Die Geisterstadt

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MARKEN-ROMAN

Western-Wolf Dany Coogan

Die Geisterstadt

Der letzte Probeeinsatz hat Schwächen gezeigt, aber auch Vorteile. Captain McNelly ist kein Mann, der überhastete Entscheidungen fällt. Zudem wird Tom Kelly dringend zu einem neuen Einsatz gerufen. Und hier sind sowohl Old Tuffy als auch besonders Onyx unerläßlich. Außerdem lehnt Tom Kelly weitere Einsätze ohne Onyx ganz entschieden ab. McNelly sieht das auch ein. Aber die Idee, Tom Kelly die beiden Ranger Tiger Wellox und Joe Harper zur Seite zu stellen, ist nicht vom Tisch, im Gegenteil. Schon bald sollen sie wieder zusammenarbeiten... mit Onyx. Jetzt aber muß sich Tom Kelly auf einen neuen Gegner konzentrieren... Eine Geisterstadt hat ein Geheimnis... Wird Kelly es mit Onyx’ Hilfe lösen?

Der schlanke, riesenhaft gewachsene Mann preßte die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Er ging ruhig auf den Kamin zu und nahm mit einem Handgriff das Gewehr herunter. Entschlossen stapfte er zur Tür des Ranchhauses. Schritte wurden draußen laut. Die Tür erzitterte unter dem Pochen schwieliger Männerfäuste. Die blasse, dickliche Frau, die sich am Tisch aufstützte, begann heftig zu zittern. »Mein Gott«, flüsterte sie kaum hörbar. Sie hielt die Rechte an den Mund und sah mit flackernden Augen zur Tür. James Borden nahm die Waffe hoch. »Kommt rein!« rief er. Obwohl er seine Anspannung zu verbergen versuchte, merkte die Frau im Hintergrund doch, wie er erleichtert aufatmete, als die beiden Cowboys im Schein der an einem Stützbalken in Türnähe hängenden Laterne zu erkennen waren. »Ihr seid es?« Deutlich war die Verwunderung aus der dunklen, rauhen Stimme des Ranchers herauszuhören. »Ich dachte, ihr haltet euch draußen bei der Herde auf.« »Wir sind schleunigst hergeritten, Boß«, antwortete Sam, der rothaarige Cowboy, der die Fünfziger schon überschritten hatte, aber noch ungemein agil und zäh war. »Drüben bei den Youngs haben wir Feuerschein gesehen. Ich schätze, daß es brennt auf der Ranch. Und wenn mich nicht alles täuscht, ist diese verfluchte Geisterreiter-Bande da wieder im Spiel.« »Denke ich auch«, bekräftigte Sid, ein junger, drahtiger Kerl mit einem Lockenkopf. »Diese verdammten Hunde haben im letzten Monat drei Ranches niedergebrannt.« James Borden biß die Zähne zusammen und musterte die Männer nachdenklich. »Kann sein, daß ihr recht habt, zum Teufel. Wir müssen hinüberreiten. Vielleicht ist noch was zu retten.« »Das glaube ich nicht, Boß. Wir haben Schüsse gehört. Und

eine Menge Rinder, die brüllten. Ich schätze, daß sie weggetrieben worden sind. Das andere kennen wir ja. Wenn wir Glück haben, finden wir höchstens noch die Leichen vom alten Young und seiner Frau. Der Junge hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht, wenn er schlau gewesen ist.« »Wir reiten«, entschied James Borden. »Ich will es genau wissen.« »Und was ist mit mir?« Josephine Borden stellte die Frage mehr, um auch etwas zu sagen und ihre Angst damit zu besiegen. Die Antwort wußte sie im voraus. »Du bleibst hier!« entschied James und schnallte den Gurt um. Er rückte ihn zurecht und ging hinaus. In der Tür warf er seiner Frau noch einen Blick zu. Aber er sagte nichts. Nur ein paar Minuten später hörte Josephine Borden die Männer wegreiten. Sie setzte sich und weinte leise vor sich hin. Sie hatte Angst. Erbärmliche Angst. Zu viel hatten sie in der letzten Zeit erzählt von den Männern, die in Totenmasken Ranches überfielen, die Besitzer niederschossen, alles niederbrannten und das Vieh davontrieben. Nur die kleinen Ranches waren bisher überfallen worden von den Männern, die in der Nacht leuchteten wie bleiche, vom Mond beschienene Skelette. In Bountry nannten die Leute die Bande schon »die reitenden Skelette«. Eine schauerliche Vorstellung, die Josephine Borden das Blut in den Adern gefrieren ließ. Nach und nach beruhigte die Frau sich jedoch wieder. Sie schalt sich selbst eine Närrin und beendete den Abwasch. Dabei aber lauschte sie auf jedes Geräusch. Sie hoffte, daß ihr Mann und die beiden Cowboys bald zurückkommen würden. Josephine Borden hatte die Kaffeekanne abgetrocknet und an den Nagel gehängt, als sie Hufschlag zu hören glaubte. Die Frau eilte zur Tür, schob den Riegel zurück und riß sie auf. Dann lauschte sie in die Nacht.

Zweifellos näherten sich mehrere Pferde der Ranch. Noch mochten die Reiter gut und gern eine halbe Meile oder etwas mehr von der Ranch entfernt sein. Aber selbst auf diese Entfernung stand für Josephine Borden fest, daß es nicht nur drei Reiter waren, die auf ihre Ranch wollten. Mindestens ein Dutzend, wahrscheinlich sogar noch mehr. Ein momentaner Schreck lähmte sie. Sofort stand das Bild von bleichen Skeletten auf Pferden vor ihren Augen. Mit einem leisen Aufschrei wandte sich Mrs. Borden um und lief ins Haus. In aller Eile raffte sie einige wichtige Papiere zusammen, die wenigen Kostbarkeiten und wertvollen Sachen, die sich im Haus befanden, dann holte sie Schlafsack, Männerhosen, Gewehr und Munition, nahm einige Vorräte an sich und lief anschließend hinaus zum Corral neben dem Geräteschuppen, sattelte ein Pferd und schwang sich hinauf. Gehetzt blickte die Frau sich um, als das Tier die kleine Anhöhe hinaufgaloppierte. Oben am Kamm des Hügels verhielt sie das Tier, zog es hinter einen Strauch und wartete ab. Eine Reiterhorde donnerte in den Ranchhof. Vor dem Haupthaus verhielten die unbekannten Reiter die Tiere, sprangen aus den Sätteln und schossen ein paarmal in die Luft. Von hier oben vernahm Josephine Borden die rauhen Schreie aus zahlreichen Männerkehlen. Sie hörte ein Poltern, dann sah sie, wie es im Haus heller wurde. Plötzlich drang Rauch in ihre Nase. Sie bemerkte, daß es im Haus zu lodern begann. Kleine Feuerzungen leckten an den Fenstern hoch und fraßen die mühsam besorgten Gardinen im Handumdrehen. Der Hof vor der Ranch war mittlerweile hell erleuchtet. Die Männer waren alle gleich gekleidet. Ganz dunkel. Doch als die Mäntel – oder waren es Umhänge? – auseinanderschlugen, leuchtete es hell auf. Die Umrisse von Skeletten wurden

sichtbar. Josephine Borden schlug die Hände vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Sie sah vor sich das Haus abbrennen. Der Corral wurde niedergerissen. Die Männer banden die Pferde zusammen und führten sie hinter sich her, als sie bald nach ihrem Erscheinen wieder davonjagten. Das, was James Borden und seine Frau in jahrelanger schweißtreibender Arbeit aufgebaut hatten, brannte innerhalb weniger Stunden nieder bis auf die Grundfesten. Alles, was sie je besessen hatten, war zerstört. Und die Bande, die Geisterreiter, die sie selbst deutlich gesehen hatte, würde nun die Herde von der Weide treiben. Anderthalbtausend Stück Vieh, das Ergebnis unendlichen Fleißes und der Lohn für die unerbittliche Auseinandersetzung mit der Natur, würden weggetrieben. Die Reiter schienen sich genau auszukennen. Sie ritten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dem Geräusch nach bogen sie, wie Josephine Borden zu erkennen glaubte, nach rechts ab. Und dort befand sich die Talmulde, in die ihre beiden Cowboys die Herde erst vor zwei Tagen getrieben hatten. Die Gesichter der Männer hatte Mrs. Borden nicht erkennen können. Sie sah lediglich mehrmals ein helles Leuchten. Totenschädel schienen es zu sein, die hämisch grinsten. Die Frau wollte in den Sattel klettern. Sie mußte etwas tun, damit die Tiere wenigstens gerettet wurden. Aber dann erinnerte sie sich an die Worte der Cowboys, die von der Bande gesprochen hatten. Sie schüttelte sich, zitterte wie im Feuer. Nein! Und wenn sie kein einziges Rind mehr auf der Weide hatten. Sie konnte nicht zulassen, daß ihr Mann und die Jungs sich den Kugeln der Geisterreiter aussetzten. Zusammengekauert verharrte Mrs. Borden. Ein trockenes

Schluchzen würgte sie. Endlich hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie erhob sich und ging auf das Pferd zu. Behende kletterte sie in den Sattel und ritt los. Sie hielt auf die Ranch der Youngs zu, deren Standort ein glutroter riesiger Fleck am Nachthimmel verriet. Die Frau gab dem Tier die Hacken. Jetzt konnte sie sich beeilen. Selbst wenn sie schon drüben gewesen wäre, um ihren Mann und die Boys zu verständigen, wären die erst bis zum Morgengrauen draußen beim Tal gewesen, um nach den Rindern zu sehen. Das bedeutete für die Bande, für die Skelettreiter einige Stunden Vorsprung. Und in einigen Stunden kann man auch mit einer Herde weit kommen, wenn man sie zu treiben versteht. Die Ranch der Youngs lag in einer weiten Ebene. Sie war von allen Seiten frei zugänglich. Josephine Borden bemerkte deshalb schon von fern das heruntergebrannte Ranchhaus. Sie wurde an ihr eigenes Heim erinnert. Wieder überfiel sie ein Fieberschauer. Langsam aber verwandelte sich das Entsetzen in einen maßlosen, überschäumenden Zorn, der sich ihrer bemächtigte. Sie war nicht mehr fähig zu denken, bis sie endlich das Pferd automatisch neben den anderen Tieren verhielt, die in genügend großem Abstand vom Feuer standen. Josephine sah drei Männer bei einander stehen. Vor ihnen auf dem Boden lagen zwei Gestalten. Tote. Slim und Betty Young. Ihre Nachbarn. Erst als Mrs. Borden ganz nahe bei der Gruppe war, drehten sich die Männer nach ihr um. James Borden schaute seiner Frau überrascht entgegen. Als er ihr Gesicht erkennen konnte, ahnte er bereits, was sie ihm mitteilen wollte. Er ballte die Fäuste und hob herausfordernd den Kopf. »Weshalb bist du herübergekommen?« fragte er knapp. Er

hatte Mühe, seine Stimme beherrscht klingen zu lassen. Josephine Borden sah ihren Mann an. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie rannen langsam die Wangen hinunter. Wortlos standen die Cowboys da. Mit dem Auftauchen der Ranchersfrau wurde ihre Befürchtung bestätigt. Sie wechselten einen raschen Blick. »Sie haben... die Geisterreiter«, stammelte Mrs. Borden. »Die Ranch... Alles ist verbrannt. Und jetzt... reiten sie zur Herde.« Schluchzen erschütterte den Körper der Frau. James Borden nahm sie in die Arme. Er schluckte. »Du bist zum Glück noch davongekommen«, sagte er rauh. »Wenigstens ist es dir nicht so ergangen wie den Youngs.« Dabei deutete er auf die beiden Toten vor ihnen. Der alte Young und seine Frau lagen da. Ihre Körper wiesen zahlreiche Einschüsse auf. Offenbar hatten sie sich gegen die Bande zur Wehr gesetzt und waren gnadenlos niedergemacht worden. Die ganzen Eindrücke waren zu viel für Josephine Borden. Sie spürte, wie ihre Beine nachgaben und klammerte sich an ihren Mann, der sie erst stützte, dann trug er sie hinüber zu den Pferden. »Bleib hier, Josephine«, sagte er. »Wir kommen gleich. Erst müssen wir noch sehen, ob wir den Jungen finden. Er ist vielleicht rechtzeitig geflüchtet...« Ein Schrei von Sam unterbrach James Borden. Der Rothaarige war zum dritten Mal ums Haus herumgegangen und hatte dieses Mal einen weiteren Bogen geschlagen. Dabei war er über einen Körper gestolpert. Einen Menschen, der da lag. Hastig beugte sich Sam hinunter. Der Mann lag auf dem Bauch. Im unruhigen Flackern des niedergebrannten Feuer erkannte Sam das Gesicht von Adam Young. Er sprang auf und hastete auf den Hof. Dort rief er seinen Boß und ruderte aufgeregt mit

beiden Armen. Borden kam sofort im Laufschritt herüber. Die Männer rannten ums Haus, wo inzwischen Sid bereits kniete. »Er lebt noch. Scheint verletzt zu sein«, rief er den Ankömmlingen zu. »Auf jeden Fall atmet er noch.« Bei einer flüchtigen Untersuchung entdeckten die Männer eine blutende Wunde am Oberschenkel. Außerdem hatte Adam Young einen Streifschuß am Kopf eingefangen. Dadurch war er vermutlich ohnmächtig geworden. »Wir nehmen ihn mit«, entschied James Borden. »Aber vorher begraben wir die Toten.« Die Cowboys hoben vorsichtig den jungen Mann hoch und trugen ihn zu Josephine Borden, die wieder ruhig geworden war. Mit ihren Spaten besorgten die Männer, was sie für die beiden Youngs noch tun konnten. Sie begruben die Toten. Nicht feierlich, sondern verbissen und verbittert. Sie schworen den Mördern Rache. Sam und Sid ließen ihre Spaten ebenfalls sinken, als James Borden die letzte Erde auf das frische Grab hinter dem Haus geworfen hatte. »Was ist mit der Herde, Boß?« Borden schüttelte den Kopf. »Bis wir dort sind, haben diese Höllenhunde längst das ganze Vieh weggetrieben. Wir haben keine Chance. Da ist einer am Werk, der sein blutiges Handwerk versteht wie der Satan selbst.« »Wir müssen hinterher«, widersprach Sam. »Du kannst doch eine solche Herde nicht einfach zum Teufel gehen lassen, Boß!« »Können oder nicht. Darum geht es hier nicht. Ich muß sie wohl gehen lassen. Zu dritt sind wir nichts als ein Haufen tollkühner Idioten gegen diese Bande.« Sam sah ein, daß sein Vorschlag nicht eben glücklich

gewesen war. Er senkte den Kopf und trottete zu den Pferden hinüber. Gemeinsam wuchteten sie Adam Young auf Sams Sattel. Der Cowboy nahm hinter dem Ohnmächtigen Platz. »Los, wir reiten!« Die Stimme von James Borden hörte sich an wie eine unheilvolle Drohung. Sid, der Junge, überblickte die Situation noch nicht so gut. »Wohin reiten wir denn?« fragte er und begann zu schlottern. Weiter weg vom erlöschenden Feuer fröstelte er. »Nach Bountry«, gab James knapp zurück. »Ich will nicht einem anderen Nachbarn auf die Nerven fallen. Jeder hat im Augenblick eine Menge für sich selbst zu tun. Deshalb werden wir zuerst einmal in der Stadt wohnen, bis sich was Besseres findet.« Sam brummte etwas, das Borden als eine Zustimmung werten konnte. »Keine Ranch, kein Vieh. Ich stehe da wie ganz am Anfang. Und dabei hatte ich damals wenigstens noch einen Haufen Geld. Wenn übrigens einer von euch beiden meint, daß es Unsinn ist, weiter für mich zu arbeiten, ich würde keinem verübeln, wenn er seinen Dienst kündigt. Den restlichen Lohn bekommt er noch.« »Das wäre noch schöner!« Sam regte sich auf. »Wir haben mit dir eine ganze Menge aufgebaut. Deshalb betrachten wir das auch als ein Stück unserer Arbeit, die vernichtet worden ist. Ich bleibe jedenfalls.« Borden lächelte gezwungen. »Danke, Sam«, erwiderte er und schüttelte dem Cowboy die Hand. »Ich werde dir das nicht vergessen.« »Ach was! So große Worte kannst du dir sparen, Boß. Ich bin ein einfacher Weidereiter. Und eine Aufgabe braucht der Mensch. Meine Aufgabe habe ich bei dir. Und dabei wollen wir es belassen. Wenn du in der nächsten Zeit ein bißchen

knapp bei Kasse bist, kann ich dir vielleicht für einige Zeit unter die Arme greifen. Ich hab’ mir eine Stange Geld gespart.« »Ich bleibe auch bei Ihnen, Mr. Borden. Mein Platz ist bei Ihnen und bei Sam!« erklärte Sid. »Ich habe schon immer gesagt, daß der Junge nicht schlecht ist«, warf Sam sofort ein. »Er ist manchmal sogar ausgesprochen gut und eisern.« »Mann, jetzt halt endlich das Maul«, schimpfte Sid. »Ich schätze, der Rancher kann sich selber ein Bild über seine Leute machen, oder?« Sam senkte den rothaarigen strubbeligen Kopf und schwieg. *** »Weshalb ich Sie um Unterstützung gebeten habe, Ranger, ist einfach erklärt.« Sheriff Godfrey durchmaß sein Office mit einigen großen Schritten. Jedesmal, wenn er sich Onyx näherte, der sich schläfrig auf den Boden gelegt hatte, den mächtigen Kopf auf den Vorderpranken ruhen ließ, blieb Godfrey abrupt stehen und machte kehrt. Irgendwie war ihm das Wolfsblut nicht ganz geheuer, auch wenn Tom Kelly ihm schon mehrmals versichert hatte, daß Onyx ihm nichts tun würde. »Es geht da um eine Bande, die schon seit geraumer Zeit ihr Unwesen im County treibt. Die Leute nennen die Bande ›Die Geisterreiter‹ oder sie geben ihnen noch andere Ausdrücke. Das mag mit Phantasie was zu tun haben, aber langsam beginne ich auch schon an die wilden Gerüchte zu glauben, die man sich allenthalben erzählt.« »Wie wäre es, wenn Sie mir die Gerüchte schildern würden?« Tom sah Godfrey ernst an. Der Sheriff war mittelgroß, hatte breite Schultern und einen gewaltigen Kopf auf dem fast halslosen Rumpf. Die Hände des

Gesetzeshüters waren klobig. Unwillkürlich versuchte sich der Ranger vorzustellen, welches Gefühl man empfand, wenn einem eine solche Pranke mit voller Wucht gegen das Kinn geschmettert wurde. »Natürlich, Ranger. Aber ich erzähle Ihnen lieber erst, was sich wirklich hier zugetragen hat. Das ist eine verdammte, blutige Geschichte. Sogar in Bountry haben sie schon Angst vor den reitenden Skeletten. Denn diese Kerle gehen mit einer Brutalität zu Werke, die unvorstellbar ist. Innerhalb eines Monats wurden drei Ranches niedergebrannt, die meisten Bewohner brachen unter dem Feuer der Banditen zusammen. Die Häuser wurden in Brand gesteckt und die Tiere von den Weiden getrieben. Und es sieht so aus, als hätte die Bande noch längst nicht zum letzten Mal zugeschlagen.« Old Tuffy lehnte sich zurück und stupste seinen Hut in den Nacken. »Was für Ranches waren denn das, Godfrey?« »Ranches eben. Kleinere Ranches. Meistens so mit drei, vier Leuten besetzt. Das ist hier keine Seltenheit. Von dieser Art haben wir eine ganze Menge.« »Dann wäre es interessant zu erfahren, wieviel«, warf Tom ein. »Wenn wir uns einmal ansehen, nach welchen Gesichtspunkten die Bande inzwischen gearbeitet hat, läßt sich vielleicht voraussagen, wo sie das nächste Mal zuschlagen wird.« »Sie haben Humor, Mann.« Godfrey zeigte ein schwaches Grinsen. Er fühlte sich unbehaglich in seiner Haut. Die zwei Männer, die ihm vom Ranger-Hauptquartier geschickt worden waren, mochten zwar auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung gut sein, seinetwegen auch Spitzenklasse. Aber was konnten zwei Männer gegen eine Bande dieses Formats schon ausrichten? Nicht einmal mit einer ganzen Posse hätte Godfrey den Kampf gegen die Geisterreiter aufgenommen.

»Ein gesunder Humor ist unbezahlbar«, verkündete Old Tuffy und verteidigte Tom damit. »Ich sehe schon, daß Sie nicht sehr zuversichtlich sind, Sheriff. Aber Sie können Gift darauf nehmen, daß wir der Geschichte auf den Grund gehen werden.« Godfrey stieß die Luft durch die Nase aus. Er dachte sich sein Teil. Daß er Old Tuffy für einen ausgemachten Angeber hielt, lag auf der Hand. »Ich habe keine Karte, aber ich kann Ihnen eine Skizze anfertigen und sämtliche Namen der bisher überfallenen und bis jetzt noch verschonten Ranches nennen.« »Das würde unsere Arbeit wesentlich erleichtern«, sagte Tom. »Wenn Sie meinen, Ranger«, brummte Godfrey und nahm an seinem alten Schreibtisch Platz. Aus der Schublade kramte er ein Stück Papier heraus und begann, tief darüber gebeugt, zu zeichnen. Godfrey hatte eben die Umrisse des Countys zu Papier gebracht, als die Tür zum Office unsanft aufgestoßen wurde. Onyx, der die Tritte draußen auf dem Stepwalk schon früher gehört hatte als die Männer, war aufgesprungen. Abwartend, aber angriffsbereit stand er in der Nähe von Tom Kelly, der auf einem Stuhl saß und den Ankömmling musterte. Eine steile Falte bildete sich dabei auf seiner Stirn. Der Mann, der hereinkam, war ungewöhnlich groß und hatte ein schmales, längliches Gesicht. Seine Kleidung war verstaubt. Er wirkte müde. Godfrey stand auf. »He, Borden!« rief er dröhnend, als hätte er einen Gehörkranken vor sich. »Du läßt dich auch mal wieder hier sehen. Was ist los?« Die augenscheinliche Freude über das unerwartete Wiedersehen war einseitig. Denn Borden lachte nicht. »Diese Hunde«, sagte der Eintretende gepreßt. »Sie haben

heute nacht die Ranch der Youngs niedergebrannt, die beiden Alten erschossen und den jungen Young verletzt. Außerdem wurden die Rinder von den Young-Weiden abgetrieben.« Godfrey schnappte nach Luft. Er blickte zu Tom Kelly. In seinen Augen zeigten sich eine Spur von Unsicherheit, aber auch ein winziger Funken Triumph, daß seine vorangegangenen Worte bestätigt wurden. »Das ist aber noch nicht alles«, redete Borden weiter. »Sie haben auch meine Ranch niedergebrannt und mein Vieh gestohlen. Zum Glück hat meine Frau sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht, sonst hätten wir sie gleich anschließend begraben können.« Tom Kelly erhob sich. »Haben Sie die Kerle gesehen?« Borden schüttelte müde den Kopf. »Ich nicht. Meine Frau hat die Bande beobachtet, als sie unser Haus in Brand gesteckt hat.« Kelly nickte. »Wo liegt Ihre Ranch, Mister Borden?« Der Rancher ging ein paar Schritte nach vorn. Er deutete mit der Spitze des Zeigefingers auf einen Punkt der Skizze. »Genau hier«, sagte er leise. »Und das ist... war die Ranch von Young.« Dabei zeigte er auf eine Stelle, die von der ersten nicht weit entfernt war. »Ich nehme an, Sie haben den verletzten Mann zum Doc gebracht«, schaltete sich Old Tuffy ein. Borden warf ihm einen beinahe mitleidsvollen Blick zu. »Wohin sonst?« knurrte er gereizt. Old Tuffy ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. »Ich werde mal mit Ihrer Frau sprechen!« erklärte er. Als der Alte das Office verlassen hatte, erzählte Borden den Hergang der Geschichte, die sie am Abend und in der Nacht erlebt hatten. »Eine ganze Latte, was?« wandte sich der Sheriff an den Ranger. »Das ist aber kein Einzelfall. Jeder, der mit diesen

Kerlen einmal zu tun gehabt hatte, wußte die Grausamkeit der Bande zu schildern.« Tom gab Godfrey keine Antwort. Er nahm die Zigarillo, die Borden ihm anbot, und steckte sie an. »Ihr Frau hat also erzählt, daß die Männer Totenkopfmasken getragen haben und schwarze Mäntel oder Umhänge, auf die Skelette gemalt waren. Aber erkennen konnte sie niemanden?« Borden lachte bitter auf. »Ich garantiere Ihnen, Mister, daß sie auch ohne Maske keinen erkannt hätte. Das sind keine Kerle, die hier in der Gegend leben. Sie sind von irgendwo anders hergekommen.« »Aber warum legen sie dann Masken an?« fragte Godfrey. »Das deutet meiner Meinung nach darauf hin, daß die Burschen doch aus der Gegend sind und die Schau mit der Maskerade nur deshalb aufführen, damit niemand ihr Gesicht sieht.« »Wie dem auch sei«, unterbrach Tom. »Ich halte für wichtig, daß Sie Ihre Skizze weiterzeichnen, Godfrey. Vielleicht kann Ihnen Mister Borden helfen.« Borden nickte. Er stellte sich neben Godfrey, der wieder Platz genommen hatte. Das für Godfreys selten strapaziertes Gehirn anstrengende Werk war noch nicht ganz fertig, als der Sheriff einen Pfiff durch die Zähne ausstieß. Tom hatte die Zigarillo fertiggeraucht und zertrat den Stumpen unter dem Stiefelabsatz. Er erhob sich. »Sie hatten recht, Kelly«, gab Godfrey jetzt zu. »Wenn man das so sieht, läßt sich doch eine ganze Reihe von wichtigen Einzelheiten erkennen. Oder sagen wir: vielleicht läßt sich eine gewisse Methode heraussehen.« »Nämlich?« Tom blieb abwartend mit über der Brust verschränkten Armen stehen. »Daß diese Dreckskerle ihr Unwesen nur in einem

bestimmten Gebiet getrieben haben. Ein zwanzig und mehr Meilen breiter Randstreifen zwischen dem Rio Pecos und der Goodnight-Ranch ist bisher ausschließlich von dem Banditengesindel heimgesucht worden.« »Und was halten Sie davon, Godfrey?« »Daß dahinter ein System steckt«, warf Borden ein. »Ich kann mir auch schon vorstellen, wer seine schmutzigen Finger im Spiel hat.« »Ach?« Erstaunt blickte Tom den Sprecher an. Borden schüttelte den Kopf und stützte sich auf die Tischplatte. »Das kann doch nur von der Goodnight-Ranch kommen. Die sauberen Brüder Manson scheinen sich ausbreiten zu wollen. Sieht so aus, als möchten die Kerle das gesamte Land unter einen Hut bringen.« Godfrey bemerkte den fragenden Blick Kellys. »Das sind zwei Brüder, denen die größte Ranch weit und breit gehört«, klärte er den Ranger auf. »Die Ranch ist Gold wert. Aber sie braucht eine Menge Wasser. Bisher haben sich die anderen Rancher dagegen gewehrt, wenn die Mansons ihre Rinder über fremde Weiden zum Fluß treiben wollten.« »Haben Sie sich bei den Brüdern schon einmal umgesehen, Sheriff?« Godfrey schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich denke, daß wir mit diesen aalglatten Hunden auch nicht fertig würden. Diese Brüder sind mit allen Wassern gewaschen. Wer ihnen nicht paßt, wird aus dem Weg geräumt.« »Ganz so einfach stelle ich mir die Angelegenheit allerdings nicht vor«, widersprach Tom. »Ich weiß nämlich zufällig, daß auch auf der anderen Seite der Goodnight-Ranch die gleichen Schweinereien vorkommen. Auch dort soll eine Geisterbande existieren. Nur hat das absolut nichts mit Wasser für die Ranch zu tun, wenn Sie mich fragen.« Godfrey und Borden schauten den Ranger fragend an.

»Das Merkwürdige daran aber«, fuhr Tom fort, »ist, daß die Überfälle fast immer an zwei Stellen zur gleichen Zeit laufen.« »Woher wissen Sie das, Ranger?« Godfrey konnte seine Überraschung nicht mehr verbergen. Er hatte zum erstenmal das Wort »Ranger« ausgesprochen und ließ James Borden dadurch aufhorchen. »Ranger?« fragte der hochgewachsene Mann mit dem Ausdruck höchster Verblüffung. Godfrey nickte stolz. »Ich habe den Ranger angefordert. Allerdings war ich dabei der Ansicht, ein ganzer Trupp würde auftauchen und einmal gründlich in dieser Gegend aufräumen.« Tom schmunzelte. »Wir brauchen keinen Trupp. Je weniger Kämpfer gegen die Bande antreten und gegen die unbekannten Hintermänner, um so besser scheint es mir.« »Ein Himmelfahrtskommando, wenn Sie mich fragen«, stellte Borden fest. »Aber so schlecht ist der Gedanke nicht. Weniger Männer haben eine größere Chance.« »Ich nehme an, daß Sie sich etwas ausruhen wollten, Mr. Borden«, meinte Tom. »Sobald Sie ausgeschlafen haben, melde ich mich bei Ihnen. Dann sollten wir vielleicht die Spuren verfolgen, die uns zur Bande führen können.« Godfrey stieß einen geringschätzigen Laut aus. »Das haben schon viele versucht, Ranger. Aber irgendwie endeten diese Spuren urplötzlich. Und bisher sind ein paar Männer von ihrem Ausflug nicht mehr zurückgekehrt.« *** Old Tuffy änderte seine Absicht. Eigentlich hatte er sich mit Bordens Frau unterhalten wollen. Als er aber am Saloon vorbeiging und bemerkte, wie an einem Tisch gepokert wurde, siegte die Versuchung. Er schob sich durch die Pendeltür, trank erst ein kühles Bier

am Tresen. Dann näherte er sich, eine Flasche Whisky in der Hand, dem Tisch der Pokerspieler. Die Männer, die pokerten, sahen in dem gutmütig wirkenden Alten ein lohnenswertes Opfer. Sie ließen ihn bereitwillig in der Runde Platz nehmen und spielten weiter. Der kauzige Alte mischte sofort kräftig mit. Er brachte auch das Gespräch geschickt auf die Geisterreiter, die viele schon gesehen zu haben vorgaben. Aber keine einzige Antwort war dabei, die Old Tuffy für weitere Nachforschungen hätte zugrunde legen können. Als die Karten lautlos über den Tisch segelten, dachte Old Tuffy nicht mehr an die maskierten Banditen. Er konzentrierte sich ganz auf sein Spiel. In gewohnter Manier beginn Old Tuffy zunächst einige gravierende Fehler, die seine Mitspieler zu einem schadenfrohen Lachen reizten, dann aber legte er los. Fortuna war auf seiner Seite. Sie bescherte ihm in der fünften Runde ein Fullhouse und damit zwanzig Dollar. Noch hielten die Mitspieler das für einen Zufall, als Old Tuffy jedoch auch in den nächsten Spielen mit erstaunlich guten Karten aufwartete, wurden die Gesichter immer länger. Old Tuffy bemerkte nicht, wie der ihm gegenübersitzende Mann seine Hände zu den Colts schob. Plötzlich sprang der Mann auf. Der Stuhl polterte zu Boden und im gleichen Augenblick starrte Old Tuffy in die Mündung eines Sechsschüssers. Der Hammer der Waffe war gespannt. »Verdammter Falschspieler«, fauchte der sehnige Mann und stierte Old Tuffy aus blutunterlaufenen Augen an. Die anderen Mitspieler erhoben sich betreten. Sie suchten aus der Schußlinie zu kommen. Nur Old Tuffy blieb ruhig sitzen. »Du solltest dir deine Worte ganz genau überlegen, Junge«, sagte er kühl und ließ sich nicht zur geringsten Bewegung

hinreißen, die der Fremde hätte falsch verstehen können. »Steh auf!« herrschte der ihn an. »Wenn du einen Trick versuchst, blase ich dir ein Loch in den Kopf, bevor du zum Denken kommst, du dreckiger Kartenhai!« In Old Tuffys Kopf arbeitete es. Das lederartige Gesicht des Alten glättete sich etwas, als er die Zähne zusammenbiß. Seine Backenmuskeln waren unablässig in Bewegung. Der Bursche mit dem Colt würde keine Sekunde zögern. Darüber war sich Old Tuffy klar. Jetzt stand er ganz langsam auf. »Falschspieler, he?« fragte er krächzend. »Ich schätze, dir hat die Sonne das Hirn verbrannt, mein Junge. Oder hast du vielleicht gesehen, wie ich eine Karte aus dem Ärmel gezaubert habe? Was? Du hast ein bißchen verloren. Das ist alles. Und nun willst du dein Geld auf diese Weise wieder zurückhaben, he?« Während er redete, beobachtete Old Tuffy den Gegenüberstehenden ganz genau. Er wartete auf einen winzigen Augenblick der Unaufmerksamkeit. Aber selbst durch die Worte des Alten ließ sich der Bewaffnete nicht vom Thema ablenken. »Du weißt, was man mit Falschspielern macht?« fragte er lauernd. Old Tuffy verzog seine Lippen zu einem Grinsen. Er mußte handeln. Das war notwendig, denn sonst legte der Kerl ihn auf der Stelle um. Wenn er schnell genug war, konnte er die Stadt verlassen, ohne daß Sheriff Godfrey ihn überhaupt zu Gesicht bekam. »Moment mal, Junge«, sagte er kühl. »Ich denke, daß ich schon mehr Pokerrunden hinter mir habe, als du zählen kannst. Aber noch keiner hat mir vorgeworfen, daß ich falschspielen würde. Und wenn du glaubst, daß du den Anfang machen kannst, sitzt du im falschen Sattel. Hast du mich verstanden?« »Du nimmst deine Schnauze ganz schön voll, Alter. Aber

ich lasse mich nicht beeindrucken...« Nur einen Herzschlag lang blickte der Kerl zur Schwingtür hinüber, die sich leicht bewegte. Das genügte Old Tuffy, eine winzige Chance zu erkennen. Blitzschnell tauchte er nach vorn, bekam die Tischkante zu fassen und wuchtete das schwere Möbel hoch. Mit einem heftigen Schwung kippte er den Tisch um, daß er dem Bewaffneten genau auf die Stiefelspitzen polterte. Der Kerl fuhr zusammen und schoß. Die Kugel fetzte ins Holz der Tischplatte. Old Tuffy bückte sich, zog gleichzeitig, gab dann dem Tisch noch einmal einen heftigen Stoß. Die Revolverhand des hochgewachsenen Mannes wurde zur Seite geschlagen. Ein Schuß löste sich, er ließ aus der Decke Staub rieseln. Aber da kam über Old Tuffy das Verhängnis. Der Schütze besaß noch so viel Geistesgegenwart, sich gegen den aufgestellten Tisch zu stemmen und ihn in die vorherige Lage zurückzuwuchten. Old Tuffy wollte sich gerade erheben, als die schwere Eichenplatte herunterkrachte und ihn mit einem mörderischen Schlag zu Boden schmetterte. Der Alte hatte das Gefühl, von einem Felsblock erschlagen zu werden. Sein ganzer Rücken war mit einem Mal gefühllos. Er schnappte nach Luft, keuchte, konnte sich aber sekundenlang nicht bewegen. Diese winzige Zeitspanne nützte der Pokerspieler aus, den Tisch beiseite zu schieben. Old Tuffy lag jetzt ungedeckt vor ihm auf der Erde. »Genug geredet, Alter«, brummte der Bursche. »Jetzt ist Schluß! Steh auf!« Old Tuffy kam mühsam auf die Beine. Er hatte verloren. Kalter Schweiß trat Old Tuffy auf die Stirn, als er sah, wie

sich der Lauf des Colts hob und auf sein Gesicht richtete. Die Mündung der Waffe zeichnete sich als Kreisrundes, schwarzes Loch vor seinem Gesicht ab. Eine Sekunde, vielleicht noch zwei, dann würde aus dieser Öffnung eine grelle Flamme herausschlagen und eine Unze Blei, die sich in Old Tuffys Schädel bohren sollte. »Verdammt noch mal, Junge, sei vernünftig«, krächzte Old Tuffy heiser. Er streckte abwehrend die Hände vor. »Also: hol schon die Karten raus, Mann!« Resignierend hob Old Tuffy die Schultern. Mit einem Mal überlief es ihn siedend heiß. Er sah unter seinen Stiefelsohlen zwei Karten liegen. Verdammter Dreckskerl, dachte er und warf dem Burschen einen vernichtenden Blick zu. Raffinierter, als ich dachte. Der Bursche mußte die beiden Asse durch irgendeinen Trick dort hingezaubert haben. Wie, war Old Tuffy noch nicht ganz klar. Tatsache jedenfalls war, daß er auf den Karten stand. Und wenn er einen einzigen Schritt zur Seite wagte, sahen alle den angeblichen Beweis für sein Falschspiel. Old Tuffy überlegte fieberhaft, wie er diese Falle umgehen konnte. Aber so sehr er sich auch um eine vernünftige Lösung Gedanken machte, so wenig fand er sie. »Geh zurück!« Old Tuffy wurde starr. Der Bursche wußte, was er wollte. Wenn er einen Fuß zurücksetzte, die Karten also aufdeckte, würde der andere schießen. Zögernd und ohne die Stiefelsohle vom Boden zu nehmen, zog Old Tuffy das linke Bein einen halben Schritt rückwärts. Dabei gelang es ihm, die Karte mitzurutschen und mit dem Stiefel noch zu verdecken. »Schneller!« bellte sein Gegenüber. »Los, mach schon! Zurück!« Aus. Old Tuffy mußte, ob er wollte oder nicht. Seine Muskeln krampften sich zusammen. Wenn der Bursche schoß,

mußte er schleunigst irgend eine Deckung finden, hinter der er verschwinden konnte. Er hob das linke Bein, die Karten wurden sichtbar. Old Tuffy schnellte zur Seite, sah, wie der Colt nach vorn stieß und plötzlich flog etwas Schwarzes heran und prallte gegen den Mann. Der Colt brüllte auf. Die Kugel wurde durch den Aufprall abgelenkt und verirrte sich zwischen einigen Stühlen. Gleichzeitig schrie der Mann auf. Er kreischte wie irr. Seine Stimme überschlug sich. Der Colt fiel zu Boden, dann stürzte der Mann rücklings auf die Erde. Onyx’ Ansturm war so mächtig, daß der Kerl beim Zusammenprallen das Gleichgewicht verloren hatte. Jetzt ließ das Wolfsblut seine Fänge locker und gab das blutende Handgelenk frei. Schon stand er aber mit gebleckten Fangzähnen über der Brust des Burschen, der kreidebleich geworden war und keinen einzigen Laut von sich zu geben wagte. Beinahe umheimliche Stille herrschte im Saloon. Die Männer drückten sich an die Wand und starrten voller Unbehagen auf das schwarze Ungetüm, das drohend knurrte, sobald der Kerl am Boden nur schluckte. Old Tuffy richtete sich auf. Er atmete tief durch. Das war verdammt knapp gewesen. Der Alte bückte sich und nahm die beiden Asse vom Boden auf. Er ging zu dem Kerl und warf sie ihm ins Gesicht. »Was war mit dem Falschspiel?« fragte er kalt. Ängstlich stierte der Bursche auf Onyx, der ihn nicht aus den Augen ließ. Die grünlich schimmernden Wolfsaugen strahlten eine derartige Gefahr aus, daß allein der Blick des Schwarztimbers schon genügt hätte, den Mann in Schach zu halten.

»War ja... nicht so gemeint, Mister... sollte ein Spaß sein«, würgte der Kerl heraus. »Komische Späße, Amigo. Du glaubst es vielleicht nicht, aber ich verstehe keinen Spaß, wenn es um solche Spielchen geht. Wie hast du die Karten dorthin gezaubert?« Der Bursche war von panischer Angst erfüllt. Er hörte daher kaum, was Old Tuffy sagte. »Ja, ich habe sie dort hingelegt, Mister«, stieß er heraus. »Mann, nehmen Sie das Vieh da weg! Ich... er bringt mich um, verflucht!« Onyx zog die Lefzen zurück und ließ ein kurzes Knurren hören. Dabei spritzten ein paar Speicheltropfen auf das Gesicht des Burschen. Der wagte sie nicht einmal abzuwischen aus Angst, Onyx könnte seine Bewegung falsch auffassen. In diesem Augenblick wurde die Pendeltür aufgestoßen. Sheriff Godfrey und Tom Kelly kamen herein. Tom übersah mit einem einzigen Blick die Situation. »Onyx«, sagte er ruhig. Das Wolfsblut ließ von dem Mann ab und trollte sich zu seinem Freund. Er blieb an Toms Seite. Der Bursche kam schwankend auf die Beine. Er griff sich an den Hals, als wollte er sich vergewissern, daß noch alles vorhanden war. Die Vorstellung, daß der Halbwolf mit einem einzigen Biß seine Kehle hätte aufreißen können, ließ ihm im Nachhinein noch einen Kälteschauer über den Rücken rinnen. *** Erst bei Tageslicht ließ sich das Ausmaß der Vernichtung auf der Borden-Ranch erkennen. Die Bande hatte ganze Arbeit geleistet. Von den Gebäuden waren lediglich ein paar rauchende Trümmer übrig, die bizarr in die Luft ragten wie riesige, ausgestreckte schwarze Finger, die jemand warnen wollten.

Tom sah es Borden an, wie schwer es diesem Mann fiel, sein Lebenswerk vernichtet zu finden. Borden biß die Zähne zusammen. Zwei Tränen rannen über sein zerfurchtes Gesicht. Er wischte sie verstohlen weg. Tom tat, als sei ihm das nicht aufgefallen. Er schaute sich auf dem Gelände der Ranch um. Eine Menge Hufspuren waren zu erkennen. »Sie sagten, daß die Manson-Brüder dahinterstecken, Borden«, erinnerte Tom sich an die Unterhaltung mit dem Rancher. »Hatten Sie mit ihnen Streit?« Borden schüttelte den Kopf. »Ich kenne die beiden Brüder überhaupt nicht«, sagte er. »Nur ihre Namen sind mir bekannt. Und einige ihrer Weidereiter. Ich glaube, er ist Vormann, der vor einem Jahr auf meiner Ranch war und wissen wollte, ob sie die Rinder von der Goodnight-Ranch über meine Weiden treiben dürften. Ich habe abgelehnt. Meine Weiden sind zum großen Teil gut und saftig. Aber ich brauche sie für meine Rinder. Wenn nun die Herden der Mansons drübergetrieben würden, müßte ich damit rechnen, daß sie eine ganze Menge Futter wegfressen, das sonst meinen Tieren zugute kommen würde.« »Was haben die Mansons Ihnen geboten, wenn Sie die Rinder hätten drübertreiben lassen?« »Fünfhundert Dollar im Jahr«, entgegnete Borden. Er konnte seinen Blick nicht von dem zerstörten Ranchgebäude wenden. »Kein schlechter Preis.« Borden lachte auf. »Eine lächerliche Summe, wenn man bedenkt, daß die Manson-Rinder praktisch den ganzen Sommer auf meinem Land grasen würden. Genausogut hätte ich gleich auf einen Teil meiner Weiden verzichten und das Land an die Mansons verkaufen können.« Tom sah sich nach Onyx um, der seine Schnauze dicht über

der Erde hatte und die Witterung der fremden Pferde und Reiter aufnahm. Die Spuren waren zwar alt, doch noch gut genug, daß Onyx mit seinem empfindlichen Riechorgan die wesentliche Zusammensetzung der Witterung aufnehmen konnte. »Ich schlage vor, daß wir nach Ihrer Herde sehen«, meinte Tom und nahm Strong herum. Er ließ den Blauschimmelhengst antraben. Borden folgte dem Ranger, während Onyx auf der alten Spur zurücklief und schließlich bei der Stelle, wo die Skelettreiter abgebogen waren, haltmachte. Obwohl er nicht verbergen konnte, daß er nervös war und immer noch hoffte, seine Herde oder wenigstens einen Teil davon vorzufinden, vermied Borden dieses Thema peinlich. Statt dessen meinte er: »Ihr Freund wird eine Menge Scherereien bekommen, denke ich. Der Kerl, dem Ihr Wolfsblut an den Hals gefahren ist, gehört zur Manson-Mannschaft. Der Sheriff wird sein blaues Wunder erleben, wenn die Kumpane des Burschen auftauchen und ihn aus dem Jail herausholen wollen.« »Ich glaube kaum, daß sie das riskieren«, erwiderte Tom. »Was haben denn die Manson-Brüder zu fürchten? Sie haben eine Mannschaft von drei Dutzend Männern. Und es sind harte Burschen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Godfrey dieser Horde viel entgegenzusetzen hätte, wenn es den Brüdern einfallen sollte, in die Stadt zu stürmen und ihren Kollegen aus dem Gefängnis herauszuholen.« »Ich reite heute noch hinüber«, meinte Tom. »Ich bin neugierig, ob sich die Brüder freuen, mich kennenzulernen.« Borden streckte die Hand aus. Sie hatten einen Hügel erreicht, von dem aus sich ihnen ein weiter Überblick über das vor ihnen liegende Land bot. Ein paar Meilen voraus, nordwestlich, ließ sich ein Taleinschnitt erkennen.

Borden wies mit dem ausgestreckten Arm in diese Richtung. »Dort haben wir die Herde vor einigen Tagen hingetrieben, damit die Tiere nicht unmittelbar der glühenden Sonne ausgesetzt sein sollen. Verdammt, wenn ich daran denke, würde ich am liebsten auf die Goodnight-Ranch reiten und mir die Kerle schnappen.« Tom schüttelte langsam den Kopf. »Nichts übereilen!« warnte er. »Bisher ist es lediglich eine Annahme, daß diese Burschen dahinterstecken. Mehr nicht. Wenn wir gegen die Mansons etwas unternehmen, müssen wir vorher Beweise gegen sie in der Hand haben.« »Die haben wir, wenn wir meine Rinder auf den GoodnightWeiden finden«, grollte Borden. »Auch dann noch nicht«, widersprach Tom Kelly. »Denn die Manson-Brüder schwören vor Gericht unter Garantie jeden Eid darauf, daß Ihre Rinder sich verlaufen hätten oder sonst etwas, das man nicht von der Hand weisen kann.« »Sie mögen recht haben, Kelly.« Borden wurde etwas ruhiger. »Aber ich verspreche ihnen, daß ich mich rächen werde. Diese verdammten Rinderdiebe werden an einem dicken Strick baumeln.« Tom ließ Strong losgehen. Er ritt hinter Onyx her, der den Hang bereits hinter sich hatte und auf das Tal zutrottete. Wie Borden von vornherein vermutete, war die Herde weggetrieben worden. Ein paar Kadaver lagen in dem Tal. Geier hatten sich darüber hergemacht. Als Onyx sich näherte, flogen die Biester davon und stießen ihre kreischenden Schreie aus, die Borden in den Ohren klangen. Tom stieg aus dem Sattel. Er suchte den Boden nach Spuren der Reiter ab. Doch durch die Rinder war die Erde aufgewühlt worden, so daß der Ranger bestenfalls erkennen konnte, in welche Richtung die Herde getrieben worden war. »Jetzt bist du an der Reihe, Onyx«, rief Tom dem Wolfsblut

zu und beobachtete interessiert, wie Onyx die Fährte aufnahm. Der Weg, den die Herde genommen hatte führte zuerst nach Westen aus dem Tal heraus, beschrieb dann einen Schwenk nach Norden und zog sich schließlich erneut nach Osten. »Ich habe es mir schon gedacht«, knurrte Borden. »Nach ein paar Meilen beginnt das Land der Mansons. Inzwischen bin ich absolut sicher, daß niemand anders als diese Kerle hinter den seltsamen Skelettreitern stecken.« Sie hatten ein Gebiet erreicht, in dem sich zahlreiche Bodenwellen von Norden nach Süden erstreckten. In den Senken wuchsen Sträucher und kleine Bäume. Onyx war mit einem Mal verschwunden. Tom verlangsamte das Tempo. Er gewahrte den fragenden Blick von Borden. »Ein guter Ort für einen Hinterhalt«, erklärte er. Borden schrak bei diesen Worten zusammen. Er wollte nach seinem Gewehr greifen. Aber Toms abwehrende Handbewegung ließ ihn die Waffe wieder in den Scabbard zurückstoßen. »Vielleicht können wir diese verdammte Senke umgehen«, schlug der Rancher vor. Aber Tom schüttelte den Kopf. »Wenn jemand auf uns wartet, soll er nicht enttäuscht werden«, meinte er trocken. Er hatte das letzte Wort noch nicht ganz über die Lippen, als er knapp fünfzig Yards voraus einen metallenen Gegenstand in der Sonne aufblitzen sah. Mit einem kehligen Schrei stieß der Ranger Borden aus dem Sattel und hechtete hinterher. Die Männer kamen hinter einem Busch zu liegen, während Strong und das Pferd von Borden noch ein Stück trabten, dann stehenblieben und schließlich ein paar Yards abseits zu grasen begannen. Borden hatte noch nicht erfaßt, wieso Kelly ihn vom Pferd gestoßen hatte. Er rieb sich die schmerzende Hüfte. Tom hielt Ausschau nach der Stelle, wo er das Blinken

bemerkt hatte. Er war überzeugt, daß sich die Sonnenstrahlen auf einem Gewehrlauf gebrochen und das Gleißen bewirkt hatten. Doch als die Reiter aus dem Sattel gesprungen waren, mußte sich der Kerl, der da im Hintergrund lauerte, schleunigst zurückgezogen haben. Borden schnaubte. »Sie haben sich getäuscht, Kelly«, behauptete er. »Da ist kein Hinterhalt.« Tom nahm die Winchester hoch und reichte sie dem Rancher. »Nehmen Sie die Waffe und schleichen Sie nach rechts zu den Büschen hinüber, Borden! Ich versuche es von der anderen Seite. Wir werden die Kerle in die Zange nehmen.« Borden erhob sich. Er schlich wortlos durch das teilweise kniehohe verdorrte Gras, bis er auf halber Strecke hinter einem Baumstamm Schutz fand. Inzwischen hetzte Tom Kelly mit großen Sätzen über die kahle Fläche zur Linken. Er wollte auf eine Gruppe von Sträuchern zusteuern. Von dort aus konnte er ungehindert durch das dichte Unterholz an die Stelle herankommen, wo kurz vorher noch ein Mann auf sie gewartet hatte. Tom dachte an Onyx. War vielleicht das Wolfsblut daran schuld, daß der vermeintliche Heckenschütze plötzlich untertauchte? Wenn ja, dann bestand längst keine Gefahr mehr. Aber merkwürdigerweise vernahm Tom nicht die sonst üblichen Signale, die der Schwarztimber ausstieß, wenn er Tom Bescheid geben wollte. *** Onyx war durch Dornen und Gestrüpp geschlichen. Er fand sich besser zurecht als ein Mensch. Ihm war die Wildnis vertraut, und die Dornen und Stacheln, die in sein dichtes, schwarzes Fell fuhren, verletzten ihn nicht.

Längst hatte das Wolfsblut die Witterung des Mannes aufgenommen, der in der geballten, buschigen Krone eines knorrigen Baumes stand und sein Gewehr eben an die Wange hob. Noch hielt sich der Schwarze verborgen. Er beobachtete und maß die Entfernung bis zum Baum. Sie betrug höchstens zehn Schritt und war ohne Gefahr innerhalb von Sekunden zurückgelegt. Onyx machte ein anderes Problem zu schaffen. Er schätzte die Höhe der Baumgabelung. Sie war gut und gern zweieinhalb Yards über dem Boden. Ein schönes Stück, das Onyx unter allen Umständen bewältigen mußte. Er hatte nur eine einzige Chance. Wenn er sie ungenutzt verstreichen ließ, war es um ihn und seinen Freund geschehen. Der Mann hatte von hier aus die beinahe einzigartige Gelegenheit, die Reiter aus den Sätteln zu schießen, bevor die an einen Hinterhalt dachten. Und sie waren schon so nahe, daß Onyx sie nicht mehr warnen konnte, ohne gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Schützen auf sich zu lenken. Der Timber kam behutsam aus seiner Deckung heraus. Er blieb einen Augenblick stehen, dann sprang er mit wenigen riesigen Sätzen los, hob einige Schritt vor dem Baumstamm ab und erreichte mit knapper Not die Gabelung. Doch dies genügte, den Schützen zu packen. Die Fangzähne des Schwarztimbers gruben sich in das brüchige Stiefelleder. Der Mann schrie heiser auf. Er verlor das Gleichgewicht und ruderte im höllischen Schreck mit beiden Armen, bevor er auf die Idee kam, sich festzuhalten. Das Gewehr krachte durch die Zweige und schlug unten am Boden auf. Onyx wurden gegen den Baumstamm geschleudert. Er heulte auf, löste seine Fangzähne aus den Stiefelschäften, verlor den Halt und purzelte auf die Erde. Auch der Mann fand keinen Halt mehr. Er stürzte herunter

und schlug dicht bei Onyx auf. Dabei kam er mit einem Teil seines Oberkörpers auf Onyx’ rechtem Hinterlauf zu liegen. Onyx wurde durch das Gewicht des Mannes und die Wucht des Aufschlages in die Knie gezwungen, heulte auf, dann aber gelang es ihm, den Hinterlauf unter dem Körper des Mannes hervorzuziehen. Onyx, rasend vor Schmerz und Schreck, fuhr herum. Er sah, wie der Mann seinen Colt aus dem Holster herausriß, ihn hochbrachte und abdrücken wollte. Mit einem wütenden Knurren schloß er seine Fänge um den Unterarm des Mannes, wartete nur so lange, bis die Waffe auf die Erde fiel, spürte gleich nach dem wilden Schrei des Mannes einen heftigen Schlag in der Flanke, raste blitzschnell herum und fuhr dem Mann an die Gurgel. Das sonst eher überlegen und überlegt vorgehende Wolfsblut war außer sich und wurde zu einer bitterbösen, alles zerreißenden Bestie, die nur noch den Feind vor sich sah, sonst nichts mehr. Mit unglaublicher Kraft biß Onyx zu. Es war ein tödlicher Biß. Plötzlich hörte Onyx Schritte im Dickicht. Er ließ von seinem Opfer ab und war auch schon im Unterholz verschwunden. Dort wartete er, bis der herbeieilende Mann auf die freie Fläche kam. Er war klein und untersetzt. Seine buschigen blonden Augenbrauen leuchteten auf, als die Sonne darauf fiel. Onyx duckte sich auf die Erde und äugte hinüber. Der Mann blieb stehen, stemmte seine krummen Beine auf den Boden und suchte die Lichtung ab. In der Armbeuge hielt er eine Winchester schußbereit. »He«, rief er unterdrückt, als er seinen Gefährten liegen sah. »Was ist los, Ben?« Als er keine Antwort erhielt, kam er geduckt näher. Er sah den Toten.

Onyx witterte den Angstschweiß des Mannes, der kreidebleich geworden war und sich unsicher umblickte. Von rechts wurden Schritte laut. Der bewaffnete Mann fuhr hoch, schien eine Sekunde zu überlegen, dann rannte er auf das Gebüsch zu. Onyx verharrte still in seinem Versteck. Der Mann warf sich nur ein paar Schritte neben ihm zu Boden und zog ein Grasbüschel vor das Gesicht. In diesem Augenblick erschien auch schon Tom Kelly auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung. Er hatte den Colt in der Rechten und spähte um sich. Der Kerl, der sich ins Gebüsch geschlagen hatte, legte das Gewehr an die Wange. Onyx erkannte die Gefahr, die seinem Freund drohte. Er schätzte sie auch richtig ein. Der Schütze hatte sein Ziel im Visier. Er legte den Zeigefinger an den Stecher, wollte ihn durchziehen. Aber da setzte Onyx ab. Mit einem einzigen Satz war er bei dem Burschen, landete mit den Vorderbeinen auf dem Gewehrlauf, wodurch dem Kerl die Waffe entrissen wurde. Der Schütze wollte einen Schrei ausstoßen. Noch hatte er nicht kapiert, daß es kein Mensch war, der über ihn kam wie das Verderben, sondern ein Wolfsblut. Erst als er herumrollte und nach seinem Messer greifen wollte, gewahrte er Onyx in seiner vollen Größe und erstarrte mitten in der Bewegung. Denn Onyx’ Schnauze war dicht vor seinem Gesicht Die gewaltigen Fangzähne jagten dem Mann Angst und Schrecken ein. Und der heiße Wolfsatem brachte den Kerl zum Würgen. Tom Kelly war die heftige, aber nur kurz währende Auseinandersetzung auf der anderen Seite nicht entgangen. Mit großen Schritten lief er hinüber. Als Onyx sah, daß Tom von dem Heckenschützen keine Gefahr mehr drohte, ließ er von dem Burschen ab und zog sich einige Schritte zurück.

Leichenblaß und zitternd richtete sich der Bursche langsam auf. Tom suchte ihn hastig nach Waffen ab. »Ich denke, du hast mir jetzt eine schöne Geschichte zu erzählen«, meinte Tom Kelly kühl und verschränkte die Arme über der Brust. »Aber ich rate dir, nicht mehr lang zu warten, sonst erlebst du, was ein Wolf mit einem Menschen anrichten kann, den er nicht mag!« Mit einem erschreckten Blick musterte der Untersetzte Onyx, der sich niedergelegt hatte und harmlos wirkte wie ein Schoßhund. Aber unverkennbar war seine Haltung angriffsbereit. Sein Blick ruhte lauernd auf dem Heckenschützen. »Ich rede, Mann«, stotterte der Kerl und sprudelte heraus, was er wußte. Ihm kam es noch immer erträglicher vor, irgendwo hinter Gittern zu sitzen, als von einem solchen Untier zerrissen zu werden. *** Eine schmale Gasse zwischen dem Jail von Bountry und dem Mietstall ließ dem Mann genügend Raum, an das vergitterte Fenster des Gefängnisses heranzuschleichen. Eddie, der nach dem Zwischenfall im Saloon von Sheriff Godfrey eingesperrt worden war, schaute in die laue Nacht hinaus. Er überlegte, wie er aus dem Käfig wieder herauskommen sollte. Allein schaffte er es auf keinen Fall. Blieb ihm also nur noch die Hoffnung, daß ihm seine Freunde halfen. Noch während er überlegte, daß diese Nacht für ein solches Vorhaben besonders günstig war, hörte er ein scharrendes Geräusch. Sofort waren Eddies Sinne angespannt. Er lauschte in die Dunkelheit und klammerte sich an das Gitterfenster.

Doch gleich herrschte wieder absolute Stille. Eddie schnaubte verächtlich. Er wußte nur zu gut, daß er bis jetzt noch nicht einmal vermißt wurde. Erst am nächsten Morgen würde sein Verschwinden auffallen. Also konnte er frühestens am nächsten Abend mit dem Auftauchen seiner Freunde rechnen. Aber da war wieder dieses Geräusch. So, als würde Leder an den Bohlen der Gefängniswand entlangscheuern. Schnell sah sich Eddie um. Im Office flackerte eine Laterne. Ab und zu hörte er ein Schnarchgeräusch, das von Godfrey stammte. »Psst«, hörte er es zischen. Noch näher schob er sich an das Gitter. Endlich vermochte er eine Gestalt auszumachen. Allerdings nur ganz undeutlich, denn nicht der geringste Lichtschein fiel in diese Gasse. Es war so finster, daß man nicht einmal die Hand vor den Augen sehen konnte. »He, was ist?« fragte Eddie flüsternd. Statt einer Antwort kam eine Hand hoch. Eddie griff danach und spürte mit einem Mal einen harten Gegenstand. Einen Colt. Am liebsten hätte er einen Freudenschrei ausgestoßen. Aber über all der Freude ließ sich sein plötzlich aufkommendes Mißtrauen nicht einfach unterdrücken. »Wer schickt dich?« raunte er durchs Gitterfenster. »Der Boß«, hörte er ebenso leise als Antwort. »Du sollst noch heute nacht raus aus dem Kasten!« »Ist gut.« Eddies Mißtrauen war verflogen. Er hatte eine Waffe und Nachricht vom Boß. Und er würde in dieser Nacht noch aus dem verdammten Kasten herauskommen. Die Gestalt verschmolz wieder mit der Dunkelheit. Das Geräusch der Schritte verklang. Und dann war Eddie wieder allein. Vorsichtig überprüfte er die Waffe. Dann, als diese Prüfung

zu seiner vollen Zufriedenheit ausgefallen war, setzte er sich auf die Pritsche und überlegte, wie er es am besten anstellte, den Sheriff ins Jail zu locken und auszuschalten. Er hatte schon eine Menge gehört. Von Männern, die nicht nur einmal im Gefängnis gesessen hatten und geflohen waren. Und diese Erfahrungen wollte sich Eddie zunutze machen. Er erhob sich. Die Waffe verbarg er im Hosenbund unter dem Hemd, das er über dem Colt in die Hose schob. »He, Godfrey!« Das Schnarchen im Office hörte schlagartig auf. Eddie wartete ab. Als die Schnarchtöne erneut einsetzten schrie er noch einmal: »He, Sheriff! Verdammt noch mal, hören Sie denn nicht?« Godfrey räusperte sich schlaftrunken. »Was ist denn, du Hundesohn? Laß mich gefälligst in Ruhe und halt die Klappe. Ich brauche meinen Schlaf. Und dir möchte ich raten, dich auch aufs Ohr zu legen. Bald wirst du nicht mehr so rumbrüllen, wenn sich der Richter mit dir beschäftigt.« »Ich will was trinken, Mann!« »Ich komme ja schon«, gab Godfrey mürrisch zurück. Mit schlurfenden Schritten kam er in das angebaute Gefängnis. Die Gittertür kreischte in den Angeln, als er sie aufzog und das Jail betrat. Er ging auf einen Blecheimer zu und schöpfte mit einer verbeulten Tasse Wasser heraus. Eddie streckte die Hände nach der Tasse aus und riß sie gierig an sich. Godfrey fluchte. »Verdammt, du Idiot verschüttest...« In diesem Augenblick schoß ihm der Wasserstrahl mitten ins Gesicht und ließ ihn die Luft anhalten. Bevor er wieder zu Atem kam, blickte er in die Mündung eines Colts. »Hände hoch, Godfrey«, zischte Eddie. »Ich möchte dich nicht gern über den Haufen schießen. Aber wenn du mich dazu

zwingst, werde ich es dennoch tun. Darauf kannst du dich verlassen, Mann!« Godfrey hob zögernd die Hände gegen die Decke. »Du machst einen Fehler, Junge«, sagte er gepreßt. »So kommst du nicht davon.« Eddie lachte auf. »Und ob ich davonkomme, Godfrey. Den Schlüssel!« Der Sheriff reichte zähneknirschend den Zellenschlüssel durch die Gittertür. »Geh ein Stück zurück und schnall den Gurt ab!« Der Sheriff tat, wie ihm geheißen wurde. Als die beiden Holster auf dem Boden aufschlugen, schob er sie mit den Stiefelspitzen auf die Zelle zu und trat zurück bis zur Wand. Eddie lachte froh. Er sperrte die Tür auf und stakte hinaus. In sicherer Entfernung von Godfrey blieb er stehen und gab dem Sheriff einen Wink mit der Waffe. »Jetzt gehst du hinein in den Bau, mein Lieber!« Die Hände immer noch nach oben gestreckt, schlurfte Godfrey in die Zelle. Er versuchte gar nicht erst, Widerstand zu leisten. Er wollte das Amt des Sheriffs von Bountry noch länger bekleiden. Das jedoch konnte er nur, wenn er weiterlebte. »Hinlegen«, kommandierte Eddie und wartete, bis Godfrey sich auf den Bauch gelegt hatte. Mit Handschellen, die an einem Nagel an der Wand hingen, fesselte er dem Sheriff ein Bein, wobei er die zweite Schelle mit einem der Gitterstäbe verband. Anschließend fesselte er dem Sheriff die Hände auf dem Rücken und steckte ihm einen Knebel in den Mund, den er mit dem Halstuch Godfreys fest verschnürte. Dann verließ er die Zelle und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Im Office holte er sich seinen Gurt, schnallte ihn um, setzte den Stetson wieder auf und schlich durch die Hintertür hinaus. Er hatte von Godfrey erfahren, daß sein Pferd im Leihstall

untergebracht war. Bald darauf hörte der Sheriff Huftritte, die sich schnell entfernten. Schweiß stand dem Gesetzeshüter auf der Stirn. Es war verdammt schwül in dieser Nacht. In der Ferne hörte er Donnergrollen. Er hoffte, daß ein Gewitter niedergehen würde. Die Gefangenschaft von Godfrey dauerte knapp fünf Minuten. So lang, bis Eddie aus Bountry verschwunden war. Dann wurde die Tür zum Jail aufgerissen. Old Tuffy erschien. Er sah Godfrey und lachte über das ganze Gesicht. »Hübsch sehen Sie aus, Godfrey. Ich muß schon sagen, daß es ein ausgesprochen angenehmer Anblick ist, einen Sheriff im eigenen Gefängnis eingesperrt zu sehen.« Dumpfe Geräusche und ein heftiges Kopfschütteln des Sheriffs sollten eine Antwort ausdrücken, deren Sinn Old Tuffy aber nur ahnen konnte. Er nahm den Schlüsselbund, den Eddie in eine Ecke geworfen hatte, und sperrte die Zellentür auf. Zuerst befreite er Godfrey vom Knebel. Der Sheriff schnaufte tief durch. Old Tuffy löste die Handschellen. Er lachte wieder. »Am schönsten aber ist«, kicherte er, »daß Eddie uns auf den Leim gegangen ist.« *** James Borden hatte sich in den Schlafsack gerollt. Tom Kelly und Onyx waren nach einer leisen Unterhaltung mit dem Rancher verschwunden. Beim Aufbruch hatte Tom Borden laut zugerufen: »Passen Sie gut auf den Kerl auf, Borden! Ich will morgen, wenn ich zurück bin, mit ihm zu den Mansons reiten. Mal sehen, ob er mich angelogen hat oder nicht!« »Wird gemacht, Kelly! Bis morgen«, rief Borden dem

davonreitenden Ranger nach. Er wartete, bis die Huftritte verklungen waren, ging noch einmal zu dem Gefangenen, dann rollte er seinen Schlafsack auf und kroch hinein. Lauernd beobachtete der Gefangene jede Bewegung seines Bewachers. Die Schwüle der Nacht wurde von einem leichten Wind verweht, der an Stärke zunahm. In der Ferne zuckten Blitze über den Himmel. Düstere Gewitterwolken brauten sich zusammen. Als die ersten Donnerschläge in der Nähe aufkamen, räusperte sich der Heckenschütze. »Wenn ein Gewitter niedergeht, sollten wir schleunigst aus der Senke verschwinden, Mister! Wenn es dick wird, steht in Minuten das ganze Tal unter Wasser und verwandelt sich in einen reißenden Fluß, der uns wegspült wie Strohhalme.« Borden schaute zu dem Burschen hinüber. »Vielleicht hast du recht«, bemerkte er brummend. »Weißt du einen Unterschlupf, damit wir vor dem Regen einigermaßen sicher sind?« Der Galgenvogel nickte. »Ein Vorwerk der GoodnightRanch. Keine zwei Meilen von hier. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es, bevor der Regen richtig einsetzt.« Borden stand auf. Er packte seine Habseligkeiten zusammen und befestigte alles auf dem Pferd des Toten. Anschließend verschnürte er auch die paar Sachen des Gefangenen, ließ ihn in den Sattel klettern und verschnürte anschließend dem Mann die Beine unter dem Bauch des Tieres. Er nahm dann die Zügel seines und der beiden anderen Pferde und brach auf. Der Bursche wies ihm den Weg. Der Wind steigerte sich zum Sturm, der alles mit sich riß, was ihm nicht widerstehen konnte, Bäume entwurzelte und vertrocknete Büsche vor sich hertrug. Unmengen von Sand und Staub wirbelten durch die Luft, peitschten die Gesichter der Männer.

Dazwischen blendeten die Reiter grelle Blitze, die von heftigem Donner gefolgt waren. Borden spürte förmlich, wie die Temperatur der Luft abnahm. Und dann kamen die ersten großen Tropfen. Sie klatschten herunter, vom Wind getrieben. Am Anfang waren es nur wenige. Aber nach und nach wurde der Regen dichter. Borden mußte aus vollem Hals brüllen, um sich in diesem Chaos verständlich zu machen, »He, Mann, wo ist das verdammte Vorwerk?« Der Gefangene zeigte mit ausgestrecktem Arm voraus und brüllte eine Antwort, die ihm der Sturm von den Lippen trug, daß Borden lediglich ein paar Wortfetzen verstehen konnte. Beim nächsten Blitz, der in einen verkrüppelten Baum auf einer kleinen Anhöhe fuhr, sah Borden die Hütte voraus. Nur noch ein paar hundert Yards, dann waren sie dort. Plötzlich spürte er einen harten Zug an seiner Hand. Die Zügel der nachfolgenden Tiere schnitten in seine Haut. Unwillkürlich ließ der Rancher los, und schon hatte er die beiden Pferde verloren. Sie waren einfach weg. Die Dunkelheit und das Unwetter hatten sie verschluckt. Lautlos und endgültig. Für eine Sekunde saß Borden starr im Sattel. Dann riß er die Winchester aus dem Sattelschuh und legte an. Ungefähr konnte er sich die Richtung vorstellen, in die der Kerl geflüchtet war. Der Rancher ärgerte sich über seinen Leichtsinn oder besser: über seine Vertrauensseligkeit. Er wartete auf einen weiteren Blitzschlag, gefaßt, das Gewehr hochzureißen und zu feuern. Als aber der Blitz die Dunkelheit zerriß, konnte Borden überhaupt nichts erkennen. Immer noch steigerte sich die Gewalt des Sturmes und der Regen stürzte in wahren Bächen herab. Borden entschloß sich deshalb, zur Hütte weiterzureiten. Er

konnte nichts, aber auch gar nichts tun, um den Galgenvogel wieder einzufangen. Wenn er durch die Nacht irrte, setzte er höchstens sein Leben und die Gesundheit seines Pferdes aufs Spiel. Endlich hatte der Rancher das Vorwerk erreicht. Er stieg aus dem Sattel, und stieß die Hüttentür auf und versuchte etwas zu erkennen. Die Hütte schien leer zu sein. Borden führte sein Pferd um das Blockhaus und brachte es auf die Seite, wo das Tier vom Sturm geschützt war. Ein kleines Vordach bot dem Pferd eine zusätzliche, wenn auch dürftige Deckung gegen die Unbilden der Natur. Borden stemmte sich gegen den zum Orkan angewachsenen Sturm. Erst in der Hütte atmete er auf. Er riß ein Streichholz an und schützte es gegen den Wind, der erbärmlich durch die Ritzen pfiff. In einer Ecke entdeckte der Rancher eine Bank und über der Feuerstelle bemerkte er eine Laterne, die er ansteckte. Als der Glaszylinder heruntergelassen war, wurde es einigermaßen hell im Raum. Neben der Feuerstelle sah Borden Holz. Er fror. Deshalb entfachte er ein Feuer und wärmte sich. James Borden rieb sich die vor Kälte starren Hände und lehnte sich auf der Bank zurück. Er war müde. *** Als Onyx zu Tom zurück kam, wußte der Ranger, daß etwas geschehen war bei Borden. Er folgte dem Schwarztimber und hörte noch schwach den Hufschlag mehrerer Pferde. Als der Ranger zum Lager kam, fand er es verlassen vor. »Na, was meinst du, Onyx?« fragte er den Schwarztimber. »Wohin sind sie geritten?«

Onyx setzte die Schnauze an den Boden. Er schlug die Richtung ein, die Borden und ihr Gefangener genommen hatte. Durch den einsetzenden Regen und den heftigen Sturm kämpften Tom, Strong und Onyx sich vorwärts. Wobei natürlich Strong den schwierigsten Teil zu bewältigen hatte. Plötzlich blieb Onyx stehen. Nur ein paar Schritt vor Strong. Tom erblickte ihn nur zufällig, als ein Blitz aufleuchtete. Er verhielt Strong und stieg aus dem Sattel. Dann ging er zu Onyx. »Sie haben sich getrennt?« fragte er. »Wohin sind sie geritten?« Onyx trottete einige Yards in die Dunkelheit nach links, dann kam er zurück und verschwand jetzt geradeaus in der Nacht. Tom dachte nach. Das bedeutete nichts anderes, als daß Borden den Gefangenen verloren hatte. Denn freiwillig hätte er ihn angesichts dieser katastrophalen Wetterverhältnisse nicht laufen lassen. »Tja«, knurrte der Ranger übelgelaunt. »Am besten wäre es, jetzt zu wissen, wer wohin geritten ist.« Der Wahrscheinlichkeit nach hatte sich Borden in die eingeschlagene Richtung gehalten, während vermutlich der Galgenvogel in der schützenden Dunkelheit und Wildnis sein Heil gesucht hatte. Trotz des Sturmes stieg Tom Kelly wieder in den Sattel und lenkte Strong nach links. Er würde versuchen, den Kerl zu finden. Aber nach einigen Meilen gab der Ranger seine Absicht auf. Der Regen war so heftig geworden, daß er nicht daran denken konnte, weiterzureiten. Onyx, der bisher kaum nennenswerte Schwierigkeiten hatte, die Witterung zu behalten, tat sich inzwischen bereits schwer, denn der Regen löschte alles aus. Tom beschloß umzukehren. Vielleicht fand er Borden. Dann

erfuhr er mehr. Auf der gleichen Strecke ritt Tom zurück bis zu dem Punkt, wo die Fährten sich gabelten. Dort zweigte er ab und ritt in die gleiche Richtung, die der Rancher eingeschlagen hatte. Nicht lange, dann erblickte auch Tom die Blockhütte. Er fand Bordens Pferd und stellte Strong an der gleichen Stelle im Schutz der Hütte unter. Mit dem Sattel über der Schulter trat er in die Hütte. Das Tosen des Gewitters und des Orkans war derart ohrenbetäubend, daß Borden in der Hütte den Ankömmling nicht gehört hatte. Als Tom Kelly sich umblickte, bemerkte er den Rancher zusammengekauert auf der Bank in der Nahe der Feuerstelle sitzend. Er war eingeschlafen. Erst als der Ranger den Sattel auf die festgestampfte Erde warf, und zwar so, daß er unmittelbar neben Bordens Beinen aufschlug, fuhr der Mann hoch. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte er Tom an. »Verdammt, Ranger, haben Sie mich erschreckt«, stieß er hervor. Tom lachte. »Es ist Leichtsinn, einfach einzunicken, Borden, noch dazu wenn sich in der Gegend einer herumtreibt, der Ihnen ans Leder will!« Schuldbewußt senkte Borden den Kopf. »Ich weiß«, gab er verlegen zu. »Aber ich war so fürchterlich müde...« Tom winkte ab. Er sah zu Onyx hinüber, der sich in respektvollem Abstand vom Feuer auf die Erde gelegt hatte. »Daß ich den Burschen verloren habe, brauche ich wohl nicht mehr zu sagen, Kelly?« »Ich wollte versuchen, ihn einzuholen, aber das Wetter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.« »Und nun?« Fragend schaute Borden den Ranger an. »Ich reite morgen, sobald sich das Wetter gebessert hat, auf die MansonRanch. Dann sehen wir weiter.«

* * *

Old Tuffy war nach der Befreiung von Sheriff Godfrey sofort aufgebrochen. Er trieb Rosinante an, die aber keine besondere Lust verspürte, in dieser Nacht noch einen längeren Ausflug zu unternehmen. Sie hatte mit dem feinen Instinkt eines Tieres begriffen, daß die trügerische schwüle Stille der Nacht nicht lang andauern würde. Doch Old Tuffy, der Eddie den Ausbruch nach einer entsprechenden Verabredung mit Godfrey ermöglicht hatte, ließ nicht locker. Er tat sogar etwas, was man sonst nicht von ihm hörte: er fluchte und beschimpfte Rosinante. »Du elender Bock«, schimpfte er, »wirst du wohl endlich folgen! Ich zieh’ dir das Fell über die Ohren und schneide es in Streifen, wenn du nicht gleich läufst! Es wird höchste Zeit, daß ich mich von dir trenne, du bockbeiniges Maultier! Ich werd’ mir ein Pferd anschaffen, dann brauche ich mich nicht mehr mit deinen Launen herumzuärgern!« Zorn war aus den Worten des Alten herauszuhören. Er verlor wertvolle Zeit mit den Zicken Rosinantes. Und in dieser Zeit erreichte Eddie einen vielleicht nicht mehr aufzuholenden Vorsprung. Vorläufig kannte Old Tuffy lediglich die Richtung, in der Eddie die Stadt verlassen hatte. Wohin er sich aber außerhalb der Stadt wandte, konnte der Alte nur ahnen. Rosinante war mit einem Mal ruhig und still, ließ Old Tuffy in den Sattel klettern, dann trabte sie los. Aber so geschwind, als wollte sie die verlorene Zeit wieder wettmachen. Old Tuffy saß aufrecht im Sattel. Er hatte ein Streichholz zwischen den Zähnen und kaute darauf genußvoll herum. Der Weg beschrieb außerhalb der Stadt einen Bogen in nordwestliche Richtung. Von dort aus führte er einige Meilen

über ebenes Land, um anschließend in eine Steigung überzugehen. Trotz der pechschwarzen Nacht ließen sich die Felsen im Wetterleuchten erkennen. Old Tuffy überlegte nicht lang. Wenn er einen Unterschlupf gesucht hätte, wäre er in jedem Fall zu diesen Felsen hinübergeritten. Dort fanden sich genügend Möglichkeiten, sich zu verstecken. Eine erste Brise wehte über die Ebene, als Old Tuffy noch gut eine Meile von den Felsen entfernt war. Er hielt seinen Hut fest und nahm die Zügel streng in die Hand. »Schätze, es gibt gleich ein Gewitter«, meinte er zu sich selbst. Jetzt verstand er, weshalb sich Rosinante so störrisch gezeigt hatte. »Eigentlich bist du doch ein braves Mädchen«, stellte er fest und klopfte Rosinantes Hals. Regentropfen klatschten vereinzelt herab. Die Blitze ringsum ließen das Land sekundenlang in greller, bizarrer Helligkeit aufleuchten. Old Tuffy war bei den Ausläufern der Hügelkette. Er trieb Rosinante zur Eile an. Bevor das Unwetter richtig loslegte, wollte er einen trockenen Unterstand finden. Eddie einzuholen war momentan nicht sein wichtigstes Ziel. Er hatte das Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein. Bei Tageslicht konnte er eine Menge nachholen. Nach einer halben Stunde, als der durch die Schlucht heulende Sturm Old Tuffy aus dem Sattel zu heben drohte, kletterte der Reiter vom Rücken Rosinantes und führte das Maultier hinter sich her. Beim Licht des letzten Blitzes glaubte er ein Stück voraus einige zerklüftete Felsnischen bemerkt zu haben. Dort konnte er wenigstens notdürftigen Schutz finden. Die Felsnische entpuppte sich als weitläufige Höhle, von deren Sorte es in dieser Schlucht eine ganze Anzahl zu geben schien. Old Tuffy leuchtete das Innere mit einigen Streichhölzern

aus. Er fand die Höhle ideal, denn nur einige Yards nach dem Eingang stieg der Boden leicht an. Wenn sich unter Umständen ein Sturzbach in die Schlucht ergoß, blieb es in der Höhle immer noch trocken. Aufatmend sattelte der Alte Rosinante ab. Er hatte in der Nähe des Höhleneingangs einige verdorrte Büsche gesehen. Sie eigneten sich vorzüglich als Feuerholz. Old Tuffy ging hinaus in die Finsternis. Als er zurückkam, schleppte er so viel trockenes Geäst hinter sich her, als wollte er in der Höhle den nächsten Winter verbringen. In einem Winkel, der durch einen vorspringenden Felsen gebildet wurde, lud der Alte seine Last ab und zerkleinerte die Büsche mit seinem Bowiemesser. Ein paar Minuten darauf flackerte ein helles Feuer in der Höhle. Mit Wasser aus seiner Feldflasche kochte Old Tuffy Kaffee. Er briet sich etwas Speck und stand, nachdem er Rosinante mit Wasser und Futter versorgt hatte, auf, um vor die Höhle zu gehen. Kräftiger Regen hatte eingesetzt. Er verwandelte den vorwiegend sandigen Boden in der Schlucht in Minutenschnelle in ein Schlammfeld. Jetzt konnte man keine zwei Yards mehr sehen, so dicht war der Regenschleier. Old Tuffy lehnte sich an die Felswand und starrte gedankenverloren hinaus. Plötzlich fuhr der Alte zusammen. Ihm war, als hätte er den peitschenartigen Knall eines Gewehrschusses gehört. Lauschend legte er eine Hand an das Ohr. Nur das Heulen des Sturms und das laute Prasseln des Regens waren zu vernehmen. Sonst nichts. »Habe ich mich geirrt?« fragte sich Old Tuffy halblaut Zwar neigte er dazu, diese Erklärung zu glauben, aber dann beschloß er trotz Regen und Sturm hinauszugehen und sich zu vergewissern.

Old Tuffy holte seine Waffen, zog den Gummiponcho über und drückte den Hut fest auf den Kopf. Er legte das Sturmband ums Kinn und stapfte hinaus in das Rasen der Naturelemente. Old Tuffy brauchte einige Zeit, sich zurechtzufinden. Um die Orientierung nicht zu verlieren, hielt er sich dicht am Felsen. So kämpfte er sich gegen die Macht des Orkans Schritt für Schritt vorwärts. Ein hartes Poltern ließ ihn zusammenfahren. Zum Glück sprang er unwillkürlich ein paar Schritte nach vorn, denn im gleichen Augenblick, als ihm klarwurde, woher das Poltern rührte, sausten einige Felsbrocken von der Steilwand herab und schlugen genau an der Stelle ein, wo er eine Sekunde vorher noch gestanden hatte. Wäre nicht das chaotische Tosen der Naturgewalten gewesen, das Old Tuffy kaum zum Nachdenken kommen ließ, er wäre vor Schreck erstarrt. Doch so stapfte er unverdrossen weiter. Er knurrte lediglich einen Fluch. Seine Sinne waren angespannt. Er suchte das geringste Licht auszunützen. Beißender Rauchgeruch wurde an ihm vorbeigeweht. Old Tuffy schnupperte, aber der Orkan hatte den Geruch längst weitergetragen. Wenig später machte Old Tuffy eine weitere Höhle vor sich aus. Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. An den feucht glitzernden nackten Felswänden am Eingang spiegelte sich das Flackern eines Feuers. Gespannte Aufregung fuhr in Old Tuffy wie ein Blitz. Er umklammerte die Winchester unter dem Poncho. Seine Schritte wurden langsamer. Er preßte sich dicht an die Felswand. Wenn der vorübergehende Bewohner der Höhle zufällig herausblickte und Old Tuffy im grellweißen Licht eines Blitzes erblickte... Old Tuffy pirschte sich an den Eingang heran. Er schob seinen breitkrempigen Hut in den Nacken und spähte

vorsichtig um die Ecke nach drinnen. Er hätte am liebsten einen Pfiff ausgestoßen, um seine Überraschung zu dokumentieren. Jetzt roch er den Duft von gebratenem Fleisch. Über dem Feuer im Hintergrund der Höhle war ein Kaninchen aufgespießt, das der danebensitzende Mann langsam drehte. Old Tuffy kannte den Burschen nicht. Dafür aber waren ihm die Züge des anderen Gesichts um so besser geläufig. Das war Eddie, der ein paar Schritt vom Feuer entfernt an der Wand hockte und sich zurücklehnte. Der Schuß vorhin hatte dem Kaninchen gegolten, das sich wohl zufällig vor den Höhleneingang verirrt hatte. Vielleicht war durch einen entwurzelten Baum der Bau des Tieres zerstört worden. Möglichkeiten gab es reichlich. Die Kerle in der Höhle scherten sich nicht darum, was draußen los war. Sie fühlten sich ausgesprochen wohl. Und das bewies Old Tuffy, daß die Männer nicht mit der Anwesenheit eines Fremden rechneten. Eddie mußte sich seiner Sache ungemein sicher sein. Old Tuffy überlegte. Auf irgendeine Art mußte er die Kerle schachmatt setzen. Oder war es besser, sich auf die Rolle des Beobachters zu beschränken? Immerhin war er mit seinen Überlegungen davon ausgegangen, daß Eddie einer von den Skelettreitern war. Das würde auch den Begleiter Eddies in diese Kategorie einreihen. Wenn Old Tuffy abwartete, bis sich das Wetter gebessert hatte, konnte er auf den Spuren der Kerle bleiben. Es mußte ihm gelingen, das Lager der Bande auszumachen. Vorsichtig zog sich Old Tuffy zurück. Er suchte seine Höhle wieder auf. Als er noch einmal den Duft des Kaninchenbratens in die Nase bekam, wurde ihm der Mund wäßrig. ***

Der Orkan hatte seinen Höhepunkt wohl kurz nach Mitternacht erreicht. Das Vorwerk, in dem Tom Kelly und Borden untergekommen waren, ächzte und bebte. Es schien lediglich eine Frage von Minuten, bis das Bauwerk endlich der verheerenden Gewalt des Orkans nachgeben und zusammenstürzen würde. Aber Tom ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte sich neben Borden auf die Bank gesetzt. Die Männer unterhielten sich über Belanglosigkeiten. Borden brauchte dieses Zwiegespräch, um nicht wieder einzuschlafen. Onyx erhob sich plötzlich. Seine Bewegung kam so abrupt, daß Tom unwillkürlich ebenfalls auffuhr. Er legte den Zeigefinger vor die Lippen und deutete Borden an, leise zu sein. Onyx stand bei der Eingangstür. Er schnupperte und kratzte ein paarmal dagegen. Daß der Schwarztimber hinaus wollte in die rauhe Nacht, blieb sogar Borden nicht verborgen. »Was will er denn draußen?« fragte er leise. Tom hob die Schultern. Er hatte sich seine Gedanken darüber gemacht, äußerte seinen Verdacht dem Rancher gegenüber jedoch nicht. Er vertraute auf Onyx. Der Timberwolf würde seine Aufgabe, die er freiwillig übernommen hatte, im Alleingang lösen. Vorsichtig schob Tom Kelly den Riegel an der Tür zurück, öffnete sie einen Spaltbreit und ließ Onyx hinausschlüpfen. Der Schwarztimber blieb neben der Hüttentür einen Augenblick stehen und starrte mit seinen grün glühenden Lichtern in die Nacht hinaus. Die Huftritte, die ihm der Orkan zutrug, waren hier viel deutlicher zu hören als im Gebäude. Und die Witterung auch. Der Reiter, der sich der Hütte näherte, verhielt sein Tier.

Onyx bemerkte, wie er aus dem Sattel kletterte und das Gewehr aus dem Sattelschuh holte. Das Wolfsblut trottete los. Es wußte, daß es bei der Dunkelheit und dem Lärm in jeder Weise überlegen war. Bevor der Reiter überhaupt kapierte, was sich ereignete, würde er von Onyx überwältigt sein. Onyx verharrte einige Yards vor dem Mann, der sein Pferd am Zügel hinter sich herzog. Genau in diesem Augenblick wurde die schwarze Wolkendecke von einem Blitz zerrissen, der die ganze Breite des Himmels überzog. Der Reiter stieß einen Schrei aus. Er hatte den Schwarzwolf gesehen. Hastig riß er das Gewehr hoch und feuerte. Ein-, zweimal blitzte die Mündungsflamme auf. Onyx war mit wenigen schnellen Sätzen verschwunden. Er hechelte, als er etwa auf gleicher Höhe mit dem Mann stand und hinüberäugte. Sein Unternehmen würde wesentlich schwieriger werden, nachdem der Bursche ihn nun gesehen und zweifellos auch erkannt hatte. Der Schütze lauschte. Er versuchte den Halbwolf in der Nacht auszumachen. Sein Unterfangen war natürlich sinnlos, denn das schwarze Fell von Onyx war die beste nur denkbare Deckung. Onyx ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er sich dem Reiter erneut näherte. Er duckte sich dicht an die Erde, wartete den nächsten Blitz ab. Er sah, wie der Reiter sich zur anderen Seite hinüberwandte. Gleich darauf spürte der Halbwolf die Gefahr. Er hastete ein Stück nach rechts, schon blitzte es drüben bei dem Mann wieder auf. Der hatte nichts von dem Wolfsblut gesehen, sondern er schoß blindlings in die Nacht. Dabei wäre ihm um ein Haar auch noch der Satan zu Hilfe gekommen.

Der Mündungsblitz, der den Schützen blendete, war kaum verblaßt, als Onyx absetzte. Die geballte Kraft, mit der er lossprang, trug ihn mühelos bis zu dem bewaffneten Mann. Onyx bekam mit den Reißzähnen die Schulter des Burschen zu fassen, biß zu, wurde durch den Schwung seines Sprungs herumgeschleudert, ließ los. In der gleichen Sekunde polterte das Gewehr des Mannes zu Boden. Der Bursche war vor Schreck nicht einmal in der Lage, einen Schrei auszustoßen wie beim ersten Mal, wo er Onyx gesehen hatte. Blitzschnell fuhr er mit der Hand zur höllisch schmerzenden Schulter und krampfte seine Finger um die tiefe Wunde, die der Halbwolf ihm geschlagen hatte. Noch hatte der Fremde nicht kapiert, was geschah, als Onyx erneut heran war. Mit seinem mächtigen Schädel rammte er in die Magengrube des Burschen. Er wartete, schon wieder vor ihm stehend, ab, bis der Bursche zusammenklappte, dann griff er wieder an. Er schlug seine Fänge in die Hüften des Reiters, sprang von neuem ab. Der teuflische Schmerz, der den Mann von Kopf bis Fuß durchraste, ließ ihn mit einem heiseren Schrei auf die Knie niedergehen. Aber er besaß die Geistesgegenwart, seinen Colt herauszureißen und auf den Schwarztimber anzuschlagen. Einen Herzschlag später brüllte die Waffe auf. Die tödliche Ladung konnte Onyx nicht gefährden. Die Witterung hatte Onyx schon Klarheit verschafft, bevor er den Mann richtig ausgemacht hatte. Der Reiter, der sich da aus der Dunkelheit näherte, war niemand anders als der Bursche, der Borden vor einigen Stunden entflohen war. Die Beweggründe, zurückzukommen, mochten sein, daß der Bursche Borden aus dem Weg räumen wollte. Er konnte nicht ahnen, daß inzwischen Tom Kelly und Onyx wieder bei dem Rancher waren. Der Galgenvogel schoß die ganze Trommel leer, riß dann

den zweiten Colt aus dem Hosenbund und feuerte wild um sich. Eine seiner Kugeln streifte das Pferd an der Kruppe. Das Tier stieg plötzlich hoch, wieherte wild und jagte ungeachtet des Orkans in die Dunkelheit hinein. Der Kerl fluchte wie besessen. Noch hatte er zwei Schuß übrig, bevor er nachladen mußte. Er suchte vergeblich nach Onyx. Seine grenzenlose Wut, nicht zuletzt durch die ungeheuren Schmerzen verursacht, steigerte sich zur Raserei. Aber noch ein Funken Vernunft war übrig geblieben. Der Galgenvogel wartete darauf, daß sein unheimlicher Feind sich eine Blöße gab. Er kannte Onyx kaum. Deshalb konnte er nicht wissen, daß der Schwarztimber sich keine Blöße gab, wie sein Gegner sie wohl erwartete. Onyx war ein Sohn der Wildnis. Obwohl er Tom Kelly treu ergeben war, hatte niemand das Urtümliche, das Wilde in dem Wolfsblut auslöschen können. Für Onyx war es in vielen Auseinandersetzungen ein Pluspunkt, daß seine Gegner ihn oft für feige und ungefährlich hielten wie einen unterwürfigen, zahmen Hund, der im Ernstfall den Schwanz einzieht und davonrennt. Dem augenblicklichen Gegner von Onyx war die Gefahr wohl bewußt, die von Onyx ausging. Dennoch schätzte er ihn falsch ein. Das wurde ihm auch zum Verhängnis. Solange der Bandit den Colt in der Hand hatte und schußbereit darauf wartete, daß der Timberwolf wieder auftauchte, rührte Onyx sich nicht von der Stelle. Er hatte in einer flachen Mulde Deckung gefunden. Wenn der Bandit auch auf ihn schoß – hier konnte er Onyx nicht treffen. Die wenigen Minuten des Wartens, in denen der Orkan weiter die Natur erschütterte, waren für den Banditen eine einzige Tortur. Nicht nur, daß seine Wunden erbärmlich brannten, auch das Warten zehrte an seinen Nerven.

Schließlich konnte der Galgenvogel sich selbst nicht beantworten, was für ihn schlimmer auszuhalten war: das Warten auf den nächsten Angriff oder der wellenartig aufkommende Schmerz, der sich durch den ganzen Körper zog. »Komm her, du verdammter Bastard!« brüllte der Bandit in die Richtung, wo er Onyx vermutete. Sein Haß war grenzenlos. Er wollte die schwarze Bestie vernichten. Er schwor sich, dem Timberwolf das Fell bei lebendigem Leib streifenweise vom Körper zu schneiden. Quälen würde er seinen Feind, den er zu erlegen hoffte. Gnadenlos wollte er sein. So gnadenlos, wie der Schwarztimber auch sein konnte. Onyx reagierte natürlich nicht auf diese Aufforderung. Er wußte, daß alle Trümpfe auf seiner Seite waren. Bis auf zwei. Und das waren die Kugeln im Colt des Angreifers. Der Schwarztimber hatte die Augen halb geschlossen. Er sah genug. Und alle seine Erfahrungen im nächtlichen Zweikampf hatten ihn gelehrt, daß sein Gegner grün schimmernde Wolfslichter in der Dunkelheit erkennen konnte und eine ideale Zielscheibe hatte, wenn Onyx nicht entsprechend vorsichtig war. »Na, komm doch, du verfluchter Schinder! Ich warte auf dich!« Der Galgenvogel benahm sich in seiner schäumenden Wut wie ein Kind. Obwohl er genau wußte, daß sein Gegner sich nicht durch Kränkungen oder gar Beleidigungen provozieren ließ, versuchte er es dennoch immer wieder. Jedoch ohne Erfolg. Onyx hatte Zeit. Viel Zeit. Er wartete und beobachtete. Sein Gegner strahlte Nervosität aus. Er hatte Angst. Ganz erbärmliche Angst. Deshalb ließ er sich auch aus der Reserve locken. Seine Furcht vor dem schwarzen unheimlichen Feind in der Dunkelheit bewirkte, daß er auch die letzten beiden Kugeln noch aus dem Lauf jagte.

Onyx hörte den zweiten Schuß, dann das stumpfe »Klick«, als der Hammer auf eine bereits leergeschossene Patrone schlug und er schnellte nach vorn. Genau zur gleichen Zeit, als Onyx kurz vor dem Banditen war, fuhr ein neuer greller Blitz durch die Nacht. Eine Messerklinge blitzte auf. Die Spitze war genau auf Onyx’ Körper gerichtet. Der Schwarze schaffte es, sich in der Luft zu wenden, landete einige Handbreit vor dem gegen ihn gerichteten Messer, fuhr herum, bekam mit den Fängen den Unterarm des Kerls zu fassen und biß zu. Noch hielt der Bandit den Colt in der anderen Hand. Er zog Onyx den Lauf der Waffe über den Rücken. Das dichte Fell des Timberwolfes hielt die Wucht dieses Schlages zwar teilweise ab, doch der Schmerz, als das Metall auf das Rückgrat des Wolfes krachte, wurde nicht wesentlich gemildert. Der Kerl schlug erneut mit dem Colt zu, traf Onyx an der Schnauze und donnerte die Waffe gegen den Schädel des Timberwolfes. Onyx war eine Sekunde benommen, rollte von dem Banditen herunter, stieß einen kurzen Schmerzlaut aus, sprang zähnefletschend wieder auf den Gegner zu und ging von neuem auf ihn los. Der Bandit handelte trotz seiner Schmerzen blitzschnell. Er rollte zur Seite, verpaßte Onyx einen Tritt in den Leib. Allerdings streifte er ihn nur mit der Stiefelspitze. Onyx ließ sich dadurch nicht beirren. Er bekam die andere Hand des Kerls zu fassen. Der Colt fiel aus den kraftlosen Fingern. Gleich darauf spürte der Bandit den geöffneten Rachen des Schwarztimbers an der Kehle. Er schrie wieder. Dann biß Onyx zu. Der Höhepunkt des Orkans war überschritten. Der Wind

ließ langsam nach. Nur der Regen klatschte mit unverminderter Stärke herunter. Onyx kam restlos durchnäßt bei der Hütte an und kratzte mit den Vorderpfoten am Holz. Tom öffnete. Er hatte seinen Colt in der Rechten. Als er sah, wie Onyx zugerichtet worden war in dieser Auseinandersetzung, nahm er seinen Freund mit in die Nähe des Feuers, holte eine Decke vom Sattel und rieb das Fell trocken. Onyx ließ sich diese Behandlung gefallen und rieb seinen Kopf an Kellys Brust Der Ranger hatte sich hingekniet. Er bemerkte die leichte Wunde an Onyx’ Lefzen und behandelte sie mit einem Wundöl, das Onyx nicht sehr mochte, weil es anfangs brannte. Als er sich erhob und auf die Tür zuging, wollte Onyx ihn begleiten. Aber Tom schickte ihn zurück ans Feuer. »Bleib hier, Onyx! Ich denke, daß ich den Rest ganz gut allein erledigen kann.« Am Benehmen des Wolfes erkannte der Ranger, wie der Kampf ausgegangen war. Er wußte, daß Onyx’ Gegner nicht mehr lebte. Borden hatte die Szenerie mit erstaunten Blicken beobachtet. Er konnte nicht verstehen, daß sich Tom mit Onyx unterhielt wie mit einem Menschen. Und er konnte sich nicht genug darüber wundern, daß der Schwarztimber jedes einzelne Wort von Tom verstand. »Soll ich mitkommen, Kelly?« fragte er unsicher. »Nicht nötig, Borden«, winkte Tom ab. »Ich kann mir vorstellen, wer der Mann ist, der tot da draußen liegt.« »Tot?« »Onyx hat ihn zur Strecke gebracht«, erklärte Tom ungerührt. »Er wollte uns ans Leben. Aber er hat nicht mit Onyx gerechnet. Sein Pech. Und unser Glück.«

Borden schüttelte sich. Sein Respekt vor Onyx und dem Ranger wuchs ins Unermeßliche. Dieses Duo wurde ihm nach und nach unheimlich. Die beiden, Mann und Wolf, waren hart wie Stahl. Und sie ergänzten sich, ohne daß es von beiden Seiten einer Aufforderung bedurfte. Gerade so, als könnte einer die Gedanken des anderen lesen. *** Old Tuffy verließ die schützende Höhle, als der Orkan sich legte. Gegen den Regen konnte er sich auch mit seinem Poncho schützen. Er warf den Umhang wieder über und stapfte erneut in die Nacht hinaus. Schräg gegenüber der Höhle, in der Eddie und sein Freund Schutz gesucht hatten, ließ sich der Alte hinter einem Felsblock nieder. Die Erde war weich. Sie dampfte. Es roch frisch nach einem Gemisch von Regen und feuchtem, lebendem Boden. In tiefen Zügen sog Old Tuffy diese Frische in seine Lungen. Er liebte diesen Duft und konnte sich daran förmlich berauschen. Der Alte setzte sich auf einen Teil seines Ponchos. Der nasse Stein strahlte die tagsüber gespeicherte Wärme ab. Der Regen ließ nun langsam etwas nach. Die Erde schien zu trinken. Anfangs, als die Wassermassen heruntergestürzt waren, hatten sich kleine Sturzbäche und Überschwemmungen gebildet. Bald jedoch war dieses Naß von der Erde aufgesogen worden. Alles schien mit einem Mal aufzuleben. So, als wäre in dieser Nacht ein Wunder geschehen. Alle Spannung war aus der Atmosphäre gewichen. Das Grollen des Donners war nur noch ganz entfernt zu hören und nur noch selten blitzte es. Am Horizont zeigte sich das Wetterleuchten. In dieser seltsamen Stimmung überkam Old Tuffy ein

Hauch von Melancholie, wenn er daran dachte, daß in ein paar Stunden die Sonne heraufdämmerte und das vorübergehend gesättigte, feuchte Land wieder in eine ausgetrocknete, dürre Wüste verwandelte. Nur weiter unten in der Ebene wuchs Gras und entlang dem Fluß. Gutes Gras für die Rinder. Gewaltsam schob Old Tuffy seine Gedanken beiseite. Er gab sich Mühe, nicht weiterzuträumen und sich auf die zwei Burschen zu konzentrieren. Drüben bei der Höhle zeigte sich eine Männergestalt. Der Kerl streckte die Hand ins Freie und prüfte, wie stark der Regen noch war. Die Prüfung war offenbar zur Zufriedenheit ausgefallen, denn jetzt erschien auch Eddie am Eingang. Er ging einige Schritte ins Freie, nahm seinen Stetson ab und ließ die Regentropfen auf den Kopf klatschen. »In zwei Stunden brechen wir auf«, hörte Old Tuffy ihn zu seinem Begleiter sagen. »Bis dahin wird es hell. Nach drei Stunden Ritt haben wir es geschafft. Bevor die große Hitze kommt, sind wir am Ziel.« Der andere antwortete zustimmend. Er steckte die eben gedrehte Zigarette in den Mundwinkel, riß ein Streichholz an und brannte den Tabakstengel an. Der würzige Rauch wurde von der leichten Brise, die noch wehte, zu Old Tuffy herübergetragen. Der Alte schnupperte gierig und verspürte Lust, auch eine zu qualmen. Aber so sehr diese Vorstellung ihn auch quälte – er harrte geduldig aus, als die Männer längst wieder in der Höhle verschwunden waren. Sie bereiteten ihren Aufbruch vor. Als die Dämmerung heraufzog und der Horizont sich verfärbte, rutschte Old Tuffy etwas tiefer in die kleine Senke, die neben dem Felsblock vom Wind ausgehöhlt worden war. Die Gipfel strahlten. Die Regentropfen glitzerten wie Tausende von Diamanten, als die Sonnenstrahlen auf die

Gipfel der Felsen trafen. Dort oben war heller Tag, während hier in der Schlucht noch die letzten Schatten der Nacht sich verflüchtigten. Old Tuffy duckte sich unwillkürlich, als er drüben die Hufeisen der Pferde auf dem teilweise felsigen Untergrund aufschlagen hörte. Gleich darauf wurde die Gangart der Tiere schneller und die Reiter entfernten sich weiter in die Berge hinein. Als die Männer hinter einer Biegung verschwunden waren, erhob sich Old Tuffy. Er suchte zuerst die Höhle auf, welche die beiden Männer als Unterschlupf vor dem Regen benutzt hatten. Er fand jedoch nichts, was nennenswert gewesen wäre. Eilig ging er zu Rosinante, legte ihr den Sattel auf und zurrte die Gurte fest. Dann führte er das Maultier aus der Höhle. Rosinante zeigte dieses Mal keinerlei Unmut. Old Tuffy schien es sogar, als trabte sie fröhlicher dahin als jemals zuvor. Mit dem Maultier war der Alte den beiden Reitern gegenüber erheblich im Vorteil in diesem gebirgigen Gelände, in dem Pferde sich oft nur mühsam vorwärts bewegen konnten. Old Tuffy rollte sich während des Rittes eine Zigarette und rauchte sie mit größtem Behagen. Die Spuren der beiden Kerle ließen sich vom Maultier aus einwandfrei erkennen. Lediglich dort, wo der Untergrund aus Fels bestand, wurde die Verfolgung schwieriger. Nur einige helle Streifen, die von den Hufeisen gezogen worden waren, als die Pferde rutschten oder einen Lauf nachzogen, waren ab und an zu sehen. Old Tuffy vermutete, daß die Kerle in ein Versteck reiten würden. Sie hatten davon gesprochen, daß drei Stunden Ritt vor ihnen lagen. Demnach mußte das Lager sich noch ein schönes Stück weiter in den Bergen befinden. Rosinante näherte sich einer Gabelung. Ausgerechnet an dieser Stelle war wieder gewachsener Fels als Untergrund. Old

Tuffy verhielt Rosinante und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte. Der nach rechts abweisende Weg stieg leicht an, während der linke eben weiterführte. »Na, was meinst du, altes Mädchen?« fragte Old Tuffy und wartete auf Rosinantes Reaktion. Das Maultier blickte nicht weniger unschlüssig drein als sein Herr. Da er sich jetzt ganz auf den Zufall verlassen mußte, beschloß Old Tuffy, die Wahl des Weges Rosinante zu überlassen. Irgendwann, hoffte er, würde wieder einmal weicher Untergrund kommen, dann ließ sich feststellen, ob er auf dem richtigen Weg war. Rosinante nahm den linken Weg, der eben weiterführte. Das mochte auch eine Entscheidung der Bequemlichkeit sein, denn Rosinante zog es vor, sich grundsätzlich nicht zu überanstrengen, wenn sich das irgendwie vermeiden ließ. Old Tuffy grinste. »Das habe ich mit schon gedacht«, meinte er lachend. »Aber wir werden ja sehen, ob du recht behältst.« Die einzige Abwechslung, die sich dem Reiter bot, bestand in der verschiedenartigen Felsenformation. Der Boden war nackter Fels. Old Tuffy blickte auf seine Taschenuhr. Seit seinem Aufbruch waren knapp drei Stunden vergangen. Entweder er stieß in der nächsten Viertelstunde auf das erwartete Lager der Bande oder er wußte sicher, daß er den falschen Weg genommen hatte. Rosinante wurde auf einen Schenkeldruck hin langsamer. Sie trabte fast gemütlich weiter. Old Tuffy hatte die Winchester aus dem Sattelschuh genommen und hielt sie nun über den Sattelknauf gelegt Mit mißtrauischen Blicken musterte er die Felsen. Im eintönigen Grau des Gesteins war es leicht, sich zu

verstecken. Ein Mann, dessen Kleidung verstaubt war, fiel nicht auf in dieser Steinwüste. Wenn er sich einigermaßen geschickt postiert hatte, konnte er den Alten aus dem Sattel schießen, bevor der nur eine Gefahr ahnte. Old Tuffy verwendete seine ganze Konzentration auf die Beobachtung des Geländes. Als plötzlich rechts oben auf einem Felsvorsprung eine Bewegung sichtbar wurde, flog er sprichwörtlich aus dem Sattel. Er landete neben Rosinante, die ruckartig stehengeblieben war. Der Alte hatte längst sein Gewehr auf den vermeintlichen Feind angeschlagen, als er den Steinadler bemerkte, der dort neugierig hockte und herunterspähte. »Zum Teufel«, schimpfte Old Tuffy. »Ich werde nervös, was?« Rosinante trabte weiter, als Old Tuffy wieder im Sattel hockte. Sie nahm die nächste Biegung. Und dann blieb das Maultier vor einer senkrechten Felswand stehen. Der Weg war zu Ende. Old Tuffy wußte erst nicht, ob er lachen oder weinen sollte über diese Entdeckung. Aber schließlich entschied er sich, Rosinante nichts zu verübeln, denn er hatte ihr die Wahl gelassen, einen Weg einzuschlagen. Obwohl er dem Maultier nicht zeigte, daß er sich ärgerte, hätte Old Tuffy am liebsten eine Litanei von Flüchen vom Stapel gelassen. Er mußte zurück bis zu der Gabelung. Und dann hatte er erneut eine Strecke von mindestens einer Stunde zurückzulegen. Insgesamt also drei Stunden Verlust. »Also, altes Mädchen, kehren wir eben um«, stöhnte er. »Ich kann es nicht ändern.« Mit einem Ruck stieß Old Tuffy die Winchester in den Sattelschuh. ***

Tom Kelly und James Borden hatten den Galgenvogel, der seinen Zweikampf mit Onyx mit dem Leben bezahlen mußte, beerdigt. Lediglich die paar Habseligkeiten, die der Mann mit sich führte, hatten sie an sich genommen. Tom wollte sie den Manson-Brüdern zeigen, um nachzuprüfen, ob der Tote aus der Manson-Mannschaft stammte. Onyx hatte sich von den Männern abgesetzt. Er war wohl auf der Jagd. Irgendwann würde er wieder auf die Spur seines Freundes stoßen und zurückkommen. Der während der Nacht reichlich niedergegangene Regen hatte das Land in einen blühenden, duftenden Garten verwandelt. An Stellen, wo niemand es für möglich gehalten hätte, zeigten sich knospende, grüne Spitzen verschiedenartiger Pflanzen. Blumen waren erblüht und Sträucher, die vorher die kleinen, lederartigen Blätter hatten hängen lassen, wirkten straff und frisch. Das satte Grün des Grases ließ James Bordens Herz lachen. »Wenn wir öfter Regen hätten, Kelly«, meinte der Rancher, »dann würde es das ganze Jahr über so herrlich aussehen in diesem Land.« »Wenn...«, gab Tom zu. »Aber wir sind nicht in Kalifornien.« Sie ritten über eine weite Ebene. Linkerhand zeigte sich ein Waldstreifen, der nur wegen einer unterirdischen Wasserader existieren konnte, die sich dort hinzog. Tom beachtete das Wäldchen kaum. Er warf lediglich einen flüchtigen Blick hinüber. Plötzlich aber fuhr der Ranger im Sattel auf. Borden hatten den Schuß ebenfalls gehört. Scharf und bellend hatte er die friedliche Idylle des blühenden Landes zerrissen und die Männer an die tödliche Gefahr erinnert, die hier allenthalben auf sie lauerte.

»Was war das?« fragte Borden überflüssigerweise. Tom gab Strong einen Klaps. Der prächtige Blauschimmelhengst streckte den herrlichen, kräftig gebauten Körper und preschte los. Seine Hufe schienen die Erde kaum noch zu berühren, so fegte er über das Land. Die Entfernung zu dem Waldstück schmolz. Und je näher Tom dem Wäldchen kam, um so deutlicher waren die Schüsse zu hören. Rufe, Schmerzensschreie und Wutgebrüll brandeten auf. Dann befand sich der Reiter auf einem Pfad, der durch den Wald führte. An Bäumen, Sträuchern und Gräsern glitzerten die Regentropfen in der Sonne. Im gleichen Moment, als sich der Wald wieder lichtete, sah der Ranger Onyx auftauchen. Der Schwarztimber war offensichtlich auf dem Weg gewesen, ihn zu holen. Er sah seinen Freund, verharrte einen Atemzug auf der Stelle, machte kehrt und rannte den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Jetzt erkannte Tom eine trichterförmige Mulde. Und dort unten, eine halbe Meile entfernt, sah er ein paar geduckte Häuser. Eine Ranch. Und mindestens zwei Dutzend Reiter in schwarzen Umhängen, Masken vor den Gesichtern. Totenkopfmasken. Der Ranger biß die Zähne aufeinander. Er holte die Winchester aus dem Sattelschuh. »Los, Strong! Jetzt werden wir mal die Schleier lüften! Wir kommen anscheinend genau im richtigen Augenblick!« Strong beschleunigte sein Tempo noch mehr. Borden war längst ein großes Stück zurückgeblieben. Er befand sich mitten im Wald. Auch Onyx war nicht mehr zu sehen. Er hatte dort unten seine Aufgabe gefunden. Eine verdammt gefährliche Aufgabe für ihn.

Als der Ranger bis auf zweihundert Yards heran war, stellte er sich in den Steigbügeln auf und eröffnete das Feuer. Er war ein guter Schütze, der in der Lage war, auch vom galoppierenden Pferd sein Ziel zu treffen. Noch war Kelly nicht nahe genug heran, einen sicheren Schuß anzubringen. Aber er hoffte, daß er wenigstens einen abschreckenden Effekt ausübte. Nicht allein sein Erscheinen, sondern auch noch das Auftauchen eines zweiten Reiters weiter oben am Waldrand bewogen die Skelettmänner, die Tom jetzt deutlich ausmachte, zu den Pferden eilen. Offenbar glaubten sie, eine stärkere Truppe sei unterwegs, um dem überfallenen Rancher zur Hilfe zu kommen. Tom hörte einen Burschen Befehle schreien. Er saß zusammengekauert im Sattel eines Rappen, flankiert von zwei Skelettreitern, und ruderte mit den Armen, während er die Kerle anbrüllte. Tom zielte auf einen der Begleiter. Er zog den Abzug ab. Der Rückstoß der Büchse war gering. Der links vom Anführer der Bande auf dem Pferd hockende Mann zuckte zusammen, fuhr auf, riß seine Arme hoch, dann kippte er seitwärts aus dem Sattel. Die Kerle waren in Windeseile aufgesessen. Als Tom jetzt aber in so bedrohlicher Nähe war, daß er mühelos einen nach dem anderen hätte erschießen können, eröffneten die Skelettreiter das Feuer auf ihn. Eng an den Hals von Strong gepreßt, jagte Tom rücksichtslos auf die unheimlich aussehende Bande zu. Kugeln pfiffen dem Ranger um die Ohren. Sie schlugen vor Strong ein, ließen links und rechts von dem Hengst Dreck hochspritzen. Als der Ranger kurz vor dem Hoftor war, jagte die Bande nach der anderen Seite davon. Die Banditen feuerten noch auf

ihn, aber ihre in aller Hast abgefeuerten Kugeln brauchte Tom nicht zu fürchten. Unmittelbar vor dem Hitchrack beim Ranchhaus riß Tom Strong hoch und sprang aus dem Sattel. Die Winchester hielt er in der Hand und eilte ins Haus, dessen Tür weit offenstand. Der Ranger mußte seine Augen erst an das Halbdunkel im Inneren gewöhnen. Als er etwas erkennen konnte, erstarrte er. In einer Ecke des großen Raumes sah er einen Mann in seltsam verrenkter Haltung auf dem Rücken liegen. Er umklammerte noch eine Schrotflinte, die er jedoch höchstens einmal abgeschossen haben konnte. Keine zwei Schritte von dem Mann entfernt lag dessen Frau. Sie mußte früher hübsch gewesen sein. Ihr langes, blondes Haar, das hochgesteckt gewesen war, ergoß sich weich über den derben festgetretenen Boden. Der Ranger atmete schwer. Die Frau hielt ein Mädchen und einen Jungen in den Armen. Die Kinder waren höchstens zehn Jahre alt. Häßliche, blutige Schußwunden im Kopf und in der Brust der Kleinen ließen keinen Zweifel, daß der Junge und das Mädchen bei der Schießerei mit den Maskierten den Tod gefunden hatten. Das Bild zeigte, daß die Mutter sogar noch im Tod die Kinder hatte beschützen wollen. Kelly räusperte sich. Er konnte seine Augen nicht von dieser erschütternden Szenerie lösen. Neben der Feuerstelle erblickte Tom die Leiche eines vielleicht vierjährigen Jungen, der übel zugerichtet war. Ihn hatten mindestens fünf Kugeln getroffen und den schmächtigen Körper restlos zerfetzt. Tom, der schon eine Menge Toter gesehen hatte und der auch nichts von übertriebener Gefühlsduselei hielt, wandte sich ab. Er merkte, daß ihm übel wurde. Und gleichzeitig kochte in ihm unbändiger Zorn; ohnmächtiger Haß und eine höllische

Wut drohten seine Brust zu zersprengen. Der Ranger wandte sich ab und ging zur Tür. Er brauchte dringend frische Luft. Hier, in diesem Raum, der einem fürchterlichen, schaurigen Leichenhaus glich, konnte er plötzlich nicht mehr atmen. Tom Kelly verstand, daß ein Mann in einer Auseinandersetzung mit Waffen das Leben verlor. Das ließ sich nicht ändern. Manchmal starben auch Frauen. Auch dagegen gab es im Grunde kein Mittel. Aber Kinder... wehrlose Kinder, die für niemanden eine Gefahr darstellen konnten, waren ermordet worden. Auf bestialische, hundsgemeine Weise. Das war das Werk einer fanatischen, unmenschlichen Bande von grausamen Bestien, die sich berauschten, wenn Blut floß. Sogar das Blut armer wehrloser Kinder. Sekundenlang schloß Tom Kelly die Augen. Er war fahl geworden. Die Bilder der ermordeten Kinder standen vor seinen Augen. Eine Familie, die ausgerottet worden war in sinnloser, wahnsinniger Zerstörungs- und Mordlust. Hart biß der Ranger die Zähne zusammen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Kein einziger wird davonkommen«, schwor er sich. »Keiner, der an diesem Massaker beteiligt gewesen ist!« Er hatte halblaut gesprochen und schrak zusammen, als Borden mit seinem Pferd auf den Hof jagte. Der Rancher sprang aus dem Sattel. Er hatte die Bande aus der Ferne davonreiten gesehen. »Die Skelettreiter«, stieß er atemlos hervor. »Sind wir noch rechtzeitig gekommen?« In seiner Frage lag ein ängstlicher Unterton. Der Rancher befürchtete wohl das Schlimmste. Seine Befürchtung wurde jetzt auch bestätigt, als Tom resigniert den Kopf schüttelte. »Sie haben alle umgebracht«, sagte er tonlos. »Auch die Kinder.«

Borden schnappte nach Luft. Insgeheim hatte er gehofft, daß wenigstens das Schlimmste verhütet worden wäre. »Alle?« fragte er noch einmal. Tom nickte und deutete mit dem Daumen auf die Haustür. »Gehen Sie nicht hinein, Borden, wenn Sie schwache Nerven haben!« Doch der Rancher hörte nicht mehr. Er war schon im Haus. Tom stützte sich auf den Hitchrack und atmete tief durch. Plötzlich klang drinnen ein heiserer Schreckensruf auf. Gleich darauf stürzte Borden leichenblaß aus der Tür. Er hielt die Hand vor den Mund, rannte auf die Hausecke zu und übergab sich. Tom ging langsam zur anderen Seite. Er begann allmählich wieder klar und nüchtern zu denken. Gewaltsam schob er die fürchterlichen Eindrücke der letzten Minuten beiseite. Er vermißte Onyx. Plötzlich bemerkte er ein Pferd, das an der Schmalseite des Hauses stand. Er sah, wie sich drüben der Kerl bewegte, den er aus dem Sattel geschossen und für tot gehalten hatte. Tom wollte hinüberlaufen, als er Onyx knurren hörte. Kelly fuhr herum und hastete zur Rückseite des Hauses. Er sah Onyx. Der Schwarztimber stand mit den Vorderpfoten auf der Brust eines auf dem Rücken liegenden Mannes, der eine Totenkopfmaske trug. Die Maske war verrutscht und ließ einen kleinen Teil des Gesichtes erkennen. Als er zu Onyx und dem Kerl hinüberlief, spürte Tom glühenden Haß hochbrodeln. Er redete sich umsonst ein, daß er als Ranger unter allen Umständen nach dem Gesetz handeln und den Verbrecher einer gerechten Strafe zuführen mußte. »Weg, Onyx!« forderte er den Timberwolf in einer ungewöhnlich harten Art auf. Onyx ließ von dem Kerl ab, der sich nicht zu bewegen

wagte. Doch Onyx war in diesem Moment im Vergleich zu seinem Freund ein harmloser Vierbeiner. Der Gemütszustand von Tom Kelly ließ den Ranger zu einem Rasenden werden. Blitzschnell beugte sich Tom hinunter. Er riß dem Burschen brutal die Maske vom Gesicht, schleuderte sie weg und blickte in ein gerötetes, breitflächiges Mexikanergesicht. Ein ängstlicher Blick, dem trotzdem Frechheit und Verschlagenheit nicht fehlten, richtete sich auf ihn. Tom riß den Kerl am Kragen hoch und stellte ihn auf die Beine. Im gleichen Moment wuchtete er seine Rechte mit aller Kraft in diese ekelhafte, schmierige Visage, Er traf voll auf die Lippen und die Nase des Banditen. Der Galgenvogel wurde zurückgeworfen. Er stürzte und überschlug sich. Eine einzige Bewegung war es, die Onyx bewog, schleunigst einzugreifen. Der Halbwolf hatte den Mann nicht aus den Augen gelassen. Er ahnte die Reaktion praktisch schon im voraus. Die Hand des Mexikaners zuckte zum Stiefelschaft. Dort hatte er sein Wurfmesser. Er brachte es gerade heraus und hob die Hand zum Wurf, während er sich geschmeidig auf die Knie aufrichtete. Da war Onyx bei ihm. Mit einem wütenden Knurren verbiß sich der Timberwolf im Arm des Verbrechers, riß ihn herunter und ließ den Kerl abermals in den Dreck fallen. Das Messer bohrte sich mit der Spitze in den Boden. Der Mexikaner brüllte, als würde ihm ein glühender Bratspieß durch die Brust gerammt. Das aber beeindruckte Tom nicht im geringsten. Er riß den Kerl wieder hoch, donnerte ihm seine Linke in den Magen, schob sofort die Rechte nach, die am Kinn explodierte. Der Bursche wurde zurückgestoßen, stolperte einige Yards

und drohte gerade umzufallen, als er sich um die eigene Achse gedreht fühlte, dann traf ihn die mächtig geschwungene Rechte von James Borden, der einen Schlag am Leib hatte wie ein Hufschmied. Mit einem gurgelnden Laut flog der Bandit Kelly in die Hände, der ihn ebenfalls herumwirbeln ließ, seine Handkante gegen die linke Schulter des Mexikaners donnerte, einen linken Aufwärtshaken hinzufügte und, als der Bursche unmittelbar nach hinten zu kippen drohte, eine Gerade in die Magengrube abschoß, daß der Mex abermals zusammenklappte wie ein Taschenmesser. Mitten in dieser Bewegung detonierte Toms Rechte schon wieder auf dem Kerl. Dieses Mal auf den Brustkorb. Wie ein unförmiger Ball schleuderte der Verbrecher auf Borden zu, der zwei schwere Nierenhaken anbrachte, einen Volltreffer in der Magengrube landete und den beinahe Ohnmächtigen mit einem kräftigen Tritt zu Tom zurückfliegen ließ. Der Ranger sorgte nun für den Rest. Einen Teil seiner Wut hatte er sich schon aus dem Leib geschlagen. Er richtete mit einem leichteren linken Haken den Kopf des Banditen ins Ziel, schob dann die Rechte als Gerade nach vorn, hämmerte erneut mitten in die Visage, drückte die Linke mit der Wucht eines Dampfhammers gegen den Punkt und der Mexikaner stürzte in sich zusammen wie ein nasser Sack. Tom beachtete den Kerl nicht weiter. »Bleib bei ihm, Onyx!« forderte er den Schwarztimber auf und suchte ums Haus herumzukommen. Er wollte sich den Burschen ansehen, den er aus dem Sattel geholt hatte. Borden sah, wie Onyx sich neben dem Ohnmächtigen ausstreckte. Als Kelly an dem Rancher vorbei zur Frontseite des Ranchhauses rannte, setzte sich auch Borden in Bewegung und folgte ihm.

Tom langte bei dem Kerl an, als dieser sich eben aufrichtete. Er erstarrte in der Bewegung, als er den Ranger heranstürmen sah. Die Kugel aus Kellys Gewehr hatte ihn in die Brust getroffen. Offenbar wußte der Bandit, daß er dem Tod geweiht war. Aber er unternahm dennoch den Versuch, den Colt herauszureißen und auf den herankommenden Mann zu feuern. Tom sah, wie der Bursche schwankte. Er trat mit dem Stiefel zu, schmetterte gegen die Waffenhand, daß der Colt im hohen Bogen durch die Luft flog und der Maskierte mit einem Schmerzensschrei nach hinten fiel. Borden kam herangerannt. Er stürzte sich auf den Burschen. Ihm war die Verletzung noch nicht aufgefallen. Es sah lediglich einen Mann mit einer Totenkopfmaske und einem aufgemalten Skelett. Und das genügte. Mit einem heftigen Ruck entfernte er die Maske von dem Gesicht. Er erwartete, ebenfalls einen Mexikaner darunter zu finden. Doch er hatte sich getäuscht. Dieser Mann war kein Mexikaner. Seine Hautfarbe war weiß. Tom stieß gleichzeitig mit Borden einen Überraschungsschrei aus. Der Kerl, der in diesem Moment seinen letzten Atemzug tat, war Eddie. Der Mann, der eigentlich im Jail von Bountry hätte sitzen müssen... *** Old Tuffy war weitere drei Stunden geritten. Auf einigen sandigen Stellen waren ihm die Hufabdrücke der Pferde aufgefallen, die von den beiden Männern benutzt wurden. »Ich denke, es ist besser, wenn ich dich jetzt zurücklasse, Rosinante«, brummte der Alte und verhielt das Maultier. Er stieg aus dem Sattel und führte Rosinante in einen engen

Felsspalt. Der Pfad war gerade so breit, daß Rosinante ungehindert durchgehen konnte. Nach etwa zwanzig Yards verbreiterte sich der Durchgang. Hier machte Old Tuffy halt. »Du wartest hier auf mich! Aber halte dich ruhig, damit niemand auf dich aufmerksam wird!« Rosinante senkte den Kopf, als hätte sie seine Aufforderung in die falsche Kehle bekommen. Old Tuffy warf ihr noch einen Blick zu, dann holte er die Hawken und die Winchester und setzte sich in Bewegung. Der Alte bemerkte dabei gar nicht, daß er bereits entdeckt worden war und nun beobachtet wurde. Die Schlucht verbreiterte sich allmählich. In der Mitte tauchte ein mächtiger Felsblock auf, der links und rechts je eine schmale Durchfahrt freigab. Dort oben lag ein Mann auf dem Bauch. Er hatte die Waffe neben sich liegen und verfolgte mit glühenden Augen jede Bewegung des Ankömmlings. Old Tuffy sah keinen Grund, besondere Vorsicht walten zu lassen. Noch hatte er kein einziges verdächtiges Zeichen zu Gesicht bekommen, daß sich das vermutete Lager der Skelettbande in unmittelbarer Nähe befand. Deshalb marschierte Old Tuffy schnurstracks auf den Felsen zu. Dieses Mal wählte er, gewitzt, den rechten Weg. Der Alte schaute stur geradeaus. Er wunderte sich, als die Wege sich nach dem Felsblock wieder vereinigten. Ein Stück voraus ließ sich eine Biegung erkennen. Old Tuffy hatte diesen Punkt noch nicht erreicht, als der verborgene Beobachter auf dem Felsen sein Gewehr an die Schulter nahm und sorgfältig zielte. Der Rücken Old Tuffys bildete ein ausgezeichnetes Ziel, das nicht zu verfehlen war. Mit einem siegessicheren Grinsen legte der Schütze den Zeigefinger auf den Abzugsbügel. Er wartete, bis Old Tuffy sich wieder in Bewegung setzte, nachdem er kurz vorher stehengeblieben war.

Dann zog er den Stecher durch. Der Schuß blaffte. Der Knall wurde von den kahlen Felsen zurückgeworfen. Old Tuffy hatte höllisches Glück. Er hatte einen Augenblick nicht auf den Weg geachtet, den er nahm und stolperte über einen Stein. Genau in dem Augenblick, als sich der Schuß in den Felsen brach. Old Tuffy hörte, wie das Geschoß gegen die Felswand klatschte, abprallte und mit dem gräßlichen Heulen eines Querschlägers weiter durch die Schlucht irrte. Blitzschnell folgte Old Tuffy einer Eingebung. Obwohl er zuerst die Arme ausstreckte, um sich aufzurichten, ließ er sie wieder einknicken und tat, als würde er tödlich verletzt vornüberfallen. Er hoffte nur, daß der Heckenschütze nicht bemerkt hatte, wie er wirklich zu Fall gekommen war. Einige Sekunden war es still. Old Tuffy brach der Schweiß aus allen Poren, als er sich vorstellte, der Kerl würde erneut schießen. Aber dann merkte er, daß er nichts dergleichen zu befürchten hatte. Unbeweglich blieb er auf der Stelle liegen. Er hatte die Winchester noch in der Hand. Die Hawken war ihm entfallen. Bald vernahm er Schritte. Langsame, schlurfende Tritte, die sich seinem Platz näherten. Aufregung bemächtigte sich des Alten, der ein gemeines Jucken in der Nase spürte und sich gegen den lästigen Niesreiz wehrte. Wenn er jetzt auch nur ein einziges Lebenszeichen von sich gab, war er verraten und verkauft. Mit erheblicher Anstrengung gelang es Old Tuffy, das Niesen zu unterdrücken. Er schnaufte durch den Mund. Doch der feinkörnige Staub, der die Felsen ringsum mit einem mehligen Schleier bedeckte, drang bei jedem Atemzug in Mund und Nase und machte es Old Tuffy sehr schwer, still auszuharren. Nur wenige Schritte vor Old Tuffy blieb der Bursche stehen.

Er suchte nach dem Einschuß im Rücken des Alten. Als er nichts finden konnte, kam er vorsichtig näher. Old Tuffys Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Er vernahm die Schritte unmittelbar neben seinem Gesicht, fühlte dann die Mündung eines Gewehrlaufes an seiner Schläfe. Mit eisernen Nerven behielt Old Tuffy die Ruhe. Er merkte, wie der Mann sich bückte. Offenbar hielt er ihn für ohnmächtig. Old Tuffy ließ sich herumwälzen. Er klammerte aber nach wie vor seine Finger um die Winchester. Kaum lag er auf dem Rücken, als er sah, wie der Kerl erneut das Gewehr hob und auf ihn anschlug. Der Alte wußte, daß jeden Moment der tödliche Schuß kommen mußte. Aber er wartete nicht, bis sein Gegner abdrückte. Mit einer heftigen, rasend schnellen Bewegung riß er seine Winchester hoch, zog den Stecher durch. Dann noch einmal. Der Kerl, der unmittelbar neben Old Tuffy stehen geblieben war, wurde durch die Gewalt des Einschlags ein paar Meter zurückgeworfen. Er fiel gegen die Felswand und rutschte daran willenlos herunter. Old Tuffy sprang auf. Er sah mit einem Blick, daß der Kerl bereits tot war, obwohl er an der Wand noch einigermaßen aufrecht stand. Hastig faßte Old Tuffy den Burschen. Er wuchtete ihn keuchend hoch und schleppte ihn zu dem Felsen hinüber, von dem aus der Bandit geschossen hatte. Nach erheblicher Anstrengung hatte Old Tuffy die Leiche des Mannes in einer Felsnische deponiert. Er wartete nicht länger, sondern rannte jetzt zurück zu der Biegung, wo er schon einmal gewesen war. Die Schüsse mußten weithin gehört worden sein. Old Tuffy rechnete damit, daß die Banditen im nahen Lager durch die Schießerei gewarnt worden waren. Er fluchte über sich selbst

und alles, was ihm im Augenblick gegen den Strich ging. Wie ein Wiesel huschte der Alte durch den restlichen Teil der Schlucht. Erneut wurde eine Verbreiterung sichtbar, dann stand er vor einem kreisförmigen Taleinschnitt. Das also war das Hauptquartier der Skelettreiter. Die Bande benutzte natürliche Felshöhlen, die vermutlich erweitert und vertieft worden waren. Diese Höhlen hatten die Halunken mit Brettern verschlagen, so daß halbwegs bewohnbare Räume daraus entstanden waren. Old Tuffy staunte noch immer, als er in seinem Rücken Hufschlag aufkommen hörte. Ein Trupp Reiter näherte sich. Das war für Toms Freund ein Alarmsignal. Er zog sich zurück und versteckte sich zwischen zwei Felsbrocken, die ihm genügend Schutz boten. Wenn ihn nicht alles täuschte, sah er bald die ersten dieser gewissenlosen Verbrecher. Old Tuffy hatte sich eben hinter den Felsen verkrochen, als schon die ersten Reiter an ihm vorbeidonnerten. Der Hufschlag der Tiere dröhnte laut. Sie sahen sich nicht um. Ihre langen, schwarzen Umhänge wallten. Durch den Reitwind klafften sie vorn auseinander. Old Tuffy sah die mit weißer Farbe aufgemalten Skelette. Ein heimliches Schaudern und grimmige Wut ergriffen von ihm Besitz. Old Tuffy zähmte sein Verlangen, aufzuspringen und wie der Teufel persönlich unter diese Bande zu fahren, die anständige Leute ermordeten und ihr Hab und Gut vernichteten. Als der letzte Reiter vorüber war, richtete sich Old Tuffy etwas auf und spähte dem Pulk nach. Vor dem Eingang einer Höhle rissen die Reiter ihre Tiere hoch und sprangen aus den Sätteln. Sie kümmerten sich nicht weiter um die schweißnassen Pferde. Nur einer lockerte den Sattelgurt seines Falben, dann marschierte er hinter den anderen her in die Höhle. Old Tuffy stand da und überlegte. Er hatte das Lager der

berüchtigten Bande gefunden. Doch erst jetzt dämmerte ihm, wie unwahrscheinlich es war, daß nur ein Kerl Wache gehalten hatte, damit niemand dem Lager zu nahe kam Old Tuffy registrierte siedend heiß, daß er einen riesigen Fehler begangen hatte. Er fuhr herum und starrte in das dreckig grinsende Gesicht eines fetten Mexikaners, der zwei über der Brust gekreuzte Patronengurte trug und eine Schrotflinte auf ihn gerichtet hatte. Old Tuffy begriff, daß es keinen Sinn hatte, jetzt den Helden zu spielen. Er wollte noch einige Jahre leben. Mit einer Schrotladung im Leib würde diese Absicht aber niemals Wirklichkeit. Old Tuffy fügte sich mit einem matten, spöttischen Lächeln auf den Lippen in sein Schicksal. »Buenos dias«, krächzte er gequält, weil ihm nichts anderes einfiel... *** Tom und Borden hatten schweißtreibende Arbeit geleistet und die ermordete Familie begraben. Dazu hatte Tom einen Platz unter einer Gruppe dicht belaubter Bäume ausgewählt. Schlichte Holzkreuze kennzeichneten die Stelle, wo die ehemaligen Besitzer auf ihrem eigenen Land die letzte Ruhe gefunden hatten. Borden zitterte merklich. Er würgte immer wieder. Das Bild von der zerfetzten Brust des jüngsten Kindes wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Für ihn war es quasi ein Sinnbild für bestialische Brutalität und sinnlose Zerstörungswut von Banditen. Tom nahm den Spaten und trug ihn schweigend zum Ranchhaus hinüber. Er trat auf die kleine Veranda und warf einen Blick auf das in der Sonne flimmernde Land.

Das Schweißband seines Stetsons war feucht. Er nahm die Kopfbedeckung ab und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Der Ranger kochte vor Haß. Er sah, wie Borden jetzt abseits von dem Familiengrab eine Grube für den toten Banditen Eddie aushob. Da hörte er ein schwaches Wimmern. Tom fuhr herum. Das Geräusch war aus dem Haus gekommen. Eine Katze? Wieder kam dieses Wimmern. Es hatte Ähnlichkeit mit der Stimme einer Katze. Dann aber wurde Tom klar, wer die wimmernden Schreie ausstieß. Der Ranger stand da, als hätte ihn jemand mit kochendem Wasser übergossen. Röte und Blässe wechselten auf seinem Gesicht ab. Hastig rannte Kelly ins Haus. Im großen Wohnraum hörte er das Geräusch viel deutlicher. Aber er brauchte doch eine Weile, bis er feststellte, daß es aus einer Kiste kam. Mit wenigen Handgriffen öffnete Tom die Kiste und sah das winzige strampelnde Bündel. Ein Säugling. Ein paar Monate alt vielleicht. Und er schrie jämmerlich. Unbeholfen bückte Tom sich hinunter und nahm das winzige Kind mit beiden Händen vorsichtig heraus, als hätte er Angst, er könnte mit seinen rauhen Männerfäusten etwas an dem Baby zerbrechen. Kaum hatte der Ranger das Kind in den Armen und schaukelte es ein paarmal hin und her, als das Baby aufhörte zu weinen und beruhigt am Daumen lutschte. Die Augen des Kindes waren rotgeweint. Die Mutter hatte ihr Baby offenbar aus Angst, es könnte von einer Kugel verletzt werden, in dieser Kiste versteckt. Tom schritt langsam zur Tür. Er trat in den Schatten der Veranda. Das Baby auf seinem Arm war wieder eingeschlafen. Erneut wurde dem Ranger die ganze Tragweite des vor noch nicht einmal einer Stunde Geschehenen bewußt. Die das Land

fruchtbar gemacht hatten und in einigen Jahren ein Leben im bescheidenen Wohlstand hätten führen können, waren tot. Ausgelöscht wie die Flammen von Kerzen im Wind. Ausgerechnet ein Baby hatte das Massaker überstanden. Das jüngste Mitglied der Familie, das die wenigsten Chancen hatte. Tom sah, wie Borden herüberblickte. Der Rancher schien einen Augenblick nachzudenken, dann warf er den Spaten weg und rannte mit großen Schritten zum Haus. Atemlos langte er an. »Verdammt noch mal, Kelly«, sagte er rauh. Er keuchte. »Wo haben Sie das Kind gefunden?« Tom erklärte es ihm. Borden war den Tränen nahe. »Diese verfluchten Hunde. Ich schwöre Ihnen, Kelly, daß ich diese Dreckskerle mit bloßen Händen erwürgen werde, wenn sie mir lebend zwischen die Finger kommen.« Tom nickte nur. Er verstand die Gefühle dieses Mannes, der selber Kinder hatte und wohl aus diesem Grund noch betroffener war als Kelly selbst. »Wir müssen das Kind schleunigst nach Bountry bringen«, erklärte Tom, ohne auf den Wutausbruch von Borden einzugehen. »Ich verstehe, Ranger.« Borden sah Tom an. »Sie werden weiterreiten zur Manson-Ranch. Ich bringe inzwischen das Baby in die Stadt. Meine Frau wird sich um das kleine Würmchen kümmern.« »Warten Sie auf mich in Bountry!« forderte Tom den Rancher auf. »Ich schätze, daß ich bis zum Abend zurück bin.« Borden nickte. Er ging zurück zur Grube und hob sie fertig aus. Dann warf er den Toten hinein, nachdem er seinen Umhang und die Maske an sich genommen hatte. Bevor er die Grube zuschüttete, kam er noch einmal zu Kelly zurück, der inzwischen eine Wiege aufgetrieben hatte, in der das Kind friedlich schlummerte.

»Soll ich zuschütten, Ranger?« fragte er rauh. »Klar.« Tom sah ihn erstaunt an. Er verstand nicht, was diese Frage sollte. »Ich meine wegen des anderen Dreckskerls.« Tom fiel jetzt schlagartig der Bursche wieder ein, den sie hinter dem Haus fertiggemacht hatten. Der Bandit war bei Bewußtsein. Aber nur seine Augen schienen zu leben. Keinen einzigen Finger getraute er sich zu bewegen, aus Angst, Onyx würde ihn sonst zerfleischen. »Komm her, Onyx!« Der Schwarztimber kam zu seinem Freund und blieb dort abwartend stehen. »Los, komm hoch!« Toms kantiges Gesicht sah aus wie aus Stein gemeißelt. Seine Augen saugten sich förmlich an dem Verbrecher fest, der ächzend auf die Knie, schließlich auf die Beine kam. Der Mexikaner stellte sich dabei so geschickt an, daß er unauffällig das noch in der Erde steckende Messer an sich nehmen konnte. Tom hatte seine Absicht längst durchschaut und auch die winzige Bewegung bemerkt. Er warf Onyx nur einen Blick zu, der den Schwarztimber an seinem Platz festnagelte. Instinktiv war nämlich Onyx einen Schritt nach vorn gegangen. Sprungbereit stand er da. Tom war überzeugt, daß der Bandit das Messer zuerst nach dem Wolfsblut schleudern wollte. Doch so weit würde es nicht kommen. Der Mexikaner stand jetzt. Er schwankte leicht. Aber Tom ließ sich nicht täuschen. Daß dieses Schwanken nicht echt war, sondern gespielt, mußte sogar Borden auffallen. Doch der Rancher hatte keinen Blick dafür. Er war so überzeugt, daß die Wirkung ihrer Fäuste verheerend gewesen war, daß er sich breitbeinig hinstellte und die Arme lässig über

der Brust verschränkte. Schneidend klang Toms Stimme, als er befahl: »Wirf das Messer weg, Amigo! Aber verdammt schnell, sonst schieße ich dich nieder wie einen tollwütigen Hund!« Der Mex zuckte zusammen. Sein gelbliches Gesicht wurde eine Spur fahler. Tom ließ sich auch nicht beirren, als der Bandit einen Moment tat, als wollte er die Aufforderung befolgen. Der Ranger wußte ganz genau, daß im Bruchteil einer Sekunde das Messer gegen ihn oder Onyx oder auch Borden geschleudert würde. Als die Handbewegung des Mexikaners kam, mit der Geschwindigkeit eines zustoßenden Schlangenkopfes, brüllte Tom Onyx’ Namen, warf sich im gleichen Augenblick zur Seite und riß den Colt aus dem Holster. Das Messer blitzte in der Sonne hoch über dem Kopf des Verbrechers. Da bellte Toms Colt auf. Der Ranger schoß von der Hüfte aus. Das Geschoß traf genau zwischen die Augen des Banditen. Der Mexikaner kippte um wie ein gefällter Baum. Das Messer bohrte sich wieder in die Erde. »Nehmen Sie ihn mit, Borden!« Tom wandte sich um. »Und kümmern Sie sich um das Baby! Ich breche auf.« Borden nickte. Am Kragen schleifte er den Banditen zur ausgehobenen Grube, ließ ihn neben seinen Kumpan hineingleiten und schaufelte wieder Erde hinein. Tom zog den Sattelgurt fest und kletterte auf Strongs Rücken. Er hob die Hand zum Gruß, als Borden ihm nachwinkte. Dann verschwand er auf der kleinen Anhöhe im Wäldchen. ***

Old Tuffy war ein Fuchs. Diesen Beinamen hatte er nicht umsonst bekommen. Oder wie die Mexikaner ihn nannten: Kojote. Er war schlau. Das wurde gleichermaßen von Freunden und Feinden anerkannt. Diese Schlauheit kam ihm jetzt zugute. Wahrend Old Tuffy noch an seiner Überraschung schluckte, die der Mexikaner in seinem Rücken ihm beschert hatte, überlegte er bereits, wie er diesem Fettwanst durch die Finger schlüpfen konnte. Der Mexikaner sah nur den restlos verdatterten alten Mann vor sich. Deshalb nahm er seine Aufgabe weit weniger ernst, als vielleicht gut gewesen wäre. »Waffen weg, sonst schieße ich, Senor«, stellte er spöttisch fest und hob den Lauf seines Gewehres um ein Stück, daß die Mündung auf Old Tuffys Schläfe zeigte. Old Tuffy hob sofort die Hände. Er gab sich den Anschein, als zitterte er vor Angst. Der Mexikaner lächelte breiter. Sein Doppelkinn schwabbelte, als er nickte. Dann beging er den Fehler, auf den Old Tuffy insgeheim schon gehofft hatte. Er ging zwei Schritte nach vorn, um dem Alten die Waffen abzunehmen. Old Tuffy drehte sich blitzschnell nach rechts, schlug mit dem Unterarm den Gewehrlauf beiseite, wirbelte sofort wieder zurück und drosch erst die Linke, dann die Rechte gegen die Schläfe des Fettwanstes, der den Mund zu einem Schrei geöffnete hatte. Der Dicke taumelte. Old Tuffy riß ihm das Gewehr aus den Händen und schleuderte es hinter den Felsblock. Nur zwei Sekunden, dann hatte der Mexikaner sich wieder gefangen. Er wollte wie ein wütender Stier auf Old Tuffy losgehen und den vergleichsweise schmächtigen alten Mann gegen den Felsen rammen. Aber Old Tuffy war flink wie ein Wiesel. Er riß seinen Colt aus dem Holster, ergriff ihn umgekehrt und wuchtete den

Coltknauf auf den Schädel des Banditen. Der Schlag war heftig genug, den Kerl ins Land der Träume zu stoßen. Schwer plumpste der fette Mexikaner zu Boden und blieb, den Mund halb geöffnet, liegen. Sein Gesicht war verzerrt. Old Tuffy mußte sehen, daß er verschwand. Er beobachtete, wie drüben bei der Höhle die Tür eines Verschlages aufgerissen wurde und einige der Banditen herauskamen. Sie hatten sich ihrer Umhänge entledigt und sahen nun aus wie Weidereiter. Geduckt schlich Old Tuffy hart an der Felswand entlang, erreichte die Biegung und rannte dann los. Ungeschoren kam er zu Rosinante. Er führte sie aus der Felsspalte und stieg in den Sattel. »Lauf, Mädchen, lauf! Wir müssen zurück nach Bountry«, sagte er halblaut und klatschte dem Maultier mit der flachen Hand auf die Kruppe. Rosinante zeigte, was in ihr steckte. Sie trabte los und trug den Reiter den Weg zurück. Old Tuffy hatte gefunden, was er suchte, das Lager der berüchtigten Banditen. Allerdings war er zu spät gekommen, um feststellen zu können, ob sich Eddie und der andere Mann ebenfalls im Lager aufhielten. Die Männer waren jedenfalls nicht unter denen gewesen, die ins Lager geritten waren, während er hinter dem Felsbrocken auf der Lauer lag. Old Tuffy zweifelte jedoch nicht im geringsten, daß die Kerle mit den Banditen unter einer Decke steckten. Doch zunächst mußte er Tom über seine Entdeckung berichten. Bis zum späten Nachmittag, hoffte er, würde er Bountry erreicht haben. ***

Tom erreichte nach etwas mehr als zwei Stunden die Goodnight-Ranch. Das Haupthaus ähnelte äußerlich mehr einem kleinen Palast, wenn man es mit anderen Bauwerken in der Umgebung verglich. Es bestand fast zur Gänze aus Stein. Breit und behäbig wie eine Drohne im Bienenstock stand es da. Und rundherum scharten sich die Nebengebäude. Ein langgestreckter, flacher Bau neben dem Haupthaus mußte nach Toms Dafürhalten das Mannschaftsgebäude sein. Der Ranger hatte das Tor noch nicht passiert, als ein halbes Dutzend bewaffneter Männer auf dem Hof Aufstellung bezog. Sie hoben die Gewehre. Tom zog die Augenbrauen hoch. Das war eine absolut ungastliche Art, Fremde zu empfangen, die auf die Ranch kamen. Als er das Tor hinter sich hatte, peitschte ein Schuß auf. Ohne Vorwarnung. Die Kugel schlug dicht vor Strong in den Boden. Ein Glück, daß der Blauschimmelhengst eine ganze Menge gewohnt war. Er scheute nicht, sondern gehorchte Kellys Schenkeldruck, mit dem der Ranger den Hengst zum Stehen brachte. Onyx hielt ebenfalls ein. Er hechelte. Die ganze Strecke über war er neben Pferd und Reiter hergetrabt. Nicht einmal war er zurückgeblieben. »Halt!« brüllte einer der Männer drüben. Er hatte eine hünenhafte Gestalt. Unter dem breitrandigen Stetson quollen, lange, blonde Haare heraus. Ein buschiger Schnauzbart reichte über die Mundwinkel hinunter. Er trat einige Schritte nach vorn. Tom wartete ab, wie sich die Lage entwickeln würde. Er bemerkte, daß die Haustür geöffnete wurde. Zwei gleichgroße Männer in hellen Anzügen traten auf die Veranda und stützten sich auf dem Hitchrack auf.

»Was willst du hier, Fremder?« Der Hüne blickte Tom durchdringend an. Er war noch gut zehn Schritte von dem Ranger entfernt. »Ich will mit deinem Boß sprechen, Amigo«, erwiderte Kelly kühl. »Der ist nicht zu sprechen. Verschwinde gefälligst! Du hast hier nichts zu suchen!« »Dein Boß steht doch drüben auf der Veranda, nicht wahr?« »Ja, das ist er. Aber er will dich nicht sprechen. Verstanden? Hau ab, jetzt! Ich wiederhole mich nicht!« Tom beachtete den Burschen nicht weiter. Er ließ Strong mit einem plötzlichen Schenkeldruck hochgehen. Im nächsten Moment schon schoß der Blauschimmelhengst mit einem mächtigen Satz nach vorn. Der verdutzte Blonde wurde starr, dann aber kam Bewegung in ihn. Er hechtete zur Seite, schaffte es mit knapper Not, den wirbelnden Vorderhufen zu entkommen, rutschte aus und schlug in den sandigen Boden. Die Bewaffneten vor dem Haus dachten nicht daran zu schießen, so überwältigt waren sie von der unerwarteten Reaktion des Rangers. Die Männer stoben auseinander, als Strong auf sie lospreschte, als wollte er durch die Wand ins Haus stürzen. Unmittelbar vor den Manson-Brüdern kam Strong zum Stehen. Die Brüder verzogen keine Miene. Sie rührten sich nicht einen Millimeter von der Stelle. Der blonde Hüne war drauf und dran, sein Gewehr hochzureißen. Aber die Lust dazu verging ihm gründlich, denn Onyx stand direkt vor seinem Gesicht und fletschte lediglich die Zähne. Der Anblick der Reißzähne flößte dem Blonden so viel Respekt ein, daß er die Waffe augenblicklich fallen ließ. »Was willst du, Fremder?« Der die Frage stellte, war der

ältere der Brüder. Also Mike Manson. Der jüngere musterte Tom kalt. Die Mansons waren groß gewachsen. Sie hatten breite Schultern und trugen perfekt sitzende, gepflegte Kleidung. Damit zeigten sie ihren Wohlstand. Sie waren die Größten und Mächtigsten in dieser Gegend. Das ließen sie sich auch anmerken. »Kann mich nicht erinnern, mit dir schon Schweine gehütet zu haben, Manson«, ging Tom auf die angeschlagene Tonart ein. Der Angesprochene lief rot an, während sein Bruderherz sich Mühe gab, sich das Grinsen zu verkneifen. »Also?« »Sagt Ihnen der Begriff Skelettreiter etwas?« Manson schüttelte den Kopf. »Purer Unsinn ist das«, erklärte er. »Eine Erfindung ängstlicher Idioten. Doch ich weiß, was damit erreicht werden soll... Aber was interessieren Sie sich dafür, Mister!« Mit Genugtuung stellte Tom fest, daß seine Andeutung nicht umsonst gewesen war. »Ein Freund von mir ist von dieser Bande überfallen worden, Manson«, erklärte er. »Die Banditen haben seine Familie ausgerottet und alles niedergebrannt, was sie nicht mitnehmen konnten. Schließlich haben sie auch noch seine Herde weggetrieben.« »Das interessiert mich doch nicht, Mann! Mein Problem ist es erst, wenn meine Ranch überfallen werden soll. Aber wir haben vorgesorgt, nicht wahr, Tim?« Bei diesen Worten wandte sich Mike Manson an seinen Bruder, der zustimmend nickte. »Bei uns beißen sich die Banditen die Zähne aus«, bekräftigte er. »Oder sie greifen nicht an, weil sie sich sonst etwas versprechen?«

»Was wollen Sie damit sagen, Mister?« »Das können Sie sich selbst aussuchen, Manson. Auf jeden Fall wissen die Banditen verdammt genau, wo das GoodnightGebiet beginnt und wo die kleineren Ranches verstreut sind. Was mir aber besonders aufgefallen ist, Manson: Die Überfälle der Bande konzentrieren sich vor allem auf ein Gebiet, das ideal zu Ihrem Land passen könnte, weil es den Weg zum Rio Pecos freigeben würde.« »Hüten Sie Ihre Zunge, Mister«, erwiderte Mike Manson drohend. »Sie haben damit gesagt, daß mein Bruder und ich mit den Banditen unter einer Decke stecken.« Tom schüttelte den Kopf. »Das haben Sie gesagt, Manson. Nicht ich!« »Passen Sie gut auf, Mann! Wenn ich mit dem Finger schnippe, sind Sie tot. Einer meiner Männer holt Sie aus dem Sattel, und Sie waren nie hier auf der Ranch, wenn jemand fragt« »Sie werden aber nicht mit dem Finger schnippen. Denn das könnten Sie sich nicht leisten, Manson.« »Daß ich nicht lache, Mister! Ich kann mir alles leisten in diesem Gebiet. Denn das ist mein Land. Und was Sie betrifft, so ist es nicht ausgeschlossen, daß Sie ein Spion dieser verfluchten Bande sind.« Tom lachte auf. »Das wäre eine Version, wie sie nicht besser in Ihre Rechnung passen könnte, was? Aber daraus wird nichts.« Bei diesen Worten holte der Ranger sein Dienstabzeichen heraus und zeigte es den Brüdern. Es war, als wäre ein Blitz aus heiterem Himmel in die Ranch gefahren. Die zwei Männer wurden starr. Sie schluckten schweigend und schnappten nach Luft. »Ach, so ist das also«, meinte Mike Manson keuchend. »Ranger. Texas Ranger sind Sie. Haben Sie mir etwas vorzuwerfen, was Sie auch beweisen können, Ranger?«

»Nein, Manson«, gab Kelly wahrheitsgemäß zurück. »Aber wenn ich etwas habe, dann spendiere ich Ihnen gratis eine Höllenfahrt. Das verspreche ich Ihnen.« Tim war offensichtlich der kaltschnäuzigere der Brüder. Er spie aus. »Sie glauben also auch an das von leichtsinnigen Idioten erfundene Gerücht, diese merkwürdige Bande würde von uns geführt, gesteuert oder meinetwegen finanziert, was? Dann verraten Sie doch mal, welches Interesse wir haben sollten, daß auch auf der Nordseite unseres Landes eine derartige Bande ihr Unwesen treibt!« »Dafür wird sich noch eine Erklärung finden. Ich habe Ihnen jetzt Bescheid gesagt. Mehr wollte ich nicht.« Mike Manson drehte sich um. Er wollte ins Haus gehen. Doch Toms schneidender Ruf hielt ihn zurück: »Manson!« Mike Manson fuhr herum. Er starrte den Ranger groß an. »Hatten Sie jemals einen Mann namens Eddie in Ihrer Mannschaft?« Tom beschrieb den Burschen, der nicht weit von der Goodnight-Ranch den Tod gefunden hatte. Die Brüder wechselten einen Blick. »Eddie?« fragte Tim und zog die Stirn kraus. »Nicht, daß ich wüßte, Ranger. War das wohl einer von dieser Bande?« Tom gab ihm keine Antwort. Er nahm Strong herum und ritt langsam auf den Blonden zu, der immer noch auf der Erde lag, bewacht von Onyx. »Komm, Onyx!« Der Schwarztimber drehte ab und wollte hinter seinem Freund herlaufen. Doch noch bevor er den ersten Schritt machte, fuhr er erneut herum und schoß mit einem gewaltigen Sprung auf den Mann zu. Seine Fänge schnappten um das Handgelenk des Blonden zusammen, der den Colt herausgerissen hatte, um Tom Kelly von hinten abzuknallen.

Der Hüne schrie gequält auf. Er ließ den Colt fallen. Sein Gesicht war kreidebleich geworden. Onyx ließ gleich darauf wieder ab und rannte hinter Strong her, der inzwischen munter hinaustrabte in die Ebene. Tom sah sich kein einziges Mal um. Er wußte, daß er eine Menge riskierte, aber den Mansons den Gefallen zu tun, eine Unsicherheit zu zeigen, war absolut nicht nach seinem Geschmack. *** Sheriff Godfrey brannte vor Begierde, endlich zu hören, was sich in der Zwischenzeit alles ereignet hatte. Er war der erste, der Borden in Bountry empfing und ihn sofort in sein Office schleifte, nachdem der Rancher seiner Frau das Baby ausgehändigt hatte. Eine gute Stunde später kam Old Tuffy an. Doch der kauzige Alte war Godfrey und Borden gegenüber nicht sehr gesprächig. Er schwieg sich gründlich aus und wartete auf Tom. Der Ranger erreichte die Stadt bei Einbruch der Dunkelheit. Er setzte sich zu den drei Männern im Sheriffsoffice. Erst jetzt formte sich für jeden von ihnen die Geschichte zu einem runden Bild. »Was schlägst du jetzt vor?« erkundigte sich Old Tuffy. »Zunächst müssen wir die Skelettreiter unschädlich machen«, gab der Ranger zurück. »Und dann werden wir uns auf die Mansons einrichten.« »Was ist mit der zweiten Bande, die angeblich existiert?« fragte Godfrey. Tom winkte müde ab. »Die interessiert mich überhaupt nicht. Sie hat weit weniger Unheil angerichtet als die Bande hier. Und wenn wir die erste Bande aufgerieben haben, werden

die anderen sich ernsthaft überlegen, ob sie noch weitermachen wollen oder nicht.« »Da blicke ich nicht ganz durch«, gab Borden zu, der aufmerksam lauschte. »Die Banden arbeiten doch nicht gemeinsam.« Tom grinste. »Sie arbeiten nicht gemeinsam. Das ist richtig. Aber sie arbeiten für den gleichen Auftraggeber. Und der setzt sie dort ein, wo er sie braucht. Er koordiniert ihre Einsätze und steuert sie möglichst so, daß die Banden an zwei Orten gleichzeitig auftreten. Aber das bedeutet auch, daß weder die eine noch die andere Gruppe dieser Geisterreiter immer die gleiche Besetzung hat. Ich denke, daß ihre Auftraggeber die Leute zwischen beiden Gruppen austauschen und ergänzen, wie der Bedarf es erfordert.« Old Tuffy sah Tom mit leuchtenden Augen an. »Genau das ist es! Ganz genau! Das ist die Lösung. Die ganze Zeit über habe ich darüber nachgedacht, aber ich bin auf keinen grünen Zweig gekommen. Nur so kann das vonstatten gehen.« Godfrey wackelte nachdenklich mit dem Kopf. »Und die Auftraggeber sind die Manson-Brüder, nicht wahr?« »Anzunehmen«, gab Tom zurück. »Aber diese Burschen sind schlau genug, alle Spuren zu vernichten, die zu ihnen führen.« »Motive haben wir in Hülle und Fülle, Ranger!« »Motive? Hier haben wir eins. Das Wasser, das die Brüder für ihr Vieh brauchen. Und damit es nicht zu sehr auffällt, wählen die Kerle im weiten Umkreis scheinbar willkürlich Ranches aus. Wenn man jedoch genau hinsieht, dann kommt man auf den Kern der Sache. Sie wollen eine breite Schneise ins Land brechen.« »Das ist doch ein handfestes Motiv«, warf Godfrey ein. »Was ist im Norden?« »Ich habe mir zwar auch da schon Gedanken gemacht,

Kelly«, mischte sich jetzt Borden wieder in die Unterhaltung ein. »Aber so deutlich erkennbare Motive wie hier finden wir dort nicht. Ich kann mir nur vorstellen, daß dort ein Ablenkungsmanöver stattfinden soll.« »Oder die Rinder werden durch diese Gegend da oben getrieben«, ergänzte Old Tuffy mit pfiffigem Gesicht. »Teufel, das könnte stimmen«, krächzte Godfrey mit belegter Stimme. »Das ist ein Gedanke, Mann. Die treiben die Herden nach Norden. Damit man nicht so schnell auf ihre Spuren kommt, führen sie die Herde einige Meilen durch die Llano Estacado, wohin kein vernünftiger Mensch eine Viehherde treiben würde...« »Und weiter!« wollte Borden wissen. »Die Rinder verrecken doch dort.« Godfrey lachte. »Wenn sie dort bleiben oder weiter hinaufgeführt werden in diese Hölle, dann verrecken sie. Aber wenn man sie wieder herausführt und dann stur nach Norden treibt?« Bordens Gesicht leuchtete auf. »Kansas«, rief er erleichtert aus. »Sie bringen die Tiere nach Dodge City.« »Das habe ich mir auch so vorgestellt«, stimmte Godfrey zu. »Dort verladen sie die Rinder, streichen das Geld ein und kein Mensch fragt sie, wem die Tiere gehören. Und denen, die unsere Rinder in den Fleischfabriken im Osten schlachten, ist es auch egal.« Borden sprang auf. Mit großen Schritten lief er durch das Office. »Verdammt«, murmelte er und ballte die Fäuste. »Einen einzigen Tag. Das muß einzuholen sein.« Tom nickte Godfrey zu, der Bordens Gedanken kannte. »Gut, Borden. Wir brechen morgen auf und holen deine Herde zurück. Ich schätze, wenn wir in Lubbock auf die Rinderdiebe warten, werden wir die Herde abfangen können.« Borden nickte dem Sheriff dankbar zu. Aber dann kamen

ihm Bedenken. »Was ist mit Ihnen, Kelly? Sie brauchen sicher ein paar Männer, die mit der Waffe umgehen können.« »Holen Sie Ihre Rinder, Borden. Das ist wichtiger für Sie. Mit den restlichen Banditen werde ich fertig. Keine Sorge. Schließlich habe ich Old Tuffy bei mir!« Tom warf dem Alten einen Seitenblick zu. Old Tuffy streckte die Brust heraus. »Eben! Schließlich hat er mich. Und auf mich kann er sich verlassen.« Onyx schien das einseitige Lob nicht so sehr zu behagen. Er stand auf und kam näher. Schmeichelnd drückte er sich gegen Toms Beine. »Klar. Dich habe ich auch«, meinte der Ranger lachend. *** Eine Stunde vor Mitternacht wachte Old Tuffy durch einige harte Rippenstöße auf. Er fuhr erschrocken hoch, dann erkannte er Tom Kelly, der grinsend am Rand des Feldbettes stand. »Los, steh auf, du müder Krieger! Sonst verschläfst du den schönsten Teil unserer Arbeit!« »Kannst du nicht ein bißchen sanfter mit mir umgehen?« knurrte der Alte. »Du mußt mir nicht alle Rippen brechen, nur weil du mich aus dem Schlaf holen willst.« »Soll ich dich vielleicht wachküssen?« Tom kicherte spöttisch. »Danke. Das überlasse ich lieber schönen Frauen«, gab der Alte an, als wäre Casanova gegen ihn ein Waisenknabe gewesen. Tom verkniff sich eine Bemerkung, die ihm auf den Lippen lag. Er grinste und wandte sich ab. Inzwischen setzte Old Tuffy die Beine auf die Erde und schob das Hemd in die Hosen. Dann zog er die Stiefel an und schnallte den Gurt um

»Ich bin fertig«, verkündete er schließlich unternehmungslustig. »Wenn du soweit bist, können wir aufbrechen.« Eine Viertelstunde später verließen die Männer Bountry. Sie ritten auf die Berge zu. Old Tuffy schwieg hartnäckig. Er war mißgelaunt. Ihm fehlten einige Stunden Schlaf. Onyx hielt sich in der Nähe der Reiter. Er unternahm lediglich manchmal kleinere Ausflüge in die Umgebung, die jedoch nur kurz währten. Als sie die Felsen erreichten, hielten die Reiter an. Das Hallen der eisenbeschlagenen Hufe war in der Nacht in der Schlucht sehr weit zu hören. Tom hatte vorgesorgt und eine Menge alter Lappen in die Satteltaschen gepfropft. »Das nenne ich Organisation«, zeigte Old Tuffy seine Anerkennung, als der Ranger die Lappen herausholte und auf die Erde warf. Bald waren die Hufe von Strong und Rosinante mit den Lappen umwickelt. Wenn die Tiere sich vorwärts bewegten, waren ihre Tritte beinahe vollkommen geräuschlos. Als sie eben aufbrechen wollten, vernahmen sie in der Ferne Hufschlag von der Ebene her. Tom zog Strong in den Schatten eines Felsens. Der Mond kam durch die Wolkenbank, die langsam weiterzog. Er erhellte das Land mit seinem bleichen Schein so weit, daß die Freunde den Reiter auf ein paar hundert Yards ausmachen konnten. Fragend schaute Old Tuffy Kelly an. »Soll ich ihn...?« Tom winkte an. »Überlaß das Onyx! Der erledigt es geräuschlos.« Onyx war schon geraume Zeit in der Nacht verschwunden. Doch es schien, als hätte der Halbwolf die ankommende Beute verfehlt. Der Reiter näherte sich. Noch ein paar Augenblicke, dann preschte das Pferd mit wirbelnden Hufen in den Canyon, der sich vor ihm auftat.

Plötzlich ging eine Veränderung durch das Pferd des Fremden. Es stemmte mit einem Mal alle Viere gegen die Laufrichtung und stieg, kaum daß die Geschwindigkeit abgebremst war, auf die Hinterhand. Es gebärdete sich wie wild. Tom und Old Tuffy wußten, daß Onyx in Aktion war. Der Reiter klammerte sich im Sattel fest. Aber das Tier war durch die Wolfswitterung derart aufgeregt, daß es nicht mehr zurückzuhalten war. Der Reiter mußte herunter von dem undeutlich erkennbaren Weg. Onyx trieb das Tier genau auf Toms Versteck zu. Aber er griff nicht an. Old Tuffy hatte die Winchester hochgenommen. Er legte den Zeigefinger an den Abzug. Da erkannten sie Borden. Er machte eine ausgesprochen unglückliche Figur im Sattel des bockbeinigen, auskeilenden Pferdes. »Menschenskind, was machen Sie denn hier, Borden?« fragte Tom. Der Rancher fuhr zusammen. »Ach, Kelly«, rief Borden aus. »Ich dachte mir so etwas Ähnliches. Onyx treibt sich wohl herum, weil mein Gaul plötzlich verrückt spielt.« In diesem Moment erschien der Schwarztimber. Er kam von der Seite heran, daß Bordens Pferd keine Witterung bekam. »Warum sind Sie hinter uns hergeritten?« Borden zog die Schulter hoch. »Mir geht das mit der ermordeten Familie nicht aus dem Kopf, Kelly. Deshalb will ich dabeisein, wenn diese Hunde zum Teufel gejagt werden.« Tom fand diesen Wunsch des Ranchers verständlich. Aber er sagte ihm das natürlich nicht, denn ihm wäre es lieber gewesen, wenn Borden wieder nach Bountry zurückgeritten wäre. Hier bestand die Gefahr, daß der im Nachtkampf unerfahrene Borden verletzt oder gar getötet wurde.

»Reiten Sie zurück nach Bountry, Borden. Ich denke, daß Sie das uns überlassen sollten.« »Fällt mir nicht ein, Kelly! Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen. Ich weiß mich meiner Haut zu wehren. Und im übrigen reite ich freiwillig mit euch. Wenn etwas schiefgehen sollte, dann ist es mein Risiko. Aber wir werden ja sehen.« »Wenn wir noch weiter plauschen, kommen wir nie an unser Ziel«, bemerkte Old Tuffy ärgerlich. »Wir müssen weiter, sonst fliegen die Vögel womöglich noch aus.« Tom ging zu Strong und stieg in den Sattel. Die Männer ritten los, nachdem auch Borden die Hufe seines Tieres mit Lappen umwickelt hatte. *** Onyx wartete nicht, bis die anderen fertig waren. Er trabte zügig in die Schlucht hinein. Ihm brauchte Old Tuffy den Weg nicht zu zeigen. Er hatte die Witterung der Banditen in der Nase. Zu oft schon hatte er mit dieser Bande sehr unerfreuliche Beobachtungen und Erfahrungen gemacht. Der Schwarztimber erreichte den Ort, wo der Felsen in der Mitte des Weges wie der Turm einer Festung lag. Plötzlich blieb der Schwarztimber stehen. Er spähte in die Nacht. Er hatte eine Fährte gefunden. Onyx schlich am Felsen entlang, wobei er der Spur folgte. Dadurch kam er zu der flachen Rinne, die von den Banditen zum Aufstieg in den Felsen benutzt wurde. Er zögerte nicht lange. Behende nahm er den Weg und huschte hinauf. Die Banditen hatten den toten Posten am Nachmittag gefunden. Kurz nachdem der fette Mexikaner aus seinem Tiefschlaf erwacht war und ein markerschütterndes Geheul angestimmt hatte. Durch diesen Kerl erfuhren sie auch, daß ihr

Lager entdeckt war. Daher hatten sie am Abend die Wachen verdoppelt. Onyx sah die beiden Männer auf einer Steinplatte sitzen. Er duckte sich auf den Fels und schlich schrittweise näher. Die Posten unterhielten sich leise miteinander. Sie achteten ausschließlich auf die Schlucht und lauschten zwischendurch. »Denkst du, daß die eine Posse aufstellen und uns angreifen?« fragte der eine unsicher. »Auf keinen Fall. Das hätten sie sonst schon längst getan«, widersprach sein Gegenüber im Brustton der Überzeugung. »Dieser Alte kann nur der Kerl sein, der Eddie ausgenommen hat. Du hast doch gehört, wie Eddie Tim davon erzählt hat, oder?« Der andere lachte kehlig. »Das nützt Eddie jetzt auch nichts mehr. Verdammt, daß es ausgerechnet ihn erwischt hat! Er war eine gute Haut. Man hat mit ihm reden können.« »Ach was, Reden kannst du mit allen. Mit Tim und seinem Bruder auch. Du mußt nur ein bißchen vorsichtiger sein...« »Still! Verdammt, hast du das nicht gehört?« Der eine Kerl war hochgefahren. Er umklammerte sein Gewehr. »Das waren nur ein paar Steine, die nach unten gerollt sind«, beruhigte ihn der andere Bandit. »Mach dir doch nicht gleich die Hosen voll!« »Ich sehe doch lieber mal nach. Vielleicht ist der Alte noch in der Nähe. Dann werde ich ihm zeigen, daß er Eddie zwar ausgenommen und den fetten Mex auf die Schnauze hauen konnte, aber gegen mich keine Chance hat.« Sein Kumpan lachte. »Meinetwegen«, stimmte er zu. »Aber schrei ganz laut, wenn du ihn siehst. Ich will nämlich zuschauen!« Der Bursche, der schon auf den Beinen stand, bewegte sich steif auf die Rinne zu, die zum Auf- und Absteigen benutzt

wurde. Er verharrte eine Weile, dann glitt er vorsichtig nach unten. Ein paar Steine kamen ins Rollen, ansonsten aber blieb es ruhig. Der Mann hatte den Timberwolf nicht bemerkt. Onyx wartete, bis er sicher war, daß der Bandit unten war. Dann erhob er sich und schlich auf den anderen Kerl zu, der den Kopf gesenkt hatte und vor sich hin döste. Onyx kam bis auf ein paar Schritte heran. Zufällig blickte sich genau in diesem Augenblick der Bursche um. Er starrte in die kalten Wolfsaugen. Der Schrei wollte nicht aus seiner Kehle. Die Stimme versagte ihm vor Schreck. Dann aber riß er sein Messer heraus. Die Klinge zuckte auf Onyx zu. Onyx schnellte nach vorn. Die Fänge des Timberwolfes spannten sich um den Nacken des Banditen. Der wollte das Messer in die Flanke des Wolfsblutes rammen. Da biß Onyx zu. Der Mann brach zusammen. Onyx ließ ab und zog sich in den Schatten eines Blocks zurück, der nicht weit vom Toten entfernt war. Er wartete auf den anderen Kerl, der sich jetzt anschickte, wieder heraufzuklettern, wie Onyx’ feines Gespür sofort registrierte. Der Bandit erreichte das Felsplateau und sah sich um. Er lachte leise, als er seinen Kumpan ausgestreckt sah. »Du fauler Sack«, rief er unterdrückt in die Dunkelheit. »Hier sollst du nicht pennen, sondern gefälligst die Augen offenhalten und deine Ohren, Mann!« Als der andere nicht antwortete, lachte der Bandit noch einmal auf. »Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, was?« meinte er, während er näher kam. »Aber das gelingt dir nicht. Dazu mußt du dir einen Dümmeren aussuchen. Ich bin doch nicht...« Mitten im Wort brach er ab. Er hatte die dunkle Lache neben dem Kopf seines Kumpans gesehen. Jetzt erst wußte er die seltsame Stellung richtig zu deuten.

Genau in diesem Augenblick handelte Onyx. Er schoß nach vorn, flog auf den Banditen zu, der sein Gewehr hochriß. Durch den Aufprall verlor der Mann das Gleichgewicht, stürzte rückwärts und fiel zu Boden. Dabei verlor er sein Gewehr. Es schlitterte über den Stein. Ein kurzer, heftiger Kampf entbrannte. Instinktiv griff der Bandit Onyx an die Kehle und drückte zu. Die Krallen des Wolfs fuhren über das Gesicht des Burschen und rissen die Haut auf. Ein heiseres Knurren entrang sich Onyx, dem die Luft knapp zu werden drohte. Der Bandit drückte mit roher Kraft Er bot alles auf, was er zu bieten hatte. Wie eiserne Klammern lagen seine Hände am Hals des Timberwolfes. Onyx gelang es nur durch seine ungeheure Wendigkeit, wieder freizukommen. Er bog trotz der mörderischen Umklammerung seinen Kopf so weit nach rechts, daß seine Reißzähne einen Teil des Unterarms erfaßten. Dann biß er zu. Gnadenlos, in höchster Not. Augenblicklich lockerte sich der Griff etwas. Doch genug, um Onyx erneut eine winzige Chance zu geben, ein zweites Mal zuzubeißen. Wieder in den Unterarm. Der Bandit stieß hechelnd die Luft aus. Er schien den rasenden Schmerz nicht einmal wahrzunehmen. Als der Schwarztimber einen Sekundenbruchteil zurückfuhr, richtete sich der Kerl zur Hälfte auf. Er kam Onyx, dessen Rachen weit aufgerissen war, direkt entgegen. Das Letzte, was der Bandit in seinem Schurkenleben noch spürte, waren die scharfen, gefährlichen Fangzähne von Onyx an seinem Hals. *** »Vorsicht«, rief Old Tuffy, als sie sich dem Felsen näherten,

wo er am Nachmittag von einem der Banditen beschossen worden war. Aber noch während er die Warnung aussprach, erblickte er oben die Silhouette von Onyx. »Verdammt, Tom«, sagte er zwischen Staunen und Bewunderung, »wenn Onyx nicht auf unserer Seite wäre, würde es uns manchmal verflucht dreckig gehen, was?« Tom grinste über das ganze Gesicht. Er wußte, was er an Onyx hatte. Der Schwarztimber war der beste Kämpfer, den die Texas Rangers jemals auf ihrer Seite gehabt hatten. Er war gefährlich wie ein Blizzard und lautlos wie der Pfeil eines Indianers. Er war der beste Scout und der überragendste Einzelkämpfer, der jeden Menschen in den Hintergrund verdrängte, der seine Leistungen mit denen des Halbwolfes vergleichen wollte. Borden, der Onyx ebenfalls erblickt hatte, schwieg. Er hatte den Timberwolf an diesem Tag schon mehrmals in Aktion gesehen. Und er war sich noch immer nicht einig, wie er diesen Freund Kellys nehmen sollte. Als Old Tuffy wieder hinauf blickte, war Onyx verschwunden. Tom verhielt Strong. »Wir lassen die Tiere am besten hier«, schlug er vor. »Wenn wir sie bei dem Felsen unterstellen, haben wir die kürzeste Strecke zum Lager der Bande.« Die Männer stiegen aus den Sätteln. Tom erklärte ihnen kurz, wie er sich den Angriff auf das Lager der Skelettbande vorstellte. Daß er dabei Onyx eine Hauptrolle zukommen ließ, verstand sich von selbst. Er kannte den Timberwolf so gut, daß er von vornherein wußte, was Onyx sich als Ziel für seinen Angriff aussuchen würde. Old Tuffy schlich auf dem gleichen Weg zum Lager wie schon am Nachmittag. Borden hingegen bewegte sich an der rechts hochragenden Felswand entlang, während Tom Kelly beabsichtigte, geradewegs auf die Höhlen zuzugehen. Er hatte

Borden die rechte Flanke überlassen, weil er diesen Part für den ungefährlichsten hielt. Gut fünfzig Schritt vor der Stelle, wo Old Tuffy mit dem Mexikaner gekämpft hatte, blieben die Männer stehen. Tom hielt sie zurück. Denn Onyx kam herbei. »Wartet hier! Ich gebe euch ein Zeichen, wenn ihr weitergehen könnt«, raunte Kelly seinen Begleitern zu. Er streichelte Onyx über den Kopf und folgte dem Schwarztimber. Auch unmittelbar am Eingang in das Lager waren die Wachen verdoppelt worden. Onyx wußte, daß er bei diesen Burschen kein so leichtes Spiel haben würde wie bei denen auf dem Felsen. Deshalb hatte er Tom aufgesucht. Der Ranger schlich geduckt nach vorn. Als er die zwei Kerle ausmachen konnte, blieb er stehen und beobachtete sie eine Weile. Dann gab er Onyx einen Wink. Lautlos glitt der Schwarztimber in die Nacht hinein. Die Wachtposten standen zehn Schritt auseinander. Zwischen ihnen war einer der Felsblöcke, die Old Tuffy Schutz geboten hatten. Tom kam schnell vorwärts. Er hatte seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Der Ranger trug das Messer in der Rechten. Kelly wollte eben aufspringen, als der Posten herumfuhr. Irgend etwas mußte ihn gewarnt haben. Tom hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Er konnte keine Sekunde länger warten. Der Kerl riß sein Gewehr hoch. Mit einem schnellen Satz war Tom bei den Banditen. Er schlug mit der Linken das Gewehr beiseite und stieß mit dem Messer zu. Ohne einen Laut von sich gegeben zu haben, wurde der Bandit schlaff. Tom ließ den Kerl auf die Erde gleiten und spähte zum anderen Posten hinüber, der durch das Scharren der Stiefel bei

seinem Kumpan aufmerksam geworden war. Der Bursche setzte einen Fuß vor den anderen, um nachzusehen, als ein schwarzer Schatten heranflog. Lautlos und gefährlich wie der Tod. Die Schatten schienen sich sekundenlang zu vereinigen, fielen zu Boden. Ein Röcheln, dann war es vorbei. Onyx kam zu Tom und blieb stehen, als erwartete er von seinem Freund einen Befehl oder ein Lob. Der Ranger tätschelte den Kopf des Halbwolfes. »Geh zurück zu Old Tuffy und hole ihn her, Onyx!« Während der Timberwolf Toms Begleiter holte, ging der Ranger aufrecht, die Colts in den Händen, auf die Höhlen zu. Er hatte sich einen besonderen Trick ausgedacht. Aber nur für den Fall der Fälle wollte er diesen Weg beschreiten. Wenn die Banditen ihn dazu zwangen. Der Ranger hatte eine Tasche umgehängt, in der er einige mit kurzen Zündschnüren versehene Stangen Dynamit aufbewahrte. Er liebte einen Kampf dieser Art nicht. Aber die Verbrecher nahmen keine Rücksicht, wenn es um den Kampf gegen das Gesetz ging. Warum also sollte er seinerseits bei einer Bande dieses Schlages große Rücksicht walten lassen? Tom versteckte die Tasche für alle Fälle hinter einem größeren Stein, der jederzeit zugänglich war. Umgehängt wollte er die Tasche bei einer Schießerei lieber nicht bei sich haben. Wenn eine Kugel das Dynamit traf, wurde er in tausend Fetzen zerrissen. Und mit ihm wahrscheinlich auch andere. Die drei durch Verschläge abgeschlossenen Höhlen lagen dicht beieinander. Als Tom so nahe war, daß er alle drei Ausgänge mit den Waffen bestreichen konnte, blieb er stehen. Ein Erdwall war von den Banditen hier ausgehoben worden. Weshalb, wußte Tom nicht. Aber dennoch kam ihm dieser Wall sehr zustatten. Er konnte ihn als Deckung benutzen. Ein paar Minuten wartete Tom, bis er seine Gefährten näher

kommen hörte. Old Tuffy schleppte einen prall gefüllten Ziegenfellschlauch mit sich. Er schwang ihn jetzt über dem Kopf und schleuderte ihn vor die Höhlen. Der Schlauch platzte und zwei Gallonen Kerosin ergossen sich auf den Boden. Kelly riß ein Streichholz an und wartete, bis die mitgeführte Lunte Feuer gefangen hatte. Dann warf er sie zum Schlauch hinüber. Binnen weniger Sekunden breitete sich ein hell loderndes Feuer über die ganze Fläche aus, auf der sich das Kerosin verteilt hatte. Tom schoß zweimal in die Luft, dann huschte er in Deckung. Augenblicklich setzte in den Höhlen ein fürchterlicher Lärm an. Die Banditen drängten sich von innen an die Verschläge. Sie schoben ihre Waffen durch die vorsorglich eingebauten Schießscharten, aber sie schossen nicht, weil sie kein Ziel entdecken konnten. »Rauskommen! Aber einzeln. Werft die Warfen weg! Ihr seid umstellt!« Abgehackt brüllte Tom die Worte. Einige Sekunden war Ruhe, dann setzte ein Feuersturm an. Die Banditen schossen aus allen Rohren. Sie feuerten wild drauflos, ohne eine Ahnung zu haben, wo denn ihre Feinde eigentlich waren. Tom wartete ab, bis eine kleine Pause eintrat. »Ich gebe euch zehn Minuten Bedenkzeit«, rief er. »Dann werdet ihr ausgeräuchert!« Eine weitere Salve antwortete ihm. Geschrei setzte an. Vereinzelt fielen wieder Schüsse. Der ganze Talkessel war von den hoch lodernden Flammen erhellt. Die Banditen hatten keine Chance, herauszukommen, ohne daß sie abgeknallt wurden. Tom hoffte nur, daß sie nicht auf den Gedanken kamen,

einen Massenausfall zu riskieren. Denn drei Männer konnten schießen wie sie wollten. Wenn eine ganze Horde ins Freie stürmte, versagten ihre Mittel eben. Noch war der Ranger mit seinem Gedanken nicht zu Ende, als plötzlich die Türen der Verschläge aufgerissen wurden. Auf irgendeine Weise hatten die Halunken sich verständigt und sie wagten nun tatsächlich einen Massenausfall ohne Rücksicht auf Verluste. Tom feuerte. Er sah voraus, daß die Kerle ihn überrennen würden. Auch Old Tuffy und Borden schossen, was das Zeug hielt. Aber die Masse von Männern, die aus den Verschlägen quoll, war nicht zu bremsen. Tom hetzte aus der Deckung, rannte schießend zurück. Kugeln pfiffen ihm um die Ohren. Sie zupften an seiner Kleidung, schlugen unmittelbar neben ihm in den Boden. Ein Geschoß fetzte seine Hutkrempe und riß ein Stück heraus. Doch Tom stand wie ein Felsen. Er hatte beide Colts leergeschossen, dafür aber war er bei dem Steinbrocken angelangt, wo er das Dynamit aufbewahrt hatte. Schnell bückte er sich, holte drei Stangen aus der Tasche. Die erste Zündschnur begann zu glimmen. Um die Hände frei zu haben, hielt der Ranger die beiden anderen Stangen zwischen den Zähnen. Er wartete kaltblütig, bis die Zündschnur fast ganz heruntergebrannt war. Er wollte ausschließen, daß die Dynamitstange drüben aufschlug und womöglich von einem eiskalten Hund zurückgeschleudert wurde. Jetzt! Tom holte aus. Er warf den Sprengstoff nicht in die Masse hinein, was ihm ein leichtes gewesen wäre, sondern er dosierte seinen Schwung. Der Ranger hatte den richtigen Zeitpunkt abgewartet. Die Banditen erkannten, daß sie es lediglich mit drei Männern zu tun hatten. Und sie stürmten siegessicher nach vorn.

Tom ließ die Sprengladung einige Yards vor den ersten Banditen aufschlagen. In der gleichen Sekunde, wo die Dynamitstange den Boden berührte, detonierte die Ladung mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Der Luftdruck war enorm. Er wehte Tom beinahe von den Beinen. Diese schreckliche Waffe ließ die Banditen stocken. Zwei hatte es erwischt. Sie lagen tot ein Stück neben dem Trichter, der in die Erde gerissen worden war. Tom wußte, daß der Schreck der Verbrecher nur von kurzer Dauer sein würde. Er hatte inzwischen die Lunte der zweiten Ladung schon angesteckt. Als die Banditen wieder loslegten und aus allen Rohren feuerten, warf Tom die zweite Stange. Er ließ sie wiederum ein paar Schritte vor den ersten Männern aufschlagen. Die vordere Reihe war um gut zehn Yards zurückgewichen. Die Banditen stoben auseinander wie eine Schar aufgeschreckter Hühner. In ihrer Angst vor dem Sprengstoff rannten sie sogar durch das lodernde Flammenmeer. Old Tuffy, drüben an der linken Flanke, war in seinem Element. Er schoß ununterbrochen. Zwischendurch stieß er wilde Schreie aus, wenn er einen der Banditen traf. Als die verheerende Wirkung des Sprengstoffs die Bande in ihre Schranken zurückverwies, lachte der Alte meckernd. »Schaut nur, wie sie laufen«, brüllte er begeistert. »Wie sie laufen! Wie die Hasen, hahaha!« Die dritte Stange Dynamit war eigentlich nur noch zur Einschüchterung gedacht. Tom schleuderte sie weiter als die beiden vorhergehenden. Wieder flitzten die Banditen auseinander. Sie versuchten überall Schutz zu finden. »Ich hab’ noch ein Dutzend davon. Wenn ihr wollt, könnt ihr sie alle haben«, rief Tom. »Aber künftig werde ich nicht

mehr vor eure Beine zielen, sondern auf eure Köpfe!« Das wirkte. »Aufhören, verdammt! Wir ergeben uns!« brüllte einer zurück und warf demonstrativ seine Waffen weg. Die anderen taten es ihm, zitternd vor Angst, gleich. *** Was die in der bleihaltigen Luft unten im Talkessel nicht bemerkten, entging dafür Onyx nicht. Er sah den Burschen, der an der Felswand entlangschlich, als die Schießerei richtig losging. Vorsichtig folgte er ihm. Onyx kannte den Kerl. Er war dabei gewesen, als die Bande die ganze Familie ausgelöscht hatte. Er war neben dem Anführer geritten. Rechts. Der Flüchtende schaute sich ein paarmal um. Das war wohl eher aus reiner Gewohnheit. Denn in dem dort unten herrschenden Durcheinander kam keiner auf den Gedanken, nach etwaigen Flüchtenden Ausschau zu halten. Der breitschultrige Mann erreichte eine aus dem Stein gehauene schmale, nicht sehr steile Treppe, die serpentinenartig nach oben führte. Mit hastigen Schritten stürmte er hinauf. Kaum hatte der Kerl die obere Kante erreicht, als Onyx die Treppe anging. Er konnte sich viel Zeit lassen. Der Verbrecher würde ihm nicht entkommen. Denn die Nacht rettete ihn nicht vor der Spürnase des Schwarztimbers. Als Onyx oben ankam, huschte der Kerl mit kurzen, schnellen Schritten am Abgrund entlang, bog nach links ab, wo er alle Vorsicht außer acht lassen konnte und mit riesigen Sprüngen auf eine künstlich aus aufgetürmten Steinen geschaffene Höhle zurannte. Pferdewitterung drang Onyx in die Nase. Er steuerte direkt

auf das seltsame Gebäude zu, blieb dicht beim Eingang stehen und wartete, bis der Kerl einen gesattelten Gaul herausführte. Kaum am Ausgang bekam das Pferd Wolfsausdünstung in die Nase. Mit einem riesigen Satz sprang es nach vorn. Der Bandit wurde umgerannt, überschlug sich rückwärts, rollte noch ein Stück zur Seite und duckte sich, als das Tier über ihn hinwegsetzte. »Du dreimal verfluchter Schinder«, wetterte der Bandit los, aber damit erreichte er nicht einmal, daß er seine Wut loswurde. Er rappelte sich benommen auf und stolperte hinkend auf das Gebäude zu. Die Überraschung des Banditen war perfekt, als mit einem Mal ein schrilles Wiehern der Tiere zu hören war. Gleich darauf stürzten die Pferde heraus und hätten den Banditen um ein Haar umgerannt. Onyx war schlau genug gewesen, in den Stall zu laufen und die Tiere zu erschrecken. Er ging damit ein beträchtliches Risiko ein. Auskeilende Pferde entwickeln eine ungeheure Kraft. Wenn Onyx von einem dieser wütenden Hufe getroffen worden wäre, hätte der Schlag seinen Schädel zermalmt. Der Bandit ließ eine Reihe lästerlicher Flüche vom Stapel und riß seinen Colt aus dem Holster. Er vermutete jemanden in dem engen Raum. Hastig ging er darauf zu, war mit einem Sprung durch die Tür. Vergeblich versuchte der Bandit die Dunkelheit zu durchdringen. Als er endlich glaubte, etwas erkennen zu können, schoß ein schwarzes Etwas auf ihn zu. Der Bandit ließ seinen Colt fallen. Er riß die Arme hoch, um sein Gesicht zu schützen. Aber als er rückwärts zu Boden stürzte, umklammerte er statt dessen den Oberkörper von Onyx, der seine Fänge an der Kehle des Banditen hatte und nur so weit zubiß, daß der Verbrecher zwar Todesangst ausstand, aber nicht ernstlich verletzt wurde.

* * *

Im Lager der Bande herrschte inzwischen einigermaßen Ordnung. Mit zahlreichen Lassos waren die Banditen zusammengeschnürt, daß sie sich nicht mehr bewegen konnten. Zur Sicherheit hatte Old Tuffy durch die Fesseln der einzelnen Bandenmitglieder zusätzlich ein Lasso geführt, das sich zusammenzog, wenn auch nur einer von den Gefangenen Zicken versuchte und aus der Reihe tanzen wollte. »Wo ist eigentlich Onyx?« erinnerte sich Old Tuffy an den Schwarztimber. Tom lauschte. »Ich glaubte, ihn vorhin gehört zu haben.« Jetzt wurde das Fiepen von Onyx deutlicher. Tom schaute sich ein wenig ratlos um. Wenn ihn sein Gehör nicht trog, war das Fiepen des Timberwolfes von oben gekommen. Wie aber hatte Onyx es geschafft, dort hinauf zugelangen? Borden hatte die Lösung parat. »Sehen Sie die aus dem Fels gehauene Treppe, Kelly? Ich denke, daß Onyx dort hinauf gelaufen ist.« Tom nickte ihm zu und rannte zu der Treppe. Als sich der Ranger dem aus rohen Blöcken zusammengefügten Gebäude näherte, vernahm er leises Knurren. Das typische Knurren von Onyx, wenn er einen Gefangenen in Schach hielt und ihm Angst einflößen wollte. Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Ranchers. Er hatte nicht bemerkt, daß einer von der Bande sich abgesetzt hatte. Sofort ordnete Tom die verschiedenen Gedanken richtig ein. Er kombinierte richtig, daß es sich bei dem Entflohenen nur um einen der Anführer der Bande handeln konnte. Er hatte sich den Fluchtweg offengehalten und auf diesem Weg versucht, entweder nur zu verschwinden oder Hilfe zu holen.

Starr lag der breitschultrige Mann auf dem Rücken. Onyx hatte seine Fangzähne am Hals des Gefangenen. Als er Kelly kommen sah, ging er ein paar Schritte zurück. Der Bandit glaubte einen Atemzug lang, daß seine Chance gekommen sei. Er wollte den vorher entfallenen Colt ergreifen. Aber ein kurzes, drohendes Knurren von Onyx genügte, daß er seine Absicht umgehend aufgab. »Wenn ich dir einen Rat geben darf: versuche nicht, zu fliehen oder mich anzugreifen! Es sei denn, du bist lebensmüde«, stellte Tom sachlich und kühl fest. »Und jetzt steh auf!« Der Bandit rappelte sich langsam hoch. Er vermied jede schnelle Bewegung. Sein Respekt vor Onyx war grenzenlos. Tom nahm den Burschen mit aus der Hütte. Erst wollte er ihn hinunterbringen ins Lager, um ihn auszupressen, aber dann unterließ er es doch. Wenn der Bandit allein war und seine Kumpane nicht zuhörten oder gar zusahen, wie er ängstlich zu singen begann, ließ sich mehr erfahren. »Dein Auftraggeber?« Der Bandit senkte den Kopf. Er schwieg verstockt. Tom lachte heiser auf. »Du brauchst es mir nicht zu sagen. Es genügt, wenn ich den Wolf beim Namen nenne. Onyx!« Der Bandit fuhr zusammen. Onyx sprang auf ihn zu. »Halt!« Tom sah, wie der Bursche zu zittern begann. »Also?« »Nicht mehr diese Bestie! Bitte!« Die Stimme des Banditen klang wie ein weinerliches Flehen. »Du brauchst nur den Mund aufzutun, dann läßt er dich in Ruhe. Wer sind deine Auftraggeber?« »Manson«, preßte der Bandit heraus. »Beide Brüder?« Der Bursche nickte. »Mike macht die Pläne...« »... und Tim führt euch an, was?«

Wieder ein Nicken. »Er ist der Boß... auch gestern nachmittag, bei...« Der Bandit schwieg. Er schnaufte laut. »Und die andere Bande?« fragte Tom lauernd. »Sie hängt mit eurer zusammen?« »Wir waren heute alle hier. Das ist das... Hauptquartier. Morgen früh wollte Tim kommen, weil... weil das Lager verlegt werden sollte. Wegen... dem Alten... Wir wollten weiter in die Berge hinein.« Tom hatte das Bedürfnis aufzuatmen. Hatte sein Gefühl ihn nicht getrogen. Er hatte mit seinen Gefährten die gesamte Bande auf einmal aufgerieben. Eine gute Portion Glück war auch mit im Spiel. Aber das gehörte eben dazu. »Die sauberen Brüder sind jetzt auf der Ranch, nehme ich an?« »Ich denke schon. Sie sind abends fast immer auf der Ranch, wenn nicht... was läuft.« »Wie viele Männer halten sich dort auf?« »Außer den Brüdern höchstens zwei. Die anderen sind auf dem Trail. Eine Herde mit über fünftausend Stück.« Tom grinste. Diese Herde würde nicht weiter kommen als bis Lubbock. Der Ranger hatte mit dem Sheriff der Stadt telegrafiert und von ihm die Zusage erhalten, daß die Herde aufgehalten wurde, denn die meisten Rinder waren von anderen Ranches gestohlen. »In Ordnung, Amigo. Und jetzt komm mit! Wir werden dich schön verpacken. Du sollst keinen Grund haben, dich zu beschweren.« *** Tom stieg ein paar hundert Yards vor der Goodnight-Ranch aus dem Sattel und band die Zügel von Strong an den Zweigen

eines Busches fest. Zu Fuß, die Winchester in der Rechten, ging er geradewegs auf das Ranchhaus zu. Onyx trabte auf gleicher Höhe, allerdings ein Stück abseits, daß jeder Beobachter zwar den Ranger bemerkte, nicht aber seinen Begleiter. Die Schritte von Tom hallten dumpf auf den Bohlen der Veranda. Mit dem Kolben der Winchester pochte Kelly gegen die Haustür. Es dauerte eine Weile, bis drinnen Schritte laut wurden. Ein unruhiger Lichtschimmer wurde durch eine Ritze sichtbar. Dann hörte Tom eine Männerstimme: »Wer ist da?« »Mach schon auf, zum Teufel«, knurrte der Ranger. Ihm war es egal, ob er erkannt wurde oder nicht. Tom Kelly hatte wieder einmal Glück. Der Mann im Haus hielt ihn anscheinend für einen der Cowboys. Er schob den Riegel zurück und zog die Tür auf. Bevor der Bursche den Mund aufbrachte, hielt Tom ihm die Mündung der Winchester gegen den Bauch. »Ein Wort nur«, warnte er, »dann hast du eine Unze Blei im Magen!« Widerstandslos ließ sich der Mann ins Haus schieben. Tom überlegte, wie er den Burschen aus dem Spiel bringen konnte. Er sah eine Truhe, und dabei kam ihm der rettende Einfall. Er zog den Deckel hoch und winkte dem Burschen auffordernd zu. »Da hinein! Und keinen Mucks, sonst...« Der erschrockene Mann nickte nur. Er stieg wortlos in die Kiste. Tom holte einige Wäschestücke heraus, die im Innern der Kiste aufbewahrt wurden. Er fesselte den Mann damit und legte ihm einen Knebel an. Dann verschloß er die Truhe und hatte jetzt freie Hand. Langsam, darauf gefaßt, eine Überraschung zu erleben, schlich Tom die Holztreppe hinauf. Er hatte die Winchester in

der Armbeuge. Onyx war einige Stufen voraus. Er blieb vor der ersten Tür stehen. Tom öffnete und ließ zuerst den Schwarztimber hinein. Schnarchtöne kündeten vom tiefen Schlaf des Mannes, der im Bett lag. Tom grinste. Er stellte sich das dumme Gesicht des Kerls vor, wenn er erwachte und den Schwarztimber vor sich hatte. Für den Ranger blieben noch zwei Gegner jetzt. Einer von der Mannschaft lag in der Wäschetruhe, der andere wurde von Onyx in Schach gehalten. Waren noch die Manson-Brüder. Tom öffnete leise die Tür des nächsten Zimmers. Ein kalter Schreck durchfuhr ihn. Im Zimmer brannte Licht. An einem Tisch saß ein Mann, der sich umwandte. Er erblickte Kelly und stieß einen unterdrückten Schrei aus. Tom hechtete nach vorn. Er bemerkte einen Colt in der Hand von Mike Manson. Als der Ranger auf dem Zimmerboden aufschlug, blitzte die Mündungsflamme aus der Waffe von Manson. Die Kugel fetzte in den Türrahmen. Dann bellte die Winchester auf. Das Geschoß riß Mike Manson zurück. Er fiel auf den Schreibtisch. Seine Augen waren aufgerissen. Er starrte Kelly fassungslos an. Seine Hand wurde schlaff. Der Colt polterte auf den Boden. Tom war schon wieder auf den Beinen. Er mußte schleunigst aus dem Zimmer. Noch konnte er Tim Manson überraschen, wenn er schnell genug in das Zimmer des raffinierten Verbrechers kam. Toms Blick fiel auf das Fenster. Er befand sich oberhalb der überdachten Veranda. Einer plötzlichen Eingebung folgend riß Tom das Fenster auf. Er stieg über den toten Mike Manson auf den Fenstersims und war einige Sekunden später bereits draußen auf dem Vordach.

Ohne zu zögern schlich der Ranger an der Hauswand entlang zum nächsten Fenster. Er entdeckte auch hier matten Lichtschimmer. Kelly bückte sich. Er spähte durch das Fenster. Er sah die Umrisse eines Mannes, der eine abgeblendete Laterne hielt. Der Lichtstrahl fiel auf die Tür. Schlau ausgedacht von Tim Manson. Wenn der Gegner durch die Tür hereinkam, blendete ihn im ersten Augenblick der Schein der Lampe. Bevor Kelly darauf hätte reagieren können, wären Tim Mansons Kugeln schon im Ziel gewesen. Das Warten machte Manson nervös. Er ging ganz langsam auf die Tür zu. Der Colt in der Rechten würde beim geringsten Geräusch Feuer und heißes Blei speien. Tom hatte eine Idee. Er schlich noch einmal zurück zum Zimmer von Mike Manson. Auf dem Tisch vor dem Fenster fand er einen Briefbeschwerer. Den nahm er hoch und schleuderte ihn durch die offenstehende Tür auf den Korridor. Sofort huschte er eilig zum anderen Fenster zurück. Der Aufschlag draußen mochte Tim Manson zu allen möglichen Gedanken hinreißen. Auf alle Fälle reagierte er genau so, wie Tom erwartete. Er feuerte durch die Tür, dann riß er sie auf. Tom erhob sich, trat mit einem heftigen Schwung das Fenster ein – und war schon mitten im Zimmer. Tim Manson fuhr herum. Er ließ die Kerosinlampe fallen vor Schreck. Gleichzeitig riß er den Colt hoch. Toms Winchester spie dreimal eine ellenlange Feuerzunge aus. Drei Kugeln schmetterten den Verbrecher zurück, ließen ihn durch die offenstehende Tür torkeln. Am Treppengeländer versuchte sich Manson aufzurichten. Das Geländer gab nach, brach. Der Banditenboß stürzte hinab. Er spürte den Aufschlag nicht mehr. Er war nämlich bereits tot. Onyx hatte den Kerl in seinem Zimmer gut bewacht. Tom

beeilte sich, diesen Burschen und dessen in der Wäschetruhe halb erstickten Kumpan aus dem Haus zu bringen. Das Kerosin brannte oben. Die Flammen hatten sich schon über das halbe Obergeschoß ausgebreitet. *** Etwas mehr als viertausend Rinder zogen brüllend durch die Main Street von Bountry. »Verdammt, Kelly, das ist ein Anblick, wo einem Rancher das Herz lacht«, strahlte Borden. »Wie Sie das hingekriegt haben, ist mir mein Lebtag ein Rätsel.« »Und dabei wäre ich um ein Haar noch nach Lubbock aufgebrochen«, meinte Sheriff Godfrey. »Ich hätte euch gesteinigt, wenn ich bemerkt hätte, daß der Weg umsonst war.« Tom streichelte das dichte, schwarze Fell seines Freundes Onyx, der sich an seine Beine schmiegte. Der Ranger grinste, als er Old Tuffys Kommentar hörte. »Dann hätten Sie wenigstens ein bißchen Arbeit gehabt, Sheriff.« »He! Ich habe mehr als genug zu tun!« Godfrey keuchte. »Ein ganzes Gefängnis voller Banditen. Und ich weiß noch nicht, wann endlich der Richter kommt!« ENDE