Das Ende der Schwertbrüder Roman von Austin Osman Der unglaublich fette Magier sah seinen Assistenten an. Der schaffte ...
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Das Ende der Schwertbrüder Roman von Austin Osman Der unglaublich fette Magier sah seinen Assistenten an. Der schaffte es erfolgreich, seinen Ekel zu verbergen, während er zusah, wie Nikophorus Pfettner - der Fette - eine Trüffelpraline nach der anderen zwischen seine feisten Lippen schob. Es war, als wäre Kauen unnötig, als würden die nachgestopften Süßigkeiten einfach die vorangegangenen weiterschieben, durch den Rachen und die Speiseröhre direkt in den Magen. Der Magier rülpste laut, bevor er sich an seinen Assistenten wandte. »Bring mir ein Kind, Luca. Es muss von seinen Eltern verkauft worden sein, und es muss Waise sein. Seine Eltern müssen, nachdem sie das Balg versilbert haben, eines gewaltsamen Todes gestorben sein. Das ist das Letzte, was ich für unseren großen Plan noch benötige...«
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In diesem Viertel lag das Elend in der Luft wie ein Pesthauch. Es war überall zu spüren, es überfiel den Fremden wie ein kalter Windstoß, es setzte sich unter die Haut wie die trübe Feuchtigkeit eines Novembernebels. Die Ausstrahlung dieses Elends wurde weniger durch verfallene Fassaden oder verschmutzte Straßen bestimmt. Eher lag es an den stumpfen Blicken der Kinder, die auf dem Gehsteig spielten. Maria Allayo war ein Produkt dieses Viertels. Am Anfang hatte sie eine Art von lärmender Aufsässigkeit kultiviert, mit der sie ihre Zerbrechlichkeit überspielen wollte. Diese Pose war ihr aber schnell zu anstrengend geworden und wurde daher durch berechnende Weinerlichkeit ersetzt. Lucanor Tomasi spürte unter seinen Schuhabsätzen das Vibrieren des morschen Fußbodens. Auf der Straße machten einige Jugendliche ein Rennen mit mühevoll aufgemöbelten Wagen. Die Maschinen dröhnten heiser und unglaublich laut, als wäre dies hier ein Flugzeugträger voll startender Propellerflugzeuge. Der Lärm schien an den Mauern des Wohnblocks zu rütteln, um deren Festigkeit zu testen. »So ist das immer«, jammerte Maria Allayo. »Diese Bastarde basteln an ihren Scheiß-Autos, saufen Bier und hängen rum, und wenn sie genug Benzin haben, dann machen sie diese lächerlichen Rennen und wir gehen auf dem Zahnfleisch. Und glauben Sie nicht, hier würde sich irgendwo ein Bulle sehen lassen.« Die Frau konnte ihre Tiraden herausbringen wie ein alter Schauspieler seinen Text und dabei gleichzeitig in ihrer schäbigen Wohnküche völlig sinnlos Dinge von links nach rechts und zurück räumen, um sich den Anschein der fleißigen Hausfrau zu geben. Sie mochte dabei mit dem Geschirr scheppern so laut sie konnte, Tomasi wusste es besser. Inzwischen kannte er sie schon ein wenig näher, schließlich hatten sie schon seit zwei Wochen miteinander Verhandlungen geführt. Vielleicht lag es ja an einer grundsätzlichen Behinderung seitens Tomasis, die ihn für menschliche Gefühle ungeeignet machte, aber in dieser Zeit war ihm Maria Allayo nicht um einen Deut sympathischer geworden. Er schaute auf die kleine, hagere, absolut reizlose Frau, deren Alter schwer abzuschätzen war. Sie selbst behauptete, Mitte Zwanzig zu sein. Das mochte sogar stimmen, trotz der sechs Kinder, die sich in dem Raum aufhielten. Die Bälger hatten offensichtlich verschiedene Väter, aber eindeutig nur eine Mutter - Maria Allayo. Die Bälger hatten mehr Schmutz an sich als eine Gruppe Marines nach einem Manöver. Tomasi war sich sogar sicher, dass er den Marmeladenfleck an der Wange des kleinen Mädchens auch schon bei seinem letzten Besuch gesehen hatte. Alle Kinder wirkten verschüchtert und gehemmt, in diesem Moment jedoch glotzten sie ihn allesamt an, als wäre er 3
ein Teil einer Monstrositätenschau. »Misses Allayo, wann kommt Ihr Mann?«, fragte Tomasi. Unter seiner gelassenen Haltung regte sich langsam die Ungeduld. Die Frau baute sich vor ihm auf und stemmte die Arme in die Hüften. Das Waschweibgehabe passte nicht zu ihr. Aber weniger die Erkenntnis dieser Tatsache, als vielmehr Tomasis Blick, bewogen Maria Allayo zu einer veränderten Haltung. Dabei war sein rechtes Auge milchig weiß und blind. Er konnte dadurch nicht gucken, da war sie sich sicher. Und trotzdem ... Irgendwie - irgendwie wurde sie den Verdacht nicht los, dass er auch dieses Auge gebrauchte. Sie entschied sich für einige sorgenvolle Stirnfalten, hochgezogene Schultern und ausgebreitete Arme. »Ach, was soll ich sagen? Der Kerl kommt und geht, wann er will. Ich habe ihm gesagt, er soll hier sein um die verabredete Zeit. Aber vergiss es doch, so sind die Kerle eben. Wenn er einen Kumpel getroffen hat, dann quatscht er halt 'ne Stunde mit ihm. Was kann ich dagegen tun? Er haut mir in die Fresse, wenn ich ihm Vorhaltungen mache, mehr passiert nicht!« »Haben Sie ihrem Mann nicht deutlich gemacht, dass mein Anwalt, Mister Finkelboum III., einen Tarif von 900 Dollar die Stunde hat?« Tief Luft holend starrte die Frau auf den Begleiter Tomasis. Finkelboum hieß der also. Na ja, bei dem Namen musste er ja wohl Anwalt sein. Obwohl, er sah noch sehr jung aus. Sehr, sehr jung für einen Anwalt. Aber ein hübscher Mann, ganz ohne Zweifel. Groß und muskulös. Gesagt hatte er bisher nicht viel, nur dagestanden und ziemlich finster geschaut, als wäre er so eine Art Leibwächter. Nun ja, dachte sich Maria Allayo, auch Anwälte waren in der heutigen Zeit eine Art von Leibwächter. »Wollen Sie unseren Vertrag nicht mehr unterschreiben, Mister Tomasi?« »Es geht nicht um mich, Misses Allayo. Ich brauche die Unterschrift beider Elternteile und wenn Ihr Ehemann nicht anwesend ist, kann das Geschäft nicht abgeschlossen werden.« »Morgen? Wollen wir alles auf morgen verschieben?« »Heute. Oder gar nicht.« »Gar nicht?« In den dunklen Augen Maria Allayos glitzerte Enttäuschung, sogar Panik. »Sie sagten doch, Mister Tomasi, dass Ihre Kunden genau dieses Kind wollten. Ich meine - unsere kleine Christina.« »Ich bin mir durchaus bewusst, was ich sagte. Aber wir wollen einen einwandfreien juristischen Vertrag. Machen Sie sich eigentlich eine Vorstellung, wie viele Leute in den Adoptionsbehörden nur damit beschäftigt sind, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen? Jetzt haben wir alle Papiere, jetzt muss die Sache über die Bühne gehen, sonst verfällt 4
der Termin, und wir können noch einmal von vorne anfangen. Dann aber, da können Sie sicher sein, werden wir uns an verlässlichere Partner wenden!« In diesem Moment erklang aus einem Bettchen in einer Raumecke ein dünnes, zitterndes Quäken. »Oh, meine kleine Christina!« Maria Allayo eilte zu ihrer jüngsten Tochter, warf theatralisch die Hände in die Luft und begann ein überzogenes und äußerst peinliches Gute-Mutter-Schauspiel, wie Tomasi fand. Sie holte das winzige schreiende Bündel aus den schmuddeligen Decken und begann es zu wiegen, wobei sie irgendwelche »Kuschikuschi« Laute ausstieß, die so echt wirkten wie die Kirschen auf einem Eisbecher. »Haben Sie wenigstens die Taufbescheinigung besorgt?« »Taufbescheinigung? Natürlich ... « Das Baby wurde schwungvoll zurück in das Bettchen befördert, wo es laut weiterschrie. Die Frau suchte in einigen Schubladen und brachte dann ein Blatt zum Vorschein. Auf der Treppe erklangen polternde Schritte. Die Tür flog auf und ein Mann trat ein. Er brachte einen schweren Dunst von Bier und Zigaretten mit sich. Missmutig nickte er den Gästen zu und verzog sich hinter den Tisch wie hinter eine Barrikade. »Schön«, sagte Tomasi, »dann können wir ja.« Auf seinen Wink legte sein Begleiter einen Aluminiumkoffer auf den Tisch, ließ die Verschlüsse aufklacken und holte einen Stapel Papiere hervor. »Bitte unterschreiben Sie beide jeweils neben dem Kreuz. Hier, bitte, nehmen Sie doch meinen Kugelschreiber.« Tomasi reichte den beiden einen Stift mit Platinhülle. Der Mann schaute ihn verstockt an, aber die Hand der Frau schoss hervor mit der Schnelligkeit einer zustoßenden Klapperschlange. Ungerührt beobachtete Tomasi ihr mühsames Gekritzel, dem ein angeberischer Schwung für die männliche Unterschrift folgte. Warum hatten sie sich eigentlich Mühe gemacht, die verdammten Papiere mit so viel Aufwand zu fälschen, fuhr es Tomasi durch den Kopf. Das hier waren Analphabeten. »So viel zum geschäftlichen Teil«, erklärte Tomasi und bemühte sich, einen falschen Glanz in seine Stimme zu legen. »60.000«, knurrte der Mann. »Sicher. Aber wichtiger ist doch das Wissen, dass ihre geliebte Tochter Christina für ein Leben ausersehen ist, dass Sie ihr beim besten Willen nicht 5
bieten könnten. Medizinische Versorgung, aufmerksame Lehrer, die beste Ausbildung...« »Ach ja.« Maria Allayo verdrehte die schwarzen Augen. »Darum geht es doch. Nur darum. Wie sollten wir sonst unser Kind zur Adoption freigeben? Was für Eltern wären wir sonst?« »Sie wären schlechte Eltern, wenn Sie ihrem Kind diese Chance rauben würden. Außerdem machen Sie ein Ehepaar glücklich, das Christina als die eigene geliebte Tochter ins Herz schließen wird.« Tomasi lächelte wie ein Gebrauchtwagenhändler. Dann griff er in den Koffer und legte die Packen mit den Dollarscheinen auf den Tisch, um im Gegenzug die Verträge einzusammeln. Der Mann begann zu zählen, von der Frau argwöhnisch beobachtet. »Das Kind, bitte«, forderte Tomasi. Maria Allayo ging zu dem Bettchen, in dem inzwischen eine erschöpfte Stille eingekehrt war, ohne den Blick von ihrem Mann oder vielmehr von dem Geld zu wenden. In dieser Haltung nahm sie das Kind und drückte es Tomasi in den Arm. Wenn sie ihn nun gesehen hätte, wie er in einer Mischung aus Abscheu und Ungeschick das kleine Menschlein auf dem Arm balancierte, dann hätte sie erkannt, dass er nicht der Spezialist für Adoptionen war, für den er sich ausgab. Aber sie beachtete ihn nicht. Maria Allayo musste auf ihren Ehemann achten, der versuchen würde, einige Scheine fallen zu lassen, um sie mit seinen Flittchen zu verjubeln oder seinen Kumpeln zu versaufen. Tomasi und sein Begleiter gingen. Sie gingen bis zum ersten Treppenabsatz, dann blieb Tomasi stehen. Immer noch hielt er das streng riechende Bündel steif im Arm. »Die Sache ist noch nicht erledigt«, sagte er. »Was?« Sein Begleiter machte große Augen. »Nun ... « Tomasi räusperte sich. »Das Kind muss Waise sein.« »Waise?« »Es darf keine lebenden Eltern mehr haben«, kam die Antwort leicht genervt. Tomasis Begleiter formte seine Hand zu einer Pistole. Tomasi schüttelte den Kopf und fuhr in einer unzweideutigen Geste mit zwei Fingern an seinem Hals entlang. Sein Begleiter begann, lautlos die Treppe hochzusteigen. »Das Geld«, fragte er noch, sich umwendend. »Nimm es für dich, Gerry.« Die Wohnungstür war schon mehrmals aufgebrochen worden, daher gab es kein funktionstüchtiges Schloss mehr. Der Mann musste lediglich seine Fingerspitzen zwischen Tür und Rahmen schieben und einmal kräftig 6
rucken. Er war schon halb im Zimmer, bevor Maria Allayo und ihr Ehemann ihn bemerkten. Die beiden stritten sich um einen Dollarschein, den sich der Mann heimlich in den Hosenbund gesteckt hatte. Seine rechte Hand hielt die Handgelenke der Frau umklammert, sodass ihre Haut unter seinem Griff bereits weiß wurde. Maria Allayo wand sich - teils aus Wut, teils aus Schmerzen - und beschimpfte mit deutlichen Mundbewegungen, wegen der Kinder aber völlig tonlos, den Mann. Gerry warf einen Blick in die Runde, dann trat er schnell zu dem Ehepaar, das ihn verständnislos anschaute. Gerrys linke Hand legte sich auf den Mund der Frau, seine Rechte brachte aus der Tasche ein großes Springmesser zum Vorschein. Der Daumen drückte auf den Metallknopf, die Klinge sprang auf und war noch nicht ganz arretiert, als sie durch den Hals des Mannes fuhr. Der Mann versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht mehr und sackte zurück auf den Stuhl. Seine verständnislosen Augen bekamen einen glasigen Schimmer. Ein Röcheln kam aus seinem Mund. Dann fiel der Mann vom Stuhl. Maria Allayo dachte gar nicht daran zu schreien. Sie verstand nicht, was vorging. Sie sah nur ihren Mann am Boden über einer sich schnell vergrößernden Blutlache liegend, und sie sah diesen Anwalt vor sich. Dann brannte ein Schmerz in ihrer Kehle. Kalt und unbeteiligt, als würde er ein Experiment beobachten, schaute Gerry zu, wie die Frau zusammenbrach und auf den Boden fiel. Als beide ruhig waren, nahm sich Gerry die Geldbündel und stopfte sie in seine Taschen. Der Wagen wartete auf der anderen Straßenseite. Das Kind schlief. Endlich konnte Lucanor Tomasi aufatmen. Alle Dinge waren so erledigt, wie sie sein sollten. Er brachte Nikophorus Pfettner ein Waisenkind, dessen Eltern es verkauft hatten, bevor sie durch Gewalteinwirkung gestorben waren. Das Ziel war nahe. * Da war Angelina Thornton, die Kultur-Reporterin der New York Times. Katrina Stein winkte der Journalistin einen neckischen Gruß mit wedelnden Fingern zu. Angelina hatte ihr biologisches Verfallsdatum eindeutig schon überschritten, dachte Katrina. So wie sie mit starrem Gesicht einen gescheiterten Versuch eines Lächelns startete, war sie alleine schon für 50 Prozent des Umsatzes der US-Schönheitschirurgen verantwortlich. 7
Das waren die Gedanken, die sich hinter der klaren Stirn von Katrina Stein tummelten, während sie mit einem liebreizenden Lächeln auf die Thornton zuschritt. »Katrina, du siehst wieder göttlich aus. Ich hasse dich dafür«, rief Angelina ihr schon durch den ganzen Raum zu. Aber das Organ der Angelina Thornton ließ die Entfernung schrumpfen. Katrina lächelte noch etwas liebreizender als liebreizend, wartete aber mit ihrer Antwort, bis sie vor der Journalistin stand. »Du Schmeichlerin. Es sieht so aus, als müssten wir uns nun gegenseitig ein wenig hassen.« Die Antwort war eher freundlich als wahrheitsgetreu, denn in dieser Galerie gab es kein weibliches Wesen, das Katrina auch nur annähernd das Wasser reichen konnte. Sie sah in ihrem langen, eng anliegenden roten Seidenkleid schlichtweg atemberaubend aus. Und sie schaffte das Kunststück, sich den Anschein zu geben, als wäre ihr nicht klar, dass sie die Schönste von allen war. »Katrina, darf ich dir meinen alten Freund ... « Jetzt fing das schon wieder an! Angelina hatte so viele alte Freunde wie die Kongressbibliothek Bücher und sie nahm es als eine Art Hobby, ständig alte Freunde alten Freunden vorzustellen. In diesem Fall war es ein linkischer junger Mann, ein typisches Gewächs einer Eliteuni, der ihr die Hand zur Begrüßung reichte. Seine wasserblauen, etwas kurzsichtigen Augen suchten nervös nach einem Fixpunkt, als sich diese dunkelhaarige Schönheit nach seiner Meinung zu dieser Ausstellung erkundigte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und stotterte irgend etwas. Sie schaute ihm direkt ins Gesicht und das machte ihn völlig konfus. Sie war so perfekt, so viel perfekter als perfekt. Diese Lippen, die ihn anlächelten. Und diese Augen! Sein Puls begann sich dampfhammerartig zu beschleunigen. Seine Knie schienen nur noch aus einer weichen Gelatinemasse zu bestehen. Wie durch einen Wattebausch hörte er seine eigene Stimme und ihr perlendes Lachen. Katrina Stein legte den Kopf schräg und tupfte ihrem Gegenüber in einer kleinen Geste intimer Vertrautheit mit den Fingerspitzen auf den Oberarm. »Ich muss leider weiter, um noch mit einigen langweiligen alten Männern zu sprechen«, sagte sie mit einem genau berechneten Hauch von Bedauern. Für mich ist so eine Ausstellung leider immer auch Geschäft. Aber wir sehen uns, ja?« In ihrem letzten Satz mischte sich eine Feststellung mit einem leisen Flehen. Katrina ließ einen bis über beide Ohren verknallten jungen Mann zurück. 8
Während sie weiter an den ausgestellten Bildern entlangschlenderte, hier und dort grüßte oder für einen kurzen Plausch stehen blieb, kicherte Katrina innerlich. Männer! Es war so einfach, diese Deppen verliebt zu machen. Ihre spezielle, übernatürliche Begabung war gar nicht nötig. Natürlich hätte sich Katrina Stein sowieso an diesen Sammelpunkt der New Yorker Kulturschickeria begeben. Sie gehörte als Künstlerin einfach dazu. Jetzt aber gab es einen besonderen Auftrag des Baron von Kradoc. »Kümmere dich um diesen Mann, Katrina«, hatte er ihr gesagt und dabei ein Foto gezückt, das allem Anschein nach mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden war. Katrina hatte nur einen Blick auf das Foto geworfen und verachtungsvoll den Mund verzogen. Er war einfach unterstes Mittelmaß: klein, schmächtig, blass, mit wenigen Haaren auf dem Kopf. Das Foto war aus einer überhöhten Position aufgenommen worden. Dennoch erkannte man deutlich, dass mit dem rechten Auge des Mannes etwas nicht stimmte. Es schimmerte weißlich und schien keine Pupille zu haben. »Darf ich fragen, Herr, wer das ist«, murmelte Katrina Stein und schaute den Baron bittend an. »Wenn ich es wüsste, Katrina, bräuchte ich dich nicht mit diesem Auftrag zu belästigen. Ich weiß nur so viel, dass mir dieser Mann als gefährlich beschrieben wurde.« »Dieser Mann?« Katrinas Unglaube war echt. »Es ist ein schwerer Fehler, das Gegenüber nach dem Äußeren zu beurteilen. Mir wurde berichtet, dass dieser Mann mit den Ereignissen der letzten Zeit in Zusammenhang stehen könnte. Es waren Ereignisse, die für mich schmerzhafte Verluste brachten und die mein Imperium bedrohten. So lange ich nicht die wirklichen Urheber kenne, kann ich die Angelegenheit nicht zu den Akten legen. Wir dürfen uns nicht von der trügerischen Ruhe einlullen lassen! Darum möchte ich, dass du mit diesem Mann eine Bekanntschaft anknüpfst. Nutze deine Fähigkeiten. Dieser Sterbliche soll sich nach dir verzehren, Katrina! So wirst du alles von ihm erfahren, was für uns wichtig ist.« Ein ehrenvoller Auftrag, ganz ohne Zweifel. Vor allem, wenn man bedachte, dass dieser Dummschwätzer Bruce Darkness sich damit brüstete, er habe die sogenannte Bruderschaft des Schwertes vernichtet und einen Anschlag auf den Baron vereitelt. Anscheinend war sich der Baron nicht sicher genug, um in das Triumphgeheul seines großmäuligen Vize einzustimmen. Katrina hätte es dennoch nicht als Schicksalsschlag empfunden, wenn der Mann entgegen den Informationen des Barons nicht auf dieser 9
Ausstellungseröffnung erschienen wäre. Auf dem Foto hatte er so ausgesehen, als würde er einen sehr unangenehmen Körpergeruch haben. Etwas ungläubig blieb Katrina in diesem Moment stehen und schaute auf den alleine stehenden Herrn. Er hatte die richtige Figur - klein und schmächtig. Er hatte auch eine blasse Haut und einen fast kahlen Schädel. Aber er war in einen perfekt sitzenden Anzug gehüllt, der mit Sicherheit Maßarbeit war und außerdem Geschmack verriet: schwarz, mit Stehkragen und einem Schnitt, den Angelina Thornton als »asketische Eleganz« oder so beschreiben würde. Tatsächlich, dieser ältliche Vertreter der Gattung Mann hatte so ein gewisses Etwas. Außerdem betrachtete er gerade andächtig eines ihrer Bilder ... Katrina schob sich unauffällig näher an den Mann heran. Während sie sich mit einigen Bekannten über das Wetter unterhielt, konnte sie ihn genauer anschauen. Verflixt, er trug eine Sonnenbrille. Das nahm ihr die Möglichkeit, sein Auge, das beste Erkennungszeichen, zu sehen. Sie musste die Frontalattacke reiten. Der Mann wechselte den Standort. Er hinkte ein wenig. Katrina schnappte sich ein Champagnerglas, kippte die Hälfte des Inhalts ungesehen in einen Blumentopf und schlenderte mit diesem Symbol des kultivierten Plauderns auf den Mann zu. »Gefällt es Ihnen?«, fragte sie. Katrina war es gewohnt, dass Männer zusammenzuckten, wenn sie von ihr angesprochen wurden. In diesem Fall kam diese Reaktion nicht. »Wollen Sie die höfliche Version oder die Wahrheit?« Er sprach flüssiges Englisch, aber mit einem leichten italienischen Akzent. Vielleicht kultivierte er diesen Akzent ja ganz bewusst, es erinnerte Katrina jedenfalls ganz unwillkürlich an den typischen feurigen Liebhaber aus alten Kinofilmen »Was meinen Sie mit höflicher Version?«, fragte Katrina verblüfft. »Miss Stein, sie werden doch wohl akzeptieren, dass ich der Schöpferin dieses Werkes gegenüber Höflichkeit walten lasse.« »Oh, Sie kennen mich?« Katrina strahlte. »Leider noch nicht persönlich. Aber ihr Foto ist im Katalog dieser Ausstellung >Aktuelle Kunst im Big Apple< abgebildet. Auf die Gefahr hin, jetzt etwas zu dick aufzutragen, aber wer Ihr Foto gesehen hat, der erkennt Sie sofort wieder, Miss Stein.« Der Mann machte einen kleinen ironischen Kratzfuß, während Katrina sich enorm geschmeichelt fühlte. Doch sie war ein wenig verärgert, weil sie den Mann nicht einschätzen konnte. Charmant war er immerhin, und wie. Aber handelte es sich auch wirklich um denjenigen, auf den sie der Baron 10
angesetzt hatte? »Im Übrigen«, fügte der Mann jetzt lächelnd hinzu, »ist ihr Foto das mit Abstand Erfreulichste im Katalog.« »Nachdem Sie nun kräftig geschmeichelt haben, kann ich dann meine Antwort bekommen? Bitte die höfliche Version und auch die andere.« »So sei es. Die höfliche Version: Ich finde das Werk grandios. Die ehrliche: Ich verstehe es nicht.« »Vielleicht fiele Ihnen das Verständnis leichter, wenn Sie die Farben ungefiltert sehen können. Dazu müssten Sie allerdings Ihre Sonnenbrille abnehmen.« Katrinas lächelte einladend. Der Mann war nicht sonderlich beeindruckt. Trotzdem griff er zum Bügel seiner Ray-Ban. »Ich verabscheue das Ding auf meiner Nase, es wirkt so gewollt - wie sagen Sie hier in den USA? - cool. Ich trage es in Gesellschaft eher aus Eitelkeit, da ich nicht mit Piratenklappe auftreten möchte.« Mit diesen Worten schob er seine Brille auf die Nasenspitze. Er war es! Er war der Mann auf dem Foto. Sein rechtes Auge bot einen erschreckenden, geradezu abstoßenden Anblick. Es war trübe, milchig weiß und ohne Pupille. Trotzdem hatte Katrina jetzt die sichere Empfindung, dass sie ein Blick aus diesem Auge traf, der tiefer drang. Sie wandte sich instinktiv ab. »Sehen Sie, nun habe ich Sie verschreckt.« »Nein, nein, bitte ... Überrascht, nicht erschreckt.« Sie lächelte. Katrina war verwirrt. Was war mit diesem Auge, fragte sie sich. Gerade wollte sie Blickkontakt herstellen, um durch seine Augen in seinen Geist einzudringen, da hatte er die Sonnenbrille bereits wieder zurechtgerückt. Verdammt! »Wieso verstehen Sie das Bild nicht?«, rettete sich Katrina zurück in das Gespräch. Ihre Blicke glitten über das Bild, das sie hasste, weil es sie Wochen der Arbeit und ständiger Änderungen gekostet hatte, bis es sich bei ihrem künstlerischen Gewissen als vollendet abgemeldet hatte. Wieder suchten ihre wundervollen dunklen Augen die seinen und wieder scheiterten sie an der Sonnenbrille. »Wie soll ich es ausdrücken? Es erscheint mir wie eine Kombination widersprüchlicher Elemente, und ich verstehe nicht, wieso es in mir dennoch den Eindruck von Harmonie vermittelt. Da sind diese Anklänge des klassischen Kubismus und daneben die Farbspuren, die in ihrer Dynamik an Jackson Pollock erinnern und daher wie Feuer auf Eis wirken.« Katrina lächelte geschmeichelt. Dieser Mann sollte ihre Ausstellungskataloge schreiben. »Vielleicht drückt sich darin auch das Wesen der Künstlerin aus ... ? Gefühl und Härte - würde Ihnen dieser Tipp weiterhelfen, Mister...?« »Oh, wie unhöflich von mir. Schreiben Sie es meiner Bescheidenheit zu, 11
dass ich meinen uninteressanten Namen nicht neben dem eines weiblichen Genies stellen wollte.« Erneut kam der ironische Kratzfuß, in diesem Fall aber mit weniger Ironie und einer Andeutung von echter Höflichkeit. »Gestatten, Lucanor Tomasi«, sagte er dann. »Wie Sie meinem fürchterlichen Akzent sicherlich schon entnommen haben, bin ich Italiener. Aber, um Ihrer Kreativität wenigstens meinerseits einen kleinen biographischen Glanzpunkt entgegensetzen zu können: Ich bin waschechter Venezianer. Nun, und nachdem wir hiermit den Konventionen Rechnung getragen haben, möchte ich Ihnen antworten, Miss Stein, dass mir Ihr Tipp vielleicht weiterhelfen könnte, aber leider ist mir die Seelenlandschaft der Künstlerin zu fremd, um darin das Feuer und das Eis zu entdecken ... « »Daran kann man arbeiten, Mister Tomasi.« Der Abend versprach angenehm zu werden. Katrina konnte sich schwer erinnern, in letzter Zeit so gute Voraussetzungen für einen perfekten Abend gesehen zu haben. »Katrina!« Die Stimme ließ sie zusammenzucken. Nicht das! Nicht dieses dumme Stück und nicht in diesem Moment! Katrina Steins sorgfältige lackierte Fingernägel formten sich für einen Moment zu Krallen. Dabei war die junge Dame, die sich ihnen näherte, keineswegs völlig abstoßend. Sie war jünger als Katrina und repräsentierte einen völlig anderen Typ: langes, honigblondes Haar, helle Haut und blaue Augen. Ihre Figur war perfekt, und ihre zugleich geschmeidige wie kraftvolle Art der Fortbewegung zwang die Hälse sämtlicher umherstehender heterosexueller Männer zur Drehung. Irgendein Kerl hatte mal zu ihr gesagt: »Es ist ein Verbrechen, dass du deinen süßen Hintern nur zum Sitzen verwendest.« Sie hatte es Katrina kichernd erzählt und dieser war sofort klar gewesen, dass solcher Stuss nur aus dem Mund eines Bruce Darkness kommen konnte. Natürlich war sie keine Konkurrenz für Katrina. Sie sah im Grunde von hinten besser aus als von vorne, jedenfalls ließ ihr Gesicht jeglichen offenen Liebreiz vermissen. Nicht dass sie hässlich gewesen wäre, aber ihre Züge wirkten zu herb, fast verschlossen und erst bei längerer Betrachtung konnte sich die verborgene kristallklare Schönheit erschließen. Aber, mal ehrlich, wer würde sich schon diese Mühe machen, vor allem, wenn Katrina Stein in der Nähe ihr Lächeln leuchten ließ? So kam es, dass besagte junge Dame im Büro Katrinas eine Anstellung gefunden hatte, als Sündenbock diente, nützliche Zuarbeiten machte und auch die künstlerische Tätigkeit als eine Art von Sekretärin unterstützte. »Darf ich vorstellen«, sagte Katrina mit spürbar wenig Enthusiasmus in der Stimme. »Lucanor Tomasi - Sandy Davis, meine Sekretärin. Sandy, das ist Lucanor Tomasi. Was gibt es?« 12
»Chester Turnbull ist vorhin aufgetaucht und will Sie unbedingt sprechen, Miss Stein.« »Hat der Arme meine Telefonnummer verloren?« »Er will Sie persönlich sprechen.« »Dann mach ihm einen Termin. Sandy, was soll dieses Spiel eigentlich? Ich bin hier, um Kunst zu genießen und nicht, um mit alten Männern über Geschäfte zu reden.« »Es tut mir Leid, Miss Stein, aber ... Chester Turnbull hat gestern von Thomas Alden die Verwaltung des Ankauf-Budgets der Solomon-TurnerStiftung übernommen und daher wäre es vielleicht doch gut, ihn gleich jetzt zu treffen ... Er wartet am Eingang neben dem Brunnen auf Sie, Miss Stein.« Keine italienische Operndiva hätte diese Geste stiller Verzweiflung und bitterer Schicksalsergebenheit besser auf die Bühne gebracht als Katrina Stein. »Ich lasse Ihnen meine Sekretärin als Lotse durch die Welt meiner Pinseleien hier, Mister Tomasi«, sagte sie zum Abschied. »Vielleicht sehen wir uns ja doch noch im Laufe des heutigen Abends.« »Es wäre mir mehr als ein Vergnügen, Miss Stein. Es wäre mir ein Bedürfnis!« Während sie in der angebrachten Mischung aus Eile und Lässigkeit auf den wartenden Chester Turnbull zuschritt, dachte Katrina an Tomasi. Ein überaus reizender Mann. Aber sie hatte wie immer alles unter Kontrolle. Absolut! * »Pass auf, du Schlampe, du hast mich jetzt genug Zeit gekostet. Also, mach dein blödes Maul auf, sonst bist du ein Fall für den Sondermüll.« Aus dem Mund des Mädchens kam als Antwort nur ein leises Wimmern. Ihr Gesicht war Zeuge davon, dass sie schon übel zusammengeschlagen worden war. Mit dem rechten Auge - das Linke war zugeschwollen - schaute das Mädchen angstvoll den Mann an. Er tat ihr weh. Aber das war nicht einmal das Schlimmste. Schlimmer war die Veränderung, die in dem Gesicht des Mannes vorging, wenn er - wie jetzt wieder sehr wütend war. Dann sah es so aus, als würde seine Stirn schwellen und über der Nase erschienen dann drei tiefe waagerechte Kerben. Seine Augen bekamen einen grellgelben Schimmer und wenn er sprach, dann konnte sie plötzlich spitze Zähne hinter seinen Lippen erkennen. 13
»Spucks aus, du Miststück. Wo ist er? Na? Ich warte!« »Ich weiß es doch nicht!«, wimmerte sie. »Falsche Antwort, Schlampe. Absolut falsche Antwort.« Das gelbe Glitzern in seinen Augen leuchtete wie ein Signallicht. Seine Stimme hatte einen kehligen, dröhnenden Klang bekommen, als wäre sie mit einem Nachhall versehen. Er holte wieder aus, diesmal nicht mit der flachen Hand, sondern mit der geballten Faust. »Wenn du sie platthaust, wird sie dir schon aus praktischen Gründen nichts mehr erzählen.« Die Stimme von Bruce Darkness kam aus dem Hintergrund. Er saß auf einem der wackligen Stühlen, die in diesem schäbigen Hotelzimmer standen, und hatte die Beine auf die Fensterbank gelegt. Seine schwarze Lederjacke hing über der Stuhllehne, und da er der Meinung war, dass es sich für einen Vampir so gehörte, waren auch seine Jeans, das T-Shirt und die Motorradstiefel schwarz. Bruce mochte diesen Kerl nicht. Alec Sistran, so nannte er sich wenigstens, war ihm durch Baron von Kradoc als Partner zugewiesen worden. Der Halbdämon war extra deshalb eingeflogen worden. Der Baron war nach wie vor im höchsten Maße alarmiert und blieb bei seiner Überzeugung, dass der eigentliche Angriff durch die Bruderschaft des Schwertes erst noch kommen würde. Alles, was seitens der Sterblichen in der letzten Zeit versucht worden war, um sein Imperium zu zerstören, war für den Baron nur eine Vorbereitung auf die letzte Schlacht. Keiner wusste, wer die Angreifer sein würden und was ihre eigentlichen Ziele waren. Aber man musste gewappnet sein. Als die wichtigste Aufgabe erschien es, erst einmal die Reste der Bruderschaft des Schwertes aufzuspüren und zu vernichten. Nach dem Tod ihres Anführers Gerald Uncle waren die Mitglieder der Gang blitzartig von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht handelte es sich nur noch um eine Bande frustrierter US-Amerikaner, die von nichts anderem als der Absicht angetrieben wurden, die beträchtliche Summen, die der Bruderschaft des Schwertes gehörten, zu verteilen und dann nach Sun City abzuhauen. Vielleicht war alles aber auch ganz anders. Vielleicht organisierte sich die Gruppe neu. Vielleicht erstand ein neuer Anführer, so wie Gerald Uncle sich zum Boss aufgeschwungen hatte, nachdem Sarrak durch ihn - Bruce Darkness - getötet worden war? Und vielleicht war dieser mögliche neue Anführer ebenso intelligent, fanatisch und skrupellos wie seine beiden Vorgänger - der Mensch und der Krieger aus einer anderen Dimension? Der Baron wollte nicht warten, bis diese Fragen durch den Verlauf der Ereignisse beantwortet wurden. »Vernichte die Bruderschaft des Schwertes«, lautete seine erfreulich klare Anweisung an Bruce. 14
Und wegen der Wichtigkeit des Auftrags wurde ihm Alec Sistran zugewiesen, der sich - angeblich - in der Gemeinde der Vampire einen Namen als Detektiv gemacht hatte. Sehr schnell musste Bruce bemerken, dass nicht er diesen Alec bemuttern musste, sondern dass Alec Sistran ihn als Anhängsel von verminderter Brauchbarkeit behandelte. Okay, sollte der neue Liebling des Barons die Sache erledigen, wenn er so gut war, wie er tat. Danach würde Bruce ihm den Arsch aufreißen. Nur - Alec Sistran war nicht so gut, wie er tat. Nicht einmal halb so gut. Und jetzt verbockte er die Sache wieder. Und Bruce würde wahrscheinlich auch dafür verantwortlich gemacht werden. Eines störte ihn besonders: Sistran hatte keinen Stil. Es ging nicht um Ethik oder Moral. Es ging darum, ob man ein Schwein, das man zum Kotelett verarbeiten will, vorher unbedingt beschimpfen und foltern muss. Bruce jedenfalls fand es nicht in Ordnung, Mädchen zu verprügeln. Sistran dagegen? Bääh! Dieser Halbdämon mochte manche Fähigkeiten haben - es war ihm aber bisher gelungen, sie vor Bruce Darkness komplett zu verbergen. Das Mädchen brach in heftiges Schluchzen aus. Ihr ganzer Körper wurde geschüttelt. Sie lag halb auf dem Tisch, ihr Peiniger hatte seine harten Hände in ihrem Haar verkrallt. Das Mädchen hatte eine prächtige Mähne aus langem, gekräuseltem Haar. Dies war zweifelsohne ihre herausragendste optische Eigenschaft, denn ansonsten war sie die Verkörperung der klassischen grauen Maus. »Sie weiß nichts«, sagte Bruce Darkness und nahm die Füße herunter. »Und was ist das hier, du Trottel?« »Nenn mich nie wieder Trottel, sonst hämmere ich dir diese Höflichkeitsregel in den Schädel, Sistran!« Plötzlich herrschte Stille in dem Raum, man konnte das Mädchen leise weinen hören, das Keuchen Sistrans und das Knarren der Bohlen, als Bruce Darkness auf den Tisch zuging. Es gab ein Duell zweier wütend funkelnder Augenpaare, gelb und strahlend blau, das das blaue von Bruce gewann. Alec Sistran senkte knurrend den Kopf und schnippte ein Foto über den Tisch, in Richtung auf Bruce Darkness zu. Bei dem Foto handelte es sich um ein Sofortbild. Das Mädchen war darauf zusammen mit einem jungen Mann abgebildet. Beide strahlten in die Kamera, er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt, sie schlang ihren Arm um seine Hüfte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Beide sahen glücklich aus. Ihr Glück überwand die alltägliche Durchschnittlichkeit ihrer Gesichter und gab ihnen einen Schimmer von Schönheit. Die glänzende 15
Oberfläche des Fotos war zerknittert, weil das Mädchen es anscheinend ständig bei sich getragen und oft angeschaut hatte. »Ist er es, oder ist er es nicht?«, fragte Sistran. »Ja«, kam die patzige Antwort von Bruce Darkness, »er ist es, Tom Dellman.« »Wie schön, wenn man einen verständigen Mitarbeiter hat.« Dieses Arschloch nannte ihn Mitarbeiter? Für Bruce war es damit sicher, dass er Sistran umhauen würde. Aber nicht jetzt... »Und die Schlampe auf dem Bild«, fuhr der Halbdämon unterdessen fort, »ist dieses Fleischstück hier! Richtig?« »Richtig.« »Also kennt sie ihn.« »Habe ich nie bestritten.« »Also macht sie einfach ihr dämliches Maul nicht auf, weil sie ihn decken will.« »Das ist nur eine Vermutung«, wiegelte Bruce ab. »Hast du eine bessere?« Mit Mühe konnte Alec Sistran sein wütendes Gebrüll in ein leiseres Fauchen und Schnauben umwandeln. Er schleuderte sein Opfer mit einer ungeduldigen Bewegung in die Zimmerecke neben der Tür. Dort kauerte sich das Mädchen verzweifelt zusammen. Sie hielt sich die Hände vor das Gesicht, ihr Rücken zitterte unter dem unterdrückten Schluchzen. Sistran warf ihr einen hasserfüllten Blick zu und deutete in ihre Richtung. »Sie weiß etwas. Sie deckt ihn. Dieses Stück Dreck ist in den Typen verknallt. Sie profitiert von ihm. Hast du den Ring an ihrem Finger gesehen? Die Schlampe fegt irgendeine McDonalds Filiale aus. Meinst du, die zahlen genug Knete, dass sie sich selbst so einen Klunker kaufen kann? Den hat ihr Dellman geschenkt, und dieses Arschloch hängt bei der Bruderschaft des Schwertes dick drin. War ich überzeugend? Liebst du mich jetzt?« »Selbst wenn sie ihn noch heute getroffen hat, weiß sie nicht, wo er ist.« »Doch, verdammt noch mal, sie weiß die Treffpunkte. Er wird ihr erzählen, was Sache ist. Sie weiß es, und ich werde es aus ihr rausprügeln.« Plötzlich war die Fratze Alec Sistrans ganz nah. Bruce Darkness konnte sein eigenes Spiegelbild in dem matten Glühen der gelben Augen erkennen. Für einen Moment fiel es ihm schwer, dem Ansturm von Wildheit und Blutdurst zu widerstehen, der wie Ofenhitze von dem Halbdämon ausging. Es schlug wie eine Brandungswelle über ihm zusammen. Das Raubtiergebiss Sistrans zeigte sich im offenen Mund, er röchelte und seine Arme machten flatternde Bewegungen. Dann sprang er vor. Bruce Darkness ließ ihn kommen. Erst im letzten Moment wich der 16
Vampir mit übermenschlicher Schnelligkeit aus. Als Sistran an ihm vorbeigerauscht war, setzte Bruce hinterher und rammte den Halbdämon mit voller Wucht gegen die Wand. »Leg dich nicht mit mir an!«, knurrte der Vampir, während Sistran verzweifelt versuchte, sich zu befreien. Doch schließlich beruhigte sich der Halbdämon. Bruce ließ ihn los. »Es ist Magie«, sagte er dann. Sistran fuhr erneut herum. Er zeigte auf seinen Bizeps und dann auf seine dolchartigen Reißzähne, die größer waren als diejenigen der Vampire, die Sistran jedoch genau wie diese einziehen und verstecken konnte. »Das ist Magie. Und nicht irgendein Scheiß, den du alten Weibern erzählen kannst, Darkness.« »Es ist bemerkenswert, dass du angeblich seit Jahren irgendwelche Fälle löst, ohne zu kapieren, was hier eigentlich abgeht. Was ich versuche, dir zu erklären, ist, dass dieses Mädchen nicht weiß, was wir von ihr wissen wollen, selbst wenn sie sich noch vor fünf Minuten mit Dellman gepaart hätte. Es gibt etwas - oder jemanden - der die Bruderschaft des Schwertes deckt. Nenn es, wie du es willst. Für mich ist die Bezeichnung >Magischer Nebel< in Ordnung.« Sistran warf einen Blick auf das Mädchen, setzte sich auf einen Stuhl und spielte mit dem Foto. »Magischer Nebel, was? Keine nebulöse Magie, sondern magischer Nebel. Was, zum Teufel, habe ich mir darunter vorzustellen, außer, dass du nicht richtig hingucken kannst.« »Ich werde dein Leben durch eine Anekdote aus meinem Dasein bereichern, Sistran. Gestern, als wir uns getrennt hatten und du es für notwendig befunden hast, diese drei Teenies an die Wand zu nageln, habe auch ich mich umgeschaut. Ich wusste, dass die Bruderschaft des Schwertes in West-Brooklyn ein Haus hatte und wollte ...« »Hübsch zu hören, davon hast du mir gegenüber aber nichts erwähnt.« »Halts Maul, du verdirbst die Geschichte. Ich fahre also hin, eine ziemliche Scheiß-Gegend. Ich frage einen Typen, der gerade aus einem Haus gekommen ist, nach der Werkstatt von Simon und Benchley. Das war nämlich die Deckadresse der Bruderschaft des Schwertes und da haben sie letztens auch ihre geklauten Trucks mit Rammstangen versehen. Der Typ glotzt mich also an, kratzt sich am Kopf, überlegt. Er hat keine Ahnung und zieht grummelnd ab. Und ich gehe ein Stück weiter und was sehen meine hübschen Augen? An dem Haus, aus dem der Kerl gekommen war, hängt das Schild von Simon und Benchley. Natürlich waren die Kerle alle ausgeflogen, aber darum gehts ja jetzt nicht.« »Der Typ hat dich verarscht.« »Hat er nicht. Das hätte ich gemerkt. Nein, 17
er wusste es wirklich nicht. Er hätte seinen eigenen Namen nicht gewusst, wenn mir das irgendwie geholfen hätte, die Bruderschaft-Leute zu finden. Und genau das, wertes Publikum, meine ich mit magischem Nebel. Ich bin tagelang an einem miesen Haus vorbeigefahren, ohne es zu bemerken. Und das ist was anderes, als wenn du deine Socken suchst oder so.« »Na schön, Klugscheißer, und was lernt uns das?« »Wir haben ein Problem.« Bruce Darkness trat ans Fenster. Seine Finger trommelten einen unruhigen Rhythmus gegen das Glas. Plötzlich wandte er sich an Sistran, der ihn in der Zwischenzeit unverwandt fixiert hatte. »Was ist mit deinen Leuten?« »Lass meine Familie aus dem Spiel!« »Ich meine nicht deine reizende Familie. Ich rede von dem übrigen Höllengesocks, dass in New York rumschwirrt.« »Was ist damit? Du tust so, als seien das Massen. Dabei sind es gerade mal fünfzig Dämonen auf acht Millionen Sterbliche.« »Aber von den Fünfzig sind nicht unbedingt alle auf unserer Seite?« »Keiner ist auf der Seite der Vampire. Meinst du, ihr wäret besonders liebenswert?« »Was mich angeht, bin ich mir absolut sicher. Du meinst, ich bin es nicht?« Bruce Darkness klappte zusammen und legte leidend seine Handfläche an die Stirn. Dann grinste er Alec Sistran wieder an. »Machen wir mal eine logische Reihung. Deine Leute sind nicht unbedingt für uns. Deine Leute machen ihr eigenes Ding, das ist uns ja nicht verborgen geblieben. Also ist es für sie ganz praktisch, wenn einer den Baron und sein Volk auslöschen will. Also machen sie mit.« »Einige der besten Vampirjäger waren Dämonen«, antwortete Sistran mit unverhohlenem Stolz. »Mir brauchst du darüber nichts zu erzählen. Worauf ich hinaus will: Einer von euch könnte bei der Bruderschaft des Schwertes mitmachen.« »So wie die Jungs angeblich abräumen, kann ich mir das gut vorstellen.« »Schön, dann wissen wir, was wir zu tun haben.« In seiner völligen Verblüffung wandelte sich das Gesicht Sistrans jetzt und bot den Anblick eines feisten, wohlwollend wirkenden Endvierzigers. Diese seriöse Seite seines Wesens war es wohl auch, die Alec Sistran zu einem erfolgreichen Ermittler gemacht hatte. »Kannst du deine Leute erkennen, Sistran?« Der zuckte die Schultern. »Die meisten.« »Okay, wir schnappen uns einen davon, der zumindest die Chance bietet, dass er mit der Bruderschaft des Schwertes in Kontakt steht und quetschen ihn aus. Du wirst ja wohl wissen, wo hier Dämonen abhängen. Vielleicht wirkt der magische Nebel nur auf Sterbliche.« 18
Bruce Darkness verließ zuerst den Raum, den sie als eine Art von Unterschlupf gemietet hatten. Hinter ihm kam Sistran. Er überlegte, schaute dann auf das Mädchen und beugte sich zu ihr herunter. Sein Gesicht wandelte sich übergangslos in eine Fratze wilder Gier. Dann stürzte er sich auf sein Opfer... Bruce Darkness wartete neben seiner Harley. Im matten Schein der Straßenlampe sah er den bulligen Sistran in seinem billigen, schlecht sitzenden Anzug herauskommen. Sein Gesicht strahlte Zufriedenheit und bürgerliche Biederkeit aus. Bruce steuerte seine Harley hinter dem Firebird Sistrans her. Sein »Partner« ließ den Ellenbogen aus dem Fenster hängen und fuhr zwischendurch so langsam, dass es Bruce schwer fiel, mit seinem Zweirad nicht zu kippen. Natürlich musste das so sein, weil Sistran die Leute auf dem Gehsteig beobachtete. Aber Bruce entging nicht das im Rückspiegel sichtbare hämische Grinsen Sistrans, in dem er die schlenkernden Gleichgewichtsprobleme des Vampirs wie eine Motorshow genoss. Wie sucht man etwas, das unsichtbar ist? Man hält sich an die sichtbaren Zeichen, die das Unsichtbare hinterläßt. Wo wagten es die Reste der Konkurrenzgangs wieder, die Nase auf die Straße zu stecken? Wo verkauften welche Typen welchen Stoff aus welcher Quelle an welche Kunden? Wo waren welche Gangmarkierungen an die Wände gesprüht, ohne dass sofort ein Krieg ausbrach? Da war diese Kirche. Für den Vampir Bruce Darkness war darüber nicht viel zu sagen. Sollten sich die Sterblichen in ihr himmlisches Reich beten, so lange sie die Vampire nur in Ruhe ließen. Aber er hatte inzwischen herausgefunden, dass sich Gerald Uncle öfter in diesem Gotteshaus aufgehalten hatte. Wenn er so weit in seinen Überlegungen gekommen war, dann konnte sich Bruce Darkness auch vorstellen, dass weitere Mitglieder der Bruderschaft des Schwertes in den Mauern just dieses Gotteshauses nach geistlichem Beistand suchten. Also lungerten Bruce und Sistran mit Blick auf die Kirche herum und warteten, dass sich etwas tat. Was nicht geschah ... Einige Wagen röhrten vorbei, es gab sogar einige Gruppen von Fußgängern. Ansonsten wirkte diese Gegend auf seltsame Weise menschenleer. Also wirklich, sagte sich Bruce Darkness und grinste boshaft, in diesem Viertel könnte man als Vampir doch glatt verhungern. Was machte Sistran? Eingeschlafen, dieser Sack! Warum auch nicht? Kam sowieso nichts bei rum bei dieser Warterei. »Irgendwas passiert«, hörte er plötzlich Sistrans Stimme. Verdutzt schaute 19
er zum Wagen. Sistran lag in unveränderter Position, sein Arm hing aus dem Fenster, seine Augen waren geschlossen. »Siehst du was, Darkness?« Bruce suchte sorgfältig die heruntergekommene Straße ab. Er sah Müllberge, fahrbare Autowracks, kaputte Hydranten, die schäbige Kirche
... Und dann erkannte er eine Bewegung. Es waren Fußgänger, die sich trotz der Dunkelheit in der Deckung der Hauswände bewegten und darauf achteten, nicht in den Lichtkreis der wenigen Lampen zu geraten, die ihr schimmliges Licht auf den eigenen Mast warfen. Die Tatsache, dass beide schwarz gekleidet waren, machte das Beobachten auch nicht leichter. Nur bei dem einen schimmerte etwas Weißes. Bruce erkannte, dass es eine Art von Halstuch war. Die beiden Männer gingen auf die Kirche zu. Bruce Darkness versuchte, sie anhand ihrer Bewegungen, an der Art zu gehen, abzuschätzen. Sie waren nicht betrunken, standen nicht unter Drogen. Trotzdem liefen sie auf eine schwer einschätzbare Weise auch nicht normal. Sie waren fit, sie hatten Schwung, sie waren durchtrainiert und - ja das war es. Sie hatten so eine seltsame Mischung, zugleich vorsichtig wie Indianer auf dem Kriegspfad und rücksichtslos, als wollten sie alles niedertrampeln, was ihnen in den Weg kam. Das mussten sie sein! Bevor Bruce Darkness den Mund aufmachen konnte, um Sistran seine Erkenntnis mitzuteilen, erklang dessen Stimme: »Da ist einer!« »Welcher ist es?« »Warts ab!« Die Beiden hatten das Portal erreicht. Der eine reichte dem ändern einen Gegenstand, dann verschwand er in der Kirche. »Es ist der, der jetzt vor der Kirche steht.« Sistrans Augen waren immer noch geschlossen, aber er hatte den Kopf gehoben und wirkte, als würde er durch seine geschlossenen Lider aufmerksam beobachten. Auf die Idee wäre ich jetzt auch gekommen, sagte sich Bruce Darkness. Dämonen mögen Kirchen ebenso wenig wie der normale Sonntagsschüler. Die Gestalt, die jetzt mit verschränkten Armen vor dem Portal auf und ab ging, war gerade einmal mittelgroß. So weit Bruce es aus der Entfernung und bei den schlechten Lichtverhältnissen erkennen konnte, handelte es sich um einen glatzköpfigen, recht breitschultrigen Weißen, der aber auch afrikanisches Blut in sich hatte. Gut, da war das Zielobjekt, aber dennoch zögerte Bruce Darkness. »Vergiss ihn«, kam als Bestätigung sofort danach die Stimme von Alec 20
Sistran. »Kannst du das ein wenig genauer erklären?« »Wenn ich dir das Stichwort 120 Megatonnen gebe, kannst du damit was anfangen?« »Klingt so wie >Finger wegDating< nennt, nie so ganz verinnerlichen. Abgesehen davon habe ich so eine Nummer überhaupt nicht.« »Und wovon leben Sie? Überfallen Sie Banken oder so?« »Nur Drugstores, da bekommt man wenigstens Bargeld. Aber Scherz beiseite, ich bin so eine Art Privatsekretär und rechte Hand« »Klingt enorm interessant. Und für was sind Sie zuständig?« »Für die Organisation von extrem schwer zu beschaffenden Materialien. Aber was reden wir über mich, ich bin doch nebensächlich. Gehen auch Sie neben Ihrer künstlerischen Tätigkeit einem Brotberuf nach.« >Brotberuf< klingt missverständlich«, berichtigte Katrina. »Es ist eher so, dass ich auch den Bodenkontakt brauche. Als Künstlerin gerät man schnell in Gefahr, zu hoch zu fliegen ... « »Ja«, bestätigte Tomasi mitfühlend, »Wie ich Sie verstehen kann, meine Liebe. Ach, wie wünschte ich mir, auch einmal an einem großen Werk mitarbeiten zu könne, so wie Sie immer wieder in Ihrem Atelier eine neue Welt erschaffen. Ach übrigens, was ist es denn, das Sie den Bodenkontakt behalten lässt?« »Ein Job im obersten Stockwerk des Empire State Building, ich bin eine Art von Beraterin«, antwortete Katrina lächelnd und fragte sich, ob sie sich in diesem Augenblick nicht überflüssig weit vorgewagt hatte. »Glücklich ist der Chef, der Sie an seiner Seite weiß.« Tomasi legte den Kopf zur Seite. »Ähm, er ist wohl nicht zufälligerweise noch ziemlich jung, Ihr Chef?«, fragte er dann schelmisch. »Nein«, lachte Katrina, »er ist sogar ziemlich alt, aber er hat sich prachtvoll gehalten.« »Sicherlich eine bewundernswerte Person.« »Zuweilen etwas einseitig in ihren Ansichten.« »Oh, das klingt nach einem alten Tyrannen.« »So könnte man ihn beschreiben.« »Alte Tyrannen muss man beseitigen. Das wissen sie doch, Miss Stein?« Tomasi lächelte herausfordernd. »Tatsächlich, haben Sie einen Vorschlag?« »Mir würde bestimmt etwas einfallen ... « Die Sitzposition, die Katrina Stein einnahm, war eine exquisite Mischung aus damenhaft und aufreizend, aber Tomasi, dieser Idiot, benahm sich wie der perfekte Herr. So blieb es eine unterhaltsame Nacht, deren geplanten Höhepunkt Katrina Stein auf einen anderen Termin verschieben musste. Das war ärgerlich, denn unter allen Örtlichkeiten, an denen Männer zum Ausplaudern von Geheimnissen aufgelegt sind, ist der Raum zwischen Laken und Bettdecke immer noch der sicherste Tipp. 44
Aber man durfte nichts überstürzen. Als Katrina der Limousine nachwinkte, registrierte sie bei sich jedenfalls ein gewisses Bedauern, dass Tomasi nicht mehr an ihrer Seite war. Tatsächlich, mit ihm zusammen war es sehr lustig gewesen. Katrina Stein zog die Augenbrauen hoch. War sie etwa auf diesen hässlichen Trottel von Mann scharf? Und sie stellte fest, dass es mehr war als das: Sie brannte vor Begierde. * Die Bruderschaft des Schwertes begann Bruce langsam aber sicher auf den Geist zu gehen. Inzwischen wusste er, wo sie sich versteckt hielten. Obwohl »versteckt« nicht das richtige Wort war. Sie lagen nicht etwa unter den Betten und verhielten sich still. Sie blieben vielmehr im Umkreis ihres Hauptquartiers, bastelten in einer Hinterhofwerkstatt und verließen sich ansonsten darauf, dass sie nicht entdeckt wurden. Es waren zu viele, um sie in einer einzigen Attacke zu erledigen. Und abzuwarten, bis sie ihm jeweils in erträglichen Portionen vor die Faust liefen, hätte viel zu lange gedauert. In gewisser Hinsicht stand Bruce Darkness unter Erfolgsdruck. Er musste dem Baron zeigen, dass auf ihn Verlass war. Bruce verlegte sich auf die Torero-Taktik: Zeige, dass du da bist. Reize den Gegner. Und dann lass ihn in deinen Degen laufen. So weit die Theorie. Für die Umsetzung ins Faktische kamen Bruce die sechs Mitglieder der Bruderschaft gerade recht, die sich in einem Wagen zur nächsten Tankstelle aufmachten. Weil ein Pick-Up die Durchfahrt blockierte, mussten sie sich nach einigem Rangieren an die hinterste Zapfsäule stellen. Fünf blieben im Wagen, der Fahrer stieg aus, hängte die Zapfpistole in die Tanköffnung, schlenderte ein Stück weiter und studierte ein Plakat. Er trug das, was inzwischen so eine Art Uniform der Bruderschaft des Schwertes geworden war - eine lange schwarze Lederjacke und ein weißes Halstuch. Für den Vampir war die Situation günstig. Dennoch konnte er sich keinerlei Pirouetten erlauben, sondern musste schnell handeln. Niemand beachtete den jungen Mann in der schwarzen Lederkluft, der plötzlich aus einer Nebenstraße in den Tankstellenbereich raste. Der Vampir riss die Zapfpistole aus dem Tank, verteilte mit ihr Benzin über dem Wagendach und warf sie dann zur Seite. Immer noch strömte Benzin. Ätzender Gestank breitete sich aus, Dämpfe stiegen auf, brannten in den Augen, waberten als Schlieren in der Luft. »Hey!« Der Fahrer der Bruderschaft war inzwischen herumgewirbelt und 45
hatte eine UZI hervorgezogen. Um auf den Vampir schießen zu können, musste er einige Schritte zur Seite machen. Bevor er den Finger krümmen konnte, flog ihm ein eiserner Mülleimer entgegen. Zu spät duckte er sich ab. Die Kante des schweren Korbs traf ihn an der Schläfe und schickte ihn zu Boden. Jetzt erst registrierten die Insassen des Wagens wirklich die Bedrohung. Und da war es bereits zu spät ... Bruce hatte sein Zippo-Feuerzeug hervorgeholt, schnippste es an, hielt es über die Benzinlache - und ließ es fallen. Kaum hatte er losgelassen, sprintete er los. Der Vampir war schon gut zehn Meter entfernt, als das Zippo auf dem Boden aufkam. Zuerst gab es ein kleines, geradezu schüchternes blaues Flämmchen, das sich über das Benzinrinnsal ausbreitete. Dann stand der Wagen in Flammen. Die Männer im Inneren versuchten noch in panischer Angst, den Wagen zu verlassen. Es gab einen Knall, ein Feuerstrahl zischte fauchend in die Höhe und in der nachfolgenden Explosion wurde der Tankstellenbereich pulverisiert. Der Vampir war so schnell er konnte weitergerannt. Die Druckwelle warf ihn dennoch zu Boden, die Hitze fuhr im über den Nacken wie ein Rasiermesser. Zwei Autos fuhren auf der Straße scheppernd ineinander, Schreie drangen durch das Fauchen der Flammen, Hupen tönten, Menschen flohen in Panik. Bruce stand wieder auf und klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. Zwischen den goldenen Flammenblüten wölkte schwarzer Qualm von brennenden Reifen auf. Der zweite Schlag gegen die Bruderschaft des Schwertes war ähnlich effektiv. Bruce rammte mit seinem Militärjeep der Marke »Hummer« voll in die Seite eines voll besetzten Wagens der Bruderschaft und drückte ihn gegen eine Hauswand. Dann sprang er aus dem Wagen, um den Sterblichen den Rest zu geben. Bruce Darkness wusste selbst, dass sein Gesichtsausdruck seinen an sich ganz guten IQ verleugnete, als ihm eine wutgerötete Dämonenfratze entgegenfauchte. Bevor er zu irgendeiner Abwehr fähig war, fuhr ihm die Krallenpranke durch das Gesicht. Brüllend vor Schmerz zuckte der Vampir zurück. Seine Augen waren plötzlich von seinem eigenen Blut verklebt. Für Sekunden konnte er nichts sehen. Als er endlich wieder etwas erkennen konnte, wühlte sich der Dämon zischend vor Wut, mit gelb flackernden Augen und rötlich glimmender 46
Haut aus dem Wrack. Die Wunde im Gesicht des Vampirs hatte sich schon geschlossen, aber als er aufstand, dröhnte sein Schädel und ließ ihn schwanken. »120 Megatonnen« hörte er in seinem Kopf die Stimme Alec Sistrans sagen. Hier war schnelle Entsorgung und eine robuste Methode angesagt. Der Dämon schob sich unter dem eingeknickten Dach aus der Wagentür. Seine unbezähmbare Wut hatte seine Gestalt wachsen lassen, sodass er sich nur mit Mühe zwischen den scharfen Blechkanten hindurch ins Freie zwängen konnte. Dieser Widerstand ließ ihn noch wütender werden. Endlich stand er fauchend vor dem Wrack, als ihn der Vampir von der Seite ansprang. Der Dämon taumelte zur Seite, wurde durch zwei, drei heftige Tritte weiter in diese Richtung getrieben und dann war sein Nacken über der messerscharfen Schneide, die von der zerknitterten Motorhaube gebildet wurde und der Ellenbogen des Vampirs schlug ihn wie ein Hammer gegen das Blech. Mit der Rechten zog Bruce sein Hiebmesser unter der schwarzen Lederjacke hervor und hackte auf den Nacken seines Gegners ein. Er benötigte tatsächlich mehrere Hiebe - etwas, das der Vampir überhaupt nicht gewohnt war - um dem Monster den Kopf von den Schultern zu trennen. Währenddessen spürte er, wie die Kralle des Dämons in seinem Körper wühlte und nach sein Herzen greifen wollte. Endlich hatte Bruce es geschafft und schleuderte den Schädel des Dämons zur Seite. Dann konnte er sich nur noch nach hinten fallen lassen. Der Dämonenschädel kollerte über die Straße und blieb schließlich liegen. Seine Hitze ließ den Asphalt Blasen treiben. Der Dämonenkörper lehnte noch an dem Autowrack. Immer noch wühlten die Krallen, als wären sie Maschinenteile, und rissen tiefe Furchen in das Blech der Karosserie. Der Vampir kümmerte sich nicht weiter darum. Mit schmerzverzerrter Miene wälzte er sich zur Seite und kam schließlich zähneknirschend und mühsam auf die Beine. Die anderen Mitglieder der Bruderschaft des Schwertes griffen ihn zwar an, aber sie waren verletzt, standen unter Schock und bildeten selbst für einen verletzten Vampir - der sich auch bereits wieder erholte - keine ernst zu nehmenden Gegner. Und der Jüngste der Sterblichen, in dessen glasigen Augen deutlich der Schock stand, tat dem Vampir einen großen Gefallen. Er rief über Handy um Hilfe. Bruce ließ ihn gewähren. Er hatte durch einige Knochen zerschmetternde Tritte gegen die Beine zwei der Sterblichen zu hilflosen Zuschauern gemacht. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sahen sie still und 47
fassungslos zu, wie der Vampir einen der ihren in den Klauen hatte und ihm langsam das Blut aussaugte. Sie sahen den stumm aufgerissenen Mund ihres Kameraden, sahen, wie sich Todesblässe über seine Haut legte, wie seine Augen glasig wurden, bis er schließlich wie eine Puppe fortgeworfen wurde. »Bis dann, ihr Nieten«, rief der Vampir und verzog sich, bevor die Verstärkung eintraf. Aus einem sicheren Versteck konnte Bruce Darkness den Auftritt der Bruderschaft des Schwertes in ihrer ganze Macht und Herrlichkeit beobachten. Zehn Limousinen jagten heran, jede mit fünf oder sechs Jägern besetzt. Alle waren sie bis an die Zähne bewaffnet, alle trugen sie wieder die Gurte mit den Holzpflöcken über der Brust und alle dampften vor Kampfbereitschaft. Aber es war kein Gegner zu sehen. So sammelten sie ihre Verletzten ein, warfen die Überreste des Dämons in das Autowrack und zündeten den Wagen an. Als die Polizei erschien, flohen sie und trennten sich. So fiel es erst später auf, dass von den zehn Wagen nur neun zurückgekommen waren. * »Was wollen Sie?« Tom Uncle machte sich gar nicht die Mühe, freundlich zu wirken. Seine massige Gestalt füllte den Türrahmen. Er sah ungepflegt aus mit seinen Bartstoppeln und den verquollenen Augen. Auch seine Kleidung, bestehend aus einer ausgebeulten Jogginghose und einem fleckigen Unterhemd, bestätigte diesen Eindruck nur. Ein deutlicher Geruch nach Bier und ungewaschenen Achseln ging von Uncle aus. Ein schärferer Gegensatz zum Mann, der auf dem Flur stand, war nicht zu denken. Es war eine höchst elegant ganz in Weiß gekleidete männliche Person in den besten Jahren. Durch seine schwarzen Haare und die schwarzen Augen wurde die Farbe seines Anzugs nur noch mehr betont. Sie schien geradezu zu leuchten. Er war bestenfalls mittelgroß - was im Vergleich zum mammutartigen Uncle jetzt besonders auffiel - und hatte ein engelhaft-schönes Gesicht. »Ihnen helfen«, sagte er mit einem Lächeln. Die Antwort verblüffte Uncle und machte ihn erst einmal stumm. Das Wort Hilfe kam in seinem Kosmos nicht mehr vor. »Darf ich eintreten?«, fragte der weiß Gekleidete. Uncle antwortete nicht, schob sich aber etwas aus der Tür, was der andere 48
als Aufforderung betrachtete. »Hübsch hässlich haben Sie es hier«, sagte er nach einem Rundblick auf die kahlen Räume. »Ich muss wissen, wer Ihr Innenausstatter ist.« »Sind Sie von >Schöner Wohnen