Roland Benedix
Bauchemie
Roland Benedix
Bauchemie Einführung in die Chemie für Bauingenieure 3., durchgesehene und aktualisierte Auflage 2005
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Prof. Dr. rer. nat. habil. Roland Benedix Studium der Chemie an der Universität Leipzig. Promotion und Habilitation zur Struktur und zum spektroskopischen Verhalten von Übergangsmetallkomplexen. Wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent an der Universität Leipzig bis 1992. Lehrtätigkeiten: Vorlesungen, Seminare und Praktika auf dem Lehrgebiet Allgemeine und Anorganische Chemie. Seit 1992 Professor für Allgemeine und Anorganische Chemie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH). Lehrveranstaltungen: Chemie für Bauingenieure, Umweltund Wasserchemie. Internet: www. imn.htwk-leipzig.de Email:
[email protected] In der 1. Auflage erschien das Buch unter dem Titel „Chemie für Bauingenieure“ im Teubner Verlag.
1. Auflage 1999 2. Auflage 2003 3., durchges. u. akt. Auflage Januar 2006
Alle Rechte vorbehalten © B. G. Teubner Verlag / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ralf Harms / Sabine Koch Der B. G. Teubner Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.teubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
ISBN 3-519-20226-3
Vorwort zur 3. Auflage Die gute Akzeptanz, die das vorliegende Lehrbuch in seinen ersten beiden Auflagen sowohl bei Studenten und Lehrkr~iften als auch bei Praktikern gefunden hat, machen eine Neuauflage erforderlich. An der bew~ihrten Gliederung wurde festgehalten: Allgemeinchemische Grundlagen - Luft und Luftinhaltsstoffe - Wasser und w~issrige L/SsungenRedoxgleichgewichte/Grundlagen der Elektrochemie - Chemie der Baumetalle - Chemic nichtmetallisch-anorganischer und organischer Stoffe im Bauwesen. Im Ergebnis der standigen Riickkopplung bei der Vermittlung des Bauchemie-Lehrstoffes im Rahmen von Lehrveranstaltungen, aber auch im Ergebnis konstruktiv krifischer Hinweise von Fachkollegen habe ich den Stoff an einigen Stellen erg~inzt, klarer dargestellt bzw. aktualisiert. Die Kapitel zur Chemie nichtmetallisch-anorganischer und organischer Baustoffe wurden grundlegend iiberarbeitet. Zus~itzliche Abbildungen und Schemata sollen es dem Leser erleichtern, Zusammenhange herzustellen und Verbindungen zwischen theoretischen Sachverhalten und praktischen Problemstellungen zu erkennen. In den ersten mehr grundlagenchemisch orientierten Kapiteln habe ich alle Textstellen, zu denen sich Beziige zum Bauwesen herstellen lassen, besonders gekennzeichnet. Neu aufgenommen wurden Kapitel zur Umweltvertr~iglichkeit zementgebundener Baustoffe, zur Belastung der Innenraumluft, zum Baustoff-Recycling und - was mir besonders am Herzen liegt - zu bauchemisch interessanten Neuentwicklungen. Die Fokussierung auf Latentw~irmespeicher und Photokatalyse/schadstoffzersetzende Baustoffe im letzten Kapitel ist zunachst als erster Schritt gedacht und natiirlich subjektiv. Dieses Kapitel kann (und soil) aktuell erweitert werden. Mein Dank gilt den Herren Prof. Dr.-Ing. habil. Wolf-Peter Ettel (HTWK Leipzig) und Prof. Dr. Dr. h.c. habil. Lothar Beyer (Universit~it Leipzig) ~ r die stete Bereitschaft zu fachlicher Diskussion und UntersttRzung. Des Weiteren danke ich allen Fachkollegen und Fachleuten der Industrie, die mit konstruktiver Kritik zu Verbesserung des Buches beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt den Herren Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Stark und Dr. Bernd M6ser (F. A. Finger-Institut ftir Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~it Weimar) ftir die Bereitstellung von ESEM-Aufnahmen zur Zementhydratation und zu ausgew~ihlten Baustoffen. Den Kollegen der Fachgruppe Chemie danke ich ftir ihre Hilfe und UnterstiRzung bei der miihevollen Arbeit des Korrekturlesens. SchliefSlich danke ich der GWV Fachverlage GmbH/Teubner-Verlag, insbesondere Herrn Ralf Harms und Frau Sabine Koch, fiir die entgegenkommende Zusammenarbeit. Anregungen und konstruktive Kritik sind mir jederzeit willkommen.
Leipzig, im September 2005
Roland Benedix
Inhalt 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7
Allgemein-chemische Grundlagen Stoffe Gemische und reine Stoffe Elemente und chemische Verbindungen Massen- und Volumenverhitltnisse bei chemischen Reaktionen Massenverhifltnisse bei chemischen Reaktionen Volumenverhiflmisse - Satz von Avogadro Allgemeine Zustandsgleichung der Gase Atom- und Molektilmasse Stoffinenge - Mol Konzentrationsmal3e StOchiometrische Berechnungen
1 1 1 5 7 7 8 9 11 12 13 18
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.2 2.2.1 2.2.2
Atombau und Periodensystem der Elemente Bau der Atome Bestandteile des Atoms - Isotope - Radioaktivitat Radioaktivit~t yon Baustoffen Aufbau der Elektronenhtille Bohrsches Atommodell Orbitalbild der Elektronen Periodensystem der Elemente Ordnungsprinzip der Elemente PeriodizitiR wichtiger Eigenschaften
21 21 21 26 28 28 32 38 38 40
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4
Chemische Bindung Ionenbindung Ausbildung von Ionen Wechselwirkung zwischen den Ionen - Gitterenergie Eigenschaften von Ionenverbindungen Atombindung (Kovalente Bindung) Elektronenpaarbindtmg - Modell von Lewis Uberlappung yon Orbitalen R~iumliche S ~ der Molekfile" Hybridisierungsmodell Polarit~t einer Bindung - Elektronegativit~tt Metallbindung Eigenschaften von Metallen - Metallischer Zustand Elektronengasmodell Energieb~dermodell Intermolekulare Bindungskrafte Fester Zustand Smaktur kristalliner FestkOrper S ~ der Metalle S ~ ionischer FestkSrper Legierungen
45 45 45 46 47 48 48 50 51 54 58 58 59 59 62 64 65 67 68 70
4 4.1 4.2 4.2.1
Die chemische Reaktion StOchiometrie chemischer Reaktionen Energiebilanz chemischer Reaktionen Reaktionsenthalpie
74 74 75 75
VIII
Inhalt
4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
Bildungsenthalpie - Berechnung von Reaktionsenthalpien Satz von Hess Triebkraft chemischer Reaktionen- Freie Enthalpie Geschwindigkeit chemischer Reaktionen Allgemeine Betrachttmgen Konzentrationsabhfingigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit Temperaturabhfingigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit Katalyse Chemisches Gleichgewicht - Massenwirkungsgesetz Zustand des chemischen Gleichgewichts Massenwirkungsgesetz Beeinflussung der Lage des chemischen Gleichgewichts Heterogene Gleichgewichte
79 81 82 83 83 84 85 88 90 90 91 93 95
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.1.1 5.4.1.2 5.4.2 5.4.2.1 5.4.2.2 5.4.2.2.1 5.4.2.2.2 5.4.3 5.4.3.1 5.4.3.2 5.4.3.3 5.5 5.5.1 5.5.1.1 5.5.1.2 5.5.1.3 5.5.2 5.5.3 5.5.3.1 5.5.3.2 5.5.3.3 5.5.3.4
Lufl und Luftinhaltsstoffe Zusammensetzung der Luft Physikalisch-chemische Eigenschaften der Luft L6slichkeit von Gasen NatOrliche Luftinhaltsstoffe Stickstoff (N2) Physikalisch-chemische Eigenschaften Ausgewahlte Stickstoffverbindungen Sauerstoff Sauerstoff (O2): Physikalisch-chemische Eigensehaften Ozon (03) Physikalisch-chemische Eigenschaften Stratosphfirisches und troposphfirisches Ozon - Ozonproblematik Kohlendioxid (CO2) Physikalisch-chemische Eigenschaften Kohlens~ure und Carbonate Kohlendioxid als Treibhausgas - Treibhauseffekt Luftschadstoffe Schwefeldioxid (SO2) Physikaliseh-chemische Eigenschaften Schwefelsauren und deren Salze Saurer oder London-Smog Stickoxide (NO, NO2) Schadwirkungen und MafSnahmen zu ihrer Verhinderung Saurer Regen und Folgeschaden Rauchgasentsehwefelung- REA-Gips Entstickung von Rauchgas Abgaskatalyse bei Kraftfahrzeugen
97 97 99 100 103 103 103 104 106 106 107 107 109 113 113 115 117 119 119 119 120 121 122 123 124 125 129 129
6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.2.1 6.2.2.2 6.2.2.3
Wasser und w~issrige LSsungen Wasser - Vorkommen und Bedeuttmg Smflcmr und Eigenschaften des Wassers Moleldilsmflcan-- Dipolnatur- Wasserstoffbrtickenbindung Anomalien des Wassers Dichteanomalie Oberfliichenspannung- Benetzung - Kapillarit~it Grenzfllichenaktive Verbindungen: Tenside
131 131 132 132 134 134 136 140
Inhalt
6.2.2.4 6.2.2.5 6.2.3 6.2.3.1 6.2.3.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5 6.5.1 6.5.1.1 6.5.1.2 6.5.2 6.5.2.1 6.5.2.2 6.5.3 6.5.3.1 6.5.3.2 6.5.3.3 6.5.3.4 6.5.3.5 6.5.3.6 6.5.3.7 6.5.3.8 7 7.1 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5
IX
Viskosit~it W~xmeleitf~igkeit und spezifische Warmekapazitfit Dampfdruck Dampfdruck reiner Fltissigkeiten - Phasendiagramme Kolligative Eigenschaften von LOsungen: Geffierpunktserniedrigung und SiedeptmktserhShung LSsung und LSslichkeit L/3sungsvorgang- Hydratation- Hydrate Einteilung von LSsungen nach ihrem Dispersionsgrad - Kolloide LSslichkeit- LSslichkeitsprodukt Wasser und Wasserinhaltsstoffe Harte des Wassers - Enthfirtung Trinkwasser Wasser im Bauwesen Chemische Reaktionen in LSsung Komplexbildungsreaktionen Hydratation als Komplexbildung - Aufbau der Komplexe Analytische Bedeutung von Komplexverbindungen Elektrolyte und elektrolytische Leitf~ihigkeit Elektrolyte- ElektrolytlOsungen Elektrolytische Leitf~Jaigkeit- Aktivit~it Saure-Base-Reaktionen Sfiure-Base-Begriff Autoprotolyse des Wassers und pH-Wert Indikatoren, Saure-Base-Titration, NormallOsungen Starke von Sauren und Basen Protolyse von Salzen Berechnung des pH-Wertes Pufferl0sungen Technisch und bauchemisch wichtige S~iuren und Basen
142 142 143 143 146 151 151 155 160 166 166 170 171 173 173 173 175 177 177 179 181 181 185 187 192 197 198 201 203 206 206 208 211 211 213 214 216
7.4 7.5 7.6
Redoxreaktionen- Grundlagen der Elektrochemie Begriffe: Oxidation - Reduktion Formulieren von Redoxgleichungen Redoxreaktionen- Spannungsreihe RedoxvermOgen der Metalle - Halbzellen Galvanische Zellen Standardelektrodenpotentiale - elektrochemische Spannungsreihe Triebkraft chemischer Reaktionen- Potentialdifferenz Folgerungen aus der elektrochemischen Spannungsreihe - Praktische Spannungsreihe Konzentrationsabh~ingigkeit der Elektrodenpotentiale: Nernstsche Gleichung und ihre Anwendung Elektrochemische Stromerzeugung Elektrolyse Redoxreaktionen in nichtwassrigem Milieu
8 8.1 8.1.1
Chemie der Baumetalle Eisen und Stahl Physikalische trod chemische Eigenschatten des Eisens
231 231 231
7.3.6
217 221 224 227 230
X
Inhalt
8.1.2 8.1.3 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.2.6.1 8.2.6.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.5.1 8.3.5.2
Produkte des Hochofenprozesses Stahl Korrosion von Metallen Wesen der metallischen Korrosion - Korrosionstypen Rosten von Eisen Kontaktkorrosion Korrosion von Stahl Erscheinungsformen der Korrosion Korrosionsschutz Passiver Korrosionsschutz Aktiver Korrosionsschutz Nichteisenmetalle - Eigenschaften und Korrosionsverhalten Aluminium Kupfer Zink Blei Chrom Physikalisch-chemische Eigenschaften und Verwendung Chrom im Zement - Chromatreduzierer
233 234 237 238 240 245 247 248 251 253 258 261 261 264 266 267 269 269 269
9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.2.1 9.1.2.2 9.1.2.3 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.3.1 9.2.3.2 9.2.3.2.1 9.2.3.2.2 9.2.4 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.2.1 9.3.2.2 9.3.3 9.3.3.1 9.3.3.2 9.3.3.3 9.3.3.3.1 9.3.3.3.2 9.3.3.3.3 9.3.3.3.4 9.3.3.4 9.3.3.4.1
Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe Minerale und Gesteine Gesteinsbildende Minerale Gesteine Magmatische Gesteine Sedimentgesteine- Kalkstein Metamorphe Gesteine Silicate und siliciumorganische Verbindungen Siliciumdioxid Kiesels~iuren Silicate Alkalimetallsilicate- Silicatklassen- Asbeste Technische Silicate (Ktinstliche Silicate) Gl~iser Tone und Tonkeramik Siliciumorganische Verbindungen Anorganische Bindemittel Einleitende Bemerkungen - Historisches Baukalke Luftkalke Hydraulische Kalke Zemente Rohstoffe und Herstellung von Portlandzement Portlandzementklinker: Zusammensetzung und Eigenschaften Bestandteile yon Normzementen Hauptbestandteile Nebenbestandteile Calciumsulfat (Zement)Zus~itze Reaktion des Zements mit Wasser Hydratation der Klinkerphasen
272 272 272 273 273 274 277 278 278 279 282 282 290 290 296 300 305 305 307 307 310 311 312 314 318 318 322 322 322 322 322
Inhalt
XI
9.3.3.4.2 9.3.3.4.3 9.3.3.5 9.3.3.6 9.3.4 9.3.5 9.3.5.1 9.3.5.2 9.3.5.3 9.3.6 9.3.7 9.3.8 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.2.1 9.4.2.2 9.4.2.3 9.4.2.3.1 9.4.2.3.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5
Hydratation von Zementen Erstarren- ErstarrungsstOrtmgen Aufbau und Eigenschaften des Zementsteins Zementarten- Spezialzemente Chemische Zusatzmittel und ihre Wirkungsweise Gipse und Anhydrite Vorkommen, Darstellung, Eigenschaften und Verwendung Erh~irttmgsprozess Eigenschaften von Bindemitteln auf der Basis von CaSO4 Magnesia- und Phosphatbinder Kalksandsandsteine und Porenbetone Umweltvertraglichkeit von zementgebundenen Baustoffen Korrosion nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe Korrosive Medien Chemischer Angriff auf zementgebundene Baustoffe LOsender Angriff Treibender Angriff Korrosiver Angriff auf die Bewehrung Carbonatisierung des Betons Chloridangriff Biokorrosion Salzablagerungen auf Bauwerksoberflachen (Ausbltihungen) Maf3nahmen zum Korrosionsschutz (Bautenschutz)
332 338 338 343 347 355 355 358 361 362 364 364 367 367 368 369 371 378 378 379 380 384 388
10 10.1 10.1.1 10.1.1.1 10.1.1.2 10.1.1.3 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5 10.1.6 10.1.7 10.1.8 10.2 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.3.1 10.4.3.2 10.4.3.3 10.4.3.4 10.4.4
Chemie organischer Stoffe im Bauwesen Grtmdklassen organischer Verbindungen Kohlenwasserstoffe Ges~ittigte Kohlenwasserstoffe: Alkane und Cycloalkane Unges~ttigte Kohlenwasserstoffe: Alkene und Alkine Aromatische Kohlenwasserstoffe und Abktimmlinge Halogenalkane - FCKW Alkohole und Phenole Ether Aldehyde und Ketone Carbons~uren und Ester Fette und 01e Heterocyclische Verbindungen Organische L6sungs- und Verdttnmmgsmittel Bitumen, Teer und Asphalt Bitumen und bitumenhaltige Bindemittel Teer und Pech Asphalte Kunststoffe Allgemeine Eigenschaften Aufbau und Struktur Einteilung der Kunststoffe nach ihren thermischen und mechanischen Eigenschaften Thermoplaste (Plastomere) Elastomere Duroplaste (Duromere) Hilfs-, FUll- und Verst~ktmgsstoffe in Polymeren Einteilung der Kunststoffe nach ihrer Bildungsreaktion
391 391 391 391 395 397 401 403 406 407 410 414 415 416 419 420 425 426 427 427 428 431 431 434 436 436 438
XII
Inhalt
10.4.4.1 10.4.4.2 10.4.4.3 10.4.5 10.4.6 10.4.6.1 10.4.6.2 10.4.7 10.4.8
Polymerisationskunststoffe (Polymerisate) Polykondensationskunststoffe (Polykondensate) Polyadditionskunststoffe (Polyaddukte) Ktmststoffdispersionen Beton mit Kunststoffen Kunststoffmodifizierte MOrtel und Betone Reaktionsharzbeton und-m6rtel Alterung yon Kunststoffen Klebstoffe - Fugendichtstoffe- Kitte
439 449 454 457 459 460 461 462 466
11 11.1 11.2 11.3
Holz und Holzschutz Aufbau und Zusammcnsetzung des Holzes Holzschutz Holzschutzmittel
472 472 474 475
12 12.1 12.2 12.3 12.4
Luftschadstoffe in Innenr~iumen Einleitende Bemerkungen Schadstoffe in Innenr~iumen und Geb~iuden Schwarze Ablagerungen in Wohnungen ("Fogging") Sick-Building-Syndrom
480 480 482 483 485
13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5
Recycling von Baustoffen Allgemeine Bemerkungen Recyclingbaustoffe: Charakterisienmg und Einteilung Anforderungen an Baustoffe aus Recyclingmaterial Bitumen- und pechhaltige Recyclingbaustoffe Baustoffrecycling heute: Eine kritische Bestandsaufnahme
487 487 488 489 491 492
14 14.1 14.1.1 14.1.2 14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3
Bauchemisch interessante Neuentwicldungen Latentwarmespeicher in Baustoffen Latentwarmespeicher: Funktionsprinzip - Materialien Anwendungen von PCM auf dem Bausektor Titandioxid-Photokatalyse und Baustoffe Titandioxid-Photokatalyse: Prinzip Schadstoffzersetzung und Ultrahydrophilie Anwendungen im Bauwesen
493 493 494 495 497 497 498 499
Literatur
501
Sachwortverzeichnis
506
Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang
529 530 531 532 533 534
I 2 3 4 5 6 7
Elemente, Symbole, Atommassen Molare Bildungsenthalpien ausgew~ihlter Verbindungen L0slichkeiten einiger Salze St~ke von S~iuren und Basen (pKs- und pKB-Werte) Elektrochemische Spannungsreihe Die 14 Bravais-Gitter Relative Molek01massen bauchemisch wichtiger Verbindungen; Fundamentalkonstanten
535
AIIgemein-chemische Grundlagen Die Chemie ist eine noch relativ junge naturwissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Zusammensetzung und der Umwandlung von Stoffen befasst. Gegenstand dieses Wissenschaftsgebietes sind damit die GesetzmaBigkeiten, die den strukturellen Aufbau und die wechselseitige Umwandlung der ungeheuren Vielfalt von Stoffen bestimmen. Die Chemie ist in erster Linie eine experimentelle Wissenschaft. Akkumuliertes Wissen, neue Anschauungen und Konzepte sind der Ausgangspunkt fiir neue Experimente und Beobachtungen, die ihrerseits wiederum zu einem verfeinerten Verst~indnis und zu weiterentwickelten Anschauungen hinsichtlich der Struktur der Stoffe sowie der sie zusammenhaltenden Kr~ifte fiihren. Zur Aufkl~irung von Struktur und Eigenschaften der neuen Substanzen werden immer modernere physikalische und auch biologische Messmethoden eingesetzt. Insofern sind die Interessengebiete von Chemie, Physik, Biologie, Geologie und Mineralogie eng verkniipft und eine strenge Abgrenzung des Aufgabengebiets der Chemie von dem der iibrigen naturwissenschaftlichen Disziplinen ist weder sinnvoll noch notwendig. Ziel der chemischen Forschung ist die Synthese von Substanzen mit v/511ig neuen Eigenschaften. Damit ist die Chemie zugleich auch ein wesentlicher Bestandteil zahlreicher anwendungsorientierter Disziplinen wie der Werkstoffwissenschaften, der Baustofflehre oder der Metallurgie. Hauptanliegen der Chemie ist und bleibt die Untersuchung der chemischen Reaktion. Und in diesem Zusammenhang ist es belanglos, ob es sich um Verfestigungsprozesse bei anorganischen Bindemitteln, um die Synthese von polygraphischen Druckschichten, um den Angriff aggressiver Medien auf Metall- oder Gesteinsoberfl~ichen oder um Probleme des Bautenschutzes handelt. Das Interesse des Chemikers richtet sich jeweils darauf, unter welchen Bedingungen und mit welcher Geschwindigkeit die zu betrachtenden Stoffumwandlungen ablaufen, wie erwiJnschte Reaktionen gef'6rdert und unerwiinschte unterdriickt werden und wie neue Substanzen mit ganz spezifischen, auf ein bestimmtes Anwendungsgebiet ausgerichteten Stoffeigenschaften synthetisiert werden k/Snnen.
1.1
Stoffe
1.1.1
Gemische und reine Stoffe
Die Chemie unterteilt die uns umgebende Materie in unterschiedliche Stoffe. Sie k6nnen je nach den vorliegenden Zustandsbedingungen, charakterisiert durch die Zustandsgr6flen Temperatur und Druck, in drei verschiedenen Aggregatzustiinden auftreten: als Gas, als Fliissigkeit oder als Feststoff. Ein Gas kann im Prinzip jedes beliebige Volumen einnehmen, es hat keine spezifische Form. Verkleinert man das Volumen eines Gases, so wird es komprimiert. Bei Volumenvergr6fSerung expandiert es. Das bekannteste und fiir das Bauwesen wichtigste Gas ist die Luft (Kap. 5). Die Verwendung des Begriffes Dampf ftir Gase erfolgt h~iufig dann, wenn Gleichgewichtsprozesse zwischen einem Gas und der zugehSrigen Fliissigkeit betrachtet werden (z.B. Wasserdampf als gasf'6rmiges Wasser, das mit fliissigem Wasser in Kontakt steht). Auch eine Fliissigkeit hat keine definierte Form. Sie nimmt jeweils die Form des GeF~iges an, in dem sie sich befindet. Fiir eine gegebene Temperatur besitzt eine Fliissigkeit jedoch ein konstantes Volumen. Als wichtige Beispiele ftir Fltissigkeiten sollen Wasser und Benzin genannt werden. Ein fester Stoff ist sowohl
1 Allgemein-chemische Grundlagen
durch ein definiertes Volumen als auch durch eine spezifische Form charakterisiert. Er istebenso wie die Fltissigkeit- kaum komprimierbar. Beispiele fiir Feststoffe sind Sand und Zement, aber auch Salz und Zucker. Die Druck- und Temperaturabh~ingigkeit des Aggregatzustandes eines Stoffes soil am Beispiel des Wassers gezeigt werden. Bei 25~ und Atmosph~irendruck liegt Wasser in fltissiger Form vor. Oberhalb von 100~ geht es als Wasserdampf in die Gasphase tiber und bei 0~ gefriert es zu Eis. Den Ubergang von einer Fltissigkeit zum Feststoff bezeichnet man als Erstarren, speziell beim Wasser als Gefrieren. Der Erstarrungspunkt (Gefrierpunkt) kennzeichnet somit die Temperatur, bei der sich ein Stoff unter Normaldruck zu verfestigen beginnt. Fliissigkeit und FestkSrper liegen im Gleichgewicht vor. W~ihrend des Gefrierens bleibt die Temperatur des fest/fltissigen Systems konstant bis die gesamte Fltissigkeit gefroren ist. Sehmelzpunkt (Abk.: Smp.) und Siedepunkt (Abk.: Sdp.) bezeichnen die Temperaturen, bei denen sich der Obergang des Aggregatzustandes von lest nach fltissig (Schmelzen) beziehungsweise von fliissig nach gasf'6rmig (Verdampfen) vollzieht. In der Mehrzahl der F[ille sind Schmelz- und Erstarrungstemperatur identisch. Wasser gefriert bei 0~ zu Eis und Eis schmilzt exakt am Nullpunkt der Celsius-Skala. Anderungen des Aggregatzustandes wie die Umwandlung von Eis in Wasser oder der (Jbergang des fltissigen Wassers in gasF6rmigen Dampf sind Beispiele fiir physikalisehe Prozesse. Es entstehen keine neuen Substanzen und die stSchiometrische Zusammensetzung der betrachteten Stoffe bleibt unver~indert. Bei chemischen Ver~inderungen, oder besser ehemisehen Reaktionen, entstehen neue Stoffe, die sich beztiglich ihrer Eigenschaften von den Ausgangsstoffen (Edukten) unterscheiden. Verbrennt man Wasserstoff in Luft, erfiihrt er eine chemische Ver~inderung. Er wird in Wasser iiberftihrt. Dieses Wasser kann durch den elektrischen Strom wieder zersetzt werden und die dabei entstehenden Gase gehen selbst bei 0~ nicht wieder in den fliissigen Zustand tiber. Das heigt, die beiden entstandenen Stoffe weisen vSllig neue physikalische und chemische Eigenschaften auf. Sie sind durch einen physikalischen Vorgang nicht wieder in Wasser umwandelbar. Die Brennbarkeit von Wasserstoff ist eine seiner chemischen Eigenschaften. Chemische Reaktionen sind in der Regel mit Energieiinderungen, d.h. Aufnahme oder Abgabe von Energie in Form von W~irme oder Licht, verbunden. Die Gesamtheit der Stoffe l~isst sich wie folgt einteilen: Gesamtheit aller Stoffe I
I
I Reine Stoffe
Gemische
I heterogene Gemische (Gemenge)
I
I homogene Gemische
I Elemente
I
I Verbindungen
1.1 Stoffe
3
Haufig l~isst sich bereits mit bloBem Auge der uneinheitliche Aufbau eines Stoffes feststellen, mitunter bedarf es dazu aber erst einer Lupe oder eines Mikroskops. Beispiele fiir uneinheitlich aufgebaute Stoffe sind Aufschl~immungen von Sand in Wasser oder Granit. Beim Granit kann man mit bloBem Auge klar voneinander abgegrenzte Anteile erkennen (Abb. 1.1): WeiBe oder graue, sehr harte Anteile aus Quarz, schwarz gl~inzende, in Bl~ittchen spaltbare Anteile aus Glimmer und farbige (meist rStliche oder gelbe) weiche Anteile aus Feldspat. Die einzelnen, in sich homogenen Bestandteile (Phasen) bilden ein heterogenes Gemisch oder ein heterogenes System (Tab. 1.1). Unter einer Phase versteht man einen chemisch einheitlich aufgebauten Stoff, der von den anderen Teilen (Phasen) des heterogenen Systems durch Phasengrenzen getrennt ist. An den Phasengrenzen ~indem sich die Eigenschaften sprunghaft.
Abbildung 1.1 Schliffbild von Granit
Da Gase unbegrenzt mischbar sind, bilden Gasgemische unter normalen Bedingungen nur eine Phase. Dagegen kSnnen in fltissig-fliissigen, fliissig-festen oder fest-festen heterogenen Gemischen mehrere Phasen nebeneinander vorliegen. In einem Eisen-Schwefel-Gemenge existieren z.B. zwei feste, in Kalkmilch (Calciumhydroxid/Wasser) eine feste und eine fltissige und im Granit drei feste Phasen nebeneinander. Ein Gemisch aus 01 und Wasser - beide Fliissigkeiten sind nicht miteinander mischbar - enth~ilt zwei fltissige Phasen nebeneinander. Das Gasgemisch Luft besteht aus einer gasf6rmigen Phase. Im Gegensatz zu den heterogenen Gemengen gibt es Mischungen von Stoffen, die ein einheitliches Erscheinungsbild zeigen. Sie werden als homogene Gemisehe oder homogene Systeme bezeichnet. Die einzelnen Bestandteile der Stoffe sind so fein ineinander verteilt, dass sie selbst mit dem Mikroskop nicht mehr zu unterscheiden sind. Zu den homogenen Gemischen geh~ren vor aUem L~isungen (echte L6sungen), aber auch Gasgemische sowie die in Form von Mischkristallen vorliegenden Legierungen. Als Beispiel ftir eine wassrige L6sung soil das Meerwasser angefiihrt werden, das eine L6sung von Salzen (vor allem Natriumchlorid) und organischen Stoffen im L6sungsmittel Wasser darstellt. Im Gegensatz zu heterogenen Gemischen weisen echte LSsungen konstant die gleichen Eigenschaften auf. Da in cincm Gcmisch die Eigcnschaftcn der cinzclnen Bestandtcile im Wesentlichen crhalten bleiben, kann es auf physikalischcm Wegc wicdcr in seine Bcstandteile zerlcgt werden. Dabei nutzt man typische Stoffcigenschaften der Komponenten des Gemischs fiir die je-
1 Allgemein-chemische Grundlagen
weiligen Trennoperationen aus, wie z.B. die TeilchengrOBe, die Dichte, die LOslichkeit, den Siedepunkt oder die Adsorbierbarkeit.
Tabelle 1.1 Beis )iele for homogene und heterogene Mischungen Komponenten fest- fest fest fliissig fest gasf6rmig
fliissig fliissig
fliissig gasf'6rmig
Homogene Gemische
Mischkristallbildende Le- Beton, Granit, Gussgierungen, z.B. Bronze, eisen Messing wiissrige Kochsalzl0sung, Suspensionen (Sand in ZuckerlOsung Wasser), Schlamm Wasserstoff oder SauerRauch (z.B. RuBteilstoff in Metallen chen in Luft) porOse Feststoffe wie Bimsstein, Ziegelstein, Porenbeton Alkohol-Wasser-Mischun- Bitumen- und Teergen, verd. Siiuren emulsionen, Fetttropfen in Wasser
Trennverfahren Sieben, Schl~nmen, LOsen in S~ure Filtrieren, Abdampfen Elektrofilter Mahlen
Absetzenlassen, Zentrifugieren, Ausfrieren, Destillieren
Kohlendioxid oder Sauer- Schaum, Sprays, Nestoff in Wasser gelOst bel (WassertrOpfchen in Luft) Gasgemische (z.B. Luft)
gasf'6rmig gasf'6rmig
Heterogene Gemische
Entmischung durch Rtihren oder Temperaturiinderung, Absorption der gasfOrmigen Komponente keine Beispiele, Gase Luftverfltissigung und mischen sich homogen fraktionierte Destillation, Absorption bzw. Adsorption einer Gaskomponente
Eines der bekanntesten Trennverfahren ist die Filtration. Mit Hilfe der Filtration ist die Trennung yon Feststoffen und Fltissigkeiten, aber auch yon Feststoffen und Gasen mOglich. Beispiele aus dem t~iglichen Leben sind Luft- und Olfilter in Kraftfahrzeugen, Filtervorrichtungen in Kaffeemaschinen, Luftfilter in Heizungsanlagen. Die Destillation als Trennverfahren nutzt die unterschiedliche Fliichtigkeit der Stoffe, d.h. ihre unterschiedlithe Neigung, in den gasf6rmigen Zustand tiberzugehen, aus. Sie findet Anwendung in den groBen Raffinerien zur Auftrennung yon ErdOl in Benzin, Heiz61 und SchmierOle sowie zur Herstellung von Weinbr~inden aus Wein. Bevorzugte Trennoperationen im Bauwesen sind vor allem das Sieben und das Schl~immen zur Auftrennung fester Gemenge. Der reine Stoff besitzt eine genau definierte Zusammensetzung und kann durch eine Reihe physikalisch-chemischer Eigenschaften (Stoffkonstanten) charakterisiert und eindeutig identifiziert werden. Die wichtigsten sind Schmelz- und Siedepunkt, Dichte, dielektrisches Verhalten sowie elektrische und Wiirmeleitfiihigkeit. Schmelz- und Siedepunkt erm6glichen eine schnelle und eindeutige Charakterisierung von Feststoffen und Fltissigkeiten. Reine Feststoffe besitzen einen scharfen Schmelzpunkt, reine Fliissigkeiten sieden bei einer konstanten Temperatur. Zum Beispiel schmilzt Kaliumnitrat KNO3 bei exakt 339~ Bereits geringe Verunreinigungen bzw. Zusatze setzen den Schmelzpunkt herab und erh6-
1.1 Stoffe
5
hen andererseits den Siedepunkt (Kap. 6.2.3.2). Im Gegensatz zur Schmelztemperatur h~ingt die Siedetemperatur vom Druck ab. Durch Zusatz anorganischer Salze wie NaC1 und MgC12 oder organischer Stoffe wie Ethylenglycol und Glycerin kann der Gefrierpunkt des Wassers gezielt abgesenkt werden. Die Gefrierpunktserniedrigung spielt beim Einsatz von Taumitteln im Winterdienst eine wichtige Rolle. Spezielle Eigenschaften wie die Absorption elektromagnetischer Strahlung, das magnetische Verhalten und die elektrische Leitf~ihigkeit bilden die Grundlage von Analysenmethoden, die sowohl 'im Labor als auch ,,vor Ort" qualitative oder quantitative Aussagen hinsichtlich der Zusammensetzung von W~issem, von Baustoffen oder etwa von Ausbltihungen (Salzablagerungen auf Baustoffoberflachen) erlauben. Man unterscheidet zwei Arten von reinen Stoffen: Elemente und Verbindungen. Elemente sind Stoffe, die mit den Mitteln des Chemikers, d.h. mit begrenzter Energiezufuhr in Form von W~irme, Licht, mechanischer oder elektrischer Energie, nicht weiter zerlegbar sind. Verbindungen sind aus Elementen aufgebaut, sie kSnnen mit chemischen Methoden in die Elemente zerlegt werden.
1.1.2
Elemente und chemische Verbindungen
Die Elemente sind die Grundbausteine, aus denen sich die gesamte Materie zusammensetzt. Von den heute bekannten 118 chemischen Elementen wurden 91 Elemente in der Natur (Erdrinde, Atmosph~ire) nachgewiesen. Die restlichen Elemente treten in geringen Spuren in der Natur auf (z.B. Neptunium, Plutonium) beziehungsweise k6nnen nur ktinstlich im Labor dargestellt werden. Etwa 85% der Elemente sind Metalle oder Halbmetalle. Jedes chemische Element hat einen Namen und wird durch ein Elementsymbol charakterisiert. Die ftir das Elementsymbol benutzten Abktirzungen bestehen aus einem oder zwei Buchstaben, die sich vom griechischen oder lateinischen, aber auch teilweise vom deutschen Elementnamen ableiten. Bei den erst kiirzlich entdeckten ktinstlichen Elementen bestehen die Symbole aus drei Buchstaben. Die Elementsymbole werden international einheitlich angewendet. Einige ausgew~ihlte Beispiele sind: Natrium (Na) Eisen (Fe von Ferrum) Calcium (Ca) Aluminium (AI)
Sauerstoff (O von Oxygenium) Stickstoff (N von Nitrogenium) Wasserstoff (H von Hydrogenium) Kohlenstoff (C von Carboneum)
Phosphor (P) Magnesium (Mg) Schwefel (S) Silicium (Si)
In der Baustoff- bzw. Zementchemie wird mitunter aus Griinden der Vereinfachung eine spezifische Symbolik zur Charakterisierung von Oxiden, Klinkerphasen oder Hydratationsprodukten der Zemente verwendet. So k~zt man beispielsweise die Verbindungen CaO mit "C" und SiO2 mit "S" ab, C3S steht dann ftir 3 CaO 9 SiO2. Diese Bezeichnungsweise kann bei unkritischer Anwendung zur Verwechslung mit den chemischen Elementsymbolen fiihren. Werden im Rahmen des vorliegenden Buches diese Symbole benutzt, wird dies durch einen anderen Schrifttyp kenntlich gemacht (Kap. 9.3).
1 Allgemein-chemische Grundlagen
Die kleinsten Teilchen der Elemente sind die Atome. Da alle Atome eines Elements die gleiche Kemladung und den gleichen Aufbau der Elektronenhtille aufweisen (Kap. 2.1) reagieren sie chemisch gleich.
Chemische Verbindungen bestehen aus Atomen verschiedener Elemente, die in einem definierten Mengenverh~iltnis vorliegen. Manche Elemente sind in der Lage, mehrere verschieden aufgebaute Verbindungen miteinander zu bilden. Als Beispiel sollen die Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen N20, NO, NO:z, N203 und N205 angefiihrt werden. Bei der Verbindungsbildung gehen die Eigenschaften des ursprtinglichen Elements verloren. Verbindungen enthalten im Vergleich zu den ursprtinglichen Elementteilchen, wie z.B. 02, N2, C12, Na-Gitter oder S8-Ringen, chemisch ver~inderte Teilchen. Die h~iufig anzutreffende Sprechweise, Kochsalz NaC1 enth~ilt die Elemente Natrium und Chlor, muss dahingehend korrigiert werden, dass Kochsalz zwar aus diesen Elementen entstanden ist, in Wirklichkeit jedoch die Ionen beider Elemente (s.u.) enth~ilt. Die durch die Verbindungsbildung veranderten Elementteilchen kSnnen ein Ionengitter (z.B. Kochsalz) oder Molektile (z.B. H20, CH3OH) bilden. Im ersten Fall spricht man von ionischen Verbindungen und im letzteren von Molekiilverbindungen. Molektilverbindungen liegen bei Raumtemperatur als isolierte Molektile (z.B. SO2, CO2) oder als Molektilgitter bzw. -kristalle (z.B. Zucker) vor. Die Schreibweisen H20 und H3PO4 bezeichnet man als Summen- oder Bruttoformel der Verbindungen Wasser und Phosphors~iure. In der Summenformel werden die Symbole der beteiligten Elemente aneinandergereiht und die jeweilige Anzahl der Atomsorte durch einen Index angegeben. Sie sagt nichts tiber die Verkntipfung der Atome im Molektil aus. Diese Aufgabe iibemimmt die Strukturformel: O H~O
H~
II
H-0-P-
O-H
I
0 I
H Da Ionenverbindungen nicht aus einzelnen Molekiilen bestehen, sondem Ionengitter bilden, kennzeichnen die (Summen)Formeln dieser Verbindungen immer die Verhaltnisse, in denen Anionen und Kationen im Gitter vorliegen. Die chemischen Formeln von Salzen sind somit immer Verh~iltnisformeln. Im Magnesiumchlorid kommen beispielsweise auf jedes Magnesiumion zwei Chloridionen. Das ftihrt zur Formel MgC12. Die kleinste Anzahl der Ionen, die die Zusammensetzung der Ionensubstanz wiedergibt, wird Formeleinheit genannt. Eine Formeleinheit MgCI2 besteht aus einem Mg 2+- und zwei Cl--Ionen, eine Formeleinheit NaC1 dagegen aus einem Na +- und einem C1--Ion. Prinzipiell ist die Formeleinheit NaC1 mit der Formel NaC1 identisch. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen besteht jedoch darin, dass die Formeleinheit genau ein Na+-Ion und ein Cl--Ion meint, w~ihrend die Formel NaCI lediglich eine Aussage tiber das 1:1-Verh~iltnis zwischen Natriumund Chloridionen im Ionengitter der Verbindung liefert. Chemische Verbindungen lassen sich durch chemische Verfahren in die sie aufbauenden Elemente zerlegen. Den Unterschied zwischen einer homogenen Mischung und einer chemischen Verbindung kann man sich ganz leicht am praktischen Vorgang des Kochens einer
1.2 Massen- und Volumenverh~ilmisse
7
Salzwasserl6sung (NaC1 in Wasser) klarmachen. Die Fltissigkeit verdampft allm~ihlich und das Salz verbleibt als fester Riiekstand. Der Prozess des Kochens ist damit eine vereinfachte Variante der physikalischen Trennoperation Destillation. Die Salzwasserl6sung wird in die Verbindung Wasser und die Verbindung Koehsalz (NaC1) zerlegt. Beide Verbindungen sind durch physikalische Methoden nicht weiter auftrennbar. Eine Auftrennung in die Elemente kann elektrochemisch durch Elektrolyse erfolgen. Elektrisch geladene atomare und molekulare Teilehen nennt man Ionen. Positiv geladene Ionen, wie z.B. Na +, Ca 2+, AI3+, werden als Kationen und negativ geladene Teilchen, wie z.B. CI-, SO42-, HCO3-, als Anionen bezeichnet. Ein Natriumion (Kation) ist damit ein Teilchen, das eines seiner Elektronen verloren hat, ein Chloridion (Anion) ein Teilchen, das ein zusatzliches Elektron aufgenommen hat. Die Namen Kation und Anion wurden urspriinglich im Zusammenhang mit der Elektrolyse (Kap. 7.5) definiert. Als Kationen bezeichnete Faraday Teilchen, die bei einer Elektrolyse zur Katode (negative Elektrode) und als Anionen Teilchen, die bei einer Elektrolyse zur Anode (positive Elektrode) wandern. Die Anzahl der positiven oder negativen Ladungen eines Ions bezeichnet man als seine Wertigkeit (s. Kap. 2.2.2). Wenn beispielsweise das Calciumatom zwei Elektronen abgibt, wird es zum zweiwertigen Calciumion Ca 2+. Bei Elementen, die verschieden geladene Kationen bilden k/Snnen, wird das Kation h~iufig durch Angabe seiner Wertigkeit charakterisiert. Man fiigt sie als r/3mische Zahl an den Elementnamen an. Diese Schreibweise dient vor allem der Angabe der Wertigkeit des Kations in Verbindungen, z.B. Blei(IV)oxid, Eisen(m)-oxid.
1.2
Massen- und Volumenverh Reaktionen
1.2.1
Massenverh~iltnisse bei chemischen Reaktionen
iltnisse bei chemischen
Chemische Prozesse werden durch stSchiometrische Umsatzgleichungen, die sogenannten Reaktionsgleiehungen, beschrieben. Die auf der linken Seite der Gleichung stehenden Formeln der Ausgangsstoffe (Edukte) werden mit den rechts stehenden Formeln der Reaktionsprodukte durch einen, die Richtung des Reaktionsablaufes kennzeichnenden Pfeil verbunden. Eine chemische Reaktionsgleichung besitzt einen qualitativen und einen quantitativen Aspekt. Die qualitative Aussage bezieht sich auf die Art der reagierenden Atome bzw. Molekiile, die quantitative Aussage findet in dem 1774 von Lavoisier formulierten grundlegenden Gesetz tier Erhaltung der Masse ihren Niederschlag. Bei einer chemischen Reaktion ist die Gesamtmasse der Ausgangsstoffe gleich der aller Reaktionsprodukte.
Eine weitere quantitative Gesetzm~iBigkeit, die sich mit den Massenverh~iltnissen besch~iftigt in denen chemische Elemente miteinander reagieren, wurde 1797 von Proust erkannt: Verbinden sich zwei oder mehrere Elemente miteinander, so erfoigt dies in einem konstanten Massenverhfiltnis (Gesetz der konstanten Proportionen).
1 Allgemein-chemische Grundlagen
1 g Kohlenstoff verbindet sich stets mit 2,67 g Sauerstoff zu Kohlendioxid (CO2) und nicht mit einer davon abweichenden Menge (z.B. 6 g Sauerstoff). Die Erweiterung dieses Gesetzes auf den Fall, dass zwei Elemente nicht nur eine, sondern mehrere Verbindungen miteinander bilden, erfolgte durch Dalton (1803): Bilden zwei Elemente mehrere Verbindungen miteinander, so stehen die Massen des einen Elements, die sich jeweils mit der gleichen Masse des anderen Elements verbinden, zueinander im Verhfiltnis kleiner ganzer Zahlen (Gesetz der multiplen
Proportionen). Tab. 1.2 zeigt den im Gesetz der multiplen Proportionen formulierten Zusammenhang am Beispiel der Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen. Tabelle 1.2 Massenverh~ltnisse in verschiedenen Stickstoffoxiden
Verbindung
% N
% O
N: O
N20
63.65
36.35
1 : 0.571 = 1 : ( 1 . 0 . 5 7 1 )
NO
46.68
53.32
1 : 1.142 = 1 : ( 2 . 0 . 5 7 1 )
N203
36.85
63.15
1 : 1.714 = 1 : ( 3 . 0 . 5 7 1 )
NO2
30.45
69.55
1 : 2.284 = 1 : ( 4 . 0 . 5 7 1 )
N205
25.94
74.06
1 : 2.855 = 1 : ( 5 - 0 . 5 7 1 )
Die vorstehend aufgeRihrten Gesetzm~iBigkeiten fanden ihre einfache atomtheoretische Erkl~irung in der 1808 entwickelten Atomhypothese von Dalton (Dalton-Theorie): 1. Chemische Elemente bestehen aus kleinsten Teilchen, den Atomen. 2. Atome k6nnen weder geschaffen noch vernichtet werden. 3. Die Atome eines chemischen Elements sind identisch und besitzen die gleiche Masse. Demzufolge besitzen Atome verschiedener Elemente unterschiedliche Massen. 4. Die Vereinigung der Atome zu einer Verbindung erfolgt im Verh~iltnis einfacher ganzer Zahlen. W~ihrend die ersten beiden Postulate das Gesetz von der Erhaltung der Masse beinhalten, widerspiegeln die Postulate (3) und (4) die Gesetze der konstanten und der multiplen Proportionen. Die beiden letzten Postulate wurden in der Zeit nach Dalton relativiert (s. Isotopie, nichtdaltonoide Verbindungen).
1.2.2
Volumenverh~iltnisse
- Satz von Avogadro
Bei der Untersuchung von Gasreaktionen formulierten Gay-Lussac und Humboldt (1805) die folgende Aussage: Gase reagieren in ganzzahligen Volumenverhi~lmissen miteinander. Die Interpretation dieses Sachverhalts mit Hilfe der Daltonschen Atomhypothese ftihrte jedoch bald zu Widerspriichen. Denn nimmt man an, dass gleiche Gasvolumina die gleiche
1.2 Massen- und Volumenverh~iltnisse
9
Anzahl von Atomen enthalten, sind zwar die Ganzzahligkeit der Ums~itze, jedoch nicht die Volumenverh~iltnisse in jedem Fall erkl~irbar. Betrachtet man beispielsweise die Synthese von Wasserdampf aus Wasserstoff und Sauerstoff: Atomare Struktur der Gase vorausgesetzt, miissten sich 2 Volumenteile (Vt) Wasserstoff und 1 Vt Sauerstoff zu 1 Vt Wasserdampf umsetzen. Das iiberraschende experimentelle Resultat lautete aber anders:
2 Vt Wasserstoff + 1 Vt Sauerstoff ---, 2 Vt Wasserdampf. Aus der chemischen Unteilbarkeit der Atome und der Annahme gleicher Teilchenzahlen in gleichen Volumina konnte nur folgen, dass die kleinsten chemischen Einheiten der Gase Molekiile sind. Gleiche Volumina von Gasen enthalten unter gleichen Bedingungen die gleiche Anzahl von Molekiilen (Satz yon Avogadro).
Ist die Anzahl der Molekiile eines Gases gleich der Avogadrokonstanten NA, liegt ein Mol (Kap. 1.2.5) des Gases vor. Nach dem Satz von Avogadro miissen die molaren Volumina beliebiger Gase bei Normbedingungen (273,15 K, 101,3 kPa) gleich sein. Ein Mol eines Gases nimmt unter Normbedingungen ein Volumen von 22,414 Litern ein. Dieses Volumen wird als molares Volumen bzw. Molvolumen V~ bezeichnet.
1.2.3
AIIgemeine Zustandsgleichung der Gase
Bei chemischen Reaktionen liegen Normbedingungen, ftir die das Molvolumen definiert ist, praktisch kaum vor. Die Zustandsgleichung der Gase ermOglicht die Berechnung der bei chemischen Ums~itzen entstehenden Gasvolumina in Abh~ingigkeit von den konkret vorherrschenden Druck- und Temperaturverh~iltnissen. Fiir die physikalische Beschreibung des gasf'6rmigen Zustands geniigen drei Gr/Sgen: der Druck p, die Temperatur T und das Volumen V. Die Ableitung allgemeiner Gesetzm~igigkeiten hinsichtlich Druck- und Temperaturabh~ingigkeit des Gasvolumens erfordert die Definition des idealen Zustandes. Er l~isst sich durch folgende Merkmale charakterisieren: a) ungeordnete, regellose Bewegung der Gasmolekiile, b) keine intermolekularen Wechselwirkungen zwischen den Molekiilen, c) vernachlassigbares Eigenvolumen der Gasmolekiile. Bei hohen Temperaturen (---~ groge Molekiilbeweglichkeit) und niedrigen Drticken (---, wenig Gasmolekiile im Reaktionsraum) n~ihem sich alle Gase dem idealen Zustand. Gase, die den Bedingungen a) - c) nicht geniigen, bezeichnet man als reale Gase. Reale Gase folgen nicht exakt dem idealen Gasgesetz. Es gibt eine Reihe von Ans~itzen, die die ,,realen Bedingungen" mittels einer modifizierten Gleichung zu erfassen versuchen. Der historisch alteste und zugleich wichtigste Ansatz ist die Einfiihrung zweier Korrekturterme, des sogenannten Koh~isionsdrucks und des Kovolumens. Der erste Term berticksichtigt die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen, die zu einer Verringerung des Gasdrucks fiihren, der zweite erfasst das Eigenvolumen der Gasteilchen (s. [AC 8]). Im Normzustand verhalten sich fast alle Gase real.
10
1 Allgemein-chemische Grundlagen
Allgemeine Gasgleichung. Aus der Druckabh~ingigkeit des Gasvolumens V - 1/p (Gesetz von Boyle-Mariotte) und seiner Temperaturabh~ingigkeit V - T (Gesetz von Gay-Lussac) resultiert V-- T/p. Ftir die Zustandsgleichung der idealen Gase ergibt sich damit die Kurzform(l-l).
p'V T
- konst.
(1-1)
Bei vorgegebenem Gasvolumen V und der Temperatur T h~ingt der Gasdruck p und damit die Konstante von der Gasmenge ab, die sich im GeF~iB befindet. Um die Konstante zu bestimmen, wird GI.(1-1) in die Form (1-2) tiberfiihrt. p
Pn " Vn
. V
(1-2)
Die GriSBen mit dem Index n beziehen sich auf den Normzustand. Durch den Bezug auf die jeweils gleiche Anzahl von Molekiilen wird die Konstante in GI. (1-1) unabh~ingig v o n d e r Art und der Masse des Gases. Die Allgemeingiiltigkeit von GI. (1-2) ergibt sich, wenn Vn durch das Produkt n. VM ersetzt wird, n = Teilchenmenge und VM = Molvolumen (G1. 1-3).
p "V
Pn " n" VM -
Der Ausdruck
Pn'VM Tn
(1-3)
wird zur allgemeinen (molaren) Gaskonstanten R zusammenge-
fasst:
R -
101,25 kPa- 22,414 l/mol 273,15 K
-- 8,3145
kPa. 1 mol. K
= 8,3145
Pa" m 3 tool. K
R = 8,3145 Pa" m3/(mol 9K) = 8,3145 kPa- 1/(mol 9K) = 8,3145 J/(mol 9K) 8314,5 Pa" l/(mol 9K) = 0,08314 bar. 1/(mol 9K) = 0,082058 atm. 1/(mol 9K). Durch Einsetzen von R in G1. (1-3) erh~ilt man die Zustandsgleichung der idealen Gase in der allgemein gebr~iuchlichen Form:
IP.V-n.R.T
(1-4)
I
Ersetzt man n durch den Quotienten m/M, gelangt man zur Form: p 9V -
m.R.T M
Die allgemeine Gasgleichung findet bei der Bestimmung der Frischbetonporosit~it Anwendung.
1.2 Massen- und Volumenverh~iltnisse
11
Aufgabe:
Bei Normbedingungen liegen 32 Liter Kohlendioxid vor. Es ist das Volumen des Gases bei 30~ und 99 kPa zu berechnen? n.R.T V =~ , p
da gilt" n .
Vn
. VM
321 . . 22,414 1/mol
V = 1,43 98,3145 9303,15 mol. 1. kPa. K 99 mol. K. kPa
1.2.4
1,43 mol, ergibt sich
V = 36,4Liter
Atom- und Molek(ilmasse
Die absoluten A t o m m a s s e n A der chemischen Elemente liegen in der Gr6Benordnung zwischen 10-27...10 -25 kg, also bei auBerordentlich niedrigen Werten. Da fiir st6chiometrische Berechnungen ohnehin nicht die Masse eines einzelnen Atoms, sondern stets das Verhaltnis zwischen den Massen der verschiedenen Atome von Interesse ist, werden relative Atommassen benutzt. Mit der Festlegung der Atommasse eines bestimmten Elements als Bezugspunkt, ergeben sich die Massen aller anderen Atome als ein Vielfaches dieser Bezugsmasse. Die relative A t o m m a s s e A~ (frtiher Atomgewicht) ist die auf ein Standardatom bezogene Atommasse. Sie ist eine relative Zahl ohne Einheit. Als Standardatom wurde 1961 das Kohlenstoffisotop
12 C
mit der relativen Atommasse 12 festgelegt.
Die relative A t o m m a s s e eines E l e m e n t s gibt an, wie viel mal so s c h w e r ein A t o m des betreffenden E l e m e n t s im Vergleich zu einem Zw61ftel der M a s s e des Kohlenstoffisotops 12 C ist.
Die a t o m a r e M a s s e n e i n h e i t u ist als ein Zw61ftel der absoluten Masse eines Atoms 1~C definiert (u = 1,660 5655 9 10-27 kg). Die in Kap. 2.1.1 angegebenen Massen fiir Protonen und Neutronen beziehen sich auf diese Masseneinheit. Unter Benutzung der atomaren Masseneinheit u ergibt sich ftir A~" Ar = A
(1-5)
u
Die entsprechenden molekularen Begriffe sind analog definiert. Die relative Molekiilmasse erh~ilt man durch Addition der relativen Atommassen aller am Aufbau des Molekiils beteiligten Atome: Mr = ~ Ar . Aufgabe: Berechnung der relativen Molekillmasse Mr der Schwefels~iure H 2 8 0 4 S
2H 40
Mr (H2804)
= = =
1 x 32,1 = 32,1 2xl = 2 4x16 = 64 98,1
1 Allgemein-chemische Grundlagen
12
Fiir stOchiometrische Berechnungen werden im Allgemeinen auf eine Dezimalstelle gerundete Ar-Werte benutzt. 1.2.5
Stoffmenge
-
Mol
W~ihrend an chemischen Reaktionen einzelne Atome, Molektile und Ionen beteiligt sind, interessieren bei der Durchfiihrung chemischer Umsetzungen in der Praxis w~igbare Substanzmengen. Diese Substanzmengen enthalten naturgem~ig eine sehr grol3e Zahl von Atomen, Molekiilen oder Ionen. Um eine quantitative Beziehung zwischen dem atomaren Bereich und dem Bereich der w~igbaren Substanzen herzustellen, wurde die Stoffmenge n eingefiihrt. Die SI-Einheit der Stoffmenge ist das Mol (Einheitenzeichen: mol). Wiederum wird die Stoffmenge, in der ein Element oder eine Verbindung vorliegt, durch Vergleich mit einer Bezugsmenge ermittelt. Als Bezugsmenge wurde die Anzahl der in 12 g des Kohlenstoffisotops 1~C enthaltenen Atome festgelegt. Das Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das aus ebensoviei Einzelteilchen besteht, wie Atome in 12 Gramm des Kohlenstoffisotops 126 C enthalten sind.
Bei der Benutzung des Mol miissen die Einzelteilchen spezifiziert werden. Es k6nnen Atome, Ionen, Molekiile, Elektronen oder Formeleinheiten sein. Die Anzahl der elementaren Teilchen pro Mol ist eine Naturkonstante. Sie wird zu Ehren des italienischen Physikers Avogadro als Avogadro-Konstante (NA) bezeichnet:
NA = 6,022 0453 9 1023 mo1-1 (NA = 6,022 9 1023 mol-1). Die Avogadro-Konstante ist der Proportionalitatsfaktor zwischen der Teilchenanzahl N und der Stoffmenge n eines Stoffes: N = NA "n. Molare Masse. Die Masse, die ein Mol Atome bzw. Molektile besitzt, bezeichnet man als molare Masse M. Als stoffmengenbezogene Gr6Be stellt die molare Masse eine Beziehung zwischen der Stoffmenge n und der w/igbaren Masse m her. Die molare Masse M eines Elements oder einer chemischen Verbindung ist der Quotient aus der Masse m und der Stoffmenge n dieser Stoffportion. M=
m
[g/mol]
(1-6)
n
Die molare Masse M eines Atoms bzw. Molekiils ist zahlenm~iflig gleich der relativen Atom- bzw. Molekiilmasse, besitztjedoch die Einheit g/mol. Die Berechnung molarer Massen von Verbindungen ist fiir unterschiedlichste bauchemische Problemstellungen notwendig. Das Verh~iltnis der molaren Massen der Oxide des Natriums und Kaliums geht z.B. in die Formel zur Ermittlung des Gesamtalkaligehalts von Zementen ein. In den Zementrohstoffen und damit auch in den Zementklinkem sind die Oxide des Kaliums (K20) und Natriums (Na20) im Verh~ilmis von 4 : 1 bis 10 : 1 enthalten.
1.2 Massen- und Volumenverh~lmisse
13
Da ~iquivalente Mengen an Na20 und K~O im Rahmen der Alkali-Kiesels~iure-Reaktion (Kap. 9.4.2.2) ein in etwa gleiches Treibverhalten aufweisen, werden beide .Gehalte zu ein__em Gesamtalkaligehalt_ zusammengefasst und als Masseprozent (%) Na20-Aquivalent ( N ) angegeben: N = Na20 + 0,685 K20 (in %). Der Faktor 0,685, mit dem der K20Gehalt multipliziert wird, ergibt sich aus dem Verh~iltnis der molaren Massen von Na:O und K20 ~ M(Na20)/M(K~O) = 62 g. mo1-1 / 94,2 g. mol 1 = 0,685. Zusammenfassend l~isst sich feststellen, dass das Symbol eines chemischen Elements, neben der qualitativen Aussage fiber die Art des Elements und der quantitativen Aussage fiber ein Atom des Elements, auch fiir ein Mol des Elements steht. Zum Beispiel steht Ne fiir das Edelgas Neon, fiir ein Atom Neon und fiir ein Mol Neonatome (6,022 9 1023 Neonatome). Analoges gilt ftir die Formel einer chemischen Verbindung. Durch Umstellen von GI. (1-6) ist es m6glich, aus der molaren Masse M und der Masse m die Stoffmenge n und damit die Teilchenzahl N zu ermitteln:
n
--
m m
M
[mol]
(1-7)
Die Masse m und die molare Masse M sind zwei Gr6Ben vSllig unterschiedlichen Charakters: Die Masse mist eine extensive, die molare Masse M dagegen eine intensive GrSBe. Extensive Gr6Ben sind Quantit~itsgr6Ben. Sie besitzen additiven Charakter, ihr Wert ~indert sich mit der GrfBe der betrachteten Stoffportion. Beispiele Rir extensive Gr6Ben sind das Volumen, die innere Energie, die Entropie und die freie Enthalpie. Intensive Gr6Ben sind Qualit~itsgr6Ben. Sie verhalten sich nicht additiv, ihr Wert ~indert sich nicht mit der Gr6Be der jeweiligen Stoffportion. Neben den molaren Gr6Ben (M, VM) gehfren die Konzentrationsangaben (s.u.) sowie Druck, Temperatur und Dichte zu den intensiven Gr6Ben. Aus der Molmasse und dem Molvolumen kann die Dichte eines Gases (Normdiehte) berechnet werden.
Aufgabe- Welche Dichte besitzt gasfOrmiger Sauerstoffbei Normbedingungen ? M(O2) = 32 g/mol, VM = 22,4 1/mol;
1.2.6
p(O2) - M(O2) - 32 g / mol = 1,429g / 1. VM 22,4 1/ mol
Konzentrationsmal~e
Ftir eine Vielzahl praktischer Aufgabenstellungen werden L6sungen ben6tigt, die einen unterschiedlichen Gehalt an gel6stem Stoff aufweisen. Da es sich bei dem LSsungsmittel in der Regel um das Lfsungsmittel Wasser handeln wird, sollen im Mittelpunkt unserer weiteren Betrachtungen ausschlieBlich w~issrige L6sungen stehen. Den Gehalt einer Lfsung an gelfster Komponente bezeichnet man als ihre Konzentration. In den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen der Praxis haben sich im Laufe der Zeit verschiedene, dem jeweiligen Arbeitsgebiet optimal angepasste KonzentrationsmaBe eingebtirgert, deren wichtigste im nachfolgenden kurz beschrieben werden sollen.
1 Allgemein-chemische Grundlagen
14
Massenanteil Der Massenanteil w(X) eines Stoffes X in einer L6sung ist die Masse m(X) des gel/Ssten Stoffes, bezogen auf die Gesamtmasse der L6sung. w(X)
=
m(X)
(1-8)
Zm
Der Massenanteil wird h~iufig in Prozent angegeben (Massenprozent).
Prozentangaben ohne n~ihere Bezeichnung beziehen sich immer auf die Konzentrationsangabe Massenanteil bzw. Massenprozent.
Merke:
Eine LSsung ist n-prozentig, wenn sie in 100 g L6sung n Gramm der gelSsten Komponente enthalt.
Aufgaben: 1.
Wie viel g NaOH werden ben6tigt, um 250g einer 15%igen Natronlauge herzustellen? m(NaOH) g - 37,5g. 250g Zur Herstellung von 250 g einer 15%igen Natronlauge werden 37.5 g NaOH und 212.5 g Wasser ben0tigt. w(NaOH) = 0,15 =
0
FOr die Herstellung eines Magnesiumbinders werden 5 Liter 16,5%ige MgC12-L6sung ben6tigt (p = 1,15 g/cm3, 20~ Wie viel g MgC12(wasserfrei) sind einzuw~igen? p = 1,15 g/cm3 bedeutet: 1150 g/l, d.h. die Masse eines Liters L6sung betr~igt 1150 g. Da die LOsung 16,5%ig ist, sind in 1 Liter 189,75 g, also- 190 g MgCI2 enthalten. FOr 5 Liter MgCl2-LOsung werden demzufolge 950 g MgC12und 4800 g (= 4,8 Liter) H20 ben6tigt.
Volumenanteil (ffir Mischungen von FlOssigkeiten) Der Volumenanteil qg(X) eines Stoffes X in einer Mischung ist das Volumen V(X) der Komponente X, bezogen auf das Gesamtvolumen Vo der Mischung. =
v(x)
(1-9)
Wie der Massenanteil hat auch der Volumenanteil als Quotient zweier gleicher Gr6gen keine Einheit. Er wird h~iufig in Prozent angegeben (Volumenprozent).
Merke:
Eine 10 Vol.-%ige Mischung enth[ilt 10 ml der gel/Ssten Komponente und 90 ml Wasser in 100 ml Ltisung bzw. 100 ml der gel6sten Komponente und 900 ml Wasser in 1000 ml L/Ssung.
Aufgabe: Es werden 165 ml Ethanol und 782 ml Wasser gemischt. Wie viel Vol.-%ig ist die alkoholische L0sung ?
1.2 Massen- und Volumenverh~iltnisse
15
165 ml = 0,174. Die alkoholische L0sung ist 17,4 Vol.-%ig. 947 ml
99 (C2HsOH) --
Volumenanteil ~o(X) und Volumenkonzentration 6(X) = V(X)/V(LOsung) spielen bei der Beschreibung der Atmospharenzusammensetzung eine wichtige Rolle. Sie sind ftir Beimischungen in der Atmosph~ire gleich, da Mischungsvorg~inge das Volumen nicht ver~indem. Es gilt: Gesamtvolumen Vo vor dem Mischen = Volumen der Mischphase V. Deshalb werden q~und 6 bei der Beschreibung der Zusammensetzung der Atmosph~ire h~iufig synonym verwendet. Der Volumenanteil q~ wird mitunter auch als Volumenverh~iltnis bzw. Mischungsverh~iltnis bezeichnet. Da in der Atmosph~irenchemie die Volumenanteile oftmals in sehr niedrigen GrSBenordnungen liegen (10 3, 10-6 und niedriger) hat man fiir die Faktoren, mit denen das Ergebnis zu multiplizieren ist, bestimmte Zeichen festgelegt (engl. part Teil, Anteil; million Million, billion Milliarde, trillion Billion)" ppm ppb ppt
parts per million parts per billion parts per trillion
Faktor 10-6 Faktor 10-9 Faktor 10-12.
Man gibt also statt q~= 2 9 10-9 m3/m 3 oder q~= 2 ~ L / m 3 bevorzugt q~= 2 ppb an.
Massenkonzentration Unter der Massenkonzentration fl versteht man den Quotienten aus der Masse m(X) des gelSsten Stoffes X und dem Volumen V der Mischphase (Gesamtvolumen nach dem Mische~LSsen). re(X)
~e(x) =
[g/l]
(1-10)
Massenkonzentrationen werden vor allem bei der Angabe der atmosph[irischen Spurenbestandteile verwendet, typische Einheiten sind hier mg/m 3 oder ~tg/m3. Zur Einsch~itzung des aggressiven Angriffs von Schadgasen a u f B e t o n ist mitunter die Urn- ] reehnung yon Volumenanteilen, gegeben in ppm oder ppb, in Massenkonzentrationen (Angabe meist in mg/m 3 oder ~g/m 3) notwendig. Sie soil im Weiteren beschrieben werden:
I
Durch Einsetzen von Beziehung (1-7) in (1-10) erh~ilt man G1. (1-11 ). fl(X)
=
M(X)
.
n(X)
V
(1-11)
Umformung der allgemeinen Gasgleichung (1-4): p 9 V(X) = n(X) 9R 9T ergibt G1. (1-12). n(X)
=
p
R.T
. V(X)
Durch Einsetzen in GI. (1-11) in (1-12) ergibt sich G1. (11-13).
(1-12)
16
1 Allgemein-chemische Grundlagen
fl(X) - M(X)
P R.T
V ( X ) _ M ( X ) . p 9 q)(X) V R.T
(1-13)
MitA =p/R 9T (A = 0,0416 mol/1 bei 20~ und 1,013 bar) ergibt sich
[ fl(X)-
A.M(X)qg(X)
]
[g/l]
(1-14)
Der Faktor A hat die Einheit mol/l und die molare Masse M(X) die Einheit g/mol. Der Volumenanteil ~ X ) besitzt keine Einheit. Multipliziert man nun beide Seiten von GI. (1-14) mit 10-9, lassen sich bei gleichen Einheiten fiir A und M(X) Volumenanteile q9 (in ppb) leicht in Massenkonzentrationen fl (in ~g/m 3) umrechnen.
Beispiel: Der Volumenanteil q~des Schwefeldioxids (SO2) soil bei 293 K und 1,013 bar 50 ppb = 50 9 10-9 betragen. Es ist die Massenkonzentration 15zu berechnen! X = 5 0 2 , M ( S O 2 ) = 64,1 g/mol, T = 293 K und p = 1,013 bar ~(SO2) = A" M(SO2)" q)(SOz)= 0,0416 tool/1.64,1 g/mol 950" 10-9= 133,3 txg/m3.
Stoffmengenkonzentration Die Stoffmengenkonzentration oder molare Konzentration c(X) (fdiher: Molaritiit) gibt die in einem bestimmten Volumen enthaltene Stoffmenge n(X) eines Stoffes X an. c(X)
=
n(X)
[mol/1]
(1-15)
Ftir die Stoffmengenkonzentration (,,Anzahl der Mole pro Liter L6sung") ergibt sich die Einheit mol/1 (auch: mmol/ml oder mmol/cm3). Eine Stoffmengenkonzentration c(NaOH) = 1 tool/1 bedeutet, dass in 1 Liter Natronlauge 1 Mol (= 40 g) festes NaOH gel6st ist.
Merke:
Veraltete, aber in der Praxis noch h/iufig anzutreffende Schreibweisen f'tir c = 1 mol/1 sind 1 M oder auch 1 molar.
Eine praktikablere Handhabung von GI. (1-15) ergibt sich sofort, wenn n durch den Quotienten m/M (GI. (1-7)) ersetzt wird:
c(X)
=
m(X) M(X). V
[mol/1]
(1-16)
(X): einzuw~igende Masse des Stoffes X, M(X): molare Masse des Stoffes X, V: Volumen der L6sung in Liter Beachte:
Eine 1 mol/1 NaOH-LSsung enthalt ein Mol NaOH im Liter L6sung und nicht im Liter L6sungsmittel.
1.2 Massen- und Volumenverh~iltnisse
17
Praktische Herstellung einer 1 mol/l NaOH-LOsung: Zun/ichst werden 40 g festes NaOH in einem MaBkolben in einem Wasservolumen < 1 Liter aufgel6st (evtl. unter leichtem Erw/~rmen) und anschliefSend auf exakt 1 Liter aufgefiillt.
Aufgaben: Wie viel Gramm NaC1 werden benOtigt, um 1 Liter einer 0,01 mol/1NaC1-LOsung herzustellen? m(NaC1) xg c(NaC1) ~ 0,01 mol / 1 ~ x - 0,585 g M(NaC1) 9V 58,5 g / mol. 1 1 Zur Herstellung von 1 Liter 0,01 mol/1NaC1-L6sung benOtigt man 0,585 g NaC1. .
Welche Stoffinengenkonzentration besitzt eine NatriumsulfatlOsung, die in 350 ml LOsung 24,85 g Natriumsulfat (Na2SO4) enth~ilt? 24,85 g - 0,5 mol / 1 142,1g/mol 9 0,35 1 Die Stoffmengenkonzentration der NazSO4-LOsungist 0,5 tool/1. c(Na2 SO4) --
Beziehung zwischen der Massen- und der Stoffmengenkonzentration:
~e(x) =
re(x)
c(X)-~n(X)
==~
V-
~
V - n(X)
V
m(X) fl(X)
m(X) ~(X)
c(X)
n(X) c(X)
m(X) M(X) . c(X)
fl(X) = M(X) . c(X)
oder
c(X) =
~(x)
M(X)
(1-17)
Die st6chiometrische Bedeutung der Stoffmengenkonzentration soll am Beispiel der einfathen Salzbildungsreaktion (1-18) dargestellt werden. HCI
+
NaOH
----
NaC1
+
H20
(1-18)
Ein Mol Chlorwasserstoff HC1 (= 36,5 g) reagiert vollst/indig mit einem Mol Natriumhydroxid N a O H ( - 40 g) zu Natriumchlorid und Wasser. Demnach miissen sich gleiche Volumina gleichmolarer L6sungen yon Chlorwasserstoff in Wasser (Salzs/iure) und Natriumhydroxid in Wasser (Natronlauge) vollst~indig miteinander umsetzen, da beide Volumina die gleiche Anzahl reagierender Teilchen enthalten (Definition des Mol!). Die L6sungen yon HC1 und NaOH sind einander/iquivalent.
1 Allgemein-chemische Grundlagen
18
Da eine Reihe wichtiger physikalisch-chemischer Eigenschaften von L6sungen in empfindlicher Weise vom relativen Gehalt an L6sungsmittel u n d an gel6ster Komponente abhiingen, wird neben der prozentualen Angabe des Gehalts hiiufig auch der Stoffmengenanteil (Molenbruch) der gel6sten Substanz als KonzentrationsmaB verwendet.
Stoffmengenanteil (~iltere Bezeichnung" Molenbruch) Zur Charakterisierung der Zusammensetzung von L/Ssungen (Mischungen) findet neben der prozentualen Angabe des Gehaltes hiiufig der Stoffmengenanteil (Molenbruch) Anwendung. Der Stoffmengenanteil einer Komponente A in einer Mischung ist der Quotient aus der Stoffmenge n(A) dieser Substanz und der Summe der Stoffmengen aller Komponenten des Gemischs. Stoffmengenanteile lassen sich sowohl fiir Gase und Festk6rper als auch fiir Fltissigkeiten berechnen. Ftir ein Zweikomponentensystem gilt:
xA =
HA
und
HB
mit
x A + xa
Der Stoffmengenanteil wird oft in Prozent angegeben
(Molprozent)"
HA + HB
xB = nA
,
= 1.
(1-19)
+ nB
Mol-% =
x z 9 1 O0 % .
Aufgabe:
1. Welche Stofffnengenanteile besitzt eine 20%ige Natronlauge? Eine 20%ige Natronlauge besteht aus 20 g Natriumhydroxid und 80 g Wasser. Die Berechnung der Stoffinengen nach G1. (1-7) ergibt: 20g 80g n(NaOH)= =0,5mol und n(H20)= -4,44mol 40 g / mol 18 g / mol 9 Summe der in der Mischung vorliegenden Mole: n(NaOH) + n(H20) = 4,94 mol. 9 Berechnung der Stoffmengenanteile: 0,5 mol x(NaOH)=~=0,1 4,94 mol
4,44 mol und x ( H 2 0 ) = ~ = 0 , 9 4,94 mol
Der Stoffmengenanteil an NaOH betriigt 0,1 (bzw. 10%), der des Wassers 0,9 (bzw. 90%).
1.2.7
St6chiometrische Berechnungen
Die Mehrzahl der sttichiometrischen Berechnungen baut auf den in den vorhergehenden Kapiteln behandelten Grundlagen und quantitativen Gesetzmiil3igkeiten der chemischen Reaktion auf. In der Regel geht es um Berechnungen der Ausbeute von chemischen Umsetzungen. Mit anderen Worten, es sollen die bei der Reaktion entstehenden Stoffmassen und/oder Gasvolumina berechnet werden. Im Falle der Bildung gasf6rmiger Reaktionspro-
1.2 M a s s e n - u n d Volumenverh~iltnisse
19
dukte ist meist das M o l v o l u m e n im st6chiometrischen A n s a t z zu beriicksichtigen. A n einigen einfachen b a u w e s e n b e z o g e n e n O b u n g s b e i s p i e l e n soil der allgemeine F o r m a l i s m u s zur L 6 s u n g st6chiometrischer A u f g a b e n gezeigt werden:
A ufstellung der Reaktionsgleichung Ermittlung der Massen- bzw. Volumenverhdltnisse Aufstellung einfacher Verhdltnisgleichungen Aufgaben: Wie viel t Kalkstein (CaCO3) miissen als Zuschlagstoff bei der Verhtittung von Eisenerz eingesetzt werden, um 250 t Calciumsilicatschlacke (CaSiO3) entsprechend der Reaktionsgleichung zu erhalten? Vertmreinigungen sollen vemachl~issigt werden. xt SiO2
+
250 t
CaCO3
~
CaSiO3 + 116,2 g/mol
100,1 g/mol 100,1 g/mol CaCO3 9 x t CaCO3 =
x -
100,1 g / mol 9 250 t
116,2 g / mol
CO2
116,2 g/mol CaSiOs 9 250 t CaSiO3
- 215,36 t CaCO3.
Es mtissen ca. 215,4 t Kalkstein eingesetzt werden. Branntkalk wird durch Brennen von Kalkstein in Kalkschacht6fen hergestellt. a) Wie viel Tonnen Branntkalk und Kohlendioxid entstehen beim Brennen von 120 t Kalkstein (CaCO3), wenn der Kalkstein zu 8% vertmreinigt ist? b) Wie viel m 3 CO2 entstehen bei Normbedingtmgen und bei einer AuBentemperatur von 18~ und einem Barometerstand von 100,6 kPa ? 120t xt CaC03 100,1 g/mol
zu a)
--~
CaO 56,1 g/mol
+
CO2 44 g/mol ( - 22,4 l/mol)
CaO: 100,1 g/mol" 120 t = 56,1 g/mol" x t
x = 67,25 t; da Kalkstein zu 8% verunreinigt ~
x = 61,87 t CaO
CO2:100,1 g/mol 9 120 t = 44 g/mol" x t x = 52,75 t; da Kalkstein zu 8% venmreinigt ~
zu b)
x = 48,53 t CO2.
Bei Normbedingungen: 100,1 g/mol" 120. 10 6 g = 22,4 l/mol" x 1
x = 26,853 9 10 6 1 = 26853 m3; da Kalkstein zu 8% verunreinigt: x = 24705 m 3 CO2. F~r 18~
und p - 100,6 kPa ergibt sich:
1 Allgemein-chemische Grundlagen
20
v=m'R'T p. M
48530.103.8,3145.291,15 44.100600
g-mol.m3-pa.K g. mol. K . Pa
,V
26540,7m 3
Wie viel Liter Wasser benOtigt man, um 3 kg Baugips (Halbhydrat, CaSO4 9 1//2H20) anzumachen? 3000 g 2 (CaSO4 9 89 1-120) 2- 145,2 g/mol
xg + 3 1-120 ---3 . 1 8 g/mol
2 (CaSO4 9 2 H20)
M(CaSO4- 89 H20) = 145,2 g/mol 290,4g : 3000g = 5 4 g : x g
~
x = 5 5 7 , 8 5 g H 2 0 = 0,5581 H20.
Um 3 kg Baugips anzurflhren wird etwa ein halber Liter Wasser ben6tigt. 4.
Bestimmen Sie den prozentualen Anteil an A1 im Kalifeldspat K[AISi3Os]! 27 g A 1 / m o l M (K[A1Si3Os]) = 278.4 g/mol ~ x(A1)= 278,4 g / mol = 0,097 ; x(Al) = 9.7%.
Eine CSH-Phase besitzt die chemische Zusammensetzung 34,1% CaO, 54,9% SiO2 und 11% H20 (in Oxidschreibweise). Welche Hydratphase liegt vor? Berechnung der Stoffinengen: n = m/M [mol]
n(CaO) n(SiO2) n(H20)
= 34,1 g/56,1 g. mol "1= 0,6978 mol CaO = 54,9 g/60,1 g. mo1-1 = 0,9135 mol SiO2 - 11 g/18 g" mol 1 = 0,6111 mol CaO
Division durch die kleinste Stoffmenge n ergibt: 0,6078 0,6078
-lmolCaO;
0,9135 ~-1,5molSiO2; 0,6078
0,6111 ~-lmolH20; 0,6078
Die CSH-Phase besitzt die Zusammensetzung ClSl,sH1 bzw. C2S3H2 (Gyrolith). Die Elementaranalyse einer Verbindung ergab die Zusammensetzung: 29,4% Ca, 23,6% S und 47% O. Berechnen Sie die chemische Formel der Verbindung! n(Ca) = m(Ca) / M(Ca) = 29,4 g/40,1 g.mol 1 = 0,733 mol; n(S) = 23,6 g/32,1 g'mol "1 = 0,735 mol und n(O) = 47 g/16 g.mo1-1 = 2,937 mol. Division durch die kleinste Stoffmenge ergibt:
Ca: 0,733 mol/0,733 mol = 1; S: 0,735 mol/0,733 mol = 1; O: 2,937 mol/0,735 mol = 4. Die Formel lautet CaSO4 (Oxidschreibweise: CaO.
SO3).
2
Atombau und Periodensystem der Elemente
2.1
Bau der Atome
2.1.1
Bestandteile des A t o m s - I s o t o p e - Radioaktivit~t
Die Frage nach der Struktur der Materie ist ein besonders instruktives Beispiel daftir, wie in enger Wechselbeziehung zwischen Experiment, Theorienbildung und Modellvorstellung die schrittweise Aufkl~irung der atomaren Substruktur zu immer detaillierteren Kenntnissen hinsichtlich des Aufbaus des Atomkerns und der Elektronenhtille ftihrte. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zeichnete sich ab, dass die Atome aus noch kleineren Teilchen aufgebaut sein mtissten. Basierend auf den Arbeiten von M. Faraday zur Elektrolyse, d.h. zur Zersetzung von chemischen Verbindungen durch den elektrischen Strom, schlug G. J. Stoney 1874 die Existenz elektrischer Ladungstr~iger vor, die mit dem Atom in irgendeiner Weise assoziiert sind. Diesen Ladungstr~igern gab er sp~iter den Namen Elektronen. Der experimentelle Nachweis der Elektronen gelang mit der Entdeckung der Katodenstrahlen (J. Pliicker 1859). Katodenstrahlen entstehen, wenn an zwei Elektroden, die sich in einer evakuierten Glasrfhre befinden, eine hohe Spannung angelegt wird. Aus dem Metall der negativen Elektrode (Katode) treten unsichtbare Strahlen aus. Sie sind negativ geladen, deshalb bewegen sie sich zur positiven Elektrode (Anode). Sie breiten sich geradlinig aus und verursachen ein Leuchten, wenn sie auf die Glaswand auftreffen. Die Strahlung wurde bald als Teilchenstrahlung erkannt. Die schnell bewegten, negativ geladenen Teilchen sind Elektronen. Durch Messung der Ablenkung der Katodenstrahlen in elektrischen und magnetischen Feldern bestimmte J. Thomson das Verh~iltnis von Ladung und Masse fiir das Elektron. Die genaue Bestimmung der Ladung des Elektrons geht aufR. Millikan zuriick (Oltr6pfchenversuch 1909). Sie betr~igt q =-e =-1,602 1892.10 "19 C. Der Wert e wird als Elementarladung bezeichnet. Die Masse des Elektrons betr~igt 9,109 534- 10-31 kg. Verwendet man in der oben beschriebenen Versuchsanordnung keine vollst~indig evakuierte R6hre, sondern eine solche, die ein unter vermindertem Druck stehendes Gas enth~ilt, tritt beim Anlegen einer hohen Spannung eine weitere Strahlung auf. Durch den Beschuss der Gasatome mit den Elektronen des Katodenstrahls werden Elektronen aus den Atomen herausgeschlagen. Dabei entstehen positiv geladene Ionen, die in Richtung der negativ geladenen Katode beschleunigt werden. Durchbohrt man die Katode, durchqueren diese Teilchen den ,,Kanal" in der Katode (Kanalstrahlen). Das positive Ion mit der kleinsten beobachtbaren Masse tritt bei Verwendung von Wasserstoff als Ftillgas der Kanalstrahlr6hre auf. Es wird als Proton bezeichnet. Seine Ladung entspricht im Betrag der des Elektrons, besitzt jedoch ein positives Vorzeichen. Die Masse des Protons betr~igt 1,672 6485 9 10 -27 kg. Sie ist damit 1836-mal gr6ger als die des Elektrons. Basierend auf den Erkenntnissen aus Gasentladungs- und Nachfolgeexperimenten gelang es 1911 dem englischen Physiker E. Rutherford, erste Aussagen zur inneren Struktur des Atoms zu formulieren. Rutherford beschoss eine dtinne Goldfolie, deren Dicke etwa 2000 Atomlagen hintereinander entsprach, mit zweifach positiv geladenen Heliumkemen (aStrahlung, Abb. 2.1). Er gelangte zu dem Resultat, dass 99% der He2+-Kerne die dtinne Metallfolie passieren, ohne ihre Richtung zu ~indem. Nur 1% der Teilchen wurde gestreut
2 Atombau und Periodensystem der Elemente
22
bzw. zuriackgeworfen. Dieses Ergebnis veranlasste ihn zu seinem beriihmten Kommentar: ,,Das Atom besteht in erster Linie aus Nichts!" 500 nm ( ~ 2000 Goldatome)
(..E
r
o.
Ca(OH)2 Calciumhydroxid
--->
2 H3PO4 Orthophosphors~ure
CaO ist das Baseanhydrid des Calciumhydroxids, P205 das Siiureanhydrid der Orthophosphors~iure. Der Basecharakter der Metalloxide nimmt innerhalb einer Periode von links nach rechts ab, der S~iurecharakter nimmt zu. Innerhalb einer Hauptgruppe steigt die Tendenz der Oxide, Basen zu bilden, mit zunehmenden metallischen Eigenschaften der Elemente von oben nach unten an. Die Oxide der auf der Diagonale befindlichen Elemente sind amphoter, d.h. sie verhalten sich je nach Reaktionspartner sauer oder basisch. Von
2.2 Periodensystem der Elemente
43
bauchemischer Relevanz ist insbesondere die Amphoterie der Verbindungen Aluminiumoxid A1203 bzw. Aluminiumhydroxid AI(OH)3 (Kap. 8.3.1). Wertigkeit - Oxidationszahl. Der Begriff der Wertigkeit wird in der chemischen Praxis
oft recht vielschichtig benutzt, h~iufig wird er an bestimmte Bindungsmodelle gekoppelt. Eine klare Definition kann fiir die st6ehiometrisehe Wertigkeit gegeben werden" Die st6chiometrische Wertigkeit gibt an, wie viele einwertige Atome oder Atomgruppen (H, CI, OH) durch ein bestimmtes Atom oder eine Formeleinheit ersetzt werden kfnnen.
In den Formeln HCI, 1-120, H2S und CH4 sind nach dieser Definition die Elemente Chlor einwertig, Sauerstoff und Schwefel zweiwertig und Kohlenstoff vierwertig (bezogen auf die Ersetzung des einwertigen Wasserstoffatoms). In den Formeln MgCI2 und KC1 sind Magnesium zwei- und Kalium einwertig. Die st6chiometrischen Wertigkeiten der Elemente der Hauptgruppen ver~indem sich innerhalb einer Periode in charakteristischer Weise. Betrachtet man die Wasserstoffverbindungen der Elemente der 3. Periode, so nimmt die Wertigkeit von der I. bis zur IV. Hauptgruppe entsprechend der Gruppennummer von 1 nach 4 zu (Nail, MgH2, A1H3, SiH4). Die ersten beiden Verbindungen geh6ren zur Gruppe der salzartigen Hydride. Ihr Gitter besteht aus Metallkationen Na + bzw. Mg 2+ und Hydridionen H. In den Hauptgruppen V - VIII geht die Wertigkeit schrittweise auf null zurtick (z.B. 2. Periode: NH3, 1-120, HF, / ). Von einigen Ausnahmen abgesehen, steigt die maximale Wertigkeit der Elemente einer (Hauptgruppen)Periode gegeniiber Sauerstoff entsprechend der Gruppennummer an, von 1 (I. Hauptgruppe, z.B. Na20 ) bis auf 7 (VII. Hauptgruppe, z.B. C1207). Eine grundlegende, besonders fiir Redoxreaktionen (Kap. 7.2) bedeutsame Gr6fSe, ist die Oxidationszahl (auch: Oxidationsstufe). Die Oxidationszahl gibt an, welche Ladung ein Atom in einem Molekiil bzw. einem ionischen Teilchen hiitte, wenn man die Atome der Verbindung als Ionen auffassen wiirde.
Oxidationszahlen sind gedachte Ladungen, die den Atomen einer Verbindung nach bestimmten, auf dem Elektronegativit~itskonzept beruhenden Regeln zugeordnet werden. Bei einem einatomigen Ion ist die Oxidationszahl mit der Ionenladung identisch. 1. 2. 3. 4.
Metalle erhalten positive Oxidationszahlen. Fluor erh~ilt die Oxidationszahl -I. Wasserstofferh~ilt die Oxidationszahl +I. Sauerstoff erhalt die Oxidationszahl -II.
Bei neutralen Verbindungen ist die Summe der Oxidationszahlen aller Atome null. Bei mehratomigen Ionen ist die Summe der Oxidationszahlen aller Atome gleich der Ionenladung. Die Oxidationszahl eines Atoms im elementaren Zustand (z.B. Fe, Ne, He) ist null.
2 Atombau und Periodensystem der Elemente
44
Die Regeln 1. - 4. sind als strenge Hierarchie aufzufassen. Ist ein Metall in einer chemischen Verbindung vorhanden, so wird zuerst die Oxidationszahl des Metalls, dann die der iibrigen unter 2. bis 4. genannten Elemente in der angegebenen Reihenfolge bestimmt. Fluor wird also vor Wasserstoff und Sauerstoff (z.B. in HF, OF2 ) und Wasserstoffjeweils vor Sauerstoff (z.B. in 1-120 oder H202) bestimmt. Auf diese Weise kommt man z.B. in der Verbindung OF2 zu der seltenen, aber chemisch korrekten Oxidationszahl +ii fiir den Sauerstoff. Oxidationszahlen werden als r6mische Ziffern fiber die Atomsymbole geschrieben und beziehen sich aufjeweils ein Atom der betrachteten Sorte. +I -II
H20,
+IV-II
CO2,
+I +V-II
HNO3,
+VI-I
+VI-II
SF6 ,
-III +I
SO42- , N H 3 ,
+I -I
+I +V-II
Nail,
H2PO4-
Im praktischen Gebrauch, vor allem bei der Aufstellung von Redoxgleichungen, interessiert in erster Linie das Atom der Verbindung, das durch Reduktion bzw. Oxidation seine Oxidationszahl/indert. Generell gilt: Die hfchstmfgliche Oxidationszahl eines Elements ergibt sich formal als die Zahl der Elektronen, die bis zum n/ichstniedrigen Edelgas abgegeben werden mtisste, die niedrigstm6gliche Oxidationszahl als die Zahl der Elektronen, die bis zum n~ichsthSheren Edelgas aufgenommen werden mtisste. Zum Beispiel reicht der Oxidationszahlbereich beim Stickstoff von +V (z.B. in HNO3) bis -III (z.B. in NH3). Lediglich bei den Hauptgruppenelementen Fluor (Oxidationszahlen: -I und 0) und Sauerstoff (-II, -I und 0) wird die maximale Oxidationszahl nicht erreicht.
Die maximale (h6chstm6gliche) Oxidationszahl eines Elements entspricht der Hauptgruppennummer im Periodensystem der Elemente. Als erleichternd ftir die Bestimmung der Oxidationszahlen erweisen sich folgende Orientierungshilfen: Alkalimetalle (Na, K, Li) besitzen stets die Oxidationszahl +I, Erdalkalimetalle (Ca, Mg, Ba): +II und Aluminium +III; ftir Sauerstoff ergibt sich bis auf wenige Ausnahmen die Oxidationszahl -II und fiir Wasserstoff +I.
Die Oxidationszahlen werden wie folgt bestimmt: I-I2SO4: Als Summe der Oxidationszahlen ergibt sich fiJr die beiden H-Atome 2 9 (+I) = +II und fiir die vier O-Atome 4 9 (-II) = -VIII. Damit erh/ilt man als Gesamtsumme -VI. Da Schwefels~iure ein Neutralmolektfl ist, kann die Oxidationszahl ftir den Schwefel nur +VI lauten. Betrachtet man dagegen das Sulfation SO42-, ergibt sich wiederum 4 9 (-II) = -VIII. Da das Sulfation zweifach negativ geladen ist, sind diese beiden Ladungen vonder Summe (-VIII) abzuziehen, so dass sich (logischerweise!) ftir das S-Atom wiederum die Oxidationszahl +VI ergibt. KNO3: Als Summe der Oxidationszahlen der drei O-Atome ergibt sich 3 9 (-II) = -VI. Da Kalium die Oxidationszahl +I besitzt, erh/ilt man als Gesamtsumme und gleichzeitig als Oxidationszahl fiir den Stickstoff +V.
3
Chemische Bindung
Chemische Stoffe weisen teilweise sehr unterschiedliche Eigenschaften auf. Betrachtet man beispielsweise solche wichtigen Stoffeigenschaften wie die L6slichkeit oder die elektrische und thermische Leitfiihigkeit, so existieren in der Regel signifikante Unterschiede zwischen den Salzen und Oxiden einerseits und den organischen Verbindungen bzw. den Nichtmetallen andererseits. W~ihrend organische und nichtmetallische Stoffe h~iufig wenig wasserlOslich sind und den Strom schlecht oder gar nicht leiten, 16sen sich Salze gut in Wasser und ihre w~issrigen LSsungen leiten den elektrischen Strom. Metalle zeichnen sich dagegen durch eine ausgesprochen hohe elektrische und thermische Leitf~ihigkeit und durch Glanz aus. Ursache ftir dieses unterschiedliche Verhalten ist die Art und Weise, mit der die Atome untereinander verkniipft sind. Erst die entstehenden Aggregate aus Atomen, Molekiilen oder Ionen besitzen die fiir die jeweilige Stoffklasse charakteristischen physikalisch-chemischen Eigenschaften wie salzartig, nichtleitend oder leitend und metallisch. Welche der verschiedenen Stoffeigenschaften vorliegen, ergibt sich aus den spezifischen Wechselwirkungen zwischen den Atomen oder Molektilen. Je nach der Natur der vorliegenden Wechselwirkung unterscheidet man drei Grenz~pen der chemischen Bindung: 9 9 9
l o n e n b i n d u ng A t o m b i n d u n g (kovalente Bindung) Metallische Bindung.
3.1
Ionenbindung
3.1.1
Ausbildung von Ionen
Ionenverbindungen entstehen durch Vereinigung von ausgepriigt metallischen mit ausgepriigt nichtmetallischen Elementen, also von Elementen, die im PSE links stehen (Alkalimetalle, Erdalkalimetalle) mit Elementen, die im PSE rechts stehen (Halogene, Sauerstoff).
Bei der Reaktion von Natrium mit Chlor zu Natriumchlorid gibt jedes Natriumatom ein Elektron ab. Das dabei gebildete positiv geladene Ion Na + hat die gleiche Elektronenkonfiguration wie das Edelgas Neon (ls 2 2s 2 2p6). Die Chloratome nehmen jeweils ein Elektron auf und erlangen damit die Elektronenkonfiguration des Edelgases Argon (ls 2 2s 2 2p 6 3s 2 3p6). Aus den Chloratomen entstehen durch Elektronenaufnahme Chloridionen C1-. Na.
+
ICI.
Na +
+
ICII-
Wesentliche Voraussetzung fiir das Zustandekommen einer Ionenbindung ist der vollstiindige Ubergang eines Elektrons vom Metall- zum Nichtmetallatom. Dabei entstehen positiv geladene Ionen (Kationen) und negativ geladene Ionen (Anionen). ee
Mit der Erlangung der Elektronenkonfiguration eines Edelgases, also vollst~indig besetzte s- und p-Orbitale, liegen die Ionen in einem besonders stabilen, energiearmen Zustand vor.
46
3 Chemische Bindung
3.1.2
Wechselwirkung zwischen den lonen - Gitterenergie
Zwischen den positiv und negativ geladenen Teilchen kommt es zu einer elektrostatischen Anziehung, die durch das Coulombsehe Gesetz (3-1) beschrieben wird. FUr die Anziehungskraft F in einem Ionenpaar ergibt sich:
F
gK, 2A -
ZK
" e 9z A Ere l 9 r 2
9e
e
eret F r
Ladungszahl des Kations bzw. Anions Elementarladung relative Dielektrizitatskonstante Anziehungskraft zwischen den Ionen Abstand zwischen Kation und Anion.
(3-1)
Elektrostatische Wechselwirkungskr~ifte sind ungerichtete Kr~fie. Sie wirken nicht in einer bestimmten Vorzugsrichtung, sondern allseitig in den Raum. Damit kann ein Kation mehrere benachbarte Anionen und ein Anion mehrere benachbarte Kationen anziehen. Die dabei auftretenden Anziehungs- und AbstoBungskr~ifte fiihren zu einer regelm~iBigen Anordnung der Kationen und Anionen unter Ausbildung eines Ionengitters (Kap. 3.5.3). Wie bereits festgestellt, entstehen Ionenverbindungen tiberwiegend durch Vereinigung metallischer mit nichtmetallischen Elementen. Reaktionen von Metallen mit Nichtmetallen erfordern mitunter eine starke Aktivierung (Erhitzen, Ziinden), verlaufen dann aber meist recht heftig unter W~irme- oder Lichtentwicklung. Es sind exotherme Reaktionen- und es stellt sich die Frage, woher die frei werdende Energie stammt. Um diese Frage zu beantworten, soll am Beispiel der Umsetzung von Natrium mit Chlor die Bruttoreaktion gedanklich in Teilschritte zerlegt werden: Zun~ichst mtissen aus dem als festes Metall vorliegenden Natrium (Metallgitter, Kap. 3.5.2) und dem molekular vorkommenden Chlor freie Atome erzeugt werden. Das erreicht man durch Sublimation des Metalls und Spalten der Cl:-Molekiile. In beiden Fallen wird Energie verbraucht. Auch ftir die Oberftihrung des Natriumatoms in ein Na+-Ion wird Energie ben6tigt (Ionisierungsenergie). Bei der Bildung des negativ geladenen Chloridions wird ein relativ kleiner Energiebetrag frei (Elektronenaffinit~t). Mehrfach negativ geladene Teilchen, wie z.B. das O:--Ion als wichtiger Baustein der Oxidgitter, ben6tigen zu ihrer Entstehung wiederum Energie. Insgesamt muss far den Prozess der B ildung der gasf'6rmigen Ionen Na + und CI- Energie aufgewendet werden. Aufgrund der Coulombschen Anziehung bilden sich im ersten Schritt Ionenpaare Na+/C1-, die sich dann zum Ionengitter des festen Salzes zusammenlagem. Dabei wird ein groBer Energiebetrag frei, der umgekehrt beim Verdampfen aber auch beim Aufl6sen und Schmelzen des festen Salzes wieder aufgewendet werden muss. Die frei werdende Energie wird als Gitterenergie Ua bezeichnet. Sie iibertrifft die bei der Bildung der gasf'6rmigen Ionen aufgebrachten Energiebeitr~ige in der Regel deutlich und ist somit als Ursache ftir den exothermen Verlauf der Umsetzung von Metallen mit Nichtmetallen anzusehen. Die Gitterenergie ist die bei der Bildung eines Ionengitters aus den gasf'6rmigen lonen frei werdende Energie. Sie ist ein Marl fiir die Stiirke der Bindung zwischen den lonen eines Kristalls.
3.1 Ionenbindung
47
Die Gitterenergie ist umso gr/SBer, je kleiner die Ionen und je h6her geladen sie sind. Die Anordnung von Kationen und Anionen im Gitter h~ingt vonder st6chiometrischen Zusammensetzung der Ionensubstanz und vom Verh~iltnis der Ionenradien ab.
3.1.3
Eigenschaften von Ionenverbindungen
Ionenverbindungen leiten in w~issriger L/Ssung und in geschmolzenem Zustand den elektrischen Strom. Dariiber hinaus besitzen sie eine Reihe weiterer charakteristischer Eigenschaften: Salzl~istalle sind harte, spr6de Stoffe, die bei mechanischer Beeinflussung leicht zerstfrt werden k6nnen. Im Vergleich zu den molekularen Stoffen besitzen sie hohe Schmelz- und Siedepunkte. Die hohen Temperaturen beim Schmelzen eines Salzes (z.B. NaC1, Smp. 80 I~ sind notwendig, um die starken Anziehungskdifte zwischen den Ionen zu tiberwinden und sie in bewegliche Teilchen in der Schmelze zu tiberfiihren. Zwischen der Gitterenergie und der Schmelztemperatur von Salzen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang (Tab. 3.1). Ausnahmen wie BeO und MgO sind ein Beleg dafiir, dass die Schmelztemperatur einer Verbindung noch von weiteren Faktoren abh~ingt, z.B. vom Gittertyp. Erwartungsgem~if5 wirkt sich die St~irke der Anziehungskr~ifte im Gitter auch auf die H~irte der Ionenverbindungen aus, wie die in Tab. 3.1 angeftihrten H~irtegrade nach Mohs zeigen. Die 1812 von Friedrich Mohs aufgestellte qualitative H~irteskala (Mohssche l-liirteskala) erm/Sglicht eine bequeme Abschatzung der H~irte von Mineralen und Metallen nach zehn H~irtegraden. Dabei ist jeder Mohssche H~irtegrad durch ein Referenzmineral gekennzeichnet. Nach steigenden H~irtegraden (jeweils in Klammern) ergibt sich: Talk Mg3(OH)2[Si2Os]2 (1), Gips CaSO4" 2 1-120 (2), Kalkspat CaCO3 (3), Flussspat CaF2 (4), Apatit Cas(POn)3(OH, C1,F) (5), Kalifeldspat K[AISi3Os] (6), Quarz SiO2 (7), Topas A12F2[SiO4] (8), Korund A1203 (9) und Diamant C (10). Jedes der angefiihrten Minerale ritzt das vor ihm stehende und wird vom nachfolgenden geritzt. Infolge der ungleichen Abst/inde zwischen den einzelnen H/irtestufen - der Unterschied zwischen den Ritzh~irten 9 und 10 ist gr6fSer als der zwischen 1 und 9 (!) - ist die Mohssche Skala ftir exakte Angaben unbrauchbar. Eine heute in der Technik weit verbreitete H~irteangabe ist die Vickers-H~irte VH (Angabe in N/mm 2, [BK 1].
Tabelle 3.1 Gitterenergien, Schmelztemperaturen und H~rtegrade einiger ausgew~hlter Ionenverbindungen
Verbindung BeO MgO CaO NaC1 KC1
Gitterenergie (in kJ/mol, 25 ~ -4519 -3933 -3523 -781 -710
Schmelztemperatur Hirtegrad (in ~ (nach Mohs) 2570 2800 2570 801 770
9,0 6,5 4,5 2,5 2,2
In der chemischen Literatur wird haufig statt von Ionenbindung von lonenbeziehung gesprochen. Damit soil deutlich gemacht werden, dass der Zusammenhalt zwischen den Ato-
48
3 Chemische Bindung
men nicht durch ein gemeinsames Bindungselektronenpaar (Kap. 3.2.1), sondern durch die elektrostatische Wechselwirkung zwischen den Ionen des Gitters bewirkt wird. Nicht in allen F~illen k0nnen durch den Obergang eines Elektrons von einem Partner auf den anderen die beteiligten Atome eine stabile Edelgasschale erreichen. Betrachtet man zwei Atome eines im PSE rechts stehenden Elements (z.B. zwei Chloratome), so ist die Grundvoraussetzung einer Ionenbindung, dass beide Partner bei Elektronentibergang eine stabile Edelgasschale erreichen, nicht erfiillt. Nur das Chloranion (Chloridion) wiirde das geforderte Elektronenoktett erreichen:
i c'l 9
+
i
,
9
Ic-I +
-ICII
+
Wie die Bindung zwischen zwei Nichtmetallatomen zustande kommt, soil im folgenden Kapitel besprochen werden.
3.2
Atombindung
(Kovalente
3.2.1
Elektronenpaarbindung
Bindung)
- Modell von Lewis
Ein anschauliches Bindungsmodell zur Deutung der Wechselwirkung zwischen Nichtmetallatomen stammt von Lewis (1916): Bei einer Atombindung erfolgt der Zusammenhalt zwischen zwei Atomen durch ein gemeinsames Bindungselektronenpaar ( E l e k t r o n e n p a a r b i n d u n g ) . Durch das gemeinsame Elektronenpaar (Bindungselektronenpaar) erreichen beide Partner eine Edelgaskonfiguration, also acht Elektronen auf der ~iul3ersten Schale (Elektronenoktett). Das Wasserstoffatom bildet eine Ausnahme (s.u.). Die tibrigen nicht an der Bindung beteiligten Elektronenpaare eines Atoms werden als nicht bindende oder freie Elektronenpaare bezeichnet. He-Konfiguration m
H"
+
"0"
+
-H Ne-Konfiguration
He H-
+
Ar
"C/I
In den Lewis-Formeln wird ein Bindungselektronenpaar durch einen Strich zwischen den Elementsymbolen der an der Bindung beteiligten Atome, ein nicht bindendes Elektronenpaar durch einen Strich am Elementsymbol gekennzeichnet (Valenzstriehformeln). Die Anzahl der Bindungen pro Atom ergibt sich aus der Oktettregel, wonach jedem Atom vier
3.2 Atombindung
49
Elektronenpaare - bindend oder nicht bindend - zugeordnet sein mtissen (Aebtersehale). In manchen Molektilen werden zwei (z.B. CO2 oder C2H4) oder drei (z.B. N2, C2H2) Bindungselektronenpaare ben6tigt, um eine Achterschale zu erreichen. Im ersten Fall liegen Doppel- und im zweiten Fall Dreifachbindungen vor. Kovalent gebundener Wasserstoff erreicht die Edelgaskonfiguration des Heliums (Zwei-Elektronen-Konfiguration). Die Oktettregel ist nur far Atome von Elementen der 2. Periode streng gtiltig. Da nur vier Orbitale, namlich ein 2s- und drei 2p-Orbitale zur Vers stehen, werden maximal vier Bindungen ausgebildet. In Verbindungen von Elementen h6herer Perioden k6nnen dagegen mehr als vier kovalente Bindungen auftreten (Oktetterweiterung). Eine h/Shere Zahl von Kovalenzen wird m/Sglich, da den Elementen ab der 3. Periode auBer s- und p-Orbitalen auch d-Orbitale zur Bindungsbildung zur Vers stehen. Vorhandene Elektronenpaare werden entkoppelt, besetzen leere Orbitale ~ihnlicher Energie (z.B. die d-Orbitale der gleichen Schale) und erh/Shen damit die Zahl der Bindungsm6glichkeiten. Beispiele ftir Verbindungen mit erweitertem Oktett sind Phosphorpentachlorid PCI5 mit einer Zehnerschale (Elektronendecett) und Schwefelhexafluorid SF6 mit einer Zw/51ferschale (Elektronendodecett). Cl
\
Cl j P
/
F
Cl
F ~SIj
FJI
I\cl Cl
1'1'1'111
9 P"
3s
9s" m
3p
III I
F
=F I*I*I*II I I 3s
3d
1'4'1'11
F
F
I I
3p
3d
Fql l l ll l l
I's"
angeregter Zustand
Grundzustand
Das einfache Lewis-Konzept liefert die Grundlage fiir die Deutung der St/Schiometrie zahlreicher Verbindungen, versagt aber bei der ErkRirung der Elektronenstruktur des Sauerstoffmolektils 02: 0--0
bzw.
"0--0"
Die linke Form gibt zwar den experimentell ermittelten Doppelbindungscharakter der Bindung zwischen den Sauerstoffatomen korrekt wieder, die radikalische Natur des OR-Molekiils kommt jedoch nicht zum Ausdruck. Radikale sind Teilchen (Atome, Ionen oder Molektile), die tiber ein oder mehrere ungepaarte Elektronen verffigen. Das Molektil Sauerstoff ist ein Diradikal. Es besitzt zwei ungepaarte Elektronen, die sehr wesentlich seine physikalisch-chemischen Eigenschaften bestimmen. Diese Eigenschaft gibt nur die rechte Lewis-Formel exakt wieder. Sie verletzt allerdings die Oktettregel und kann den Doppelbindungscharakter zwischen den O-Atomen nicht widerspiegeln. Das Beispiel Sauerstoff zeigt, dass das einfache Lewis-Modell nicht in allen F~illen in der Lage ist, die reale Elektronenstruktur chemischer Verbindungen in ad~iquater Weise zu
50
3 Chemische Bindung
beschreiben. Erst die Anwendung der Wellenmechanik fiihrt zu einem tieferen Verst/indnis der Bindungsverh/iltnisse (Details, s. Lehrbiicher der Allgemeinen Chemie). IB
3.2.2
Uberlappung von Orbitalen
Nach der Lewis-Theorie ist eine kovalente Bindung auf ein gemeinsames Elektronenpaar zwischen den verbundenen Atomen zuriickzuftihren. Ausgehend vom wellenmechanischen Atommodell kann man sich das Zustandekommen einer kovalenten Bindung in folgender Weise erkl/iren: Bewegen sich zwei Atome aufeinander zu, iiberlappt ein Orbital des einen Atoms, das mit einem ungepaarten Elektron besetzt ist, mit einem Orbital des anderen Atoms, das ebenfalls mit einem ungepaarten Elektron besetzt ist. Unter der Orbitaliiberlappung ist das Durchdringen zweier Ladungswolken zu verstehen. Es kommt zu einer Konzentration von Elektronendichte im Gebiet zwischen den Kemen, die dem Lewisschen Bindungselektronenpaar entspricht. Je starker zwei Atomorbitale iiberlappen, umso starker ist die Elektronenpaarbindung. Voraussetzung ftir eine effektive Wechselwirkung zweier Orbitale sind vergleichbare Energien und gleiche Symmetrie der Orbitale. Stellt man nicht das Quadrat des winkelabh/ingigen Teils der Wellenfunktion, sondem die Winkelfunktion selbst dar (s. Kap. 2.1.3.2), erh/ilt man fiJr das totalsymmetrische s-Orbital ein positives Vorzeichen (Abb. 3.1a). Fiir die p-Orbitale (gleiches gilt ftir die d-Orbitale!) ergeben sich dagegen Bereiche unterschiedlichen Vorzeichens (Abb. 3.1 und 3.2). Eine Bindung kommt dann und nur dann zustande, wenn die iiberlappenden Orbitale gleicher Symmetrie ein gleiches Vorzeichen besitzen, so dass eine positive Oberlappung (Uberlappungsintegral S > 0) resultiert. Das heiBt ftir den Fall zweier tiberlappender p-Funktionen, dass zwei positive (oder zwei negative!) Orbitalbereiche der wechselwirkenden p-Funktionen zweier Atome iiberlappen miissen. Gleich groBe positive und negative Uberlappungsbereiche kompensieren sich und die resultierende Uberlappung ist null (Abb. 3.2b). Im einfachsten Falle tiberlappen die totalsymmetrischen s-Orbitale zweier Atome (Abb. 3.1 a).
a)
S-S
~ b)
X s-p
~ c)
>X p-p
Abbildung 3.1 0berlappung von Atomorbitalen" a) s-s-o-Bindung, b) s-p-o-Bindung und c) p-p-o-Bindung; als Kernverbindungslinie wurde die x-Achse gew~hlt. Liegen die wechselwirkenden Orbitale in der Kernverbindungslinie beider Atome, spricht man von einer o-[lberlappung. Zur o-Oberlappung sind neben s-Orbitalen vor allem pOrbitale in der Lage, die rotationssymmetrisch in der Kernverbindungslinie liegen (Abb.
3.2 Atombindung
51
3.1b und c). Bei der o-Oberlappung erfolgt eine maximale Oberlappung der Orbitale. Sie fiJhrt zu einem Minimum der Energie des bindenden Systems. Oberlappen zwei Orbitale, die senkrecht zur Kernverbindungslinie zweier Atome stehen, resultiert eine n-l)berlappung. Die Orbitaliiberlappung erfolgt zu beiden Seiten der Kernverbindungslinie (Abb. 3.2). Die Oberlappungsregion einer a-Oberlappung ist gr/SBer als die einer n-Oberlappung, da sich zwei zur o-Wechselwirkung befdhigte p-Orbitale naturgem~iB r~iumlich viel n~iher kommen als zwei wechselwirkende p~-Orbitale, o-Bindungen sind folglich stabiler als ~-Bindungen.
Abbildung 3.2 x
a)
x
0berlappung zweier pOrbitale: ~-0berlappung
b)
positive Oberlappung (p-p-n)
Ubeflappung gleich null
Die Reaktivitat zahlreicher organischer Verbindungen wird sehr wesentlich durch das Vorliegen von a- und/oder ~-Bindungen, d.h. Einfach- oder Mehrfachbindungen, bestimmt (Kap. 10.1).
3.2.3
Riiumliche Struktur der Molek~ile: Hybridisierungsmodell
Das Kohlenstoffatom hat im Grundzustand (ls 2 2s 2 2px1 2py1) nur zwei einfach besetzte Orbitale zur Verbindungsbildung zur Verfiigung. Bei Bindung zweier H-Atome entsteht das Molektil (CH2), ein Carben. Da Carbene (allgemeine Formel: CR2) aufgrund zweier bindender und eines nicht bindenden Elektronenpaars lediglich ein Elektronensextett besitzen (/_ H-C-H = 120~ sind sie extrem reaktionsf~ihig. Sie treten als instabile Zwischenprodukte in organischen Reaktionen auf. Normalerweise gehen vom Kohlenstoff vier Elektronenpaarbindungen aus. Das Molekiil des einfachsten stabilen Kohlenwasserstoffs, des Methans CH4, ist tetraedrisch aufgebaut und besitzt vier ~iquivalente C-H-Bindungen. Daraus folgt, dass das C-Atom im Bindungszustand vier v6llig gleichwertige Orbitale aufweisen muss, die auf die Ecken eines Tetraeders gerichtet sind. Der Tetraederwinkel (/_ H-C-H) betr~igt 109,5~ Die dem Kohlenstoffatom zur Bindungsbildung zur Verfiigung stehenden Atomorbitale (2s, 2px, 2py, 2pz) erfiillen die Erfordemisse zur Ausbildung tetraedrisch ausgerichteter Bindungen jedoch nicht. Das 2s-Orbital ist kugelsymmetrisch und die drei 2p-Orbitale liegen auf den Achsen eines kartesischen Koordinatensystems. Einen vemtinftigen Ausweg aus diesem scheinbaren Dilemma liefert das Modell der Hybridisierung. Grundidee dieses von L. Pauling 1931 entwickelten Modells ist die mathematische Linearkombination (,,Hybridisierung", Mischung) der s- und p-Orbitale der Valenzschale mit dem Ziel, die experimentellen Bindungsrichtungen eines Zentralatoms durch einen Satz ~iquivalenter Hybridorbitale zu beschreiben. Diese Hybridorbitale sind dann in der Lage, die Bindungen auszubilden. Das bedeutet, um wieder zum Beispiel des
52
3 Chemische Bindung
CHn-Molekiils zuriickzukehren, aus einer 2s- und drei 2p-Funktionen der Valenzschale des C-Atoms sind vier untereinander gleichwertige Hybridorbitale zu konstruieren.
I' I' I' I' I vierspLHybrid-
Valenzzustand
orbitale E 2 = 272 kJ/mol
angeregter Zustand
' l* I' 12s 2Px2py2p z
E1 = 402 kJ/mol
l t'~,
' I' I 12s =2px2py
Grundzustand des freien C-Atoms
Abbildung 3.3 C-Atom: Schematische Darstellung der Energiezust~nde bei der sp3-Hybridisierung.
sp3-Hybridisierung. Damit es zu einer Hybridisierung von s- und p-Orbitalen kommt, muss eine energetische Angleichung beider Orbitaltypen erfolgen. Die dafiir erforderliche Energie wird dutch den Energiegewinn bei der Verbindungsbildung tiberkompensiert. Der fiktive energetische Ablauf einer spLHybridisierung ist in Abb. 3.3 dargestellt. In einem ersten Schritt wird das 2s-Paar entkoppelt und das frei werdende Elektron besetzt das dritte unbesetzte p-Orbital (etwa das pz-Orbital). Danach erfolgt im zweiten Schritt die energetische Angleichung und Verschmelzung (Hybridisierung) der s- und p-Orbitale. Es entstehen vier neue, energetisch ~iquivalente, tetraedrisch ausgerichtete sp3-Hybridorbitale (vierbindiger Valenzzustand). Die Bezeichnung sp 3 charakterisiert Typ und Anzahl der den Hybridorbitalen zugrunde liegenden Atomorbitale. Sie soil deutlich machen, dass eine energetische Verschmelzung yon einem s- und drei p-Orbitalen erfolgt ist. Durch Oberlappung der vier sp3-Hybridorbi tale mit den l s-Orbitalen von vier H-Atomen entsteht das Methanmolektil CI-I4 (Abb. 3.4a).
1o' a)
b)
Abbildung 3.4 a) Beschreibung der Molek01geometrie von Methan CH4 (spLHybridisierung des_ C-Atoms); b) Beschreibung der Molek01geometrie des Wasser H20 (sp~-Hybridisierung des O-Atoms)
3.2 Atombindung
53
Das Hybridisierungsmodell ist nicht nur auf den Kohlenstoff und seine Verbindungen anwendbar. Es kann zur Diskussion der Geometrie nahezu aller kovalent aufgebauter Hauptund Nebengruppenverbindungen herangezogen werden. Dabei k6nnen auch Elektronenpaare in die Hybridisierung einbezogen werden, die nicht an der Bindung beteiligt sind. Betrachten wir beispielsweise die r~iumliche Struktur des H20-Molekiils und der wichtigen SiO4-Struktureinheit, die als Grundbaustein im Quarz, in Silicaten und silicatischen Baustoffen enthalten ist. Geht man beim I-I20-Molekiil von einer sp3-Hybridisierung am Sauerstoff (Grundzustandskonfiguration: l s2 2s 2 2px2 2py1 2pz1) aus, stehen nur zwei der vier sp3-Hybridorbitale f~r eine Bindung zur Verfiigung. Sie iiberlappen mit zwei Wasserstoff-ls-Orbitalen und bilden die beiden H-O-(o)-Bindungen aus. Die zwei anderen Hybridorbitale sind bereits mit zwei Elektronen besetzt, d.h. sie sind nicht bindend, was zur bekannten gewinkelten Struktur des HaO-MolekUls f'tihrt. Da ihr Raumbedarf gr6Ber ist als der der bindenden Orbitale, ergibt sich ein zum Tetraederwinkel deutlich reduzierter H-O-H-Bindungswinkel von 104,5 ~ (Abb. 3.4b). Auch im Quarz (SiO2)n k6nnen die Bindungsverh~ilmisse durch eine sp3-Hybridisierung beschrieben werden (3.5a). Durch Oberlappung der vier einfach besetzten sp3-Hybridorbitale des Si-Atoms mit je einem einfach besetzten sp3-Hybridorbital eines O-Atoms bilden sich tetraedrische SiO4-Struktureinheiten aus. Da jedes O-Atom noch fiber ein weiteres einfach besetztes sp3-Hybridorbital ver~gt, wird eine Bindung zu einem zweiten Siliciumatom gekniipft. Dieses ist wiederum yon drei Sauerstoffatomen umgeben, so dass eine Raumnetzstruktur mit gewinkelten Si-O-Si-B~cken entsteht (Abb. 3.5b). Valenzzustand
-o'\/\61
Itltltltl It~lt~It I t I
~
~/Si
\o
3p
tltl I
Si
I
I
2p
21~t~ltltl b)
\
19h
I/\
Silo__ -
/
-~si\ /O
0
/
,,S bo, To,
Grundzustand
a)
I
\6/
/
I @/
I0~
Abbildung 3.5 a) Schematische Elektronenkonfigurationen des Grund- und Valenzzustandes der Silicium- und Sauerstoffatome (sp3-Hybridisierung); b) Polymere Raumnetzstruktur des Quarzes; eine tetraedrische SiO4Struktureinheit ist hervorgehoben.
sp2-Hybridisierung. Kombiniert man Kohlenstoff-Wellenfunktionen des 2s-Orbitals und zweier 2p-Orbitale, entstehen drei sp2-Hybridorbitale, die in einer Ebene liegen (/_ 120~
Das nichthybridisierte p-Orbital steht senkrecht auf den drei trigonal-planar angeordneten spa-Hybridorbitalen. Die Geometrie des ungesiittigten Molektils Ethen C2I-I4 (Ethylen),
54
3 Chemische Bindung
Ausgangsprodukt f'tir den Kunststoff Polyethylen, kann durch Wechselwirkung zweier sp2hybridisierter C-Atome beschrieben werden. Die o-Bindung entsteht infolge Oberlappung je eines der drei sp2-Hybridorbitale der C-Atome in der Kernverbindungslinie. Die beiden anderen sp2-Hybridorbitale pro C-Atom iiberlappen mit den l s-Orbitalen zweier Wasserstoffatome, wobei insgesamt vier C-H-o-Bindungen entstehen. Die beiden orthogonal zur Hybridisierungsebene stehenden p-Orbitale bilden durch Uberlappung die n-Bindung (Abb. 3.6a). Im Lewis-Formelbild des Ethens CH2 - CH2 steht symbolisch ein Bindungsstrich zwischen den C-Atomen fiir die o- und einer fiir die ~-Bindung. ,,
sp-Hybridisierung. Durch Kombination der 2s-Funktion mit einer p-Funktion des Kohlenstoffatoms werden schlieBlich zwei linear angeordnete sp-Hybridorbitale erhalten. Sie dienen zur Beschreibung der Bindung in linearen Molekiilen, wie z.B. im Ethinmolektil (C2H2). Durch Oberlappung je eines sp-Hybridorbitals der beiden wechselwirkenden CAtome wird eine o-Bindung gekntipft. Das jeweils verbleibende sp-Hybridorbital tiberlappt mit dem Is-Orbital eines Wasserstoffatoms und bildet eine C-H-o-Bindung aus. Pro CAtom stehen zwei nichthybridisierte p-Orbitale fiir die Ausbildung zweier ~t-Bindungen zwischen den C-Atomen zur Verfiigung. Die Ebenen der wechselwirkenden p~-Orbitale stehen senkrecht aufeinander (Abb. 3.6b). Im Lewis-Formelbild einer Dreifachbindung (zum Beispiel: HC-=CH) stehen ein Strich f'tir die o- und zwei Striche fiir die ~-Bindungen.
H
a) 3.2.4
+
~oH TH
(~~~~ H~ ~ . _ ~ ~ =
~
Abbildung3.6 Hybridisierung und Mehrfachbindungen a)Ethen, b)Ethin.
b) Polarit~t einer Bindung - Elektronegativit~t
Ionen- und Atombindung stellen Grenz~pen der chemischen Bindung dar. In den meisten Verbindungen treten Obergangsformen zwischen diesen Bindungstypen auf. Eine ,,reine" Atombindung kommt nur in homonuklearen Molekiilen, also Molekiilen aus gleichen Atomen (1-12,C12, N2), vor. Nur in diesen F~illen ist die Ladungswolke des Bindungselektronenpaares r~iumlich symmetrisch zwischen den beiden Atomen lokalisiert. Sind verschiedene Atome an einer kovalenten Bindung beteiligt, wird das Bindungselektronenpaar prinzipiell von einem der beiden Atome st~irker angezogen. Zur Charakterisierung der Tendenz eines Atoms, das Bindungselektronenpaar an sich zu ziehen, hat Pauling 1932 den Begriff der Elektronegativitfit eingefiihrt. Die Elektronegativitiit X eines Elements ist ein Marl fiir die Fiihigkeit eines Atoms dieses Elements, in einer Atombindung das Bindungselektronenpaar an sich zu ziehen.
3.2 Atombindung
55
H
Tabelle 3.2
(2,1) Li (1,0) Na (0,9) K (0,8)
Be (1,5) Mg (1,2) Ca (1,0)
B (2,0) AI (1,5) Ga (1,6)
C (2,5) Si (1,8) Ge (1,8)
N 0,0) P (2,1) As (2,0)
O (3,5) S (2,5) Se (2,4)
Elektronegativit~tswerte ausgew~hlter Elemente (nach Pauling)
F (4,0) CI (3,0) Br (2,8)
Die von Pauling aufgestellte Elektronegativit~itsskala (Tab. 3.2) ordnet die chemischen Elemente nach ihrem elektronegativen Charakter. Die x-Werte sind relative Zahlen. Ihre Bedeutung besteht in erster Linie darin, qualitative Aussagen beim Vergleich verschiedener Elemente untereinander zu erm6glichen. Das Fluoratom zieht im Vergleich zu allen anderen Atomen die Elektronen einer Atombindung am st~irksten an. Deshalb wurde ihm der h6chste Wert (x(F) = 4,0) zugeordnet. Den niedrigsten Elektronegativit/itswert erhielt das C/isium (x(Cs) = 0,7). Da Metalle generell leicht Elektronen abgeben, besitzen sie die kleinsten Elektronegativit/iten. Sie werden deshalb auch als elektropositive Elemente bezeichnet. Die am st/irksten elektronegativen Elemente sind F > O >N = CI > Br. In Verbindungen dieser Elemente mit Wasserstoff ist mit dem Auftreten von Wasserstoffbrtickenbindungen zu rechnen (Kap. 3.4). Innerhalb einer Periode nimmt die Elektronegativit/it von links nach rechts zu, innerhalb einer Hauptgruppe von oben nach unten ab (Abb. 3.7). (D
-o O
(D
o_
1 2
Li F ~
)'Be ,to B .,,~C ~
Na
N_,,~ O.,..~ F rcI Br
Rb Cs
Ba TI,Pb &&~ # At Bi Po I
1
I
I
2
I
I
I
3
Elektronegativit~it Abbildung 3.7 Elektronegativit~itswerte der Hauptgruppenelemente (nach Pauling) In der Folgezeit wurden weitere Elektronegativit~itsskalen aufgestellt. Obwohl die Werte aufgrund unterschiedlicher Berechnungsverfahren etwas differieren, sind sie in sich doch weitgehend zu den Paulingschen x-Werten konsistent.
3 Chemische Bindung
56
Die Elektronegativitiit ist eine der grundlegenden Griiflen der Chemic. Sic bildet nicht nur den theoretischen Hintergrund fiir sich ausbildende Polaritiiten innerhalb der Molekiile, intermolekulare Wechselwirkungen und daraus resultierende anomale physikalische Eigenschaften der Stoffe, sie ist in der Mehrzahl der Fiille auch fiir das vielschichtige Reaktionsverhalten vieler anorganischer und organischer Molekiile verantwortlich. Dipolmoment - Polare Bindung. Atome unterschiedlicher Elektronegativit~it bewirken eine ungleichm~i6ige Verteilung des Bindungselektronenpaars zwischen den an der Bindung beteiligten Partnem. Damit fallen die Schwerpunkte negativer (Elektronen) und positiver (Kerne) Ladungsbereiche nicht mehr zusammen, sondern sind r~iumlich getrennt. Sic kompensieren sich nicht mehr vollst~indig und es bilden sich Bindungsdipole aus. Eine derartige Bindung, mit einem positiven und einem negativen Pol, bezeichnet man als polate kovalente Bindung (kurz: polare Bindung). Polare Bindungen k6nnen die Ursache fiir das Vorliegen yon Molekiildipolen sein. Bei Molektildipolen fallen die Schwerpunkte negativer und positiver Partial- oder Teilladungen im Molektil nicht zusammen. Es bilden sich r~iumlich getrennte Bereiche positiver und negativer Teilladungen mit den Eigenschaften eines Dipols aus. Oder einfacher ausgedrtickt: Das Molektil besitzt ein positives und ein negatives ,,Ende". Das Vorliegen eines Dipols wird quantitativ durch das Dipolmoment/~ charakterisiert./z entspricht dem Produkt aus der Ladung xe (positive Ladung +xe, negative Ladung -xe) und dem Atomabstand l (Bindungsl~inge). Ftir das Dipolmoment gilt: # = xe 9l, als Einheit ergibt sich Coulomb. Meter (C.m). In der Praxis benutzt man als Einheit racist noch das Debye (D): 1 D = 3,336 9 10-30 Cm. Das Dipolmoment ist ein Vektor, dessen Spitze zum negativen Ende des Dipols zeigt. Als vektorielle Gr66e besitzt/~ damit eine Richtung und einen Betrag. Das Dipolmoment eines Molektils ergibt sich als Vektorsumme der Dipolmomente der einzelnen Molektilteile. Betrachten wir als Beispiel das HCI-Molekiil. Infolge der h6heren Elektronegativit~it des Chloratoms (X = 3,0) gegeniiber dem H-Atom (X = 2,1) zieht das Chloratom die Ladungswolke des bindenden Elektronenpaares st~irker an sich. Die Elektronendichte ist folglich am Chloratom gr66er als am H-Atom. An ersterem bildet sich eine negative Partialladung aus, was einem Elektronen~tberschuss entspricht. An letzterem bildet sich demzufolge eine positive Partialladung aus (Elektronenunterschuss). Beide Ladungen besitzen den gleichen Betrag, sic addieren sich zu null. Die Partialladungen werden durch den griechischen Buchstaben 8 charakterisiert und je nach Ladungssinn mit einem Plus- oder Minuszeichen versehen. + xe
- xe
l
~ =e.l
H H
=-- CI = 1.03D
H
3.2 Atombindung
57
Der Vektor des Bindungsdipolmoments des HC1-Molektils zeigt zum negativierten Chlor. Das Dipolmoment betr~igt 1,03 Debye. Fiir das H20-Molekiil ergibt sich das Dipolmoment durch Vektoraddition der Bindungsdipolmomente der beiden H-O-Bindungen (/~ = 1,85 D). Sowohl HCI als auch Wasser sind Dipolmolekiile. Der ionische Anteil der Atombindung wird im Formelbild wie folgt angegeben: 6+ 6H - 9 - CI
bzw.
H~CI
In symmetrischen Molekiilen wie Schwefeltrioxid 803 oder Kohlendioxid CO2 addieren sich die Bindungsdipole vektoriell zu null, d.h. die Ladungsschwerpunkte fallen zusammen. Trotz vorhandener polarer Bindungen bilden sich keine Molekiildipole aus. Die Molekiile sind unpolar. 6-
8+
a_/O//"
~O ~
bzw.
66+ 6tD - - C - -
-
_
Die Dipolnatur des Wassers bildet den Hintergrund fiir die in der Bau- bzw. Baustoffchemie oft verwendete empirische Einteilung des Wassers in ,,physikalisch gebundenes" Wasser und ,,chemisch gebundenes" Wasser (Kap. 6.3.1). Zur Beurteilung des vorliegenden Bindungstyps in einem Molekiil sind die Elektronegativit~itsdifferenzen eine wichtige Orientierungshilfe. Man kann im Allgemeinen von einer weitgehend kovalenten Bindung ausgehen, wenn die Differenz der Elektronegativit~itswerte unter 1,0 liegt. Das trifft beispielsweise auf das oben betrachtete HC1-Molekiil trotz seiner geringen Bindungspolarit~it (AX = 0,9) zu, aber auch auf Kohlenwasserstoffe oder Kohlendioxid. Andererseits bilden sich Ionenbindungen nur zwischen Atomen aus, die mit ihrer Elektronegativit~itsdifferenz tiber 2,0 liegen (Beispiel NaCI: AX = 2,1). Dabei muss jedoch stets berticksichtigt werden, dass die B indungen selbst bei Differenzen AX < 1 noch ionische Anteile aufweisen, w~ihrend Bindungen zwischen Atomen mit Elektronegativit~itsdifferenzen > 2,0 noch kovalente Anteile enthalten. Bei einem Elektronegativit~itsunterschied AX = 1,0...2,0 kann weder von einer Ionenbindung noch von einer kovalenten Bindung gesprochen werden. Der Obergang zwischen den Bindungstypen (kovalente Bindung ---- polare kovalente Bindung ---, Ionenbindung) l~isst sich auch vonder Seite der Ionen beschreiben. Positive Ionen k6nnen die Elektronenhiille von Anionen deformieren (polarisieren). Diese Polarisierung kann im Extremfall zur Ausbildung polarer Atombindungen flihren. Dabei wirken kleine, hochgeladene Kationen besonders stark polarisierend, w~ihrend groBvolumige Anionen (Br-, I-) besonders leicht zu polarisieren sind. Zum Beispiel liegt beim Aluminiumfluorid A1F3 (Smp. 1290~ eine Ionenbindung, beim Aluminumbromid A1Br3 (Smp. 97~ dagegen eine polare Atombindung vor. Die abnehmende L6slichkeit der Silberhalogenide AgX
58
3 Chemische Bindung
(X = C1, Br, I) ist ebenfalls auf den Obergang zu polaren Atombindungen durch starke Polarisierung der Anionen zuriic~fiihren (Kap. 6.3.3).
3.3
Metallbindung
3.3.1
Eigenschaften von Metallen - Metallischer Zustand
W~ihrend Nichtmetalle mitunter stark voneinander abweichende physikalisch-chemische Eigenschaften aufweisen, sind die Metalle untereinander recht ~ihnlich. Mit Ausnahme von Quecksilber sind alle Metalle bei Zimmertemperatur fest, obwohl ihre Schmelzpunkte ein relativ groBes Temperaturintervall iiberstreichen. Quecksilber schmilzt beispielsweise bereits bei -39~ Wolfram erst bei +3410~ Metalle besitzen eine verh~iltnism~iBig hohe Dichte und sind gute Leiter fiir W~irme und Elektrizitat. Daher fassen sich ihre Oberfl~ichen im Gegensatz zu Kunststoff- oder Holzoberflachen eher kalt an. Das Metall mit der h0chsten elektrischen Leitf~ihigkeit (auch: elektrisches Leitverm0gen) ist Silber (• = 6,3 9 10-5 S/cm), gefolgt von Kupfer (K = 5,8 9 10-5 S/cm), Gold (K = 4,5 9 10-5 S/cm) und Aluminium (K = 3,77 9 10-5 S/cm). Metalle besitzen eine gute mechanische Festigkeit, Elastizit~it und lassen sich verformen. Durch ihr hohes Lichtreflexionsverm/Sgen weisen sie einen starken (metallischen) Glanz auf. Diese charakteristischen Eigenschaften, die den sogenannten metallisehen Zustand kennzeichnen, finden ihre Erkl~irung im Kristallaufbau und den besonderen Bindungsverh~iltnissen der metallischen Elemente. Ein metallischer Festk0rper setzt sich aus einer Vielzahl unregelm~iBig geformter, kleiner Kristallite zusammen, die sich beim Erstarren einer Metallschmelze ausbilden. Diese Kristallite (auch: KristallkOmer) stoBen, ~ihnlich wie die Minerale im Granit, an den Korngrenzen aneinander. Ihre Anordnung kann mit Hilfe eines angeatzten Schliffs des betreffenden Materials sichtbar gemacht werden. Innerhalb der kleinen Metallkristalle nehmen die einzelnen Bauelemente, also die Metallionen, nicht beliebige Lagen ein, sondem besetzen ganz bestimmte Positionen im Raum. Das fiihrt, wie bei Ionenkristallen, zu einem definierten Gitteraufbau (Kap. 3.5).
a)
|174174174 |174174 | 1 7 4 1 7 4 1 7 4 1 7| 147 4 1 7 4 1 7 4 1 7 4 |174174174174 | 1 7 4 1 7 4 1 7 4 |117744 1 7 4 1 7 4
b)
Abbildung 3.8 Anderung der Kristallstruktur a) eines Metallgitters und b) eines Ionengitters bei mechanischer Beanspruchung.
3.3 Metallbindung
3.3.2
59
Elektronengasmodell
Um 1900 wurde von Drude und Lorentz eine Modellvorstellung tiber die Bindung in Metallen entwickelt. Danach sind die Valenzelektronen der Metalle in einem Gitter positiver Metallionen nach Art eines Gases frei beweglich. Die freie Beweglichkeit der Elektronen resultiert aus den im Vergleich zu den Nichtmetallen niedrigeren Ionisierungsenergien. Das Elektronengas bewirkt den Zusammenhalt der positiven Atomrtimpfe im Metallgitter. Die positiv geladenen Atomriimpfe liegen als Gitterbausteine in einem Metallgitter vor, die Valenzelektronen kfnnen sich wie Gasmolekiile zwischen den Atomriimpfen frei bewegen. Die hohe elektrische Leitfiihigkeit und der metallische Glanz sind auf die frei beweglichen Elektronen zurtic~ftihren, die bei Anlegen einer augeren Spannung zu einer Bewegung in Richtung positiver Pol gezwungen werden. Die Abnahme der LeitF~ihigkeit mit steigender Temperatur beruht auf den immer starker werdenden Schwingungen der Atomrtimpfe. Der elektrische Widerstand des Metalls nimmt zu. Da das Elektronengas das Kristallgitter zusammenhalt, kfnnen die Atomrtimpfe benachbarter Schichten aneinander vorbeigleiten, ohne dass der Kristallverband zerst6rt wird. Damit ist auch eine Erklarung fiir die Verformbarkeit der Metalle gegeben. Ganz anders reagieren Salzl~istalle auf mechanische Beanspruchung. S ie spalten entweder entlang der Schichten auf oder sie splittern bzw. zerspringen. Ursache ist die abwechselnde Anordnung positiver und negativer Ladungen im ionischen Kristallgitter. Wenn sich bei mechanischer Beanspruchung gleichsinnig geladene Ionen benachbarter Schichten annahern (Abb. 3.8), sprengen die Schichten infolge starker elektrostatischer AbstoBung auseinander und der Kristall wird zerst6rt.
3.3.3
Energieb~indermodell
Zur Diskussion der unterschiedlichen elektrischen LeitF~ihigkeiten von Metallen, Halbleitersubstanzen und nichtleitenden Stoffen (Isolatoren) wird in der Regel das auf der Molektilorbital-Theorie der chemischen Bindung aufbauende Energieb~indermodell herangezogen. Wechselwirken die l s-Orbitale zweier Wasserstoffatome miteinander, so bilden sich zwei sogenannte Molektilorbitale (MOs), ein energiearmeres und ein energiereicheres MO, bezogen auf die Energie der ursprtinglichen Atomorbitale. Es entstehen zwei neue Energieniveaus. Im Metallverband wechselwirken N gleiche Metallatome miteinander. Aus ~iquivalenten Atomorbitalen bilden sich Molektilorbitale, die tiber den gesamten Metallkristall delokalisiert sind und die sich energetisch nur wenig unterscheiden. Aus N Atomen entstehen N Molektilorbitale, deren Energien sich mit zunehmendem N immer mehr angleichen. Ist N sehr grog - und davon kann man im Metallverband ausgehen - sind die Energiedifferenzen zwischen den Energieniveaus auBerst gering, sie verschmelzen schlieBlich zu einem Energieband (Abb. 3.9). Ein Energieband besteht aus einer Vielzahl messtechnisch voneinander nicht unterscheidbarer Energieniveaus.
60
3 Chemische Bindung
Band MolekOIorbitale
Abbildung 3.9
I 4
Atomorbital , (
# ,r
Entstehung eines Energiebandes durch Wechselwirkung der Orbitale von Metallatomen
t
N x
N N
1
2
3
4
N
Anzahl der Atome
Jedes Energieband ist durch seine Haupt- und Nebenquantenzahl charakterisiert. Das ~iu8ere ganz oder teilweise gefiillte Energieband wird als Valenzband, das n~ichsth6here nichtbesetzte Band als Leitf'=ihigkeits- oder Leitungsband bezeichnet. In Abb. 3.10 ist das Energieb~inderdiagramm des Berylliums (1 s2 2s 2) gezeigt. Das energetisch tiefliegende, aus den l s-Atomorbitalen der Be-Atome gebildete Energieband ist von dem aus 2s-Orbitalen gebildeten Band durch einen Energiebereich getrennt, in dem keine Energieniveaus liegen. Dieser Bereich wird als verbotene Zone bezeichnet. Die Energien dieses Bereichs sind fiir die Elektronen des Metallverbandes verboten. Das 2s-Band ist wie das l s-Band mit Elektronen voll besetzt. In einem vollst~indig besetzten Energieband ist keine Elektronenbewegung m6glich. Wtirde beim Be das besetzte 2s-Energieband nicht mit dem unbesetzten 2pBand tiberlappen, w~ire Beryllium nicht in der Lage, den elektrischen Strom zu leiten. Da jedoch Valenz- und Leitungsband tiberlappen, ist beim Anlegen einer ~iuBeren Potentialdifferenz eine Elektronenbewegung und damit Stromtransport m6glich. Den Valenzelektronen stehen beim Obergang in das Leitungsband ausreichend viele unbesetzte Energiezust~inde zur Verfiigung. Aufgrund der Delokalisation der MOs tiber den gesamten Atomverband sind sie damit im Kristall frei beweglich. Frei bewegliche Elektronen sind nicht nur die Ursache fiir die hohe elektrische Leitf~ihigkeit der Metalle, sondem auch fiir ihre W~irmeleitfiihigkeit. Die Elektronen absorbieren W~irme in Form von kinetischer Energie und leiten sie rasch in den Kristallverband des Metalls ab. N Berylliumatomemit
der Konfiguration 182 2S 2 Abbildung 3.10 / / /
2p-Band
/
2p
< .*
2S
1'~
IN
T1) wird die Kurve flacher und dehnt sich in den Bereich h6herer Geschwindigkeiten aus. Damit wird die Anzahl an energiereichen Teilchen, die die Aktivierungsenergie Ea aufbringen, gr0Ber. Die schraffierte Fl~iche in Abb. 4.4 charakterisiert die Zahl der zus~itzlichen Teilchen, die nach der Temperaturerh6hung von T1 auf T2 die Mindestenergie fiir einen wirksamen ZusammenstoB besitzen. Erh6ht man die Temperatur um 10 K, nimmt die Anzahl der reagierenden Teilchen in der Mehrzahl der F~ille um das Zwei- bis Vierfache zu. Darauf beruht die von van't Hoffgefundene RGT-Regel (RG = Reaktionsgeschwindigkeit, T = Temperatur): Eine Temperaturerhiihung um 10 K bewirkt eine Erhiihung der Reaktionsgeschwindigkeit auf das Zwei- bis Vierfache.
Dieser qualitative Zusammenhang zwischen der Temperatur und der Reaktionsgeschwindigkeit gilt innerhalb mittlerer Temperaturbereiche fiir zahlreiche baurelevante anorganische und organische Reaktionen. Die Temperatur hat zum Beispiel einen groBen Einfluss auf den Erh~irtungsprozess des Betons. Grunds~itzlich gilt, dass hohe Temperaturen die Festigkeitsentwicklung beschleunigen, wahrend niedrige sie verz6gem. Die Endfestigkeit wird durch niedrigere Temperaturen allerdings nicht verringert. Es konnte im Gegenteil festgestellt werden, dass ein zun~ichst bei niedrigerer Temperatur erh~irtender Beton zum Schluss eine etwas h0here Festigkeit aufweist, als ein bei h6herer Temperatur erh~irtender [BK 1]. Mit der Saulsehen Regel ist eine grobe Absch~itzung der Verlangsamung der Betonerh~irtung bei niedrigen Temperaturen m6glich. Sind Betone gleicher Zusammensetzung einer unterschiedlichen Lagerungstemperatur ausgesetzt, besitzen sie dann die gleiche Festigkeit, wenn ihr Reifegrad R iibereinstimmt.
4.3 Geschwindigkeit chemischer Reaktionen
[ R-~,di'(~.
+10)
Einheit: d. ~
1
87
(4-4)
Mittlere Tagestemperatur in ~ der der Beton ausgesetzt war; di Anzahl der Tage mit ~ . Mit Hilfe von (4-4) kann das fiir den Reifegrad wirksame Betonalter tw berechnet werden. Das wirksame Betonalter bezieht sich generell auf die Lagertemperatur v~ = 20~ Rye = tw " (20 + 10) = tw " 30
Rw Reifegrad beim wirksamen Betonalter
Setzt man R = Rw, so ergibt sich fiir das wirksame Betonalter G1. (4-5).
t W --
~,d i 9 (0 i + 10) 30
(in d)
(4-5)
Beispieh
Ein Beton ist 20 Tage lang bei 8~ erh~irtet. Sein Reifegrad und sein wirksames Betonalter sind zu ermitteln! Der Reifegrad ergibt sich nach R = 20 9 (8 + 10) zu 360. Dieser Reifegrad entspricht einem wirksamen Betonalter von 360 t w = 30 = 12 Tagen.
Far genauere AbschiRzungen der Festigkeitsentwicklung kann z.B. die gewichtete Reife des Betons ermittelt werden (Einbeziehung von Eichgraf'lken, [BK1 ]). Zahlreiche chemische Reaktionen des Bauwesens sind heterogene Reaktionen. Darunter versteht man Reaktionen, bei denen die Reaktionspartner nicht in der gleichen Phase vorliegen. Bei den meisten bauchemisch relevanten Reaktionen liegt mindestens ein Reaktand im festen Aggregatzustand vor. Beispiele ftir heterogene Reaktionen sind 9 9 9 9
thermische Zersetzungsvorg~inge, wie z.B. das Kalkbrennen (CaCO3 ~ CaO + CO2, Kap. 9.3.2.1, 4.5.4), die Dehydratisierung von Salzen, z.B. Brennen von Gips (CaSO4 9 2H20 ---, 11/2 H20 + CaSO4 9 89 n20, Kap. 9.3.5), die Bindung von Gasen an Feststoffen, z.B. Rauchgasentschwefelung (CaCO3 4SO2 ~ CaSO3 + CO2, Kap. 5.5.3.2), Korrosionsvorg~inge an Metalloberfl~ichen (Kap. 8.2).
Unter FestkSrperreaktionen versteht man Reaktionen zwischen zwei oder mehreren Feststoffen. Bei der wohl verbreitetsten Synthese anorganischer Feststoffe, dem Sintern, werden die festen Ausgangskomponenten zusammen tiber einen l~ingeren Zeitraum bei hohen Temperaturen unterhalb des Schmelzpunkts gehalten. Die pulvrigen
88
4 Die chemische Reaktion
Einsatzstoffe werden durch W~irme (und evtl. Druck) zu gr~SBeren Partikeln verdichtet, wobei sich die Grenzfl~ichen verringern. Es kommt zu einem ,,Zusammenbacken" des pulvrigen Ausgangsgemischs. Dabei finden Volumenkontraktionen, Rekristallisations- und Kristallwachstumsprozesse statt. Die Ionen wandern tiber die Kontaktflachen zwischen den KSmem der reagierenden Komponenten von einem Gitter in das andere (FestkOrperdiffusion). Wenn Oxide miteinander reagieren, sind meist die im Vergleich zum Oxidion kleineren Kationen die mobilen Species. Der Sinterprozess beginnt bei Temperaturen unterhalb des Schmelzpunkts Ts (> 0,5 Ts). Die Notwendigkeit hoher Temperaturen folgt aus der Energiebilanz der Umsetzungen. Im Gegensatz zur organischen Chemie, wo bei Reaktionen meist nur eine Bindung gel6st und eine neu gebildet wird, werden in der FestkSrperchemie die Kristallstrukturen von mindestens zwei der reagierenden Komponenten zerst~Srt und vollst~indig neu gebildet. Die niedrigen Reaktions- bzw. Diffusionsgeschwindigkeiten von Feststoff-FeststoffReaktionen sind auf die hohen Bindungskr~ifte im Festk6rper und die daraus resultierende stark eingeschrankte Teilchenbewegung zuriickzufiJhren. Die Schwingungen der Teilchen um die Fixpunkte im Gitter werden naturgem~iB stark von der Temperatur beeinflusst. Temperaturanstieg fiihrt zu einer Erh6hung der Diffusionsgeschwindigkeit der Teilchen. Auch die Gestalt der Oberfl~iche des festen Stoffes beeinflusst die Geschwindigkeit der Umsetzung. Mit der VergrSBerung der Oberfl~iche (Verfeinerung der Oberfl~ichenstruktur) erh6ht sich die Anzahl der aktiven Zentren und die Reaktionsf~ihigkeit steigt an. Beispiele fiJr technisch bedeutsame Sinterprozesse sind die Zementerzeugung sowie die Herstellung von Gl~isern und tonkeramischen Erzeugnissen. Der Begriff der heterogenen Reaktion erstreckt sich auch auf Umsetzungen zwischen Gasen und L6sungen, z.B. auf die Reaktion von Kohlendioxid mit Wasser zu Kohlens~iure H2CO3. Bei homogenen Reaktionen liegen alle Reaktionspartner in der gleichen Phase vor, z.B. Gasreaktionen und Reaktionen in L6sung.
4.4
Katalyse
Neben der Konzentration der Reaktionspartner und der Temperatur kann die Geschwindigkeit einer Reaktion auch durch den Zusatz yon Stoffen erh6ht werden, die selbst nicht in der Stoffbilanz der Reaktion auftreten. Diese Erscheinung nennt man Katalyse. Die zugesetzten Stoffe, die fest, fliissig (gel6st) oder gasF6rmig sein k6nnen, werden als Katalysatoren bezeichnet. Katalysatoren sind Stoffe, die die Geschwindigkeit einer Reaktion erhiihen und dabei am Ende der Reaktion unver~indert vorliegen. Auf die Lage des chemischen Gleichgewichts haben Katalysatoren keinen Einfluss. Um wirksam zu werden, muss ein Katalysator in das Reaktionsgeschehen eingreifen. Damit verl/~uft eine katalysierte Reaktion zwangsl~ufig nach einem anderen Reaktionsmechanismus als eine unkatalysierte. Betrachten wir beispielsweise die Umsetzung der Stoffe A und B zu AB. Voraussetzung f~r die Bildung von AB sind ZusammenstfiBe yon Teilchen A mit Teilchen B. Durch die Zugabe eines Katalysators
4.4 Katalyse
89
(Kat) Riuft die Reaktion tiber einen Zweistufenmechanismus ab. Zunachst geht A eine Verbindung A - K a t mit dem Katalysator ein. In der zweiten Stufe reagiert A - K a t mit B, wobei der Katalysator zu~ckgebildet wird. Er kann dann erneut mit A reagieren. A A-Kat
+ +
Kat B
~ ~
A-Kat AB +
Kat
Der Reaktionsweg tiber die Zwischenverbindung A - K a t besitzt insgesamt eine geringere Aktivierungsenergie als der der unkatalysierten Reaktion (Abb. 4.5). Die niedrigere Aktivierungsbarriere bedingt eine h6here Reaktionsgeschwindigkeit. Man unterscheidet zwischen der homogenen und der heterogenen Katalyse. Bei der homogenen Katalyse liegen Katalysator und Edukte in gleicher Phase vor. Als Beispiel kann die durch Eisen(II)-Ionen katalysierte Zersetzung von H:O2 in Sauerstoff und Wasser genannt werden. Die technisch weitaus bedeutendere Variante ist die heterogene Katalyse. Hier liegen Katalysator und Edukte in verschiedenen Phasen vor. Meist sind die Edukte fltissig oder gasf6rmig und die Katalysatoren fest. Festk6rperkatalysatoren werden in der Technik als Kontakte bezeichnet. Der Vorteil der heterogenen Katalyse besteht darin, dass die Ausgangsstoffe kontinuierlich tiber die Katalysatoroberfl~iche geleitet werden k/Snnen. Ein technisch bedeutsamer fester Katalysator ist fein verteiltes Platin. Pt-Katalysatoren beschleunigen alle Reaktionen, an denen Wasserstoff beteiligt ist. Kommen wir an dieser Stelle wiederum auf das Knallgasgemisch Wasserstoff und Sauerstoff (Verh~iltnis 2:1) zurtick, das bei Raumtemperatur keine merkliche Reaktion zeigt. In Gegenwart eines Platinkatalysators setzen sich H2 und 02 explosionsartig zu Wasser um. Ursache fiJr die heftige Reaktion ist die Bindungsschwachung bzw.-spaltung im 1-12Molektil als Folge der Wechselwirkung der Wasserstoffmolektile mit der Oberflache des Pt-Katalysators. Die Wechselwirkung der H2-MolekUle mit dem festen Katalysator ist nicht nur rein physikalischer Natur (Adsorption). Es erfolgt auch eine chemische Aktivierung der adsorbierten Teilchen (Chemisorption). Die Teilchen werden durch chemische B indungen mit der Katalysatoroberfl~iche verkntipft. Dadurch ver~indert sich die Elektronenverteilung innerhalb der chemisorbierten Molekiile. Bindungen k/Snnen geschw~icht oder gar gel6st werden und die Aktivierungsenergie ftir die Folgereaktion(en) wird deutlich herabgesetzt. Durch die Adsorption/Chemisorption der Ausgangsstoffe an der Katalysatoroberfl~iche erh6ht sich dartiber hinaus ihre Konzentration, was ebenfalls zu einer Reaktionsbeschleunigung fiihrt. Die Chemisorption ist im Gegensatz zur Adsorption ein stoffspezifischer, in der Mehrzahl der F~ille bei h6heren Temperaturen ablaufender Vorgang. Deshalb sind ftir jede chemische Reaktion ganz spezifische Katalysatoren notwendig. Ihre Betriebstemperatur liegt meist deutlich fiber der Normaltemperatur (s. NH3-Synthese, Kap. 4.5.3). Sehr viele industrielle Prozesse, wie z.B. die Ammoniaksynthese nach Haber und Bosch, die Oxidation von SO2 zu SO3 im Rahmen der Schwefels~iureherstellung sowie die Rauchgasentstickung, w~iren ohne Beschleunigung durch Katalysatoren wirtschaftlich nicht durchftihrbar. Zur Reinigung von Automobilabgasen dient ein Fest-
90
4 Die chemische Reaktion
bett-Katalysator, der mit einer Platin-Rhodium-Legierung iiberzogen ist (Kap. 5.5.3.4).
Abbildung 4.5 .~
t-.
LU
a
l ,
Katalysierter und nichtkatalysierter Verlauf einer Reaktion; Ea Aktivierungsenergie der nichtkatalysierten Reaktion, EaK Aktivierungsenergie der katalysierten Reaktion.
Reaktionskoordinate
Im Bauwesen wird die katalytische Wirkung von Formiaten (Salze der Ameisens~iure, Kap. 10.1.6) und Aluminaten, auf den Verlauf der Betonerh~irtung genutzt. Sie werden dem Beton als Erh~irtungs- bzw. Erstarrungsbesehleuniger zugesetzt und erhShen die Reaktionsgeschwindigkeit des Hydratationsprozesses. Stoffe, die die Reaktionsgeschwindigkeit erniedrigen, bezeichnet man als Inhibitoren, mitunter auch als ,,negative Katalysatoren". Der Ablauf einer chemischen Reaktion wird verzSgert oder praktisch vollst~indig gehemmt. Der Mechanismus der zu hemmenden Reaktion bestimmt Art und Wirkungsweise der einzusetzenden Inhibitoren. In Radikalkettenreaktionen k6nnen z.B. Stoffe als Inhibitoren eingesetzt werden, die mit den freien Radikalen stabile Zwischenverbindungen bilden. Damit wird die Reaktionskette nicht fortgesetzt. Praktisch wichtige Inhibitoren sind die auch im Bauwesen breit eingesetzten Korrosionsinhibitoren. Darunter versteht man Stoffe, die auf der Oberfl~iche von Metallen dtinne Deckschichten ausbilden und dadurch die Korrosion stark hemmen (Kap. 8.2.6.).
4.5
Chemisches Gleichgewicht - Massenwirkungsgesetz
4.5.1
Zustand des chemischen Gleichgewichts
Bisher wurde bei der Betrachtung chemischer Reaktionen h~iufig eine vollst~indige Umwandlung der Ausgangsstoffe in die Reaktionsprodukte angenommen. W~ihlt man entsprechende Reaktionsbedingungen, ist diese Betrachtungsweise fiir eine Reaktion wie die Umsetzung von Zink (Zn) mit Salzs~iure (HC1) durchaus berechtigt. Setzt man die Salzs~iure im Oberschuss zu, ist die Reaktion Zn + 2 H 3 0 § + 2 C1- ~ Zn 2+ + H2 + 2 1-120 + 2 C1- erst dann beendet, wenn alles Zn vollst~indig verbraucht wurde. Der entstehende Wasserstoff entweicht gasf'6rmig aus dem offenen System. Man geht in diesem Fall von einem vollst~indigen Stoffumsatz aus. Die quantitative Bildung von Reaktionsprodukten ist jedoch ein Grenzfall. Er kann streng genommen nur bei einigen heterogenen Reaktionen realisiert werden, bei denen die Ausgangsstoffe in unterschiedlicher Phase vorliegen. Bei zahlreichen homogenen
4.5 Chemisches Gleichgewicht
91
Reaktionen (Gas- und L6sungsreaktionen) setzen sich die Reaktionspartner nicht vollst~indig miteinander um. Die Reaktion kommt zum Stillstand, wenn sich ein bestimmtes konstantes Verh~iltnis zwischen den Stoffmengen der Edukte und der Produkte eingestellt hat. Man spricht vom Zustand des ehemisehen Gleiehgewiehts. In der Reaktionsgleichung kennzeichnet man eine Gleichgewichtsreaktion durch einen Doppelpfeil. Hinreaktion A + B " C + D Rtickreaktion Bei der Einstellung des chemischen Gleichgewichts verringern sich die Konzentrationen der Edukte A und B, die Geschwindigkeit der Hinreaktion nimmt folglich ab. In gleicher Weise erh6hen sich die Konzentrationen der Reaktionsprodukte und die Geschwindigkeit der Rtickreaktion nimmt allm~ihlich zu.
Im Zustand des chemischen Gleichgewichts laufen Hin- und Riickreaktion mit gleicher Geschwindigkeit ab (dynamisches Gieichgewicht). Obwohl makroskopisch keine Konzentrationsiinderungen feststellbar sind, finden eine st~indige Bildung und ein stiindiger Zerfall der Reaktionsprodukte statt. Der Zustand des chemischen Gleichgewichts ist scheinbar ein Zustand chemischer Unver~inderlichkeit in einem Reaktionssystem. Woran erkennt man also das Vorliegen eines chemischen Gleichgewichts? Folgende Punkte miissen erftillt sein: 9 Stoffzusatz ftihrt zu weiterer Reaktion, die gleiche Wirkung hat das Entfernen eines Stoffes aus dem Reaktionssystem im Gleichgewichtszustand. 9 Ein chemisches Gleichgewicht reagiert empfindlich auf ,2~mderungen des Drucks und der Temperatur. 9 Ein chemisches Gleichgewicht ist sowohl von Seiten der Edukte als auch der Produkte her einstellbar. Betrachten wir zum Beispiel das Gleichgewicht 2 CO + 02 ~- 2 C02. Es ist gleichgiiltig, ob bei einer bestimmten Temperatur T CO mit 02 reagiert oder ob C02 auf die Temperatur T gebracht wird. Stets stellen sich die gleichen konstanten VolumenverhMmisse zwischen den Gasen CO, C02 und 02 ein. Im strengen Sinne kann sich ein chemisches Gleichgewicht nur in einem abgeschlossenen System ausbilden. Fiir eine konstante Temperatur T ~indert sich im Gleichgewichtszustand weder die Zusammensetzung des Systems noch wird Energie mit der Umgebung ausgetauscht.
4.5.2
Masse nwi rku n gsgesetz
Der Gleichgewichtszustand ist dadurch charakterisiert, dass sich die durch die Hinund die Rtickreaktion hervorgerufenen Konzentrationsiinderungen gerade gegenseitig aufheben. Betrachten wir die allgemeine Reaktion
92
4 Die chemische Reaktion
a A + 13B
--
y C + 5D.
Die Produkte C und D k6nnen nur entstehen, wenn jeweils ein Teilchen des Stoffes A und ein Teilchen des Stoffes B zusammenstoBen. Die Wahrscheinlichkeit des ZusammenstoBes ist proportional der Konzentration der beteiligten Stoffe. Ftir die Geschwindigkeit der Hinreaktion v kann man also schreiben: VII - ca(A) "cfl(B)
bzw.
v . = k . 9c~(A) 9eft(B).
Fiir die Riickreaktion ergibt sich entsprechend vR - c r ( C )
9 c6(D)
bzw.
vR = kR " cr(C) 9 c6(D) kH, kR Geschwindigkeitskonstanten der Hinund der Riickreaktion
Im Gleichgewichtzustand sind die Geschwindigkeiten von Hin- und Rtickreaktion gleich: VH=VR k..
c~(A) 9 c ' ( B ) =
kR " cr(C) 9 c6(D).
Umstellen ergibt:
KC
kH ~
-
c r (C)" c 6 ( D )
-
kR
c a (A)" c fl ( B )
Kc Gleichgewichtskonstante
(4-6)
Gleichung (4-6) wird als Massenwirkungsgesetz (MWG) bezeiehnet. Das 1867 von Guldberg und Waage empirisch gefundene MWG kann auf der Grundlage thermodynamischer Gesetze exakt abgeleitet werden. Die Einheit der Gleichgewichtskonstanten K folgt aus der Molzahldifferenz An. Die Molzahldifferenz ergibt sich als Summe der Molzahlen auf rechten Seite der Reaktionsgleichung minus Summe der Molzahlen auf der linken Seite der Gleichung, also An = y + 5 - (a + [3). Damit erh/ilt man ftir K die Einheit (mol/l) ~n. Im Gleichgewichtszustand eines chemischen Systems besitzt der Quotient aus dem Produkt der Konzentrationen der Reaktionsprodukte und dem Produkt der Konzentrationen der Ausgangsstoffe einen nur von der Temperatur T abhfingigen charakteristischen Zahlenwert.
Die St6chiometriekoeffizienten der Reaktionsgleichung erscheinen im MWG als Exponenten der Konzentrationen. Werden in das MWG die Stoffmengenkonzentrationen c der Reaktionspartner eingesetzt, fiigt man der Gleichgewichtskonstanten K mitunter den Index c an (G1.4-6).
4.5 Chemisches Gleichgewicht
93
Die Gleichgewichtskonstante K charakterisiert das Konzentrationsverh~iltnis von Produkten zu Edukten und ist somit ein MaB f'tir die Lage des Gleichgewichts. Je gr613er K, umso gr613er sind die Konzentrationen der Endstoffe und umgekehrt. Im Falle groBer Gleichgewichtskonstanten (K >> 1) liegt das Gleichgewicht weitgehend auf der Seite der Reaktionsprodukte. In der Reaktionsgleichung weist man darauf hin, indem man den nach rechts weisenden Pfeil verst~irkt. Bei kleinen Konstanten (K Sumpfgas) und zu etwa 80% aus anthropogenen Quellen (Landwirtschaft, F6rdemng und Verteilung von Erdtil und-gas, Bergbau, anaerobe Verrottung organischer Abf~ille auf den Deponien). Knapp 2/3 der anthropogenen Emissionen entstehen bei landwirtschaftlichen Aktivit~iten. Hier sind insbesondere der Nassreisanbau, der wachsende Viehbestand durch die Massentierhaltung und die Brandrodung in den Tropen zu nennen. Beim Nassreisanbau entstehen in den tiberfluteten Reisfeldern aus organischer Substanz unter Sauerstoffausschluss Methan und Kohlendioxid; Methangarung: (CH20)n --->n CO2 + n CH4. Distickstoffmonoxid N20 (,,Lachgas") entsteht durch mikrobielle Umsetzungen von NVerbindungen in BSden und Gew~issem. Hauptquellen: die in der Landwirtschafi eingesetzten mineralischen Stickstoffdtingemittel, Verbrennung von Biomasse (Brandrodung). Heute ist unbestritten, dass sich die Spurengaskonzentrationen in der Erdatmosph~ire durch anthropogene Aktivit~iten nicht mehr im Gleichgewicht befinden. Was sind die Konsequenzen einer sich stetig erh6henden Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosph~ire ? Tatsache ist, dass die global ermittelte Temperatur seit 1860 bis heute um 0,6~ angestiegen ist. Dies ist der st~irkste Temperaturanstieg auf der Nordhalbkugel w~ihrend der letzten
5.5 Luftschadstoffe
119
1000 Jahre. Die Konsequenzen eines weiteren Temperaturanstiegs (Modellrechnungen ergeben fiir das Jahr 2100 eine Temperaturerh6hung um ca. 5~ auf das Klima sind sehr schwer abzusch~itzen, da das Klimasystem aus einer Vielzahl von Teilprozessen besteht, die zudem durch vielfdltige Riickkopplungsmechanismen aufeinander wirken. Man geht davon aus, dass die ungehemmte Emission von Treibhausgasen zu extremen Wetterlagen wie Trockenperioden und Oberschwemmungen und damit zu Hungersn6ten und wirtschaftlichen Katastrophen fiihren wird. Die Verhinderung der prognostizierten (besorgniserregenden!) Klimaentwicklung ist ein existentielles Problem, das nur im Rahmen eines grundlegenden 6kologischen Strukturwandels zu 16sen ist und sowohl vonseiten der Wissenschaft als auch der Politik und der Wirtschaft ein hohes MaB an Sensibilit[it und Verantwortungsbewusstsein, vor allem aber an Sachkompetenz verlangt.
5.5
Luftschadstoffe
Die aggressive, die Bausubstanz angreifende Wirkung der atmosph~irischen Luft ist in erster Linie auf die Luftschadstoffe Schwefeldioxid und die Stickoxide zuriickzuftihren. Auf Quellen, Eigenschaften und Reaktionen dieser Schadgase soil im Weiteren n~iher eingegangen werden.
5.5.1
Schwefeldioxid (SO2)
5.5.1.1
Physikalisch-chemische Eigenschaften
Schwefeldioxid SO2 gelangt tiberwiegend durch die Verbrennung schwefelhaltiger fossiler Brennstoffe (Kohle, Erd61), aber auch durch industrielle Prozesse wie die Eisen- und Stahlerzeugung, die Schwefels~iureproduktion und die Erd61aufarbeitung in gr6Beren Mengen in die Atmosph~ire. Dazu kommen die aus natiirlichen Quellen (Oxidation organischer schwefelhaltiger Verbindungen aus Ozeanen und SiJmpfen, Vulkanismus) stammenden SO:Emissionen. Schwefeldioxid ist ein stechend riechendes, farbloses, giftiges Gas. Es entsteht als unmittelbares Verbrennungsprodukt des Schwefels, ist selbst jedoch nicht brennbar. Sein MAKWert liegt bei 5 mg/m 3 (2 ppm). Die Dichte des SO2 betdigt p = 2,927 g/l. SO2 ist damit ca. 2,3 mal schwerer als Luft. Bei 20~ und 1,013 bar 16sen sich 39,4 1 SO: pro Liter Wasser. Damit ist seine Wasserl6slichkeit etwa 45 mal h6her als die des CO:. Das SO:-Molektil besitzt eine gewinkelte Struktur (Bindungswinkel 119,5 ~ mit zwei S-OBindungen gleicher BindungsRinge. Der relativ kurze S-O-Bindungsabstand (143 pm) weist auf das Vorliegen von zwei Doppelbindungen hin. Damit ergibt sich die folgende LewisStruktur fiir SO2:
//s% m
IO
OI
120
5.5.1.2
5 Luft und Luftinhaltsstoffe
Schwefelsiiuren und deren Salze
Die w~issrige L6sung von Schwefeldioxid reagiert sauer. 802 ist das S~iureanhydrid der schwefligen Saure H2SO3 (G1.5-30).
$02 + H20
-
H2SO3
(5-30)
~176
Ahnlich wie bei der L6sung von CO2 in Wasser, liegt das Gleichgewicht weitgehend auf der linken Seite. Die L/Ssung enth~ilt eine kleine (nicht bekannte!) Menge schwefliger S~iure. Reine H2SO3 ist instabil und kann nicht isoliert werden. Sehweflige Siiure H2SO3 protolysiert in zwei Stufen (GI. 5-31, 5-32)" H2SO3 + H20 HSO3- + n20
--"-
H30 + + HSO3H30 + + SO32- .
(5-31) (5-32)
Damit bildet die schweflige S~iure zwei Arten von Salzen, die Hydrogensulfite (Bisulfite) mit dem Anion HSO3- und die Sulfite mit dem S~iurerestion SO32-. Aufgrund seines Verm6gens, in Anwesenheit von Feuchtigkeit Hydronium(H30+)-Ionen zu bilden, bezeichnet man SO2 auch als saures Gas. CO2, NO2 und HCI sind ebenfalls saure Gase. Schwefeldioxid, schweflige S~iure und Sulfite zeichnen sich durch ihr ReduktionsvermOgen aus, wobei sie selbst zu Sulfat oxidiert werden. Dabei geht der Schwefel vonder Oxidationsstufe +W in die Oxidationsstufe +VI fiber. Die exotherme Oxidation von 802 zu S c h w e f e l t r i o x i d ( 8 0 3 ) ist kinetisch gehemmt und l~iuft nur in Anwesenheit von Katalysatoren ab (G1.5-33).
Kat. SO2 + 8902
-
SO3
BH= -99 kJ/mol
(5-33)
Schwefeltrioxid bildet mit Wasser Schwefelsiiure H2804. 803 ist demzufolge das S~iureanhydrid der H2SO4. Von der zweibasigen Schwefels~iure leiten sich ebenfalls zwei Arten von Salzen ab, Hydrogensulfate HSO4- und Sulfate SO42- (s.a. Kap. 6.5.3.8). Die katalytische Oxidation von SO2 zu SO 3 bildet das Kemsttick der industriellen Schwefels~iureproduktion. In der Atmosph~ire iibemehmen RuBpartikel bzw. Metallst~iube die Funktion des Katalysators. Mit dem H20 der Luft bildet sich Schwefels~iure, die sofort zu Tropfen kondensiert (Schwefelsdurenebel bzw. -aerosole). Die vorstehenden Betrachtungen machen deutlich, dass Schwefel in der Natur vor allem in Form von Verbindungen transportiert wird (Abb. 5.3), in denen er in oxidierter Form vorliegt (SO2/SO3, H2S04/$042-). Nattirliche Quellen wie Pflanzen und Vulkane emittieren den Schwefel in reduzierter Form (z.B. H:S). Die mittlere Verweildauer des SO 2 in der Atmosph[ire liegt bei etwa 2 Wochen. Dies ist zu kurz, als dass sich das Schadgas global fiber gr6Bere Bereiche ausbreiten kann. Man muss demnaeh von Regionen mit hoher SO2-Belastung (Industriegebiete und deren Umgebung) und Regionen mit geringer Belastung (landliche Gebiete und Reinluftgebiete) ausgehen.
5.5 Luftschadstoffe
121
SO42-
SO42-
Weitere Oxidation
\
Weitere Oxidation
SO2 Regen 0ber dem Meer
SO2, SO42-
SO42-
1
1
Ober
Regen dem Land
Verbrennung SO2, SO42_ fossiler Brennstoffe, t Waldbr~inde Biologische Prozesse
H2S
SO2, SO42"
SO2 H2~' ~ |
Vulkane
Aufnahme durch / I . . ) Pflanzen, trockene Deposition
Seesalz
Abbildung 5.3 Der Schwefelkreislauf in der Natur
Hinsichtlich des Einflusses der Atmosph~ire auf die Korrosion von St~ihlen und anderen Baumetallen unterscheidet man in Abh~ingigkeit vom Ortsklima (Makroklima) folgende vier Atmosph~irentypen: L (Land) - Geringe Korrosionsbelastung, Atmosph~ire ohne nennenswerte Gehalte an SO2 und anderen Schadstoffen; S (Stadt) - M~flige Korrosionsbelastung, Atmosph~ire mit m~iBigen Gehalten an SO2 und anderen Schadstoffen; I (Industrie) Starke Korrosionsbelastung, Atmosph~ire mit hohen Gehalten an SO2 und anderen Schadstoffen; M (Meer) - Sehr starke Korrosionsbelastung, Atmosph~ire durch besonders korrosionsf6rdernde Schadstoffe (z.B. C1-) verunreinigt und/oder mit st~indig hoher Luftfeuchte [KS 10].
5.5.1.3
Saurer oder London-Smog
Treten in der atmosph~irischen Luft hohe SO2-Konzentrationen auf, z.B. Feuerung schwefelhaltiger Brennstoffe im Winter (!), kann es unter entsprechenden geographischen (z.B. Tallage) und meteorologischen Bedingungen (Inversionswetterlage) ebenfalls zu einer Smogsituation kommen. Man spricht vom Sauren bzw. Wintersmog, auch London-Smog. Der Begriff London-Smog geht auf die Geschehnisse im Winter 1952 in London zurtick. Die Verbrennung stark S-haltiger Brennstoffe, die Art der Heiztechnik in Fabriken und Haushalten verbunden mit einer niedrigen AuslasshShe der Abgase, die geographische Lage Londons im Themsetal und eine nasskalte, austauscharme Wetterlage Fdhrten zu einer zwei Wochen andauemden extrem starken Smogbelastung. Als Folge der auBerordentlich hohen Konzentration an schwefelhaltigem Aerosol verstarben tiber 4000 Menschen. Beim
122
5 Luft und Luftinhaltsstoffe
London-Smog handelt es sich um eine disperse Verteilung von festen (RUB) und fltissigen (vor allem Schwefels~iure) Stoffen in der Luft, die durch thermische und/oder chemische Prozesse bzw. durch Kondensation entstanden sind. Von London abgesehen, wo sich durch drastische Reduzierung des SO/- und Staubgehaltes der Luft die Situation seit 1952 spfirbar verbessert hat, kann sich eine winterliche Smogsituation jederzeit bei Vorherrschen entsprechender Bedingungen einstellen.
5.5.2
Stickoxide (NO, NOa)
Der Begriff Stickoxide (allgemeine Formel: NOx) bezieht sich im Umgangssprachgebrauch auf die Stickstoffoxide Stickstoffmonoxid NO und Stickstoffdioxid NO/, die fiber die Gleichgewichtsreaktion (G1.5-35) miteinander verknfipft sind und deshalb stets gemeinsam auftreten. Mehr als 90% der anthropogen emittierten Stickoxide gehen auf Verbrennungsvorg~inge der Energieerzeugung und des Kfz- und Flugzeugverkehrs zurtick. Bei Temperaturen tiber 1000~ entsteht aus dem Stickstoff des Brennmaterials oder der Verbrennungsluft und dem Luftsauerstoff zun~iehst NO, das schnell zu NO/oxidiert wird. Stickstoffmonoxid NO ist ein farbloses, giftiges, nicht brennbares Gas. Es liisst sich aufgrund der inerten Natur des Stickstoffs nur bei hohen Temperaturen (elektrischer Lichtbogen, Verbrennungsmotor) aus den Elementen herstellen und das auch nur mit geringen Ausbeuten. Technisch gewinnt man NO durch katalytische Oxidation yon Ammoniak (Pt/Rh-Katalysatoren, T = 820...950~ G1. 5-34). Stickstoffmonoxid ist ein wichtiges Zwischenprodukt der Salpetersiiureherstellung. Kat.
4 NH3 + 5 0 2
-
4 NO + 6 H/O
"~
(Ostwald-Verfahren).
(5-34)
NO ist ein paramagnetisches Molekfil. Seine Elektronenstruktur kann durch die nachfolgenden Grenzformeln wiedergegeben werden: e
Kommt Stickstoffmonoxid mit Luft in Bertihrung, entstehen sofort braunrote Diimpfe von NO2 (Gl. 5-3 5). Bei der ablaufenden Oxidationsreaktion erh6ht sich die Oxidationszahl des Stickstoffs von +II (NO) auf +IV (NO2). 2 NO + 02
-
2 NO2
AH = -114,2 kJ/mol
(5-35)
Stickstoffdioxid NO2 ist ein braunrotes, charakteristisch riechendes, stark giftiges Gas. Sein MAK-Wert betr~igt 9 mg/m3 (-5 ppm). Bei Temperaturerniedrigung wird das Gas allm~ihlich farblos, w~ihrend bei Erw~irmung des Gases tiber die Zimmertemperatur hinaus die Intensit~it der braunroten Farbe zunimmt. Hintergrund dieser Farb~inderung ist eine Dimerisierung (G1. 5-36). Das braunrote NO2 steht im Gleichgewicht mit der farblosen, dimeren Verbindung Distickstofftetraoxid N204. Mit fallender Temperatur verschiebt sich das Gleichgewicht nach rechts, unterhalb von 0~ ist nur noch N204 vorhanden.
5.5 Luftschadstoffe
2 NO2
123
-
N204
rotbraun
A n = -57,2 kJ/mol
(5-36)
farblos
Wie die folgenden Grenzformeln zeigen, verftigt auch Stickstoffdioxid fiber ein ungepaartes Elektron. NO~ ist ebenfalls paramagnetisch. ~ N
I0
~
~-
IOI
e/
~ N
I01
%
OH
Bei der Dimerisierung zum N204 werden zwei NO2-Molekiile fiber eine N-N-Bindung miteinander verkniipft. Die ungepaarten Elektronen der NO2-Molekiile lagern sich zu einem Bindungselektronenpaar zusammen. Der Paramagnetismus geht verloren. Stickstoffdioxid wird als gemischtes Saureanhydrid bezeichnet, da bei L6sung von NO: in Wasser sowohl salpetrige S~iure (HNO2, Salze: Nitrite) als auch Salpeters~iure (HNO3, Salze: Nitrate) entstehen (GI. 5-37). Durch die Reaktion von NO2 (Oxidationsstufe des N: +IV) mit Wasser entstehen mit HNO2 (Oxidationsstufe des N: +III) und HNO3 (Oxidationsstufe des N: +V) Verbindungen, die den Stickstoff in einer niedrigeren und einer h6heren Oxidationsstufe enthalten als die Ausgangsverbindung. Die Hinreaktion des Gleichgewichts (5-37) ist damit ein Beispiel fiir einen besonderen Typ einer Redoxreaktion, eine Disproportionierungsreaktion (Kap. 7.2). 2NO: + HRO
-
HNO2 + HNO3
(5-37)
In Anwesenheit von Sauerstoff 18st sich NO2 zu Salpeters~iure (G1.5-38). 2 NO2 + 89O2 + H20
-
2 HNO3
(5-38)
Das NO2 der Luft ist zu weiteren chemischen Reaktionen in der Lage. Deshalb betr~igt seine Verweilzeit in der Atmosph~ire nur wenige Tage. Die in feuchter Luft gebildete Salpeters~iure (evtl. auch salpetrige S~iure) und deren Salze werden mit dem Regenwasser ausgewaschen und tragen zur Versauerung von B6den und Gew~issem bei. Da die gebildeten Sauren die Oberflache von Metallen angreifen, werden die Stickoxide auch als korrodierende Gase bezeichnet.
5.5.3
Schadwirkungen und Mal~nahmen zu ihrer Verhinderung
Aufgrund seines s~iurebildenden Verhaltens bewirkt Schwefeldioxid Reizungen und Sch~idigungen der Schleimh~iute (Augenbrennen, starker Reizhusten). Besonders empfindlich reagieren Kinder, Personen mit chronischer Bronchitis und Asthmatiker auf eine Schwefeldioxidbelastung. Da SO2 oftmals mit anderen gesundheitssch~idigenden Faktoren kombiniert auftritt, sind klare Aussagen zu seiner Schadwirkung auf den Menschen schwierig. Erwiesen ist, dass hohe Schwebstaubkonzentrationen in der Luft die Toxizit~it von SO2 signifikant steigern und damit das Risiko von Bronchitiserkrankungen erhtihen k6nnen (s.
124
5 Luft und Luftinhaltsstoffe
London-Smog). Bekannt ist auch, dass die Kombination NOx/SO2- beide Schadgase treten h~iufig gemeinsam auf- zu einer Steigerung der Atemwegserkrankungen f'tihrt. Pflanzen reagieren weitaus empfindlicher auf SO2 als der Mensch. Das vonder Pflanze vor allem tiber die Bl~itter aufgenommene SO~ greift als schweflige S~iure in den biochemischen Funktionsmechanismus der Zelle ein. Ver~inderungen der Feinstruktur der Zelle, Gewebeveranderungen sowie eine Blockierung des SchlieBmechanismus der Spalt6ffnungen von Bl~ittem und Nadeln f'tihren zu St6rungen von Transpirations- und Stoffwechselvorg~ingen sowie der Photosynthese. Sch~idigungen der Bl~itter und Nadeln bis hin zum Absterben sind die Folge.
5.5.3.1 Saurer Regen und Folgeschiiden Im Zuge der Selbstreinigung der Atmosph~ire werden wasserl6sliche Stoffe durch den Regen oder andere Niederschl~ige ausgewaschen. Auf diese Weise gelangen die Schadgase wieder zuriick zur Erde. Regenwasser, das im Wesentlichen nur in Kontakt mit dem CO: der Luft steht (Reinluftgebiete), besitzt einen pH-Wert von ca. 5,6 (CO2-S~ittigung!). Es wird mitunter als ,,Sauberer Regen" bezeichnet.
Da Regenwasser stets mehr oder weniger grofle Mengen an gelOstem C02 enthiilt, besitzt es niemals den pH-Wert 7 (neutral). Es reagiert immer schwach sauer. Saurer Regen. In Ballungs- und Industriegebieten liegt der pH-Wert des Regens deutlich unter 5,6. Verantwortlich fiJr die Absenkung des pH-Wertes sind Schwefelverbindungen und Stickoxide - oder genauer gesagt, die sich aus ihnen bildenden S~iuren H:SO4 und HNO3, neben HC1. Der Anteil dieser S~iuren an der Acidit~it des sogenannten Sauren Regens wurde wie folgt bestimmt: H2SO4 (83%), HNO3 (12%) und HC1 (5%) [UC 1]. In der BRD geht man von einem mittleren pH-Wert des Regens von 4,1 aus, vereinzelt wurden sogar Werte um pH = 2,5 (!) gemessen. Saurer Regen ftihrt zu einer Versauerung der Oberfl~ichengewasser und - besonders bei kalkarmen B6den mit einer geringen Pufferkapazit~it- zu einer Bodenversauerung. Fiir Lander, die einen GroBteil des Trinkwassers aus Oberfl~ichenwasser erzeugen, ist die st~indige Kontrolle des pH-Wertes von Seen und Fliissen lebensnotwendig. Gesunde Seen besitzen pH-Werte um 7, d.h. sie sind neutral. Beim Unterschreiten eines pH-Wertes von 5,5 gelten die Gew~isser als iibersauert, bei pH-Werten < 5 sterben die Lebewesen ab. Die Gew~isser sind ,,tot". Saurer Regen sch~idigt auch Baustoffe und damit Bauwerke in starkem Mal3e. Sowohl carbonathaltige Putze und Betone als auch Natursteine wie kalkig gebundene Sandsteine werden angegriffen (Kap. 9.4). Metalle korrodieren unter dem Einfluss saurer Gase bzw. des Sauren Regens schneller (Kap. 8.2), Glaser und Glasgem~ilde alter Bauwerke werden zerst6rt. In diesem Zusammenhang soil noch auf das vieldiskutierte Problem des ,,Waldsterbens" eingegangen werden. Urspriinglich wurden auftretende Waldsch~iden unmittelbar der Produktion von Rauchgasen angelastet, standen die geschadigten W~ilder doch meist im Einflussgebiet groBer Braunkohlen- oder Steinkohlenkraftwerke. Seit den achtziger Jahren treten jedoch geh~iuft grofffiachige Waldsch~iden in weniger belasteten Gebieten auf. Man
5.5 Luftschadstoffe
125
erkannte bald, dass die sauren Gase (SO2, NOx und HC1) - ob gasf'6rmig oder im Niederschlagswasser gel6st- nicht die alleinigen und direkten Schadensfaktoren der sogenannten Neuartigen Waldsehiiden sein k6nnen. Heute geht man von einem Ursachenkomplex unterschiedlicher biotischer und abiotischer Faktoren aus. Die Luftverunreinigungen aus anthropogenen Quellen (Industrieanlagen, Kraftwerke, Verkehr, Haushalte, Landwirtschaft) spielen dabei eine Schltisselrolle. Ursachen der Neuartigen Waldschfiden: 9 Wirkung anthropogen emittierter Luftschadstoffe und Photooxidantien (SO2, NOx, NH3, Staube, Herbizide, 03) 9 Versauerung der WaldbOden 9 Witterungsbedingte Ursachen (Trockenheit, Schneebruch, starke Temperatursttirze) 9 Sch~idlingsbefall (Viren, Bakterien, Pilze, Insekten) und Wildverbiss 9 M~ingel bei der forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung (Monokulturen, mangelnde Dtingung, unzureichende Waldpflege, ungeeignete Baumarten) und Bodenversiegelung.
5.5.3.2
Rauchgasentschwefelung - REA-Gips
Die heute in der Bundesrepublik Deutschland gtiltigen gesetzlichen Verordnungen und Vorschriften zur Reinhaltung der Luft leiten sich im Wesentlichen vom Bundes-lmmissionsschutzgesetz (BImSchG, [UC 5]) als dem zentralen Gesetz zur Luftreinhaltung ab. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz gliedert sich in 14 Verordnungen und sechs Verwaltungsvorschriften (Stand 1986). Die wichtigsten sind die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Lufi (TA Luft), die Groflfeuerungsanlagenverordnung (13. BImSchV), die Verordnung iiber Immissionswerte (22. BImSchV) und die Verordnung zur Verhinderung sch/idlicher Einwirkungen bei austauscharmen Wetterlagen (Smog-Verordnungen der Bundesl/inder). Die Methoden und Verfahren zur Luftreinhaltung mtissen in erster Linie dem Ziel dienen, von vornherein durch ver/inderte Synthese- und Verfahrensschritte, durch neuartige Technologien mit mSglichst geschlossenen Stoffkreisl/iufen und durch den Einsatz alternativer Rohstoffe die Bildung von Luftschadstoffen zu minimieren oder ganz zu vermeiden. Ist eine vorbeugende Vermeidung von Luftschadstoffen (noch) nicht m6glich, mtissen Nachsorgetechnologien eingesetzt werden. Zur Erftillung der Vorgaben der Verordnung tiber Grogfeuerungsanlagen (1983) waren die Kraftwerksbetreiber angehalten, die Kohlekraftwerke mit Rauchgasenentschwefelungsanlagen (REA) auszurtisten. Dabei hat sich in der BRD mit etwa 90% Marktanteil das Kalk-/Kalkstein-Wasehverfahren durchgesetzt. Durch Einspriihen einer Kalk- bzw. Kalksteinsuspension in den Abgasstrom wird das Schwefeldioxid wirkungsvoll gebunden (Sprtihabsorption). Ob Kalk oder Kalkstein eingesetzt wird, h/ingt in der Regel von den 6rtlichen Gegebenheiten ab. Die Herstellung von CaO ist energieintensiv. Damit liegt der Preis der Waschfltissigkeit im Fall des nattirlichen Kalksteins ungleich gtinstiger als beim Branntkalk. Dem stehen eine geringere L6slichkeit und ReaktionsF~ihigkeit, ein erhfhter Verschlei$ durch die gr6Bere H/~rte und ein h6herer spezifischer Verbrauch beim Kalkstein gegentiber. Diese Fakten muss der Betreiber der REA-Anlage genau gegeneinander abw/igen. Vom 6kologischen Standpunkt sollte der Kalkstein gegentiber dem energieintensiven Branntkalk bevorzugt werden. Mit Blick auf die Qualit~it und die Verwendungsm6glichkeiten des anfallen-
126
5 Luft und Luftinhaltsstoffe
den Gipses (s.u.) ist dem reineren Kalk gegeniiber dem mehr oder weniger verunreinigtem Kalkstein der Vorzug zu geben. Die wichtigsten ablaufenden chemischen Reaktionen sind: Ca(OH)2 + SO2 CaCO3 + SO2 CaSO3 + 1/202 + 2H20
~- CaSO3 + H20 -~ CaSO3 + CO2 CaSO4 92 H20.
(5-39) (5-40) (5-41)
Es werden Schwefelabscheidungsgrade von fiber 95% erreicht. Das prim~ir entstehende Calciumsulfit CaSO3 (5-39, 5-40) f~illt als Sulfitschlamm im Kalkwaschturm an. Durch Einblasen von Luft (02) in die Suspension l~iuft unter st~indigem Umrtihren die Oxidation zum Sulfat ab (5-41). Nach dem Zentrifugieren und dem anschlieBenden Wasch- und Filtrierprozess werden die Gipskristalle als feuchtes, feinteiliges Produkt mit ca. 10% Feuchte erhalten (REA-Gips). Eine weitgehend mechanische Entw~isserung erspart Energie beim Brennen des Gipses und natiirlich Transportkosten. W~ihrend die Qualit~it von Naturgips Rir die einzelnen Lagerst~itten bekannt ist und sich nicht mehr ver~indert, muss die Qualit~it des REA-Gipses im Kraftwerk st~indig neu justiert und iiberpriift werden. Eine entscheidende Voraussetzung Rir die Verwendung des Rohstoffes REA-Gips sind deshalb strenge Qualit[itskriterien und Analysenmethoden (Tab. 5.4). Qualit~it wie auch Menge des REA-Gipses werden im Kraftwerk von verschiedenen Einflussgr/SBen bestimmt. Die wichtigsten sind die Betriebsweise des Kraftwerks, die Art des eingesetzten Brennstoffs (Stein- oder Braunkohle) und sein Schwefelgehalt, die vorhandene REA-Technologie sowie die chemische Natur des eingesetzten Absorptionsmittels. Zum Beispiel schwankt der S-Gehalt der Steinkohle zwischen 0,45...1,75%, der der deutschen Braunkohle zwischen 0,15...3,2%. Die ersten Rauchgasentschwefelungsanlagen wurden in Steinkohlekraftwerken installiert. Im mitteldeutschen wie auch im osteurop~iischen Raum stellt aber die Braunkohle nach wie vor einen auBerordentlich wichtigen Energietr~iger dar. Deshalb kommt hier der Entschwefelung von Braunkohle-Rauchgasen eine besondere Bedeutung zu.
Tabelle 5.4 Spezifikationen und Qualit~tsanforderungen for das Produkt REA-Gips [BC 12]
Eigenschaft Freie Feuchtigkeit Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4" 2 H20) Magnesiumoxid MgO, wasserl6slich Chlorid CI Natriumoxid Na20, wasserlOslich Calciumsulfit CaSO3 91/2H20 pH-Wert Farbe Geruch Toxische Bestandteile
Anforderung < 10 % > 95 % < 0,1% < 0,01% < 0,06 % < 0,5 % 5 ... 9 weir5 neutral keine
5.5 Luftschadstoffe
127
Obwohl auch der REA-Gips aus Braunkohlekraftwerken (,,Braunkohlegips") bei entsprechender Technologie den gestellten Qualit/itsanforderungen entsprach, unterschied er sich anfangs vom Steinkohlegips vor allem durch seine dunkle Farbe. Sic wird von feinteiligen Inertstoffen verursacht, die in die Gipskristalle eingebaut werden und nachtr/iglich mittels mechanischer MaBnahmen nicht mehr abgetrennt werden k6nnen. Bei den Inertstoffen handelt es sich vor allem um intensiv farbige Eisenverbindungen, die zu tiber 90% aus dem eingesetzten Absorptionsmittel (Kalkstein, z.B. in Form von Ton) und zu weniger als 10% aus Verbrennungsrtickstanden wie Asche und Ruf~partikel stammen, die in die Entschwefelungsanlage eingetragen wurden. Nach Ja.hren intensiver Forschungsarbeit konnte eine Aufhellung der Gipskristalle durch eine sogenannte Oberlaufreinigung im Entschwefelungsverfahren erzielt werden. Die feinteiligen Bestandteile werden nicht wie bisher in den Rauchgasw/ischer zurtickgeftihrt, sondern als Inertschlamm tiber einen Eindicker aus dem Prozess ausgeschleust.
.F_
c
98-
I~ 19
7
I~
6-
~g
5-
I~
3:-
I~
2.-
I
1
12
c
~o 1980 1983
7,5 6,3 4,9 3,2
.|
1992
19~}6
2000
_
2003
Abbildung 5.4 Anstieg der REA-Gipsmengen in Deutschland in den Jahren nach Inkrafttreten der Grol~feuerungsanlagenVerordnung von 1983.
Die Menge des anfallenden REA-Gipses h~ingt vom Schwefelgehalt der Kohle und vom Entschwefelungsgrad der Anlage ab. Betrachtet man z.B. einen modernen SteinkohleKraftwerksblock mit 750 MW Leistung, einem Wirkungsgrad der Entschwefelung von 95% und einen S-Gehalt der Kohle von 0 , 6 - 1%, so entstehen bei Volllastbetrieb pro Stunde etwa 9 bis 14 Tonnen REA-Gips. Beginnend mit dem Jahr 1980 ergibt sich eine stetige Steigerung der REA-Gips-Mengen (Abb. 5.4). Ein deutlicher Anstieg der Produktionsmengen in den Jahren 1987- 1989 geht unter anderem auf die Braunkohlegipsmengen aus den Kraftwerken der Rheinisch-Westf~ilischen Elektrizit~itswerke (RWE) zurtick. Die Inbetriebnahme der neu errichteten Entschwefelungsanlagen in den neuen Bundesl/indern ftihrte zu einem weiteren signifikanten Anstieg der REA-Gips-Produktionsmengen. Im Jahr 2003 wurden in Deutschland etwa 7,5
128
5 Luft und Luftinhaltsstoffe
Millionen Tonnen REA-Gips produziert. Das bedeutet einen Anteil an der in Europa produzierten Gesamtmenge (15,2 Mio. t) von 49,3% [BC 13].
Tabelle 5.5 Zusammensetzung von Naturgips und REA-Gips
Komponente(%)
Naturgips
REA-Gips
Feuchtigkeit CaSO4" 2 H20 MgO, wasserl6slich C1 Fe SO2
1 7 8 - 95 < 0,001 -
Inertstoffe
5 - 20
< 10 > 95 < 0,1 < 0,01 Sgittigungskonzentration. Erst durch Zugabe kleiner Salzl~istalle (Kristallisationskeime!) erfolgt die Ausscheidung des tiberschtissig gelOsten Salzes. Dementsprechend gilt for eine ungesiittigte L6sung: Konzentration der Salzl6sung < Sgittigungskonzentration. L6slichkeitsprodukt. Gesattigte L6sungen sind durch ein dynamisches Gleichgewicht zwischen dem festen BodenkSrper AB und den hydratisierten Ionen A + und B- charakterisiert (G1. 6-10). Wendet man auf dieses temperaturabhangige LSsungsgleichgewicht das MWG an, ergibt sich GI. (6-11). g
c(A+aq )" c(B-aq )
(6-11)
c(AB(s))
Da die Konzentration (eigentlich Aktivitat, Kap. 6.5.2.2) des festen Bodenk6rpers AB gleich eins gesetzt werden kann, folgt Beziehung (6-12).
] K,~(AB)= c(A+)'c(B-) ]
[mo12/12]
(6-12)
KL(AB) wird als L6slichkeitsprodukt der Verbindung AB bezeichnet, seine Einheit ergibt sich zu mo12/12. KL ist ein MaB fiir die L6slichkeit der Verbindung AB. FOr das L6slichkeitsprodukt eines Salzes der allgemeinen St6chiometrie AmBn gilt: AmBn
-"
"-
m A n+ + n B m-
[ gL(Amgn) = cm(An+)" cn(gm-)
I
[molm+n/Im+n]
(6-13)
In einer mit einem Bodenk6rper im Gleichgewicht befindlichen ges~ittigten L6sung besitzt das Produkt der Ionenkonzentrationen des Elektrolyten einen konstanten, nur von der Temperatur T abhfingigen Wert KL (LOslichkeitsprodukt).
6.3 LSsung und LSslichkeit
163
Je schwerer 15slich ein Salz, umso kleiner ist KL. Nach einer Festlegung wird die L6slichkeit schwer 16slither Salze (KL < 1) durch das L6slichkeitsprodukt, leicht 16slicher Salze (KL > 1) hingegen durch die in 100 g Wasser 16sliche Grammenge des Salzes angegeben. Tab. 6.5 enth~ilt die Lfslichkeitsprodukte einiger ausgew~ihlter Salze. Aus GI. (6-12) und G1. (6-13) folgt, dass das Lfslichkeitsprodukt verschiedene, v o n d e r st6chiometrischen Zusammensetzung des Salzes abh~ingige Einheiten besitzen kann. Die Kenntnis des L6slichkeitsprodukts ermfglicht das Verst~indnis zahlreicher F~illungsund L6sungsreaktionen. Betrachtet man zum Beispiel eine ges~ittigte Calciumcarbonatl6sung mit KL = c(Ca 2+) 9 c(CO32-) = 4,8 9 10-9 mo12/l2 (bei 25~ Ist das Produkt der Konzentrationen von Ca 2+- und CO32--Ionen kleiner als KL (= ungesOttigte L6sung), 16st sich solange festes Calciumcarbonat auf, bis die Gleichgewichtskonzentrationen an Ca 2+ und CO32- in der Lfsung erreicht sind (Aufi/isen). Eine unges~ittigte Lfsung erreicht man entweder durch Verdiinnen oder indem der L6sung etwa durch Komplexbildung eine Ionenart entzogen wird. Ist das Produkt der Konzentrationen von Ca 2+ und C O 3 2- in der L6sung grfBer als KL (iibersolange Salz aus, bis die Gleichgewichtskonzentrationen der Ionen in L6sung wieder erreicht sind (F~inen).
sgittigte L6sung), kristallisiert
Tabelle 6.5 LOslichkeitsprodukteeiniger ausgew~hlter Salze (25~
Verbindung AgI AgBr AgC1 CaF2
KL (mo12/i2)
Verbindung
1,5" 10-16
CaCO3 CaSO4
5,0 9 10-13 1,6" 10-1~ 1,7" 10-10 a)
KL (mo12/!2) 4 , 8 . 1 0 -9
Mg(OH)2 Ca(OH)2
2,4 9 10-5 1,5 9 10-12 a) 3,9" 10-6 a)
a) Einheit: mo13/l3 Die LSslichkeit c(AB) eines Salzes AB (molare L6slichkeit) kann aus dem L6slichkeitsprodukt KL(AB) ermittelt werden und umgekehrt kann der Wert des L6slichkeitsprodukts einer Verbindung aus ihrer LSslichkeit c(AB) errechnet werden. Ftir eine Verbindung AB aus Ionen gleicher Ladungsstufe (l:l-Elektrolyte, z.B. CaCO3, AgCI) errechnet sich die molare L6slichkeit (= S~ittigungskonzentration) c(AB) entsprechend G1. (6-14a). c(AB) = c(A +) = c(B-)
=
[mol/l].
Fiir die molare L6slichkeit eines Salzes AmBn mit dem L6slichkeitsprodukt allgemein G1. (6-14b).
c(AmBn) - m+IKL(AmBn)mmnn
[mol/1].
(6-14a)
KL(AmBrt)gilt
(6-14b)
164
6 Wasser und wiissrige L6sungen
Damit ergeben sich fiir die Sattigungskonzentrationen der Ionen in L6sung die Beziehungen (6-15). c (A "+) = m . c (AmBn)
und
C(BmJ -" #1 " C(Amnn).
(6-15)
Die KL-Werte kSnnen nur dann for einen Vergleich der L6slichkeiten verschiedener Salze herangezogen werden, wenn die Salze dem gleichen StSchiometrietyp angeh6ren. Ansonsten miissen die molaren L5slichkeiten entsprechend GI. (6-14a bzw. b) berechnet werden. Multipliziert man die molare LSslichkeit c(AB) einer Verbindung AB mit ihrer molaren Masse M, erhiilt man die LSsliehkeit in G r a m m pro Liter (G1. 6-16). Diese Gr613e entspricht der Massenkonzentration fl(AB) (G1. (1-17)) und wird mitunter auch mit cg(AB) bezeichnet. Weitere Einheiten sind g/100 g oder lxg/1. [ Cg ( A B )
-- c ( A B )
9M
I
[g/l]
(6-16)
Werden unterschiedliche Salzl6sungen vereinigt, kristallisieren zuerst die beiden Ionenarten aus, die das Salz mit der geringsten L6slichkeit bilden. Zum Beispiel fdllt bei Zugabe von BaC12-L6sung zu einer K2SO4-L6sung augenblicklich ein weiBer Niederschlag von Bariumsulfat BaSO4 aus (Sulfatnaehweis!). K § und C1- bleiben als hydratisierte Ionen in L6sung (Cg(KC1)= 343 g/l). Bariumsulfat ist ein schwer 16sliches Salz, Cg= 2,3 9 10-3 g/1. Entfemt man eine Ionensorte eines schwer 16slichen Niederschlags, gegebenenfalls aueh beide, durch eine chemische Reaktion aus dem Gleichgewicht (z.B. durch Komplexbildung), so 16st sich der Niederschlag wieder auf. Chloridionen k6nnen mit S ilbemitratl6sung AgNO3 als schwer 16sliches S ilberchlorid ausgefiillt werden (G1. 6-17a). Gibt man zum AgC1-Niederschlag Ammoniakl6sung, 16st er sich wieder auf, da die Ag+-Ionen der L6sung durch B ildung des kationischen Diamminsilber(I)-Komplexes (G1. 6-17b) stiindig aus dem dynamischen Gleichgewicht entfernt werden (Chloridnaehweis). Ag § + Cl-
~- AgC1 ~ ;
AgCl(s)
Ag § (aq) + 2 NH3 (aq)
-
"-
Ag + (aq) + Cl-(aq)
-~ [Ag(NH3)2] + (aq)
(6-17a) (6-17b)
In nattirlichen Wiissem findet man nie nur ein S a h oder nur eine einzige organische Verbindung, sondem immer ein relativ komplexes Substanzgemisch gel6st vor. Auch wenn Baustoffe in Kontakt mit Grundwasser oder Abwassem gelangen, entstehen immer L6sungen unterschiedlichster Inhaltsstoffe. Die Beeinflussung der LSsliehkeit eines Salzes dureh andere gel6ste Stoffe ist ein auch fiir die Bauchemie wichtiges Problem. Handelt es sich um die Wirkung eines oder mehrerer Sahe, sind zwei Fiille zu unterscheiden:
a) b)
Beeinflussung der L6slichkeit eines Salzes durch ein anderes gel/Sstes Salz, wobei beide Salze eine Ionenart gemeinsam enthalten. Beeinflussung der L6slichkeit eines Salzes durch ein oder mehrere andere gelOste Salze, wobei diese mit dem ersteren keine Ionenart gemeinsam haben.
6.3 L/Ssung und L/Sslichkeit
165
Fall a) liegt vor, wenn man einer ges~ittigten Calciumcarbonatlfsung zusatzlich Ca 2+- oder CO32--Ionen zufiigt, z.B. einige Tropfen Ca(NO3)2- oder Na2CO3-L/Ssung. Das L/Sslichkeitsprodukt wird iiberschritten und es fiillt bis zum abermaligen Erreichen der Sattigungskonzentration festes Calciumcarbonat aus (gleichioniger Zusatz).
Gleichionige Zusiitze verringern die LSslichkeit eines Elektrolyten und damit die Konzentration des Gegenions. Die Verringerung der L/Sslichkeit eines Salzes durch die Anwesenheit der gleichen Ionensorte aus einer anderen Verbindung spielt bei bauchemischen Prozessen h~iufig eine Rolle. Zum Beispiel ist die hohe Wasserbest~indigkeit des Betons unter anderem auch dadurch bedingt, dass die an sich bereits geringen L6slichkeiten der hydratisierten C$-, CA- und CAF-Phasen durch die Anwesenheit des bei der Zementhydratation entstehenden Ca(OH)2 noch weiter abgesenkt werden. Die Ca2+-Ionen wirken als gleichioniger Zusatz. Alkalisches Milieu verringert die L6slichkeit von Ca(OH)2. Bei 20~ betr~igt die L/Sslichkeit von Ca(OH)2 0,118 g pro 100 g Wasser (Tab. 6.4). In einer NaOH-L6sung, die 0,16 g Natriumhydroxid in 100 ml 1-120 gelSst enth~ilt, geht die LSslichkeit des Calciumhydroxids auf 0,057 g/100 ml L6sung zurtick, in einer NaOH-L6sung mit 0,5 g NaOH/100 ml H20 geht sie auf 0,018 g Ca(OH)2 und in einer NaOH-L/Ssung mit 2 g NaOH/100 ml H20 geht sie bereits auf 0,002 g Ca(OHh pro 100 ml L/)sung zurtick. Die hohe Stabilitdt des Betons gegenigber alkalischem Milieu ist darin begrtindet, dass durch mehrere miteinander verkniipfte L/Sslichkeitsgleichgewichte die Best~indigkeit des Zementsteins deutlich erh/Sht wird. Zum Beispiel vermindert die Konzentration an OH-Ionen die L/Sslichkeit des Ca(OH)2, andererseits verringert die Anwesenheit des Calciumhydroxids die L/Sslichkeit der calciumenthaltenden Hydratphasen des Zements.
Fremdionige Zuslitze fiihren zu einer Erh6hung der Ltislichkeit eines Salzes (Salzeffekt). Die Ionen des Fremdelektrolyten beeinflussen die elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen den Ionen in der L/Ssung. Dadurch wird die Auskristallisation gehemmt und der L6sevorgang nimmt relativ gesehen zu. Die L~slichkeit des Silberchlorids liegt z.B. in einer 0,02 molaren Kaliumnitratl/Ssung um etwa 20% h6her. Die Fremdionen K + und NO3umgeben die Silber- und Chloridionen und schirmen sie hinsichtlich einer Ausfiillung zu AgC1 ab.
Aufgaben: 1.
BerechnenSie die molare LSslichkeit von Calciumsulfat (25~ Geben Sie die Konzentration der Ca2+-Ionen (in mol/1) an und berechnen Sie, wie viel mg CaSO4 sich in 100 g HEO 18sen! c(CaSO 4) - Kx/-~L - ~/2,4.10-5 mol 2 / 12 - 4,9.10 -3 mol / 1 Da CaSO4 ein 1:1-Elektrolyt (Typ AB) gilt: c(CaSO4)- c(Ca2§ = 4,9.10-3 mol/1. Cg(CaSO4) = c(CaSO4) 9M(CaSO4) = 4,9-10-3 mol/1. 136,2 g/mol = 0,667 g/1 Die molare LSslichkeit des CaSO4 betr~igt4,9.10-3 mol/1; in 100 g Wasser 18sen sich demnach 66,7 mg CaSO4.
166
.
6 Wasser und w/issrige L6sungen
Vergleichen Sie die L6slichkeiten von Calciumcarbonat und Calciumfluorid anhand der molaren L6slichkeiten bei 25~ Welches Salz ist leichter 16slich? c(CaCO3)
_
x/KL(CaCO3 )
c(CaF2) . 3 ~ . CaW 2
_/~/4,8.10_
9 mo12 /12
I1,7"10-1~ . . 4
_
6'9"10- 5 mol/1
3,49.10 -4 mol / 1
ist in Wasser besser 16slich als CaC03.
Wie ver~indert sich die Konzentration an Ca2+-Ionen einer ges~ittigten CalciumcarbonatlOsung (25 ~ wenn die Carbonationenkonzentration der L6sung auf 0,5 mol/l erh6ht wird? c(Ca2+)
=
KL 4,8.10 -9 mol 2 / 12 = - 9,6-10 -9 mol / 1. c(CO32-) 0,5 mol / 1
Die Konzentration an Ca2+ ~dert sich von 6,9-10-5 mol/1 auf 9,6.10 -9 mol/1.
6.4
W a s s e r und W a s s e r i n h a l t s s t o f f e
6.4.1
Hfirte des Wassers - Enth~irtung
Natiirlich vorkommende W~isser sind niemals ,,rein" im chemischen Sinne. Zum Beispiel enth~ilt Regenwasser durch den Kontakt mit der Luft neben gel6sten Gasen wie N2, O2 und CO2 auch mehr oder weniger groBe Mengen an Staubpartikeln. In Industriegebieten und GroBstadten kommen h~iufig betdichtliche Mengen an SO2 und NO2 dazu. Sie sind ftir die mitunter stark sauren pH-Werte des Regenwassers verantwortlich (Kap. 5.5.3.1). Sobald das Regenwasser die Erdkruste erreicht, setzen sich die Lfseprozesse fort und zwar umso st~irker, je saurer das Wasser ist. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Kohlendioxidgehalt des Wassers. CO2-haltige W~isser sind in der Lage, carbonathaltige Minerale wie Kalkstein CaCO3 und Dolomit CaMg(CO3)2, die wesentlich am Aufbau von Gebirgsztigen und Erdschichten beteiligt sind, als Hydrogencarbonate zu 16sen (G1. 5-29). Zum Beispiel kann CO2-freies Wasser bei Raumtemperatur nur 13 mg CaCO3, CO2-ges~ittigtes Wasser jedoch 1086 mg CaCO3 pro Liter 16sen. Analoge LOslichkeitsverh~iltnisse gelten ftir MgCO3, so dass auf diese Weise Calcium- und Magnesiumionen in Grund- und Oberfl~ichenwasser gelangen. Je nach ihrer Herkunft enthalten die aus unterschiedlichen Ressourcen gewonnenen Trinkund Brauchw~isser unterschiedliche Mengen an Hydrogencarbonaten, Sulfaten und Chloriden der Erdalkalimetalle Calcium und Magnesium. Ca 2+- und Mg2+-Ionen sind fiir die Hfirte des Wassers verantwortlich. Da in der BRD, in Frankreich und in England unterschiedliche Definitionen ftir die Wasserhiirte gebriiuchlich waren, wurde im Zuge einer EU-weiten Vereinheitlichung dieser Begriff neu gefasst und nur noch auf den Gehalt der Calcium- und Magnesiumionen bezogen. Unter der Wasserhfirte versteht man die Stoffmengenkonzentration der Calciumund Magnesiumionen c(Ca2++ Mg 2+) in m m o l pro Liter (DIN 38 409).
6.4 Wasser und Wasserinhaltsstoffe
167
In der Regel besteht die Gesamth~irte zu 70...85% aus der Calcium- und entsprechend zu 30... 15% aus der Magnesiumh~irte. Eine sehr verbreitete und h~iufig angewendete Unterteilung der Wasserh~irte orientiert sich an den vorhandenen Anionen. Man unterscheidet hier zwischen der Carbonath~irte und der Nichtcarbonatharte (auch Resth~irte).
Carbonathiirte (temporfire Hiirte). Die Carbonath~irte (Abk." KH) ist jener Anteil an Calcium- und Magnesiumionen, for den in der Volumeneinheit eine ~iquivalente Konzentration an Hydrogencarbonationen vorliegt. Die KH l~isst sich durch Kochen entfernen (G1. 6-18). T Ca 2+ + Mg 2+ + 4 HCO3- -- "- CaCO3 ~ + MgCO3 ~ + 2 H20 + 2 CO2 (6-18) Kesselstein
Nichtcarbonathiirte (permanente Hfirte). Die Nichtcarbonath~irte (Abk.: NKH) ist der nach Abzug der Carbonath~irte von der Gesamth~irte (GH) gegebenenfalls verbleibende Rest an Calcium- und Magnesiumionen, der vor allem aus der Aufl6sung von Sulfaten und Chloriden stammt. Zur NKH k6nnen auch Nitrate und Phosphate des Calciums bzw. Magnesiums beitragen, wenngleich in deutlich geringerem MafSe. Die Nichtcarbonath~irte l~isst sich nicht durch Kochen entfernen. Carbonat- und Nichtcarbonath~irte addieren sich zur Gesamthiirte: K H + NKH = GH. Obwohl es korrekterweise ,,Hydrogencarbonath~irte" und ,,Nichthydrogencarbonath~irte" heifSen mtisste, haben sich die beiden vorher erl~iuterten Begriffe eingebiirgert. Die Bestimmung der Wasserh~irte geh6rt mit Sicherheit zu den h~iufigsten analytischen Routinebestimmungen sowohl im technischen als auch im naturwissenschaftlichen Bereich. In Deutschland wird die Wasserh~irte h~iufig noch in Grad deutscher HOrte ~ (auch: ~ angegeben. Es gilt: 1~
= 10 mg CaO (bzw. 7,14 mg MgO) in 1 Liter Wasser.
(6-19)
Die Problematik dieser Festlegung besteht darin, dass die Konzentration an H~irtebildnem auf den Gehalt an CaO zurtickge~hrt wird, obwohl diese Verbindung tiberhaupt kein Wasserinhaltsstoff ist. Soll also fiir eine konkrete Problemstellung die H~irte des Wassers bestimmt und DIN-gerecht angegeben werden, kommt nur die Stoffmengenkonzentration der H~irtebildner (berechnet als Calcium) in mmol pro Liter in Betracht. Ftir praktische Zwecke sollte jedoch zus~itzlich die H~irteangabe in ~ erfolgen. Nach dem deutschen Wasch- und Reinigungsmittelgesetz werden vier H~irtebereiche unterschieden (Tab. 6.6).
Hfirtebereiche 1 2 3 4
(weich) (mittelhart) (hart) (sehr hart)
c ( C a 2+ +
Mg 2+ )/Liter H20
< 1,3 1,3 ... 2,5 2,5 ... 3,8 > 3,8
mmol mmol mmol mmol
Es gilt: 1 mmol (Ca 2+ + Mg 2+) = 5,6~
~
< 7 7 ... 14 14 ... 21 > 21
Tabelle 6.6 H~rtebereiche
168
6 Wasser und wassrige L6sungen
Daneben ist noch folgende Unterteilung tiblich: 0...4~ (0...0,71 mmol Ca 2+ + Mg2+): sehr welch; 4...8~ (0,71...1,43 mmol): weich; 8...12~ (1,43...2,14 mmol): mittelhart; 12... 18~ (2,14...3,21 mmol): ziemlich hart; 18...30~ (3,21...5,35 mmol): hart," >30~ (>5,36 mmol): sehr hart. Wasser mittlerer Hiirte mit einem hohen Gehalt an Hydrogencarbonat schmeckt frischer und ist als Trinkwasser hervorragend geeignet. Ist Wasser zu hart, kann z.B. der Geschmack von Tee und Kaffee beeintriichtigt werden. Waschaktive Substanzen werden in hartem Wasser teilweise unwirksam. Beim Waschen mit Seife entstehen Calcium- und Magnesiumseifen (schwer 16sliche Ca- und Mg-Salze der Fetts~iuren), die sich auf den Textilien niederschlagen und sie vergrauen lasst. Durch die H~irtebildner kommt es im Rohrleitungssystem zur Ausbildung von Schutzschichten aus Calcium- und Magnesiumcarbonat. Obwohl diese Schichten die Korrosion wenigstens teilweise unterbinden, fiihren sie in Abh~ingigkeit von der Zusammensetzung und der Struktur zu einem Mehrverbrauch an Energie. Er ist bei einer kristallinen, weitgehend homogenen, harten Kalkschicht deutlich h/$her als bei einer portisen, heterogenen, mit Rostablagerungen durchzogenen Kalkkruste. Fiir eine Vielzahl technischer Anwendungen ist hartes Wasser ungtinstig bzw. unbrauchbar. Deshalb wird in weiten Bereichen der Industrie wie Kraftwerken, Druckereien, Papierfabriken und Brauereien das Wasser enthiirtet oder zumindest teilenth~irtet, um Ablagerungen von Kesselstein bzw. andere st6rende Reaktionen zu vermindern bzw. ganz auszuschlieBen. Historisch bedeutsame Verfahren zur Wasserenth~irtung sind die Destillation des Wassers bzw. die ehemisehe Ausf'fillung stSrender Ionen als schwer ltisliche Verbindungen. Als Beispiel ftir letztere MSglichkeit soil das Kalk-Soda-Verfahren genannt werden. Durch Zugabe von Ca(OH)2 wird die tempor~ire H~irte (GI. 6-20) und durch Zugabe von Na2CO3 (Soda) die permanente Sulfath~irte (GI. 6-21) beseitigt. Ca(HCO3)2 + Ca(OH)2 ~
2 CaCO3~ + 2H20
(6-20)
CaSO4 + Na2CO3
CaCO3~ + Na2SO4
(6-21)
~
Da die bei diesem Verfahren erreichte Enth~irtung des Wassers bis auf etwa 0,3~ ftir die Dampferzeugung in H/Schstdruckkesseln nicht ausreicht, erfolgt h~iufig eine Nachenthartung mit Trinatriumphosphat Na3PO4. Die noch im Wasser enthaltenen Spuren an Ca- und Mg-Ionen werden als schwer 16sliche Phosphate gef~illt, wobei gleichzeitig leicht 1/$sliche Natriumsalze entstehen (GI. 6-22). 2Na3PO4 + 3 Ca(HCO3)2--~ Ca3(PO4)2~ + 6NaHCO3.
(6-22)
Heute wird zur vollst/indigen Enth/irtung des Wassers die Methode des Ionenaustauschs genutzt. Das Prinzip eines Ionenaustauschers besteht darin, st6rende Kationen wie CaR+, Mg 2+, aber auch Sr2+, Ba 2+, Na + gegen H30+-Ionen (Kationenaustauscher) bzw. st6rende Anionen wie CI-, SO42-, CO32-/HCO3- gegen OH--Ionen (Anionenaustauscher) auszutauschen. Kationenaustauscher sind Polystyrolharze mit sauren Gruppen wie z.B. der Sulfons~iuregruppe R-SO3- H + oder der Carboxylatgruppe R-COO- H +. Anionenaustauscher sind Polystyrolharze mit positiven Ladungen an terti/iren oder quartaren Ammoniumgruppen.
6.4 Wasser und Wasserinhaltsstoffe
169
Als Anionen enthalten sie meist Hydroxidionen, z.B. R-NMe3 § OH-, Me = Methylgruppe. Leitet man Wasser durch S~iulen mit Kationen- bzw. Anionenaustauscher, so laufen die in Abb. 6.16 dargestellten Reaktionen ab. Es werden Salzgehalte von 0,02 mg pro Liter erreicht. Durch Versetzen der Filter mit S~iuren (HCI) oder Laugen (NaOH) und nachfolgendem Waschen erfolgt eine Regenerierung. In der Technik verwendet man zunehmend Mischbett-Ionenaustauscher, in denen die Polystyrolharze nebeneinander in der sauren und der basischen Form vorliegen. Die vom Kationenaustauscher abgegebenen H§ reagieren mit den vom Anionenaustauscher abgegebenen OH--Ionen zu Wasser. Auf diese Weise wird auch demineralisiertes Wasser im chemischen Labor gewonnen. Kationenaustausch
S O 3- H § C a 2+
+
Enthartung
SO3-
Regenerierung mit HCI
SO 3-
C a 2+
+
2 H+
SO4 2-
+
2 OH-
---SO
3_ H§
Anionenaustausch
NR3§ OHSO4 2-
+
Enth~irtung ~
NR3+ OH-
NR3 + -~
Regenerierung mit NaOH
NR3§
Abbildung 6.16 Schema des Kationen- und Anionenaustauschs
In Vollwaschmitteln sorgen die Gertiststoffe (builder) fiir die Enthartung des Wassers und garantieren damit die Funktionsf~ihigkeit der waschaktiven Substanzen (Kap. 6.2.2.3). Ihr Anteil betdigt ca. 20 bis 55%. Ende der 80iger Jahre spielten Polyphosphate, wie z.B. das Pentanatriumtriphosphat NasP3010, die dominierende Rolle. Ihre Funktion bestand darin, die H[irtebildner komplex zu binden. Der/Skologische Pferdefu6 des Einsatzes von Phosphaten in Waschmitteln ist bekannt: Phosphor (als Phosphat) ist ein wichtiger Pflanzenn~ihrstoff. Wird er tiber das biologische Gleichgewicht hinaus angeboten, mutiert er zum St/Srfaktor im Selbstreinigungsmechanismus der Gewasser. Durch die unbegrenzte F/3rderung des Algenwachstums in Fltissen und Seen (Eutrophierung) ger~it als Folge des sich einstellenden Sauerstoffdefizits das Leben in den Gew~issem in Gefahr. Die in der Zwischenzeit eingefiihrten phosphatfreien Waschmittel enthalten Zeolithe (Kap. 9.2.3.1) als Wasserenth~irter. Zeolithe sind kristalline wasserhaltige Alumosilicate mit einer hohlraumreichen Geriiststruktur, in der Alkalimetallionen enthalten sind. Die wasserunl6slichen Makromolektile wirken als Ionenaustauscher. Die Na+-Ionen im synthetisch hergestellten Zeolith A (Sasil, Na12[(AlO2)12(SiO2)12] 9 27 1-120) sind in dem Si-A1-O-Gertist frei beweglich und lassen sich leicht gegen die H~irtebildner Ca 2+ und Mg 2+ austauschen. Zeolithe sind wegen ihrer Wasserunl6slichkeit 6kologisch unbedenklich, vermehren allerdings die Kl~irschlammenge.
170
6 Wasser und w~issrige L6sungen
Wasser sehr hoher Reinheit kann durch die Technologie der Umkehrosmose erhalten werden. Dabei driickt man Leitungswasser mit 2...20 bar gegen eine semipermeable Polymermembran, wobei ein molekularer Trennprozess stattfindet. Die Wassermolekiile k6nnen in umgekehrter Richtung zur ,,normalen" Osmose (s. Kap. 9.3.3.4.2) - die ultrafeinen Poren der Membran passieren. Unerwiinschte Stoffe und Kontaminationen wie Salze (z.B. Carbonate, Nitrate und Sulfate), Schwermetalle, organische Verbindungen (Dioxine, Pestizide), ja selbst h6hermolekulare Species wie Viren und Bakterien werden dagegen, je nach Molekiildurchmesser und Ausgangskonzentration, zu 90...99% zuriickgehalten.
6.4.2 Trinkwasser Trinkwasser ist Wasser, das f'tir den menschlichen Bedarf bzw. die Zubereitung der Nahrung geeignet ist. Es ist fiir uns das wichtigste, unersetzliche Lebensmittel. Trinkwasser muss keimarm, appetitlich, farblos, ktihl (6...10~ geruchlos, geschmacklich einwandfrei sein und darf nur einen geringen Gehalt an gel6sten Stoffen besitzen (DIN 2000). Da die ~ r die Trinkwassergewinnung zum Einsatz kommenden Wasser (Grund-, Quell- bzw. Oberflachenwasser) auf natiirliche Weise oder durch anthropogene Aktivit~iten bedingt eine Vielzahl gel6ster chemischer Stoffe bzw. Mikroorganismen enthalten k6nnen, mtissen bestimmte Giiteeigenschaften erfiillt sein. Sie sind in der Trinkwasserverordnung [UC 6] niedergelegt und gelten selbstverst~indlich auch ftir Betriebsw~isser der Lebensmittelindustrie. Tabelle 6.7 Grenzwerte for chemische Stoffe; Auszug aus der Verordnung 0ber Trinkwasser und 0ber Wasser for Lebensmittelbetriebe (Trinkwasserverordnung vom 22. Mai 1986, Novellierung vom 21. Mai 2001 [UC 6]) Stoffe
Grenzwert (mg/l)
Stoffe
Grenzwert (mg/l)
Arsen Blei Cadmium Chrom Cyanid Fluorid Nickel Nitrat Nitrit Quecksilber Kupfer
0,01 0,01 0,005 0,05 0,05 1,5 0,02 50 0,5 0,001 2
Polycylische aromatische Kohlenwasserstoffe
0,0001 (insgesamt)
Trihalogenmethane: Trichlormethan, Bromdichlormethan, Dibromchlormethan und Tribrommethan
0,05 (insgesamt)
Pflanzenschutzmittel (PSM) und Biozidprodukte
0,0001 (einzelne (Substanz) 0,0005 (insges.)
Die festgeschriebenen Grenzwerte fiir Metalle und Anionen, fiir polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), organische Chlorverbindungen, chemische Stoffe zum Pflanzenschutz und zur Sch~idlingsbekampfung einschlief~lich ihrer Abbauprodukte diirfen nicht iiberschritten werden (Tab. 6.7). Die Einhaltung der Grenzwerte fiir Eisen (0,5 mg/1) und Mangan (0,12 mg/1) erweist sich im Hinblick auf die Vermeidung von Verstopfungen in Trinkwasserrohrleitungen als ~iuflerst sinnvoll.
6.4 Wasser und Wasserinhaltsstoffe
171
GroBe praktische Bedeutung bei der Untersuchung des Trinkwassers hat der Nachweis von Escherichia coli (Coli-Bakterien). Denn bei einem Vorkommen fiber einer niedrig angesetzten Schwellenkonzentration ("keine E. coli-Zelle in 100 ml Trinkwasser") wird eine Verunreinigung des Wassers mit Fakalien angenommen, die dann auch die Gefahr einer Kontamination mit pathogenen Bakterien mit sich bringen wiirde. Trinkw~isser werden deshalb regelm~iBig auf die Anwesenheit von E. coli (und coliformen Bakterien) als Indikator untersucht. Die sicherste Methode der Keimt/Stung ist neben der ebenfalls wirksamen, aber teureren Ozonierung immer noch die Chlorierung des Wassers.
6.4.3
Wasser im Bauwesen
Im Bauwesen spielt Wasser vor allem als Zugabe- und Baugrundwasser, aber auch als Abwasser oder Regenwasser eine wichtige Rolle. Als Zugabe- oder Anmachwasser f'tir M6rtel oder Beton kann jedes nattirlich vorkommende Wasser genutzt werden, das nicht verunreinigt ist und dessen Salzgehalt unter 3,5% (Abdampfrtickstand) liegt. Ansonsten ist mit Ausbltihungen bzw. anderen schadigenden Folgereaktionen zu rechnen (Kap. 9.4.4). Ein hoher Chloridgehalt ist insbesondere bei Zugabew~issem fiir bewehrten Beton oder M/Srtel zu vermeiden, da die Chloridionen durch elektrochemische Effekte korrosiv auf die Bewehrung wirken (9.4.2.3).
Tabelle 6.8a Betonangriff durch aggressive chemische Umgebung (Expositionsklassen) Klasse
Umgebung
Beispiele
XA1
chemisch schwach angreifende Umgebung nach Tab. 6.8b
Behfilter von Klfiranlagen, GUllebehfilter
XA2
chemisch m~ig angreifende Umgebung nach Tab. 6.8b und Meeresbauwerke
Betonbauteile, die mit Meerwasser in BerOhnmg kommen; Bauteile in betonangreifenden BOden
XA3
chemisch stark angreifende Umgebung nach Tab. 6.8b
Industrieabwasseranlagen mit chemisch angreifenden Abw~issem; G~irfuttersilos und Futtertische der Landwirtschaft; Ktihltiirme mit Rauchgasanbindung.
Die sch~idigende Wirkung von Baugrundwasser ist in erster Linie auf das Vorhandensein von freier Kohlensaure und Sulfaten zuriick~fiihren. Zum Beispiel k/Snnen bei stark mit Gips durchsetzten Bodenschichten (Gipsmergel, Gipskeuper) Sulfatgehalte bis zu 1500 mg SO42- pro Liter im Grundwasser auftreten. In B6den mit hohen Anteilen an Mtill (alte Deponien), Bauschutt, Industrieabf~illen oder Schlacke sind die Grundw~isser meist reich an Chloriden, Sulfaten, Ammoniumsalzen und freier Kohlens~iure. Prinzipiell ist die Betonsch~idigung stehender Gew~isser geringer als die flieBender, da im letzteren Fall die angreifenden Ionen kontinuierlich neu herangefiihrt werden.
172
6 Wasser und w~issrige LOsungen
Ftir die Beurteilung der Aggressivit~it von W~issem nattirlicher Zusammensetzung gegenfiber einem Angriff auf Beton wurden auf der Grundlage der in Tab. 6.8b aufgefiihrten Grenzwerte die Expositionsklassen XA1, XA2 und XA3 festgelegt (Tab. 6.8a). Die Grenzwerte (Tab. 6.8b) gelten fiir stehendes bzw. schwach fliefJendes, in groBen Mengen vorhandenes Wasser, bei dem die Ionenkonzentration weitgehend konstant sein soll.
Tabelle 6.8b
Grenzwerte for die Expositionsklassen bei chemischem Angriff durch Grundw~sser (DIN EN 206-1/DIN 1045-2) Expositionsklassen
chemisches Merkmal XAI
XA2
XA3
pH-Wert
6,5 ... 5,5
< 5,5 ... 4,5
< 4,5 und > 4,0
kalklOsende Kohlensaure (CO2) (mg/1) Sulfat (mg/1) NH4§ (mg/1) Mg2§ (mg/1)
15 ... 40 200 ... 600 15 ... 30 300 ... 1000
> 40 ... 100 > 600 ... 3000 > 30 ... 60 > 1000 ... 3000
> 100 bis zur Siittigung > 3000 und < 6000 > 60 ... 100 > 3000 bis zur Siittigung
Die Belastungen des Abwassers kOnnen physikalischer oder chemischer Natur sein. Im Bereich der Energieerzeugung entsteht sogenanntes ,,thermisch verschmutztes" Ktihlwasser. Durch die Erwarmung wird die WasserlOslichkeit des Sauerstoffs verringert und damit das Sauerstoffangebot fiJr Lebewesen in den Gew~issem reduziert. Die chemische Belastung dutch Fest- bzw. Schwebstoffe und gelOste Stoffe kann je nach Herkunft des Abwassers sehr unterschiedlich sein. Hiiusliche Abwiisser enthalten vor allem Phosphate, neben Tensiden (Waschmittel) und fiikalischen Bestandteilen. Die Phosphate stammen in erster Linie aus den Humanexl~ementen, kaum noch aus Waschmitteln. Die aggressiven Eigenschaften sind in erster Linie auf die in bestimmten Sanit~ir-Reinigungsmitteln enthaltenen Laugen (z.B. NaOH) bzw. S~iuren (z.B. H2SO4 oder Essigs~iure CH3COOH) zu~ckzufiihren. Die Nitratbelastung der W~isser geht ebenfalls zu etwa einem Viertel auf die Haushalte zu~ck. Der gr0Bere Teil des Nitrats stammt jedoch aus der Landwirtschaft (Tierhaltung, Mineraldtinger, organische Diinger). Gewerbliche und industrielle Abwiisser enthalten hiiufig anorganische (HCI, H2SO4, HNO3) und organische S~iuren (Essigs~iure, Milchs~iure, Fruchtsiiuren), neben unterschiedlichen Konzentrationen an Schwermetallen. Schwermetalle und anorganische S~iuren stammen vor allem aus Abw~issem der metallverarbeitenden Industrie, organische S~iuren aus den der Lebensmittelindustrie und des G~irungsgewerbes. Baugrundw~isser mit einem Chloridgehalt > 1500 mg/1 bzw. einem Nitratgehalt > 150 mg/1 bewirken ebenfalls eine Sch~idigung des Betons.
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
173
6.5
Chemische Reaktionen in L6sung
6.5.1
Komplexbildungsreaktionen
6.5.1.1
Hydratation als Komplexbildung -Aufbau der Komplexe
Durch Anlagerung von neutralen Wassermolektilen an ein positiv geladenes Metallion bilden sich hydratisierte Kationen (Kap. 6.3.1). Dieser Hydratationsprozess kann als Spezialfall eines allgemeinen Reaktionstyps der anorganischen Chemie, der Komplexbildungsreaktion, verstanden werden. Die entstehenden Verbindungen nennt man Komplexverbindungen (Metallkomplexe, Komplexe oder Koordinationsverbindungen). Im Resultat der Hydratation eines Metallkations werden Aquakomplexemit in der Regel sechs angelagerten H20-Molektilen erhalten. Bei der Komplexbildung gruppiert sich eine bestimmte Anzahl von Molekiilen oder Ionen in einer definierten geometrischen Anordnung um ein zentrales Metallatom bzw. -ion. Es entsteht eine komplexe Baugruppe, die auch bei Dissoziation der Verbindung in wfissriger L6sung als solche erhalten bleibt.
In den Formeln der Komplexverbindungen werden das komplexe Kation bzw. das komplexe Anion durch eckige Klammern gekennzeichnet.
[Co(NH3)6]C13 - - -
[Co(NH3)6] 3+ +
Na[AI(OH)4]
Na § + [AI(OH)4]-
--
3 C1-
Die Ladung eines Komplexes ergibt sich als Summe der Ladungen aller im Komplex enthaltenen Ionen. Erfolgt ein Ladungsausgleich, liegt ein Neutralkomplex vor. Der grunds~itzliche Unterschied zu einem Salz besteht darin, dass die Anlagerung geladener Ionen um ein Metallion tiber die st6chiometrische Wertigkeit des Metallions hinaus erfolgen kann. Zur Nomenldatur von Metallkomplexen gibt es klare Festlegungen [AC 1, AC 2]. Der Formalismus soil an drei ausgewahlten Beispielen gezeigt werden:
[Co(NH3)6]C13 K4[Fe(CN)6] [CuC12(H20)2]
Hexaammincobalt(III)-chlorid Kalium-hexacyano ferrat(II) Diaquadichlorokupfer(II).
Metallkomplexe bestehen aus einem Zentralatom (oder-ion) und den Liganden. Die Liganden sind entweder Ionen, wie z.B. Halogenidionen und Hydroxidionen, oder Neutralmolektile, wie z.B. H20 und NH3. Sie mtissen tiber wenigstens ein freies Elektronenpaar verftigen. Die freien Elektronenpaare sind von entscheidender Bedeutung fiir das Zustandekommen der chemischen Bindung zwischen Zentralatom und Ligand. Sie werden vom Liganden zur Verffigung gestellt. Der grundlegende Unterschied zwischen der Bindung in Metallkomplexen und der kovalenten Bindung liegt damit einzig und allein im Bildungsschritt: W~ihrend bei der kovalenten Bindung beide Partner ein ungepaartes Elektron zum gemeinsamen Bindungselektronenpaar beisteuern, stammen die beiden Elektronen der Elektronenpaarbindung zwischen
174
6 Wasser und w~issrige L/Ssungen
Metall und Ligand ausschliefSlich vom Liganden. Generell steht die chemische Bindung in einem Metallkomplex (frtiher: koordinative Bindung) in enger Beziehung zur Kovalenz. Sie kann als polare Atombindung betrachtet werden. Im Sprachgebrauch der Komplexchemie sagt man, der Ligand ist am Metall ,,koordiniert". Mit Ausnahme von einatomigen Liganden wie F-, C1- und 02- ist das am Metall koordinierende Atom (Hafiatom) Bestandteil eines Molektils (NH3, I-I20) oder eines zusammengesetzten Ions (CN-, SCN-). Wird pro Ligand nur eine Elektronenpaarbindung zum Metallzentrum ausgebildet, liegen einziihnige Liganden vor. Eine Reihe von Liganden enthalten mehrere Haftatome in sterisch gtinstiger Stellung. Sie sind deshalb in der Lage, mehr als eine Koordinationsstelle am Zentralatom zu besetzen (mehrziihnige Liganden). Ein mehrz~ihniger Ligand umschliefSt das Zentralatom zangenf'6rmig. Deshalb werden die entstehenden Komplexe als Chelatkomplexe oder kurz Chelate (griech. chele, Krebsscheren) bezeichnet. Bevorzugt werden fiJnf- und sechsgliedrige Ringe gebildet. Chelatkomplexe sind im Allgemeinen stabiler als Komplexe mit einz~ihnigen Liganden. Ein Beispiel ftir einen h~iufig verwendeten, einfach aufgebauten Chelatliganden ist das Ethylendiamin H2N-CH2-CH2-NH2 (Abk.: en). Dieser zweiz~ihnige Ligand kann mit den freien Elektronenpaaren der beiden N-Atome zwei Koordinationsstellen am Zentralatom besetzen (Abb. 6.17). H2
2
H2C ./ I
H2N
N/ ~
/~
+
I
Cu2+
.,c,
- "
//
H2C./
H2 Ethylendiamin (en)
\ Cu2+ /
~
,
NH2
~\
/
/
// CH2
\_,y.
H2
NH2 [Cu(en)2]2§
Abbildung 6.17 Komplexbildung zwischen dem zweiz~ihnigen Liganden Ethylendiamin (en) und Cu2+. Es entsteht das Bis(ethylendiamin)kupfer(ll)-ion. CI Cl~
)~Cl
Cl ~ C a)
Oktaeder
b)
~ 3-
~Cl CI
[COCI6]3-
Abbildung 6.18 a) Oktaedrische Koordinationsgeometrie: Ein Oktaeder kann durch sechs einz~hnige, drei zweiz~ihnige (z.B. en) oder einen sechsz~hnigen Liganden (z.B. EDTA, Kap. 6.5.1.2) gebildet werden, b) [COCI6]3- als Beispiel f0r einen oktaedrischen Komplex, Koordinationszahl 6.
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
175
Die Anzahl der Haftatome der Liganden, mit denen das Zentralatom (-ion) im Komplex verbunden ist, bezeichnet man als die Koordinationszahl des Komplexes. Nur bei einz~ihnigen Liganden ist die Koordinationszahl mit der Anzahl der koordinierten Liganden identisch. Viele Obergangsmetalle haben unterschiedliche Koordinationszahlen, am h~iufigsten treten die Koordinationszahlen sechs und vier auf. Die unterschiedlichen Koordinationszahlen sind mit unterschiedlichen Koordinationsgeometrien verkniipft. In Komplexen mit der Koordinationszahl 6 besetzen die Haftatome in der iiberwiegenden Mehrzahl der F~ille die Ecken eines reguRiren oder verzerrten Oktaeders mit dem Metallion im Zentrum (Abb. 6.18). Weitere Beispiele ftir oktaedrische Komplexe sind [CrF6] 3-, [Fe(CN)6] 3- und [Co(en)3] 3+. In Obergangsmetallkomplexen mit der Koordinationszahl 4 (Abb. 6.19) befinden sich die Haftatome der Liganden an den Ecken eines Tetraeders, wie im [AI(OH)4]- und [ZnCI4]2-, oder an den Ecken eines Quadrates, wie im [Ni(CN)4] 2- und [Cu(NI-I3)4] 2+ (Festzustand!). Es liegen tetraedrisehe oder tluadratiseh-planare Komplexe vor. Komplexe mit der Koordinationszahl 2 sind linear aufgebaut. Als Beispiele sollen die beiden Silberkomplexe [Ag(NH3)2]§ (G1. 6-17b) und [Ag($203)2] 3- angeRihrt werden. Letzterer Komplex entsteht bei der Fixierung des entwickelten Silberhalogenidbildes mit Natriumthiosulfat Na2S203 (Photographie).
& J-_ tetraedrisch
quadratisch-planar
Abbildung 6.19 Tetraedrische und quadratisch-planare Koordinationsgeometrie. Komplexe dieser Koordinationsgeometrie kt~nnen durch vier einz~hnige bzw. zwei zweiz~hnige Liganden gebildet werden. Bei Koordination mehrz~ihniger Liganden kommt es generell zu Abweichungen von den reguRiren Geometrien des Oktaeders, Tetraeders bzw. Quadrates.
6.5.1.2
Analytische Bedeutung von Komplexverbindungen
Komplexbildungsreaktionen, die mit Farb- bzw. L/Sslichkeits~inderungen gekoppelt sind, bilden haufig die Grundlage qualitativer und quantitativer Nachweisreaktionen. Zum Beispiel wird zum qualitativen Nachweis von Kupfer(II)-Ionen die Komplexbildung mit NH3 herangezogen. Genauer betrachtet handelt es sich bei der Bildung des tiefblauen Tetraammindiaquakupfer(II)-Komplexes um einen sukzessiven Austausch der H20- gegen die NH3Liganden (G1. 6-23). Es liegt eine Ligandenaustauschreaktion vor. Aufgrund der besonderen Geometrie des entstehenden Tetraammindiaquakupfer(II)-Komplexes wird h~iufig die einfachere Formel [Cu(NH3)4]2+ bevorzugt (s.a. Kap. 8.3.2, GI. 8-21). [Cu(H20)6] 2+ + hellblau
4NH3
-"-
[Cu(NH3)4(H20)2] 2+ + 4H20 tiefblau
(6-23)
176
6 Wasser und w/issrige L6sungen
Zum analytischen Nachweis von Fe(III) wird meist die Farbreaktion mit SCN- (Thiocyanat- oder Rhodanidion) herangezogen (G1. 6-24). Auch bei dieser Umsetzung handelt es sich um eine Ligandenaustauschreaktion. [Fe(H20)6] 3+ + SCN-
-~
blassgelb
[Fe(H~_O)sSCN]2+ + H20
(6-24)
blutrot
Komplexbildungsreaktionen k6nnen auch zur quantitativen Bestimmung von Metallionen durch Titration herangezogen werden. Unter einer Titration versteht man ein maBanalytisches Verfahren, bei dem eine unbekannte Menge einer gel6sten Teilchenart dadurch ermittelt wird, dass man sie quantitativ von einem chemisch exakt definierten Ausgangszustand in einen ebenfalls exakt definierten Endzustand iiber~hrt (Maflanalyse, Volumetrie). Bei den Teilchen kann es sich um Protonen oder Hydroxidionen (S~ure-Base-Titration), um Oxidations- oder Reduktionsmittel (Redoxtitration) oder um Metallionen bzw. S/iurerestionen (Komplexometrie, F~llungstitration) handeln. Zu der zu bestimmenden L6sung wird solange eine L6sung bekannter Konzentration zugeftigt, bis ein vollst~indiger Umsatz zwischen den interessierenden Teilchenarten erfolgt ist. Dabei kommt es auf eine genaue Messung des zugegebenen Volumens an. Die L6sung bekannter Konzentration (MaBlSsung) befindet sich in einer Btirette. Die Btirette ist ein Glasrohr mit einer geeichten Graduierung, an dessen unterem Ende sich ein Glashahn befindet. Er erm6glicht die kontrollierte Zugabe der MaBl6sung zu der zu bestimmenden L6sung. Zur Erkennung des Endpunktes oder Aquivalenzpunktes werden unterschiedliche Methoden eingesetzt (Kap. 6.5.3.3). Bei der komplexometrischen Titration (Komplexometrie) erfolgt die quantitative Bestimmung von Metallionen mittels mehrzahniger organischer Liganden (Komplexone). Das praktisch wichtigste Komplexon ist das Dinatriumsalz des sechsz/ihnigen Liganden Ethylendiamintetraessigs~iure, das Dinatrium-ethylendiamintetraacetat (EDTA). EDTA ist ein ausgezeichneter Komplexbildner ftir die meisten zwei- und dreiwertigen Metallionen (Abb. 6.20). Zur Erkennung des Aquivalenzpunktes, an dem sich die zu bestimmende Menge an Metallion und die zugegebene Menge an Komplexon genau entsprechen, also •quivalent sind, benutzt man sogenannte Metallindikatoren. Metallindikatoren sind organische Farbstoffe, die der Untersuchungsl6sung vor der eigentlichen Titration zugefiJgt werden und die mit den Metallionen farbige Metall-Indikator-Komplexe bilden. Bei der nachfolgenden Titration mit dem Komplexbildner EDTA entsteht ein Metall-EDTA-Komplex, der stabiler als der vorliegende Metall-Indikator-Komplex ist. Es l/iuft wiederum eine Ligandenaustauschreaktion ab. Der anfangs am Metall komplex gebundene Farbstoffiigand wird im Verlauf der Titration sukzessive durch EDTA verdr/ingt: ==
Metall-Indikator-Komplex + EDTA Farbe I
Metall-EDTA-Komplex + Indikator. Farbe II
Die Farbe des freigesetzten Indikators, die sich vonder des Metall-Indikator-Komplexes unterscheiden muss, zeigt den Aquivalenzpunkt an. Auf komplexometrischem Wege ist es mSglich, die Gesamth/irte von W~issem, also die im Wasser enthaltene Menge an Calciumund Magnesiumionen, zu bestimmen.
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
177
-]2-
o
c.
H
H2 / N < C H 2 COO(~ OH 2 C O O + Ca 2+
H C\ c(OH-) c(H30 +) < c(OH-) c(H30 § = c(OH-).
saure L6sung basische (alkalische) L6sung neutrale L6sung
In einer sauren L6sung mit einer hohen Konzentration an c(H30 § muss demzufolge die OH--Konzentration niedrig sein, damit das Produkt beider Ionenkonzentrationen wieder den Wert Kw = 10-14 mo12/12 (25~ besitzt. Entsprechend gilt ftir den umgekehrten Fall einer alkalischen L6sung: Eine hohe Konzentration an OH- bedingt eine niedrige Konzentration an H30+-Ionen. Es ist iiblich, den sauren bzw. alkalischen Charakter von L6sungen quantitativ durch die vorliegende Konzentration an H30 § zu beschreiben. Um m6glichst einfache Zahlenangaben zu erhalten, fiihrte S6rensen 1909 den pH-Wert (lat. potentia hydrogenii, Wirksamkeit des Wasserstoffs) ein. Der pI-I-Wert ist der negative dekadische Logarithmus des Zahlenwertes der H30+-Kon zentration, die in mol/l anzugeben ist (G1. 6-36). In der Praxis wird anstelle des pH-Wertes mitunter vom Siiuregrad einer L6sung gesprochen. p H - - lg c(H30+ ) tool. 1-1
(6-36)
L6sungen mit pH = 7 bezeichnet man als neutral, L6sungen mit pH < 7 als sauer und L6sungen mit pH > 7 als basiseh bzw. alkalisch. Ist der pH-Wert einer LOsung bekannt, kann man nach Beziehung (6-37) die Konzentration an 1-130§ ermitteln. c(H30 +) = 10-pH mol/1.
(6-37)
Ebenfalls gebr~iuchlich ist der analog definierte pOI-I-Wert (G1. 6-38). p O H -- - lg
(OH-)
(6-38)
tool. 1-1
Der pOH-Wert ist mit dem pH-Wert fiber das Ionenprodukt des Wassers (G1. 6-34) verkn~pft. pH + pOH-
p K W - 14
[
(6-39)
Tab. 6.9 enth~ilt Ionenkonzentrationen und zugehSrige pH-Werte fiir saure, neutrale und alkalische LOsungen (pI-I-Skala). In Tab. 6.10 sind die pH-Werte einiger im t~iglichen Leben h~iufig vorkommender LSsungen zusammengestellt.
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
c(H30 § in mol/i
187
pH
Eigensehafl der L6sung
10 ~ = 1 10-1 10-2 10-3 10-4 10-5 10 -6
0 1 2 3 4 5 6
sauer
10 -7
7
neutral
7
10-7
10 -8
8 9 10 11 12 13 14
alkalisch
6 5 4 3 2 1 0
10-6 10-5 10-4 10-3 10-2 10-l 10~ 1
10 -9
10-10 10TM 10-12 10 -13 1 0 -14
pOH
c(OH-) in mol/!
14 13 12 11 10 9 8
10 -14
Tabelle 6.9
10 -13
pH-Skala mit den zugeht~rigen Konzentrationen an H30 § - und OH--Ionen
10 -12
10-11 10-1~ 10 -9
10 -8
Tabelle 6.10 pH-Werte einiger h~ufig vorkommender L6sungen Substanz
pH
Substanz
pH
1 mol/l HC1 Magensaft Orangensaft Haushaltessig Coca Cola Wein Tomatensaft Regen (BRD, mittlerer Wert) Bohnenkaffee
0 0,9 ... 1,6 2,8 2,5 ... 3,0 3,0 3,5 4,0
Bier Unbelastetes Regenwasser (CO2-ges~Rtigt) Trinkmilch Wasser (chem. rein, 25~ Blut Meerwasser Seifenlauge Kalkwasser, ges~tttigt 1 mol/1NaOH
5,0 ... 5,5
4,1 5,0
5,6 6,4 ... 6,7 7,0 7,4 7,8 ... 8,2 8,2 ... 8,7 12,5 14,0
Ftir zahlreiche praktische Aufgabenstellungen besitzt eine einfache und rasche p H - W e r t M e s s u n g grof3e Bedeutung. Die ngiherungsweise Bestimmung des pH-Wertes kann mit Universalindikatoren erfolgen, die gew6hnlich in Form von L6sungen oder Indikatorpapieren vorliegen. Ein U n i v e r s a l i n d i k a t o r ist ein Gemisch von Indikatoren, das bei verschiedenen pH-Werten unterschiedliche Farben annimmt. Anhand einer zugeh6rigen Farbvergleichsskala kann der pH-Wert ermittelt werden.
6.5.3.3
Indikatoren, Siiure-Base-Titration, Normall6sungen
S i i u r e - B a s e - I n d i k a t o r e n sind organische Farbstoffe, die selbst schwach sauren bzw. schwach basischen Charakter aufweisen und deren Saure eine andere Farbe besitzt als die
188
6 Wasser und w~issrige LSsungen
korrespondierende Base. So ist z.B. beim Indikator Methylorange die S~iure rot und ihre korrespondierende Base gelb. Bezeichnet man die Indikators~iure mit Hind, kann man fiir das in w~issriger L6sung vorliegende reversible Protolysegleichgewicht schreiben: Hind + H20 rot
--
H30 + + Ind-. gelb
(6-40)
Die aktuelle Farbe der Indikatorl6sung ergibt sich aus dem im Gleichgewicht vorliegenden Verh~iltnis c(Hlnd) : c(Ind-) und damit aus der Lage des pH-abh~ingigen Protolysegleichgewichts (6-40). Eine Emiedrigung des pH-Wertes (Zusatz von S~iure) ftihrt zu einer Verschiebung des Gleichgewichts nach links, die L6sung nimmt die Farbe der Indikators~iure Hind an. Dagegen fiihrt eine Erh6hung des pH-Wertes (Zusatz von Base) zur Farbe der Indikatorbase Ind-. Methylrot, Methylorange und Lackmus sind Zweifarbenindikatoren, Phenolphthalein ist ein Einfarbenindikator. Bei Phenolphthalein ist die S~iureform farblos, die Baseform rotviolett. Diesen gut wahmehmbaren Farbumschlag von rotviolett nach farblos nutzt man bei der Bestimmung der Carbonatisierungstiefe von Beton (Kap. 9.4.2.3.1). Die Umschlagsbereiche und Farbanderungen einiger ausgew~ihlter Indikatoren sind in der nachfolgenden Tabelle enthalten:
Indikator Methylorange Methylrot Lackmus Phenolphthalein
Umschlagbereich (pH) 3,0 ... 4,4 ... 5,0 ... 8,4 ...
4,4 6,2 8,0 10,0
Farbfinderung rot ... gelborange rot ... gelb rot ... blauviolett farblos ... rotviolett
In einer Reihe von Fallen reicht die Genauigkeit der Indikatormethode zur pH-Wert-Messung nicht aus. Dazu kommt, dass der pH-Wert farbiger L6sungen mit Farbindikatoren naturgem~iB nicht bestimmbar ist. Die pH-Wert-Messung erfolgt dann meist mittels pHMeter. In einem pH-Meter ist eine Elektrode, deren Potential v o n d e r Konzentration der H30+-Ionen in L/Ssung abh~ingt, gegen eine Bezugselektrode mit einem konstanten Potential geschaltet (Kap. 7.3.3). Als pH-abh~ingige Elektrode wird in der Regel eine Glaselektrode eingesetzt. Sie besteht aus einer kleinen diinnwandigen Glaskugel, die mit einer Pufferltisung bestimmten pH-Wertes gefiJllt ist. Die Hydroniumionen der Pufferl/Ssung diffundieren in die Oberfl~ichenschicht an der Innenseite, die H30+-Ionen der zu vermessenden L6sung in die Oberfl~ichenschicht auf der AuBenseite der Glaskugel. Die Konzentration an H30 + in der ~iuBeren Oberflachenschicht ist eine direkte Funktion der Konzentration der Hydroniumionen in der Messl6sung. Auf beiden Seiten der Glasmembran baut sich somit ein pH-abh~ingiges Potential auf. Die Potentialdifferenz (Spannung) wird mit einem Voltmeter bestimmt und ist ein direktes MaB ftir den pH-Wert der Untersuchungsl6sung.
Sliure-Base-Titration. Bei einer S~iure-Base-Titration erfolgt die Bestimmung einer S~iure (Base) unbekannter Konzentration mit einer Base (S~iure) bekannter Konzentration. Einer
6.5 Chemische Reaktionen in LSsung
189
S~iure-Base-Titration liegt die Neutralisationsreaktion H + + OH- ~ H20 zugrunde. Deshalb spricht man auch von einer Neutralisationsanalyse. Um beispielsweise die Konzentration einer Salzs~iurel/Ssung zu bestimmen, wird ein bestimmtes Volumen der S~iurel6sung genau abgemessen und mit einigen Tropfen Indikatorl6sung versetzt. Dann l~isst man aus einer Biirette eine Lauge, z.B. NaOH, bekannter Konzentration (Mafll6sung) zutropfen bis der Aquivalenzpunkt erreicht ist. Der )~quivalenzpunkt ist durch eine vollst~indige st6chiometrische Umsetzung entsprechend der Reaktionsgleichung charakterisiert. S~iure und Base haben sich gegenseitig vollst~indig neutralisiert. Der Aquivalenzpunkt ist am Farbumschlag des Indikators erkennbar. Die graphische Darstellung des pH-Wertes der zu titrierenden L6sung in Abh~ingigkeit vom zugegebenen Volumen bezeichnet man als Titrationskurve. Aus ihrem Verlauf k6nnen interessante Schlussfolgerungen gezogen werden. Titriert man z.B. 100 ml einer 0,01 M HC1 mit 0,1 M NaOH, also eine starke S~iure mit einer starken Base, ergibt sich folgender Verlauf (Abb. 6.22): Nach Zugabe von 9 ml 0,1 M NaOH sind 90% der vorliegenden S~iure neutralisiert. Die Konzentration an H30 + hat sich auf ein Zehntel der urspriinglichen Konzentration verringert und der pH-Wert steigt von 2 auf 3 an. Werden abermals 90% der noch vorhandenen S~iure neutralisiert (was einer Gesamtneutralisation von 99% entspricht!), steigt der pH-Wert wiederum um eine Einheit an, also von 3 auf 4 usw. Bei Zugabe von 10 ml 0,1 M NaOH ist eine vollst~indige Neutralisation erreicht. Es ergibt sich eine Kurve, die zuerst langsam und in der N~ihe des Aquivalenzpunktes sprunghaft ansteigt. Am Wendepunkt der Kurve, wo ein sehr geringer Zusatz an OH--Ionen (ein Tropfen!) eine betr~ichtliche Anderung des pH-Wertes bewirkt, liegt der Aquivalenzpunkt. Hier haben sich die zur Neutralisation erforderlichen Mengen an S~iure und Lauge miteinander umgesetzt. Bei Zugabe von tiberschiassiger Lauge ~indert sich der pH-Wert in entsprechender Weise. Da die Genauigkeit einer Titration maximal _+0,1% betragt, kSnnen alle Indikatoren, deren Umschlagsbereich innerhalb des pH-Intervalls 4...10 liegt (Methylorange, Lackmus, Methylrot, Phenolphthalein, Abb. 6.22) zur Erkennung des Endpunkts dieser Titration verwendet werden. Der pH-Sprung ist umso kleiner, je geringer die Konzentration der zu bestimmenden S~iure oder Base ist. ,,
Den gerade beschriebenen Verlauf der Titrationskurve sollte man sich stets vor Augen halten, wenn bei praktischen Tests pH-Indikatoren herangezogen werden (z.B. bei der Beurteilung der Carbonatisierungtiefe mit Phenolphthalein; Kap. 9.4.2.3.1). Liegen in etwa ~iquivalente Mengen an Base und S~iure vor, so sind die Messungen zwangsl~iufig wenig aussagekr~iftig. Bei der Titration einer schwachen S~ure, z.B. 0,01 M Essigs~iure, mit einer starken Base, z.B. 0,1 M NaOH, verschiebt sich der pH-Wert des Aquivalenzpunktes infolge Protolyse der gebildeten Natriumacetatl/Jsung in den alkalischen Bereich. Der pH-Sprung ist hier kleiner als im Falle stark- stark. Er umfasst etwa den pH-Bereich 8...10. Als Indikator kommt somit nur Phenolphthalein in Frage. Je schwacher die zu titrierende S~iure ist, umso mehr verschiebt sich der Wendepunkt in den alkalischen Bereich. Sind 50% der Essigs~iure neutralisiert, gilt pH = pKs = 4,75 (Kap. 6.5.3.7).
190
pH
13
11
6 Wasser und wiissrige L6sungen
b)
a)
0,1MNaOH neutralisiert ml %
Aquivalenzpunkte (r
////
Ph//en~Ip~th~l/ein/
?lJ~
0 9 9,9 9,99
\
l
Methyl rot /////// Methylorange / /
Essigs~ure
,5
Sa/zs~ure
10
0 90 99 99,9
c(H30 +) pH 10-z 10-4 10-5
2 3 4 5
10-3
10
100
10-7
7
10,01 10,1 11
100,1 101,0 110
10- 9 10-1~
9 10 11
10TM
15
|
I
= ml O,1 mol/I NaOH
Abbildung 6.22 S~ure-Base-Titration a) Titration von 100 ml 0,01 mol/I HCI bzw. 0,01 mol/I Essigs~ure mit 0,1 mol/I NaOH: Titrationskurven mit Umschlagbereichen einiger wichtiger Indikatoren; b) Neutralisation von 100 ml 0,01 mol/I HCI mit 0,1 mol/I NaOH: Neutralisationsgrad, c(HzO§ und pH-Werte der L6sung in Abh~ngigkeit von der zugegebenen Laugenmenge in ml (ohne Volumenkorrektufi). Aus dem verbrauchten Volumen V der NaOH (in ml) ermittelt man die Konzentration und den Gehalt der untersuchten Salzstiurel6sung. Nach n = c- V ergibt sich: c(S~iure) . V(S~iure) bzw.
c (S~iure)
= c(Base) . V(Base)
(6-41) (6-42)
= c (Base) . V(Base)/V(Saure)
Bei der Titration von Schwefelsiiure mit Natronlauge liegen andere st6chiometrische Verhtiltnisse vor. Verwendet man 1 mol/l H2SO4 und setzt diese mit dem entsprechenden Volumen 1 mol/1NaOH um, ergibt sich GI. (6-43). H2SO4 +
2 NaOH
---,
Na2SO4
+
2 H20
(6-43)
Fiir die chemische Neutralisation von einem Mol NaOH ist demnach nur ein halbes Mol Schwefelsaure notwendig. Demzufolge ist eine 0,5 mol/1 Schwefelsaure (98 g : 2 = 49 g H2SO4 pro Liter) einer 1 mol/1 Salzstiure (36 g HC1 pro Liter) tiquivalent. Die Nichttiquivalenz von einem Mol Schwefelstiure und einem Mol Natriumhydroxid ergibt sich aus der ,,2 9 1-St6chiometrie" der Schwefelstiure. Ein Molektil H2SO4 protolysiert in wtissriger L6sung zu z w e i H30+-Ionen und e i n e m SO42--Ion. Dagegen entstehen bei der Protolyse von HC1 in wtissriger L6sung jeweils nur ein H30+-Ion und e i n Stiurerestion C1-.
191
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
Die Stoffmengenkonzentration des gel6sten Stoffes entspricht folglich nicht der Stoffmengenkonzentration der Teilchen, auf die es bei dieser Reaktion ankommt. FOr Neutralisationsreaktionen sind dies IT(bzw. H30+) - und OH--Ionen. Wertigkeit yon S~iuren, Basen und Salzen. Die Anzahl der verftigbaren I T - u n d OH-Ionen von S~iuren und Basen wird auch als deren Wertigkeit bezeichnet. Sie ist wie folgt definiert: Siiuren: Die Wertigkeit z ergibt sich aus der Anzahl der im Rahmen der Salzbildung durch Metallkationen ersetzbaren Protonen H § z.B. HC1, HNO3 z = 1; H2SO4 z = 2; H3PO4 z = 3. HC1 und HNO3 sind einwertige (einprotonige, einbasige) S~iuren, H2SO4 ist eine zweiwertige (zweiprotonige, zweibasige) und H3PO4 eine dreiwertige (dreiprotonige, dreibasige) S~iure. Basen (Laugen)" Die Wertigkeit entspricht der Anzahl der durch S~iurerestionen ersetzbaren Hydroxidionen OH-. KOH und NaOH sind einwertige bzw. einsdurige Basen mit z = 1. Ca(OH)2 und Ba(OH)2 sind zweiwertige bzw. zweisgiurige Basen, z betragt 2, und AI(OH)3 ist eine dreiwertige bzw. dreis~iurige Base, z - 3. Salze: Die Wertigkeit leitet sich yon der Wertigkeit der h6her geladenen ionischen Komponente des Salzes, also entweder des positiv geladenen Metallions oder des negativ geladenen S~iurerestions, ab. Beispiele fiir Salze: KC1, NaNO3 z = 1; Na2SO4, CaCI2 z = 2 und K3PO4, A1CI3 z = 3. Sind nicht alle Wasserstoffatome einer mehrbasigen S/iure durch Metallkationen ersetzt, so spricht man von ,,sauren" Salzen (auch: ,,Hydrogen"- oder ,,Bi"Salze), z.B. KHSO4" ,,saures" Kaliumsulfat (Kaliumhydrogensulfat). Die durch diese Wertigkeit z dividierten molaren Massen M werden auch als Aquivalentmassen MA bezeichnet. ,,
ii
Die Aquivalentkonzentration (friiher: Normalit~it, GI. 6-44) ist die Stoffmengenkonzentration bezogen auf A q u i v a l e n t e bzw. A q u i v a l e n t m e n g e n hA. Sie wird in der Regel mit c, abgekt~rzt, c, gibt die Anzahl der Mole an Aquivalenten pro Liter an. Eine Normall~sung ist eine L6sung, deren Konzentration als Aquivalentkonzentration angegeben wird. ~
n A. ( X )
[mol/l]
C n
(6-44)
~176
Ftir die Aquivalentmenge gilt: n A(X) = z . n (X) = z . m (X) /M(X) ,
mit z = wirksame Wertigkeit
(6-45)
Einsetzen von (6-45) in (6-44) ftihrt zur Beziehung (6-46). c,,(x)
=
z. n(X) V
Merke:
z. m(X) M(X).
V
(6-46)
Veraltete, aber in der Praxis noch h~iufig anzutreffende Schreibweisen fiir eine Aquivalentkonzentration 0,1 mol/1 sind 0,1 N oder 0,1 normal.
Der Zusammenhang zwischen der Stoffmengen- und der )~quivalentkonzentration ist durch G1. (6-47) gegeben. Die Aquivalentkonzentration unterscheidet sich yon der Stoffmengenkonzentration nur durch den Faktor z, also durch die Wertigkeit.
192
6 Wasser und w~issrige L6sungen
]on(X) = z 9 r
l
(6-47)
Eine Schwefels~iure H 2 5 0 4 (,7, = 2) der Stoffmengenkonzentration 1 mol/1 besitzt demnach eine Aquivalentkonzentration von 2 mol/1, bei HCI (z = 1!) entsprechen sich dagegen Stoffmengen- und Aquivalentkonzentration. Etwas problematischer ist die Herstellung von Normall6sungen bei Redoxtitrationen. Die wohl bekannteste Methode ist die Manganometrie. Mit Hilfe des Oxidationsmittels Kaliumpermanganat KMnO4 k6nnen in saurer L6sung quantitativ Reduktionsmittel wie Oxalat (C2042-) oder Fe 2+ bestimmt werden. Das Permanganation MnO4- nimmt dabei 5 Elektronen auf und geht in Mn 2+ tiber. Die Oxidationszahl des Mn ~indert sich von +VII zu +II. Um die Aquivalentmasse des KMnO4 zu ermitteln, muss man in diesem Fall die molare Masse (M = 158 g/mol) durch 5 dividieren (Aquivalentmasse = 31,6 g/mol).
6.5.3.4
St~rke von Siiuren und Basen
S~iuren und Basen geh6ren zu den potentiellen Elektrolyten. Sie gehen unter dem Einfluss des L6sungsmittels Wasser in Ionen tiber. Eine starke S~iure liegt in w~issriger L6sung vollstandig protolysiert vor, solange sich ihre Konzentration in tiblichen Bereichen bewegt. Starke S~iuren gibt es relativ wenige. Fiir bauchemisch relevante Problemstellungen sind vor allem die Salzs~iure, die Salpeters~iure und die Schwefels~iure von Bedeutung. Zu den starken (BrSnsted)Basen geh/Srt in erster Linie das Hydroxidion, das aus der Aufl6sung von Alkalimetallhydroxiden (z.B. NaOH, KOH) oder von Erdalkalimetallhydroxiden (z.B. Ca(OH)2, Ba(OH)2) stammen kann. Alle angeftihrten Metallhydroxide sind echte Elektrolyte. Weitere Beispiele fiir starke Basen sind das Phosphation (PO43-) und das Carbonation (CO32-). Eine sehr starke Base wie das Oxidion O2- liegt in w~issriger Lfsung vollst~indig protoniert als OH--Ion vor (GI. 6-55, 6-56). Schwache S~iuren und schwache Basen protolysieren in w~issriger L6sung nur unvollstgin-
dig unter Bildung von H30 § bzw. OH--Ionen. Zu den schwachen S~iuren geh6ren die meisten organischen S~iuren, wie Essigs~iure, Ameisens~iure, Zitronens~iure und Milchs~iure, aber auch anorganische Sauren wie Kohlensaure und Kiesels~iure sowie die Hydrogenphosphationen H2PO4-, HPO42-. Zu den sehwaehen Basen geh6ren vor allem Ammoniak NH3 und die strukturell vom Ammoniak abgeleiteten Amine. Ftir quantitative Aussagen zur St~irke von S~iuren und Basen ist der pH-Wert (,,S~iuregrad") nicht geeignet, obwohl gerade pH-Wert und S~iurest~irke f~ilschlicherweise h~iufig gleichgesetzt und unkorrekt verwendet werden. Einige Beispiele sollen diesen Sachverhalt verdeutlichen: Bei einer pH-Wert-Messung bestimmt man den sauren bzw. alkalischen Charakter einer L6sung, also die Konzentration an Hydroniumionen H30 § Die Konzentration an H30 § h~ingt aber von zwei Gr/SBen ab: Zum einen vonder S~iurest~irke der gel/Ssten S~iure (Base) und zum anderen von deren Ausgangskonzentration. Obwohl beispielsweise Salzs~iure gegentiber Essigs~iure die deutlich starkere S~iure ist, ergibt sich fiar eine 10-4 mol/l Salzsaurel6sung ein pH-Wert von 4. Dagegen erh~ilt man fiir eine 1 molare Essigsaurel6sung einen pH-Wert von 2,4. Die konzentriertere jedoch schw~ichere S~iure zeigt demnach
6.5 Chemische Reaktionen in Lfsung
193
einen kleineren pH-Wert (oder h6heren S~iuregrad) als die verdiinntere, aber starkere Salzs~iure. Geht man von gleich konzentrierten S~iuren (z.B. 0,1 mol/l) aus, erh~ilt man fiir die Salzs~iure einen pH-Wert von 1, fiir Essigs~iure jedoch einen pH-Wert von 2,88. In der 0,1 mol/1 Essigs~iure betragt demnach die H30+-Konzentration 1,32 9 10-3 mol/l und nicht 10-1 mol/l wie in der Salzs~iure. Sie ist damit etwa 76 mal kleiner als in der 0,1 mol/1 Salzsaure. Dieser Sachverhalt l~isst sich leicht experimentell anhand der Reaktion beider Sauren mit unedlen Metallen wie A1 und Mg iiberpriifen. Mit Salzs~iure ist eine deutlich st~irkere Wasserstoffentwicklung zu beobachten als mit Essigs~iure. Der pH-Wert ist durch die Konzentration steuerbar. Die Stfirke von S~iuren und Basen stellt dagegen eine stoffspezifische Griifle dar.
Bei gleicher Ausgangskonzentration der Protolyte wird die Konzentration an H30 +- und OH--Ionen durch das unterschiedliche Ausmal3 der Protolysereaktion bestimmt. Quantitative Aussagen zum Ausmaf5 der Protolyse und damit zur St~irke von Sauren und Basen sind nur bei Wahl eines geeigneten Bezugssystems m6glich. Es k6nnen deshalb keine absoluten S~iure- und Basest~irken, sondern immer nur relative, auf eine Base bzw. S~iure bezogene Werte angegeben werden (vergleiche G1. 6-30, 6-31). Aufgrund seiner amphoteren Eigenschaften kann H20 im Br6nstedschen S inne sowohl als Bezugsbase ~ r S~iuren als auch als Bezugss~iure ftir Basen fungieren. Reaktion der S~iure HA mit Wasser: Reaktion der Base B mit Wasser:
HA + H20 ~ B + 1-120 ~
H30 + + ABH + +OH-
(6-48) (6-49)
Aus der Lage dieser beiden Gleichgewichte ergeben sich klare Aussagen zur Starke der Protolyte HA und B. Liegt das Gleichgewicht weitgehend auf der Seite der Produkte, handelt es sich um starke Protolyte. Im umgekehrten Fall sind die Protolyte sehwaeh. Die St~irke einer Siiure HA wird durch die Leichtigkeit der Protonenabgabe an die Base Wasser, die Stfirke einer Base B durch die Leichtigkeit der Protonenaufnahme von der Base Wasser bestimmt.
Beachte:
Beim L6sen von Hydroxiden (z.B. NaOH, KOH) in Wasser findet keine Protolyse statt, da die OH--Ionen bereits im festen Hydroxid vorhanden sind.
Eine Protolysereaktion verl~iuft bevorzugt in die Richtung, in der die schw~ichere S~iure und die schw~ichere Base entstehen. Dieser Verlauf ist in der Br6nsted-Theorie synonym fiJr den Neutralisationsprozess. Die Anwendung des MWG auf das Protolysegleichgewicht (6-48) ergibt G1. (6-50). K - c(H30+ )" c ( A - ) c(HA) " c ( H 2 0 )
(6-50)
Sieht man die Wasserkonzentration c(H20) als konstant an und bezieht sie in K ein, erh~ilt man fiir verdiinnte L6sungen G1. (6-51).
194
6 Wasser und w~issrige L6sungen
Ks=
c(H3 0+) 9 c(A- )
c(HA)
Ks Siiurekonstante
(6-51)
Ftir das Protolysegleichgewicht (6-49) ergibt sich in Analogie zur S~iurekonstante die Beziehung f'dr die Basekonstante (6-52).
KB=
c(OH- ) 9 c(BH +)
c(B)
KB Basekonstante.
(6-52)
Die S~iurekonstante Ks ist ein quantitatives MaB fiir die St~irke einer S~iure HA. Je gr6Ber Ks, desto starker ist die S~iure HA. Analoges gilt fiir die Basekonstante KB der Base B. Da in wassrigen L6sungen (sehr) starker S~iuren und Basen keine nichtprotolysierten Molektile (oder Teilchen) HA bzw. B mehr vorliegen, kann nicht mehr von Saure-Base-Gleichgewichten gesprochen werden. S~iure- bzw. Basekonstanten sind (in H20!) nicht mehr bestimmbar. Die S~iure- und Basekonstanten werden aus Grtinden der einfacheren Handhabbarkeit in Form ihrer negativen dekadischen Logarithmen angegeben:
I
und
I
I
(6-53)
Je kleiner der pKs-Wert, umso gr6Ber ist die St~irke einer S~iure. Der pKs-Wert wird auch als Siiureexponent, der pKB-Wert auch als Baseexponent bezeichnet.
Beachte: S~urest~rke
aber:
Basest~rke
Die pKs- und pKB-Werte charakterisieren die St~irke von S~iuren und Basen gegeniiber Wasser. W~ihlt man eine andere Bezugsbasis, ergeben sich andere Werte. Einige h~iufig ben6tigte pKs- und pKs-Werte sind in Anhang 4 zu finden. Der Zusammenhang zwischen dem Ks- und dem K8-Wert eines korrespondierenden S~iureBase-Paares ist durch das Ionenprodukt des Wassers gegeben (G1.6-54).
I
I
b~.
I pKs
+pK.-
14 I
(6-54)
6.5 Chemische Reaktionen in Ltisung
195
Ist der pKs-Wert bekannt, kann mittels Beziehung (6-54) der pKB-Wert der korrespondierenden Base ermittelt werden (und umgekehrt). Die starken S~iuren HC1 und H N O 3 protolysieren vollst~indig unter Bildung von H30 +- und Saurerestionen. Damit mtissen diese beiden S~iuren zwangsl~iufig st~irker als die entstehende S~iure H30 § sein, da im Resultat einer Protolyse immer die jeweils schw~icheren S~iuren und Basen gebildet werden. Gleichkonzentrierte w~issrige L6sungen von HC1 und HNO3 besitzen folglich die gleiche S~iurest~irke, n~imlich die des H30+-Ions (nivellierender Effekt des Wassers). Sehr starke S~iuren werden auf das Niveau der in Wasser st[irksten S~iure H30 + nivelliert. Der nivellierende Effekt gilt auch fiir Basen. Die st~irkste Base in w~issriger L6sung ist das Hydroxidion OH-. Sind Basen st~irker als das Hydroxidion, werden sie auf das Basizit~itsniveau von OH- nivelliert. Gibt man beispielsweise Bariumoxid BaO in Wasser, entsteht eine stark alkalische L6sung (G1. 6-55). Die eigentliche Base ist das im Gitter des ionischen Oxids bereits vorgebildete Oxidion 02% das mit Wasser zu Hydroxidionen reagiert (G1. 6-56). Die sehr starke Base O2-wird im Wasser auf die Basest~irke des OH--Ions nivelliert. BaO + H20
=
Ba2§ + 2OH-
(6-55)
02-
~
2OH-
(6-56)
+ H20
Um das AusmaB der Protolyse w~issriger S[iure- bzw. Basel6sungen vergleichen zu k6nnen, berechnet man in Analogie zum Dissoziationsgrad a (Kap. 6.5.2.1) den Anteil der S~iure HA bzw. Base B, der mit Wasser reagiert hat. Dieser Anteil wird als Protolysegrad a bezeichnet. Er ergibt sich fiir das Protolysegleichgewicht der S~iure HA (G1. 6-48) entsprechend G1. (6-57), mit co(HA) = Ausgangskonzentration der S~iure HA.
c(n30 +) co(HA)
c(A-) co(HA)
Protolysegrad
(6-57)
Sinngem~iB gilt fiir die Reaktion der Base B mit Wasser (G1. 6-49): ct = c(OH-)/co(B) = c(BH+)/co(B). Der Protolysegrad ct kann Werte von 0 bis 1 annehmen. Bei starken S~iuren ist a = 1, was einer 100%igen Protolyse entspricht. Wendet man auf G1. (6-48) das MWG an und substituiert c(H30+), c(A-) und c(HA) durch (6-57), erh~ilt man einen einfachen Zusammenhang zwischen dem Protolysegrad ct und der S~iurekonstanten Ks (GI. 6-58). 2
KS =
1-a
co
Ostwaldsches Verdi~nnungsgesetz
(6-58)
Der Protolysegrad a einer schwachen S~iure nimmt mit abnehmender Konzentration zu, d.h. er n~ihert sich dem Wert 1. Vereinfachung f'tir (sehr) schwache S~iuren: Ks = ct 2. Co. Fiir schwache S~iuren und Basen liegt der protolysierte Anteil in der Mehrzahl der F~ille unter 10%, h~iufig sogar deutlich darunter.
196
6 Wasser und w~issrige L6sungen
Zum Beispiel betr~igt in einer 0,01 molaren Essigs~iurel6sung der Protolysegrad 4%. Demnach liegen 96% der Essigs~iuremolektile unprotolysiert und nur 4% protolysiert vor. In einer Essigs~iure der Konzentration 0,1 mol/1 betragt der Protolysegrad nur noch 1,32% und in einer 1 mol/1 Essigs~iure hat sich der ct-Wert auf 0,4% verringert. Der Protolysegrad verh~ilt sich demnach umgekehrt proportional zur Konzentration des Protolyten (Ostwaldsches Verdiinnungsgesetz, GI. 6-58). Werden in der L6sung einer schwachen S~iure die H30+-Ionen durch Reaktion mit OH-Ionen laufend aus dem System entfemt, bildet die S~iure solange Hydroniumionen nach, bis keine undissoziierten S~iuremolekiile mehr vorhanden sind. Entsprechendes gilt umgekehrt f'tir Basen. Daran wird deutlich, dass der Umfang der Neutralisationsreaktion einer S~iure mit einer Base (und umgekehrt) nicht vom pH-Wert, sondern vonder Konzentration des Protolyten abh~ingt. Zur Neutralisation von 100 ml 0,1 mol/1Essigs~iure (pH = 2,9) ben6tigt man das gleiche Volumen 0,1 mol/1 Natronlauge wie zur Neutralisation von 100 ml 0,1 mol/l Salzs~iure (pH = 1). Diese Tatsache ist ftir die Betonkorrosion durch saure W~isser bedeutsam. Zum Beispiel besitzen eine Essigs~iure- oder eine Milchs~iurel6sung (landwirtschaftliche Bauten!) vom pH-Wert 4 eine wesentlich h/Shere Konzentration co(S) als eine Salzs~iure oder eine Schwefels~iure gleichen pH-Wertes. Geht man davon aus, dass beim sauren Angriff aufBeton mit dem Ca(OH)z-Anteil des Zementsteins Calciumsalze gebildet werden, so k/Snnen bei gleichem pH-Wert schwach dissoziierte organische S~iuren in wesentlich gr~SBerem Umfang Calciumionen binden, als starke Minerals~iuren.
Stiirke mehrwertiger Siiuren und Basen. Der Begriff der Wertigkeit von S~iuren und Basen (Kap. 6.5.3.3) muss im Licht der Br6nsted-Theorie etwas modifiziert werden. Mehrwertige (auch: mehrprotonige oder mehrbasige) S~iuren sind Verbindungen oder Ionen, die bei der Protolyse mehr als ein Proton abgeben k6nnen, z.B. H2SO4, H3PO4 oder H2CO3. Mehrwertige Basen sind Verbindungen oder Ionen, die bei der Protolyse mehr als ein Proton aufnehmen k6nnen, z.B. SO42-, CO32-, PO43- oder Amine. Die Zahl der H§ die eine mehrprotonige S~iure abgeben kann, sagt nichts tiber ihre S~iurest~irke aus. In Wasser protolysieren die mehrprotonigen S~iuren schrittweise, wobei jedem Schritt eine Protolyse- bzw. S~iurekonstante K zugeordnet wird. Dem Symbol K werden Indices angeftigt, um den Bezug zum entsprechenden Protolyseschritt deutlich zu machen. Die Protolyse der zweiprotonigen Schwefelsiiure verl~iuft in der ersten Stufe vollst~indig (GI. 6-59), w~ihrend das Gleichgewicht ftir den zweiten Protolyseschritt (G1. 6-60) weitgehend auf der Seite des Hydrogensulfats liegt (s.a. Kap. 6.5.3.8: Schwefels~iure). Die S~iurekonstante for die zweite Stufe besitzt einen Wert von Ks2 = 1,2-10-2 mol/1 (pKs = 1,92). H2SO4 + H20 HSO4- + H20
---> --
H30 § + HSO4H30 + + SO42-
(6-59) (6-60)
In einer 0,1 mol/1 Schwefels~iurel/Ssung betr~igt der Anteil an Hydroniumionen, der aus der zweiten Protolysestufe stammt, nur 9%. Es liegen also iiberwiegend H30 +- und HSOa--Iohen vor. Fiir die dreiwertige Orthophosphorsiiure H3PO4 ergeben sich die Protolysegleichgewichte (6-61 bis 6-63).
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
H3PO4 + H20 H2PO4- + H20 nPO42- + H20
-" "--" ~
197
(6-61) (6-62) (6-63)
H30 + + H2PO4H3O+ + nPO42H30 + + PO43-
Die Abstufung zwischen den S~iurekonstanten KS1 1,10" 10-2, Ks2 = 7,58" 10-8 sowie Ks3 = 4,78 9 10-13 zeigt, dass mehrprotonige S~iuren bei sukzessiver Protonenabgabe immer schw~icher werden: KS1 > KS2 > KS3. Begrtindung: Aus einem Neutralmolekiil ist ein Proton -
-
leichter abspaltbar als aus einem einfach negativ geladenen Ion und aus diesem wiederum leichter als aus einem zweifach negativ geladenen Teilchen (elektrostatische Anziehung nimmt zu!). W~ihrend die H3PO4 hinsichtlich ihrer ersten Protolysestufe (K = 1,10 9 10-2) als starke S~iure klassifiziert werden kann, geh6rt das HPOa2--Ion mit K = 4,78 9 10-13 zu den sehr schwachen S~iuren.
6.5.3.5
Protolyse von Salzen
Die w~issrigen LSsungen zahlreicher Salze reagieren nicht neutral, manche reagieren basisch und andere wiederum sauer. Welcher pH-Wert sich beim Auflfsen eines Salzes in Wasser einstellt, h~ingt von einer mSglichen Protolyse des Kations bzw. des Anions des Salzes mit dem Wasser ab. Man kann drei Falle unterscheiden: Fall A:
Salzltisungen verhalten sich neutral, wenn weder das Kation noch das Anion des Salzes protolysieren, d.h. mit dem Wasser reagieren k6nnen. Weder das Kation noch das Anion des Salzes sind in der Lage, dem Wasser in einer Saure-Base-Reaktion ein Proton zu tibertragen bzw. zu entziehen. Beispiele ftir neutrale Salzl6sungen sind L/Ssungen von NaCI oder KNO3. Die Metallkationen der I. und n. Hauptgruppe werden als neutrale Kationen bezeichnet, da sie zur Protolyse mit dem Wasser generell nicht f~ihig sind. Die Anionen starker S~iuren, wie z.B. CI-, NO3-, HSO4- und C104-, sind sehr schwache Br/Snsted-S~iuren. Auch in diesen F~illen ist eine Protolysereaktion mit dem Wasser zu vemachRissigen. Besteht das Salz aus einem protolysierenden Kation und einem protolysierenden Anion, so entscheidet die jeweilige S~iure- und Basest~irke iiber den pH-Wert der L6sung. Sind pKsund pKB-Wert gleich groB, so kann auch in diesem Fall ein pH-Wert um 7 (neutral) gemessen werden. Ein Beispiel fiir diesen relativ seltenen Fall ist das Ammoniumacetat. Fall B:
Enthalten Salze Anionen wie z.B. CO3 2-, PO43-, CN- (Cyanid) und Acetat, die sich von schwachen S~iuren ableiten, so reagieren ihre w~issrigen L6sungen alkaliseh. Die Anionbasen entziehen dem Wasser ein Proton unter Bildung von OH--Ionen. Beispielsweise reagiert beim AuflSsen von Natriumacetat (CH3COONa) in Wasser das Acetation CH3COO- mit dem H20 unter Bildung der schwachen Essigs~iure CH3COOH. Da Hydroxidionen entstehen, erh6ht sich der pH-Wert (G1.6-64). CH3COO- + H20
-
CHaCOOH
+ OH-
(6-64)
198
6 Wasser und w~issrige L6sungen
Anionen, die korrespondierende Basen mehrwertiger S~iuren sind, bilden bei Protonenaufnahme ebenfalls alkalische L6sungen (GI. 6-65). n P O 4 2- +
H20
--
H2PO4- + OH-
(6-65)
Auch das L/)sen (Zersetzen!) von Kalkstein CaCO3 durch verdtinnte S~iuren, z.B. HCI (G1. 5-25, Carbonat-Nachweis), ist die Reaktion einer Anionbase (CO32-) mit einer S~iure. Das Carbonation bindet als starke Base zwei Protonen der S~iure. Es entsteht Kohlens[iure, die in CO2 und H20 zerf~illt. Unter Aufsch~iumen 1/Sst sich der Kalkstein Fall C:
Die w~issrigen Ltisungen von Salzen schwacher Basen (vornehmlich Salze der schwachen Base Ammoniak NH3, also Ammoniumsalze) reagieren sauer. Die Kationsi~ure NH4+ tibertr~igt ein Proton auf das Wasser unter Bildung des Hydroniumions. L6st man z.B. Ammoniumchlorid NHnC1 in Wasser, reagiert das NHn+-Ion mit H20 unter Bildung von NH3 und einem H30+-Ion (G1. 6-66). Da Hydroniumionen entstehen, sinkt der pH-Wert. NH4+ + H20 - ~ NH3 + H30 + (6-66) Einen Sonderfall stellen kleine, hochgeladene Metallionen wie AI 3+ und Fe 3+ dar, deren Salze in w~issriger L/)sung ebenfalls sauer reagieren k6nnen. Die Erkl~irung dieses interessanten Verhaltens ergibt sich aus der Existenz hydratisierter Metallionen. Die hohe Ladung des Metallions polarisiert die Sauerstoff-Wasserstoff-Bindung eines der H20-Molektile der Hydrathtille so stark, dass es zur Abspaltung eines Protons und damit zur sauren Reaktion der L/Ssung kommt (G1. 6-67). [AI(H20)6] 3+ + H:O
- -
[Al(H20)5OH] 2+ + 1-130+
(6-67)
Die Protolyse eines Ions mit Wasser wird mitunter auch als Hydrolyse (~ilterer Begriffl) bezeichnet.
6.5.3.6
Berechnung des pH-Wertes
Zahlreiche praktische Vorg~inge werden wesentlich durch den S~iuregrad bzw. den pHWert der L/Ssung beeinflusst. Als Beispiele sollen die metallische Korrosion, der S~iureangriff auf anorganisch-nichtmetallische Baustoffe und das Problem der Carbonatisierung genannt werden. Es ist deshalb wichtig, N~iherungsformeln zur Verfiigung zu haben, um aus vorhandenen Daten pH-Werte berechnen - vor allem aber interpretieren zu k/3nnen. Wie aus der Anordnung der pKs- und pKs-Werte in Anhang 4 zu ersehen ist, ergibt sich f'tir die Abstufung der S~iurest~irke eine grofSe Spreizung mit fliefSenden Uberg~ingen. Obwohl f'tir die S~iuren und Basen mit unterschiedlichem Protolysegrad (iibliches Einteilungsmuster: sehr starke - starke - mittelstarke - schwache - sehr schwache Protolyte) zum Teil unterschiedliche Formeln zur pH-Wert-Berechnung entwickelt wurden, kann man fiir bauchemisch relevante Aufgabenstellungen die Protolyte in verntinftiger N~iherung in zwei Gruppen einteilen:
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
199
9 pH-Werte starker Sfiuren und Basen
a) pH-Werte starker Siiuren (pKs ~ 4)
Fiir Sauren mit einem pKs-Wert kleiner als 4 wird in w~issriger L6sung n~iherungsweise eine vollst~indige Protolyse angenommen. Damit gilt c(H30 +) = co(S), mit co(S) = Ausgangskonzentration der S~iure S und fiir den pH-Wert ergibt sich die Beziehung (6-68). pH-
co(S)
- l g ~ mol.1-1
(6-68)
Im Falle der starken zweiprotonigen S(~ure H2SO4kann man in grober N~iherung schreiben: c(H30 § = 2 "co(S). Die Konzentration an H30§ ist demnach doppelt so groB wie die Ausgangskonzentration der S~iure. Damit ergibt sich: pH = - lg (2 "co(S))/mol" 1-1.
b) pH-Werte starker Basen (pKn ,: 4) FUr Basen mit einem pKa-Wert kleiner als 4 wird in w[issriger L6sung ebenfalls eine vollst~indige Protolyse angenommen. Damit gilt c(OH-) = co(B), mit co(B)= Ausgangskonzentration der Base B und fiir den pOH-Wert folgt G1. (6-69). co(B) pOH = - l g ~ mol . 1-1
(6-69)
Fiir starke zweiwertige Basen (z.B. Ca(OH)2) ist wiederum zu beachten, dass die OH-Konzentration doppelt so groB ist wie die Ausgangskonzentration der Base co(B). Demnach gilt r - 2- co(B) und es ergibt sich die Beziehung: pOH = -lg (2 "r 1-1. 9 pH-Werte schwacher Protolyte
a)
pH-Werte schwacher Siiuren (pKs > 4)
In L6sungen schwacher S~iuren HA sind weder die Gleichgewichtskonzentrationen an H30 § und A- noch die an nichtprotolysierter S~iure HA bekannt. Um trotzdem die Konzentration an Hydroniumionen und damit den pH-Wert ermitteln zu k6nnen, fiihrt man in den Ausdruck fiir die S~iurekonstante (G1. 6-51) zwei N~iherungen ein: 9 Aus Griinden der Elektroneutralit~it soil im Gleichgewicht gelten: c(H30 +) = c(A-). Dabei werden die aus der Autoprotolyse des Wassers herriihrenden 10-7 mol/1 H30 § vernachl~issigt. 9 Die Gleichgewichtskonzentration c(HA) wird der Ausgangskonzentration co(S) gleichgesetzt. Dabei vemachl~issigt man den geringen Anteil an protolysierter S~iure.
Es ergibt sich:
KS =
c2
(H3
0+
co(S)
) bzw. c ( H 3 0 +) = ff K S 9c o ( S ) .
(6-70)
200
6 Wasser und w~issrige L6sungen
Logarithmieren von (6-70) ergibt Beziehung (6-71).
1 co (S) p H =-~ [ p K s - lg . . . . . ] mol.1-1
(6-71)
b) pH-Werte schwacher Basen (pK n > 4) Ftir den pOH-Wert schwacher Basen ergibt sich analog zu (6-71) die Beziehung (6-72).
pOH-
1 co(B ) -~ [ p K B - lg . . . . . ] tool. 1-1
(6-72)
Beachte: Zur Berechnung des p H - W e r t e s von Salzl6sungen sind keine zusiitzlichen Beziehungen notwendig. Im Falle einer protolysierenden Base (Anionbase) wird Gleichung (6-72), bei Vorliegen einer protolysierenden Siiure (Kationsiiure) dagegen G1. (6-71) benutzt.
Aufgaben: 1.
Berechnen Sie die pH-Werte einer 0,2 tool/1 Salzsiiure und einer 0,05 tool/1Natronlauge ! HCI: pH = -lg co(S)/mol.l l = -lg ( 2 . 1 0 -1 ) = (-lg 2 - lg 10-1 ) = 1 - lg 2 = 0,7. NaOH: pOH =-lg co(B)/mol.1 l =-lg (5. 10-2) = 1,3 ; pH = 14- 1,3 = 12,7
~
Eine gesiittigte CalciumhydroxidlOsung (Kalkwasser) enthalt 1,26g Ca(OH)2 pro Liter Wasser gel6st. Berechnen Sie den pH-Wert der L6sung! Nach G1. (1-11) ist die Stoffinengenkonzentration der L6sung c
n
m
1,26 g
V
M .V
74,1 mol / 1.11
- 1,7.10
-2
mol / 1.
c(OH-) = 2. c = 3 , 4 . 1 0 -2 mol/1, pOH = -lg (3,4.10 -2)/mol.1 1 = 1,47 ; pH = 12,53. 3.
Welche Konzentration an H 3 0 + in mol/1 liegt bei einem pH-Wert von 2,4 vor? 2,4 = -lg c ( H 3 0 + ) / m o l ' l "1 , c(H30+)/mol.1-1 = 10-2,4
~
,
c ( H 3 0 +) = 3,98" 10-3 mol/1.
Berechnen Sie den pH-Wert a) einer 0,5 M Essigs~urelSsung und b) einer 0,03 M Ammoniakl6sung ! zu a) pH = 89 [pKs - lg co(S)/mol.1 1 ] = 89 ( 4,75 - lg 0,5) = 2,53. zu b) pOH = 89 [pKB - lg co(B)/mol'1-1 ] = 89 (4,75 - lg 0,03) = 3,14; pH = 10,86.
o
Berechnen Sie den pH-Wert einer 0,1 M K2CO3-LOsung! Bei Dissoziation von K2CO3 in Wasser entsteht die Anionbase CO32-, die zur Protolyse mit H20 in der Lage ist. Deshalb ist zur pH-Berechnung GI. (6-64) anzuwenden.
6.5 Chemische Reaktionen in L/Ssung
201
pOH = 89[pKB - lg co(Salz)/mol.11] = 89[3,6 - lg 0,1 ] = 2,3 ; pH = 11,7.
6.5.3.7
Pufferl6sungen
Praktische Aufgabenstellungen machen es mitunter notwendig, L6sungen eines definierten pH-Wertes herzustellen, der dariJber hinaus eine langere Zeit konstant ist. Die erste Forderung ist kein Problem. L/Ssungen eines gewanschten pH-Wertes lassen sich leicht durch geeignete Wahl der Konzentration entsprechender Sauren oder Basen herstellen. Schwieriger ist es schon, den pH-Wert der hergestellten L/Ssung tiber einen bestimmten Zeitraum konstant zu halten. Jede L/Ssung nimmt aus der Luft CO2 auf. Damit wird sie starker sauer und der pH-Wert erniedrigt sich (GI. 5-26 bis 5-28). Bewahrt man eine Lfsung tiber langere Zeit in einem GlasgefaB auf, k6nnen zusatzlich basische Verunreinigungen aus der Gef'~iBwand herausgelSst werden. Pufferl6sungen (Puffergemische) zeigen diese Probleme nicht. Sie ,,puffem" die Wirkung der Hydroniumionen (Sgiurezugabe) und Hydroxidionen (Basezugabe) ab und halten damit den pH-Wert weitgehend konstant.
Puffergemische sind wiissrige L6sungen aus einer schwachen Sfiure (Base) und einem Salz dieser schwachen Siiure (Base). Sie haiten den pH-Wert weitgehend konstant, wenn S~iuren oder Basen in begrenzter Menge zugegeben werden. Pufferl6sungen bestehen aus den beiden Bestandteilen eines korrespondierenden SaureBase-Paares. Die in der L6sung wirksame Saure HA wird als Puffers~iure, die wirksame Base B als Pufferbase bezeichnet. Die quantitative Beschreibung der Puffergemische erfolgt durch die sogenannte Puffergleiehung (nach Henderson-Hasselbaleh, GI. 6-73).). Sie wird durch einfache Umstellung der Definitionsgleichung fiir die Saurekonstante Ks der Puffersaure (GI. 6-51) erhalten. c(H3 0+) = K S 9
p H = p K S - lg
c(HA)
c(A- )
c(nA) c(A-) ~
p H = p K S - lg
c(Siiure)
c(Satz)
(6-73)
Bei Berechnungen des pH-Wertes von Pufferl6sungen wird ~ r c(HA) die Konzentration der Saure und ~ r c(A-) die Konzentration des Salzes eingesetzt. Die maximale Pufferkapazitat einer Pufferl/Ssung ergibt sich nach GI. (6-73) zu: pH = pKs. Entspricht der pH- dem pKs-Wert, liegen aquimolare Mengen an Salz und Saure vor. Damit eine Pufferl6sung effektiv wirksam ist, sollte das Stoffmengenverhaltnis von Saure zu Salz c(HA)/c(A-) im Bereich zwischen 1/10 und 10/1 liegen. Setzt man diese Stoffmengenverhaltnisse in G1. (6-73) ein, erhalt man die Beziehung (6-74). p H = pKs -+ 1
(6-74)
202
6 Wasser und w/issrige L6sungen
Innerhalb eines pH-Bereichs von pH = pKs +-- 1 lasst sich der pH-Wert eines Puffergemischs durch Variation der Konzentrationen von S~iure und Base gezielt einstellen (Pufferbereieh). Die Wirkungsweise eines Puffersystems soil am Beispiel des Essigs~iure-Acetat-Puffers erklart werden. Die Pufferl6sung soil x mol/l Essigs~iure und x mol/1 Acetat (als Natriumacetat) enthalten. Dem System liegt das Gleichgewicht G1. (6-75) zugrunde. CH3COOH
+
I-I20 ~
Konzentration der Sdure
c(HA) pH= pKs - l g ~ , c(A-)
CH3COO-
+
H30 +
(6-75)
Konzentration des Salzes
pH-
x mol / l 4,75 - l g ~ , x tool / l
p H = pKs = 4, 75.
Ftir eine L6sung, die ~iquimolare Mengen an Essigs~iure und Natriumacetat enth~ilt (Verh~iltnis 1:1), ergibt sich ein pH-Wert von 4,75. Die Pufferkapazit~it des Essigs~iure-AcetatPuffers liegt somit nach GI. (6-74) im pH-Bereich von 3,75...5,75. Gibt man der Pufferl6sung eine S~iure (H30 +) zu, reagiert das Hydroniumion mit der Base CH3COO- unter Bildung von Essigs~iure und Wasser. Gleichung (6-75) verl~iuft so lange von rechts nach links, bis sich das gestOrte Gleichgewicht neu eingestellt hat. Setzt man der LOsung Hydroxidionen (z.B. NaOH) zu, neutralisieren diese die sich im Gleichgewicht befindlichen H30§ Das so gest6rte Gleichgewicht stellt sich durch weitere Protolyse der Essigs~iure wieder ein, indem Hydroniumionen nachgeliefert werden. Gleichung (6-75) verl~iuft von links nach rechts. Die H30+-lonen werden durch den Vorrat an Acetationen und die OH--Ionen durch den Vorrat an Essigsgiuremolektilen abgepuffert. In beiden F~illen bleibt der pH-Wert weitgehend konstant.
Sollen ,,basische" Pufferl6sungen (pH > 7) hergestellt werden, so muss man konjugierte S~iure-Base-Paare mit pKs-Werten > 7 verwenden. Als Beispiel soll der Ammoniumchlorid (NH4C1)/Ammoniak (NH3)-Puffer angeftihrt werden. Der pKs-Wert der Kations~iure NH4+ betr~igt 9,25. Damit liegt der Pufferbereich des Ammoniumchlorid/Ammoniak-Puffers (kurz: NH4+/NH3-Puffer) zwischen pH = 10,25 und 8,25. Pufferl6sungen spielen nicht nur bei zahlreichen technischen Prozessen, wie z.B. beim Galvanisieren, bei der Herstellung photographischer Sehichten bzw. von Farbstoffen oder beim Gerben von Leder, eine wichtige Rolle. Die Reaktionen aller biologischen Systeme sind gepuffert. Ohne Puffersysteme w~ire Leben auf der Erde nicht m6glich. Der Erdboden enth~ilt in der Humusschicht verschiedene Puffersysteme, von denen das System CaCO3/ Ca(HCO3)2 eine besondere Bedeutung besitzt. Der Kohlens~iure/Hydrogencarbonat (H2CO3/HCO3-)-Puffer stellt auch das wichtigste Puffersystem ~ r das Blutplasma dar. Er h~ilt den pH-Wert des menschlichen arteriellen Blutes konstant auf 7,40 _.+0,05. Ein Absinken des pH-Wertes des Blutes auf 7,0 tiber einen l~ingeren Zeitraum ist lebensbedrohlich.
6.5 Chemische Reaktionen in LSsung
6.5.3.8
203
Technisch und bauchemisch wichtige Siiuren und Basen
Schwefelsiiure H2SO4. Wasserfreie Schwefels~iure ist eine farblose, 61ig-dicke Fltissigkeit (Smp. 10~ Sdp. 280~ mit einer Dichte von p = 1,83 g/cm 3. Die im Handel erh~iltliche konzentrierte Schwefelsdure ist 98%ig, das entspricht einer Stoffmengenkonzentration c(H2804) yon 18 mol/1. Enthalt sie SO3 im Oberschuss gel6st, spricht man von ,,rauchender Schwefels~iure". Konzentrierte H2SO4 wirkt stark hygroskopisch (wasserentziehend). Deshalb wird sie im chemischen Laboratorium als Trocknungsmittel ftir Chemikalien genutzt. Sie ist auch in der Lage, einer Reihe von Verbindungen das Wasser zu entziehen (Dehydratisierungsmittel). Zum Beispiel entsteht beim Einwirken von konz. H2SO4 auf Zucker eine por6se Kohlenstoffmasse. Schwefels~iure ist eine oxidierende Sdure, da neben den Hydroniumionen (H30 § auch das Sulfation als Oxidationsmittel reagieren kann. Zwar ist ihre Oxidationskrafi geringer als die der Salpeters~iure, trotzdem ist sie insbesondere bei h6heren Temperaturen in der Lage, Metalle wie Cu, Ag und Hg zu 16sen. Die Reaktion der Schwefels~iure mit Wasser ist stark exotherm. Beim Verdiinnen von reiner oder konz. H2SO4 mit Wasser ist es deshalb notwendig, die S~iure in dtinnem Strahl, oder noch besser tropfenweise, unter Umrtihren in das Wasser einzutragen. Gibt man umgekehrt 1-120 in die Schwefels~iure, kann es durch die starke Warmeentwicklung zum Herausspritzen der S~iure, vielleicht sogar zum Springen des GlasgefdBes kommen. Schwefels~iure ist ein zweiprotonige Siiure. Die Protolyse erfolgt in zwei Stufen (G1. 6-59: H2SO4 + 1-120 ---, H30 § + HSO4- und G1. 6-60: HSO4- + H20 ~ H30 + + SO42-), wobei die Abspaltung des ersten Protons praktisch vollst~indig abRiuft. Das bedeutet, G1. 6-59 liegt weitgehend auf der rechten Seite. Es entstehen Hydrogensulfationen (HSO4-) und Hydroniumionen (H30+). Das zweite Gleichgewicht (6-60) liegt dagegen- insbesondere bei h6heren Konzentrationen - vorwiegend auf der Seite des Hydrogensulfations. Damit sind in einer laboriiblichen, verdtinnten H2SOa-L6sung der Konzentration 1 mol/1 als vorherrschenden Species HSO4-- und H30+-Ionen zu finden. Erst bei relativ starker Verdtinnung (c < 10-2 mol/1) oder bei Zugabe von st~irkeren Basen als Wasser (z.B. Hydroxidionen: HSO4- + OH- ~ H20 + SO42-) liegen iiberwiegend Sulfationen (SO42- ) vor. Vor dem Hintergrund der obigen Protolysegleichgewichte kann eine Schwefelsaurel6sung als Mischung zweier verschieden starker Sauren aufgefasst werden, einer sehr starken S~iure (H2SO4) und einer nur zum Teil protolysierten mittelstarken S~iure (HSO4-). Trotzdem kristallisiert bei Zugabe von mehrfach geladenen Metallionen (z.B. CaR§ das entsprechende Metallsulfat und nicht das Hydrogensulfat aus. Begrtindung: Die frei werdende Gitterenergie (Kap. 3.1.2) ist im Fall eines Kristalls aus zweifachgeladenen Kationen und Anionen gr6Ber als bei einer Kombination von zweifach geladenen Kationen und einfach geladenen Anionen. Die Sulfate insbesondere der Erdalkali- und Alkalimetalle sind von auBerordentlicher Bedeutung ftir das Bauwesen. So ist zum Beispiel Calciumsulfat als Halbhydrat, Dihydrat oder Anhydrit ein wichtiger Bau- bzw. Zementzusatzstoff. Auf der anderen Seite bildet CaSO4 den Ausgangspunkt far gefiirchtete Bausch~iden (Gips- bzw. Sulfattreiben, Kap. 9.4.2.2).
204
6 Wasser und wassrige L6sungen
Salpetersiiure ttNO3. Reine Salpeters~iure ist eine farblose Fltissigkeit, die bei 82,6~ siedet. Da sie sich bei Lichteinwirkung teilweise zersetzt, wird sie in braunen Flaschen aufbewahrt. Das bei der Zersetzung (2 HNO3 ---- 2 NO2 + H20 + 89 02) entstehende braune Gas NO2 f~irbt verdiannte L/Ssungen gelb, in h/Sheren Konzentrationen rot. Die an der Luft rotbraun dampfende L6sung bezeichnet man als ,,rote rauchende Salpetersaure". Handelstibliche konzentrierte Salpetersaure (P = 1,41 g/cm 3 bei 20~ Sdp. 121,8~ ist eine 69,2%ige L6sung von Salpeters~iure in Wasser (c - 14,5 mol/1). Die Salze der Salpeters~iure heiBen Nitrate. Der Name Salpeter leitet sich yon den historisch entstandenen Bezeichnungen ftir einige Nitrate ab, z.B. Natriumnitrat NaNO3 (Chilesalpeter), Kaliumnitrat KNO3 (Salpeter), Ammoniumnitrat NH4NO3 (Ammonsalpeter) und Calciumnitrat Ca(NO3)2 (Kalksalpeter). Das hygroskopische Ca(NO3)2 geh~rt zu den stark bausch~idigenden Salzen (Mauersalpeter, Kap. 9.4.4). Sowohl konzentrierte als auch die im Laborbetrieb gebr~iuchliche halbkonzentrierte Salpeters~iure (-30%ig) sind starke Oxidationsmittel. Sie liSsen Metalle wie Kupfer, Quecksilber und Silber auf. Gold und Platin werden nicht gel6st (Kap. 7.3.5). Neben den Metallkationen entstehen Stickoxide. Mit halbkonzentrierter Salpeters~iure bildet sich tiberwiegend NO, mit zunehmender Konzentration der Salpetersaure wird mehr und mehr NO2 zum Hauptprodukt des oxidativen Angriffs. Das bedeutet, dass neben dem H30+-Ion auch das Nitration NO3- als Oxidationsmittel reagieren kann. Salpeters~iure geh6rt deshalb zu den oxidierenden Sauren. St~irker verdiJnnte HNO3 reagiert mit unedlen Metallen unter HaEntwicklung.
Salzs~iure HCI. Salzs~iure (Chlorwasserstoffs~iure) ist die w~issrige LSsung des Gases Chlorwasserstoff (HC1). Chlorwasserstoff ist in Wasser extrem gut 1/Sslich. Zum Beispiel 18st 1 Liter Wasser bei 0~ unter starker W~irmeentwicklung 507 Liter, bei 20~ 442 Liter Chlorwasserstoffgas. Der Name Salzs~iure riihrt yon der Darstellung der Saure her. Salzs~iure wird aus Kochsalz (NaC1) gewonnen. Handelsiibliche konzentrierte Salzs~iure ( p - 1,19 g/cm3 bei 20~ ist 38%ig. Das entspricht einem Stoffmengenanteil yon etwa 12 mol/l. Da sie an der Luft stark raucht, wird sie auch als ,,rauchende Salzs~iure" bezeichnet. Die Salze der Salzs~iure heigen Chloride. Charakteristisch ftir konzentrierte Salzsaure ist ihr stechender Geruch. Er ist auf HC1-Molektile in der Gasphase zuriic~fiihren. Die im Laborbetrieb verwendete verdiinnte HC1 besitzt in der Regel eine Stoffmengenkonzentration yon 2 mol/1. Verdtinnte Salzs~iure ist in der Chemie die nichtoxidierende S~iure schlechthin, denn wenn ein unedles Metall wie z.B. Zink von HC1 geltist wird (Bildung von Zn 2+ und H2), kommen nur die H30+-Ionen als Oxidationsmittel in Frage. Die Chloridionen sind redoxstabile Teilchen. Salzs~iure 16st deshalb nur unedle Metalle wie Zn, A1 und Fe. Salzsaure bildet sich bei der Reaktion von Chlorwasserstoff (Gas!) mit Wasser. In der w~issrigen L/Ssung liegen ausschlieBlich H30 +- und C1--Ionen vor. Das heiBt, alle HCI-Molektile haben sich in einer Protolysereaktion mit HzO umgesetzt (Merkmal einer starken Salute!). Wenn bei st6chiometrischen Aufgabenstellungen von Salzs~iure die Rede ist, bezieht man sich stets auf die Stoffmenge des gel~Ssten Chlorwasserstoffs, obwohl dieser in L6sung praktisch nicht mehr vorliegt. Es gilt somit: c(HC1) = c(H30+). Reine Salzs~iure ist farblos. Technische Salzsaure weist dagegen eine Gelbfiirbung auf, die von Eisenverunreinigungen (FeC13 bzw. [FeCI4]-) stammt.
6.5 Chemische Reaktionen in L6sung
205
Wasserl6sliche Chloride f'6rdem generell die Korrosion von Eisen/Stahl (Kap. 8.2.2). Wirken chloridhaltige W~isser, z.B. Meerwasser oder chloridhaltige Taumittel, auf Stahlbeton ein, mtissen besondere SchutzmaBnahmen getroffen werden.
Schwefelsiiure, Salpetersiiure und Salzsiiure geh/iren zu den stark betonaggressiven Stoffen. Ihr Angriffsgrad hiingt von der Konzentration ab. Phosphorsiiure H3PO4. Wenn man im praktischen Sprachgebrauch vonder Phosphors~iure spricht, meint man im Allgemeinen die Orthophosphorsdure H3PO4. Sie ist eine mittelstarke dreiprotonige S~iure, die ihre Protonen in drei Protolysestufen abspalten kann (G1. 661 bis 6-63). Dabei entstehen drei Gruppen von Salzen: MI H2PO4 MI2 HPO4 MI3 PO4
Dihydrogenphosphate (primdre Phosphate), Hydrogenphosphate (sekund~rePhosphate), Orthophosphate (tertidre Phosphate).
Orthophosphors~iure H3PO4 bildet farblose Kristalle (Smp. 42~ die sich gut in Wasser 16sen. Handelstibliche konz. Phosphors~iure (85%ig) ist eine sirup6se L6sung der Dichte 1,687 g/cm 3 (20~ Ihre hohe Viskosit~it ist auf Wasserstoffbrtickenbindungen zwischen den Molekiilen zurtickzufiihren. Die betonangreifende Wirkung der Phosphors~iure ist als gering einzustufen. Im Bauwesen findet H3PO4 vor allem als Bestandteil von Rostwandlern und beim Phosphatieren von Stahloberfl~ichen (8.2.6.1) Anwendung. Salz-, Schwefel- und Salpetersaure werden h~iufig als Mineralsliuren bezeichnet, da sie in Form ihrer Salze in den meisten Mineralen enthalten sind. Die Kohlensiiure und die Kieselsiiuren werden in Kap. 5.4.3.2 bzw. 9.2.2 n~iher besprochen.
Natriumhydroxid NaOH und Kaliumhydroxid KOH. Natriumhydroxid und Kaliumhydroxid sind weiBe, hygroskopische Substanzen. Sie 16sen sich sehr gut in Wasser (z.B. bei 25~ 1090 g NaOH pro Liter 1-120) und bilden unter W~irmeentwicklung Basen (Laugen). Sowohl Natronlauge als auch Kalilauge reagieren stark alkalisch. S ie wirken ~itzend und sind giftig. Beide Laugen greifen Zink und Aluminium an, in heiBer hochkonzentrierter Form sogar Eisen. Na20 und K20 (mitunter kurz als ,r bezeichnet) sind in geringen Mengen im Zement enthalten bzw. entstehen aus Natrium- oder Kaliumsalzen. Bei Zugabe von Wasser bilden sie Laugen (M20 + 1-I20 --->2 MOH, M = Na, K). Verdtinnte Alkalilaugen sch~idigen den Zementstein nicht. Bei Verwendung von Gesteinsk6mungen mit alkalil6slicher Kiesels~iure k6nnen die Alkalien zur Alkali-Kiesels~iure-Reaktion ftihren (Alkalitreiben, Kap. 9.4.2.2). Die wichtigsten alkalischen Verbindungen der Bauchemie, das Caleiumhydroxid Ca(OH)2 bzw. dessen Baseanhydrid, das Caleiumoxid CaO, werden in Kap. 9.3.2.1 n~iher besprochen.
7
Redoxreaktionen chemie
- Grundlagen
7.1
Begriffe: Oxidation - Reduktion
der Elektro-
Die Begriffe Oxidation und Reduktion sind im Laufe der historischen Entwicklung der Chemie mehrfach erweitert und auf einer h6heren Erkenntnisebene neu definiert worden. Urspriinglich wurde unter einer Oxidation die Reaktion eines Stoffes mit Sauerstoff (Oxygenium), also eine Sauerstoffaufnahme verstanden. Die RiJckftihrung des Stoffes in den ursprtinglichen Zustand, d.h. die Abgabe von Sauerstoff, wurde als Reduktion bezeichnet. Zum Beispiel verbrennt Magnesium bei h6heren Temperaturen unter Aussendung von blendend weiBem Licht. Mg wird oxidiert und es bildet sich weiBes Magnesiumoxid MgO (G1.7-1). 2 M g + O2
:-
2MgO
(7-1)
Betrachtet man andererseits die Umsetzung von Magnesium mit Chlor (G1. 7-2), ergeben sich eine Reihe von Analogien zur Oxidation des Mg mit Luftsauerstoff. Mg + C12
~
MgCI2
(7-2)
Obwohl Sauerstoff nicht beteiligt ist, verl~iuft auch diese Reaktion heftig und exotherm. Auch in diesem Falle spricht man von einer Verbrennung des Magnesiums im Chlorstrom. In beiden Reaktionen - und darin besteht ihre Gemeinsamkeit- gibt das Magnesiumatom Elektronen ab. Mg wird oxidiert (G1.7-3). Mg
~- Mg 2+ + 2e-
(Elektronenabgabe, Oxidation)
(7-3)
Die Elektronen werden vom jeweiligen Reaktionspartner aufgenommen, der dabei reduziert wird (G1.7-4 und 7-5). 89
+ 2e-
~- O 2-
(7-4)
(Elektronenaufnahme, Reduktion) C12 + 2 e-
~- 2 C1-
(7-5)
Im Resultat dieser Betrachtungen k6nnen die Begriffe Oxidation und Reduktion neu gefasst werden: Eine Oxidation ist stets mit einer Elektronenabgabe und eine Reduktion stets mit einer Elektronenaufnahme verbunden. Oxidation und Reduktion laufen immer gekoppelt ab. Der Gesamtprozess wird als Redoxreaktion bezeichnet. Unter Verwendung der in Kap. 2.2.2 eingefiJhrten Oxidationszahlen ergeben sich die folgenden Aussagen: Die Oxidation ist mit einer Erh6hung der Oxidationszahl und die Reduktion mit einer Erniedrigung der Oxidationszahl verbunden.
Eine Elektronenabgabe kann nur erfolgen, wenn ein Reaktionspartner vorhanden ist, der die Elektronen aufnehmen kann. Dieser Reaktionspartner wird als Oxidationsmittel bezeichnet. Denjenigen Reaktionspartner, der die Elektronen abgibt und damit die Reduktion hervorruft, nennt man Reduktionsmittel.
207
7.1 Begriffe: Oxidation - Reduktion
Oxidationsmittel sind Stoffe, die Elektronen aufnehmen kSnnen (Elektronenakzeptoten) und dabei selbst reduziert werden. Reduktionsmittel sind Stoffe, die Elektronen abgeben k6nnen (Elektronendonatoren) und dabei selbst oxidiert werden.
Bei der Oxidation von Magnesium mit Sauerstoff ist Mg das Reduktionsmittel. Magnesium wird oxidiert und erh6ht seine Oxidationszahl von _+0 auf +II. Der Sauerstoff als Oxidationsmittel erniedrigt seine Oxidationszahl von +_.0auf-II.
Beispiele fiir praktisch
wichtige Oxidationsmittel sind: C12, 02 (bzw. 03), H202, Kaliumpermanganat (KMnO4), Kaliumchromat bzw. -dichromat (K2CrO4 bzw. K2Cr207). Wichtige Reduktionsmittel sind die Alkalimetalle, Koks (C), Sulfite (z.B. Natriumsulfit Na2SO3), Nitrite (z.B. Kaliumnitrit KNO2) und Fe(II)-Salze (z.B. Eisen(II)-sulfat FeSO4). Wie S~iure-Base-Reaktionen sind auch die Redoxprozesse umkehrbar. Schreibt man GI. (73) und (7-5) als Gleichgewichtsreaktionen, entspricht jeweils die Hinreaktion einer Oxidation und die Riickreaktion einer Reduktion (GI. 7-6a und b). Oxidation _ Reduktion
Mg
2 CI
-
Mg 2+ + 2 e
Oxidation Reduktion
C12 + 2 e
(7-6a) (7-6b)
Reduzierte Form (Red) und oxidierte Form (Ox) stehen im Gleichgewicht. Sie bilden zusammen ein korrespondierendes Redoxpaar (auch: Redoxsystem). Red
-
"
Ox + z e
Ftir Redoxpaare wurde die Kurzschreibweise Red/Ox festgelegt. Vor dem Schr~igstrich steht stets die reduzierte Form und nach dem Schr~igstrich die oxidierte Form, z.B. Mg/Mg 2§ Im Redoxsystem (7-6b) ist die reduzierte Form das Chloridion und die oxidierte Form ein molekular vorkommendes Gas. Man schreibt deshalb definitionsgem~iB C1-/C12. Der St6chiometriefaktor 2 (2 CI- auf der linken Seite von G1. 7-6b) bleibt bei dieser Schreibweise des Redoxpaares unberticksichtigt. Diese Festlegung trifft auch auf Redoxpaare wie H2/H30 + und H20/O2 zu. Weitere Beispiele far Redoxpaare sind Fe2+/Fe3+, N a S a + oder Mn2+/MnO4-. Im Allgemeinen liegt das Gleichgewicht zwischen reduzierter und oxidierter Form auf einer Seite. In einem korrespondierenden Redoxpaar steht einem starkeren Reduktionsmittel stets ein schw~icheres Oxidationsmittel und umgekehrt einem schw~icheren Reduktionsmittel stets ein starkeres Oxidationsmittel gegeniiber. An einer Redoxreaktion sind stets zwei korrespondierende Redoxpaare beteiligt. Red1 + Ox2
-
OXl + Red2
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
208
Beispieh Zn
+
Cu 2 §
-.
Zn 2§ +
Cu
Reduktion
7.2
Formulieren von Redoxgleichungen
Bei zahlreichen Redoxreaktionen sind die ablaufenden Elektronentiberg/inge in komplizierter Weise miteinander verkntipft, so dass es dem AnF~inger h/iufig schwer fiillt, eine stOchiometrisch exakte Gleichung fiJr die zu betrachtende Reaktion zu formulieren. Ein schrittweises Vorgehen gestattet es, die einzelnen Redoxvorg~inge ad/iquat zu erfassen. Dabei soil im Weiteren grunds/itzlich die Ionenschreibweise verwendet werden, lonengleiehungen geben die Verh/iltnisse in Lfsung korrekter wieder und sind wesentlich einfacher und tibersichtlicher zu handhaben.
Vorgehensweise: (A) Zun/ichst sollte man sich Klarheit tiber die aus den Ausgangsstoffen entstehenden Reaktionsprodukte verschaffen und Ausgangsstoffe und Produkte aufschreiben (Ionenform!). (B) Formulieren der Teilgleichungen flir die beteiligten Redoxpaare und Bestimmung der Oxidationszahlen. Die Teilgleichungen haben im Prinzip formalen Charakter. Das bedeutet, sie laufen in dieser Weise nicht isoliert ab, helfen uns aber, die Bilanz zwischen Elektronenabgabe und -aufnahme besser zu verstehen und zu erfassen (Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen). (C) Die Gesamtgleichung erh/ilt man durch Addition der Teilgleichungen. (D) Die Stfichiometrie der Gesamtgleichung ist bestimmt durch 9 die Anzahl der abgegebenen und aufgenommenen Elektronen (muss gleich sein!), 9 die Anzahl der Einzelatome, 9 die Summe der Ionenladungen aufbeiden Seiten (muss ebenfalls gleich sein!). Dieser einfache Formalismus zur Erstellung von Redoxgleichungen soil an zwei Beispielen erl~iutert werden.
Beispiel 1: Aufl6sung von Kupfer in halbkonzentrierter Salpeters~iure (A) Ausgangsstoffe" Cu, NO3-, H30+; Reaktionsprodukte: Cu 2+, NO und H20. (B) Formulieren der Teilgleichungen und Bestimmung der Oxidationszahlen:
209
7.2 Formulieren von Redoxgleichungen
Teilgleichung I: _0 Cu
+II ~- Cu 2+ + 2 e-
(G1. Ia)
Oxidation
Teilgleichung II: Aus der Differenz der Oxidationszahlen der Stickstoffs im Nitrat und im NO ergibt sich fiir die 2. Teilgleichung zunachst: +V NO3- + 3 e-
+II : NO (+ 2 02-)
(GI. IIa)
Reduktion
Da O2--Teilchen in freier Form nicht best~indig sind, reagieren sie in w~issriger L6sung mit den vonder Salpeters~iure stammenden H30+-Ionen unter Bildung von H20. :
NO3- + 3 e- + 4 H30 +
NO + 6 H20
(GI. lib)
(C) Kombination beider Redoxprozesse (Teilgleichungen): Die Koeffizienten der Teilgleichungen werden so gew~ihlt, dass die Anzahl der abgegebenen und aufgenommenen Elektronen gleich ist (Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen). Anschliel3end werden die Teilgleichungen mit den entsprechenden Faktoren multipliziert und addiert. Cu NO3- + 3 e- + 4 H30 + 3Cu
+
2NO3-
+
8H30 +
"
Cu 2+ + 2 e -
(.3)
-~ NO + 6H20
(-2)
=
+
3 C u 2+ +
2 NO
12 H 2 0
(7-7a)
H~iufig ersetzt man der besseren Ubersichtlichkeit halber die Hydroniumionen (H30 § durch IT-Ionen. Dadurch vereinfachen sich Teilgleichung lib und die Gesamtgleichung wie folgt: NO3- + 3e- + 4I-I + 3Cu
+
2NO3-
+
8H +
NO + 2 H20 =
3 C u 2+ +
2NO
+4H20
(7-7b)
Beispiel 2: U m s e t z u n g v o n K a l i u m p e r m a n g a n a t - mit E i s e n ( l I ) - s u l f a t l f s u n g in s a u r e m M i l i e u (also u n t e r Z u g a b e v o n S~iure!)
(A) Ausgangsstoffe: MnO4-, Fe 2+, H30+; Reaktionsprodukte: Mn 2+, Fe 3+, H20. Die fi~r die Umsetzung interessanten Teilchen sind das MnO4-- und das Fe2+-Ion. Sie entstehen durch Dissoziation der Salze KMnO4 bzw. FeSO4 in w~issriger L6sung. Ftir das Aufstellen der Gleichung ist es notwendig zu wissen, dass in saurer L6sung immer eine Reduktion der MnO4-- zu Mn2+-Ionen erfolgt, wobei die Fe 2+- zu Fe3+-Ionen oxidiert werden.
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
210
(B) Formulieren der Teilgleichungen und Bestimmung der Oxidationszahlen: Teilgleichung I: +II Fe 2+
+III Fe 3+ + e-
~
Oxidation
Teilgleichung II" +VII MnO4- + 5 e- + 8 H30 +
+II Mn 2+ + 12 H20
=
Reduktion
(C) Bestimmung des kleinsten gemeinsamen Vielfachen und Addition der Teilgleichungen: Fe 2+ MnO4MnO4-
~
Fe 3+ + e-
(.5)
-I- 5 e- + 8 H 3 0 +
:
Mn 2+ + 12H20
('1)
+ 5 F e 2+ + 8 H 3 0 +
=
M n 2+ + 5 F e 3+ + 1 2 H 2 0
(7-8a)
M n 2+ + 5 F e 3+ + 4 H 2 0
(7-8b)
bzw. in vereinfachter Schreibweise: MnO4-
+ 5 F e 2+ + 8 H +
Ein spezieller Typ einer Redoxreaktion liegt vor, wenn aus einer Verbindung, die ein Element in einer mittleren Oxidationsstufe enth~ilt, zwei Produkte entstehen, die dieses Element in einer h6heren und einer niedrigeren Oxidationsstufe enthalten (Disproportionierung). Das Element wird bei dieser Reaktion gleichzeitig oxidiert und reduziert. Ein Beispiel fiir eine Disproportionierungsreaktion ist die Reaktion von Chlor (C12) mit Wasser (G1. 7-9). __0 -I +I C12 + H:O -IT + CI- + HOCI (7-9) Das Gegenstiick zur Disproportionierung ist die Komproportionierung (auch: Synproportionierung). Bei einer Komproportionierung reagieren zwei Verbindungen, die dasselbe Element in einer h6heren und einer niedrigeren Oxidationsstufe enthalten, zu einem Reaktionsprodukt, in dem dieses Element in einer dazwischen liegenden (mittleren) Oxidationsstufe vorliegt. Da die Komproportionierung die Umkehrung der Disproportionierung darstellt, ist die Riickreaktion von (7-9) ein Beispiel fiir diesen Reaktionstyp. Redoxampholyte sind Stoffe, die sowohl als Oxidations- als auch als Reduktionsmittel reagieren k6nnen. Sie sind Oxidationsmittel, wenn der Reaktionspartner unter den gegebenen Bedingungen das starkere Reduktionsmittel ist oder Reduktionsmittel, wenn der Reaktionspartner das st~irkere Oxidationsmittel ist. Verbindungen mit diesen Eigenschaften mtissen ein Element in einer mittleren Oxidationsstufe enthalten. Wichtige Beispiele sind das Wasserstoffperoxid H202 sowie die vom H202 abgeleiteten Peroxide (z.B. Na202). Im H202
211
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
kann dem Sauerstoff die (mittlere) Oxidationsstufe -I zugeordnet werden. Sie liegt zwischen der Oxidationsstufe des oxidischen (-II) und des elementaren (_0) Sauerstoffs. Reagiert H20~ als Oxidationsmittel, wird es zum H20 reduziert (G1.7-10). H202
+ 2e-
+ 2IT
--
2H20
(7-10a)
Beispiel." H202 + 21- + 21-1+
--
12 + 2 H 2 0
(7-10b)
Reagiert H202 andererseits als Reduktionsmittel, wird es zu 02 oxidiert (G1.7-11 a, b). H202
-- 02 + 2 e -
Beispiel: 2 MnO4- + 5 H202 + 6 IT
+ 21-1+
2 M n 2§ + 5 0 2 + 8H20
7.3
Redoxreaktionen
7.3.1
Redoxverm~igen der Metalle - Halbzellen
(7-11a) (7-11b)
- Spannungsreihe
Fiir das Verst/indnis der Redoxvorg~inge, die zahlreichen technischen Prozessen zugrunde liegen, sind h~iufig genauere Kenntnisse der oxidierenden bzw. reduzierenden Eigenschaften der beteiligten Stoffe notwendig. So ist es beispielsweise bei Korrosionsprozessen in der Praxis von groBer Wichtigkeit, aus der Kenntnis des elektrochemischen Verhaltens der Metalle heraus, gezielt KorrosionsschutzmaBnahmen einleiten zu k6nnen. Betrachten wir zuerst Redoxreaktionen zwischen unterschiedlichen Metallen. Taucht man z.B. einen Eisennagel in eine Kupfersulfatl6sung, ist eine augenblickliche Abscheidung von Kupfer auf dem Eisen zu beobachten. Metallisches Eisen ist in der Lage, Cu2§ zu metallischem Kupfer zu reduzieren. Wie ein weiteres Experiment sofort zeigt, gilt gleiches auch fiir metallisches Zink. Auch Zink bewirkt eine reduktive Abscheidung der Cu2§ als metallisches Kupfer an der Zn-Oberfl/iche. Reduktion: Oxidation:
Cu 2+ + 2 eFe Zn
~- Cu -- Fe 2§ + 2 e~- Zn 2§ + 2 e -
Gibt man allerdings umgekehrt ein Stiick Kupferblech in eine Eisen(II)-sulfatl6sung, findet keine Reaktion staR. Kupfer ist nicht in der Lage, Fe2§ zu metallischem Eisen zu reduzieren. Offensichtlich gibt Eisen leichter Elektronen ab als Kupfer. Fe ist das st~irkere Reduktionsmittel. Von den beiden Ionensorten Cu 2§ und Fe 2§ ist dagegen Cu 2§ das st~irkere Oxidationsmittel. Um zu quantitativen Aussagen hinsichtlich des Reduktions- und Oxidationsverm6gens der Metalle zu gelangen, kehren wir zun/ichst zum obigen Experiment Zinkstab/Kupfersulfat16sung zurtick. Diese Redoxreaktion Risst sich auch in einer experimentellen Anordnung durchftihren, bei der Oxidations- und Reduktionsvorgang r/iumlich getrennt sind und das jeweilige Metall in Kontakt mit der L6sung seiner Ionen steht. Die Kombination Elementsubstanz/L6sung der lonen dieser Elementsubstanz nennt man in der Elektrochemie Halbzelle (auch: Halbelement, Elektrode). Mitunter wird der Begriff ,,Elektrode" in einer abweichenden Bedeutung verwendet, indem man die jeweiligen metal-
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
212
lischen Leiter (Stab, Blech) meint, tiber die bei einer leitenden Verbindung zweier Halbzellen der Stromfluss erfolgt. Zwischen der metallischen Phase und der Elektrolytl6sung kommt es zum Obergang von Ladungstr~igern (Ionen, Elektronen). In einem Gef~iB I soil ein Zinkstab in eine Zinksalzl6sung, z.B. ZnSO4-L6sung mit den Ionen Zn 2+ und SO42-, eintauchen (Zinkhalbzelle). Aus der Metalloberflgche gehen Zn 2+Ionen in die zun~ichst elektrisch neutrale L6sung fiber. Die frei werdenden Elektronen bleiben im Zinkstab zurtick und ftihren zu seiner negativen Aufladung. Die sich ergebende Ladungstrennung zwischen Metall und Elektrolytl6sung ftihrt zur Ausbildung einer elektrischen Potentialdifferenz (auch: Potentialsprung, elektrisches Potential). Sie ist umso gr6Ber, je mehr hydratisierte Ionen sich an der Grenze zwischen fester und fliissiger Phase gebildet haben. Die elektrische Aufladung der beiden Phasen wirkt einem weiteren einseitigen Ubergang von Zinkionen in die L6sung entgegen. Umgekehrt besteht die Tendenz, dass Metallkationen der L6sung die Potentialdifferenz iiberwinden und sich am Metall entladen. Es bildet sich schlieBlich ein fiir jedes Metall charakteristisches dynamisches Gleichgewicht aus, dass zur Ausbildung einer elektrischen Doppelschicht aus Elektronen und Ionen an der Phasengrenze Metall/Elektrolyt fiihrt. Diese Doppelschicht ist infolge der Teilchenbewegung nicht starr, sondern diffus. .,
In einem zweiten GefdB soil ein Kupferstab in eine Kupfersulfatl6sung, die Cu 2+- und SO42--Ionen enth~ilt, eintauchen (Kupferhalbzelle). Die Tendenz zur Bildung hydratisierter Ionen ist beim Kupfer geringer als beim unedleren Zink. Bis zum Erreichen des elektrochemischen Gleichgewichts werden weitaus weniger Ionen aus Metallatomen gebildet. Am Kupferstab bleiben weniger Elektronen zurtick. Die Folge sind unterschiedliche elektrische Potentialdifferenzen zwischen L6sung und Metall ftir beide Reaktionsgef~iBe (Abb. 7.1). Im ReaktionsgefdB I liegt das Redoxpaar Zn/Zn2+ und im GefdB II das Redoxpaar Cu/Cu 2+vor.
Zn
i.
Zn 2+
Zn~
Zn 2+ + 2 e
Cu
~
C u 2+ - i - 2 e
Abbildung 7.1 Zink- und Kupferhalbzelle mit den potentialbestimmenden Vorg~ngen Das elektrische Potential, das sich zwischen der metallischen Phase und einer Elektrolytl6sung ausbildet und die Lage des Gleichgewichts M ~-~ M z+ + ze- bestimmt, ist keiner direkten Messung zug~inglich. Man fiihrt deshalb einen Potentialvergleich durch, indem man zwei Metallelektroden kombiniert und die auftretende Potentialdifferenz (auch: Zellspannung, Spannung) zwischen beiden Metallelektroden misst. Die entstehende Anordnung entspricht der einer galvanischen Zelle.
213
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
7.3.2
Galvanische Zellen
Eine galvanische Zelle (auch: galvanisches Element, galvanische Kette) besteht aus zwei leitend miteinander verbundenen Halbzellen, deren L6sungen fiber eine por6se durchl~issige Trennwand (Diaphragma) oder einen Stromschltissel in Kontakt stehen. Die Kombination Zinkhalbzelle - Kupferhalbzelle (Abb. 7.2) geht auf Daniell (1836) zudick. Sie stellt eine der ~iltesten bekannten elektrochemischen Zellen zur Stromerzeugung dar, Kurzschreibweise: Zn/Zn:+//Cu2+/Cu. Der Schr~igstrich symbolisiert die Phasengrenze fest/fliissig, die beiden Halbzellen werden durch einen Doppelstrich getrennt. Vereinbarungsgem~iB steht links immer die Donatorzelle (elektronenliefemd) und rechts die Akzeptorzelle (elektronenaufnehmend). Unterscheiden sich die Konzentrationen der SalzlSsungen, werden diese in Klammern nach den Ionensymbolen eingefiigt, z.B. Zn 2+(0,02 mol/1) bzw. Cu R+(0,5 mol/1). m
Fr e
An~ (~l~n
,,._
G
DiaphragmaCk(~ Kat~
ZnSO4"4 /Zn2+ ' Cu2+/ "1"i CuSO4" L6sungl Zn2§i , L6sung : I SO42-
HalbzelleI HalbzelleII Abbildung7.2 DanielI-Element (SchematischerAufbau) Wie Abb. 7.2. zeigt, bildet im Daniell-Element die Zinkelektrode den Minuspol (Anode) und die Kupferelektrode den Pluspol (Katode). Im Reaktionsges I (Zn-Halbzelle) gehen Zn2+-Ionen von der Zn-Elektrode in Lfsung, w~ihrend im Gef'~iB II (Cu-Halbzelle) Cu 2+Ionen an der Kupferelektrode abgeschieden werden. Die Elektronen flieBen demnach vom Zink zum Kupfer. Folgende Teilreaktionen laufen ab:
Halbzelle I (Redoxpaar I)"
Halbzelle 11 (Redoxpaar II):
Zn
Cu 2+ + 2 e~ (Reduktion)
= Zn 2+ + 2 e(Oxidation)
Cu
Gesamtreaktion (Zellenreaktion): Zn + Cu 2+
=
Zn2+ + Cu.
Die Zn-Elektrode 18st sich langsam auf, w~ihrend die Masse der Cu-Elektrode allm~ihlich zunimmt. Durch die ablaufenden Reaktionen entstehen im Reaktionsgef~iB I tiberschiissige positive Ladungen. Im Reaktionsraum II stellt sich dagegen ein Defizit an positiven Ladungen und damit ein Oberschuss an negativen Ladungen ein. Der Ladungsausgleich erfolgt im Ergebnis der Ionenwanderung durch das Diaphragma (por6se Scheidewand). Negativ geladene Sulfationen der Kupferhalbzelle wandern zur Zinkhalbzelle und kompensieren den
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
214
Oberschuss an positiven Ladungen. Die positiven Zinkionen der Zn-Halbzelle wandern in entgegengesetzte Richtung zur Kupferzelle und kompensieren dort die tiberschtissigen negativen Ladungen. Zum Ladungsausgleich k~Snnen auch Salze eingesetzt werden, die mit den Salzl6sungen der galvanischen Kette keine Ionenart gemeinsam haben. Beispielsweise wandern aus einem mit KC1-L6sung gefiillten Stromsehliissel (Salzbrticke), der in beide GefdfSe eintaucht, die K§ zum Katodenraum (Cu-Halbzelle) und die Chloridionen zum Anodenraum (Zn-Halbzelle). Bei der Kombination zweier Metallhalbzellen zu einer galvanischen Kette bildet generell das unedlere Metall die Anode. Die Metallatome gehen unter Elektronenabgabe als Kationen in die Elektrolytkisung fiber (Oxidation). Damit entsteht am unedlen Metall ein Elektroneniiberschuss (Minuspol). Das edlere Metall bildet stets die Katode. Durch die Entladung der Kationen (Reduktion) bildet sich ein Elektronenmangel aus. Die Katode stellt somit den Pluspol dar. Im Unterschied zu den Verhifftnissen bei einer Elektrolyse (Kap. Z 5) ist bei galvanischen Elementen die Anode der Minuspol und die Katode der Pluspol. Die Oxidation findet am Minuspol und die Reduktion am Pluspol statt.
Die galvanische Zelle bildet die Messanordnung ftir die Bestimmung quantitativer Werte des Oxidations- und Reduktionsverm6gens der Metalle und Nichtmetalle.
7.3.3 Standardelektrodenpotentiale - Elektrochemische Spannungsreihe Um die zwischen zwei Metallelektroden gemessene Potentialdifferenz zur Beurteilung des Redoxverm~gens der Metalle heranziehen zu kSnnen, bedarf es der Festlegung eines Bezugspunkts. Es muss ein ,,Standard-Reaktionspartner" bestimmt werden, der formal mit allen zu untersuchenden Stoffen in einer Redoxreaktion umgesetzt werden kann. Der Verlauf der Reaktion bzw. die Lage des sich einstellenden Gleichgewichts erm~Sglicht dann einen Vergleich der Reaktionss Als Bezugspunkt einigte man sich international auf das Redoxpaar HjH30 +. Praktisch erfolgt das so, dass unterschiedliche Halbzellen mit einer konstanten ,,Bezugs-Halbzelle" in einer galvanischen Kette kombiniert werden, wobei jeweils die Potentialdifferenz bestimmt wird. Die Bezugs-Halbzelle ist die Wasserstoffelektrode (Abb. 7.3).
~
-
0
--_.o
c(H3O§ ) = 1 mol/I
platinierte Pt-Elektrode
o oZ o
-
--
_
~
Abbildung 7.3
~-
Standardwasserstoffelektrode (SWE)
_--
--_
~-- H2 (g) P(H2) = 1,013 bar
--
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
215
Die Wasserstoffelektrode ist eine Gaselektrode. Sie besteht aus einem Platinblech, dessen Oberflache durch aufgebrachtes, fein verteiltes Platin (Platinmohr) stark vergr6Bert wurde. Das Pt-Blech, das standig von Wasserstoff umspiilt wird, taucht in eine Saure bestimmter Konzentration. Um vergleichbare Werte fiar die verschiedenen Metalle zu erhalten, mtissen fiir die Temperatur, den Druck und die Konzentration der Elektrolytl6sung Standardbedingungen gelten. Bei der Standardwasserstoffelektrode (Abk.: SWE; ~iltere Bezeichnung: Normalwasserstoffelektrode) taucht das Pt-Blech, das bei einer Temperatur von 25~ von reinstem Wasserstoff unter einem Druck von 1,013 bar umsptilt wird, in eine S~iure der Hydroniumionenkonzentration 1 mol/1 (exakt: a = 1 mol/1; s. Kap. 6.5.2.2). Am Pt-Blech stellt sich das Potential des Redoxsystems H2 + 2 H 2 0
~
2H30 § + 2e-
(7-12)
ein. Die Bestimmung der Standardelektrodenpotentiale E ~ (kurz: Standardpotentiale; auch: Redoxpotentiale oder Normalpotentiale) der einzelnen Redoxsysteme erfolgt somit durch Messung der Spannung eines galvanischen Elements, bei dem ein Halbelement (Standardbedingungen!) gegen die Standardwasserstoffelektrode geschaltet ist. Die Spannung der galvanischen Zelle
Zn/Zn2+(c=
1 mol/1)//H30+(c = 1 mol/1)/H2(p = 1,013 bar)[Pt]
bezeichnet man als Standardelektrodenpotential E ~ des Redoxpaares Zn/Zn 2+, also der Zinkhalbzelle. Da das Elektrodenpotential der Standardwasserstoffelektrode definitionsgem~iB gleich null gesetzt wird, sind die Standardpotentiale Relativwerte.
Die Spannung einer gaivanischen Zelle, bestehend aus der Standardwasserstoffelektrode und einem bestimmten Halbelement unter Standardbedingungen, wird als Standardelektrodenpotential bezeichnet. Standardelektrodenpotentiale werden mit dem Symbol E ~ gekennzeichnet und in Volt angegeben. Das Standardelektrodenpotential ist ein quantitatives Marl fiir das Redoxverhalten eines Redoxpaares. Kombiniert man die Zinkhalbzelle (Standardbedingungen) mit der Standardwasserstoffelektrode (SWE), flieBen Elektronen von der Zink- zur Wasserstoffelektrode. Reaktion (712) Riuft bevorzugt von rechts nach links ab, es entsteht Wasserstoff. Die Zn-Elektrode ladt sich negativ auf (Anode), die Wasserstoffelektrode bildet die Katode. Die Potentialdifferenz einer galvanischen Zelle berechnet sich entsprechend GI. (7-25) nach folgender Beziehung: AE = E(Katode) - E(Anode). Daraus ergibt sich: AE = E~ - E~ = 0 - E~ = - E~ Man erh~ilt einen negativen Wert fiir das Standardpotential. Im Falle der Zinkhalbzelle ergibt sich ein Wert von AE = E~ 2+) = -0,76 V. Die Bruttogleichung lautet: Zn + 2 H 3 0 +
=
Zn2+ + H2 + 2H20.
(7-13)
Ersetzt man in der Messkette das Halbelement Zn/Zn 2+ durch die Kupferhalbzelle, so flieBen die Elektronen in umgekehrter Richtung von der Wasserstoff- zur Kupferelektrode. Gleichung (7-12) l~iuft bevorzugt von links nach rechts ab. Der Wasserstoff bildet unter Elektronenabgabe Protonen (GI. 7-14).
216
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
Cu 2+ + H2 + 2 H 2 0
Cu
+
2H30 §
(7-14)
In der Messkette Cu/Cu2+(c = 1 mol/1)//SWE ist die Cu-Halbzelle die Katode und die SWE die Anode. Damit ergibt sich mit AE = E~ - SWE = E~ - 0 = E~ ein positiver Wert. Er betr/igt fiir die Cu-Halbzelle +0,34 V. Das Standardelektrodenpotential E ~ ist ein Marl fiir das Bestreben eines Redoxpaares, Elektronen an das gewfihlte Standardsystem H2/H30 + abzugeben bzw. yon ihm aufzunehmen.
Halbzellen, deren potentialbestimmender Vorgang auf einen Elektronentibergang zwischen nichtmetallischen Teilchen (Molekiilen, Ionen) zuriickzufiihren ist, wie z.B. 2 CI-
~
2OH- ~
C12 +
89
2 e-
NO + 6 H20 - - ~ 2e-
SO 2 +
6 H20
~
NO3-
+ 4 H30 + +
3 e-
8042- + 4 H30 + + 2 e-
k6nnen ebenfalls gegen die Standardwasserstoffelektrode vermessen werden. Je nach ihrer elektronenliefemden oder elektronenentziehenden Funktion erhalten sie negative oder positive Standardpotentiale. Ordnet man die Elektrodenpotentiale metallischer Halbzellen M/M z+ nach ansteigenden Standardpotentialen, erh~ilt man die Spannungsreihe der Metalle (Abb. 7.4). Bei der Anordnung nichtmetallischer Redoxpaare nach ihren Standardpotentialen ergibt sieh dementsprechend eine Spannungsreihe der Niehtmetalle. Diese Differenzierung ist allerdings wenig zweckm~iBig, deshalb werden in der Regel beide kombiniert (Anhang 5). Die Anordnung der Redoxsysteme nach der Gr6fle ihrer Standardelektrodenpotentiale bezeichnet man als elektrochemische Spannungsreihe.
Vereinbarungsgem/iB stehen bei vertikaler Anordnung der Standardelektrodenpotentiale die Systeme mit den negativeren Standardpotentialen iiber denen mit den positiveren. Eine Zusammenfassung der Standardelektrodenpotentiale wichtiger Redoxsysteme befindet sich im Anhang 5. 7.3.4
Triebkraft chemischer Reaktionen - Potentialdifferenz
Die Zellspannung einer galvanischen Zelle bezeichnet man auch als elektromotorische Kraft (EMK). Ihr Betrag (in V) ist umso gr6Ber, je gr6Ber die Tendenz zum Ablaufen der chemischen Reaktion in der Zelle ist. Die EMK h/ingt von der Natur und der Konzentration der an der Umsetzung beteiligten Stoffe, sowie vonder Temperatur ab. Liegen Edukte und Produkte im Standardzustand vor, spricht man von der Standard-EMK der galvanischen Zelle. Ist die Potentialdifferenz einer galvanischen Zelle ungleich null, besitzt die Zellreaktion stets das Bestreben in einer bestimmten Richtung abzulaufen. Die Elektronen werden in dieser Vorzugsrichtung durch den Stromkreis ,,gepumpt". Die zugeh6rige Reaktion ist durch eine negative freie Reaktionsenthalpie AG charakterisiert (Kap. 4.2.4). Ist AG negativ und sein Absolutwert groB, ist die Tendenz zum Ablauf der Reaktion ebenfalls groB. Damit verkntipft ist eine grol3e Potentialdifferenz AE zwischen den Redoxpartnem. Entsprechend
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
217
folgt fiir einen negativen, vom Absolutwert her kleinen A G - W e r t eine geringe Potentialdifferenz AE. Im Gleichgewichtszustand ( A G = 0) ist auch AE gleich null. Die flir den Ablauf einer chemischen Reaktion verantwortliche Gr66e, die freie Enthalpie A G , ist mit der Potentialdifferenz AE gem~i6 Beziehung (7-15) verkniipft. [ AG=-z.F.AE
[
(7-15) F = Faraday-Konstante z = Anzahl der ausgetauschten Elektronen AE = Potentialdifferenz zwischen den Halbzellen (Redoxpaaren).
Die Faraday-Konstante F entspricht der Ladung von 1 Mol Elektronen: F = Ladung des Elektrons 9 Anzahl der Elektronen pro Mol F = (1,602 1892.10 -19 C) 9 (6,022 0453 9 1023 mo1-1) F = 96 485 C/mol. Ftir gleiche Elektrolytkonzentrationen betr~igt die EMK fiir das Daniell-Element 1,1 V. Nach GI. (7-15) l~isst sich die freie Reaktionsenthalpie der ablaufenden Redoxreaktion berechnen: A G = - 2" 96 485 C/mol 9 1,1 V = -212,3 kJ/mol.
Der AG-Wert von -212,3 kJ/mol entspricht der maximalen Arbeit, die mit der Zelle geleistet werden kann. Errechnet man die freie Reaktionsenthalpie mit einer Standard-EMK ~ , erhalt sie das Symbol A G ~ (G1. 7-16). Der im Beispiel ermittelte AG-Wert bezieht sich somit auf das Standard-Daniell-Element. A G ~ = -z . F . A E ~
(7-16)
Der Zusammenhang zwischen der freien Reaktionsenthalpie AG ais Marl fiir die Triebkraft einer chemischen Reaktion und der Potentialdifferenz AE bildet die Grundlage fiir das Verstiindnis der Korrosion der Metaile (Kap. 8.2).
7.3.5
Folgerungen aus der elektrochemischen Spannungsreihe Praktische Spannungsreihe
Generell gilt: Je kleiner (negativer) das Redoxpotential, umso gr6fSer ist die Reduktionswirkung der reduzierten Form eines Redoxpaares und umso schw~icher ist die Oxidationswirkung der oxidierten Form. Umgekehrt gilt, je grSl3er (positiver) das Redoxpotential eines Redoxpaares, umso grSfSer ist die Oxidationswirkung seiner oxidierten und umso schw~icher ist die Reduktionswirkung seiner reduzierten Form (Abb. 7.4). Als unmittelbare Folgerung ergibt sich: Jedes Metall kann das in der elektrochemischen Spannungsreihe unter ihm stehende Metall aus der Lfsung seiner Salze ausscheiden.
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
218
I..~
//
Red2
-rox, I (7-17) Ox2
Vereinfacht l~isst sich dieser Sachverhalt wie folgt darstellen (Schema 7-17): Eine Redoxreaktion ist nur zwischen den Atomen bzw. Ionen innerhalb der Spannungsreihe mSglich, die sich durch eine abfallende Gerade verbinden lassen. Stoffe links unten und Stoffe rechts oben kSnnen nicht miteinander reagieren (gestrichelte Linie). Red ~-~ Li
-"-~ ~-
K
"-~
+ ze
E ~ (inV)
Li §
+
e-
-3,04
K§
+
e
-2,92
Ca
~
Ca 2§ + 2 e -
-2,87
Na
~
Na §
e-
-2,71
Mg
~
Mg 2§ + 2 e -
-2,36
AI
~
AI 3+
+
3 e-
-1,66
Zn
~
Z n 2+
+ 2e-
-0,76
+
Cr
~--~
Fe
~
Fe 2+ + 2 e-
-0,44
Sn
"-~
S n 2+
+ 2e-
-0,14
Pb --.
Ox
m
Or3+ + 3 e
-0,74
~ ...
.
Pb 2§ + 2 e .
.
.
.
.
.
,..
9
Metalle sind starke Reduktionsmittel (leichte Abgabe von Elektronen)
9 negative E~ 9 chemisch aktiv (l(~slich in verd. S~uren)
-0,13 m
B
.
.
.
.
H2
~
2 H§ + 2 e
Cu
~--~
Cu 2§ + 2 e
+0,34
Ag
"-~
Ag +
e
+0,80
Hg
~
Hg2+ + 2 e
+0,85
Pd
~"
Pd 2§ + 2 e
+0,91
Pt
"-~
Pt 2+ + 2 e
+1,19
Au
-'~
AM3+ + 3 e
+1,50
+
9 unedle Metalle (lassen sich leicht oxidieren)
,,.,
0 9
9
edle Metalle (lassen sich schwer oxidieren) Metallionen sind starke Oxidationsmittel (schwere Abgabe von Elektronen)
9 positive E~ 9 chemisch inaktiv (unlOslich in verd. S~uren)
Abbildung 7.4 Spannungsreihe und Folgerungen
Alle Metalle mit einem negativen Standardpotential, also Metalle, die in der Spannungsreihe fiber dem Wasserstoff stehen, 16sen sich in verdiinnten Minerals~iuren wie HC1, H2SO4 und HNO3 (s. G1. 7-13). Die Metalle geben ihre Elektronen an die H30+-Ionen ab und setzen somit Wasserstoff frei. Man bezeichnet diese Metalle als unedle Metalle. Bei sehr unedlen Metalle, wie z.B. K, Na und Ca, geniigt bereits die geringe H30+-Konzentration des Wassers (10 -7 tool/l), um sie oxidativ aufzul6sen.
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
219
Neutrales Wasser (pH = 7) besitzt ein Elektrodenpotential von-0,41 V (Kap. 7.3.6). Daher sollten alle Metalle mit einem Standardpotential < -0,41 V mit Wasser unter Wasserstoffentwicklung reagieren. G1. (7-18) zeigt die Reaktion des Calciums mit Wasser. Ca + 2 H20
-- Ca 2+ + 2 OH- + H2
(7-18)
Einige Metalle, wie z.B. Aluminium, Zink und Chrom, verhalten sich anders als nach der Spannungsreihe zu erwarten ist. Obwohl die Standardelektrodenpotentiale dieser drei Metalle E~ = -1,66 V, E~ 2+) =-0,76 V und E~ 3+) =-0,74 V unter dem des neutralen Wassers liegen, weiB jeder aus Erfahrung, dass sich Werkteile oder Haushaltgegenst~inde aus A1, Zn oder Cr nicht in (neutralem) Leitungswasser aufl0sen. Man bezeichnet diese Erscheinung als Passivitiit. Das Metall verh~ilt sich ,,passiver" als es seinem Standardpotential entspricht. Ursache der Passivitat ist die Ausbildung einer dtinnen, fest an der Oberfl~iche der Metalle haftenden, unlOslichen Oxidschicht. Beispielsweise ist Chrom dank dieser dichten passivierenden Schicht schwerer oxidierbar als Eisen, obwohl es in der Spannungsreihe tiber Eisen steht. Ist bei verchromten Stahlteilen die Chromschicht verletzt, wird die Korrosion des darunter liegenden Eisens geradezu gef'6rdert (Kap. 8.2.3) und die Chromschicht platzt ab. Stark basische L0sungen k0nnen diese oxidische Schutzschicht unter Komplexbildung aufl0sen. Metalle mit einem positiven Standardpotential (edle Metane), wie z.B. Cu, Ag und Au, 10sen sich nicht in Sauren unter H:-Entwicklung. Die oft gestellte Frage, warum sich Zn in Salzs~iure 10st, Cu jedoch nicht, kann mit einem Blick auf die Spannungsreihe leicht beantwortet werden. Wtirde Kupfer von HC1 gel0st, ware in der ablaufenden Redoxreaktion Kupfer das Reduktionsmittel (es wtirde oxidiert) und die H30+-Ionen der Salzs~iure waren die Elektronenakzeptoren (Oxidationsmittel). Sic wtirden unter H:-Bildung entladen. Da das Standardpotential des Kupfers positiver ist als das des Redoxpaares HJH30 +, kann Cu laut Spannungsreihe gegeniiber H30+-Ionen nicht als Reduktionsmittel reagieren (Schema 7-17: ansteigende Gerade!). Oder umgekehrt: Die Hydroniumionen sind nicht in der Lage, das Kupfer zu oxidieren. Zink mit seinem negativen Standardpotential erfiillt die Forderung an ein Reduktionsmittel, n~imlich ein negativeres Potential zu besitzen als das Oxidationsmittel. Es 10st sich unter H2-Entwicklung auf. Die Aufl0sung der edleren Metalle kann nur durch oxidierende S~iuren wie Salpeters~iure HNO3 und Schwefels~iure H2SO4 erfolgen. In oxidierenden S[iuren liegt neben dem H30 +Ion noch ein weiteres potentielles Oxidationsmittel vor, in der HNO3 das Nitration (NO3-) und in der H2SO4 das Sulfation (SO42-). Zum Beispiel 10st sich Kupfer in Salpeters~iure h6herer Konzentration unter Bildung von Stickoxiden. Mit halbkonzentrierter HNO3 entsteht Stickstoffmonoxid NO (G1. 7-7), mit zunehmender Konzentration der HNO3 wird dagegen Stickstoffdioxid NO2 zum Hauptprodukt der Redoxreaktion. Dem Reduktionsmittel Cu sind demzufolge nicht die H30+-Ionen, sondern die Nitrationen als Oxidationsmittel gegentibergestellt. Das Standardpotential E ~ (Cu/Cu 2+) ist mit einem Wert von +0,34 V ,,negativer" als das des Redoxpaares NO/NO3mit E ~ = +0,96 V. Auch metallisches Silber und Quecksilber lassen sich in konz. Salpeters~iure in L0sung bringen.
220
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
Platin und Gold werden wegen ihrer hohen positiven Standardpotentiale (> +0,96 V) von konz. HNO3 nicht mehr angegriffen. Sie 10sen sich jedoch in KSnigswasser, einem Gemisch aus 3 Teilen konz. Salzs~iure und 1 Teil konz. Salpeters~iure. Die auBerordentlich hohe Oxidationskraft des KOnigswassers (es 10st den ,,KOnig der Metalle" - das Gold) beruht auf der Entstehung von aktivem Chlor CI, neben Nitrosylchlorid NOC1 (G1. 7-19). HNO3 + 3 HC1
=
NOC1 + 2C1 + 2 H 2 0
(7-19)
Die Chloridionen komplexieren beim Aufl0sen von Gold die entstehenden Au3+-Ionen. Durch die Bildung des Komplexes [AuCI4]- wird das Standardpotential stark herabgesetzt (E~ -) = 1,0 V im Unterschied zu E~ 3§ ) = 1,50 V!).
Tabelle 7.1 Praktische Spannungsreihe einiger Werkstoffe in Wasser und ausgew~ihlte Standardpotentiale [KS 2] Trinkwasser pH = 6, 25~ beliaftet I F ilber essing (CuZn 37) -Kupfer iCu30Fe ickel IMgSi luminium (rein) artchrom inn
I
~SBlei tahl (St 37-2)
Meerwasser pH = 7, 25~ beltiftet Silber
Standardpotentiale (in Volt) Ag/Ag+
= + 0,80
Cu/fu
=
ickel essing (CuZn 37) iCu30Fe F-Kupfer ~HZ Blei ink artchrom Stahl (St 37-2)
~
2+
+ 0,34
Pb/pb2+ Sn/Sn 2+ Ni/Ni 2+
= - 0,13 = - 0,14 = - 0,23
Fe/Fe2+
= - 0,44
Zn]Zn 2+
= - 0,76
A1/AI3+
= - 1,66
admium
Cadmium
luminium (rein)
IMgSi
Zink
Zinn
Die elektrochemische Spannungsreihe ist eine wichtige und verl~issliche Basis zur theoretischen Deutung von Redoxprozessen. Die praktisch interessierenden Potentiale haben allerdings mit den theoretisch ermittelten Standardpotentialen in der Regel wenig gemein, beziehen sich letztere doch auf IonenlSsungen der Konzentration 1 mol/1. Ionenkonzentrationen dieser Gr0Benordnung spielen bei realen Prozessen wie Korrosionsvorg~ingen kaum eine Rolle. Mit anderen Worten, die Elektrodenpotentiale der Praxis weichen mitunter deutlich von den tabellierten Standardpotentialen ab. Damit ist die elektrochemische Spannungsreihe ftir den Praktiker oft nur von begrenztem Wert.
221
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
In der Vergangenheit hat es mehrfach Versuche gegeben, die Elektrodenpotentiale von gebr/iuchlichen Werkstoffen - und zwar sowohl von reinen Metallen als auch von Legierungen - in realen Elektrolytl6sungen zu bestimmen und nach ansteigender Gr6Be anzuordnen (praktisehe bzw. teehnisehe Spannungsreihe). Die Zahlenwerte der publizierten Spannungsreihen streuen sehr stark, da sie in empfindlicher Weise von den Werkstoffeigenschaften, von Verunreinigungen und Beimischungen sowie von der Art und dem Anteil des Legierungselements abh/ingen. Dariiber hinaus werden sie bei Korrosionsprozessen stark vom angreifenden Medium, seiner Zusammensetzung, seinem Gehalt an Luft(O2) und Chloridionen beeinflusst. Die ermittelten Potentialwerte in Tab 7.1 k6nnen somit nur Richtwerte sein. Die Klammem um einige Werkstoffe sollen andeuten, dass f'tir die jeweilige Gruppe hinsichtlich der Potentiale ann~ihemd Gleichwertigkeit besteht. Die korrosive Zerst6rung metallischer Werk- und Baustoffe ist ein zentrales Problem jeder Volkswirtschaft. Sowohl die verschiedenen Arten der Metallkorrosion als auch der Korrosionsschutz fuBen auf elektrochemischen Gesetzrn~iBigkeiten. Sie werden im Kap. 8.2 besprochen.
7.3.6
Konzentrationsabh~ingigkeit der Elektrodenpotentiale: Nernstsche Gleichung und ihre Anwendung
Standardelektrodenpotentiale E ~ beziehen sich definitionsgem/iB auf eine Elektrolytkonzentration von 1 mol/1. Um Elektrodenpotentiale E fiir abweichende Konzentrationen berechnen zu k6nnen, leitete Nernst (1889) eine quantitative Beziehung zwischen beiden GrSBen her (G1. 7-20). E = E~ +
R" T
In
z" F
R F z c(Ox) c(Red)
= = = = =
c(Ox) c(Re d)
Nernstsche Gleichung
(7-20)
molare Gaskonstante Faraday-Konstante Zahl der pro Formelumsatz ausgetauschten Elektronen Konzentration der oxidierten Form des Redoxpaares Konzentration der reduzierten Form des Redoxpaares
Durch Einsetzen der Zahlenwerte ~ r R und F sowie Umrechnung des nattirlichen in den dekadischen Logarithmus ergibt sich ftir eine Temperatur T = 298,15 K die Beziehung (721). E-E
~+
0,059 V z
lg
c(Ox) c(Red)
(7-21)
Die Nernstsche Gleichung gibt die Konzentrationsabhiingigkeit des Elektrodenpotentials an. Sie gilt exakt nur fiir verdiinnte Liisungen.
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
222
Anwendung der Nernstschen Gleichung auf eine Metallhalbzelle: Der Zusammenhang zwischen Elektrodenpotential und Elektrolytkonzentration einer Metallhalbzelle soll am Beispiel der Zinkhalbzelle (Zn/Zn 2§ gezeigt werden. Die Nernstsche Gleichung lautet: E(Zn/Zn2+) = EO(Zn/Zn2+ ) + 0,059 V lg c(Zn2+~).
2
c(Zn)
Fiir reine kondensierte Stoffe (Feststoffe) kann die Aktivit~it a gleich 1 gesetzt werden (Kap. 6.5.2.2). Damit ergibt sich ftir den Nenner: a(Zn) - c(Zn) = 1 und es folgt GI. (7-22). Man erh~ilt eine unmittelbare Abhg~ngigkeit des Elektrodenpotentials vonder Konzentration
der lonen in LOsung. E(Zn/Zn 2+) = E~
2+) +
0,059 V
lg c(Zn 2+).
(7-22)
Je geringer die Konzentration der Elektrolytl/isung, umso negativer ist das Elektrodenpotential und umso grffler ist das Reduktionsverm/igen des Metalls.
Beispiel Man berechne das Elektrodenpotential der Zinkhalbzelle bei 25~ fiir folgende Zn2+-Ionen konzentrationen: a) 1 mol/1; b) 10 -2 mol/1; c) 10 -4 mol/l [ a) E = -0,76V + 0 , 0 5 9 V l g l 2
E = -0,76V
=~ E = E ~
b) E = -0,76 V + 0,059V lg 10-2 2
E = -0,76 - 0,059 = -0,819 V
c) E = -0,76 V + 0,059V lg 10-4 2
E = -0,76 - 0,118 = -0,878 V.
Die Ergebnisse best~itigen die vorstehende Aussage: Je verdtinnter die Zinksalzl6sung, desto st~irker wirkt Zn als Reduktionsmittel.
Anwendung der Nernstschen Gleichung auf eine Gaselektrode: Der Zusammenhang zwischen dem Elektrodenpotential und der Elektrolytkonzentration einer Gaszelle soil am Beispiel der Wasserstoffelektrode (1-12 + 2 H20 ~-~ 2 H30 § + 2 e-) gezeigt werden. Die Nemstsche Gleichung lautet: E(H2/I-I30 +) = E~
+) +
0,059 V lg c2 (H3 0 +) 2 p(n2)
Da E ~ (n2/I-I3O+) definitionsgem~iB gleich null ist, kann man fiir einen Wasserstoffdruck von p = 1 bar schreiben: E = 0,059 V" lg c(H30+).
7.3 Redoxreaktionen- Spannungsreihe
223
Die Abh~ingigkeit des Elektrodenpotentials von der Elektrolytkonzentration bedeutet ftir die Wasserstoffelektrode eine Abh~ingigkeit von der Konzentration der Hydroniumionen und damit vom pH-Wert. Durch Umformen erh~ilt man G1. (7-23). E = (- 0,059 V ) . ( - lg c(H30+))
[ E--0,059V.pH
bzw.
[
(7-23)
Einsetzen von pH = 7 ftihrt zu dem bereits oben benutzten Elektrodenpotential der Wasserstoffelektrode fiir reines (neutrales) Wasser: E = (-0,059 V) 9 7 = -0,41 V. Fiir pH = 14 (stark alkalisches Milieu) ergibt sich ein Elektrodenpotential von -0,83 V. Der potentialbestimmende Vorgang muss in diesem Fall entsprechend G1. (7-24) formuliert werden. 2H20
+ 2e-
-
H2 + 2OH-.
(7-24)
Eine wichtige Anwendung der Nemstschen Gleichung besteht in der Berechnung der Zellspannung bzw. der E M K galvanischer Elemente. Die Zellspannung AE berechnet sich aus der Differenz der Elektrodenpotentiale der Halbelemente. Damit sich ein positiver Spannungswert ergibt, muss die Differenz entsprechend GI. (7-25) gebildet werden. Das bedeutet fiir Metallhalbzellen: Das Elektrodenpotential des unedleren ist stets vom Elektrodenpotential des edleren Metalls abzuziehen. Im anderen Fall wiirden keine positiven Spannungswerte erhalten.
[ AE - E (Katode) - E(Anode) I
(7-25)
Beispiel: Daniell-Element a e = ~(Cu/Cu:+)- E(ZreZn :+) Z~--
E~
2+) -
E~
2+) +
0,059 V c(Cu 2+) l g ~ 2 c(Zn 2+)
(7-26)
Ftir den Fall gleicher Elektrolytkonzentrationen c ( C u 2+) -- c(Zn 2+) reduziert sich die Berechnung der Zellspannung auf die Differenzbildung zwischen den Standardelektrodenpotentialen: Z ~ -- E ~
2+) -
E~
2+)
(7-27)
Ftir das Daniell-Element ergibt sich AE = +0,34 V - (-0,76 V) = 1,10 V. Dieser Wert entspricht der Zellspannung des galvanischen Elements im Standardzustand. Liegen in den Halbzellen unterschiedliche Elektrolytkonzentrationen vor, muss der Konzentrationsterm c(Cu2+)/c(Zn2+) aus G1. 7-26 in die Berechnung der Zellspannung einbezogen werden. Ein besonderer Typ galvanischer Elemente liegt vor, wenn zwei gleiche Metallhalbzellen kombiniert werden, die sich nur in der Konzentration der Elektrolytl6sung unterscheiden. Eine solche Anordnung bezeichnet man als Konzentrationskette. Betrachten wir wieder die Zinkhalbzelle. Ein Beispiel fiir eine Konzentrationskette w~ire die Anordnung: Zn/Zn2+(0,1 mol/l)//Zn2+(O,O01 mol/l)/Zn. Aus der Konzentrationsabh~ingigkeit des Elektrodenpotentials ergibt sich ein Stromfluss vonder Halbzelle mit der niedrigeren
224
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
Konzentration (negativeres Potential) zu der mit der hOheren Konzentration (positiveres Potential). Fiir die Zellspannung der Zink-Konzentrationskette erh~ilt man den Ausdruck: AE = 0,059 V [(7g 10-1)-(78 10-3)) = 0,059 V 2 2
18 10-___11 10 -3
AE = 0,059 V = 59inV.
Konzentrationsketten sind selbstverst~indlich nicht auf metallische Halbzellen beschr~inkt. Zum Beispiel beruht die Sauerstoffkorrosion (Rostvorgang) auf der Ausbildung einer Sauerstoff-Konzentrationskette (Kap. 8.2.2). Die Standardpotentiale lassen nur Voraussagen dariiber zu, welche Redoxreaktionen m6glich sind und welche nicht. Es gibt eine Reihe von Reaktionen, bei denen ein spontaner Reaktionsablauf anhand der Redoxpotentiale m6glich sein sollte (thermodynamische Bedingung), praktisch aber ausbleibt. Ursache for dieses Verhalten sind kinetische Hemmungen. Bei diesen Reaktionen ist die erforderliche Aktivierungsenergie so grofS, dass die Reaktionsgeschwindigkeit nahezu null ist. Wichtige Beispiele sind Redoxreaktionen, bei denen Gase wie Wasserstoff oder Sauerstoff entstehen. Obwohl sich infolge seines negativen Standardpotentials Zink unter H2-Entwicklung spontan in S~iuren 16sen sollte, l~iuft diese Reaktion stark gehemmt ab. Dieses ungew6hnliche Verhalten ist auf die sogenannte Oberspannung zuriickzufiihren (Kap. 7.5).
7.4
Elektrochemische Stromerzeugung
Galvanische Zellen sind als ortsunabh~ingige Stromquellen aus dem tiiglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Sie werden nicht nur zum Betrieb von Taschenlampen, Elektroger[iten, Uhren und Kraftfahrzeugen benutzt, sondern spielen in nahezu jedem technischen Bereich als Stromversorgungsaggregate in unterschiedlichster Form eine wichtige Rolle. Ist eine Umwandlung von chemischer in elektrische Energie nur einmalig nutzbar, liegen Primiirelemente vor. Sie sind solange einsetzbar, bis die zur Erzeugung der elektrischen Energie notwendigen Stoffe, d.h. die zu oxidierenden und zu reduzierenden Substanzen, verbraucht sind. Eine Wiederaufladung ist nicht m6glich. Nach dem Ende der Reaktion werden sie als Sondermiill entsorgt. Galvanische Elemente, die durch Zufuhr von elektrischer Energie wieder in den alten Zustand zuriickversetzt und somit erneut als galvanische Elemente genutzt werden k0nnen, nennt man Sekundiirelemente oder Akkumulatoren. Beim praktischen Einsatz muss eine galvanische Zelle eine for das jeweilige Anwendungsprofil ausreichende Stromst~irke liefem. Diese h~ingt vonder Art der eingesetzten Stoffe und der Konstruktion der Zelle ab. Zur Gruppe der Primarelemente gehOrt die haufig verwendete Taschenlampenbatterie. Sie geht im Wesentlichen auf die 1867 von Leclanch~ entwickelte Zink-Kohle-Batterie (Leclanch6-Element) zurtick. Das Leelaneh6-Element beruht auf dem Redoxsystem Zink~raunstein (MnO2) in Ammoniumchloridl6sung (Abb. 7.5a). Sein Wirkprinzip ist leicht zu verstehen: In einem Zinkzylinder befindet sich ein Kohlestab, der von einem Gemisch Graphit/Braunstein umgeben ist.
7.4 Elektrochemische Stromerzeugung
225
Als Elektrolyt diem eine 20%ige w~issrige Ammoniumchlorid (,,Salmiak")-L6sung, deshalb auch Salmiakzelle. Bei kommerziellen Ausftihrungen des Leclanch6-Elements wird die Elektrolytl/Ssung mit Quellmitteln wie Gelatine, Cellulose, Starke oder S~igemehl verdichtet, damit sie bei Besch~idigungen nicht auslaufen kann. Obwohl man in diesem Fall von einem Trockenelement spricht, ist die Batterie natiirlich nicht trocken. Das Wasser ist zwar ,,gebunden", spielt aber sowohl als Ltisungsmittel als auch im Rahmen der Zellreaktion eine wichtige Rolle. Das Zink l/Sst sich auf (Anode, Minuspol). Die Elektronen flieBen zu der mit Mangan(IV)-oxid umgebenen Graphitelektrode (Katode, Pluspol). MnO2 ist das Oxidationsmittel und wird zur Oxidationsstufe +III reduziert. Der Kohlestab stellt den elektrischen Kontakt nach auBen her. An der Zn-Anode werden Zn2+-Ionen gebildet und an der Katode findet eine Reduktion des Braunsteins (7-28) statt. 2MnO2 + 2e- + 2 H +
2 MnO(OH)
(7-28)
Es entsteht Mangan(llI)-oxidhydroxid. Die erforderlichen Protonen stammen von den NHn+-Ionen. Die klassische Zn/MnO2-Zelle ist somit eine saure Zelle (pH < 7, Protolyse von Ammoniumsalzen, Kap. 6.5.3.5). Der durch Reduktion der H30+-Ionen am Zinkmantel eventuell entstehende H2 wird durch Braunstein oxidiert: H: + 2 MnO: ---, 2 MnO(OH).
~r -
Zinkzylinder
Zinkpulver
~ Kohleelektrode
e
BraunsteinGraphitGemisch
Separator HgO-GraphitMischung
NH4CI-L5sg. a)
Batteriegef~l~
KOH-LOsung (Elektrolyt)
Stahlbecher b)
Abbildung 7.5 a) Leclanche-Element, b) Quecksilberoxid-Batterie. Eine wichtige Weiterentwicklung der Zn/MnOa-Zelle ist die Alkali-Mangan-Batterie. Sie arbeitet nicht mehr mit einer Zink-Ummantelung, sondern enth~ilt das Zink im Innern der Batterie als amalgiertes Zinkpulver (in KOH). Die Braunsteinmasse befindet sich in gepresster Form hinter dem Stahlgeh~iuse. Die meisten Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Trockenelemente benutzen weiterhin Zink als Anode, die Gegenelektroden wurden jedoch optimiert. Genannt werden sollen die Zink-Luft-Zelle (Katodenvorgang: 89 02 + H20 + 2 e- ~-~ 2 OH-), die QueeksiiberoxidZeile (Katodenvorgang: HgO + H20 + 2 e- ~-~ Hg + 2 OH-, Abb. 7.5b) bzw. die Siiberoxid-Zelle (Katodenvorgang: Ag20 + H20 + 2 e- ~-~ 2 Ag + 2 OH-). Lithiumzellen besitzen heute ein breites Anwendungsspektrum, z.B. in Fotoapparaten, Armbanduhren, Herzschrittmachern usw. Lithium bildet das Anodenmaterial. Die Elektrolytl/Ssung ist ein Gemisch aus organischen Ltisungsmitteln und darin gel/Ssten Lithiumsal-
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
226
zen, z.B. LiCIO4 und Li[BF4]. Eine w~issrige L6sung kommt nicht in Betracht, da das stark unedle Li (E ~ = -3,04 V) Wasser unter H~,Entwicklung zersetzen wtirde. Fiir das Katodenmaterial werden neben Mn02 (Lithium-Mangan-Batterie) und CuO auch komplizierter aufgebaute Substanzen wie Chromoxide (z.B. Cr3Os), Thionylchlorid (SOC12) und Bismutoxid (Bi203) verwendet. Je nach Oxidationsmittel ergeben sich unterschiedliche Batteriespannungen. Das wohl wichtigste Sekund~irelement ist der Bleiakkumulator. Er ist bis heute immer noch das in der Technik am h~iufigsten eingesetzte galvanische Element zur Stromerzeugung. Die Elektroden bestehen aus Bleigitterplatten, auf deren Oberfl~iche eine fein verteilte Schicht aus Pb (Anode, Minuspol) bzw. Bleidioxid PbO2 (Katode, Pluspol) aufgebracht wird. Der Elektrolyt besteht aus 20%iger Schwefels~iure. Beim Entladen geht Blei als Pb 2+Ionen in L6sung (Anodenvorgang). Die Bleiionen bilden mit den Sulfationen des Elektrolyten einen schwer 15slichen Niederschlag von Bleisulfat PbSO4 (G1. 7-29). W~ihrend der Pb-Akkumulator Strom liefert werden PbSO4 und H20 gebildet und Schwefelsaure verbraucht. Deshalb kann man von der Konzentration der Schwefels~iure auf den Ladezustand des Bleiakkumulators schliefSen. Die H2SOn-Konzentration l~isst sich leicht durch eine Dichtemessung (,,Spindeln" mit dem Araometer) bestimmen. Beim Aufladen wird die Reaktion (7-29) zur Umkehr gezwungen. Minuspol (Anode): Pb + S O 4 2Pluspol (Katode): PbO2 + 4 H § +
PbSO4 $ + 2 e- - PbSO4 $ + 2 H20
S O 4 2-
+
2 e-
-
Bruttoreaktion." Pb + PbO 2 + 4 H + +
2
SO42-
Entladen Laden
(7-29) " 2 PbSO 4 + 2 H20
Bei guter Wartung kann fiir stationiir untergebrachte Pb-Akkus von einer Nutzungsdauer von etwa 20 Jahren ausgegangen werden. Die m6gliche Anzahl von Ladungszyklen wird auf mehrere Tausend gesch~itzt. Beim Einsatz als Starterbatterie in Kraftfahrzeugen geht man von einer Lebensdauer bis zu 5 Jahren aus. Als Weiterentwicklungen sollen der Nickel-Cadmium-Akkumulator (Reduktionsmittel: Cd) und der Nickel-Eisen-Akkumulator (Reduktionsmittel: Fe) genannt werden. In beiden Fiillen besteht der Elektrolyt aus Kalilauge (alkalische Akkumulatoren). Brennstoffzellen. Bei den bisher betrachteten galvanischen Zellen wird die bei der Redoxreaktion frei werdende Energie direkt in elektrische Energie umgewandelt. Auch Verbrennungsreaktionen sind Redoxreaktionen. Ihre Realisierung in galvanischen Zellen geht bereits auf (0berlegungen von W. Ostwald (1894) zurtick. Knackpunkt dieser Technologie ist eine kontinuierliche Zufuhr der Brennstoffe von auBen, damit tiber einen liingeren Zeitraum elektrische Energie erzeugt werden kann.
Brennstoffzellen sind galvanische Zellen, bei denen das Reduktionsmittel (,,Brennstoff", z.B. H2) und das Oxidationsmittel (z.B. Lufisauerstoff) kontinuierlich yon auflen zugefiihrt werden miissen. Die bekannteste Brennstoffzelle ist die Wasserstoff/Sauerstoff-Brennstoffzelle (auch: Knallgaszelle). Sie basiert auf der Umkehrung der elektrolytischen Zersetzung des Wassers, d.h. sie nutzt die stark exotherm verlaufende Oxidation von Wasserstoff zur Stromerzeugung. Indem die Oxidation von H2 und die Reduktion von O2 r~iumlich getrennt werden, erreicht man, dass der gr6Bte Teil der chemischen in elektrische Energie umgewandelt
7.5 Elektrolyse
227
wird. Benutzt man Kalilauge (KOH) als Elektrolyt, laufen an den Elektroden (Pt, palladiniertes Nickel) folgende Reaktionen ab (GI. 7-30). Minuspol (Anode): 2 H2 + 4 0 H Pluspol (Katode)" 02 + 2 H20 + 4 eGesamtreaktion: 2 H2 + 02
~- 4 H20 + 4 e-- 4OH2 H20
E ~ = -0,85 V E ~ +0,36V E ~ = + 1,21 V
(7-30)
Brennstoffzellen bestehen aus zwei Elektroden, die mit Wasserstoff und Sauerstoff versorgt werden miissen, sowie einer dazwischen liegenden Trennschicht, dem Elektrolyten. Der Elektrolyt ist notwendig, damit sich die Gase nicht mischen und nicht in direkten Kontakt treten k6nnen. Er ist gewShnlich fliassig, z.B. KOH, H3POn, oder halbfltissig, z.B. wassergequollenes, ionenleitendes Polymer (PEM ~ Polymermembran-Brennstoffzelle). Neben gasf'6rmigen Brennstoffen wie H2, CH4 und N H 3 k/Snnen auch fliissige Brennstoffe wie Hydrazin H 2 N - NH2, h/Shermolekulare Kohlenwasserstoffe, Methanol, Formaldehyd und Ameisens~iure eingesetzt werden. Zum Beispiel kann aus fliissigem Methanol durch den sogenannten Reforming-Prozess bei 280~ Wasserstoff gewonnen werden: CH3OH + I-I20 ---- 3 H2 + CO2. Neben der geringen Schadstoffemission besitzen Brennstoffzellen einen extrem hohen Verstromungswirkungsgrad. Er kann bis zu 65% betragen. Aufgrund der geringen Spannung pro Brennstoffzelle (ca. 1 V) mtissen gew6hnlich mehrere Zellen zu einer BrennstoffzellenBatterie geschaltet werden (,,Stacks").
7.5
Elektrolyse
Redoxreaktionen, die unter dem Einfluss einer elektrischen Spannung erzwungen werden, bezeichnet man als Elektrolysen. Im Gegensatz zu den in einer galvanischen Zelle ablaufenden elektrochemischen Vorg/ingen ist zur Durchftihrung einer Elektrolyse eine/iufSere Spannungsquelle erforderlich. Tauchen zwei Elektroden, an die eine gentigend groBe Gleichspannung angelegt wurde, in die Schmelze bzw. L6sung eines Elektrolyten, so kommt es zwischen den Elektroden zu einer gerichteten Bewegung der vorhandenen Ionen (Abb. 7.6). Die Kationen wandern zum Minuspol der Elektrolysezelle (Katode) und werden dort unter Elektronenaufnahme reduziert (katodische Reduktion). Die Anionen wandern zum Pluspol der Elektrolysezelle (Anode) und werden dort oxidiert (anodische Oxidation). Betrachten wir den Redoxprozess des Daniell-Elements" Z n + C u 2+
freiwillig
_
Z n 2+ + C u .
erzwungen
Im Daniell-Element l~iuft dieser Prozess freiwillig von links nach rechts ab. In einer Elektrolysezelle kann der Ablauf yon rechts nach links erzwungen werden. An die beiden eintauchenden Elektroden (Zn- und Cu-Blech) wird eine Gleichspannung angelegt. Der negative Pol soil sich am Zn-Blech befinden. Von der Stromquelle fliegen die Elektronen zur Zinkelektrode. Dort werden die Zn 2+ -Ionen entladen. An der Cu-Elektrode gehen Cu2§ nen in L6sung. Die dabei frei werdenden Elektronen fliegen zum positiven Pol der Stromquelle. Es wird deutlich, dass die Richtung des angelegten Feldes die Richtung des Elektronenflusses und damit die Reaktionsrichtung bestimmt.
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
228
Abbildung 7.6
G Ano~
~
*~3
Ionenwanderung bei der Elektrolyse. Die positiven Ionen wandern zur Katode (Kationen), die negativen Ionen (Anionen) zur Anode.
Katode /
Wie die nachfolgende Gegeniiberstellung zeigt, ist der Minuspol im galvanischen Element die Anode, in der Elektrolysezelle die Katode. Dementsprechend ist der Pluspol in der galvanischen Zelle die Katode und in der Elektrolysezelle die Anode. Generell gilt: An der Anode findet die Oxidation und an der Katode die Reduktion staR.
Galvanisches Element Minuspol = Anode Pluspol
---,
= Katode ----
Elektrolysezelle Elektroneniiberschuss
*--
Minuspol = Katode
Elektronenmangel
*--
Pluspol
= Anode
Elektrolyse einer wasserfreien Schmelze. Besonders einfach gestalten sich die Verh~iltnisse bei der Elektrolyse einer wasserfreien Schmelze (Schmelzfluss- bzw. Schmelzelektrolyse). Zum Beispiel wandern in einer Kochsalzschmelze die Kationen (Na § zur Katode, wo sie zu Natrium reduziert werden, und die Anionen (C1-) zur Anode, wo die Oxidation zu Chlor erfolgt G1. 7-31, 7-32). Katode(-):
2 Na + + 2 e-
--
2 Na
Reduktion
(7-31)
Anode(+):
2 C1-
~
C12 + 2 e-
Oxidation
(7-32)
Elektrolyse einer wiissrigen Salzlfsung. Bei einer w~issrigen Elektrolytl6sung sind die Verh~iltnisse etwas komplizierter. AuBer den gel6sten Ionen des Salzes k6nnen sich dort prinzipiell auch die durch die Autoprotolyse des Wassers vorhandenen H30 § und OH-Ionen an der elektrochemischen Reaktion beteiligen. Generell gilt, dass bei Elektrolysen immer die elektrochemischen Reaktionen ablaufen, die die geringste Zersetzungsspannung erfordem. Unter der Zersetzungsspannung versteht man die Mindestspannung, bei der eine Zersetzung des Elektrolyten beginnt. Sic muss mindestens so grof~ sein, wie die Spannung, die das zugrunde liegende galvanische Element liefem wiirde. Wie die Zellspannung galvanischer Elemente kann auch die Zersetzungsspannung aus den Elektrodenpotentialen abgesch~itzt werden (Differenz der Elektrodenpotentiale!). In den FNlen, wo bei der Elektrolyse Gase entstehen, ist die gemessene Zersetzungsspannung h~iufig gr0f~er als die Differenz der Elektrodenpotentiale. Diese Erh0hung der Spannung bezeichnet man als l)berspannung. Die Abscheidung der Ionen an den Elektroden ist
7.5 Elektrolyse
229
kinetisch gehemmt. Erst bei Erh/Shung der angelegten Spannung l~iuft die Reaktion mit einer nennenswerten Geschwindigkeit ab. Die Gr/SBe der Oberspannung h~ingt von der Art des Elektrodenmaterials und seiner Oberfl~ichenbeschaffenheit, aber auch von der Art und der Konzentration der abzuscheidenden Ionen und der Stromdichte an der Elektrodenoberfl~iche ab. Wasserstoff weist eine hohe Oberspannung an Zink-, Blei- und Quecksilberelektroden auf, an Graphit- und Platinelektroden ist dagegen die Abscheidung von Sauerstoff stark kinetisch gehemmt. Betrachten wir nun als Beispiel die elektrolytische Zersetzung einer wdssrigen Kochsahl6sung. Bei 25~ und einer Natrium- und Chloridionenkonzentration von 1 mol/1 betragen die Abscheidungspotentiale E~ +) =-2,71 V und E~ +1,36 V. Beim pH-Wert 7 erh~ilt man fiir das Elektrodenpotential des Systems (1-12/1-130+) einen Wert von -0,41 V und fiir das des Systems (OH-/O2) einen Wert von +0,81 V. Die Zersetzungsspannung w~ire demnach im Falle der Entladung von H +- und OH--Ionen am niedrigsten. Bei Verwendung von Pt-Elektroden scheidet sich jedoch kein Sauerstoff ab, da aufgrund der hohen Oberspannung das Abscheidungspotential der OH--Ionen den Wert + 1,36 V iibersteigt. Die Produkte der Elektrolyse von NaCI-Ltisung sind folglich Wasserstoff und Chlor. Na + und OHbleiben in der w~issrigen LSsung des Elektrolysegef~iBes zurtick. Es bildet sich Natronlauge (Chloralkalielektrolyse zur technischen NaOH-Gewinnung).
Faradaysche Gesetze. Im Mittelpunkt der bisherigen Betrachtungen stand die Frage, welche Stoffe sich bei einer Elektrolyse an den Elektroden abscheiden. Nun soll noch der Zusammenhang zwischen den abgeschiedenen Stoffmengen und der durch die Elektrolysezelle geflossenen Ladungsmenge n~iher betrachtet werden. Untersuchungen zu diesem Problem wurden 1833 von Faraday durchgeftihrt, indem er unterschiedliche Elektrolytl6sungen elektrolysierte, die Stromst~irke und die Elektrolysedauer variierte und die abgeschiedenen Massen bestimmte. Er fand, dass sich die abgeschiedenen Stoffmassen (bei Gasen die Volumina) proportional zur Zeit t und zur Stromst~irke I verhalten. Da fiir die Ladung Q gilt: Q = I . t formulierte er folgenden Zusammenhang (1. Faradaysche Gesetz):
Die elektrolytisch abgeschiedenen Stoffmengen n sind der Zeit t und der Stromsti#ke I, also der transportierten Ladung Q, proportional Elektrolysiert man gleichzeitig Silbemitratl6sung, Kupfersulfatl6sung und Schwefels~iure, laufen folgende Elektrodenreaktionen ab: Ag + + 1 e- ---> Ag 2 I T + 2 e - --> H2
Cu 2+ + 2 e- --~ Cu; 2H20 --- 02 + 4 W + 4 e - .
Die abgeschiedenen Stoffmengen an Ag, Cu, H2 und O2 stehen in einem bestimmten Verhaltnis zueinander. Man erh~ilt: n(Ag) : n(Cu) : n(H2) : n(O2)= 1 : 89 : 89 : 88 Zur elektrolytischen Abscheidung von 1 Mol Ag-Atomen ist eine Ladung von 96485 C erforderlich. Daraus leitet sich die Faraday-Konstante F = 96485 C 9mo1-1 ab. Zur Abscheidung von 1 Mol Cu-Atomen oder 1 Mol H2-Molekiilen ist die Ladungsmenge von 2. 96485 C und zur Abscheidung von 1 Mol O2-Molekiilen die Ladungsmenge von 4" 96485 C erforderlich. Hieraus ergibt sich das 2. Faradaysehe Gesetz:
7 Redoxreaktionen - Grundlagen der Elektrochemie
230
Z u r elektrolytischen Abscheidung von 1 M o l Teilchen eines Stoffes ist die Ladung v o n z 996485 C erforderlich, wobei z die Z a h l der Elektronen ist, die bei der Abscheidung eines Teilchens an der Elektrode ausgetauscht werden.
L~isst man gleiche Ladungsmengen Q durch Elektrolysezellen flieBen, in denen sich L6sungen von Silbernitrat bzw. Kupfersulfat befinden, ist die erhaltene Stoffmenge an Kupfer nur halb so groB wie die des Silbers. Ursache ist die doppelte Ionenladung z des Zinkions. Allgemein kann die abgeschiedene Stoffmenge n nach GI. (7-33) berechnet werden. I" t F/ =
7.6
(7-33)
z'F
Redoxreaktionen in nichtw
issrigem Milieu
Obwohl die meisten Redoxreaktionen in w~issriger L6sung ablaufen, ist das Vorhandensein von Wasser keine notwendige Voraussetzung ftir eine Elektronentibertragungsreaktion. Redoxreaktionen k6nnen auch in nichtw~issrigen L6sungsmitteln (z.B. in reinem Ammoniak), in Schmelzen oder zwischen Gasteilchen ablaufen. Als Beispiel fiir letzteren Fall sei die Verbrennung von NH3 in Sauerstoff unter Bildung von Stickstoff und Wasser angeftihrt. -III 2 NH3
Teilgleichungen:
_0 ~- N2 + 6 H + + 6 e-
+0 02 + 4 H + + 4 e -
-II ~ 2H20
(. 2)
('3)
Multiplikation der Teilgleichungen und Addition ergibt die Redoxgleichung (7-34). 4NH3 + 3 0 2
=
2N2 + 6 H 2 0 .
(7-34)
Selbst beim Erhitzen nur einer Substanz kann es zu einer Redoxreaktion bzw. -zersetzung kommen. Die Elektronentibertragung erfolgt in einem solchen Fall zwischen bestimmten Atomen der Molektil- oder Ionensubstanz. Es l~iuft eine intramolekulare Redoxreaktion ab. Voraussetzung ist, dass die betreffenden Atome in den fiir die Redoxreaktion erforderlithen Oxidationsstufen vorliegen. G1. (7-35) zeigt die thermische (Redox)Zersetzung des Kaliumnitrats zu Kaliumnitrit KNO2 und Sauerstoff. +III
+V I~O
3
~
KNO2
-k- 1//202.
(7-35)
Das Stickstoffatom in der Oxidationsstufe +V (Kaliumnitrat) geht in ein Stickstoffatom der Oxidationsstufe +III (Kaliumnitrit) tiber. Die bei diesem Reduktionsschritt aufgenommenen zwei Elektronen stammen von einem oxidischen Sauerstoffatom des Nitrats, das von der Oxidationsstufe -II in die des elementaren Sauerstoffs (_+0) tibergeht.
8
Chemie der Baumetalle
Neben der grof3en Gruppe nichtmetallischer Baustoffe (Kap. 9) geh/Sren vor allem die Metalle und ihre Legierungen, mit ihren ganz spezifischen chemischen und technologischen Eigenschaften, zu den wichtigsten Bau- und Werkstoffen. Inhalt des vorliegenden Kapitels sollen die physikalisch-chemischen Besonderheiten metallischer Werkstoffe, ihr Verhalten gegentiber atmosph~irischen Einfliissen (Korrosion) sowie gegeniiber anorganisch-nichtmetallischen Baustoffen wie Gips, Kalk und Beton sein.
8.1
Eisen und Stahl
8.1.1 Physikalische und chemische Eigenschaften des Eisens Eisen ist in der Erdkruste nach Aluminium das zweith~iufigste Metall, als Gebrauchsmetall steht es jedoch an erster Stelle. Mit einer Dichte von p = 7,86 g/cm 3 geh/3rt es zu den Schwermetallen (Sehwermetalle: p > 5 g/cm3). Wegen seines unedlen Charakters tritt es in der Lithosph~ire kaum in gediegener Form, sondern meist gebunden auf, z.B. in Oxiden, Sulfiden und Carbonaten. Wichtige Eisenerze sind Magneteisenstein (Fe304, MagnetiO, Roteisenstein (Fe203, z.B. Hdmatit, Eisenglanz), Brauneisenstein (Fe203 9 nH20, z.B. Limonit), Spateisenstein (FeCO3, Siderit) und Eisenkies (FeS2, Pyrit, ,,Schwefelkies"). Die rotbraunen und gelben Farbt6ne des Erdbodens rtihren h~iufig von Eisen(III)-oxiden bzw. Eisen(III)-oxidhydraten her. Reines Eisen ist ein silberweiBes, relativ weiches (Harte 4,5 nach Mohs), plastisch verformbares Metall. Es besitzt deshalb fiir das Bauwesen kaum Bedeutung.
Wichtige physikalische Daten: Dichte 7,86 g/cm3 (25~ Smp. 1536~ Sdp. 3200~ Warmeleitfdhigkeit 73,3 W/m'K, spezifische elektrische Leitf'dhigkeit 1,05.105 S/cm (Leitf'~.higkeitswerte ftir 20~ Eisen rostet an feuchter Luft unter Bildung von Eisen(III)-oxidhydroxid FeO(OH). An trockener Luft und in gering durchltiftetem Wasser ver~indert es sich kaum (Kap. 8.2.2). Beim Gltihen an der Luft tiberzieht sich Eisen mit einer dtinnen Oxidschicht (Zunder), die haupts~ichlich aus Fe304 besteht. Eisen zeigt als unedles Metall eine geringe chemische Best~indigkeit gegeniiber einem sauren Angriff. In nichtoxidierenden S~iuren wie Salzs~iure und verdiinnter Schwefels~iure 1/3st es sich unter Wasserstoffentwicklung und Bildung von Fe 2+ -Ionen. Von konz. Schwefels~iure und Salpeters~iure wird Eisen nicht angegriffen, da es sich - wie die Metalle Chrom und Aluminium - durch eine dtinne, zusammenh~ingende Oxidschicht schtitzt (Passivierung). Gegentiber Alkali- bzw. Erdalkalilauge ist Eisen in der K~ilte best~indig. Diese Inertheit ist eine wesentliche Voraussetzung fiir die Rostsicherheit des Stahls im Beton (Kap. 9.4.2.3). In seinen Verbindungen tritt Eisen iiberwiegend in den Oxidationsstufen +II und +III auf, die Stufe +III ist die stabilere. Eisen(II)-Salzl/3sungen sind in neutraler und saurer, besonders aber in alkalischer L/3sung, instabil gegentiber Luftoxidation zu Fe(III). In w~issrigen
232
8 Chemie der Baumetalle
Eisen(II)-Salzlfsungen liegt das bl~iulichgrtine [Fe(H20)6]2+-Kation vor. Eisen(III)-Salzl6sungen weisen eine gelbe F~irbung auf, die auf die Bildung von Eisen(III)-Hydroxokomplexen, z.B. [Fe(H20)5OH] 2+, zurtiekzuftihren ist. Eisen kommt in drei Modifikationen vor, deren Umwandlungspunkte bei 911~ 1401 ~ liegen: 911~ 1401~ 1536~ c~-Eisen " y-Eisen " ~-Eisen ~ " Schmelze
und
Die Erscheinung, dass ein Stoffje nach Zustandsbedingungen (Temperatur, Druck) in verschiedenen festen Zustandsformen (Modifikationen) auftritt, findet man nicht nur beim Eisen, sondern auch bei Elementen wie Kohlenstoff (Diamant, Graphit, Fullerene), Schwefel, Phosphor und Zinn. Man nennt diese Erscheinung Polymorphie. Die gegenseitige Umwandelbarkeit zweier Modifikationen wird als Enantiotropie bezeichnet. Eisen besitzt demnach drei enantiotrope Modifikationen. Auch chemische Verbindungen kSnnen in unterschiedlichen festen Zustandsformen vorkommen. Ein bekanntes Beispiel ist das Calciumcarbonat mit seinen polymorphen Modifikationen Calcit (Kalkspat), Aragonit und Vaterit.
Schmelze -~
~I--~1536~ g- Eisen
T
,/- Eisen - -
- - ~ 9 1
-;2_
Temperatur \
1
~
' o-
isen
- Zeit Abbildung 8.1 AbkOhlkurve und Elementarzellen des Kristallgitters yon reinem Eisen Kiihlt man eine Schmelze von reinem Eisen (kohlenstofffrei) langsam ab und registriert die Temperatur~inderung pro Zeiteinheit (Abb. 8.1), so ist an drei Temperaturpunkten der ann~ihemd lineare Abfall der Abkiihlkurve unterbrochen (1536~ 1401~ 911~ Die Temperaturen, die diesen waagerechten Kurvenverlaufen entsprechen, nennt man Haltepunkte. S ie charakterisieren Phasentiberg~inge wie Umwandlungen der Kristallstruktur oder Anderungen des Aggregatzustandes. Die bei der Aufheizung an diesen Stellen aufgenommene W~irmemenge wird bei der Abkiihlung wieder freigesetzt. Abktihlkurve und Aufheizkurve verhalten sich wie Bild und Spiegelbild.
8.1 Eisen und Stahl
233
Bei 1536~ kristallisiert zun~ichst das kubisch-raumzentrierte ~-Eisen aus. Beim Haltepunkt von 140 I~ wandelt sich das ~-Eisen in das kubisch-fl~ichenzentriert kristallisierende y-Eisen um. Diese Strukturanderung ist exotherm, damit stellt das Kristallsystem des yEisens die energie~irmere Struktur dar. Bei 91 I~ wandelt sich y-Eisen in das noch energie~irmere c~-Eisen um, dessen Gitter analog dem 6-Eisen eine kubisch-raumzentrierte Elementarzelle besitzt. Die Kantenl~inge der Elementarzelle des 8-Eisens ist allerdings um 10 pm zum ct-Eisen aufgeweitet. Die Kristallumwandlungen werden durch Diffusion der Atome im Gitter m/Sglich. Oberhalb der Curie-Temperaturvon 769~ verliert das ct-Eisen seinen Ferromagnetismus.
8.1.2 Produkte des Hochofenprozesses Roheisen wird durch Reduktion von oxidischen Eisenerzen mit Koks gewonnen. Um eine Verschlackung der Gangart zu erreichen, werden Zuschlagstoffe (ZuschRige) zugesetzt. Die Art der ZuschRige richtet sich nach der chemischen Zusammensetzung der Gangart. Unter der Gangart versteht man die das Erz begleitenden metallischen und nichtmetallischen Minerale. Saure Erze werden mit basischen ZuschRigen versetzt und umgekehrt. Ist die Gangart Al:O3- und SiO2-haltig, kommen als ZuschRige basische Kalkkomponenten, wie z.B. Kalkstein, Branntkalk, L~ischkalk oder Dolomit, in Frage. Bei CaO-haltigen Gangarten werden tonerde- und kiesels~iurehaltige (also saure) Zuschl~ige, wie z.B. Feldspat, Quarz, Flussspat oder Tonschiefer, eingesetzt. Der Reaktionsapparat fiir die Herstellung von Roheisen ist der Hoehofen. Damit eine hinreichende Verschlackung gew~ihrleistet ist, werden die Eisenerze mit den Zuschlagstoffen gemischt und der Hochofen abwechselnd mit Schichten aus Koks und Eisenerz/ZuschRigen von oben beschickt. In den unteren Teil des Hochofens wird heiBe Luft geblasen (HeiBwind, 900...1300~ Auf diese Weise verbrennt der Koks und erzeugt die erforderliche Reaktionstemperatur (bis 2300~ In den sehr heiBen unteren Bereichen des Hochofens kann die Reduktion der Eisenerze (wegen der unterschiedlichen Zusammensetzung allgemein als Fe(O) formuliert, G1. 8-1) direkt durch den Koks (C) erfolgen, meist ist jedoch Kohlenmonoxid CO das Reduktionsmittel. Das bei dieser Reduktion (GI. 8-1) gebildete CO2 reagiert mit dem heiBen Koks gem~iB GI. (8-2) unter W~irmeverbrauch wieder zu CO (Boudouard-Gleichgewicht). Fe(O) + CO CO2
+ C
:--
Fe "k- CO2 2 CO
(8-1) AH = +173 kJ/mol
(8-2)
Ein Teil des sich bildenden amorphen Kohlenstoffs wird vom Roheisen aufgenommen. Das als Hauptprodukt des Hochofenprozesses anfallende Roheisen enthalt 2,5...4% Kohlenstoff sowie wechselnde Mengen Silicium (0,5...3%), Mangan (0,5...6%), Phosphor (0...2%) und Spuren von Schwefel (0,01...0,05%). Mit steigendem C-Gehalt sinkt seine Z~ihigkeit und wachsen seine H~irte und SprSdigkeit. Eisen ist nur walz- und schmiedbar, wenn der Kohlenstoffgehalt weniger als 2,06% betr~igt. Roheisen (C-Gehalt > 2%) ist wegen seines hohen Kohlenstoffgehalts sehr spr/Sde und erweicht beim Erhitzen pl/Stzlich. Es kann deshalb nur vergossen werden. Etwa 90%
234
8 Chemie der Baumetalle
des Roheisens werden auf metallurgischem Wege in Stahl (C-Gehalt < 2,06%) umgewandelt, der Rest wird zu Gusseisen verarbeitet. Eisenlegierungen mit einem C-Gehalt > 2,1% werden als Gusseisen bezeichnet.
Das Nebenprodukt des Hochofenprozesses, die Schlacke, ist ftir die Bauindustrie gleichfalls von groBer Bedeutung. Sie besteht vor allem aus Calcium-(G1. 8-3) und Aluminiumsilicaten. SiO2 + CaCO3 -- CaSiO3 + CO2 (8-3) Hochofenschlacke besitzt etwa folgende Zusammensetzung (auf Oxide bezogen): 30...50% CaO, 27...40% SiO2, 5...15% A1203, weiterhin MgO, FeO, MnO und CaS. Ihre Eigenschaften und damit ihre Verwendungsm6glichkeiten/~ndem sich mit der Art der Abkiihlung. Bei langsamer Abkiihlung der Schlacke kommt es zu einer Auskristallisation der Bestandteile und es bilden sich heterogene feste Gemische. Gr6Bere Stiicke der festen Schlacke (Stiieksehlaeke, Betonsehlaeke) werden als Schotter im StraBen- und Gleisbau oder als Splitt im Betonbau verwendet. Durch VergieBen der Schmelze in spezielle Formen (Gusssehlaeke) und langsames Erstarren werden raufl~ichige Schlackenpflastersteine hergestellt. Erfolgt eine schnelle Abkiihlung (Abschrecken) durch Granulation der fltissigen Schlacke in Wasser, wird eine vollst/indige Kristallisation verhindert. Man erh/ilt eine granulierte, amorphen Hochofenschlacke (,,Hiittensand"), die latent-hydraulische Eigenschaften besitzt. Sie wird ftir die Herstellung von Zementen verwendet. Hiittensand besitzt einen Wassergehalt bis zu 30%. Erfolgt schlieBlich die Abktihlung unter Zugabe eines Unterschusses an Wasser, bildet sich ein gesch/iumtes Produkt, die sogenannte Schaumschlacke (Hiittenbims). Hiittenbims besitzt w/irmed/immende Eigenschaften und wird ftir die Herstellung von Leichtbeton verwendet.
8.1.3 Stahl Der h/irtende Bestandteil, der dem Eisen die Gebrauchseigenschaften verleiht, ist der Kohlenstoff. Er ist damit das wichtigste Legierungselement des Eisens. Die spezifischen Wechselwirkungen des Kohlenstoffs mit den unterschiedlichen Modifikationen des Eisens in Abh/ingigkeit von der Temperatur machen die Vielfalt dieses auBerordentlich wichtigen Werkstoffes aus. Dartiber hinaus zeigt Eisen eine gute ,,L6slichkeit" fiir eine Reihe weiterer Nichtmetalle und Metalle, die entweder als Begleitelemente aus den Eisenerzen stammen (Si, Mn, P, S) oder als Legierungselemente zugesetzt werden (Cr, Ni, W, Mn, Co, V, Ti, Ta). Zur Herstellung von Stahl aus Roheisen muss der Kohlenstoffgehalt des Eisens deutlich gesenkt werden (Entkohlung), andere Begleitstoffe miissen dagegen ganz entfernt werden. Der Raffinationsprozess umfasst das Frischen, d.h. die Oxidation der gel6sten Bestandteile wie C, Si, Mn und P, die Entschwefelung mit CaO und eine als Desoxidation bezeichnete Nachbehandlung. Dabei wird der in der Stahlschmelze gel6ste Sauerstoff durch Desoxidationsmittel (A1, Legierungen vom Typ Fe-Si ,,Ferrosilicium" oder vom Typ Ca-Si ,,Calciumsilicium", z.B. CaSi2) entfernt. Das Frischen geschieht heute iiberwiegend im Sauersto ffau fb lasverfahren (LD-Verfahren).
8.1 Eisen und Stahl
235
Stahl ist ein warmverformbarer Eisenwerkstoff mit einem Kohlenstoffgehalt ~ 2 , 1 % .
Stahl kann durch die Art seiner Herstellung, durch den Zusatz yon Legierungsmetallen und durch entsprechende W~irmebehandlung for die verschiedensten technischen Anwendungsbereiche aufbereitet werden. Ftir das Verst~indnis der bei der W~irmebehandlung von Stahl und Gusseisen ablaufenden Phasenumwandlungen ist das Zustandsdiagramm Eisen-Kohlenstoff von grundlegender Bedeutung. Das in Abb. 8.2 dargestellte Zustandsdiagramm gilt ausschliefSlich fiir die Kombination Eisen-Kohlenstoff, nicht aber bei Anwesenheit weiterer Legierungsmetalle. FOr den letzteren Fall ergeben sich teilweise betr~ichtliche Ver~inderungen der Phasenbereiche. 8-Mischkristalle Sc,
1500F
o~-
Schmelze
1300
kristalle + _ ~ bcnmelze ~. Austenit ~ +Austenit
~ = 9
-
_
1100
/',/
l
900
700
Liquiduskurve ~_;~
_. . . . . . . . . . i
Gk _ _ / I . Austenit / I Ferrit ~, ++ Ferrit/ i . N ~ o /r Austenit Austen!!. I o + uementit
I
I I
Ferrit +Perlit
t Sek.-Fe3C t +Perlit
"
E i
~ I .~ i Austenit9 -~ -o + Ledeburit9 I "~ i - --
Primar-Fe3C + Ledebur~i .....
723~
a-Mischkristall (Ferrit) + Cementit
500
Perlit + Sek.-Fe3C + Ledeburit II "~'
0 .0,8
', . . . . .
Y-Mischkristall (Austenit) + Cementit-
1
2
2,06
I
~
3
4
I
i t
r ~
4,03
Kohlenstoffgehalt (%) Stahl
Prim~r-Fe3C + Ledeburit II 5
=
6 6,68
(=100% Fe3C)
Gusseisen
Abbildung 8.2 Zustandsdiagramm Eisen-Kohlenstoff
Die Linie ABCD in Abb. 8.2 ist die Liquiduslinie, oberhalb derer ausschlieBlich die fliissige Phase vorliegt. Unterhalb der Linie AHIECF (Soliduslinie) existieren nur feste kristalline Formen. Beim Massenanteil 0 liegt reines Eisen vor, seine temperaturabhangige Phasenumwandlung wurde bereits oben diskutiert. Der Kohlenstoffgehalt wird generell in Prozent angegeben, auch wenn Eisencarbid Fe3C vorliegt. Ein C-Massenanteil von 6,68%
236
8 Chemie der Baumetalle
entspricht der reinen Verbindung Fe3C. Fiir die Herstellung von Stahl ist im Prinzip nur der Bereich von 0,02 ... 1,3% C von Bedeutung. Obwohl y-Eisen (kubisch-fl~ichenzentriert) in einer dichteren Packung kristallisiert als ctEisen (kubisch-raumzentriert), ist die L6slichkeit von Kohlenstoff in tx-Eisen mit einem Maximalwert von 0,02% (bei 738~ geringer als in y-Eisen. Der entstehende c~-Mischkristall wird Ferrit genannt. Die zweite feste Fe-Modifikation, das y-Eisen, vermag wesentlich mehr C zu 16sen. So betr~igt die C-L6slichkeit des sich bildenden y-Mischkristalls (Austenit) bei 1147~ maximal 2,06% (Bereich GSEIF). W~ihrend die C-Atome im Ferrit nur Wtirfelkanten besetzen k6nnen, ordnen sie sich im Austenit auch im Wtirfelinneren an. Die sich ausbildenden Mischkristalle sind demnach Einlagerungsmischkristalle. Der Kohlenstoff kann im Kristallgeftige der Eisenlegierungen in unterschiedlicher Form vorkommen. Er kann entweder gel6st sein (ix- bzw. y-Mischkristalle) oder als Graphitkrist~illchen (Grauguss) bzw. Eisencarbid (Fe3C, Cementit) vorliegen. Bei einem Kohlenstoffgehalt von 4,3% weist das Zustandsdiagramm mit einer Temperatur von 1147~ den tiefsten Schmelzpunkt fiir das Eisen auf. Rechts der Linie SE wird die L6slichkeit des Kohlenstoffs im y-Eisen tiberschritten und es kommt zur Ausscheidung von Cementit. Die Cementitphase ist hart, aufJerordentlich spr6de und weist ein kompliziert aufgebautes Gitter auf (intermetallische Phase). Ktihlt man eine Fe/C-Schmelze (C-Gehalt > 4,3%) nicht zu langsam ab, entsteht so lange Cementit bis der C-Gehalt 4,3% betr~igt. Dann erstam die Schmelze bei 1147~ unter Bildung eines als Ledeburit bezeichneten Eutektikums aus C-haltigen y-Eisen und Cementit. Kiihlt man dagegen eine Eisenschmelze mit einem C-Gehalt < 4,3% ab, kristallisiert aus ihr so lange eine feste L6sung von y-Eisen und Kohlenstoff (Austenit), bis sie wiederum 4,3% C enth~ilt und bei 1147~ in Ledeburit iibergeht. Abktihlung von kohlenstoffges~ittigtem (2,1% C) Austenit unter 1147~ ftihrt zur Auskristallisation von Cementit unter Emiedrigung des C-Gehalts des Austenits. Betragt der CGehalt nur noch 0,8%, entsteht beim Abkiihlen unter 723~ (Perlit-Linie) ein Gefiige alternierender Schichten aus ct-Mischkristallen (Ferrit) und Cementit. Die entstehende feste Mischung ist lamellenartig strukturiert und perlmutt-glanzend und wird deshalb als Perlit bezeichnet. Kiihlt man Stahl mit einem C-Gehalt < 0,8% aus dem Austenit-Bereich allm~ihlich ab, scheiden y-Mischkristalle (Ferrit) aus. Sie werden ~irmer an Fe und reichem sich dementsprechend mit Kohlenstoff (entlang der Linie GS!) an. Bei einer Temperatur von 723~ weisen sie einen C-Gehalt von 0,8% auf. Im eutektoiden Punkt S kristallisiert Perlit aus. Kohlenstoffreicheres Austenit (0,8...2,06% C) scheidet beim Abkiihlen zun~ichst Cementit an seinen Komgrenzen aus, bis sich der an Kohlenstoff ~irmer werdende yMischkristall mit einem C-Gehalt von 0,8% bei 723~ wiederum in Perlit umwandelt. Erfolgt beim Abschrecken des gliihenden Stahls in Wasser eine rasche Abktihlung, kann die beschriebene Umwandlung des y-Mischkristalls in Ferrit und Cementit als Folge der Wanderung der C-Atome im Gitter nicht stattfinden. Das kubisch-flachenzentrierte ~,-Eisen wandelt sich in die kubisch-raumzentrierte Struktur um (,,Umklappumwandlung"), wobei die Kohlenstoffverteilung des Austenitgitters beibehalten wird. Die dadurch entstehenden inneren Spannungen, die mit einer Aufweitung des a-Gitters verbunden sind, beeinflussen
8.2 Korrosion von Metallen
237
die Eigenschaften des Eisens. Seine H~irte nimmt zu. Das sich ausbildende nadelige Gefiige wird als Martensit bezeichnet. Der beschriebene Vorgang spielt sich beim Hi~rten yon Stahl ab. Durch anschlieBende Erw~irmung (Anlassen) werden die inneren Spannungen abgebaut und die Martensit-Phase wird teilweise zerst/)rt (Anlassgeftige, Vergtitungsgefiige). Es entstehen kristalline Gefiige h/Schster H~irte, die sich durch einen hohen VerschleiBwiderstand, hohe Druckfestigkeit und hohe Belastungsf~ihigkeit auszeichnen. Zur Problematik Wi~rmebehandlung von Sti~hlen, bei der Werkstiicke einer gesteuerten Aufheiz- und Abkiihlgeschwindigkeit ausgesetzt werden, um bestimmte Stahleigenschaften zu erzielen, wird auf Lehrbticher der Baustoffkunde verwiesen. Stahlsorten. Nach DIN EN 10 020 k/3nnen St~ihle entweder nach ihrer chemischen Zusammensetzung oder nach Hauptgtiteklassen aufgrund ihrer Haupteigenschafts- und Hauptanwendungsmerkmale (Grundst~ihle, Qualit~itsst~ihle und Edelst~ihle) unterteilt werden. Auf letztere Gruppen soil im Rahmen des vorliegenden Buches nicht n~iher eingegangen und wiederum aufLehrbiicher der Baustoffkunde verwiesen werden [z.B. BK 1, 2].
Unlegierte St~ihle enthalten den Kohlenstoff als wesentlichen H~irtungsbestandteil. Herstellungsbedingt enth~ilt der Stahl neben Eisen und Kohlenstoff noch andere Elemente (Eisenbegleiter), die in unterschiedlichen Mengen enthalten sind. Sie dtirfen in unlegierten St~hlen die nachfolgend angegebenen Grenzwerte nicht iiberschreiten: Mn ~ 1,8%, Si < 0,5%, Cu < 0,4%, A1 < 0,1%, Ti < 0,05%, P u. S < 0,05% (DIN EN 10 021).
Legierte St~ihle (Edelst~ihle) enthalten bis zu etwa 30% stahlveredelnde Legierungselemente. Als Grenze zwischen den legierten und den hochlegierten St~ihlen wurde ein Gesamtgehalt an Legierungsbestandteilen von 5% festgelegt. Wichtige Legierungselemente sind Cr, Ni, Mn, W, V, Mo, Co, Ti, AI, Ta, Nb, Cu, aber auch Si und B. Eine besondere Bedeutung kommt dem Chrom zu. Ab einem Gehalt von 12,5% Cr erh/Sht sich die Korrosionsbest[indigkeit der St~ihle deutlich. Sie sind in der Lage, sich in Gegenwart von Sauerstoff zu passivieren. Edelst~ihle werden als nicht rostend bezeichnet, wenn sie korrosionsbest~indig gegen aggressive Medien sind. Klassisches Beispiel fiir einen Edelstahl ist der V2A-Stahl (V steht flir Versuchsreihe und A flir Austenit). Die exakte Bezeichnung ftir V2A-Stahl ist X5CrNi 18 9. Daraus sind die Cr- und Ni-Gehalte unmittelbar ersichtlich: 18% Cr, 9% Ni. Der V4A-Stahl enthalt 18% Cr, 11% Ni, 2% Mound 0,07% C.
8.2
Korrosion von Metallen
Der Begriff der Korrosion hat gerade auf dem Bausektor eine weitreichende Bedeutung. Er umfasst die unerwiinschte Zerst/Srung metallischer und nichtmetallischer Werkstoffe durch den Einfluss der sie umgebenden Medien. Korrosion tritt in verschiedenen Erscheinungsformen praktisch bei allen Werkstoffen auf, z. B. als Stahlkorrosion, Beton- oder Gesteinskorrosion. Im folgenden Kapitel soil ausschlieBlich die metallische Korrosion betrachtet werden. Der Angriff aggressiver Medien auf MSrtel, Beton und Natursteine wird in Kap. 9.4 besprochen.
238
8 Chemie der Baumetalle
Korrosion ist die Reaktion eines metallischen Werkstoffs mit seiner Umgebung, die eine messbare Ver~inderung des Werkstoffs bewirkt und zu einer Beeintriichtigung der Funktion eines metallischen Bauteils oder eines ganzen Systems fiihren kann (DIN 50900). Ausgehend vonder DIN-Definition kann man unter Korrosion (lat. corrodere, zemagen) die von der Oberfl~che ausgehende, unerwfinschte Zerst/Jrung eines metallischen Werkstoffs durch chemische, insbesondere aber elektrochemische Reaktionen mit der Umgebung verstehen. Die Unterteilung zwischen chemischer und elektrochemischer Korrosion ist von jeher problematisch und nicht immer schltissig anwendbar. Abbildung 8.3 gibt einen Uberblick tiber die wichtigsten Korrosionstypen. Abbildung 8.3 0bersicht aber die Korrosionstypen
Korrosion yon Metallen I
I
I chemische Korrosion
I
I
I elektrochemische Korrosion
I
I
I VVassersto.orrosionI I Katodenreaktion 2H++2e .- H 2
I
I
Anodenreaktion M ~- M Z + + z e -
]
I
I Katodenreaktion saure LOsung:
O2+4H + + 4 e -
; 2H20
alkalische bzw. neutrale LOsg.: 02 -I- 2 H20 + 4 e= 4 OH-
8.2.1
W e s e n der m e t a l l i s c h e n K o r r o s i o n - K o r r o s i o n s t y p e n
Als Merkmal der chemischen Korrosion gilt die Abwesenheit eines Elektrolyten. Es erfolgt eine direlae Reaktion zwischen Metallen bzw. Legierungsbestandteilen und Gasen. Charakteristische Beispiele sind die Prozesse der Hochtemperaturkorrosion von Metallen in oxidierenden Gasen wie Sauerstoff und Wasserdampf. Bei Eisen bildet sich oberhalb von 575~ auf der Metalloberfl~iche eine Zunderschicht aus FeO (WiistiO, die nach aufAen tiber eine dtinne Zwischenschicht aus Fe304 (Magnetit) in Fe203 (H~matit) tibergeht. Unterhalb von 575~ besteht der Zunder nahezu ausschlieNich aus Fe304 mit einer dtinnen Augenhaut aus Fe203. Die Zusammensetzung der Zunderschicht h~ingt demnach empfindlich von der Temperatur ab. Bei legierten St~ihlen sind in der Zunderschicht neben Eisenoxiden auch Oxide der Legierungselemente enthalten.
8.2 Korrosion von Metallen
239
Der Verlauf dieses Korrosionstyps wird sowohl durch die chemische Naturals auch durch die physikalische Beschaffenheit des auf der Werkstoffoberfl~iche gebildeten Korrosionsprodukts beeinflusst. Ist das Korrosionsprodukt fliichtig wie beispielsweise das bei der Oxidation von Molybd~in (Mo) entstehende MOO3, so hat es keinen Einfluss auf den weiteren Verlauf. Ist es hygroskopisch, wie das bei der Korrosion von Mg in einer Cl2-Atmosph~ire gebildete Magnesiumchlorid MgCI2, liegt ein Elektrolyt vor und die chemische Korrosion wird zur elektrochemischen. Bildet sich ein por6ses Reaktionsprodukt, setzt sich der korrosive Angriff durch die Poren fort. Ungleichm~ifiige Stoffabtr~ige sind die Folge. Die wichtigsten Korrosionsvorg~inge der Praxis sind allesamt elektroehemiseher Natur, sie sollen im Weiteren detaillierter dargestellt werden. Ein Metall wird korrosiv zersetzt, wenn in einem w~issrigen Elektrolyten zwei gekoppelte, aber lokal getrennte Elektrodenreaktionen ablaufen k6nnen. Wegen der gel6sten Gase (CO2, eventuell SO2 bzw. NO2) iibemehmen bereits Regen- oder Kondenswasser die Funktion der ElektrolytlSsung. Es bilden sich auf der Metalloberfl~iche Bezirke aus, in denen vorwiegend Metallionen in L/Ssung gehen (Anode), und Bezirke, in denen Oxidationsmittel reduziert werden k/Snnen (Katode). Anode und Katode sind Stellen mit verschiedenem elektrochemischem Potential. In dem sie durch den Elektrolyten leitend verbunden werden, kann zwischen ihnen ein Strom flieBen. Im Metall erfolgt der Transport des Stroms durch Elektronen- und in der Elektrolytl/Ssung durch Ionenleitung. Der Stromkreis stellt ein kleines, kurzgeschlossenes galvanisches Element dar, das als Korrosionselement bezeichnet wird. Im Mikrobereich spricht man auch von einem Lokalelement. Die Elektrodenfl~ichen betragen nur Bruchteile eines Quadratmillimeters. Zur Ausbildung von Korrosionselementen kommt es bei Vorhandensein 9 lokal unterschiedlicher Konzentrationen eines angreifenden Mediums, z.B. Sauerstoff, oder bei lokal unterschiedlichen Temperaturen einer ElektrolytlSsung auf einer Metalloberfl~iche. Es entstehen Konzentrations- bzw. Beltiftungselemente oder Temperaturelemente. 9 verschieden edler Metalle, deren Beriihrungsstelle in Kontakt mit einer Elektrolytl6sung steht (Kontaktkorrosion). 9 verschieden edler Komponenten im Geftige oder auf der Oberfl~iche eines metallischen Werkstoffs. Die Komponenten k6nnen unterschiedliche Kristallphasen einer Legierung oder oxidische Deckschichten auf der Oberfl~iche eines zu schiitzenden Grundmetalls sein. 9 lokal unterschiedlicher mechanischer Spannungs- und Verformungszust~inde (Verarbeitungszustande). Die Anodenreaktion ist immer die oxidative Aufl/Ssung des Metalls (GI. 8-4). M
~
M z+ + z e-
(8-4)
Sind zwei verschieden edle Metalle leitend verbunden und steht ihre Beriihrungsstelle in Kontakt mit einem Elektrolyten, so erfolgt prinzipiell eine korrosive Zersetzung des unedleren Metalls (niedrigeres Standardelektrodenpotential). Die freigesetzten Elektronen flieBen zum edleren Partner. Die bei der Oxidation entstehenden Metallionen liegen entweder hydratisiert vor oder bilden schwer 16sliche Verbindungen mit den Bestandteilen des
240
8 Chemie der Baumetalle
Elektrolyten, z.B. Oxide oder Carbonate. In Anwesenheit komplexbildender Liganden L k6nnen aus den Aquakomplexen Metallkomplexe des Typs [MEn] m+ entstehen. Als Katodenreaktion kommen je nach Bedingungen verschiedene Teilprozesse in Frage, bei denen die nach (G1. 8-4) freigesetzten Elektronen wieder verbraucht werden. In der Mehrzahl der Falle tibemehmen die Hydroniumionen oder der Sauerstoff die Rolle des Elektronenakzeptors bzw. Oxidationsmittels (G1.8-5 und 8-6). 2 H30 + + 2 e-
= H2 + 2 H20
Wasserstoffkorrosion
(8-5)
02 + 2 H 2 0 + 4 e -
" 4OH-
Sauerstoffkorrosion
(8-6)
In starker sauren L6sungen (pH < 4) erfolgt die Reduktion der Hydroniumionen zu Wasserstoff (Wasserstoff- oder Saurekorrosion; G1. 8-5). Es erfolgt ein Redoxprozess zwischen dem Metall und den H30+-Ionen, z.B. Fe + 2 H30 + ~- Fe 2+ + H2 + 2 H20. 9 In vorwiegend neutralen bis schwach alkalischen sauerstoffhaltigen W~issem findet eine Reduktion des Sauerstoffs statt (GI. 8-6, Sauerstoffkorrosion). 9 Von besonderem praktischen Interesse ist der pH-Bereich 4... 6, denn in diesem Bereich liegen die pH-Werte des mehr oder weniger stark belasteten Regenwassers bzw. des Kondenswassers. Gelangt Wasser dieses pH-Bereichs in Kontakt mit einer Eisenoberfl/iche, l/iuft neben der Entladung von Hydroniumionen selbstverst/indlich auch eine Reduktion des Sauerstoffs ab (G1. 8-9) und der Rostprozess setzt ein. 9
Die beiden nachfolgend behandelten Korrosionsprozesse (Rosten yon Eisen, Kontaktkorrosion) kiJnnen sowohl nach dem Sauerstoff- als auch nach dem Wasserstofftyp (oder aber nach beidenO ablaufen. Art und Umfang des jeweiligen Katodenprozesses hiingen vonder OrKonzentration u n d v o m pH-Wert ab. Ein MaB flir die Geschwindigkeit der Korrosion ist der anodische Teilstrom (Korrosionsstrom). Er Risst sich anhand der Masse des abgetragenen Metalls nach der aus den Faradayschen Gesetzen (Kap. 7.5, GI. 7-33)abgeleiteten Gleichung (8-7) berechnen: m .z.F
M't
m M z I F
elektrochemisch umgesetzte Masse (g), Molare Masse (g/mol), Anzahl der Elementarladungen, Stromst~irke(A), t Zeit in s, Faradaykonstante (96485 C/mol)
(8-7)
Der katodische Teilstrom kann aus der Menge (Volumen) des entwickelten Wasserstoffs bzw. verbrauchten Sauerstoffs ermittelt werden. K6nnen ~iuBere Einfliisse ausgeschlossen werden, sind anodischer und katodischer Teilstrom dem Betrag nach gleich. In der Praxis ist die Ermittlung von Korrosionsstr6men eine wichtige Aufgabe im Rahmen von Korrosionsuntersuchungen.
8.2.2
Rosten von Eisen
Der Rostvorgang ist der Korrosionsprozess schlechthin. Wurden keine SchutzmaBnahmen vorgenommen, beginnen Eisenwerkstoffe wie unlegierter bzw. niedrig legierter Stahl oder
8.2 Korrosion von Metallen
241
Grauguss oberhalb einer relativen Lufifeuchtigkeit von - 65% zu korrodieren. In der Bundesrepublik Deutschland werden ca. 20% der j~ihrlichen Eisenproduktion allein fiir den Ersatz von Gegenst~inden ben/3tigt, die durch Verrosten unbrauchbar geworden sind. Darfiber hinaus sind die Folgesch~iden zu beriicksichtigen, deren Kosten die der Korrosion h~iufig noch iibertreffen. Zu nennen w~iren undichte Wasser- und Gasleitungen und sich daraus ergebende m6gliche Unfallgefahren, der Ausfall von Produktionsanlagen oder 6kologische Katastrophen, z.B. durch korrodierende Oltanks. Die Spannungsreihe liefert die elektrochemischen Grundlagen zum Verst~indnis des Korrosionsprozesses und der M6glichkeiten zu seiner Eind[immung bzw. Vermeidung. Laut Spannungsreihe wird Eisen mit einem Standardpotential von -0,44 V von Oxidationsmitteln mit einem Redoxpotential > -0,44 V oxidiert.
Anodenvorgang: Der Anodenvorgang bei der Korrosion des Eisen ist generell der Obergang des Metalls in seine oxidierte Form (anodische Oxidation, GI. 8-8). Fe
"- Fe 2§ + 2 e - .
Katodenvorgang: Dem Standardpotential E~
E~247
(8-8)
2§ = -0,44 V steht in sauerstoffarmem Wasser das pH-abh~ingige Potential der Wasserstoffelektrode gegentiber. In sauren LOsungen l~iuft die Reaktion gem~il3 G1. (8-5) ab. Die Hydroniumionen wirken als Oxidationsmittel und werden unter Wasserstoffentwicklung entladen (Wasserstofftyp). Von Interesse sind insbesondere die Redoxverh~iltnisse in neutralem (z.B. Trinkwasser) bzw. schwach alkalischem Wasser. Hier gewinnt die far das System H20/H2 ,OH- abgeleitete Teilgleichung (7-24): 2 H20 + 2 e- --, H2 + 2 OH- an Bedeutung. Nicht die H30+-Ionen, sondem die Wassermolektile fungieren als Oxidationsmittel. Far neutrales Wasser (pH = 7) berechnet man nach E = -0, 059 V . p H (G1. 7-23) ein Potential von E = -0,41 V. Da dieser Wert mit dem Potential des Fe/Fe2+-Redoxpaares fast tibereinstimmt, besitzt neutrales sauerstoffarmes Wasser eine nur geringe Neigung zur Oxidation des Eisens. Die Triebkrafi des Redoxprozesses ist aufgrund der kleinen Potentialdifferenz (AE = 0,03 V) sehr gering (G1. 7-15). Allerdings bedeutet das nicht, dass Eisen unter Ausschluss von Sauerstoff beliebig best~indig ist. Es wird von H20 oxidativ angegriffen, wobei flockige Formen des zweiwertigen Eisens entstehen. Der Korrosionsprozess verl~iuft jedoch unter Lufiausschluss aufSerordentlich langsam. Deshalb hat man far Heizungsrohre lange Zeit normales Eisen verwendet. Solange die Rohre innen mit Wasser geftillt und luftfrei blieben, trat jahrelang kein nennenswerter Korrosionsschaden auf. Wie neuere Untersuchungen zeigten [KS 16], wird das Eisen unter diesen Bedingungen allerdings oft yon anaeroben Bakterien angegriffen. Hauptbeteiligt sind sulfatreduzierende Bakterien, die in fast allen Gew~issem vorkommen. Diese Bakterien leben davon, dass sie das in den nattirlichen W~issem verbreitete Sulfat zu Schwefelwasserstoff (H2S) reduzieren. Als Reduktionsmittel dienen ihnen Produkte aus nattirlichen Verwesungsprozessen. Auf eine noch nicht in allen Details aufgekl~irte Weise ktinnen ihnen auch die Elektronen aus dem Eisen zur Sulfatreduktion dienen. Der dabei gebildete Schwefelwasserstoff reagiert mit dem freigesetzten Eisen zu Eisensulfid FeS. Diese Art der Biokorrosion ist seit mehr als 70 Jahren bekannt und geftirchtet, z.B. in der Erd61technologie. Bringt man Eisen in sauerstoffhaltiges Wasser bzw. setzt esfeuchter Luft aus, kommt der Rostprozess recht schnell in Gang. Schon nach wenigen Stunden ist am Rand kleiner Was-
242
8 Chemie der Baumetalle
serinseln auf einer Eisenoberflache die beginnende Rostbildung zu beobachten. Wieder ist der elektronenliefernde anodische Prozess die Aufl6sung des Eisens (GI. 8-8). Die Elektronen werden jetzt jedoch vom Sauerstoff aufgenommen. Sauerstoff wird reduziert (02 + 4 e- - 2 O2-), O2 reagiert als Oxidationsmittel. Da das Sauerstoffion 02- in w~issriger L6sung nicht existent ist, reagiert es gem~if3: O2- § H20 ~ 2 OH- sofort weiter. Mit dem Vorliegen von Hydroxidionen im Gleichgewicht (G1. 8-6) ist- wie bereits im Fall der Wasserstoffelektrode - eine Abh~ingigkeit des Standardpotentials des Sauerstoffs vom pH-Wert gegeben. Gelangt sauerstoffhaltiges Regenwasser des pH-Bereichs 4...6 in Kontakt mit Eisenoberfl~ichen, k6nnen sowohl Os-Molektile (GI. 8-9) als auch H30+-Ionen (G1. 8-5) als Oxidationsmittel reagieren. 02 + 4 H30 + + 4 e-
~- 6 HsO
(8-9)
Wendet man die Nemstsche Gleichung auf die pH-abh~ingige Reduktion von Sauerstoff an, so folgt flir die Abh~ingigkeit des Elektrodenpotentials E(H20/Os)vom pH-Wert die Beziehung: E - 1,23 V - 0,059 V 9 pH. Fiir pH - 7 ergibt sich ein Wert yon +0,82 V und flir einen pH-Wert yon 5,6 (CO2-ges~ittigtes Regenwasser) erh~ilt man ein Elektrodenpotential yon +0,9 V. Beide Werte liegen deutlich tiber dem Redoxpotential des Fe/Fe2+-Paares. Sauerstoff (Luft) und Wasser sind demnach in der Lage, Eisen zu Eisen(II)-ionen zu oxidieren.
Eisen, Sauerstoff (Luft) und Wasser sind die drei fiir den Rostprozess notwendigen Komponenten. Fehlt eine dieser Komponenten, findet praktisch keine Korrosion statt. Bringt man beispielsweise ein Stiick Eisen in O1, so rostet es auch dann nicht, wenn kontinuierlich Sauerstoff eingeleitet wird. Ein weiteres Beispiel ist die geringe Korrosionsneigung von Autowracks in der Wiiste. Aufgrund der ~iuBerst geringen Luftfeuchtigkeit laufen Korrosionsprozesse sehr langsam ab. In beiden F~illen fehlt die ,,Rost-Komponente" Wasser. Wie oben ausgefiihrt, ist es fur den Ablauf des Korrosionsprozesses durchaus von Bedeutung, ob die wassrige L6sung sauer oder basisch reagiert. Untersuchungen haben gezeigt, dass in starker sauren sauerstoffhaltigen L6sungen infolge der hohen Aktivierungsenergie for die Reduktion von 02 im ersten Schritt bevorzugt H30+-Ionen entladen werden, gemal3: Fe § 2 H30 + ~ Fe 2+ § H2 + 2 H20. Der gebildete Wasserstoff setzt sich anschlief~end mit Luftsauerstoff zu Wasser urn, wobei das Eisen katalytisch wirkt. Die Fe2+-Ionen werden durch den Sauerstoff in der Elektrolytl6sung zu Fe3+-Ionen oxidiert und es entsteht Rost. Abb. 8.4 zeigt den Mechanismus der Rostbildung. Ein Tropfen Leitungswasser ( p H - 7) auf einer Eisenoberfl~iche wirkt als Elektrolytl6sung einer winzigen galvanischen Zelle. Aufgrund des l~ingeren Diffusionsweges ist die Konzentration an gel6stem Sauerstoff im Zentrum des Tropfens geringer als in den Randzonen. Damit liegt eine Sauerstoff-Konzentrationskette bzw. ein sogenanntes ,,Beliiftungselement" vor. Es arbeitet nach folgendem Prinzip: Die Fl~ichenbereiche des Metalls, bei denen der Elektrolyt eine h6here Os-Konzentration aufweist, bilden die Katode, und die Bereiche geringerer Os-Konzentration die Anode. Im sauerstoffarmen (wenig beliifteten) Bereich in der Tropfenmitte treten Fe 2+Ionen in die Elektrolytl6sung tiber (Anodenvorgang). Die Elektronen fliefSen im Metall an
8.2 Korrosion von Metallen
243
den Rand des Tropfens, wo h6here O2-Konzentration vorliegen. Hier erfolgt die Reduktion des Sauerstoffs (Katodenvorgang). Die an der Anode gebildeten Fe2+-Ionen werden durch weiteren Sauerstoff im Wassertropfen zu Fe3+-Ionen oxidiert, die anschliefSend mit den an der Katode entstandenen OH--Ionen zu braunem, amorphem Rost FeO(OI-l), Eisen(III)oxidhydroxid, weiterreagieren (G1.8-10a). 2Fe 2+ + 1AO2 + 4OH-
2 FeO(OH) Rost
+
H20
(8-10a)
Luft E__.t._.. / ~ / isen(l/I)d?gi~hydr~ ~e/katss~176
i!ii ~ s ,
I,a,o,e'- e
,no0e "a'~ / [/, / / / / / / A Abbildung 8.4 Korrosionvon Eisen,Mechanismusder Rostbildung(neutraleL0sung) Die raumliche Trennung von anodischer und katodischer Teilreaktion beim Rostvorgang konnte von Evans mit dem sogenannten Tropfenversueh nachgewiesen werden. Werden einem Tropfen Kochsalzl6sung, der sich auf einer sauberen Eisenoberfl~iche befindet, rotes Blutlaugensalz K3[Fe(CN)6] und der Indikator Phenolphthalein zugemischt, so reagiert das in der Tropfenmitte freigesetzte Fe > mit K3[Fe(CN)6] zu Berliner Blau, w~ihrend die am Tropfenrand gebildeten OH--Ionen eine Rotf~irbung des Phenolphthaleins bewirken. Die Ablagerung von braunem Rost erfolgt in der Zone zwischen Anode und Katode. In sauren L6sungen erfolgt die Rostbildung gem~iB Gl.(8-10b). 2Fe 2+ + 1AO2 + 7H20
-~
Fe203" H20 + 4 H30 +
(8-10b)
Mitunter schreibt man fiJr den Rostvorgang die verallgemeinerte Bruttogleiehung: 2 Fe + H20 + 18902
"
2 FeO(OH) bzw. Fe203" H:O
(8-11)
Rost besitzt keine einheitliche Zusammensetzung. Neben dem prim~ir sich bildenden Eisen(II)-hydroxid liegt rotbraunes Eisen(III)-oxidhydroxid FeO(OH) (Hauptkomponente!) neben einem dunkleren wasserhaltigen Oxid vor. Bei letzterem handelt es sich um hydratisiertes Eisen(II)-Eisen(III)-oxidhydrat Fe304 9 x H20 (hydratisiertes Magnetit). Insbesondere bei Sauerstoffmangel kann eine vollstandige Oxidation des Fe 2+ zu Fe 3§ nicht stattfinden. Deshalb entstehen Fe(II,III)-Zwischenprodukte wie das griine Magnetithydrat Fe3Oo" H20 (,,Griinrost") oder schwarzer Magnetit Fe304. Das Auftreten einer schwarzen inneren
244
8 Chemie der Baumetalle
und einer grtinen bzw. rotbraunen ~iugeren Rostschicht ist ein oft zu beobachtendes Korrosionsbild. Die Rostbildung ist generell mit einer VolumenvergrOflerungverbunden. H~iufig wird fiir Rost vereinfacht die allgemeine Formel Fe203 9 x ][-][20, chemisch: Eisen(III)-oxidhydrat, angegeben. Sie soll verdeutlichen, dass der Anteil des Wassers im Rost variabel ist. Er hangt von den Bedingungen der Bildungsreaktion ab. FUr x = 1 l~isst sich diese Formel in die Hauptkomponente des Rosts FeO(OH) (---- 2 FeO(OH)= Fe203 91-/20) umwandeln. Die Rostschicht bewirkt keine Passivierung (Bildung einer oxidischen, schtitzenden Deckschicht). Die prim~iren Korrosionsprodukte sind spr6de, k6mig und haften kaum auf der Eisenoberfl~iche (Flugrost). Dadurch ist ein fortlaufendes Eindringen von Wasser und Sauerstoff gegeben, der Rostprozess setzt sich fort. Die Freisetzung weiterer Oxidationsprodukte ftihrt zu einer Verdickung der Rostschicht. Zusammensetzung und Dicke der Rostschicht sind eine Funktion des Sauerstoff- und Wasserangebots, des Vorliegens aggressiver atmosph~irischer Schadgase und - bei SRihlen - der zulegierten Bestandteile. Eine stabilere Rostschicht wirkt zwar hemmend auf den weiteren Rostprozess, verhindern kann sie ihn nicht. Ungeschtitzte Eisenteile im Erdreich wie metallische Leitungen und Grundpfeiler unterliegen infolge des Sauerstoffgehalts des Bodens und des anwesenden Grundwassers immer der Sauerstoffkorrosion. Da unterschiedliche Bodensorten in vertikaler Richtung meist unterschiedliche Beltiftung aufweisen, k6nnen sich Beltiftungselemente ausbilden. Eisen(II)-hydroxid und basische Eisencarbonate bilden Millimeter dicke ,,Kalk-Rost-Sehutzsehieht" auf der weiterem Angriff schtitzt. Die Eisen(II)-Ionen werden und damit einer weiteren Oxidation zu Fe 3+ entzogen. Wasserrohre aus Gusseisen oder Stahl von Bedeutung.
mit Kalk bevorzugt eine mehrere Metalloberfl~iche aus, die sie vor durch FeCO3-Bildung abgefangen Diese Reaktion ist vor allem ffir
Salze beschleunigen die Korrosion der Metalle. Als Elektrolyte sorgen sie dafiir, dass der f'tir den Ablauf der elektrochemischen Reaktion notwendige elektrische Stromkreis geschlossen ist. Wasser, das gel/Sste Salze (und damit Ionen!) enth~ilt, leitet den elektrischen Strom besser als ,,reines" entionisiertes Wasser. Eine Best~itigung dieses Sachverhalts kann leicht gefunden werden: In Gebieten, wo die vereisten Stragen im Winter mit Tausalz gestreut werden, rosten die Autos viel schneller als in Regionen, wo kein Salz zum Einsatz kommt. Die extrem korrosionsFOrdemde Luft der Ktistenst~idte mit ihrem hohen Salzgehalt kann als weiteres Beispiel angefiihrt werden. Tabelle 8.1 Einfluss der ~ul~eren Bedingungen auf den korrosiven Stoffabtrag in g/m 2 pro Tag
Umgebung
Stahl
Industrieatmosph~e Meeresatmosph~e Erdboden Meerwasser
0,15 0,29 0,5 2,5
Stoffabtrag in g. m-2. d-1 Zink Kupfer 0,1 0,031 0,3 1,0
0,029 0,032 0,07 0,8
8.2 Korrosion von Metallen
245
Der besondere korrosionsf'6rdemde Einfluss der Chloridionen, die aus Tausalzen oder dem Meerwasser stammen k6nnen, besteht darin, dass sie durch die Korrosionsschicht hindurch diffundieren und einen Ladungsausgleich bewirken k/Snnen. Dadurch wird die Polarisation aufgehoben, die durch den Austritt und die Anhiiufung positiver Metallionen (ohne Gegenionl) an der Metalloberfliiche entstanden ist. Dartiber hinaus sind Chloridionen in der Lage, mit den entstandenen Fe3+-Ionen 16sliche Chlorokomplexe zu bilden, z.B. [FeCI4]- oder [FeC16]3-. Dadurch behindern sie die Entstehung schwer 1/Sslicher Oxidhydrate und die Korrosion kann ungehemmt weiter ablaufen. Der Einfluss der iiuBeren Bedingungen wie der Konzentration an Luftschadstoffen und an Elektrolyten auf den Umfang des Stoffabtrags einiger Baumetalle ist in Tab. 8.1 gezeigt.
8.2.3 Kontaktkorrosion Steht die Bertihrungsstelle zweier verschieden edler Metalle in Kontakt mit einer Elektrolytl6sung, kommt es ebenfalls zur Ausbildung eines kleinen galvanischen Elements (Lokalelement). Die damit verbundene korrosive Aufl6sung des unedleren Metalls nennt man Kontaktkorrosion. Sie kann an Schraub- und Nietverbindungen unterschiedlicher Metalle, aber auch an beschiidigten metallischen Uberztigen auftreten. Der Mechanismus dieses Korrosionstyps soll an zwei Beispielen erliiutert werden: Korrosion an v e r z i n n t e m Stahlblech. Zinn, Sn, ist aufgrund seiner Bestiindigkeit gegen Luft und Wasser, aber auch gegen schwache Siiuren und Basen, ein geeignetes Uberzugsmaterial ftir Stahlblech (,,WeiBblech"). Es verleiht dem Stahlblech einen zuverliissigen Korrosionsschutz. Da Zinn dartiber hinaus noch ungifiig ist, wird WeiBblech vor allem in der Lebensmittelbearbeitung bzw. -aufbewahrung (Konservendosen) eingesetzt. Wird die Zinnschicht allerdings beschiidigt, kommt das gegeniiber Eisen hShere Standardpotential des Zinns (E~ 2+) = -0,14 V > E~ 2+) =-0,44 V) zum Tragen. Das unedlere Eisen bildet die Anode (Abb. 8.5). Es 1/Sst sich auf und geht in Rost tiber. Folgende chemische Reaktionen laufen ab:
Anode: Katode:
Fe
=
2 H 3 0 § + 2 e-
=
H2
~-
4OH-
bzw. 02 + 2H20 + 4e-
Fe 2+ + 2e+
2 H20
Oxidation Reduktion
Elektrolytl6sung (Wassertropfen)
,/
ZinnOberzug (Katode)
Eisen
(Anode) Abbildung 8.5
Lokalelement Fe/Sn: Korrosion von Eisen, das mit metallischem Zinn in Kontakt steht (Wasserstoffkorrosion).
246
8 Chemie der Baumetalle
Die beim Anodenvorgang freigesetzten Elektronen flief3en zum edleren Metall (Sn) und werden je nach pH-Wert und O2-Konzentration an dessen Oberfl~iche von H30+-Ionen oder von Sauerstoff aufgenommen. Das Zinn bleibt im Wesentlichen unver~indert. Ein analoges elektrochemisches Verhalten zeigt ein durch eine Kupferschicht geschiRztes Stahlblech. Bei Besch~idigung der Schutzschicht korrodiert der Stahl. Es kommt zum Unterrosten der Schutzschicht und der Korrosionsabtrag schreitet in die Tiefe fort (Lochfral3). Korrosion an verzinktem Stahlbleeh. Anders sind die Verh~iltnisse, wenn Zink als Oberzugsmaterial fiir Stahlteile (Kfz-Karosserien, Stahlmasten, Dachrinnen) eingesetzt wird. Ist die Zinkschicht besch~idigt, fungiert das Eisen als Katode des sich ausbildenden Lokalelements. Zink ist die Anode und wird zu Zn>-Ionen oxidiert. Die Zinkschicht 18st sich allm~ihlich auf (Abb. 8.6). Die Elektronen fliefSen zum edleren Eisen, wo wiederum die H30+-Ionen unter Wasserstoffbildung entladen werden. Das Eisen ist weitgehend vor dem Rosten geschiitzt. ElektrolytlSsung (Wassertropfen) ~
/ " / ~ ~ ~ % ' ~ % ~ - "'~-9. n + .. ,-, Zink0berzug (Anode)
2e
2e-
Eisen (Katode) Abbildung 8.6
Lokalelement Zn/Fe: Katodischer Schutz von Eisen durch leitenden Kontakt mit Zink (Wasserstoffkorrosion).
Folgende chemische Reaktionen laufen ab: Anode" Katode:
Zn 2 H30 + + 2 ebzw. 02 + 2H20 + 4e-
=
Zn 2+ + 2 e-
Oxidation
> =
H2 + 2 H20 4OH-
Reduktion
In beiden betrachteten F~illen wird das jeweils unedlere Metalls korrosiv zerst/Srt. Ftir den praktisehen Korrosionssehutz ergibt sich damit folgende Schlussfolgerung: Wenn keine Bedenken funktioneller Art dagegen sprechen, sollte die Schutzschicht immer aus einem unedleren Metall als die zu schiRzende Schicht bestehen (z.B. Zink auf Eisen). Dann geht bei einer Beschadigung der Schutzschicht immer zuerst das unedlere Metall (Zn) in L/Ssung und das edlere (Fe) bleibt so lange erhalten, so lange noch Zink vorhanden ist. Edlere Uberziige schiRzen das Grundmetall nur, wenn sie porenfrei aufgetragen und vollkommen dicht sind. ..
Bei Kontakt von A1- und Zn-Werkstoffen mit Cu, Cu-Legierungen, Fe, Ni und Edelst~ihlen ist prinzipiell eine Gef~ihrdung durch Kontaktkorrosion gegeben. Auch bei der Wechsel-
8.2 Korrosion von Metallen
247
wirkung von Eisenwerkstoffen mit Cu, Cu-Legierungen, Ni und Ni-Legierungen, Edelst~ihlen und Chrom kann es - immer die Gegenwart eines Elektrolyten vorausgesetzt- zur Kontaktkorrosion kommen (Lager, Buchsen, Schraubverbindungen!). Zur Vermeidung der Korrosion zwischen zwei Metallen mit untersehiedlichen Elektrodenpotentialen k~nnen isolierende Zwisehenschiehten aus Kunststoffe bzw. Isolierpasten aufgebracht werden, die den leitenden Kontakt zwischen den Metallen unterbinden. Ist ein leitender Kontakt zwischen zwei versehieden edlen Metallen technisch nicht vermeidbar, sollte der unedlere Partner eine m6glichst groBe Oberfl~iche im Vergleich zum edleren besitzen.
8.2.4 Korrosion von Stahl Die chemische Zusammensetzung der meisten metallischen Werkstoffe ist nicht homogen. Das kann auf Fremdatome als Folge na~rlicher Verunreinigungen oder absiehtlieher Zulegierung von Metallen zuriick~fiihren sein. Inhomogenit~ten k~nnen ihre Ursache aber auch in Unregelm~iBigkeiten im Kristallgitter (Fehlstellen) haben. Der uneinheitliche Aufbau kann zur Ausbildung elektrochemischer Potentiale fiihren. Befinden sich Fe-Atome in der Umgebung von Kristallbaufehlem, werden sie leichter oder sehwerer als die fibrigen Eisenatome oxidiert. Auch die EinschRisse selbst sind naturgem~iB edler oder unedler als das Wirtsmetall. Baust~ihle enthalten neben C, S, P und S i wechselnde Mengen an Cr, Cu und Ni. Die beiden letzteren Metalle besitzen positivere Standardpotentiale als das Eisen. Unter den Bedingungen eines sich ausbildenden Lokalelements tibemehmen sie die Katodenfunktion und bewirken die anodische Zersetzung des Eisens. Kommt eine Stahloberfl~che mit Wasser in Berfihrung, ist generell mit der Ausbildung von Lokalelementen dieses Typs zu rechnen.
Sauerstoffhaltiges Wass~
Rostneubildung
m
Lokalelement Eisen/Rost (Sauerstoffkorrosion):
m
--
Abbildung 8.7
Anode:
Fe 2
Fe --) Fe 2§ + 2 e-
i_I --I
Katode: 89 02 + 2 e- + H20 --) 2 OH-
Eisenoxidschicht (Katode)
Dartiber hinaus kann die stets vorhandene, nicht zusammenh~ingende Eisenoxidschicht zur Ausbildung unregelm~iBig verteilter katodischer und anodischer Bezirke auf der Oberfl~che ~hren (Abb. 8.7). Es entstehen Lokalelemente mit der Eisenoberfl~ehe als Anode und dem ,,edleren" Rost als Katode. Die meisten Metalloxide besitzen ein positiveres Potential, d.h. sie sind edler als die zugeh6rigen Metalle. Damit k6nnen sie, sofern sie den Strom leiten, als Elektrode einer galvanischen Zelle fungieren. In Gegenwart eines sauren Elektrolyten flieBen die Elektronen vom Eisen zum Eisenoxid. Wenn sich gleichzeitig Sauerstoff als
248
8 Chemie der Baumetalle
Elektronenakzeptor an der Reaktion beteiligt, erweitern sich die Rostbereiche. Der beschriebene Fall stellt eine spezielle Variante der Kontaktkorrosion dar. Durch Zulegieren von Metallen wie Kupfer, Chrom, Nickel und Molybd~in wird die Korrosionsanf'dlligkeit des Eisens deutlich verringert. Die Schutzfunktion der sich ausbildenden Korrosionsdeckschicht erh~ht sich. Das insbesondere durch den Einfluss von SO~ entstandene Eisen(II)-sulfat FeSO4 wird in Gegenwart der Legierungsmetalle Cu, Ni und Cr in schwer 1/Ssliche Hydroxidsulfate iiberfiihrt. Durch ihren Einbau in die Poren der Rostschicht erfolgt eine weitere Abdichtung und Stabilisierung der Korrosionsschicht. Hochlegierte St~ihle (Edelst~ihle) weisen vor allem durch ihren hohen Cr-Anteil eine besondere Korrosionsbest~indigkeit auf. Es bildet sich eine relativ widerstandsfdhige Chromoxid-Schutzschicht aus. Als Schwellenwert (,,Resistenzgrenze") werden 12,5% Cr angegeben. Oberhalb dieses Wertes erfolgt in Gegenwart von Sauerstoff eine Passivierung der Edelst~ihle. Mit steigendem Chromgehalt erh/~ht sich die Korrosionsbest~indigkeit, da die Schutzschicht aus Chromoxid immer undurchl~issiger wird. Durch Zulegieren von Nickel und/oder Molybdan wird ihre Best~indigkeit weiter erh/Sht. Allerdings ist auch bei sogenannten ,,nicht rostenden" St~ihlen stets von einer, wenn auch mit geringer Geschwindigkeit, ablaufenden Sauerstoffkorrosion auszugehen, wobei die Korrosionsgeschwindigkeit - wie in allen anderen F~illen auch -von der Aggressivit~it der umgebenden Atmosphare (Reinluftgebiete, Industrie- oder Meeresluft) abh~ingt. Weit wichtiger sind Rir die legierten St~ihle jedoch lokalisierte Angriffe wie die Loch- und die Spaltkorrosion sowie die Spannungsrisskorrosion (Kap. 8.2.5). Fiir das Bauwesen ist das Korrosionsverhalten des Bewehrungsstahls von fundamentaler Bedeutung. Das im Beton eingeschlossene Porenwasser ist wegen der immer im Zement enthaltenen Alkalien und des bei der Zementhydratation entstehenden Calciumhydroxids stark alkalisch (pH 13...13,8). Das ist genau der pH-Bereich, in welchem Eisen, als Hauptbestandteil des Stahls, nicht bzw. kaum rostet (Passivit~it des Stahls im alkalischen Medium). Diese au6erordentlich giinstige, dem System Beton natiirlich innewohnende Eigenschaft, bildet die Grundlage fiir die Verwendung der Baumaterialkombination Stahl-Beton. Korrosionsprobleme treten beim Bewehrungsstahl dann auf, wenn in das stark alkalische Milieu drastisch eingegriffen wird bzw. wenn Chloridionen in den Beton eindringen (Kap. 9.4.2.3).
8.2.5 Erscheinungsformen der Korrosion Je nach dem verwendeten Werkstoff, den Korrosionsbedingungen und dem Stoffabtrag k/Snnen die Erscheinungsformen der Korrosion sehr vielfiiltig sein. Sie lassen sich in zwei Hauptgruppen zusammenfassen: 9 Gleichmiiflige Fliichenkorrosion
Der Korrosionsangriff erfolgt parallel zur Oberflache. Der metallische Werkstoff wird eben und gleichm~i6ig fiber gro6e Bereiche der Metalloberfl~iche abgetragen, wobei eine allmahliche Querschnittsverminderung eintritt (Abb. 8.8a). Fl~ichenkorrosion findet man beispielsweise bei Zink und unlegierten bzw. niedrig legierten St~ihlen, die in neutralen W~issern oder feuchter Atmosph~ire korrodieren. Als Beispiel soil das Rosten von Stahlkonstruktionen in aggressivem Industrieklima angefiihrt werden. Aus technischer Sicht ist ein
8.2 Korrosion von Metallen
249
gleichm~iBiger Korrosionsabtrag wenig problematisch. Die Korrosionsraten sind meist gering, so dass die Fl~ichenkorrosion trotz ihres gef~ihrlichen Aussehens leicht iiberwacht und die Standzeit eines Stahlbauteils gut abgesch~itzt werden kann. 9 Ungleichmiiflige oder lokal begrenzte (punktj~rmige) Korrosion
Eine ungleichm~iBige Korrosion liegt vor, wenn an bestimmten, lokal begrenzten Stellen die korrosive Zersetzung mit einer deutlich h6heren Geschwindigkeit abl~iuft als an anderen Stellen der Werkstoffoberfl~iche. Voraussetzung sind 6rtliche Konzentrationsunterschiede im korrosiven Medium und daraus resultierende Potentialdifferenzen auf der Werkstoffoberflache. Die Folge der Zersetzungsprozesse sind lokal unterschiedliche Materialabtrage. Sie k6nnen zu schwerwiegenden Sch~idigungen des Werkstoffs Ftihren.
Angriff ~
a)
~ Angriff
b)
Abbildung 8.8 Typische Erscheinungsformen der Korrosion: a) Gleichm~i~ige Fl~ichenkorrosion; b) LochfraPokorrosion (Lochkorrosion, LochfraPo). Besondere Arten dieser Korrosionsform sind die LochfraB- und die selektive Korrosion. Der LoehfraB ist eine Korrosionsform, bei der kraterfbrmige, die Oberfl~iche unterh6hlende tiefe L6cher auftreten. AuBerhalb der LochfraBstellen tritt praktisch kein Fl~ichenabtrag auf. Die Tiefe der LochfraBstelle ist im Allgemeinen gleich oder grSBer als ihr Durchmesser [KS 2]. LochfraBkorrosion tritt nur an Metallen im ,,Passivzustand", d.h. an passivierten metallischen Werkstoffen auf. Je nach Bedingungen bilden sich nach kurzen oder l~ingeren Zeitr~iumen tiefe Ausfressungen, die schnell zu einer vollst~indigen DurchlScherung des Werkstoffs Fdhren kSnnen. Der tibrige Teil der passiven Oberfl~iche wird nicht angegriffen. Zu den passiven Werkstoffen, die besonders durch Lochkorrosion gefiihrdet sind, geh6ren hochlegierte ferritische Chrom- und Chrom-Nickel-St~ihle sowie Aluminiumteile. Ausgangspunkt fiir die Lochkorrosion sind Fehl- und Stfrstellen in der Passivschicht. Darunter sind herstellungs- und bearbeitungsbedingte mechanische Oberfl~ichendefekte, Heterogenit~iten des Werkstoffs oder auch Oberfl~ichenverunreinigungen bzw. Ablagerungen zu verstehen. Indem bestimmte Ionen wie CI-, aber auch Br- und I- an diesen Stellen adsorbiert und eingebaut werden, wird die Passivschicht so ver~indert, dass es zu einer station~iren AuflSsung des Metalls kommen kann. Wegen ihrer hohen Adsorptions- und Polarisationswirkung (s. Kap. 9.4.2.3.2), aber auch ihrer F~ihigkeit, aufgrund des geringen Ionenradius die Passivschicht zu durchdringen und die kristallinen Oxide in eine kolloide Form zu tiberFtihren [KS 2], sind insbesondere die Chloridionen zur LochfraBkorrosion in der Lage. Findet auf einer ansonsten kaum korrosiv angegriffenen Metalloberflache ein 6rtlich begrenzter Abtrag statt und der Durchmesser der L6cher (Mulden) ist gr6Ber als ihre Tiefe, spricht man von Muldenkorrosion. In zahlreichen Schadensfiillen ist zwischen LochfraB und MuldenfraB keine eindeutige Abgrenzung mOglich.
250
8 Chemie der Baumetalle
Unter selektiver Korrosion fasst man Korrosionsformen zusammen, bei denen ,,bestimmte Gefiigebestandteile, korngrenzennahe Bereiche oder Legierungsbestandteile bevorzugt gel/3st werden" (DIN 50 900 TI. 1). Man unterscheidet die interkristalline Korrosion (~iltere irrefiihrende Bezeichnung: ,,Komzerfall"), die transkristalline Korrosion, die Entzinkung (bei Messing), die Entnickelung und Entaluminierung sowie die Spongiose. Die interkristanine Korrosion tritt vorwiegend bei passivierenden Legierungen im Bereich der Korngrenzen des Werkstoffgef'tiges auf. Unter Korngrenzen versteht man die Grenzen zwischen den Metallkristalliten im Metallverbund. Unsachgem~ifAe Behandlung, z.B. durch zu starke W~irmeeinwirkung bei bestimmten Bearbeitungsschritten wie Schwei6en oder Warmverformungsverfahren kann zu Inhomogenit~iten im Werkstoffgef'tige und damit zur Ausbildung von Lokalelementen an den Korngrenzen fiihren. Die Folge ist eine Auflockerung des Gefiiges, verbunden mit einem Festigkeitsverlust des Metalls. Interkristalline Korrosion ist vor allem an Chrom-Nickel-St~ihlen zu beobachten. Beim Erhitzen eines Cr-Ni-Stahls auf Temperaturen yon 400...800~ kann es zur Ausscheidung gemischter Carbide des Typs (Fe,Cr)23C6 an den Korngrenzen kommen. Die den Korngrenzen nahen Kristallitbereiche verarmen relativ an Chrom und ihre Passivit~it geht verloren. Damit sind sic einem Korrosionsangriff zug~inglich. Bei der transkristallinen Korrosion verl~iuft die Korrosion durch die Kristallite des Metallgeftiges hindurch. In Ausnahmefiillen wird an Bauteilen aus Messing, die in st~indigem Kontakt mit Trinkwasser oder Schwitzwasser stehen, die sogenannte Entzinkung beobachtet. Sic kann im Extremfall zu Sch~iden an Armaturen oder Rohren fiihren. Die Entzinkung wird - was nicht ganz korrekt ist - ebenfalls der selektiven Korrosion zugerechnet. Sie ist als Sch~idigungsprozess seit langem bekannt. Vereinfacht dargestellt 16sen sich bei der Entzinkung die Mischkristalle des Messings auf. Die edleren Cu-Ionen werden durch die unedleren ZnIonen aus der L6sung ,,verdr~ingt". Sic scheiden sich an der Messingoberfl~iche wieder ab und bilden einen r6tlichen, schwammigen Niederschlag. Damit t~iuschen sie eine entzinkte Oberfl~iche vor. Die angegriffene Stelle weist praktisch keine Eigenfestigkeit mehr auf. Aus der fiilschlichen Annahme einer lokalen Verminderung des Zn-Gehaltes wurde friiher der Begriff ,,Entzinkung" gepr~igt. Die Entzinkung ist in der Regel mit einer 6rtlichen pfropfenf'6rmigen Zersttirung (Lochfra6) des Bauteils verbunden. Die Zinkionen werden sukzessive weggefiihrt. Voraussetzung fiir diese Korrosionserscheinung ist chloridhaltiges, relativ weiches Wasser. Der Entzinkung kann in unserer Zeit problemlos vorgebeugt werden. Der Einsatz yon entzinkungsbest~indigem Messing (dr-Messing, dezincification resistant) ist heute Stand der Technik. Entzinkungsbest~indige dr-Messinge werden durch eine spezielle W~irmebehandlung hergestellt, die den Anteil der Messing 100 ~tm (z.B. organische Schutzlacke) geschtRzt werden. Die im Bauwesen eingesetzten Aluminiumlegierungen k/Snnen zwar aufgrund ihrer inhomogenen Kristallstruktur zu Heterogenitaten in der Oxidschicht und damit zur Ausbildung unterschiedlicher elektrochemischer Potentiale ftihren, letztendlich verhindert aber das System A1/A1203 ein Voranschreiten korrosiver Zersetzungsvorgange. Die Schutzschicht kann atmosph~irische Verunreinigungen einlagern, was zu einer Aufrauung der Oberfl~iche ffihrt.
264
8 Chemie der Baumetalle
8.3.2 Kupfer Kupfer ist ein rOtlich gl/inzendes, sehr z/ihes, schmied- und dehnbares Metall, das in einer kubisch-fl/ichenzentrierten Struktur kristallisiert. Es 1/isst sich zu feinen Dr~ihten ausziehen und zu sehr dtinnen Folien ausschlagen. Cu besitzt nach Silber die h6chste elektrische und W/irmeleitf~ihigkeit aller Metalle.
Wichtige physikalische Daten: Dichte 8,96 g/cm 3 (25~ Smp. 1083,4~ Sdp. 2595~ W~irmeleitf~ihigkeit 394 W/m.K, spezifische elektrische Leitf'~ihigkeit 5,8.105 S/cm (Leitf~ihigkeitswerte far 20~ An der Luft bildet Kupfer langsam rotbraunes Cu(I)-oxid Cu20, das an der Oberfl/iche fest haftet und fiir die typische Farbe des Kupfers verantwortlich ist. In Gegenwart h6herer Konzentrationen an CO2 (in St/idten), SO2 (in Ballungs- und Industriegebieten) oder chloridhaltigen Aerosolen (vorzugsweise in Ktistenn/ihe) bildet sich auf dem Kupfer allm/ihlich ein grtiner Oberzug von basischem Carbonat CuCO3 9 Cu(OH)2, basischem Sulfat CuSO4 9 Cu(OH)~ oder basischem Chlorid CuC12 9 Cu(OH)2. Dieser Oberzug wird als Patina bezeichnet. Die Patina-Deckschicht besteht demnach in der Stadt- und Industrieatmosph/ire vorwiegend aus basischem Kupfersulfat und in Reinluftgebieten vor allem aus basischem Kupfercarbonat. Sie schtitzt das darunter liegende Metall vor weiterer Zerst6rung und verleiht den Kupferd/~chem die sehr sch6ne gr0ne Farbe. In seinen Verbindungen tritt Cu vorzugsweise in der Oxidationssmfe +II auf, z.B. im Kupfer(II)-oxid CuO und im Kupfer(II)-sulfid CuS (Covellin), seltener in der Oxidationssmfe +I, z.B. im Kupfer(I)-oxid Cu20. In Kupfersalzl6sungen liegt das hellblaue [Cu(n20)6] 2§ Ion vor. Die 6 H20-Molektile bilden ein tetragonal-verzerrtes Oktaeder, in dem die beiden axialen HaO-Molektile weiter entfernt und schw/icher gebunden sind. Das bekannteste Kupfersalz ist das Kupfer(II)-sulfat. Es entsteht beim Auflfsen von metallischem Kupfer in heiBer verdtinnter Schwefels/iure in Gegenwart von Luftsauerstoff und kristallisiert als Pentahydrat CuSO4 9 5 1-120 (,,Kupfervitriol") in Form blauer, durchsichtiger Kristalle aus. In seiner Festk6rperstruktur sind vier H20-Molektile in quadratischplanarer Anordnung am Cu 2§ koordiniert. Das ftinfte H20-Molektil ist tiber Wasserstoffbrticken an ein Sulfation und ein koordiniertes H20-Molekiil gebunden. Beim Erhitzen des Kupfervitriols auf 130~ werden in einem ersten Schritt zun/ichst vier Molekiile Wasser abgegeben, wobei CuSO4 9 H20 (Monohydrat) entsteht. Erst oberhalb von 200~ setzt das Monohydrat das letzte, starker gebundene H20-Molektil frei. Entwassertes CuSO4 ist weiB. Versetzt man eine Kupfersulfatl6sung mit Ammoniakwasser, bildet sich nach anf~inglicher Ausf~illung eines hellblauen Hydroxidniederschlags eine tiefblaue L6sung. Im zun/ichst vorliegenden Aquakomplex des Kupfers [Cu(H20)6] 2§ werden die vier quadratisch-planar koordinierten HaO-Molektile gegen vier Ammoniakmolektile ausgetauscht. Es bildet sich das Tetraammindiaquakupfer(II)-Ion [Cu(NH3)n(H20)2] 2+. Die beiden verbleibenden (axialen) HaO-Molektile sind als Spitze und FuBpunkt eines verzerrten Oktaeders deutlich weiter vom Cu-Zentralion entfemt, als die vier NH3-Liganden. Deshalb werden h/iufig For-
8.3 Nichteisenmetalle
265
meln bevorzugt, die dem Kupferion nur die vier n/ichsten Nachbam als Liganden zuordnen. Fiir den Cu-Naehweis ergibt sich danach die Gleichung (8-21). [ C u ( n 2 0 ) 4 ] 2+ + hellblau
4 NH3 ~
[Cu(NH3)4]2+ + 4 H20
(8-21)
tiefblau
Entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe wird Kupfer nur von oxidierenden S/iuren wie HNO3 und konz. H2SO4 gel6st. In letzter Zeit ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass bereits schwach saure W/isser in der Lage sind, die Schutzschicht zu zerst6ren und Kupferrohre bzw. -armaturen korrosiv anzugreifen. So konnten im Trinkwasser, insbesondere nach 1/ingeren Standzeiten in den Rohrleitungen, Cu-Gehalte gemessen werden, die den empfohlenen Richtwert (s. Tab. 6.7) deutlich iibertrafen. Es ist deshalb unbedingt empfehlenswert, bei der Verwendung des Werkstoffs Kupfer f'tir Rohrleitungen vorher die Wasserbeschaffenheit, insbesondere den pH-Wert, genauer zu untersuchen. Cu2+-Ionen sind ftir niedere Organismen wie Bakterien, Algen und Pilze toxisch. Deshalb werden sie zu Desinfektionszwecken eingesetzt (z.B. swimming pools, Hallenb/ider). Im Bauwesen besitzen Kupferlegierungen eine weitaus gr6Bere Bedeutung als das unlegierte Kupfer. Cu-Legierungen mit Zink (und evtl. weiteren Metallen) werden als Messing bezeichnet. Man unterscheidet je nach dem Zn-Gehalt: Rotmessing (bis zu 20% Zn), rtitlich gold~ihnliche Legierung, sehr dehnbar, bis zu feinsten BRittchen aush~immerbar (,,Blattkupfer", unechtes Blattgold); Gelbmessing (20...40% Zn), dient besonders zur Fertigung von Maschinenteilen; Weiflmessing (50...80% Zn), blassgelbes, spr6des Legierungsmetall, kann nur vergossen werden. Wird Ni zulegiert, erh~ilt man z.B. Nickelmessing (auch: Neusilber) der Zusammensetzung 45...67% Cu, 12...38% Zn, 10...26% Ni, der Rest ist Zn. Veraltete Bezeichnungen fiir Neusilber sind Alpaka sowie Argentan. Um der Entzinkung vorzubeugen, wurde dr-Messing entwickelt.
Bronzen sind Legierungen aus Cu mit einem oder mehreren Legierungsmetallen (auger Zn). Ihr Cu-Gehalt betragt mindestens 60%. Zinnbronzen (,,Bronzen" im engeren Sinne) sind Cu-Sn-Legierungen mit bis zu 10% Sn. Durch den Zinnzusatz kann das Kupfer vergossen und geschmiedet werden. Die Harte und Festigkeit des Cu wird erh6ht. Ein Zusatz von Phosphor erh6ht die Dichte und Festigkeit der Legierung und verhindert die Oxidbildung beim Guss (Phosphorbronzen, z.B. 92,5% Cu, 7% Sn und 0,5% P). Phosphorbronzen werden fiir besonders beanspruchte Maschinenteile (z.B. Achslager) verwendet. Glockenbronzen enthalten 20...25% Zinn. Durch Zusatz von 1...2% Si (Siliciumbronzen) kommt es zu einer weiteren ErhShung der H/irte und Festigkeit. Bleibronzen (bis zu 28% Pb) sind gut gieB- und verarbeitbar. Sie dienen als Guss- und Gleitwerkstoffe, z.B. Achslagermetall ftir Eisenbahnwagen. Wie zahlreiche, aus vergangenen Jahrhunderten stammende Bauwerke belegen, ist Kupfer als Baumetall durch seine Patina-Schutzschicht weitgehend vor atmosphiirischer Korrosion geschiitzt. Vor der Ausbildung der Patina betragen die Abtragsraten an Kupfer in Reinluft etwa 1,9 ~tm/a, in Stadtluft 1,5...2,9 ~tm/a, in Industrieluft 3,2...4,0 ~tm/a und in Meeresluft etwa 3,8 ~tm/a. Mit zunehmender Patinabildung nimmt die korrosive Zerst6rung des Kupfers ab. Die Patinabildung setzt in Reinluftgebieten nach etwa 30 Jahren, in Stadt-
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8 Chemie der Baumetalle
atmosphere nach 15 bis 20 Jahren, in Industrieatmosph~ire nach 8 bis 12 Jahren und in Meeresluft nach 4 bis 6 Jahren ein. Wird die Patina-Schutzsehicht mechanisch besch~idigt, setzt auch hier ein Selbstheilungsprozess ein und der Uberzug bildet sich neu. Problematisch ist der Einsatz yon Regenfallleitungen aus Kupfer in der N~he yon Kl~ranlagen, landwirtschaftlichen Dunggruben, Stallen oder Toiletten, wo aggressive, das Cu angreifende Zersetzungs- bzw. Faulgase (Ammoniak, Sehwefelwasserstoff) entweichen. Gegenfiber Gips, Kalk und Zement ist Kupfer best~indig. Gelangt durch aggressive Gase bzw. Sauren Regen gel6stes Kupfer (---, Cu 2+) von Kupferd~iehern in darunter angebrachte Zinkdachrinnen, kommt es zur Abseheidung des edleren Cu unter Aufl6sung von Zn (Spannungsreihe!). Die Folge sind LochfraBkorrosionen. Gelangen Cu2+-haltige Niederschlagsw~isser in Kontakt mit Betonplatten oder mineralischen Putzen, kann es durch Salzbildung zu grtin-blauen Verf~rbungen kommen. ~176
8.3.3 Zink Zink ist ein bl~ulich weiBes, an frischen Schnittstellen gRinzendes Metall, das in einer verzerrt hexagonal-dichtesten Kugelpackung kristallisiert. Es ist bei gew~hnlichen Temperaturen sehr spr~de. Beim Erw~irmen tiber 100~ wird es weich und dehnbar, so dass es gewalzt und zu Draht gezogen werden kann. Bei h6heren Temperaturen (> 150~ nimmt die Spr6digkeit des Zinks wieder zu, fiber 200~ ist sie so groB, dass sich das Metall pulverisieren l~isst.
Wichtige physikalische Daten." Dichte 7,14 g/era 3 (25~ Smp. 419,6~ Sdp. 907~ W~irmeleitf~ihigkeit 113 W/m.K, spezifische elektrische Leitf~ihigkeit 1,69.105 S/era (Leitf~ihigkeitswerte ffir 20~ Zink fiberzieht sich an der Luft bei relativen Luftfeuchtigkeiten > 70% mit einer di~nnen, fest haftenden Schutzschicht aus Zinkoxid ZnO und basischem Zinkcarbonat ZnCO3" Zn(OH)2, die es vor weiteren korrosiven Angriffen schtitzt. In seinen Verbindungen liegt Zn in der Oxidationsstufe +II vor. ZnO wie aueh Lithopone (ZnS/BaSO4) sind wichtige WeiBpigmente in der Farben- und Lackindustrie. Entspreehend seiner Stellung in der Spannungsreihe 16st sich Zn in S~uren unter Wasserstoffentwicklung, z.B. Zn + 2 HCI ---- ZnCI2 + H21'. Bei sehr reinem Zink erfolgt die Auf16sung bei Raumtemperatur allerdings sehr langsam, da Wasserstoff am Zink eine hohe Uberspannung besitzt (Kap. 7.5). Entgegen seiner Stellung in der Spannungsreihe 16st sieh Zink nieht in Wasser. Ursache ist die schwer 16sliche Zinkhydroxid-Sehutzsehieht, die sieh bei Kontakt von metallischem Zink mit Wasser rasch ausbildet und einen weiteren Angriff des H20 verhindert (Zn + 2 H20 --+ Zn(OH)2 + H2). .~
Zink 16st sich auch in Laugen unter Wasserstoffentwicklung, da wegen des amphoteren Charakters von Zn(OH)2 die Schutzschicht unter Bildung von Hydroxokomplexen (Zinkaten) zerst6rt wird (G1. 8-22). Zn(OH)2 + 2OH-
~- [Zn(OH)4]2Zinkat
(8-22)
8.3 Nichteisenmetalle
267
Im mittleren pH-Bereich weist Zink eine gute Best~indigkeit auf. Ca- und Mg-Ionen sowie Kohlens~iure im Leitungswasser begtinstigen die Entstehung von Schutzschichten in Zinkleitungen, da sie basische schwer 16sliche Erdalkalimetallcarbonate bilden, die in die Schutzschicht eingebaut werden k/Snnen. Aus diesem Grund ist der Einsatz von verzinkten Stahlrohren ~ r Wasserleitungen im Falle von W~issern niedriger H~irte generell problematisch. Bei direktem Kontakt mit edleren Metallen (Cu!) kommt es zu starker Kontaktkorrosion. Im Bauwesen wird vorzugsweise die Knetlegierung D-Zn (DIN 17770) ftir Dachabdeckungen und-rinnen sowie ftir Regenfallrohre eingesetzt. Diese Legierung, die h~iufig aufgrund ihres geringen Titananteils (neben Cu!) als Titanzink bezeichnet wird, besitzt einen im Vergleich zum Feinzink reduzierten W~irmeausdehnungskoeffizienten. Mit Ausnahme des ,,normalen" Zinkchromats ZnCrO4 fanden (und finden?) die nachfolgend angefiihrten Zinkchromate bzw. -dichromate allesamt Anwendung als Korrosionssehutzpigmente: I. Zink-Kalium-Chromat (Zinkgelb, KZn2(CrOa)2OH), basisches ZinkKaliumchromat (Zitronengelb, K2CrO4 9 3 ZnCrO4 9 Zn(OH)2 9 2 H20); II. Zinktetraoxichromat ZnCrO4 94 Zn(OH)2; III. Zinkdichromat ZnCr207 93 1-120. Die Zn-Cr-Verbindungen passivieren entweder die Metalloberfl~iche oxidativ unter Bildung von Cr203, FeO und ZnO oder reagieren mit Eisen zu unl/Sslichem Fe(III)-chromat Fe2(CrO4)3. Das unedle Zink, das als Zinkstaub zum Einsatz kommt, wirkt gegeniiber der Stahloberfl~iche als Aktivanode (Zn + FeO ---- ZnO + Fe) Zink ist aufgrund seiner ZnO/Zn(OH)2/ZnCO3-Schutzschicht ein sehr witterungsbest~indiges Metall. Trotzdem erfolgt durch st~indigen Temperaturwechsel und kontinuierlich wechselnde N~isse- und Trockenperioden ein allm~ihlicher Abtrag der Deckschichten. Indem sich die Deckschicht st~indig erneuert, wird fortlaufend Zink verbraucht. Der Zinkabtrag betr~igt pro Jahr 4...8 ~tm (Stadtatmosph~ire). Er ist damit deutlich hSher als der des Kupfers (1...2 ~tm), des A1 (0,1...1,0 ~tm) und des Pb (ca. 0,5 lxm) pro Jahr. Der Saure Regen zerfrisst in Industriegegenden Zinkd~icher und -bauteile relativ schnell unter Bildung von 1/Sslichem Zinksulfat (Zn + H2SO4 ---- ZnSO4 + H2; Zn + SO2 + 1/2 02 + H20 ~ ZnSO4 + H2). Dabei kann der Zinkabtrag in den Wintermonaten (Heizperiode) den des Sommers um ein Mehrfaches tibersteigen.
8.3.4 Blei Blei ist ein bRiulich graues, weiches, dehnbares Metall, das in einer kubisch-fl~ichenzentrierten Struktur kristallisiert. Es ist duktil, lasst sich gut walzen und pressen und ist sehr gut gieBbar.
Wichtige physikalische Daten: Dichte 11,4 g/cm 3 (25~ Smp. 327,4~ Sdp. 1740~ W~irmeleitf~ihigkeit 34,7 W/m.K, spezifische elektrische Leitf~ihigkeit 4,82.104 S/cm (Leitf~ihigkeitswerte fiir 20~
268
8 Chemie der Baumetalle
Blei zeigt nur an frischen Schnittfl/~chen einen metallischen Glanz. Ansonsten t~berzieht es sich an der Luft mit einer diJnnen Schicht von Bleioxid PbO. Diese Schicht schtRzt das darunter liegende Metall vor weiterer oxidativer Zerst6rung. In seinen Verbindungen tritt Pb in den Oxidationsstufen +II (z.B. PbO, PbSO4 ) und +W (z.B. PbO2) auf. Die rote Mennige (Pb304) fand als Rostschutzmittel lange Zeit breite Anwendung. Wegen der Toxizit~it des Schwermetalls Blei (s.u.) ist sie inzwischen durch andere Rostschutzpigmente ersetzt worden (Kap. 8.2.6.1). In Mennige liegt Pb sowohl in der Oxidationsstufe +II als auch in der Oxidationsstufe +IV vor. Pb304 kann als Pb(II)-Salz der hypothetischen Bleis~iure H4PbO4, also als Blei(II)-plumbat(IV) Pb2PbO4 aufgefasst werden. Die h~iufig ftir Mennige gebrauchte Schreibweise 2 PbO- PbO~ verdeutlicht das Vorliegen unterschiedlicher Pb-Oxidationsstufen. Bleichromat PbCrO4 (Chromgelb) und basisches Bleicarbonat PbCO3 9Pb(OH)2 (Bleiweifl) sind wichtige Farbpigmente. Trotz seines negativen Standardpotentials 16st sich Blei nicht in Salzs~iure und in verdtinnter Schwefelsaure. Mit diesen beiden S~iuren bilden sich die schwer 16slichen Verbindungen PbC12 und PbSO4, die auf der Oberfl~iche sofort einen schiitzenden Oberzug bilden und einen weiteren Angriff verhindem. In oxidierenden S~iuren erfolgt eine rasche Aufl6sung unter Bildung von Pb(II)-Salzen. Auch organische S~iuren 16sen Pb in Gegenwart von Luft unter Salzbildung. Zum Beispiel bildet Essigs~iure Bleiacetat Pb(CH3COO)2. Eine 6%ige Essigsaure 16st pro Tag bis zu 800 g Pb pro m2. Auch Milchs~iure, Butters~iure und Zitronens~iure greifen Pb in Gegenwart von Luftsauerstoff oxidativ an. In heiBen Laugen 16st sich Blei unter Bildung von Blei(II)-oxidhydraten PbO. nH20, mit n < 1. Luftfreies Wasser greift Blei nicht an. Dagegen wird Pb von sauerstoffhaltigem Wasser allm~ihlich in Bleihydroxid tiberftihrt (G1. 8-23). Pb + 1/202 + H20
~ Pb(OH)2
(8-23)
Diese Reaktion ist die Ursache ftir die Bleibelastung von Trinkwasser, das durch Bleirohre geleitet wird. Nach l~ingeren Verweilzeiten des Wassers in Bleileitungen konnten Werte bis zu 0,3 mg Pb pro Liter gemessen werden. Der Grenzwert fiir Pb liegt laut Trinkwasserverordnung bei 0,01 mg/1. Kohlens~iurehaltige W~isser 16sen Pb unter Hydrogencarbonatbildung (G1. 8-24). Pb + 89
+ H20 + 2CO2
-- Pb(HCO3)2
(8-24)
Blei, das lange Zeit atmosph~irischen Einfltissen ausgesetzt war (z.B. Bleidachdeckungen), tiberzieht sich mit einem schtitzenden Oberzug aus PbCO3 9 Pb(OH)2 9 PbO. Das in SO2haltiger Atmosphare gebildete Bleisulfat wird zus~itzlich in die Schutzschicht eingebaut. Blei geh6rt zu den starken Umweltgiften. In den menschlichen K6rper gelangt es vor allem inhalativ tiber das Atmungssystem (Einatmen von Pb-St~iuben) oder oral tiber die Nahrungsaufnahme in Form 1/Sslicher anorganischer Verbindungen. Kennzeichen chronischer Bleivergiftungen sind u.a. Blutarmut, schmerzhafte Koliken, Leber- und Nierensch~iden. Besonders giftig sind organische Bleiverbindungen. Sie fiihren zu schweren Sch~idigungen des Zentralnervensystems.
8.3 Nichteisenmetalle
269
8.3.5
Chrom
8.3.5.1
Physikalisch-chemische Eigenschaften und Verwendung
Chrom ist ein silbergl~inzendes, kubisch-raumzentriert kristallisierendes Metall, das nur in reinem Zustand aufgrund seiner Z~ihigkeit dehn- und schmiedbar ist. Bereits Spuren von Verunreinigungen machen es hart und sprtide. Chrom geh6rt zur Gruppe der hochschmelzenden und hochsiedenden Metalle.
Wichtige physikalische Daten: Dichte 7,19 g/cm 3 (25~ Smp. 1900~ Sdp. 2690~ W~irmeleitfdhigkeit 67 W/m.K, spezifische elektrische Leitf~ihigkeit 6,7" 104 S/cm (Leitf~ihigkeitswerte fiir 20~ Obwohl unedel, ist Chrom gegentiber atmosph~irischen Einfltissen bei Normaltemperatur best~indig. Deshalb wird es in grofSem Umfang zum Schutz anderer, reaktionsf~ihigerer Metalle verwendet. Ist das Chrom durch Tauchen in starke Oxidationsmittel wie konz. HNO3 oder durch anodische Oxidation vorbehandelt (Passivierung), wird es selbst von verdiinnten S~iuren nicht angegriffen Auch kalte Salpeters~iure, K6nigswasser und Alkalilaugen greifen passiviertes Chrom nicht an. In seinen Verbindungen liegt Cr vorzugsweise in den Oxidationsstufen +III, wie im Chrom(III)-oxid Cr203, oder +VI, wie im Kaliumchromat K2CrO4 bzw. Kaliumdichromat K2Cr207, vor. Zwischen den beiden letzteren Verbindungen besteht in L6sung ein pH-abh~ingiges Gleichgewicht (GI. 8-25). 2 CrO42- + 2 H30 § ~
Cr2072- + 3 H20.
(8-25)
Einige Chromverbindungen besitzen als Farbpigmente praktische Bedeutung. Beispiele sind Cr203 (Chromgriin) und PbCrO4" PbO (Chromrot). Wegen seiner Spr6digkeit spielt Chrom als Werkstoff kaum eine Rolle. Trotzdem gilt Cr als eines der wichtigsten Legierungsmetalle fiir die Stahlherstellung. Bereits geringe CrZus~itze verbessern die mechanischen Eigenschaften des Stahls signifikant (Kap. 8.2.4). Als Oberzugsmetall wird Cr in grofSem Umfang zur Erh6hung der Verschleil3festigkeit von Bauteilen und Werkzeugen sowie ftir dekorative Zwecke verwendet (z.B. Galvanisieren, Kap. 8.2.6.1). Verbindungen, die Cr in der Oxidationsstufe +VI enthalten (Chromate, Dichromate) sind toxiseh. Sie wirken atzend gegeniiber Haut und Schleimh~iuten. Chromat wirkt sensibilisierend und krebserzeugend.
8.3.5.2
Chrom im Zement- Chromatreduzierer
Der Gehalt an wasserl~3slichen Chrom(vI)-Verbindungen liegt bei deutschen Zementen zwischen 1...30 mg/kg, der gr6Bte Teil stammt aus den Zementausgangsstoffen. Seit Anfang der 90er Jahre gilt es als medizinisch gesichert, dass wasserl6sliche Chromate der Ausl~Sser ftir das sogenannte Kontaktekzem (,, Maurer~dtze ") sind. In den letzten Jahren erkrankten jahrlich bis 400 Besch~iftigte an dieser durch den Umgang mit Zement hervorgerufenen Hautkrankheit.
270
8 Chemic der Baumetalle
Auf Initiative der Berufsgenossenschaft Bauwirtschaft konnte erreicht werden, dass ab dem Jahr 2000 in Deutschland nur noch chromatarme Sackzementware (Chromgehalt < 2 mg pro kg Zement) verfiigbar ist. Nachdem der Chromgehalt nicht nur von Sackzementen, sondern auch von einer Reihe zementhaltiger Produkte wie M6rtel und Fliesenkleber reduziert wurde, ist die Zahl der an Kontaktekzem Erkrankten von 429 im Jahre 1998 auf 243 im Jahre 2003 zurtickgegangen. Ihren Abschluss fand die Initiative ,,Chromatarmer Zement" im Januar 2005. Die Umsetzung der europ~iischen Gesetzgebung (Richtlinie 2003/53/EG) in nationales Recht, Anhang IV Nr. 26 tier Gefahrstoffverordnung: "Zement und Zubereitungen, die Zement enthalten, dtirfen nicht verwendet werden, wenn in der nach Wasserzugabe gebrauchsfertigen Form der Gehalt an Rislichem Chrom(VI) mehr als 2 mg/kg Trockenmasse des Zements betr~igt" fiihrte dazu, dass ab dem 17.01.2005 ausschlieBlich chromatarmer Zement in Verkehr gebracht und fiir zementhaltige ,,Zubereitungen" wie Beton verwendet werden darf, wenn grunds~itzlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei der Verarbeitung Hautkontakt auftritt. Bleibt nun noch die Frage zu beantworten, wie chromatarme Zemente hergestellt werden. Um den Chromatgehalt des Zements zu reduzieren, muss das enthaltene wasserl6sliche Chrom(VI) durch ein Reduktionsmittel in Chrom(III) umgewandelt werden. Cr(III)-Verbindungen sind nicht toxisch und besitzen keine sensibilisierende Wirkung. Sie 18sen keine ,,Maurerkr~itze" aus. In alkalischer Ltisung geht Chrom(III) in bl~iulich-grtine Chrom(III)hydroxid-Gele tiber. Als Chromatreduzierer (CR) kommen Eisen(II)-sulfat, Zinnsulfat und verschieden Sulfonate zum Einsatz. Aus Kostengrtinden wird bisher am hfiufigsten Eisen(II)-sulfat eingesetzt, meist als gut 16sliches Heptahydrat FeSO4 9 7 1-120. G1. (8-26) beschreibt die Reduktion von Chromat durch Eisen(II)-sulfat. Im stark alkalischen Milieu des Betons wandelt sich das Fe 2§ sofort in Eisen(II)-hydroxid Fe(OH)2 um. Die Redoxprodukte sind die Hydroxide von Cr 3§ und Fe 3§ CrO42- + 3 Fe(OH)2 + 4 H20
= Cr(OH)3 + 3 Fe(OH)3 + 2 OH-
(8-26)
Theoretisch miissen zur Reduktion von 1 mg Chromat 7,2 mg Eisen(II)-sulfat-Heptahydrat eingesetzt werden. Praktisch arbeitet man meist mit dem 7 - 10fachen Oberschuss an FeSO4, damit die Reduktion von Chrom(VI) so vollst~indig wie m6glich erfolgt. Das Reduktionsmittel kann entweder als Zementzusatzmittel bei der Herstellung des Zements oder als Betonzusatzmittel bei der Betonherstellung eingesetzt werden. Untersuchungen haben ergeben, dass der Einsatz von Chromatreduzierem zu keinen gravierend negativen Einfliissen auf die Frisch- und Festbetoneigenschaften von Beton und M6rtel sowie auf die Bewehrungskorrosion ~hrt. Dennoch sind einige Fragen noch nicht bis ins Detail aufgekl~irt. Durch die Zugabe von FeSO4 9 7 H20 als Chromatreduzierer wird der Anteil an Sulfattr~iger ver~indert. Das kann die Wirksamkeit der Betonzusatzmittel beeinflussen, z.B. k5nnen sich die Verarbeitungseigenschaften bei der Verwendung moderner FlieBmittel ~indem.
8.3 Nichteisenmetalle
271
Betrachtet man die Auslaugrate von Schwermetallen, insbesondere von Chrom, aus Beton als ein Indiz ftir seine Umweltvertr/iglichkeit (Kap. 9.3.8), so ist der ohnehin geringe Anteil an auslaugbarem Chrom bei chromatreduzierten Betonen noch kleiner. Insofem kann man von einer verbesserten Umweltvertr/iglichkeit chromatreduzierter Betone sprechen. Es soil an dieser Stelle noch einmal darauf verwiesen werden, dass zweiwertiges Eisen relativ leicht durch Luftoxidation in Eisen(III) iiberftihrt wird. Das bedeutet, der Eisen(II)Gehalt chromatarmer Zemente nimmt mit der Zeit infolge Luftoxidation unter Bildung von Eisen(m)-Verbindungen ab und steht es fiir die Reduktion von Chromat nicht mehr zur Verfiigung. Die voile Reduktionskraft wird bei chromatarmen Zementen auf ca. 2 Monate veranschlagt. Das macht kiinftig die generelle Angabe eines Verfallsdatums notwendig. Tab. 8.3 enth/ilt einige orientierende Angaben zur Korrosion ausgew/ihlter Baumetalle durch nichtmetallisch-anorganische Baustoffe. Tabelle 8.3 Korrosiver Angriff nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe auf Baumetalle Nichtmetallischanorganischer Baustoff
Baumetalle AI
Kalke, ZementmOrtel, Beton (alkalisches Milieu) Gips- und Anhydritbinder (Sulfate) Magnesiabinder, Streusalze (Chloride) (+ best~ndig, - korrosiver Angriff)
Cu
Zn
Pb
Cr
+
--
_
+
+
--
+
+
--
+
+
Stahl
+
9
Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
9.1 Minerale und Gesteine Die/iuBerste Schicht unserer Erde ist aus einer Vielzahl unterschiedlicher Gesteine aufgebaut, die sich fiber lange geologische Zeitr/iume hinweg gebildet haben. Von der Art der bei der Bildung der Gesteine ablaufenden physikalischen oder chemischen Vorg/inge h/ingen Struktur und Aufbau und damit die Gebrauchseigenschaften eines Gesteins ab, wie z.B. H~irte, Druckfestigkeit, Porosit~it und Wasseraufnahmeverm6gen. Natursteine besitzen als Baustoffe eine zentrale Bedeutung. Sie finden unter anderem fiir Fassadenbekleidungen und Dachbedeckungen, fiir Treppen und Fensterb~inke, als Setzsteine fiir Massivmauerwerk und als Beton- und M/Srtelzuschlage Anwendung. Im Stral3enbau werden sie als Schotter, Splitt, Sand, Pilaster- und Bordsteine genutzt, im Eisenbahnbau vor allem als Gleisbettungsstoff. Dartiber hinaus stellt man aus Natursteinen wichtige Baustoffe her, zum Beispiel aus Kalkstein Kalk, aus Kalkmergel Zement und aus Gipsstein
Gips. 9.1.1 Gesteinsbildende Minerale Gesteine sind heterogene Gemenge von Einzelbausteinen, den Mineralen. Unter einem Mineral (lat. minera, Erzader) versteht man einen in der Erdkruste gebildeten, chemisch und physikalisch einheitlichen natiirlichen Stoff. Als Bestandteil der Gesteine kommen die Minerale meist in kristalliner Form vor. Ihre r/iumliche Anordnung bzw. Verteilung im Gestein bezeichnet man als die Textur des Gesteins. Von der Vielzahl gesteinsbildender Minerale sind nur etwa 40 mit grofSer H/iufigkeit anzutreffen. Die wichtigsten sind: Feldsp/ite (55...60%); Ketten- und Bandsilicate, z.B. Amphibole (15...16%); Quarz (12%); Glimmer (3...4%); Olivin, Kalkspat und Aragonit (1,5%); Tonminerale, Dolomit, Limonit, Gips/Anhydrit (1...1,5%), weiterhin Salze (NaC1, KC1), Graphit, Serpentin, Apatit, Talk. Chemisch handelt es sich bei den angefiihrten Mineralen vor allem um Silicate und Siliciumdioxid, um Carbonate, Sulfate, Phosphate, Oxide, Hydroxide sowie Sulfide (Tab. 9.1). Manche Gesteine, wie z.B. Quarz und Gipsstein, bestehen nur aus einem Mineral. Geologische Prozesse vollziehen sich als Wechselspiel exogener und endogener Kr/ifte. Exogene Kr~ifte sind auf die Erdoberfl/iche einwirkende Kr/ifte, die den st~indigen Kreislauf von Erosion, Transport und Sedimentation in Gang halten. Endogene Kriifte sind durch Magmabewegungen im Innern der Erde wirksam werdende Kr/ifte. Sie sind verantwortlich fiir den Vulkanismus, gebirgsbildende Vorg/inge und Erdbeben. Bis auf chemische (Kalkstein, Salze) und biogene Ablagerungen (Kohle) entstammen die Gesteine ursprtinglich der glutfltissigen Schmelze im Inneren unserer Erde (magmatische Gesteine). Gelangen sie an die Oberfl~iche, so unterliegen sie der Verwitterung und Abtragung. Die in den Meeren und Seebecken abgelagerten Gesteinsmaterialien sind Ausgangspunkt fiir die Entstehung von Sedimentgestein (Sandstein, Kalkstein). Gelangen Gesteine in Bereiche hoher Driicke und Temperaturen, so werden sie umgewandelt. Zun/ichst erfolgt eine mechanische Verformung, anschlieBend ver/indert sich das Gefilge und die Zusammensetzung. Es entstehen neue Gesteinsarten, die metamorphen Gesteine. Sie werden durch exogene Faktoren umgehend in den Gesteinskreislauf einbezogen. Die Erdkruste besteht bis in
9.1 Minerale und Gesteine
273
ca. 16 km Tiefe zu etwa 95% aus magmatischen und metamorphen Gesteinen und nur zu etwa 5% aus Sedimentgesteinen. Dieses Verhiiltnis kehrt sich um, betrachtet man die die Erdoberfliiche bedeckenden Gesteine. Hier findet man zu etwa 75% Sedimentgesteine und nur zu 25% Magmagesteine. Tabelle 9.1 Einteilung der Minerale nach ihrer chemischen Zusammensetzung Klasse
Wichtige chemische Verbindungen bzw. Elemente Elemente
Beispiele
Schwefel, Kupfer, Diamant Kupferkies CuFeS2,Magnetkies FeS Bleiglanz PbS Zinkblende ZnS Flussspat CaF2, Sylvin KC1 Quarz SiO2,Korund A1203,Magnetit Fe304, Hamatit Fe203, Rutil TiO2 Kalkspat bzw. Aragonit CaCO3,Dolomit CaMg(CO3)2
III IV
Sulfide: Kiese Glanze Blenden Halogenide Oxide und Hydroxide
V
Carbonate
VI VII
Sulfate Phosphate
Phosphorit Ca3(PO4)2,Hydroxylapatit
VIII
Silicate
Cas(PO4)3(OH), Fluorapatit Cas(PO4)3F Feldspiite (Kap. 9.2.3.1)
Gips CaSO4 92H20, Schwerspat BaSO4
Im Bauwesen werden die Gesteine nach verschiedenen Gesichtspunkten unterteilt. Man unterscheidet: 9 Naturstein als natiirlich entstandenes Gestein im Gegensatz zum kiinstlich hergestellten Stein (Beton, Ziegel). 9 Hart- und Weichgestein: Unterscheidung im Hinblick auf die Druckfestigkeit des Gesteins; die Grenze liegt bei ca. 180 N/mm 2. Unterhalb dieser Grenze liegt Weichgestein (Sandsteine, Kalksteine), oberhalb Hartgestein (Granite, Porphyre und Basalte) vor. 9 Fest- und Lockergestein: Unterscheidung hinsichtlich des Zusammenhalts im Kristallit- bzw. Kornverband. Wiihrend das Festgestein im Bauwesen als Naturwerksteine unmittelbar verwendet werden kann, muss Lockergestein (Sande, Tone) mit Hilfe eines Bindemittels verfestigt werden. Im Hinblick auf ihre Entstehung unterteilt man die Gesteine in 3 Gruppen: magmatische Gesteine, Sedimentgesteine und metamorphe Gesteine. Alle drei Gesteinsgruppen geh6ren zum Festgestein.
9.1.2
Gesteine
9.1.2.1
Magmatische Gesteine
Zu den magmatischen Gesteinen (Erstarrungsgesteine, Magmatite) gehtiren alle Gesteine, die durch Abkiihlung der magmatischen, hauptsiichlich silicatischen Schmelze (Magma)
274
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
entstanden sind. Das Magma befindet sich in etwa 100...120 km Tiefe. Seine Temperatur wird auf ca. 1200~ gesch~itzt. Je nach dem Ort der Abktihlung werden Tiefengesteine oder Ergussgesteine unterschieden. Tiefengesteine oder Plutonite bilden sich, wenn die heiBen Schmelzen innerhalb der Erdkruste erstarren. Da die Abkiihlung sehr langsam erfolgt, entstehen groBe Kristalle, die im Gesteinsmaterial gut sichtbar sind. Die magmatischen Tiefengesteine weisen eine richtungslose (keine Schichtung oder Schieferung!), gleichm~iBig kOmige bis grobk6mige Mineralstruktur auf. Die wichtigsten Tiefengesteine sind Granit (Abb. 1.1), Syenit, Gabbro und Diorit. Granit ist mit einem Anteil von - 95% das mit Abstand am h~iufigsten vorkommende Tiefengestein. Gelangt das flUssige Magma durch Risse, Spalten oder Schwachstellen der Erdkruste an die Oberfl~iche und ergieBt sich dort als Lava, werden die Kristallisationsprozesse aufgrund der schnellen Abkiihlung weitgehend unterdriickt. Es entstehen feinkristalline Strukturen oder glasige Erstarrungsprodukte, die man als Ergussgesteine oder Vulkanite bezeichnet. Ihr Ge~ge erscheint einheitlich und massiv, sie besitzen eine dichte Grundmasse. Wichtige Ergussgesteine sind Basalt, Diabas, Trachyt und Quarzporphyr. Bei explosionsartigen Eruptionen (z.B. Vulkanismus) kann es zum Auswurf von Loekerprodukten kommen. Zu den Lockerprodukten geh6ren Aschen, Bimssteine (durch Gase aufgebl~ihte, glasig erstarrte Magmateilchen und Tuffe (verfestigte vulkanische Aschen). Sind in der feink6migen, dichten Gesteinsmasse grSBere KSmer eines anderen Minerals enthalten (Einsprenglinge), nennt man die Struktur porphyriseh. Einsprenglinge entstehen durch Auskristallisation von Mineralen, bevor das Magma die Erdoberfl~iche erreicht. Eine porphyrische Struktur ist h~iufig bei Ganggesteinen vorzufinden. Sie bilden sich, wenn diinnfliissiges Magma in schmale Gesteinsspalten (Wirkung als Abkfihlspaltent) eindringt und dort abkiahlt. Wichtige Ganggesteine sind Granitporphyr, Syenitporphyr, Diorit- und
Gabbroporphyr. Hinsichtlich ihres SiO2-Gehalts werden die Magmatite in saute (65...82%), intermedigire (52...65%) und basische (40...52%) Gesteine unterteilt. Zu den sauren Magmatiten geh~iren die Tiefengesteine Granit und Trachyt sowie die Ganggesteine Granitporphyr und Syenitporphyr. Sie bilden aufgrund ihres hohen Gehalts an Quarz und Quarzabk6mmlingen meist hellere Gesteine. Die dunkle F~irbung der basischen Magmatite ist dagegen auf einen mehr oder weniger hohen Anteil an grauen bis schwarzen Fe(II)-haltigen Mineralen, wie z.B. Augiten (Pyroxene), Amphibolen (Homblenden) und Olivin, zurtickzufiihren. Beispiele ~ r basische Magmatite sind Gabbro, Basalt und Diabas. Mit Ausnahme von por6sen Lavagesteinen sind Magmatite (Porenvolumen < 1 Vol%) sehr dichte Gesteine. Ihre Druckfestigkeit liegt im Bereich zwischen 160...400 N/mm ~, z.B. Granit, Syenit: 160...400 N/mm2; Diorit, Gabbro: 170...300 N/mm2; Quarzporphyr, Porphyrit: 180 ...300 N/mm2; Basalt: 250...400 N/mm2; Diabas: 180...250 N/mm2. Dagegen betr~igt die Druckfestigkeit von Basaltlava 80... 150 N/mm2.
9.1.2.2
Sedimentgesteine- Kalkstein
Sedimentgesteine (Schichtgesteine, Sedimentite) entstehen als Verwitterungsprodukte anderer Gesteine. Die Geschwindigkeit des Verwitterungsprozesses wird vom Gefiige des Gesteins beeinflusst. Grobk6mige Minerale verwittem schneller als feink/Smige. Die Art der Verwitterung h~ingt von den klimatischen Bedingungen und den geologischen Gegebenheiten ab. Gesteine k6nnen durch mechanische und/oder chemische Verwitterungspro-
9.1 Minerale und Gesteine
275
zesse zerfallen bzw. umgebildet werden. Die mechanische (physikalische) Verwitterung fiihrt infolge st~indigen Temperaturwechsels (starke Sonneneinstrahlung, starke Abktihlung), kontinuierlichen Frost-Tau-Wechsels (Frostsprengungen durch gefrierendes Wasser und Auftauen von Wasser in Gesteinsspalten), des Kristallisationsdruckes auskristallisierender Salze (Salzsprengungen) und des st~indigen Einflusses sttirmischer Winde und flie13enden Wassers zu einer allm~ihlichen Zerkleinerung der Gesteine. Dabei andert sich die chemische Zusammensetzung der Gesteine nicht. Diese mechanischen Abtragungsprozesse werden auch als Erosion bezeichnet. Die ehemisehe Verwitterung (L6sungsverwitterung) umfasst chemische Reaktionen, die zwischen den Bestandteilen des Gesteins und dem Wasser, einschliel31ich der darin gel6sten Stoffe, ablaufen. Sie beruht auf L6sungs-, Protolyse- und Hydrolysereaktionen sowie auf Oxidationsprozessen. Wasserl6sliche Bestandteile bestimmter Gesteine werden gel6st, an andere Stellen transportiert und dort beim Uberschreiten der L6slichkeitsgrenze als Salze abgelagert. Da in den oberen Bodenschichten vornehmlich schwer 16sliche Verbindungen anzutreffen sind, vollziehen sich die L6sereaktionen tiberwiegend in tieferen Schichten. Sie betreffen vor allem Kalke und Gipse. Die Carbonatverwitterung ftihrt zu einer ,,Entkalkung" carbonathaltiger Gesteine. Kalkl6sende Prozesse spielen im Bauwesen bei der Korrosion von Natursteinen wie z.B. kalkig gebundenen Sandsteinen und von kalkhaltigen mineralischen Baustoffen eine wichtige Rolle (Kap. 9.4). Auch die durch hydrolytische Prozesse ausgel6ste Silieatverwitterung ist von bauchemischem Interesse. Ihr unterliegen vor allem Feldsp~ite. In GI. (9-1) bis (9-3) ist die ,,Aufl6sung" von Kalkfeldspat gezeigt. Das Silicatgitter wird durch den Austausch von Alkalibzw. Erdalkalimetallionen gegen Protonen (Ionenaustausch) zerst6rt. Nach der sogenannten Entbasung (GI. 9-1) kommt es zur Bildung von Aluminiumhydroxid (GI. 9-2) bzw. des Tonminerals Kaolinit (GI. 9-3). ..
KA1Si308 Kalifeldspat HA1Si308
H20
4 H20
"
HA1Si308 + KOH
(9-1)
;
AI(OH)3 + 3 H2SiO3
(9-2)
)
AI2(OH)4Si205 + 4 H2SiO3
(9-3)
5 H20
2 HA1Si308
Die Verwitterungsprodukte werden zun~ichst als Lockermassen (Ger611, Kies, Sand, Ton) in Schichten abgelagert. Durch st~indiges weiteres Oberdecken erfolgt eine Ver~inderung der unteren Schichten. Durch den allm~ihlichen Druck- und Temperaturanstieg, durch chemische Umsetzungen, Dehydratisierungs- und Umkristallisationsprozesse erfolgt eine Verfestigung des Gesteins (Diagenese). Dabei entstehen Sedimente, in denen die Lockergesteine durch Bindemittel (CaCO3, Tonerdeminerale, Kieselsaure) verkittet sind. Nach ihrem Entstehungsort unterscheidet man terrestrische (auf dem Land entstandene) und marine (im Meer entstandene) Sedimentgesteine. Nach der Art ihrer Entstehung unterteilt man sie in zwei Gruppen: in klastische Sedimente (mechanische Sedimente, Trtimmergesteine) und chemische bzw. biogene Sedimente.
276
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Klastische Sedimente. Zu den klastischen Sedimenten geh6ren durch Diagenese verfestigte grobe Steine (Konglomerate, Brekzien), verfestigte Sande (Sandsteine) und Tone (Tonschiefer). Sandsteine besitzen im Bauwesen eine groBe Bedeutung. Sie enthalten vorwiegend Quarz, Feldspat und Glimmer, die in ein kieseliges, kalkiges oder toniges Bindemittel eingebettet sind. Kieselig gebundene Sandsteine bezeichnet man auch als saure Sandsteine. Sie geh6ren zu den hochwertigen Sandsteinen mit einer hohen Festigkeit. Sind ihre Poren weitgehend mit Bindemittel geftillt, sind sie frostsicher. Quarzite sind Sandsteine mit einem hohen Prozentsatz an kieseligem Bindemittel und einem vergleichsweise geringen Prozentsatz an Quarz (SiO2)-Kristallen. Kalkig gebundene Sandsteine werden auch als basische Sandsteine bezeichnet. Sie sind, wie die Rauchgassch~idigungen an Sandsteinfassaden alter Kirchen und Dome, z.B. der Leipziger Thomaskirche, zeigen, empfindlich gegeniiber einem Angriff saurer Gase (vor allem SO2). Grauwacken sind im Erdaltertum entstandene graue Sandsteine. Die Qualitat eines Sandsteins richtet sich nach seiner K6mung. Je feiner und gleichm~iBiger er im Kom ist, umso qualitativ hochwertiger ist der Sandstein. Die Druckfestigkeiten liegen far Quarzit und Grauwacke zwischen 150...300 N/mm 2, fiir kieselig gebundene Sandsteine im Bereich 120...200 N/mm 2 und ftir sonstige Quarzsandsteine zwischen 30... 180 N/mm 2. Chemisehe und biogene Sedimente. Zu den am haufigsten vorkommenden und gleichzeitig flir den Menschen nutzbringendsten Sedimentgesteinen geh6ren die Kalksteine. S ie bestehen tiberwiegend aus Calciumcarbonat CaCO3 und werden der Gruppe der chemischen und biogenen (organischen) Sedimente zugeordnet. Gerade bei der Entstehung des Kalksteins wird deutlich, dass eine scharfe Trennung zwischen chemischen und biogenen Sedimenten nicht m6glich ist. Nattirlich vorkommender Kalkstein ist zum einen durch Verwitterung von Feldsp~iten entstanden. Er ist ein feinkristallines Calciumcarbonat, das vor allem durch Tonminerale verunreinigt ist (deshalb auch: Kalkstein-Ton-Gesteine). Liegt der Carbonatgehalt fiber 90% spricht man von Kalksteinen, liegt er unter 10% von Tonen. Dazwischen folgen die Stufen Merge#on (>10...30%), Tonmergel (>30...50%), Mergel (>50...70%), Kalkmergel (>70... 85%) und Mergelkalk (>85...90%); in Klammern jeweils die Carbonatgehalte. Bei den angeftihrten Mergelgesteinen darf der MgCO3-Anteil 5% des Gesamtcarbonatgehalts nicht iibersteigen. Dolomit CaMg(CO3)2 ist durch das Eindringen h6her konzentrierter magnesiumhaltiger L6sungen in kalkhaltige Gesteine entstanden. Der MgCO3-Anteil liegt hier tiber 30% des Gesamtcarbonatgehalts.
Zum anderen entstand (und entsteht) der Kalkstein infolge Ausf~illung der im Meer gel6sten Calciumionen durch Carbonationen. Der Kalkgehalt des Meeres beruht auf den durch Verwitterungsl6sungen vom Festland herangefiJhrten H~irtebildnem (Kap. 6.4.1). Ein Teil der Calciumionen wird von den im Meer lebenden Organismen aufgenommen und zu kalkhaltigen Hartteilen (Schalen, Panzer, Skelette) verarbeitet (Biomineralisation). Sterben die Organismen ab, sinken sie zu Boden und bilden ebenfalls Kalkstein. Damit ist der am Meeresboden sedimentierte Kalkstein ein Gemisch aus ausgef~illtem (anorganisch-chemischen) und biogenem (organischen) Sediment. Muschelkalk, Kreide (z.B. Kreidefelsen auf der Insel Riigen) und Korallenkalk bestehen iiberwiegend aus organischen Sedimenten. Die biogene Sedimentierung von kiesels~iurehaltigen Schalen und Hartteilen der Diatomeen (Kieselalgen) fiihrte zur Bildung von Kieselgur (Kap. 9.2.2).
9.1 Minerale und Gesteine
277
Kalktuffe sind gelbe bis r6tliche, weiche, sehr gut bearbeitbare Kalksteine. Reiner Marmor ist weir3 und unter hohem Druck entstanden. Die Farbigkeit der roten Variet~iten ist auf Eisenoxid, der gelben bis braunen auf Eisenhydroxid und der grauen bis schwarzen auf Kohlenstoff zurtick~ftihren. Marmot ist gleichzeitig die Handelsbezeichnung fiir alle polierf'~ihigen Kalksteine. Dolomite und dichte Kalksteine einschliefSlich der Marmorvariet~iten besitzen Druckfestigkeiten im Bereich von 80... 180 N/mm 2. Mergel und Kalktuffe (z.B. Travertin) weisen deutlich reduzierte Druckfestigkeiten auf, z.B. Merge120...90 N/mm 2, Travertin 20...60 N/mm 2. Salzgesteine wie Gips und Steinsalz sind chemische Sedimente. Sie sind im Ergebnis der Verdunstung von Meerwasser entstanden. .Gesteinsverwitterung
I Erstarrungsgestein (z.B. Granit) I I '
I Quarz SiO2
I
I Feldsp~ite
I Glimmer J
z.B. Ca[AI2Si208]
I
I
t-
I
I (+C02)
Sande und Kiese Betonzuschl~ige, Glas Abbildung 9.1
9.1.2.3
Feinsand und Ton - ~
Ton ~
Lehm I
Ziege,, Klinker, Steinzeug
Ton und I Kalkstein
Mergel I
I
I
I Zement I
I I Kalkstein
P
CaCO3
(+SO3/ SO42) I
Gipsstein CASO4.2 H20
2 >
IG,p,I
Verwitterungsprozess eines magmatischen Erstarrungsgesteins (z.B. Granit), Verwitterungsprodukte und daraus hergestellte Baustoffe
Metamorphe Gesteine
Metamorphe Gesteine (Umwandlungsgesteine, Metamorphite) sind durch Umwandlung von magmatischen oder Sedimentgesteinen entstanden. Durch Verschiebungen, Uberwerfungen oder Faltungen der Erdoberfl~iche gelangten Magmatite und Sedimentite in den zuriickliegenden Erdformationen in tiefere Erdschichten. Hier veriinderte sich unter dem Einfluss starken Drucks und hoher Temperaturen ihre Gesteinsstruktur. Die Ausgangsgesteine wurden umgewandelt (,,metamorphisiert"). Sp/itere Erdbewegungen f6rderten sie wieder zutage. Ein charakteristisches Strukturmerkmal der Metamorphite ist ihre Sehieferung. Durch Druckeinwirkung in einer bestimmten Vorzugsrichtung erfolgte eine parallele Ausrichtung von bl~ittchenfbrmigen Mineralen senkrecht zur Druckrichtung. Aus Graniten, Dioriten bzw. Syeniten entstanden Gneise (kristalline Schiefer), aus Tongesteinen Glimmerschiefer
278
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
bzw. Phyllite und aus Kalkgesteinen wie Marmor Kalkschiefer. Die Druckfestigkeit der Gneise liegt im Bereich 160...280 N/mm 2. Tonschiefer, der als Dachschiefer verwendet werden soll, muss im Verlaufe langer geologischer Zeitr~iume vollst~indig metamorphisiert (entw~issert, silicatisiert) worden sein. Er soil eine Biegezugfestigkeit von etwa 50...80 N/mm 2 besitzen. Abb. 9.1 zeigt schematisch den Verwitterungsprozess eines Erstarrungsgesteins (z.B. Granit). Granit besteht haupts~ichlich aus den Mineralen Quarz, Feldspar und Glimmer. Im Verlaufe des Verwitterungsprozesses werden die Alkali- und Erdalkalimetallbestandteile herausgel6st, wobei sich leicht 1/Ssliche Alkalimetall- und schwer 16sliche Erdalkalimetallverbindungen bilden. Aus letzteren entstehen Kalkstein bzw. Gips; Tone und Sande bleiben zuriick. Tone bilden mit Feinsand Lehm und mit Kalkstein Mergel. Einige ausgew~ihlte, aus den Verwitterungsprodukten hergestellten Baustoffe sind in Abb. 9.1 aufgefiihrt.
9.2
Silicate und siliciumorganische Verbindungen
Silicate, einschlieBlich Siliciumdioxid, sind zu etwa 90% am Aufbau unserer Erdkruste beteiligt. Sie werden im Bausektor entweder direkt als Natursteine verwendet oder sie bilden die Rohstoffbasis fiir technische Silicate wie Zement, Glas, Keramik und Hochofenschlacke. Siliciumorganische Verbindungen sind wichtige Hydrophobierungsmittel im Bautenschutz.
9.2.1
Siliciumdioxid
Siliciumdioxid tritt in zahlreichen kristallinen wie auch amorphen Modifikationen auf. Die wichtigste kristalline Modifikation ist - neben Tridymit und Cristobalit- der Quarz. Amorphe Formen des Siliciumdioxids sind Kieselgur, Trass und der Opal. Kristalliner reiner Quarz (Bergkristall) ist sehr hart, wasserklar und schmilzt bei einer Temperatur von 1713~ Die Farbigkeit nattirlich vorkommender Quarzl~istalle ist meist auf Spuren von Obergangsmetallionen zuriickzufiihren, die in das Quarzgitter eingebaut sind, z.B. Rosenquarz (rosa, Ti), Amethyst (violett, Fe), Rauchquarz (braun, A1) und Citrin (gelbbraun, Fe). Gut ausgebildete Kristalle werden als Schmucksteine verwendet. Anders als Kohlenstoff bildet Silicium nur in seltenen F~illen Doppelbindungen aus. Deshalb existiert Siliciumdioxid nicht wie CO2 als isoliertes Molekiil, sondern bildet ein dreidimensionales Kristallgitter aus. Jedes Si-Atom ist tetraedrisch von vier O-Atomen umgeben (sp3-Hybridisierung, Abb. 3.5b) und jedes Sauerstoffatom besitzt zwei Si-Atome als Nachbarn. Demnach sind die SiO4-Tetraeder fiber gemeinsame Ecken verkntipft. Die hin und wieder anzutreffende Formel (SiO2)n ftir Siliciumdioxid tr~igt dieser besonderen Bindungssituation in einem r~iumlichen Netzwerk Rechnung. Ordnet man jedes Brtickensauerstoffatom zur H~ilfte den beiden an ihm gebundenen Siliciumatomen zu, so kommen auf ein Si-Atom 4/20-Atome. Damit erhalt auch die weithin gebr~iuchliche Formel SiO2 ihre Berechtigung. Die polaren Einfachbindungen zwischen Si und O sind durch n-Bindungsanteile verst~irkt. Die Folge ist eine relativ groBe H~irte und hohe thermische Stabilit~it des SIO2. Die stabilen
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
279
Bindungen sind auch der Grund fiir die chemische Inertheit von Siliciumdioxid. SiOz wird von S~iuren kaum angegriffen (Ausn.: Flusss~iure HF). Selbst heifSen, w~issrigen Laugen gegentiber verh~ilt sich Siliciumdioxid relativ inert. Schmilzt man es jedoch mit Alkalihydroxiden oder -carbonaten, entstehen Alkalimetallsilicate (Kap. 9.2.3.1, G1. 9-4 bis 9-7). Die verbriickten SiO4-Tetraeder des SiO2-Gitters k6nnen sich in Abh~ingigkeit von der Temperatur umordnen. Es entstehen verschiedene polymorphe Moditikationen, die bei bestimmten Temperaturen ineinander tibergehen. Bei Normaldruck ist Quarz bis 870~ die stabile Modifikation. Bis 573~ liegt er in der Niedertemperaturform (a-Quarz), dartiber in der Hochtemperaturform (13-Quarz) vor. Die Umwandlung vonder a- in die 13-Form ist mit einer Volumenausdehnungverkntipft, was u.a. zu Problemen bei der Verwendung SiO:haltiger Gesteinsk6mungen bei feuerfesten Baustoffen ftihrt. Bei 870~ geht der 13-Quarz in Tridymit und bei 1470~ geht Tridymit in Cristobalit tiber. Bei 1713~ schmilzt Cristobalit. Wegen der auBerordentlich geringen Umwandlungsgeschwindigkeiten kommen auch die Hochtemperaturmodifikationen Tridymit und Cristobalit in der Natur vor. Mit zunehmender Temperatur nimmt die Dichte der Kristallmodifikationen des SiO2 ab: c~-Quarz 2,66 g/cm 3, 13-Quarz (Hochquarz) 2,60 g/cm 3, Tridymit 2,30 g/cm 3 und Cristobalit 2,21 g/cm 3. Eine SiO~,Schmelze erstarrt bei rascher Abktihlung zu einer glasartig, amorphen Masse, dem Quarz- oder Kieselglas (Kap. 9.2.3.2.1). Die durch Gesteinsverwitterung emstandenen Quarzidese (> 97% SiO2) und Quarzsande (> 98% SiO2) besitzen vor allem Bedeutung als industrielle Rohstoffe. Quarzsandwird ftir die Herstellung von Glas, Wasserglas, elementarem Silicium, Siliciumcarbid (Werkstoff grof~er H~irte, extrem hoher W~irmeleitf'~ihigkeit und geringer W~irmeausdehnung) sowie als Formgrundstoff in GieBereien verwendet. Quarzmehl (gemahlener Quarzsand) wird vor allem in der Glas-, Email- und keramischen Industrie eingesetzt. Sande und Kiese, die einen hohen Prozentsatz an Siliciumdioxid enthalten, werden in groflen Mengen zur Hersteilung yon Beton und Mfrtel beniRigt.
9.2.2
Kiesels~iuren
Monokiesels~iure (Orthokiesels~iure) HnSiO4 ist praktisch in allen natiJrlichen Gew~issem enthalten. Sie bildet sich durch Aufl/Ssen von amorphem Siliciumdioxid, das durch Verwitterung aus den S ilicaten entstanden ist: SiO2 + 2 H20 fest
-
H4SiO4 gelOst
Kiesels~iure ist nur in sehr verdiinnter Ltisung (c(H4SiO4) < 2 9 10-3 mol/1) kurzzeitig stabil. Derartig verdtinnte L/Ssungen erhalt man im Labor durch Aufl6sen von SiO2, gtinstigerweise von amorphem, aus der Gasphase abgeschiedenem SiO2, in Wasser. Die L6slichkeit von amorphem SiO2 ist mit einem Wert von 120 mg pro Liter Wasser (25~ deutlich gr6fSer als die von kristallinem oder glasigem SiO2 (Quarz: 2,9 mg/1; Quarzglas 39 mg/1;
25oc).
280
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Die in verdtinnter L6sung vorliegende Orthokiesels~iure ist eine schwache S~iure (pKsl = 9,51; pKs2 = 11,74). In neutraler L6sung liegt sie praktisch unprotolysiert vor. H 0
I
H 0
, .
.
.
HO--Si--OJH +
I
.
I
-~
-H20
,....
-
I
I
I
I
I
o o H H Orthodikieselsdure
o H
Orthokiesels~ure
H O
HO--Si--O--Si--OH
HOJ--Si--OH
o H
H O
Orthokiesels~ure
Abbildung 9.2 Kondensation der Kiesels~uren
:
. . . .
H 0
H 0
H 0
H 0
I
I
I
I
O - - S i - - O - - S i - - O - - S i - - O - - S i - - O
I
I
I
I
O H
O H
O H
O H
. . . .
Polymetakiesels~ure (H2SiO 3 )n
Kieselgel (amorphes SiO 2 ) weitere Kondensation
Charakteristisches Merkmal der Kiesels~iure ist ihre Neigung zur intermolekularen Wasserabspaltung (Kondensation) unter Bildung von Polykiesels~iuren. Die Geschwindigkeit der Kondensation ist abh~ingig vonder Konzentration, der Temperatur und dem pH-Wert. Am bestandigsten sind HnSiOa-L6sungen bei einem pH-Wert um 2. Die Orthokiesels~iure geht unter H20-Abspaltung zun~ichst in die Dikiesels~iure H68i207 und durch weitere Kondensation tiber die Stufen der Tri- und Tetrakiesels~iuren in h6hermolekulare Polykiesels~iuren (z.B. Polymetakiesels~iuren, (HaSiO3)n) tiber (Abb. 9.2). Am Ende der Kondensationsreaktionen stehen kugelf6rmig verkn~iulte Polykiesels~iureaggregate kolloider Dimension mit einer relativen Molektilmasse von etwa. 6000. Sie bestehen aus einem SiO2-Gertist, das im Wesentlichen aus unregelm~iBig miteinander verkniipften SiO4-Tetraedern aufgebaut ist und nach auBen durch eine Schicht OH-gruppenhaltiger Kiesels~iureeinheiten begrenzt wird. Die sich zun~ichst im Solzustand befindlichen Polykiesels~iuren kondensieren weiter. Unter Wasseraustritt werden weitere Si-O-Si-Bindungen gekntipft. Das Sol wandelt sich in eine gelartige Masse um, die als Kieselgel bezeichnet wird (auch: Kiesel-Hydrogel). Beim Trocknen (Entw~issem) von Kieselgel erh~ilt man ein poriges, lockeres Produkt mit einer groBen, inneren Oberfl~iche (Silieagel, auch: Kiesel-Xerogel). Getrocknetes Kieselgel ist eine amorphe Form des Siliciumdioxids mit einem v611ig ungeordneten, verkn~iulten Netzwerk, an dessen Oberfl~iche OH-Gruppen lokalisiert sind (reaktives Si02, reaktive Kieselsdure, Abb. 9.3). Die reaktive Kiesels~iure ist in der Lage, mit dem Ca(OH)2 des
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
281
Kalks oder Zements im Sinne einer Neutralisationsreaktion schwer 16sliche Calciumsilicate zu bilden (Puzzolanwirkung, s. Kieselgur). Die Begriffe Kieselgel (ftir die hochkondensierte, wasserreiche Kiesels~iure) und Silicagel (fiir die entw~isserte Form des Kieselgels) werden sowohl in der Literatur als auch in der Praxis nicht einheitlich verwendet. Das entw~isserte Produkt wird auch als Kieselgel bezeichnet.
Abbildung 9.3
H
Schema eines kolloiden SiO2-Teilchens (reaktive Kiesels~ure)
.ol o o ........
I
I,,:
I
10 - 7 - 10 8 m
Amorphes Kieselgel eignet sich als ,,Puffer" zur Vermeidung des Alkalitreibens (9.4.2.2), da es relativ rasch mit der gebildeten Alkalilauge reagiert und damit die GesteinskSmungen (opaline Sande) vor dem treibenden Angriff schiitzt. Dariiber hinaus ist Silicagel ein hervorragendes Adsorptionsmittel fiir Gase, D~impfe (z.B. H20-Dampf), aber auch ftir gelSste Stoffe (Verwendung als Entf~irber). Kieselgur (Diatomeenerde, Diatomit) ist natiirlich vorkommende, durch Sedimentierung kiesels~iurehaltiger Schalen und Hartteile von Kieselalgen (Diatomeen) entstandene, amorphe Kieselsaure. Ihr SiO2-Gehalt liegt zwischen 85...90 %. Kieselgur gehSrt zu den natiirlichen Puzzolanen (Kap. 9.3.3.3.1). Als Betonzusatzstoff wurde sie weitgehend durch den Trass ersetzt. Silieastaub ist feinteiliger SiO2-Staub. Er wird wegen seiner puzzolanischen Aktivit~it und seiner Fiillereigenschaft (Kap. 9.3.3.3.1) fiJr Hochleistungsbetone verwendet. Aerosile (Fa. Degussa) sind synthetische nanoskalige Teilchen aus amorphem Siliciumdioxid. In der Technik bezeichnet man die Aerosile auch als pyrogene Kiesels~iure. Hergestellt wird die pyrogene Kiesels~iure durch Flammenpyrolyse von Siliciumtetrachlorid (SIC14). Das SIC14 wird verdampft und anschlieBend in einer Knallgasflamme vollst~indig zu extrem feinteiligen, amorphen SiO2-Partikeln umgesetzt: SIC14 + 2 H2 + 02 ---" SiO2 + 4 HC1. Durch Variation der Konzentration der eingesetzten Edukte, der Flammtemperatur bzw. der Verweilzeit im Verbrennungsraum kSnnen die GrSBe der Prim~irteilchen (7...40 nm!), die Teilchengr/SBeverteilung, die spezifische Oberfl~iche (50...600 m2/g) sowie die Oberfl~ichenbeschaffenheit gezielt beeinflusst werden. Fiir Aerosile gibt es eine Reihe interessanter Anwendungsfelder- auch auf dem Bausektor, z.B. nichttropfende thixotrope Lacke. Die Wirkungsweise dieser Lacke beruht auf der langsamen Ausbildung von Wasserstoffbriickenbindungen (s. Kap. 3.4) zwischen den OH-Gruppen (Silanolgruppen) der oberfla-
282
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
chenbehandelten Prim~irteilchen. Dabei entsteht ein Raumnetzwerk. Riihrt man die Lacke um oder streicht sie aus, reicht der geringe Eintrag an mechanischer Energie, um die HBrtickenbindungen wieder zu brechen. Der Lack wird wieder diinnfltissig. In Kunst- und Klebstoffen, Farben aber auch bei Cremes, Salben und Zahnpasten wird durch Aerosile das FlieBverhalten (Rheologie) gesteuert. SchlieBlich - und das ist wiederum fiir den Bausektor interessant, besitzen Aerosile ein hervorragendes W~irmed~immverm6gen. 9.2.3
Silicate
9.2.3.1
Alkalimetallsilicate
- Silicatklassen
- Asbeste
Silicate sind die Salze der Kiesels~iuren. Alkalimetallsilicate werden durch Zusammenschmelzen von SiO2 mit Alkalimetallhydroxiden bzw.-carbonaten bei etwa 1300~ erhalten. Ob ein Orthosilicat (z.B. NaaSiO4) oder ein Metasilicat (z.B. NaaSiO3) entsteht, h~ingt vom eingesetzten Molverh~iltnis ab (GI. 9-4 bis 9-7). SiO2 + 4 NaOH
~
NanSiO4
+
2 H20
(9-4)
Natriumorthosilicat
SiO2 + 2 NaOH
~-
Na2SiO3
+ H20
(9-5)
+ 2 CO2 + CO2
(9-6) (9-7)
Natnummetasilicat
SiO2 + 2 Na2CO3 SiO2 + Na2CO3
~ =
NanSiO4 Na2SiO3
Die auf diese Weise dargestellten Natrium- und Kaliumsilicate sind klare glasige, eventuell durch Verunreinigungen gefiirbte Produkte. Wegen ihrer Wasserl6slichkeit werden sie als ,,Wassergliiser" bezeichnet. Wassergl~iser kommen als dickfltissige L6sungen in den Handel. Da die Silicationen als Anionen der schwachen Kiesels~iure protolysieren, reagieren die L6sungen alkalisch (G1. 9-8, 9-8a). Wasserglasl6sungen enthalten neben Alkalimetallund Hydroxidionen unterschiedlich protolysierte Monosilicationen HSiO43-, H2SiO42-, H3SiO4- sowie Polysilicationen. Die Protolyse der (Mono)-Silicationen SiO44- und HSiO43ist in GI. 9-8 und 9-8a gezeigt. SiO44HSiO43-
+ +
H20 H20
-
-
HSiO43- + OHH2SiO42- + OH-
usw.
(9-8) (9-8a)
Durch Zugabe von S~iuren bzw. Einwirkung von Kohlendioxid kommt es zu einer Verfestigung der Wasserglasl6sung. Es erfolgt eine Neutralisation der OH--Gruppen, das Gleichgewicht wird gest6rt und die Kondensation verst~irkt. Wasserglasl6sungen dienen als mineralische Leime zum Kitten von Glas und Porzellan (Kap. 10.4.8) sowie als Impnignier- und Flammschutzmittel fiir Gewebe und Holz. Im Bausektor werden sie als Injektionsfliissigkeiten zur Trockenlegung, als Bestandteil der Silicatfarben, als Isolationsschicht in BrandschutzgRisem sowie zur Impr~ignierung von natiirlichen und ktinstlichen Steinen (Kap. 9.4.5) verwendet. Im Gegensatz zu den wasserl6slichen Alkalimetallsilicaten sind Erdalkalimetall- und Aluminiumsilicate schwer 16sliche Verbindungen.
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
283
Abbildung 9.4 a) b) c) d) e) f)
Inselsilicate Gruppensilicate Ringsilicate Kettensilicate Bandsilicate Schichtsilicate
Der Einfachheit halber sind die tetraedrischen Struktureinheiten in die Ebene projiziert und als gleichseitige Dreiecke dargestellt.
9 Siliciumatom
o
Sauerstoffatom
Silieatldassen. Die nattirlichen Silicate bilden nicht nur mengenm~iBig, sondem auch hinsichtlich ihrer Strukturvielfalt eine der umfangreichsten Klassen anorganischer Verbindungen. In Analogie zum SiO2 liegt auch in den Silicaten die tetraedrische SiOn-Einheit als struktureller Grundbaustein vor. Ftir die auBerordentliche Vielfalt m5glicher Silicatstrukturen sind drei Grtinde anzuftihren: 9 Die SiO4-Bausteine k6nnen sich tiber ihre Tetraederecken (O-Atome) miteinander verkntipfen und Si-O-Si-Bindungen bilden. Da von jeder SiOg-Einheit maximal bis zu vier Bindungen ausgehen k/Snnen, ergeben sich zahlreiche verschiedene Anordnungsm/Sglichkeiten fiir die SiO4-Tetraeder. 9 Kleinere Kationen wie dreiwertiges Aluminium, dreiwertiges Bor oder zweiwertiges Beryllium k6nnen das vierwertige Silicium der Silicatbausteine teilweise ersetzen, wobei Alumosilicate, Borosilicate oder Beryllosilicate entstehen. Die Elektroneutralitat bleibt durch den zus~itzlichen Einbau von Alkali- oder Erdalkalimetallionen in die Silicatstruktur gewahrt. Anmerkung: Wenn in der Literatur wie auch in den nachfolgenden Betrachtungen oft von einem Ersatz der Si- durch AI- oder andere Atome gesprochen wird, soll stets im Auge behalten werden, dass es sich eigentlich um Metallkationen (Sin+-, AI3+- bzw. Mg 2+) in einer Umgebung negativ geladener Sauerstoffionen handelt. 9 Die Kationen, die in den Lticken des Silicatgitters sitzen und aufgrund elektrostatischer Anziehungskr~ifte die Stabilit~it des Gitters bewirken, k/Snnen leicht gegen andere ausgetauscht werden, z.B. Na + gegen Ca2+, Fe 2+ gegen Mg 2+. Die nattirlich vorkommenden Silicate kann man nach gemeinsamen Strukturmerkmalen in sechs Klassen einteilen:
284
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
1. Inselsilicate bzw. Neosilicate (Abb. 9.4a ) sind Silicate mit isolierten SiO4-Tetraedem. Sie kommen relativ selten vor. Vertreter sind Olivin (Fe,Mg)2SiO4, Forsterit MgaSiO4 und Zirkon ZrSiO4. Neosilicate sind sehr harte Substanzen. 2. Gruppensilicate bzw. $orosilicate (Abb. 9.4b) enthalten Doppeltetraeder [Si207] 6-. Als Vertreter k6nnen Barysilit Pb3[Si207] und Akermanit CaaMg[Si207] angefiihrt werden. 3. Ringsilicate bzw. Cyclosilicate (Abb. 9.4c). In den Ringsilicaten sind die SiO4-Tetraeder entweder zu Dreierringen [Si309] 6-, z.B. Benitoit BaTi[Si309], oder zu Sechserringen mit der Struktureinheit [Si6018]12- verkniipft, z.B. Beryll A19Be3[Si6018]. 4. Kettensilicate bzw. Inosilicate (Abb. 9.4d) enthalten zu unendlichen Ketten oder B/indem (Doppelkette, Bandsilicate 9.4e) verkniipfte tetraedrische SiO4-Einheiten. Die Pyroxene bestehen aus Ketten, in denen sich benachbarte SiO4-Einheiten zwei O-Atome teilen. Damit ergibt sich fiir die Struktureinheit die Formel SiO32-. Beispiele sind Enstatit MgSiO3 und Diopsid CaMg(SiO3)2 (Pyroxen im engeren Sinne). Zwischen den teilweise gefalteten Ketten sind die Kationen angeordnet. Zu den Polysilicaten mit Bandstruktur (Summenformel der Struktureinheit [Si4Oll] 6-) geh6rt die Gruppe der Amphibole. Vertreter sind der Tremolit Ca2Mgs(OH)2[Si4O1112 (Amphibol im engeren Sinne), der Amosit (Fen/Mg)7(OH)a[(Si,A1)4O1112 sowie der Krokydolith mit der Formel Na2(Fen3Fem2)[(Si,Al)4O1112. Amosit und Krokydolith leiten sich vom Tremolit durch Ersatz eines Teils der Si-Atome der SiO4-Baueinheiten durch AI-Atome und der Calcium- und Magnesiumkationen durch Na +, Fe 2§ Fe 3+ oder A13+ ab. Die Amphibole bestehen aus Si4011-B~indem (Doppelketten), wobei je zwei Bander fiber Metallhydroxidb~inder kondensiert sind. Die hohen Schichtladungen werden durch die Kationen ausgeglichen. Wegen der Faserform der Silicatteilstrukturen z/ihlt man die Amphibole zu den Asbesten (Amphibolasbeste). Krokydolith wird als Blauasbest und Amosit als Braunasbest bezeichnet.
a)
o
Sauerstoffatome
9
Siliciumatome
b)
Abbildung 9.5 a) Zweidimensionale Kondensation von SiO4-Tetmedern (Seitenansicht); b) Seitenansicht der Doppelschichten der Formel [AI2Si208]2-, gebildet durch Kondensation der unter a) gezeigten Schicht 0ber die O-Atome der Tetraederspitze. Die mit.o bezeichneten Stellen in b) enthalten die gleich viele Si- bzw. AI-Atome.
5. Schichtsilicate bzw. PhyUosilicate (Abb. 9.40. Zu den Schichtsilicaten geh6ren einige der wichtigsten und bekanntesten Minerale wie die Tonminerale Kaolinit und Montmorillonit, die Glimmer Muskovit und Biotit sowie Chrysotil (weiBer Asbest), Talk und Pyrophyllit. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften dieser Minerale lassen sich unmittelbar aus der Kristallstruktur ableiten. Schichtsilicate enthalten SiO4-Tetraeder, die jeweils fiber drei Ecken mit den Nachbartetraedem verkniipft sind. Die sich ausbildenden unendli-
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
285
chen Schichten besitzen die Summenformel [8i2052-]n. Die Verkniipfung erfolgt meist zu sechsgliedrigen Ringen. Eine derartige, vollkommen planare Struktur ist allerdings selten. H~iufig findet man kompliziertere Anordnungen, in denen die das Netzwerk bildenden Sechsringe durch Ringe mit verschiedener Tetraederzahl (4-, 8- und 12-Ringe) ersetzt sind. Doppelschichten entstehen, wenn tiber das vierte Sauerstoffatom des Tetraeders, das sich an der Spitze befindet, benachbarte Tetraeder gebunden werden. Damit wiirde eine StSchiometrie SiO2 resultieren (jedes O-Atom ist mit zwei Si-Atomen verbunden). Ersetzt man die H~ilfte der Si- durch AI-Atome, ergibt sich die Zusammensetzung [A12Si2Os]2- (Abb. 9.5). Im Schichtsilicat Kaolinit AlffOH)4[Si2Os] sind die ,,freien" Sauerstoffatome der zweidimensional-verkntipften SiO4-Tetraeder einheitlich nach einer Seite (nach oben in Abb. 9.6a) ausgerichtet. Sie geh/Sren, gemeinsam mit den Hydroxidgruppen, einer oberhalb der Si2Os-Schicht (Tetraederschicht) liegenden Oktaederschicht an, deren Zentren mit Aluminiumionen besetzt sind. Wiederholt sich der Prozess auf der anderen Seite der Oktaederschicht, gelangt man zum Pyrophyllit AlffOH)2[Si2Os]2 (Abb. 9.6b). Ersetzt man im Kaolinit die zwei A13+- durch drei Mg2+-Ionen, ergibt sich die Struktur des Chrysotils Mg3(OH)4[Si2Os]. Mitunter gibt man fiir diesen Typ von Tonmineralen auch die doppelte Summenformel an, z.B. Chrysotil Mg6(OH)s[Si4010]. Chrysotil gehtirt zu den Serpentinasbesten (s.u.). In entsprechender Weise gelangt man durch den Austausch der Aluminium- gegen Magnesiumionen vom Pyrophyllit zum Talk Mg3(OH)2[Si2Os]2. Die miteinander verkntipften Schichten des Kaolinits und Pyrophyllits (Abb. 9.6) lassen sich als Reaktionsprodukte der Kondensation (Wasserabspaltung) von Kieselsaureschichten H2Si205 (Si in tetraedrischer O-Umgebung) mit den benachbarten AI(OH)3- bzw. Mg(OH)2-Schichten (A1 bzw. Mg in oktaedrischer O-Umgebung) verstehen (G1.9-9, 9-10). 2 AI(OH)3 + H2Si205 H2Si205 + 2 AI(OH)3 + H2Si205
~- AlffOH)4[Si205] + 2 H20 Kaolinit "~ [OsSi2]AI2(OH)2[Si2Os] + 4 H20 Pyrophyllit
(9-9) (9-10)
Die entstehenden Strukturen werden auch als Zweischichtsilicate bezeichnet. Je eine Tetraeder- und eine Oktaederschicht bilden ein Schichtpaket. Pyrophyllit und Talk geh6ren zu den Dreischichtsilicaten, jeweils zwei Tetraederschichten bilden mit der Oktaederschicht ein Paket. Die Kompliziertheit der Strukturen nimmt noch um ein Vielfaches zu, da aufgrund ~ihnlicher Atom- bzw. Ionenradien die Si~ in tetraedrischer Umgebung leicht durch AP +Ionen ersetzt werden kSnnen. Durch diesen Austausch erh~ilt man negativ geladene Polysilicatschichten. Wird die Ladungsneutralit~it durch den Einschub ein- und/oder zweiwertiger Kationen zwischen die Silicatschichten bewirkt, gelangt man zur Gruppe der Glimmer, z.B. Muskovit (Abb. 9.7a). Werden hydratisierte Kationen eingelagert, liegen Tonminerale vor, z.B. Montmorillonit (Abb. 9.7b), allgemeine Formel: Mx(Mg,AI,Fe)2(OH)2[Si4Olo] 9n H20, mit M = Na, K, 89 Mg oder 89 Ca. Ftir Natrium-Montmorillonit ergibt sich die Summenformel Nao,33 (All,67Mgo,33)(OH)2[Si4Olo] 9 n H20 und f'tir das ebenfalls h~iufig anzutreffende Tonmineral lllit Ko,TAlffOH)2[Alo,TSi3,3Olo].
286
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
OH AI O und OH Si O
a) Kaolinit O Si O und OH AI O und OH Si O
b) Pyrophyllit Abbildung 9.6 a) Schematische Darstellung der Kaolinitstruktur (Seitenansicht), die [SiO30]-Tetraeder der unteren Schicht sind 0ber gemeinsame O-Atome mit den {Al(OH)20}-Einheiten verknOpft. Es entstehen zusammengesetzte Schichten der Formel AI2(OH),[Si2Os]. b) Schematische Struktur des Pyrophyllits mit den 0ber O-Atome verkn0pften [SiO30]-Tetraedern unterhalb und oberhalb der {Al(OH)20}-Schicht. Die zusammengesetzte Schicht besitzt die Formel AI2(OH)2[Si2Os]2.
Die Struktur des Glimmers kann wie folgt abgeleitet werden: Jedes vierte Si4§ im Pyrophyllit- oder Talkgitter ist durch ein A13§ ersetzt, der Ladungsausgleich erfolgt durch Kaliumionen (Abb. 9.7a). Alz(OH)2[Si4010] Pyrophyllit
K{A12(OH)2[AISi3010] } Muskovit
Statt der OH-Gruppen sind teilweise Fluoridionen ins Gitter eingebaut. Die besonderen Eigenschaften der Schichtsilicate h~ingen in erster Linie vom Zusammenhalt innerhalb der Schichten ab. Zwischen den Kaliumionen und den negativ geladenen Silicatschichten bilden sich starke elektrostatische Anziehungskr~ifte aus. Dadurch sind die Glimmer wesentlich h~irter als die Ausgangsminerale Pyrophyllit und Talk. Sie besitzen aber nach wie vor l~ings der Schichten eine gute Spaltbarkeit. Glimmer geh6ren, wie die Feldsp~ite (siehe 6. Gertistsilicate), zu den Alumosilicaten. Technisch bedeutsame Glimmerminerale sind Muskovit (,,Moskauer Glas") und der vom Talk abgeleitete Biotit K(Mg,Fe)3(OH)2[A1Si3Olo]. Sie werden zu Isolierzwecken verwendet. Treten zwischen den Schichten nur schwache van-der-Waals-Kr~ifte auf, liegen weiche Minerale vor. Ihre Schichten lassen sich leicht gegeneinander verschieben. Beispiele sind Talk und Kaolinit. Talk ist ein weifSes, sich fettig anfiihlendes, auBerordentlich weiches Mineral (Speckstein) der H~irte 1 (nach Mohs). Er dient als Fiillstoff in Thermoplasten, Elastomeren, Lacken und Anstrichstoffen.
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
287
Kaolinit ist das wichtigste Schichtsilicat. Als Hauptbestandteil des Kaolins (Porzellanerde) dient Kaolinit als Rohstoff fiir keramische Materialien (z.B. Porzellan). Dariiber hinaus wird Kaolinit als Fiillstoff in der Papierindustrie sowie bei der Gummi- und Kunststoffherstellung eingesetzt. Wasserschichten
Abbildung 9.7 Schematische Darstellung der Strukturen von a) Muskovit.Glimmer und b) dem hydratisierten Tonmineral Montmorillonit
| Wasserschichten
| OO OH ,
a) Glimmer (Muskovit)
Si, AI AI
b) Montmorillonit (hydratisiert)
Das schichtf'6rmige Polysilicat Chrysotil ist ein faseriges Mineral. Schichtsilicate mit Fasereigenschaften werden nach dem Mineral Serpentin, dem sie strukturell gleichen und aus dem sie letztlich entstanden sind, Serpentinasbeste genannt. Bei den Serpentinasbesten (z.B. Chrysotil) sind Schichten von zweidimensional-unendlich miteinander verkniipften SiO4-Tetraedern, die einheitlich nach einer Seite ausgerichtet sind, fiber ihre Ecken (,,freie Sauerstoffatome") mit einer Oktaederschicht verbunden. Die Oktaederschicht besteht aus den freien Sauerstoffatomen der Tetraederschicht und aus Hydroxidgruppen. Die Zentren der Oktaeder sind vollst~indig mit Magnesiumionen besetzt. Infolge der deutlich gr/56eren Ausdehnung der Oktaederschicht kommt es zu einer Krtimmung beider Schichten. Sie rollen sich zu diinnen R6hren oder RSllchen ein, wobei sich die Mg(O,OH)6-Schicht auBen und die (Si2Os)-Schicht innen befindet. Chrysotil (Weil3asbest) baut sich aus langen, gebiindelten, diinnen, innen hohlen Fasern (Fibrillen) auf. Die RShrchenstruktur ist die Ursache fiir das hervorragende W~irmed~immverm6gen der Serpentinasbeste. Asbeste. Unter der Sammelbezeichnung Asbest (griech. asbestos unbrennbar) versteht man faserf6rmige, natiirlich vorkommende Silicate mit Schichtstruktur (Serpentinasbeste) und Bandstruktur (Amphibolasbeste). Beide Gruppen unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Faserabmessungen. W~ihrend die Serpentinasbeste aus gebtindelten Einzelfasern von etwa 15...40 nm Durchmesser bestehen, liegt der Durchmesser der Amphibolasbestfasern zwischen 100 bis 300 nm, also deutlich h6her. Asbeste brennen nicht, sind thermisch stabil
288
9 Chemic nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
(Smp. > 1200~ obwohl bei etwa 600~ die Struktur zusammenbricht) und weisen bei geringer Eigenmasse hohe Zugfestigkeiten auf. Sic werden von Laugen kaum angegriffen, was ftir ihre Verwendung als Zementzusatz von groBer Bedeutung war. Dartiber hinaus weisen sic niedrige elektrische und W~irmeleitf~ihigkeiten auf. Wegen der ~iuBeren Hydroxidschicht werden die Serpentinasbeste allerdings von S~iuren angegriffen. Die Gef~ihrlichkeit der Asbeste resultiert aus ihrer faserigen Struktur. Asbestfasem sind auf Grund ihrer Abmessungen lungeng~ingig. Nach dem Einatmen k/Snnen sic bei entsprechender Einwirkungsdauer und entsprechend hohen Konzentrationen zu Asbestose und gegebenenfalls zu Lungenkrebs fiihren. Die Bltitezeit der Verwendung von Asbest waren die Jahre 1950 - 80. Seit etwa 1960 h~iuften sich die F~ille von Asbestfolgeerkrankungen, die schlieBlich in der BRD 1979 zu einem Verbot von S p r i t z a s b e s t fiihrten. Im Spritzasbest, der zu etwa 90% aus K r o k y d o l i t h besteht, sind die Asbestfasern nur schwach gebunden, so dass sic als Feinstaub leicht in die Raumluft gelangen kSnnen. Spritzasbest wurde zur Isolierung von Decken, W~inden, B/Sden in Hallen und anderen R~iumlichkeiten, zur Ummantelung von Rohren und Leitungen, fiir Brandschutzabschottungen u.a. eingesetzt. 1982 schloss die deutsche Faserzementindustrie ein freiwilliges Branchenabkommen, das den sukzessiven Ersatz von Asbest in Asbestzementen durch die gesundheitlich und 6kologisch unbedenklicheren Kunststofffasem vorsah. Inzwischen gibt es gesetzliche Regelungen, die die Verwendung von Asbesten - in welcher Form auch immer - verbieten. Damit sollte das Kapitel Asbest als abgeschlossen betrachtet werden k/Snnen. Vom bautechnischen und wirtschaftlichen Standpunkt bleibt dieser Faserstoff allein schon deshalb weiter in der Diskussion, weil sich die Arbeiten zur Asbestsubstitution noch tiber viele Jahrzehnte erstrecken und Kosten in zweistelliger Milliardenh6he verursachen werden. 6. Geriistsilicate bzw. T e k t o s i l i c a t e besitzen eine dreidimensionale Struktur. Die SiO4Tetraeder sind, analog dem Quarzgitter, tiber alle vier O-Atome mit den Nachbartetraedern verbunden. Wie bei den Glimmern (s. 5. Schichtsilicate), ist ein Teil der Si-Atome des Gitters durch A1-Atome substituiert. Damit liegen wiederum A l u m o s i l i c a t e vor. Da die A13+-Ionen eine positive Ladung weniger als die Si4+-Ionen besitzen, oder anders ausgedrtickt, da das A1Oa-Tetraeder, verglichen mit dem SiO4-Tetraeder, eine zusatzliche negative Ladung aufweist, mtissen wiederum Kationen ftir den Ladungsausgleich sorgen. Dabei handelt es sich meist um Alkali- bzw. Erdalkalimetallkationen. Pro eingebautes A1-Atom erh~ilt das Gertist damit eine zus~itzliche negative Ionenladung. Eine auBerordentlich wichtige Gruppe von Geriistsilicaten bilden die Feldspiite mit ihren Vertretern 9 A l b i t (Natronfeldspat) 9
Orthoklas (Kalifeldspat)
9 A n o r t h i t (Kalkfeldspat)
Na[A1Si3Os] K[A1Si3Os] Ca[A12Si2Os].
Im Natron- und Kalifeldspat ist jedes vierte und im Kalkfeldspat jedes zweite Si-Atom des SiO4-Gitters durch ein A1-Atom ersetzt. Das tetraedrische Raumnetz der Alumosilicate erstreckt sich ~ihnlich wie das des Siliciumdioxids regelm~iBig tiber den gesamten Kristall. Dadurch steht die H~irte der Feldsp~ite der des Quarzes nur wenig nach. Die farblosen bis mattgrauen Feldsp~ite (durch Einschltisse k6nnen sic rot, braun, grtin usw. gef~irbt sein) sind bis zu einem Massenanteil von 60% am Aufbau der festen Erdkruste beteiligt.
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
289
Feldsp~ite (vor allem Kalifeldspat) bilden den Hauptanteil der meisten magmatischen Gesteine wie z.B. der Granite, Gneise, Porphyre und Basalte. In der Regel liegen Mischkristalle zwischen den Feldspatkomponenten vor. Beispielsweise bilden Albit und Anorthit fiber einen grofSen Temperaturbereich Mischkristalle, die Plagioklase (Kalknatronfeldsprite). Albit, Orthoklas und Anorthit sind wichtige Rohstoffe in der Glas- und Keramikindustrie. Daneben finden sie als Schleifmittel und als Fiillstoffe (Lacke und Farben, Kunststoffe, Gummi) Verwendung. Als weitere wichtige Vertreter der Gruppe der Gertistsilicate sollen die Zeolithe angeftihrt werden. Nattirlich vorkommende Zeolithe sind Faujasit Na2Ca[AI2Si4012] 9 16 H20 und Natrolith Na2[A12Si3010] 92 H20. Zeolithe sind wasserhaltige Alumosilicate. Sie bilden ein anionisches Raumnetzwerk mit gro6en Hohldiumen (,,Poren"), die durch kleine Kan~ile verbunden sind. Im Innern der Hohldiume und Kan~ile befinden sich H20-Molekiile sowie Alkali- und Erdalkalimetallionen. Charakteristisches Merkmal der Zeolithe ist ihre Fahigkeit zum Ionenaustauseh. Die im Alumosilicatgeriist nicht fest gebundenen Kationen k6nnen leicht gegen andere ausgetauscht werden. Dartiber hinaus ist eine reversible Entw~isserung m/Sglich.
a)
O-
O
O
I Si-
I O - AI--- O
0' 2 N a " I
o'I
O-- AI---- 0 -- Si--O
I
b)
0
I
0
O C a 2+
O
I I O - S i - O -- AI---- O I I 0 C a :'+ 0 I I O--AIO--Si--O
I
O
+2Na §
I
O
Abbildung 9.8 a) Ausschnitt aus der Struktur von Zeolith A; b) Bindung von Ca2+-Ionen durch Ionenaustausch in Zeolith A.
Technische Bedeutung besitzen vor allem synthetische Zeolithe. Durch unterschiedliche Herstellungsprozeduren k6nnen Struktur und damit Porengr66e der Zeolithe variiert werden (Zeolith A, Zeolith P und Zeolith X). Da nur solche Molektile durch die Kan~ile in das Porensystem gelangen k/Snnen, denen der Zugang aufgrund ihres Molekiildurchmessers m/Sglich ist, finden die Zeolithe als Molsiebe Anwendung. Beispielsweise lassen sich unverzweigte Kohlenwasserstoffe von den sperrigeren verzweigten Isomeren (Kap. 10.1.1) abtrennen. Eine breite Anwendung findet Zeolith A (Abb. 9.8a) als Wasserenth~irter in modernen Waschmitteln, wobei man sich ihre F~ihigkeit zum Ionenaustausch zunutze macht (s. Kap. 6.4.1). Die kleinen Hohlraume besitzen einen mittleren Durchmesser von
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
290
0,42 nm, damit liegen sie in der Gr6Benordnung der Ionendurchmesser von Alkali- und Erdalkalimetallionen. Die in den Hohlr~iumen frei beweglichen Natriumionen k6nnen in w~issriger L6sung leicht gegen Calciumionen ausgetauscht werden (Abb. 9.8b).
9.2.3.2
Technische Silicate (KQnstliche Silicate)
Neben den bereits besprochenen Alkalisilicaten (Wassergl~iser) und Zeolithen geh6ren auch Gebrauchsgl~iser, Silicatkeramik und Zemente zu den technischen Silicaten. Herstellung, Zusammensetzung, Struktur und Eigenschaften dieser fiir das Bauwesen auBerordentlich bedeutsamen Stoffe sollen in den folgenden Kapiteln besprochen werden.
9.2.3.2.1 Gl~iser Glas ist aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften, der vielF~iltigen industriellen Fertigungsm6glichkeiten in Verbindung mit praktisch unbegrenzt und preisgiinstig vorliegenden Rohstoffen, ein Werkstoff mit auBerst vielseitigen Anwendungsbereichen im Bauwesen. Nach der Form und ihrem Gefiige werden sie in folgende Hauptgruppen eingeteilt: Flachglas, Bauhohlglas, Schaumglas und Glasfasem. Der Begriff Gias bezieht sich im strengen Sinne nicht auf einen bestimmten Stoff, sondem auf einen spezifischen Zustand der Materie. Als Glas wird ein Material bezeichnet, das aus einer Schmelze in den festen Zustand iibergegangen ist, ohne zu kristallisieren. Vom Blickpunkt der Herstellungstechnologie kann Glas demnach wie folgt definiert werden: Glas ist ein anorganisches Schmelzprodukt, das ohne Kristallisation erstarrt ist. Es liegt als eingefrorene, unterkiihlte Schmelze vor.
Glas ist ein nichtkristalliner FestkOrper. Im Unterschied zur regelm~i6igen Anordnung der Gitterbausteine im Kristall, wo eine Fernordnung der einzelnen Struktureinheiten vorliegt, treten in der Glasstruktur lediglich gewisse Nahordnungen in kleineren Bezirken auf. Wegen der fehlenden Symmetrie der Atomanordnung sind Gl~iser isotrop, d.h. ihr Festigkeitsverhalten und ihre thermische Ausdehnung h~ingen nicht vonder Raumrichtung ab. Der generelle Unterschied zwischen einer Glas- und einer Kristallschmelze ist in Abb. 9.9 dargestellt. Eine Kristallschmelze geht am Schmelzpunkt (Ts) schlagartig in den kristallinen (geordneten) Zustand fiber, was mit einer sprunghaften Abnahme des Volumens und der Enthalpie verbunden ist. Bei weiterer Abkiihlung nimmt das Volumen des kristallinen Festk6rpers entsprechend seinem thermischen Ausdehnungskoeffizienten ab. Sowohl die Schmelze (oberhalb von Ts) als auch der kristalline Festk6rper (unterhalb von Ts) befinden sich im thermodynamischen Gleichgewicht. Eine Glasschmelze liegt unterhalb von Ts zun~ichst als unterkiihlte Schmelze vor. Das Volumen nimmt kontinuierlich ab, eine sprunghafte Volumenabnahme wie beim kristallinen Festk6rper ist nicht zu beobachten. Bei weiterer Abkiihlung erreicht man schlie61ich einen Temperaturpunkt, den Transformationspunkt Tg (auch: Transformationstemperatur), unterhalb dem die VolumenTemperatur-Kurve ann~ihemd parallel zu der des Kristalls verl~iuft. Der thermische Ausdehnungskoeffizient des Glases entspricht in etwa dem des kristallinen Festk6rpers. Allerdings andert sich am Transformationspunkt Tg der Ausdehnungskoeffizient nicht schlagartig, sondern innerhalb eines kleinen Temperaturintervalls um den Transformationspunkt
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
291
(Transformationsbereich). Der Transformationspunkt Tg spielt in der Glaschemie die gleithe Rolle wie der Sehmelzpunkt bei kristallinen Verbindungen. Sowohl beim Erhitzen als auch beim Abktihlen andem sich innerhalb des Transformationsbereichs zahlreiche physikalische Eigenschaften, wie z.B. die Viskosit/it, die Dichte und der Brechungsindex, zum Teil reeht deutlieh. e-
E
Abbildung 9.9
o >
Volu men-Temperatu r-Kurve eines kristallinen Stoffes und eines Glases; G~as
.. / Tg Transformationstemperatur, Ts Schmelz- oder Erstarrungstemperatur. I
ms 9 Temperatur
Die Enthalpie-Temperatur-Kurve weist einen analogen Verlauf wie die Kurve fiJr die Volumen-Temperatur-Abhangigkeit auf (Abb. 9.9). Die Tatsache, dass die Enthalpie-Temperatur-Kurve unterhalb des Transformationspunktes deutlich fiber der des Kristalls liegt, kennzeichnet den wesentlich h6heren Energieinhalt des Glases. Es bleibt die Frage zu beantworten, warum das System nicht in den thermodynamisch stabilen Zustand tibergeht und eine spontane Kristallisation der Glasschmelze ausbleibt. Die Antwort ergibt sich bei Betrachtung der Viskosit~it und ihrer Temperaturabh~ingigkeit. Silicatschmelzen besitzen Viskosit~itswerte, die um Gr~)Benordnungen fiber denen anderer Fliissigkeiten liegen (z.B. 320 dPa.s gegeniiber Wasser mit 0,01 dPa-s). Das bedeutet, eine Glasschmelze ist ausgesprochen z~ihfliissig. Eine geregelte Anordnung der kristallbildenden Baugruppen ist deshalb von vornherein erschwert. Ktihlt man die Schmelze ab, so nimmt die Viskosit~it weiter zu und dementsprechend die Beweglichkeit der in ihr enthaltenen Baugruppen ab. Ihre Umgruppierung zu einer kristallinen Phase wird aus kinetischen Griinden fast unm/Sglich, wenngleich die thermodynamische Triebkraft zur Ausbildung einer kristallinen Struktur ansteigt. In bestimmten Bezirken eines Glasgegenstandes kann ein Obergang in den thermodynamisch stabilen Zustand erfolgen, indem sich kristalline Strukturen ausbilden. Dieser Prozess, der mit einer Trtibung dieser Glasbereiche verbunden ist, wird als Entglasung bezeichnet. Zu einer Entglasung und damit zu einer lokalen Kristallisation kann es bei nicht sachgemaBer Abkiihlung kommen. Andererseits k/Snnen durch Zugabe von Kristallisationskeimen zur Glasschmelze gezielt kristalline Bereiche erzeugt werden (s. Glaskeramiken). Zu den glasig-amorph erstarrenden Stoffen geh/Sren auger Siliciumdioxid und den Silicaten Oxide wie B203, GeO2, P205 und As203. Diese Verbindungen sind f'tir die Ausbildung der dreidimensionalen Netzwerkstruktur des Glases verantwortlich (Netzwerkbildner). Die SilicatgRiser werden als Gldser im engeren Sinne bezeichnet.
292
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Schmilzt man kristallinen Quarz und kiihlt die Schmelze ab, erh~ilt man Quarzglas. Im geschmolzenen Zustand werden die Si-O-Si-Bindungen der Tetraederstruktur des SiO2 (Abb. 9.10a) gespalten. Dadurch wird eine Verschiebung der Strukturelemente gegeneinander m6glich, die Schmelze flieBt. Der Glaszustand ist dadurch charakterisiert, dass die beim Abktihlen in der Schmelze zuf~illig und unregelm~iBig gekntipften Bindungen erhalten bleiben. Quarzglas besteht aus einem ungeordneten dreidimensionalen Netzwerk von an den Ecken verkniipften SiO4-Tetraedem (Abb. 9.10b).
Quarz- oder Kieselglas verfiigt tiber eine Reihe von Eigenschaften, die es ftir bestimmte Spezialanwendungen geradezu pr~idestinieren: Es ist ein vollkommen durchsichtiges, klares, erst bei ca. 1700~ schmelzbares Glas, dessen chemische Widerstandsf'~ihigkeit der des Quarzes entspricht. Es ist durchl~issig fiir UV-Strahlung - was fiir normales Fensterglas nicht gilt - und besitzt einen sehr kleinen linearen Ausdehnungskoeffizienten (1/18 des gew/3hnlichen Glases). Zur Rotglut erhitztes Kieselglas kann in kaltes Wasser getaucht werden, ohne dass es zerspringt. Quarzglas wird aufgrund seines hohen Rohstoffpreises (Bergkristall!) als Spezialglas far optische Instrumente und Laborger~ite verwendet. Silicatgl~iser entstehen durch Schmelzen von Quarzsand mit Alkali- bzw. Erdalkalimetallcarbonaten. Die in der Hitze des Schmelzofens aus den Carbonaten entstehenden basischen Metalloxide (Netzwerkwandler) bewirken eine Spaltung der Si-O-Si-Bindungen, wobei das Netzwerk unter Ausbildung von Trennstellen gesprengt wird.
Na20 + ~ SI i - - O - - S i - I i
-
I --O e Na ~ -- Si i
Na e
Oe-- S i I
Da die Briickenspaltung eine Lockerung des Strukturverbandes bewirkt (Abb. 9.10c), sinkt die Erweichungstemperatur ab. Reine AlkaligRiser sind wasserl6slich (WassergRiser), damit sind sie als Gebrauchsgl~iser ungeeignet. Durch Zugabe von Kalkstein (oder auch Dolomitkalk) stabilisiert man das Glas und macht es chemisch best~indig.
Glassorten gibt es in groBer Zahl. Da man den GRisem keine stOchiometrischen Formeln zuschreiben kann, gibt man ihre Zusammensetzung in Prozent der enthaltenen Oxide an (Tab. 9.2). Die gegeniiber Quarzglas bedeutend billigeren Alkali-Erdalkali-SilicatgRiser finden vor allem als technische Gl~iser Anwendung. Das Natron-Kalk-Glas (,,Normalglas") wird aus Quarzsand (SiO2), Soda (,,Natron ", Na2CO3 ---, Na20 + CO2) und Kalkstein (ohne unerwiinschte Beimengungen, CaCO3 ---, CaO + CO2) bei etwa 1200~ erschmolzen. Normalglas der Zusammensetzung Na20 9CaO 96 SiO2 besitzt eine hohe LichtdurchRissigkeit und Wasserbest~indigkeit. Seine Erweichungstemperatur liegt bei 600~ Natron-KalkGlas ist gegentiber den meisten Chemikalien sehr best~indig. Generell kann die chemische Widerstandsf~ihigkeit eines Glases durch seine Zusammensetzung gesteuert werden. Sie erh~Sht sich mit seinem Siliciumgehalt. Flusss~iure (HF) greift Glas unter Zerst6rung der Netzwerkstruktur an. Deshalb wird sie zum Glas~itzen (z.B. ftir Mattglas) verwendet. Starker alkalische Ltisungen greifen die Glasoberfl~iche ebenfalls unter Bruch der Si-O-Bindungen und Zerst~3rung des Netzwerkes der Glasmatrix an. Gegentiber den meisten organischen Verbindungen ist Normalglas best~indig. Silicone besitzen die besondere Eigenschaft, Bindungen mit den Silicaten der
9.2 Silicate und siliciumorganische V e r b i n d u n g e n
293
Glasoberfl~iche einzugehen. Deshalb lassen sich Siliconschichten nur ~iuBerst schwer von Glas 15sen (Achtung: Bei Arbeiten mit Siliconen Glasoberfl~ichen schiitzen!). Normalglas wird auf dem Bausektor vor allem fiir Verglasungen unterschiedlichster Art verwendet, daneben findet es aber auch fiir Beh~ilter- und Flaschenglas Verwendung.
)
,
a)
b)
O
O
Na, Ca
o
O
9
Si
c) Abbildung 9.10 Schematische zweidimensionale Darstellung der Anordnung der SiO4Tetraeder in a) kristallinem SiO2 (Bergkristall), b) Kiesel-oder Quarzglas und c)in Natron-Kalk-Glas. Ersatz von N a 2 0 durch 1(20, d.h. Zusatz v o n K 2 C O 3 (Pottasche) statt Na2CO3, erh6ht die Schmelzbarkeitsgrenze und bewirkt eine Verbesserung der optischen Eigenschaften (KaliK a l k - G l a s , auch Pottasche-Kalk-Glas). Das bekannteste Kali-Kalk-Glas ist das ,,B6hmische Kristallglas". Natron-Kalk-Glas und Kali-Kalk-Glas werden oft unter dem Begriff A l k a l i - K a l k - G l i i s e r zusammengefasst.
Tabelle 9.2 Zusammensetzung ausgew~hlter Gl~iser (in %) Glaskomponente SiO2 Na20 K20 CaO B203 A1203
MgO BaO PbO
Natron-Kalk-Glas (Normalglas) 71 ... 73 12 ... 15 8 ... 10 -
0,5 ... 1 1 ... 3 -
Bor-Tonerde-Glaser Jenaer Glas Supremax-Glas 74,5 7,7 0,8 4,6 8,3 0,1 3,9 -
56,4 0,4 0,7 4,8 8,9 20,1 8,7 -
Bleiglas
35 5 6 0 0 18
... ... ... ... ...
65 8 15 2 1
... 58
294
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Die Gebrauchseigenschaften des Glases, insbesondere seine Widerstandsf~ihigkeit gegenfiber Wasser, Chemikalien und auftretenden Temperaturunterschieden, werden in starkem Mage erhSht, ersetzt man einen Teil des Siliciumdioxids durch Bor (B203)- und Aluminiumoxid (Tonerde, A1203). Der hohe Vemetzungsgrad der entstehenden Bor-Tonerde-Gliiser (Borosilicatgl/iser) infolge geringerer Anteile an Metalloxiden bewirkt eine verringerte W~irmeausdehnung des Glases sowie eine erhShte Best/indigkeit gegeniiber S/iuren und Alkalien. Der Zusatz von Tonerde verleiht dem Glas zus/itzliche positive Eigenschaften im Hinblick auf seine mechanische Festigkeit, W/irmeausdehnung, chemische Widerstandsfiihigkeit sowie seine Neigung zur Entglasung. Bor-Tonerde-G1/iser werden in der chemischen Technik, im Laboratorium und im Haushalt als ,,feuerfestes Geschirr" verwendet. Eines der bekanntesten Borosilicatgl/iser ist das ,,Jenaer Glas" (Tab. 9.2). Ersetzt man schlie61ich im Kali-Kalk-Glas das CaO durch Bleioxid, erhiilt man ein KaliBlei-Glas (Bleikristanglas, Bleiglas). Es wird infolge seines starken Lichtbrechungsverm/Sgens, seiner hohen Dichte und seiner guten Bearbeitbarkeit (Schleifen) zu optischen Gliisem sowie Schmuck- und Ziergegenstiinden verarbeitet. Rohstoffe des Kali-Blei-Glases sind Pottasche (K2CO3), Borax (Na2B407),Kaolinit oder Feldspat und Mennige. Farbige Gliiser erhiilt man durch Zusatz von Metalloxiden, z.B. blaue Gliiser durch Zusatz von Cobalt(n)-oxid (Cobaltglas), grfine durch Chrom(III)- oder Kupfer(II)-oxid, blaugrfine durch Eisen(II)-oxid und braune durch Eisen(III)-oxid bzw. Braunstein, MnO2 (Flaschenglas). Es wiirde sowohl dem Anliegen des vorliegenden Buches widersprechen, als auch seinen Rahmen sprengen, an dieser Stelle Gebrauchseigenschaften und Anwendungsfelder der einzelnen ftir das Bauwesen relevanten Gruppen von G1/isem darzustellen. Von bauchemischem Interesse erscheint es mir dagegen, einige ausgew/ihlte Gl/iser bzw. Produkte zu besprechen, zu deren Herstellung bzw. Funktionsweise interessante chemische LOsungsans/itze herangezogen wurden. Sehaumglas: Darunter versteht man gesch/iumtes Glas mit einer geringen Dichte und einem hohen W/irmed/immverm6gen, das meist in Platten oder B16cken vorliegt. Ausgangsstoff ist ein A1-Silicat-Glas, das zu Pulver vermahlen und mit Kohlenstoff versetzt wird. AnschlieBend erfolgt Erhitzen der auf Formen verteilten Masse auf etwa 1000~ Die Oxidation des Kohlenstoffs ffihrt zur Bildung kleiner CO2-Gasblasen in der Schmelze, die untereinander nicht durch Kapillaren verbunden sind, sondern eine geschlossene Zellstruktur ausbilden. Damit ist Schaumglas undurchl/issig fiir Wasserdampf. Eventuell auftretende Schwarzfiirbungen der Schaumglasplatten stammen von fiberschfissigem Kohlenstoff. Schaumglas wird zur Warmedi~mmungeingesetzt. Glasfaserprodukte: Aus Ca-AI-Borosilicatschmelzen oder anderen Schmelzen gezogene und versponnene F/iden (Glasfasern) werden zur Verst/irkung von Kunststoffen (Geb/iudebau), zur Herstellung von Glasfasergeweben (z.B. ffir Dachdeckungen) oder Glasfaserkabeln eingesetzt. Ffir Betonbewehrungen finden alkaliunempfindliche Glasfasern aus Borosilicatglas Anwendung. In Form von Glaswolle werden Glasfasern als Minerald~immstoffe (Schall-, W/irme- sowie Brandschutz) verwendet.
Sicherheitsglas: Einscheibensicherheitsglas (ESG) wird aus thermiseh vorgespanntem Flachglas erzeugt, indem das auf ca. 600~ erw~irmte Glas schnell abgekfihlt wird (beide Oberfl~ichen werden mit Kaltluft abgeblasen). Dadurch bauen sich zwischen den Oberfl~ichensehichten und dem Glaskern Spannungen auf. Bei Bruch der Glasscheibe entstehen
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
295
weitgehend stumpfkantige Glaskriimel. Anwendung: FassadengRiser, Verglasungen von Sportanlagen, Glastiiren und -w~inde, Briistungen und GeRinder. Bei der Herstellung von Verbund-Sicherheitsglas (VSG) werden zwei oder mehrere Glasscheiben mit Kunststoffschichten hoher Elastizit~it (Polyvinylbutyral, Polyethylenterephthalat) verbunden, indem man die Scheiben entweder bei erhShter Temperatur durch Walzen hindurchgehen Risst und dabei fest zusammenpresst oder im Autoklaven Hitze und Druck aussetzt. Dabei k6nnen die Zwischenschichten farblos aber auch farbig, matt oder UV-absorbierend sein. Fiar spezielle Anwendungen werden in die Zwischenschichten Heizdr~ihte oder Signaldr~ihte ftir Alarmanlagen eingebaut. Bei Bruch des Verbund-Sicherheitsglases durch mechanische Einwirkungen wie StoB, Schlag oder Beschuss bleiben die Bruchstiicke fest an der Zwischenschicht haften. Das Verletzungsrisiko durch lose, scharfkantige Glassplitter ist stark reduziert. Brandsehutzglas: FunktionsgRiser, die den Durchtritt von Flammen und Brandgasen (GKlasse) oder aber den Durchtritt von Flammen, Brandgasen und der Brandhitze (F-Klasse) verhindem. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den F- und G-Verglasungen ist demnach die thermische Isolation. Sie ist gleichbedeutend mit einer Schutzschildwirkung der Verglasung, die selbst unter dauerhafter Brandeinwirkung den Durchgang von Hitzestrahlung verhindert. Als Schutzschicht zwischen zwei Glasscheiben wird z.B. Wasserglas (klar, durchsichtig) eingebracht. Wenn durch ansteigende Temperaturen die dem Feuer zugewandte Scheibe springt, sch~iumt die Zwischenschicht zu einer dicken, festen und z~ihen Masse auf, die die Energie des Feuers teilweise absorbiert. Zu den glasigen Materialien geh6ren ferner Minerald~immstoffe wie Steinwolle (aus Ton-, Mergel-, Basalt- oder Diabasschmelzen), Schlackenwolle (aus Schmelzen metallurgischer Prozesse, z.B. Hochofenschlacke) und keramische Wolle (aus Kaolin- und anderen Schmelzen).
Glaskorrosion. Wie bereits oben betont, h~ingt die Widerstandsf~ihigkeit von Silicatglas gegeniiber Chemikalien vor allem vom Siliciumgehalt, d.h. vom Gehalt an Netzwerkbildner ab. Bei der Glaskorrosion werden zwei grundlegende Mechanismen unterschieden: die Auslaugung und die Aufl6sung. Die Art des ablaufenden Mechanismus beim Angriff w~issriger L6sungen h~ingt stark vom pH-Wert ab. Es existiert ein mittlerer pH-Wert von etwa 5, bei dem die Sch~idigungen am geringsten sind. Bei der Auslaugung durch saure Wasser werden vor allem Alkalimetall(Na+, K+)-, aber aueh Erdalkalimetallionen(Ca 2+, Ba 2+) der Glasstruktur gegen IT-Ionen der L6sung ausgetauscht. Durch diese Ionenaustauschreaktion bildet sich eine netzwerkwandlerarme Schicht, die relativ gesehen reich an Silicat ist. ~Si-O"
Na + + H+
r- ~ S i - O H
+ Na +
Durch Kondensation der Silanol-Einheiten Si-OH wird H20 freigesetzt und molekular eingelagert. Dabei entstehen gelartige Schichten. Die durch diesen Zerfallsprozess ver~inderte Kristallstruktur an der Glasoberflache ist verantwortlich ftir ver~inderte physikalische Eigenschaften wie Lichtbrechung (Eintrtibung!) und mechanische Haltbarkeit. Bei der Autliisung von Glas werden durch den Angriff von Wasser Si-O-Si-Bindungen im Glasnetzwerk gebrochen: Si - O - Si ~
+ H20
~- - - - S i - O H + H O - S i
296
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Reagieren alle vier Bindungen des [SiO4]-Tetraeders mit 1-120, gelangt man formal zur monomeren Kiesels~iure Si(OH)4. Die Gegenwart von OH- (Angriffvon Laugen!) beschleunigt die Silanolbildung. Es tritt eine vollst~indige Aufl/Ssung des Glases auf, ohne dass sich eine Gelschicht bildet. Durch den Abbau der Glasstruktur bzw. das Herausl6sen von SiO2 kann die Oberflache aufrauen. Damit verbunden ist meist eine Triibung. Glaskeramiken (Vitrokerame). W~ihrend normales Glas bei Raumtemperatur in einem thermodynamisch metastabilen Zustand vorliegt und eine Umwandlung in den stabilen kristallinen Zustand kaum stattfindet, wird bei den Glaskeramiken durch W~irmebehandlung eines geeigneten Glases Keimbildung und Kristallwachstum bewusst herbeigeftihrt. Es findet eine gesteuerte Entglasung staR, Glas- und kristalline Phase bilden ein feink/Smiges GefiJge. Glaskeramiken sind das Bindeglied zwischen Gl~isem und Tonkeramiken. Glaskeramiken bestehen aus einer Vielzahl kleinerer Kristallite, die in einer amorphen Matrix verteilt sind.
Sind die erzeugten Kristallite kleiner (- 50 nm) als die Wellenlangen des sichtbaren Lichts und unterscheiden sich die Brechzahlen von Kristalliten und Glasphase nur wenig, so sind die Glaskeramiken klar und durchsichtig. Verglichen mit Glasern gleicher Zusammensetzung weisen Glaskeramiken eine merklich hShere Temperaturbest~indigkeit und eine z.T. extreme Temperaturwechselbest~indigkeit auf. Ursache sind die auBerordentlich niedrigen thermisehen Ausdehnungskoeffizienten der gebildeten kristallinen Alumosilicate (z.B. Cordierit). Aus diesen ungew/Shnlichen Eigenschaften resultiert die enorme wirtschaftliche und wissenschaftliche Bedeutung dieser Werkstoffe. Sie werden ftir Kochfelder, Laborgerate, aber auch im medizinischen Bereich (Knochenersatz) eingesetzt. 9.2.3.2.2 Tone und Tonkeramik Tone sind ein wesentlicher Bestandteil der natiirlichen B/Sden und besitzen damit allergr6Bte Bedeutung zur Erhaltung des menschlichen Lebens. Gleichzeitig liefern sie das Rohmaterial fiJr einige der ~iltesten und bedeutendsten vom Menschen hervorgebrachten Erzeugnisse wie Ttipferwaren, Ziegel und Kacheln. Tone entstehen durch Verwitterung und Zerfall von Erstarrungsgestein. Sie bestehen haupts~ichlich aus den Tonmineralen Kaolinit, Montmorillonit und Illit, die alle drei zur Gruppe der Schichtsilicate gehSren (Kap. 9.2.3.1). Dazu kommen Quarz, Feldsp~ite (bzw. deren Verwitterungsprodukte, G1. 9-1 bis 9-3), weitere Schichtsilicate wie Glimmer (bzw. deren Verwitterungsprodukte) und eventuell Carbonatminerale (Kalkspat). Mit Sand verunreinigter Ton wird als Lehm bezeichnet. Kaolin (Porzellanerde), mit seinem Hauptbestandteil Kaolinit, ist ein sehr wertvoller Ton. Er besitzt im Unterschied zu den dunkleren Tonen (gelb, rotbraun bis braun) eine weiBe Farbe und dient als Rohstoffzur Porzellanherstellung. Weniger reine Tone (keramisehe Tone) werden zur Herstellung von Steingut und Steinzeug benutzt. Sind Eisenoxide bzw. -oxidhydrate enthalten, werden die Tone beim Brennen braun bis rot. Aus diesen Tonen stellt man das gewShnliche TOpfergeschirr und Terrakotten (por/Ss gebrannte, unglasierte Erzeugnisse) her. Die charakteristischen Eigenschaften der Tone wie Plastizit~t, EinbindevermOgenfiir Wasser und thixotropes Verhalten, lassen sich anhand der Pl~ittchenstruktur der Tonminerale erklaren. Kaolinit bildet sechseckige diinne Pl~ittchen mit einer Kantenl~inge von 0,1...3 ~tm
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
297
und einer Dicke < 10 nm aus, die sich strukturell von den parallelen {AlffOH)4[Si2Os]}Schichten des Tonminerals ableiten. Die Abmessungen, insbesondere die Dicke der Kaolinitpl~ittchen, f~illt in den Bereich kolloider Dimension. Beim Vermischen mit Wasser werden die Tone weich, plastisch und formbar. In der TonWasser-Mischung sind die plattchenf'6rmigen Tonkristalle in Wassermolektile eingebettet. Deshalb gleiten sie bei Verformung aneinander vorbei, ohne dass es zur Rissbildung kommt. Der Zusammenhalt der negativ geladenen SilicatpRittchen erfolgt durch die an ihrer Oberfl~iche lokalisierten Kationen (z.B. Ca2+). Die Kationen stellen eine Verbindung zwischen den Silicatschichten fiber die Wasserschicht hinweg her. Damit sind sie letztlich ~ r die sich ausbildende gertistartige Anordnung der PRittchen verantwortlich, die in ihrer Struktur an ein Kartenhaus erinnert (Abb. 9.11). In die Hohlr~iume zwischen den Plattchen k6nnen sich Wassermolektile einlagern.
< 20%) unterscheidet man deshalb noch die Gruppe der Sonderkeramischen Werkstoffe (Tongehalt < 20% bis tonmineralfrei). Hierzu gehOren Oxid- und Nichtoxidkeramiken sowie die Cermets (Keramik-Metall-Verbundwerkstoffe). Zu ihren herausragenden Eigenschaften gehOren eine hohe Festigkeit und H[irte sowie eine ausgezeichnete chemische Best~indigkeit. Sie werden auch als Hochleistungskeramiken bezeichnet.
Tonkeramische Erzeugnisse. Mengenm~iBig besitzen die tonkeramischen Erzeugnisse die weitaus grOBte industrielle Bedeutung. Sie werden hinsichtlich ihrer Scherbenhomogenit~it in feinkeramische (kristalline Gefiigebestandteile < 0,2 mm) und grobkeramische (GefiJgebestandteile bzw. Poren a 0,2 mm) Erzeugnisse unterteilt. Eine ErhOhung der Brenntemperatur hat stets eine Verdichtung der keramischen Struktur verbunden mit einer Abnahme der Porosit~it sowie eine zunehmende Festigkeit des Tonprodukts zur Folge. Grob- und feinkeramische Erzeugnisse lassen sich in solche mit por6sem und solche mit dichtem Scherben einteilen. Keramische Erzeugnisse der ersten Gruppe bezeichnet man als Irdengut (Tongut), die der zweiten als Sinterzeug (Tonzeug, Sintergut). Tab. 9.3 gibt einen Oberblick fiber keramische Produkte und ihre Verwendung. Zu den keramischen Baustoffen z~ihlen sowohl Ziegeleierzeugnisse wie Mauerziegel und Dachziegel als auch Steinzeugrohre, Schamottesteine und -rohre sowie Magnesit- und Dolomitsteine. Zur Herstellung von Mauerziegeln verwendet man billige, sand- und kalkhaltige Tone (Lehm, Mergel). Sandarmen Lehmen wird Sand als Magerungsmittel zugesetzt und die Mischung unter Zugabe geringer Mengen Wasser (ohne Zusatz von Flussmitteln) verarbeitet. Das Brennen erfolgt bei Temperaturen zwischen 950...1100~ im Ringofen. Stark eisenoxidhaltiger Lehm ergibt rote und kalkreicher Lehm gelbe Ziegel. St~irker gebrannte dichtere und festere Ziegel bezeichnet man als Kiinker. Schamottesteine geh6ren zu den feuerfesten Steinen. Dazu z~ihlt man keramische Erzeugnisse, die Temperaturen bis ca. 1700~ ohne Deformation aushalten. Stoffe, die noch tiber 1700~ hinaus best~indig sind, heiBen hochfeuerfest. Schamottesteine werden durch Brennen von rohem plastischem Bindeton, unter Magerung mit gebranntem, zerkleinertem, feuerfestem Ton (Schamottemehl), bei 1450~ hergestellt. Sie dienen zur Auskleidung von Feuerungen bzw. Hoch/Sfen und werden mit Schamottem/3rtel vermauert. Die feuerfesten Eigenschaften sind in erster Linie auf die Bildung von kristallinem Mullit (Smp. 1740~ zurtickzufiihren. Die Anwendungsgrenze der Schamottesteine liegt bei 1300... 1400~
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
299
Durch Erh6hung des Tonerdegehalts tiber die Zusammensetzung A1203 9 2 S iO2 hinaus, wird die Erweichungstemperatur und damit die Anwendungsgrenze feuerfester keramischer Produkte weiter erh6ht. Zum Beispiel erh~ilt man durch Brennen nattirlicher Alumosilicate der Zusammensetzung A1203 9 SiO2 (z.B. Sillimanit) bei hohen Temperaturen Sillimanitsteine. Sie erweichen erst bei 1850~ Dynamidonsteine, die durch Brennen von geschmolzener Tonerde mit 10% Ton als Bindemittel hergestellt werden, halten sogar Temperaturen bis 1900~ aus. Durch Zusatz von Quarz (Quarzschamottesteine) kann die Erweichungsgrenze unter 1450~ verschoben werden. Die durch Brennen eines Gemischs aus Quarzsand (gemahlener Quarzit, Dinasand) und Ton erzeugten Dina- und Silicasteine enthalten 80...83 % SiO2 sowie 20...17% A1203. Sie beginnen bereits oberhalb von 1350~ zu erweichen, sind allerdings s~iurefest. Tabelle 9.3 Keramische Erzeugnisse und ihre Verwendung
Brenntemperatur (~
Produkte
Verwendung
Farbiges Irdengut, por6ser Scherben
900 ... 1100
Mauerziegel, Dachziegel
Hoch- und Tiefbau
Steingut, porSser Scherben
1100 ... 1300
Irdengutfliesen und gemeines Geschirr (farbig), Steingutfliesen und weiBes Geschirr mit Glasur
Innenausbau, Sanitarausbau, Haushalt
Sinterzeug Steinzeug, (Tonzeug) dichter Scherben
1200 ... 1300
Klinker und RiemFassadenverkleidung, Abwaschen, Kanalisations- serbeseitigung rohre
Porzellan, dichter Scherben
1200 ... 1500
Fliesen, Sanitfirartikel
Innenausbau, Sanit~rausbau, Haushalt
Feuerfeste Steine, grobporiger Scherben
1300 ... 1800
Steine, FormstOcke
Auskleidung von Ofen und Feuerungen, Zementherstellung
Werkstoff
Irdengut (Tongut)
Porzellan und Steinzeug besitzen einen dichten Scherben, d.h. es tiberwiegt die Glasphase. Porzellan wird gewShnlich in Hartporzellan (-50% Kaolin, -25% Quarz, -25% Feldspat; Brenntemperatur 1400...1500~ und Weichporzellan (-25% Kaolin, -45% Quarz und -30% Feldspat; Brenntemperatur 1200...1300~ unterteilt. Feinporzellane (MeiBner Porzellan und chinesisches Porzellan) und SanitOrporzellane geh6ren zu den Weichporzellanen. Oberfllichenveredlung. Die Oberfl~iche der gebrannten, einfarbigen tonkeramischen Produkte ist meist rau. Eine Gl~ittung und eventuelle Einf'drbung der Oberfl~iche l~isst sich
300
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
durch Aufschmelzen von Glasuren erreichen. Glasure, sind glasartige Oberziige, die neben farbgebenden Bestandteilen auch Triibungsmittel enthalten kSnnen. Die mit Wasser angeriihrten Gemische (Schlicker) aus Quarz, Feldspat, Marmor und Kaolin werden durch Tauchen, Spritzen oder BegieBen auf die Oberflache aufgebracht und unterhalb der Schmelztemperatur der Grundsubstanz (bis 1400~ gesintert. Dabei entsteht der glasige Oberzug. Die Farbigkeit wird durch Zumischen bestimmter Metalloxide bewirkt (Cobaltoxid blau, Eisenoxid rot, Chromoxid grtin).
9.2.4
Siliciumorganische Verbindungen
Silicone (systematische Bezeichnung: Polyorgaaosiloxaae oder kurz Polysiloxane) sind synthetische polymere Verbindungen, in denen die Siliciumatome iiber Sauerstoffatome ketten- und/oder netzartig verkniipft sind. Die restlichen Valenzen der Si-Atome sind durch organische Kohlenwasserstoffreste R abges~ittigt. Dabei handelt es sich meist um Methylgruppen, seltener um Ethyl-, Propyl- oder Phenylgruppen (Kap. 10.1.1). Charakteristisches Merkmal der Silicone ist das Vorliegen einer Si-O-Si-Kette (Siloxaakette). Darin unterscheiden sic sich grundsatzlich von den Makromolektilen herk/Smmlicher organischer Kunststoffe, deren Hauptkette aus Kohlenstoffatomen besteht (Kap. 10.4). Die Silicone nehmen eine Zwischenstellung zwischen anorganischen Verbindungen (Silicate) und organischen Polymeren ein. I
I
I
I
C--C--C
I
Si--O--Si--O
I
I
I
R
R
R
n
herkSmmlicher Kunststoff
I
I
R
R
n
Polyorganosiloxan (Silicon)
Darstellung. Silicone entstehen durch kontrollierte Hydrolyse von Organochlorsilanen. Silane sind kettenf'6rmige Siliciumwasserstoffe der allgemeinen Formel SinH2n+2, die den acyclischen ges~ittigten Kohlenwasserstoffen CnH2n+2 (Kap. 10.1.1.1) entsprechen. Der einfachste Siliciumwasserstoff ist das Monosilan SiH4. Die Wasserstoffatome der Silane lassen sich schrittweise durch Halogene (z.B. Einwirkung von C12oder HC1 auf SiH4) unter Bildung von Chlorsilanen (H3SiC1, H2SiCI2, ...) ersetzen. Organochlorsilane RnSiCla.n (R = Alkyl- oder Arylrest) sind sehr hydrolyseempfindlich und setzen sich zu Organosilanolen um, die anschlieBend unter Wasserabspaltung (Kondensation) in die Silicone tibergehen: R
R
I
I
-- Si-- CI + CI-
I
Organochlorsilane
Si--
I
R I
+ 2 H20 ,, - -
- 2 HCI
r;,,
R I
,7
i--OLN-+-HOj--oi--
T
-Organosilanole
I
Q
R I
"H2= - -- Si--O--
I
R I
Si-
i
Siliconstrukturelement
Die gtinstigen Eigenschaften der Silicone sind eine Folge der thermischen und chemischen Stabilit~it der Si-C- und der Si-O-Bindungen. Polyorganosiloxane sind aus mono-, di-, tri-
301
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
und tetrafunktionellen Struktureinheiten aufgebaut (Abb. 9.12). In den technischen Siliconprodukten ist R in der Regel ein Methyl- oder Phenylrest. Aus den verschiedenen MOglichkeiten der Verkntipfung mono(M)-, di(D)-, tri(T)- und tetra (Q)-funktioneller Struktureinheiten zu linearen, cyclischen und vemetzten Anordnungen resultiert die groBe Strukturvielfalt dieser Stoffgruppe. Aufgrund der Kombination von Siloxan (Si-O)- und Silicium-Organo (Si-C)-Bindungen bezeichnet man die Silicone auch als Organosiliciumverbindungen bzw. siliciumorganische Verbindungen.
R
-
R
R
R
I
I
I
Si
-
0
-
-
0
-
Si
-
0
-
-
0
-
Si
I
0 I
-
0
-
- 0
-
Si
-
0
-
I
I
I
I
R
R
0
0
difunktionell
tnfunktionell
tetrafunktionell
(D)
(T)
(Q)
monofunktionell
(M)
I
I
Abbildung 9.12 Strukturelemente der Silicone mit Angabe der Vernetzungsm0glichkeiten.
Je nach Wahl der Ausgangsstoffe, der Reaktionsbedingungen sowie nach Art der Weiterverarbeitung entstehen fltissige (SiliconOle), feste (Siliconharze) und elastische (Siliconkautschuke) Produkte. Allen Siliconprodukten gemeinsam ist eine Reihe herausragender Eigenschaften, die sie ~ r einen breiten Einsatz in der Praxis qualifizieren: Sie sind tiber einen weiten Temperamrbereich stabil (z.B. Silicon61e: -7 bis +250~ und besitzen eine hohe Lebensdauer. Sie sind gas- und dampfdurchl/issig, brennen nicht, reagieren chemisch neutral, wirken isolierend und sind 6kologisch unbedenklich. Siliconharze sind stark wasserabweisend und eignen sich deshalb auBerordentlich gut als Hydrophobierungsmittel f'tir organische und anorganische Materialien.
Siliciumorganische Verbindungen im Bautenschutz. Es gibt auf kaum einem Gebiet der Bauchemie eine solche Konfusion zwischen exakter und praktischer Bezeichnungsweise von Verbindungen bzw. Verbindungsgruppen wie auf dem Gebiet der siliciumorganischen Bautenschutzmittel. Unter Siliconharzen versteht man hochmolekulare, dreidimensional vemetzte Verbindungen. In Analogie zum Quarz sind die geriistbildenden Elemente ebenfalls Silicium und Sauerstoff. Abweichend vonder Quarzstruktur ist bei den Siliconharzen jedoch jedes vierte Sauerstoffatom dutch eine organische Gruppe R ersetzt, so dass von organomodifizierten SiO2-Strukturen gesprochen werden kann. Die Produktklasse ,,Siliconharze" umfasst in der Praxis alle aus trifunktionellen Strukturelementen (Abb. 9.12) aufgebauten Produkte, unabhiingig von der Anzahl der T-Bausteine. Im einfachsten Falle kann nut eine T-Einheit vorliegen, im Extremfall unendlich viele. Dieser Obergang -von monomeren Einheiten tiber oligomere bis zu polymeren Strukturen widerspiegelt sich in den nachfolgend beschriebenen Siliconprodukten: den Silanen, Siliconaten, Siloxanen und den eigentlichen Siliconharzen. Alle diese Produkte fungieren auf dem Bausektor als Bautenschutzmittel, sie sind die wichtigsten Hydrophobierungsmittel. Wenn nicht schon vorhanden (wie bei den ,,auspolymerisierten" Harzen), entsteht bei der Anwendung dieser Produkte dutch Polykondensation im mineralischen Substrat oder in der
302
9 Chemie nichtmetaUisch-anorganischer Baustoffe
Beschichtung das Siliconnetzwerk als Tr~iger der ftir diese Substanzklasse wichtigen Eigenschaften: Wasserabstoflung, Wasserdampfdurchl~issigkeit und Langleb igkeit. Silane. In der Bauanwendung, und das soil auch im Folgenden so gehandhabt werden, versteht man unter Silanen generell Alkylalkoxysilane. Das ist zwar chemisch nicht korrekt, hat sich in der Praxis aber weitgehend so durchgesetzt. CH3 R
I
R'O -- S i -
R
OR'
I
OR'
= CH3 (Methyl), auch: 04H9 (Butyl), C8H17 (Octyl); OR'= OCH3 (Methoxy), OC2H5 (Ethoxy)
I Si
H5C20~ I ~
OC2H 5 OC2H 5
Methyltriethoxysilan
Alkylalkox ysilan
C4H9
C4H9
I
I
H5C20-- S i - - OC2H5 + 3 H20
a)
=-
I
OH
O02H5
I R 0 I I HO--Si--O--Si--R
b)
H O - - S i - - OH + 3 C2H5OH
I
I O I --O--Si--R I OH
R I RO-- Si I O
I I 0 0 I I R--Si--O--Si--O--
I O I HO--Si
I O I Si--R I OH
O I R
O --
OH
/ / / /I/ / /,/ /
I O I SiI O
O
OH
I O I Si--O-I O OH
/
I R
I O I Si-- OR I R OH
/ / / / / /
,
Baustoffoberfl~che
Abbildung 9.13 a) Verseifung des Butyltriethoxysilans zum Butylsilantriol; b) Vernetzung (Polykondensation) der Silanole zum Siliconharz; c) Fixierung des Siliconharzes durch kovalente Bindungen auf der Oberfl~iche mineralischer Baustoffe. Die Bindung erfolgt 0ber die Si-OH-Gruppen der silicatischen Komponente(n) des Baustoffes.
Silane sind tiberwiegend niedrigviskose, klare, mehr oder weniger fliichtige Fliissigkeiten. Auf eine Betonoberfl~iche aufgebracht, f'6rdert deren Alkalit~it die Entstehung des Organosilanols (9-13a) und dessen Vernetzung zum hydrophobierenden Endprodukt (Abb. 9.13b).
9.2 Silicate und siliciumorganische Verbindungen
303
Den vorteilhafien Eigenschafien der Silane wie geringe Molekiilgr6Be (deshalb k6nnen sie leichter und tiefer in den Baustoff eindringen), Einsetzbarkeit auf feuchtem (nicht nassem!) Untergrund, stehen auch einige Nachteile gegentiber. Silane enthalten hohe Mengen an gebundenem Alkohol, sind fltichtig und besitzen lange Reaktionszeiten bis zum Aufbau des dreidimensionalen Siliconnetzwerkes. Siliconate. Siliconate sind Salze (Alkoholate) von Organosilanolen. Fiir ihre Darstellung ergeben sich zwei prinzipielle MSglichkeiten: a) Zersetzung von S iliconharzen (z.B. Methylsiliconharz) mit hochkonzentrierter Alkalilauge unter Bildung stabiler, wassriger Alkalisiliconatl6sungen. Bei Verwendung von KOH f~illt Kaliummethylsiliconatl6sung der allgemeinen Formel CH3Si(OH)20- K + an. OH
I H3C -- Si-
O- K +
Ka liu m m e th yls ilico n a t
I OH
b) Organosilanolen wird vor dem Kondensationsprozess KOH oder NaOH zugegeben. W~issrige Kaliumsiliconatl6sung reagiert wie die AlkalimetallwassergRiser mit dem CO2 der Luft unter Bildung von K2CO3 und Ausbildung des Silicon-Netzwerkes. Siloxane. Die Bezeichnung Siloxan ~ r oligomere Alkylalkoxysilane ist vom chemischen Standpunkt her problematisch, da der Begriff ,,Siloxan" ganz allgemein ftir die gesamte Klasse von Verbindungen mit Si-O-Si-Ketten unterschiedlichen Polymerisationsgrades steht. In der praktischen Bauanwendung versteht man unter Siloxanen generell oligomere Alkylalkoxysilane, die durch Kondensation von 3 bis 6 Molektilen eines monomeren Alkylalkoxysilans unter Ausbildung von Siloxanbindungen entstehen. Aufgrund der vorliegenden Teilvemetzung stehen die oligomeren Organosiloxane strukturell zwischen Organosilanen und Siliconharzen. Siloxane sind in der Regel leichtbewegliche, klare, kaum noch fliichtige Fliissigkeiten. Ihr Gehalt an gebundenem Alkohol liegt deutlich unter dem der Silane. Der entscheidende Vorteil gegentiber den Silanen besteht in der schnelleren Ausbildung des Siliconnetzwerkes und der Tatsache, dass die Siloxane, auf die Baustoffoberfl~iche aufgebracht, kaum verdunsten. Bei dieser Verbindungsgruppe wurde versucht, die vorteilhaften Eigenschaften der Organosilane und der Siliconharze zu kombinieren. Im Bautenschutz werden vor allem Gemische aus Silanen und Siloxanen verwendet. Sie sollen fiir dichte Untergriinde wie z.B. Beton eher silanreich und ftir stark saugende Untergrtinde (z.B. bestimmte Natursteine) eher siloxanreich sein. Siliconharze. Bei den Siliconharzen ist die Polykondensation so weit fortgeschritten, dass zahfltissige bzw. feste, in organischen L6sungsmitteln noch 16sbare polymere Siloxane vorliegen. Man spricht von Fltissig- oder Festharzen. In dieser Form finden die Siliconharze Anwendung als Bindemittel in Siliconharzfarben und Siliconharzputzen. Im Vergleich zu anderen organischen Harzen besitzen die Siliconharze niedrige Molmassen (2000 bis 5000), der Anteil an gebundenem Alkohol betr~igt nur noch 2...4%. Ftir Beschichtungen werden nahezu ausschlieBlich Methylsiliconharze verwendet. Auf Baustoffoberfl~ichen
304
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
aufgebracht, trocknen sie aus organischen LSsungen oder Emulsionen schnell und klebfrei auf (physikalische Trocknung). Die wasserabweisende Wirkung ist von Anfang an voll ausgebildet. Heute werden ftir Fassadenimpr~ignierungen nicht mehr organische L6sungen reiner Siliconharze, sondern tiberwiegend Gemische aus Silanen, Siloxanen und Siliconharzen verwendet [KS 7]. Sic verleihen den Putz- und Steinfassaden einen dauerhaften N~isseschutz. Der weitaus gr/SBere Teil der far den Bausektor produzierten Siliconharze wird allerdings nicht far Fassadenimpr~ignierungen, sondern far Siliconharzfarben und Siliconharzputze verwendet. Siliconkautschuke sind in den gummielastischen Zustand iJberftihrbare Siliconmassen. Sic enthalten neben der [-Si(R)2-O-]-Hauptkette entsprechende funktionelle Gruppen, die eine weitmaschige Vernetzung ermSglichen. Als solche kommen vor allem die Hydroxyl- und die Vinylgruppe (-CH=CH2) in Frage. Die Gruppen k6nnen sich an den Kettenenden befinden oder in die Kette eingebaut sein. Zugesetzte Ftillstoffe beeinflussen in Abhangigkeit von der Art und der Menge die mechanischen und chemischen Eigenschaften der Vulkanisate.
Die Vernetzung der Kautschuke zum Elastomeren kann sowohl bei Raumtemperatur (RTV-Typen, room temperature vulcanizing) als auch durch HeiBvulkanisation (HTV-Typen, high temperature vulcanizing) erfolgen. Bei den im Bauwesen angewandten RTVTypen unterscheidet man Einkomponenten (RTV-1)- und Zweikomponentensysteme (RTV-2). Der kaltvulkanisierende Einkomponenten-Kautschuk (RTV-1) besteht tiberwiegend aus linearen Organosiloxanmolektilen (Molekiilmassen: 104...105). An den siliciumfunktionellen Endgruppen befinden sich h~iufig Acetoxygruppen (-O-CO-CH3), die als Vernetzerkomponente wirken. Unter Ausschluss von Feuchtigkeit (z.B. abgeftillt in einer verschlossenen Kartusche) sind diese Einkomponenten-Kautschuke lagerstabil. Bei Einwirkung von Feuchtigkeit entstehen an den Enden der Polymerkette unter Abspaltung von Essigs~iure Hydroxidgruppen, die durch Kondensation vernetzen und Si-O-Bindungen ausbilden k6nnen. Zur Erh6hung der Elastizit~it werden dem Kautschuk Ftillstoffe (z.B. amorphe Kiesels~iure) sowie Silicon6l zugesetzt. Einkomponenten-Kautschuk wird im Bauwesen, aber auch im Sanitar- und Kfz-Bereich als Fugendichtmasse verwendet. Bei einem kalthi~rtenden Zweikomponenten-Kautschuk werden Polymerkomponente (meist HO-[Si(CH3)2-O]n-Si(CH3)2OH)) und Vernetzerkomponente (Tetraalkoxysilane Si(OR)4) in Gegenwart von kondensationsbeschleunigenden Zinnverbindungen und Ftillstoffen erst vor der Verwendung gemischt. Die H~irtung zu einem elastischen Silicongummi erfolgt entweder durch Polykondensation oder Polyaddition. RTV-2-Kautschuke finden dort Anwendung, wo die Einkomponenten-Kautschuke wegen zu geringer Luftfeuchtigkeit und/oder zu groBer Stoffdicke zu langsam oder gar nicht mehr aush~irten. Siliconkautschuke besitzen eine hohe Best~indigkeit gegentiber W~irme, UV-Strahlung und Ozon, weisen aber andererseits eine relativ geringe mechanische Festigkeit auf.
9.3 Anorganische Bindemittel
9.3
Anorganische Bindemittel
9.3.1
Einleitende B e m e r k u n g e n - H i s t o r i s c h e s
305
Die Bezeichnung Bindemittel fiir eine bestimmte Gruppe pulverf'6rmiger anorganischer Verbindungen leitet sich von deren F~ihigkeit ab, Gesteinsk~rnungen (frtiher: Zuschlagstoffe) wie Sand, Kies oder Gesteinsbrocken ,,einbinden" zu kSnnen. Mit Wasser zu einem Bindemittelleim verarbeitet, erh~irtet die zunachst form- und gieBbare Mischung aus Bindemittel, Zugabewasser und GesteinskOrnung im Verlaufe bestimmter physikalisch-chemischer Vorg~inge zu einem kiinstlichen Stein. Das Bindemittel bewirkt eine feste Verkittung der Gesteinsk/Jrnung. Das klassische Bindemittel ist yon alters her der Kalk. Er wird vorwiegend fiir Mauer- und Putzm~rtel, aber auch zur Herstellung von Kalksandsteinen und Porenbetonsteinen verwendet. Nach ihrem Erhiirtungsverhalten werden die Bindemittel in nicht hydraulische (Erh~irtung ausschlieBlich an der Luft) und hydraulische Bindemittel (Erh~irtung sowohl an der Luft als auch unter Wasser) eingeteilt. Zu den nicht hydraulischen Bindemitteln gehSren neben den Luftkalken vor allem die Baugipse bzw. Anhydritbinder und die Magnesiabinder, zu den hydraulischen Bindemitteln die Zemente und die hydraulisch erh~irtenden Kalke. Historisches. Als ~iltestes ktinstlich hergestelltes Bindemittel muss der Gips angesehen werden. Ahnlich wie beim Kalk kann nur spekuliert werden, wie der Mensch die besonderen Eigenschaften, die Gips so wertvoll machen, entdeckt haben k6nnte. Vielleicht haben Gesteinsbrocken aus Gips zur Begrenzung eines Feuers gedient, sind durch die Hitze miirbe geworden und zu Pulver zerfallen bzw. zu Pulver zerstoBen worden. Bei Kontakt mit Wasser entstand dann eine formbare m/Jrtel~ihnliche Masse, die an der Luft erh~irtete. Gips kam bereits Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung zum Einsatz. Der ~ilteste gesicherte Nachweis ftir die Verwendung yon Gips geht auf die Jungsteinzeit (- 9000 v. Chr., Kleinasien) zurtick. In der Stadt Catal Hiiyiik, heutige Tiirkei/Stidanatolien, wurde gebrannter Gips als Gipsputz verwendet. Weitere Funde stammen aus Israel (- 7000 v. Chr.). Gips wurde beim Bau der Ttirme yon Jericho (- 2500 v. Chr.) und beim Bau der ChefrenPyramide (- 2000 v. Chr.) eingesetzt. Der gezielte Gebrauch yon Gips ist wahrscheinlich auf die Griechen zurtic~fiihren. Sic bezeichneten dieses Gestein als ,,Gypsos". Von den Griechen tibernahmen die R6mer die Grundkenntnisse im Umgang mit diesem Bindemittel und verbreiteten sic bis in die Gebiete Mittel- und Nordeuropas. Mit dem Niedergang des R6mischen Reiches geriet auch der Baustoff Gips in Vergessenheit, er wurde erst im 11. Jahrhundert in den K1/Jstern wiederentdeckt. Die Bildhauer und Bauleute des 15. Jahrhunderts entwickelten in der Frtihrenaissance die Technik des Brennens von Gips und seine Anwendung yon Neuem. In der Folgezeit wurde Gips auch in Deutschland zu einem hiiufig eingesetzten Baustoff (Mauersteine, Gipsestrich, Mauer- oder Putzm6rtel und ,,Gipsbeton"). Dass Gips eine feuerhemmende Wirkung besitzt, wurde beim groBen Brand yon London (1666) entdeckt. Eine erste Bltitezeit erreichte der Gips zur Zeit des Barock und Rokoko, da es gelang, mit Gips ktinstlichen Stuckmarmor t~iuschend echt nachzuempfinden. Heute ist Gips aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Neben einer Vielzahl unterschiedlicher Bauprodukte gibt es eine Reihe von Spezialgipsen z.B. fiir die Keramikindustrie, die Landwirtschaft, ftir GieBereien und Ziegeleien sowie fiir medizinische Zwecke. .,
306
9 Chemic nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Fast ebenso alt wie die ersten erhaltenen Gipsputze sind Funde, die den Einsatz von gebranntem Kalk als Bindemittel dokumentieren. Sic stammen aus der Zeit zwischen 7000 und 5500 v. Chr. aus der Region am unteren Donaulauf. Zum Beispiel bestanden die FufSb6den von Hiitten der Siedlung Lepenski Vir aus Kies und Sand sowie einem KalkWasser-Gemisch als Bindemittel. Das Kalkbrennen und-16schen wurde wahrscheinlich, ~ihnlich wie beim Gips, zuf'~illig bei der Hitze- und der nachtr~iglichen Wassereinwirkung auf Kalkstein an Feuerstellen entdeckt. Erste Belege fiir eine gezielte Kalkherstellung stammen aus Mesopotamien (2000 v. Chr.). Die R5mer entwickelten eine Technologic des Kalkbrennens, w~ihrend ihrer Zeit entstanden auch in Deutschland die ersten Kalktifen und L6schgruben. Die ersten Bindemittel, die nach heutigem Verst~indnis hydraulisch zu nennen sind, wurden beim Bau der Zisternen von Jerusalem 1000 v. Chr. eingesetzt. Indem man dem Branntkalk Ziegelmehl zusetzte, wurde ein hydraulischer M6rtel erhalten, der sich durch eine hohe Dauerfestigkeit auszeichnete. Eine ganze Reihe spaterer Bauwerke der Griechen und R6mer auf dem Gebiet des Hafen-, Brticken- und Wasserleitungsbaus w~iren ohne geeignete hydraulische Zusatze wie Ziegelmehl, vulkanische Aschen oder Trass, zum Kalk nicht realisierbar gewesen. Als (bisheriges!) Endglied in der langen Entwicklungsgeschichte der Bindemittel ist der Zement anzusehen. Der Begriff ,,Zement" tauchte erstmals - wenn auch mit einer v611ig anderen Bedeutung als heute - bei den alten R6mem auf. Sie nannten die Zuschlagstoffe, die sie ftir ihr Gussmauerwerk (,,Opus Caementitum" - R6merbeton) einsetzten, als Caementum. Sp~iter wurden die hydraulischen Zusatzstoffe vulkanischen Ursprungs bzw. Ziegelmehle als Ciment (Frankreich), Cement (England) oder Zyment (Deutschland) bezeichnet. Mit dem Untergang des R/Smischen Reiches gingen aueh zahlreiche theoretische und praktische Erfahrungen und Erkenntnisse der r6mischen Baukunst verloren. Die Rezepturen zur Herstellung hydraulischer Bindemittel gerieten in Vergessenheit oder wurden vernichtet. Im Mittelalter fanden iiberwiegend Baustoffe Verwendung, die wenig dauerhaft waren. Die moderne Geschichte des Bindemittels Zement geht auf den Englander J. Smeaton (1724-1792) zuriick. Er besch~iftigte sich in den Jahren 1756/59 intensiv mit dem Problem der Hydraulizit~it von Kalken. Dabei erkannte er die besondere Bedeutung des Tongehaltes im Kalkstein fiJr die Herstellung hydraulischer Bindemittel. Angeregt durch diese Untersuchungen stellte J. Parker 1796 erstmals industriell hydraulische Kalke her. Er nannte sein Bindemittel, das durch Brennen aus den sogenannten Mergelnieren des Londoner Septarien-Tones hergestellt wurde, ,,Romancement". Als Geburtsjahr des Portlandzements gilt im Allgemeinen das Jahr 1824. In diesem Jahr meldete der englische Maurermeister Joseph Aspdin ein Patent zur Herstellung eines Zements an, der aus einer Schlamme aus Kalk und Ton bei hohen Temperaturen erbrannt wurde. Das Produkt, das nachfolgend zu einem feinen Pulver zermahlen wurde, bezeichnete er als Portlandzement, da es im abgebundenen Zustand dem graustichig-weifSen Farbton des auf der Insel Portland gewonnenen Kalksteins ~ihnelte. Dieses Bindemittel entsprach nach unserem heutigen Verstandnis immer noch einem hydraulischem Kalk und nicht einem Portlandzement. J. Aspdin brannte sein Gemisch unterhalb der Sintertemperatur. Den ersten Portlandzement nach heutiger Nomenklatur stellte sein Sohn William Aspdin im Jahre 1843 her, indem er bei deutlich h/Sheren Temperaturen brannte. In der Folgezeit entwickelte sich die englische Zementindustrie sprunghaft, die Zementqualit~it wurde zunehmend verbessert. Im Jahre 1853 wurde in Ztill-
9.3 Anorganische Bindemittel
307
chow bei Stettin durch H. Bleibtreu das erste deutsche Zementwerk errichtet. In den Folgejahren entwickelte sich die deutsche Zementindustrie stetig und erfolgreich, so dass die teuren englischen Importe immer mehr zurtickgedr~ingt werden konnten. 1862 entdeckte E. Langen die latent-hydraulischen Eigenschaften von glasig-erstarrter Hochofenschlacke (Htittensand). Die Anregung granulierter Hochofenschlacke durch Portlandzement geht auf G. Priissing zurtick. Er stellte 1882 den ersten Htittenzement mit einem Hiittensandanteil von 30% her. Zwischen 1914-1918 wurde in Frankreich der erste Tonerdezement hergestellt. In den nachfolgenden Jahren stellten sich die Zementproduzenten auf immer speziellere Anforderungen ein: Herstellung von Zementen mit hohem Sulfatwiderstand, Herstellung von frtihfesten Zementen und Zementen mit niedriger Hydratationswarme. Die gegenw~irtige Entwicklung auf diesem Sektor ist gekennzeichnet durch die Forderung nach h6heren (Frtih)-Festigkeiten (Einsatz von Silicastaub, Fasem) und ressourcenschonender Produktion. Ftir letztere Forderung gibt es zwei prinzipielle Wege: Zum einen werden M6glichkeiten untersucht, nattirliche Roh- und Brennstoffe (Kalk-Ton-Gesteine und Kohle) durch Sekund~irstoffe wie z.B. Altreifen bzw. KRirschl~imme zu substituieren. Ein zweiter interessanter Weg ist die Reduzierung des Klinkeranteils im Zement durch Zumahlstoffe oder geeignete Sekund~irrohstoffe. Auf diese Weise wiirde die CO2-Emission deutlich gemindert.
9.3.2
Baukalke
Baukalke sind Bindemittel, die als Hauptbestandteil die Oxide und Hydroxide des Calciums (CaO, Ca(OH)2) neben geringeren Anteilen an Oxiden und Hydroxiden des Magnesiums (MgO, Mg(OH)2), Silieiums (SiO2), Aluminiums (A1203) und Eisens (Fe203) enthalten. Die chemisch aktiven Bestandteile hinsichtlich der Carbonaterh~irtung sind CaO und MgO. Als Rohstoffe fiir die Herstellung von Baukalken kommen Kalkstein, Kalkstein-TonGesteine (Kalkmergel) und Dolomit zum Einsatz. Kalksteine sind grob- bis feinkristalline Gesteine, die durch chemische oder biogene Sedimentation entstanden sind. Sie bestehen vorwiegend aus Calciumcarbonat CaCO3, als Verunreinigungen treten tonige (vor allem A1203 und Fe203) oder quarzitische (SiO2) Beimengungen auf. Dolomit CaMg(CO3)2 fungiert als Begleitmineral. Calciumcarbonat tritt in drei kristallinen Modifikationen auf: als trigonal-rhomboedrisch kristallisierender Calcit (Kalkspat), als orthorhombisch kristallisierender Aragonit und als hexagonal kristallisierender Vaterit. Die best~indigste Form, die den Hauptteil des Kalksteins bildet, ist der Calcit. Vaterit stellt dagegen die instabilste CaCO3-Modifikation dar.
9.3.2.1
Luftkalke
Brennen. Durch Brennen von Kalkstein (vereinfacht als CaCO3 angenommen) bei Temperaturen tiber 900~ wird gebrannter Kalk CaO gewonnen (GI. 4-10). CaCO3(s) Kalkstein
=
CaO(s)
+ CO2(g)
AH = +178 kJ/mol
g e b r a n n t eKalk r
Die thermische Zersetzung des Kalksteins unter Freisetzung von Kohlendioxid (,,Kohlens~iure") wird auch als Entsduerung oder Calcinierung bezeichnet. Der Brennprozess muss
308
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
unterhalb 1200~ erfolgen, um ein Sintem des Brennprodukts zu vermeiden. Beim Brennprozess nach obiger Reaktion werden aus 100g CaCO3 etwa 56g CaO und 44g CO2 gewonnen. Der gebrannte Kalk (Branntkalk, Kalk) entsteht als ein hochpor6ses Material mit einem Porenvolumen von etwa 52 Vol.-% (Volumenkonstanz vorausgesetzt). Die im gebrannten Kalk entstandenen Poren sind von allergr6Bter Bedeutung ftir den sich anschlieBenden L6schvorgang. Wird der Kalkstein zu hoch erhitzt (,,iiberbrannt"), entsteht kristallines CaO. Der auf diese Weise erhaltene Sinterkalk reagiert infolge der Verdichtung der CaO-Kristalle und einer stark verringerten Porosit/it nur langsam mit Wasser. Damit wird der nachfolgende L6schprozess teilweise oder ganz unterbunden. Kalk ist die in der Praxis gebr/iuchliche Bezeichnung ~ r Calciumoxid CaO. Dass h/iufig auch Kalkstein und gelSschter Kalk als Kalk bezeichnet werden, ist zwar vom chemischen Standpunkt her falsch, ftihrt aber in der Praxis kaum zu Problemen. LSsehen. Um als Bindemittel wirken zu k6nnen, muss der Kalk gel6scht werden. Dabei reagiert CaO in einer stark exothermen Reaktion (G1. 9-11) mit Wasser zu Calciumhydroxid (gel/isehter Kalk, L6schkalk; nicht ganz korrekt: Kalkhydrat). CaO(s) gebrannter Kalk
+
H20(1)
~
Ca(OH)2(s)
zlH=-65,2kJ/mol
(9-11)
gel~schter Kalk
Die stark exotherme L6schreaktion fiihrt zu einer Erw/irmung des Stoffsystems. Zum Beispiel entwickelt 1 kg CaO beim L6schen eine W/irmemenge von 1162 kJ. Sie reicht aus, um 2,8 Liter Wasser von 0 ~ auf 100~ zu erw/irmen (Verspritzungsgefahr!). Die LOschreaktion verl/iuft umso intensiver, je reiner der Kalk ist. Erfolgt das LSschen im st6chiometrischen Verh/ilmis, wird also die laut GI. (9-11) erforderliche, einschlieBlich der verdampfenden Menge an Wasser zugegeben, f~illt der Lfschkalk als trockenes Pulver an (werkm/iBige Herstellung, TrockenlOschen). L6scht man Kalk mit einem m/iBigen Oberschuss an Wasser (NasslOschen), erh/ilt man den auf der Baustelle eingesetzten Kalkbrei. Durch Abl6schen von Kalk mit einem hohen Oberschuss an Wasser wird eine diinnfliassige Suspension von Ca(OH)2 in Wasser (Kalkmilch) erhalten. Der L6schvorgang des gebrannten Kalkes erfolgt umso schneller und vollstandiger, je reiner der Branntkalk (je hSher sein CaO-Gehalt!) und je frischer er ist, je weicher er gebrannt wurde und je hSher der Druck ist, unter dem gel6scht wurde. Beim LOschen dringt das Wasser in die Poren des Branntkalks ein und es findet eine Umsetzung im Inneren des Koms statt. Die harten Branntkalkstiicke quellen und ihr Volumen vergr6Bert sich fast bis auf das Doppelte. Der sttickige Branntkalk zerf~illt infolge der Volumenvergr6Berung (Dichte/inderung von 3,34 auf 2,24 g/cm 3) zu mikrokristallinen Ca(OH)2-Teilchen. Die TeilchengrSBe ist in erster Linie von der Art des L6schens abh/ingig. Sie liegt mit Werten von 0,01 bis > 10 ~tm im Grenzbereich zwischen grob- und kolloiddispersen L6sungen. Die geringe Teilchengr6Be ist die Ursache fiir das gute Sandeinbindeverm6gen des Kalkbreis und fiir sein thixotropes Verhalten. Der L6schvorgang muss vor der Verarbeitung des Kalks als Bindemittel abgeschlossen sein. Verm6rtelter Luftkalk (KalkmOrtel) ist demnach ein steifer, w/issriger Brei, der aus gelOschtem Kalk als M6rtelbildner und Sand als Magerungsmittel besteht.
9.3 Anorganische Bindemittel
309
Enth~ilt Kalkm6rtel zu harte oder iiberbrannte Kalkanteile, die unter dem Einfluss der Feuchtigkeit erst nach dem Aufbringen des M6rtels abl6schen, k6nnen infolge der Volumenzunahme Sprengwirkungen auftreten (Nachl6schen). Beim Mauerm6rtel kommt es zur Gefiigezerst6rung und damit zur Festigkeitsminderung, bei Putzm6rteln treten Risse, Blasen bzw. Absprengungen auf (Kalktreiben, Kap. 9.4.2.2). Wie CaO ist auch Ca(OH)2 in Wasser schwer 16slich, bei 20~ 16sen sich 1,26 g Ca(OH)2 in einem Liter Wasser. Technische Kalkhydrate sind aufgrund der in ihnen enthaltenen anorganischen und organischen Verbindungen zu etwa 5...10% besser 16slich als chemisch reines Ca(OH)2. Die stark basisch reagierende ges~ittigte L6sung besitzt einen pH-Wert von 12,5 (bei 20~ Wie fiir eine sich exotherm 16sende Verbindung zu erwarten (Kap. 6.3.1), nimmt die L6slichkeit des Calciumhydroxids mit zunehmender Temperatur ab. Erh~irten. Beim Aufbringen von Kalkm6rtel auf Mauersteine erfolgt relativ schnell eine erste Verfestigung und Versteifung des M6rtels, da die por6sen Steine einen Teil des M6rtelwassers ,,absaugen". Der chemische Erhdrtungsprozess besteht in der Bindung von Kohlendioxid aus der Luft. Diesen Rir alle Luftkalke charakteristischen Erh~irtungsvorgang bezeichnet man als Carbonatisierung (s. G1.4-11). Ca(OH)2(s) + CO2(g)
AH = 112 kJ/mol
CaCO3(s) + H20(1)
-
Die Carbonatisierung kann allerdings nur in Gegenwart von Wasser ablaufen, da es sich chemisch um eine Neutralisation der Base Ca(OH)2 mit der Kohlens~iure H2CO3 handelt (GI. 9-12). Zur Bildung von Kohlens~iure H2CO3 wird jedoch H20 ben6tigt. Die Kohlens~iure entsteht durch Reaktion des CO2 der Luft mit dem M6rtelwasser. Ca(OH)2 GelOschter Kalk
+
H20 MOrtelwasser
+
CO2 aus Luft
r_
CaCO3
+
Calciumcarbonat (erh~rteter Kalk)
2 H20
(9-12)
Frei werdende Baufeuchtigkeit
Durch den geringen CO2-Gehalt der Luft (ca. 0,04 Vol%) verl~iuft die Carbonatisierung sehr langsam. Man geht davon aus, dass sie nach etwa einem Jahr abgeschlossen ist. Bei grofSen Putzflachen im Freien muss man selbst bei warmem Wetter mit einigen Monaten Carbonatisierungsdauer rechnen. In tiefen Mauerfugen ben6tigt die Carbonatisierung einige Jahre bis Jahrzehnte und verl~iuft auch dann nicht vollst~indig. Bei der Erh~irtung der Luftkalke wird als Nebenprodukt Wasser freigesetzt (GI. 9-12). Es tritt als Baufeuehtigkeit in Neubauten in Erscheinung. In Abh~ingigkeit von der Carbonatbildung ist die Wasserabgabe je nach Wandst~irke und-beschaffenheit friihestens nach etwa einem Jahr abgeschlossen. Um m6glichst schnell eine vollst~indige CaCO3-Bildung zu erreichen, muss Kohlendioxid im Oberschuss angeboten werden. Dazu wurden friiher Koks6fen oder Propangasbrenner in Innenr~iumen eingesetzt (Achtung Verbrennungsgase!). Die erzeugte W~irme fiihrt gleichzeitig zu einer zus~itzlichen Verdunstung des gebildeten Wassers. Der Einsatz von Brennero und Ofen hat sich heute jedoch weitgehend ertibrigt, da in Innenraumen fast nur noch Gipsputze zum Einsatz kommen. Die zur Carbonatisierung ben6tigten Wassermengen diirfen dem M6rtel allerdings nicht zu schnell, z.B. durch zu starke W[irmeeinwirkung bzw. Sonneneinstrahlung, durch Vermau-
310
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
em trockener, stark saugfiihiger Steine oder durch Putzen auf trockenem Untergrund, entzogen werden. Geschieht das, kommt der Carbonatisierungprozess zum Erliegen, denn mit CO2 allein ist keine CaCO3-Bildung m6glich (G1. 9-12). Das wird unter anderem durch die Tatsache belegt, dass pulverf'6rmiger L6schkalk in Papiers~icken im Trockenen tiber langere Zeit lagerf~ihig ist. Saugende Steine und trockener Putzgrund miissen deshalb stets gut vorgen~isst werden. Die Carbonatisierung, die langsam und immer nur teilweise abl~iuft, ist nicht die einzige Ursache der Kalkerh~irtung. Kalkbrei ist eine feink/Smige, nahezu kolloiddisperse L/Ssung von Ca(OH)2-Partikeln, deren spezifische Oberfl~iche sich in der Gr6Benordnung von 10...30 m2/g bewegt. Durch die groBe Oberfl~iche sind die Teilchen in der Lage, Wasser adsorptiv zu binden. Es bilden sich Oberfl~ichenkr~ifte (Van-der-Waals-Kr[ifte) aus, die die Kalkteilchen untereinander zusammenhalten (,,verkleben"). Nachdem das Oberschusswasser durch die Mauersteine oder den Untergrund abgesaugt worden ist, bewirken die fiber das Adsorptionswasser wirksam werdenden Wechselwirkungskr~ifte eine erste Verfestigung (Gelbildung) des Kalkputzes. Eine durchaus treffende Analogie zu diesem Vorgang stellt der Sandburgenbau am Meeresstrand dar. Feuchten Sand kann man gut formen und ,,vermauern". Ist das als Bindemittel fungierende Wasser verdunstet, zerrieselt das Sandbauwerk. Gr6f3e und Adsorptionsverm/Sgen der kleinen Quarzkristalle des Sandes sind allerdings in keiner Weise mit denen der Ca(OH)2-Teilchen vergleichbar. Obwohl reine Luftkalkm6rtel infolge ihrer hohen Porosit~it nur eine geringe Festigkeit aufweisen, besitzen sie im Gegensatz zu Zementputzen den Vorteil, aufgrund ihrer Elastizit~it geringfiigige Bewegungen im Bauwerk ohne Rissbildung auszuhalten. Zur Gruppe der Luftkalke geh/Sren der WeirS- und der Dolomitkalk. Weiflkalk (CL, calcium lime) wird durch Brennen von mfglichst reinem Kalkstein erhalten. Handelstiblicher CaO-Gehalt: 94%, friiher auch: Speck- oder Fettkalk. Dolomitkalk (DL, dolomitic lime) wird durch Brennen von Dolomit CaMg(CO3)2 erhalten, MgO-Gehalt a 10%.
9.3.2.2
Hydraulische Kalke
Im Gegensatz zu den Luftkalken kSnnen hydraulische Kalke (HL, hydraulic lime) sowohl durch Reaktion mit Wasser an der Luft als auch unter Wasser erh~irten. Ursache fiir letztere Eigenschaft sind Klinkerphasen, wie sie auch im Zement vorkommen. Sie erstarren infolge von Hydratationsprozessen und gehen in schwer 16sliche Erh~irtungsprodukte hoher Festigkeit fiber. Der Begriff ,,hydraulisch" hat in der Bauchemie eine doppelte Bedeutung: Er steht zum einen ~ r wasserbindend und zum anderen f'tir wasserfest und wird damit in g~inzlich anderem Sinne verwendet als in der Physik. Durch Brennen tonhaltiger Kalksteine (Kalkmergel) bei Temperaturen unterhalb der Sintergrenze von ca. 1250~ wird die Kristallstruktur der Tone zerst/3rt. Es entstehen die sogenannten Hydraulefaktoren (A1203, SiO2 und Fe203). Sie reagieren oberhalb 900~ mit dem aus der Kalksteinkomponente gebildeten basischen CaO zu Verbindungen ahnlicher Struktur wie sie im Portlandzementklinker vorliegen: Tricalciumaluminat 3 CaO 9 A1203 (CaA), Dicalciumsilicat 2 CaO. SiO2 (C2S) und Tetracalciumaluminatferrit 4 CaO. A1203 9 Fe203 (C4AF).
9.3 Anorganische Bindemittel
311
Bereits in Kap. 1.1.2 wurde darauf verwiesen, dass in der Baustoff- und Zementchemie aus praktischen Griinden Kurzzeichen eingeftihrt wurden. Ftir CaO steht C, fiir SiO~ S, ftir A1203 A, fiir Fe203 F, ftir H20 H, ftir Ca(OH)2 CH, ~ r CaSO4 Cs und far MgO M. Um eventuelle Verwechslungen mit den Elementsymbolen des Kohlenstoffs, Schwefels, Wasserstoffs, Fluors und Caesiums auszuschlieBen, wird beim Gebrauch dieser Baustoffsymbolik generell ein anderer Schrifttyp verwendet. Die gebildeten Verbindungen C ~ , CaS und C4AF reagieren mit Wasser und erh~irten hydraulisch. Daneben enthalten hydraulische Kalke noch mindestens 3% freies CaO, das nicht an SiO2, A1203 bzw. Fe203 gebunden ist. Dieser Kalkanteil erh~irtet wie Luftkalk. Die Erhiirtung der hydraulischen Kalke beruht demnach zum einen auf der Carbonatisierung und zum anderen auf der Hydratation. Hydraulische Kalke erh~irten schneller als Luftkalke und erreichen h6here Festigkeiten. Kalke, die durch Brennen von mehr oder weniger tonhaltigen bzw. kiesels~iurehaltigen Kalksteinen mit nachfolgendem L6schen und gegebenenfalls Mahlen hergestellt werden, bezeichnet man als ,,Natiirliche hydraulische Kalke" NttL. Werden hydraulische Kalke und das ist heute tiberwiegend der Fall - durch werkm~iBiges Mischen von Luftkalk (z.B. CL 90) mit bis zu 20% latent hydraulischen (Htittensand), hydraulischen (Zement) oder puzzolanischen Stoffen (Trass, Flugasche) hergestellt, bezeichnet man sie mit HL. W~ihrend frtiher die hydraulischen Kalke nach ihrem Anteil an hydraulisch erh~irtenden Bestandteilen in Wasserkalk, Hydraulischen Kalk und Hochhydraulischen Kalk eingeteilt wurden, erfolgt heute die Klassifizierung nach ihrer Druckfestigkeit. Hydraulische Kalke stellen das Bindeglied zwischen Luftkalken und Zementen dar. Dementsprechend nimmt die Druckfestigkeit mit dem Anteil an hydraulischer Komponente zu. Man klassifiziert die hydraulischen Kalke wie folgt: I-IL 2 (Druckfestigkeit nach 7 Tagen nicht gefordert, nach 28 Tagen 2...7 N/mm2), I-IL 3,5 (Druckfestigkeit nach 7 Tagen nicht gefordert, nach 28 Tagen 3,5...10 N/mm 2) und H L 5 (Druckfestigkeit nach 7 Tagen > 2 N/mm 2, nach 28 Tagen 5... 15 N/mm2).
9.3.3
Zemente
Zemente bilden die mit Abstand gr6Bte Gruppe anorganischer Bindemittel. Die derzeit in Deutschland und vielen anderen europ~iischen L~indem gtiltige Norm EN 197-1 definiert Zement in folgender Weise: ,,Zement ist ein hydraulisches Bindemittel, das heiBt ein fein gemahlener anorganischer Stoff, der, mit Wasser gemischt, Zementleim ergibt, welcher durch Hydratation erstarrt und erh~irtet und nach dem Erh~irten auch unter Wasser fest und raumbest~indig bleibt." Nach EN 197-1 besteht Normzement aus Haupt- und 0 - 5% Nebenbestandteilen. Die m6glichen Hauptbestandteile sind Portlandzementklinker (K), Hiittensand (S), Puzzolane ---- Nattirliche Puzzolane (P), ---- nattirliche getemperte Puzzolane (Q); Flugasche ---kiesels~iurereiche Flugasche (V), ---- kalkreiche Flugasche (W); gebrannter Schiefer (T) und Silicastaub (D). Daneben enth~ilt Zement noch Nebenbestandteile, Calciumsulfat und Zus~itze.
312
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Nach DIN EN 197-1 unterscheidet man fiinf Hauptzementarten: CEM I Portlandzement, CEM II Portlandkompositzement, CEM III Hochofenzement, CEM IV Puzzolanzement und CEM V Kompositzement. Die Zusammensetzung der den Hauptzementarten zugeordneten 27 Normalzemente ist in Kap. 9.3.3.6 beschrieben. Die nachfolgenden Ausfiihrungen beziehen sich zun~ichst auf Portlandzement, die mit einem Anteil von tiber 75% bei Weitem wichtigste Zementart.
9.3.3.1
Rohstoffe und Herstellung yon Portlandzement
Die Rohstoffe ftir die Herstellung von Portlandzement CEM I (altes Kurzzeichen: PZ) sind in erster Linie Kalk und Ton oder ihre ,,nattirlichen Gemische" Kalkmergel bzw. Mergelkalk. Da entsprechende Mergel allerdings nur selten in der benStigten Zusammensetzung zur Verfiigung stehen, kommen meistens geeignete Mischungen aus Kalkstein und Ton (,,Rohmehle") zum Einsatz. In den Fallen, wo die chemische Zusammensetzung der eingesetzten Rohstoffe nicht den geforderten Bedingungen entspricht, werden dem Rohmehl Korrekturkomponenten zugesetzt. So erfolgt z.B. bei einem zu niedrigen SiO2-Gehalt ein Zusatz von Sand und bei einem zu niedrigen Fe203-Gehalt ein Zusatz von Kiesabbrand. Kiesabbr~inde (60...65% Fe) fallen beim Abr6sten von Pyrit FeS2 (Erzaufbereitung ftir den Hochofenprozess, Kap. 8.1.2) an. Brennen. Hinsichtlich der beim Brennprozess der Zementrohstoffe ablaufenden Vorg~inge gibt es einige Gemeinsamkeiten mit den hydraulischen Kalken. Da es sich um komplizierte FestkSrperreaktionen handelt, mtissen die Reaktionspartner zun~ichst in einen m6glichst intensiven Kontakt zueinander gebracht werden. Um dies zu erreichen, mahlt man die Rohstoffe im richtigen Mengenverh~iltnis so fein, bis etwa 90% der Teilchen einen geringeren Durchmesser als 90 lxm besitzen. Das Rohmehl gelangt nach einem Homogenisierungsschritt (Pressluft!) in 50... 100 m lange Drehrohr/Sfen. Durch die schrage Lagerung der Ofen und die langsame Drehung um die L~ingsachse wird das von oben eingef'tihrte Brenngut nach unten bewegt, wo sich die Flamme befindet. Das Rohmehl gelangt so in immer heiBere Zonen und es laufen temperaturabh~ingig folgende Reaktionen ab: Nach dem Trocknen des fein gemahlenen Brenngutes erfolgt zun~ichst die Dehydratation der Tonminerale, wobei die Hydraulefaktoren entstehen. Die Temperatur der Dehydratation h~ingt vonder chemischen Zusammensetzung der Tonminerale ab. Sie liegt in der Regel zwischen 500...800~ Oberhalb von 600~ (bis etwa 900~ erfolgt die Abspaltung von CO2 aus dem Kalkstein. Das entstehende CaO ist unter diesen Reaktionsbedingungen nicht stabil. Es setzt sich zwischen 800...1000~ mit den Hydraulefaktoren unter Bildung von Dicalciumsilicat, Calciumaluminaten und einer Reihe st6chiometrisch unterschiedlich aufgebauter Zwischenverbindungen (Aluminate, Aluminatferrite) um. Oberhalb von 1280~ entsteht eine Schmelze, in der diese Zwischenverbindungen wieder zerfallen. Bei der maximalen Temperatur im Drehrohrofen von ca. 1450~ (Sintertemperatur) liegen alle Bestandteile aufSer den Silicaten geschmolzen vor (Schmelzanteil 20...30%). Noch nicht umgesetztes CaO reagiert mit dem Dicalciumsilicat zum Tricalciumsilicat (GI. 9-13). 2 CaO. SiO2 + CaO C2S § C
-
3 CaO. SiO2 C3S
(9-13)
9.3 Anorganische Bindemittel
313
Das Tricalciumsilicat ist die fiir den Portlandzement charakteristische Verbindung. Sie ist fiir einige wichtige Eigenschaften verantwortlich, beziiglich derer das Bindemittel Zement den Kalken tiberlegen ist. Die Klinkerminerale werden im Ergebnis des Sinterprozesses als harte Massen, meist in Form walnussgroBer Stiicke erhalten (Portlandzementldinker). Die anschlieBende Feinmahlung bewirkt eine signifikante Vergr/SBerung der reaktiven Oberfl~iche. Erst jetzt liegt ein hydraulisches, rasch erstarrendes Bindemittel vor. Der Begriff Zementklinker wurde wegen der ,~hnlichkeit der Brennprodukte mit den aus Lehm gewonnenen und ebenfalls bis zur Sinterung gebrannten, dichten, sehr festen Ziegelsteinen (Klinkern) gew~ihlt. Nach dem Ofendurchgang wird der Klinker mit Kaltluft abgektihlt, wobei die mineralische Zusammensetzung des Klinkers im Wesentlichen erhalten bleibt. Aluminat- und Ferritphasen kristallisieren aus. Die Abkiihlung muss rasch erfolgen, da ansonsten Tricalciumsilicat unterhalb von 1250~ wieder in Dicalciumsilicat und CaO zerfiillt, wobei die hydraulische Modifikation des Ca$ erhalten wird (G1.9-13, Riickreaktion). Um einen normgerechten Zement herzustellen, muss das Rohmehl eine optimale chemische Zusammensetzung besitzen. Zu ihrer Berechnung werden Kennwerte oder Moduln verwendet, in die die durch chemische Analyse ermittelten Prozentgehalte fiir die einzelnen Oxide eingesetzt werden. Zur Berechnung des optimalen Kalkgehaltes dienen die sogenannten Kalkstandards (KSt) (G1. 9-14a: KSt/). Sie werden in Prozent angegeben. KSt I -
CaO 9 1 O0 (2,8"Si02) + (1,1. A1203 ) + (0,7. Fe203 )
(9-14a)
In die Formel (9-14a) werden die jeweiligen Massenanteile in Prozent eingesetzt. Der Kalkstandard technischer Klinker liegt zwischen 92... 102%, der hochwertiger Klinker iiber 97%. In einem PZ-Klinker mit einem KSt-Wert von 100% ist das gesamte CaO an die Hydraulefaktoren gebunden, d.h. es liegt der optimale CaO-Gehalt vor. Die Koeffizienten vor den Hydraulefaktoren leiten sich aus den St/Schiometrieverh~iltnissen der entstehenden Phasen ab. Beispielsweise binden 3 Mol CaO 1 Mol SiO2 (zu Tricalciumsilicat), das Massenverh~iltnis lautet demnach: 168,3g CaO/60,1g SiO2 = 2,8. Eine Optimierung der Koeffizienten unter zusatzlicher Beriicksichtigung des MgO, das bis zu 2% CaO ersetzen kann, geht z.B. auf Spohn, Woermann und Kn6fel zuriick (9-14b, [BC 1]). KSt 111 -
CaO + 0,75 MgO 9 100 (2,8. SiO 2) + (1,18. A1203 ) + (0,65. Fe203 )
(9-14b)
Zur Beurteilung der Zementeigenschaften wurden noch weitere Kennwerte eingeflihrt. Dabei handelt es sich meist um Verh~iltniszahlen zwischen einzelnen Bestandteilen (Moduln) des Zements. Ein wesentlicher Modul ist der l-lydraulemodul HM. Er erfasst das Massenverh~iltnis zwischen Kalk CaO und den Tonbestandteilen bzw. Hydraulefaktoren A1203, SiO2 und Fe2 03 (9-15). Ftir HM werden im Allgemeinen Werte zwischen 1,8 und 2,2 angestrebt. HM-
CaO SiO 2 + Al203 + Fe203
(9-15)
314
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
9.3.3.2 Portlandzementklinker: Zusammensetzung und Eigenschaften Portlandzementklinker besteht im Wesentlichen aus vier kristallinen Phasen: Alit, Belit, Calciumaluminat (Aluminatphase) und Calciumaluminatferrit (Ferritphase). Die Begriffe Alit und Belit sind 1897 von T6rnebohm eingefiihrt worden, als er die zun~ichst noch nicht bekannten Minerale des Zements nach den Anfangsbuchstaben des Alphabets benannte. Sp~iter stellte sich heraus, dass Alit weitgehend mit Tricalciumsilicat GaS und Belit mit Dicalciumsilicat C2S identisch war. Die Bezeichnungen Alit und Belit - aber auch Aluminat und Ferrit - werden weiterhin verwendet, um die Klinkerphasen von den reinen, st/Schiometrisch aufgebauten Phasen, die keine Fremdionen enthalten, zu unterscheiden. In Tab. 9.4 sind die vier Hauptklinkerphasen des Portlandzements aufgeffihrt. Als Hauptbestandteil ist Alit mal3gebend fiir die Zementeigenschaften verantwortlich. Der fein gemahlene Klinker (Teilchengr6f3e < 60 ~tm) reagiert auBerordentlich schnell mit Wasser. Wtirde er ffir M/Srtel oder Beton verwendet, w~iren die Verarbeitungszeiten bis zu seiner Verfestigung aufSerordentlich kurz. Durch werkseitiges Zumahlen von Gips-Anhydrit (Sulfattri~ger, Anteil: 3...5%) wird die Erstarrungszeit so verlangsamt, dass gtinstigere Verarbeitungszeiten erreicht werden. Die einzelnen Klinkerbestandteile weisen nicht nur eine verschiedene chemische Zusammensetzung auf, sie unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Erhartungsgeschwindigkeit, ihrer Empfindlichkeit gegentiber Sulfatangriff und hinsichtlich der bei ihrer Erh~irtung freigesetzten Hydratationsw~irme. Um die Zementhydratation als Gesamtprozess zu verstehen, ist eine genauere Kenntnis der Zusammensetzung und der Eigenschaften der Klinkerphasen unerl~isslich.
Tabelle 9.4 Portlandzementklinker: Zusammensetzung und Eigenschaften Klinkerphase
Oxidschreibweise
Alit (Tricalciumsilicat) Belit (Dicalciumsilicat) Aluminatphase (Tricalciumaluminat) Ferritphase (Calciumaluminatferrit)
3 CaO" SiO2
Baustoffsymbol
Farbe der reinen Phase
Anteil im Klinker (%) Bereieh Mittelwert
C3S
weil3
52...85
65
2 CaO- SiO2
C2S
weig
0,2...27
13
3 CaO. A1203
C3A
weig
7...16
11
4 CaO(AI203, Fe203)
C4AF
dunkelbraun, durch MgO-Einbau graugrfin
4...18
Alit. Alit ist mit durchschnittlich 65% der Hauptbestandteil im Portlandzementklinker. Er besteht im Wesentlichen aus Triealeiumsilicat CaS (Oxidschreibweise 3CaO 9 SiO2 = 73,7% CaO + 26,3% SiO2; p = 3,13 g/cm3; Formel: Ca3SiOs). GaS kann Fremdoxide wie MgO (0,3...2,1%), A1203 (0,4...1,8%) und Fe203 (0,2...1,9%) in sein Gitter einbauen. Von praktischer Bedeutung ist vor allem der Einbau von MgO (Kap. 9.4.2.2, Magnesiatreiben). Reines GaS ist zwischen 1250...2070~ stabil und schmilzt bei hSheren Temperaturen unter Bildung von kristallinem CaO. Beim Abkiihlen tritt unterhalb von 1250~ eine lang-
9.3 Anorganische Bindemittel
315
same Zersetzung unter Bildung von CaS und CaO ein, wobei die Zersetzungsgeschwindigkeit bei 1175~ am gr613ten ist. Im C3S-Gitter liegen Ca 2+-, SiO44-- und O2--Ionen vor. Wie bereits erw~ihnt, kSnnen durch Fremdioneneinbau die Ca 2+- durch Mg2+-Ionen und die Silicium- durch Aluminiumatome ersetzt werden. Alit kann in gewisser Weise als eine feste L6sung von CzS mit Fremdionen betrachtet werden. Im technischen Klinker liegt Alit vor allem monoklin kristallisiert vor. Durch die B ildung fester Ltisungen mit den verschiedenen Oxiden bzw. Spurenelementen, die sowohl durch die Rohstoffe als auch durch die Brennstoffe in den Klinker eingetragen werden, erfolgt eine Stabilisierung der Hochtemperaturform(en). Alite sind umso reaktiver, je h6her der Grad der Gitterst~rung ist. Als Hauptbestandteil des Portlandzements zeichnet sich Tricalciumsilicat durch eine sehr ] rasche Erh~rtung, eine hohe Hydratationswarme (ca. 500 J/g), eine hohe Anfangsfestigkeit und eine sehr hohe Endfestigkeit aus.
I
Belit. Hauptbestandteil der Klinkerphase Belit ist das Dicalciumsilicat C2S (2CaO 9 SiO2 = 65,1% CaO + 34,9% SiO2; Formel: Ca2SiO4). C2S kann vor allem Fremdoxide wie A1203 (0,5...3,0%), Fe203 (0,4...2,7%), K20 (0,1...1,9%) und Na20 (0,1...0,8%) in sein Gitter einbauen. Die Metalle bilden mit dem C2S feste L/Ssungen unterschiedlicher Konzentration. C2S schmilzt bei 2130~ Zwischen 1500~ und 20~ existieren sowohl stabile (t~, a" und ~,) als auch metastabile (13) Modifikationen. Von den Hochtemperaturumwandlungen ({~ ---, (t', t~" ---, 13) abgesehen, ist vor allem die unterhalb 400~ stattfindende Umwandlung der metastabilen 13-Form (p = 3,28 g/cm 3) in die bei Raumtemperatur stabile y-Form (p = 2,97 g/cm 3) von Interesse. Mit der Dichte~inderung ist eine 8%ige Volumenausdehnung verkniipft, die zum Zerrieseln des Klinkers und zum Zerfall des C2S ftihren kann. Die hydraulische Aktivit~it von y-C2S ist jedoch gering. Deshalb muss die metastabile 13-CaSForm stabilisiert und die Bildung von y-C2S verhindert werden. Dies kann beispielsweise durch Zugabe kleinerer Mengen an Alkalimetalloxiden bzw. -phosphaten geschehen. Da die tonigen Bestandteile des Rohmehls immer Alkalien enthalten, liegt im technischen Klinker Belit im Allgemeinen als 13-C2S vor. Die y-C2S-Bildung kann auch durch Schnellkiihlung und Reduzierung der Bedingungen fiJr die Bildung entsprechender Kristallisationskeime verhindert werden [AB 7]. Die Hydratation der kalk~irmeren Calciumsilicatphase erfolgt langsam, aber stetig. Die dabei frei werdende Hydratationsw~irme ist mit einem Wert von 250 J/g entsprechend niedrig. Die Anfangsfestigkeit ist gering, die Endfestigkeit entspricht der des Alits, d.h. sie ist sehr hoch. Die Aluminat- und Ferritphasen sind im Gegensatz zu Alit und Belit feink6mig. Deshalb werden sie h~iufig zur sogenannten Zwischen- oder Grundmasse des Zementklinkers zusammengefasst [BC 14]. Da sich beide bei der Abkiihlung des Klinkers aus der Schmelze bilden, werden sie h~iufig als Schmelzphase bezeichnet. In dieser Schmelzphase sind Alit und Belit eingebunden. Aluminatphase. Hauptbestandteil der Aluminatphase ist das Tricalciumaluminat CaA (3CaO 9 A1203 = 62,3% CaO + 37,7% A1203; p = 3,04 g/cm3). Reines CaA schmilzt bei 1542~ polymorphe Umwandlungen sind nicht bekannt. Es besteht aus Ringen verbriickter [A104]-Tetraeder der Formel [A16018]18-. Die Cyclohexaaluminat-Baugruppen werden
316
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
durch Calciumionen zusammengehalten, wobei sich das Ca2+-Ion in einer verzerrt oktaedrischen Umgebung von O-Atomen befindet. Als Summenformel ergibt sich Ca9AI6018. Der relativ kurze Ca-O-Abstand und die vorliegende Verzerrung der Oktaederumgebung erzeugen eine gewisse Spannung im Kristall. Sie ist, zusammen mit den groBen Hohlr~iumen im Gitter, die Ursache f'dr die schnelle Reaktion mit Wasser (s.u.). Auch die Aluminatphase enth/ilt Fremdionen. In das Tricalciumaluminatgitter k6nnen vor allem Fe203 (4,8...11,4%), MgO (0,4...2,2%), SiO2 (2,9... 7,1%), Na20 (0,3...4,6%) und K20 (0,1...3,1%) als Fremdoxide eingebaut werden. Im Falle der Alkalien (Ersatz von Ca 2+ gegen Na+/K+) kommt es zu Ver~inderungen der Gittersymmetrie. Dies ist von praktischer Bedeutung, da damit das Erstarrungsverhalten des Zements beeinflusst wird: CaA mit einem geringen Alkaligehalt besitzt eine h6here hydraulische Aktivit/it als undotiertes CaA. Die Aluminatphase kristallisiert beim Kiihlen der Klinkerschmelze unterhalb 1350~ aus. Im technischen Klinker liegt CaA vor allem kubisch und orthorhombisch, seltener monoklin kristallisiert vor. Wichtige Eigenschaften des Klinkers wie die Festigkeit des Zements und der Wasseranspruch werden direkt vom CaA-Gehalt des Klinkers beeinflusst. Mit steigendem CaA-Gehalt erh6hen sich FriJhfestigkeit und Wasseranspruch, die Sp/itfestigkeit nimmt ab. Bei Zementen mit hohem Sulfatwiderstand (Kap. 9.3.3.6) muss der CaAGehalt unter 3% liegen. CaA zeichnet sich durch schnelles Erstarren und eine relativ hohe Hydratationsw/irme (ca. 900 J/g) aus. Im Zement enthaltene Sulfattr/iger erh6hen den Wert der Hydratationsw~irme deutlich (1340 J/g). Die Endfestigkeit der Aluminatphase ist gering. Ferritphase. Die Ferritphase (auch: Aluminatferritphase) besitzt keine definierte st6chiometrische Zusammensetzung, sondern besteht aus Mischkristallen mit einem variablen Al203/Fe203-Verhaltnis. Welches A1203/Fe203-Verh/iltnis vorliegt, wird im Wesentlichen durch die Massenverh/iltnisse an A1203 und Fe203 im Rohmehl bestimmt. Ursache der Mischkristallbildung zwischen der Verbindung C2F und dem hypothetischen "C2A" sind /ihnliche Radien der A13+- und Fe3§ Dieser Situation tr/igt die verallgemeinerte Formel C2(A,F) Rechnung. Das Calciumaluminatferrit der technischen Klinker besitzt h/iufig die chemische Zusammensetzung C4AF (4CaO 9 A1203 9 Fe203, Tetracalciumaluminatferrit). Diese Zusammensetzung entspricht st6chiometrisch der Struktur des nattirlich vorkommenden Minerals Brownmillerit. In die Ferritphase bauen sich ebenfalls Fremdionen ein. Reines C4AF besitzt wie die meisten eisen(III)-haltigen Verbindungen eine braune Farbe. Durch die Einlagerung von MgO in das C4AF-Gitter (max. 1,5...2%) erh/ilt der Portlandzement seine charakteristische graue bis graugrtine F~irbung. Die Ferritphase ist weniger reaktiv als die Aluminatphase. Sie ist umso reaktionstr/iger je h6her der Gehalt an Fe203 ist. I C4AF erh~irtet langsam aber stetig, seine Hydratationsw~irme betr/igt etwa 420 J/g. Sowohl Anfangs- als auch Endfestigkeit sind gering, f'tir die hydraulische Erh/irtung hat die Ferritphase eine nur geringe Bedeutung. Berechnung des Phasengehaltes eines Kiinkers aus der chemischen Analyse. Vom Amerikaner Bogue wurden im Jahre 1929 Formeln entwickelt, die es erm6glichen, aus den
9.3 Anorganische Bindemittel
317
Daten der chemischen Analyse des Portlandzementklinkers seinen potentiellen Gehalt an Klinkerphasen zu berechnen [AB 1]"
C3S
= 4,071 CaO- 7,602 SiO2- 6,719 A1203- 1,430 Fe203
C2S
= 2,867 SiO2- 0,754
c~
= 2,650 A1203 - 1,692 Fe203
C35
C2(A,F) = 3,043 Fe203 Diese Formeln basieren auf folgenden Annahmen: a) gesamtes Fe203 setzt sich mit A1203 und CaO zu C2{A,F) um; b) verbleibender Rest an A1203 reagiert mit dem entsprechenden st6chiometrischen Anteil an CaO zu CaA; c) vorliegendes S iO2 reagiert mit dem entsprechenden st6chiometrischen Anteil an noch vorhandenem CaO zu C2S und d) der aus Reaktion c) verbleibende Rest an CaO reagiert mit C2S zu CaS. Ftir CaO ist in den Formeln der effektive CaO-Gehalt einzusetzen. Er berechnet sich durch Subtraktion des freien und des sulfatisch gebundenen Kalks vom Gesamtkalkgehalt gemaf5 der Beziehung CaO(eff) = CaO(ges) - CaO(frei) - 0,7 9 SO3. Der Faktor 0,7 beriicksichtigt das Molverh~ilmis CaO : SO3 im CaSO4.
Beispiel: Die chemische Analyse eines PZ-Klinkers ergab: 66,45% CaO, 21,52% SiO2, 6,95% A1203, 3,23% Fe203, 0,5% SO3 und 1,1% freier Kalk; der Rest entfdllt aufMgO, TiO2, K20 u.a. Es ist der potentielle Gehalt an Klinkerphasen zu berechnen! CaO(eff) = 66,45- 1,1- (0,7.0,5) = 65%
C3S C25
C3A
= 4,071 965 - 7,602" 21,52- 6,719" 6,95 - 1,43 " 3,23 = 49,7% =
2 , 8 6 7 . 2 1 , 5 2 - 0,754.49,7 = 24,2%
= 2,65 96,95 - 1,692- 3,23 = 13%
C2(A,F) = 3,043.3,23 = 9,8% Die Addition der prozentualen Anteile an den Klinkerphasen C3S, CzS, C3A und Cz(A,F) einerseits wie auch der Anteile an den berticksichtigten Oxiden CaO(eff), SiO2, A1203 und Fe203 andererseits liefern Obereinstimmung (96,7%). Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Bogue-Formeln keine exakten Werte, sondern lediglich Anhaltswerte liefern. Sie beriicksichtigen weder die in den Klinkermineralen enthaltenen Fremdoxide noch die Alkalien.
Weitere Klinkerphasen. Neben den vier Hauptklinkerphasen enth~ilt Portlandzementklinker in der Regel noch 1-2% freies CaO (Freikalk, freier Kalk). Ursache fiir den Anteil an Freikalk k6nnen eine unzureichende Aufbereitung des Rohmehls, ungeniigendes Brennen, d.h. das CaO wird von den Hydraulefaktoren nicht vollst[indig gebunden, oder ein zu hoher Kalkgehalt des Rohmehls sein. Freikalk kann zum sogenannten Kalktreiben Rihren (Kap. 9.4.2.2). Sind die Klinker magnesiumreich, kann auch freies MgO (Periklas) enthalten sein. Die Klinkerphasen k6nnen in fester L6sung maximal 2,5% MgO aufnehmen, der Rest liegt als Periklas vor. Da
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9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
nach DIN EN 197 der Gesamt-MgO-Gehalt 5% nicht tiberschreiten soil, darf ein normgerechter Zement maximal 2,5-3% Periklas enthalten. Wenn der MgO-Gehalt des Zementklinkers tiber 5% liegt, kann es zum Magnesiatreiben kommen (Kap. 9.4.2.2). AuBer CaO und MgO enth/ilt der Portlandzementklinker noch Alkalien, haupts/ichlich Sulfate (Na2SO4, K2SO4) und geringe Mengen an Schwermetallverbindungen.
9.3.3.3
Bestandteile yon Normzementen
Zemente enthalten nach DIN EN 197-1 unterschiedliche Haupt- und Nebenbestandteile. Nachfolgend sind die Hauptbestandteile angeflihrt und kurz charakterisiert.
9.3.3.3.1 Hauptbestandteile Portlandzementklinker (Kurzzeichen: K; Kap. 9.3.3.2) Hiittensand (S) Htittensand ist granulierte Hochofenschlacke. Sie entsteht als Nebenprodukt bei der Roheisenerzeugung im Hochofen (Kap. 8.1.2). Zur Herstellung eines als Zementzusatzstoff geeigneten Htittensandes muss die Schlackenschmelze rasch auf Temperaturen < 800~ abgektihlt werden. AnschlieBend erfolgt die Feinmahlung der glasig-amorphen Schlacke. Htittensand ist ein latent-hydraulischer Stoff, d.h. er besitzt an sich hydraulische Eigenschafien, die aber erst in Gegenwart einer zweiten Komponente, dem sogenannten Anreger, wirksam werden. Als Anreger kommen basische Stoffe wie Kalk oder Ca(OH)2-freisetzender Portlandzement in Betracht. Bei einigen hochbasischen Puzzolanen wird auch Calciumsulfat (Gips) verwendet. Die Anregersubstanzen bewirken in Gegenwart von Wasser eine hydraulische Erh~irtung. Hochofenschlacke ist eine Kalk-Tonerde-Silicatschlacke, deren Hauptbestandteile CaO, SiO2 und A1203 sind. Damit entspricht ihre Zusammensetzung in etwa der des Portlandzements, wenngleich der CaO-Gehalt der Schlacke niedriger ist. Die latent-hydraulischen Eigenschaften hiingen vor allem vom Kalkgehalt ab. Er muss tiber 40% liegen. Als Htittensand sind demnach nur basische Schlacken einsetzbar, bei denen der Gehalt an basischen Metalloxiden (CaO, MgO) den der silicatischen Bestandteile tiberwiegt. Das Massenverh~iltnis (CaO + MgO)/SiO2 muss gr6Ber als 1 sein. Basische Hochofenschlacke besitzt etwa folgende chemische Zusammensetzung (Oxidschreibweise): 40...50% CaO, 28...40% SiO2, 10... 15% A1203 und 1... 10% MgO. Die hydraulischen Eigenschaften eines Hiittensandes verbessern sich mit steigenden Gehalten an CaO, MgO und Al203. Die Forderung nach hoher Glasigkeit ist fiir eine Anwendung als latent-hydraulischer Zusatzstoff deshalb wichtig, da nur bei einer schnellen Abktihlung das Dicalciumsilicat C2S in der 13-Modifikation entsteht. Auf diesem metastabilen 13-C2S beruhen im Wesentlichen die hydraulischen Eigenschaften der Hochofenschlacke. Gibt man zu fein gemahlenem Htittensand entsprechender Zusammensetzung lediglich Wasser, erfolgt die Bildung der hydraulischen Erh/irtungsprodukte so langsam, dass sie fiir den Bausektor ohne Bedeutung ist. Erst die Gegenwart eines entsprechenden basischen Anregers beschleunigt die Umsetzung und das Gemisch erh~irtet zementartig. Die Gegenwart der Anregersubstanzen verhin-
9.3 Anorganische Bindemittel
319
dert die Ausbildung von Gelh~iutchen um die Hochofenschlacketeilchen. Dadurch kommt die Reaktion zwischen Hiittensand und Wasser nicht zum Erliegen. Hiittensande werden nach DIN EN 197-1 im Portlandhiittenzement (CEM II), im Hochofenzement (CEM III) und im Kompositzement (CEM V) eingesetzt.
Puzzolane (P, Q) Puzzolane sind natiirliche Stoffe mit kiesels~iurehaltiger oder alumosilicatischer Zusammensetzung oder eine Kombination von beiden. Obwohl sowohl Flugasche als auch Silicastaub puzzolanische Eigenschaften aufweisen, werden sie nach DIN 197-1 in gesonderten Abschnitten (s.u.) behandelt. Der Name Puzzolan geht auf eine in der Nahe des Ortes Puteoli am FuBe des Vesuvs bei Neapel (heute: Pozzuoli) gefundene tuffhaltige Erde zuriick (Puzzolanerde). Indem die R6mer diese Puzzolanerde gebranntem Kalk zusetzten, hatten sie einen hydraulischen Kalk in der Hand, der ihnen die Errichtung von Hafen- und anderen Wasserbauten erm6glichte. Puzzolane sind nicht hydraul&che Stoffe. Sic erh~irten nach dem Anmachen mit Wasser nicht selbstst~indig, sondern reagieren, fein gemahlen und in Gegenwart von Wasser, bei normaler Umgebungstemperatur mit gel6stem Ca(OH)2 unter Bildung von Calciumsilicatund Calciumaluminatverbindungen. Diese Verbindungen sind denen ahnlich, die bei der Erh~irtung hydraulischer Stoffe entstehen. Puzzolane bestehen haupts~ichlich aus amorphem reaktionsfiihigem Siliciumdioxid (SiO2, ,,reaktive Kiesels~iure"; Kap. 9.2.2) und aus Aluminiumoxid A1203. Der Rest entf'dllt auf Eisen(III)-Oxid Fe203 und andere Oxide. Der Anteil an reaktionsf'dhigem SiO2 muss mindestens 25% betragen. Die reaktive Kiesels~iure kann mit dem vom Kalk oder Zement stammenden Ca(OH)2 schwer 16sliche Calciumsilicathydrate und das reaktionsfiihige A1203 mit dem gel/Ssten Ca(OH)2 Calciumaluminathydrate bilden. Puzzolane mtissen sachgerecht aufgearbeitet sein, d.h. sic miissen je nach Gewinnungsbzw. Anlieferungszustand ausgew~ihlt, homogenisiert, getrocknet oder w~irmebehandelt und zerkleinert (gro6e spezifische Oberfl~iche!) sein.
Natiirliches Puzzolan (P) Nattirliche Puzzolane sind im Allgemeinen Stoffe vulkanischen Ursprungs oder Sedimentgestein entsprechender chemisch-mineralischer Zusammensetzung. Sie mtissen obiger Definition eines Puzzolans geniigen. Deutschland verfiigt fiber zwei natiirliche Puzzolanvorkommen mit Abbau: In der Eifel (Laacher See und Neuwieder Becken, ,,rheinischer Trass") und bei N~Srdlingen in Schwaben (Suevit-Trass). Trass ist ein fein gemahlener, saurer vulkanischer Tuff der allgemeinen Zusammensetzung 50...67% SiO2 und 14...20% A1203. Weitere Bestandteile sind Fe203 (2...5%), CaO, MgO (< 10%), Alkalien (3...8%) und Wasser (5...8%). Sein Glasgehalt (> 50%) ist wie bei den Hiittensanden FOr die ReaktionsFdhigkeit verantwortlich. Natiirliches getempertes Puzzolan (Q) Natiirlich getemperte Puzzolane sind thermisch aktivierte Stoffe vulkanischen Ursprungs, Tone, Schiefer oder Sedimentgesteine. Sie mtissen der obigen allgemeinen Definition eines Puzzolans entsprechen.
320
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Flugasche (V, W) Flugasche wird durch elektrostatische oder mechanische Abscheidung von staubartigen Partikeln aus Rauchgasen von Feuerungen erhalten, die mit rein gemahlener Kohle befeueft werden. Asche, die durch andere Verfahren entsteht, daft im Zement, der der EN 197-1 entspricht, nicht verwendet werden. Flugasche besteht aus glasigen kugelf6rmigen Partikeln des Durchmessers 0,5...100 ~m. Man unterteilt die Flugaschen in kieseMiurereiche und kalkreiche Aschen. Erstere weisen puzzolanische Eigenschaften auf, letztere k~nnen zus~itzlich hydraulische Eigenschaften besitzen.
KieseMiurereiche Flugasche (V) Kiesels~iurereiche Flugasche ist ein feinkOrniger Staub aus haupts/ichlich kugeligen Partikeln (Abb. 9.14) mit puzzolanischen Eigenschaften. Sic besteht tiberwiegend aus reaktionsf~ihigem SiO2 (mindestens 25%) und A1203, neben geringen Anteilen an Fe203 und anderen Verbindungen. Der Gehalt an reaktionsf~ihigem CaO muss unter 10% liegen, der Anteil an freiem CaO darf 1,0% nicht iibersteigen (Bestimmungsverfahren laut EN 451-1). Steinkohlenflugasche ist wie folgt chemisch zusammengesetzt: SiO2 45...55%, A1203 25...30%, Fe203~5...10%, Alkalien 3...6%, CaO 2...6,5%, MgO 2...3%, SO3 0,5...3% und Chlor 0,1%. i,;~ :i :: :iiiii!i!ili~::i~!ii;!iii!iiiiiiii~iii~:-:i i~ili~ii~iii~!iiiiiiiiiii~i!iiii?:iiiii':::iiii
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Abbildung 9.14 REM-Aufnahme von Steinkohlenflugasche, 1000fache Vergr06erung (Quelle: F.A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar)
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Kalkreiche Flugasche (W) Kalkreiche Flugasche ist ein feinkOrniger Staub mit hydraulischen und/oder puzzolanischen Eigenschaften. Sic besteht im Wesentlichen aus reaktionsf~ihigem CaO, reaktionsfiihigem SiO2 und A1203. Der Rest entfiillt auf FeaO3 und andere Verbindungen. Der Anteil an CaO daft 10% nicht unterschreiten. Kalkreiche Flugasche mit Anteilen an reaktionsfiihigem CaO zwischen 10...15%, muss mindestens 25% reaktionsf~ihige Kiesels~iure (SIO2) enthalten. Laut DIN EN 197-1 dtirfen drei Zementarten Flugasehe enthalten: Portlandkompositzement 0...28%, Portlandflugaschezement 10...28% und Puzzolanzement bis zu 40% Flugasche. Silicastaub (D) Silicastaub (silica fume), auch Mikrosilica oder Silica, entsteht als Nebenprodukt bei der Herstellung von Reinstsilicium und Si-Legierungen im elektrischen Lichtbogenofen im Rahmen der Abgasreinigung (Staubfilter). Er besteht aus sehr feinen, glasig-kugeligen Partikeln des Durchmessers 0,1 - 0 , 2 ~tm. Damit ist er etwa 50...100-mal feiner als durchschnittliche Zementpartikeln. Hauptbestandteil des Silicastaubes ist Siliciumdioxid SiO2 (Anteil > 85%), der Rest entf~illt auf A1203, Fe203, CaO, MgO, Na20, K20, SO3 und RuB.
9.3 Anorganische Bindemittel
321
Der sehr reaktionsfiihige SiO2-Staub wirkt als Puzzolan. Die puzzolanische Aktivit~it beruht auf der Bildung von zus~itzlich festigkeitsbildenden Calciumsilicathydraten durch Reaktion des Siliciumdioxids mit dem wahrend der Zementhydratation entstehenden Calciumhydroxid (Ca(OH)2 + SiO2 ---- Calciumsilicathydrat). Neben der puzzolanischen Reaktion bewirkt Silicastaub aufgrund seiner Feinheit eine wesentliche Verringerung des Porenvolumens (FiUler) sowie eine Ver~inderung der Mikrostruktur in der Kontaktzone Zementstein/Gesteinsk6rnung. Die Folge ist eine deutliche Verbesserung des Verbundes. Die ansonsten por/3se Zone im Obergangsbereich Zementstein/Gesteinsk/Srnung wird aufgrund der hohen Packungsdichte und der puzzolanischen Reaktion des Silicastaubes verfestigt (Einsatz in Hoehleistungsbetonen). Silicastaub wird pulverf6rmig, haufiger jedoch als Suspension (,,Slurry") eingesetzt. Die gewiinschte Festigkeitssteigerung wird ab einer Feststoff-Zugabemenge von ca. 5%, bezogen auf die Zementmasse, erreicht. Die maximale Zugabemenge soil 10% nicht tiberschreiten. Bei Suspensionen ist das Suspensionswasser beim w/z-Wert zu berticksichtigen.
Gebrannter Schiefer (T) Olschiefer ist ein bimmin6ses kalkhaltiges Gestein. Sein Bitumengehalt liegt zwischen 10...29%. Daneben sind etwa 40% Calciumcarbonat, 25...27% Tonminerale und 11...13% SiO2 enthalten. In Deutschland wird Olschiefer bei Balingen (Schw~ibische Alb) abgebaut. Gebrannter Schiefer, insbesondere gebrannter Olschiefer, wird in einem speziellen Ofen bei Temperaturen von ca. 800~ hergestellt. Aufgrund der Zusammensetzung des nattirlichen Ausgangsmaterials und der Spezifik des Herstellungsverfahrens enth~ilt gebrannter Schiefer Klinkerphasen, vor allem Dicalciumsilicat und Monocalciumaluminat, sowie neben geringen Mengen an freiem CaO und CaSO4 - auch gr6fSere Anteile an puzzolanisch reagierenden Oxiden, z.B. SiO2. Demzufolge besitzt gebrannter Schiefer in fein gemahlenem Zustand neben puzzolanischen Eigenschafien auch ausgepr~igte hydraulische Eigenschaften wie Portlandzement. Flugasche, Silicastaub, gebrannter Schiefer und Ziegelmehl werden h~iufig zur Gruppe der kiinstlichen Puzzolane zusammengefasst.
Kalkstein (L, LL) Kalkstein muss folgende Anforderungen erfiillen" - Der CaCO3-Gehalt, berechnet aus dem Gehalt an CaO, muss mindestens 75% betragen. - Der Tongehalt darf 1,20 g/100 g (Bestimmung nach dem Methylenblau-Verfahren, EN 933-9) nicht iibersteigen. - Der TOC-Wert (engl. Total Organic Carbon; Summenparameter for den organisch gebundenen Kohlenstoff), ermittelt nach Prtifverfahren prEN 13639, muss einem der beiden Kriterien entsprechen: LL organisch gebundener Kohlenstoff < 0,20% L organisch gebundener Kohlenstoff < 0,50%. Die oben beschriebenen anorganischen puzzolanischen Stoffe wie Flugaschen, Silicastaub, Trass, gebrannter Schiefer aber auch inerte Gesteinsmehle wie Kalkstein- oder Quarzmehl werden als Betonzusatzstoffe bezeichnet. Betonzusatzstoffe beeinflussen den Mehlkorngehalt, die Konsistenz und die Verarbeitbarkeit des Frischbetons, kSnnen aber auch die Festigkeit, die Dichtigkeit und die Best~indigkeit des erh~irteten Betons verbessern. Sie sind
322
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
als Volumenanteile zu beriicksichtigen, da sie dem Beton in deutlich h6heren Mengen zugegeben werden als die chemischen Zusatzmittel (Kap. 9.3.4).
9.3.3.3.2 Nebenbestandteile Nebenbestandteile des Zements sind besonders ausgewiihlte anorganische, nattirliche mineralische Stoffe oder anorganische mineralische Stoffe, die aus der Klinkerherstellung stammen oder Bestandteile wie unter 9.3.3.3.1 beschrieben, es sei denn, sie sind bereits als Hauptbestandteil im Zement enthalten (EN 197-1). Ihr Anteil soll nicht mehr als 5% der Gesamtsumme aller Haupt- und Nebenbestandteile betragen. Nebenbestandteile sollen aufgrund ihrer Komgr5Benverteilung wichtige physikalische Zementeigenschaften wie die Verarbeitbarkeit oder das Wasserrtickhalteverm/Sgen verbessern. Sie k6nnen schwach ausgepr~igte hydraulische, latent-hydraulische oder puzzolanische Eigenschaften besitzen oder inert sein. Nebenbestandteile dtirfen den Wasserbedarf des Zements nur unwesentlich erh/Shen, die Best~indigkeit des Betons oder M~Srtels in keiner Weise beeintr~ichtigen und den Korrosionsschutz der Bewehrung nicht herabsetzen.
9.3.3.3.3 Calciumsulfat Calciumsulfat wird den anderen Bestandteilen des Zements bei seiner Herstellung zur Regelung des Erstarrungsverhaltens zugegeben. Calciumsulfat (,, Sulfattrg~ger ") kann Gips (CaSO4 9 2 1-120; Dihydrat), Halbhydrat (CaSO4 9 89 H20) oder Anhydrit II (kristallwasserfreies CaSO4) oder eine Mischung davon sein. Gips und Anhydrit liegen als nattirliche Stoffe vor. Calciumsulfat ist auch als Nebenprodukt bestimmter industrieller Verfahren verfiigbar (Kap. 9.3.5).
9.3.3.3.4 (Zement) Zus~itze Zusatze im Sinne der EN 197-1 sind Bestandteile, die nicht unter 9.3.3.3.1 bis 9.3.3.3.3 erfasst sind und die dem Zement in geringen Mengen zugegeben werden, um die Herstellung oder die Eigenschaften des Zements zu verbessem. Hierzu geh6ren vor allem Mahlhilfsmittel und Pigmente. Die Gesamtmenge der Zus~itze darf 1%, bezogen auf die Zementmasse (Pigmente ausgenommen), nicht tiberschreiten. Die Menge an organischen Zus~itzen darf im Trockenzustand einen Anteil von 0,5%, bezogen auf die Zementmasse, nicht tiberschreiten. Wiederum gilt, dass die Zusatze die Eigenschaften des Zements oder des mit dem Zement hergestellten Betons oder M6rtels nicht beeintr~ichtigen und den korrosiven Angriff auf die Bewehrung nicht f'6rdern dtirfen.
9.3.3.4
Reaktion des Zements mit Wasser
9.3.3.4.1
Hydratation der Klinkerphasen
Die beim Brennen entstehenden Calciumsilicate sind energiereiche, bei normaler Temperatur nicht best~indige Verbindungen. Sie besitzen das Bestreben, sich unter Energieabgabe in kalkiirmere Verbindungen umzulagern. Die im Herstellungsprozess ,,eingefrorene" metastabile Form ist jedoch aufgrund der relativen Unbeweglichkeit der Molektile bzw. Ionen zu Umlagerungsreaktionen nicht in der Lage. Diese Reaktionen werden erst durch den Kontakt der Zementk5rner mit Wasser erm6glicht. Durch die bessere Beweglichkeit der Teilchen kommt es erst in wassriger LSsung zu Umlagerungen, in deren Resultat die sta-
9.3 Anorganische Bindemittel
323
bilen Hydratphasen entstehen. Der damit verbundene Stabilit~itsgewinn ist die thermodynamische Voraussetzung ~ r den Ablauf dieser Umlagerungs- und Hydratbildungsprozesse. Gleiches gilt ~ r die Reaktion der Aluminate und Ferrite mit Wasser. Der bei Zugabe von Wasser zum Zement entstehende fliissige Zementleim ist plastisch und thixotrop. Er bindet die Gesteinsk6rnung ein und fiillt die Hohlr~iume zwischen den K6rnem aus. Nach der Erh~irtung des Zementleims bildet sich der Zementstein, der die Gesteinsk6mung miteinander verkittet. Aus den Klinkerphasen sind wasserhaltige Verbindungen entstanden, die sogenannten Hydratphasen (Zementhydratation). Der Begriff ,,Hydratation" ist in diesem Zusammenhang deutlich weiter gefasst als bisher (s. Kap. 6.3.1: Hydratation als Anlagerung von H20). Da die verschiedenartigen Prozesse beim Mischen von Zement mit Wasser allesamt unter ,,Verbrauch" von 1-120 ablaufen, bezeichnet man sie in ihrer Gesamtheit als Hydratationsprozesse. Und zwar unabh~ingig von der Art und Weise wie das Wasser reagiert oder wie es gebunden wird. Bei der Zementhydratation laufen verschiedene Reaktionen nach- und nebeneinander ab: 9 9
9
Hydratations- und Hydrolysereaktionen L6sungs- und Kristallisationsvorg~inge, wobei aus ges[ittigten bzw. iibers[ittigten L6sungen gelartige oder kristalline wasserhaltige Verbindungen entstehen k6nnen (Hydratphasen) Grenzfl~ichenprozesse, die eine ,,Verbindung" der Bestandteile des Zementsteins bzw. Betons bewirken.
Die Komplexit~.t der ablaufenden Prozesse ergibt sich auch daraus, dass die Klinkerphasen nicht unabh~ngig voneinander reagieren, sondem sieh in ihrer Reaktionsf~ihigkeit gegenseitig beeinflussen k6nnen. Die entstehenden Hydratationsprodukte sind praktiseh wasserunlSslich, d.h. der gebildete Zementstein ist wasserbestandig. Die Reaktionen, die zur Bildung der Hydratphasen fiJhren, lassen sich nicht durch einfache st6chiometrische Gleichungen beschreiben, da vielfach Festk6rperprodukte unterschiedlicher Zusammensetzung entstehen bzw. die Umsetzungen tiber Zwischenstufen verlaufen.
Hydratation der Silicate, Bildung von Calciumsilicathydraten Ftir die Erh~irtung des Zements ist die Hydratation der silicatischen Phasen, also des Alits (Tricalciumsilicat G3S) und des Belits (Dicalciumsilicat C2S) von iiberragender Bedeutung. Ihr Anteil an der Festigkeitsentwicklung des Zementsteins betr~igt tiber 80%. Fiir den Verlauf der Hydratation ist dagegen das Zusammenspiel von Alit und Aluminat besonders wichtig. Belit reagiert deutlich langsamer- aber in chemisch analoger Weise wie Alit. Bei der Reaktion der Calciumsilicate mit Wasser entstehen Reaktionsprodukte unterschiedlicher St6chiometrie. Sie enthalten im Wesentlichen CaO, SiO2 und Wasser. Ihre spezifische Zusammensetzung h/ingt vor allem vom w/z-Wert ab. Fiir den Hydratationsprozess von CaS und C2S k6nnen deshalb nur allgemeine Umsetzungsgleichungen angegeben werden (9-16, 9-17). Ftir die unterschiedlichen Hydratationsprodukte der Calciumsilicate wird die allgemeine Bezeichnung C-S-H-Phasen (auch: CSH-Phasen) benutzt.
324
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Bei der Reaktion von Alit mit Wasser entstehen kalk~irmere Calciumsilicathydrate variabler Zusammensetzung unter Freisetzung von Calciumhydroxid (CH). Bei einem w/z-Wert von 0,45 entsteht z.B. CzSzHa entsprechend G1. (9-16). 2 (3 CaO. SiO2) 4- 6 H20
3 CaO. 2 SiO2" 3 H20 + 3 Ca(OH)2 C-S-H-Phase
(9-16a)
Portlandit
Kurzschreibweise: 2C3S + 6 H
03S2H3 + 3 CH
=
(9-16b)
Far die Hydratation der CaS-Phase kann man vereinfacht die Gin. (9-17) schreiben. 2 CzS + 5 H
"
C3SzH4 + CH
(9-17a)
2 CzS + 4 H
"
CaS2H3 + CH.
(9-17b)
Abbildung 9.15
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Einzelner Portlanditkristall zwischen C-S-H-Phasen; Pr~parat CaS (Quelle: F. A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar)
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Die Calciumsilicatk6mer beginnen sofort nach dem Kontakt mit Wasser Ca2+- und OH-Ionen freizusetzen (bzw. zu bilden), bei C3S schneller und bei C2S langsamer. Die Geschwindigkeit dieses Prozesses sinkt rasch ab, geht aber auch w~ihrend der Ruheperiode (s.u.) niemals gegen null. Werden in der wassrigen Phase die jeweiligen S~ittigungskonzentrationen (exakter: die L6slichkeitsprodukte) tiberschritten, beginnt die Kristallisation des Calciumhydroxids (mineralogische Bezeichnung: Portlandit, CH) und der Calciumsilicathydrate (C-S-H-Phasen). Die Reaktion des Tricalciumsilicats gewinnt wieder deutlich an Intensitat. Die Ruheperiode ist somit der Zeitraum, in dem eine ausreichende Anzahl von Ionen in L6sung gehen, um die Voraussetzung far die eigentliche Kristallbildung zu schaffen. W~ihrend sich die C-S-H-Kristalle an der Oberfl~iche der C3S-K6mer bilden, kristallisiert Portlandit aus der Lfsung in Form groBer tafelfOrmiger Kristalle (bis zu 0,2 mm!) aus (Abb. 9.15). Diese Kristalle besitzen eine definierte Zusammensetzung, ihr Festigkeitsbeitrag wird als niedrig eingeschatzt. Der geringe Anteil an gel6stem Portlandit (Ca(OH)2 zerf~illt in w~issriger L6sung in Ca 2+ + 2 OH-) fiihrt zu einer Erh6hung der Konzentration an Calcium- und Hydroxidionen im Anmachwasser. Infolge der Konzentrationserhfhung an OH--Ionen steigt der pH-Wert augenblicklich an. Eine gesattigte Ca(OH)2-LSsung besitzt einen pH-Wert von 12,5. Durch die zusatzliche Wirkung der im Zement enthaltenen
9.3 Anorganische Bindemittel
325
Alkalien liegt der pH-Wert meist sogar noch etwas h6her (pH > 13). Dieser stark alkalische pH-Wert ist verantwortlich ftir die Rostsicherheit des Bewehrungsstahls im Beton. DariJber hinaus bildet er, gemeinsam mit dem vorliegenden Ca(OH)2, eine wichtige Voraussetzung ftir die Reaktion von latent-hydraulischen Stoffen und Puzzolanen. Wie im vorigen Kapitel bereits beschrieben, l~iuft die Zementhydratation als Summe exothermer Prozesse ab. Die w/ihrend der Hydratation frei werdende W/irmemenge (I-Iydratationswlirme) ist ein Charakteristikum f'tir das jeweilige Stadium des ablaufenden Prozesses. Sie wird haufig herangezogen, um den Gesamt-Hydratationsprozess in einzelne Abschnitte zu unterteilen: die Induktionsperiode, die dormante oder Ruheperiode, die Accelerations- oder Beschleunigungsperiode, die Retardations- oder Verz6gerungsperiode und die Finalperiode (Tab. 9.5). Jede dieser Perioden ist durch unterschiedliche Reaktionen gekennzeichnet. In Abb. 9.16 ist der zeitliche Verlauf der W~irmeentwicklung der C3S-Phase dargestellt. Nach einer kurzen intensiven Reaktionsphase in den ersten Minuten nach dem Anmachen mit Wasser tritt eine Ruheperiode ein (9.16a). Es finden nur noch sehr gering~gige Reaktionsums~itze staR. Nach einigen Stunden ist die Ruheperiode abgeschlossen, nun beginnt die Hauptperiode der Zementhydratation (Accelerations- und Retardationsperiode). Nach dem Abklingen der Hauptperiode werden nur noch geringe W/irmemengen freigesetzt (9.16b). Die Untergliederung der C3S-Reaktionen in Perioden 1/isst sich auf die Hydratation des Portlandzements iibertragen. ~,
100
18
& 80
1))
Fr0hphase
14-
Hauptperiode
g
60
10-
~
4o
8
-
~
2o
4
-
,
o
0
|
o I
o
0,5
Zeit [h]
,
,
,
;o Zeit [h]
Abbildung 9.16 Zeitlicher Verlauf der W~rmeentwicklung der C3S-Phase [AB 9]
Die bei der Hydratation prim/ir anfallenden Calciumsilicathydrate sind nanokristallin bzw. r6ntgenamorph. Sie sind einer direkten rSntgenographischen Beobachtung nicht zug/inglich. FiJr die C-S-H-Phasen 1/isst sich die allgemeine Formel x CaO 9 SiO2 "y 1-120 angeben. Richartz und Locher beschrieben 1965 die Ausbildung zweier verschiedener Typen von CS-H-Phasen [AB 2]. In den C-S-H(IJ-Phasen soil das Verh/ilmis zwischen CaO und SiO2 (ClS-Verh~iltnis) zwischen 0,8 und 1,5 und in den C-S-H(ll)-Phasen zwischen 1,0...2,0 liegen. Mit der Erh6hung des ClS-Verh~iltnisses erniedrigt sich die Kristallinit/it der Phasen. Die C-S-H{IJ-Phasen werden als bl~ittchenf'6rmig bzw. in folienf6rmigen T~ifelchen kristallisierend beschrieben. Die Verbindungen des Typs C-S-H{II} sind dagegen faserf'6r-
326
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
mig aufgebaut. Die Fasern bestehen aus Folien, die zu dtinnen, r6hrchenartigen Strukturen mit eingelagerten CH-Schichten zusammengerollt sind. Sie bilden Faserbiindel. Wie bereits festgestellt, sind die Hydratationsprodukte der Calciumsilicate keine einheitlichen chemischen Verbindungen, sondern submikrokristalline Phasen, deren Zusammensetzung innerhalb bestimmter Grenzen schwankt. Taylor (1992) bezeichnet die C-S-H-Phasen als ,,tobermoritahnlich" [AB 6]. Tobermorit, benannt nach der schottischen Landschaft Tobermory, besteht aus CaO-Teilschichten, die zwischen anionischen silicatischen Schichten angeordnet sind. Je nach der Menge an gebundenem Wasser betr~igt der Schichtabstand 1,4 nm, 1,1 nm oder 0,9 nm. Als weitere Vergleichsstruktur wird von ihm das Mineral Jennit herangezogen. Jennit besitzt ein h6heres CIS-Verhalmis als Tobermorit, die Schichten aus SiO4-Tetraedem sind durch (Ca-OH)-Endgruppen voneinander getrennt.
Tabelle 9.5 Reaktionsfolge bei der Hydratation yon C3S [BC 14] Periode
Sta- Bezeichnung dium der Periode
Frtih
I
II Mittel
III
IV
Sp~t
V
Kinetik der Reaktion
Chemischer Prozess
Induktionsperiode
Einfluss auf den Zementleim bzw. -stein
Chemisch kontrolliert, Beginn der Hydratasehr schnell tion, InlOsunggehen yon Ionen Dormante Durch Keimbildung InlSsunggehen von Periode gesteuert, langsam Ionen setzt sich fort Accelerati- Chemisch kontrolliert, Bildungsbeginn und onsperiode schnell Wachsama von permanenten Hydratationsprodukten Retardations- Chemisch und durch Weiteres Wachstum periode Diffusion kontrolliert, von Hydratationsprolangsam dukten, Ausbildung von Mikrostnakturen. Finalperiode Durch Diffusion kon- Langsame Bildung trolliert, langsam von C-S-H-Phasen, allm~liche Verdichtung der Mikrostrukturen.
Einstellung des basischen pHWertes Ansteifen, Erstarrungsbeginn Erstarrungsende und Erh~irttmgsbeginn Bestimmt die Frtihfestigkeit
Bestimmt die Endfestigkeit
1,4 nm Tobermorit (CsSeHg) und Jennit (CgS6Hll) k6nnen als ,,Grenzen" fiir die im Zementstein vorkommenden C-S-H-Phasen angesehen werden. Innerhalb dieser strukturellen Grenzen sind eine Reihe von Calciumsilicaten bekannt und mineralogisch exakt charakterisiert. Zu ihnen z~ihlen: Hillebrandit Gyrolit Afwillit Foshagit
2 2 3 4
CaO. CaO. CaO. CaO.
SiO2-1-120 3 SiO2" 2 1-120 2 S iO2" 3 H20 3 SiO2" 1-120
Xonotlit
6 CaO. 6 SiO2- H20
CzSH C2S3H2
CaS2Hs C4S3H
CeSeH
9.3 Anorganische Bindemittel
327
Ob diese Phasen (oder evtl. noch ganz andere!) im Zementstein auftreten, ist mit den gegenw/~rtigen Untersuchungsmethoden nicht aufkl/~rbar. Auf alle F/ille h~ingt die StSchiometrie der gebildeten C-S-H-Phasen von einer Reihe unterschiedlicher EinflussgrSBen ab. Die wichtigsten sind die Temperatur, der w/z-Wert, die Mahlfeinheit des Zements, die Kornverteilung und natiirlich die Zusammensetzung des Zements. Zum Beispiel beeinflussen gr6fSere Mengen an Puzzolan bzw. Silicastaub signifikant das ClS-Verh/iltnis und damit die St6chiometrie der C-S-H-Phasen. Seit Mitte der 90er Jahre fiihren Stark und Mitarb. [AB 7-9] systematische Untersuchungen zur Hydratation der Klinkerphasen durch, wobei einige grundlegende neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Sic sollen im Folgenden stichpunktartig dargestellt werden: 9 Anfangsstadium der Hydratation: Um das Alit-Kom bildet sich eine Reaktionsschicht, Dicke der umhtillenden Schicht: 20...30 nm. Diese Schicht wirkt als Membran. Sie behindert den Stofftransport zwischen fester und fliissiger Phase, was zu einer Emiedrigung der Reaktionsgeschwindigkeit fiihrt (Ruhephase). 9 Nach 2 bis 3 Stunden (Acceleration): An der Oberfl/iche der Klinkerphase bilden sich erste, vereinzelte, kristalline C-S-H-Phasen, gleichzeitig werden LOcher und Kavitaten auf der Oberflache beobachtet. 9 Die C-S-H-Phasen wachsen im Laufe der Hydratation zu spitznadeligen Kristallen mit einer L/inge bis zu 1 - 2 lxm und einem Durchmesser von maximal 50 nm (Abb. 9.17a). Die Nadeln sind strukturiert. Die kleineren Struktureinheiten weisen Querschnitte von wenigen Nanometern auf. Die geringen Abmessungen der einzelnen C-S-H-Phasen sind fiir die auBerordentlich groBe Oberfl/iche des Zementsteins (50 - 200 m2/g) verantwortlich. Abbildung 9.17a Bildung von spitznadeligen C-S-HPhasen bei der Hydratation yon C3S. Die Fasern wachsen nach 600 Tagen Hydratationszeit bis auf eine L~nge yon 1,5 lxm. (Quelle: F. A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar)
9 Durch die Alithydratation bildet sich eine dichte Hiille aus nadelf6rmigen C-S-H-Phasen um das Klinkerkorn. In der Regel wachsen die C-S-H-Phasen nur in Richtung des Porenraumes. Dies bewirkt ~nach einigen Stunden ein Verwachsen der einzelnen ,,Hydratationss/iume" (Abb. 9.17b), wobei eine stabile Matrix entsteht. Die Faserspitzen verzahnen sich allm/ihlich ineinander ,,reiBverschlussartig". Das erkl~irt den hohen Beitrag der silicatischen Hydratphasen zur Festigkeitsentwicklung des Zementsteins.
328
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
9 Innerhalb der C-S-H-Phasen des Hydratationssaumes befinden sich einzelne Ettringitkristalle, die m0glicherweise Reaktionsprodukte des als Fremdoxid im Alit enthaltenen Aluminiums mit Sulfat sind. 9 Der Hydratationssaum bildet sich nicht nur um den Alitbereich der Klinkerk0mer aus. Es Werden auch langsamer reagierende Bereiche wie Belit und Ferrit davon iiberdeckt. 9 Nach mehreren Monaten kann ein dichter Bewuchs von verfilzten C-S-H-Nadeln auf der Komoberfl[iche als Endpunkt der Hydratation angesehen werden.
Zusammenfassung: Die bei der Zementhydratation entstehenden C-S-H-Phasen besitzen eine variable Zusammensetzung. Far das Ca 9 Si-(Atom)Verhaltnis werden Werte zwischen 1,6 und 1,9 angegeben, damit bewegt sich die St0chiometrie eher in Richtung des Minerals Tobermorit. Der Wassergehalt der C-S-H-Phasen liegt zwischen 20...40% [AB 9]. Eine r011chen- bzw. blattchenf'6rmige Gestalt der C-S-H-Phasen, wie sie zun~ichst von Richartz und Locher publiziert wurde lAB 2], konnte in neueren Untersuchungen nicht nachgewiesen werden. Eine exakte analytische Aufkl~imng des chemisch-mineralogischen Aufbaus der Kristallstruktur der C-S-H-Phasen ist gegenw~irtig noch nicht m0glich. Mittels Si-NMR-Untersuchungen [AB 13] konnte nachgewiesen werden, dass die isolierten SiO4-Tetraeder, die zu Beginn der Hydratation vorliegen, allm~ihlich kondensieren und sich teilweise zu Einfachketten verkntipfen. Diese unvollst~indige Verkntipfung, kombiniert mit der Einlagerung von Fremdionen in die C-S-H-Phasen und dem Auftreten von Fehlordnungen, kann als Ursache angesehen werden, dass die C-S-H-Phasen nur sehr kleine Bereiche mit einem hohen Ordnungsgrad aufweisen, wie er fiir die Identifizierung mittels R0ntgenbeugung notwendig ware. ,,
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Abbildung 9.17b
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Gef0geverdichtung durch das gerichtete Wachstum yon S~umen aus C-S-H-Phasen um die reagierenden Partikeln.
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(Quelle: F. A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar) !
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C 3 S ( 1 5 0 d. R T )
In morphologischer Hinsicht sind die aus ~-C2S gebildeten C-S-H-Phasen mit denen der C3S-Hydratation (s.o.) identisch.
Hydratation der Aluminat- und Aluminatferrithydrate. Die Umwandlung des G ~ und C2(A,F) in die entsprechenden Hydratphasen ist ein wesentlich komplexerer Prozess als die Hydratation der Silicate. Die Calciumaluminathydrate bilden sich am schnellsten, sie sind fiir das Erstarren des Zements verantwortlich.
9.3 Anorganische Bindemittel
329
Reaktionen des Aluminats C : ~
Sind keine Sulfattrgiger als Erstarrungs- oder Abbinderegler vorhanden, reagiert C3A so rasch mit Wasser, dass ein frisch angemachter Zementm6rtel bereits nach Minuten erstam und nicht mehr verarbeitbar ist (,,LOffelbinder"). Es bilden sich diinntafelige Calciumaluminathydrate (Abb. 9.18), wobei eine erhebliche W~irmemenge (ca. 900 J/g) freigesetzt wird. In G1. 9-18a ist die Bildung von CaAHs und C,~H~ formuliert. 2 (3CaO 9A1203) + 211-120 2 C~., + 21 H
4CaO. A1203 9 13H20 + 2CaO. A1203 9 8H20
(9-18a)
-~ C,v~.H~z+ C~,AHs
Die entstehenden Kristalle der sulfatfreien Hydratphase verkntipfen die einzelnen Zementpartikel. Sie iiberbrticken den wassergeftillten Porenraum durch Ausbildung eines kartenhausahnlichen Geffiges und verursachen so nach Wasserzugabe eine erste Verfestigung. Die instabilen Calciumaluminathydrate C~a,H~ und C2AH~ wandeln sich anschliefSend in stabiles CaAH6 (Katoit) um (G1. 9-18b). C4AH13 + C2AH8 ii~:!~:~::i::iii::~:i::!::i::::~di::::;::ili~.i: i~::::i: ~ ~
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Hydratation von C3A ohne Sulfatzusatz: auf ein C3A-Korn aufgewachsene d0nntafelige Calciumaluminatkristalle
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(Quelle: F. A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar)
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Abbildung 9.18
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(9-18b)
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~ 2 (CzAHs) + 9 H
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Anwesenheit von Sulfattrgigern. Um das spontan einsetzende Erstarren des Aluminats zu verhindem, werden dem Zement Calciumsulfate CaSO4 9x H20 (CsHx) als Erstarrungsoder Abbinderegler zugesetzt. Zum Einsatz kommen in der Regel das Di- oder das Halbhydrat bzw. ein Gemisch beider. Ist der Gehalt an CaSO4 9x H20 hoch, verzSgert dies das Erstarren bzw. Abbinden st~irker als ein geringer Gehalt. Je nach der CsHx-Konzentration laufen unterschiedliche Reaktionen ab, die zu verschiedenen Calciumaluminatsulfaten als Hydratationsprodukte fiihren. Steht ein hoher CaSO4-Gehalt zu Verfiigung, reagiert das CaA mit Wasser und CaSO4 zu
Ettringit (G1. 9-19a). Die Bezeichnung Ettringit wurde aufgrund der strukturellen Analogie des Tricalciumaluminattrisulfathydrates mit dem bei Ettringen/Eifel gefundenen Mineral Ca6A12[(OH)4/SO413 9 26 1-120 gew~ihlt. Ettringit bildet st~ibchenf'6rmige Kristalle (Abb. 9.19). Bei ausreichendem Sulfatangebot ist es sehr stabil und andert seine Kristallform kaum. Da pro Mol Ettringit drei Mole CaSO4 gebunden werden, bezeichnet man Ettringit auch als ,,Trisulfat" (in der englischsprachigen Literatur: ,,AFt-Phase").
330
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
3 CaO- A1203 -t- 3 (CaSO4 92 H20) + 26 H20 3 CaO-A1203 93 CaSO4 9 32 H20
(9-19a)
Tfisulfat (Ettfingit), AFt
C3A + 3 CsHz + 26 H
>- 03A(Cs)3H32
(9-19b)
Ist der Sulfatgehalt in der Mischung niedrig, reagiert das Aluminat mit Sulfat zum Monosulfat CaA(Cs)H12 als sulfat~irmere Phase (G1. 9-20). Zur Bildung von Monosulfat (,,AFm-Phase") kann es auch bei lokalem Mangel an Sulfattr~iger kommen. C3A +
CsHz + 10 H
= C3A(Cs)H12
(9-20)
Monosulfat, AFm
Die Monosulfatkristalle (AFm) sind im Unterschied zum Trisulfat bl~ittchenf6rmig ausgebildet. Beim Anmachen eines ,,normalen" Portlandzements ist der Sulfatgehalt der L6sung zu Beginn relativ hoch. Es bildet sich zun~ichst Trisulfat (G1. 9-19). Die zur Erstarrungsregelung des angemachten Zements ben6tigten Sulfatmengen verbrauchen sich in den ersten Stunden des Erh~irtungsprozesses. Damit ist die prim~ire Ettringitbildung abgeschlossen. In der Regel steht noch ursprtingliches C ~ ftir die weitere Hydratation zur Verfdgung. Da die Aluminatphase eine groBe Neigung zur Bildung sulfathaltiger Hydrate besitzt, reagiert das C3A mit Trisulfat und Wasser gem~ig G1. 9-21. Unter Zerfall des urspriinglich gebildeten Trisulfats entsteht Monosulfat. Trisulfat ist unterhalb einer Sulfationenkonzentration von 2,35 mg SO42-/Liter nicht mehr stabil. Wird diese Konzentration im Porenwasser unterschritten, wandelt es sich in Monosulfat um. 03A(Cs)3H32 + 2 C3A + 4 H
> 3 C3A(Cs)H~z
(9-21)
Ist die Gipsmenge zu reichlich bemessen, kann es im bereits erharteten Zementstein zur Trisulfatbildung kommen. Da das Trisulfat ein im Vergleich zum CzA deutlich gr6f3eres Volumen aufweist, sind Sprengwirkungen im Geftige die Folge (Abb. 9.35). Diese Schadigung kann vor allem durch den spateren Kontakt des Zementsteins mit sulfathaltigen W~issere (Abw~isser, Grundwasser) eintreten (Kap. 9.4.2.2, Sulfattreiben). Abbildung 9.19 Lokale Anreicherung der st~bchenf0rmigen Ettringitkristalle auf der Oberfl~che der Aluminatphase. Links C-S-H-Phasen. (Quelle: F. A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar
Sollte nach der Umwandlung des Trisulfats in Monosulfat immer noch nicht umgesetztes C ~ vorhanden sein, bildet sich sulfatfreies Co~Hlz (GI. 9-22a), das spater in stabiles CzAH6(9-22b) tibergehen kann.
9.3 Anorganische Bindemittel
331
3 CaO. A1203 + Ca(OH)~ + 12 H20
~- 4 CaO. A1203 9 13 H20
C3A + CH + 12 H
4 CaO. A1203 9 13 H20
~
C4AH13
= 3 CaO. A1203 96 H20 + Ca(OH)2 + 6 H20
C4AH13
--
(9-22a)
(9-22b)
C~AH6 + CH + 6H
Um zu erreichen, dass die Aluminatphase m6glichst vollstandig in Ettringit umgewandelt wird, mtissen Menge und L6slichkeit der zugeftihrten Sulfattr~iger ~iufSerst genau auf die Reaktionsfdhigkeit des CaA abgestimmt sein. Das gelingt in der Praxis nur selten. Deshalb k6nnen je nach dem Verh~iltnis CzA/CsHa unterschiedliche Hydratationsprodukte erwartet werden (Tab. 9.6). Tabelle 9.6 Hydratationsprodukte for verschiedene C3MCsH=-Verh~ltnisse [AB 7]
C~JCsHz >3 3,0 1,0...3,0 1,0 < 1,0 0
Hauptprodukte der Hydratation
Ettringit und freier Gips Ettringit Ettringit und Monosulfat Monosulfat Monosulfat und C4AHlz, C2AH8 bzw. C3A (Cs,CH)H12 C3AHe
Hydratation der Aluminatferritphase C2(A,F)
Die Hydratation der Aluminatferritphase geh6rt bis heute zu den am wenigsten aufgekl~irten und verstandenen Prozessen. Prinzipiell bilden sich ~ihnliche Produkte wie bei der Hydratation von CaA, wobei Aluminium teilweise durch Eisen ersetzt ist. In welcher Form das Eisen in die Hydratationsprodukte eingebaut wird, ist bis heute unklar. Tetracalciumaluminatferrit Coa, F - als typischer Vertreter der Aluminatferrite - setzt sich zwar langsamer mit Wasser um als CaA, die Reaktion muss aber ebenfalls mit einem Sulfattrager verz6gert werden. Gleichung (9-23a) beschreibt die Hydratation von C ~ F bei Abwesenheit eines Sulfattr~igers. (A,F)Hz steht ftir das Gemisch Eisenhydroxid Fe(OH)3 und Aluminiumhydroxid AI(OH)3. Die instabilen Reaktionsprodukte zerfallen anschlieBend gem~il3G1. (9-23b) in C3(A,F)H6. 2 C~AF + 32 H
= C4(A,F)Hlz + 2 C=(A,F)H8 + (A,F)Hz
C4(A,F)Hlz + Cz(A,F)Hs
= 2 C3(A,F)H6 + 9 H
(9-23a) (9-23b)
In Gegenwart eines Sulfattragers werden ebenfalls Trisulfate Cz(A,F)(Cs)zHz2 (Aluminatferrit-Trisulfat, AFt; ,, Eisenettringit ") gebildet (GI. 9-24a), die sich sp~iter in Monosulfate der allgemeinen Formel Cz(A,F) Cs HlZ umwandeln k6nnen (G1.9-24b). 3C4AF + 12CsHz + l l 0 H
" 4 Cz(A,F)(Cs)3H32 + 2 (A,F)Hz Eisenettnngit, AFt
(9-24a)
332
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
3 C4AF + 4 C3 (A,F)(Cs)3H3z + 12 CsH2 + 14 H
+ 2 (A,F)H3 4 C3 (A,F)CsHI= Aluminatfernt-Monosulfat, AFm
(9-24b)
Das gerade beschriebene Modell der Hydratation der Ferritphase zu Aluminatferrit-Trisulfat und Aluminatferrit-Monosulfat stammt von Taylor [AB 6]. Im Licht der in den letzten Jahren von Stark und Mitarb. [AB 7-9] durchgefiihrten ESEM-Untersuchungen wurden auch hierzu neuere Erkenntnisse gewonnen: 9 Die im Vergleich zur Aluminatphase langsamere Hydratation des C~,F wird durch eine Auslaugung des Aluminiums aus den C~F-K/Srnern erkl~irt. Je h6her der Eisenanteil in den Aluminatferriten ist, desto langsamer verl~iuft der Hydratationsprozess. 9 Das in L/Ssung gelangte Aluminat reagiert mit Sulfat und Ca(OH)2 zu Ettringit. Gleichzeitig entstehen an Aluminium verarmte, eisenreiche C~,F-K6mer. Sie sind im Geftige auch nach langer Zeit noch sichtbar. 9 Da die Auslaugung ein langsamer Prozess ist, der Sulfattrager dagegen meist sehr rasch in L6sung geht, kann voriibergehend sekundiirer Gips im Gefiige des Zementsteins gebildet werden. Er verschwindet wieder, sobald for die Ettringitbildung des ausgelaugten Aluminats weiteres Sulfat benStigt wird. 9 Die Hydratation des C ~ F fiihrt demnach zun~ichst zur Bildung von eisenfreiem Ettringit, der sich sp~iter in Monosulfat und sekund~iren Gips umwandelt (s. Abb. 9.21). Entgegen den Vorstellungen von Taylor konnte kein Eisenhydroxid gefunden werden. Weitere Untersuchungen zur vollst~indigen Kl~irung des C4AF-Hydratationsprozesses sind notwendig. 9.3.3.4.2
Hydratation yon Zementen
Beim Anmachen von Zement mit Wasser fiillt das Wasser sowohl Poren und Risse in den Zementpartikeln als auch alle Zwischenr~iume aus. Der entstehende plastische Zementleim beginnt zu erstarren und allm~ihlich zu erh~irten. Erstarruag und Erhiirtuag sind zwei nicht scharf trennbare Perioden des Verfestigungsprozesses eines Baustoffes, sie gehen flieBend ineinander tiber. Die sofort nach Zugabe des Anmachwassers einsetzende Erstarrung eines Frischbetons ist durch den Ubergang von der plastisch-breiigen Konsistenz zu einer gewissen, allerdings noch geringen Anfangsfestigkeit gekennzeichnet. In der sich anschlieBenden ErMrtungsphase verfestigt sich das erstame System immer weiter. Es geht mit fortschreitender Dauer in einen Zementstein hoher Festigkeit tiber. In der Praxis wird der anfangs eintretende Erstarrungsprozess kurz als Abbinden und der Gesamtprozess als Erhi~rten bezeichnet. Die zuvor for die einzelnen Klinkerphasen beschriebenen Prozesse laufen bei der Hydratation von Zement in untersehiedlichem Umfang neben- und hintereinander ab. Die Zementhydratation stellt somit ein komplexes Reaktionssystem mit mehreren, sieh teilweise beeinflussenden Einzelreaktionen dar. Die entstehenden Hydratphasen k/Snnen zun~iehst metastabile Verbindungen sein, die erst im weiteren Verlauf der Zementhydratation in die thermodynamisch stabile (End)-Hydratphase iibergehen. In Abb. 9.20 sind die Bildung der Hydratphasen und die Gef0geentwicklung bei der Hydratation des Zements naeh dem Mo-
9.3 Anorganische Bindemittel
333
dell von Locher, Richartz und Sprung [AB 3-5] schematisch dargestellt. Diese Prozesse sollen im Folgenden kurz beschrieben werden: Der beim Anmachen von Zement mit Wasser entstehende Zementleim liegt bis etwa eine Stunde nach Wasserzugabe (I. ttydratationsstufe, Abb. 9.20) als Suspension von Zementk6mem ohne jede Festigkeit vor. Er ist aufgrund seiner Plastizit~it verform- und verdichtbar und durch ein gutes Einbindeverm6gen ftir die Gesteinsk6mung gekennzeichnet. Sofort nach Wasserzugabe reagieren ca. 10% der im Zement enthaltenen Aluminatphase und ca. 2% des im Zement enthaltenen Alits. Um das Zementkom bildet sich eine diinne Haut, die aus Hydratphasen besteht. H~iufig spricht man heute noch von ,,Zementgel" und meint sowohl die Haut (,,Gelhaut") als auch die Summe der Hydratphasen. Der Begriff Zementgel stammt aus den Anf~ingen der Zementchemie. Mit Hilfe der modernen Elektronenmikroskopie und Spektroskopie konnte nachgewiesen werden, dass es sich keinesfalls um ein Gel (Begriff stammt aus der Kolloidchemie, Kap. 6.3.2) handelt, sondem um nanokristalline Phasen, die aufgrund ihrer groBen Oberfl~iche stark fehlgeordnet sind [AB 8]. Das Wasser reagiert sofort mit dem im Klinker vorliegenden Freikalk zu Ca(OH)2. Diese Reaktion l~iuft deshalb so schnell ab, da der Freikalk nicht feinverteilt im Klinker vorliegt, sondern h~iufig separate Phasen bildet ( 0 10...20 nm; lAB 9]). Der Freikalk kann sich auch mit Alkalimetallsulfaten zu Gips oder mit Aluminat und Alkalimetallsulfaten zu Ettringit umsetzen.
Porenraum
"",,
CSH
*',,
kurzfaserig
"\k ~Ca(O")2 f
r
Abbildung 9.20
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langfaser
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Bildung der Hydratphasen und Gef0geentwicklung des Zements nach Locher und Mitarb. [AB 3]
TrisuIfat~ . ~ # ~ " ~ ,0
, ~ " ' 7 ........r ' ; , " " ~ . Z I 5
30 1 2
Minuten
6
-~,~,,~7"-..r...., 1
Stunden
2
7
Y
28
90
e
Hydratationszeit I__
I-
I.
-~- II. ~
III.
Hydratationsstufen Labiles Gef0ge Grundgef0geStabilesGef0ge plastisch erstarrt
~
~ ~
"
i
Im Ergebnis der Reaktion von CaA mit Wasser bildet sich auf der Komoberfl~iche ein wasserreiches Aluminat. Nach dem Inl6sunggehen des als Abbinderegler zugesetzten Sulfattr~igers entstehen sowohl in der Porenl6sung als auch auf der Komoberfl~iche Ettringit-
334
9 Chemic nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
keime (,,primgirer Ettringit"). Die sich auf dem Kom herausbildenden nanokristallinen Ettringitiiberzfige behindem zun/~chst den weiteren Wasserzutritt. Naeh 0,5...2 Stunden kommt die Reaktion des Aluminats mit dem CaSO4 zum Stillstand. Es setzt eine Ruheperiode (dormante Periode) von 2...4 Stunden ein. Allm/ihlich diffundieren jedoeh SO42--Ionen und HzO-Molekiile dureh die Ettringitschicht und setzen sich im Kominneren zu Ettringit um.
EttringithOlle Beim Aufreil~en der Ettringith(311e erfolgt weiterer Zutritt von H20 und SO 2-- Ionen.
Da das Volumen der sich bildenden Reaktionsprodukte das der Ausgangsstoffe deutlich tibersteigt, sprengt der Kristallisationsdruck die erste Ettringithiille. Solange noch geniigend Sulfationen vorhanden sind, erfolgt eine sofortige Neubildung der Ettringitschicht. Ist der Vorrat an Sulfationen jedoch aufgebraucht, k6nnen die gesprengten Ettringitschichten nicht l~inger ,,abgedichtet" werden und das Aluminat hydratisiert gem. GI. (9-19a) rasch weiter. Die Reaktionen der C4AF-Phase entsprechen denen des CaA. In der dormanten Periode kommt nicht nur die Reaktion der Aluminatphase, sondem auch die des CzS weitgehend zum Stillstand. Die Ums~itze sind gering. Dennoch wurden nach ein bis zwei Stunden auch C-S-H-Phasen nachgewiesen. Die Wasserbindung der Calciumsilicate unter Bildung der C-S-H-Phasen ist ~iuBerlich als Erstarrungsbeginn zu beobachten. Das Erstarren beginnt demnach in der Ruheperiode. Im Ergebnis der Hydratation von CzS wird aus einer an Ca 2+- und OH--Ionen tibers~ittigten L6sung Calciumhydroxid (Portlandit) abgeschieden. Die parallel verlaufende Reaktion der Alkalimetallsulfate mit dem Ca(OH)2 zu Gips und Alkalimetallhydroxiden senkt die L6slichkeit von Ca(OH)2 ab (hohe OH--Ionenkonzentration!), was zur partiellen Auskristallisation des Ca(OH)2 fiihrt. Die tafeligen Portlanditkristalle (Abb. 9.15) entstehen h~iufig zuerst an den aktiven Stellen der groBen Zuschlagk6mer. Die geringe L6slichkeit des Gipses beeinflusst ebenfalls das L6slichkeitsgleichgewicht des Ca(OH)2, fiihrt aber andererseits zur gerade beschriebenen Reaktion mit CzA zu Ettringit. In ~ihnlicher Weise wie bei den Aluminaten diffundieren die Wassermolektile durch die Calciumsilicathydrathtille in das Innere der C3S-(und C2S)-K6mer. In geringerem Mage k6nnen Ionen (vor allem Ca2+) auch aus dem Kom nach auBen diffundieren. Durch die Diffusion der H20-Molekiile ins Kominnere bildet sich innerhalb der Calciumsilicathydrathtille ein osmotischer Druck aus, der die Htille schlieBlich zum (teilweisen) Platzen bringt. Auf diese Weise ,,frisst" sich der Hydratationsprozess nach innen. Zwischen der Zeit bis zur restlosen Hydratation eines Zementteilchens und der Komgr6Be besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. W~ihrend kleine Partikeln vollst~indig reagieren k6nnen, verbleibt bei grogen Partikeln mitunter ein Kern mit noch unreagierten Phasen zuriick. Dabei handelt es sich iiberwiegend um die langsamer reagierenden Klinkerphasen Belit und Ferrit. Unter Diffusion versteht man die gegenseitige Vermischung zweier oder mehrerer Fltissigkeiten (oder auch Gase) entgegen der Schwerkraft. Wird zum Beispiel eine KupfersulfatlOsung in einem Standzylinder mit Wasser tiberschichtet, wandem Wassermolekrtile in die KupfersalzlOsung und
9.3 Anorganische Bindemittel
335
umgekehrt Cu2+- und SO42--Ionen in das Wasservolumen. Der Vorgang ist beendet, wenn tiberall die gleiche Konzentration und damit die gleiche Blauf'~bung vorliegt. Werden beide Fltissigkeitsvolumina durch eine semipermeable (halbdurchl~issige) Wand getrennt, die nur ftir eine Teilehenart (Molektile, Ionen) durehl~issig ist, kann die gegenseitige Durchmischung verhindert werden. Betrachten wir zum Beispiel einen unten durch eine semipermeable Wand abgeschlossenen und oben mit einem Steigrohr versehenen Zylinder, der mit einer SalzlSsung geflillt ist und in ein gr0fSeres Gef'~ mit Wasser taucht. Ist aufgrund der Porenweite die semipermeable Wand nut flir Wassermolektile durchl~issig, so treten so lange H20-Molektile in die SalzlOsung tiber, bis sich die Konzentrationsunterschiede ausgeglichen haben. Der Fltissigkeitsspiegel steigt im Inneren an. Die Erscheinung der einseitigen Durchmischung zweier Fltissigkeiten infolge Wanderung durch eine semipermeable Wand nennt man Osmose. Im Inneren des Zylinders stellt sich ein osmotischer Druck ein. Die beschleunigte Bildung der Hydratphasen des C3S und CaS tritt nach 6-7 Stunden ein (Accelerationsperiode). Die Erstarrung des Zementleims schreitet voran. An den Ecken und Kanten der C3S- und CaS-KSmer bilden sich zun~ichst langfaserige Calciumsilicathydrate. Sie breiten sich in den wassergefiillten Porenr~iumen zwischen den Zementpartikeln aus und verkniipfen benachbarte Zementk6mer. Durch diese Gefiigeverfestigung entsteht das Grundgefiige des Zementsteins. In die Gefiigehohlriiume lagem sich Ca(OH)2Kristalle ein. Die langfaserigen C-S-H-Kristalle sind ftir die Friihfestigkeit des Zementsteins verantwortlich. Der Erstarrungsprozess ist nach etwa 24 Stunden (11. Hydratationsstufe, Abb. 9.20) abgeschlossen. Selbst bei dichtester Packung k/$nnen die Hydratphasen die Hohlriiume nicht vollstiindig ausfiillen. Es verbleiben sehr kleine Zwischenr~iume, die sogenannten Gelporen (Kap. 9.3.3.5). Der eigentliche Erh~irtungsprozess setzt nach etwa 24 Stunden ein (III. Hydratationsstufe, Abb. 9.20). Nach dem Modell von Locher und Mitarb. bilden sich aus den langfaserigen zunehmend kurzfaserige C-8-H-Kristalle. Calciumhydroxid wird in grof3en Mengen frei. Es liegt entweder dissoziiert in der Porenl/$sung oder kristallisiert als Portlandit im Zementstein vor. Der Abbau des Trisulfats durch CaA bzw. C4AF zum Monosulfat setzt nach 2 bis 3 Tagen ein. Die Festigkeit des Zementsteins wird davon nicht beriihrt, da Monosulfat kaum zur Festigkeit beitr~igt. Nach Verbrauch des Gipses bilden sich kristalline Calciumaluminat- und Calciumaluminatferrithydrate. Kurzfaserige C-S-H-Kristalle und kristalline Calciumaluminat- und Calciumaluminatferrithydrate fiillen die restlichen Poren der von den langfaserigen C-8-H-Kristallen durchwachsenen Hohlraume bzw. verkleinern sie. Dadurch entsteht ein festes Gefiige. Die Hydratation der silicatischen Phasen ist nach ca. zwei Wochen auch im Inneren des Korns deutlich fortgeschritten. Da sie diffusionsgesteuert abliiuft, ist sie erst nach Monaten, bei gr6beren Zementpartikeln eventuell erst nach Jahren abgeschlossen. Neue Erkenntnisse, die mit Hilfe der ESEM-Technik von Stark und Mitarb. [AB 7-9] gewonnen werden konnten, fiihrten zu einem modifizierten und verfeinerten Hydratationsmodell (Abb. 9.21). Einige wesentliche Unterschiede sollen stichpunktartig angefiihrt werden: 9 Aus dem Sulfattr~iger und Kaliumionen bildet sich vortibergehend die Mineralphase Syngenit (K2504 9 CaSO4 9H20). Ursache ftir eine hohe Konzentration an K § in der Porenltisung sind die wiihrend der Klinkerkiihlung auf der Oberfl~iche auskristallisierenden
336
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Alkalimetallsulfate, insbes. Arcanit (c~-K2504)und die gemischten Kaliumsulfate Langbeinit (K2Mg2[SO413)und Ca-Langbeinit (K2Ca2[SO413).Sie sind sehr gut wasserl6slich + und erh6hen die Konzentration an K -Ionen. Bei alkalireichen Portlandzementen entsteht Syngenit neben Ettringit sofort zu Reaktionsbeginn. Erste Kristalle sind nach wenigen Minuten sichtbar, danach bilden sich zunehmend grofSe Kristallaggregate aus. Bei Zementen mit einem sehr niedrigen Alkaligehalt wird die Syngenitbildung zeitlich verz6gert beobachtet. Syngenit f~illt hier als pl/ittchen- oder leistenf'6rmige Kristalle an. 9 Nach 4-6 Stunden verschwindet Syngenit wieder. Es entsteht sekund/irer Gips, der zu verst/irkter Ettringitbildung f'dhrt. Das Verst/indnis von Bedeutung und Funktion der tempor/iren Syngenitbildung bedarf weiterer Untersuchungen. 9 C-S-H-Phasen sind zun/ichst stumpfnadelig (bis 300 nm), wandeln sich nach einigen Tagen in spitznadelige Phasen (bis 1,5 ~tm) um. Eine Umwandlung von lang- in kurzfaserige C-S-H-Kristalle, wie sie von Richartz und Locher postuliert wurde [AB 2], konnte nicht beobachtet werden. ......
C-S-H (etwa 600 nm)
(etwa 1 ~m)
'
Portlandit t~
Ettrinait N
#.
(etwa 500 nm) ~
S
0
2
~
S
~
mm ~
~
Syngenit
5
10
Minuten
30
( e t w a 2,5 ~m)
.].,
Ettringit
1
2
6
12
Stunden
Tetracalciumsulfo-
1
2
7
14
28
Tage
Abb. 9.21 Schematische Darstellung der Zementhydratation in Abh~ngigkeit vonder Hydratationsdauer (nach Stark, [AB 9]) Unter Beton ist ein kiinstlicher Stein zu verstehen, der durch Erh/irten einer Mischung aus Zement, Wasser und GesteinskSmung entsteht. Solange der Beton noch verarbeitbar ist, heiBt er Frischbeton. Nach der Erh/irtung nennt man ihn Festbeton. Um bestimmte Frischoder Festbetoneigenschafien zu erzeugen, k6nnen dem Beton chemische Zusatzmittel wie Verfltissiger, Verz6gerer, Luftporenbildner (Kap. 9.3.4) und latent-hydraulische oder puzzolanische Zusatzstoffe wie Htittensand und Flugasche (Kap. 9.3.3.3.1) zugesetzt werden. Wie im vorigen Kapitel bereits beschrieben, sind die Umwandlungsprozesse der Klinkerminerale in die Hydrate exotherme Vorg/inge. Beim Erstarren und Erh/irten des Zements
9.3 Anorganische Bindemittel
337
wird demnach entsprechend dem Reaktionsfortschritt W~irme frei. Dabei setzen die kalkreichen Minerale CaA und C3S gr6Bere W/irmemengen in ktirzerer Zeit frei als die kalk/irmeren Klinkerkomponenten C2S und C~,F. Die Gesamt-Hydratationsw/irme eines Zements ergibt sich als Summe der Reaktionsw/irmen der Klinkerminerale, deren Betrag wiederum vom prozentualen Anteil der Klinkerminerale im Zement abhangt. Bei Annahme einer vollst/indigen Hydratation liegt die I-Iydratationswiirme eines Portlandzements je nach Zusammensetzung zwischen 375...525 J/g. Die praktische Konsequenz der Exothermie der Hydratationsreaktionen besteht in der Temperaturerh6hung im Beton w/ihrend des Erstarrungs- bzw. Erh~irtungsprozesses. Fiar Bauteile iiblicher Abmessungen, die im Winter betoniert werden, ist dieser Sachverhalt durchaus von Vorteil. Die schnelle Freisetzung von W/irme in der Anfangsphase verhindert ein Durchfrieren des jungen Betons vor dem Erreichen der in der Norm festgelegten Mindestdruckfestigkeit. Bei Massenbeton oder dickwandigen Konstruktionen stellt die Hydratationsw~irme ein echtes Problem dar. Sie muss mfglichst gering gehalten werden, um Temperaturspannungen zwischen dem Kern und den/iuBeren Schichten des Bauteils so niedrig wie m6glich zu halten. Ansonsten kann es zum Auftreten von Spaltrissen kommen. HQttensandhaltige Zemente
Wie bereits in Kap. 9.3.3.3.1 beschrieben, handelt es sich bei Htittensanden um fein gemahlene Kalk-Tonerde-Silicatschlacke. Die Schlacke besteht aus Calciumalumosilicaten unterschiedlicher sttichiometrischer Zusammensetzung. Sie sind durch ein niedrigeres CaO/SiO2-Verh/iltnis charakterisiert als die Verbindungen des Portlandzementklinkers. Die latent-hydraulischen Eigenschaften werden durch die Gegenwart eines alkalischen (z.B. Ca(OH)2) oder eines sulfatischen (z.B. CaSO4) Anregers wirksam. Dabei bilden sich in Anwesenheit von Wasser iiberwiegend die gleichen festigkeitsgebenden Hydratphasen wie sie bei der Hydratation von Klinkermineralen entstehen. Durch die Hydratation der Calciumsilicate des Klinkers entsteht Ca(OH)2. Der pH-Wert der LOsung steigt auf 12,5 an, durch zus/Rzliches Inlfsunggehen von Alkalien des Zements innerhalb ktirzester Zeit sogar auf pH-Werte > 13. Damit sind die Voraussetzungen fiir eine alkalische Anregung des Hiattensandes gegeben. Die hochalkalische Lfsung greift die glasig-amorphen HtRtensandktirner an und 16st sie vonder Oberfl/iche her auf. Zwei m6gliche Reaktionen der Calciumalumosilicate bzw. Calciumsilicate sind in G1.9-25 und 9-26 angegeben [BC 14]. C2AS
C2S
= C4AH13 + C-S-H
(9-25)
=
(9-26)
(CH, H)
(H)
C-S-H
+ CH
Das bei der Hydratation der Calciumsilicate frei werdende Ca(OH)2 wird vom Hiittensand bei der Bildung der hydratisierten Phasen teilweise verbraucht. Wie G1. 9-26 zeigt, sind auch Reaktionen ohne Beteiligung von Calciumhydroxid m/Sglich. Der geringe Ca(OH)2Anteil sowie das Vorliegen CaO4irmerer Calciumsilicathydrate ~hren bei hydratisierten Hochofenzementen zu einer erh6hten Widerstandsf'ahigkeit gegentiber dem Angriff saurer W~isser.
338
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
9.3.3.4.3 Erstarren - Erstarrungsst6rungen Die Bedeutung des Sulfattr[igers als Erstarrungs- oder Abbinderegler wurde ausRihrlich in den vorhergehenden Kapiteln beschrieben. Zum Einsatz kommen normalerweise Calciumsulfate CaSO4 9x H20. Ist der Sulfattdiger nicht optimal auf die Menge und die Reaktivit~it des CaA abgestimmt, treten Erstarrungsst/~rungen auf. Die Reaktivit~it des Klinkers bzw. des CaA wird sehr stark vonder Mahlfeinheit bestimmt. Locher und Mitarb. [AB 3] konnten zeigen, dass Zemente mit vergleichbaren CaA-Gehalten, aber unterschiedlichen Reaktivit~iten, bei Verwendung von natiirlichem Anhydrit als Erstarrungsregler rasch erstarren. Wird der Anhydrit schrittweise durch Halbhydrat ersetzt, erh/Sht sich die erstarrungsverz/~gernde Wirkung des Sulfattr~igers. Sie durchl~iuft ein Maximum, nimmt dann jedoch wieder ab. Die Lage des Maximums h~ingt empfindlich vonder Reaktivit~it des CaA ab. Die Untersuchungen belegen, dass der Erstarrungsbeginn stark von der Zusammensetzung des zugesetzten Sulfattdigers abh~ingt. Ist das Sulfatangebot zu gering, kommt es augenblicklich zur Ausbildung von Calciumaluminathydraten. Die diinntafeligen Kristalle lagem sich im Porenraum zu einem kartenhaus~ihnlichen GefiJge zusammen. Die Verarbeitbarkeit des Zementleims verschlechtert sich (,,Friihes Erstarren"). Ist der Sulfattr~iger zu hoch eingestellt, bildet sich neben Trisulfat sekund~irer Gips. Aus der iibers~ittigten L6sung kristallisiert Dihydrat in Form von Gipsnadeln aus. Die Gipsnadeln bilden aufgrund ihrer L~inge ein starres GefiJge aus und lassen den Zementleim ebenfalls erstarren (,,Falsehes Erstarren"). Durch Nachmischen, eventuell auch durch Rtitteln, kann die zu frtihe Erstarrung behoben werden. Nachteile fiir die Endeigenschaften des M6rtels entstehen dadurch nicht.
9.3.3.5
Aufbau und Eigenschaften des Zementsteins
Setzt man porenfreie Gesteinsk6mungen ausreichender Festigkeit voraus und schlief3t Gefiigest/~rungen durch Annahme einer optimalen Verdichtung weitgehend aus, dann h~ingen zentrale Eigenschaften des Betons wie Festigkeit und Dichtigkeit ausschliefSlich vom Gefiige des Zementsteins ab. Verantwortlich ftir die Festigkeit des Zementsteingefiiges sind Form und Gr/Sf3e, r~iumliche Anordnung sowie Packungsdichte (Porositlit) der gebildeten Hydratationsprodukte. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Zugabewasser. Bei einer vollst~indigen Hydratation bindet der Zement etwa 25...30% Wasser, bezogen auf die Zementmasse, als Hydratwasser oder als Hydroxid (,,chemisch gebundenes Wasser"). Das entspricht einem w/z-Wert von 0,25...0,3. Zus~itzlich werden an den grofSen Oberfl~ichen der Hydratphasen noch etwa 10... 15% Wasser adsorptiv gebunden (,,physikalisch gebundenes Wasser"), was einem w/z-Wert von 0,1...0,15 entspricht. Weiteres Wasser liegt kapillar in den Hohlr~iumen des Zementsteins vor und ruft nach seiner Verdunstung Kapillarporen hervor (s.u.). Neben den Hydratationsprodukten und noch nicht hydratisierten Zementbestandteilen spielen die Porenverh~iltnisse fiir die Eigenschaften des Betons eine dominierende Rolle. Dabei ist nicht so sehr der Gesamtporenraum von Bedeutung, sondern vielmehr die Porengr6fSe. Aufgrund der ablaufenden, sehr unterschiedlichen Hydratationsvorg~inge erstreckt sich die Porositat des Zementsteins fiber einen kaum vorstellbaren Porengr6fSenbereich. So kann der Durchmesser der kleinsten Poren weit unter 1 ~tm liegen, w~ihrend andererseits sichtbare
9.3 Anorganische Bindemittel
339
Poren mit Durchmessem von mehreren Millimetern auftreten k6nnen. Das entspricht einem Gr6Benverh~iltnis von etwa 1 9 10 Millionen. Porenarten. Die verschiedenen Porengr6Ben lassen sich mit der unterschiedlichen Art ihrer Entstehung erklaren. Die gr/3Bten Poren im Zementstein, die Verdiehtungsporen (auch: verbliebene Luftporen), werden beim Anmachen des Zements in den Zementleim eingetragen. Sie k/3nnen durch die nachfolgende Verdichtung nie vollstandig ausgetrieben werden. Verdichtungsporen sind h~iufig mit bloBem Auge erkennbar, sie liegen im GrOBenbereich von 1 bis 10 Millimetern. Ihr Anteil im Beton wird umso geringer sein, je verdichtungswilliger der Beton ist. Die Verdichtungsporen diirfen nicht mit den kiinstlich in den Zementstein eingeflihrten Luftporen verwechselt werden, deren Aufgabe es ist, den FrostTausalz-Widerstand zu erh/3hen (Kap. 9.3.4, Luftporenbildner). Hinsichtlich der Porengr~lSe folgen nach den Verdichtungsporen die Kapillarporen. Sie sind auf die Menge an Oberschusswasser zuriickzufiihren, das vom Zement weder chemisch in den Hydratationsprodukten bzw. im Hydroxid noch adsorptiv in den sogenannten Gelporen gebunden werden kann. Dieses f)berschusswasser ist fiir die Ausbildung eines Systems feiner, h~iufig zusammenh~ingender, unregelm~iBig geformter, kleiner Hohlr~iume verantwortlich, den Kapillarporen (Abb. 9.22). Der Durchmesser der Kapillarporen erstreckt sich fiber einen Bereich von etwa 50 nm ... 50 ~tm. Im Gegensatz zu den Verdichtungsporen verandert sich das Volumen der Kapillarporen mit fortschreitender Hydratation. Die neu gebildeten Hydratationsprodukte binden zunehmend Anmachwasser, reduzieren dessen Volumen und verringern den Kapillarporenanteil. Eine hoher Anteil an Kapillarporen vermindert die Festigkeit, die chemische Widerstandsf~ihigkeit und die Frost-Tau-Wechselbest~indigkeit eines Zementsteins bzw. Betons. Das in den Kapillarporen befindliche Kapillarwasser verdunstet bei Luftlagerung des Betons allm~ihlich. Gelangen die mit Luft gefiillten Kapillarporen sp~iter erneut mit Wasser in Kontakt, wird es durch die Saugwirkung in die Kapillarporen gezogen (Kap. 6.2.2.2, kapillares SteigvermSgen). Kapillarporen sind ftir die Transportvorg~inge im Zementstein verantwortlich. Die kleinsten Poren im Zementstein, die Gelporen (| < 50 nm), sind durch ,,inneres Schwinden" (auch: inneres Schrumpfen) bei der Zementhydratation entstanden [AB 5]. Ursache ist die Volumenverminderung um ca. 6 cm3/100 g Zement bei der Hydratation. Das Volumen der Hydratationsprodukte ist, bezogen auf die Volumina des nichthydratisierten Zements und des bei vollst~indiger Hydratation gebundenen Wasseranteils, um eben diesen Betrag kleiner, da das in den Hydratationsprodukten gebundene Wasser einen geringeren Raum einnimmt als vorher das ,,freie" Wasser. Beim inneren Schwinden tritt weder eine Ver~inderung der ~iul3eren Abmessungen ein, noch kommt es zur Ausbildung von Schwindrissen. Vielmehr entstehen sehr kleine Gelporen. In Kap. 9.3.3.4.2 wurde bereits darauf verwiesen, dass der Begriff Zementgel, obwohl weit verbreitet, wissenschaftlich nicht korrekt ist. Es sind im kolloidchemischen Sinne keine Gele, die sich bilden, sondem wasserhaltige nanokristalline Phasen. In gleicher Weise ist nattirlich der Begriff Gelporen inkorrekt. Da er aber in der Zementchemie zum Sprachgebrauch geh6rt und in fast allen Fach- und Lehrbiichem anzutreffen ist, soll er trotzdem im Weiteren verwendet werden.
I
340
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
"~ 80
> Abb. 9.22
60
Porengehalt von Beton in Abh~ngigkeit vom w/z-Wert [AB 14]
/
40
I
~:em,=.ntgel 'Feststo!~)
20
/ ! 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
1,4
1,6
Wasserzementwert Da die Gelporen Bestandteil der Hydratationsprodukte sind, nimmt ihr Anteil mit fortschreitender Hydratation zu. Gelporen sind hauptverantwortlich far Schrumpf- und Quellvorg~inge im Beton. Man geht heute davon aus, dass diese Prozesse durch das Ein- bzw. Austreten von Wasser in die Gelporen hervorgerufen werden. Das in den Gelporen ,,physikalisch gebundene" Wasser ist im Gegensatz zu dem in den Hydraten gebundenen Wasser bei 105~ verdampfbar. Das Verh~ilmis von Kapillar- zu Gelporen ist ein wichtiger Indikator fiir den Hydratationsfortschritt und damit fiir die erreichte Festigkeit. Sind viele Gel- und wenig Kapillarporen vorhanden, kann man von einer fortgeschrittenen Hydratation und einer hohen Festigkeit ausgehen. In Abb. 9.22 ist der Anteil der verschiedenen Porenarten in Abh~ingigkeit vom Wasserzementwert dargestellt. Wasserzementwert (w/z-Wert). Die Kapillarporen iiben einen groBen Einfluss auf die Dichtigkeit und Festigkeit und damit auf die Dauerhaftigkeit des Betons aus. Deshalb stellt die Minimierung des Kapillarporenanteils eines der wichtigsten betontechnologischen Probleme dar. Der Anteil der Kapillarporen an der Gesamtporosit/it h/ingt neben dem Hydratationsgrad und der Zementart in erster Linie vom Wasserzementwert (G1.9-27) ab. Der Wasserzementwert (w/z) kennzeichnet das Massenverhiiltnis zwischen Wasser (wirksamer Wasseranteil) und Zement.
w/z =
wirksamer Wasseranteil w (in kg oder kg / m 3)
(9-27)
Zementgehalt z (in kg oder kg / m 3) Zur Erl~iuterung des Terminus ,,wirksamer Wasseranteil" sollen die einzelnen Anteile an Bauwasser, die in die Gesamtwassermenge eingehen, etwas genauer betrachtet werden: Zugabe- oder Anmachwasser, Eigenfeuchtigkeit der Gesteinsk6mung, Wasser bei Einsatz w~issriger Zusatzmittel und-stoffe sowie Wasser, das bei speziellen technologischen Verfahren Verwendung findet. Fiir den Beton ist nur der wirksame Wasseranteil wesentlich,
9.3 Anorganische Bindemittel
341
der sich als Differenz zwischen der Gesamtwassermenge und der Wassermenge ergibt, die von den Poren der Gesteinsk6rnung aufgenommen wird. Wie bereits festgestellt, ben6tigt Zement zur vollst/indigen Bildung der Hydratphasen eine Wasserzugabemenge von etwa 25...30%, bezogen auf die Zementmasse. Das entspricht einem w/z-Wert von 0,25...0,30. Mit dieser Wassermenge kann jedoch kein verarbeitbarer Beton hergestellt werden. Bei der Rezeptur fiir einen verarbeitbaren Beton geht man deshalb von einem ,,chemischen" (25% der Wasserzugabemenge) und einem ,,physikalischen" (15% der Wasserzugabemenge) Wassergehalt aus. Das entspricht einem Wasserzementwert von w/z = 0,4. Diesem Wert kommt damit eine theoretische Bedeutung zu. Er bezieht sich auf den Fall der vollst/indigen Zementhydratation, d.h. auf einen Hydratationsgrad von 100%. Der Zement bindet in diesem Fall chemisch und physikalisch 40% seiner Masse an Wasser. Allerdings wird dabei lediglich eine steife Konsistenz erzielt. Nach Abschluss der Hydratation wiirde bei einem Wasserzementwert von 0,4 das gesamte Zugabewasser in gebundener Form vorliegen. Kapillarporen w/iren im Zementstein nicht vorhanden, es k/ime nur zur Ausbildung von Gelporen. Praxisgerechte w/z-Werte liegen in der Regel zwischen 0,5 - 0,6. Bei niedrigeren w/z-Werten diirften ebenfalls keine Kapillarporen auftreten. Das zugegebene Wasser ist nicht mehr in der Lage, die Zementpartikel vollst~indig zu hydratisieren. Im Gefiige des Zementsteins bleiben nichthydratisierte Anteile des Zementklinkers zurtick. Das Vorliegen nichthydratisierter Klinkeranteile ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Festigkeitsabfall des Zementsteins. Die Festigkeit nimmt sogar zu, da zum einen der nichthydratisierte Zement die Gesamtporosit/it vermindert und zum anderen die Eigenfestigkeit der Klinkerreste und ihr enger Verbund mit den nanokristallinen wasserhaltigen Phasen festigkeitssteigernd wirken. Allerdings ist ein angemachter Zement mit w/z-Werten < 0,4 schlecht verarbeitbar, so dass der Einsatz von Zusatzmitteln erforderlich wird. w/zWerte > 0,4 flihren aufgrund eines Zugabewassertiberschusses immer zu einem mehr oder weniger ausgepr/igten Kapillarporenraum (Abb. 9.23). Es gilt: Je gr6fler der w/z-Wert, umso geringer sind Festigkeit und Dichtigkeit des Betons.
Unter praktischen Bedingungen ist im Beton ein bestimmter Kapillarporenraum selbst bei w/z-Werten < 0,4 nicht zu vermeiden, da auch nach einer langen Erhartungszeit der Zement nicht vollst/indig hydratisiert vorliegt. Liegt der Kapillarporenraum unter 25%, kann man von einem dichten Beton sprechen. Die Begrtindung ist in der Kapillarstruktur zu suchen: Bis zu einem Kapillarporenanteil von etwa 25% sind die Kapillarporen untereinander kaum verbunden (Diskontinuit~it). Die Wasserdurchl/issigkeit ist somit vemachl/issigbar gering. Bei Anteilen > 25% stehen die Kapillarporen untereinander in Verbindung (Kontinuit/it) und die Wasserdurchl/issigkeit steigt stark an. Geht man von praxisnahen Hydratationsbedingungen aus, muss man den Hydratationsgrad eines Portlandzements selbst bei fachgerechter Nachbehandlung zwischen 70...80% ansetzen. Um eine Kontinuit/it des Kapillarporensystems zu verhindern, muss ein w/z-Wert von etwa 0,5 gew/ihlt werden. Die Druckfestigkeit (Festigkeit) ist fiir alle Baumaterialien, die im Bauwerk auf Druck beansprucht werden, eine auBerordentlich wichtige Kenngr6Be. Unter der Druckfestigkeit versteht man die bei einer ztigigen einachsigen Druckbeanspruchung ertragbare H6chstkraft Fmax bezogen auf den Ausgangsquerschnitt So: fld = Fmax/So (N/mm2). fld wird vor-
342
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
zugsweise an wiirfelfOrmigen Probek6rpem auf einer Druckpriifmaschine bestimmt, wobei die Probektirper zwischen zwei ebenen, v611ig planen Stahlplatten aufliegen (Details, s. Lehrbiicher der Baustoffkunde). Zementkorn Hydratati0n Wasserzementwert> ( w/z = 0,20 )
--tt t ~ w , j / /
unhydratisierter Zement
Wasser
hydratisierter Zement und Gelporen
Hydratation
> Wasserzementwert ( w/z = 0,40 )
H.ydratation
~
Wasserzementwert % ( w/z = 0,60 ) ,
'
~
~ Kapillarporen ,.~_'-~~~ (Wasser)
Nr
Abbildung 9.23 Erh~rtung eines Zementsteins bei verschiedenen w/z-Werten [AB 14]
Wie in Kap. 9.3.3.4.1 beschrieben, leisten die verschiedenen Hydratationsprodukte der Klinkerphasen einen recht unterschiedlichen Beitrag zur Festigkeit des Zementsteins. Am st~irksten tragen die Hydratationsprodukte der silicatischen Phasen zur Festigkeit bei, der Beitrag von CaA und C ~ F ist dagegen als gering einzuschatzen. Abb. 9.24 zeigt die Entwicklung der Druckfestigkeit der Klinkerminerale [AB 1]. Wahrend C3S anf~inglich relativ schnell hohe Festigkeiten erreicht, liefert C2S zu Beginn nur einen geringen Beitrag. Nach etwa drei Jahren hat sich dieser Unterschied jedoch ausgeglichen, beide Phasen weisen die gleiche Endfestigkeit auf. 80 60 40
/
Abbildung 9.24
/
Entwicklung der Druckfestigkeit der Klinkerminerale nach Bogue [AB 1]
I
~ 20
0
28
90
180
Alter in Tagen
360
Die Zemente werden beziiglich ihrer Druckfestigkeit nach 2 und nach 7 Tagen (Anfangsfestigkeit) sowie nach 28 Tagen (Normfestigkeit) in folgende Festigkeitsldassen unterteilt Tab. 9.7).
343
9.3 Anorganische Bindemittel
Festigkeitsklasse
32,5 32,5 R 42,5 42,5 R 52,5 52,5 R
D r u c k f e s t i g k e i t ( N / m m 2)
Anfangsfestigkeit 2 Tage 7 Tage -
> 16 10
> 10
20 > 20 > 20 >
Normfestigkeit 28 Tage > 32,5 52,5 > 52,5 -
Tabelle 9.7
Festigkeitsklassen von Zementen nach DIN EN 197-1
An die Stelle der bisherigen Festigkeitsklassen Z 35, Z 45 und Z 55 sind jetzt die Klassen 32,5, 42,5 und 52,5 (Mindestdruckfestigkeit nach 28 Tagen in N/mm 2) getreten. Ftir die Zemente mit langsamer Festigkeitsentwicklung entf~illt die Kennzeichnung L, die Zemente mit schneller Festigkeitsentwicklung werden statt wie bisher mit F jetzt mit R = rapid gekennzeichnet. Zemente der Festigkeitsklasse 52,5 erreichen nach 28 Tagen fast ihre Endfestigkeit, die Nachh/irtung ist gering. Form/inderungen. Mit dem Wassergehalt eng verkniipfi sind Form- bzw. Volumen/inderungen. Besonders bedeutsam sind das Schwinden und das Quellen des Betons. Das Schwinden des Betons beruht auf der allm/~hlichen Abgabe von Wasser und macht sich in einer Verkiirzung der /~u6eren Abmessungen von Betonbauteilen bemerkbar. Mit dem Schwindprozess ist h/iufig die Entstehung von Schwindrissen gekoppelt. Das Schwinden halt solange an, bis sich ein Gleichgewicht zwischen der Luft- und der Betonfeuchtigkeit eingestellt hat. Die Verdunstung des Wassers aus dem Beton ist umso hfher, je geringer die Luftfeuchtigkeit ist. Wassergelagerter bzw. wasserges/ittigter Zementstein zeigt keine Schwindneigung. Der Endwert (GrOfltwert) des Schwindens wird meist erst nach einigen Jahren erreicht. Er liegt bei Normalbeton im Bereich zwischen 0,20...0,65 mm/m. Als wesentliche Ursache des Schwindprozesses kOnnen die im Zementstein zwischen den nanokristallinen Hydratphasen wirkenden zwischenmolekularen Kr/ifte angesehen werden, denen der Quelldruck des in den Gelporen befindlichen Wassers entgegensteht. Dieser Quelldruck wird durch die Wasserabgabe vermindert und das Gefiige des Zementsteins ,,zieht sich zusammen". Das Quellen des Betons durch Wasseraufnahme wirkt sich in der Praxis weit weniger aus. Das Endquellma6 ist bei Normalbeton deutlich geringer als das Schwindma6. Es liegt im Bereich von 0,1...0,3 mm/m. Gequollener Beton besitzt eine h6here Wasserdichtigkeit. Aufgabe der Zuschl/ige ist es, das Schwinden und Quellen des Zementsteins herabzusetzen.
9.3.3.6
Zementarten - Spezialzemente
Die Hauptzementarten CEM II bis CEM V, die hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer wichtigsten Bestandteile Portlandzementklinker (K), Htittensand (S), Silicastaub (D), natiirliche Puzzolane, z.B. Trass (P), natiirliche getemperte Puzzolane, z.B. Phonolith (Q), kiesels~iurereiche (V) oder kalkreiche (W) Flugasche, Kalkstein mit einem Gesamtgehalt an organischem Kohlenstoff (TOC) < 0,5% (L) bzw. < 0,2% (LL) und gebrannter Schiefer (T) unterteilt werden, sind in Tab. 9.8 zusammengefasst.
344
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Zemente mit besonderen Eigenschaften erhalten zus~itzlich folgende Kennbuchstaben: NW ~ r Zemente mit niedriger Hydratationsw~irme, HS for Zemente mit hohem Sulfatwiderstand und NA fl~r Zemente mit niedrigem wirksamen Alkaligehalt. Hoher Sulfatwiderstand HS. Portlandzement-HS: FOr CEM I: C~A < 3%, A1203 ~ 5%; Hochofenzement-HS: Hochofenzemente CEM III/B und CEM III/C. Hauptanwendungsgebiete: Bauteile, die sulfathaltigen W~issem (> 600 mg SO42- je Liter) bzw. BOden (> 3000 mg SO42-je kg) ausgesetzt sind. Niedriger wirksamer Alkaligehalt NA. Zement-NA: Anforderung an den Gesamtalkaligehalt in % Na20-Aquivalent: FUr CEM I, CEM II (auBer CEM II/B-S), CEM IV, CEM V: 0,60%; Portlandhtittenzement-NA: CEM II/B-S ~ 0,70; Hochofenzement-NA: CEM III/A (mit Htittensandgehalt ~ 49%) < 0,95%, CEM III/A (mit Htittensandgehalt a 50%) < 1,10% und CEM III/B, CEM III/C ~ 2,00. Hauptanwendungsgebiete: Bauteile, die mit alkaliempfindlichen Gesteinsk6mungen hergestellt werden, s. Kap. 9.4.2.2. Niedrige Hydratationswiirme NW. Zement NW: Anforderung an die L6sungsw~irme in den ersten 7 Tagen ~ 270 J/g Zement. Hauptanwendungsgebiete: massige Betonteile, Betonieren bei hohen AuBentemperaturen. Spezialzemente (Auswahl): Weiflzemente werden aus weitgehend Fe- und Mn-freien (Fe203 < 0,4%, Mn203 < 0,2%) Rohstoffen wie Kalkstein, Kaolin und Quarz in speziellen Verfahren hergestellt. Da beim Brennen kein C4AF (mit eingelagertem Mg) entstehen kann, das ~ r die ,,betongraue" F~irbung verantwortlich ist, werden helle, gut einf~irbbare Betone erhalten, die insbesondere als Sichtbeton Anwendung finden. Hydrophobierte Zemente (Pectacrete) sind wasserabweisend eingestellte Portlandzemente. Durch Zugabe eines hydrophoben Stoffes (Anwendung finden u.a. Salze langkettiger Fetts~iuren) werden die ZementkOmer umhtillt und wasserabweisend gemacht. Erst bei der Verarbeitung wird die wasserabweisende Schicht um das Kom durch die Reibewirkung des Sandes und/oder den Kontakt mit der Bodenkrume zerst6rt und der normale Erh~irtungsprozess kann einsetzen. Verwendung: Im StraBenbau und zur Verfestigung feinkOmiger, sandiger BOden. Tonerdezement, Tonerdeschmelzzement TSZ (nicht genormt). Die besonderen Eigenschaften der Tonerdezemente sind auf den hohen Anteil an A1203 zurtickzuf'tihren. Er ist fiir die hohe Druckfestigkeit bereits nach 24 Stunden (> 40 N/ram 2) verantwortlich und bildet die Voraussetzung ~ r ihre hohe Feuerbest~indigkeit. Andererseits ist aber gerade der hohe Al203-Gehalt die Ursache ~ r die beschr~inkten AnwendungsmOglichkeiten der Tonerdezemente im normalen Betonbau. Ihr Einsatz fiir tragende Bauteile, Stahl- und Spannbeton wurde in Deutschland 1962 verboten. Gegenw~rtig werden Tonerdezemente noch als Bindemittel fiir feuerfesten MOrtel und Beton verwendet. Tonerdezemente werden durch Schmelzen von Kalkstein und Bauxit bei 1500...1600~ und anschlieBende Feinmahlung gewonnen. Bauxit ist ein Gemenge aus verschiedenen
9.3 Anorganische Bindemittel
345
Aluminiumoxidhydraten bzw. -hydroxiden wie z.B. B6hmit ~,-AIO(OH), Diaspor ctA10(OH) und Hydrargillit ct-AI(OH)3), aus Alumosilicaten, Eisen- und Titanoxiden u.a. Der Aluminiumoxidgehalt des Bauxits betr/igt in der Regel 50...65%. Tonerdeschmelzzement besteht zu ca. 80% aus Calciumaluminaten, bis zu 10% aus SiO2 und bis zu 15% aus Fe203. Die Calciumaluminate liegen aber nicht als C~A vor, sondern es bilden sich kalk/irmere Calciumaluminatphasen, tiberwiegend Monocalciumaluminat CA neben C12A7, CA2, C2AS u.a. Im Ergebnis der Hydratation entstehen kalkreiche Aluminiumhydrate und gelartiges AI(OH)3. Die wichtigsten Hydratationsprodukte zu Beginn der Hydratation sind CAH10, C2AHa und CaAHe. Stark vereinfacht lassen sich ftir die temperaturabh/ingigen Umsetzungen die Gleichungen (9-28 und 9-29) formulieren. CA
+ 10H
2 C A + 11 H
< 15~
> 25~
"
CAHlo
(9-28)
"
C2AH8 + AI(OH)3
(9-29)
Im Temperaturbereich 15...25~ wird eine Mischung aus CAHlo und C2AHa erhalten, der Anteil an C2AHa erh6ht sich mit der Temperatur. Ober 30~ entsteht zunehmend die stabile CaAHs-Phase (GI. 9-30). 3 CA + 12 H
=-
C~AHe + 2 AI(OH)3
(9-30)
C2AHa und CAHlo sind metastabile, energiereiche Phasen. Sie wandeln sich bei Temperaturen tiber 30~ und einem hohen Feuchtigkeitsgehalt der Luft ebenfalls in das stabile Hexahydrat CaAHe um. Diese Umwandlung der fiar die Festigkeit im erh/irteten Tonerdezement so wichtigen C2AHs-Phase (G1. 9-31) ist mit einer Verringerung des Volumens verbunden. Diese Volumenverringerung und die Freisetzung von H20 ftihren zu einer erhtihten Porosit/it und zu Schwindrissen. Dadurch verschlechtern sich die Festigkeitseigenschaften. 3 CzAH 8
> 30 ~ Feuchtigkeit >
2 CaAH 6 + 2 AI(OH)3 + 9 H
(9-31)
Schnellzement. Der ebenfalls nicht genormte Schnellzement (Regulated Set Cement, JetCement) ist ein spezieller PZ, der sehr schnell erstarrt und erh~irtet und hohe Frtthfestigkeiten erreicht (nach ca. 4 Stunden: Druckfestigkeit 10 N/mm:, nach 2 Tagen: ca. 40 N/mm2; das entspricht einem Zement der Festigkeitsklasse 52,5 R). Die Verarbeitungszeit liegt bei etwa 30 min. Schnellzemente sind kalkreiche Portlandzemente mit einem erh6hten Aluminat- sowie einem zus/itzlichen Fluorgehalt. Neben CaS tritt als wesentlicher Bestandteil eine Calciumaluminatfluoridphase der Zusammensetzung 11CaO 9 7A1203 9 CaF2 auf. Sie bewirkt die schnelle Erstarrung und Erh/~rtung. Anwendung: schnelle Reparaturen besch/idigter Betonfl~ichen, Betonieren unter Wasser. BRD: Wittener Schnellzement (Fa. Ardex Chemie, Witten). Weitere Informationen und Details zu speziellen Zementen, ihren Eigenschaften und Anwendungsfeldern s. Lehrbticher der Baustoffkunde.
9 Chemic nichtmctallisch-anorganischer Baustoffe
346
Tab. 9.8 Zementarten
und Z u s a m m e n s e t z u n g
n a c h D I N E N 197-1
Zusammensetzung (in %)I:).2) .HauptBezeichnung zement- t i e r 2 7 Produkte arten "(Norm-alzenientarten)
K
CEMI
Portlandzement Portland.. hfittem zement
Hauptbestandteile .Puzzolane Flugasche g ebrann, 9nat~Jdich naSrlich: kiesel- kalk* t e r getems~ure-reich Schiefer pert reich P Q V W T
' i S ~ i ~ d - H.Qtten.- Silicazement-!sand, staub klinker S
D 3)
CEM I
:95.1001
.
CEM IIIA, S CEM
80-94
~20
-
65-79
21:-35
-
Kalkstein
L
LL
,
,,
II/B-S
Portland, silicastaul~ zement CEM II
Portl:a:nd:pu~olanzement
90-94
-
:80-94 CEM IltA-P CEMI 65-79 IIlB-P ' GEM ....... 8 0 ' ~ IItA-Q CEM 65-79
-
CEM IlIA, D
:,
Portlandflugaschezement
Portland-. schiefer.. zement
Portland.: kalksteinzement
6,10
-
6-20 E
. . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
:21-35 '~ -
-
6-20
.-
21-35
,/B-Q , CEM IItA~V CEM iltB-V CEM II/A;W CEM
80-94
.-
-
6-20.
80-94
.
-
-
6-20
:65-79
.-
-
-
.2t~35
CEM 80.94 II/A-T CEM 65-79 IItI~T " CEM "80.~94 iltA, L CEM 65-79 IItB~L ! CEM 80-94 IIIA.LL I CEM .... 65-7.9
-
-
-
-
.65-79
21-35 .
.
.
.
i "
" .
.
.
.
,.
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" "
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J '
"
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. .
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. = _
........
.
.
6.-20
2i-35
.
. . . .
.
Pc~rUandkompositzement 4)
-
.
i
.
.
~6-20
-
i21i :35 !
6-20
!21-
- ....................... : ...............
j
: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
j
3s
D,zu"-"" . ............................................
CEM 80,94 . . . . . . . . . . . . . . IltA-M 21'35 CEM 65-~ IIiB, M Hochofen- CEM :35.64 36-65 C E M I11 zement ilIIA CEM 20-34 66-80 III/B CEM 5-19 81,95 Ul/C CEM IV PuzzolanCEM i 65-89 ..., 11-35 . . . . . . . . . . . . :., 9 zement 4) IVIA i CEM 145.64 . . . . . .................. 36,55 . ...... ......... .... IV/B: . 18"30 . . . . . . . . . . CEM V Komposit: CEM ' :40-64 18.30 zement 4) VIA. . . . . 31,50 .. . . . . . . . . . CEM ::20.3:8 31.-50 ViB t1) Die Werte in der Tabelle beziehen, sich a u f d i e Su m m e d e r H a u p t - u n d Nebenbestandteile ( o h n e C a S O , und Zementzu-. .:
:s~tze). 2) Zus~itzlichNebenbestandteile: bis5% m~)glich. 3) DerAnteil yon Silicastaub istlauf10%begrenzt~.. 4) In den Zementen:CEM If/A-M,G E M II/B-M,C E M IVIA u n d C E M IVIB sowie C E M VIA und C E M VIB m0ssen die HauptbeStandteile neben PorUandzementklinker angegeben werden, z,B. C E M IIIArM :(S,V-L)3215 R.
9.3 Anorganische Bindemittel
347
9.3.4 Chemische Zusatzmittel und ihre Wirkungsweise Seit 1950 hat sich in Deutschland eine bauchemische Industrie entwickelt, die Zusatzmittel far den Einsatz in zement- und gipsbasierenden Bindemittelsystemen produziert. Das Sortiment ist breit gef~ichert. Heute wird eine Vielzahl von Zusatzmitteln hergestellt, die sich in der Wirkung unterscheiden und in unterschiedlichen Anwendungsbereichen eingesetzt werden, z.B. zur Verbesserung der Eigenschaften des Frischbetons (hShere Plastizit~it, Verarbeitbarkeit und Pumpfdhigkeit) oder des Festbetons (erh/Shte Druck- und Biegezugfestigkeiten, h6here Dichten, Sichtbetonqualit~it), zum Einsatz in Gipsbaustoffen, Farben, Trockenm/Srteln und Putzen. Die Wirkprinzipien erstrecken sich vom Verfltissigen, Dispergieren, Verdicken, Erzeugen von Luftporen, Impr~ignieren bis hin zum Abdichten und Verkleben. Verfliissiger (Betonverfliissiger, BV). Verfltissiger (auch: Plastifizierer, engl. plasticizer) werden dem Zementleim zugesetzt, um seine Viskosit~t (in der Sprache der Betontechnologie ,,Konsistenz") zu emiedrigen. Damit wird bei gleichem Wasserzementwert die Verarbeitbarkeit des Frischbetons verbessert. Eine zweite M6glichkeit ist die Reduzierung des Wasseranspruchs von Beton oder Zement- bzw. Gipsm/Srteln. Durch den Einsatz des Verfltissigers wird bei gleicher Verarbeitbarkeit der w/z-Wert abgesenkt. Eine reduzierte Menge an Zugabewasser (bis zu 15 Liter pro m 3) und damit ein kleinerer w/z-Wert bewirken eine Erhfhung der Druckfestigkeit, der Dichtigkeit und der Widerstandsfdhigkeit des Betons.
Abbildung 9.25 \O (HO) /) MeO
CH--CH--O I SO3H
Ligninsulfonat (Strukturelement)
Die weithin gebr~iuchlichsten Verfltissiger sind die Ligninsulfonate (Lignosulfonate, LS; ,,Flieflmittel der 1. Generation "). Ligninsulfonate sind gewissermaBen modifizierte Naturprodukte. Sie werden aus dem Lignin des Holzes hergestellt (s. Kap. 11). Lignin fdllt bei der Herstellung von Cellulose ftir die Papierindustrie als Rohprodukt an. Um zum Ligninsulfonat ftir bauchemische Anwendungen zu gelangen, muss das Rohprodukt mit Hilfe von Enzymen abgebaut, mit Oxidationsmitteln depolymerisiert und mittels Sulfomethylierung weiter gereinigt werden. Letzterer Schritt erfolgt durch Umsetzung des ,,rohen" Ligninsulfonats mit Formaldehyd und Natriumsulfit Na:SO3. Die Ligninsulfonate fallen je nach Ausgangsmaterial und Herstellungsverfahren als polymere, vernetzte Strukturen an, wobei eine allgemein gtiltige chemische Formel nicht angegeben werden kann. Abb. 9.25 zeigt einen Strukturausschnitt aus einem Ligninsulfonat. Die in der Baupraxis verwendeten Ligninsulfonate (Na-, Ca- und NHn-Salze) sind braune, 40%ige w~issrige L6sungen oder pulvrige Produkte. Neben den phenolischen OH-Gruppen wird der Zuckergehalt als Ursache fiir eine hydratationsverz6gemde Wirkung angesehen. Deshalb ist er in qualitativ hochwertigen Produkten unter 0,2% abgesenkt worden. Zuktinfiig ist mit einem Riickgang bei der Anwendung von Ligninsulfonaten zu rechnen, da sich aufgrund der SchlieBung von Betrieben der Papierindustrie (versch~irfte Umweltauflagen!) der Rohstoff Lignin und damit das Ligninsulfonat verteuert hat. Der Trend geht des-
348
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
halb zu ,,reineren", qualitativ hOherwertigen Ligninsulfonatprodukten, die keine VerzOgerung mehr aufweisen und deren Wirkung teilweise die moderner FlieBmittel erreicht (s. n~ichster Abschnitt).
Flieflmittel (FM). FlieBmittel sind Stoffe, deren verfliissigende Wirkung die der Betonverfliissiger um den Faktor 2 bis 3 iibertrifft. Deshalb werden sie auch als Superverfliissiger (engl. superplasticizer) bezeichnet. Die Viskosit~it des Zementleims wird derart reduziert, dass die thixotropen Eigenschaften nahezu verloren gehen. FlieBmittel finden breite Anwendung im Anhydrit-FlieBestrich, bei der Herstellung von Gipskartonplatten, bei der Zementierung von Erd61bohrl6chem, im FlieBbeton sowie in Sonderbetonen wie dem hochfesten und dem selbstverdichtenden Beton. FlieBmittel sind wie die Betonverfliissiger grenzfl~ichenaktive Substanzen (Kap. 6.2.2.3). Sie sollen die Oberfl~ichenspannung reduzieren und so zu einer effektiveren Benetzung der Baustoffpartikeln und der Gesteinsk6mung flihren. Dartiber hinaus sollen sie durch Ausbildung von Oberfl~ichenladungen und der dadurch bewirkten Stabilisierung infolge elektrostatischer AbstoBung dispergierend wirken. Hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung unterteilt man die FlieBmittel in zwei Gruppen, in Polykondensate und in Polycarboxylate. Die Polycarboxylate besitzen in der Regel eine h6here Wirksamkeit, sind im Einsatz aber auch teurer.
Polykondensate. Polykondensate entstehen durch Verkniipfung gleicher oder verschiedener Monomere unter Abspaltung kleiner anorganischer Molekiile (s. Kap. 10.4.4.2). Es bilden sich Polymere, die aufgrund ihres mehr oder weniger hohen Vemetzungsgrades als unlOsliche, harzartige Substanzen anfallen (Kondensatharze). Als Fliegmittel werden vor allem Naphthalinsulfons/iure-Formaldehyd-Polykondensate und Melamin-Formaldehyd-SulfitPolykondensate eingesetzt (,,Flieflmittel der 2. Generation "). Die zementverfltissigende Wirkung von Naphthalinsulfonsiiure-Formaldehyd-Harzen (NSF) wurde 1962 yon K. Hattori (Fa. Kao Soap, Japan) entdeckt. Ihr Einsatz flihrte zur Entwicklung des Transportbetons. NSF-Harze werden durch Sulfonierung von Naphthalin unter Druck, anschlieBender Umsetzung mit Formaldehyd und nachfolgender alkalischer Kondensation erhalten. Das Strukturelement eines Naphthalinsulfons/iure-FormaldehydHarzes ist in Abb. 9.26a wiedergegeben, n kann Werte zwischen 3 und 7 annehmen, damit gehOren die NSF-Harze streng genommen zu den oligomeren Kondensaten. Die kommerziell erh/iltlichen NSF-FlieBmittel sind w/issrige gelbbraune L6sungen, mit einem Harzgehalt von 40...50%. FUr Anwendungen im TrockenmOrtelbereich kommen pulvrige NSFHarze zum Einsatz. Zu den Vorteilen dieser Harze gehOren eine ausgezeichnete Kombinierbarkeit mit Luftporenmitteln sowie ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verh/iltnis. Sie wirken starker als Ligninsulfonate, ihre verz6gemde Wirkung ist/iugerst gering.
Melamin-Formaldehyd-Sulfit-Harze (MFS) entstehen durch Umsetzung von Melamin mit Formaldehyd zu Trimethylolmelamin, nachfolgender Sulfitierung durch Zugabe yon NaHSO3 bzw. Na2S205 und anschlieBender Kondensation im Sauren. Danach erfolgt die Neutralisation mit NaOH, weshalb die MFS-Harze als Natriumsalze anfallen. Kommerziell werden die MFS-Harze als farblose, klare LOsungen mit einem Harzgehalt yon 40...60%
9.3 Anorganische Bindemittel
349
angeboten. Wie auch bei den NSF-Harzen erfolgt vor der Anwendung im Beton eine Verdiinnung auf etwa 20%. Abb. 9.26b zeigt das Strukturelement eines MFS-Harzes, n liegt bei den industriell hergestellten Produkten zwischen 4 und 10. Damit sind die MFS-Harze wie die NSF-Harze oligomere Kondensate. Wegen ihres giinstigen Einflusses auf die Friihfestigkeit werden MFS-Harze vor allem in der Fertigteilindustrie verwendet. Fiir Anwendungen auf dem Gipssektor stellt die Industrie rein weifSe, auf die Komfeinheit des Bindemittels abgestimmte, pulvrige Produkte zur Verfiigung (---, Anhydrit-FliefJestriche, Spachtel- und Ausgleichsmassen). -
H2C
-OH
jCH2--ONH~c/N~.C/NH
2
/~
II
I
N~c~jN
I I OH2 I
NH
\ SO3- Na*
SO3" Na+ a)
b)
Abbildung 9.26 Strukturelemente von Polykondensaten: a) Naphthalinsulfons~ureFormaldehyd-Harze Und b) Melamin-Formaldehyd-Sulfit-Harze.
~ Zement_.i.~ -~
~
m
)
t ==
=,..
Z
-o3s 03S
Abbildung 9.27 Wirkmechanismus von Polykondensaten am Beispiel der NSF-Harze (nach [BC 15]).
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
350
Wirkungsweise der NSF- und MFS-Harze. Die Polykondensate weisen eine hohe Ladungsdichte auf. Sie werden sofort und nahezu vollstiindig mittels ihrer anionischen Sulfonsiiuregruppen (-SO3-) auf der positiv geladenen Oberfliiche der Zementk/3mer adsorbiert. Die Folge ist eine negative Aufladung der Oberfliichen (negatives Oberfliichenpotential). Die resultierende elektrostatische Absto6ung zwischen den negativ geladenen Oberfl~ichen der ZementkSmer bewirkt einen Dispergiereffekt, der eine Zusammenballung der Partikel verhindert (Abb. 9.27). Durch die sofortige und effektive Adsorption der Polykondensate kommt dem Zugabezeitpunkt eine besondere Bedeutung zu. Er beeinflusst die Fliel3mittelwirkung. Nach etwa 30 min, insbesondere aber nach 1 Stunde hat sich die Flie6mittelwirkung erheblich reduziert. Bei niedrigen w/z-Werten (< 0,35) ist eine Wirkung kaum noch vorhanden. Das bedeutet fiir die Praxis, dass bei langen Anfahrtswegen des Betonmischfahrzeuges oder bei Arbeiten in warmen Regionen dem Transportbeton neben dem Flie6mittel auch ein Verz/Sgerer (s.u.) beigemischt werden muss - auf Kosten der Friihfestigkeit. Diese offensichtlichen Nachteile des Einsatzes von Polykondensaten Rihrte Anfang der 80iger Jahre zur Suche nach neuen Flie6mitteltypen mit giinstigeren Eigenschaften.
Polycarboxylate (PC). 1986 brachte die japanische Fa. Nippon Shokubei ein Methacryls/iureester-basiertes Polycarboxylat auf den Markt. Dabei handelt es sich um Copolymere aus der unges/ittigten Methacryls/iure und Methacryls/iureestem (Polyethylenglycolester der Methacryls/iure, Abb. 9.28). Diese Verbindungen gelten aus Ausgangspunkt einer weiteren Generation von Flie6mitteln (,,Flieflmittel der 3. Generation ") und markieren gleichzeitig einen neuen Meilenstein auf dem Gebiet der FlieBmittelentwicklung.
CH3
CH3
I CH2~
I C
Abbildung 9.28
I
I
C--"O
C----O I 0
Polycarboxylat vom Methacryls~ure-Methacryls~ureester-Typ
OH2 ~
C
I_ 0
Na
y
OH 2
I OH 2
I
~
0 n CH3
= 7-130
Die Polycarboxylate bestehen aus Haupt- und Seitenketten. Bei den PC der ersten Generation sind die Ethylenoxid-Seitenketten fiber eine Estergruppierung an die Hauptkette gebunden. Die L/inge der Seitenketten kann vielf~iltig variiert werden. Polycarboxylate besitzen eine Kammstruktur (engl. comb polymers). Die wesentlichen strukturellen Unterschiede zwischen Polycarboxylaten und Polykondensaten sind in Abb. 9.29 dargestellt. Industriell werden die PC durch radikalisch initiierte Polymerisation in w/issriger L6sung hergestellt. Als Starter kommen Peroxoverbindungen wie Azoverbindungen oder Natriumperoxodisulfat Na2S208 zum Einsatz. Um die Hauptkette auf eine bestimmte L~inge ,,einzustellen", gibt man dem Ausgangsgemisch sogenannte Regler zu. Dabei handelt es sich um Schwefelverbindungen, z.B. Mercaptane oder Methallylsulfons~iure. Die die Seitenketten
351
9.3 Anorganische Bindemittel
bildenden Ester, die vorher in einer separaten Reaktion synthetisiert worden sind, setzt man als ,,Makromonomere" zu. Polycarboxylate vom Typ Methacryls~iure-Methaeryls~iureester (Polycarboxylate der 1. Generation) geh6ren bis heute zu den am h~iufigsten eingesetzten PC-FlieBmitteln. Der Grund ist in der leichten Verftigbarkeit der Monomeren und einer gtinstigen Handhabbarkeit zu sehen. In den letzten 20 Jahren wurden versehiedene neue FlieBmitteltypen entwickelt und erprobt. Ersetzt man die Esterverkntipfung zwischen Haupt- und Seitenkette durch eine Etherverkntipfung (- CH2 - O - CH2 -), erh~ilt man auBerordentlich wirksame, temperaturstabile Produkte (z.B. PC auf Allyl- oder Vinylether-Basis; Polycarboxylate der 2. Generation). Anfang der 90er Jahre entwickelte die amerikanische Fa. W. R. Grace neue Polycarboxylate mit einer Amid- bzw. Imidverkntipfung zwischen Haupt- und Seitenkette (Polycarboxylate der 3. Generation; weitere Details, s. [BC 14, 15]). Polykondensate
9 9 9 9
hohe Ladungsdichte SO3--Gruppen als Ladungstr~ger kurzkettig, teilweise oligomer relative Molmasse: 500 - 20.000
Polycarboxylate
9 9 9 9
mittlere bis niedrige Ladungsdichte Carboxylgruppen als Ladungstr~ger Haupt- und Seitenkette relative Molmasse: 20.000 - 150.000
Abbildung 9.29 Vergleich zwischen polykondensat- und polycarboxylat-basierten Fliel~mitteln (nach: [BC 14]).
Wirkmechanismus der Polycarboxylate. Sowohl das Adsorptionsverm6gen und die Stabilisierung der Bindemittelsysteme als auch die FlieBmittelwirkung hiingen ganz wesentlich von der Molektilstruktur der PC ab. PC mit hoher Seitenkettendichte und damit geringer Ladungsdichte adsorbieren zu 20...40% an der Zementkomoberfl~iche. Der tiberwiegende Teil verbleibt im Porenwasser und steht ftir eine Adsorption und FlieBmittelwirkung zu einem spiiteren Zeitpunkt zur Verfiigung. Die Stabilisierung der Bindemittelsuspension erfolgt tiberwiegend durch sterische Wechselwirkungen zwischen den langen Seitenketten. Die Seitenketten wirken quasi als ,,Abstandshalter" und verhindem dutch eine sterische Abschirmung der Partikeloberfliichen ein Zusammenballen der Zementteilchen (Abb. 9.30). Ist die Seitenkettendichte gering und demnach die Ladungsdichte hoch, verfliissigen die Polycarboxylate die Bindemittelsuspensionen in erster Linie durch elektrostatische AbstoBung zwischen den Zementpartikeln. Polycarboxylate mit einer hohen Seitenkettendichte erm6glichen lange Verarbeitungszeiten des Betons. Damit sind sie vor allem fiir Transportbetone von groBem Interesse. Allerdings erfordem sie eine relativ hohe Dosierung. Sie liegt zwischen 0,2 und 0,5%, bezogen auf die Zementmasse. Bei geringer Seitenkettendichte und hoher anionischer Ladungsdichte ist die verfliissigende Wirkung am Anfang bei geringerer FlieBmittelkonzentration (0,05...0,2%, bezogen auf die Zementmasse) ebenfalls sehr hoch. Sie f~illt jedoch mit der Zeit rasch ab
352
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
[BC 14]. Die PC der letzteren Gruppe ~ihneln damit in ihrem Verhalten eher den Polykondensaten, wenngleich ihre Dosierung deutlich niedriger liegt. Die vorher gemachten Aussagen gelten im Falle zement~irer Baustoffgemische f'tir w/zWerte > 0,5. Weshalb der Effekt einer langen Verarbeitbarkeit bei niedrigeren w/z-Werten kaum oder gar nicht auftritt, ist bis heute ungekl~irt.
,i, ,!.
Zementkorn
+ + ~, 9I ,
-A~b,-
,..
Sterische Wechselwirkungen
Abbildung 9.30 Polycarboxylate: Stabilisierung durch sterische Wechselwirkungen zwischen den langen Seitenketten (nach: BC 15]). Im Vergleich zu den Polykondensaten bieten die Polycarboxylate eine Reihe von Vorteilen: Durch Wahl verschiedenster Monomere, Starter und Regler sowie Variation der Reaktionsbedingungen k6nnen gezielt Substanzgruppen mit bestimmten Wirkprofilen synthetisiert werden. Die Kehrseite der Existenz einer Vielzahl spezifisch wirksamer PC liegt auf der Hand: Sie geht auf Kosten einer allgemeinen Anwendbarkeit. Es ist deshalb die Aufgabe der FliefSmittelhersteller, breit einsetzbare, robuste Produkte zu entwickeln. PC sind gut mit anderen Zusatzmitteln, speziell Luftporenbildnern, kombinierbar. Ohne ihren Einsatz sind moderne Hochleistungsbetone nicht denkbar. Luftporenbildner (LP) sind Zusatzmittel, die den Luftgehalt und damit die Frost- und Frost-Taumittel-Best~indigkeit des Betons erh6hen sollen. Dartiber hinaus k6nnen sie die Verarbeitbarkeit des Betons verbessem und den Wasseranspruch vermindern. LP sind ebenfalls grenzflachenaktive Stoffe. Sie bilden w~ihrend des Mischens im alkalischen Milieu des Zementleims feinblasige Sch~iume mit langer Standzeit. Die kleinen Luftblaschen diirfen sich nicht zu grofSen B lasen vereinigen und durch mechanische Einwirkungen nicht aus dem Beton entweichen. Als Luftporenbildner bewahrt haben sich Seifen aus nattirlichen Harzen, wie z.B. Tallharzen, Vinsolharzen, Balsamharzen (Kolophonium) und deren Derivaten sowie synthetische nichtionische und ionische Tenside, z.B. Fetts~iuren, Alkylsulfate bzw.-sulfonate und Alkylpolyglycolether. Die entstehenden Luftporen ( 0 0,05...0,3 mm) mtissen im Beton in ausreichender Menge vorhanden und gleichm~iBig verteilt sein. Der Abstandsfaktor als Mittelwert der gr/SBten Entfernung eines beliebigen Punktes im Zementstein bis zum Rand der n~ichsten Luftpore soil kleiner als 2 mm sein. Die kugelf'6rmigen Luftporen unterbrechen die r/Shrenf6rmigen
9.3 Anorganische Bindemittel
353
Kapillaren und vermindern aufgrund ihres gr613eren Durchmessers dessen Saugwirkung. Die Eindringtiefe fiir das aufsteigende Wasser wird verringert. Die Erh6hung des Frost- und Frost-Tausalz-Widerstandes ist auf die Fahigkeit der Luft-Mikroporen zurtickzuftihren, den beim Gefrieren des Wassers in den Kapillarporen entstehenden Oberdruck (Gefrier- oder Eisdruck) auszugleichen. Gleichzeitig bewirken die Luftporen eine Verbesserung der Verdichtungswilligkeit des Betons (,,Kugellagereffekt"). Luftporenbildner sind fiJr Betone, die einen hohen Frostwiderstand aufweisen sollen, empfehlenswert. Far Betone, die mit Taumitteln in Beriihrung kommen (StrafSenbeton!) ist ihr Einsatz unerl~isslich.
Dichtungsmittel (DM). Solange der Mensch baut, versucht er zu verhindem, dass die aufsteigende Feuchtigkeit in seine Behausung eindringt. Generell gilt, dass eine geeignete Betonzusammensetzung die Dichtigkeit eines Betons mehr verbessert als der Einsatz von Dichtungsmitteln. Mit anderen Worten, aus betontechnologischer Sicht reduziert man die Wasseraufnahme durch den Beton tiberwiegend fiber die Minimierung des w/z-Wertes. Werden dennoch Dichtungsmittel notwendig, z.B. als ,,Innenversiegler" fiJr bestimmte Betonwaren oder um eine hydrophobierende Wirkung bzw. einen Porenverschluss zu erreichen, setzt man Stoffe begrenzter Quellf~ihigkeit oder mit hydrophoben Eigenschaften ein. Quellf~ihige Stoffe, wie z.B. dispergierte Kiesels~iure, Phosphate oder quellf'~ihige EiweiBe, sollen die Kapillarporen verschliefSen bzw. verstopfen. Hydrophobe Stoffe, wie z.B. Erdalkalimetallsalze von Fetts~iuren, sollen dagegen die kapillare Wasseraufnahme reduzieren. Zum Beispiel richten sich bei der Verwendung von Calciumstearaten bzw. -oleaten die Molekiile aufgrund ihrer tensidischen Struktur an der Oberfl~iche der Kapillaren so aus, dass die langen unpolaren C-H-Ketten von der Oberfl~iche weggerichtet sind und die polaren Carboxylatgruppen adsorptiv an der Festk6rperoberfl~iche gebunden werden. Damit belegen diese Substanzen die Kapillarwand mit einem wasserabweisenden, meist monomolekularen Film und vermindern die Benetzbarkeit deutlich. Nichtdrtickendes Wasser kann nicht mehr in die Poren eindringen. Mit zunehmendem Druck des Wassers nimmt allerdings die wasserabweisende Wirkung ab.
VerziJgerer (VZ), auch Abbindeverz/Sgerer, sind Zusatzmittel, die den Zeitraum zwischen dem verarbeitbaren plastischen (Frischbeton) und dem festen Beton verl~ingem sollen. Portlandzement ist ohne Gipszusatz nur wenige Minuten verarbeitbar. Ein mit Normzement hergestellter Beton beginnt nach 2...3 Stunden zu erstarren. Um bei hohen Betontemperaturen (Hochsommer), bei der Herstellung gr~Sf~erermassiver Bauteile ohne Arbeitsfugen oder bei Transportbeton ausreichend lange Verarbeitungszeiten zu gew~ihrleisten, werden dem Beton VZ zugesetzt. Die Erstarrungszeit verl~ingert sich und die Abgabe der Hydratationsw~irme erfolgt dementsprechend langsamer. Verz6gerer verhindern vortibergehend das Inl/Ssunggehen der schnell reagierenden Zementbestandteile (Aluminate!) und verz/Sgem somit den Hydratationsbeginn. Die am h~iufigsten als VZ eingesetzten Verbindungen sind Saccharosen (Rohr- oder Riibenzucker), Gluconate, wie z.B. Natriumgluconat: Na-Salz der Glucons~iure C6H1107Na, Hydroxycarbons~iuren und Phosphate, wie z.B. Tetrakaliumdiphosphat K4P207 oder bestimmte Natriumpoly- bzw. metaphosphate. Sie greifen in die chemische Reaktion zwischen Zement und Wasser ein und bilden mit den Ca2+-Ionen des Anmachwassers schwer 1/Ssliche Calciumverbindungen, die sich bevorzugt auf den GaA-Oberfl~ichen abscheiden. Damit wird die Bildung der Hydratphasen verz6gert. Wie die Betonverfltissiger und FliefSmittel werden auch die Verz/Sgerersubstanzen fest in die Zementmatrix eingebunden. Frti-
354
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
her h~iufig eingesetzte makromolekulare Verbindungen wie Methylcellulose, Dextrin und Casein bilden Schutzkolloide und verz6gem so das Inl6sunggehen der schnell reagierenden Zementbestandteile. Die Verz6gerungszeiten k6nnen sich von einigen Stunden bis auf einige Tage erstrecken. Die Wirkungsdauer der verz6gemden Substanzen h~ingt u.a. von der Temperatur, vom w/zWert (niedrige w/z-Werte verkiirzen die Verz6gerung, h6here verl~ingem sie!) und von der Mahlfeinheit ab.
Beschleuniger (BE), auch Abbindebeschleuniger, sollen den Zeitraum zwischen dem plastischen und dem festen Zustand des Betons verkUrzen. Sie werden zum Beispiel dann ben6tigt, wenn 9 entweder frfiher oder - bei verschiedenen Umgebungstemperaturen - nach der gleichen Liegezeit entschalt werden soil, 9 bei winterlichen Temperaturen der junge Beton durch Verkfirzung der Abbindezeit vor Frost geschiitzt werden soil (Gefrierschutz), 9 die Abbindezeit von Beton, der zur Reparatur von WassereinbrUchen in Tunnels oder Bergwerksschachten eingesetzt wird, verkiirzt werden soil, 9 schnellabbindender Spritzbeton fiir Spezialanwendungen hergestellt werden soil. Abbindebeschleuniger bewirken ein schnelleres Inl6sunggehen und damit eine beschleunigte Hydratation der Zementkomponenten. Als Beschleuniger finden vor allem Alkalimetallsilicate (Wasserglaser), Natrium- und Kaliumaluminate, Carbonate wie z.B. Na2CO3 (Soda) und K2CO3 (Pottasche), amorphe Aluminiumhydroxide, Aluminiumsulfat und Formiate (Salze der Ameisens~ure, z.B. Calciumformiat (HCOO)2Ca) Anwendung. Die genauen Wirkungsmechanismen der Beschleuniger sind bis heute nicht vollst~indig aufgekRirt. Dazu sind die ablaufenden Vorg~inge einfach zu komplex. Klar ist jedoch, dass eine Beschleunigung der Hydratation nur tiber die Beeinflussung der L6slichkeiten (L6slichkeitsprodukt!) der an der Ettringit-und Calciumsilicathydratbildung beteiligten Verbindungen CaSO4, Ca(OH)2 und Ca,& oder tiber eine Erh6hung der Konzentration an Ca 2+-, AI 3+-, OH-- und SO42--Ionen m6glich ist. So erh6hen die Alkalimetallcarbonate die Konzentration an OH--Ionen, Alkalimetallsilicate fiihren zur Bildung zus~itzlicher Calciumsilicate und Calciumformiat erh6ht die Konzentration an Ca 2+ im Anmachwasser. Die schwer 16slichen Calciumsalze werden in die Zementmatrix eingebunden. Obwohl die Frfihfestigkeit im Allgemeinen erh6ht wird, vermindert sich durch den Zusatz von BE oft die Endfestigkeit. Dariiber hinaus erh6hen Beschleunigersubstanzen die Neigung des Betons zum Schwinden und zu Ausbliihungen. Eine sehr sorgfaltige Dosierung ist angebracht, insbesondere auch deshalb, da Oberdosierung das Gegenteil bewirken kann, Verz6gem statt Beschleunigen. Einpresshilfen (EI-I) dienen sowohl der Verbesserung der FlieBf'~ihigkeit des Betons, der Verminderung des Wasseranspruchs, der Verhinderung des Absetzens (Sedimentation) als auch der Erzielung eines (maBigen) Quelleffekts bei Einpressm6rteln im Spannbetonbau. Die Quellwirkung wird durch Zugabe von Aluminiumpulver erreicht, das sich im alkalischen Milieu unter H2-Entwicklung aufl6st (GI. 8-17). Das Quellen soil dem normalen Schwinden entgegenwirken. Stabilisierer (ST) sind Betonzusatzmittel, die das Absondern von Anmachwasser des Frischbetons (,,Bluten") verhindem sollen. Dabei handelt es sich um wasserbindende Zu-
9.3 Anorganische Bindemittel
355
satze, die in der Lage sind, im alkalischen Milieu des Betons Wasser zu binden und es in nachfolgenden Gleichgewichtsreaktionen fiJr die ablaufenden Hydratationsvorgange wieder zur Verffigung zu stellen. Als Stabilisierer kommen vor allem Polysaccharide, bes. Cellulose- und St~irkeether, zum Einsatz. Die makromolekularen Verbindungen halten fiber ihre polaren OH-Gruppen und O-Atome Wassermolektile fest (Wasserstoffbriickenbindungen!) und bauen somit Hydrathtillen auf. Cellulose- und St~irkeether sind gleichzeitig die gebr~iuchlichsten Wasserretentionsmittel (wasserrtickhaltende Verbindungen) far bauchemische Systeme wie M/Srtel- und Gipsputze sowie Fliesenkleber. Chromatreduzierer (CR), siehe Kap. 8.3.5.2).
9.3.5 Gipse und Anhydrite Baugipse sind anorganisch-mineralische Bindemittelsysteme, die mindestens zu 50% aus Dehydratationsprodukten des Calciumsulfat-Dihydrats (CaSO4 9 2 H20) bestehen. Die dehydratisierten Formen besitzen die F~ihigkeit - und darin besteht ihre baupraktische Bedeutung - unter Aufnahme von Wasser wieder ,,rehydratisieren" zu k6nnen. Baugipse werden aus Rohgips oder REA-Gips, kaum noch aus Chemiegips, durch entsprechende Aufbereitungs- und Brennverfahren mit anschlieBender Mahlung hergestellt. Sie werden kommerziell ohne Zusatz (Stuckgips, Putzgips) oder mit Zus~itzen (Fertigputzgips, Haftputzgips, Maschinenputzgips, Spachtel- oder Fugengips) angeboten. Als Zus~itze kommen Verz6gerer, Beschleuniger, Plastifizierer und Haftungsmittel zum Einsatz. Sie sollen bestimmte Eigenschaften wie die Ansteif- und Verarbeitungszeit, die Konsistenz und die Haftung giinstig beeinflussen. Zus~itzlich k6nnen noch Fiillstoffe wie Sand, Kalksteinmehl oder Perlite zugemischt sein.
9.3.5.1 Vorkommen, Darstellung, Eigenschaften und Verwendung Calciumsulfat kommt in der Natur iiberwiegend als Dihydrat CaSO4 9 2 1-120 Gips (Gipsstein) und als wasserfreie Form CaSO4 Anhydrit (Anhydritstein) vor. Variet~iten des Gipses sind das analog zum Glimmer leicht spaltbare Marienglas und der wie weiBer Marmor aussehende Alabaster. Gips- und Anhydritstein k6nnen je nach Vorkommen und Lagerst~itte mit anderen schwer 16slichen Verbindungen wie z.B. Kalkstein und Ton vergesellschaftet sein. Sind diese Mengen gering, beeintrachtigt das die Verwendbarkeit des Rohstoffs nicht. Neben den natiirlichen Vorkommen fallen groBe Mengen von Chemiegips als Nebenprodukt chemischer Prozesse, wie z.B. der Nassherstellung von Phosphors~iure (G1. 9-32a, b) und der Herstellung von Titandioxid, sowie von REA-Gips bei der Rauchgasentschwefelung (Kap. 5.5.3.2) an. Ca3(PO4)2
Phophorit
+ 3 H2504
Cas(PO4)3F 4- 5 n 2 s o 4 Fluorapatit
H20 ~
3 CaSO4-2 H20 + 2 H3PO4
(9-32a)
5 CaSO4" 2 1-120 + 3 H3PO4 + HF
(9-32b)
Flusss~ure
Der ,,Phosphorgips" (auch: Phosphogips) wird in nur sehr geringem Umfang praktisch verwertet. Das liegt vor allem an verfahrenstechnischen Schwierigkeiten bei der Weiterver-
356
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
arbeitung, da Phosphorgips eine Vielzahl unterschiedlicher Verunreinigungen enth~ilt. Das k/Snnen in Wasser leicht bzw. schwer 1/Ssliche anorganische Verbindungen wie Phosphate und Hexafluorosilicate, aber auch Salze organischer Carbonsauren sein. Diese Verunreinigungen beeintr~ichtigen h~iufig die Gebrauchseigenschaften der Baugipse. Dariiber hinaus weist Chemiegips eine relativ hohe radioaktive Belastung auf, was auf erh6hte Konzentrationen an Ra-226 und K-40 in den eingesetzten Rohphosphaten zurtickzufiihren ist. Baugipse werden heute zu einem erheblichen Anteil aus REA-Gips hergestellt. Im Jahr 2003 lag die Produktion an REA-Gips in Deutschland bei etwa 7,5 Mio. t, davon wurden zwischen 5 und 6 Mio. t vom Baugewerbe verarbeitet. Brennen von Gips. Voraussetzung f'tir die Verwendung von Gips als Bindemittel ist das Brennen des Calciumsulfat-Dihydrats CaSO4 9 2 H20 (Dihydrat, DH). Beim Brennen erfolgt die thermische Dehydratisierung (Entw~isserung). In Abhangigkeit vonder Temperamr und der Zeitdauer entstehen f'tinf verschiedene Phasen, zwei wasserhaltige Phasen CaSO4 9 2 1-120 und CaSO4 9 1/2 H20 und drei wasserfreie Phasen Anhydrit III, Anhydrit II und Anhydrit I. Thermodynamisch stabil sind nur das Dihydrat und der Anhydrit II. Beide Formen kommen in der Natur frei vor oder fallen bei chemischen Prozessen an. Die metastabilen Phasen Halbhydrat und Anhydrit III sowie der ,,erbrannte" Anhydrit II kSnnen ,,kiinstlich" aus dem Dihydrat durch Dehydratisierung erhalten werden. S ie besitzen groge technische Bedeutung. Erhitzt man Gips im Labor auf etwa 120~ wird ein Teil des Kristallwassers abgespalten. Aus dem Dihydrat bildet sich das Halbhydrat (HH), G1. (9-33a). CaSO4" 2 H20
= CaSO4" ~ H20 + 11/2H20
(9-33a)
CaSO4" 1,/2H20
= CaSO4 + 1,/2H20
(9-33b)
Je nach Entw~isserungsbedingungen k/Snnen zwei unterschiedliche Modifikationen entstehen, das a-Halbhydrat oder das I~-Halbhydrat (Tab. 9.9). In der nassen Atmosph~ire des Autoklaven bildet sich das ct-Halbhydrat. Es F~illt in relativ grogen, weigen bis durchsichtigen Kristallen an. Die i~-Form, die sich bei der Entwasserung in trockener Atmosph~ire bildet, wird als mikrokristallines Produkt erhalten. Ihre kleinen nadeligen, mattweigen Kristalle besitzen eine deutlich gr/SfSere Oberflache als die Kristalle der a-Form. Der fiir die Bauanwendung wesentliche Unterschied zwischen beiden Formen besteht im Anmachwasserbedarf und in den verschiedenen Druck- und Zugfestigkeiten (Druckfestigkeit: ct-HH ca. 45 N/mm 2, I3-HH ca. 12,5 N/mm2; Zugfestigkeit: ct-HH ca. 12,5 N/mm 2, [3-HH ca. 4,5 N/mm2). Beim Erhitzen tiber 200~ wird das restliche Kristallwasser bis auf einen Restgehalt < 1% ausgetrieben (G1. 9-33b). Es entsteht der Anhydrit III (CaSO4 III), von dem ebenfalls je eine a- und eine [3-Form existieren. Anhydrit m i s t eine metastabile Phase, die bereits an feuchter Luft wieder in das HH iibergeht. Weiteres Erhitzen auf Temperaturen zwischen 500...600~ fiihrt zur vollst~indigen Entw~isserung. Dabei entsteht der Anhydrit II (CaSO4 II). Diese wasserfreie Form des Calciumsulfats zeigt mit Wasser von selbst - also ohne Anreger - kaum noch Erh~irtungsverm/Sgen. Man spricht von ,,totgebranntem" Gips. Bei einer Temperatur von etwa 1200~ bildet sich sogenannter Hochtemperaturanhydrit (Anhydrit I, CaSO4 I). Er besitzt keine technische Bedeutung.
9.3 Anorganische Bindemittel
357
In der Technik kann man durch die Art der Verfahrensftihrung einschliefSlich der Variation der Temperatur- und Druckverhiiltnisse die Zusammensetzung und Abbindeeigenschaften der entstehenden Baugipse gezielt beeinflussen. Da die Phasenumwandlungen stark kinetisch gehemmt sind, werden unter technischen Reaktionsbedingungen niemals reine Phasen, sondern stets Phasengemische erhalten. Die Kristallstrukturen aller Phasen im System CaSO4 - H20 bestehen aus CaSOa-Schichten, zwischen denen, abhiingig von der Art der Phase, verschiedene Mengen an Wasser eingelagert sind. Abb. 9.31 zeigt die Kristallstruktur des CaSO4 92 H20 [AB 16]. Die Calciumsulfatschichten, die aus SO4-Ca-SO4-Ketten bestehen, altemieren mit Zwischenschichten aus Wassermolekiilen. Untereinander sind die Schichten tiber schwache Wasserstoffbrtickenbindungen zwischen den Wasserstoffatomen der an den Calciumionen koordinierten HzOMolekiilen und den O-Atomen von Sulfationen benachbarter Schichten verbunden. Dies erkl~irt die relativ leichte Wasserabgabe des Calciumsulfat-Dihydrats, die nicht erst bei Temperaturen > 100~ sondem bereits bei 42~ beginnt. Bei der Entw~isserung bleibt nicht nur der Gitteraufbau erhalten, auch die Kristallform bleibt weitgehend unver~indert. Das Kristallwasser entweicht tiber Risse auf der Kristalloberfl~iche. Mit dem Wasserverlust ist eine signifikante Dichtezunahme verbunden (Tab. 9.9). ;
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Abbildung 9.31 Kristallstruktur von Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4.2 H20); oben: SO4 - Ca - SO4-Ketten, links: Bindung der Schichten 0ber Wasserstoffbr0ckenbindungen; die grauen Tetraeder sind Sulfationen. Quelle: J. Sieler, Universit~t Leipzig. -It
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Die fiir das Bauwesen wichtigsten Gipssorten sind der Stuekgips und der Putzgips. Stuckgips besteht iiberwiegend aus ~-Halbhydrat. Daneben enth~ilt er Anhydrit III und Reste von ungebranntem Dihydrat, also alles Dehydratationsprodukte des Niedertemperaturbereiehs. Stuckgips ist ein Mehrphasengips. Damit k6nnen die Versteifungszeiten leicht variieren. Der Versteifungsbeginn kann zwischen 8...25 min nach dem Anmaehen des Gipses mit Wasser liegen. Putzgips ist ebenfalls ein Mehrphasengips. Er besteht aus Dehydratationsprodukten des Nieder- und Hochtemperaturbereichs: [3-Halbhydrat, [3-Anhydrit III und Anhydrit II, wobei erst ein bestimmtes Verh~iltnis zwischen diesen Komponenten den ei-
358
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
gentlichen Putzgips ausmacht. Dieses Verh~iltnis kann durch die Art der Brandfiihrung unter Einsatz von Gipsstein bestimmter Komgr6Be eingestellt werden. Anwendung von Baugipsen: Innenputze (Gips- und Gipskalkputz), Herstellung von Gipsbauplatten, Stuck-, Form- und Rabitzarbeiten.
Etwa 50% des gef'6rderten Gips- bzw. Anhydritsteins werden von der Zementindustrie als Abbinderegler ~ r Portland- und Hochofenzemente ben0tigt.
Tabelle 9.9 Phasen im System CaS04- Ha0 und physikalisch-chemische Eigenschaften Chemisehe Formel der Phase Bezeiehnung
Weitere Bezeichnungen
CaSO4" 2 H20
CaSO4 9 89H20
CaSO4
CaSO4
CalciumsulfatDihydrat (DH)
CalciumsulfatHalbhydrat (HH)
Anhydrit II
Anhydrit III
Naturgips, Rohgips, Chemiegips, Gipsstein, technischer Gips, abgebundener Gips
15-Halbhydrat, ~-Gips, Stuckgips, t~-Halbhydrat, a-Gips, Autoklavengips
Naturanhydrit, 16slicher Anhydrit Rohanhydrit, Anhydritstein, synthetischer Anhydrit, Chemieanhydrit A II a)
t~-A III ~-A III
2,93 - 2,97
2,58
Formen Kristallwasser (%) Dichte
20,92 2,31
Molmasse (g/moi) Kristallsystem
172,2 monoklin
a-Form 13-Form 6,21 ct: 2,757-Form 15:2,619 145,2 monoklin
L0sliehkeit in H20, 20~ (g CaSO4/L) Stabilitfit Bildungstemperatur im Labor
2,04
a: 6,7
~-8,8
136,2 136,2 orthorhombisch orthorhombisch pseudohexagonal 2,7 a: 6,7
~-8,8
metastabil 40 - 1180~ metastabil t~: >45~ inH20 200 - 1180~ et: 100~ in Luft 15" 45-200~ in ~- 5o~ im trockener Luft Vakuum Bildungstemperatur ct: 80-180~ nass et: 1 IO~ nass im teehnischen Pro300 - 900~ [3" 120-180~ [3" 290~ zess trocken trocken a) Unterteilung entsprechend ihrer Reaktivitfit gegentiber Wasser 9A II-s (schwer 10slicher Anhydrit), Rehydratationszeit 89h bis 3 d, pH = 6; A II-u (unl0slicher Anhydrit), Rehydratationszeit 3-7 d, pH = 6; A II-E (Estriehgips), Rehydratationszeit > 3 d, pH = 9.
9.3.5.2
< 40~
Erh~irtungsprozess
Teilentw~issertes Calciumsulfat-Dihydrat bzw. dehydratisierte Gipse besitzen die F~ihigkeit zur Rehydratation. Damit weisen sie Bindemitteleigenschaften auf. Als Pulver mit Wasser zu einem Brei verriihrt, wandeln sie sich in einer exothermen Reaktion in das Dihydrat um (Erhfirten von Gips). Bei der Bildung des Dihydrats aus Halbhydrat (G1. 9-34) werden je
9.3 Anorganische Bindemittel
359
nach der kristallinen Modifikation zwischen 34,4 und 38,6 kJ/mol, bei der Bildung des Dihydrats aus Anhydrit (GI. 9-35) dagegen nur 30,2 kJ/mol W~irme frei. Anhydrit II reagiert im Vergleich zu den anderen Formen relativ tr~ige. CaSO4 9 89 H20 + 189H20
=
CaSO4 92 1-120
(9-34)
CaSO4 + 2 H20
=
CaSO4" 2 H20
(9-35)
In Abb. 9.32 ist die Abh~ingigkeit der LOslichkeit der Calciumsulfathydratphasen und des Anhydrits II von der Temperatur dargestellt. Bedeutsam ftir den Erh~irtungsprozess ist die Tatsache, dass sich bei der Bildung des Dihydrats die LOslichkeit sukzessive verringert: CaSO4 9 1,/2H20 ([3-HH) ca. 8,8 g, Anhydrit II ca. 2,4 g, CaSO4 9 2 1-120 ca. 2 g (alle Werte pro Liter H20, 20~ Anhydrit II besitzt eine deutlich geringere Lfslichkeit als die Halbhydrate, bei Temperaturen > 30~ liegt seine LOslichkeit sogar unter der des Dihydrats. Das erkl~irt, weshalb reiner Anhydrit als Bindemittel ungeeignet ist. Erst wenn durch Zugabe von Anregem (s.u.) das LSslichkeitsprodukt der Dihydrate abgesenkt wird, ergibt sich ein geniigender L6slichkeitsunterschied und damit ein fiir praktische Anwendungen hinreichendes Abbindeverhalten. Unter 42~ stellt das Dihydrat und tiber 42~ der Anhydrit II die thermodynamisch stabilste Modifikation dar. 12 v
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Abbildung 9.32 Abh~ngigkeit der L0slichkeit der Calciumsulfathydratphasen sowie von Anhydrit II von der Temperatur.
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Hydratationsprozess. Nach der Kristallisationstheorie von Le
Chatelier l~isst sich die Bildung des Dihydrats nach dem Einstreuen von Halbhydrat in Wasser wie folgt erkl~iren: Das CaSO4 der ~iuBersten Schicht der Halbhydratk6mer geht zun~ichst in L6sung. Es bildet sich eine tibers~ittigte L6sung, aus der das Dihydrat infolge seiner geringeren L6slichkeit auskristallisiert. Die CaSO4-Krist~illchen, die sich an der Oberfl~iche der Halbhydratk6mer ausbilden, wandeln sich sukzessive in das Dihydrat um. AuflOsung von Halbhydrat und Abscheidung von Dihydrat setzen sich iiber den gesamten Zeitraum der Hydratation fort. Aus den prim~ir entstandenen Kristallkeimen bilden sich feine Nadeln (Abb. 9.33), die untereinander verfilzen und so die Versteifung bewirken. Nach dem Trocknen (Austrocknen) des Gipses liegt ein polykristallines Gefiige hoher Festigkeit vor. Die zun~ichst einsetzende Volumenkontraktion wird infolge Dihydratbildung durch eine VolumenvergrSflerung tiberlagert. Der Gips weist ein P o r e n v o l u m e n von ca. 50~ auf. Er ist deshalb im trockenen Zustand gut warmed~immend.
360
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
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Abbildung 9.33 Wachstum von Gipskristallen auf einem 13-Halbhydratkristall. ESEMAufnahmen bei 11~ nach 4 min (links, 6000x) und nach 8 min (rechts, 2500x). Quelle: F. A. Finger-lnstitut for Baustoffkunde, Bauhaus-Universit~t Weimar.
Sulfatische und basische Anregung. Wie bereits erw~ihnt, hydratisiert Anhydrit II aufgrund seiner geringen L6slichkeit deutlich langsamer als die Halbhydrate. Um trotzdem eine technische AnWendung zu erm6glichen, wurden bereits frtihzeitig Anreger (H~irtungsbeschleuniger) entwickelt, die die Hydratationsgeschwindigkeit erh6hen sollen. Man unterteilt die Anreger in zwei Gruppen: in sulfatische und in basische Vertreter. Zu den sulfatischen Anregern geh6ren Alkali-, Ammonium- und Schwermetallsulfate wie z.B. K2SO4, Na2SO4, (NH4)2SO4, CuSO4, FeSO4 und ZnSO4, zu den basischen Anregern geh6ren Ca(OH)2 und Portlandzement. Ihre Dosierung betr~igt etwa 0,3%, bezogen auf die Masse des Anhydrits.
Die Wirkungsweise dieser Anreger beruht vor allem auf der Beeinflussung der L6slichkeitsverh~iltnisse. Die iiberwiegend sulfatischen Verbindungen wirken als gleichioniger Zusatz (Kap. 6.3.3). Sie erniedrigen die molare L6slichkeit des CaSO4 und fiihren zu einer beschleunigten Abscheidung von Gipskristallen. Der Einsatz basisch reagierender Substanzen wie Ca(OH)2 oder Portlandzement bewirkt infolge der Erh6hung der Calciumionenkonzentration in der L6sungsphase ebenfalls eine Herabsetzung der CaSOn-L6slichkeit. Wiederum ist eine beschleunigte Auskristallisation von Gipsstein die Folge. Anreger haben nicht nur Einfluss auf das Erstarrungsverm6gen von Anhydritbindem. Sie beeinflussen auch deren Schwinden und Quellen. Damit lassen sich Binder herstellen, die weniger schwinden und st~irker quellen. Eine Untersuchung zum Hydratationsverhalten von Natur-, Synthese- und REA-Anhydrit zeigte [BC 14], dass Anhydrit n praktisch niemals vollst~indig mit Wasser zum Dihydrat reagiert. Mit anderen Worten: Eine vollstandige Hydratation wie etwa beim Zement erfolgt bei Anhydriten nicht. Den h6chsten Hydratationsgrad weist mit etwa 80 - 90% der REAAnhydrit auf, wahrend der Hydratationsgrad von Naturanhydrit selten tiber 50% liegt. Das kann zu unerwtinschten Auswirkungen bei einer nachtr~iglichen Befeuchtung des Baustoffes ftihren. Als Folge der Volumenzunahme bei der Dihydratbildung treten Aufw61bungen und Abplatzungen auf- ein Schadensbild, das im Alltag haufig zu beobachten ist. Eine solche ,,Nachhydratation" kann auch im Estrich zu enormen Geftigespannungen ftihren. Das Bindemittel wird miirbe und die Festigkeit nimmt ab.
361
9.3 Anorganische Bindemittel
Durch Zusatz von H~irtungsverz6gerern wie Alaunen, z.B. Kalialaun K A I ( S O 4 ) 2 9 12 H20, Leimen, Zucker, Milch oder Borax Na2B407 9 10 H20 kSnnen die Versteifungszeiten verl~ingert werden. Die Wirkungsweise dieser Substanzen beruht tiberwiegend auf der Ausbildung von Schutzkolloiden, die die Keimbildung unterdrticken sowie die Geschwindigkeit der Aufl0sung des Halbhydrats und damit die Bildung der Dihydratkristalle erniedrigen. Die Festigkeitseigenschaften der Baugipse werden in erster Linie vonder Gipsart und vom Wassergipsverhiiltnis bestimmt. Das Wasser-Gips-Verh~iltnis (Verh~iltnis: Anmachwassermenge / Gipsmenge) wird in der Baupraxis als Wassergipswert bestimmt (DIN 1168). Er ist entsprechend G1. (9-36) als Quotient aus der Wassermenge (100 g) und der Einstreumenge Gips (in Gramm) definiert. Wassergipswert -
1 O0 g Wasser
(9-36)
Einstreumenge Gips in g
Die Einstreumenge ist die Gipsmenge in Gramm, die beim Einstreuen in 100 g Wasser gerade durchfeuchtet wird. Stuckgipse sollten bei einem Wassergipsverh~iltnis von 0,6...0,8 verarbeitet werden. In Analogie zur Zementerh~irtung gilt: Die Festigkeit der Gipse nimmt mit zunehmender Menge an Anmachwasser ab.
9.3.5.3
Eigenschaften yon Bindemitteln auf der Basis yon CaSO4
Ausgehend vom Chemismus der Bindemittel auf der Basis von CaSO4 lassen sich die nachfolgenden Eigenschaften und Hinweise ~ r ihre Verwendung ableiten: Gipslfsung reagiert chemisch neutral. Im Unterschied zur basischen Reaktion des ZementmOrtels und Betons reagiert eine GipslOsung weitgehend neutral (pH-Wert-7). Damit ist fiir Eisen und Stahl kein Rostschutz gegeben, Stahlteile miissen durch Schutzanstriche (z.B. Lacke, Bitumen) geschtitzt werden. Relativ hohe Wasserl6slichkeit des Dihydrats. CaSO4 92 H20 besitzt bei normalen Temperaturen eine verhaltnism/~Big hohe WasserlOslichkeit (ca. 2 g~iter). Gips ist daher nur an Bauteilen zu verwenden, die nicht st/indiger Feuchtigkeit ausgesetzt sind bzw. mit flieBendem Wasser in Bertihrung kommen. Kurzzeitige Feuchtigkeitsaufnahme, z.B. in Wohnungsktichen und -b~idem, fiJhrt zu keinen Schaden, obwohl nattirlich die Festigkeit reduziert wird. Dauemde Durchfeuchtung mit Wasser sowie st~indige Einwirkung von Temperaturen > 60~ fiihren zu L0seerscheinungen und Ge~gever~inderungen. Damit ist Gips ~ r den AuBenbau und fiJr extrem feuchte R/iume wie Hallenbiider nicht geeignet. Wegen ihrer WasserlOslichkeit diirfen Gipse nicht mit Zementen und/oder hydraulischen Kalken verarbeitet werden, da ansonsten bei sp/Rerer Durchfeuchtung das Ge~ge zerstOrt wird (Kap. 9.4.2.2, Sulfattreiben). Aus dem gleichen Grunde ist ~iuBerste Vorsicht bei der Verarbeitung yon GipsmOrtel auf Beton oder zementgebundenem Untergrund geboten.
Gips wirkt feuchtigkeitsregulierend. Gipsbauteile und-fl~ichen besitzen aufgrund ihres hohen Porengehaltes im trockenen Zustand ein beachtliches Saugverm0gen fiir Wasser (Wasseraufnahme bis zu 50% ihrer Eigenmasse), das aber ebenso schnell wieder abgegeben
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
362
werden kann. Gips ist ,,atmungsaktiv", deshalb sind Gipsplatten fiJr den Ausbau von Wohnr~iumen besonders empfehlenswert.
Feuerschutzwirkung von Gipsstein und Gipsbaustoffen. Gipsbaustoffe wirken feuerhemmend, da das in der Hitze verdampfende Kristallwasser die Temperatur am Brandherd emiedrigt. Gipsplatten besitzen eine hohe Feuerschutzwirkung. Volumenzunahme beim Abbinden. Da die B ildung von Dihydrat durch die Aufnahme von Kristallwasser mit einer Volumenzunahme von etwa 1% verbunden ist, kann das Auftreten von Schwindrissen bei Gipsputzen bzw. die Lockerung von Verdtibelungen weitgehend ausgeschlossen werden. Feinste Unebenheiten k6nnen ausgeglichen werden. Lagerung und Verarbeitung. Baugipse miissen stets trocken gelagert werden, damit sich keine Dihydrate bilden. Um eine Klumpenbildung (lokale Hydratation!) zu vermeiden, sollen beim Anmachen die Halbhydrate immer in das Wasser eingestreut werden. Der Abbindeprozess darf nicht durch mechanische Einfliisse unterbrochen werden, da es ansonsten zu einer St6rung der Ausbildung der Kristallstruktur kommt. Saubere GefdBe benutzen, da alte Gipsreste als Kristallisationskeime wirken und die Verarbeitungszeit verktirzen!
9.3.6
Magnesia-und Phosphatbinder
Magnesiabinder. Der Magnesiabinder ist ein nicht hydraulisches Bindemittel. Er besteht aus trockenem Magnesiumoxid MgO (Magnesia) und 16slichen Magnesiumsalzen. Die erstmalige Verwendung dieses Bindemittels geht auf das Jahr 1867 zurtick. Sie wurde vom Franzosen S. Sorel beschrieben, weshalb man in der Folgezeit Magnesiabinder h~iufig ,,Sorelzement" nannte. Diese Bezeichnung ist insofern unkorrekt, als es sich beim Magnesiabinder um ein ,,hydratisches" und nicht um ein hydraulisches Bindemittel handelt. Kaustische (,,~itzende") Magnesia erh~ilt man durch Brennen von MgCO3-haltigen Rohstoffen, z.B. Magnesit, unterhalb der Sintergrenze von 800...900~ In fein gemahlener Form erh~irtet MgO in Gegenwart von konzentrierten MgC12- bzw. MgSOn-L6sungen nach einigen Stunden steinartig. Das Massenverhaltnis MgCI2 9 MgO soll zwischen 1 9 (2,5...3,5) liegen. Es muss eingehalten werden, da ein Oberschuss an MgCI2 aufgrund seiner Hygroskopizit~it eine erh6hte Durchfeuchtung des MOrtels (Luftfeuchtigkeit!), ein Unterschuss an MgCI2 dagegen die Bildung eines por6sen M6rtels geringer Festigkeit bewirkt. Die infolge Protolyse schwach sauer reagierende MgC12-L6sung (G1.9-37) ist in der Lage, gr6Bere Mengen an Magnesiumoxid, das selbst mit H20 nur sehr langsam reagiert, aufzul6sen (G1.9-38). Mg 2+ + 2 C1- + 4 H:O MgO + 2 H30 +
-
-
Mg(OH)2 + 2 H30 § + 2 C1-
(9-37)
r_
Mg 2+ + 3 H20
(9-38)
Es Riuft quasi eine Neutralisation ab. Damit wird das hygroskopische Verhalten von MgC12 nicht wirksam. Aus der L6sung fallen bei Oberschreiten der S~ittigungskonzentrationen schwer 16sliche basische Chloride der allgemeinen Formel a) MgC12" 3 Mg(OH)2 9 8 H20 b) MgC12 95 Mg(OH)2 9 8 H20 (metastabile Hydratphase)
9.3 Anorganische Bindemittel
363
aus. Die Struktur der stabilen Hydratphase a) leitet sich vonder des Mg(OH)2 ab. Die kationischen Doppelketten der St/Schiometrie [Mg2(OH)3(H20)3] + werden durch Chloridionen zusammengehalten. Diese Kettenverkniipfung bewirkt die aufSerordentlich hohe Festigkeit der entstehenden Hydratphase. Im Verlaufe der Erh~irtung des Magnesiam/Srtels scheiden sich aus der zun~ichst entstehenden gallertartigen Masse nadelf'6rmige Kristalle aus. Neben den oben beschriebenen Neubildungen liegen im erh~irteten M/Srtel MgO, Magnesiumhydroxid Mg(OH)2 und freies MgC12 als Endprodukte vor. Da die Chloridionen die Korrosion f~6rdem, miissen vor der Verarbeitung des Magnesiabinders alle mit ihm in Kontakt stehenden Metallteile geschtitzt werden, z.B. durch Bitumenanstriche. Den Magnesiabindern k6nnen anorganische (Sand, Korund A1203, Bims) oder organische (S~igesp~ine, Holzschliff, Kork, Textilfasem, Papier) Zusatz- oder Ftillstoffe beigegeben werden. Zur Einf'~irbung setzt man haufig Farbpigmente zu. Magnesiabinder werden zur Herstellung von Magnesiaestrieh (,, Steinhoh ") und von Hohwolleleichtbauteilen verwendet. Da Steinholz selbst feuchtigkeitsempfindlich ist, sollte es gegen eindringende Niisse mit 01en oder Wachsen geschtitzt werden. Die Feuchtigkeit bedingt eine erh6hte elektrische Leitf~ihigkeit (die MgC12-L6sung leitet wie alle Salzl/Ssungen den elektrischen Strom!), so dass im Magnesiabinder verlegte Rohre und Leitungen unbedingt geerdet sein mtissen. Beim Auftragen von Steinholz auf Stahlbetondecken bzw. Beton sind MgCla-Uberschiisse unbedingt zu vermeiden. Neben der ErhShung der Korrosion des Bewehrungsstahles durch die Chloridionen kann auch der Beton selbst angegriffen werden (Kap. 9.4.2.2, Magnesiatreiben). Die Hygroskopizit~it des Magnesiaestrichs wird verringert, wenn MgSO4 star MgC12 benutzt wird. Die entstehenden Erh~irtungsprodukte (z.B. MgSO4 9 5 Mg(OH)2 9 8 H:O) besitzen allerdings eine geringere Festigkeit als die basischen Chloride. ..
Phosphatbinder. Phosphatbinder geh6ren ebenfalls zu den nicht hydraulischen Bindemitteln. Abbinden und Erh~irten erfolgt bei diesem Bindemitteltyp sowohl hydratisch (wie beim Magnesiabinder) als auch durch Neutralisation zwischen einer sauren und einer basischen Komponente. Phosphatbinder werden deshalb auch als Sdure-Base-Binder bezeichnet. Die Produkte des Erhartungsprozesses sind Salze mit einem mehr oder weniger hohen Anteil an Kristallwasser. Als saure Komponenten kommen anorganische S~iuren, ,,saure" Salze wie Ammonium- oder Alkalimetallhydrogenphosphate, aber auch organische Komplexbildner in Frage. Die basischen Komponenten bestehen meist aus einem basischen bzw. amphoteren Metalloxid, z.B. MgO, CaO, A1203, ZnO, oder aus Metallhydroxiden wie z.B. AI(OH)3 und Mg(OH)2. Aus der Vielzahl m6glicher saurer und basischer Komponenten resultiert eine Vielzahl mSglicher Phosphatbindersysteme. Das Reaktionsprinzip dieses Bindertyps soll am Beispiel des Magnesiumphosphatbinders dargestellt werden (Gl. 9-39). MgO + (NH4)2HPO4 + 5 H20
NH4MgPO4" 6 H20 + NH3
(9-39)
Das im Resultat einer stark exothermen Reaktion gebildete schwer l/Ssliche Ammoniummagnesiumphosphat-Hexahydrat NH4MgPO4 9 6 H20 (Struvit) ist das (erwiinschte) Hauptprodukt des Erh~irtungsprozesses. Als Nebenprodukte kSnnen die Verbindungen NH4MgPO4 9 H20 (Dittmarit), (NHn)2Mg(HPO4)2 9 4 H20 (Schertelit) sowie Magnesiumphosphate entstehen. Nach ca. 1 Stunde ist das Bindemittel erh~irtet, innerhalb von 4 Stun-
364
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
den sind mehr als 50% der Endfestigkeit erreicht. Die Abbindereaktion, die aufSerordentlich schnell verl~iuft, kann durch Verz6gerer wie Bors~iure, Borax und Natriumsilicat verlangsamt werden. Anwendungsfelder: M6rtel oder Betone far schnelle Ausbesserungsarbeiten, z.B. Schlaglochreparatur aufBetonfahrbahnen.
9.3.7
Kalksandsteine und Porenbetone
Kalksandsteine werden aus gemahlenem Branntkalk CaO und Quarzsand SiO2 (Massenverh~ltnis 1 : 12) unter Zugabe geringer Mengen von Wasser zum Abl/Sschen des Kalks hergestellt. Die abgel5schte Kalk-Sand-Masse wird nach 3...4 h zu Rohlingen verpresst und anschlieBend unter Sattdampfdruck (-16 bar) bei 160...220~ in einem H~rtekessel (Autoklaven) 4...8 h geh~rtet. Unter diesen hydrothermalen Bedingungen (Kap. 6.2.3.1) findet eine chemische Reaktion zwischen dem Kalk und dem durch den heiBen H20-Dampf aufgeschlossenen Siliciumdioxid statt. An der Oberfl~iche der Sandk6mchen entstehen kristalline CSH-Phasen, die eine dauerhafte feste Verkittung der Sandk6mer bewirken. Kalksandsteine sind feste Mauersteine, die nach dem Verlassen des Autoklaven und anschliel3ender Abktihlung auf der Baustelle unmittelbar verarbeitet werden kSnnen. Porenbetone gehSren zu den Leichtbetonen. Sie besitzen gegentiber dem Normalbeton als
Folge ihrer hohen Porosit~it, die 70...80 Vol.-% betr~igt, eine verminderte Rohdichte und damit eine geringere Masse. Mit der Verminderung der Rohdichte und der Erh6hung der Porigkeit ist eine verringerte Druckfestigkeit verbunden. Porenbetone werden im Herstellungsstadium im fltissigen Zustand mit Hilfe eines zugesetzten Gasbildners porosiert, d.h. aufgeblaht. Als Bindemittel verwendet man Branntkalk und/oder Zement in wechselnden Massenverh~iltnissen. Der Zement dient der Stabilisierung des erzeugten Porengertists sowie der Verbesserung der Festigkeit. Als Zuschlagstoffe kommen quarzhaltige Sande oder geeignete Flugaschen zum Einsatz. Mitunter werden auch geringe Anteile an Gips oder Anhydrit beigegeben. Der Wasseranteil wird so dosiert, dass eine flief~fdhige Suspension entsteht. Als Gasbildner (Treibmittel) fungiert metallisches Aluminium, das als feink6rniges Aluminiumpulver oder als Aluminiumpaste in die Suspension eingebracht wird und in der stark alkalischen L6sung des Betons gemaB G1. (8-17) Wasserstoff freisetzt. Die Durchmesser der erzeugten Poren liegen im Millimeterbereich mit H6chstwerten zwischen 1,5...2 ram. Dartiber hinaus befinden sich im M6rtel die iiblichen Poren des Zementsteins. Das in Formen gegossene und gebl~ihte Gemisch wird hydrothermal im Autoklaven geh~irtet. Porenbetone eignen sich hervorragend zur w~irmed~immenden Ausfiihrung von Mauerwerksbau.
9.3.8
Umweltvertdiglichkeit von zementgebundenen Baustoffen
Die Auswirkungen von Baustoffen, speziell von zementgebundenen Baustoffen, auf Umwelt und Gesundheit des Menschen, werden seit Jahren intensiv untersucht [AB 17]. Dabei betrachtet man die Umweltvertraglichkeit eines Baustoffes im Wesentlichen unter dem Aspekt der Wechselwirkung mit den Schutzgtitem Wasser, Boden und Luft. In Tab. 9.10 sind die 5kologisch bedeutsamen Betoninhaltsstoffe zusammengefasst. Sie k6nnen sowohl vom Restwasser, von Recycling- und Reststoffen, aber auch von Zusatzmitteln und-stoffen sowie der Gesteinsk/Smung und dem Zement stammen.
365
9.3 Anorganische Bindemittel
Die Freisetzung 6kologisch bedenklicher Stoffe aus zementgebundenen Baustoffen, speziell aus dem BaustoffBeton, kann im Prinzip auf drei Wegen erfolgen [AB 17b], durch
a) Auswaschung bzw. Auslaugung bei Kontakt des Baustoffes mit einer Auslaugfliissigkeit (z.B. Regen- oder Grundwasser)
b) Emission fltichtiger Bestandteile, vor allem organischer Stoffe c) Emission yon radioaktiver Strahlung. Tabelle 9.10 Okologisch bedeutsame Betoninhaltsstoffe [AB 18] Inhaltsstoffe
Hydroxid
Sulfat Chlorid
Natri- Kalium Schwerum metalle
organ. Verbindungen
Wasser Restwasser GesteinskOmung (nat.) Recyclingstoffe Abstoffe Zement Zusatzstoffe Zusatzmittel Eine potentielle Belastung der Umwelt durch sachgerecht hergestellte Betone ist durch die Freisetzung von Alkalien, Salzen und Schwermetallen infolge Wechselwirkung der Betonoberfl~iche mit Regen- oder Grundwasser gegeben (Auslaugung). Zur Untersuchung des Auslaugverhaltens werden im Labor sogenannte Auslaugtests durchgeflihrt. Ein h~iufig angewandter Test ist der Schiitteltest nach DIN 38414 S-4, kurz: DEV-S4. Das Priifgut wird zerkleinert, fein gemahlen und anschlieBend unter intensivem Schiitteln mit Wasser eluiert. Obwohl bei dieser Prozedur der Anteil des Gesamtgehaltes eines Stoffes bestimmt wird, der unter den gegebenen Auslaugbedingungen (fein gemahlen!) mobilisiert werden kann, sind Aussagen tiber die Mengen, die aus einem kompakten Betonk6rper in einer bestimmten Zeit ausgelaugt werden, nicht m6glich. Um die zeitabh~ingige Auslaugung kompakter, zementgebundener Baustoffe unter Praxisbedingungen zu erfassen, liefern sogenannte Standtests realistischere Resultate. Bei diesen Tests werden Zementstein-, M6rtel- oder Betonprobek6rper so in einen Beh~ilter eingebracht, dass sie von allen Seiten mit der Auslaugfliissigkeit umgeben sind. Die Probek6rper werden kontinuierlich im Auslaugmedium bewegt und die eluierten Stoffe in bestimmten Zeitabstanden analytisch bestimmt. Details zu den Auslaugverfahren s. [AB 17-20]. Beeinflussung der Auslaugbarkeit. Die Auslaugbarkeit eines Baustoffes h~ingt von ver-
schiedenen Faktoren ab, die wichtigsten sind die chemische und physikalische Beschaffenheit des Baustoffes, die L6slichkeit der Schadstoffe bzw. die Mobilisierung von Ionen, der pH-Wert, die Temperatur des eindringenden Wassers, das Wasser-Feststoff-Verh~iltnis, d.h. das Verh~iltnis von auslaugendem Medium zu auslaugbarem Feststoff, sowie die Dauer der Elution. Im Beton befinden sich zahlreiche Stoffe, die auch nach abgeschlossener Hydratation mehr oder weniger gut wasserl6slich und damit potentiell auslaugbar sind. Mit der Zunahme an Betonausgangsstoffen erh6ht sich die Gefahr, dass umweltgef'dhrdende Substanzen aus dem
366
9 Chemie nichtmetallisch-anorganischer Baustoffe
Beton in die Umwelt gelangen k6nnen. Die L6slichkeit stellt somit eine zentrale Gr6Be for den Auslaugprozess dar. Abb. 9.34 zeigt das Potential an auslaugbaren Stoffen pro m 3 Beton mit 350 kg Portlandzement [AB 20] und die zu den Inhaltsstoffen zugeh6rigen LOslichkeiten. Dabei wird die Wechselbeziehung zwischen Verfigbarkeit und L6slichkeit deutlich. Zum Beispiel kann ein Liter Wasser nur 1,3 g Ca(OH)2 aufnehmen, obwohl Ca(OH)2 in groBer Menge vorliegt. Andererseits 16sen sich pro Liter Wasser 1120 g Kaliumhydroxid, das wiederum in ganz geringer Menge vorliegt. Die Auslaugbarkeit von Alkalien und ihre Konsequenzen wurde vor allem bei der Spritzbetonanwendung im Tunnelbau untersucht. Die zugesetzten Beschleuniger sind meist alkalisch reagierende Substanzen. Bei Kontakt mit Bergwasser werden mehr oder weniger hohe Konzentrationen an OH--Ionen ausgelaugt. Sie erh6hen den pH-Wert des wegflieBenden Wassers, was insbesondere in Trinkwasser- und Heilwasserschutzgebieten Probleme bereitete. Durch die Verwendung von Hochofenzement bzw. den Einsatz gipsarmer Zemente ohne Erstarrungsbeschleuniger mit Silicastaub konnte die Auslaugbarkeit von Alkalien aus Spritzbeton drastisch reduziert werden [AB 20]. Im frischen Zustand ist Beton natirlich leichter auswaschbar, da die 16slichen Inhaltsstoffe noch nicht in der festen Matrix fixiert sind. Die Auslaugrate nimmt mit zunehmender Erhirtung ab. Im Festbeton kann eine Auslaugung nur noch fiber die Poren des Zementsteins und tiber Risse erfolgen.
=.aO.2KOH
13
=
Ip,=
=...e.=e,=,,= s 55~
Einstufung: ,,Entztindlich", Kennzeichnung: ohne; keine Einstufung, Kennzeichnung: ohne.
Physiologisch vSllig unbedenkliche Lfsungsmittel gibt es nur sehr wenige. Hat man die Wahl, sollte man stets ein L6sungsmittel mit einem hohen MAK-Wert, d.h. einer geringen gesundheitssch~idigenden Wirkung, und einem hohen Flammpunkt verwenden. Die ToxizitOt des LSsungsmittels kann der Kennzeichnung auf dem Etikett bzw. dem Sicherheitsdatenblatt entnommen werden. Es gelten hier die Kriterien wie fiir alle Gefahrstoffe: ,,Sehr giftig" (Symbol T+), ,,Giftig" (Symbol T) und ,,Gesundheitssch/idlich" (Symbol Xn). AuBerdem sind unbedingt die Kennzeichnungen ,,Krebserzeugend", ,,FortpflanzungsgeF~ihrdend", ,,Erbgutver~indernd" oder ,,Sensibilisierend" zu beachten, die verschltisselt in den R-S/itzen enthalten sind. AuBer diesen reinen Toxizit/itskriterien muss darauf verwiesen werden, dass ein Lfsungsmittel auch ~itzend (Kennzeichnung: C) sein kann oder die Haut, die Atemwege bzw. die Augen reizen kann (Kennzeichnung: Xi). Zum Schutz der Umwelt hat man inzwischen fiir eine Reihe von Stoffen die Kategorie ,,UmweltgeF~ihrdend" (Kennzeichnung: N) eingefiihrt. Das LSsungsmittel bewirkt eine molekulare AuflSsung bzw. Verteilung des Bindemittels. H/iufig werden dem L6sungsmittel aus Kostengrtinden oder zur Verdtinnung des Bindemittels Versehnitt- bzw. Verdiinnungsmittel beigemischt. Obwohl sie allein nicht in der Lage sind, das Bindemittel aufzulSsen, verbessern sie die Verarbeitbarkeit von Beschichtungsstoffen unterschiedlichster Art. Ein glarer, porenfreier Anstrichfilm kann bei Verwendung von Verschnittmitteln allerdings nur dann entstehen, wenn sie schneller verdunsten als die L6sungsmittel. Anderenfalls F~illt der gelSste Stoff w/ihrend des Trocknens aus. Olige Bindemittel lassen sich beispielsweise mit Terpentin61en oder Nitroverdtinnung (LSsungsmittelgemisch aus Estern, Ethanol, Aceton, Toluol, Xylolen und Glycolderivaten) verdtinnen. Ftir Olfarben wird auch LeinSlfirnis benutzt. Eine Ubersicht iiber die Mischbarkeit der LOsungsmittel ist Abb. 10.4 zu entnehmen. Die 16sende bzw. verdtinnende Wirkung ist zeitlich begrenzt, da bereits mit dem Auftragen der Mischung LSsungs- und Verdtinnungsmittel wieder zu verdunsten beginnen. Man geht davon aus, dass sich beispielsweise in einer 16sungsmittelhaltigen Kunststoffdispersion der
418
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
L6sungsmittelanteil durch Verdunsten innerhalb der ersten 24 Stunden um ca. 80% verringert. Bei der Verarbeitung 16sungsmittelhaltiger Kleb- und Anstrichstoffe ist deshalb in Innenr~iumen ftir eine gute Beltiftung zu sorgen.
Tabelle 10.8
OrganischeLOsungs- und Verd0nnungsmittel
Bezeichnung
Formel
Kohlenwasserstoffe Benzin (z.B. n-Hexan) Cyclohexan Benzol Toluol Xylole Styrol
LOslichkeit a) in H20 (g/l)
Dichte a) (g/cm3)
MAK-Wert e) (mg/m3)
C6Hs-CH3 C6H4(CH3)2 CH2 = CH-C6H5
0,013 0,050 1,77 0,47 0,2 0,24
-26 - 10 - 11 +7 +23 +31
CH2C12 CHCI3
20 8,2
-
1,3283 1,4832
360 50
CC14
0,8
-
1,5924
64
CHC1 = CC12 C6H5C1
1,1 0,49
+28
1,4692 1,1058
270 47
CH3OH C2H5OH i-C4HgOH CH2OH-CH2OH CH2OHCHOH-CH2OH
mischbar mischbar 95 mischbar mischbar
+ 11 + 12 +27 +111 + 160
0,7914 0,7894 0,8027 1,1131 1,261
260 1900 300 26 -
Ether Diethylether
C2Hs-O-C2H5
75
-40
0,7137 1200 (308/EG)
Ketone Aceton
CH3-CO-CH3
mischbar
- 19
0,7908
1200
C2Hs-O-CO-CH3
86
-4
0,9020
1400
C4H9-O-CO-CH3
30
+19
0,8716
480
210
Chlorkohlenwasserstoffe Dichlormethan Trichlormethan (Chloroform) Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) Trichlorethylen Chlorbenzol Alkohole Methanol Ethanol Isobutanol Ethylenglycol Glycerin
Ester Essigs~ureethylester (Ethylacetat) Essigs~iurebutylester (~o-Butylacetat) Methylmethacrylat
C,H2n+2 C6H12
Flammpunkt (~
C6H6
0,6594 180 0,7785 700 0,8788 3,3 (TRK) b) 0,866 190 0,857-0,876 440 (221/EG) 0,909 85
(MMA)
CH2 = C(CH3)-COOCH3 16
+8
0,944
Sonstige Schwefelkohlenstoff
CS2
-30
1,2625
a) bei 20~
2,2
b) TRK = Technische Richtkonzentration; c) [UC 7].
16
10.3 Bitumen, Teer und Asphalt
Wasser Ethylenglyc
419
Heptan .
Ethanol ~ Essigs~iu Methylethylketon (Butanon)
etrachlormethan
~ / ~ ~
Toluol Diethylether
Essigs~ureethylether
Abbildung 10.4 Mischbarkeit von L0sungsmitteln a) durchgezogene Linien: unbegrenzt mischbar; b) gestrichelte Linien: begrenzt mischbar; c) gepunktete Linien: wenig mischbar und d) keine Verbindung: nicht mischbar.
Die Gesundheitsgefi~hrdung dureh LSsungsmittel auf der Grundlage von aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen, von Estern und Ketonen hangt mit ihrer hohen Fltichtigkeit und ihrem ausgezeichneten Fettl6severm6gen zusammen. Durch Anreicherung im Organismus kommt es zu Sch~idigungen der Leber, der Nieren und des Zentralnervensysterns. Aufgrund ihrer gesundheitssch~idigenden Wirkungen geht die Industrie heute mehr und mehr zur Entwicklung und Produktion von l~sungsmittelarmen bzw. -freien, wasserverdtinnbaren Beschichtungsstoffen tiber, zu nennen w~iren Dispersions-Anstrichstoffe und Lacke mit Acryl- und Alkydharzen als Bindemittel.
10.3
Bitumen, Teer und Asphalt
Im t~iglichen Leben werden Bitumen und Teer immer noch verwechselt, obwohl sie sich in ihrer chemischen Zusammensetzung grundlegend unterscheiden (Tab. 10.9). Damit werden beim Umgang mit Bitumen noch heute Gefahren gesehen, die es nachweislich nur beim Umgang mit Teeren und Pechen gibt. Das betrifft insbesondere den Gehalt an polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK).
Bitumen sind Bindemittel, die als Riickstand bei der Destillation von Erd61 anfallen, Teem entstehen bei der thermischen Zersetzung fossiler Brennstoffe, vor allem von Steinkohle (Steinkohleteer). Peche sind Rtickstande, die bei der Destillation von Steinkohlenteer erhalten werden. Jahrzehntelang wurde sowohl im StraBenbau als auch im Bautenschutz Pech verwendet, jedoch als Teer bezeichnet. Im Umgangssprachgebrauch heiBt es immer noch: ,,Die Stral3e wird geteert ...", wenn eine Fahrbahn eine neue Asphaltschicht erhalt. Dabei werden Asphalte seit den 80er Jahren nicht mehr mit Teerpechen, sondern mit bitumenhaltigen Bindemitteln produziert. Die Begriffsverwirrung ist unter anderem dadurch entstanden, dass bis 1983 sowohl Bitumen als auch Teer, Pech und Asphalt unter dem Oberbegriff ,,BituminSse Stoffe" zusammengefasst wurden. Der Sammelbegriff ,,bituminSs" wurde aufgehoben und durch den Begriff ,,bitumenhaltig" ersetzt. Damit soll eine Verwechslung von Bitumen mit der aus
420
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Gesundheitsgrtinden nicht mehr verwendeten Gruppe der Teere bzw. Peche verhindert werden. Tabelle 10.9 Gegen0berstellung yon Bitumen und Teeren (Pechen)
Bitumen Farbe Ausgangsstoff Herstellungsverfahren / ungeffihre Herstellungstemperatur Hauptbestandteile BaP-Gehalt a) Phototoxische Reaktionen / Hautkrebsrisiko
Teere, Peche
schwarz ErdOl Destillation / 350 400~
schwarz Kohle Pyrolyse / > 1000~
Asphaltene und Maltene max. 5 mg/kg nicht bekannt / nicht bekannt
PAK (polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe) ca. 5 g/kg Teer kann in Verbindung mit Sonneneinstrahlung Hauterkrankungen bzw. Hautverfarbungen verursachen, teerverursachte Hautkrebserkrankungen werden als Berufkrankheit anerkannt.
a)BaP Benzo[a]pyren, aromatisches 5-Ringsystem, krebserzeugend; s. Abb. 10.6.
10.3.1
Bitumen und bitumenhaltige Bindemittel.
Bitumen (lat. pix tumens ausschwitzendes Pech) ist nach DIN EN 12591 ein ,,nahezu nicht fltissiges, klebriges und abdichtendes, erd61stammiges Produkt, das auch im Naturasphalt vorkommt und das in Toluol vollst~indig oder nahezu vollstiindig 18slich ist. Bei Umgebungstemperatur ist es hochviskos oder nahezu fest." Bitumen kommt in der Naturals Bestandteil von Asphalten und Asphaltgesteinen vor. Zu den bekanntesten Beispielen geh0rt der auf der Insel Trinidad gelegene Asphaltsee, dessen Bitumengehalt etwa 40% betragt. Die Asphaltgesteine (z.B. Asphalt-Kalksteine) sind in langen geologischen Zeitdiumen durch Verdunsten der leichter siedenden Anteile des Erd81s entstanden. Das fiJr die Bitumengewinnung geeignete Roh01 wird in einer ersten Stufe nach Erw~irmen unter Atmosph~irendruck destilliert, wobei Benzin und die sogenannten Mitteldestillate (Petroleum, Gas01e) verdampfen und kondensieren. Unterzieht man in einer zweiten Stufe den Rtickstand einer Vakuumdestillation, werden weitere Bestandteile abgetrennt (SchmierOle). Zurtick bleibt ein hochsiedender braunschwarzer Rtickstand, das Bitumen. Sein H~irtegrad ist in gewissen Grenzen steuerbar, indem mehr oder weniger Destillatanteile ,,abgezogen" werden.
Chemische Zusammensetzung und Eigenschaften Die Bitumenbestandteile, die beim LOsen mit dem 30fachen Volumen n-Heptan ausfallen, also nicht 10slich sind, nennt man Asphaltene. Die tiefschwarzen Asphaltene besitzen relative Molekfilmassen tiber 1000, durch Micellbildung kOnnen sie sich auf iiber 50 000 erhOhen. Die in n-Heptan 1Oslichen Oligen, niedermolekularen Bestandteile werden als Maltene bezeictmet. Bitumen sind kolloide Systeme, in denen Bestandteile hoher Molekiilmasse in einer fliissigen Phase aus Bestandteilen niedrigerer Molektilmasse dispergiert sin& Das
10.3 Bitumen, Teer und Asphalt
421
Dispersionsmittel besteht aus ges~ittigten KW und partiell hydrierten, kondensierten aromatischen Ringsystemen in dem hochmolekulare Asphaltene und Erd6lharze kolloidal verteilt sind. Sie bilden die disperse Phase. Die dispergierten Teilchen liegen als Micellen (s. Kap. 6.2.2.3) vor.
Bitumen sind kolloide Systeme (meist Sole), die in 61igen Maltenen dispergierte Asphaltene und Erd61harze enthalten.
~~'~s~
Schicht
~
Mr = 1000 Abbildung 10.5
,j-
Struktur der Asphaltene; Mr = relative Molek01masse.
jCluster Mr
=
5000
Micellen M r = 50 000 bis 50 000 000
Auch Asphaltene bestehen aus hochmolekularen unpolaren und polaren Molekfilteilen bzw. -gruppen, wenngleich die Verh~iltnisse aufgrund des komplizierten Aufbaus und der anspruchsvollen sterischen Struktur ungleich komplexer sind. Die unpolaren Molektilteile k6nnen kondensierte Aromaten, ges~ittigte Ringe oder Ketten sein. Die Anordnung der Asphaltene in den Micellen ist in Abb. 10.5 gezeigt. Die Stabilisierung der Asphalten-Micellen in der/51igen Maltenphase erfolgt durch polare Aromaten niedriger Molekfilmasse (Erd61harze). Die ErdSlharze bilden eine Schutzschicht um die Asphalten-Micellen und bewahren sie auf diese Weise vor dem Ausflocken. Durch Einblasen von Luft (Oxidationsbitumen, s.u.) wird infolge einsetzender chemischer Reaktionen und Aggregationsvorg~inge die Schutzschicht um die Asphaltene zerst/Srt und die polaren Aromaten wandeln sich teilweise in Asphaltene um. Es bildet sich ein Asphaltengeriist aus, in dessen Hohlr~iume die Maltene eingelagert sind. Das Bitumen geht dabei aus dem Solzustand in eine gelartige Konsistenz hSherer H~irte fiber.
Eigensehaften. Bitumen zeigen thermoplastisches Verhalten. Unterhalb des sog. Brechpunktes (BP) liegen sie in einem festen, spr6den Zustand vor, oberhalb des Erweichungspunktes (EP) werden sie zunehmend flfissig. Im Temperaturbereich zwischen BP und EP weisen sie z~ihplastisches Verhalten auf. Dieser Bereich wird deshalb auch als Plastizit~its-
422
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
bereich oder ,,Plastizit~itsspanne" bezeichnet. Ftir die Praxis ist es wiinschenswert, dass der Gebrauchsbereich eines Bitumens mit seiner Plastizit~itsspalme weitgehend tibereinstimmt. EP und BP sind wichtige Temperaturpunkte far die praktische Anwendung von Bitumen, sie werden mittels spezieller Prtifverfahren bestimmt (s. Lehrbticher der Baustoffkunde). 9 Bitumen sind in Wasser praktisch unlOslich. Bei intensivem Kontakt mit Wasser oder Wasserdampf liegt die L6slichkeit von Bitumen zwischen 0,001...0,1%. Bitumen kann Wasser also nur in Spuren aufnehmen. Hinsichtlich seiner Wasserundurchl~issigkeit tibertrifft es eine Reihe von Kunststoffen, die sich als Korrosionsschutzstoffe bereits bew~ihrt haben. Da Bitumen auch gegentiber Lufteinwirkung (02) bestandig ist, gilt es als ideales Abdicht- und Korrosionsschutzmittel. 9 Gegentiber L6sungen von Salzen, aggressiven Wassem, S~iuren und Laugen ist Bitumen, zumindest bei Normaltemperatur, weitgehend best~indig. Seine Widerstandsfdhigkeit gegen Chemikalien erh6ht sich mit zunehmender Harte. 9 Bitumen sind in organischen L6sungsmitteln wie Schwefelkohlenstoff (CS2), Chloralkanen (z.B. CC14, CHC13), Benzol und Toluol sowie in Benzinen und 01en 16slich. Lfslich bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich das zugesetzte L6sungsmittel mit den 61igen Maltenen vermischt, d.h. in die kolloide Struktur ,,eingebaut" wird. Die L6slichkeit der Bitumen in ges~ittigten Kohlenwasserstoffen wie den Benzinen ftihrt zu Zerst6rungen der Asphaltdecke durch auslaufendes oder tropfendes Benzin auf StraBen oder an Tankstellen.
Physikalische Kenndaten der Bitumen. Niedrige Dichten: 9 = 1,07...1,10 g/cm 3 (25~ die Diehte nimmt mit steigender H~irte des Bitumens zu; niedrige W~irmeausdehnungskoeffizienten: 6 9 10-4 K -1 im Temperaturbereich 15...200~ niedrige spezifische W~irmekapazit~tten: 1,7 J/g.K (0~ 1,9 J/g.K (100~ sehr geringe W~trmeleitf~ihigkeiten (im Temperaturbereich 0...70~ betragt die W~irmeleitf~ihigkeit K = 0,16 W/m K). Die auBerordentlich niedrigen W~irmeleitfiihigkeiten sind ftir die hervorragende Isolierwirkung des Bitumens verantwortlich. Bitumensorten und Haupteinsatzbereiche. Nach der Herstellungsweise oder ihren Anwendungsgebieten werden verschiedene Bitumensorten untersehieden: Destillationsbitumen werden durch Destillation von Erd61 in mehreren Stufen unter vermindertem Druck bei Temperaturen zwisehen 350...380~ erhalten. Es handelt sich um weiche bis mittelharte Bitumensorten, die bevorzugt als Bindemittel im Straf~enbau Verwendung finden. Hochvakuumbitumen entsteht bei der Weiterbehandlung von Destillationsbitumen in einer zus~itzlichen Bearbeitungsstufe im erh6hten Vakuum. Es weist eine harte bis spr6de Konsistenz auf und findet vor allem als Bindemittel ffir Gussasphalt (Estriche) und bei der Produktion von Lacken, Gummiwaren sowie Isoliermaterial Verwendung. Oxidationsbitumen (geblasenes Bitumen) stellt man in speziellen Reaktoren her, indem man weiche Destillationsbitumen bei Temperaturen zwischen 230...290~ dureh Einblasen von Luft oder Wasserdampf weiterbehandelt. Je nach eingesetztem Produkt, Temperatur und Blaszeit werden Bitumensorten mit verbesserter K~tlte- und W~irmebest~indigkeit hergestellt (h6herer Erweichungspunkt). Verwendung: Dach- und Dichtungsbahnen, Klebemassen, Isoliermaterial.
10.3 Bitumen, Teer undAsphalt
423
Hartbitumen sind spezielle Oxidationsbitumen mit der harten bis springharten Konsistenz von Hochvakuumbitumen. Verwendung: siehe Hochvakuumbitumen. Polymermodifizierte Bitumen (PmB) werden durch chemische Vernetzung von Destillationsbitumen und Polymeren (z.B. Ethylenvinylacetat, Ethylenbutylacrylat, Styrol-Copolymerisate) hergestellt. Dabei veriindem sich das thermo- und das elastoviskose Verhalten beider Komponenten. Anwendungsfelder sind besonders beanspruchte Verkehrsfliichen im Stragen- und Flughafenbau sowie Dach- und Dichtungsbahnen. Durch den grSBeren Plastizitiitsbereich der PmB verbessem sich bei ihrer Verwendung als Triink- und Deckmassen solche Eigenschaften wie das Kaltbiegeverhalten und die Wiirmestandfestigkeit der Bahnen. Besonders interessam ist der Einsatz von Triigereinlagen in Polymer-Bitumendachdichtungsbahnen und Polymer-BitumenschweiBbahnen. Neben den iiblichen Triigereinlagen wie Jute- und Glasgewebe werden auch Bahnen mit Polyesterfaservlies hergestellt. Dadurch kann die Zugfestigkeit vergr~SBert und das Dehnverhalten verbessert werden. Die Verwendung von Bitumen als Baustoff reicht ca. 6000 Jahre zuriick. Bereits die Sumerer, Babylonier und Assyrer benutzten Sand-Bitumen-Mischungen ftir unterschiedlichste Anwendungen. Ein gezielter industrieller Einsatz begann im 19. Jahrhundert mit der Zunahme des motorisierten Verkehrs. Hinsichtlich der Anwendbarkeit von Bitumen unterscheidet man die Heifl- und die Kaltverarbeitung. So wird z.B. bei der Herstellung von Bitumenbahnen das Bitumen mit Zuschlagstoffen bei etwa 160~ vermischt und bei Temperaturen zwischen 180 und 190~ auf das Tr/igermaterial aufgebracht. Der Einbau auf den Baustellen kann dann durch Schweigen mittels Propangasbrenner (Verarbeitungstemperatur -200~ Bitumenbahn wird angeschmolzen und mit Untergrund verklebt) oder durch Einlegen in Heil3bitumen (180 bis 230~ erfolgen. HeiBfliissige Bitumenmassen werden zum Verkleben von D/immstoffen oder zum VerschlieBen von Fugen verwendet. Der mit Abstand gr6Bte Bitumenanteil (75 bis 80%) wird ftir die Herstellung von Walzasphalt ftir den StraBenbau verwendet. Daneben finden auch Gussasphalte als Estriche fiir Werkhallen, Parkdecks, im Wohnungsbau sowie ftir Deckschichten im Stragen- und Briickenbau Anwendung. Ftir die Kaltverarbeitung wird Bitumen entweder in Olen oder organischen L~semitteln gel6st (Bitumenl6sungen) oder in Wasser dispergiert (Bitumenemulsionen). Bitumenl6sungen. Bitumen k6nnen mit anderen Komponenten vermischt (,,verschnitten" oder technisch korrekt: ,,gefluxt") werden. In Frage kommen bestimmte Flux6le, frtiher: VerschnittSle (ErdSldestillate), oder niedrig siedende L6sungsmittel wie Benzine oder Benzol, die mit den Bitumenmaltenen mischbar sind. Im ersten Fall erh~ilt man Fluxbitumen (frtiher: Verschnittbitumen). Die Fluxbitumen werden unter Zusatz schwer fltichtiger Flux/$1e in Raffinerien neben der Produktion von Bitumen hergestellt, indem weiche Stral3enbaubitumen mit bestimmten Erd/51destillaten bei etwa 100~ vermischt werden. Durch das Verschneiden wird die Viskosit~it der eingesetzten Bitumen deutlich herabgesetzt, so dass sie bei nur leichter Erwarmung verarbeitet werden k/Snnen (Einbautemperatur: -60~ Verwendung finden die Fluxbitumen im StraBenbau bei hohlraumreichen Decken (Verdunsten der Flux61e muss gew~ihrleistet sein!). Da diese Decken nur noch selten gebaut werden, ist die Anwendung yon Fluxbitumen deutlich zurtickgegangen.
Werden zum Verschneiden von weichem bis mittelharten StraBenbaubitumen niedrig siedende L6semittel wie Benzine verwendet, erh/ilt man Kaltbitumen oder Bitumenanstrich-
424
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
mittel (Bautenschutz). Kaltbitumen sind schnell abbindend und dienen zur Herstellung von StraBenbaugemischen flir den Soforteinbau (Bitumenanteil ca. 7 0 - 80%). Bitumenemulsionen. Obwohl nicht wasserl/Sslich, verteilt sich in heiBes Wasser eingeriihrtes Bitumen tr6pfchenF6rmig. Es bildet sich eine Bitumenemulsion. Sind der w~issrigen Ltisung vorher keine Emulgatoren zugesetzt worden, kommt es sofort nach Beendigung des Riihrvorganges zu einer Koagulation der Bitumentr6pfchen. Sie flieBen ineinander und bilden wieder eine zusammenh~ingende Masse. Zugesetzte Emulgatoren reichern sich an der Grenzfl~iche B itumen/Wasser an und verhindern die Koagulation. Nach der Art der Emulgatoren wird zwischen einer kationischen und einer anionischen Bitumenemulsion unterschieden. Als kationische Emulgatoren kommen hochmolekulare Ammoniumsalze R-NH3§ C1- und als anionische Emulgatoren Alkalisalze von Fett- bzw. Harzsauren zur Anwendung. Die hochmolekularen Ammoniumsalze lagern sich an die Bitumentr6pfchen an. Die geladenen NH3§ sind vom Bitumentropfen weg zur w~issrigen L6sung gerichtet und vermitteln die Wasserl6slichkeit der Tr6pfchen. Durch die positive Aufladung der Bitumenkiigelchen und die daraus resultierende AbstoBung werden sie im Schwebezustand gehalten. Alkalische Emulgatoren (anionische Emulsionen) fiihren zu einer negativen Aufladung der Oberfl~iche der Bitumenteilchen und damit ebenfalls zur elektrostatischen AbstoBung.
Nach dem Verarbeitungsschritt (Vermischen mit Mineralstoffen) muss die Emulsion zerfallen (Brechen), damit die Bitumenteilchen so dicht wie m6glich an die Gesteinsoberfl~iche gelangen und den Bitumenfilm ausbilden k6nnen. Der Brechvorgang wird sowohl durch die chemische Natur des Emulgators als auch durch die mineralische Zusammensetzung und Oberfl~ichenbeschaffenheit des Untergrunds beeinflusst. Kationisehe Emuisionen sind besonders Rir den Einsatz auf einem silicatischen sauren Untergrund (z.B. Quarzit, Kiese) geeignet. Die sich ausbildenden elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen den positiv geladenen Ammoniumgruppen und den nicht abges~ittigten, negativ geladenen Sauerstoffatomen der SiO4-Tetraeder des silicatischen Untergrunds sind die Ursache f'tir die ausgezeichnete Haftung des B itumenfilms auf der Gesteinsoberfl~iche. Die Fetts~iurereste der anionischen Emulgatoren k6nnen durch basische Gesteine gebunden werden. Deshalb werden anionisehe Emulsionen bevorzugt Ftir basische Gesteine, wie z.B. Kalksteine, verwendet. Dartiber hinaus tragen noch Adsorptionsprozesse zur Filmbildung bei. Die Filmbildung ist dann abgeschlossen, wenn das Emulsionswasser vollst~indig verdunstet ist. Ein wichtiger Anwendungssektor fiir kaltverarbeitbare Bitumenprodukte ist die Abdichtung von Kellerw~inden mit Bitumendickbeschichtungen vor allem im Wohnungsbau. Oft werden Bitumenvoranstriehe zur Haftverbesserung vor dem Aufbringen von Bitumenbahnen aufgetragen. Bitumenhaftkleber werden zum Verkleben von Dachpappen, D~immstoffplatten usw. eingesetzt. FUr die Verarbeitung von 1/Ssemittelhaltigen Bitumenprodukten wie auch von Bitumenemulsionen wurde auf Anregung des Gespr~ichskreises BITUMEN vom Industrieverband Deutsche Bauchemie e.V. die Verwendung geeigneter Sehutzhandsehuhe empfohlen. MSgliche gesundheitliche Auswirkungen bei der Verarbeitung von Bitumen. In ihrer MAK-Liste des Jahres 2001 hat die Senatskommission zur Prtifung gesundheitssch~idlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bitumen (Dampf und Aerosol) als
10.3 Bitumen, Teer undAsphalt
425
hautresorptiv (wird durch die Haut aufgenommen) und krebserzeugend (Kategorie 2) eingestuft. Begriindet wird diese Bewertung vor allem damit, dass im Bitumen polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) enthalten sind. Hier ist allerdings zu berticksichtigen, dass der Gehalt an Benzo[a]pyren (BaP, Abb. 10.6), das als Leitsubstanz fiir die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe gilt, mit 2-3 mg/kg im Bitumen deutlich unter den 50 mg/kg liegt, ab denen Substanzen laut Gefahrstoffverordnung als krebserzeugend gelten. Zum Vergleich: Teer enth~ilt 5 g/kg BaP! Zudem werden die PAK nur bei Temperaturen deutlich fiber 100~ freigesetzt. Die Bewertung in der MAK-Liste stellt die Meinung der MAK-Kommission dar und ist rechtlich nicht bindend. Rechtlich bindend ist dagegen der Luftgrenzwert von 10 mg/m 3 fiir D/impfe und Aerosole aus Bitumen fiir die HeiBverarbeitung, ausgenommen sind Arbeiten mit Gussasphalt (TRGS 900). Aus festem Bitumen im StratSenbelag, aus Dachbahnen, aus Isolieranstrichen u.~i. treten bei normalen Temperaturen praktisch keine Emissionen auf. Die MAK-Kommission bezeichnet ihre Empfehlung zur obigen Einstufung vor allem als VorsorgemaBnahme. Sie soil solange Gtiltigkeit besitzen, bis endgtiltige Daten vorliegen, die eine Schadwirkung von Bitumend/impfen best/itigen- oder eben nicht. Ftir die Zukunft wird eine weitere Verringerung der Emissionen aus Bitumen bei der HeiBverarbeitung erwartet, da gegenw/irtig groBe Anstrengungen unternommen werden, die Misch- und Einbautemperatur von Asphalt bei gleichbleibender Qualit/it zu verringern. Dies wiirde dartiber hinaus nicht nur den Energieverbrauch senken, sondern hare auch geringere CO2-Emissionen zur Folge. Alterung von Bitumen. Alterungsprozesse sind immer auf das komplexe Zusammenwirken unterschiedlicher Witterungs- und Umwelteinfltisse zuriickzufiihren (s.a. Kap. 10.4.7). Im Fall der Bitumen bzw. bitumenhaltigen Bindemittel sind in erster Linie UV-Strahlung, Luftsauerstoff und hohe Temperaturen verantwortlich. Vor allem bei Lichteinwirkung erfolgt in Gegenwart von Luftsauerstoff eine Oxidation der Kohlenwasserstoffe, was zu einer chemischen Ver~inderung der Oberfl~ichenschicht fiihrt (,, chemische Verhdirtung"). Zu einer Bindemittelverh~irtung kann es auch durch geringfiigiges Verdampfen der leicht fltichtigen Olanteile bei erh6hten Gebrauchstemperaturen kommen (,,physikalische Verhartung"). So kann sich bei der HeiBaufbereitung yon Asphalt infolge yon Oxidationsprozessen der Anteil an leichten Maltenen zugunsten h/3hermolekularer Asphaltene verringern. Die Folge ist eine ungiinstigere Adh~ision des Bitumens an der Mineralstoffk6mung. o.
10.3.2
Teer und Pech
Teer (mittelniederdt. tere das zu Baum gehSrende) ist ein aus verschiedenen organischen Verbindungen bestehendes, fltissiges bis halbfestes, tiefschwarzes bis braunes Gemisch, das durch trockene Destillation (---- Pyrolyse: thermische Zersetzung bei hohen Temperaturen) von organischen Naturstoffen wie Stein- oder Braunkohle, Holz, Torf und anderen fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Die chemische Zusammensetzung der entstehenden Teere ist je nach Ausgangsmaterial recht unterschiedlich. Steinkohlenteer ist beispielweise ein Gemisch aus weit tiber 1000 Einzelsubstanzen, 500 davon wurden mit Sicherheit identifiziert. Dazu geh6ren Benzol, Naphthalin, Phenol, Pyridin, Kresole, Indole, Anthracen, Phenanthren u. v. a. In die Diskussion sind die Teere in den 70-80er Jahren vor allem wegen ihres relativ hohen Anteils an polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK, s. Kap. 10.1.1.3) gekommen. PAK, vor allem Benzo[a]pyren (Abb. 10.6), gelten als krebserzeugend.
426
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Gr0Bte wirtschaftliche Bedeutung besitzt nach wie vor der Steinkohlenteer- mit Abstrichen auch der Braunkohlenteer. Sie geh6ren beide zu den Hochtemperaturteeren. Steinkohlenteer wird bei der Verkokung von Steinkohle als tiefschwarze, viskose Fltissigkeit erhalten. Die bei der fraktionierten Destillation von Steinkohlenteer anfallenden TeerSle sind 51ige Fliissigkeiten. Sie machen etwa 30% des Rohteers aus. Teer61e werden zur Gewinnung von aromatischen Verbindungen wie Naphthalin und Anthracen sowie zur Produktion von Heiz61en, Impr~ignierSlen fiir den Holzschutz und zur Gewinnung von RuB genutzt. Abbildung 10.6 Benzo[a]pyren (BaP) als Vertreter der polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK)
Teerpeche sind die z~ihfltissigen bis festen, teerartigen bis schmelzbaren Rtickst~inde, die bei der Destillation der oben genannten Naturstoffe zurtickbleiben. Peche sind Gemische aus hochmolekularen cyclischen Kohlenwasserstoffen und heterocyclischen Verbindungen mit mittleren Molmassen bis ca. 30.000. Langerfristige Einwirkung von Teer auf die Haut kann Hautver~inderungen hervorrufen, die im schlimmsten Falle zu Hautkrebs fiihren kSnnen. Wegen ihres Gehaltes an PAK sind die Teere und Peche in die Gruppe III der MAK-Liste (MAK-Liste III A 1) eingestuft worden. Seit 1987 werden in Deutschland Peche als Bindemittel fiir technische Asphalte (evtl. auch in Kombination mit Bitumen) nicht mehr eingesetzt.
10.3.3
Asphalte
Unter Asphalten versteht man nattirlich vorkommende oder technisch hergestellte Gemische aus Bitumen oder bitumenhaltigen Bindemitteln und Mineralstoffen. Naturasphalte sind durch Verdunstung der leichtfliichtigen Bestandteile des Erd61s und oxidative Polymerisation der schwerer fliichtigen Bestandteile unter eventuellem Einfluss von Mikroorganismen entstanden. Nach ihrem Bitumengehalt werden sie in Asphaltite, Seeasphalte und Asphaltgesteine unterteilt. Die als StraBenbelag eingesetzten Mischungen von k6migen Mineralstoffen und Bitumen werden als teehnisehe Asphalte bezeichnet. Als Mineralstoffe kommen entweder natiirliche (Kiese, Sande, aus Felsgestein hergestellte Korngemische) oder kiinstliche Mineralstoffe (Hochofen- und Metallhtittenschlacke, Aschen) zum Einsatz. Asphalte zeichnen sich durch einen hohen Gesteinsanteil aus. Er liegt bei Asphalten fiir den StraBenbau etwa bei 95%. In baustofftechnischer Hinsicht wird zwischen ungebrochenen Mineralstoffen wie Kies und Natursand (Rundkorn) und gebrochenen Mineralstoffen wie Schotter, Splitt, Brechsand und Gesteinsmehlen (Brechkorn) unterschieden. Aufgrund der guten Benetzungseigenschaften des fltissigen Bitumens ergibt sich eine dauerhafte Bindung zu den Gesteinsfl~ichen. Die Einzelk6rner werden durch Bitumen zu einem dauerhaften Verbundmaterial ,,verkittet".
10.4 Kunststoffe
10.4
Kunststoffe
10.4.1
AIIgemeineEigenschaften
427
Kunststoffe sind makromolekulare Werkstoffe, die ihren einstigen Ruf als ,,Ersatzstoffe" fur Naturstoffe wie Kautschuk, Horn und pflanzliche Harze durch eine Reihe gfinstiger Eigenschaften und eine hohe Wirtschaftlichkeit lange widerlegt haben. Auf bestimmten Anwendungsgebieten sind die Kunststoffe den traditionellen Werkstoffen inzwischen weit fiberlegen. Dazu kommt der vergleichsweise geringe Energieaufwand bei der Herstellung von Kunststoffen im Gegensatz zu klassischen Metallen wie Aluminium und Eisen. Vergleicht man beispielsweise den Energieverbrauch fiir die Produktion gleicher Volumina Aluminium und Polyethylen, ergibt sich fl~r Aluminium ein neunmal h6herer Verbrauch [OC 5]. Zur Gewinnung des gleichen Volumens Stahl muss immerhin noch die dreifache Energiemenge aufgewendet werden. Obwohl im Bauwesen nach wie vor mineralische Baustoffe dominieren, findet heute bereits ein Viertel der Kunststoffproduktion der BRD im Bausektor Anwendung. Zu den herausragenden Eigenschaften des Werkstoffs Kunststoff z~ihlen: 9 eine geringe Massendichte Mit Dichten im Bereich von 0,8 bis 2,2 g/cm 3 sind die Kunststoffe deutlich leichter als die Metalle, bei Schaumstoffen werden sogar Werte < 0,05 g/cm 3 erreicht. 9 eine hohe Korrosionsbestiindigkeit Kunststoffe weisen gegentiber den meisten aggressiven Fltissigkeiten bzw. Chemikalien eine hohe Widerstandsf'~ihigkeit auf (Ausnahme: Organische LSsungsmittel). eine niedrige Verarbeitungstemperatur und gute Verformbarkeit Die Verarbeitungstemperaturen liegen in der Regel unter 250~ Es ist sowohl eine spanende als auch eine spanlose Verformung m~glich. 9 eine geringe thermische und elektrische Leitfiihigkeit. Die Mehrzahl der Kunststoffe weisen eine geringe thermische und elektrische Leitf'ahigkeit auf, weshalb sie far Isolations- und W~irmed~immzwecke geradezu pradestiniert sind. Andererseits k/Snnen auch leitf'~ihige Kunststoffe (Polypyrrol, Polyacetylen) hergestellt werden. Ihre Leitf'~ihigkeit kann durch Dotieren (z.B. mit AsF5 oder Natrium) auf Werte von etwa 104 S/cm, also in den Leitf'~ihigkeitsbereich des metallischen Quecksilbers erh/Sht werden. Leitfahige Kunststoffe finden beispielsweise in metallfreien Batterien Anwendung. Kunststoffe weisen allerdings auch eine Reihe nachteiliger Eigenschafien auf. Sie sind meist nur wenig w~irmebestandig, leicht brennbar und altern schnell (Kap. 10.4.7). Dartiber hinaus besitzen sie meist niedrigere Festigkeiten und eine deutlich h6here Warmeausdehhung als die Metalle. Kunststoffe zeigen ein charakteristisches thermisches Verhalten. Entweder sind sie oberhalb einer bestimmten Temperatur plastisch erweichbar oder sie h~irten nach einmaligem Durchlaufen eines plastischen Zustands irreversibel aus. Deshalb werden sie auch als Plaste oder Plastik (engl. plastics) bezeichnet. Ftir Kunststoffe mit harzahnlicher Konsistenz verwendet man die Begriffe Kunstharze oder synthetische Harze, Reaktionsharze, Gieflharze oder Laminatharze. Reaktionsharze sind Kunstharze, die fiir sich oder durch chemische
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
428
Reaktion mit einer zweiten (evtl. auch mehr!) Komponente, z.B. einer H/irter-, einer Beschleuniger- oder weiteren Harzkomponenten, zum eigentlichen Kunstharz aush/irten. Bei den Reaktionsharzen handelt es sich meist um fltissige oder verfliissigbare niedermolekulare Harze (Grundharze) mit mittleren Molmassen im Bereich von 380...500. Hatter sind Stoffe oder Stoffgemische, die die Aushartung des Grundharzes zum ausgeharteten Harz bewirken. Der neue Begriff Polymerwerkstoff schlieBt den Begriff Kunststoff vollst/indig ein. Ausgangsstoffe fiir die vollsynthetischen Kunststoffe sind vor allem Erd61, aber auch Kohle und Erdgas sowie Kalk, Kochsalz, Wasser u.a.
10.4.2 Aufbau und Struktur Kunststoffe sind polymere Verbindungen (Polymere). Sie bestehen aus grogen Molekiilen (Makromolekiilen), deren Molektilaufbau durch wiederholte Aneinanderreihung bestimmter Struktureinheiten bzw. -bausteine beschrieben werden kann. Da es eine Reihe nattirlicher Polymere, wie z.B. Cellulose, Eiweige und Kautschuk gibt, bezeichnet man die Kunststoffe auch als synthetisehe Polymere. Dabei trifft man nochmals eine Unterscheidung dahingehend, ob die Makromolekiile durch Umwandlung makromolekularer Naturstoffe (halbsynthetische Kunststoffe, z.B. Celluloseacetat) oder durch Bildung aus niedermolekularen Verbindungen (synthetische Kunststoffe) entstanden sind. Den niedermolekularen einzelnen Baustein bezeichnet man als Monomer. Durch bestimmte Aufbau- oder Bildungsreaktionen (Polymerisation, Polykondensation, Polyaddition, s.u.) werden Monomere zu Polymeren verkniipft.
a) b) ~
[[[[ ] [ ]-~ [] []
-El-
bifunktioneller Baustein
-cr]-
trifunktioneller Baustein
Abbildung 10.7 Schematische Darstellung a)linearer, b) verzweigter, c) vernetzter Makromolek01e gleicher Monomerbausteine (Homopolymere). Unterschiedliche Aufbaureaktionen fiihren zu Makromolekiilen mit unterschiedlichen Molektilmassen. Kunststoffe sind demnach keine einheitlichen Verbindungen, sondern besitzen eine Molektilmassenverteilung: Die mittlere relative Molekiilmasse liegt bei den meisten Kunststoffen zwischen 10 000 und 300 000. Ihre Grfge beeinflusst entscheidend die Eigenschaften und das Verarbeitungsverhalten der Polymere. Eine wichtige Gr6$e in der Polymerchemie ist der Polymerisationsgrad. Dabei muss korrekterweise zwischen dem Polymerisationsgrad eines Makromolekiils und dem durchschnittlichen Polymerisati-
10.4 Kunststoffe
429
onsgrad der Gesamtheit der in einem Polymer vorliegenden Makromolektile unterschieden werden. Der Polymerisationsgrad eines Makromolekiils gibt die Anzahl der Monomerbausteine pro Makromolekiil an. Der Polymerisationsgrad eines Polymers entspricht dagegen dem Mittelwert des Polymerisationsgrads der in ihm vorliegenden Makromolekiile. Besitzt ein Kunststoff beispielsweise einen Polymerisationsgrad von 5000, so sind die Makromolekiile des Polymers aus durchschnittlich 5000 Monomermolektilen aufgebaut. Ftir den Aufbau yon Makromolekiilen gibt es unterschiedliche M/Sglichkeiten: Um aus Monomeren Makromolekiile zu bilden, mtissen die Grundbausteine zumindest bifunktionell im Sinne der angestrebten Polyreaktion sein. Im einfachsten Fall erh~ilt man ein lineares Polymer (Abb. 10.7a). Dagegen fiihren trifunktionelle Bausteine zu verzweigten und vernetzten Polymeren (Abb. 10.7b,c). Vernetzte Makromolekiile bilden ein dreidimensionales Netzwerk aus. In Abb. 10.7a wurde stillschweigend angenommen, dass es nur eine einzige M/Sglichkeit gibt, Monomerbausteine in eine Kette einzubauen. H[iufig existieren jedoch mehrere M6glichkeiten, wie das Beispiel der Verkntipfung von Polystyrol zeigt (Abb. 10.8). Molekiile einer solchen Grundstruktur besitzen zwei reaktive Zentren, ein Zentrum am ,,Kopf" und eines am ,,Schwanz" des Molektils. Die Makromolekiile k6nnen sich demnach durch Schwanz-Kopf-, Kopf-Schwanz-, Kopf-Kopf- und Schwanz-Schwanz-Verkniipfung aufbauen. Aber selbst bei einer einheitlichen Art der Verkntipfung gibt es wiederum jeweils zwei M6glichkeiten fiir das Monomer, sich an die wachsende Kette anzulagern: Da die Kettenmolekiile zwei verschiedene Seiten besitzen, kann sich das Monomer entweder von der ,,rechten" oder von der ,,linken" Seite an die Polymerkette anlagern. Die Folge sind Makromolekiile mit unterschiedlicher Anordnung der Seitenketten.
Abbildung 10.8 Kop
Unterschiedliche MOglichkeiten der r~umlichen VerknOpfung von Styrol zu Polystyrol
Schwanz
9.
1-91 lll,.'ID,.Im
.-/i-ii
t
1
Schwanz-Schwanz-
Kopf-Kopf-
VerknOpfung
Makromolekiile k/Snnen aus einer einzigen oder aus mehreren Arten von Monomereinheiten bestehen. Im ersten Fall liegen Homopolyraere (z.B. Polyethylen) vor. Sind zwei oder mehrere verschiedene Arten von Monomerbausteinen zu sogenannten Copolymeren mit-
430
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
einander verkntipft (Abb. 10.9), erhOhen sich naturgemaB die Variationsm/Sglichkeiten hinsichtlich der Struktur und der Eigenschaften des Kunststoffs: Je nach ihrer Verkniapfung unterscheidet man alternierende und statistische Copolymere (Abb. 10.9). Blockcopolymere entstehen, wenn entweder die Polymerisation der einen Komponente mit einer h6heren Reaktionsgeschwindigkeit abl~iuft als die der anderen oder beide Polymerisationen zeitlich versetzt erfolgen. Zur Bildung von Pfropfcopolymeren kommt es, wenn eine zweite Komponente auf die Makromolektile einer ersten als Seitenverzweigungen aufpolymerisiert wird. Indem sich die Seitenketten miteinander verbinden, erfolgt wiederum eine Vernetzung der Polymerketten.
altemierende Copolymere statistische Copolymere Blockcopolymere
Abbildung 10.9 Arten von Copolymeren
Propfcopolymere
Die r~iumliche Anordnung der Substituenten einer polymeren Kette charakterisiert man durch die Taktizitiit (griech. taxis ordnen). Man unterscheidet zwischen einer isotaktischen, syndiotaktischen und ataktischen Anordnung der Substituenten (Abb. 10.10). Bei isotaktischen Polymeren befinden sich die Seitengruppen alle auf der gleichen Seite, bei syndiotaktischen Polymeren abwechselnd auf der einen und der anderen Seite und bei ataktischen Polymeren statistisch verteilt auf beiden Seiten der Molekiilkette angeordnet. Der Begriff der Taktizit~it spielt natiirlich beim Polyethylen keine Rolle, wohl aber beim Polypropylen, wo eines der H-Atome durch eine CH3-Gruppe ersetzt ist. R, H I R H C I
IR
H
IRH
isotaktisch
H
I H H
I H
H
I H
H
I H
R I
H
H I
H
R I
H
H I
H
Abbildung 10.10 Unterteilung verzweigter Polymerketten hinsichtlich ihrer Taktizit~t
syndiotaktisch H
I H
R
I H
H
I H
R
I H
R I
H
H I
H
H I
H
H I,
R
I
H
I
H
I
R
H
R
H
R
ataktisch
I H
Makromolekiile sind je nach der Art und der Anzahl ihrer Bausteine sterisch mehr oder weniger kompliziert aufgebaute Molektile mit einer groBen r~iumlichen Ausdehnung. Es liegt deshalb auf der Hand, dass es den kettenF6rmigen, z.T. ineinander verschlungenen
10.4 Kunststoffe
431
bzw. zusammen geknaulten Makromolekiilen nahezu unm6glich ist, sich regelm/iBig im Raum anzuordnen und ein Kristallgitter zu bilden. Allenfalls ist es vorstellbar, dass sich innerhalb der ansonsten unregelm/iBigen Molekiilanordnung kristalline bzw. teilkristalline Bereiche ausbilden. Stark verzweigte und sehr unregelm/il3ig aufgebaute Makromolekiile sollten demnach vorwiegend amorphe Produkte mit einem geringen Anteil kristalliner Bereiche bilden. Ein hoher Anteil an kristallinen Bereichen ist nur zu erwarten, wenn lineare, m6glichst wenig verzweigte Makromolekille einen weitgehend regelm/iBigen Aufbau aufweisen oder wenn unregelm/iBig gebaute Ausgangsmolekiile in bestimmter regelm~iBiger Weise im linearen Makromolekill miteinander verbunden sind. Zur Ausbildung regelm~iBiger Strukturen kommt es insbesondere dann, wenn zwischen den einzelnen Makromolektilen zus/itzliche intermolekulare Wechselwirkungskr/ifte auftreten, die zu einer gewissen Ausrichtung der Kettenmolektile fiihren. Hier sind vor allem Wasserstoffbriickenbindungen zu nennen, wie sie sich z.B. bei den Polyamiden ausbilden. Sind Carboxylgruppen im Makromolektil vorhanden, so k6nnen sich durch den zus/itzlichen Einbau von Metallkationen wie Mg 2+ oder Zn 2+ elektrostatische Anziehungskr/ifte zwischen entgegengesetzt geladenen Ionen bzw. ionischen Molekiilfragmenten ausbilden. Die relativ festen Ionenbindungen lockern sich jedoch bei h6heren Temperaturen allm~ihlich wieder, so dass sich, auch lonomere genannte Kunststoffe, fiber die in der Kunststofftechnik g/ingigen Formgebungsverfahren fiir Thermoplaste verarbeiten lassen. Der Volumenanteil an kristallinen Bereichen im Kunststoff liegt in vielen F~illen zwischen 40...70%. Bei Polyethylen kann er je nach Herstellungsverfahren noch dariiber liegen (bis 80%). Der theoretische Wert von 100% kann jedoch nie erreicht werden. Kunststoffe liegen stets als teilkristalline Polymere mit einem mehr oder weniger groBen Anteil kristalliner Bereiche in einer ansonsten ungeordneten Molekiilanordnung vor. Polymere mit einer weitgehend regellosen Anordnung der Makromolektile (Filzstruktur) und einem geringen kristallinen Anteil werden vereinfachend als amorphe Polymere, solche mit einem hohen Anteil kristalliner Bereiche als kristalline Polymere bezeichnet.
10.4.3
Einteilung der Kunststoffe nach ihren thermischen und mechanischen Eigenschaften
10.4.3.1 Thermoplaste (Plastomere) Thermoplaste (griech. thermos warm, plastikos formbar) bestehen aus kettenfBrmigen oder verzweigten Makromolektilen, zwischen denen nur schwache intermolekulare Kr~ifte wirken. Je st~irker die Verzweigung bzw. je sperriger die Seitengruppen, umso ungeordneter und st/~rker verkn~iult liegen die Makromolektile vor (amorpher Thermoplast, Abb. 10.11a). Zeigen die Kettenmolektile eine mehr oder weniger starke Ausrichtung, liegen teilkristalline Thermoplaste vor (Abb. 10.1 lb). Kristalline Teilbereiche fiihren zu einer Verbesserung mechanischer Kennwerte, z.B. zu einer Erh6hung der Schlagz~ihigkeit. Im Gegensatz zu mineralischen oder metallischen Baustoffen, von denen jeweils zwei kondensierte Aggregatzust~inde (fest und fliissig) existieren, werden bei den Thermoplasten in Abh/~ngigkeit von der Temperatur drei kondensierte Zustandsformen unterschieden: fest (bzw. hartelastisch), weichelastisch und 61ig-fltissig.
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
432
_
a)
knstallin
b)
Abbildung 10.11 Strukturen thermoplastischer Kunststoffe: a) Thermoplast mit einem geringen Anteil an kristallinen Bereichen (amorpher Thermoplast); b) Thermoplast mit einem h0herem Anteil an kristallinen Bereichen (teilkristalliner Thermoplast).
Amorphe Thermoplaste sind durch die Glasiibergangstemperatur Tg (auch: Glastemperatur) charakterisiert. Sie kennzeichnet die Temperatur, bei der die amorphen Polymere im Verlauf der Temperaturerh6hung vom glasartig harten, spr6den in einen z~ih- bis weichelastischen Zustand tibergehen. Die Beweglichkeit der Molektilketten nimmt zu und die intermolekularen Wechselwirkungen werden allmahlich tiberwunden. Sind sie vollst~indig abgebaut, k/Snnen die Molekiilketten ungehindert aneinander vorbeigleiten. Der Kunststoff nimmt eine teigig-z~ihe bis 61ig-fltissige Konsistenz an. Der Obergang aus dem thermoelastischen in den thermoplastischen Bereich ist durch die Fliefltemperatur Tfgekennzeichnet, bei teilkristallinen Thermoplasten bezeichnet man diesen Obergang als Kristallitschmelztemperatur Tm. Die hochviskose Fltissigkeit (Schmelze) l~isst sich verfahrenstechnisch durch Pressen, Extrudieren, SpritzgieBen usw. verarbeiten. Ab einer bestimmten Temperatur Tz (Zersetzungstemperatur) erfolgt die thermische Zersetzung des Polymers durch Spaltung der kovalenten Bindungen im Makromolektil. Die Zustandsformen und -bereiche der Thermoplaste sind in Abb. 10.12 dargestellt. Es wird deutlich, dass bereits geringe Temperaturunterschiede eine Ver~inderung der mechanischen Eigenschaften bewirken k/Snnen. Im thermoelastischen Zustandsbereich lassen sich die Thermoplaste umformen, z.B. durch Biegen, Tief- oder Streckziehen, im thermoplastischen Bereich dagegen urformen (z.B. durch GieBen, Extrudieren, Kalandrieren) und schweiBen. Kiihlt man die Schmelze ab, wird unterhalb von Tg die Beweglichkeit und Drehbarkeit der Makromolekiile stark eingeschr~inkt und die intermolekularen Wechselwirkungskr~ifte werden wieder wirksam. Die Struktur wird praktisch ,,eingefroren". Man bezeichnet Tg deshalb auch als Einfriertemperatur. Im Gegensatz zu monomeren kristallinen Substanzen sind die Oberg~inge von einer Zustandsform zu einer anderen nicht exakt lokalisiert. Sie erstrecken sich vielmehr fiber ein mehr oder weniger breites Temperaturintervall. Man spricht deshalb besser vom Erweichungs(Einfrier)-, Fliefl- und Zersetzungsbereich. Thermoplaste erweichen bei Erwfirmung und sind im erweichten Zustand verformund verarbeitbar. Sie hfirten nicht aus.
Thermoplaste k6nnen je nach ihrer chemischen Zusammensetzung bei Normaltemperatur im hartelastischen (spr6den), im weichelastischen oder sogar im 61ig-fliissigen Zustand vorliegen. Dies hat seine Ursache in unterschiedlichen Erweichungsbereichen. Thermoplaste sind in den meisten organischen L6sungsmitteln gut l/Sslich, da die L6sungsmittel-
10.4 Kunststoffe
433
molekiile die schwachen intermolekularen Wechselwirkungskr~ifte zwischen den Makromolektilen tiberwinden k6nnen.
I Zersetzung I
==
Tz (Zersetzungsbereich)
E=
Iteigig-z~her bis Olig-flassigerZustand I
Thermoplastischer Bereich
i--
1l
T~/ Tm (Fliel3bereich)
Thermoelastischer Bereich
1l
I z h- bis weichelastischer Zustand Tg(Erweichungsbereich)
I
1l
I hartelastischer Zustand, glasartig I
Abbildung 10.12 Zustandsbereiche und -formen von Thermoplasten
Durch den Zusatz von Weiehmaehern zu Thermoplasten (z.B. PVC) werden Elastizit~itsmodul und Einfrier- bzw. Glasiibergangstemperamr erniedrigt. Der thermoplastische Bereich wird zu niedrigeren Temperaturen verschoben. Das Formver~inderungsverm6gen und die elastischen Eigenschaften erh6hen sich. Die H~irte nimmt ab. CI
H
H
I
I
I
---C--C--C
Abbildung 10.13 ~,..,,.
I
I
I
H
H
CI
......
Weichmachung durch Scharniereffekt.
I /O\ O
Scharniereffekt 0 ,0,
H
H
CI
I
I
I
---C--C--C
I
I
CI
H
, f
~
......
I H
Bei der Weichmachung eines Polymers verringert man gezielt die Wechselwirkungen zwischen den Makromolektilen. Das kann zum einen - was in der Praxis tiberwiegend angewan& wird - durch den Zusatz yon Weichmachem erfolgen (iiuBere Weichmaehung). Die polaren Gruppen des Weichmachers treten mit den polaren Gruppen des Kunststoffs (Ausnahme: Polyolefine, Kautschuke) in Wechselwirkung. Die kleinen, beweglichen Weichmachermolektile (Dipole!) schieben sich zwischen die Kettenmolektile des Kunststoffs, wo sic durch intermolekulare Wechselwirkungskr~ifte festgehalten werden. Auf diese Weise vergr6Bem sic den Abstand zwischen den Makromolekiilen und verringem die zwischen ihnen existierenden Anziehungskr~ifte. Die Polymerketten werden aufgelockert und beweglicher.
434
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Weichheit und Dehnbarkeit des Kunststoffs nehmen zu. Da vor allem die O-Atome aufgrund ihrer hohen Elektronegativitat zu Polarit~iten, d.h. zu Dipolen, ftihren (z.B. in den COOR-Gruppen), sind Carbons~iureester als Weichmacher besonders geeignet. Vorrangig werden Ester der Phthals~iure (Kap. 10.1.6) eingesetzt. Abb. 10.13 zeigt die Schamierwirkung eines Phthalsaureestermolekfils. Das Molekfil schiebt sich zwischen zwei PVCKettenmolekfile, wobei die Fixierung durch elektrostatische Anziehung zwischen partiell positiv geladenen H-Atomen der PVC-Kettenmolekfile und den partiell negativ geladenen O-Atomen der Estergruppe erfolgt. Die innere Weiehmaehung kann durch Copolymerisation erfolgen. Zum Beispiel wird Vinylchlorid mit Co-Monomeren mit raumfiillenden Seitengruppen (Acryls~iuremethylester u.a.) polymerisiert, wobei sich die Abst~inde zwischen den Makromolekfilen vergrtigem. Die M/Sglichkeiten zur intermolekularen Bindung verringem sich und die Kettenbeweglichkeit nimmt zu. Schliefilich kann die Substitution der HAtome durch CH3-Gruppen bei Polyamiden zu einer Verringerung des Anteils an Wasserstoffbrfickenbindungen ffihren. Damit sinkt der Anteil an kristallinen Bereichen. Wichtige Thermoplaste sind Polyethylen, Polypropylen, Polystyrol, Polyvinylchlorid, Polyacrylnitril, Polyacrylate und Polyamide.
10.4.3.2 Elastomere Elastomere (griech. elastos dehnbar, biegsam) sind polymere Werkstoffe, die aus weitmaschig vernetzten, linearen bis schwach verzweigten Makromolektilen bestehen (Abb. 10.14a). Durch kovalente und zwischenmolekulare Bindungen wird die freie Beweglichkeit der Kettenmolekfile zwar begrenzt, die Kettensegmente bleiben aber beweglich und k6nnen aneinander vorbeigleiten. Die Folge ist ein gummielastisehes Verhalten der Elastomere. Wirkt beispielsweise auf ein Stack Gummi eine ~iuBere Kraft, so werden die Molekfilketten aus einer ungeordneten (statistisch wahrscheinlicheren) Position in eine geordnetere (statistisch unwahrscheinlichere) Position iiberftihrt. Beim Nachlassen der ~iufSeren Kraft gehen die Makromolekfile in ihre verkn~iulte Lage zurtick und der Gummi nimmt seine ursprtingliche Form wieder an. Die reversible Dehnung kann bis auf das Acht- bis Zehnfache der Ausgangsl~inge erfolgen.
a)
b)
Abbildung 10.14 a) Weitmaschige Vernetzung der Makromolek01e in einem Elastomer und b)Anordnung der Makromolek01e in einem Duroplast.
Der Zustand der Gummielastizit~it erstreckt sich fiber den gesamten Bereich oberhalb der Glasiibergangstemperatur Tg bis zur Zersetzungstemperatur T~. Ein thermoplastischer Zustand wird zwisehen Tg und T= nicht durchlaufen. Demnaeh zersetzen sich die Elastomere, ohne vorher hochviskos-flfissig zu werden, also ohne zu schmelzen. Im Gegensatz zu den Thermoplasten ist keine plastisehe Verformbarkeit mSglich. Elastomere k~nnen also weder warmeverformt noch verschweigt werden. Die Glasiibergangstemperaturen der Elastomere
10.4 Kunststoffe
435
liegen zwischen -100...-20~ Unterhalb Tg sind die Elastomere hart und fest. Sie sind in den g~ingigen L0sungsmitteln kaum 10slich, aufgrund der Einlagerung von L0sungsmittelmolektilen in das weitmaschige Netzwerk jedoch quellbar. Elastomere sind Polymere mit einem kautschukartigen, gummielastischen Verhalten. Da sie keinen thermoplastischen Zustand durchlaufen, sind sie nicht wfirmeverformbar.
Zus~itzliche chemische Bindungen zwischen den Makromolektilen erreicht man durch Zugabe vernetzender Verbindungen w~hrend des Polymerisationsprozesses oder durch Vulkanisation mittels Schwefel bzw. Schwefelverbindungen am fertigen Polymerisat. Durch die Vulkanisation yon Naturkautschuk mit Schwefel wird beispielsweise eine schwache zus~itzliche Vemetzung erreicht (Abb. 10.15). Die in den Makromolektilen noch enthaltenen Doppelbindungen spalten unter Einschub von Disulfidbrticken (-S-S-) zwischen je zwei Polymerketten auf, wobei sich in geringer Anzahl zus~itzliche Bindungen zwischen benachbarten Ketten ausbilden. I
I
S
S
I
I
S
S
I CH-
-- OH 2 - CHI
I OH 2 - OH 2 - CH - CHI
S
S
I
I
S
S
I -- C H
2 - CH
OH 2 -
Vernetzung von Makromolek01en mittels DisulfidbrOcken (Vulkanisation)
I - CH I
- CH
2 - CH
2-
CH
S
Abbildung 10.15
- CH I
- CH
2-
S
I
I
S
S
I
I
Auf dem Bausektor werden vor allem Siliconkautschuke (Abk.: SI, Kap. 9.2.4) und Polysulfidkautschuke (SR) als reaktionsh~irtende Elastomere eingesetzt. Polysulfidkautschuke bestehen aus Molektilsegmenten der allgemeinen Formel HS-(R-S-S)n-R-SH, in denen lineare Makromolektilketten tiber zwei oder mehrere Schwefelatome miteinander verbunden sind. Die zur Hydroxylgruppe homologe SH-Gruppe wird als Mercaptogruppe bezeichnet. Sie ist als endst~indige, reaktive Gruppe in der Lage, mit einem H~irter zu reagieren, wobei sich unter Wasseraustritt Disulfidbrticken ausbilden (G1. 10-16). R-S-H
+ O + H-S-R
=
R-S-S-R
+ H20
(10-16)
Den zur Verkntipfung notwendigen Sauerstoff liefert das H~irter- bzw. Vemetzersystem (z.B. MnO2 Braunstein). Die meist fliissig vorliegenden aliphatischen Polysulfide werden durch eine oxidative Vemetzung in hochmolekulare, gummielastische Produkte tiberftihrt, die im Bauwesen vor allem als Zweikomponenten-Dichtstoffe Anwendung finden. Als thermoplastische Eiastomere bezeichnet man Verbindungen, die zwar bei Normaltemperatur ebenfalls gummielastisch sind, bei hOheren Temperaturen jedoch wie Thermoplaste verarbeitet werden kOnnen. Damit fallen sie streng genommen nicht unter die in DIN
436
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
7724 gegebene Definition fiir Elastomere. Vertreter dieser Gruppe polymerer Werkstoffe sind Blockpolymere aus weichen, dehnbaren Segmenten niedrigerer Erweichungstemperamr (z.B. Polybutadien) und Segmenten, die entweder eine hohe Glastemperatur oder einen hohen Anteil kristalliner Bereiche besitzen (z.B. Polystyrol). Die thermoplastische Verarbeitung wird m/3glich, da die bei der Gebrauchstemperatur vemetzend wirkenden, harten Polymerbl/Scke bei h/Sheren Temperaturen aufbrechen und die Makromolektile beweglich machen. Die thermoplastischen Elastomere bilden das Verbindungsglied zwischen Thermoplasten und Elastomeren Die Thermoelaste bilden dagegen eine echte Untergruppe der Elastomere. Bei den thermoelastischen Werkstoffen handelt es sich um weitmaschig vernetzte Polymere, die nicht oberhalb der Glastibergangstemperatur, sondern erst ab 20~ (oder bei htiherer Temperatur) bis zur Zersetzungstemperatur gummielastische Eigenschaften aufweisen.
10.4.3.3 Duroplaste (Duromere) Duroplaste (lat. duros hart, griech, plastikos formbar) bestehen aus Makromolekiilen, die durch kovalente Bindungen lest zu einem engmaschigen Raumnetzwerk verkniipft sind. Sie liegen bei Raumtemperatur als harte, spr6de Polymerwerkstoffe vor, die ihre starre Form und ihre mechanische Festigkeit bis zur Zersetzungstemperatur Tz beibehalten. Duroplaste sind plastisch nicht verformbar. Oberhalb von Tz geht die Festigkeit durch den Bruch der kovalenten Bindungen innerhalb und zwischen den Makromolekiilen verloren. Intermolekulare Wechselwirkungen spielen eine untergeordnete Rolle. Allerdings fiihrt auch Temperaturerh/3hung unterhalb von Tz zu einer gewissen Erweichung der Duroplaste. Der Umfang der Erweichung h~ingt unter anderem von der Vernetzungsdichte der Makromolekiile und vom- wenn auch geringen- Anteil an intermolekularen Wechselwirkungskraften ab. Duroplaste sind in organischen L6sungsmitteln praktisch unl6slich, kaum quellbar und besitzen eine hohe thermische und chemische Widerstandsfiihigkeit. Duroplaste sind Polymere, die nach einmaligem Durchlaufen eines plastischen Zustandes im Verlauf der Verarbeitungsprozesse irreversibel aush~irten.
In der Praxis sind die Ausgangsmaterialien der Duroplaste entweder feste vorgeformte Pressmassen aus Harzen (und evtl. Zusatzstoffen) oder hochviskose z~ihfliissige Reaktionsharze. W~ihrend erstere unter Druck und evtl. Hitze r~iumlich vemetzen und aush~irten, ben/Stigt man fiir die r~iumliche Vernetzung der Reaktionsharze eine H~irterkomponente. Die endgiiltige Form des Duroplastes ist erst nach der Aushartung erreicht. Der Prozess der H~irtung ist irreversibel. Bautechnisch wichtige Duroplaste sind die durch Polykondensation entstehenden Aminound Phenoplaste und die Furanharze, die durch Polyaddition entstehenden Polyurethane und Epoxidharze sowie die durch vernetzende Polymerisation entstehenden unges~ittigten Polyvinylester und unges~ittigten Methacrylatharze (s. Kap. 10.4.4).
10.4.3.4 Hilfs-, Frill-und Verst~rkungsstoffe in Polymeren Die unterschiedlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften von Kunststoffen lassen sich nicht nur durch eine gezielte Beeinflussung von Struktur und Vernetzung der Makromolekiile bzw. durch Kombination verschiedener Polymere mit sich erg[inzenden Eigenschaften
10.4 Kunststoffe
437
abwandeln, sie sind auch durch den Einsatz geeigneter Fiill-, Hilfs- und Verst~irkungsstoffe steuerbar. Fiillstoffe sind feste, nichtreaktive Stoffe, die sowohl reaktionsh~irtenden Duroplasten und Elastomeren als auch Thermoplasten in sehr feiner Verteilung zugegeben werden und die nahezu alle Eigenschaften des Kunststoffs beeinflussen k6nnen. Man unterscheidet zwischen anorganischen (CaCO3, CaSO4 9 2 H:O, BaSO4, Quarz, Tone, Glimmer) und organischen (Holzmehl, Cellulose) Fiillstoffen. Zu den Hilfsstoffen, die den Polymeren zur Einstellung gtinstiger Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften in relativ kleinen Mengen zugesetzt werden, z~ihlen vor allem Weichmacher (Kap. 10.4.3.1), Initiatoren, Beschleuniger, Katalysatoren und Inhibitoren, Antioxidantien, Stabilisatoren und Farbmittel. Initiatoren sind Verbindungen, die beim Erw~irmen oder in Gegenwart eines Beschleunigers in Radikale zerfallen und dadurch eine Kettenreaktion (Kap. 10.4.4.1) ausl6sen k~Snnen. In der Regel handelt es sich um Peroxide (H202, Benzoylperoxid) und Persulfate, aber auch Azoverbindungen, wie z.B. 2,2"-Azoisobutyronitril, exaM: 1,1"-Dimethyl-l,l'-dicyanazoethan (H3C)2 (CN)C-N=N-C(CN)(CH3)2, finden Anwendung. Substanzen mit Initiatorfunktion werden in der Praxis wie auch in der baupraktischen Literatur mitunter unkorrekterweise als Katalysatoren bezeichnet. Zugesetzte Besehleuniger bewirken einen raschen Zerfall der Initiatoren. In Abh~ingigkeit von der gewahlten Perverbindung werden Co(II)-Salze bzw. -Komplexe oder terti~ire Amine verwendet. Die Bildung der Radikale unter Zersetzung der Perverbindung erfolgt im Ergebnis einer Redoxreaktion. Katalytiseh wirksame Substanzen finden vor allem bei der H~irtung von Epoxidharzen (Alkohole, Phenole, tert. Amine) und Polyurethanen (Sn-Verbindungen, tert. Amine) Anwendung. Sie sollen die Geschwindigkeit der H~irtungsreaktion erh6hen. Dagegen werden dem Reaktionsgemisch Inhibitoren zugesetzt, um radikalische Polymerisations- und/oder Vemetzungsvorg~inge zu verz~Sgem. Indem die Inhibitorsubstanzen - ~ihnlich wie die prim~iren Antioxidantien (s.u.) - die entstehenden radikalischen Species binden, wird die Lagerstabilit~it der reaktiven Ausgangsprodukte (z.B. unges~ittigte Polyester- und Methacrylatharze) erh6ht. Antioxidantien (Antioxidationsmittel) sind chemische Substanzen, die unerwiinschte, durch Sauerstoffeinwirkung und/oder andere oxidative Prozesse bedingte Abbauprozesse in den Kunststoffen hemmen bzw. verhindern sollen. Verantwortlich fiir den Polymerabbau sind in der Regel Radikale. Die primgiren Antioxidantien wandeln die durch W~irme, mechanische Beanspruchung oder auch durch Licht gebildeten freien Radikale um. Sie wirken als Radikalf'~inger. Meist handelt es sich um substituierte Phenole mit sterisch anspruchsvollen Gruppen, z.B. 2-tert.-Butylphenol. Sekunddre Antioxidantien (z.B. Phosphite Na2HPO3) zersetzen die Peroxide praventiv, d.h. sie verhindern von vomherein die Entstehung von Radikalen. H~iufig werden prim~ire und sekund~ire Antioxidantien kombiniert. Die als Stabilisatoren zugesetzten Stoffe sollen den Kunststoff vor Sch~idigungen durch Licht (vor allem UV-Licht der Wellenl~ingen 315...400 nm, UV-Stabilisatoren), durch W~irme (Wi~rmestabilisatoren) und durch Mikroorganismen (Biostabilisatoren) schiitzen. Die UV-Strahlung kann aufgrund ihrer hohen Energie zur direkten photolytischen Spaltung yon chemischen Bindungen im Polymer f'tihren. Bindungsspaltung, Radikalbildung und sich anschlieBende Autoxidationsprozesse bewirken eine Alterung der Kunststoffe (Kap. 10.4.7).
438
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
UV-Stabilisatoren zeichnen sich durch ein ausgepr/igtes Absorptionsverm6gen im ultravi-
oletten Bereich aus. Die durch Absorption aufgenommene Energie wird anschlieBend als W/irme wieder abgegeben (strahlungslose Desaktivierung). Die Stabilisatorwirkung kann auch darin bestehen, dass die als UV-Stabilisatoren eingesetzten Substanzen Energie von elektronisch angeregten Makromolektilen aufnehmen. Sie ,,16schen" die angeregten Zust/inde des Makromolektils (L6scher, engl. Quencher) und geben die Oberschussenergie anschlieBend als W/irme wieder ab. In beiden F/illen wird eine photochemisch induzierte Zersetzung der Makromolektile verhindert. Als UV-Absorber verwendet man substituierte Benzophenone (Benzophenon: C6Hs-CO-C6Hs) und Ubergangsmetallkomplexe, z.B. des Nickels. Wo es das Anwendungsprofil erlaubt, kommt auch RuB als UV-Absorber zum Einsatz. Bei Zusatz von TiO2 soil das hohe Reflexionsverm6gen des WeiBpigments genutzt werden. Die Alterung von Polymeren durch W~irmeeinwirkung (Sonneneinstrahlung, ktinstliche W/irmequellen oder heiBe Gase bzw. Fltissigkeiten) wird in der Regel durch die vorhandenen Antioxidationsmittel minimiert. Die Stabilisierung gegen Mikroorganismen (Schimmel- und Mikrobenbefall) durch den Zusatz von Biostabilisatoren ist nur ftir einige bestimmte, bedingt best/indige Kunststoffe wie Polyurethan, Polyvinylacetat oder Polyvinylalkohol bedeutsam. Mitunter fdhrt erst die Anwesenheit von niedermolekularen Zusatzstoffen, z.B. von Weichmachem und organischen Ftillstoffen, zu einer Instabilit/it gegentiber Mikroorganismen. Zur farblichen Gestaltung werden dem Polymer Farbmittel zugesetzt. Der Begriff Farbmittel erstreckt sich It. DIN 55 943 aufPigmente und Farbstoffe. Pigmente sind in L6sungsund Bindemitteln praktisch unl6sliche, meist anorganische Substanzen, die feinkristallin im Kunststoff dispergiert sind (Teilchengr6Be 10-6...10-8m). Das wichtigste anorganische Weiflpigment ist Titandioxid TiO2. Es ver~gt tiber ein ausgezeichnetes Deckverm6gen und ist witterungs- und chemikalienbest/indig. Das wichtigste Schwarzpigment ist RuB (amorpher Kohlenstoff). Hochwertige Rotpigmente sind H/imatit Fe203, Mennige Pb304 und Cadmium-Rot Cd(S,Se); Blaupigmente sind PreuBisch-Blau K[FeIIIFeH(CN)6] (idealisierte Formelt) und Spinell-Blau COA1204 und Griinpigmente Spinell-Griin (Co,Ni,Zn)TiO4 und Chromoxid-Grtin Cr203. L6sliche organische Farbstoffe gibt es sehr viele. Sie liegen im Kunststoff molekular verteilt vor. Da ihre Deckfiihigkeit deutlich geringer als die der Pigmente ist, besitzen sie zum Einfiirben von Kunstharzen kaum Bedeutung. ,,
Als Verstiirkungsstoffe kommen in erster Linie Glasfasem zum Einsatz. Durch die Einbettung der Glasfasem in die Polymermatrix lassen sich die mechanischen Eigenschaften, vor allem die Festigkeit und dadurch bedingt die konstruktive Belastbarkeit, deutlich steigem. Von bautechnischem Interesse sind vor allem glasfaserverst~irkte Polyester- und Epoxidharze. Eine verst~irkende Wirkung wird auch durch Zusatz von Kohlenstoff- und Textilfasern erreicht.
10.4.4
Einteilung der Kunststoffe nach ihrer Bildungsreaktion
Polymere werden durch Polymerisation, Polykondensation oder Polyaddition gebildet. Diese klassische Unterteilung der Bildungs- oder Aufbaureaktionen von Makromolektilen entspricht nicht mehr den neuesten IUPAC-Regeln. Als Polymerisationen (frtiher: Polyreaktionen) bezeichnet man heute zusammenfassend alle Bildungs- oder Aufbaureaktionen ftir Polymere, wobei eine Unterteilung in Additions- und Kondensationspolymerisationen erfolgt. Die Additionspolymerisation kann entweder als Kettenreaktion (friiher: Polymeri-
10.4 Kunststoffe
439
sation) oder als Stufenreaktion (frfiher: Polyaddition) ablaufen. Im Rahmen des vorliegenden Buches wurde an der in der Bau- bzw. Baustoffchemie bis heute tiblichen, traditionellen Klassifizierung der Kunststoffe in Polymerisate, Polykondensate und Polyaddukte festgehalten.
10,4.4.1 Polymerisationskunststoffe (Polymerisate) Unter einer Polymerisation versteht man die Bildung von Makromolekiilen aus Monomeren mit reaktionsf'dhigen Doppelbindungen, ohne dass ein niedermolekulares Nebenprodukt abgespalten wird.
Der entscheidende Schritt ist die Aktivierung der C=C-Doppelbindung. Sie kann durch Initiatorsubstanzen, aber auch durch W~irmezufuhr und Lichteinwirkung (UV- und sichtbares Licht) erfolgen. Durch ,,Entkopplung" der ~-Bindung entstehen reaktionsf~ihige Radikale, die sich durch Reaktion mit weiteren Molekiilen fiber kovalente Einfachbindungen verkniipfen und den Aufbau makromolekularer Kohlenstoffketten bewirken. Da sich w~ihrend des Polymerisationsvorganges kein Reaktionsprodukt abspaltet, ist die elementare Zusammensetzung von Monomer und Polymer gleich. Die Polymerisation verl~iuft stets unter W~irmeabgabe, also exotherm. Damit sind die Polymerisate reaktions~irmer als die unges~ittigten Ausgangsverbindungen. Die Polymerisation lauft als Kettenreaktion ab. Nach dem Reaktionsmechanismus unterscheidet man zwischen einer radikalischen, einer kationischen und einer anionischen Polymerisation. Im ersten Fall sind die Reaktionspartner Makroradikal und Monomer, im zweiten Fall Makrokation und Monomer und im letzten Fall Makroanion und Monomer. Welcher Mechanismus abl~iufl, h~ingt vor allem von der Elektronenverteilung im Monomermolektil ab. Die grundlegenden Reaktionsschritte sind jedoch in allen drei F~illen immer die gleichen: Kettenstart, Kettenwachstum und Kettenabbruch. Sie sollen am Beispiel der radikalischen Polymerisation von Ethen kurz erl~iutert werden:
Kettenstart: R- + CH2 = CH2
=
R - CH2- CH2
Kettenwachstum: t
R - CH2- CH2 + CH2 = CH2
= R-CH2-CH2-CH2-CH2
usw.
Kettenabbruch" 2 R - CH2- CH2
R - CH2- CH2- CH2- CH2- R
Ethen (Ethylen) ist die einfachste Ausgangsverbindung ~ r eine Polymerisationsreaktion. Es reagiert bei 200~ und 2000 bar in Gegenwart von Spuren von Sauerstoff zu Polyethylen. Beim Kettenstart entstehen Radikale R-, die im Folgeschritt an die C=C-Doppelbin dung eines Ethenmolektils addiert werden. Dabei entkoppelt das Radikal die n-Bindung der Doppelbindung und es entsteht ein neues Radikal.
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
440
W~ihrend des Kettenwachstums reagieren Alkylradikale mit weiteren Ethylenmolekiilen zu neuen, stets um eine Monomereinheit verl~ingerten Radikalen. Im Ergebnis der fortgesetzten Kettenreaktion erhalt man schlieglich Makromolektile, in denen mehr als 1000 Ethylenmolektile miteinander verkntipft sind. Zum Kettenabbruch kommt es, wenn zwei Radikale rekombinieren, d.h. sich miteinander umsetzen. Indem sie eine kovalente Bindung ausbilden, verlieren beide Reaktionspartner ihren radikalischen Charakter. Als Initiator fiir die Startreaktion fungiert im betrachteten Falle (Synthese von Hochdruckpolyethylen) der diradikalische Sauerstoff (Kap. 5.4.2.1), bei anderen Polymerisationen werden vorwiegend instabile Peroxide (R-O-O-R ---- 2 R-O-) als Radikalbildner eingesetzt.
Bautechnisch wichtige Polymerisate: Die Polymerisate zeigen ein mehr oder weniger ausgepr~igtes thermoplastisches Verhalten. Ihre leichte Verarbeitbarkeit und ihre vielseitigen Einsatzm6glichkeiten sind die Ursache fiar die dominierende Stellung solch wichtiger Polymerisationskunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen, Polyvinylchlorid und Polystyrol. A)
Polyolefine und abgeleitete Verbindungen
9 Polyethylen (Polyethen), PE
CH2--CH2+n
n mnzahl der verkntipften Monomerbausteine
Die Herstellung von Polyethylen erfolgt iiberwiegend nach dem Hochdruck- oder dem Niederdruckverfahren. In Abh~ingigkeit vom jeweiligen Verfahren unterscheiden sich die Makromolekiile hinsichtlich Verzweigungs- und Kristallisationsgrad sowie Molektilmasse. Mit abnehmendem Verzweigungsgrad und einer Verkiirzung der Seitenketten wird der Anteil an kristallinen Bereichen gr6fSer und die Dichte des Polymers erh6ht sich. Beim Hochdruckverfahren findet eine radikalische ,,Gaspolymerisation" bei Driicken zwischen 1000...3000 bar und Temperaturen um 200~ in Anwesenheit geringer Mengen an Sauerstoff staR. Der Sauerstoff fungiert als Katalysator fiir die Startreaktion. Das anfallende PE (PE-LD; engl. LDPE Low Density Polyethylene) besteht aus verzweigten Makromolekiilen, die einen relativ groBen Abstand voneinander haben. Daraus resultiert eine gewisse Beweglichkeit der Makromolekiile, so dass PE-LD als ein weiches Material geringer Festigkeit und Dichte (p = 0,91 - 0,93 g/cm3) erhalten wird. Der Volumenanteil an kristallinen Bereichen liegt zwischen 40...55%. Die maximale Gebrauchstemperatur betr~igt etwa 85~ Bei Temperaturen zwischen 105...115~ beginnt PE-LD zu erweichen. PE-LLD (Linear Low Density) ist ein modifiziertes Hochdruckprodukt mit einem h6heren Kristallanteil und einer giinstigeren Zugfestigkeit. Beim Niederdruckverfahren wird Ethylen bei Normal- bzw. geringem Llberdruck und Temperaturen < 100~ in Gegenwart von Ziegler-Natta-Katalysatoren (Gemische aus Li-, Be- oder Al-organischen Verbindungen und einem Ubergangsmetallhalogenid, z.B. TiCI4, in einem inerten L6sungsmittel) polymerisiert (PE-HD; engl. ttDPE High Density Polyethylene). Die Polymerisation findet im Unterschied zum Hochdruckverfahren an der Katalysatoroberfl~iche staR. PE-HD besitzt wegen der weitgehend linearen und unverzweigten Struktur seiner Makromolekiile eine h6here Dichte (p = 0,94...0,97 g/cm3). Es weist einen h6heren Kristallinit~itsanteil (bis zu 80%) und eine h6here mechanische Festigkeit auf. Nie-
10.4 Kunststoffe
441
derdruckpolyethylen wird deshalb auch als Hart-PE und Hochdruckpolyethylen als Weich-PE bezeichnet. Die maximale Gebrauchstemperatur von PE-HD liegt zwischen 10...120~ die Erweichungstemperatur bei etwa 130~ Bei einem Mitteldruckverfahren (Philips-Petroleum-Comp.) wird Ethylen b e i - 35 bar und 150...180~ in einem L6sungsmittel (z.B. Xylol) an Chromium(VI)-oxid/AluminiumsilicatKatalysatoren polymerisiert. Dabei entsteht ein fast vollkommen linear gebautes Polyethylen mit einem kristallinen Anteil von 65...75%. Dichte, H~irte und Zugfestigkeit des Mitteldruck-PE liegen zwischen denen des Hart- und Weich-PE. Polyethylen ist ein transparentes bis milchig durchscheinendes (opakes) Material. Gegenfiber verdtinnten Sauren und Laugen sowie gegentiber den meisten L6sungsmitteln ist es weitgehend best~indig. Es ist auch resistent gegentiber dem Angriff von Mikroorganismen. Von oxidierenden S~iuren wird PE jedoch angegriffen. Durch UV-Strahlen und durch den Einfluss von W~irme werden in Gegenwart von Sauerstoff Alterungsprozesse ausgel6st (Kap. 10.4.7). Deshalb werden die PE-Sorten grunds~itzlich mit Stabilisatoren produziert. Aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe bewirken eine Quellung. PE-Formmassen lassen sich durch Spritzgie6en, Extrudieren und durch Blasverfahren bearbeiten. Sie sind spanend verformbar und gut schwei6bar. Polyethylen enth~ilt keine Weichmacher. Verwendung: Folien, Dichtungsbahnen, Kabelummantelungen; Rohrleitungen fiir Trinkwasser, Abw~isser und Gase; Beh~ilter (Eimer, Wannen, Container, MSrtelkiibel, Tanks), Tafeln, RohrzubehtJr, Bodenverfestigungsgitter u.a.
Polypropylen (Polypropen), PP
+ CH2-- (~H]-J'-n CH3
Polypropylen unterscheidet sich vom Polyethylen durch vine Methyl-Seitengruppe. Im Ergebnis der Polymerisation von Propylen k~nnen die Methylgruppen isotaktiseh, syndiotaktiseh und ataktiseh angeordnet vorliegen (Abb. 10.10). Die gleichm~i6ige r~iumliche Ausrichtung der CH3-Gruppen des isotaktischen PP fiihrt zu einem Kristallinit~itsanteil yon 50...70% und einem im Vergleich zum PE erh/Shten Erweichungsbereich (160...170~ Deshalb ersetzt PP Polyethylen vor allem dort, wo es auf vine gute W~irmebest~indigkeit ankommt. Die maximale Gebrauchstemperatur liegt bei etwa 130~ Das durchsichtige bis milchig-trtibe Material zeichnet sieh durch vine besonders niedrige Dichte (p = 0,90 g/cm 3) aus, was auf den Raumbedarf der Methylgruppen und die daraus resultierende geringe Packungsdichte der Makromolektile zurtickzufiihren ist. Im Gvgensatz zu PE ist seine Oberfl~iche hart und glanzend und l~isst sich nicht mit dem Fingernagel ritzen. PP ist nicht spannungsrissempfindlieh, versprSdet unterhalb von 0~ jedoch leicht. Wie Polyethylen neigt auch Polypropylen zu statischer Aufladung. Sie wird fiir bestimmte Anwendungszwecke durch den Zusatz von Antistatika vermindert. Polypropylen ist in seinen Eigenschaften dem PE ahnlich. Gegentiber verdtinnten S~iuren, Laugen, Salzl6sungen sowie den mvisten L/Ssungsmitteln ist es best~indig. Von konz. H2SO4 und HNO3 sowie von Wasserstoffperoxid H202 wird es angegriffen. Nichtstabilisiertes PP ist empfindlich gegen Lichteinwirkung. Wie PE brennt es nach dem Entziinden mit einer nicht ru6enden, einen blauen Kern aufweisenden Flamme unter Abtropfen weiter (Paraffingeruch). Verwendung: Rohre, Sanit~irarmaturen, Beschl~ige, Folien, Haushaltgedite.
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
442
Polybutylen (Polybuten), PB
] + CH2--(~H-7n CH2 I CH3
Wie Propen ist auch 1-Buten durch stercospezifische Polymerisation in ein isotaktischcs, tcilkristallincs Polymcrisat tiberfiihrbar, das in seinen Eigcnschaftcn weitgchend dem Polypropylen ahnclt. PB bcsitzt eine Dichte yon 0,915 g/cm 3, seine Erwcichungstemperatur liegt bei 100~ Es zeichnet sich durch einc hohe Schlagzahigkeit und Fcstigkeit (auch bei h6heren Temperaturen!) sowie eine hohe Spannungsrissbestandigkeit aus. PB ist gegeniiber nichtoxidierenden Sauren, Laugen, Glen, Fetten und den meisten organischen L6sungsmitteln bestandig. Von oxidierenden Sauren sowie aromatischen und Halogenkohlenwasserstoffen wird es angegriffen. Polybutylen brennt wie PE und PP mit einer leuchtenden, nicht rufSenden Flamme, die einen blauen Kern aufweist. Die Rauchschwaden riechen stechend nach Paraffin. Verwendung: Rohrleitungen, Behalterauskleidungen, Folien, Kabelisolation u.a. 9 Polyisobutylen (Polyisobuten), PIB
CH3 I
+ CH2--(~-']"n CH3 Die Polymerisation des Isobutens fiihrt in Abhangigkeit vom Polymerisationsgrad zu klebrig-61igen bis kautschukartigen Produkten. Niedermolekulare Polyisobutylene sind bei Raumtemperatur viskose FlUssigkeiten, hochmolekulare Polybutylene (MolekUlmassen bis 200 000) dagegen gummielastische, dem Kautschuk ahnliche Materialien (p = 0,92 g/cm3). Die maximale Gebrauchstemperatur liegt bei 120~ ab 380~ erfolgt Zersetzung. Von Sauren, Laugen und Salzl6sungen wird PIB nicht angegriffen, wohl aber von Mineral61en und Benzin. Nach dem Entziinden brennt es mit leuchtender Flamme, seine Schwaden riechen nach verbranntem Gummi. Verwendung: Folien, Dachbahnen und Dichtungsbahnen (hochmolekulares PIB), Klebstoffe und Abdichtmassen (niedermolekulares PIB). B)
Polyvinyle und abgeleitete Verbindungen
In den Vinylverbindungen CH2=CH-R ist ein H-Atom des Ethylens (Kap. 10.1.1.2) durch unterschiedliche Reste R ersetzt, z.B. R = CI: Vinylchlorid CH2=CH-C1, R = Phenyl: Vinylbenzol (Styrol) CH2=CH-C6H5 und R = Acetat: Vinylacetat CH2=CH-OCOCH3. Die einseitige Substitution eines oder beider Wasserstoffatome im Ethylen durch Atome oder Atomgruppen, die eine h6here Elektronegativitat als Kohlenstoff aufweisen, f'tihrt zu einer mehr oder weniger starken Polarisierung der Doppelbindung. Damit ware eine ionische Polymerisation begtinstigt. Ein ionischer Polymerisationsmechanismus ist aber nur bei Vinylethern anzutreffen, bei den Vinylhalogeniden und Vinylacetaten laufen die Polymerisationen dagegen radikalisch ab. Auf alle Falle bewirken die unterschiedlichen Reste R eine Aktivierung der C=C-Doppelbindung, so dass Vinylverbindungen aufSerordentlich rasch polymerisieren.
10.4 Kunststoffe
9 Polyvinylchlorid, PVC
443
+CH2--(~ H +n CI
Polyvinylchlorid ist neben Polyethylen und Polystyrol einer der am h/iufigsten verwendeten thermoplastischen Kunststoffe. Die Polymerisation des Vinylchlorids liiuft in Gegenwart von Peroxiden als Initiatoren radikalisch ab. Im Ergebnis unterschiedlicher Polymerisationsverfahren (Suspensions-, Emulsions- und Massepolymerisation) f~illt Polyvinylchlorid als Pulver bzw. in Form kleiner Perlen an. Um wiihrend der thermischen Verarbeitung des Roh-PVC (bei etwa 160~ die Abspaltung von HC1 zu vermeiden, werden ihm Stabilisatoren (z.B. anorganische Schwermetallsalze, Metallseifen des Ba, Zn und Ca, Soda und A1kaliphosphate) zugesetzt. Man unterscheidet weichmacherfreies (unplasticized) Polyvinylchlorid PVC-U und weichgemachtes (plasticized) Polyvinylchlorid PVC-P. Ersteres wird als Hart-PVC und letzteres als Weich-PVC bezeichnet. Weichmacher sind der Schliissel fiir die beeindruckende Vielseitigkeit des Kunststoffs PVC. Reines PVC ist ein ziemlich spr6des Material. Je mehr Weichmacher hinzugefiigt wird, umso geschmeidiger wird es. Hart-PVC (PVC-U) Hart-PVC ist ein bei Raumtemperatur harter, polymerer Werkstoff, der zwischen 70...80~ in den weichelastischen Zustand tibergeht. Seine Dichte betr/~gt 1,38... 1,40 g/cm 3. Die maximale Gebrauchstemperatur liegt bei 60~ Bei 170~ wird PVC-U 61ig-fltissig und bei 230~ kommt es zur Zersetzung. PVC-U ist leicht einfiirbbar, spanend verarbeitbar, schweifAbar, verklebbar und zwischen 130...140~ verformbar. Bis zu einer Temperatur von ca. 60~ zeigt PVC-U gegeniiber den meisten Chemikalien eine gute bis sehr gute Best/indigkeit (Ausn.: konz. H2SO4 und HNO3). In Ketonen, Estem, Chlorkohlenwasserstoffen und aromatischen KW wird PVC-U angequollen bzw. gel6st. Verwendung: Rohre ftir Wasserleitungen und Gasversorgung, Dr/inrohre, Bedachungen, Tafeln, Dachrinnen u.a. Weich-PVC (PVC-P) Die Eigenschaften von PVC-P h/ingen vonder Art und der Menge des zugesetzten Weichmachers ab. Der Weichmacheranteil liegt zwischen 20...40%. Als Weichmacher kommen vor allem Phthals/~ureester (Abb. 10.3) zum Einsatz. In Abh/~ngigkeit vom Weichmacheranteil fallen Produkte von weichgummi- bis lederahnlicher Beschaffenheit an. Infolge der tiefen Einfriertemperaturen (< -5~ liegen die weichgemachten PVC-Sorten bei normalen Gebrauchstemperaturen im weichelastischen Zustand vor. Eine Urformung durch Extrudieren, GieBen, Tauchen, Streichen, Kalandrieren, Sch~iumen und Hohlk6rperblasen ist oberhalb 150~ m6glich. PVC-P 1/isst sich sehr gut schweifAen. Bei einem Weichmacheranteil von 30...40% Dioctylphthalat (DOP) betriigt die Dichte des PVC-P etwa 1,3 g/cm3. Die chemische Best/indigkeit des Weich-PVC ist naturgem/iB geringer als die des Hart-PVC. Es ist starker quellbar und leichter in organischen L6sungsmitteln 15slich. Verlust des Weichmachers durch Verfltichtigung, Herausl6sen oder mikrobiellen Verzehr der Weichmachermolektile (z.B. bei bekiesten PVC-Flachd~ichem mit unzureichendem Gef'~ille und Pfiitzenbildung) ftihrt zur Verspr~idung des Polyvinylchlorids. PVC ist schwer entflammbar. Es brennt in der Flamme gelb rul3end, wobei der untere Flammenteil bei Anwesenheit von Cu grtin ges/iumt ist (Beilstein-Probe). AuBerhalb der Flamme erlischt das PVC wieder.
444
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Verwendung: Folien, Planen, Dichtungs- und Dachbelagbahnen, FuBbodenbeRige, Weichschaumstoff, Schl~iuche, Draht- und Kabelisolation u.a. 9 Polyvinylidenchlorid, PVDC
Cl I
+CH2--(~4 n Cl Polyvinylidenchlorid ist ein thermoplastischer, widerstandsfdhiger, nicht brennbarer Kunststoff, der durch radikalische Polymerisation von Vinylidenchlorid CH2=CCI2 hergestellt wird. PVDC weist einen hohen Anteil kristalliner Bereiche auf. Die Glasiibergangstemperatur betdigt-19~ bei etwa 200~ kommt es zur Schmelze. Aufgrund ungtinstiger thermischer Eigenschaften werden fiir praktische Belange meist Copolymerisate unter Zusatz von Vinylchlorid (bis zu 20%) bzw. Vinylacetat (13%) und Acrylnitril (2%) hergestellt. Die Copolymerisate sind harte, unbrennbare, abriebfeste, wasserdampfundurchRissige, chemikalienbest~indige Produkte. Ihr Erweichungsbereich liegt zwischen 100...120~ Verwendung: Folien, Lackrohstoff, Faden (Weichmacherzusatz!), Rohre, Siebe, Borsten, Dispersionen fiir Anstrichmittel.
9 Polystyrol, PS
OH2-- +n
Polystyrol wird haupts~ichlich durch radikalische Polymerisation (Kopf-Schwanz-Verkniiplung, Abb. 10.8) von Styrol in Gegenwart peroxidischer Radikalbildner hergestellt. Das Polymerisat ist ein harter, glasklarer Werkstoff geringer Schlagz~ihigkeit. Es besitzt eine glanzende Oberfl~iche, die allerdings nicht kratzfest ist. Die Spr6digkeit unterhalb der Glastibergangstemperatur ist auf die sterische Behinderung der Makromolekiile durch die Phenylgruppen zuriic~f0hren. Sie erschwert ihre Beweglichkeit. Reines Polystyrol (Homopolymerisat) besitzt eine Dichte von 1,05 g/cm3. Es erweicht zwischen 80...90~ und ist gut verformbar. PS Risst sich problemlos einfdrben, spanabhebend bearbeiten, polieren und kleben. Gegentiber S~iuren, Laugen, Alkoholen und Mineral61en ist es best~indig, gegeniiber den meisten organischen L6sungsmitteln jedoch unbest~indig. PS brennt mit leuchtender, stark ruBender Flamme nach dem Entfemen der Ziindquelle weiter und verbreitet einen siiBlichen Geruch (Styrol!). Unter dem Einfluss von UV-Licht erfolgt eine allm~ihliche Vergilbung des Polystyrols. Seine Festigkeit nimmt ab und die Oberflache wird langsam matt. Verwendung: PS-Formmassen werden zu Haushaltgegenst~inden (Dosen, Behalter, Wegwerfgeschirr, Spielzeuge usw.) sowie zu Profilen, Beschlagen, Folien for Kabel u.a. verarbeitet. Enth~ilt das Polymerisat in der Hitze vergasende Stoffe oder leicht verdampfende L6sungsmittel, entsteht ein geschaumtes Polystyrol (Schaumpolystyrol). Beim Erw~irmen zersetzt sich das Treibmittel oder das L6sungsmittel verdampft. Zum Beispiel
PS-Hartschaum.
10.4 Kunststoffe
445
setzen Azoverbindungen wie Azobenzol C6Hs-N=N-C6Hs in der Hitze Stickstoff N2 frei, der das Granulat aufbRiht. Die entstehenden Blasen und Poren behalten auch nach dem Erkalten ihre ursprtingliche Form bei, so dass sich ein Schaumstoff mit einer geschlossenen, z~ihharten Zellstruktur ausbildet. Eine weitere M6glichkeit besteht im Einpressen eines Treibgases in die PS-Schmelze im Extruder. Extrudergesch~iumtes PS besitzt aufgrund einer kompakteren Zellstruktur eine h6here Festigkeit als ein durch zugesetzte Treibmittel gesch~iumtes PS.
Styrodur (BASF) ist ein extrudergesch~iumtes Polystyrol. Als Treibmittel zur Herstellung gesch~iumter Kunststoffe wurden in der Vergangenheit nahezu ausschlieBlich FCKW verwendet, was auf die niedrige Warmeleitf~ihigkeit dieser Substanzklasse zuriic~f'tihren ist. Der in den kleinen Poren eingeschlossene Halogenkohlenwasserstoff erh6ht das Warmed~immvermtigen des Schaumstoffs. Im speziellen Fall des Styrodur kam Dichlordifluormethan CC12F2 (R 12) in Verbindung mit einem Co-Treibmittel zum Einsatz. Aufgrund der in Kap. 5.4.2.2 diskutierten/Skologischen Konsequenzen, die sich aus der Herstellung und der Nutzung yon FCKW ergeben, stand (und steht) vor der chemischen Industrie die Aufgabe, diese Treibmittel schrittweise zu ersetzen. R 12 wurde 1990 zun~ichst durch den teilhalogenierten Fluorchlorkohlenwasserstoff H-FCKW 142b (CH3CCIF2) ersetzt. 1996 erfolgte dessen Substitution durch CO2, obwohl die W~irmeleitf'~ihigkeit von CO2-gesch~iumtem Polystyrol (Styrodur C, BASF) fiber der von H-FCKW-geschaumtem Polystyrol liegt [OC 5]. Der Vorteil von Styrodur C-Platten besteht jedoch darin, dass sie im Gegensatz zu H-FCKW-gesch~iumten Platten nicht altern. Ihr W~irmed~immverm6gen bleibt tiber Jahre nahezu konstant. Die Co'Treibmittel (vor allem Chloralkane) wurden aus toxikologischen Griinden durch Ethanol ersetzt. Verwendung: PS-Hartschaum wird als Diimmstoff zur W~irme- und Schalld~immung in der Bauindustrie sowie in der K~iltetechnik eingesetzt, ferner als Verpackungsmaterial, Dekomaterial usw. In speziellen Brandschutzplatten ist gesch~iumtes Polystyrol mit wasserhaltigem Natriumsilicat kombiniert, das durch eine wasserdichte Epoxidharzschicht gegen Austrocknen geschtitzt ist (BASF). Bei Hitzeeinwirkung (Feuer!) bRihen sich die diinnen Platten infolge der Zersetzung des PS und des frei werdenden Wasserdampfs auf und erzeugen eine unbrennbare, por/Sse Brandschutzschicht (Verwendung far W~inde und Tiiren). Um die thermischen und mechanischen Eigenschaften des Homopolymerisats zu verbessere, wird PS mit anderen Monomeren copolymerisiert. Das sogenannte sehlagfeste Polystyrol ist ein Styrol-Butadien-Pfropfcopolymer (Kurzzeichen: SB), dessen Butadienanteil zwischen 10...15% liegt. Die SB-Formmassen sind Zweiphasensysteme. Die gummiartigen Butadienteilchen (disperse Phase) sind im thermoplastischen Werkstoff Polystyrol (Dispersionsmittel) verteilt und verbessern dessen Schlagz~ihigkeit entscheidend. SB-Copolymere weisen allerdings eine geringere Alterungsbest~indigkeit als das Homopolymerisat auf und neigen zur Verspr6dung. FiJr die Praxis wichtige Copolymerisate sind die Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisate (ABS) und die Styroi-Acrylnitril-Copolymerisate (SAN). Das chemische Verhalten der Copolymerisate unterscheidet sich nicht grundlegend von dem der Reinpolymerisate, wenngleich sich die Unbest~indigkeit gegent~ber oxidierenden Sauren, Alkoholen, Estern, Aceton, aromatischen und Chlorkohlenwasserstoffen etwas erh6ht. Verwendung der Copolymerisate: Rohre, Gehause fiir Telefonapparate und Radios, Gerateteile, Schutzhelme, Kfz-Teile usw.
446
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Acrylharze (Acrylatharze) Acrylharze sind thermoplastische und w~irmeh~irtbare synthetische Harze, die durch Homound Copolymerisation von (Meth)acryls~iureestem gewonnen werden. Reine Acrylharze basieren ausschliefSlich auf (Meth)acryl-Monomeren. Zur Copolymerisation setzt man Monomere wie Styrol oder Vinylester ein. Uber die Wahl der Monomeren lassen sich sowohl L6slichkeits- als auch Filmeigenschaften (z.B. H~irte) der Acrylharze breit variieren. Bei den Acrylharzen handelt es sich in der Regel um transparente, gegen UV-Licht best~indige, nicht verfiirbende Werkstoffe. 9 Polyacryls~iureester (Polyacrylate)
-[- CH --CH 2-]I n COOR Polyacryls~iureester sind Polymere auf Basis von Estem der Acryls~iure H2C=CH-COOR, wobei R fiJr lineare, verzweigte oder cyclische, gegebenenfalls auch funktionelle Substituenten (z.B. Hydroxy-, Amin- oder Epoxidgruppen) enthaltende Alkylreste steht. Polyacrylate entstehen durch radikalische Polymerisation. Sie fallen je nach Polymerisationsgrad als durchsichtige, farblose, viskose, evtl. klebrige Fliissigkeiten oder feste Produkte an. Ihre Einsatzm6glichkeiten werden durch ihre sehr niedrigen Glasiibergangstemperaturen limitiert. Durch Copolymerisation mit Methacryls~iure, Styrol, Acrylnitril, Vinylchlorid oder Vinylacetat k6nnen ihre Eigenschaften verbessert werden. Verwendung: Elastische Harze (Acrylharze), Klebstoffe (Acrylat-Klebstoffe), Beschichtungen, Anstriche (Acrylat-Lacke), Impr~ignierungen, Betonzusatze, Grundstoffe fiir Fugendichtmassen. 9 Polymethacrylsfiuremethylester, PMMA
(Polymethylmethacrylate)
OH3 I
+ (~ -- CH2--]-n COOCH 3
Die Polymethacrylate (Polymethacryls~iureester) werden durch radikalische Polymerisation von Estern der Methacryls~iure H2C=C(CH3)-COOR (R = CH3, C/Hs, C3H7, ...) als amorphe, glasartig harte und transparente Kunststoffe (,,organisehes Glas") erhalten. Die technisch grtifSte Bedeutung haben die Polymethylmethacrylate(obiges Formelbild) erlangt. Polymethylmethaerylate (p = 1,18 g/cm3) sind glasklare polymere Werkstoffe (Aerylglas) hoher H~irte und Festigkeit sowie hoher Warme- und Witterungsbest~indigkeit. Im Gegensatz zu Fensterglas sind sie auch fiir UV- Licht durchl~issig. Sie sind hochgl~inzend, kratzfest und lassen sich gut bearbeiten (polieren, siigen, fr~isen, bohren usw.). Sie k6nnen verklebt und verschweiBt werden. Die Erweichungstemperaturen der PMMA-Polymere liegen zwischen 120 und 140~ Bei etwa 150~ also im thermoelastischen Bereich, k6nnen sie gebogen, gezogen bzw. tiefgezogen werden. PMMA sind best~indig gegeniiber verdiinnten S~iuren (< 20%), verdiinnten Laugen, Benzin, Mineral/51en sowie tierischen und pflanzlichen Olen. Nicht best~indig bzw. l~slich bis quellbar sind sie in Benzol, Toluol, Estern, Ketonen, Chlorkohlenwasserstoffen sowie konz. Siiuren und Laugen. PMMA brennt nach der Entziindung mit leuchtender, nicht ruBender Flamme (blauer Kern) knisternd ab, wobei ein scharfer, fruchtartiger Geruch entsteht.
10.4 Kunststoffe
447
Verwendung: Verglasungen, lichtdurchRissige Platten, St~ibe, Rohre, Profile, Sanit~irartikel; Sicherheitsglas (splitterfrei und schusssicher). Das bekannteste Polymethylmethacrylat ist Plexiglas (Fa. R6hm). 9 Polyvinylacetat, PVAC
~- CH I
--CH24n
0 -- CO OH 3
Durch radikalische Polymerisation von Vinylacetat CH2=CH-O-COCH3 wird Polyvinylacetat erhalten. Die Polymerisate sind glasklare, spr6de, licht-, w~irme- und witterungsbest~indige Thermoplaste mit Dichten zwischen 1,16 und 1,18 g/cm3. Die Glastibergangstemperaturen der Polyvinylacetate liegen in Abh~ingigkeit yon der relativen MolekUlmasse zwischen 28... 180~ PVAC ist unl6slich in Wasser, 10slich dagegen in vielen organischen L6sungsmitteln (Ester, Ether, niedere Alkohole, Halogenkohlenwasserstoffe u.a.). Aufgrund seiner geringen mechanischen Festigkeit kann PVAC nicht als Konstruktionswerkstoff eingesetzt werden. Verwendung: Bindemittel fiir Anstriche und Beschichtungen, zur Herstellung yon Lacken, Klebstoffen und Spachtelmassen, Haft- und Kontaktmittel. Polyvinylalkohol Risst sich durch eine alkalisch katalysierte Umesterung von Polyvinylacetat mit Alkohol (vorzugsweise Methanol!) herstellen. Die makromolekulare Kette bleibt erhalten (GI. 10-17). Bei einer Umesterungwird der Alkoholrest eines Carbons~iureesters gegen einen anderen ausgetauscht. Dabei geht ein Ester in einen anderen tiber. Die Umesterung kann somit als eine Abfolge von Verseifungs- und Veresterungsreaktion angesehen werden. [ - C H - - OH 2 4 n
I
O - CO CH 3 Polyvinylacetat
+ n CH3OH - n H3CCOOCH 3
)
4t
CH
I
CH 2
._]_ Jn
( 1 O- 17)
OH Polyvinylalkohol
9 Polyvinylalkohol, PVAL Handelstibliche PVAL sind weiB-gelbliche Pulver oder Granulate unterschiedlichen Polymerisationsgrades. Aufgrund der im Polymer enthaltenen polaren OH-Gruppen sind die Polyvinylalkohole wasserl6slich und bilden schwach- bis zahviskose L6sungen. Trockener PVAL (p - 1,25...1,35 g/cm3) ist sehr spr6de, weshalb mitunter Wasser oder weichmachende Substanzen (Ethylenglycol, Glycerin) zugesetzt werden. Mit Ausnahme einiger stark polarer L6sungsmittel wie Dimethylformamid und Dimethylsulfoxid ist PVAL in den meisten organischen L6sungsmitteln unl6slich. PVAL-Folien sind weitgehend undurchlassig ~ r Gase wie N2, 02, CO2 und H:, jedoch durchlassig ~ r Wasserdampf. Verwendung: Folien, Klebstoffe, Dichtungen, Schl~uche u.a. Durch die polare OH-Gruppe sind sie als Schutzkolloide (Kap. 6.3.2) verwendbar. Durch Umsetzung von PVAL mit Butanal (Butyraldehyd C3H7-CHO)entsteht Polyvinylbutyral, PVB, der technisch wichtigste Vertreter der Gruppe der Polyvinylaeetale. Das Strukturelement der Polyvinylacetale besitzt die allgemeine Formel:
448
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
CH -- OH -- CH 2 - CH 4n
I
I
O
O
OH . / I R
Ftir Polyvinylbutyral ist R = C 3 H 7 . Die pulverf6rmig anfallenden PVB sind wasserunl6sliche, amorphe, transparente Produkte, die in der Lage sind, z~ihe und feste Filme zu bilden. Verwendung: Folien als Zwischenschichten in Sicherheitsglasscheiben, Lacke und Klebstoffe, Anstrichmittel.
9 Polyvinylether
{-OH
-
-
OH 2
I O-R
Polyvinylether entstehen tiberwiegend durch kationische Polymerisation von Alkylvinylethem CH2=CH-OR. Technische Bedeutung haben der Polymethylvinylether, PVM (mit R = CH3), der Polylethylvinylether, PVE (R = C2H5) und der Polyisobutylvinylether, PVI (R= CHR-CH(CH3)2) erlangt. Die Polyvinylether besitzen in Abh~ingigkeit von Alkylrest und Polymerisationsgrad eine klebrig-fliissige bis feste, wachsartige Konsistenz. Sie sind in den meisten organischen L6sungsmitteln 16slich. Polyvinylether mittlerer Molekiilmassen besitzen eine auBerordentlich gute Haftf~ihigkeit. Verwendung:Klebstoffe (z.B. auf Klebe- und Isolierbandem), wiederbefeuchtbare Papierklebstoffe (PVM), Lacke u.a. F
F
I F
I F
9 Polytetrafluorethylen, PTFE
Polytetrafluorethylene entstehen durch radikalische Polymerisation von Tetrafluorethylen CF2=CF2. Die auBerordentlich temperaturbest~indigen Thermoplaste bestehen weitgehend aus linearen Makromolektilen und weisen einen hohen Anteil kristalliner Bereiche (bis zu 70%) auf. PTFE sind wasserabweisende und nicht brennbare Werkstoffe mit Dichten zwischen 2,1...2,3 g/cm 3. Der Kristallitschmelzpunkt dieser Polymere geringer H~irte liegt bei 327~ Oberhalb 400~ zersetzen sie sich unter Freisetzung fluorhaltiger toxischer Abbauprodukte wie Fluorphosgen (COF2) und Perfluorisobuten. Der Gebrauchsbereich der PTFE erstreckt sich von -200...+250~ da sich fiber das gesamte Temperaturintervall ihre mechanischen und chemischen Eigenschaften kaum ~indern. Auger der hohen Thermostabilit~it besitzen PTFE eine hohe Chemikalienbest~indigkeit. Ein Angriff erfolgt nur durch Fluor, Fluorverbindungen bei erh6hten Temperaturen und verfliissigte Alkalimetalle. Eerwendung: Wartungsfreie Gleitlager, Brtickenlager, Dichtungen, Rohre, Folien, Platten, Beschichtungen fiir Ktichengerate (Teflon) und Isolationsmaterial.
10.4 Kunststoffe
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10.4.4.2 Polykondensationskunststoffe (Polykondensate) Bei einer Polykondensation erfolgt die Bildung eines Makromolekiils durch Verkniipfung gleicher oder verschiedener Monomere unter Abspaltung kleiner anorganischer Molekiile (meist H20, seltener NH3, HCI). Strukturelle Voraussetzung ~ r den Ablauf einer Polykondensation ist das Vorliegen zweier, meist endstandiger reaktiver Gruppen im Monomermolektil. Durch die Abspaltung niedermolekularer Reaktionsprodukte ver~indert sich beim 0bergang vom Monomer zum Polykondensat die elementare Zusammensetzung. Im Unterschied zur Polymerisation, bei der die Makromolektile nach einem Kettenwachstumsmechanismus gebildet werden, Riuft die Polykondensation nach einem Stufenmechanismus ab. Die Polykondensate entstehen stufenweise fiber stabile Zwischenprodukte, die die gleiche Reaktionsfdhigkeit wie die Monomeren aufweisen. Zu jedem Zeitpunkt k6nnen Molekiile, so unterschiedlich ihre Gr6Be auch sein mag, miteinander reagieren. Kondensationsreaktionen repr~isentieren einen allgemeinen Reaktionstyp, der nicht nur in der organischen, sondem auch in der anorganischen Chemie anzutreffen ist (z.B. Kondensation von Kiesels~iuren unter Bildung von Polykiesels~iuren, Kap. 9.2.2).
Bautechnisch wichtige Polykondensate: Polyamide, PA. Durch Umsetzung von Diaminen und Dicarbons~iuren oder durch Polykondensation von Aminos~uren entstehen Polyamide. Sie werden sowohl zu Textilfasem als auch zu Werkstoffen verarbeitet. Zum Beispiel fiihrt die Umsetzung von Hexamethylendiamin H2N-(CH2)6-NH2 mit Adipins~ure HOOC-(CH2)4-COOH zu einem Polyamid des Nylontyps (G1. 10-18). Die Anzahl der Kohlenstoffatome der Methylenkette einschlieBlich der S~iureamidgruppe (-NH-CO-) wird zur Kennzeichnung des Polyamids herangezogen. Das in Reaktion (10-18) gebildete Polykondensat tr~igt die Bezeichnung PA 66 (Nylon). I-
n {
H2N
-
(CH2) 6 -
"-I
N-~ H + HO,OC I
L
-
(CH2) 4 -
COOH }
- (2n-1) H20
/
H
H
O II
N - (CH2)6 - N - c - ( C H 2 ) 4 - c H H
O II
(10-18) OH n
Polyamide sind ziemlich harte, z~ihe, abriebfeste, farblose bis schwach gelbliche Thermoplaste, deren Oberfl~iehe einen Glanz aufweist. Die hornartigen Stoffe besitzen aufgrund ihres relativ hohen kristallinen Anteils keinen breiten Erweichungsbereich, sondern einen mehr oder weniger scharf ausgepr~igten Schmelzpunkt. Er liegt je nach PA-Sorte zwischen 185 und 255~ Polyamide lassen sich verspinnen, gieBen, pressen und spanabhebend bearbeiten. Von Nachteil for den Werkstoffeinsatz ist ihre Empfindlichkeit gegentiber Luftsauerstoff bei h6heren Temperaturen (> 100~ und gegeniiber UV-Strahlung. Dartiber hinaus nehmen sie in Abh~ingigkeit von der Luftfeuchtigkeit wechselnde Mengen Wasser auf (bis zu 10%). Gegeniiber Alkalien und den meisten organischen L6sungsmitteln sowie Kraftstoffen und t31en sind die PA best~indig. Von konz. S~iuren und starken Oxidationsmitteln
450
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
werden sie angegriffen. Polyamide brennen mit leuchtender Flamme unter Abtropfen (Geruch nach verbranntem Horn). Verwendung: Folien, Platten, Schrauben, Diibel, BeschRige, Dichtungen, Textilfasern u.a. Formaldehydkondensationsprodukte:
9 Phenol-Formaldehyd-Harze, PF (Phenolharze, Phenoplaste) entstehen durch Einwirkung von Formaldehyd auf Phenol im basischen bis schwach sauren Milieu. Die Substitution der H-Atome des Phenols kann in ortho- und in para-Stellung erfolgen. Durch intermolekulare Wasserabspaltung (Abb. 10.16a) entstehen zun~ichst lineare und verzweigte Makromolekiile (Vorkondensate). Sie besitzen einen niedrigen Polymerisationsgrad, die Polykondensation ist noch nicht abgeschlossen. Bei den Vorkondensaten handelt es sich um z~ihfliissige bis feste, pulverF6rmige thermoplastische Massen, die in der Regel mit Fiillstoffen (Mineral- und Gesteinsmehle, Holzmehl, Textilfasern, Glasfasem u.a.) versetzt und anschlieBend mit Hilfe von Vernetzungsmitteln (H~irtem) unter Druck oder durch Hitzeeinwirkung verpresst werden. Die Fiillstoffe sollen die Kosten fiir den Kunststoff senken und seine mechanischen Eigenschaften verbessern. i.!--1
OH
[
"O"
1
OH
t'i
I-LH (-H20)
.--1
r
OH
H 2
OH]
H/C\H
a)
r -H-
n I CH2
I CH2
OH ~ i
C
2c OH
OH2 . , ~
OH
H OH2"/ HO
b)
/CH2
H2C~
Abbildung 10.16 PhenoI-Formaldehyd-Harze: a) Bildung des Vorkondensats durch intermolekulare H20-Abspaltung; b) Ausschnitt aus der vernetzten Struktur.
Die bei der alkalischen Kondensation anfallenden 15slichen thermoplastischen Vorprodukte bzw. Vorkondensate werden Resole (A-Harze) genannt. Sie gehen durch weitere Kondensation beim Erhitzen auf 150~ in Resitole (B-Harze) fiber, die kaum noch l/Sslich und nur in der Hitze thermoplastisch sind. Durch Zugabe einer S~iure als Harter werden die Resitole bei Normaltemperatur in unl/Ssliche, schwer schmelzbare Formen iiberftihrt (Resite). Resite sind durch eine r~iumliche Vemetzung der Molekiilketten (Abb. 10.16b) gekennzeichnet. Bei der sauren Kondensation reagieren Phenol und Formaldehyd zu halbfltissigen, weitge-
10.4 Kunststoffe
451
hend 16slichen Produkten (Novolake). Sie k6nnen durch Zusatz von Hexamethylentetramin ausgeh~irtet werden. Ein Phenol-Formaldehyd-Harz war der erste und lange Zeit einer der wichtigsten synthetischen Kunststoffe, der unter dem Namen seines Erfinders L. H. Baekeland als Bakelit bekannt geworden ist. Die geruch- und geschmacklosen Phenol-Formaldehyd-Harze besitzen den Nachteil, dass sie im Laufe der Zeit nachdunkeln. Deshalb werden sie vor der Weiterverarbeitung meist dunkelbraun oder schwarz eingef~irbt. Die Harze sind widerstandf~ihig gegeniiber Wasser und Chemikalien (auch organischen L6sungsmitteln!) und besitzen etwa die H/irte des Kupfers. Verwendung: Wegen ihrer niedrigen elektrischen und W~irmeleitfiihigkeit werden sie zur Herstellung von Isolatoren, Schaltern, Steckdosen usw. verarbeitet. Dariiber hinaus finden sie Verwendung in Schichtpressstoffen, Holzspan- bzw. Holzfaserplatten. Die durch Zusatz von Sauren kalt h/irtenden Resole sind Bestandteil einiger Kleb- und Schaumstoffe. 9 Harnstoff-Formaldehyd-Harze, UF (Harnstoffharze, Carbamidharze) gehOren zur Gruppe der Aminoplaste. Aminoplaste sind Kunststoffe, die durch Einwirkung von Aldehyden (meist Formaldehyd) auf Amine hergestellt werden k6nnen. Das Kurzzeichen UF leitet sich von Urea (griech.-lat. Harnstoff) und Formaldehyd ab. Bei der Umsetzung von HarnstoffHaN-CO-NH2 und Formaldehyd H-CHO entstehen unter entsprechenden Reaktionsbedingungen zun~ichst kettenfOrmige Molektile (Abb. 10.17a) als Vorkondensate. Sie werden/ihnlich wie die Phenolharze durch Erhitzen unter Druck vernetzt. Abb. 10.17b zeigt einen Ausschnitt aus der vernetzten Struktur eines Harnstoff-Formaldehyd-Harzes. 9 o, + H - N - C O - N - H
HI
CH2 +
+
H-N-CO-N-H
Lr-~H ---H'O
~
+
0 0 0
HI
a)
(H~O)
~,
+NH-CO-NH-CH2
+ n
=-..
I -
N -
CO
-
I
-
CH
N -
2 -
N
-
N
-
CH
N
2 -
--
I
H
H
I -
CO
I
OH 2
b)
N
I
H
OH 2
I -
OH
2 -
N I
CO
-
N
I -
OH
2 -
N -
CO
-
N
--
I
Abbildung 10.17 Harnstoff-Formaldehyd-Harze: a) Bildung des Vorkondensats unter H20-Abspaltung; b) Ausschnitt aus der vernetzten Struktur.
Hamstoffharze werden in der Regel mit Fiillstoffen wie Holzmehl, Cellulose oder Textilfasern zu weil3en Pressmassen verarbeitet, die sich durch Lichtechtheit sowie Geschmacks und Geruchlosigkeit auszeichnen. Allerdings sind sie hitze- und feuchtigkeitsempfindlich. Ihre Widerstandsf~ihigkeit gegentiber Chemikalien entspricht der der Phenolharze. Problematisch ist die nachtr~igliche Abspaltung von Formaldehyd aus den Fertigprodukten. Die Emission von Formaldehyd aus M6beln und Spanplatten ftihrt zu einer teilweise betrachtlichen Belastung der Innenraumluft (s. Kap. 12).
452
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Verwendung: Bindemittel fiir Pressmassen (Sanit/irbereich, Elektroinstallation), Bindemittel ftir Holzwerkstoffe, nichtelastische Schaumstoffe (Warmedammung). Die Kondensation von Harnstoff und Formaldehyd in Gegenwart von Alkoholen (z.B. Butanol) fiihrt zu hochwertigen Lackharzen, die als 15sungsmittelbest/indige, nicht vergilbende Einbrennlacke Anwendung finden. 9 Melamin-Formaldehyd-Harze, MF (Melaminharze) entstehen durch Polykondensation von Melamin (2,4,6-Triamino-l,3,5-triazin) mit Formaldehyd. Wie die Hamstoffharze geh6ren auch die Melaminharze zu den Aminoplasten. Aufgrund der drei freien Aminogruppen kann das Melamin bis zu sechs Formaldehydmolekiile anlagern.
H2N~ c / N . ~ c / NH2
II
I
Melamin
N~c~.N
I
NH2 Die Vorkondensate fallen als feinpulvrige, wasserl6sliche Harze an. Sie vemetzen beim Erhitzen auf 120...165~ zu unl6slichen, schwer schmelzbaren Produkten von guter Lichtbest/indigkeit. Melaminharze sind glasklar, gut anf~irbbar und iibertreffen die Harnstoffharze in Bezug auf Wasser- und Temperaturbest/indigkeit deutlich. Sie sind geruchsfrei und physiologisch unbedenklich. Verwendung: Mit Fiallstoffen wie Gesteinsmehl, Holzmehl, Cellulose oder Textilfasern versetzt, werden die Melaminharze zu Pressmassen verarbeitet, die in der Elektroindustrie, M6belindustrie (Deko-Platten, Deckfurniere), Rundfunk- und Fernsehtechnik Verwendung finden. Dariiber hinaus werden sie als Rohstoffe fiJr Lacke und Leime eingesetzt.
Polyesterharze. Durch Polykondensation von zweiwertigen Alkoholen mit Dicarbonsauren werden lineare Polyester erhalten. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Gruppe von Kunststoffen ist das Polyethylenterephthalat, PETP. PETP entsteht durch Umsetzung von Ethylenglycol mit Terephthals/iure (GI. 10-19). n { HO-(CH2)2-O~ + ._HO_jOC Ethylenglycol
COOH }
-
(2n-0
H20 (10-19)
Terephthalsaure
Hfo0H2,2
-OH
Aus Polyethylenterephthalat werden vor allem vollsynthetische Textilfasem (Trevira und Diolen), Polyesterseile, aber auch Magnettonb~inder hergestellt. Auf dem Bausektor werden Dichtungsbahnen (Bauwerksabdichtung) und Folien aus PETP verwendet. Sie zeichnen sich u.a. durch eine au6erordentlich hohe Reigfestigkeit und Temperaturbest/indigkeit aus. Setzt man 1,4-Butandiol anstelle von Ethylenglycol mit Terephthals/iure um, erh~ilt man
10.4 Kunststoffe
453
Polybutylenterephthalat, PBTP. PBTP besitzt iihnliche Eigenschaften wie das Polyethylenterephthalat. Bei Verwendung eines drei- (z.B. Glycerin) oder hSherwertigen Alkohols anstelle eines zweiwertigen bilden sich vemetzte Makromolektile (vernetzte Polyester). Infolge der groBen Variationsm6glichkeiten bei der Auswahl der mehrwertigen Alkohole, der Carbons~iuren und der Zusatzstoffe sind eine Vielzahl von Polyestem mit iihnlichen Eigenschaften darstellbar. Sie werden allesamt unter der Sammelbezeichnung Alkydharze zusammengefasst. Die Alkydharze bilden wetter- und wasserfeste Anstrichfilme, weshalb sie vor allem als Lackharze verwendet werden.
Ungesiittigte Polyesterharze, UP, werden durch Polykondensation ungesiittigter Dicarbonsiiuren bzw. polyfunktioneller ungesiRtigter Carbonsiiurederivate mit mehrwertigen Alkoholen erhalten. Die zuniichst durch Kondensation entstehenden linearen und verzweigten ungesiittigten Polyester fallen als glasig-amorphe, feste Massen an. Indem man sic in einem polymerisationsflihigen L6sungsmittel wie Styrol 16st, erreicht man eine Vernetzung. Die ausgehiirteten UP liegen als vernetzte Polyester vor. Ihre Synthese stellt eine Kopplung von Polykondensations- und Polymerisationsreaktionen dar. Die Lfsungen der ungesiittigten Polyester in Styrol (Achtung: Styroldiimpfe wirken reizend auf Augen, Atemwege und Haut!) bezeichnet man als Giefl- oder Reaktionsharze (auch: Laminarharze). Der Styrolgehalt kommerziell gehandelter L6sungen liegt zwischen 35...40%. Die Aushiirtung kann je nach eingesetztem Hiirter und evtl. Beschleunigern bei h6heren Temperaturen oder bei Normaltemperatur erfolgen. Durch Zugabe organischer Peroxide als Hiirter erfolgt die Polymerisation der Kondensate bei Temperaturen zwischen 80... 160~ Soil eine effektive Aushiirtung unter 80~ erreicht werden, mtissen Beschleunigersubstanzen, z.B. Metallsalze, zugesetzt werden. Die vernetzten, ausgehiirteten Polyesterharze sind harte, spr6de, farblose und glasklare Werkstoffe, die sich leicht einf~irben lassen. Sie sind bestiindig gegentiber Wasser, verdtinnte Mineralsiiuren und Alkalien, Salzl6sungen sowie den meisten organischen L6sungsmitteln (Ausnahme: Aceton, Essigsiiureethylester). Die mechanischen Eigenschaften der Polyesterharze k6nnen durch Glasfaserverst~irkung verbessert werden (Glasfaserverstiirkte Kunststoffe, GFK). Verwendung: Klebstoff (Zweikomponenten-Kleber), Polymerm6rtel und -betone, GieBharze, glasfaserverstiirkte Polyesterharze (UP-GF). UP-GF finden im Bausektor Verwendung fiir lichtdurchliissige, ebene bzw. gewellte Platten und Tafeln fiir Fassadenbekleidungen, Wiinde und Decken; des Weiteren fiir Profile, Rohre sowie Bauelemente f'tir Schwimmbiider.
Polycarbonate, PC, sind lineare Polyester, die durch Polykondensation von Derivaten der Kohlensiiure mit Dialkoholen (Diolen) hergestellt werden. Von Bedeutung sind vor allem Polycarbonate auf der Basis aromatischer Dihydroxyverbindungen, hauptsiichlich des 4,4'Dihydroxy-dimethyl-diphenyl-methans (Bisphenol A, auch: Dian, Abb. 10.18a). Durch Umsetzung mit Phosgen C1-CO-C1, dem Dichlorid der Kohlensiiure, bilden sich unter Abspaltung von HC1 lineare Makromolekiile (Abb. 10.18b). Die Bezeichnung dieser Kunststoffe als Polycarbonate geht auf die Gruppierung (-O-CO-O-, Carbonat: CO32-) zuriick. Polycarbonate sind klare, durchsichtige, farblose bis schwach gelbliche, thermoplastische Kunststoffe, die in ihren mechanischen, thermischen und elektrischen Eigenschaften zahlreichen anderen Kunststoffen tiberlegen sind. PC sind hartelastische Stoffe, die sich polieren, spanend bearbeiten, kleben, schweiBen und nageln lassen. Sie sind bis-100~ schlag-
454
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
zah und wegen ihres relativ hoch liegenden Erweichungsbereichs bis ca. 130~ einsetzbar. Polycarbonate sind bestandig gegeniJber Wasser, Salzl6sungen, verdtinnten Minerals~iuren, Kohlenwasserstoffen, Olen und Fetten. Von bestimmten Chlorkohlenwasserstoffen, wie z.B. CH2C12 und CC14, sowie von Benzol werden sie angequollen. W~issrige L/Ssungen von Alkalien und Ammoniak greifen PC an. Polycarbonate weisen eine ausgezeichnete Best~indigkeit gegentiber Sonnenlicht, Witterungseinfltissen und radioaktiver Strahlung auf. Verwendung: Platten, Tafeln und Stangen, lichtdurchl~issige Formplatten, Verglasungen, durchsichtige Ger~iteabdeckungen, Telefonzellen, CD und DVD u.a.m. CH3 H__j+O
CH3
(;
O+,H + Cl-I-C-I-Cl + H+O " I1" " O
CH3
a)
BisphenolA (Dian)
Phosgen
CH3
b)
C I CH3
\~J/
0 ~--
Bisphenol A (Dian)
0
1
CH3
n
Abbildung 10.18 Polycarbonate: a) Kondensationreaktion yon Phosgen mit Dian unter Abspaltung von HCI; b) Strukturelement des Kunststoffs.
Furanharze sind Polymere, die in der Hauptkette Furanringe (s. Kap. 10.1.8) enthalten. Sie werden durch Polykondensation von Furfurylalkohol (2-Furanmethanol) mit sich selbst oder mit Furfurol ((x-Furfurylaldehyd), Formaldehyd, Hamstoff, Ketonen und/oder Phenol als Co-Monomeren hergestellt. Furanharze sind braune bis schwarze, viskose Fltissigkeiten, die unter dem Einfluss stark saurer Katalysatoren zu Produkten mit ausgezeichneten Gebrauchseigenschaften vernetzen. Kommerziell erh~iltliche Furanharze bestehen aus den entsprechenden Furfurylalkohol-Cokondensaten, denen zur Viskosit~itsemiedrigung Reaktivverdtinner wie Furfurol, Furfurylalkohol oder aromatische Aldehyde zugesetzt sind. Die Kalterh~irtung erfolgt entweder mit Minerals~iuren (H3PO4, verd. H2SO4), die als w~issrigalkoholische L6sungen zugegeben werden, oder mit festen kristallinen aromatischen Sulfons~iuren. Sie k/Snnen dem Harz in fester Form, z.B. im Gemisch mit den Ftillstoffen, aber auch als w~issrig-alkoholische L6sung, zugesetzt werden. Verwendung:Chemikalienbest~indige Kitte und bei niedriger Temperatur h~irtende Klebstoffe. Glasfaserverst~irkte Furanharze werden als Konstruktionsmaterialien mit hoher Korrosions-, Hitze- und Flammbest~indigkeit fiar Beh~ilter, Rohrleitungen und Reaktoren eingesetzt.
10.4.4.3 Polyadditionskunststoffe (Polyadd u kte) Bei einer Polyaddition erfolgt die Bildung eines Makromolekiils durch wechselseitige Verkniipfung (Addition) unterschiedlicher Monomermolekiile mit je zwei charakteristischen Gruppen ohne Abspaltung yon Nebenprodukten.
10.4 Kunststoffe
455
Wesentliche Voraussetzung ftir den Ablauf einer Polyaddition ist das gleichzeitige Vorhandensein eines Protonendonators und eines Protonenakzeptors. Eines der beiden sich verkntipfenden Molekiile muss demnach als Br6nsted-S~iure und eines als Br6nsted-Base fungieren k6nnen. Als Protonendonatoren kommen vor allem Diole und als Protonenakzeptoren Diisocyanate mit reaktiven Isocyanatgruppen (O=C=N -) zur Anwendung. Die Protonen der beiden OH-Gruppen des Diols wandem jeweils zu einer Isocyanatgruppe, wobei sich das partiell positiv geladene H-Atom an das Stickstoffatom und das partiell negativ geladene Sauerstoffatom der Hydroxylgruppe an das Kohlenstoffatom der O=C=N-Gruppe anlagert. Dabei wird die ~-Bindung der N=C-Doppelbindung gel6st (Additionsreaktion) und zwischen den beiden Monomerkomponenten bildet sich eine kovalente Bindung aus. Die in G1. (10-20) dargestellte Umsetzung eines Diisocyanats mit einem Diol zu einem Polyaddukt l~iuft bei der Darstellung von Polyurethanen (s.u.) ab.
n { HO--CH2--CH2--OH + Ethylenglycol
O--C--N--(CH2)6--N--C--O}
1,6-Hexandiisocyanat (10-20)
o II O-- CH2-- C H 2 --O--C -- NI-- (CH2)6 -- N --
H
H n
Bautechnisch wichtige Polyaddukte: Polyurethane, PUR. Setzt man aliphatische Diisocyanate, z.B. 1,6-Hexandiisocyanat, und Diole wie Ethylenglycol (GI. 10-20) oder 1,4-Butandiol ein, erh~ilt man tiberwiegend lineare Polyurethane. Sie besitzen ~ihnliche Eigenschaften wie die Polyamide. Durch Zusatz von Fiillstoffen wie RuB oder Metalloxide (A1203, TiO2) k6nnen ihre Gebrauchseigenschafien verbessert werden. Vernetzte Polyurethane entstehen durch Polyaddition von Diund Triisocyanaten (Gemische!) an h6hermolekulare Alkohole bzw. verzweigte Polyester. Ihre Eigenschaften sind je nach Vemetzungsgrad tiber einen weiten Bereich variierbar. Sie fallen als harte, spr6de Feststoffe oder als Elastomere (Polyurethanelastomere) an. PUR-Harze haflen gut auf unterschiedlichen Untergrundmaterialien, altern nur geringfiigig und werden von verdtinnte S~iuren und Laugen, Kohlenwasserstoffen sowie Olen und Fetten kaum angegriffen. Konz. Laugen und S~iuren 16sen die Harze an. Entsprechend breit gef'~iehert wie das Eigenschaftsspektrum ist auch das Verwendungsgebiet der Polyurethane. Verwendung: Fugenfiillstoff, Abdichtungen, Lackbindemittel, Klebstoffe, GiefAharze, Spachtelmassen.
Polyurethanschaumstoffe lassen sich in PUR-Weich- und PUR-Hartschaumstoffe unterteilen. Sie wurden in der Vergangenheit ausnahmslos durch FCKW (bes. CC13F, R 11) gesch~iumt. Die Suche nach Alternativen machte schnell deutlich, dass es ein halogenfreies Treibmittel, das alle giinstigen Eigenschaften der FCKW in sich vereint, nicht geben kann. So wurden je nach Schaumstofftyp anwendungsspezifische Ersatzl6sungen entwickelt (s.a. PS-Hartschaum). Ein alternatives Treibmittel fiir die Weichschiiume zu finden, war nicht schwierig. Ftihrt man n~imlich die Polyaddition in w~issriger L6sung durch, kommt es unter Abspaltung von CO/zur Bildung von Diaminen (GI. 10-21), die als Vernetzerkomponente
456
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
wirken. Das freigesetzte Kohlendioxid besitzt blahende und schaumbildende Eigenschaften
(chemische Sch~iummethode). O=C=N-(CH2)n-N=C=O + 2 1-/20
r- HzN-(CH2)n-NH2 + 2 CO2 1'
(10-21)
Fiir die Produktion der tiberwiegend als W/irmed/immstoffe eingesetzten PUR-Hartsch~iume ist heute vor allem Cyclopentan das Treibmittel der Wahl (BASF). Cyclopentan kommt hinsichtlich Siedepunkt und W/irmeleitfiihigkeit den Anforderungen an ein FCKWErsatztreibmittel am n~ichsten. Klar ist, dass die zukiinftige Entwicklung zu den CO~Sch/iumen gehen wird. Wo mit CO2 als Treibmittel die erforderlichen Schaumstoffeigenschaften nicht erreicht werden, kommen Kohlenwasserstoffe zum Einsatz. Nur in den wenigen Ausnahmefiillen, wo die Verwendung unbrennbarer Treibmittel unabdingbar ist, wird man sich weiterhin auf die teuren, teilfluorierten Kohlenwasserstoffe (H-FKW) stiitzen miissen.
Epoxidharze, EP, sind h/irtbare, industriell hergestellte organische Verbindungen, deren Reaktivit/R auf den im Molekiil befindlichen Epoxidgruppierungen beruht. Epoxide enthalten den Sauerstoff in einer cyclischen, aus drei Atomen bestehenden Etherstruktur, bei der ein Sauerstoffatom an zwei direkt miteinander verkntipfie C-Atome gebunden ist. -- CH
-
CH--
/
\
Epoxidgruppe
0
Die Grundharze entstehen durch Umsetzung von Epichlorhydrin (exakt: 1-Chlor-2,3-epoxipropan) mit Diolen, zumeist aromatischen Dihydroxyverbindungen (Phenole), unter Zusatz von Alkalilauge. Als phenolische Komponente verwendet man haupts/ichlich das bereits von den Polycarbonaten bekannte Bisphenol A (Dian, Abb. 10.18). Aufgrund der endst/indigen Epoxidgruppen sind die Grundharze (Abb. 10.19a) in der Lage, mit aminogruppenhaltigen H/irtem zu reagieren (Abb. 10.19b). Zur Herabsetzung der Viskositat und Verbesserung der GieBbarkeit k6nnen den Epoxiden Reaktivverdtinner zugesetzt werden, z.B. Glycidether aliphatischer und aromatischer Alkohole, Glycidester h6herer Carbons/iuren. Durch Polyaddition der H/irterkomponenten an die Epoxid(grund)harze bilden sich vernetzte Makromolekiile, wobei ein harter Duroplast entsteht. Als H/irter werden vor allem Di- und Polyamine mit reaktionsF~ihigen Aminogruppen verwendet. Ein heute h/iufig eingesetztes cycloaliphatisches Amin ist das Isophorondiamin (IPD). Die r/iumliche Vernetzung des EP-Grundharzes erfolgt tiber reaktive H-Atome des Amins, so dass im ausgeh~irteten Epoxidharz tiberwiegend terti/ire Amine vorliegen (Abb. 10.19b). Die Heigh/irtung der Grundharze erfolgt bei Temperaturen zwischen 100...150~ mit sauren H~irtern (z.B. Dicarbons~iureanhydride). Dabei werden Harze mit einer h6heren W/irmebest/indigkeit und giinstigeren elektrischen Eigenschaften erhalten. Die spezifischen physikalisch-chemischen Eigenschaften der Epoxide h/ingen weitgehend von den verwendeten Ausgangs- und Fiillstoffen ab. Die ausgeh/irteten EP-Harze sind relativ hart und abriebfest, chemisch sehr best/indig und haften gut auf den verschiedensten Untergrundmaterialien. Breite Anwendung finden heute in der Baupraxis die Epoxidharzemulsionen (wa'ssrige 2Komponenten-EP-Systeme). Die Besonderheit dieser Emulsionen, die wie die konventionellen EP-Systeme auf der Umsetzung von EP-Harz mit reaktiven Polyaminen beruhen,
10.4 Kunststoffe
457
besteht darin, dass mindestens eine Komponente wasserverdiinnbar sein muss. Zur Bildung eines kolloiddispersen Systems werden entweder Dispergiermittel eingesetzt oder in die polymere Struktur des Harzes hydrophile Gruppen eingebaut (in der Paxis setzt man tiberwiegend Dispergiermittel ein!). Als H/irter kommen wasserverdiinnbare Polyaminoamide oder hydrophil modifizierte Epoxid-Amin-Addukte zum Einsatz. Der ungeschiitzte Einsatz von Epoxiden (Epoxidharze, Reaktivverdtinner, H/irter und ggf. I L6sungsmittel) kann neben Reizungen der Augen zu allergischen Kontaktekzemen fiahren (Handschuhel).
I
Verwendung: Lack- und GieBharze, Injektionsharz ftir Abdichtungen, Klebstoffe (Zweikomponenten-Kleber), Bindemittel zur Beschichtung oder zur Herstellung von Kunstharzm6rtel und Kunstharzbeton (Kap. 10.4.6).
H2C ~
a)
CH--CH 2
O
O - - CH2--CI H - -
\O /
....
CH3
OH
O--CH2--CH~CH 2 + H--N--H
- o~ - j
b)
CH2O - C H
2- CH--
OH2
\ O/
+ CH2~CH--CH2--O ....
"o"
._..,,, f
....
O-- CH2--CH-T/CH2 - N-- CH2 ~CIH--CH2--O . . . . I
OH
\
I
~ ~ R.___ ~%,/ OH terti~res Amin
Abbildung 10.19 a) Struktur eines Epoxid-Grundharzes; b) Reaktion der endst~ndigen Epoxidgruppen eines Grundharzes mit dem H~rter (z.B. Amin R-NH2).
10.4.5
Kunststoffdispersionen
Kunststoffdispersionen enthalten in w~issrigen, seltener nichtwassrigen Dispersionsmitteln fein verteilte thermoplastische Kunststoffe. Aufgrund der Gr6Be der dispergierten Teilchen (ca. 10-7... 3.10-6m) liegen die Kunststoffdispersionen im Grenzbereich zwischen kolloidund grobdispersen Systemen (Kap. 6.3.2). Die im Bauwesen verwendeten milchig-weiBen Dispersionen sind durch Teilchengr6Ben fiber 10-6m charakterisiert. Ein bl/iuliches bis briiunliches Aussehen weist auf PartikelgrOl3en zwischen 10-7...10-6 m hin. Kunststoffdispersionen mit Teilchengr6f3en < 10-7 m erscheinen meist transparent. Der Polymeranteil w/issriger Kunststoffdispersionen kann bis zu 55% betragen. Polymerdispersionen werden in Prim/ir- und Sekund~irdispersionen eingeteilt. Bei Primgirdispersionen erfolgt die Polymerisation der monomeren Bausteine in der w/issrigen Phase. Die Makromolekiale entstehen erst bei der Herstellung der Dispersion (Emulsions- oder Suspensionspolymerisation). Bei Sekundgirdispersionen werden fertig ,,auspolymerisierte"
458
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Kunststoffpartikeln in einem anschliegenden Verfahrensschritt im L/)sungsmittel dispergiert. Damit eine Emulsionspolymerisation ablaufen kann, miissen die Monomere zun~chst mit Hilfe von Dispergiermitteln (Emulgatoren) in w~issriger L6sung verteilt werden. In den entstandenen Tr/)pfchen erfolgt anschliegend die Polymerisation zu langkettigen Makromolektilen. Die adsorbierten Dispergiermittelmolektile richten sich an der Oberfl~che der Kunststoffpartikeln entsprechend ihrer tensidischen Struktur so aus, dass sich die dispergierten Partikeln in Wasser abstol3en und nicht zusammenballen. Eine zweite M~glichkeit der Stabilisierung von Kunststoffdispersionen besteht im Zusatz von Schutzkolloiden (Kap. 6.3.2), z.B. von Polyvinylalkohol oder Cellulosederivaten. Bei den in Kunststoffdispersionen verwendeten Bindemitteln handelt es sich vor allem um Polyvinylacetate, Polyvinylpropionate, Polyacrylate und Acrylharze. Die aus der groSen spezifischen Oberfl/iche der kolloiden Teilchen resultierende hohe Oberfl/ichenenergie ist die Ursache ~ r die gute Bindemittelwirkung der Kunststoffdispersionen. Die Verschmelzung der Polymerkugeln zu einem Film h/ingt vor allem yon der Temperatur ab. Die Temperatur, bei der die Filmbildung einsetzt, bezeichnet man als Mindestfilmtemperatur. Sie liegt beispielsweise fiir PVAC (und Copolymere) zwischen 10 und 30~ und ~ r Polyvinylpropionat (und Copolymere) zwischen 20 und 30~ Eintrocknen einer Dispersion unterhalb der Mindestfilmtemperatur bewirkt einen weigen, opaken Film sehr geringer Festigkeit. Trocknet die Dispersion deutlich unterhalb der Mindestfilmtemperatur aus, F~illtein weil]es Pulver an, ohne dass sich ein Film ausbilden kann. Ursache der Filmbildung und damit der Bindemittelwirkung ist das Wirksamwerden intermolekularer Wechselwirkungskr/ifte zwischen den sich bei der Verdunstung des L6sungsmittels ann/ihemden Makromolekiilen. Der Kunststofffilm ist umso fester, je langkettiger die dispergierten Makromolekiile sind. Durch zugesetzte Vernetzer werden zusatzliche kovalente Bindungen gekniipft. Man geht von drei Phasen der Filmbildung aus [OC 6]: a) Verdunstung und/oder Entzug des Wassers durch den kapillaren Untergrund ~hrt zu allm/ihlicher Einengung der Bewegungsfreiheit der Polymerteilchen; b) Teilchen n/ihem sich an, durch sich ausbildende Kapillarkr/ifte erfolgt Aneinanderpressen der Makromolekiile; c) Vollst~indige Verdunstung bzw. Entzug des Wassers durch kapillares Saugen des Untergrunds filhrt zur Ausbildung eines geschlossenen Kunststofffilms.
Redispersionpulver (Redispergierbare Pulver; in der Praxis meist kurz ,,Dispersionspulver"). Redispersionspulver k6nnen aus speziellen Dispersionsformulierungen durch Sprtihtrocknung erzeugt werden. Die Pulver besitzen alle in der Ausgangsdispersion enthaltenen Bestandteile. Riihrt man sie mit Wasser an, bildet sich wieder eine stabile w/issrige Dispersion. Um zu vermeiden, dass bei der Herstellung der Dispersionspulver zu frtih eine Filmbildung einschlieBlich irreversibler ,,Verklebung" einsetzt, umhtillt man die entstehenden feinen Pulverpartikeln mit einem wasserl6slichen Schutzkolloid, z.B. mit Celluloseetherderivaten. Man ,,beRet" die Makromolektile sozusagen in eine wasserl6sliche Phase ein, die bei Kontakt mit Wasser (Einrtihren!) aufgel6st wird. Auf dem Bausektor werden Kunststoffdispersionen fiir Oberfl/ichenschutzsysteme, Kunststoffdispersionsfarben, Dispersionskleber, kunststoffmodifizierte Zementm6rtel, Reaktionsharzbetone bzw.-m6rtel sowie ~ r Spachtel- und Fugenmassen verwendet (dispersi-
onsgebundene Baustoffe).
10.4 Kunststoffe
459
Kunststoffdispersionen gehOren wie Bitumenemulsionen, Silane und Siliconharze zu den Beschichtungssystemen. Darunter versteht man allgemein fltissige bis past6se oder pulvrige Stoffgemische, die aus folgenden Komponenten bestehen: 9 Bindemittel (niedrig- bis hochmolekulare Polymere; Silane, oligomere Polyorganosiloxane und Siliconharze; Bitumen) 9 Pigmente bzw. Farbstoffe (Kap. 10.4.3.4), 9 Lfsungs- und Verdiinnungsmittel (Kap. 10.2); 9 Hilfsstoffe (Dispergiermittel, Biozide, katalytisch aktive Substanzen) 9 Fiillstoffe (Kap. 10.4.3.4) sollen unter anderem die Verarbeitbarkeit (Viskositat), die Diffusionsdichtigkeit und die Elastizitat der Beschichtung beeinflussen. Von praktischer Bedeutung sind vor allem Quarz-, Schiefer- oder Dolomitmehle sowie Talkumpuder. Erfolgt die Hiirtung der Beschichtungsstoffe durch Verdunsten oder anderweitigen Entzug des enthaltenen L6sungs- bzw. Dispersionsmittels, liegen physikalisch trocknende Bindemittel vor. Erfolgt die Hartung durch chemische Vernetzung der Makromolektile, spricht man von chemisch vernetzenden Bindemitteln. Olige Bindemittel, z.B. in Olfarben oder Olkitten, enthalten mehrfach ungesattigte Fettsauren (z.B. Lein61, Kap. 10.1.7). Unter dem Einfluss von Luftsauerstoff erfolgt eine oxidative Vernetzung tiber die Zwischenstufe von Hyperoxiden zu festen polymeren Produkten (Linoxyn; auch: Linoxid). Diese trocknenden Ole geh6ren zur Gruppe der oxidativ troclmenden Bindemittel.
10.4.6
Beton mit Kunststoffen
Im praktischen Sprachgebrauch werden die Begriffe Kunstharzbeton bzw. Polymerbeton mitunter als Sammelbezeichnung fiir Werkstoffe aus Beton verwendet, in denen zur Verbesserung der Verarbeitungs- und/oder Gebrauchseigenschaften das hydraulische Bindemittel ganz oder teilweise durch Zusatzstoffe auf der Basis von Harzen, insbesondere Reaktionsharzen, ersetzt ist. Da sich ein Kunstharzzementm6rtel hinsichtlich Verarbeitung und Eigenschaften grundsatzlich von einem Gemenge unterscheidet, das nur Kunststoff(e) als Bindemittel enthalt, hat es sich aus baustofftechnologischen Grtinden als notwendig erwiesen, zwischen beiden Fallen klar zu unterscheiden. In der Literatur hat sich folgende Einteilung von Betonen mit Kunststoffen durchgesetzt: Kunststoffmodif'tzierter Beton
Zement und Kunststoffe er~llen im Idealfall gemeinsam eine Bindemittelfunktion
Reaktionsharzbeton
Reaktionsharze sind das einzige Bindemittel
Kunststoffgetriinkter Beton
Kunststoff ~llt die Kapillarporen eines zementgebundenen, bereits erh~,'teten Betons.
FOr kunststoffmodifizierte Betone wurde die Abktirzung PCC (Polymer Cement Concrete), ~ r Reaktionsharzbetone die Abk. PC (Polymer Concrete) und fiir kunststoffgetrankte Betone die Abk. PIC (Polymer Impregnated Concrete) einge~hrt. Im letzteren Fall werden die Kapillarporen eines bereits erharteten Zementsteins mit unvernetztem bzw. unpolymerisiertem Kunststoff getrankt. Nach der Trankung polymerisieren die Monomere bzw. Harz-
460
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
vorsmfen in den Zementporen aus. Im Folgenden soll n~iher auf die wichtigen Klassen der kunststoffmodifizierten Betone und die Reaktionsharzbetone eingegangen werden.
10.4.6.1 Kunststoffmodifizierte M6rtel und Betone Versuche, die Eigenschaften des zementgebundenen MSrtels durch Kunststoffzusatz zu verbessern, datieren zuriick in die 20er...30er Jahre des letzten Jahrhunderts. 1923 liel3 sich der Engl~inder Cresson die Verwendung yon Naturlatex unter Zusatz yon Portlandzement patentieren. Der Zusatz yon Kunstharzen auf der Basis yon Polyvinylacetat (PVAC) zum Zementm6rtel wurde ab den 50er Jahren systematisch untersucht. Heute stehen dem Anwender eine Vielzahl yon Kunststoffen zur Modifizierung yon zementgebundenen MSrteln und Betonen zur Verfiigung. Ftir eine Modifizierung werden die Polymere entweder in Form von Dispersionen oder als Pulver (Redispersionspulver) zugesetzt. Bis etwa 1970 wurden vor allem Dispersionen auf der Basis von PVAC eingesetzt. Sie haben sich jedoch wegen ihrer geringen Best/~ndigkeit gegeniiber dem basisch reagierenden Zementm6rtel nicht bew~ihrt (Quellerscheinungen, Verseifung der Polymere). Die Alkalibest~indigkeit ergibt sich somit als eine erste wesentlithe Bedingung fiir den Einsatz eines Kunststoffs zur Modifizierung yon M6rteln und Betonen. Das basische Milieu des Zementm6rtels daft den Aufbau eines r~iumlich vernetzten Kunststoffs nicht behindern oder gar verhindern. Andererseits sollen die zugesetzten Kunststoffdispersionen die Zementhydratation nicht oder nur unwesentlich beeinflussen. Sie dtirfen beim Anrilhren des MSrtels nicht koagulieren, bei sp/Rerer Wasserbelastung nicht quellen und bei h6heren Temperaturen keine korrosiv wirksamen Substanzen abspalten. Zur Modifizierung werden heute vor allem Dispersionen folgender Kunststoffe eingesetzt: Polyvinylpropionat (u. Copolymere), Polyvinylacetat-Copolymere, Polyacrylate und Acrylharze, Polyvinylchlorid (u. Copolymere), Polyacrylat-Acrylnitril-Copolymere, PolyacrylatStyrol-Copolymere. Neben den Dispersionen hat sich in der Baupraxis in den letzten Jahren zunehmend der Einsatz yon Redispersionspulvern durchgesetzt. Man verwendet Trockenm6rtel, bei denen der Zement (in der Regel Portlandzement), die Gesteinsk6rnung und die pulverf'6rmigen Polymere neben evtl. weiteren Zusatzen bereits werkseitig gemischt werden. Die Anwendung ist problemlos. Das Risiko von Anwendungsfehlern, z.B. durch falsche Dosierung bei Zugabe der Dispersion, wird minimiert. Filmbildung. Liegen die Temperaturen tiber der Mindestfilmtemperatur, bildet sich durch den Wasserentzug infolge Verdunstung, Zementhydratation und kapillaren Absaugens durch den Untergrund ein geschlossener Kunststofffilm hoher Zugfestigkeit aus. Er bewirkt eine zus~itzliche Bindemittelwirkung. Wird die Mindestfilmtemperatur unterschritten, kommt infolge ungentigender Filmbildung kein Verbund zwischen Kunststoff, Zement und Gesteinsk6rnung zustande. In diesem Fall besitzen die Kunststoffpartikel lediglich die Funktion eines organischen Fiillstoffs, der zudem die mechanischen Eigenschaften des erh~irteten M6rtels oder Betons negativ beeinflussen kann. Vorteile kunststoffmodifizierter Betone. Die Modifizierung von Beton mit Kunststoff ist mit einer Reihe von Vorteilen verbunden, z.B. Verbesserung der Verarbeitbarkeit des Frischm6rtels Reduzierung des w/z-Wertes, ErhShung der Dichtigkeit durch Auffiillen des Porenge~ges
10.4 Kunststoffe
461
Bessere Haftung des Frisch- und Festmtirtels z.B. auf Altbeton, Holz, PVC Verringerung des Blutens und des Schwindens des Festm~Srtels Bessere Biegezugfestigkeit. Eine Erh/Shung der Druckfestigkeit wird nicht erreicht. An dieser Stelle muss betont werden, dass mit einem Kunststoff niemals alle die oben angefiihrten vorteilhaften Eigenschaften realisiert werden k6nnen. Je nach Art und Gehalt des eingesetzten Polymers sind immer nur bestimmte Eigenschaften zu erreichen. Die epoxidharzmodifizierten Systeme, Abk. ECC (Epoxy Cement Concrete) bilden eine Untergruppe der PCC. Wie bereits in Kap. 10.4.4.3 ausgeftihrt, erfolgt die Bildung des Festk6rpers beim Epoxidharz durch Reaktion des Grundharzes mit einem H~irter. Zur Herstellung der ECC werden die in Wasser emulgierten Gemische aus EP-Grundharz und H~irter dem Frischbeton bzw. -m6rtel zugegeben. Die chemische Vernetzung von Grundharz und H~irter, die unmittelbar mit der Mischung der Komponenten einsetzt, verRiuft idealerweise parallel zur Zementhydratation. Trotz Unterschieden bei der Film- und Festk6rperbildung sind die Eigenschaften yon duroplastmodifizierten M6rteln und Betonen (z.B. Epoxidharz) denen der thermoplastmodifizierten (z.B. Polyacrylate, Polyacrylnitrile, PVC) vergleichbar. Anwendung yon PCC: Instandsetzungsm6rtel, z.B. Brtickensanierung, Stiatzw~inde, korrodierter Stahlbeton.
10.4.6.2 Reaktionsharzbeton und -m6rtel In Reaktionsharzbetonen wird die GesteinskSmung allein durch ein Polymerbindemittel verkittet. Anstelle des Zementleims kommen fltissige Reaktionsharze zum Einsatz, die nach Zugabe von Reaktionsmitteln (H~irter, Katalysatoren, Beschleuniger, Stabilisatoren u.a.) durch Polyaddition oder -kondensation bei normaler Umgebungstemperatur aush~irten. Als reaktive Harze werden vor allem unges~ittigte Polyester- und Acrylharze sowie Epoxid- und Polyurethanharze, als Gesteinsk6mung Quarzsande und -mehle sowie kUnstlicher Korund (Elektrokorund) verwendet. Durch das breite Spektrum m6glicher Ftillstoffe k6nnen Polymerm/Srtel und -betone mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften hergestellt und den jeweiligen Erfordernissen angepasst werden Die Vorteile des Einsatzes von Polymerm6rteln und -betonen liegen in ktirzeren Erh~irtungsphasen (vor allem bei reaktionsharzgebundenen MSrteln und Betonen!), hohen Frtihund Endfestigkeiten, h6heren Dichtigkeiten, hohen Schlagz~ihigkeiten und Abriebbest~indigkeiten sowie einem vemachRissigbaren Wasseraufnahme- bzw. Quellverm~Sgen. Das Fehlen eines Kapillarsystems bewirkt eine gute Best~indigkeit polymergebundener M/Srtel und Betone gegeniaber dem Angriff aggressiver Medien und pr~idestiniert ihren Einsatz in der Abwassertechnik und dem Unterwasserbau, des Weiteren zum Abdichten von Bauwerken gegen Feuchtigkeit (Korrosionsschutz), zum Ausbessern schadhafter Betonfl~ichen (Reparatur- und Beschichtungsm6rtel) sowie ffir Klebearbeiten. Die Wahl des jeweiligen Polymerbindemittels h~ingt fiir die konkrete Situation von Parametern wie Chemikalienbelastung, Verformungsverhalten, thermische Belastung und Haftung auf dem Untergrund ab. Eine Groborientierung zur Auswahl reaktiver Polymerbindemittel ist in Tab. 10.10 gegeben.
462
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
H~irtungsvorgang. Der Grad der Vernetzung der Makromolektile wird vom verwendeten H~irtersystem, den eingesetzten Modifikatoren sowie der Temperatur beeinflusst. Modifikatoren greifen entweder in den Mechanismus ein, wobei sie zusatzliche Vernetzungen initiieren, oder sie verbleiben nach der Aush~irtung zwischen den Makromolektilen und ,,lockern" das Netzwerk auf. TemperaturerhShung ftihrt generell zu einer hSheren Vernetzung. Mit steigender Temperatur erh6ht sich die Beweglichkeit und damit die Reaktionsf~ihigkeit der reagierenden Teilchen. Unterhalb einer Arbeitstemperatur von etwa 10~ kann der Vernetzungs- bzw. H~irtungsprozess zum Erliegen kommen. In Analogie zu Zementm6rteln findet auch bei der Erh~irtung der Polymerm6rtel und -betone ein Schrumpfen statt. Ursache ist die Exothermie der Vernetzungsreaktion. Polymerm~Srtel und -betone weisen nicht nur eine hohe Festigkeit auf, die Festigkeit wird auch in relativ kurzer Zeit erreicht. Zusatz von Beschleunigern sowie hohe Temperaturen verktirzen die Festigkeitsentwicklung. Tabelle 10.10 Orientierende Hinweise zur Auswahl des Polymerbindemittels [OC 6]
Bindemittel
Hinweise fiir ihre Verwendung
Durch Polyaddition aush~rtende Reaktionsharze:
Epoxidharze (EP) Polyurethane (PUR)
gute Chemikalienbestandigkeit, geringe Schrtnnpfung, hohe Festigkeit hohe Dehnung, geringe Schrumpfung
Durch Polymet~sation aush~rtende Reaktionsharze:
Unges~ittigte Polyesterharze (UP) Ungesfittigte Methacrylatharze (PMMA) u. a. Vinylesterharze
gute Chemikalienbest~ndigkeit,hohe Festigkeit, hohe Schrumpfung gute Chemikalienbest~digkeit, hohe Reaktivit~t bei niedrigen Temperaturen, hohe Festigkeit, hohe Schrumpfung
Dutch Polykondensation h~rtbare reaktive Polymerbindemitteh
Phenolharze
10.4.7
gute Chemikalienbest~digkeit
Alterung von Kunststoffen
Kunststoffe unterliegen Alterungserscheinungen, die in mitunter recht kurzen Zeitr~iumen wichtige Werkstoffeigenschaften, wie zum Beispiel die Oberfl~ichenbeschaffenheit, die Schlagz~ihigkeit, die Zugfestigkeit, die ReifAdehnung, die Untergrundkorrosion, aber auch die Farbgestaltung signifikant ver~indern k~Snnen. Nattirliche Witterungs- und Umwelteinfltisse bewirken eine allm~ihliche Veranderung der chemischen Struktur der Kunststoffe, die letztendlich zum vollst~indigen Abbau der Polymere fiihren kann. Nachkristallisations- und Diffusionsprozesse verst~irken den Polymerabbau. Ebenso wie fiir die Korrosion der Metalle und mineralischen Baustoffe gilt auch fiir die Alterung der Kunststoffe: Die einzelnen Witterungs- und Umwelteinfltisse wirken nicht
10.4 Kunststoffe
463
isoliert, sondern stets komplex. Deshalb l~isst sich im speziellen Fall eben nicht klar entscheiden, ob die auftretenden Alterungsprozesse urs~ichlich auf die Einwirkung von W/irme, UV-Strahlen, 02 bzw. 03, Feuchtigkeit, Schadgase oder etwa Mikroorganismen zurticlc~fiihren sind.
Tabelle 10.11 Bindungsenergienausgew~ihlterchemischer Bindungen (25 ~
Bindung C---C C-C C-F C - Br C-O O-H Si - C
Bindungsenergie (kJ/mol) 811 331 489 272 358 463 306
Bindung C=C C-H C - C1 C-S C-N Si - O Si - H
Bindungsenergie (kJ/mol) 615 416 327 289 305 444 323
Wiirme. Wie far alle anderen chemischen Reaktionen gilt auch ftir Abbaureaktionen, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei ansteigenden Temperaturen erh6ht (Kap. 4.3.3). Dabei ist ~ r den Abbauprozess nicht nur die H6he der Temperatur, sondem auch die Dauer der W/irmeeinwirkung von entscheidender Bedeutung. Die mit steigender Temperatur zunehmende W/irmebewegung der Atome kann zu einem Auseinanderbrechen bzw. einem Abbau der Polymerketten bis hin zu den Monomeren ftihren. Diesen Prozess nennt man Depolymerisation. Einen depolymerisierenden Einfluss tiben auch energiereiche Strahlung und Chemikalien aus. In der Mehrzahl der F~ille entstehen bei den Abbauprozessen Kettenfragmente unterschiedlicher Gr6Be. Deshalb wird in der Literatur mitunter von Kettenfragmentierungen oder kurz von Fragrnentierungen gesprochen. Letzterer Ausdruck ist allerdings unglticklich gew/ihlt, da der Begriff der Fragmentierung in der organischen Chemie einem anderen Reaktionstyp vorbehalten ist. Der Abbau beginnt mit einem B indungsbruch. Namrgem/iB werden zuerst die chemischen Bindungen ,,gebrochen", zu deren Spalmng die geringste Bindungsenergie notwendig ist. Unter der Bindungsenergie eines Molektils AB versteht man die Energie, die nStig ist, um AB in die Atome A und B aufzuspalten (zu dissoziieren). Die B indungsenergie entspricht demnach der Bindungsdissoziationsenergie. Bei mehratomigen Molekiilen ABn erh~ilt man die Bindungsenergie A-B als arithmetisches Mittel der Summe der ersten, zweiten, dritten bis n-ten Bindungsdissoziationsenergie des Molekiils ABn. Aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Bindungsenergien (Tab. 10.11) beginnen die Abbaureaktionen halogenhaltiger Kunststoffe bevorzugt an den C-X-Bindungen (X = C1, Br). Das erkl~irt die thermische Instabilit/it von PVC, dessen C-CI-Bindungen nicht nur durch energiereiche UV-Strahlung, sondern auch durch W~irmeenergie gespalten werden k6nnen. Dabei bilden sich unter Abspaltung von Chlorwasserstoff C=C-Doppelbindungen aus (GI. 10-22). Weitere HC1-Abspaltung fiihrt zum Aufbau konjugierter Doppelbindungssysteme innerhalb der Makromolekiilketten. Sie sind auf Grund ihrer spezifischen Absorptionseigenschaften verantwortlich ftir eventuell auftretende Verf~irbungen (Vergilbung).
464
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
AT
-[-- C H - CH - C H - CH 2 - CH -]-n i
Cl
rs
L H -- _CI I
-
-HCI
~
,.-[-- CH - CH -- CH - OH 2- /CH .,--I-n
I
CI
Cl
(10-22)
CI
Polyvin ylch lorid
Die hohe Bindungsenergie der C-F-Bindung bildet die Ursache fiir die Thermostabilit~it des Polytetrafluorethylens. Dagegen ist die thermische Instabilit~it des Polyvinylalkohols und anderer Polymere mit Hydroxylgruppen auf zwei unterschiedliche chemische Reaktionen zurtick~fiihren, die einzeln oder kombiniert ablaufen k6nnen: Polyvinylalkohole sind in der Lage, unter Dehydrierung (Abspaltung von H2) in Ketone und unter Dehydratisierung (Abspaltung von H20) in unges~ittigte Alkohole (Alkenole, G1. 10-23) iiberzugehen. Verantwortlich fiir die Instabilit~it der Alkenole ist die hohe Reaktivit~it der entstandenen Doppelbindungen. Die unges~ittigten Alkohole zersetzen sich in Folgereaktionen.
-nil2
/
/
-[--CH-CH2-C-CH2I II
OH
0
OH
I
OH
Keton
-[-- C H - C H 2 - C H - CH2- CH 3 I
ICH-]-n
(10-23)
n
OH
OH
Polyvinylalkohol
-n H20~~~
"['-CH-CH--CH-CH2-CH-]'nl
OH
OH
unges~ttigter Alkohol
Bei Polymeren, die ausschliel31ich C-C- und C-H-Bindungen enthalten (z.B. PE, PP, PB und PIB) setzen die Fragmentierungsreaktionen bevorzugt an den Seitenketten ein.
"vv" (0H2)6 - C - N H - (OH2) 4 II
e
+H e
"vv" (0H2)6 - C - N H - (OH2) 4 I
0
OH
Polyamid
+ H20
e
OH I
OH 2 I
9
,My, (CH2)6 - C - NH 2 - (CH2)4 ~ I
OH
-~
,vv, (CH2)6 - C - N H - (CH2) 4 I
'K
OH
(OH2) 6 - C ~ ' 0
\OH Abbildung 10.20
+
H2N-(CH2) 4
S~urekatalysierter Abbau von Polyamiden am Beispiel von PA 66 (schematisch).
10.4 Kunststoffe
465
Kunststoffe enthalten in unterschiedlicher Zahl und Menge organische und anorganische Hilfs-, Ftill- und Verst~irkungsstoffe. Da organische Zusatzstoffe tiberwiegend niedrige Schmelz- und Siedepunkte aufweisen, kann bereits eine m~ifJige,jedoch l~inger andauernde Temperaturerh6hung zu ihrer teilweisen Verfltichtigung ftihren. Insbesondere das Verdunsten oder Herausl6sen von Weichmachern bewirkt bei einigen Kunststoffen (z.B. Weich-PVC) eine merkliche Ver~.nderung der Gebrauchseigenschaften (Verspriidung).
UV-Strahlung. Die UV-A-Strahlung ()~ = 315...400 nm) umfasst den Energiebereich von 380...299,3 kJ. Damit ist insbesondere der kurzwellige Teil der UV-A-Strahlung in der Lage, eine Reihe von Bindungen photolytisch zu spalten (Tab. 10.10). Beispielsweise liegt die Energie von UV-Licht der Wellenl~inge ~. = 320 nm (= 374,1kJ) sowohl tiber der Energie der C-C- als auch tiber der einer ganzen Reihe von C-Heteroatom-Bindungen. Als ausgesprochen best~indig gegeniiber UV-Strahlung erweisen sich die lichtdurchl~issigen Polymethylmethacrylate und die Polytetrafluorethylene, was mit den relativ hohen Bindungsenergien der C-O- und C-F-Bindung begrtindet werden kann.
Sauerstoff/Ozon. Im Sonnenlicht geht der unter normalen Temperaturen eher reaktionstr~ige Sauerstoff in Anwesenheit eines Farbstoffs als Sensibilisator in eine besonders aggressive, energiereiche Form tiber, den Singulett-Sauerstoff(Kap. 5.4.2.1). Der SingulettSauerstoff spielt aufgrund seines st~irkeren Oxidationsverm/Sgens eine wichtige Rolle bei der Autoxidation der Kunststoffe. Trotz zugesetzter Antioxidantien kann es zum Ausbleichen der Kunststoffe sowie zum Abbl~ittem von Kunststofftiberztigen kommen. Die lichtinduzierten Veranderungen der Kunststoffstruktur werden an der Luft durch den Einfluss von Ozon noch verst~irkt. Ozon addiert sich aufgrund seines hohen Oxidationsvermtigens (E ~ 2,075 V!) leicht an unges~ittigte organische Verbindungen unter Bildung von Ozoniden. Das kann zu unerwtinschten Vernetzungen bei Gummi und anderen Polymeren mit endst~indigen unges~ittigten Gruppen fiihren, wodurch die Materialien spr6de und brtichig werden. Wasser/Chemikalien. Gegeniiber dem Angriff aggressiver Industriegase, Wasser bzw. saurer Ltisungen und Salzl/Ssungen sind Kunststoffe weitgehend widerstandsfiihig. Das betrifft insbesondere Kunststoffe, die aus unpolaren C-C- und C-H-Bindungen aufgebaut sind. Polymere mit Heteroatomen in der Hauptkette bzw. in den Seitenketten, wie z.B. Polyamide, Polyurethane, Polyether, Polyester und Polycarbonate, werden von Sauren bzw. Laugen angegriffen. Die St~irke der Sch~idigung h~ingt von der Konzentration des Elektrolyten ab. Zum Beispiel unterliegt Polyamid, dessen Makromolektile ursprtinglich unter Abspaltung von Wasser entstanden sind (Polykondensation), der s~iurekatalysierten Hydrolyse. Im ersten Schritt lagert sich ein Proton an das Sauerstoffatom der Carbonylgruppe (C-O) an und anschliefAend wird ein Molektil Wasser an das nunmehr positive C-Atom addiert. Protonenwanderung und B indungsbruch fiihren zu Kettenfragmenten mit Carboxyl- und AminoEndgruppen (Abb. 10.20). Polyamid kann das bei der Kondensation abgespaltene Wasser wieder einlagern, und es lauft zumindest teilweise die Rtickreaktion der Kondensation, die Hydrolyse, ab. Das Auftreten von Spannungsrissen durch mechanische Zugbelastungen oder durch Eigenspannungen, die von Bearbeitungsprozessen herrtihren, ftihrt zu einer Verminderung der Festigkeit des Kunststoffs. Zu einer Rissbildung kommt es insbesondere dann, wenn der unter Einwirkung mechanischer Spannungen stehende Kunststoff in Kontakt mit polaren Fltissigkeiten (Alkohole, Ester, Amine und organische S~iuren), w~issrigen L~sungen ober-
466
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
fl~ichenaktiver Stoffe oder bestimmten Gasen ger~it. Dabei kann der Kunststoff in Abwesenheit mechanischer Spannungen gegeniiber den genannten Chemikalien bzw. Gasen absolut best~indig sein. 10.4.8
Klebstoffe
- Fugendichtstoffe
- Kitte
Klebstoffe. Unter Klebstoffen versteht man laut DIN EN 923 nichtmetallische Bindemittel, die sowohl tiber Adh~ision als auch tiber Kohasion in der Lage sind, zwei Fiigeteile zu verbinden (,,Verkleben"). Die Haftung (Adh~ision) des Klebstoffs an der Oberfl~iche des zu verklebenden Ftigeteils beruht auf der Wirkung schwacher zwischenmolekularer Wechselwirkungen und starker chemischer Bindungen. Chemische Bindungen treten jedoch nur bei wenigen Fiigeteil-Klebstoff-Kombinationen auf, so z.B. zwischen Silicon(harz) und Glas, zwischen Polyurethan und Glas und zwischen Epoxid und Aluminium. Allerdings kann in diesen Fallen ihr Anteil bis zu 50% der gesamten Wechselwirkungen betragen. Die adh~isiven Wechselwirkungskr~ifte betreffen nicht nur die reinen Bertihrungsfl~ichen von Klebstoff und Fiigeteil (Adhiisionszone). Sie beeinflussen auch den Zustand des Klebstoffes in der Nahe der Oberflache des Fiigeteils, was z.B. zu einer Entmischung des Klebstoffs fiihren kann. In der sogenannten Cfbergangszone k6nnen kleine Klebstoffbestandteile in Poren der Oberfl~iche diffundieren, die Zusammensetzung des Klebstoffs ver~indem und damit seine Funktionalit~it beeintr~ichtigen. In Abhangigkeit von der Art der Oberfl~iche, der Natur des Klebstoffs und den H~irtungsbedingungen kann die Dicke der Obergangszone wenige nm bis einige mm betragen. In der sogenannten Kohiisionszone zwischen den Ftigeteilen liegt der Klebstoff in seinem urspriinglichen Zustand vor. Zu den Koh~sionskr@en tragen chemische Bindungen innerhalb und zwischen den Klebstoff-Polymeren (Vemetzung!), intermolekulare Wechselwirkungen zwischen den Klebstoffmolekiilen sowie mechanische ,,Verklammerungen" zwischen den Klebstoffmolekiilen bei. Die in Kap. 10.4.3 fiir die Kunststoffe vorgenommene Einteilung in Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere ist bei den Klebstoffen wenig hilfreich, denn es gibt z.B. verschiedene Polyurethanklebstoffe, die als Duromere, als Elastomere oder als Thermoplaste aushiirten kOnnen. So bezieht man sich in der Regel auf den Abbinde- bzw. H~irtungsprozess als Ordnungskriterium. Man unterscheidet physikalisch abbindende und chemisch vemetzende Klebstoffe. Einige wichtige Vertreter beider Gruppen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden [OC 8].
Physikalisch abbindende Klebstoffe: Schmelzldebstoffe (Hotmelts) sind bei Raumtemperatur feste, wasser- und 16sungsmittelfreie Klebstoffe, die auf die zu verklebenden Teile im geschmolzenen Zustand aufgebracht werden. Sie erh~irten nach dem Zusammenfiigen der Teile, im Allgemeinen unter Druck, durch Erstarren der Schmelze beim Abkiihlen. Der Klebstoff kann allerdings auch fest durch Auflegen als Folie oder Netz aufgebracht und anschlieBend heiB verpresst werden. Basisrohstoffe: Ethylen-Vinylacetat-Copolymere, Polyamide, Polyester u.a.; Anwendungsgebiete: Verpackungsindustrie, Holzverarbeitende Industrie, Fahrzeugbau. L6sungsmittelhaltige Nassklebstoffe (auch Kleblacke) enthalten in organischen LOsungsmitteln wie Aceton oder Dichlormethan gelOste Polymere. Geeignet sind polymere Vinylverbindungen, Natur- und Synthesekautschuk, PUR, Polyacrylate, Cellulosenitrat
10.4 Kunststoffe
467
(z.B. Handelsname UHU) u.a. Der Ltisungsmittelgehalt betriigt etwa 75...85%. Die Erh~irtung erfolgt wie bei den Dispersionen durch Verdunsten des L6sungsmittels. L6st das eingesetzte LSsungsmittel gleichzeitig die zu verklebenden Fliichen an, ergibt sich eine besonders feste Verbindung zwischen den zu verklebenden Oberfliichen und dem Klebefilm. Dieser ,,Anltiseprozess" wird beispielsweise beim Verkleben von PVC-Rohren mit Tetrahydrofuran-Klebstoff ausgenutzt. Ein iihnlicher Vorgang liiuft beim Quellverschweiflen ab. Die Oberlappungsfliichen von Dichtungs- oder Dachbahnen (z.B. PIB) werden mit einem L6sungsmittel angel6st, wobei sich ein Klebefilm aus gel6stem Polymer ausbildet. Die Bahnen ftigt man dann unter leichtem Druck zusammen und nach dem Verdunsten des L/$sungsmittels entsteht eine in sich homogene, stabile Klebeverbindung. Weitere Anwendungsgebiete: Verpackungs- und Druckindustrie, Haushaltklebstoffe. Kontaktklebstoffe enthalten in organischen L/$sungsmitteln gel/$ste Elastomere wie z.B. Polychloroprene (Chloropren, Formel H2C=CH-CH(C1)=CH2) und Butadien-Acryl-Kautschuk. Der gummiartige Klebefilm wird erzeugt, indem der Kontaktklebstoff auf die beiden zu verklebenden FRichen aufgetragen wird und die Klebefl~ichen erst nach dem Verdunsten des L6sungsmittels kurzzeitig zusammengedrtickt werden. W~ihrend also die Nassklebstoffe einen nassen Klebefilm verursachen und ihr L/$sungsmittel erst w~ihrend des Klebeprozesses entweicht, kleben Kontaktklebstoffe sozusagen ,,trocken" an. Anwendungsgebiete: Verkleben yon BodenbeRigen und Schichtstoffplatten, Automobil- und Schuhindustrie. Wegen der gesundheitsgef~ihrdenden Wirkung organischer L6sungsmittel werden von der Industrie zunehmend 16sungsmittelarme bzw.-freie, wasserverdtinnbare Klebstoffe entwickelt. Dispersionsklebstoffe (auch Klebedispersionen) enthalten im Dispersionsmittel Wasser nicht 1/$sliche Thermoplaste, meist polymere Vinylverbindungen bzw. abgeleitete Copolymere, aber auch Elastomere (Natur- und Synthesekautschuk). Zur Stabilisierung der Dispersionsklebstoffe werden spezielle stabilisierende Substanzen bzw. Dispergiermittel zugesetzt. Der ,,Abbindeprozess" erfolgt durch Verdunstung des Wassers. Zugesetzte Ftillstoffe sollen die Klebeeigenschaften verbessem. Anwendung: Holzverarbeitende Industrie, Verpackungs- und Schuhindustrie u.a. Zu den auf Wasser als Dispersionsmittel basierenden Klebstoffen (KS) geh~ren weiterhin a) KS aufBasis tierischer Bindegewebsproteine (Glutinleime), b) KS aufBasis pflanzlicher Naturprodukte (St~irkeleime: Mais, Kartoffeln, Reis; Methylcelluloseleime: Holz), c) KS auf Basis tierischer EiweiBe (Caseinleime: Milch) und d) PVAL-Leime. Die Ausbildung der Klebeschicht erfolgt durch Verdunstung oder Aufnahme des Wassers durch die Ftigeteile. I-Iaftklebstoffe nehmen innerhalb der Gruppe der physikalisch abbindenden Klebstoffe eine Sonderstellung ein. Sie binden nicht zu einem Feststoff ab, sondem bleiben z~ihfltissig. Haftklebstoffe liegen bereits ,,voll auspolymerisiert" in hochviskoser Form vor und werden in der Regel als Film auf ein flexibles Tr~igermaterial aufgebracht (z.B. fiir Klebeb~inder oder Etiketten. Der Begriff ,,Hafiklebstoff" ist so zu verstehen, dass im Unterschied zu anderen Klebstoffen beim Ftigen sofort starke Adh~isions- und Koh~isionskr~ifte wirksam werden. Als Basispolymere kommen spezielle Polyacrylate, Polyvinylether, Naturkautschuk sowie Styrol-Copolymere in Kombination mit entsprechenden Zusiitzen (klebrig machende Harze, Weichmacher, Antioxidantien u.a.) zum Einsatz.
468
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Chemisch hiirtende Klebstoffe: Reaktionsklebstoffe (Reaktionsharzklebstoffe) h~irten durch chemische Reaktion aus. Nach der Art der Hartung, d.h. der dem entstehenden Polymer zugrundeliegenden Aufbaureaktion, k6nnen sie in Polymerisationsklebstoffe (z.B. Cyanacrylate, Methylmethacrylate, anaerob h~irtende Klebstoffe wie z.B. Diacryls~iureester von Diolen, Phenolformaldehydharze), Polykondensationsklebstoffe (z.B. Silicone, Polyimide, Epoxidharzklebstoffe) und Polyadditionsklebstoffe (z.B. Polyurethane) unterteilt werden. In der Praxis gebr~iuchlicher ist ihre Unterteilung nach dem Mechanismus der Aushdrtung. Klebstoffe, die nach Mischung mit ihrem Reaktionspartner spontan, d.h. bereits bei Raumtemperatur reagieren, werden kommerziell als Zweikomponenten-Klebstoffe (2-K) vertrieben, und zwar getrennt als ,,Harz" und als ,,H~irter". Damit ist ihre Reaktivit~it sozusagen mechanisch blockiert. Erst vor dem Auftragen werden sie zum eigentlichen Klebstoff gemischt und erh~irten dann zu festen, hochpolymeren Verbindungen. Zu den wichtigsten Zweikomponenten-Klebstoffen geh6ren die Epoxidharze, die ungesattigten Acryl- und Polyesterharze, die Polyurethane sowie die Siliconkautschuke. Sie werden fiir Verklebungen von Steinen, Betonen und Metallen verwendet.
Einkomponenten-Klebstoffe (I-K) liegen bereits vor der Verarbeitung in ihrer endgtiltigen Mischung vor. Ihre Reaktivit~it ist allerdings - wenn man so will - chemisch blockiert. Solange nicht die zur H~irtung erforderlichen Bedingungen vorliegen, kleben sie nicht. Die Reaktivitat der zweiten Komponente kann entweder durch hohe Temperaturen und/oder durch Verdunsten des L0sungsmittels (z.B. Epoxidharze mit latentem, bei hSheren Temperaturen aktivierbarem Harter) oder aber durch Anwesenheit von Luftsauerstoff bzw. Lufifeuchte aktiviert werden. Als Beispiel ftir letzteren Fall soil ein Cyanacrylat-Klebstoff auf Basis des 2-Cyanoacryls~iuremethylesters (G1. 10-24) angefiihrt werden. Initiiert durch Spuren von Wasser polymerisiert der Ester zu einem harten, hochmolekularen Polymer (,,Sekundenkleber"). Zur Ausl0sung der Polymerisation reicht im Allgemeinen die in der Luft bzw. auf den zu verklebenden Fl~ichen befindliche Feuchtigkeit. CN I n C=CH
2
(H20)
C __ CH2_1-
(10-24)
I
COOCH 3
2-Cyanoacryls~uremethylester
COOCH3Jn
Polymethylcyanoacrylat ("Polycyanoacrylat")
Die durch radikalische Polymerisation erh~irtenden Einkomponentenkleber erreichen auch unter Luftabschluss ihre Klebwirkung (anaerob hiirtende Reaktionsldebstoffe). Als Initiatoren kommen Peroxide, z.B. Dibenzoylperoxid, zum Einsatz. Die Peroxide zerfallen bei erh6hten Temperaturen und leiten die radikalische Polymerisation ein. Ein h~iufig eingesetzter Grundstoff fiir anaerobe Klebstoffe ist Tetraethylenglycoldimethacrylat, TEGMA. Cyanacrylate werden zum Kleben von Gl~isem aller Art, als Gewebeklebstoff und fiir Spriihverb~inde verwendet. Methylmethacrylate finden vor allem im Automobil- und im Schienenfahrzeugbau Verwendung.
10.4 Kunststoffe
469
Fugendichtstoffe (Dichtstoffe) sind
Stoffe, die als spritzbare Massen in Fugen eingebracht werden und sie abdichten, indem sie an geeigneten Fl~ichen in der Fuge haften. Fugendichtstoffe sind als Ein- und Zweikomponenten-Dichtstoffe im Handel. Den gr68ten Marktanteil besitzen die Silicon-Dichtstoffe, gefolgt yon Polysulfid-, Acryl-, Polyurethanund Butylkautschuk-Dichtstoffen. Auf die Wirkungsweise von Silicon-Dichtstoffen (Siliconkautschuke) wurde in Kap. 9.2.4 eingegangen. Die neueste Generation von Verfugungs- und Klebstoffen enth~ilt sogenannte MS-Polymere. MS-Polymere (MS steht ftir modified silanes) wurden Anfang der 80er Jahre in Japan entwickelt (Kaneka Corp. Osaka). Seit dieser Zeit werden sie erfolgreich als Rohstoff ftir Hochleistungsdicht- und -klebstoffe eingesetzt, seit den 90er Jahren auch auf dem europ~iischen Markt. Am Beginn dieser sich rasant entwickelnden Produktgruppe silanmodifizierter Polymere (silan modified polymers, SMP) standen Polymere aus einer Polypropylenglycol-Hauptkette mit Dimethoxymethylsilyl-Vernetzungsgruppen (Abb. 10.21). Die Aush~irtung erfolgt bei Umgebungstemperatur als Folge yon Hydrolyse- und Kondensationsreaktionen (s. Abb. 9.13). Ausgel/Sst wird der Vernetzungsprozess durch Luftfeuchtigkeit in Gegenwart eines Katalysators. Durch Verseifung der Methoxygruppen mit Wasser entstehen Silanole und Alkohol (hier: Methanol) wird frei. Inzwischen setzt man Silane mit Ethoxygruppen ein, so dass ungiftiges Ethanol entsteht. Die Silanole vernetzen durch Kondensation zum Silcongertist. Das gebildete dreidimensional verzweigte Netzwerk kann entweder als Polyether verstanden werden, wobei die Polyethereinheiten durch Siloxanbri~cken verbunden sind - oder als Siliconketten, die durch Polyetherb~cken verkni~pft sind.
CH30 H3c~
OH30/
OH 3
I
Si(CH2)3
/
( OOH2OH )
n
O(CH2)3Si
OcH3 OH 3
~OCH 3
Abbildung 10.21 Struktur eines silanmodifizierten Polymers(MS-Polymer):PolypropylenglycoI-Hauptkette mit DimethoxymethylsilyI-Vernetzungsgruppen MS-Polymere sind besonders umweltfreundliche Produkte. Im Gegensatz zu PolyurethanDichtstoffen, die immer einen geringen Anteil an freiem, in h6heren Konzentrationen gesundheitssch~idigendem Isocyanat aufweisen, enthalten die MS-Polymere weder Isocyanate noch Oxime oder L6sungsmittel. Die Mehrzahl der am Markt erh~iltlichen Dicht- und Klebstoffe dieser Substanzklasse sind Einkomponentensysteme, mit der Luftfeuchtigkeit als zweiter Komponente. Der besondere strukturelle Aufbau von MS-Polymeren und ihr Aush~irtungsmechanismus bieten dem Anwender eine Reihe gt~nstiger Verarbeitungseigenschaften. Es kommt im Gegensatz zu Polyurethan-Dichtstoffen zu keiner Blasenbildung und die MS-Polymere sind selbst bei tiefen Temperaturen (bis ca. 0~ gut ausspritzbar.
470
10 Chemie organischer Stoffe im Bauwesen
Die Netzstruktur des ausgeh~irteten MS-Polymers verleiht dem Dichtstoff 9 eine ausgezeichnete UV-Stabilitiit
Die Bindungsenergie der Si-O-Bindung im MS-Polymer ist mit 444 kJ/mol deutlich h/5her als die der leichter spaltbaren und daher weniger UV-best~indigen C-N-Bindung (305 kJ/mol) der Polyurethan-Dichtstoffe. Die Polyetherketten, die das Rtickgrat der MS-Polymere bilden, enthalten C-H- und C-O-Bindungen. Um vor allem die C-O-Bindung vor UV-Licht und Bindungsbruch zu schiitzen, werden UV-Absorber zugesetzt. 9 eine sehr gute H a f t u n g a u f unterschiedlichsten Baumaterialien
MS-Dichtstoffe haften sehr gut auf Metallen wie A1, Messing, Stahl und Sn, auf M6rtel, Schiefer, Granit oder Keramikfliesen, auf den meisten Kunststoffen (nicht auf PE und PP!) sowie auf verschiedenen Holzarten. 9 stabile mechanische, insbesondere elastische Eigenschaften iiber die gesamte Lebensdauer.
MS-Polymere sind mit den meisten am Markt erh~iltlichen Lack- und Farbsystemen iiberstreichbar. Silanmodifizierte Polymere bilden auch die Basis fiir Hoehleistungsldebstoffe. Die unterschiedlichen Eigenschaften ftir die oben besprochenen Dichtstoffe einerseits und die Klebstoffe andererseits lassen sich durch Variation der L~inge der Polymerketten und des Verzweigungsgrades einstellen. Die oft als ,,Silyl-Klebstoffe" bezeichneten Produkte k6nnen im Hoch- und Tiefbau, in der Automobil- und der Elektronikindustrie zum Einsatz kommen, d.h. in Feldem, in denen heute auch Epoxid- und Polyurethan-Klebstoffe verwendet werden. Es hat sich gezeigt, dass die elastischen Silyl-Klebstoffe die beiden letzteren hinsichtlich Alterungsbest~indigkeit und Haftung auf schwierig zu verklebenden Untergriinden deutlich iibertreffen.
Kombination: silanmodifizierte Polymere- Epoxidharze. Kombiniert man silylmodifizierte Polyether mit Epoxidharzen (Mischungsverh~iltnis 2 : 1), erh~ilt man nach dem Aush~irten ein stabiles Polymersystem, das aus zwei in sich verzahnten Strukturbereichen besteht. Die Silyl-Polyether-Matrix sorgt ftir Flexibilit~it und Z~ihigkeit, w[ihrend die eingeschlossenen Epoxidbereiche dem ausgeh~irteten Polymer seine besondere Klebfestigkeit verleihen. Neben der generellen L6sungsmittelfreiheit bietet dieser Klebstoff mehrere Vorteile: 9 schnelle Aushartung bei Umgebungstemperatur 9 Verklebung ist fiber einen weiten Temperaturbereich stabil 9 exzellente Haftung auf zahlreichen Untergrundmaterialien 9 Unempfindlichkeit gegen verformende Spannungen. In den letzten Jahren hat es auf dem Gebiet der silanmodifizierten Polymere interessante Aktivit~iten zur Modifizierung und Weiterentwicklung gegeben, mit dem Ziel, diese Produkte fiir spezielle Anwendungsbereiche ,,maBzuschneidern". So wurde z.B. die Propylengruppe -CH2-CH2-CH2- (propylene spacer) zwischen dem Si-Atom und der Polymereinheit (Abb. 10.21) durch eine Methylengruppe -CH2- ersetzt (a-Silane, Wacker-Chemie GmbH Deutschland). Infolge elektronischer Effekte erh/3ht sich die Reaktivit~it der Alko-
10.4 Kunststoffe
471
xygruppen. Die Vemetzung bzw. das Aush~irten des Polymers verlauft deutlich schneller. Inzwischen lassen sich zahlreiche Polymere durch den Einbau von Silanen feuchtigkeitsvernetzbar machen. Eine besondere Rolle spielen neben den Polyethern vor allem Acrylate, Polyester und Polyurethane.
Spachtel- oder Ausgleichsmassen (auch Spachtelkitte) sind zahplastische Beschichtungsstoffe, denen Fiillstoffe, wie z.B. Kreide, Feinstsande und Schiefermehl, und/oder Pigrnente zugesetzt wurden und die zum Ausgleichen von Unebenheiten des Untergrunds bzw. zum Fiillen von Rissen, LSchem und sonstigen Besch~idigungen verwendet werden. Als Bindemittel kommen Alkydharze, Epoxid- oder Polyesterharze, Polyurethane, Silicone, trocknende 01e, Bitumen, Leime, aber auch Gips und Zement zum Einsatz. Der Name Spachtelmasse geht auf das noch heute tibliche Aufiragen mit einem Spachtel zuriick, inzwischen sind auch spritzf~ihige Spachtelmassen im Gebrauch. Kitte. Kitte sind kalt verarbeitbare, plastische Gemische aus trocknenden Olen, Kunststoffen oder Bitumen und Fiillstoffen. Sie erh~irten zu festen, mehr oder weniger elastischen Massen, die evtl. auch eine gewisse Plastizit~it beibehalten kSnnen. Man unterscheidet:
LeiniJlkitte. Erhartung durch Linoxidbildung und Verharzung. Vertreter sind Glaserkitt: Gemisch aus LeinS1 und Schl~immkreide, Verwendung: Verkittung von Glas und Holz; Mennigekitt: Gemisch aus LeinS1 und Mennige (Pb304). Verwendung: Verkittung von Glas und Metall bzw. Metall und Metall; z.B. Einkitten von Wasch- und Toilettenbecken, Dichten von hanfumwickelten Gas- und Wasserrohren; Mangankitt: Gemisch aus Lein61 und MnO2. Verwendung: Abdichten von Gas-, Wasser- und Heizungsleitungen.
WasserglasMtte. Erh~irtung durch Polykondensation der Kiesels~iuren, Quarzbildung. Vertreter sind Wasserglas (Kap. 9.2.3.1): Wasserglas kittet Glas- und Steingut, ist jedoch nicht wasserbestandig; Steinkitt: Gemisch aus Wasserglas, Schlammkreide, Ziegelmehl, Zement oder Kieselgur; Mischung aus Wasserglas und Magnesia ergibt einen s~iurebestgindigen Steinkitt; Metallkitt: Gemisch aus Wasserglas, Kreide und Zinkstaub. Die Bezeichnung Metallkitt bezieht sich auf den im Kitt enthaltenen metallischen Anteil und nicht auf das Material, zu dessen Verkittung er verwendet werden soil. Beim Kitten muss man den Kitt generell der Eigenart des zu verkittenden Gegenstandes bzw. Materials anpassen. Von Vorteil ist stets eine chemische Verwandtschaft zwischen beiden. So haftet Wasserglas besonders gut am chemisch verwandten Glas oder an Silicaten, da es zur Ausbildung kovalenter Bindungen kommt. Ansonsten beruht die Haftung der Kitte iiberwiegend auf der Ausbildung zwischenmolekularer Wechselwirkungskr~ifte.
Bitumenkitte. Z~ihviskose L6sungen von Bitumen mit oder ohne Ftillstoffen. Verwendung zum Verkitten von Rohr-, Muffen-, Dach- und Pflasterfugen.
Kautschukkitte. Gemische aus Natur- oder synthetischen Kautschuken, Bitumen und/oder trocknenden Olen sowie evtl. Ftillstoffen, die vor allem for Abdichtungen verwendet werden. Kautschukkitte kombinieren die Thermoplastizit~it des Bitumens mit der Gummielastizit~it des Kautschuks.
11
Holz und Holzschutz
11.1
Aufbau und Zusammensetzung des Holzes
Holz geh/Srt zu den ~iltesten Bau- und Werkstoffen der Menschheitsgeschichte. Es kann zum einen direkt als Baurund- oder Bauschnittholz fiir Geriiste, RammpF~ihle (Grundbau), Tdiger, Stiitzen sowie fiir Verschalungen und Zimmerarbeiten verwendet oder aber zu Holzwerkstoffen verarbeitet werden. Zu Holzwerkstoffen verarbeitetes Holz (Sperrholzplatten, Span- und Faserplatten) findet vor allem Ftir Wand- und Deckenverkleidungen Verwendung. Der organische Baustoff Holz ist ein hartes festes Zellgewebe, das vom sogenannten Kambium (Bildungsgewebe) unter der Rinde erzeugt wird. Das Kambium bildet durch Zellteilung nach innen Holzzellen und nach auBen Bastzellen, die unter der Rinde liegen. Es befindet sich damit an der Grenze zwischen Rinde und jiingstem Holz. Durch das AufreiBen der Rinde als Folge des Dickenwachstums des Holzes sterben die oberen, aufgesprungenen Schichten ab und es entsteht die Borke. Gleichartige Zellen bilden stets ein Gewebe, also einen Zellverband. Die vom Kambium erzeugten Zellen bzw. Gewebearten iibemehmen unterschiedliche Aufgaben, die wichtigsten sind der Wasser- und der N~ihrstofftransport (Leitgewebe), die Speicherung der N~ihrstoffe (Speichergewebe) und die mechanische Festigkeit des Holzgefiiges (Festigkeitsgewebe). Aufbau, GrSge und Verteilung der Gewebearten sind von Holzart zu Holzart verschieden, sie beeinflussen sehr wesentlich die Eigenschaften des Holzes. Die unterschiedlichen Eigenschaften von H/)lzem sind dartiber hinaus auf eine unterschiedliche chemische Zusammensetzung zuriick~Rihren. Obwohl die Elementaranalysen verschiedener H/Jlzer eine auffallende Obereinstimmung zeigen (C" - 50%, O: - 43%, H: 6%, N und andere Elemente: - 1%), unterscheiden sich die chemischen Bestandteile je nach Art, Alter, Standort und Wachstum des Holzes zum Teil recht deutlich. Die Hauptbestandteile des Holzes sind: Cellulose (,,Armierung")
40 ... 60%
Hemicellulose (Holzpolyosen)
15 ... 2 0 % .
Lignin (,,Beton")
15 ... 40%
Cellulose und Hemicellulose werden h~iufig unter dem Begriff Holzcellulose zusammengefasst. Die Cellulose bildet als Geriistsubstanz den Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellw~inde. Sie nimmt die Zugspannung auf, damit ist sie funktionell mit dem Bewehrungsstahl im Stahlbeton vergleichbar. Cellulose ist ein wasserunl6sliches Polysaccharid der allgemeinen Formel (C6H1205)n. Die Makromolekiile bestehen aus 500...5000 Glucosebausteinen (C6H1206,Abb. 11.1a und b), die kettenF6rmig unverzweigt iiber Sauerstoffbriicken miteinander verkntipft sind (Abb. 11.1c). Da sich innerhalb des Makromolektils zwischen den OH-Gruppen (C-Atom 3) und den Ringsauerstoffatomen benachbarter Glucoseeinheiten Wasserstoffbriickenbindungen (intramolekulare H-Briicken) ausbilden, ist die freie Drehbarkeit um die verbriickenden C-OC-Bindungen stark eingeschdinkt. Die Folge ist eine lineare Versteifung des Kettenmolekiils. Durch zusatzliche Ausbildung von Wasserstoffbriicken zwischen den kettenF6rmigen
473
11.1 Aufbau und Zusammensetzung des Holzes
Makromolekiilen (intermolekulare H-Briicken) lagem sich etwa 60...70 Cellulosemolekiile zu den ftir die pflanzlichen Organismen typischen MikrofibriUen zusammen. Die Hemieellulosen (Holzpolyosen) haben im Gegensatz zur Cellulose einen uneinheitlichen Aufbau. Sie bestehen aus Polysacchariden unterschiedlicher Hexosen (Sechsringzucker) und Pentosen (Ftinfringzucker). Ihr Polymerisationsgrad betr~igt 150...200, er liegt damit unter dem der Cellulose. Die Hemicellulosen dienen den Pflanzen teils als Gertiststoff, teils als Vorratsstoff. Sie sind von Schadlingen leicht angreifbar.
C HH2OH H
a)
4 H HO~13 I H
,,,v, O~CH2OH
H
~ c)
L O OH
H/~H1 2 . I OH O
CH2OH
HO,,"~,._ \
~
O\
HO b)
OH H
HO ~
O~
O "~JII"~(~H20 ~ ~--O"
HO~
\
bH~l~O,,v,
Ausschnitt aus einer Cellulosekette
Abbildung 11.1 a) und b) unterschiedliche Darstellungsweisen der Ringform der Glucose (13-D-Glucose); c) Ausschnitt aus einer Cellulosekette. Das Polysaccharid Cellulose ist durch Polykondensation von Glucosemolek01en entstanden. Die Kondensation (Abspaltung von Wasser) erfolgt 0ber die OH-Gruppen der C-Atome 1 und 4 zweier benachbarter Glucosemolek01e. Lignin ist eine chemisch ~iuf~erst kompliziert aufgebaute Verbindung, deren Struktur bis heute noch nicht endgtiltig aufgekl~irt ist. Aus Untersuchungen an Coniferenligninen weir3 man, dass es sich bei dieser Substanz um ein polymeres Oxidationsprodukt des Coniferylalkohols handelt (Abb. 11.2a). Am Aufbau des Lignins von Laubb~iumen ist dartiber hinaus Sinapinalkohol (Abb. 11.2b) beteiligt. Lignin bildet neben Hemicellulose den Hauptbestandteil der Kittsubstanz. Durch seine Einlagerung in das Cellulosegerfist erfolgt eine Versteifung der Zellw~inde. Man spricht auch von einer Verholzung. Als Kittsubstanz besitzt das Lignin die gleiche Funktion wie der Zementstein im Beton (Aufnahme der Druckspannung!).
CH = CH - C H 2 O H
CH = CH - CH2OH
Abbildung 11.2 Komponenten des Lignins
OCH3
a)
OH Coniferylalkohol
H3CO , ~
b)
~
OCHa
OH Sinapinalkohol
474
11 Holz und Holzschutz
Nadelholz enth/llt einen h6heren Anteil an Lignin als Laubholz (z.B. Kiefer und Fichte ca. 29%, Linde und Zitterpappel ca. 18%). Das technische Problem bei der Herstellung von Cellulose bzw. Papier aus Holz besteht im Aufschluss des wasserunl6slichen Lignins. Der Aufschluss kann sauer (Sulfitverfahren, Aufschlussmittel: schweflige S/lure, SO2 und Calciumhydrogensulfit) und basisch (Sulfatverfahren, Aufschlussmittel: NaOH, Na2S u. Na2SO4) erfolgen. Neben den drei gerade besprochenen Hauptbestandteilen enth/llt Holz immer Wasser und eine Reihe weiterer, meist in geringen Mengen vorkommende Nebenbestandteile (2...8%) wie Zucker, St/lrke, EiweiB, Harze, Wachse, Gerb- und Mineralstoffe. Sie k6nnen je nach Art und Menge ihrer Einlagerung die Eigenschaften und damit die Verwendbarkeit des Holzes merklich beeinflussen. Die I-Iarze und Waehse besitzen eine erhebliche technische Bedeutung, z.B. ftir Firnisse, Bohnerwachs, Leime, Siegellack und pharmazeutische Pr/lparate. Kiefem, Fichten und L/lrchen sind besonders harzreich. Gerbstoffe, wie z.B. die Galluss/lure (3,4,5-Trihydroxybenzoes/lure) und deren h6hermolekulare Kondensationsprodukte, schtitzen das Holz vor Pilzbefall. Deshalb ist gerbstoffreiches Holz (z.B. Eichenholz) best/lndiger. Laubh61zer sind generell gerbstoffreicher als Nadelh61zer. SchlieBlich sind im Holz unterschiedliche Mengen an Mineralstoffen enthalten. Sie werden in gel6ster Form von der Pflanze tiber die Wurzelhaare mit dem Bodenwasser aufgenommen und bleiben beim Verbrennen des Holzes als Oxide, Carbonate, Phosphate oder Nitrate zurtick.
11.2
Holzsch utz
Holz ist als kapillarpor6ser Werkstoff hygroskopisch. Es kann solange Feuchtigkeit aus der Umgebung (in der Regel aus der Luft) aufnehmen oder wieder abgeben, bis sich ein Gleichgewichtszustand eingestellt hat. Dieses Gleichgewicht ist abh/lngig von der Temperatur, vom Luftdruck und vonder relativen Luftfeuchtigkeit. Durch zu schnelles Austrocknen, zu geringe Wassergehalte in den B/lumen bei groBer Trockenheit sowie pl6tzlich einsetzenden Frost werden im Holz innere Spannungen erzeugt, die zu Rissen ftihren k6nnen. Gr6fSe und Art der Risse beeintr/lchtigen die Verwendbarkeit des Holzes teilweise betr/lchtlich. Auch Harzquellen, d.h. im Querschnitt sichtbare, schmale Spalte, die sich mit Harz geftillt haben, mindern die Festigkeit des Holzes und erschweren die Oberfl/lchenbehandlung. Sie sind vor allem bei harzfiihrenden Nadelb/lumen anzutreffen. Durch den st/indigen Einfluss von Niederschlagswasser kann die Oberfl/lche von Bauholz im Freien bis zu 0,1 mm pro Jahr abgetragen werden. Die Zerst6rung des Holzes durch Witterungseinfltisse (W/lrme, K/llte/Frost, Temperaturwechsel und UV-Strahlung) und durch chemische Einfltisse (Saurer Regen, Salzl6sungen) tritt in ihrer Bedeutung jedoch weit hinter diejenige zuriick, die durch lebende Holzzerst6rer wie Insekten und Pilze hervorgerufen wird. Holzzerst6rende Insekten befallen das Holz im Wald, auf dem Holzlagerplatz (,,Frischholzinsekten") oder aber im bereits verbauten trockenen Zustand (,,Trockenholzinsekten"). Zu nennen sind K/lfer wie z.B. der Hausbock, der Gemeine Nagek/lfer oder der Braune Splintk/lfer. Sie befallen und zerst6ren Bau- und Werkholz. Borkenk/lfer und Holzwespen geh6ren zu den Frischholzzerst6rern. Sie greifen nur lebende kr/lnkelnde B/lume bzw. frisch gefdlltes Holz (> 20% Holzfeuchte) an. In den Tropen sind weniger die K/lfer, sondern vielmehr Termiten die am meisten gefiirchteten Holzzerst6rer.
11.3 Holzschutzmittel
475
Hauptursache ftir einen Pilzbefall ist die Feuchtigkeit. Holz mit einem Feuchtigkeitsgehalt oberhalb des Fasers[ittigungspunktes (28...30% rel. Holzfeuchte) ist prinzipiell hinsichtlich eines Pilzbefalls gef~ihrdet. Der optimale Feuchtigkeitsbereich flir das Pilzwachstum liegt zwischen 30...50% rel. Holzfeuchte, unter gewissen Umst[inden kann aber bereits ein Befall bei Feuchten von 20% eintreten. In vollkommen trockenem oder vollkommen durchn~isstem Holz (z.B. Mtihlr~ider) laufen kaum Schadigungs- und F~iulnisprozesse ab. Ein weiteres Kriterium fiir die Entwicklung der Pilze ist die Temperatur. Das charakteristische Temperaturoptimum fiir das Wachstum der meisten Pilze liegt zwischen 20...25~ Oberhalb und unterhalb des kritischen Temperaturbereichs fiir das Pilzwachstum (min. 3~ max. 40~ verfallen die Pilze in eine Wachstumsstarre. Allen holzzerst6renden Pilzen ist gemeinsam, dass sie die Zellw~inde der Holzzellen abbauen und damit F~iulnis verursachen. So wird durch den Angriff von Braunfdule- und Weiflfdulepilzen die Holzstruktur zerst6rt und damit die Festigkeit des Holzes stark gemindert. Das kann im Endstadium bis zur Pulverisierung des Holzes flihren. Moderfdule durch Ascomyceten tritt vor allem an H61zem mit st~indigem Erdkontakt wie Masten, Pf~ihlen und Schwellen auf. Die Folge eines Blduepilzbefalls k0nnen Verfiirbungen des Holzes und eine Zerst6rung des Anstrichfilms sein. Auch Schimmelpilze verursachen Holzverf~irbungen. Sie wachsen jedoch nur auf der Holzoberfliiche, ohne tiefer in das Innere vorzudringen. Schimmelpilze ben6tigen Feuchtigkeitsgehalte oberhalb des Fasersiittigungspunktes. Entzieht man ihnen die Feuchtigkeit, sterben sie ab und k6nnen abgebtirstet werden. Obwohl gerade in jtingster Zeit vermehrt tiber Ans~itze zu einer ,,rein biologischen Abwehr" des Angriffs von Pilzen und Insekten auf Holz nachgedacht wird, ist man gegenwartig im Holzschutz (HS) immer noch auf den Einsatz von Chemikalien angewiesen. Und zwar sowohl von klassischen Holzschutzmitteln (HSM) wie anorganischen Salzen und Teer61en als auch von Neuentwicklungen wie den sogenannten Schlupfverhinderungsmitteln oder den Chitinsynthesehemmern zur Bek~impfung holzzerst6render Insekten. Am letztgenannten Beispiel wird eine moderne Entwicklungsrichtung deutlich: Entwicklung von HSM, die spezifisch in den Stoffwechsel eingreifen und dabei das Gefahrenpotential fiir Nichtzielorganismen minimieren. Man unterscheidet generell zwischen baulichen und chemischen HolzschutzmaBnahmen. Auf den baulichen, d.h. konstruktionsbedingten Holzschutz, soil im Rahmen des vorliegenden Buches nicht eingegangen werden. Der Nutzen des Holzschutzes flir den Menschen liegt auf der Hand. Er besteht in einer Verl~ingerung der Nutzungsdauer des eingesetzten Holzes und damit in der Werterhaltung. Dabei wird gleichzeitig ein umweltpolitischer Nutzen sichtbar: Durch HSM wird das Naturprodukt Holz zu einem vielseitig einsetzbaren Baustoff. Der Holzschutz erm0glicht die Verwendung einheimischer H61zer mit geringerer Dauerhaftigkeit, vor allem die Verwendung der als nachhaltige Rohstoffe kultivierten und in ausreichender Menge zur Verfiigung stehenden Nadelh61zer, obwohl sie im Unterschied zu einigen anderen einheimischen oder zu tropischen H61zern weniger resistent gegen Holzsch~idlinge sind.
11.3 Holzschutzmittel Der Einsatz chemischer Holzschutzmittel richtet sich in erster Linie gegen biologische Sch~idigungen durch Insekten und Pilze. Holzschutzmittel enthalten demnach insektizide und fungizide Wirkstoffe, die auf Grund ihrer mehr oder weniger starken gesundheitssch~i-
476
11 Holz und Holzschutz
digenden Wirkungen nur dort eingesetzt werden diirfen, woes der Einsatzzweck erfordert. Und auch dann nur unter Einhaltung der entsprechenden Vorsichtsmal3nahmen, die in den technischen Merkbl~ittern der Hersteller sowie den einschliigigen Vorschriften der Gefahrstoffverordnung vorgeschrieben werden. Holzschutzmittel sollten einer Reihe von Anforderungen geniigen, wie z.B. 9 sicherer und langanhaltender Schutz des Holzes vor sch[idigenden Organismen 9 Eindringtiefen m6glichst > 10 mm, Best~indigkeit gegen Auslaugen und Verdunsten, Vertr~iglichkeit der HS-Mittel wie auch des behandelten Holzes mit Metallen, Beschichtungs- bzw. Klebstoffen und anderen Baustoffen (Ausschluss von unerwiinschten Reaktionen) 9 weitgehende Geruch- und Farblosigkeit 9 m6glichst geringe Umweltbelastung bei der Verarbeitung des HS-Mittels und durch das mit dem HS-Mittel behandelte Holz. Die heute auf dem Markt erhaltlichen Holzschutzmittel enthalten verschiedenartige Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen. Sie k6nnen grob in wasserlOsliche und lOsungsmittelhaltige Produkte unterteilt werden. Dartiber hinaus lassen sich die unterschiedlichen Formulierungen nach Wirkstoffen und Verwendungszweck verschiedenen Gruppen zuordnen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der HSM unterscheidet man folgende Priifpr~idikate: Iv gegen Insekten vorbeugend wirksam; P gegen Pilze vorbeugend wirksam (F~iulnisschutz); W auch fiir Holz, das der Witterung ausgesetzt ist, jedoch nicht im standigen Erd- und Wasserkontakt steht; E auch for Holz, das extremer Beanspruchung ausgesetzt ist (im stiindigen Erdkontakt und/oder im stiindigen Kontakt mit Wasser sowie bei Schmutzablagerungen in Rissen und Fugen). Die Tab. 11.1 gegebene Obersicht fiber die unterschiedlichen Holzschutzmittelgruppen entstammt dem amtlichen Holzschutzmittelverzeichnis (Stand: 01. Januar 1995).
WasserliJsliche Holzschutzmittel zur vorbeugenden Behandlung gegen holzzerstiJrende Pilze und Insekten Schutzmittel werden als w~issrige L6sungen in das Holz eingebracht, formuliert sind solche Produkte als mit Wasser verdtinnbare Konzentrate oder in wasserverdiinnter, anwendungsfertiger Form. Die Dichromate besitzen keine biozide Wirkung. Sie dienen ausschliefAlich der Fixierung der Wirkstoffe im Holz. Die Wechselwirkung von Cr(VI) mit den Molektilen der Holzbestandteile ist noch nicht vollst~indig aufgekl~irt. Klar scheint zu sein, dass das Cr(VI) des Dichromations durch die reduzierenden OH-Gruppen des Lignins zu Cr(III) reduziert wird. Cr(III)-Ionen zeichnen sich durch eine hohe Tendenz zur Komplexbildung aus, insbesondere mit Sauerstoffdonorliganden. Dabei kann es zur Bildung mehrkemiger, fiber O-Atome verbriickter Komplexe kommen, die als feste Produkte ausfallen. Auf der Bildung mehrkerniger, kolloidal ausfallender Cr([lI)-Komplexe beruht u.a. die Fixierung von Farbstoffen in Gerbereien und F~irbereien. Der Farbstoff wird an dem in kolloider Form vorliegenden Hydrolyseprodukt adsorptiv gebunden, d.h. er wird ,,fixiert". Ein ~ihnlicher Mechanismus sollte bei der Fixierung der wasserl6slichen Schutzmittel im Holz ablaufen. Da die Fixierung nie vollst~indig erfolgt, sind die Salze immer teilweise auswaschbar (auslaugbare HSMittel).
11.3 Holzschutzmittel
477
Dichromatfixierte Schutzsalze wurden sowohl im Auf3en- als auch im Innenbau breit eingesetzt. Wegen der Toxizitiit des Chroms in der Oxidationsstufe +VI ist man in letzter Zeit zu anderen Fixierungsmitteln tibergegangen, z.B. K u p f e r - H D O (exakt: Bis-(N-Cyclohexyldiazeniumdioxo)-Kupfer(II), Abb. 11.3).
Tabelle 11.1 Schutzmitteltypen, Bestandteile und PrOfpr~dikate nach dem amtlichen Holzschutzmittelverzeichnis (Stand: 01. Januar 1995)
Schutzmitteltyp
Hauptbestandteile
Priifpr~idikate
B-Salze
anorganische Borverbindungen (Borsliure H3BO3, Borax Na2B407 9 10H20)
Iv, P
SF-Salze
Silicofluoride (exakt: Fluorosilicate, z.B: Mgoder Cu-Hexafluorosilicat Mg[SiF6] oder Cu[SiF6])
Iv, P
CFB-Salze
Bor- und Fluorverbindungen, Chromate/Dichromate wie z.B. K2Cr207, Na2Cr207, (Nn4)2Cr207
Iv, P, W
CK-Salze
Kupfersalze (CuSO2 95H20), Chromate/Dichromate
Iv, P, W, E
CKA-Salze
Cu-Salze unter Zusatz von Arsenverbindungen (Arsen(V)-oxid As2Os), Chromate/Dichromate
Iv, P, W, E
Cu-Salze unter Zusatz von Borverbindtmgen, Chromate/Dichromate
Iv, P, W, E
CKB-Salze
CKF-Salze
Cu-Salze unter Zusatz von Fluorverbindungen, Chromate/Dichromate
Iv, P, W, E
Betain-Priiparate
Trialkylethoxyammoniumborat, CuCO3, Borsiiure
Iv, P, (W, E)
Cu-HDO
Cu-HDO, B- und Cu-Verbindungen, LOsevermittler
Iv, P, W, (E)
Quats
Quatem~ire Ammoniumverbindungen
Iv, P, W
Sammelgruppe
Triazole, Pyrethroide
Iv, P, W
Abbildung 11.3 Kupfer-HDO
o/
\o
Ohne Fixierung durch Dichromate oder Kupfer-HDO werden die anorganischen Fluor- und Borsalze leicht ausgewaschen. Sie sind deshalb vor allem im Innenbau zu verwenden. Bei Anwendung salzhaltiger HS-Mittel ist generell zu beachten, dass Salzl6sungen die metalli-
478
11 Holz und Holzschutz
sche Korrosion bef'6rdern (Kap. 8.2.2). Arsenate (Salze der Arsensaure H3AsO4; S~iureanhydrid: As205 ) werden wegen ihrer hohen Toxizit~it kaum noch verwendet. Olige Holzschutzmittel zur vorbeugenden Behandlung gegen holzzerstiJrende Pilze und
Insekten Zu den 81igen Schutzmitteln geh6ren Teer61pr~iparate wie zum Beispiel das seit ca. 150 Jahren verwendete Carbolineum. Es fiillt bei der fraktionierten Destillation des Steinkohlenteers als 61iger, wasserunl6slicher, braunroter, teerig riechender Riickstand an und enthalt u.a. Naphthalin und h6herkondensierte Aromaten, Phenole sowie N-haltige Heterocyclen. Diese Inhaltsstoffe verleihen in ihrer Gesamtheit dem behandelten Holz einen Langzeitschutz gegen biologische HolzzerstOrer. Wegen des starken Eigengeruchs, der Neigung zum Ausschwitzen und der Tatsache, dass mit Carbolineum behandeltes Holz nur schlecht tiberstrichen werden kann, finden teerhaltige HS-Mittel im AufSenbau und bei H61zern mit Erdkontakt Anwendung. Wegen ihrer Toxizit~it und krebserzeugenden Wirkung gibt es fiir Teer61e zahlreiche Anwendungsverbote und-einschr~inkungen. LiJsungsmittelhaltige Holzschutzmittel zur vorbeugenden Behandlung gegen holzzerstOrende Pilze und Insekten bzw. nur gegen Insekten
Die gr6fSte Gruppe bilden die 16sungsmittelhaltigen Holzschutzmittel. Sie enthalten die Wirkstoffe in organischen L6sungsmitteln gel6st, entweder Fungizide und Insektizide kombiniert oder aber nur Insektizide. Im letzteren Fall besitzen die HSM keine Wirksamkeit gegen Pilze. In Abhiingigkeit vom Einsatzbereich k6nnen die Formulierungen noch Bindemittel und Farbstoffe enthalten. Als Fungizide kommen zinnorganische Verbindungen, Chlomaphthaline bzw. -phenole und als Insektizide vor allem Phosphors~iureester, wie z.B. Parathion (Abb. 11.4a) und Phoxim, Carbamate, Chlorkohlenwasserstoffe, z.B. Lindan (Abb. 11.4b), sowie Pyrethroide zum Einsatz.
Lindan wird seit Jahrzehnten weltweit im Holzschutz, aber auch im Pflanzen-, Vorratsund Textilschutz eingesetzt. Lindan, chemisch Hexachlorcyclohexan, geh6rt zu den am besten untersuchten Substanzen, die als Holzschutzmittel zugelassen sind. Von den acht stereoisomeren Formen ist allerdings nur ein Isomer, das ,t-Hexaehloreyelohexan (1HCH), als Insektizid wirksam. Nicht zugelassen ist die Verwendung von ,,technischem Hexachlorcyclohexan", das neben dem ~,-HCH noch die toxischen Isomere cz-HCH und 13HCH enthalt.
02H50 /
C2H50
O~
P~s
CI I CI
NO2
H
CI
H CI
a) Parathion
CI H
H
b) Lindan (r-HCH)
Abbildung 11.4 Wirkstoffe It~sungsmittelhaltiger Holzschutzmittel
In letzter Zeit hat das Lindan seine Vorzugsstellung als insektizider Wirkstoff ftir den Holzschutz etwas verloren. Es wird zunehmend durch die toxikologisch unbedenklicheren Py-
11.3 Holzschutzmittel
479
rethrin-Abk6mmlinge Permethrin, Deltamethrin und Cypermethrin ersetzt. Pyrethrin (Abb. 11.5a) ist ein aus den Bltitenknospen bestimmter Pyrethrinarten gewonnenes, sehr wirksames nattirliches Insektizid. Es ist unter der Bezeichnung PYR im Handel. Durch eine gezielte Abwandlung des Stammsystems konnten wesentlich wirksamere Pyrethroid-Insektizide, wie das Deltamethrin (Abb. 11.5b) hergestellt werden. Seine insektizide Wirkung tibertrifft die des Pyrethrins um ein Vielfaches.
0.3 o
(H30)20 = OH
a)
Br2C = CH
CO,,.~'
HaC CHa
oI I
CN -"
I
Pyrethrin
b)
H3C CH3
Deltamethrin
Abbildung 11.5 Insektizide auf Pyrethrin-Basis: a) Pyrethrin I, b) Deltamethrin.
L/3sungsmittelhaltige HS-Mittel werden vor allem im Au6enbau, aber auch im Innenbau mit eventuellen Anwendungsbeschr~inkungen (z.B. Aufenthaltsr~iume!) eingesetzt. Wegen seiner ausgezeichneten pilz- und bakterientStenden Wirkung hat Pentachlorphenol (PCP) und sein Natriumsalz (PCP-Na) als Bestandteil unterschiedlichster HS-Mittel eine weite Verbreitung gefunden. Seit bekannt ist, dab dieser Stoff nicht nur fischtoxisch ist, sondern auch beim Menschen zu erheblichen gesundheitlichen Sch/iden fiihren kann, wurde mit der Pentachlorphenol-Verbotsordnung vom 12. 12. 1989 die Herstellung und Verwendung von PCP und dessen Salzen verboten. Da mit PCP behandeltes Holz fiber einen langen Zeitraum diesen Wirkstoff emittiert, stellen PCP-haltige Holzschutzmittel eine echte Altlast vieler Geb/iude dar.
Wirksamkeit und Wirkungsdauer eines HS-Mittels h~ingen sehr wesentlich von der Wahl des Verfahrens zur Einbringung des Mittels in das Holz ab. Die einfachsten und mit Sicherheit bekanntesten Einbringverfahren sind das Streichen und das Spritzen (Spriihen). Allerdings bleiben die Eindringtiefen in der Regel deutlich unter den geforderten 10 mm, meist liegen sie - in Abh~ingigkeit vonder Holzart - zwischen 2 und 6 mm. Beim Tauchverfahren schwimmt das Holz in einem Tauehbecken im bzw. auf dem Holzschutzmittel. Die Eindringtiefen liegen ebenfalls unter 10 mm und es wird allenfalls ein Randschutz erreicht. Werden die HSlzer in offenen TrSgen l~ingere Zeit (einige Stunden bis Tage) untergetaucht gehalten, spricht man von einer TrogtrLinkung. Das Eindringen des HSM erfolgt hier durch die kapillaren Kr~ifte und die Diffusion im Zellgewebe, den hydrostatischen Druck der im Tr~inkgef~if5 fiber dem Holz stehenden Fliissigkeit sowie die Temperaturunterschiede der benutzen Tr~inkfliissigkeiten. Die eingesetzten anorganischen Salze dringen tiefer und gleichm~i6iger in das Holz ein, der erreichte Randschutz ist effektiver als bei den vorhergehenden Verfahren. Grol3technische Verfahren, die zum Einbringen des Schutzmittels Oberund/oder Unterdruck anwenden, fasst man unter dem Begriff Kesseldrucktrankung zusammen. In druckdichten Kesseln wird das Schutzmittel quasi in das Holz gedrtickt bzw. gesogen. Varianten des Kesseldruckverfahrens sind die Volltr~inkung, die Spartr~inkung, die Wechseldruck- und die Vakuumtrankung. Welche Variante zum Einsatz kommt, hangt
sowohl vonder Art des verwendeten Holzschutzmittels als auch vonder Art des zu behandelnden Holzes ab. Kesseldruckverfahren k6nnen zu einer Durchtr~inkung der gesamten impr~ignierbaren Holzsubstanz fiihren. Die Feuer- oder Flammschutzmittel sollen die Entziindung des Holzes verz6gem und die Verbrennung des Holzes und damit die Ausbreitung des Feuers erschweren. Hinsichtlich ihres Brandverhaltens k6nnen die Feuerschutzmittel als feuer- bzw. flammenerstickend, verkohlungsfOrdemd sowie sperrschicht- und d~immschichtbildend klassifiziert werden.
Feuer- oder flammenerstickende Schutzmittel sind entweder a) kristallwasserhaltige Salze, die in der Hitze schmelzen und unter W[irmeentzug Wasser freisetzen oder b) Salze, die in der Feuerhitze andere flammenerstickende Gase abspalten, z.B. CO2 aus Carbonaten oder Hydrogencarbonaten, SO2/SO3 aus Sulfaten oder Hydrogensulfaten und NH3 aus Ammoniumhydrogenphosphat: (NH4)2HPO4 --->2 NH3 + H3PO4. Die gleichzeitig gebildete Phosphors~iure wirkt dehydratisierend, d.h. verkohlend.
Sperrschichtbildende Schutzmittel (Versiegelungsmittel). In der Hitze bildet sich auf dem Holz eine schwer entflammbare, diJnne Sperrschicht, die den Zutritt des Luftsauerstoffs zum Holz erschwert. Im Holz (,,aus dem Holz heraus") entsteht eine Holzkohleschicht, die warmed~immend wirkt. Frtiher wurden als sperrschichtbildende Schutzmittel Wassergl~iser und Borate, heute werden Ammoniumpolyphosphate verwendet.
Schaumschichtbildende Schutzmittel sind Substanzgemische, die die Eigenschaften der verkohlungsfOrdernden und sperrschichtbildenden Schutzmittel kombinieren. Auf der Oberfl[iche des Holzes wird eine gut isolierende Holzkohleschicht erzeugt, indem man Substanzen auf das Holz bringt, die sich beim Erw~irmen schaumig aufbl~ihen, verkohlen und anschlieBend verfestigen. Zum Einsatz kommen Gemische aus schichtbildenden Komponenten (,,Kohlenstoffspendem") wie Kohlenhydraten, Paraffinen oder Chlorparaffinen und aus bRihenden und sch~iumenden Komponenten wie Polyphosphaten, Melamin, Harnstoff oder Dicyandiamid {NC-NH-C(NH2)=NH} sowie evtl. TiOR-Pigmenten.
12
Luftschadstoffe in Innenr
iumen
In den letzten Jahrzehnten haben gesundheitliche Beschwerden zugenommen, die in engem Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Innenr~iumen bzw. Geb~iuden stehen. Ausgasungen chemischer Substanzen aus M6beln, Farben, Anstrichen und Baustoffen, Schimmelpilzbefall in Wohnungen, das Sick-Building-Syndrom und das Ph~inomen der ,,Schwarzen Wohnungen" sind - unter Berticksichtigung einer ansteigenden Aufenthaltsdauer der Menschen in Innenr~iumen - Anlass genug, das Problem der Innenraumbelastung mehr in den Focus des Gesundheitsschutzes zu riicken. Man geht heute davon aus, dass die Menschen ca. 90% ihrer Lebenszeit in Innenr~iumen verbringen. Davon entfallen etwa 2/3 auf die Wohnr~iume und wiederum davon der gr/SBte Teil auf das Schlafzimmer.
12.1
Einleitende Bemerkungen
Zu den Innenr[iumen geh6ren zun~ichst alle R~iume in Geb~iuden, die nicht nur zum voriibergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, also alle Wohndiume vom Kel-
sowohl vonder Art des verwendeten Holzschutzmittels als auch vonder Art des zu behandelnden Holzes ab. Kesseldruckverfahren k6nnen zu einer Durchtr~inkung der gesamten impr~ignierbaren Holzsubstanz fiihren. Die Feuer- oder Flammschutzmittel sollen die Entziindung des Holzes verz6gem und die Verbrennung des Holzes und damit die Ausbreitung des Feuers erschweren. Hinsichtlich ihres Brandverhaltens k6nnen die Feuerschutzmittel als feuer- bzw. flammenerstickend, verkohlungsfOrdemd sowie sperrschicht- und d~immschichtbildend klassifiziert werden.
Feuer- oder flammenerstickende Schutzmittel sind entweder a) kristallwasserhaltige Salze, die in der Hitze schmelzen und unter W[irmeentzug Wasser freisetzen oder b) Salze, die in der Feuerhitze andere flammenerstickende Gase abspalten, z.B. CO2 aus Carbonaten oder Hydrogencarbonaten, SO2/SO3 aus Sulfaten oder Hydrogensulfaten und NH3 aus Ammoniumhydrogenphosphat: (NH4)2HPO4 --->2 NH3 + H3PO4. Die gleichzeitig gebildete Phosphors~iure wirkt dehydratisierend, d.h. verkohlend.
Sperrschichtbildende Schutzmittel (Versiegelungsmittel). In der Hitze bildet sich auf dem Holz eine schwer entflammbare, diJnne Sperrschicht, die den Zutritt des Luftsauerstoffs zum Holz erschwert. Im Holz (,,aus dem Holz heraus") entsteht eine Holzkohleschicht, die warmed~immend wirkt. Frtiher wurden als sperrschichtbildende Schutzmittel Wassergl~iser und Borate, heute werden Ammoniumpolyphosphate verwendet.
Schaumschichtbildende Schutzmittel sind Substanzgemische, die die Eigenschaften der verkohlungsfOrdernden und sperrschichtbildenden Schutzmittel kombinieren. Auf der Oberfl[iche des Holzes wird eine gut isolierende Holzkohleschicht erzeugt, indem man Substanzen auf das Holz bringt, die sich beim Erw~irmen schaumig aufbl~ihen, verkohlen und anschlieBend verfestigen. Zum Einsatz kommen Gemische aus schichtbildenden Komponenten (,,Kohlenstoffspendem") wie Kohlenhydraten, Paraffinen oder Chlorparaffinen und aus bRihenden und sch~iumenden Komponenten wie Polyphosphaten, Melamin, Harnstoff oder Dicyandiamid {NC-NH-C(NH2)=NH} sowie evtl. TiOR-Pigmenten.
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Luftschadstoffe in Innenr
iumen
In den letzten Jahrzehnten haben gesundheitliche Beschwerden zugenommen, die in engem Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Innenr~iumen bzw. Geb~iuden stehen. Ausgasungen chemischer Substanzen aus M6beln, Farben, Anstrichen und Baustoffen, Schimmelpilzbefall in Wohnungen, das Sick-Building-Syndrom und das Ph~inomen der ,,Schwarzen Wohnungen" sind - unter Berticksichtigung einer ansteigenden Aufenthaltsdauer der Menschen in Innenr~iumen - Anlass genug, das Problem der Innenraumbelastung mehr in den Focus des Gesundheitsschutzes zu riicken. Man geht heute davon aus, dass die Menschen ca. 90% ihrer Lebenszeit in Innenr~iumen verbringen. Davon entfallen etwa 2/3 auf die Wohnr~iume und wiederum davon der gr/SBte Teil auf das Schlafzimmer.
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Einleitende Bemerkungen
Zu den Innenr[iumen geh6ren zun~ichst alle R~iume in Geb~iuden, die nicht nur zum voriibergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, also alle Wohndiume vom Kel-
12.1 Luftschadstoffe in Innenraumen - Einleitung
481
ler bis zum Dachstuhl, darfiber hinaus Bfiros und 6ffentliche Gebaude wie Kinderg[irten, Schulen, Sporthallen und Krankenh[iuser. Im weiteren Sinne rechnet man auch mobile Fahrzeuginnenr~iume (Pkw, 6ffentliche Verkehrsmittel) zu den Innenraumen [UC 1]. Diese Definition bezieht sich aber nicht auf Arbeitsr~iume, in denen mit bestimmten Chemikalien umgegangen wird. Hier gelten spezielle Arbeitsschutzbedingungen fiir den Umgang mit Gefahrstoffen. Wenn es um Verunreinigungen der Innenraumluft geht, spricht man im Gegensatz zu Luftverunreinigungen am Arbeitsplatz (---, MAK-Wert, Kap. 5.4.2.2.1) von Innenraumluftbelastung (engl. indoor air pollution). Im Gegensatz zum Arbeitsbereich halten sich in Innenr~iumen auch Personengruppen wie Kinder, alte und kranke Menschen auf, die als besonders empfindlich gelten. So sind Kinder einer etwa doppelt so hohen inhalativen Dosis, ausgesetzt wie erwachsene Menschen, da bei den Kindern das Verh~iltnis von Atemvolumen pro Minute zu K6rpergewicht deutlich h6her liegt. Tabelle 12.1 Konzentrationen einiger Bestandteile von Innenraumluft [UC 1] Stoff, Stoffgruppe
Schwefeldioxid (S02) Kohlenmonoxid (CO) Kohlendioxid (C02) Stickstoffdioxid (NO2) Ozon (03) Formaldehyd (H-CHO) Benzol (C6H6) Toluol C6H5-CH3 Halogenkohlenwasserstoffe a TRK-Wert, s. Kap. 10.2
Konzentration in Innenr i u m e n (in mg/m 3)
0.02
...
1
...
500 0,02 0,04 0,01
0,08 10
... 2000 ... 0,08 ... 0,4 ...
0,003 ... 0,02 ... 0,001
MAK (in mg/m 3)
1
0,03 0,2
35 9100 9,5 0,2 0,62 8 ~)
190
In Innenr~iumen gelten for den Abbau, die Umwandlung und den Transport der Sehadstoffe einige Charakteristika, die sich von den jeweiligen Prozessen im AuBenbereieh oder in anderen Umweltmedien zum Teil deutlich unterscheiden. So sind einige wichtige Abbaumechanismen, wie sie im AuBenbereieh ablaufen, in Innenr~iumen zu vernaehl~issigen. Zu nennen sind der Abbau der Schadstoffe durch UV-Licht (Photolyse) und der hydrolytische Abbau von Stoffen (Reaktion mit H20). Eine VerdOnnung der Schadstoffe, wie sie im Freien dureh die Auf~enluft erfolgen kann, ist in Innenr~iumen nur eingeschr~inkt m6glieh. Im Gegenteil, dureh das Adsorptionsverm6gen der St~iube sowie der M6bel und Teppiche reiehern sich schwer fliiehtige Substanzen an ihrer Oberfl~iehe an, was zu einer signifikanten Erh6hung der Konzentration dieser Schadstoffe ~hrt. Mit dem Ubergang zu einer effektiveren W~irmed~immung und zunehmend dichteren Fenstern hat sieh der Austausch der Luft zwischen Innenraum und Auf~enbereieh deutlich verringert. Dazu kommt, dass die Anzahl der Chemikalien, die fiber die Baustoffe, die Einrichtungsgegenst~inde und die Haushaltsprodukte in die Innenraumluft gelangen, in sehwindelerregender Weise zugenommen hat. Die Folge ist, dass die Konzentration an bestimmten Innenraum-Luftinhaltsstoffen in der Gr6f~enordnung der MAK- bzw. TRK-Werte (Tab. 12.1) liegt und die entsprechenden Konzentrationen in der Auf~enluft (z.B. leicht flfichtige Halogenkohlenwasserstoffe, CO2, CO, Formaldehyd und PCB) sogar teilweise tibertrifft.
482
12 Luftschadstoffe in Innenraumen
12.2
Schadstoffe in Innenr iumen und Geb iuden
Die Innenraumschadstoffe k6nnen zun~ichst fiber die AuBenluft in die Innenr~iume gelangen. Quellen sind der Kfz-Verkehr und die Abgase bestimmter Gewerbe. Andererseits gelangen zahlreiche Chemikalien fiber Baustoffe sowie Einrichtungsgegenst~inde und Haushaltchemikalien in die Innenraume. M6gliche Quellen sind 9 9 9 9 9 9 9
Einrichtungsgegenst~nde und Ausstattungsmaterialien (---- L/Ssungsmittel aus Klebund Impragnierstoffen, Zusatze aus D~immstoffen) Reinigungs-, Desinfektions-, Konservierungs- und Pflegemittel Produkte des Heimwerker- und Bastelbereichs (z.B. Farben und Lacke, Klebstoffe, Dichtungsmassen) Holzprodukte (Abgabe von Formaldehyd aus Spanplatten; Pentachlorphenol aus Holzschutzmitteln) Baumaterialien (Asbestfasern) Verbrennungsprozesse (RUB, Kohlenstaub, Holzstaub; St~iube wirken als Tr~igermedien fiJr schwer fliichtige organische Verbindungen s.u.) Mikroorganismen wie Pilze, Viren, Bakterien und Milben.
Die Emission von Schadstoffen kann vortibergehend oder dauerhaft erfolgen. Zu den voriibergehenden Emissionsquellen geh6ren Haushaltprodukte. Da sie meist regelmal3ig verwendet werden, k/Snnen sie trotzdem eine erhebliche Belastung der Innenraumluft bewirken. Baustoffe und Ausstattungsmaterialien geben dauerhafi fiber lange Zeitr~iume Schadstoffe ab. Die Schadstoffe der Innenraumluft kann man grob in anorganische und organische Vertreter unterteilen. Daneben spielen noch partikelgebundene bzw. partikul~ire Schadstoffe (Asbeste, kiJnstliche Mineralfasern, Schwebstaub) und mikrobielle Verunreinigungen (Schimmelpilze, Bakterien und Viren) eine wichtige Rolle.
Anorganische Verbindungen wie Stickoxide (NOx) und Kohlenmonoxid (CO) werden bei Verbrennungsprozessen freigesetzt, andere Gase (vor allem CO2) fallen als menschliche Stoffwechselprodukte an. Die Verwendung asbesthaltiger Baumaterialien, vor allem aber zahlreiche, mitunter recht aufw~ndige Sanierungen haben zu hohen Asbestfaserkonzentrationen in der Atmosph~re und der Innenraumluft gefiihrt. Es sei auch noch einmal auf das radioaktive Edelgas Radon verwiesen (Kap. 2.1.2), das aus dem Bauuntergrund in die Geb~iude eindringen kann. GrOBte Bedeutung kommt den organischen Luftinhaltsstoffen im Innenraum zu. Sie werden meist in leicht fltichtige Stoffe (engl. volatile organic compounds, VOC) und schwer fliichtige Stoffe unterteilt. Vertreter der Gruppe der leicht fliichtigen organischen Verbindungen (Siedebereich < 260~ sind n-Alkane (bis C14), Isoalkane und Cycloalkane, Olefine (z.B. 1-Alkene bis C14), chlorierte Kohlenwasserstoffe, ,,niedere" Alkohole, Aldehyde, Ketone, Ester und Ether sowie Terpene. Diese Stoffe werden oft als LOsungsmittel fiir die unterschiedlichsten Produkte des Heimwerker- und Haushaltbereichs verwendet. Sie k6nnen aber auch aus Baumaterialien oder Einrichtungsgegenst~nden freigesetzt werden. Zu den mittel- bis sehwer flUehtigen organischen Verbindungen (engl. semi volatile organic compounds, SVOC; Siedebereich >260~ geh6ren die polycyclischen aromatischen Koh-
12.3 Schwarze Ablagerungen in Wohnungen ("Fogging")
483
lenwasserstoffe (PAK), Fungizide wie Pentachlorphenol (PCP) bzw. sein Natriumsalz (PCP-Na), Lindan (y-HCH) und DDT, polychlorierte Biphenyle (PCB) und Phthals~iureester (Weichmacher). Trotz ihrer Schwerfltichtigkeit k6nnen diese Verbindungen in der Raumluft in relativ hohen Konzentrationen auftreten. H~iufig besitzen sie eine ausgepr~igte Neigung zur Adsorption an Staubpartikeln und an Oberfl~ichen von Tapeten, Gardinen sowie Einrichtungsgegenst~inden- womit diese selbst wiederum zu Sekundarquellen fiir diese Schadstoffe mutieren. Maflnahmen zur Verringerung der Innenraumbelastung. Sind die Quellen mOglicher Belastungen erst einmal identifiziert, k0nnen sie entfemt oder zumindest in ihrer Wirkung reduziert werden. Um den Eintrag von Chemikalien in die Raumluft zu verringern, sollte der Einsatz tiberfltissiger Chemikalien (Haushalt-, Sanit~ir- und Heimwerkerbereich) vermieden werden, schadstoffarme Produkte (MObel, Einrichtungsgegenst~inde, Elektroger~ite) angeschafft werden, Textilien vor dem ersten Tragen gewaschen- und nach einer chemischen Reinigung ausgeliiftet werden. Der Heizungs- und der Garagenbereich sollte zu den Wohnr~iumen hin abgedichtet werden. L0sungsmittelhaltige Farben und Lacke sowie Verdtinnerfltissigkeiten sollten nicht in den Wohnraumen gelagert werden. Um die Belastungen zu mindem, sollte regelm~ifSig geliiftet und der Staub entfemt werden, z.B. Staubsaugen bei offenem Fenster. Ist man finanziell dazu in der Lage, sollte man belastete Spanplatten, belastete Teppichb0den und mit bioziden Holzschutzmitteln belastete Htilzer entfernen und durch schadstoffarme Produkte ersetzen. Wenn nicht, kann man die Emission belasteter Spanplatten (Formaldehyd!) durch Anstreichen der Oberfl~iche oder Bekleben mit Aluminium- oder Verbundfolie reduzieren. Mit bioziden Holzschutzmitteln behandelte Dachb~Sden sollten gut gegen den Wohnbereich abgedichtet werden.
12.3
Schwarze Ablagerungen in Wohnungen (,,Fogging")
Im Winter 1995/96 trafen beim Umweltbundesamt erste Anfragen nach den Ursachen pl6tzlich auftretender, ruf~ihnlicher schwarzer Flecken und 51ig schmieriger Ablagerungen auf Tapeten, Fensterrahmen, Steckdosen, Fliesen und anderen Einrichtungsgegenst~inden ein. Die schwarzen Ablagerungen bildeten sich innerhalb von Tagen bzw. innerhalb weniger Wochen. Selten war nur ein Raum betroffen, meist traten die schwarzen Flecken in mehreren R~iumen einer bestimmten Wohnung auf. Im Sommer verschwinden die Ablagerungen haufig wieder, treten eventuell im n~ichsten Winter jedoch erneut auf. Das Ph~inomen der schwarzen Flecken wird in der Literatur als ,,Fogging" bezeichnet. Der Begriff stammt aus der Automobilbranche. Hier bezeichnet man die Ausbildung eines Films auf der Windschutzscheibe von Neufahrzeugen infolge von Ausgasungen schwer fliichtiger Bestandteile aus Kunststoffbauteilen als Fogging. Die genauen Ursache-Wirkungs-Beziehungen fiir das Auftreten dieser ,,Schwarzstaub-Ablagerungen" (Magic Dust) im Wohnbereich sind bis heute nicht vollst~indig gekl~irt. Es ist noch nicht klar, welchen Beitrag a) die Bewohner mit ihrem Wohnverhalten, b) die Beschaffenheit des Gebaudes und c) die Zusammensetzung der verwendeten Bauprodukte und Einrichtungsgegenst~inde im Einzelnen auf die Entstehung dieser schwarzen Ablagerungen leisten. Im Ergebnis zahlreicher Studien und Analysen sowie von Fragebogenaktionen vor allem durch das Umweltbundesamt kSnnen gegenw~irtig eine Reihe von Ursachen ftir dieses Phil-
484
12 Luftschadstoffe in Innenraumen
nomen angegeben und grunds~itzliche Zusammenh~inge aufgezeigt werden. Folgende allgemeingiiltige Aussagen wurden erhalten: Die schwarzen Ablagerungen werden ausschliel31ich in der Heizperiode zumeist als schwarz-grauer, 6lig-schmieriger Belag sichtbar. H~iufig handelt es sich um neu gebaute oder sanierte bzw. renovierte Wohnungen. Kalte Wandbereiche, W~irmebriicken und die Art der Luftstr5mung sind entscheidende Faktoren beim Ausl/Ssen dieses Ph~inomens. Deshalb sind die Ablagerungen vor allem an Stellen hoher Luftbewegung, z.B. um den Heizk/~rper (Abb. 12.2 links), entlang der Wand, der Fenster und Gardinen, oberhalb der Heizquellen und an Stellen verminderter Oberfl~ichentemperatur (Zimmerecken, Abb. 12.2 rechts) am st~irksten. Eine Gesamttibersicht tiber m6gliche Ursachen und Einflussfaktoren ist in Abb. 12.1 gegeben.
Aul~enluft h Dieselrul~ I RLT-Anlage I-I
1 1 V~rru~un01IP'0~"c"eS'aubab'agerung , [IFasern, svoc,
PAK SVOC Ruf~
T
Verbrennungsprozesse 9Kerzen 9Ollampen 9Ofenheizung 9Kamin
Miiiiiii!iN~i iiiiiiNii~ii ~N~!~ iiiii i ! Prim~irquellen Potentielle i~iiiii;`iiiiUii!iiiiiiiiiiiiiiiiiii~iiiiiliiii!iiii~!~~iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiliiiiii~ iiiiiii
I [i!iii~i:i~i~i~t~ii~iii~iiii!iiii!i!i!iii~i~iii~ii~ii~ii~iii::~ii*~iiir
9 Bauprodukte
[~~a~~J~~;~~~~U~;~;~]
9 Einrichtungs-
Abbildung 12.1 Fogging: M0gliche Ursachen und Einflussfaktoren [UC 9] Die in der Literatur in den vergangenen Jahren beschriebenen schwarzen Ablagerungen im Wohnbereich hatten oft einen anderen Entstehungshintergrund. Es handelte sich vor allem um RuB aus Schornsteinen und Kaminen, von Kerzen und vom Tabakrauch. Die Analyse der hier besprochenen Schwarzstaub-Ablagerungen ergab in nahezu keinem Fall Hinweise auf h/Shere Konzentrationen an Verbrennungsriickst[inden wie z.B. RuB oder polycyclische Aromaten. Da das Problem offensichtlich in Zusammenhang mit gerade erfolgten Bau- und Renovierungsmagnahmen auftritt, miissen die Hauptgriinde auf diesem Gebiete liegen. Die Hersteller zahlreicher Produkte des Bau- und Heimwerkerbereichs setzen vermehrt h6her siedende organische Verbindungen ein. Damit steigt die Konzentration an mittel- und an schwer fltichtigen organischen Stoffen (SVOC) im Innenraum an. Besonders hoch ist sie im Winter bei Heizungsbetrieb und verminderter Ltiftung. Mittels chemischer Analyse hat man
12.4 Sick-Building-Syndrom
485
vor allem l~ingerkettige Alkane, langkettige Alkohole (,,Fettalkohole", z.B. Tetradecanol, Hexadecanol, Octadecanol), ges~ittigte und unges~ittigte Fettsauren (Stearin- und Palmitins~iure, (31saure, Linol- und Linolens~iure) und deren Ester sowie Phthals~iureester nachgewiesen. Die mittel- und schwer fltichtigen organischen Verbindungen spielen beim Fogging eine extrem wichtige Rolle. Ihre Anwesenheit in der Innenraumluft gentigt allerdings noch nicht, um Ablagerungen zu verursachen. Weitere wichtige Faktoren sind 9 9 9
die baulichen Gegebenheiten (WarmebriJcken, Risse) die Raumnutzung (Verwendung zus~itzlicher Emissionsquellen far SVOC wie O1l~impchen, Kerzen; Ltiftungsverhalten) sowie sonstige raumklimatische und Witterungsverh~iltnisse (Luftfeuchtigkeit, Elektrostatik der Luft).
Um dem Auftreten der schwarzen Ablagerungen vorzubeugen, sollten emissionsarme bzw. emissionsfreie Produkte (Anstrichstoffe, Lacke, Klebstoffe) und Einrichtungsgegenstande verwendet werden. Da mittel- und schwer fltichtige Verbindungen offensichtlich eine der Hauptursache bilden, muss deren Freisetzung weitgehend vermieden werden. Renovierungen sollte man am besten im Frtihjahr durchftihren. Dann haben sich die anfdnglichen Ausgasungen von Bauprodukten und Einrichtungsgegenst~inden bis zur n~ichsten Heizperiode stark reduziert. Abb. 12.2 zeigt schwarze Ablagerungen an exponierten Stellen im Wohnraum.
ii i i i i i i i i i !i i i i i ~i i~i i !i i i ~i i~i i i ~i i i~i i i i i i i i i i ~i i i ~i ~i i i i i i i i i ~i~i i i~i~i i~i i~i~i i~i~i~i i~i~i~i~i~i~i~i~i~i~i ~i~i~iU!U~i~i!i:
i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i i•i•i•i i•i i i i i i i i i i i i•i i i i i i i i i i i i•i i i i i i i i i i i i i i i i•i i i i i i i!i i i•i i i i i•i i•i i•i i i i! i•i•i•!•ii!i!i!i!i!i•i!i!i!i••ii!i!i•i!i!!ii•!i!i!iiii••ii•iiiiiiii•i•••iii!i•i•i•i••ii••iUii•i•i•i•i••••i•i!ii!iiiii!i•i!iiiiiiiiii•ii•ii•ii•i!i•ii•i• ii i i i i i i!i!i i i i i !i i i~i i !i ~!ii~i i ~i~i i i i i i i~i~i i i i!i i i i i~i i i i i i i i i i~i i~i~;~i~i~;~;~;;~;i~i!i ~i i i i i i i i i i i!i
iiiii~
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iiii!i!!ii!ii!liiil!iiliiiiili ~ilii,,~i i i~i i!i i i i li i i !i i ........... i !~ilili i !ili!i!i!i!i! iiiiiiiii~i;i~i .,:~.::::::,~.::~::::~
iii~~:~: ~:~:;:~:~:~:~:~:~
...................
..........
Abbildung 12.2
12.4
Fogging" Typische schwarze Ablagerungen 0ber einem HeizungskOrper (links) und in einer Raumecke (rechts).
S ick-Bu i Id i ng-Synd rom
Seit MiRe der 70er Jahre wird tiber Beschwerden berichtet, die die Betroffenen auf einen Aufenthalt in Biaros, gelegentlich auch in Schulen, Labors oder Krankenh~iuser zurtickfiihren. Wenn sie die betreffenden Geb~iude verlassen, dann lassen meist auch die Beschwer-
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12 Luftschadstoffe in Innenr~iumen
den nach. Bei emeutem Aufenthalt in den Geb~iuden nehmen die Symptome wieder deutlich zu. Von Fachleuten wird diesem Beschwerdebild der Begriff,,Sick-Building-Syndrom" (SBS) zugeordnet [UC 10-12]. SBS ist nicht als medizinischer Fachbegriff (Syndrom: ein sich stets mit gleichen Krankheitszeichen manifestierendes Krankheitsbild) zu verstehen. Vielmehr kennzeichnet SBS einen Komplex unspezifischer Symptome, ohne dass eine eindeutige Krankheit oder pathologische Parameter diagnostiziert werden k/Snnen [UC 11]. Als Kriterium fiir das Vorliegen eines SBS gilt, dass mindestens 20...25% der exponierten Personen in einem Geb~iude fiber folgende unspezifische Symptome klagen: 9 9 ~ 9 9 9
Reizungen der Augen-, Nasen- und Rachenschleimhaut Ermtidung, schwerer Kopf, Kopfschmerzen, Ubelkeit, Benommenheit Konzentrationsschw~iche Trockener Hals, Halsschmerzen, Husten Trockene Gesichtshaut, ger6tetes Gesicht, Hautausschlag, Juckreiz und unspezifische Oberempfindlichkeit. .o
Im Resultat einer umfangreichen US-amerikanischen Studie, in der 529 Geb~iude hinsichtlich der SBS-Symptomatik untersucht wurden, ergab sich das in Abb. 12.3 dargestellte Ursachenspektrum [UC 11]. In etwa 50% der Falle wurde als Ursache mangelnde Liiftung, in 20-25% der F~ille das Vorhandensein bestimmter Innenraumschadstoffe (s. Kap. 12.2), in 10% der F~ille bestimmte AuBenluftschadstoffe und in etwa 5% der F~ille Schimmelpilze, Milben, Bakterien (stammen oft aus schlecht gewarteten oder falsch dimensionierten Klimaanlagen ---, verkeimtes Befeuchterwasser, Filtertiberladung) diagnostiziert. Dazu kommen biirotypische Expositionen wie Bildschirmtatigkeit, L~irm und evtl. Passivrauchen.
Abbildung 12.3 Ursachenkomplex for das SickBuilding-Syndrom (Gewichtete Daten f0r 529 USGeb~ude, [UC 11]).
Angesichts der benannten Ursachen wird das Dilemma eines eindeutigen kausalen Zusammenhanges zwischen Ursache(n) und Wirkung deutlich. Wie sollen Effekte, die auf eine unzureichende Ltiftung zuriickgehen, von denen abgetrennt werden, die auf verst~irkte Emissionen - seien sie nun chemischer oder biologischer Art - zuriickzuflihren sind? Es ist auch derzeit noch ungekl~irt, welche Rolle psychosoziale Gesichtspunkte bei der Entstehung von SBS spielen. Es ist durchaus m/3glich, dass die auf die oben genannten Ursachen zu-
~ckgehenden Beschwerden durch psychischen Stress verstarkt - oder tiberhaupt erst ausgelfst werden (Mobbing am Arbeitsplatz!). Die Zahl der in Deutschland von SBS betroffenen Menschen liegt nach vorsichtigen Schatzungen bei 1 Million. Diese Zahl verdeutlicht die Notwendigkeit gezielter Ma6nahmen, um dem Sick-Building-Syndrom vorzubeugen. Die haufigsten Ma6nahmen sind st~indiges Liiften in neuen oder frisch renovierten Gebauden und die Gewahrleistung einer giJnstigen Luftfeuchtigkeit. Sie sollte in ,,normalen" Btiroraumen zwischen 50...65%, in klimatisierten Raumen bei 70% liegen. Treten Anzeichen fiir ein SBS auf, sollten die Betroffenen einen Arzt ~ r Umweltmedizin konsultieren. Seine Aufgabe ist es, anhand chemischer Analysen von Proben aus dem Bi~ro oder den Wohnraumen, aber auch anhand von Fragen zum Betriebsklima oder zur Stimmung in der Familie einen Zusammenhang zwischen den Symptomen und potentiellen Ursachen zu finden. Das Sick-Building-Syndrom muss vom eher selten auftretenden Beschwerdebild ,,Building Related Illness" (BRI) klar abgegrenzt werden, obwohl es sich in beiden Fallen um gebaudebezogene GesundheitsstSrungen handelt. Beim BRI geht es um Beschwerden, die meist nur Einzelpersonen betreffen und die auf wohlbekannte Ursachen zurtickgeftihrt werden k/Snnen, z.B. auf Legionellen oder auf Schimmelpilze. Das SBS stellt dagegen ein kollektives Phanomen dar, das auf einen ganzen Ursachenkomplex zurtickge~hrt wird.
13
Recycling von Baustoffen
13.1
AIIgemeine Bemerkungen
So unterschiedlich wie die auf dem Bausektor eingesetzten mineralischen und nichtmineralischen Baustoffe (s. Kap. 8 -10), so unterschiedlich sind die Baureststoffe (Bauabf~ille), die am Ende der Nutzungsphase von Bauwerken, von Stra6en usw. anfallen. Baureststoffe stellen im Hinblick auf das Gesamt-Abfallaufkommen in der BRD (2002: ca. 381 Mio. t.) mit 241 Mio. t den grf6ten Anteil, nach Gewicht sind das etwa 65% und nach Volumen ca. 45...50% des Gesamtaufkommens lAB 21 ]. Der Anfall an Baureststoffen lag Mitte der 90er Jahre noch bei etwa 300 Mio. Tonnen. Der Riickgang zu heute wird auf eine absinkende Bautatigkeit zurtickgefiihrt. Der durch Recycling aufbereitete Anteil ist mit etwa 25% gleich geblieben. Die Verwendung von Recyclingrnaterialien schont nicht nur unsere Umwelt und unsere natiirlichen Ressourcen, sie hat sich auch MiRe der 90er Jahre in der Gesetzgebung niedergeschlagen. Am 07. Oktober 1996 trat das ,,Gesetz zur F6rderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltvertraglichen Beseitigung von Abf~illen (Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz, KrW-/AbfG)" in Kraft. Es regelt die Verpflichtung zur Abfallvermeidung und zur schadlosen Abfallverwertung. Eine Beseitigung von Abf~illen kommt nur dann in Betracht, wenn eine Verwertung technisch nicht m6glich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz formuliert die eindeutige Zielhierarchie: Vermeiden geht vor Verwerten und Verwerten geht vor Beseitigen. Zur Schonung der Ressourcen mtissen Abfalle von vornherein vermieden bzw. minimiert werden. Unvermeidbare Abf~ille sollen einer qualitativ hochwertigen Verwertung zugefiihrt werden. Nicht verwertbare Abfdlle sollen durch Behandlung oder Ablagerung beseitigt werden, wobei Vermeidung und Verwertung immer Prioritat vor der Beseitigung der Abf~ille haben. Damit
~ckgehenden Beschwerden durch psychischen Stress verstarkt - oder tiberhaupt erst ausgelfst werden (Mobbing am Arbeitsplatz!). Die Zahl der in Deutschland von SBS betroffenen Menschen liegt nach vorsichtigen Schatzungen bei 1 Million. Diese Zahl verdeutlicht die Notwendigkeit gezielter Ma6nahmen, um dem Sick-Building-Syndrom vorzubeugen. Die haufigsten Ma6nahmen sind st~indiges Liiften in neuen oder frisch renovierten Gebauden und die Gewahrleistung einer giJnstigen Luftfeuchtigkeit. Sie sollte in ,,normalen" Btiroraumen zwischen 50...65%, in klimatisierten Raumen bei 70% liegen. Treten Anzeichen fiir ein SBS auf, sollten die Betroffenen einen Arzt ~ r Umweltmedizin konsultieren. Seine Aufgabe ist es, anhand chemischer Analysen von Proben aus dem Bi~ro oder den Wohnraumen, aber auch anhand von Fragen zum Betriebsklima oder zur Stimmung in der Familie einen Zusammenhang zwischen den Symptomen und potentiellen Ursachen zu finden. Das Sick-Building-Syndrom muss vom eher selten auftretenden Beschwerdebild ,,Building Related Illness" (BRI) klar abgegrenzt werden, obwohl es sich in beiden Fallen um gebaudebezogene GesundheitsstSrungen handelt. Beim BRI geht es um Beschwerden, die meist nur Einzelpersonen betreffen und die auf wohlbekannte Ursachen zurtickgeftihrt werden k/Snnen, z.B. auf Legionellen oder auf Schimmelpilze. Das SBS stellt dagegen ein kollektives Phanomen dar, das auf einen ganzen Ursachenkomplex zurtickge~hrt wird.
13
Recycling von Baustoffen
13.1
AIIgemeine Bemerkungen
So unterschiedlich wie die auf dem Bausektor eingesetzten mineralischen und nichtmineralischen Baustoffe (s. Kap. 8 -10), so unterschiedlich sind die Baureststoffe (Bauabf~ille), die am Ende der Nutzungsphase von Bauwerken, von Stra6en usw. anfallen. Baureststoffe stellen im Hinblick auf das Gesamt-Abfallaufkommen in der BRD (2002: ca. 381 Mio. t.) mit 241 Mio. t den grf6ten Anteil, nach Gewicht sind das etwa 65% und nach Volumen ca. 45...50% des Gesamtaufkommens lAB 21 ]. Der Anfall an Baureststoffen lag Mitte der 90er Jahre noch bei etwa 300 Mio. Tonnen. Der Riickgang zu heute wird auf eine absinkende Bautatigkeit zurtickgefiihrt. Der durch Recycling aufbereitete Anteil ist mit etwa 25% gleich geblieben. Die Verwendung von Recyclingrnaterialien schont nicht nur unsere Umwelt und unsere natiirlichen Ressourcen, sie hat sich auch MiRe der 90er Jahre in der Gesetzgebung niedergeschlagen. Am 07. Oktober 1996 trat das ,,Gesetz zur F6rderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltvertraglichen Beseitigung von Abf~illen (Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz, KrW-/AbfG)" in Kraft. Es regelt die Verpflichtung zur Abfallvermeidung und zur schadlosen Abfallverwertung. Eine Beseitigung von Abf~illen kommt nur dann in Betracht, wenn eine Verwertung technisch nicht m6glich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz formuliert die eindeutige Zielhierarchie: Vermeiden geht vor Verwerten und Verwerten geht vor Beseitigen. Zur Schonung der Ressourcen mtissen Abfalle von vornherein vermieden bzw. minimiert werden. Unvermeidbare Abf~ille sollen einer qualitativ hochwertigen Verwertung zugefiihrt werden. Nicht verwertbare Abfdlle sollen durch Behandlung oder Ablagerung beseitigt werden, wobei Vermeidung und Verwertung immer Prioritat vor der Beseitigung der Abf~ille haben. Damit
488
13 Recycling von Baustoffen
verbunden ist eine Ausweitung und Differenzierung des Abfallbegriffs in Abfiille ,,zur Verwertung" und solche ,,zur Beseitigung".
13.2
Recyclingbaustoffe" Charakterisierung und Einteilung
Recyclingbaustoffe sind Materialien, die bereits mindestens einmal als Baustoff eingesetzt worden sind und nun fiir eine weitere Baumagnahme verwendet werden sollen. Dabei k6nnen sie entsprechend dem neuen Verwendungszweck aufbereitet oder aber unaufbereitet eingesetzt werden. Recyclingbaustoffe fallen beim Rtickbau, beim Aufbruch und Ausbau yon Hoch- und Tiefbauten, von Straf~en und Flughafen, von Schienenwegen u.a. an. Es handelt es sich tiberwiegend um ungebundene Mineralstoffgemische, um hydraulisch gebundene oder bitumenhaltige Stoffe. Zu den ungebundenen Baustoffen z~ihlen Schotter und Gleisschotter, Werksteine aus Natursteinen, Mineralstoffgemische, ungebundene Tragschichten u.a. Sie k6nnen im Allgemeinen mit geringem Aufwand der Wiederverwendung im StraBenbau zugefiihrt werden, vorausgesetzt sie sind nicht schadstoffbelastet. Zu den hydraulisch gebundenen Baustoffen gehSren vor allem Beton, Stahlbeton, Fahrbahndecken, Bordsteine, Platten und zu den bitumenhaltigen Baustoffen vor allem Asphaltaufbruch und Fr~isgut. Der Begriff Baureststoffe ist unter Zugrundelegung des KrW-/AbfG sowie in Anlehnung an die Verordnung zur Einftihrung des Europ~iischen Abfallkatalogs (EAKV) vom 13.09.1996 gleichzusetzen mit der EWC (European Waste Catalogue)-Nr. 17: ,,Bau- und Abbruchabf'~lle". Sie werden unterteilt in: Bauschutt (EAK-Nr. 1701): Beton, Bliihton, Erdreich, Fliesen/Keramik, Gips, Kalkstein, Steinwolle und Ziegel. Bauschutt ist im Wesentlichen mineralisches Material, das vor allem bei BaumafJnahmen im Hoch- und Tiefbau anf'~illt. Er ist in der Regel heterogen zusammengesetzt und mitunter mit organischen Materialien verunreinigt. Bauschutt wird zur Zeit noch tiberwiegend deponiert. Straflenaufbruch (EAK-Nr. 1703): bitumenhaltige und hydraulisch gebundene
Stoffe, teerhaltige und mit Teer behandelte Stoffe, Pilaster- und Randsteine, Sand, Kies und Schotter. StrafAenaufbruch entsteht beim Rtickbau, Ausbau und der Instandsetzung von Stragen, Wegen oder verfestigten Flachen. Er besteht aus mineralischem Material, das entweder mit Bitumen oder Teer gebunden oder ungebunden beim Stral3enbau verwendet wurde. Stral3enaufbruch wird zu 60...70% wiederverwendet. Fiir die Verwertung von teerhaltigen Deck- und Binderschichten gelten gesonderte Vorschriften, s.u. Baustellenabf'tille (EAK-1707): Farben, Holz, Kabel, Kunststoffe, Lacke, Kleister,
Metall, Pappe und Papier. Baustellenabf~ille sind Baureststoffe, die bei Neubauten bzw. Sanierungen, dem Ausbau oder dem Abriss von Gebiiuden anfallen. Sie enthalten, wie die obige Aufz~ihlung zeigt, viele verschiedenartige Materialien. Erdaushub (EAK-Nr. 1705): Lehm/Ton, Mutterboden, Sand und Kies, Steine.
13.3 Anforderungen an Baustoffe aus Recyclingmaterial
489
Der Erdaushub kann unbelastet oder durch Schadstoffe belastet sein. Unbelasteter Erdaushub besteht aus nattirlichem oder bereits verwendetem Erd- oder Felsmaterial. Er F~illt bei nahezu allen Baut~itigkeiten an und muss als ein wertvolles Wirtschaftsgut betrachtet werden. Erdaushub wird praktisch vollst~indig wiederverwendet und nicht auf Deponien abgelagert. Ist der Erdaushub kontaminiert, f~illt er in den Bereich der Altlastensanierung. Je nach Reinheitsgrad und Zusammensetzung wird er im StrafSenbau, fiir Dammschiittungen oder fiJr L~irmschutzw~ille verwendet. Die einzelnen Gruppen waren prozentual am Gesamt-Baurestaufkommen 1997 (285 Mio. t) wie folgt beteiligt: Erdaushub 75,5%, StrafSenaufbruch 9,1%, Bauschutt 10,5% und Baustellenabf'dlle 4,9% [AB 22, 23]. Diese Aufteilung des Baurestaufkommens hat sich bis heute nicht wesentlich vedindert. Der hohe Anteil anfallender Baureststoffe macht deutlich, dass eine Wiederverwertung unabdingbar notwendig ist. Deponieraum in diesen GrSfSenordnungen ist nicht verfiigbar. Die in grofSen Mengen verwendeten ,,Massenbaustoffe" wie Kies, Sand, Schotter oder Splitt kSnnen, wenn sie z.B. als ungebundene Tragschichtmaterialien eingesetzt werden, unbedenklich durch Alternativmaterialien aus dem Recyclingbereich ersetzt werden. Allerdings findet in diesem Bereich angesichts der enormen Mengen anfallenden Bauschutts nur ein geringer Teil der aufgearbeiteten Baustoffe Wiederverwendung. Lediglich 3% des Betonabbruchmaterials dienen der Herstellung von neuem Beton. Der grSBte Teil wird im StrafSenbau oder im Tiefbau als Verfiillmaterial verwendet. Hier handelt es sich immer noch haupts~ichlich um ein Downeyeling anstelle von Recycling, d.h. vormals hSherwertige Baustoffe werden als minderwertigere Baustoffe wiederverwendet. Ein wichtiger Grund ~ r diese unbefriedigende Situation besteht darin, dass es sich bei dem Abbruchmaterial in den seltensten Fallen um eine Monocharge (Beton) handelt. Um ein qualitativ hochwertiges Recyclat zu erhalten, ist jedoch ein Betonbruch notwendig, der frei von stSrenden Stoffen ist und der eine hohe Sortenreinheit aufweist. Erster Schritt in Richtung qualitativ hochwertiger Recyclate ist eine entsprechende Vorsortierung des Bauschutts im Rahmen eines selektiven Abbruchs. Die jeweilige Aufbereitungstechnik h~ingt wesentlich vonder Art und der Zusammensetzung des Eingangsprodukts und der beabsichtigten Qualit~it (KSmung, Kornverteilung, Reinheit) des Endprodukts ab. Bauschuttaufbereitungsanlagen bestehen aus Zerkleinerungsanlagen (Brecher), Siebmaschinen, Magnetabscheidern, mechanischen Sortieranlagen (Windsichter, Schleuderbander), Einrichtungen zur manuellen Sortierung und FSrderanlagen zum Materialtransport. Zus~itzliche Schutzeinrichtungen wie Entstaubungsanlagen und Filter sind m6glich. Die Aufbereitungsanlagen kSnnen stationar und mobil betrieben werden. Details zum Aufbau und zur Arbeitsweise von Bauschuttaufbereitungsanlagen siehe [AB 25].
13.3
Anforderungen an Baustoffe aus Recyclingmaterial
Die Anforderungen an die Eigenschaften und die Nutzungsdauer von Bauwerken, die aus Recyclingbaustoffen errichtet wurden, miissen generell denen von Bauwerken entsprechen, fiir die konventionelle Baustoffe verwendet wurden. Verwendungskriterien fiir eine mSgliche Anwendung von Recyclingbaustoffen sind [AB 22]: 9
die technische Eignung (getrennte stoffliche, technische und technologische Eigenschaften des jeweils gtiltigen Regelwerkes)
490
13 Recycling von Baustoffen
Wirtschaftlichkeit gegentiber konventionellen Baustoffen Umweltvertraglichkeit. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz fordert die Abfallvermeidung und Ressourcenschonung und definiert allgemeine Anforderungen an die ordnungsgem~ifSe und schadlose Verwertung. Grunds~itzliche Verpflichtungen zur Verwendung von Recyclingmaterialien sind im Wasserhaushaltgesetz (WHG), im Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) und im Bundesimmissionsschutzgesetz (BimsSchG) festgelegt. Allerdings lassen sich aus diesen Gesetzen keine konkreten Anforderungen an die Baustoffe ableiten. Hier sind die bundeseinheitlichen Regelungen der L~inderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA, [AB 24]) ,,Anforderungen an die stoffliche Verwertung von mineralischen Reststoffen/Abfgillen" maBgebend. Dieses Regelwerk trat 1997 in Kraft und beurteilt anhand des im Feststoff oder im Eluat gemessenen Schadstoffgehaltes die M6glichkeit der Wiederverwendung aufbereiteter Baustoffe mit Schwerpunkt Bodenaushub, StraBenaufbruch und Bauschutt. Die Baureststoffe werden auf der Grundlage bestimmter Zuordnungswerte in sechs Einbauklassen eingeteilt (Abb. 13.1). Materialien der Klassen Z0 bis Z2 sind grunds~itzlich ~ r den Erd-, StraBen-, Landschaftsbau u.a. wiederverwendbar. Fiir Recyclingmaterialien der Klassen Z3 bis Z5 ist ein Wiedereinbau nicht zugelassen. Die Festlegung der zul~issigen Einbauklasse erfolgt nach Verwendungszweck und Einbauort durch die zust~indige UmweltbehSrde. Die Zuordnungswerte werden auf der Grundlage der gemessenen Schadstoffgehalte ermittelt. Neben Arsen (Z0 = 20) werden in den Feststoffen die Schwermetalle Blei (100), Cadmium (0,6), Chrom (50), Kupfer (40), Nickel (40), Quecksilber (0,3) und Zink (120), Kohlenwasserstoffe H18 (IR-spektroskopische Bestimmung von KW nach DIN 38409-H18; Z0 = 100), polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, PAK (1) und polychlorierte Biphenyle/PCB (0, 02) bestimmt. In Klammern stehen jeweils die vonder LAGA in den Technischen Regeln II. 1.4 Bauschutt festgelegten Zuordnungswerte (Z0) ,,Feststoffe fiir Boden", alle Z0-Werte sind in mg/kg angegeben. In den Eluaten ermittelt man zus~itzlich die Sulfat- und die Chloridkonzentration sowie die elektrische Leitf'~ihigkeit und den pH-Wert. Z0
Z1
Z2
Zuordnungswert (Obergrenze der Einbauklasse)
Z3
Z4
Z5
Einbau/Ablagerung in Deponien =,.._ v
uneingeschr~inkter Einbau
eingeschr&nkter oftener Einbau
eingeschr~inkter Einbau mit definierten techn. Sicherungsmal~nahmen
Deponieklasse 1 (TA SieAbfall)
Deponieklasse 2 (TA SieAbfall)
Sonderabfalldeponie (TA Abfall)
Abbildung 13.1 Einbauklassenmit den dazugeh0rigen Zuordnungswerten (Quelle: LAGA) Die Zuordnungswerte Z0 bis Z2 sind als Obergrenze der jeweiligen Einbauklasse definiert. Z0 bedeutet uneingeschr~inkten Einbau, Z1 steht fiir offenen, eingeschr~inkten Einbau und
13.4 Bitumen- und pechhaltige Recyclingbaustoffe
491
Z2 fiir eingeschrankten Einbau mit definierten technischen Sicherheitsmagnahmen. Somit werden fiir die Einbauklasse Z0 die geringsten und fiir die Einbauklasse Z2 die h6chsten Anforderungen gestellt. Die Einbauklasse Z1 wurde nochmals unterteilt in Z I.1 (ungiinstige hydrogeologische Voraussetzungen) und Z1.2 (giinstige hydrogeologische Voraussetzungen). Grunds~itzlich gelten die Z1.1-Werte. Recyclingbaustoffe mit Z1.2-Werten dtirfen lediglich in hydrogeologisch gtinstigen Gebieten (Abstand zum h6chsten Grundwasserstand mind. 1 m; keine Wasserschutz- und Naturschutzgebiete) eingebaut werden, soweit dies die landesspezifischen Regelungen erlauben. Fiir die Zuordnungswerte Z2 gelten bereits sehr umfangreiche Auflagen und Einschr~inkungen. Weitere Details siehe [AB 24]. Fiir Recyclingbaustoffe wie auch Fdr zahlreiche industrielle Nebenprodukte existieren schon seit langem Technische Lieferbedingungen (TL) sowie Merkblatter, in denen bautechnische Anforderungen und Mindestanforderungen an wasserwirtschaftliche Parameter festgelegt sind. Die L~indergemeinschaft Abfall hat die oben erl~iuterten Empfehlungen fiJr die Verwendung solcher StraBenbaustoffe erarbeitet. Als Konsequenz der unterschiedlichen Umweltvertr~iglichkeit der genannten Stragenbaustoffe erarbeitete die Forschungsgesellschaft fiir Stragen- und Verkehrswesen (FGSV) Richtlinien f'tir die umweltvertr~igliche Anwendung von industriellen Nebenprodukten und Recyclingbaustoffen im StrafSenbau (RuA-StB 01, Ausgabe 2001). Diese Richtlinien berticksichtigen neben der wasserwirtschaftlichen Vertr~iglichkeit die Vorgaben des Bundesbodenschutzgesetzes im Hinblick auf den Einsatz von Recyclingbaustoffen und Nebenprodukten.
13.4 Bitumen- und pechhaltige Recyclingbaustoffe Bei StrafSenbel~igen geht man von einer durchschnittlichen Lebensdauer von 20...30 Jahren aus. Damit fallen durch st~indige Erneuerung und Reparatur von Stragen grol3e Mengen an Altasphalt und Fr~isgut an. Eine Wiederverwendung ist dringend anzustreben. Den bei Baumagnahmen von Stragen und Verkehrsfl~ichen zuriick gewonnenen Asphalt bezeichnet man als Ausbauasphalt. Er kann als FrOsasphalt (durch Fr~isen kleinstiickig gewonnen) oder als Aufbruchasphalt (durch Aufbrechen und Aufnehmen in Schollen gewonnen) anfallen. Die Wiederverwertung von Asphalten ist in den technischen Vorschriften ZTV Asphalt-StB und ZTVT-StB geregelt. Ausbauasphalte kOnnen a) entweder Bitumen oder b) Pech/Teer als Bindemittel enthalten. Dass Bitumen und Peche (Teerpeche) sich nicht nur chemisch, sondern auch in ihrer Wirkung auf die Umwelt signifikant unterscheiden, wurde bereits in Kap. 10.3 besprochen. J~ihrlich fallen in der Bundesrepublik Deutschland etwa 15 bis 16 Mio. t Ausbauasphalt an, etwa 12 Mio. t werden wieder verwendet. Bei (Bitumen)Asphalten geht die Entwicklung in Richtung einer fast 100%igen Wiederverwendung in Asphalt-Heigmischanlagen. Die Asphaltbefestigung wird durch Fr~isen und/oder Aufbrechen abgetragen und in Heigmischanlagen gezielt mit zus~itzlichem Mischgut verarbeitet (ln Plant). Dabei kSnnen Asphalte hoher Qualitat produziert werden. Im ,,Merkblatt fiir die Erhaltung von Asphaltstragen, Teil B: Bauliche MaBnahmen-Rtickformen der Fahrbahnoberfl~iche" ist die Wiederverwendung von Asphalt ,Nor Oft" (In Place) geregelt. Sie kann nach 3 Verfahren erfolgen:
492
13 Recycling von Baustoffen
9 9 9
RiJckformen der Fahrbahnoberfl~iche ohne Zugabe von zusatzlichem Material (Reshape) Riackformen der Fahrbahnoberfl~iche mit Zugabe von Material far eine zus~itzliche Beschichtung- ohne Mischen (Repave) RiJckformen der Fahrbahnoberfl~iche unter Zugabe von zusatzlichem Material, Vermischen von bereits vorhandenem mit neuem Asphaltmaterial (Remix).
Bei diesen drei Verfahren ist die Mfglichkeit einer Qualit~itsverbesserung ziemlich beschrankt. Das in der Praxis bevorzugte Verfahren ist das Rtickformen mit Mischgutzugabe und Mischen (Remix).
Pechhaltige Asphalte. Bis 1987 wurden im StraBenbau und bei der Bauwerksabdichtung Steinkohlenteerpeche (Peche) verwendet. Damit fallen j~ihrlich groBe Mengen pechhaltiger Ausbauasphalte an, fiir deren Wiederverwertung aus Gdinden des Umweltschutzes besondere Bedingungen einzuhalten sind (,,Merkblatt flit die Wiederverwendung pechhaltiger Ausbaustoffe im StraBenbau unter Verwendung von Bitumenemulsionen" (1993) sowie ,,Merkblatt fiir die Verwendung von Asphaltgranulat und pechhaltigen StraBenbaustoffen in Tragschichten mit hydraulischen Bindemitteln" (2002)). Teere und Peche enthalten einen relativ hohen Anteil an krebserzeugenden polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen und an Phenolen. Diese Substanzen k6nnen als Dampfe emittiert oder durch W/isser eluiert werden. Da die Emission mit steigender Temperatur zunimmt, ist die fiir Ausbauasphalte iibliche Wiederverwendung im HeiBmischverfahren (s.o.) unter 6kologischen und arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten abzulehnen. Die Aufarbeitung pechhaltigen StraBenaufbruchs sollte auf kaltem Wege erfolgen. Dazu wurden Verfahren entwickelt, bei denen pechhaltige Ausbauasphalte mit Bitumenemulsionen oder hydraulischen Bindemitteln (oder Kombinationen beider) gebunden werden. Die auf diese Weise aufbereiteten Ausbaustoffe k6nnen als untere Tragschichten (oberhalb der Frostschutzgrenze), als kapillarbrechende Schicht und unterhalb von bitumenhaltigen Oberbauschichten, die eine wasserdichte Abdeckung gew/ihrleisten sollen, eingebaut werden [AB 22]. Der Einsatz von teerhaltigem StraBenaufbruch verbietet sich in wasserwirtschaftlich sensiblen Bereichen wie Grundwasserschutz- und Oberschwemmungsgebieten.
13.5
Baustoffrecycling heute" Eine kritische Bestandsaufnahme
Als das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 1996 in Kraft trat, wurde der Grundsatz ,,Vermeiden vor Verwerten vor Beseitigen" als iibergeordnetes Ziel fiir Wirtschaft und Politik verbindlich festgeschrieben. Die verst~irkte F6rderung der Kreislaufwirtschaft zur Schonung unserer natiirlichen Ressourcen wurde als Hauptanliegen des neuen Gesetzes formuliert. Betrachtet man die aktuelle Situation auf dem Gebiet des Baustoffrecycling heute kritisch, so zeigt sich, dass das KrW-/AbfG nur wenig bewirkt hat. Sein untergeordnetes Regelwerk wird in den verschiedenen Bundesl~indem unterschiedlich ausgelegt und wissenschaftlich f r a ~ r d i g e ,,Besorgnisgrunds~itze" in Verbindung mit nicht einzuhaltenden Grenzwerten hebeln den Verwertungsanspruch aus [AB 26]. Zu den Leidtragenden dieses 6kologischen (und btirokratischen) Konflikts geh6rt in erster Linie die Bauwirtschaft. Laut Arbeitsgemeinschaft Kreislaufwirtschaftstr/~ger Bau (ARGE KWTB), eine
1995 gegriindete freiwillige Brancheninitiative, die die (Kreislaufwirtschafts)-Interessen aller am Bau Beteiligten vertritt, fallen die Auswirkungen drastisch aus: 9
9
9
9
Verwertbare Abfiille werden auf kommunal gefiihrten ,,Billig"-Deponien (die es nach den urspriinglichen Zeithorizonten der TA Siedlungsabfall heute gar nicht mehr geben sollte!) entsorgt. Technisch gut ausgestattete und nach hSchsten Umweltstandards arbeitende Recyclingfachbetriebe werden in die Insolvenz getrieben. Damit verliert die deutsche Bauwirtschaft wertvolles, fiber zwei Jahrzehnte entwickeltes Know-how im Recyclingbereich- und dariiber hinaus Arbeitspl~itze. GroBe Mengen gtitetiberwachter Recyclingbaustoffe lagern auf Halde, da ihre Verwendung durch Bewertungsmodelle blockiert wird, die sich auf z.T. nicht nachvollziehbare Grenzwerte sttitzen. Bauausfiihrende Firmen werden nach willkiirlichem Ermessen zu Abfallerzeugern erkl~irt. Indem man diesen Unternehmen ungerechtfertigt Verantwortung, Pflichten, Risiken und zus~itzliche Kosten tibertdigt, treibt man auch sie ins Aus.
In ihrem 2003 publizierten Positionspapier fordert die Arbeitsgemeinschaft Kreislaufwirtschaftstr~iger Bau, das tiberdimensionierte und z.T. widerspriichliche Ordnungsrecht auf ein anwendungsorientiertes MaB zu reduzieren und f'tir die Behandlung von Baureststoffen ein bundesweit einheitliches und praktikables System zu etablieren [AB 26]. Im Sinne einer akzeptierten Kreislaufwirtschaft muss nach einem qualit~itsgepriiften Recyclingprozess den Baustoffen der Produktstatus zugesprochen werden. Recycelte Baustoffe sind keine Abf~ille mehr. Die Beibehaltung des Abfallstatus fiar Recyclingbaustoffe bis zu ihrem Einbau ist in der Praxis schwer vermittelbar und wirkt sich prinzipiell negativ auf ihren Absatz aus. Kreislaufwirtschaft im Bauwesen bedeutet Bauen, Riickbauen und verwertungsorientiertes Recycling. Kreislaufwirtschaft ist praktizierter Umweltschutz, da durch das Recycling und die Wiederverwendung von Baureststoffen nattirliche Ressourcen geschont werden. Wer eine Wiederverwertung giitetiberwachter Recyclingbaustoffe - durch welche MafSnahmen auch i m m e r - verhindert, versiindigt sich an unserer Umwelt und damit an nachfolgenden Generationen.
14 14.1
Bauchemisch interessante Neuentwicklungen Latentw irmespeicher in Baustoffen
An heiBen Sommertagen ist es in Geb~iuden mit dickem Mauerwerk und schmalen Fenstem (z.B. alte Kirchen) oder mit frei liegenden, massiven Betonw~inden oft angenehm kiihl. Dieser ,,Kiihleffekt" geht auf die hohe W~irmekapazit~it der Baustoffe zuriick. Die massiven, frei liegenden Geb~iudeteile fungieren als W~irmepuffer. Sie nehmen tagstiber W~irme auf und geben diese in der Nacht wieder ab. Anders verh~ilt es sich in Geb~iuden aus Materialien mit geringer W~irmekapazit~it, z.B. Bauteilen aus Holz oder Gipskartonplatten. Hier kommt es im Sommer zu einem raschen Temperaturanstieg. Dieses Aufheizen ist aber auch in Biirogeb~iuden zu beobachten, in denen neben Zwischenw~inden aus unterschiedlichen Materialien zwar Gebaudeteile aus Beton existieren, der thermische Kontakt mit der Raumluft jedoch durch TeppichbSden oder Verkleidungen unterbunden ist. Eine L6sung flir dieses Problem stellen die Latentw~irmespeicher dar. Durch diese Stoffe kann der tempera-
1995 gegriindete freiwillige Brancheninitiative, die die (Kreislaufwirtschafts)-Interessen aller am Bau Beteiligten vertritt, fallen die Auswirkungen drastisch aus: 9
9
9
9
Verwertbare Abfiille werden auf kommunal gefiihrten ,,Billig"-Deponien (die es nach den urspriinglichen Zeithorizonten der TA Siedlungsabfall heute gar nicht mehr geben sollte!) entsorgt. Technisch gut ausgestattete und nach hSchsten Umweltstandards arbeitende Recyclingfachbetriebe werden in die Insolvenz getrieben. Damit verliert die deutsche Bauwirtschaft wertvolles, fiber zwei Jahrzehnte entwickeltes Know-how im Recyclingbereich- und dariiber hinaus Arbeitspl~itze. GroBe Mengen gtitetiberwachter Recyclingbaustoffe lagern auf Halde, da ihre Verwendung durch Bewertungsmodelle blockiert wird, die sich auf z.T. nicht nachvollziehbare Grenzwerte sttitzen. Bauausfiihrende Firmen werden nach willkiirlichem Ermessen zu Abfallerzeugern erkl~irt. Indem man diesen Unternehmen ungerechtfertigt Verantwortung, Pflichten, Risiken und zus~itzliche Kosten tibertdigt, treibt man auch sie ins Aus.
In ihrem 2003 publizierten Positionspapier fordert die Arbeitsgemeinschaft Kreislaufwirtschaftstr~iger Bau, das tiberdimensionierte und z.T. widerspriichliche Ordnungsrecht auf ein anwendungsorientiertes MaB zu reduzieren und f'tir die Behandlung von Baureststoffen ein bundesweit einheitliches und praktikables System zu etablieren [AB 26]. Im Sinne einer akzeptierten Kreislaufwirtschaft muss nach einem qualit~itsgepriiften Recyclingprozess den Baustoffen der Produktstatus zugesprochen werden. Recycelte Baustoffe sind keine Abf~ille mehr. Die Beibehaltung des Abfallstatus fiar Recyclingbaustoffe bis zu ihrem Einbau ist in der Praxis schwer vermittelbar und wirkt sich prinzipiell negativ auf ihren Absatz aus. Kreislaufwirtschaft im Bauwesen bedeutet Bauen, Riickbauen und verwertungsorientiertes Recycling. Kreislaufwirtschaft ist praktizierter Umweltschutz, da durch das Recycling und die Wiederverwendung von Baureststoffen nattirliche Ressourcen geschont werden. Wer eine Wiederverwertung giitetiberwachter Recyclingbaustoffe - durch welche MafSnahmen auch i m m e r - verhindert, versiindigt sich an unserer Umwelt und damit an nachfolgenden Generationen.
14 14.1
Bauchemisch interessante Neuentwicklungen Latentw irmespeicher in Baustoffen
An heiBen Sommertagen ist es in Geb~iuden mit dickem Mauerwerk und schmalen Fenstem (z.B. alte Kirchen) oder mit frei liegenden, massiven Betonw~inden oft angenehm kiihl. Dieser ,,Kiihleffekt" geht auf die hohe W~irmekapazit~it der Baustoffe zuriick. Die massiven, frei liegenden Geb~iudeteile fungieren als W~irmepuffer. Sie nehmen tagstiber W~irme auf und geben diese in der Nacht wieder ab. Anders verh~ilt es sich in Geb~iuden aus Materialien mit geringer W~irmekapazit~it, z.B. Bauteilen aus Holz oder Gipskartonplatten. Hier kommt es im Sommer zu einem raschen Temperaturanstieg. Dieses Aufheizen ist aber auch in Biirogeb~iuden zu beobachten, in denen neben Zwischenw~inden aus unterschiedlichen Materialien zwar Gebaudeteile aus Beton existieren, der thermische Kontakt mit der Raumluft jedoch durch TeppichbSden oder Verkleidungen unterbunden ist. Eine L6sung flir dieses Problem stellen die Latentw~irmespeicher dar. Durch diese Stoffe kann der tempera-
494
14 Bauchemisch interessante Neuentwicklungen
mrausgleichende Effekt dicker Wande auf nur wenige Millimeter dicke Putzschichten iibertragen werden. 14.1.1
Latentwiirmespeicher: Funktionsprinzip - Materialien
Bei der Speicherung von W~irme tritt gew6hnlich im Speichermaterial eine Temperaturerh6hung auf. Diese Temperaturerh~Shung verh~ilt sich zur gespeicherten W~irmemenge proportional (Abb. 14.1). Da die gespeicherte W~irme zu fiihlen ist, wird diese Form der W~irmespeicherung als fiihlbare oder sensible Wi~rmespeicherung bezeichnet. Bei der latenten Wi~rmespeicherung wird die W~irme dagegen von einem Material gespeichert, bei dem ein Phasentibergang, z.B. vom festen in den fltissigen Zustand, erfolgt. Man spricht von Phasenwechselmaterialien (engl. Phase Change Materials, PCM). Nach dem Erreichen der Phasentibergangstemperatur bleibt die Temperatur trotz weiterer W~irmezufuhr solange konstant, bis das Speichermaterial vollst~indig geschmolzen ist (Abb. 14.1). Erst dann steigt die Temperatur weiter an. Die w~ihrend des Phasentibergangs eingespeicherte W~irme bezeichnet man als ,,versteckte" oder latente W~irme. S
Abbildung 14.1 Temperaturverhalten eines sensiblen
#.
Temperatur des
PhasenObergangs
99
9
(gestrichelte Kurve) und eines latenten (durchgezogene Kurve) W~rmespeichers.
atente W~rme des
PhasenObergangs eingespeicherte W~rmemenge
Ftir den Phasentibergang fest-fliissig entspricht die latente W~irme der Schmelz- oder Kristallisationsw~irme (Kap. 4.2.1). Latentw~irmespeicherung ist ein aus dem Alltag gut bekanntes Phanomen, z.B. von sogenannten W~irmekissen. Sie enthalten meist tibers~ittigte L/Ssungen von Natriumacetat-Trihydrat (CH3COONa 9 3 H20). Diese tibers~ittigten L~Ssungen stellen den ,,geladenen Zustand" des W~irmekissens dar. Chemisch handelt es sich bei der Salzl~Ssung um ein metastabiles System. Erst durch ,,AnstoBen" wird der metastabile Zustand gest6rt. Das Natriumacetat kristallisiert schlagartig aus und das System gibt (latente) W~irme an die Umgebung ab. Dabei handelt es sich sowohl um Kristallisations- als auch um Salzhydratbildungsw~irme. Durch das AnstoBen, z.B. durch Bewegung eines Stahlklickers oder durch Biegen eines Metallstreifens bzw.-pl~ittchens, werden aktive Stellen erzeugt. Wahrscheinlich handelt es sich um Mikrorisse im Metall, die als Kristallisationskeime wirken k(innen. Das neuerliche ,,Aufladen" erfolgt im heiBen Wasser, wobei das feste Salzhydrat wieder in eine tibers~ittigte L6sung tibergeht. Ein zweites Beispiel fiar Latentwarmespeicherung stellt die Speicherung von Kalte im Eis dar. Der Vorteil der latenten gegeniiber der sensiblen W~irmespeicherung besteht vor allem in der hohen Speicherdichte. In einem relativ kleinen Temperaturbereich kann eine groBe W~irmemenge gespeichert werden. Das soll am Beispiel des Wassers verdeutlicht werden:
14.1 Latentw~irmespeicher in Baustoffen
495
FiJhrt man einem EiswiJrfel W~irme zu, betragt die Temperatur solange 0~ bis das Eis vollst~indig geschmolzen ist. Mit der ftir den Schmelzvorgang ben6tigten W~irme liege sich die gleiche Wassermenge anschliefSend von 0~ auf 80~ erw~irmen. 500
q>
I
I (b
I
(b
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400
-
Wasser
I
Abbildung 14.2
I I
Typische Phasen0bergangstemperaturen yon Materialien for die Latentw~rmespeicherung.
I
P
300
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I I I I
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I I I I
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I I I I
-100
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Schmelztemperatur(~ Latentw~rmespeicher k6nnen in einem groBen Temperaturbereich verwendet werden. Je nach Phasenumwandlungstemperatur und Anwendungsbereich werden Stoffe unterschiedlichster Substanzklassen als Phasenwechselmaterialien (PCM) verwendet (Abb. 14.2). FUr die K~ltespeicherung (Temperaturen < 0~ sind Wasser und w~tssrige Salzl6sungen geeignet. Im Bereich h6herer Temperaturen (bis 120~ finden Paraffine, Salzhydrate (Hydrate) und Salzhydratmischungen Anwendung. Wie aus Abb. 14.2 zu ersehen, sind die Phasenumwandlungsbereiche von Salzhydraten und Salzhydratmischungen denen der Paraffine sehr ahnlich, die gespeicherten Warmemengen tibertreffen jedoch die der Paraffine deutlich. Trotzdem kommen in den Baustoffen bisher ausschlieBlich Paraffine zum Einsatz, da es gegenw~rtig noch nicht gelungen ist, eine f~r praktische Anwendungen befriedigende Mikroverkapselung der Salzhydrate (s.u.) zu entwickeln.
14.1.2
Anwendungen von PCM auf dem Bausektor
Bei den auf dem Bausektor eingesetzten PCM-Materialien handelt es sich gegenwartig vor allem um Paraffine (Paraffinwachse). Darunter versteht man wachs~hnliche, mitunter dickfltissige Massen aus einem Gemisch langkettiger ges~ttigter Kohlenwasserstoffe (Kap. 10.1.1.1). F~r Anwendungszwecke werden die Paraffine in Kunststoff-Mikrokapseln eingebracht (O der Kapseln 5...20 ~m). Dazu wird das geschmolzene Paraffin zun~ichst unter Rtihren in Wasser rein verteilt, wobei sich sehr kleine Paraffintr/Spfchen bilden. Um jedes dieser Tr6pfchen wird anschliegend in einer ,,In-situ-Synthese" (Synthese am Ort des Tr/Spfchens) aus Polymervorprodukten eine feste, sehr diinne Kunststoffwand erzeugt (Mikrokapsel). Durch diese Mikroverkapselung ergeben sich eine Reihe von Vorteilen: Die Paraffine k/Snnen nicht in den Baustoff gelangen und eventuell dessen Eigenschaften negativ beeinflussen.
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14 Bauchemisch interessante Neuentwicklungen
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Die Gesamt-Paraffinoberflache ist aufgrund der geringen Gr6Be der Kapseln sehr groB, damit wird ein optimaler W~irmeaustausch zwischen PCM und Baustoff erm6glicht. Mikroverkapseltes Paraffin ist wie ein Pulver leicht und vielseitig einsetzbar, z.B. in Innenputzen und Spachtelmassen.
Steigt die Umgebungstemperatur an, wird der Paraffinwachs fltissig und W~irme wird gespeichert. F~illt die Temperatur wieder ab, wird der Wachs emeut lest und W~irme wird an die Umgebung abgegeben. In den vergangenen Jahren wurde der Einsatz von PCM im Bereich Baustoffe intensiv untersucht. In zwei vom Bundesministerium fiir Wirtschaft und Arbeit (BMWA) mit relativ hohem finanziellen Aufwand get~Orderten Verbundprojekten stand der Einsatz von mikroverkapselten Paraffinen in unterschiedlichen handelstiblichen Baustoffen im Mittelpunkt des Interesses. An diesen Untersuchungen waren neben dem Fraunhofer-Institut ftir Solare Energiesysteme und dem Bayerischen Zentrum fiir Angewandte Energieforschung (ZAE Bayem) auch Firmen der Baustoffbranche beteiligt. Obwohl die Kombination BaustoffePCM-Materialien auf den ersten Blick recht einfach und unspektakul~ir erscheint, sind doch eine Reihe von Anforderungen zu erfiillen. Neben einem ausreichenden Brandschutz (Paraffine sind brennbar!) muss die mechanische Festigkeit der PCM-Materialien gegeben sein. Die Mikrokapseln (Abb. 14.3) dtirfen weder beim Einmischen noch bei der Bearbeitung des Putzes zerst6rt werden. Des Weiteren muss der erh~irtete Baustoff eine nahezu beliebig hohe Anzahl von Schmelz-/Erstarrungszyklen iiberstehen, ohne dass er in seiner Stabilit~it beeintrachtigt wird. Abbildung 14.3 REM-Aufnahme eines PCM-haltigen Gipsputzes: Die Mikrokapseln sind deutlich zu erkennen. Quelle: Fraunhofer-lnstitut for, Solare Energiesysteme.
Im Rahmen des Leitprojekts ,,Innovative PCM-Materialien" (BMWA) wurde 2003 vonder Fa. Knauf eine Latentw~irmespeicherplatte fiir den Innenausbau entwickelt. Die Gipsplatte enth~ilt 30% mikroverkapseltes Paraffin. Anstelle von Karton wurde Glasvlies verwendet. Leider liegen sowohl die Schalttemperatur (28~ als auch die Kosten ftir die PCM-Materialien derzeit noch zu hoch, damit sich diese PCM-Gipsplatte auf den Markt durchsetzen kann. Im Februar 2005 brachte die Fa. maxit Deutschland GmbH den PCM-haltigen Gipsputz ,,maxit clima" auf den Markt. Die eingesetzten mikroverkapselten Paraffine sind auf eine Phasenwechseltemperatur von 24...26~ eingestellt. Laut Hersteller nimmt der Spezialputz fiinfmal mehr W[irme auf als ein herk6mmlicher Innenputz. Eine 1,5 cm dicke Putzschicht mit ,,maxit clima" weist demnach etwa die gleiche W~irmespeicherkapazit~it auf wie eine 7 cm dicke Gipsdielenwand. Wichtig ist, dass die durch sommerliche Uberhitzungsef-
14.2 Titandioxid-Photokatalyse und Baustoffe
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fekte ,,aufgeladene" PCM-Putzschicht durch Nachtltiftung wieder ,,entladen" wird. Da Paraffine brennbar sind, wurde der PCM-Gipsputz wie auch die Knauf-Latentw~irmespeicherplatte in die Brandschutzklasse B2 eingestuft. Durch Aufbringen einer feuerhemmenden Beschichtung (D~immschicht) erfiillen beide Baustoffe die Anforderungen der Brandschutzklasse B 1.
14.2
Titandioxid-Photokatalyse und Baustoffe
Oberfl~ichen, die Schmutz abweisen und die Eigenschaft besitzen, sich selbst zu reinigen, Oberfl~ichen, die Umweltschadstoffe - ob in belasteten W~issem oder in der Atmosph~ire abbauen und Oberfl~ichen, die krankheitsauslSsende bakterielle Keime bek~impfen k5nnen sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts keine Visionen mehr. Sie werden gegenw~irtig nach Jahren umfassender Grundlagenforschung schrittweise aus der Erprobungsphase in die Praxis iiberRihrt. Dass der Einsatz selbstreinigender und schadstoffzersetzender Oberfl~ichen auch fiir den Bereich des Bauwesens nicht nur von wissenschaftlichem, sondem auch von hohem kommerziellen Interesse ist, liegt auf der Hand. Das Wirkprinzip, welches hinter dem Selbstreinigungseffekt steht, ist die Photokatalyse.
14.2.1
Titandioxid-Photokatalyse: Prinzip ,,
Bei der Photokatalyse erfolgt die Anderung der Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion mittels Licht in Anwesenheit einer Substanz (Photokatalysator), die Lichtquanten absorbiert und in die chemische Reaktion der Reaktionspartner involviert ist (IUPAC 1997). Der Photokatalysator regeneriert seine chemische Zusammensetzung nach jedem Zyklus der Wechselwirkung mit den Reaktanden. Bei der heterogenen Photokatalyse dienen Halbleiterpartikeln, wie z.B. ZnO, ZnS, CdS, Fe203 und TiO2, als Katalysatoren. Sie sind durch ihre besondere elektronische Struktur in der Lage, lichtinduzierte Redoxprozesse auszul/5sen. Von den als Photohalbleiter ftir praktische Zwecke in Frage kommenden Ubergangsmetalloxiden und-sulfiden erwies sich Titandioxid (TiO2) aufgrund seiner hohen Photoaktivit~it hinsichtlich chemischer Umwandlungsreaktionen und der Nutzung von Sonnenenergie als der effektivste und am besten geeignete Halbleiter [BC 18, 19]. TiO2 ist preiswert herstellbar und nicht toxisch. Man ben6tigt keine erhtihten Temperaturen und keinen hohen Druck, d.h. die Titandioxid-Photokatalyse Riuft bei milden Bedingungen - Umgebungstemperatur und Normaldruck- ab. **
Titandioxid kommt in drei kristallinen Modifikationen vor, dem Rutil, dem Anatas und dem Brookit. Die thermodynamisch stabile Rutil-Modifikation findet als WeiBpigment breite Anwendung fiir Farben, Lacke, Kunststoffe und Keramiken sowie in der Lebensmittelindustrie. Anatas ist thermodynamisch instabil, kinetisch jedoch stabil. Die Anatas-Modifikation findet aufgrund der im Vergleich zum Rutil deutlich erhOhten Photoaktivit~it nur sehr begrenzt technische Anwendung. Fiir einen Einsatz als Photokatalysator ist Anatas geradezu pr~idestiniert. Abb. 14.4 zeigt das Energieschema eines Halbleiterteilchens in der Darstellungsweise des Energieb~indermodells. Bestrahlt man TiO2-Partikel mit UV-Strahlung der WellenRinge Z. < 390 nm (dieser Wert entspricht der Energie der Bandliicke zwischen Valenz (VB)- und Leitungsband (LB) des TiOJAnatas, Eg = 3,2 eV), so reicht die Energie hv der Photonen aus, um die Bandliicke zu tiberwinden. Es erfolgt der Obergang eines Elektrons in das Lei-
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14 Bauchemisch interessante Neuentwicklungen
tungsband (e-LB), wobei im Valenzband ein Defektelektron (auch ,,Loch", h+va) zuriickbleibt (G1. 14-1). (14-1)
TiO2 + hv ---- h+vB + e-LB
Liegen die Redoxpotentiale potentieller Akzeptormolektile (A) und Donormolektile (D) innerhalb der Bandliicke des Halbleiters, kann eine Redoxzersetzung erfolgen.
Abbildung 14.4 Dancl
,(~
"~
E
Reduktion
A
Energieniveauschema eines Halbleiterteilchens (Energieb~ndermodell)
D
~
Oxidation D§9
Die an die Partikeloberflache migrierten Elektron-Loch-Paare k/Snnen, falls sie nicht vorher rekombinieren, auf direktem Wege adsorbierte organische Molektile zersetzen. Eine zweite M6glichkeit des Schadstoffabbaus kann fiber intermedRir gebildete Radikale erfolgen. Durch die hohe Oxidationskraft der L6cher im Valenzband kann Wasser in einem Einelektronenschritt zum Hydroxylradikal "OH oxidiert werden. OH-Radikale geh/Sren zu den effektivsten Oxidationsmitteln der Atmosph~ire, ihre Oxidationskraft tibertrifft die des Chlors und Ozons. Die photolytisch erzeugten Elektronen sind dagegen in der Lage, adsorbierten Sauerstoff zu Superoxidionen O2-" zu reduzieren. Aus den Superoxidionen k6nnen im Resultat unterschiedlicher Sekundarprozesse Wasserstoffperoxid (H202), Peroxyradikale (HO2~ und wiederum Hydroxylradikale entstehen (Details s. [BC 19]).
14.2.2
Schadstoffzersetzung und Ultrahydrophilie
Bereits Anfang der 30er Jahre (!) des vergangenen Jahrhunderts wurde fiber das Ausbleichen von Farben auf der Basis von Titandioxid unter Sonneneinstrahlung berichtet [BC 20], erste systematische Untersuchungen erfolgten zu Beginn der 50er Jahre. In den 80er Jahren erkannte man schlieBlich die Bedeutung von TiO2 fiir die Mineralisierung organischer Verbindungen. Die organischen Verbindungen werden bei einer vollstandigen Mineralisierung in L6sung ,,verbrannt" und in CO2 und H20 abgebaut. Im Fall von Halogenkohlenwasserstoffen entstehen zus~itzlich Halogenwasserstoffs~iuren. In den folgenden, vor allem aber in den 90er Jahren erschien eine groBe Anzahl von Publikationen, die den Abbau einer Vielzahl umweltrelevanter Verbindungen (halogenierte Kohlenwasserstoffe, Phenole, Pflanzenschutzmittel, Schwefelverbindungen, Farbstoffe, Polymere usw.) in w~issriger L6sung zum Inhalt hatten [BC 18]. Diese Erkenntnisse wurden und werden bei der solarkatalytischen Wasserreinigung genutzt.
14.2 Titandioxid-Photokatalyse und Baustoffe
499
Uber ein zweites faszinierendes Ph~inomen, das vSllig unabhiingig vom gerade beschriebenen photoinduzierten Schadstoffabbau existiert, wurde 1997 von Watanabe und Mitarbeitern berichtet [BC 21]: Eine Titandioxid-Oberfl~iche wird bei UV-Einstrahlung ultrahydrophil (Kontaktwinkel a < 1o ). Das Wasser fliefSt auseinander und bildet einen fliissigen Film. Unterbricht man die UV-Bestrahlung, bleibt der niedrige Kontaktwinkel fiar einen, maximal zwei Tage erhalten, steigt dann jedoch langsam wieder an. Die Oberfliiche wird wieder hydrophober. Die Ultrahydrophilie kann durch erneute UV-Bestrahlung wiedererlangt werden. Die Ursache ftir dieses ungew6hnliche Verhalten liegt in der besonderen Oberfl~ichenchemie begrtindet: In Gegenwart von Feuchtigkeitsspuren sind Metalloxide mit Hydroxylgruppen bedeckt, die durch dissoziative Chemisorption von Wassermolektilen an der Oberfl~iche entstanden sind. Der Ubergang zur Ultrahydrophilie wird auf Struktur~inderungen an der Oberfl~iche zurtickgefiJhrt. Bei Bestrahlung durch UV-Licht andert sich der Oxidationszustand des Titans von +4 zu +3 als Folge entstehender O-Vakanzen, die an O-BriJcken entstehen. Die Ti3+-Zentren binden zusatzliche H20-MolekiJle adsorptiv. Durch deren Dissoziation steigt die Anzahl der OH-Gruppen. Die Folge ist eine deutliche Zunahme der Oberfl~ichenenergie. Der adsorbierte Schmutz kann in diesem Fall - und damit sind wir wieder bei der Selbstreinigung - durch einen Wasserfilm beseitigt werden, der den Schmutz ,,unterwandert".
14.2.3
Anwendungen im Bauwesen
Im Jahre 1994 kamen die ersten, gemeinsam vom japanischen Konzem TOTO Ltd. und der Universit~it Tokio entwickelten photokatalytisch aktiven Fliesen auf den japanischen Markt. Aufgrund ihrer nachgewiesenermaBen bakteriziden Wirkung wurden sie in Krankenh~iusem (OP-Bereich), Kliniken und im Sanitarbereich eingesetzt. Mit der Entdeckung der hohen Hydrophilie der TiO2-Beschichtung bei solarer Einstrahlung wurden die Fliesen sofort f'tir Auf~enanwendungen interessant. Ein erstes Objekt, bei dem photoaktive Fliesen zur Verkleidung der AuBenfront benutzt wurden, ist das im September 2002 er6ffnete Marunouchi Building in Tokio. Trotz Schwerverkehrs in unmittelbarer N~ihe erweisen sich die Fassaden als selbstreinigend. Die photoaktiven Fliesen nutzen das Sonnenlicht, um organischen Schmutz photolytisch zu zersetzen und die Hydrophilie erlaubt die Entfernung der Substanzen bzw. Substanzfragmente durch das Regenwasser. Dartiber hinaus reduzieren die Fliesen die Konzentration an Stickoxiden in der Umgebungslufi. Die photoaktiven Fliesen des oben genannten Herstellers werden inzwischen unter dem Handelsnamen Hydrotect | weltweit vertrieben. Von beschichteten Keramiken zu beschichteten Gl~isem ist es nur ein kleiner Schritt. Der international agierende Flachglashersteller Pilkington stellte 2002 das erste Bauglas Pilkington Aktiv TM mit dualaktiver (selbstreinigend und ultrahydrophil) Wirkungsweise vor. Photokatalytisch aktives, selbstreinigendes Glas kann far nahezu alle Auf~enanwendungen eingesetzt werden. Die ersten Untersuchungen zur Wechselwirkung ausgew~ihlter photoaktiver Metalloxide bzw. -sulfide mit klassischen Bindemitteln wie Beton, Zement- und Kalkm6rteln sowie Gipsen wurden Ende der 90er Jahre publiziert [BC 22]. W~ihrend sich TiO2 in starken S~iuren unter Bildung von Ti(IV)-Salzen liSst, ist es gegentiber basischem Milieu weitgehend inert. Generell gibt es far die Anwendbarkeit yon photokatalytisch aktiven Pigmenten zwei
500
14 Bauchemisch interessante Neuentwicklungen
MOglichkeiten: Entweder man mischt die Pigmente dem Bindemittel zu (,,In-Masse"-Verarbeitung) oder die Pigmente werden in Beschichtungen eingebracht. Von der Fa. Italcementi wurden TiO2-modifizierte Zemente entwickelt und in ersten Pilotprojekten (Kirche ,,Dives in Misericordia" in Rom, Cit4 de la Musique et des Beaux-Arts in Chamb6ry/Frankreich) verwendet. In beiden Fallen erhofft man sich eine deutlich reduzierte Verschmutzung der Bauwerkoberflachen. Die Fixierung der photoaktiven Pigmente in Beschichtungen kann durch organische oder anorganische Bindemittel erfolgen. Zentrales Problem bei dieser Variante ist die Stabilitat des Binders. Sowohl Kunststoffe als auch die meisten Siliconharze werden bei Lichteinwirkung durch die hohe Oxidationskraft des TiOJAnatas zerstOrt. Infolge photoinduzierter Reaktionen unter Mitwirkung vor allem von OH-Radikalen erfolgt der Abbau des organischen Einbettungsmediums. Dies macht sich zunachst im Glanzverlust, spater dann durch ,,Kreiden" bemerkbar. Damit bieten sich als Binder nur schwer abbaubare Polymere wie Polytetrafluorethylen, Polyvinylidenflourid und Si-O-Kafigverbindungen (z.B. Silsesquioxane), aber auch anorganische wasserglasbasierende Bindemittel an. Ziel des am 1.1.2002 gestarteten intemationalen Projekts (PICADA Photocatalytic Innovative Coverings Applications for Depollution Assesment) sollte es sein, innovative Baustoffe zur Reduktion der Schadstoffbelastung zu entwickeln. Diese Baustoffe sollen vor allem helfen, die auf den zunehmenden Kfz-Verkehr zurtic~fiihrenden hohen Konzentrationen an Stickoxiden sowie an leicht fliichtigen organischen Verbindungen zu reduzieren. Im Jahre 2002 wurden im Ergebnis gemeinsamer Forschungsanstrengungen unter mal]geblicher Beteiligung der englischen Fa. Millennium Chemicals etwa 7000 m: Flache einer StratSe in Mailand mit TiOa-haltigem Zement versehen. Messungen ergaben, dass die Konzentration an Stickoxiden (NOx)in diesem StrafSenabschnitt um etwa 60% sank. Ein weiteres Produkt, das aus diesen Forschungsaktivitaten hervorging, ist die Farbe Ecopaint | Herzstiick dieses Wandanstrichs, der ohne zusatzliche Pigmente farblos ist, sind ca. 30 Nanometer groBe TiO2-Partikel. Sie sollen bei solarer UV-Einstrahlung vor allem Stickoxide (NOx) abbauen. Die entstehende Salpetersaure wird entweder durch in der Farbschicht befindliche CaCO3-Teilchen neutralisiert (Bildung von leicht 16slichem Ca(NO3)2) oder direkt vom Regen weggeftihrt. Die geringen Konzentrationen an HNO3 schaden dem Gebaude weit weniger als der saure Regen in Ballungsgebieten. Inzwischen sind auch in Deutschland Produkte auf dem Markt gebracht worden, die allesamt die photokatalytische Wirkung des Titandioxids nutzen, z.B. ein Innen-Edelputz (,,Airfresh", Fa. maxit) als auch Innenraumfarben (,,Capa-San", Fa. Caparol und ,,Climasan-Color", Fa. STO). Von der Fa. Erlus wurde im Mai 2004 der selbstreinigende Dachziegel ERLUS-LOTUS | vorgestellt. Der zunachst als Lotus-Produkt entwickelte Dachziegel brachte im Praxiseinsatz nicht die gewiinschten Resultate. Jetzt wurde auf dem Tonziegel eine photokatalytisch aktive Oberflachenschicht eingebrannt. Damit bleibt das Tondach ,, ... viele Jahre sauber- frei von Fettablagerungen, RuB, Moos und Algen (Fa. Erlus)". Der bereits auf den Markt eingeftihrte Name ERLUS-LOTUS wurde beibehalten. Der Einsatz der chemische Nanotechnologie zur Herstellung dtinner photokatalytisch aktiver Filme oder Oberziige mit nanoskaligen TiO2-Pigmenten hebt die Anwendung der TiO:Photokatalyse auf eine neue Ebene. Die photokatalytische Wirkung ist deutlich effizienter als bei bisherigen Beschichtungen. Man darf sehr gespannt sein, welche weiteren interessanten Anwendungsfelder - auch auf dem Bausektor sich auftun.
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Sachwortverzeichnis Abbinden 329, 332f., 358 Abbindebeschleuniger 354 Abbindeverz6gerer 353 Abgabe von Energie 77 Abgaskatalysator 129 abgebundener Gips 358 abgeschlossenes System 76 Abktihlkurve des Eisens 232 absolute Luftfeuchtigkeit 99 Absorption, von Strahlung 30 Abstandsfaktor 352 AbstofSungskr~ifte, elektrostatische 46 Abtrag, s. Stoffabtrag Abwasser 172 Acetaldehyd (Ethanal) 409 Acetat 190, 197, 200, 202, 411 f. Aceton (Propanon) 409f., 418 Acetylen (Ethin) 397 Acetylide, s. Carbide Achterschale 49 Acrylate 410f., 446, 458, 468 Acrylharze 446, 458 Acrylnitril 445 Acryls~iure (Propens~iure) 410 Actinoide 40 acyclische Kohlenwasserstoffe 391 Adhasion 64, 138 Adhasionskrafte 64, 138 Adipinsaure 449 Adsorption 89, 338 Aerosol 121 Aggregatzustand 1 Aggressivit~it der Atmosph~ire (Korrosion) 121 Akkumulatoren 224 Aktivanode 258 Aktivierungsenergie 85 Aktivitat 181 Aktivit~it, radioaktive Strahlung 25 Aktivit~itskoeffizient 181 Albit 66, 228 Aldehyde 407ff. Algizide 383 alicyclische Kohlenwasserstoffe 391 aliphatische Kohlenwasserstoffe 391
Alit 314 Alithydratation 324ff. Alkalibest~indigkeit 460 Alkali-Kiesels~iure-Reaktion 375f. Alkali-Mangan-Batterie 225 Alkalimetalle 39 Alkalipuffer 377 alkalische L/Ssung 186 Alkalimetallsilicate 282f. Alkalit~it, wirksame 377 Alkalitreiben, s. Alkali-Kiesels~iureReaktion Alkanale 407f. Alkandis~iuren 412 Alkane 391ff. Alkanole 404f. Alkansauren 41 Off. Alkene 395ff. Alkine 396ff. Alkohole 150, 403f. Alkylreste 393 Allotropie 107 Alpaka 265 Alphastrahlung 24 Altersbestimmung 27 Alterung von Bitumen 425 von Kunststoffen 462 Aluminate 262 Aluminatphase 315 Aluminium 261 ff. Aluminiumbronzen 263 Aluminiumhydroxid 262, 275 aluminothermisches Verfahren 263 Alumosilicate 275,286, 288 Ameisens~iure (Methans~iure) 412 Amine 401 Aminobenzol, s. Anilin Aminogruppe 401 Aminoplaste 451 Ammoniak 104, 105 basische Eigenschaft 105 - Puffer 201 - Synthese 94 Ammonifikation 104 -
Sachwortverzeichnis
Ammoniumchlorid 198, 202, 370 Ammoniumion 104 Ammoniumnitrat 204, 370 Ammonsalpeter, s. Ammoniumnitrat amorphe Stoffe 65, 142, 290 Amosit 284 Amphibolasbeste 287 Amphibole 284 Ampholyte (S~iure-Base) 184 amphoter 42, 184f., 262 anaerob 105,382 Anfangsfestigkeit 342 angeregter Zustand 32 Angriffsgrad von W~issern 171 Anhydrit 66, 322, 329, 355 Anilin (Aminobenzol) 401 Anion 7, 228 Anionbase 184, 197 Anionenaustauscher 168 Anionsaure 184 anisotrop 67 Anlassen 237 Anmachwasser 171 annelierte Ringsysteme 401 Annelierung 401 Anode 213,227f., 239 anodische Oxidation 213,227, 228 anodischer Korrosionsschutz 260f. anorganische Bindemittel 305ff. Anorthit 66, 288f. Anreger 318, 360 Antioxidationsmittel, Antioxidantien 437f., 465 Anziehungskr~ifte elektrostatische 46 intermolekulare 62 Apatit 273, 355 Aquakomplexe 152, 173 Aquivalenzkonzentration (Normalit~it) 191 Aquivalenzpunkt 176, 189 Aragonit 66, 272, 307 Argon 98 aromatische Verbindungen 397ff. Arrheniussche S~iure-Base-Theorie 181 Arylrest 398 -
-
,,
507
Asbest 287 Asbestzemente 288 Aschen 320 Asphalte 426 Asphaltene 420 Assoziationskolloide 157 ataktisch 430 Atmosph~ire 97 Atmosph~irendruck und Siedepunkt 145 Atmosph~irentypen (Korrosion) 121 Atom 6 Atombau 21ff. Atombindung (Kovalenz) 48ff. Atomhypothese, Dalton 8 Atomkern 22 Atommasse absolute 11 relative 11 Atomare Masseneinheit 11, 535 Atommodell, Bohr 30ff. Atomorbital 32 Atomradius 40 Atomspektrum 30 Aufbauprinzip 36 Aufenthaltswahrscheinlichkeit 33 AuflOsen eines Salzes 151 ff. Aufnahme von Energie 77 Aufstellen von Reaktionsgleichungen 74,208 Ausbauasphalt 491 Ausbltihungen 384ff. Ausgleichsmasse 471 Auslaugung von Beton 365 ~iuBere Weichmachung 433 Austenit 236 Autoabgase 129 Autoklav 146, 356, 364 Autoprotolyse des Wassers 185 Avogadrosche Konstante 12, 535 -
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-
~176
Bakelit 451 bakterielle Besiedlung 381 Balmer-Serie 31 B&indermodell, s. Energieb~indermodell Bandsilicate 284
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Bariumsulfat 164, 273,437 Basalte 274 Basen 42, 181 f., 186, 205 Baseanhydrid 42 Baseexponent 194 Basekonstante 194 Basestarke 192f. basische L6sungen 186 basische Oxide 42 Baufeuchtigkeit 309 Baugipse 355ff. Bauglas 294f. Baukalke 307ff. Baustahle 237 Bauschutt 488 BaustellenabF~ille 488 Baustoffrecycling 487 ff. Bautenschutz 388f. Bauxit 344 Becquerel 25 Beilsteinprobe 443 Beizen 260 Beizinhibitoren 260 Belit 314, 315f. Beltiftungselement 242 Benetzung 138 Benzine 394f., 418 Benzoes~iure 412 Benzol 398f., 418 Bergl~istall 278 Beschichtungen 390, 459, 500 Beschleuniger 354f., 437 Besetzung von Orbitalen 36 Betastrahlung 24 Beton 332ff., 336, 338 Betoncarbonatisierung 378 Betonkorrosion 367ff. Betonverfliissiger 347 Betonzusatzmittel 347ff. Bewehrungsstahl (korr. Angriff) 378f. Bienenwachs 415 Bildungsenthalpie 79 Bimsstein 274 Bindemittel 305ff., 459 Bindungsdissoziationsenergie 463 Bindungselektronenpaar 48
Sachwortverzeichnis
Bindungsenergie 463 Bindungsl~inge 40 Bindungspolarit~it 56 Bindungswinkel 5 If., 132 biogene Schwefels~iurekorrosion 382 biogene Sedimente 276 Biokorrosion 241,380 biologische Sch~idigungen 368, 380f. Biomineralisation 276 Biozide 383 Bittersalz 386 Bitumen 419ff. bitumenhaltige Bindemittel 419ff. Bitumenemulsion 424 Bitumenkitte 471 Bitumenl6sung 423 Bl~iuepilze 475 Blei 267ff. Bleiakkumulator 226 Bleiglanz 273 Bleikristallglas 294 Blockcopolymere 430 Bodenfeuchtigkeit 258 Bodenk/Srper 160 Bodenkorrosion 244 Bogue-Formeln 316 B~Shmisches Kristallglas 293 Bohrsches Atommodell 28 Bor-Tonerde-Glaser 294 Borax 294 Boudouard-Gleichgewicht 233 Brandschutzglas 295 Branntkalk 308 Bravais-Gitter 534 Brennen von Kalkstein 95, 307 Brennen der Zementrohstoffe 312 Brennstoffzelle 226 Bromierung von Doppelbindungen 395 Br6nsted-Base 183 Br6nsted-S~iure 183 Bronzen 265 Briinieren 176 Building Related Illness (BRI) 487 Biirette 176 1,3-Butadien 396 Butan 392
Sachwortverzeichnis
Butanol 405 Butans~iure, s. Butters~iure 1-Buten 396 2-Buten 396 1-Butin (Ethylacetylen) 396 2-Butin (Dimethylacetylen) 396 Butters~iure (Butansaure) 410 Calcinierung 307 Calcit 307 Calciumaluminate 315, 328f. Calciumaluminatferrite 328f., 316 Calciumaluminatferrithydrate 331 f. Calciumaluminathydrate 330f. Calciumcarbid 397 Calciumcarbonat 274f., 307, 378 - Brennen 307 L6slichkeit 166, 531 Reaktion mit Kohlens~iure 116 Calciumhydrogencarbonat 116, 167, 369 Calciumhydroxid 161,308, 324 Calciumnitrat 387 Calciumoxid 42, 308 Calciumphosphat 168, 355 Calciumsilicate 310, 314f. Calciumsilicathydrate 323f. Calciumsulfat 165, 168, 355f. Calciumsulfat-Dihydrat 356 Calciumsulfat-Halbhydrat 356 Carbidion 397 Carbonate 114, 115f. Carbonatharte 167 Carbonatisierung, Luftkalke 309 Carbonatisierung, Beton 378 Carbonatisierungstiefe 379 Carbonatnachweis 114 Carbons~iuren 41 Off. Carbons~iureester 413 f. Carbonylgruppe 407 Carboxylgruppe 410 Casiumchloridgitter 69 Cellulose 472 CEM(II)-Zemente 346 Cementit 235f. Chalkogene 39 Chelate 174 -
-
509
Chelatkomplexe 174 Chemiegips 355 chemische Bindung 45 ff. chemische Formel 6, 392 chemische Korrosion (Metalle) 237ff. chemische Korrosion nichtmetallischer Baustoffe 368ff. chemische Reaktion 7, 74ff. chemisches Gleichgewicht 90ff. chemisches Symbol 5 chemische Verbindung 6 chem. gebundenes Wasser 155, 338, 341 Chemisorption 89 Chilesalpeter (Natriumnitrat) 204 Chlor 206, 210 Chloralkalielektrolyse 229 Chloralkane 401 f., 418 Chlorbenzol 399, 418 Chloridkorrosion 245,379f. Chloridnachweis 164 Chlorkohlenwasserstoffe 401, 418 Chlormethan (Methylchlorid) 403 Chloroform, s. Trichlormethan Chlorokomplexe 173f., 245 Chlorsilane 300 Chlorwasser 210 Chlorwasserstoff 182, 204 Chrom 269ff. Chromat 269 Chromatieren 258 Chromatreduzierer 299f. Chrysotil 284 Cobaltkomplexe 174 Copolymere 429 Coulombsches Gesetz 46 Cristobalit 279 CSH-Phasen 323 ff. Curie 25 Cyanid als Ligand 173 cyclische Ether 407, 415 Cycloalkane 394ff. Cyclohexan 394, 418 Cypermethrin 479 D~immstoffe 294, 445, 455 Daltonsche Atomtheorie 8
510
Sachwortverzeichnis
Daltonsches Gesetz der Partialdriicke 101 Dampfdruck - L6sungen 146f. - reines Wasser 143 Daniell-Element 213 DDT 400 Debye 56 Decan 392 Defektelektron 61 delokalisierte Bindung -Benzol 397 - Ozon
108
- Stickoxide 123 Deltamethrin 479 demineralisiertes Wasser 169 Denitrifikation 105 Depassivierung des Bewehrungsstahls 379 Depolymerisation 463 Desoxidation 234 Destillation 4 Detergentien, s. Tenside Deuterium 24 Diabas 274 Diagenese 275 diamagnetisch 106 Diamminsilber-Komplex 164 Diaphragma 213 1,2-Dibromethan 395 Dicalciumsilicat 310, 314f. Dicarbons/iuren 412 Dichlordifluormethan 403 Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) 400 1,2-Diehlorethan 396 Dichlorethene 395 Dichlormethan (Methylenchlorid) 403, 418 Dichromat 269 dichteste Kugelpackung 67 Dichtungsmittel 353 Dielektrizit/itskonstante 152 Diene 396 Diethylether 406, 418 Diffusion 334 Diffusionschromieren 254
Dihydrogenphosphat 205 Dimethylacetylen, s. 2-Butin Dimethylbenzole, s. Xylole Dimethylether 407 Dimethylketon (Aceton) 408, 418 Dinasteine 299 Diole 404, 405 Diorit 274 Dioritporphyr 274 1,4-Dioxan 407 Dioxine 416 Dipol 56, 132 Dipol-Dipol-Wechselwirkungen 62 DipolmolekiJl 56f., 132 Dipolmoment 56 Diradikal 49, 106 Dispergiermittel, s. Tenside Dispersion 156ff. Dispersionsgrad 156 Dispersionskolloide 157 Dispersionskr~ifte 63 Dispersionsklebstoffe 467 Dispersionsmittel 141, 156 Disproportionierung 210 Dissoziation, elektrolytische 178 Dissoziationsgrad 178 Dissoziationskonstante 178 Distickstoffmonoxid 118 Dolomit 273,307 Dolomitkalk 310 Doppelbindung 51,395 d-Orbitale 34 Dotierung 61 Dreifachbindung 51,396 dreiwertiger Alkohol 405, 414 Dreiwegekatalysator 129 Druck - und chemisches Gleichgewicht 94 Druckfestigkeit von Beton 341 Dualismus, Welle-Teilchen 32 Duplex-System 253 Duraluminium 263 Duromere, s. Duroplaste Duroplaste 436 Dynamidonsteine 299
Sachwortverzeichnis
dynamisches Gleichgewicht 91f., 143, 160 Echte L6sung 155 Edelgase 39 Edelgaskonfiguration 46 Edelstfihle 248 edle Metalle 218, 219 EDTA 176 Edukte 7, 74 einbasige (einprotonige, einwertige) Sfiuren 191,204 Einbauklassen 490 Einfachbindung 50, 391f. Einfriertemperatur 432 Einkomponenten-Klebstoffe 468 Einlagerungsmischkristalle 71 eins~iurige (einwertige) Basen 191 Einstreumenge 361 einwertiger Alkohol 404 einz~ihniger Ligand 174 Eis 133, 134 Eisen analytischer Nachweis 176 - Darstellung 233 pysikalisch-chemische Eigenschaften 231 Eisenerze 231 Eisen-Kohlenstoff-Diagramm 235 Eisenoxidhydroxid (Rost) 243 Eisenphosphat 257 Eisessig 412 Elastomere 434f. elektrische Leitf~ihigkeit 179f. elektrisches Potential 212 elektrochemische Spannungsreihe 214f., 218, 220, 533 elektrochemische Stromerzeugung 224ff. Elektrode 211 Elektrodenpotential 214 Elektrolyse 227f. Elektrolyte 177f. elektrolytische Dissoziation 178 elektromagnetisches Spektrum 29 elektromotorische Kraft 216 -
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Elektron 21 Elektronegativit~it 54 Elektronenaffinit~it 41 Elektronendichte 33 Elektronengasmodell 59 Elektronenhtille 22, 28f. Elektronenkonfiguration 36 Elektronenoktett 48 Elektronenpaar 48 Elektronenpaarbindung 48 Elektronensprung 32 Elektronentibergang (Redox) 45 elektrostatische Anziehung 46 Elementarladung 21, 535 Elementarteilchen 21 f. Elementarzelle 65 Elemente - chemische 5, 38f. galvanische 213 Elementsymbol 5 Eloxal-Verfahren 256, 261 Emaillieren 256 Emulgatoren, s. Tenside Emulsion 157f., 424 Emulsionspolymerisation 457 Enantiotropie 232 endogene Kr~ifte 272 endotherme Reaktion 77 endothermer LSsungsvorgang 154 Energie chemischer Reaktionen 75 elektromagnetische Strahlung 30 Orbitalen 36 Energieb~indermodell 59 Entglasung 291,296 Entropie 82 Ents~iuerung 307 Entschwefelung von Rauchgasen 125 Entstickung von Rauchgasen 129 Entzinkung 250 EP 456 Epichlorhydrin 456 Epoxide 456 Epoxidharze 456 Erdalkalimetalle 39 Erdalkalimetallsilicate 282, 314f. -
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Erdaushub 488 Erd61 394, 419 Erd61harze 421 Ergussgesteine 274 Erhaltung der Masse 7 Erh/irtung 332, 358, 462 Erosion 275 Erstarren 332, 338 Essigs/iure (Ethans/iure) 412 Essigs/iure-Acetat-Puffer 202 Essigs/iurebutylester 418 Essigs/iureethylester 413, 418 Ester 413ff. Estrichgips 358 Ethan 392 Ethanal, s. Acetaldehyd 1,2-Ethandiol, s. Ethylenglycol Ethandis/iure, s. Oxals/iure Ethans/iure, s. Essigs/iure Ethanol 404, 418 Ethen (Ethylen) 395 Ether 406ff. Ethin 396 Ethinylrest 397 Ethylacetat, s. Essigs/iureethylester Ethylacetylen, s. 1-Butin Ethylalkohol, s. Ethanol Ethylen (Ethen) 395 Ethylendiamin 174 Ethylendiamintetraacetat (EDTA) 176 Ethylenglycol (1,2-Ethandiol) 150, 405f., 418 Ethylgruppe (-rest) 393 Ettringit 329f., 372, 374 Ettringitbildung, versp/itete 374 Eutektikum 71 eutektisches Gemisch 71 Eutrophierung 169 exogene Kr/ifte 272 exotherme Reaktion 77 exothermer L6sungsvorgang 154 extensive Gr6Be 13 F/illen 163 F/irben von Glas 294 Faradaykonstante 217f., 221,535
Sachwortverzeichnis
Faradaysche Gesetze 229 Farbmittel 43 8 FCKW 117, 402f., 455 Fehlingsche Lfsung 409 Feldsp/ite 273,288f. Ferritphase 316 Ferrosilicium 234 feste LSsungen (Mischkristalle) 70f. fester Zustand 64ff. Festgestein 273 Festigkeitsklassen 342 Festigkeit von Beton 341 Festigkeit von Polymerm6rteln und Polymerbetonen 461 Festkfrper 64 Festk6rperreaktionen 87 Fette 414 Fetts~iuren 411 feuerfeste Steine 299 Feuerschutzmittel (Holz) 480 Feuerverzinkung 253 Filtration 4 F1/ichenkorrosion, gleichm/ifSige 248 fl/ichenzentriert 66 Flammschutzmittel (Holz) 480 Fliel]bereich 432 FlieBbeton 348 FlieBmittel 348 FlieBtemperatur 432 Flint 376 Fluate 390 Flugrost 244 Fluorchlorkohlenwasserstoffe 117, 402f., 455 Fluorkiesels/iure, s. Hexafluorokiesels/lure Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) 111 Fluorosilicate 390 Fluorwasserstoff 64, 279 Flussmittel 298 Flussspat 273 Fogging 483 Formaldehyd (Methanal) 409, 450 Formalin 409 Formel 6, 392 Formelumsatz 74