KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U LTÜ R K ü N D L I C H E
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U LTÜ R K ü N D L I C H E
HEFTB
R. 0. I H M ER
Das weiße Gold VOM „GOLDMACHER" BOTTGER BIS ZLM PO^ZELLANGLOCKENGIESSER
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Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.03.13 13:20:54 + 01'00'
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U • M Ü N C H E N . I N N S B R U C K . ÖLTEN
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Das weiße Wunder am Ka-o-lin
D,
ie Geschichte des Porzellans reicht von den Brennhütten der Chinesen des 7. Jahrhunderts nach Christus bis zu den Hochspannungslaboratorien. wo moderne Porzellanisolatoren in robusten Prüfungen beweisen müssen, ob sie draußen an den Hochspannungsleitungen die kaum vorstellbare Spannungsgroße von drei Millioneil Volt auszuhalten vermögen. Die Chronik dieses Edelstotfes und seiner Verarbeitung greift über mehr als eineinhalb Jahrtausende zurück. Das „weiße Gold" hat aber trotz seines hohen Alters bis heute nichts von seinem Wert eingebüßt. Es gibt eine schöne Sage aus dem Chinesischen, die erzählt, wie der Mensch zum Porzellan gekommen ist. Vor vielen, vielen Jahrhunderten weidete ein Schäfer in China seine Herde. Das geschah am „Hohen Grat", einem Gebirgskamm, an dessen steiler Flanke bei einem Erdrutsch weiße Ende zum Vorschein gekommen war. Als eines Tages der Schäfer sein Feuer für das Mittagsmahl auf der weißen Bodenfläche entfachte, sah er 711 seinem Erstaunen, daß seine Fußspur in ider leuchtenden Masse feste Gestalt annahm. Er berichtete dem gelehrten Mandarin in seiner Heimat von dem weißen Wunder hoch oben in den Bergen. Der kaiserliche Beamte machte sich auf, um das Unglaubliche mit eigenen Augen zu sehen. Und da der Mandarin ein weiser und findiger Mann war. erkannte er sogleich, welch herrliches Geschenk hier dem Menschen durch einen Wink der Götter angeboten worden war. Bald begannen chinesische Töpfer aus der Erde des Gebirges im Feuer Gefäße zu brennen. Die weiße Erde nannten sie nach ihrem Fundort, dem „Hohen Grat", der auf chinesisch „Ka-o-lin" heißt, Kaolin. Gebrannte Stucke aus Kaolin nennen wir Porzellan. Das Wort stammt nicht aus der chinesischen, sondern aus der italienischen Sprache. In Italien gibt es eine Schenke, die Porcellana, deren Schale porzellanähnlich schimmert. Von derPorzellanschnecke kommt der Name Porzellan. Die Kenntnis vom weißen Wunder des Ka-o-lin-Berges blieb ein Jahrtausend lang das streng gehütete Geheimnis der Kunsthandwerker im Reiche der Mitte. Europa mußte das Geheimnis von neuem entdecken. Daß dabei zwei Deutsche als erste ans Ziel kamen, ist oft und nicht immer richtig erzählt worden.
Porzellan war in Europa bekannt, lange bevor man etwas über seine Herstellung wußte. Die ersten Porzellanwaren aus dem Fernen Osten kamen vermutlich über Venedig zu uns, als die Lagunenstadt, die „Königin der Meere", der große Einfuhrhafen f ü r den fernöstlichen Handel zu werden begann. Die venezianischen Kaufleutc brachten auf ihren Fahrten zu den Märkten Europas mit den Ballen chinesischer Seide, mit dem Tee aus Ceylon, den Brokaten des Vorderen Orients, den Klingen aus Damaskus, den Perlen von den Bahrein-Inseln, den Gewürzen der Molukken, besonders sorgsam gehütet, auch kostbare Porzellanstücke mit, die ihre Agenten in Peking erstanden hatten. Der Besitz erlesener Porzellane galt viel in jener Zeit. Ein italienischer Fürst schenkte seiner Braut eine wundervolle Drachenschale aus China, für die er dem Verkäufer fünfzig Leibeigene — Menschen, die ihm als Sklaven gehörten — bezahlt hatte, weil die „Menschenware" ihm billiger erschien als das knappe Geld in seiner Kasse. Einer der Sachsenkönige tauschte beim preußischen König, der „lange Kerls" für seine Soldaten-Regimenter suchte, eine Anzahl seiner bunten Dragoner gegen große, blaugemalte chinesische Vasen ein, die er seiner wertvollen Sammlung im Japanischen Palais zu Dresden einverleibte. Dieser preußische König — es war Friedrichs des Großen Vater — schenkte der Kaiserin von Rußland, Katharina der Großen, ein prunkvolles Porzellanservice, damit die hohe Dame sich auf seine Seite schlage. So wertvoll erschien damals den Fürsten das Porzellan. Die zweite Erfindung des Porzellans mußte deshalb begreifliches Aufsehen erregen; sie gelang erst nach vielverschlungenen Wegen und vielen Fehlschlägen. Der Name „weißes Gold" deutet ungefälir an, auf welche Weise die große Entdeckung zustande gekommen ist. * Es ist die Zeit des Absolutismus, das Zeitalter der unumschränkten FUrstengewalt, die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert. In Frankreich entfaltet König Ludwig XIV. die Pracht seiner Residenzen, seiner Schlösser und eines unvorstellbar üppigen Hoflebens. Vom trügerischen Scheine des „Sonnenkönigs" geblendet, werden die Fürsten Europas zu Nachahmern des glanzvollen französischen Herrschers. Im Stile Ludwigs XIV. wachsen in vielen Ländern die Prunkbauten des Barocks und des Rokokos aus dem Boden, Stadtschlösser. Jagdpaläste, Marställe und Palastbauten der Hofbeamten. Aber wie in Frankreich fehlt es auA den meisten anderen Landesfürsten an dem erforderlichen Geld; harte Steuern,
die aus den Bürgern und Bauern erpreßt werden, müssen immer wieder die Kassen der Bauherren füllen. In Sachsen ist es August der Starke, der in seinen Stadt- und Landresidenzen in einen Bauwettstreit mit dem Franzosenkönig tritt. Die Reihe derer, die sich Ludwig XIV. und August zum Vorbild nehmen, ist groß und reicht hinunter bis zu den Fürsten der kleinsten Territorien. Der Herrscher ist „absolut"; er allein hat zu bestimmen, was in seinem Lande geschieht, was von seinen Bauträumen Wirklichkeit werden soll. Die Finanzminister an den Fürstenhöfen haben kein angenehmes Dasein. Ihnen obliegt es, die Gelder zu beschaffen und immer neue Finanzquellen zu erschließen, wenn die unbezahlten Rechnungen der Architekten. Bauhandwerker, der Kunstmaler, der Vergolder, Stukkateure, Kunsttischler, Gobelinweber und Spiegelmacher sich zu Bergen häufen. Gar zu gern leiht man Scharlatanen das Ohr, die vorgeben, daß sie Gold zu machen verstehen, daß sie das Element Blei in das begehrte Edelmetall verwandeln oder in Schmelztiegeln aus erzhaltigen Gesteinen Goldbarren hervorzaubern können. Wir, die wir die ungeheuren technischen Anlagen kennen, die zur Umwandlung eines Elements in ein anderes erforderlich sind, wissen, daß alle diese -,Goldmacher" von damals entweder Betrüger oder gutgläubige Phantasten gewesen sind. Bei solchen Versuchen, Gold zu machen, wurde indes das Rätsel der Pozellanherstellung
gelöst.
*
Als die Europäer das Porzellan selber herstellen konnten, als bedeutende Künstler Modelle für farbenprächtige Zierstücke aus Porzellan entwarfen, brauchten sie sich in ihrer künstlerischen Arbeitsweise nicht umzustellen. Seit alter Zeit kannte man in Europa kunstvolle Vasen, schöne Krüge und Figuren, die aus Ton gebrannt und mit farbigen Schmuckbildern und Oinamenten versehen waren. Es waren mehr oder weniger dickwandige Gefäße, die man aus rotem Ton herstellte. Wir blicken nach Italien. Dort in der Landschaft um Ravenna liegt die Töpferstadt Faenza. Wie der Name Porzellan aus Italien gekommen ist, so stammt auch der Name für eine besonders hochwertige Art des roten Töpfertons aus dem Südlande jenseits der Alpen. Nach Faenza sind die „Fayencen" benannt, die man als Vorläufer des Porzellans betrachten kann. Von 1400 bis um 1750 gab es in vielen Ländern Europas Fayencefabriken. Die italienischen Erzeugnisse wurden auch Majolika genannt. Man formte den roteil Ton zu schmuckvollen Gefäßen, zu Reliefs oder Zierplatten, trock-
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An der Preaae sind Arbeiter damit beschäftigt, ausgepreßte Porzellanbrettateln auf Karren zu laden. . . (vgl. Teitte-ite 11)
nete die Gegenstände und malte das Bildwerk oder die Ornamente auf. Die Halbstiicke tauchte man in einen stark zinnhaltigeil Glasurbrei und brannte sie im Sdiarffeuer — genau wie es später mit dem Porzellan geschah. Zu Zeiten gab es allein in Deutschland etwa hundert Fayencefabriken. Das Porzellan hat sie weitgehend verdrängt. So bestanden in Europa vor der Wiedererfindung des Porzellans viele Fabriken und Künstler, die genügend Erfahrungen in der Verschönerung und Veredlung von hochwertigen Tonwaren besaßen.
Zwei Deutsche lüften das Geheimnis In Sachsen lebt um das Jahr 1700 im Dienste des Königs August des Starken ein Mann, der wegen seiner Gelehrsamkeit in hohem Ansehen steht. Er hat die Stellung eines Bergwerksdirektors inne und muß in seiner Umgebung einen seltsamen jungen Menschen überwachen. Der junge Mann hat in Berlin den Apothekerberuf erlernt. Der Anlaß, weshalb man ihn gefangen hält, hat jedoch nichts mit diesem Beruf zu tun; der junge Apotheker gilt vielmehr als „Goldmacher". Wie er zu diesem Ruf und Euhm gekommen ist, weiß heute niemand mehr. Jedenfalls glaubt man an seine Kunst, ohne daß je einer in seinen Tiegeln aus Blei gezaubertes Gold gesehen hätte. Der sächsische König hat den angeblichen Goldfuchs durch seine Soldaten regelrecht eingefangen und in einen „goldenen Käfig" einsperren lassen, wo es ihm gut geht, so daß ihm nichts weiter fehlt als die Freiheit. Sechzehn Jahre lang, bis zu seinem frühen Tod — er stirbt 1719 im Alter von siebenunddreißig Jahren —. muß dieser junge Mann in der Unfreiheit leben. Er sitzt z w a r nicht hinter Schloß und Riegel, aber er kann nicht aus Sachsen heraus. August der Starke lauert von Tag zu Tag darauf, daß dieser Friedrich Böttger ihm Gold mache. Indessen entspinnt sich zwischen dem „Gefangenen" Böttger und seinem gelehrten Bewacher eine langjährige FreundsAaft und ersprießliche Arbeitsgemeinschaft. Der Gelehrte ist Ehrenfried Walter Graf von Tsdiirnhaus, der all diesen Goldmacherphantasien ablehnend gegenübersteht. Tsdiirnhaus denkt an etwas ganz anderes. Auf der holländischen Universität Leyden, einer der berühmtesten Hochschulen seiner Zeit, hat er Mathematik und Naturwissenschaften studiert. Er ist kreuz und quer durdi Europa gereist und hat viele berühmte Leute in persönlicher Begegnung kennengelernt. Nach seiner Wanderzeit verwaltet er die väterlidien Güter. Sein Reichtum ist groß, und Tsdiirn-
haus kann es sich leisten, optische, mathematische und philosophisdie Studien zu treiben. Die Ergebnisse seiner Forschung erscheinen der Pariser Akademie als so bedeutend, daß sie ihn zu ihrem Mitglied ernennt. Neben den Fayencen bilden damals Ziergläser einen beliebten Modeartikel. Das benachbarte Land Böhmen beliefert Europa mit den schönsten Erzeugnissen seiner Glashütten. Audi Tschirnhaua steigt in dieses Geschäft ein und legt drei Glashütten in Sadisen an. Mit dem Ertrag dieser Hütten kann er seinem König manches schöne Stück Geld verdienen. Berühmt werden seine Experimente, Silbertaler mit Hilfe riesiger Brennlinsen, die er in seinen Glashütten herstellen läßt, in fünf Minuten zum Schmelzen zu bringen. Im Brennpunkt der Linsen sdimilzt selbst ein Diamant, der härteste Edelstein, in einer halben Stunde. Als man Tsdiirnhaus den jungen Böttger zur Beaufsiditigung übergibt, erkennt er schon bald die großen Fähigkeiten des Jünglings, und es entwickelt sidi zwisdien ihnen ein fruditbares Verhältnis des geistigen Austauschs und der Zusammenarbeit. Hier der reiche grundgelehrte Mann — 52 Jahre alt —, dort der 21jährige arme Schlucker, der vielerlei Künste beherrsdit, aber immer noch Hirngespinsten nachjagt, von denen der Gelehrte nichts wissen will. Doch beide verbindet die Freude an vielerlei Versuchen: Bei Böttger ist es das Experimentieren nadi alten Goldmadierrezepten. bei Tsdiirnhaus das Bemühen um die Herstellung von Porzellan, mit dessen Geheimnissen sich schon die Florentiner, die Venezianer und die Holländer — wenn auch vergebens — befaßt haben. Es gelingt selbst einem Tsdiirnhaus nidit, Böttger die phantastischen Goldmacherpläne auszureden, und darin werden sie sich niemals einig. Aber bei den Bemühungen um das Porzellan arbeiten „Aufseher" und „Gefangener" aufs beste zusammen. Sie mischen zahlreiche Erden und Mineralien, brennen sie und probieren immer von neuem. Man nimmt heute an, daß Tsdiirnhaus damals bereits wußte, mit welcher Erde die Chinesen ihr Porzellan herstellten; denn durch Marco Polo, den mittelalterlidien Weltreisenden aus Venedig, der jahrzehntelang in Ostasien gelebt hatte, war sie schon im 13. Jahrhundert beschrieben worden. Für Tschirnhaus in Dresden ging es vermutlidi nur noch um die Frage, ob und wo man in Sadisen solche Erde finden könne. Tschirnhaus starb 1708, Böttger zählte damals 26 Lebensjahre. Ein Jahr später entschließt sich Böttger, vor König August den Starken hinzutreten und ihm zu gestehen, daß er kein Gold machen
könne. Aber er wisse jetzt, wie Porzellan herzustellen sei. Der König erwidert beglückt, wenn das Goldmachen nicht möglich sei, so gebe er sich auch mit dem Porzellan zufrieden, das werde ihm ein genügender Ersatz sein; die Fürsten Europas brauchten dann nicht mehr bei den chinesischen oder venezianischen Händlern einzu' kaufen, sondern könnten sich an ihn wenden. Und der sonst sehr jähzornige König scheint mit diesem Ergebnis zufrieden zu sein. Der junge Böttger — vielleicht auch schon Tsdiirnhaus, sein Lehrer und Aufseher — ist auf seltsame Weise auf den richtigen Weg gestoßen. Die Zeit, in der Böttger lebt, ist das Zeitalter der PerÜkken. Männer und Frauen verbergen ihr Haar unter einem hochgetürmten H a a r a u f h a u . Damit die Perücke blendend weiß bleibt, benutzen sie ein mineralisches Puder, das aus der Grube des Hammerschmieds Schnorr in Aue in Sachsen stammt. Als „Schnorrsche Erde" besitzt es einen guten Ruf bei allen Perückenträgern. Mit diesem Mineralstaub hat Böttger nach Tsdiirnhaus' Tode zu experimentieren begonnen und bald schon erkannt, daß die Schnorrsche Erde nichts anderes ist als Kaolin. Böttger widmet sich ganz dieser Entdeckung, von Goldmachen ist keine Rede mehr. Nach vielen Probeversuchen kann er seinem Brennofen das erste europäische Porzellan entnehmen, und bald schon entwickelt er eigene Brennverfahren. Der König befiehlt, daß Böttgers Herstellungsmethode immer das Geheimnis Sachsens bleiben müsse. In Meißen entsteht auf der Albrechtsburg, die f ü r das neue und 'doch alte Geheimnis gute Sicherungen bietet, die erste abendländische Fabrik f ü r weißes Hartporzellans. Des Königs Kassen füllen sich; Böttger steigt zum Direktor der Meißener Porzellanmanufaktur auf. Trotzdem bleibt er des Königs Gefangener bis zu seinem Tode. Man setzt Böttger später ein Denkmal, heute glauben viele, Tsdiirnhaus habe es ebenso verdient und gehöre neben Friedrich Böttger auf 'den Ehrengockel. Als das erste Meißener Porzellan auftaucht, geraten die ostasiatisdien Handelsgesellschaften Hollands, die nach dem Niedergang Venedigs die Einfuhr des chinesischen Porzellans besorgen, an den Rand des Ruins. Die Fürstenhöfe geben den zwecklosen Versuch, Gold zu machen, auf und beginnen die Jagd auf Porzellanmacher, die in Meißen das Geheimnis kennengelernt haben und hier und da entschlüpfen können. So kommen der preußische König, der bayerische Kurfürst, der französische König und selbst der kleine Herzog Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel zu ihren ersten Porzellanhandwerkern, die sie ähnlich sorgsam hüten wie August
der Starke seinen Böttger. Fast in jedem Land entstehen Werkstätten zur Porzellanherstellung. All diese fürstlichen Manufakturen sind verschwunden. Einige sind verstaatlidit worden, die meisten sind in Privathand übergegangen. Neugründungen aus dem Bürgertum kommen hinzu. Viele der alten Zeichen, die man in den fürstlidien Manufakturen auf das Porzellan einbrannte, sind von den Fabriken übernommen worden. Wir sehen sie unter altem Porzellan als gekreuzte Sdiwerter, als „F", als „L" und als Rautenwappen. Später werden vielfadi die Namen der Porzellanfabriken das Markenzeichen. * Wie man heute die Erdsdiiditen durdiforscht, um Uranerz zu finden, so begann nach Böttgers Tode vor zweihundert Jahren die Suche nach dem Kaolin. Diese weiße Erde entsteht überwiegend aus Feldspat, der unter Mooren und vor der Braunkohlenhildung durdi die Humussäure zum Teil verwittert ist. Wo sidi ergiebige Lager in bequemer Nähe fanden, entstand eine Porzellanmanufaktur. Gern legte man sie inmitten einsamer Wälder an, damit das Geheimnis besser gewahrt blieb. Das Holz der Wälder wanderte in die Brennöfen. Manche fürstliche Manufakturen wurden audi in die Nähe der Residenzstädte gelegt, damit sie unter guter Oberaufsicht gehalten werden konnten, so in Berlin und Wien, in Nymphenburg bei München und in Sevres bei Versailles. Heute gibt es in der Bundesrepublik siebzig Porzellanfabriken für Gebrauchs- und Zierporzellan, vierzig Betriebe, in idenen tedinisdies Porzellan und Porzellangegenstände für die Chemie hergestellt werden und mehrere Fabriken, die Porzellanzähne auf den Markt bringen. Die Porzellanindustrie Westdeutsdilands besdiäftigt über vierzigtausend Menschen. Meißen in Sachsen bleibt für immer die historische Stätte des ersten Porzellans. Selb im bayerisdien Fichtelgebirge aber gilt als die deutsche Porzellanstadt und besitzt das größte Versuchsfeld Europas für elektrotechnische Porzellane. Von den zwanzigtausend Einwohnern Selbs arbeiten fast siebentausend in den sechs großen Porzellanfabriken des Ortes. In der Stadt befindet sich eine staatliche höhere Fadisdiule, wo der Nachwuchs der Porzellanmadier herangebildet werden kann. Das Gebiet zwischen der Stadt und Bayreuth enthält 'die ergiebigsten Lagerstätten guten Kaolins. Selb war ursprünglich ein Weberort. Seine Entwicklung zur Porzellanstadt ging von dem nahgelegenen Ort Hohenberg aus. Dort
hatte ein gewisser Carl Magnus Hutschenreuther im Jahre 1822 mit Genehmigung des bayrischeil Königs eine private Porzellanfahrik eiligerichtet. Hutschenreuther war vorher in den Hammannschen Porzellanfabriken in Wallendorf und Schlei in Thüringen tätig gewesen, privaten Unternehmungen, die jedoch über die Herstellung von Pfeifenkcipfen und Puppenköpfen aus Porzellan nicht hinausgekommen waren. Im Jahre 1856 brach in Seil) durch die Unachtsamkeit einer Magd ein Feuer aus, das fast zweihundertfünfzig Häuser in Asche legte. Die Selber standen vor dem Ruin; ihre Webstühle waren verbrannt. Der Sohn Carl Hutschenreuthers, Lorenz Hutsdieiireuther, erschien den Seibern als Retter in der Not. Er errichtete in der vom Brand verschont gebliebellen Ludwigsmühle eine Porzellanfabrik. Mit f ü n f zig Männern begann es. Schon bald verfügte das Selber Werk über einen Stamm hervorragender Fachkräfte, Männer wie Philipp Rosenthal und Franz Heinrich gaben dem Unternehmen Rang und Klang; Toditerfabriken entstanden in Tirschenreuth und in Weiden.
Geschickte Hände formen das Kaolin Die Porzellanstadt Selb kündet sich dem Besucher schon von weitem an. Hohe Schornsteine reihen sich aneinander und schicken dicken Qualm gegen den Himmel. In einer der Porzellanfabriken machen wir unter der kundigen Führung eines Fachmannes einen Rundgang. Wir betreten eine der großen Werkhallen, in der uns im ersten Augenblick alles verwirrt. Der Blick wandert ratlos von einer Maschine, von einem Gerät zum ändern. Entlang den Seitenwänden drehen sich Trommeln, schwere Mahlsteine dröhnen in ihren Lagern. Irgendwo zwischen Wasserstrahlen quirlt etwas in einem Behälter. Die Männer, die dort tätig sind, tragen graue Schutzallzüge; wir müssen uns vorseheil, daß uns kein Spritzer trifft. „Das sieht wenig nach Porzellan aus", nieint einer der Besucher, die mit uns gekommen sind. Aber schon entdecken wir, wie an einem Einlauf das Rohkaolin vom Lager hereinkommt und einem geschlossenen Gefäß zugeführt wird. „Hier in diesem Rührwerk wird das Kaolin mit Wasser geschlemmt", erklärt nns der Fachmann, den die Werksleitung uns f ü r die Führung freundlichst zur Verfügung gestellt hat. „In den großen Wannen und in den Schlämmrinnen klärt sich die Masse. Doch es dauert seine Zeit, bis alle Unreinigkeiten verschwunden
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sind. Sehen Sie, drüben bringen die Arbeiter den weißglitzernden Quarzsand und dort den Feldspat heran. Quarz und Feldspat werden zusammengeschüttet und in einer Trommelmühle, einem Kollergang. ganz fein zermahlen. Die Mühlsteine bestehen aus härtestemGranll." Ein Mischbehälter zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. In dem Behälter, dem „Massequirl", münden die Rohre, die das gereinigte Kaolin von den Klärwannen und Rinnen zuführen, hier münden auch. die Rohre, die von der Trommelmühle den zerkleinerten Quarz und Feldspat herbeischaffen. Zu diesen drei Grundstoffen, Kaolin, Quarz, Feldspat, kommen noch einige Nebenstoffe hinzu, die zum Teil Betriebsgeheimnis sind. „Hören Sie, wie die Quirle in der Maschine den Brei durchrühren?" fragt unser Begleiter. „Den Brei führen wir an kräftigen Magneten vorbei; Feldspat kann winzige Metallkörnchen enthalten. Bleiben die feinen Eisenteilchen in der feuchten Masse, so rosten sie; die Masse bekommt braune Flecken. Wir Porzellanmacher möchten aber untadeliges, blendend weißes Porzellan fabrizieren. Die Magnete ziehen auch das letzte Eisenkrümchen heraus. Da noch zuviel Wasser im Brei vorhanden ist, wird die Masse in Absetzbehälter geleitet. Da sie schwer ist, sinkt sie zu Boden, während das überstehende Wasser abgezogen wird. Aber das genügt nicht. Deshalb pumpen wir den Brei noch in Filterpressen, durch deren Filtertücher das restliche Wasser ausgetrieben wird, ähnlich wie es die Hausfrau macht, wenn sie geriebene Kartoffeln durch ein Tuch preßt, um aus dem Brei ,Thüringer Klöße' zu formen." An der Presse sind Arbeiter damit beschäftigt, bereits ausgepreßte dicke Breitafeln auf Karren zu schichten. Wir folgen 'den Männern, die die Tafeln in den feuchten „Massekeller" rollen (Abb. S. 5). „Eigentlich könnten Sie jetzt für einige Zeit nach Hause gehen", sagt scherzend der Meister. „Denn wenn Sie den nächsten Arbeitsgang miterleben wollten, müßten Sie lange warten. Bis die Tafeln wieder herausgeholt werden, geht ein Vierteljahr hin. Die alten Chinesen nahmen sich noch mehr Zeit dazu. In ihrer Porzellanstadt King-te-Ching ließen sie die Masse bis zu achtzig Jahren im Keller liegen, so daß oft erst der Enkel dii Masse verarbeitete, die der Großvater gemischt, gepreßt und gelagert hatte. Je länger die Masse ruhig liegt, um so besser läßt sie sich später formen. Nun, wir haben heute nicht mehr soviel Zeit wie die Chinesen, und e» gibt heute Verfahren, den Reifeprozeß zu beschleunigen." 11
„Kaolin und was sonst alles dazugekommen ist, sind doch tote Stoffe", sage ich. Kann man bei Mineralien überhaupt von Reifen sprechen wie bei einem Lebewesen?" „Über die chemischen Prozesse, die sich in der Porzellanmasse im feuchten Keller abspielen", erwidert der Fachmann, „wissen die Gelehrten auch heiitc noch nichts Genaues auszusagen. Wahrscheinlich spielt sich durch Olganische Stoffe, die unsichtbar in der Masse stecken, im Innern ein Fäulnisprozeß ab. Wir Porzellanmacher nennen diesen Vorgang des Ausfaulens ,mauken'. Wir wissen nur, daß sich die Masse nach längerem Lagern besser kneten läßt, weil sie dann keine Neigung mehr zum Verziehen, zum Reißen und Krummwerden zeigt." Daß soviel zeitraubende Arbeit notwendig ist, ehe es an die Anf e r t i g u n g von Tellern. Tassen oder Kannen geht, überrascht uns. „Haben Sie etwas Geduld", sagte unser Begleiter, ,.wir werden das Vierteljahr Wartezeit gleich übersprungen haben. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß hier der erste Teil der Porzellanherstellung f ü r längere Zeit zu Ende gegangen ist. Wenn die dicken Breitafeln im Massekeller verschwinden, ist die Aufbereitung der Rohstoffe beendet." * Das Herausfahren der fertig „gemaukten" Breitafeln aus den Kellerräumen und ihr Durchkneten, Schlagen und Drücken auf der Massesdilagmaschine wollen wir uns ein andermal ansehen. Wir möchten beim Formen dabei sein, wenn aus dieser ungefügen Masse Küchen- und Hausgeräte, Tiere und Figuren entstehen, all die Dinge, die wir in den Schausammlungen und in den blitzenden Auslagen der Fachgeschäfte bewundern. „Achten Sie darauf, auf wie verschiedenartige Weise der Porzellanbrei verarbeitet wird", bemerkt der Fachmann. „Wir unterscheiden das Drehen, das Gießen und das Pressen. Das Drehen besorgen besonders ausgebildete Facharbeiter, die drei Jahre lernen müssen, ehe sie die Arbeit beherrschen. Gedreht werden Teller, Tassen und Schüsseln, überhaupt alles, was schon rund ist. Beim Drehen bleibt die Masse knetbar wie Plastilin. Schalen anderer Form, Vasen, Figuren, Kannen und alle Hohlteile werden dagegen in Gipsformen gegossen. Zum Gießen muß die Masse, wenn sie nach dem Mauken aus dem Massekeller in die Schlagmaschinen kommt, wieder so flüssig gemacht werden, daß sie etwa aus einer großen Blechkanne leicht in eine Form einfließt. Beim Pressen in Stahlformell bleibt die Tonmasse krümelig, und es wird ihr etwas Petroleum zugesetzt." j^ 12
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Wir blicken einem der Dreher über die Schulter. Geschickt schneidet er von einem großen Ballen ides Porzellankuchens mit einem Messingdraht einen „Bolzen" ab, gerade soviel, wie er für einen Teller braucht. Schon dreht sich die Drehscheibe vor seinem Sitz; er legt den Bolzen darauf und drückt ihn mit einer glatten Schablone fest. Während des Drehens schabt die Schablone alles Überflüssige ab und zuletzt ist der Bolzen zu einer flachrunden Scheibe geworden, so groß wie der Teller. Der Dreher breitet nun diese rohe flache Vorform oder Hubel auf eine Gipsform, die wie ein umgewendeter Teller aussieht und sich dreht. Mit einem Schwamm drückt er die weiche Porzellanscheibe fest an. Die Innenseite des Tellers zeichnet sich ab. Mit Hilfe einer Außcnschablone nimmt auch die Tellerunterseite mit dem Fußprofil Gestalt an. So entsteht Teller um Teller (Abb. S. 13). Nebenan werden auf die gleiche Weise Untertassen liergestellt. Andere Dreher fertigen Obertassen an, die „Becher", wie der Porzellanmann sagt. Das geht so flink, daß man kaum mitzählen kann. Gipsformen und Schablonen zaubern im Handumdrehen aus der plastischen Porzellanmasse eine Serie von Geschirr. Der Gießer macht das anders. Er ist gerade dabei, Kaffeekannen herzustellen. Von der Kaiine ist ein Gipsabguß hergestellt worden, der die Gießform bildet. In die Form gießt der PorzellanmaAer die nüssig gemachte Porzellanmasse ein. Der Gießer braucht keine Drehscheibe. Gips ist wasserbegierig. Das nutzen die Gießer und auch die Dreher aus. Da die Gipsform der eingegossenen feuchten Porzellanmasse eng anliegt, entzieht sie ihr das Wasser; dabei schwindet der Porzellankörper etwas, und nach einiger Zeit können die Formen unter den geschickten Händen ider Porzellanfacharbeiter leicht abgelöst werden (Abb. S. 17). Das Rohstück der Kannen, der Vasen und Schalen ist fertig. Auch die Henkel und der Ausguß, die „Schnaupe", werden auf ähnliche Weise in Gipsformen gegossen und wieder herausgelost. Sie müssen der Kanne angesetzt werden, solange die Masse noch feucht ist. Den „Klebestoff" hat sich der Porzellanmacher aus dem gleichen porzellanen Grundstoff hergestellt; es ist der „Garnierschlicker", eine klebrige Masse, mit deren Hilfe er Henkel und Ausguß anklebt — garniert, wie man das in der Fachsprache nennt. In einem anschließenden Raum befindet sich die Abteilung, in der Figuren gegossen werden. Hier sieht es wie in einer Puppenklinik aus (Abb. S. 21). Auf einem Tisch liegen Arme, auf einem anderen Köpfe, Rückenteile, oder die Gliedmaßen von Tieren. Zu
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