegen Tote drin. Wir sind auf einem Friedhof der Etaner.« »Hm, ein Friedhof ist zwar kein Tingeltangel. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, daß dich der Anblick einer Leiche so aus der Fassung bringt. Vor allem einer etanischen Leiche ...« »Es war keine etanische ...« Die Menschen starrten ihn an. Sie wußten sofort, daß sie keinen Grund hatten, Iks-WolEsaks ungewohnte Angst als eine Bagatelle anzusehen. Sie wußten, daß auch zu ihnen wieder das Grauen zurückkehrte, das seit dem Verlassen der Galaxis ihr ständiger Begleiter war. – Es war keine etanische Leiche ... Weder Barnett noch Bannister wagten diesen Gedanken zu vollenden. Bis der Proka nach einer Pause in grausamer Klarheit fortfuhr. »... der Tote in diesem Sarg ist ein Mensch.« Immer noch wollte Bannister sich an eine Hoffnung klammern. »Menschen gibt es viele. Vielleicht war er nicht von der CORA.« »Es ist Lisman. Welcher andere Mensch sollte jemals diese Seite des Universums erreichen? Wenn es tote Menschen auf Eta gibt, so stammen sie nur von der CORA. Genau wie wir. Und wenn ich sage, es ist Lisman, dann ist er es.« In diesem Satz lagen Aggressivität und Sachlichkeit. Aber kein Bedauern. Iks-Wol-Esak flüchtete in seine beneidenswerte Objektivität, die ihn gegen eine gefährliche Gemütsschwäche schützte. »Es hat keinen Sinn, daß wir uns etwas vormachen. Wir können auf diesem Planeten nur bestehen, wenn wir unberechtigte Hoffnungen sofort aufgeben. Sentimentalität ist lebensgefährlicher Ballast.« »Du selbst hast die Theorie aufgestellt, daß die anderen lediglich in eine andere Zeit geholt wurden. Das hat nichts mit Sterben zu tun.« »Es gut mir leid, wenn ihr den Wert meiner Theorie überschätzt habt. In diesem völlig fremden Milieu läßt sich aber höchstens mit Wahrscheinlichkeiten rechnen. Endgültige Behauptungen haben nur Bedeutung, wenn man sie auch beweisen kann.« »Es ist gut«, sagte Barnett erregt. »Lassen wir jetzt einmal deine Theorien aus dem Spiel! Besser wäre, wir würden uns langsam über die völlige Hoffnungslosigkeit unserer Lage klar. Dann wird uns das Sterben vielleicht eine Erlösung sein.« »Willst du denn sterben?« »Wenn ich es muß, dann will ich es.« »Das könnte ein Proka gesagt haben. Einer wie Nam-Legak. Diese Gefühlsverwandtschaft ist ein Phänomen.« »Hör auf mit deiner leidenschaftslosen Philosophie!« brüllte Barnett plötzlich, daß es in der hohen Kuppel mehrmals widerhallte. »Denke jetzt endlich einmal an die Probleme des Augenblicks!« »Ich tue es die ganze Zeit. Was du bei mir Philosophie nennst, ist nichts anderes als der Versuch, dich zu einer optimistischeren Auffassung zu bekehren. Aus der Tatsache, daß Lisman tot ist, schließt du nämlich voreilig, daß die Etaner ihn umgebracht haben.« »Hast du eine andere Deutung?« »Nun, jeder Proka und jeder Mensch muß einmal sterben. Der Tod ist schließlich auch eine natürliche Folge.« »Im Falle der Krankheit oder des Alters. Lisman aber war gesund und fünfunddreißig Jahre als.« »Der Tote dort oben sieht wie ein Hundertjähriger aus ...« Wieder fanden Barnett und Bannister sofort keine Antwort. Mit jedem Erlebnis wurde die Lage verwirrter, unsinniger und paradoxer. Der Captain entschied schließlich, daß er selbst hinaufsteigen wolle. Der Versuch mißlang jedoch. Bannister konnte ihn nicht lange genug
124
halten. Und Iks-Wol-Esak sagte sofort, daß an ihrer gemeinsamen Körperhöhe immer noch zwölf Zentimeter fehlten. Darum gab Barnett es schließlich auf. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Worten des Proka Glauben zu schenken. Unverständlich war ihm die Sache trotzdem. »Ein Mensch in dieser Gegenwart kann doch unmöglich ein Greis sein, wenn er ursprünglich mit mir gleichaltrig war. Schließlich hat man bei der galaktischen Raumfahrt bereits Erkenntnisse über die Zeitdilatation gewonnen, die man hier nicht so ohne weiteres über den Haufen werfen kann. Selbst wenn ich aufgrund unserer Erlebnisse auf diesem Planeten voraussetze, daß ein Zeitsprung tatsächlich ohne Bewegung in räumlichen Dimensionen möglich ist, dann müßte Lisman, wenn er häufiger als wir einen solchen Sprung gemacht hätte, nicht älter, sondern jünger als wir sein. Denn er wäre es, der die Zeit in ihrem normalen Ablauf überrundet hätte. Warum sind also wir nicht die Greise? Warum ist er nicht der Jüngling?« »Weil du falsch urteilst.« »So, tue ich das?« »Die Tatsachen beweisen es. Ohne Erklärung tun sie das.« »Okay. Aber ohne Erklärung ist das eine sehr unbefriedigende Sache. Also frage ich: Warum?« »Die Angelegenheit ist wahrscheinlich völlig einleuchtend, sobald sie uns jemand erklärt, der darüber Bescheid weiß.« »Hm, und was vermutest du selbst?« »Ich denke, mit Vermutungen kannst du nichts anfangen.« »Spiele jetzt nicht den Beleidigten! Nach meiner Meinung kann es nur so zusammenhängen, daß Lisman seit seinem Verschwinden keinen Sprung mehr gemacht hat. Wir aber haben zwei gemacht, den ersten auf dem Plateau, als es plötzlich hell wurde, und den zweiten auf dem großen Platz.« »Du sagst, was ich denke. Wenn die Anzahl unserer Sprünge nämlich größer ist als die von Lisman, dann müssen wir die Junggebliebenen sein. Allerdings gibt es noch eine zweite Möglichkeit ...« »Und die wäre?« »Denke an die contra-temporisierten Mesonen!« »Sobald ich daran denke, muß ich an die Gesetzlosigkeit glauben.« »An die scheinbare Gesetzlosigkeit. Eine konkrete gibt es nämlich nicht.« »Well, dann hätten unsere ganzen Überlegungen keinen Sinn mehr. Denn wenn du einen zeitlosen Faktor akzeptierst, dann könnte man in der Zeit hin und zurück springen. Dann könnte man an jedem beliebigen Punkt anknüpfen, und es wäre völlig gleich, ob Lisman ein Greis oder Jüngling ist.« »Es ist auch gleichgültig. Wesentlich gleichgültiger als die Tatsache, daß er starb. Lisman ist tot. Und die anderen?« »Es hat keinen Sinn, danach zu fragen«, behauptete Bannister. »Wo du Lismans Leichte gesehen hast, sind wir natürlich gern bereit anzunehmen, daß auch die übrige Besatzung nicht mehr lebt.« »Gern?« fragte Barnett. »Gern hätte ich es, daß ich nie geboren wäre. Eine andere Chance gibt es wahrscheinlich nicht, sich vor dem Irrsinn zu retten.« »Hilf mir«, bat Iks-Wol-Esak. »Ich will mir die anderen Särge ansehen. Rätselraten führt zu nichts.« »Gut«, nickte Barnett apathisch. »Wenn du Cora findest, versuche es mir schonend beizubringen ...« Der Proka fand sie. Nicht sofort, in den nächsten beiden Särgen lagen Etaner, deren Schicksal für die Galaxier
125
uninteressant war. Dann fanden sie Praxlomza. Auch er war wesentlich älter, als man ihn in Erinnerung hatte. Doch nach weiteren vier Särgen mit Etanern erklärte Iks, daß er Cora entdeckt habe. Barnett fragte nicht, wie sie aussah. Er konnte sich Cora nur als junges, frisches Mädchen vorstellen. Und er wollte sie sich nicht anders vorstellen. Was Iks-Wol-Esak sich an schonungsvollen Erklärungen zurechtgelegt hatte, interessierte ihn nicht. Er bildete sich nur ein, daß er selbst schon halb tot war. Ohne Cora wollte er nicht mehr leben. Ohne Cora ... Weil er nur noch Verwirrung in sich spürte, handelte er ein zweites Mal so, wie er es als der Kommandant einer Raumschiffbesatzung nicht durfte. Er rannte den langen Ganz zwischen den Särgen hinunter und verschwand schließlich um eine Ecke. »Wir müssen ihm nach!« keuchte Bannister. Iks-Wol-Esak war schon unterwegs, bevor dieser Satz zu Ende gesprochen war. * Hinter der Ecke lag ein Tor, durch das helles Tageslicht in den Kuppelbau fiel. Sie sahen weder Barnett noch ein anderes lebendes Wesen. Draußen lag der Platz, den sie aus der vorletzten Zeitperiode kannten. Es mußte der Platz sein, denn er unterschied sich vom Bild aus der Erinnerung nur dadurch, daß dieser Kuppelbau darauf stand. Der Mensch und der Proka traten ins Freie. Dort fanden sie Barnett. Und sie fanden noch mehr. Einen Gegenstand, vor dem der Captain erstarrt stehengeblieben war und sogar seinen Schmerz um Cora vergessen haben mußte. Der Gegenstand war irdischen Ursprungs. Er erinnerte an die erste Landung auf Eta. An die grünen Wiesen, an die grünen Wälder und an Praxlomzas Verschwinden. Es war die Erkennungsboje, die sie damals auf der Wiese zurückgelassen hatten. »Wie kommt sie hierher?« fragte Bannister leise, als ob er fürchtete, jemanden bei der Andacht zu stören. »Fragst du immer noch?« wandte Barnett sich nach ihm um. »Sie ist eben da, die Boje. Das ist doch ganz selbstverständlich. Ich hätte mich gewundert, wenn sie hier nicht stünde ...« Bannister ging einen Schritt zurück. Der Captain blickte ihn wie ein Irrer an. Er phantasierte. Und er lachte schallend über den weiten, leeren Platz. »Forry, du bist nichts als ein einfältiger Psychologe, der außerhalb der menschlichen Gesellschaft völlig auf Glatteis segelt. Und Iks verbirgt sein Unwissen und seine fortwährende Verblüffung hinter gescheit anmutenden Spekulationen. Es ist nur gut, daß ich der Captain bin. Denn wer hier richtig handeln will, der muß zunächst einmal die Logik in sämtlichen Ereignissen erkennen. Sonst wird man verrückt.« »Demnach hast du dich also inzwischen dazu durchgerungen, nichts mehr von den etanischen Tatsachen zu bezweifeln. Mit mir mußt du allerdings etwas mehr Geduld haben. Ich sehe nicht ein, wieso wir ausgerechnet hier und heute auf die Boje stoßen müssen.« »Sie steht hier, weil wir sie hier abwarfen.« Bannister machte gute Miene zum bösen Spiel. Er war bereit, die verrückteste Behauptung ohne Widerspruch hinzunehmen, nur, um Perry Barnett nicht zu reizen. Um so erstaunter war er, daß Iks-Wol-Esak diese Annahme in völligem Ernst unterstützte. Deutlich erklärte der Proka: »Die grüne Welt ist lange Vergangenheit für uns, obgleich wir sie erst vor zwei Tagen verließen. Das Plateau und die Stadt liegen an derselben Stelle. Die Boje steht wahrscheinlich hier, weil man sie durch die Jahrhunderte oder Jahrtausende als Denkmal betrachtet hat. Seht sie euch doch genauer an! Das Material ist vollkommen verwittert. Die rote Farbe erkennt man nicht einmal mehr mit der Lupe.« »Damned«, machte der Arzt. »Das wäre allerdings der erste Beweis für die
126
Zeitsprungtheorie. Vor zwei Tagen war die Boje noch neu. Vor zwei Tagen unserer subjektiven Zeitrechnung. Und dieses Ding sieht tatsächlich wie ein Museumsstück aus.« Barnett kniete auf den Boden und kratzte an dem Rost. »Es ist unsere Boje. Ich lese noch den eingeprägten Namen SPACE-BOY.« »Ich denke, unser Schiff hieß CORA.« »Bevor Cox, der frühere Kommandant, es kaufte, hieß es SPACE-BOY. Das könnte dir Praxlomza bestätigen, wenn er noch lebte.« »Wieso Prax?« Er flog früher schon einmal als Schiffsjunge auf unserem Kasten ...« Forry Bannister war heilfroh, daß Barnett sich schon wieder so vernünftig an der Diskussion beteiligte. Sein Benehmen vorhin war demnach nur die vorübergehende Folge eines Schocks. »Ja, ja, ich erinnere mich, daß du es einmal erwähntest. Prax kannte das Schiff eher als der verrückte Cox. Schade, daß er tot ist ...« »Nur Cox ist tot. Nicht Praxlomza, wenn du den meinst.« Diese Worte wurden hinter ihrem Rücken gesprochen. Sie kamen aus einem fremden Mund. Und bevor der Satz noch beendet war, hatten die drei Galaxier eine Körperdrehung um 180 Grad vollzogen. Barnett hielt im selben Augenblick eine Waffe in der Hand. Doch er schoß nicht. Denn der Fremde war ein Mensch. Und zwar nicht irgendeiner. »Prax!« schrie der Captain. Und etwas leiser noch einmal: »Prax!« Bannister war wesentlich verwirrter. Sogar der Proka äußerte keinen vernünftigen Gedanken. »Prax! Menschenskind, das ist doch nicht möglich! Aber du bist es. Verdammt, du bist es. Nicht wahr?« Barnett war auf ihn zugegangen und suchte seine Hand, die der andere ihm zögernd gab. »Du bist älter geworden, Junge. Was ist das für ein verrückter Planet. Du bist älter als ich. Aber du lebst. Ich kann es noch immer nicht fassen.« »Mach keine Dummheiten!« kam plötzlich eine Warnung des Prokas durch die Verstärkung des Telepathierelais. »Prax ist tot. Und er hatte eine andere Stimme.« Barnett starrte das Kugelwesen ratlos an, und Bannister flüsterte etwas Unzusammenhängendes. Es war ein Stöhnen dazwischen und der Satz: »... noch nie waren wir alle dem Wahnsinn so nahe wie in diesem Augenblick ...« »Praxlomza!« sagte der Captain nach kurzem Zögern. »Sage, ob du es bist!« »Ich bin es.« »Und ich glaube es nicht. Nein, ich glaube es nicht mehr. Du bist nicht der, den wir auf der Wiese verloren. Du bist kein Mensch.« »Ein Roboter«, behauptete Iks-Wol-Esak. »Und Praxlomza liegt im Sarg in der Halle. Komm mit herein, du Pseudomensch. Du kannst uns beweisen, ob du Praxlomza bist. Aber ich glaube nicht, daß der Sarg plötzlich leer ist.« »Natürlich«, sagte Barnett. »Gehen wir hinein. Die Probe wird nicht lange dauern.« Der zweifelhafte Mensch zeigte plötzlich ein belustigtes Grinsen, das Barnett sofort wieder sicher in seinen Zweifeln machte. Genauso hatte Praxlomza immer seine Gesichter geschnitten, als er noch jung war. Und der Mann schien trotz allem harmlos zu sein. Jedenfalls machte er keine drohende Geste, sondern schloß sich gehorsam den drei Galaxiern an. Allerdings mußte er gewußt haben, was sie drinnen erwartete. Denn die neue Überraschung war wirksamer gegen die drei als irgendeine Drohung. Unter dem Sarg von Praxlomza standen zwei weitere Menschen, die genau wie der Schiffsjunge aussahen. Das war der schlimmste Schock, den Bannister jemals erlitten hatte. Er wußte absolut nicht mehr, was er tat, als er die Pistole hob und in blindem Dauerfeuer drauflos schoß.
127
* Das Amokschießen fand sein Ende durch den Sprung. Als Barnett langsam begriff, war er allein. Er lag waagerecht auf einem Bett oder etwas Ähnlichem. Mit dem Zeitsprung mußte auch eine Ortsveränderung erfolgt sein. Außerdem fand er diesmal einen Unterschied in dem Übergang. Das Unmittelbare fehlte. Es war, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwacht sei. Und diesmal konnten auch dem Gefühl nach Tage oder Wochen zwischen den beiden Existenzebenen gelegen haben. Seine Umgebung lag in einem angenehmen Dämmerlicht. Sie war vertraut. Es herrschte das Fluidum menschlichen Milieus. Nichts erinnerte an etanische Fremdheit. Eher mochte es sich um eine irdische Krankenstube handeln. Für Sekunden wollte er an einen Traum denken. Doch diese Illusion dauerte nicht lange. Seine Umgebung war nach wie vor etanische Wirklichkeit. Denn es kam ein Mann herein, der Praxlomzas Figur besaß, der aber genauso hölzern und wenig überzeugend wirkte wie das Individuum auf dem Platz bei der Boje. Ein Roboter, hämmerte sich Barnett ein. Ich muß mir klarmachen, daß er ein Roboter ist. Sonst werde ich sentimental. Und das habe ich um des echten Praxlomzas willen nicht verdient. Freilich, der Bursche sah aus wie ein Mensch. Das war schon eine ungewöhnliche Tatsache für die etanische Fauna. Schlimmer noch war aber, daß er die terranische Sprache beherrschte. Der andere kam lächelnd näher. Es war ein gefälschtes Lächeln. Ohne Herzlichkeit – aber auch ohne Haß. – Er blieb vor Barnett stehen. »Ich spreche deine Sprache, weil ich Praxlomza bin.« »Hör auf mit diesem Wahnsinn!« Der Mensch wollte sich die Ohren zuhalten, mußte aber plötzlich feststellen, daß er die Arme nicht rühren konnte. Er spürte keine Fesseln, doch seine Glieder waren gelähmt. Diese Wehrlosigkeit ließ ihn wieder in Apathie zurückfallen. Mir ist jetzt alles gleich, dachte er. Ich sollte endlich einsehen, daß es vor diesem Schicksal kein Entrinnen gibt. Je eher ich Schluß mache, um so geringer sind die Qualen. Und für Qualen allein lohnt sich das Leben nicht eine Sekunde lang. »Du solltest nicht so intensiv an das Sterben denken. Der Tod bringt keine Erlösung«, behauptete der Fremde. »Bist du ein Telepath?« fragte Barnett und wußte selbst nicht, ob er es aus Neugierde tat. »Ich bin einer.« »Damit gibst du zu, daß der richtige Praxlomza ein anderer ist. Menschen sind keine Telepathen.« »Die Menschen auf Eta sind es. Sie sind auch alle Praxlomza.« Wider seinen Willen wurde erneut die Sucht nach Wissen in ihm wach. Noch immer hatte die Gleichgültigkeit nicht gesiegt. »Dann sage mir, wie viele Praxlomzas es gibt. Drei von eurer Sorte habe ich nun schon beieinander gesehen.« »Es gibt vierzehn. Sie alle wurden dem Vorbild nachgebaut.« »Aha, und aus lauter Dankbarkeit habt ihr meinen Freund dann umgebracht.« »Nicht dann. Er mußte bereits während unserer Konstruktion sterben. Am toten Körper lassen sich gewisse Dinge bequemer sezieren.« »Soso, gewisse Dinge. Von der Unwürdigkeit des Tötens scheint man auf Eta keine Vorstellung zu haben.« »Du legst den Maßstab eines Galaxiers an. Das Sterben ist für die Etaner dagegen nicht aufregender, als wenn ihr euch schlafen legt.« »Der Allgeist schütze mich vor eurem Gemüt!« knurrte Barnett wütend.
128
»Es ist nicht unser Gemüt. Wir sind künstliche Wesen. Die Herrscher dieser Welt sind die Etaner, die ihr Vierbeiner nennt. Sie haben uns gebaut, damit sie besseren Kontakt mit euch erreichen können.« Perry Barnett empfand ein Stechen im Gehirn. Hier war endlich die Patentlösung gegeben, nach der sie immer gesucht hatten. Hier hockte ein Ding, das die Geheimnisse kannte und terranisch sprechen konnte. Und ausgerechnet in diesem Augenblick wollte er resignieren? Nein, er wollte es nicht. Er spürte plötzlich den Willen zum Leben, den Willen nach der Entdeckung aller Rätsel. Und wenn sie ihn töten wollten wie Prax, Lisman, Cora und wahrscheinlich auch die anderen, dann würde er sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Auch in halbgelähmtem Zustand auf dieser Bahre. Vielleicht rührte die Lähmung von einer Injektion her. Vielleicht würde sie langsam nachlassen. Wenn dieser Roboter der Chirurg war, dann mußte Barnett versuchen, Zeit zu gewinnen. Dann mußte er reden, solange er Kraft in der Zunge spürte. »Es klingt sehr verheißungsvoll, wenn du sagst, die Etaner hätten sich für einen Kontakt mit uns interessiert. Warum taten sie das?« »Die Neugierde ist ein Merkmal der meisten Lebewesen. Sei ist eine Parallele zum Selbsterhaltungstrieb. Ohne diese beiden Eigenschaften ist ein Fortschritt unmöglich.« »Du siehst nicht nur aus wie ein Mensch. Du redest auch wie ein Mensch.« »Das war der Sinn der Sache, als die Etaner uns schufen. Alle Versuche, einen direkten Kontakt zwischen euch und den Etanern herzustellen, scheiterten. Man hat auf Eta noch nie mit einem so ungünstigen Wahrscheinlichkeitsverhältnis zu tun gehabt wie in diesem Falle. Deshalb kam der Umweg über die künstlichen Menschen. Über mich zum Beispiel.« »Was hat das alles mit der Wahrscheinlichkeit zu tun?« fragte Barnett, der schon wieder befürchtete, daß ihm auch jetzt das Begreifen schwerfallen würde. »Ich will es dir erklären. Aber du mußt bereit sein, völlig umzudenken. Nicht wissenschaftlich. Aber soweit es eure eigenen Sinne betrifft, die euch von Natur aus angeboren sind. Als die Etaner Praxlomza sezierten, machten sie die merkwürdige Feststellung, daß ihr vierdimensional seid.« »Hm, was ist daran merkwürdig? Sind es die Etaner nicht?« »Sie sind es manchmal. Aber nicht immer. Der Dimensionswechsel ist eine ihnen angeborene Eigenschaft. Für ihre Zeitsprünge genügt oft nur ein Schreck. Das ist ein Reflex bei ihnen.« »Unmöglich ...« »Ich sagte, du mußte bereit sein, umzudenken. Sonst verstehst du es nicht.« »Das klingt alles wie hypothetischer Spaß. Aber ich kann doch nicht den Fall setzen, daß die Natur so etwas in die Tat umgesetzt hat?« »Was hindert dich daran?« Barnett zögerte. »Ja eben, was hindert mich daran? Erzähl weiter! Ich will mir Mühe geben.« »Okay, die Etaner können also zeitspringen. Als wir Lisman sezierten, fanden wir übrigens, daß ihr diese Entdeckung selbst schon gemacht habt ...« Perry Barnett hatte Mühe, sich von der Vorstellung loszureißen, daß sein Freund irgendwo als zerschnittener Körper lag, in dem das Skalpell sein Unwesen getrieben hatte. Er wollte nicht an das Schicksal der anderen denken, das auch sein Schicksal werden konnte. Er wollte nur Zeit gewinnen. Selbst wenn sie auf diesem Planeten offenbar einen kaum wägbaren Wert besaß. »Allerdings. Iks-Wol-Esak hatte eine solche Theorie aufgestellt. Ich setzte jedoch immer noch ein gewisses Training voraus. Aber Zeitspringen als Reflexbewegung ...« »Es ist so. Als Reflex und natürlich auch infolge des willens, des Instinktes und der Neugierde. Gegenüber einer absolut vierdimensionalen Existenz ist das ein großer Vorteil.
129
Doch die stets ausgleichende Gerechtigkeit hat auch für ein Handikap gesorgt.« »Immerhin besitzen die Etaner Augen«, sagte Barnett im Rahmen seiner Verzögerungstaktik. »Nicht das Sehen ist ihr Nachteil, sondern der Mangel an Verstand.« »Beim Allgeist! Ist das wahr? Unser Proka behauptete steif und fest, die Vierbeiner wären eine ausgesprochen dumme Rasse.« »Euer Proka ist ein kluges Wesen. Seine Kombinationen lagen oft auf Anhieb richtig. Nur ist das Gebiet, das er zu erforschen hoffte, zu groß, um von einem Individuum restlos erkannt zu werden.« Barnett zuckte mit dem Kinn, um seiner Ungeduld Ausdruck zu geben. Es war gut, daß die Lähmung wenigstens seinen Kopf und das Herz nicht behinderte. »Soweit ich das bis jetzt begreife, sehe ich nichts als ein Paradoxon. Der intelligente Proka ist trotz seines überlegenen Geistes nicht in der Lage, das Problem zu lösen. Aber die dummen Etaner können es. Sie können sogar dich als den vollendeten Dolmetscher bauen.« »Weil sie über weit mehr Dimensionen verfügen als ihr.« »Sei bitte so freundlich und erkläre mir das.« »Well, denke einmal an das menschliche Sprichwort: Probieren geht über Studieren!« »Sobald ich daran denke, kann ich nur sagen, daß ihr Praxlomzas Gehirn restlos auseinandergenommen haben müßt. Ihr kennt also schon unsere Sprichwörter.« »Das kann nur gut für unsere Unterhaltung sein. Also, paß auf! Um die Etaner in ihrem Wesen zu verstehen, mußt du bedenken, daß jede Art, jede Rasse, das Produkt einer Auslese ist. Auf Eta hat sich schon in den Uranfängen die Mutation der Zeitspringer behauptet. Alles andere war ihnen unterlegen. Die vierbeinigen Zeitspringer behielten die Herrschaft und waren ohne Konkurrenz. Ihre körperliche Entwicklung wurde dadurch vernachlässigt. Sie brauchten auch keinen allzu anspruchsvollen Intellekt, denn fast alles, was ihnen der Zufall bescherte, führte zu demselben Ergebnis wie bei euch das verstandesmäßige Handeln und Forschen.« »Der Zufall hat also diese Zivilisation geschaffen?« »Nicht einer. Unendlich viele Zufälle waren es.« Barnett hatte das Gefühl, langsam einige Zusammenhänge zu ahnen. Doch er hielt es für richtiger, alles genau zu erfahren. Schon wegen der Zeit, die er gewinnen mußte. »Wenn ich richtig verstanden habe, hängt also alles mit dem Zeitspringen zusammen.« »Allerdings! Für dich wird es wieder paradox klingen, doch es ist, wie ich es dir sage. Ein Etaner lebt annähernd ewig.« »Ach nein!« Diese Behauptung klang so sonderbar, daß Barnett sogar ironisch wurde. Der künstliche Mensch achtete jedoch gar nicht auf seinen Einwand. »Annähernd ewig, heißt nicht ewig. Aber im Verhältnis zu deiner Lebensspanne ist dieser Ausdruck gerechtfertigt. Rechne ein gutes Menschenalter pro Dimension. Und Dimensionen gibt es eine Menge.« »Das fürchte ich auch langsam.« »Ich habe erwartet, daß du mich nicht sofort begreifen wirst. Ich verstehe deshalb deinen Wunsch, die Sache ins Lächerliche zu ziehen.« »Ich finde sie durchaus nicht lächerlich. Laß mich folgern und sage mir, ob es richtig ist.« »Bitte.« »Das annähernd ewige Leben der Etaner beruht auf ihren vielen Dimensionen, in die sie ausweichen können. Ihren Fortschritt überlassen sie dem Zufall, indem sie einen blinden Versuch nach dem anderen machen, bis etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Dieses Ergebnis halten sie dann fest und bauen darauf weiter auf. Die Etaner sind zufallsewig.« Der Roboter nickte. »Genauso ist es. Ich bin froh, daß du alles so schnell begriffen hast. Wir können daher bald
130
die Operation vornehmen.« Barnett erschrak bis in die letzte Faser seines Nervensystems. Wie konnte er diesen unverzeihlichen Fehler begehen und selbst den Schlußpunkt unter die Diskussion setzen? »Einen Augenblick, Roboter! Du hast mir nicht alles gesagt.« »Alles wird auch nicht möglich sein.« »Trotzdem, deine Unterrichtung ist unvollständig. Der etanische Fortschritt läßt sich mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung erklären. Auf diese Weise scheint mir jedoch selbst die Ewigkeit noch zu wenig Spielraum zu geben. Bedenke, wie ungünstig die Chancen liegen, um den Gewißheitswert 1 zu erreichen.« »Nichts ist so kompliziert, als das eine unendliche Kette von Faktoren nötig wäre. Die Multiplikation der Wahrscheinlichkeiten spielt sich in einem begrenzten Bereich ab. Und wenn er noch so groß ist.« »Trotzdem wirft eine Überlegung dein ganzes Gedankengebäude um.« »Ich bin gespannt, welche Überlegung du meinst.« »Well, durch den Zeitsprung vorwärts verliert das forschende Individuum den Kontakt zu der Grundzeit, in der er ein bestimmtes Ding konstruiert oder baut. Selbst wenn es später Maschinen für den Zeitwechsel gegeben hat, so war der primitive Anfang doch an den nackten und besitzlosen Etaner gebunden. Was habe ich vom Zeitsprung, wenn ich nicht mehr zurück kann?« »Man kann zurück. Es ist ein typisch galaktischer Fehlschluß, wenn ihr glaubt, die Etaner springen nur vorwärts. An der Zeitkonstanten ist eine Bewegung in beiden Richtungen möglich.« Barnett zitterte vor Erregung. Plötzlich war soviel verzweifelte Hoffnung in ihm, daß er daran zu ersticken glaubte. »Wenn das wahr ist, dann wäre es auch möglich, daß unser Raumschiff in die Galaxis zurückkehren könnte.« »Nicht nur das. Die Etaner sind sogar in der Lage, euch in das richtige Zeitalter zu schicken. Mir ist aber nichts über solche Pläne bekannt.« »So, dir ist nichts darüber bekannt. Ihr scheint hier eine ähnliche Bürokratie zu haben, wie sie bei uns zu Hause herrscht. Darf ich vielleicht wissen, welches Ressort du bearbeitest?« »Ich wurde konstruiert, um mit euch besseren Kontakt herzustellen.« »Nun, das ist den Vierbeinern schließlich glänzend gelungen. Warum denken wir jetzt nicht weiter?« »Wir sind im Begriff es zu tun. Die Erforschung der menschlichen Wesensart und eures biologischen Aufbaus ist noch nicht abgeschlossen. Diese Unterhaltung war zweifellos auch für mich interessant. Doch jetzt muß ich mich um deinen Körper kümmern.« Barnett wußte plötzlich, daß jede Hoffnung eine lächerliche Illusion war. »Du willst mich töten, Robot ...« »Es ist meine Aufgabe.« Diese Worte klangen so sachlich, daß der Mensch jeden Zweifel an der Roboteigenschaft des anderen verlor. Trotzdem bäumte sich ein letzter Lebenswille in ihm auf, und trotzdem appellierte er in seiner Not an die nicht vorhandene Einsicht der Maschine. »Ich will nicht sterben. Zum Teufel, wenn ich mich rühren könnte!« »Du wartest vergeblich auf das Nachlassen der Lähmung. Ich bin Telepath und weiß, daß du einzig und allein darauf hoffst, die Glieder bewegen zu können. Solange wir miteinander sprachen, war das deine Hoffnung. Ich verstehe dich nicht.« »Du verstehst nicht, daß ein Mensch leben will? Bei Gott, das ist eine Zumutung. Haben nicht auch die Etaner einen Selbsterhaltungstrieb?« »Gewiß. Aber sie fürchten sich nicht vor dem Tode, wenn er sie am Ende der Ewigkeit erreicht. Es ist ein Glück, am Ende der Ewigkeit sterben zu dürfen. Bedenke, daß du bereits
131
seit Zeitaltern tot wärest, wenn dich das Schicksal nicht in diese Welt verschlagen hätte.« »Dein Trost ist lächerlich, Robot. Für mich ist Gegenwart. Ich lebe jetzt. Und ich bin noch jung.« »Was du da behauptest, ist völlig relativ. Andererseits bist du nämlich sehr alt. Älter als die ganze Galaxis, die du deine Heimat nennst.« »Älter?« Der Robot mit der Gestalt Praxlomzas nickte wie ein Mensch. Er sah nicht mehr aus wie eine Maschine. »Freilich. Eure Milchstraße existiert nicht mehr. Sie ist längst den Weg allen Werdens und Vergehens gegangen. Sie war sehr alt, als ihre Materie in die Urform zurückfand. Sie hat neuen, jüngeren Welten Platz gemacht.« Lange herrschte Schweigen zwischen den beiden im Grunde so ungleichen Wesen. Barnett empfand die Lähmung nicht mehr. Es war alles leer in ihm, und er hatte keinen Lebenswillen. Für solche Aspekte war der Mensch nicht geschaffen. »Laß mich sterben, Robot! Ich bin müde, für immer.« Die Maschine hielt eine Injektionsspritze in der Hand. Sekunden später war Captain Perry Barnett tot. Aber er starb in der Zukunft. Der nächste Augenblick verursachte ein Bohren in seinem Gehirn. Es waren Iks-Wol-Esaks Gedanken. Als er die Augen aufschlug, blendete ihn helles Tageslicht. »Gut geschlafen?« Die Frage stellte Lisman. Wenn es nicht Lisman gewesen wäre, hätte Barnett sich sofort wieder hingelegt. So müde war er. Aber mit einem Toten zu reden, diese Chance mußte er nutzen. Er tat es wenig überzeugt, weil er immer noch an einen wirren Traum glaubte. »Du hast nicht geträumt, Perry. Uns hat man hier schon vor einer halben Stunde abgesetzt. Wir warten nur noch auf dich ...« Der Captain sah sich im Kreise um. »Cora!« Er schrie ihren Namen heraus und riß sie in seine Arme. Die anderen grinsten zurückhaltend. Sie mußten fair sein. Denn schließlich hatten sie bereits Zeit genug gehabt, sich an die neue Situation zu gewöhnen. »Ich bin gespannt, wie lange die noch ihr Tête-à-Tête feiern.« Sogar Lavistas krächzende Stimme war wieder da. Das veranlaßte die beiden, sich auch für die anderen zu interessieren. Die Prokas hockten in dem kurzen Gras und wedelten freudig mit ihren Tentakeln. Und da waren Perkins, Bannister und Praxlomza. Es fehlte keiner mehr. »Doch, Praxlomza fehlt noch«, verbesserte Iks-Wol-Esak Barnetts Überlegung. »Der da ist ein Roboter.« »Roboter wollen töten.« »Der nicht. Man hat uns einmal getötet. Das genügt für die etanische Forschung.« »Stimmt das?« Noch immer lag Mißtrauen in Barnetts Haltung. »Wir sind jetzt sechs Millionen Terrajahre von der Zeit eures Todes entfernt«, versicherte der Roboter. »Dein Tod in einer solch fernen Zukunft ist für den Augenblick bedeutungslos.« »Aber ich weiß doch, daß ich gestorben bin. Für mein Gefühl ist das Vergangenheit.« »Gefühle haben im Naturgesetz keine Existenzberechtigung.« »Nun gut, dann ist es mein Verstand, meine Logik. Wenn ich weiß, was ich in der Zukunft erlebte, dann hat dieses Erlebnis eine konkrete Bindung mit meinem Gehirn, also auch mit meinem Körper. Wie kommt es, daß der Körper und seine Erinnerung in die Vergangenheit zurückversetzt wurden, ohne daß auch der Tod gleichzeitig eine Wirkung bis in die Gegenwart ausübt?« »Das liegt an der Relativität. Wesen, die wie die Etaner nach Lust und Laune durch die Zeit springen, müßten nach eurer Auffassung einem Paradoxon nach dem anderen ausgeliefert
132
sein. Denn wenn jemand in seine eigene Vergangenheit zurückkehrt, dann würde er dort zweimal existieren. Das geht aber nicht. Nicht einmal auf Eta. Das Naturgesetz hat deshalb die Dimensionsvarianten. Und sie schufen eine entsprechende Technik. Ihr Menschen und Prokas seid jetzt wieder vierdimensional. Zur Zeit eures Todes in sechs Millionen Jahren werdet ihr es nicht sein.« »Das klingt alles sehr phantastisch.« »Weil es ungewohnt für euch ist. Trotzdem ist es richtig. Zwischen den Dimensionen herrscht die Relativität. Darin drückt sich die Wahrscheinlichkeit aus.« »Du gibst also zu, daß Zusammenhänge von Ursache und Wirkung auch zwischen den Dimensionen bestehen?« »Gewiß! Da dein Körper in der Zukunft starb – ich spreche jetzt in der Vergangenheit, weil du Kenntnis von dieser Zukunft hast –, besteht eine gewisse Tendenz, die dir das Erinnerungsvermögen aus der Zukunft gibt. Doch dieser Zeitpunkt deines Todes ist zu weit entfernt, als daß seine Wirkung stark genug wäre. Die Gegenwart verlangt nämlich wegen deiner vierdimensionalen Entwicklung, daß du lebst. Eben weil du in der Vergangenheit noch nicht gestorben bist. Diese beiden Kräfte stehen sich in einem zweiseitigen Verhältnis gegenüber. Wenn du deinen Zustand mathematisch genau definieren willst, dann kannst du es nur mit Annäherungswerten. Die Relation zwischen Logik und Paradoxon fällt zugunsten der Logik aus.« »Hm«, machte Barnett sinnend. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann stimmen unsere Ansichten beide. Dann bin ich halb tot und halb lebendig ...« »Nicht halb und halb. Das Verhältnis 50:50 wäre sehr kritisch für dich. Aber es liegt günstiger. Nämlich bei 1 zu 2 ½ Billionen ...« Nachdem der Captain sich auf diese Weise überzeugt hatte, daß er wirklich lebte, erkundigte er sich nach den weiteren Plänen der Etaner. »... du wirst verstehen, daß wir uns für die Zukunft interessieren.« »Ich verstehe es. Denn jede Intelligenz ist neugierig.« »Es fehlt noch ein Mann«, wandte Lisman ein. »Und zwar ausgerechnet der, der wie dieser Robby aussieht. Wo ihr uns schon so schön wieder zusammengeführt habt, werdet ihr doch sicherlich auch die Güte besitzen, den guten Praxlomza herbeizuschaffen ...« »Es ist die Absicht der Etaner. Darum bitte ich euch, mir jetzt zu folgen.« Der Roboter drehte sich um und ging voraus. Sechs Menschen und zwei Prokas folgten ihm. Sie schritten über eine platte Ebene, die in geringer Entfernung von Mauern umgeben war. Hier und da stand Buschwerk. »Erinnerst du dich?« fragte Iks-Wol-Esak den Captain. Der nickte. »Das Zeitalter kennen wir. Es muß sich um eine der riesigen Parzellen handeln, bei denen wir zum ersten Mal auf Etaner trafen.« Es stimmte. Der Roboter führte sie bis an die nächste Mauer, holte dann einen Gegenstand aus seiner Kombination, den er zu einer größeren Fläche auseinanderfaltete und legte ihn auf den Boden. »Bitte, tretet auf diese Folie!« forderte er die anderen auf. »Wir haben alle Platz.« Sobald man seiner Anordnung gefolgt war, verlor sich die Schwerkraft unter den Füßen. Die Folie transportierte alle bis zum Niveau des oberen Mauerrandes, den sie mühelos betraten. Perkins wollte soeben seiner Bewunderung über diese technische Errungenschaft Ausdruck geben und die terranischen Antigravplatten in diesem Zusammenhang zu vorsintflutlichen Instrumenten degradieren, als ihm bereits das erste Wort im Halse steckenblieb. Von der Straße aus sahen sie den Hügel und das Plateau. Und auf dem Plateau stand senkrecht das Raumschiff CORA. Sie reagierten alle verschieden. Perkins ließ den Mund offenstehen, sowie er zum Sprechen angesetzt hatte. Cora faßte nach Barnetts Arm und hielt ihn lange fest. Lavista stöhnte wie ein
133
Verdurstender, dem man von ferne ein Glas Wasser zeigte. Alle anderen schrien vor Freude. Auch die Prokas, soweit man ihr Zirpen als Geschrei bezeichnen darf. »Beim Allgeist!« rief der Captain. »Ich hätte nicht gedacht, daß der dicke Iks einmal so wenig Wert auf seine Würde legen könnte.« In dem allgemeinen Freudentaumel nahm ihm diese Bosheit keiner übel. Lisman rannte allen voraus an der Spitze, bis er von den später gestarteten Prokas mühelos überholt wurde. Perkins setzte sich als letzter in Trab und rief dem Roboter zu, daß er bei ihm bleiben solle. Er hatte immer noch etwas Angst vor den Vierbeinigen. * Sie waren wieder im Schiff. Barnett saß im ersten Pilotensessel und spielte mit den Instrumenten. Der Roboter stand neben ihm und wartete auf den Start. Alle Kontrollgeräte funktionierten vorschriftsmäßig. »Habt ihr irgend etwas an dem Schiff verändert?« fragte Barnett trotzdem. »Nichts seit der Mesonentransformation«, kam die Antwort. »Ihr gebt also zu, daß unsere Katastrophe in der Galaxis auf etanischen Einfluß zurückzuführen ist?« »Das erkläre ich dir später. Starte jetzt, damit ich dir Eta zeigen kann.« Der Roboter benahm sich wie ein Reiseführer. Und wohl keiner hat jemals in der Weltgeschichte seinen Gästen so viele Sehenswürdigkeiten in einer Stunde zeigen können. Während einer Umrundung des Planeten wechselte viermal das Zeitalter. Sie sahen Eta mit einem Meer von ummauerten Parzellen, in denen die Jugend der Vierbeiner aufwuchs. Sie sahen einen Landstrich, als sich die erste Zivilisation entwickelte. Sie sahen ein Industriezentrum, das nur aus Maschinen bestand, die sich im Laufe von wenigen Minuten aus dem scheinbaren Nichts entwickelten. Sie sahen einen Kontinent, der nur der Erholung und dem Vergnügen diente, und schließlich eine Anhäufung von Hochhäusern, deren Zeitalter sie selbst erlebt hatten. Alles in einer Stunde. Über die Menschen und Prokas kam noch einmal das Wundern. Diesmal war es erhebend, denn sie hatten keine Furcht mehr. Etwa am Ort des Starts setzte die CORA wieder zur Landung an. Derselbe Ort, aber eine andere Zeit. Das Land war grün, wohin man sah. Sie kannten es. So hatte Eta ausgesehen, als sie ihn zum ersten Male betraten. Vor Barnett lag eine endlose Wiese im Bildschirm. Und dann geriet plötzlich ein Gegenstand ins Landevisier, der ihnen allen bekannt vorkam. »Die Boje!« rief Lisman. »Ich werde verrückt, die Boje!« »Nicht nur die Boje«, erklärte der Captain. »Ich sehe etwas Fremdes. Und etwas um so Bekannteres ...« Neben der Boje stand ein Gerät, das einem Würfel ähnelte. Und zwischen dem Würfel und der Boje stand ein winkender Mensch. Praxlomza. »Praxlomza!« schrie Perkins. »Wenn das nicht endlich das Original ist, reiche ich eine Beschwerde ein.« Die CORA setzte mit dem Heck auf weichen Boden. Barnett mußte die Kreisel einschalten, um das Schiff zu stabilisieren. Die dienstfreie Besatzung, nämlich Perkins, Bannister und Co, waren inzwischen an die nächste Schleuse gerannt. Bevor der Captain seinen Freund in die Arme nehmen konnte, war die Begrüßung mit den anderen längst im Gange. Prax, der stiernackige Jüngling mit Fäusten wie ein Hammerwerk und mit einem Herzen wie ein Kind, ließ das Zeremoniell der ausgelassenen Besatzung über sich ergehen. Er lächelte wie ein Mensch, der lange allein war, der durch eine grenzenlose Wüste gewandert ist und am
134
Ende doch wieder das Leben findet. Wenn in seinen Augen trotzdem ein Mißtrauen versteckt war, so galt es seinem Ebenbild. »Du solltest mich nicht für mein Aussehen verurteilen«, sagte der Roboter. »Es war Zufall, daß ausgerechnet du als erster Mensch in die Hände der Etaner fielst. Jetzt sind sie zu bequem, ihr Schema zu ändern. Siebauen alle Roboter nach deinem Vorbild ...« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Robby. Es ist nicht deine Schuld, daß du so aussiehst. Wenn ich es richtig überlege, haben wir Wichtigeres zu bedenken. Als ich nach den verrückten Zeitexperimenten wieder auf dieser Wiese landete, fand ich mich nur schwer zurecht. Die CORA war verschwunden und hatte ihre Boje zurückgelassen. Außerdem stand dieser schwarze Behälter hier. Es war ein bißchen viel, wenn man bedenkt, daß man mir während der letzten Zeitepisode noch suggeriert hatte, ich würde sterben ...« »Du bist gestorben«, sagte der Roboter. »Um Himmels willen!« rief Perkins dazwischen. »Verschont mich mit diesem Relativitätsund Wahrscheinlichkeitskram! Noch einmal kann ich mir eine solche Lektion ohne Gesundheitsschädigung nicht anhören. Also, Prax, hör nicht auf diese Flüsterpropaganda! Ich schlage vor, du glaubst nur, daß du lebst. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist nämlich 2 ½ Billionen Mal größer als die, daß du tot bist.« Praxlomza grinste noch breiter. bestimmt hielt er Perkins' zutreffende Erklärung für einen Witz. Und das war im Augenblick besser so. »Was ist mit diesem – Ding?« fragte Iks-Wol-Esak und tippte aus fünf Metern Entfernung mit einem ausgestreckten Tentakel an die schwarze Wand des geheimnisvollen Gerätes. »Das brauchen wir für den Rückflug«, erklärte der Roboter. Sie hatten über der Freude des Wiedersehens beinahe ihre größte Sehnsucht vergessen. Das Heimweh. Natürlich war es im Unterbewußtsein niemals ganz verdrängt worden. Aber die vielen Enttäuschungen auf Eta hatten die Galaxier mürbe, gleichgültig und pessimistisch gemacht. Man hatte sie mit Zuständen konfrontiert, die sie an ihrem gesunden Menschenverstand hatte zweifeln lassen. Sie waren in ihrer Todesstunde zu Fatalisten geworden, die das Auslöschen als Gnade hinnahmen. Und jetzt sprach der Roboter vom Rückflug. Er konnte nur den Rückflug in die Galaxis meinen. »Die Milchstraße existiert nicht mehr«, sagte Barnett wie zu sich selbst. »Sie hat existiert«, fiel ihm Iks-Wol-Esak ins Wort. »Ich glaube, das genügt.« »Okay, lassen wir uns überraschen. Prax, hast du dich akklimatisiert? Dann hilf uns die Antigravs anlegen. Denn dieser Kasten soll zweifellos ins Schiff verfrachtet werden.« Der Roboter winkte ab. »Seht ihr nur zu, daß ihr an Bord kommt! Das Gerät hat eine eigene Antigrav-Anlage.« Er sprang auf den Kasten, hob einen Deckel an, griff in die entstandene Öffnung und schwebte auf dem Gerät langsam in die Höhe. Sekunden später war er damit in der Schleuse verschwunden. Bannister starrte ihm fasziniert nach. »Los, auf die Platten!« befahl der Captain. »Es wird Zeit, daß wir ihm folgen. Sonst fliegt er noch allein weg.« »Okay«, murmelten einige und setzten sich in Bewegung. Nur der Arzt blieb noch stehen. »Worauf wartest du noch, Forry?« »Die Boje! Wollt ihr die stehenlassen?« Barnett zögerte. »Ja, natürlich. Zum Teufel, laß sie lieber! Ja, laß sie stehen. Es ist besser.« »Aber sie ist nagelneu. So etwas wirft man doch nicht achtlos weg.« »Verdammt, Forry! Sei nicht so widerspenstig! Wir dürfen sie nicht mitnehmen.« »Weshalb nicht?« »Weil sie noch in der Zukunft gebraucht wird. Denke an den Tag in der Kuppel zwischen den Särgen. Als wir auf den Platz traten, stand diese Boje dort. Erinnerst du dich, wie sie aussah?«
135
Bannister nickte. »Alt, grau und verwittert.« »Aber man konnte nicht sehen, in welcher Dimension sie existierte. Nein, bringe mir die Weltgeschichte nicht durcheinander! Komm mit und laß das Ding stehen!« Sie fuhren hinauf. Sobald sie die Schleuse betraten, schloß sich das Außenschott. Auf dem schmalen Gang, der zur Kommandobrücke führte, schien Bannister immer noch unzufrieden mit dem Entschluß des Freundes. »Sag mal, Perry, glaubst du etwa wirklich, daß wir in der Lage wären, durch solche Entscheidungen, wie wir sie eben fällen mußten, die Weltgeschichte durcheinanderzubringen? Was würde denn geschehen, wenn wir die Boje jetzt verladen hätten? Würde sie aus der Zukunft dieses Planeten verschwinden?« »Das kann sie nicht. Sie wird auf jeden Fall dort sein, wenn wir in 6 Millionen Jahren aus der Halle treten. Sie ist aus gutem Material und kann die Zeit ohne Konservierung überdauern.« »Auch wenn wir sie jetzt mitnehmen?« »Auch dann. Ich weiß, es klingt paradox. Aber denke an das Gesetz im Chaos. Die sich steigernde Entropie würde diesen Widerspruch ausgleichen. Sieh mal, welche Beziehung haben wir eigentlich zu unserer Zukunft, die erst in 6 Millionen Jahren akut wird? Sogar unser Tod in jener Zeit ist für die Gegenwart bedeutungslos.« »Du sprichst wie ein Etaner. Noch acht Tage auf diesem Planeten, und du wirst ein Meister im Jonglieren mit Widersprüchen.« »Keine acht Tage und keine acht Stunden mehr, Forry. Ich habe Eta satt. Ich will nach Hause. Verstanden?« * Der schwarze Kasten stand inmitten der Kommandozentrale. Er sah aus wie ein Jahrmarktgeheimnis, in dem der Roboter die Rolle des Gauklers spielte. Und doch war alles naturwissenschaftliche Realität. Barnett hatte die Heckbeobachtung auf den Hauptbildschirm gelegt. Eta drehte sich unter ihnen weg in die Nacht. In eine der vielen Nächte ihrer trotz allem begrenzten Ewigkeit. Die Sonne stand weit hinter ihrem Planeten und malte eine flackernde Korona in den Himmel. Die Menschen und die Prokas empfanden keinen Abschiedsschmerz. Sie dachten an ihre Zukunft, die in der Vergangenheit lag. Würde der Roboter die Zeit finden, in der die Galaxis noch existierte? Er hatte während des Startmanövers Versprechungen gemacht, die allen wie das Weichen eines Alptraumes vorgekommen waren. Am schlimmsten hatte sich Nam-Legak gebärdet, der es nicht fassen konnte, daß er seinen galaktischen Krieg wiederbekommen sollte. Sein Stöhnen klang noch immer aus der ihm zugewiesenen Ecke. Mit den Tentakeln vollführte er immer noch diese nervös zuckenden Bewegungen. Cora wollte sich um ihn kümmern. Aber Iks-Wol-Esak lehnte das ab. »Ihr könnt ihm jetzt nicht helfen. In einer Stunde ist dieser Schock überwunden.« »Aber vielleicht ist er krank«, gab Bannister zu bedenken. »Nein, nein, er ist gesund. Nur die Erregung bringt ihn ein bißchen durcheinander. Was ihr bei ihm seht, ist nichts anderes als für euch Menschen das Weinen.« Unter einem fremden Sternenhimmel tauchte die CORA in den Hyperspace. Und sofort setzte der Antrieb mit contra-temporisierten Mesonen ein. Die Galaxier kannten nur noch einen Gedanken: Wird es gelingen? »Die Etaner haben uns aus unserer Milchstraße herausgeholt«, sagte Barnett zu dem Roboter. »Werden sie uns in Zukunft unbehelligt lassen?« »Ich verstehe deine Unruhe. Doch sie ist unbegründet. Man fand euch durch einen Zufall. Es war ein Spiel, das für euch zu ernst wurde. Aber ein gleicher Zufall ist bei der Größe des
136
Universums, bei der Anzahl aller Nebelwelten und bei der Dauer der Ewigkeit so gut wie ausgeschlossen.« »Dann verstehe ich nicht, wieso du jetzt das Ziel in Raum und Zeit exakt ansteuern willst.« »Ich habe die Daten. Hier in diesem Kasten. Wenn ihr zu Hause seid, werde ich damit verschwinden. Nein, nicht zurück nach Eta. Das ist nicht möglich. Es genügt ein Zeitsprung von einer Sekunde, und ich liege weit außerhalb eures Schiffes. Irgendwo werde ich mit diesem Gerät verloren im Weltall treiben und eines Tages in eine Sonne stürzen.« »Du willst dich opfern?« »Ich bin eine Maschine. Sonst nichts. Für mich gibt es keinen Selbsterhaltungstrieb und keine Heimat. Es wäre also vollkommen sinnlos, wolltet ihr mich wegen meines Schicksals bedauern.« – Der Roboter benötigte eine knappe Terrastunde, um sein Gerät richtig einzustellen und noch einmal alle Funktionen zu überprüfen. Dann trat er zu Barnett an den Pilotensitz. »Es ist jetzt alles okay, Captain. Dein Treibstoff besteht wieder aus normal temporisierten Mesonen ...« Im selben Augenblick tauchten auf dem bisher dunklen Bildschirm helle Streifen auf. Das war der Beweis für des Roboters Behauptung. Es war nur kein Beweis für seine richtige Navigation, denn im Hyperdrive ist eine Ortsbestimmung nicht möglich. Trotzdem waren die meisten voll Vertrauen. Sie sahen Streifen auf dem Schirm, die zweifellos das Abbild ziehender Fixsterne waren. Und das genügte für ihren Optimismus. »Die Galaxis«, hauchte Perkins andächtig, und die Menschen waren mit ihm einig. Auch Nam-Legak hegte nicht den geringsten Zweifel. »Wir werden den Frieden bringen«, stellte er fest und wiederholte den Gedanken in seiner Begeisterung wohl ein dutzendmal. Nur IksWol-Esak glaubte es seiner Gewohnheit schuldig zu sein, einen skeptischen Einwand machen zu müssen. »Bisher kann man nur sagen: eine Galaxis. Eine von Milliarden.« »Es ist eure Galaxis«, sagte der Roboter. »Du mußt jetzt deine Borduhr zurückstellen, Captain. Sie geht fünf Tage, drei Stunden, vierzehn Minuten und vierundzwanzig Sekunden vor.« »Woher kennst du unsere Zeit?« »Von dieser Kalenderuhr. Ein Vergleich mit der etanischen Zeit ergibt die eben genannte Differenz ...« Perry Barnett rechnete nach. »Tatsächlich, Robby. Für die CORA sind seit dem Verschwinden aus der Galaxis nicht mehr als fünf Tage und drei Stunden verstrichen. Und du willst uns wirklich an derselben Stelle zu derselben Zeit, als wir aus der Milchstraße verschwanden, wieder auf den alten Kurs setzen? Damit hätten wir ja nicht den geringsten Zeitverlust.« »Ich will ein übriges tun. Ich setze euch am Rande des Hyperdrives ab. Ihr spart damit eine Fahrzeit und könnt in einem knappen Tag am Ziel eurer Reise landen ...« »Auf Poldini II?« Nam-Legak strahlte erregt diese Frage aus und zog sich wieder in seine Ecke zurück. »Er hat Lampenfieber«, erklärte der andere Proka. »Daß er so schnell als Unterhändler in Aktion treten muß, hätte er sich wohl in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt.« Der Roboter unterbrach das Gespräch. »Hast du den Kalender zurückgestellt, Captain?« »Okay, Robby!« »Dann gehe in einhundertvierundzwanzig Sekunden auf Normalfahrt. Also wenn die Nadel genau auf Null steht. Laß dich nicht dadurch verwirren, wenn ich inzwischen verschwunden bin. Du mußt auf die Sekunde genau schalten. Sonst stimmt eure Position nicht mehr ...« »Moment«, stotterte Barnett. Die Worte des Roboters klangen nach unkonventionellem Abschied. Und der Captain hatte noch tausend Fragen. Doch darauf erhielt er nie mehr eine Antwort. Als er sich umdrehte, sah er nur noch, wie der Roboter und der große schwarze
137
Kasten von einer Sekunde zur anderen verschwanden. Im selben Augenblick spürte Barnett nur noch einen mahnenden Gedanken im Raum. Er kam von Iks-Wol-Esak. »Achte auf die Sekunde Null, Perry. Beim nächsten Durchgang. Noch eineinhalb Minuten.« »Schon gut, Iks! Ich habe das Schiff in der Gewalt. War kein Kurzschluß bei mir. Wenn man bedenkt, was wir auf Eta durchgemacht haben, dann kann mich auch diese Zauberei nicht mehr aus der Ruhe bringen.« »Die letzte kommt noch«, verbesserte Iks-Wol-Esak. »In vierunddreißig Sekunden.« Er war wieder der alte Theoretiker und konnte seinen pedantischen Einwurf auch diesmal nicht unterlassen. »Achtung, James! Noch zwanzig Sekunden! Ich zähle ...« Noch einmal wurde es still auf der Brücke. Jeder wußte, daß dieses Zählen für das Schicksal der CORA-Besatzung und zweier Zivilisationen der Galaxis Bedeutung hatte. Barnetts Zählen war Weltgeschichte. »Zehn, neun, acht – fünf – zwo, eins, Null!« Die CORA sprang in die dritte Dimension. Und sie sprang genau in den galaktischen Krieg. Das automatische Positionsbesteck ergab eine Entfernung von zwölf Lichtstunden zum Poldini'schen Stern. Doch das Radar meldete nicht nur die Sonne, die das Ziel der CORA war. Steuerbord querab kreuzte eine Flotte von etwa fünfhundert Schiffen. »Ich werde verrückt!« schrie Barnett. »Das sind Streitkräfte der Sol-Sirius-Union. Was wollen die ausgerechnet jetzt hier in der Höhle des Löwen. Sie werden eingehen wie Admiral Kingsleys Flotte vor vier Wochen.« Die Hoffnung der Menschen und Prokas sank auf den Nullpunkt. »Wenn die unseren Schiffen jetzt eine Schlacht liefern«, stöhnte Nam-Legak verzweifelt, »dann sehe ich schwarz für die Friedensbereitschaft unserer Regierung. Ich verstehe nicht, Barnett, wie euer so unfehlbares Gehirn ausgerechnet jetzt eine solche Aktion starten kann. Das beweist doch unmißverständlich, daß die Union überhaupt nicht an Friedensverhandlungen interessiert ist.« »Einen Augenblick«, forderte Barnett. »Jetzt bitte keine Fehlschlüsse. Wir müssen natürlich voraussetzen, daß uns der Roboter exakt nach seiner Vorausberechnung in die Galaxis geführt hat. Demnach sind seit unserem Start von Terra etwa vierzehn Stunden vergangen. Die Zentralregierung hätte also genügend Zeit gehabt, diese Flottenbewegung zu widerrufen, wenn sie ihr bekannt gewesen wäre.« Nam-Legak gab sich damit nicht zufrieden. »Du willst mir doch nicht einreden, daß das Gehirn von dieser Aktion nicht unterrichtet ist!« »Natürlich will ich das. Dieser Aufmarsch sieht mir ganz nach einem Rachefeldzug aus. Nach dem Rachefeldzug irgendeines Abschnittskommandanten, der Admiral Kingsleys Schlappe wieder wettmachen will. Das hier hat nichts mehr mit höherer Strategie zu tun. Das ist heller Wahnsinn.« »Aber nackte Realität«, erklärte Nam-Legak und zitterte vor Erregung. »Jetzt sind wir quasi aus der fast hoffnungslosen Ewigkeit Etas zurückgekehrt. Das ganze Wunderwerk überintelligenter Technik hat uns auf die Sekunde genau in unsere heimatliche Existenz zurückfinden lassen, und jetzt verhindert ein simpler Idiot von Mensch, daß der galaktische Krieg sein Ende findet ...« Während dieses Verzweiflungsmonologs hatte Barnett den Bildfunk eingeschaltet. »Höre jetzt auf mit deinem Grabgesang, Nam! Es liegt jetzt an uns, ob der Friede Wirklichkeit wird. Ihr habt Geräte in euren Raumanzügen, mit denen ihr Poldini erreichen könnt. Nehmt sofort Verbindung mit eurer Regierung auf und verlangt, daß den Unionsschiffen keine Prokaflotte entgegengeschickt wird. Wenn sie das für einen Bluff halten und nicht darauf eingehen, dann holt wenigstens die Zusage heraus, daß sie nicht zuerst schießen. Berichtet von eurer Mission.
138
Sagt, daß ihr den Frieden bringt. Eine bessere Demonstration unseres guten Willens ...« »Halt ein«, unterbrach Iks-Wol-Esak energisch. »Wir haben begriffen, was du willst. Wir rufen Poldini. Rufe du die Flotte oder Terra. Aber sieh zu, daß auch eure Schiffe nicht schießen ...« In diesem Augenblick kam bereits ein Anruf vom Flaggschiff der Unionsflotte. Barnett wußte aus eigener Erfahrung, daß es keinen Sinn hatte, in dieser Situation mit einem Abschnittskommandeur zu verhandeln, dessen Gedanken auf Angriff geschaltet waren. Er, der kleine Leutnant Barnett, würde bei einem solchen Dienstgrad keinen Eindruck machen. Er lehnte daher die Verbindung ab mit der Begründung, daß er ein Sondergespräch mit der Zentralregierung führen müsse, empfahl dem Admiralsadjutanten jedoch dringend, das Gespräch zu verfolgen, bevor er irgendwelche folgenschweren Befehle gäbe. Mit dem nächsten Knopfdruck rief er die Radiostelle Terra-Sohle 23, Marinepsychologie. Sekunden später tauchte Skeen auf dem Bildschirm auf. Der reagierte sofort sauer. »Sind Sie wahnsinnig, Barnett! Warum bleiben Sie nicht im Hyperdrive?« »Weil wir bereits unser Ziel erreicht haben.« Der Minister war nicht gewöhnt, soviel Frechheit auf einmal zu verdauen. Er machte ein sehr wildes Gesicht, wofür Barnett vollstes Verständnis hatte. Barnett wußte aber auch, daß ihm Skeen nichts von einer Geschichte glauben würde, die von rückwärtsgerichteten Zeitsprüngen mittels contra-temporisierten Mesonen handelte. Und schon gar nichts von einer zufallsewigen Zivilisation mit dem Namen Eta. Er griff daher zu einer Notlüge, auf die ein Minister und die rechte Hand des Gehirns am ehesten hereinfallen würde. »Hören Sie zu, Skeen! Daß wir hier sind, verdanken wir den beiden Prokas an Bord. Gegen ihre Technik ist die unsere ein Witz. Fragen Sie jetzt nicht nach den näheren Umständen! Ich rufe an, weil unsere Mission ernsthaft in Gefahr gerät, wenn Sie nicht sofort die Unionsflotte zurückrufen, die zur Zeit das System Poldini in feindlicher Absicht anfliegt. es handelt sich um etwa fünfhundert Schiffe. Ist Ihnen die Aktion bekannt?« »Nein, natürlich nicht ...« Es war das erste Mal, daß Barnett den Minister unsicher sah. »Es muß sich um ein kleineres selbständiges Manöver des Abschnitts IV handeln. Ich werde Großadmiral Bock sofort Befehl geben, das Schießen einzustellen. Und wenn die eigene Flotte ...« »Zum Glück hat bisher noch keiner geschossen. Einen Augenblick, bitte. Die Prokas verhandeln gleichzeitig auf ihrer Welle mit Poldini. Nam-Legak kommt soeben bereits und winkt. – Was ist, Nam?« Der Kugelmann brachte eine gute Nachricht. Da er sich telepathisch nicht mit Skeen verständigen konnte, machte Barnett den Dolmetscher. »Hören Sie, Skeen! Die Prokaflotte ist bereits zur Abwehr des Angriffs gestartet. Die Überraschung, daß unsere Schiffe in einer solchen Nähe der prokaskischen Zentralregierung aus dem Hyperraum auftauchten, würde also noch immer zu keinem sicheren Sieg reichen. Der Feind ist jedoch bereit, das Duell insofern anzunehmen, daß er nicht zuerst schießt. Wenn Sie einen entsprechenden Befehl an Unionsabschnitt IV geben, dürfte es auf beiden Seiten bei der Feuerbereitschaft bleiben.« »Okay! Ich werde sofort entsprechenden Befehl geben.« »Viel Glück, Skeen! Und halten Sie sich nicht mit allzulangen Erklärungen auf. Ich habe Kommandeur Bock empfehlen lassen, dieses Gespräch mitzuhören. Er dürfte also bereits darüber unterrichtet sein, daß wir auf der CORA eine diplomatische Mission erfüllen ...« * Barnetts Plan gelang. Zum ersten Mal in der tausendjährigen Geschichte des galaktischen Krieges gab es einen Waffenstillstand. Und er wurde auf eine imponierende Art und Weise demonstriert.
139
Mehr als tausend Raumschiffe flogen in aufgelockerter Formation aufeinander zu. Prokas und Menschen hatten höchste Alarm- und Feuerbereitschaft angeordnet. Und doch fiel kein Schuß. Die Flotten prallten aufeinander. Scheinbar. Sie durchrangen sich gegenseitig. Raumkugeln schwebten zwischen Raumschiffen. Den einzelnen Soldaten mochte dieser Zustand der Ungewißheit und des mißtrauischen Wartens auf die Nerven gehen. Wie konnte der kleine Mann auch begreifen, daß es plötzlich einen Tag gab, an dem man nicht mehr auf den Feind schoß? Auf dem Bildschirm der CORA aber sah das Ganze wie ein erhebendes Wunder aus. Nach etwa einer Stunde kehrten sich beide Flotten den Rücken zu und formierten sich zum Rückflug. Die Spannung wich langsam. Sie machte einer gelösten Begeisterung Platz. »In zwölf Stunden landen wir auf Poldini II«, erklärte Nam-Legak. »Mit dieser Demonstration darf man Optimist sein. Beide Regierungen wissen nun, daß es auch ohne Schießen geht. Beide sind im Prinzip über die Grenzziehung einverstanden, indem sie nämlich den augenblicklichen Zustand des Planetenbesitzes anerkennen. Was sollen wir da noch mehr!« »Etwas trinken«, meinte Lisman lakonisch. »Ich weiß nicht, ihr Kugelfreunde, was ihr von Alkohol haltet. Ich als Mensch möchte jetzt aber dringend ein Glas auf das Wohl der Galaxis leeren ...« »Da halte ich mit«, grunzte Iks-Wol-Esak. »Skeen hat mich schon auf Terra mit diesem verdammten Zeug verführt. Es läßt sich trinken ...« Cora brachte Gläser. »Wieviel Zeit haben wir noch?« fragte sie. »Bis zur Landung? Keine Sorge, Kind. Für die nächsten acht Stunden geht es noch mit Autopilot. Bis dahin sollten wir getrost ein wenig plaudern.« »Ein wenig plaudern!« echote Perkins brüllend. »Das hört sich aber romantisch an. Möchtest du vielleicht ein Garn spinnen?« »Im Gegenteil! Ich will endlich einmal wissen, was ihr auf Eta erlebt habt.« »Das weißt du nicht?« »Nun, nicht alles. Denn die Burschen haben uns ja zum Schluß immer mehr auseinander gepflückt ...« »Sie haben es nicht, sie werden es. Unser ganzes Eta-Abenteuer liegt weit in der Zukunft, falls du es jemals vergessen solltest.« »Wie gescheit du plötzlich bist. Gott sei Dank handelt es sich um eine Zukunft, die wir bereits hinter uns haben.« Sie tranken. Und Barnett wiederholte seine Aufforderung. »Also, wer erzählt eine intime Episode von Eta? Ich schlage vor, der mit der verrücktesten Story beginnt.« »Dann wäre ich wohl an der Reihe«, behauptete Praxlomza. »Du? Schieß los!« »Okay! In der City lernte ich einen etanischen Schriftsteller kennen. Der schrieb einen Roman. In zwanzig Minuten.« »Lüge!« brüllte Perkins. »Moment! In zwanzig Minuten, in meinen Dimensionen, vor meinen Augen. Er hatte eine Reihe von Behältern. So viele Behälter, wie es im etanischen Alphabet Buchstaben gibt. Und in jedem Behälter waren Tausende von gleichen Lettern. Diese flossen nacheinander in ununterbrochener Reihenfolge zu Satzspiegeln zusammen und bildeten sofort einen sinnvollen Text.« »Unglaublich! Und das bei der Dummheit der Etaner?« »Menschenskind! Du warst auf Eta und weißt nicht, was dahintersteckt? In meiner
140
Dimension, sagte ich, sei das geschehen. Da dieser Autor aber ohne jeden Verstand arbeitete und sich dabei nur auf den Zufall stützte, der ihm dann und wann auch mal ein sinnvolles Wort oder gar ganze sinnvolle Sätze lieferte, mußte er in anderen, für mich nicht erkennbaren Dimensionen, von einer Ewigkeit zur anderen unterwegs sein und seine nervtötenden Versuche machen. Er hat demnach in der gleichen Zeit unzählige von Büchern geschrieben, die er sofort wieder einstampfen lassen konnte. Nur dieses eine war darunter mit einem gewissen Sinn.« »Ja, ja«, nickte Lavista. »Da sieht man mal, was alles durch den Zufall zustande kommen kann.« Es gab keinen in der Runde, der nicht lachte. Schließlich fragte Barnett: »Keiner da, der noch etwas Tolleres erlebt hat?« Niemand meldete sich. Und Bannister meinte resignierend: »Damit verlangst du praktisch, daß wir einer Berufsgruppe begegnet sind, die über noch verrücktere Leute verfügt. Ich fürchte, die müssen noch erfunden werden.«
ENDE
141
Der Prokaskische Krieg erscheint bei story2go Verlag Thomas Knip, Pestalozzistr. 57A, 10627 Berlin. © Copyright 2009 bei Shols Erben und Mohlberg Verlag. © Copyright 2009 der eBook-Ausgabe bei story2go. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Thomas Knip Dieser Band kann beim Mohlberg Verlag (www.mohlberg-verlag.de) als gedruckte Ausgabe bezogen werden. Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
142