Ren Dhark Drakhon Band 24 Die geheimen Herrscher l. Feuer auf der Panoramaanzeige, Feuer, wenn er aus dem Gleiter blickt...
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Ren Dhark Drakhon Band 24 Die geheimen Herrscher l. Feuer auf der Panoramaanzeige, Feuer, wenn er aus dem Gleiter blickte, Feuer in allen Meldungen aus der Kommunikationseinheit. Es brannte überall, der ganze Planet brannte, die gesamte Galaxis, so wollte es ihm scheinen, und er selbst brannte auch, sein Him jedenfalls, sein Herz, sein Blut war es tatsächlich schon vorbei? Ja, vorbei, es war tatsächlich schon vorbei... Am Horizont sah er den Goldenen Hochverehrten des Tores aus einem Flammenmeer ragen, aus einem Flammenwald, aus einer Flammenwelt. Der Bordrechner meldete zwei Raumer der Loyalisten in den äußersten Schichten der Stratosphäre, und kurz darauf hüllte Feuer den Gleiter ein. Der Navigator kreischte, der Kopilot brüllte, der Waffentechniker murmelte Sätze, die klangen wie ein uraltes Gebet. Er selbst riß alle sechs Arm hoch, um seinen Schädel zu schützen, eine vollkommen absurde Geste. War es falsch zu kämpfen? War es ein Fehler gewesen, sich aufzulehnen gegen die Verehrtesten der Verehrten? Hatte er sein Leben verwirkt? Exakt diese Fragen schössen ihm durch das Him, als es über ihm knallte, als die Frontkuppel des Gleiters sich in viele Fragmente auflöste und durch die Flammenwand davonwirbelte. Seine Fühler bogen sich nach unten, sein Magen sackte ihm in den Unterleib, und sein Körper bohrte sich bis in den Federkern des Kommandantensitzes. Das Gebrüll des Kopiloten verlor sich wie ein verhallendes Echo im Nichts. Flammen, Hitze, Atemlosigkeit dann schoß er aus dem Feuer dem Himmel entgegen. Seine Rettungseinheit brannte, als sie den Zenit ihrer Beschleunigungsparabel erreichte. Dort verharrte sie für Bruchteile eines Herzschlages, dann ging es abwärts. Heiße Luft rauschte, Bremsmodule zischten, und jetzt richteten seine 9 Fühler sich steil auf, seine brennenden Glieder flogen dem brennenden Himmel entgegen, und sein Magen preßte seine Lunge zusammen und verstopfte ihm die Kehle. Die Kauscheren drückten ihm von innen gegen die Facettenaugen, als würde ihm jemand die Schädelbasis von unten mit einem Spitzholz aufbohren, er zog die Schultern hoch, preßte Kinn und Scheren auf die Brustplatte und bangte dem Aufschlag entgegen und endlich brach er samt Kommandantensessel in das Wipfeldach des Waldes ein. Sein Glück vermutlich, denn Zweige, Geäst und Lianen bremsten seinen Sturz ab. Sein Gurt löste sich, der Sessel blieb in der Baumkrone hängen, er selbst schlug im nassen Waldboden auf. Er richtete sich auf, riß den zertrümmerten Helm vom Schädel, blickte an sich hinunter: Sein Kampfanzug hing ihm in Fetzen vom Leib, einer seiner rechten Arme brannte. Da standen Sumpfpflanzen, da brodelte Morast, da spiegelte ein brennender Himmel sich im Wasser er stürzte sich hinein. Das Feuer erlosch, doch als er auftauchte, war der untere seiner rechten Arme nicht wesentlich mehr als ein krummes Stück Asche, gerade noch zusammengehalten von kochendem Schaum und schmelzendem Gewebe seines Anzuges. Der Schmerz aber ließ seine Neuronen rotieren, und das Entsetzen wollte seinen Verstand überfluten. Er schaffte es, sich gegen Schmerz und Panik zu stemmen nicht umsonst war er Flottenkommandant und tastete nach der Klinge an seiner Hüfte. Er spürte sie, er umklammerte sie, er riß sie aus der Scheide, und er trieb sie in das verkohlte Gewebe dessen, was von seinem unteren rechten Arm übriggeblieben war. Wieder und wieder stach er zu, hieb er, säbelte er in seinen Chitinpanzer, in sein Fleisch bis das verbrannte Glied von ihm abfiel. Doch das erlebte er nur noch wie im Traum.
Der brennende Himmel erlosch. Die brennende Welt, die seine Heimat war, verkroch sich unter eine düstere Decke des Vergessens, sein Bewußtsein versank in dumpfem Schmerz, in Gleichgültigkeit und schließlich in Nichts. 10 In letzter Zeit hatten sie nicht viel zu lachen gehabt auf der POINT OF, während des Rückflugs nach Terra Nostra jedoch herrschte eine lockere Stimmung in der Kommandozentrale; eine geradezu ausgelassene Stimmung sogar. Scherze flogen hin und her, Geplauder und Gelächter, wohin man hörte, entspannte Mienen, wohin man sah. Der Commander versuchte sich anstecken zu lassen. Er saß in seinem Sessel im Kommandostand, behielt Armaturen, Anzeigen, Kontrolleuchten und die Bildkugel im Auge, drückte hin und wieder auf den Empfänger in seinem rechten Ohr, um auf die knappen Meldungen des Checkmasters zu lauschen, und versuchte zugleich der Unterhaltung der Besatzung in der Kommandozentrale zu folgen. Manchmal lächelte er, und manchmal traf sich dann sein Blick mit dem des Ersten Offiziers, oder mit dem Doorns oder Tschobes oder Amy Stewarts. Ihre Blicke erhaschte er häufiger als die der anderen, und wenn seine Augen für kurze Zeit in ihren ruhten, gelang es Ren Dhark tatsächlich, sich von der guten Stimmung seiner Mannschaft anstecken zu lassen. Vorübergehend; solange eben, bis der Hauptgrund der allgemeinen Hochstimmung sich wieder in sein Bewußtsein schob, und dessen dunkle Seite ihn mit schlimmen Vorahnungen bedrückte. Die Laderäume aller vierundfünfzig Schiffe der Forschungsflotte waren gefüllt mit dem wertvollsten Metall, das die Galaxis Om zur Zeit zu bieten hatte: mit Tofirit. Das war der Hauptgrund für die gute Stimmung an Bord. In absehbarer Zeit würde dieses Tofirit eine gewaltige Kriegsflotte mit Energie versorgen, und das große Sterben würde beginnen. Das war die dunkle Seite des Metalls. Und zugleich der Grund für Ren Dharks düstere Vorahnungen. Der Commander gehörte nun mal nicht zu den Menschen, die sie perfekt beherrschten, die Kunst der Verdrängung. Dazu trug er einfach zuviel Verantwortung. So erschien es ihm nicht einmal unpassend, daß eigenartiges, buntes Licht für ein zunehmendes Farbspiel in der Zentrale sorgte. Das Hologramm über dem Kommandostand wurde immer prächti 11 ger. Als wäre die Bildkugel eine riesige Lampe, die jemand allmählich auf Farbbetrieb umschaltete. In Wahrheit füllte die Gaswolke Gardas die Darstellung inzwischen fast vollständig aus. Am oberen Rand ein paar Sterne, am unteren ein Kugelhaufen mittlerer Helligkeit 2,74 Millionen Lichtjahre entfernt und inmitten der galaktischen Wolke der eine oder andere besonders helle Farbtupfer, schillernd und schön wie verglühende Reste bengalischen Feuers. Ansonsten aber schien sich ein bunter Farbenschauer über den Kosmos gelegt zu haben. »Kommunikationszentrum an Zentrale«, sagte ein Männergesicht auf einem kleinen Bildschirm über der Instrumentenkonsole. »Kodierte Nachricht von Terra Nostra. Über Hyperfunk, Moment noch...« Es war das Gesicht von Elis Yogan, dem zweiten Funker. »So, hier die Dechiffrierung: Die Römer melden feindliche Einheiten, ZyzzktRaumer. Sie patrouillieren im gesamten Bereich um die Wolke.« Noch keine acht Minuten waren vergangen, seit die Flotte der 54 Forschungsschiffe aus dem Hyperraum vor der Gaswolke aufgetaucht war. Die römischen Kommandeure hatten Befehl gegeben, das Intervallfeld zu aktivieren. Mit SLEAntrieb nahm die Flotte Kurs auf das Ziel. Es war nahe, das Ziel, relativ nahe jedenfalls:
Terra Nostra, der Planet der Neurömer. Noch 193 Lichtjahre entfernt kreiste er verborgen im Zentrum der schützenden Wolke mit elf anderen Planeten um seine Sonne ein Stützpunkt in der Fremde, die letzte Bastion des Widerstandes gegen die Zyzzkt, ein Stück Zuhause fast für Ren Dhark und seine Expeditionsflotte aus der Milchstraße. »Dhark an Funkzentrale, Verbindung mit den Akademiepräsidenten, bitte.« Die Präsidenten der wissenschaftlichen Akademie von Terra Nostra, Socrates Laetus und Marcus Gurges Nauta, waren zugleich die Kommandeure der Forschungsexpedition. Sekunden nach der Bestätigung aus der Funkzentrale erschien das sorgenfaltige Gesicht von Socrates Laetus auf einem der kleinen Monitore über der Instrumentenkonsole. Nur eine Maske, dieses Gesicht, und Dhark war der einzige auf der POINT OF, der das wußte. »Commander Dhark? Sie haben die Nachricht von Terra Nostra erhalten, schätze ich.« 12 »Ja. Die Insekten bilden einen Sperrgürtel um Gardas, wie es scheint. Weiß man auf Ihrem Heimatplaneten, wie viele ZyzzktRaumer sich in der Umgebung der Gaswolke sammeln?« »Nein, wir sind auf die Befunde unserer Femortung angewiesen. Demnach haben wir es im Augenblick mit etwa 8900 feindlichen Ringraumem zu tun. Einiges spricht dafür, daß in jeder Minute weitere Einheiten aus dem Hyperraum auftauchen.« »Stehen Sie in Kontakt mit Terra Nostra?« »Sicher, Commander Dhark. Wir haben unsere Position durchgegeben und die erfreuliche Fracht angemeldet, die wir mitbringen. Chiffriert, vorsichtshalber.« Eigentlich nicht nötig, denn Richtfunkverkehr durch den Hyperraum ToFunk war abhörsicher. Aber Ren Dhark hätte in dieser Situation auch nur kodierte Botschaften durch den Hyperraum geschickt. Konnte man denn wirklich sicher sein, ob nicht die Zyzzkt inzwischen technische Mittel entwickelt hatten, das Unmögliche möglich zu machen? »Wir werden in Kürze ins Zentrum der künstlichen Gaswolke einfliegen«, sagte Laetus. »Halten Sie sich bereit, Commander.« »In Ordnung, Socrates Laetus«. Das Gesicht des Römers des scheinbaren Römers verblaßte, der kleine Monitor wurde grau. »Und sagen Sie Ihren Leuten zu Hause, sie müssen uns nicht unbedingt einen Empfang mit militärischen Ehren bereiten«, krähte Manu Tschobe durch die ganze Zentrale. Seine Zähne schimmerten im Halbdunkeln, und das Weiße seiner Augäpfel glänzte in seinem schwarzen Gesicht. »Wenn der Konsul persönlich uns die Pfoten drückt und ein paar schöne Mädchen mitbringt, die uns eine Hymne vortragen und was Leckeres zu trinken anbieten, wären wir schon ganz zufrieden.« Arc Doorn schlug sich auf die Schenkel, ein paar Männer lachten. Amy drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger, und der Commander fand, daß sie schöne Hände hatte. Die Funkzentrale bestätigte glücklicherweise das Ende des Funkkontakts, denn die Neurömer, auf militärische Disziplin und Etikette bedacht, platzten nicht gerade vor Humor. Laetus und Nauta sind keine Römer, rief der Commander sich ins Gedächtnis, es sind Worgun in Menschengestalt... Hatten 13 Worgun Humor? Hatte er Gisol schon einmal lachen gesehen? Der Commander dachte nach, aber ihm fiel keine Situation ein, in der Gisol sich humorvoll gezeigt hätte. Nein, Gisol, der Schlächter, und Lachen unvorstellbar! Über die Gedankensteuerung meldete sich der Checkmaster. »Die Femortung erfaßt insgesamt 9148 feindliche Einheiten, dreizehn patrouillieren in aktueller Flugrichtung...« Ren Dhark runzelte die Stirn. Das waren mehr feindliche Ringraumer, als die Femortung des römischen Flaggschiffes registriert hatte. Dreizehn Koordinaten gab der Rechner durch, zeitgleich erschienen die Zahlen auf einer kleinen Anzeige des Navigationsrechners über der Instrumentenkonsole. Auf dem Hologramm der Bildkugel sah der Commander dreizehn hellrote Punkte blinken. Vier der auf
diese Weise visualisierten ZyzzktRaumer waren weniger als zwei Lichtjahre entfernt, einer davon sogar weniger als 20 000 Astronomische Einheiten. In Sekundenschnelle machte die Nachricht die Runde. Das Geplauder in der Kommandozentrale ebbte ab, bald lag konzentrierter Ernst auf den Gesichtern. Eine Viertelstunde später meldete der Checkmaster schon über 10 000 Ringraumer der Zyzzkt in der Umgebung der Gaswolke, die Distanz zur Forschungsflotte schwankte zwischen 19 000 Astronomischen Einheiten und 428 Lichtjahren. An keiner Stelle wagten die Zyzzkt in die Gaswolke einzudringen. Natürlich nicht: Sie scheuten das Sicherheitsfeld. Etwa 2100 Jahre zuvor hatten die Worgun selbst diese geniale Energieabschirmung rund um Gardas installiert. Sie bescherte den insektoiden Organismen der Zyzzkt den Gehirntod, sobald sie mehr als sieben Astronomische Einheiten in die Randbezirke der 370 Lichtjahre durchmessenden Wolke eindrangen. Eine wirkungsvolle Defensivwaffe solange die insektoiden Intelligenzen keine Abwehrtechnik dagegen entwickelten. Eines Tages würde ihnen das gelingen, vielleicht schon bald. Ren Dhark war überzeugt davon. Und dann würden sie auf Zehntausende von OvoidRingraumern stoßen, die jetzt noch als elektronische Blaupause in irgendwelchen Datenbanken auf Terra Nostra ruhten, die aber dank des Tofirits in den Laderäumen der 14 Forschungsflotte in kürzester Zeit vom Band laufen würden. Mit Millionen Neurömern, die eher bereit waren zu sterben als ihr Sonnensystem aufzugeben. Der Commander starrte in die Bildkugel. Die buntleuchtende Gaswolke füllte sie nun fast vollständig aus. Sollte diese Wolke tatsächlich zu einem kosmischen Massengrab werden? Nein, das durfte nicht geschehen! Niemals. Dharks Entschluß stand fest: Er mußte ins Herz der Finsternis vorstoßen, zum Zentralplaneten der Zyzzkt; er mußte. Eine andere Chance für Frieden sah er nicht. Die Meldungen aus der Ortungszentrale rissen nicht ab, die Anzahl der feindlichen Schiffe stieg kontinuierlich an. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die 54 Ringraumer der Forschungsflotte entdeckt werden würden. Ren Dhark wartete auf den Befehl aus dem Flaggschiff. Endlich kam er. »Marcus Gurges Nauta an die vereinigte Forschungsflotte von Gisol, Terra, Simon dem Wächter und Terra Nostra.« Der Checkmaster übertrug die Nachricht über Bordfunk. »Wir gehen in 47 Sekunden auf Sternensog. Ziel: Terra Nostra. Bestätigen Sie bitte. Ende.« Ein Funksignal erreichte über ToFunk sämtliche Raumer der Forschungsflotte, und sofort gingen die Bestätigungen der Flotteneinheiten ein, nacheinander, der Checkmaster ließ keine aus. Als die Stimme des Worgun Gisol von der EPOY und die elektronische Stimme Simons, des Wächters, von der NOREEN WELEAN im Bordfunk ertönten, verständigten sich der Commander der Planeten und Hen Falluta, sein Erster Offizier, mit einem kurzen Blick. »Bestätigen«, gab Ren Dhark an die Adresse der Funkzentrale durch, und Falluta rief: »Volle Energie auf die Abschirmer! Sternensog hochfahren! Wir legen los, Ladys und Gentlemen! An den Insektenschiffen vorbei und mitten hinein in das bunte Vergnügen.« Es wurde still in der Kommandozentrale, der Checkmaster leierte einen Countdown herunter, bei Null glühte das Hologramm auf, und einen Atemzug später schien die POINT OF mitten hinein in das bunte Glühen von Gardas zu stürzen. 15 Mit militärischen Ehren empfing man sie nicht, doch vier Tage nach der Landung auf dem Raumhafen der Neurömer gab der Konsul ein Essen in seiner Privatvilla; »zu Ehren der Akademiepräsidenten und der verbündeten Kommandeure«, wie es in der offiziellen Einladung hieß. Auf dem Raumhafen von Terra Nostra wurde noch immer die wertvolle Fracht der Forschungsflotte gelöscht: Traktorstrahlen beförderten das Tofirit über
Rohrschächte in die gewaltigen, unterirdischen Fabrikhallen der Neurömer. Vor achtzig Stunden war dort unten die Produktion der neuen OvoidRingraumer angelaufen. Vor der Eingangshalle seiner Prachtvilla empfingen Pompeius Julius Agricola, seine Tochter, seine Frau und seine Leibgarde die »verbündeten Kommandeure«: Ren Dhark ging an Gisols rechter Seite, und Simon, der Wächter, an seiner linken. Der Worgun wie meist in der Gestalt eines Menschen namens Jim Smith und mit dessen bleichem, nichtssagendem Gesicht. Der Commander der Planeten kam in Begleitung von Manu Tschobe, Arc Doorn und der Cyborgs Amy Stewart und Lad Oshuta; seiner persönlichen Leibgarde sozusagen. Hände wurden geschüttelt, Höflichkeiten und freundliche Blicke ausgetauscht, und danach ging es hinein ins Atrium. Dort standen bereits an die hundertfünfzig Menschen. Sie plauderten und hielten sich an Weinkelchen fest, die Männer vorwiegend in weißen Festtogen, die Frauen in lindgrünen, grauen oder pinkfarbenen Faltenkleidem mit übergeworfenen Stolen; gold oder silberfarben zumeist. Am Rande des Bassins sah Ren Dhark eine Menschentraube um zwei grauhaarige Männer stehen die beiden Akademiepräsidenten waren also bereits anwesend. Das Stimmengewirr verebbte, als der Konsul die Neuankömmlinge ins Atrium führte. Ein Posaunenchor intonierte eine der neurömischen Hymnen, bei deren Klang die Männer stets die Schultern hochzogen die Brust herausdrückten. Doorn spitzte die Lippen, und Tschobe senkte den Blick. Beide fanden diese Musik nervtötend. Die Hymne verklang, und der Konsul kündigte seine drei weiteren Ehrengäste persönlich an, stellte sogar den schwarzen Arzt, 16 den Sibirier und die Cyborgs mit Namen vor. Der Commander war beeindruckt. Wein wurde gereicht, Senatoren und Gattinnen traten vor allem zu Gisol, aber auch zu Ren Dhark und seinen Begleitern, Konversation war angesagt. Im Bassin, inmitten farbenprächtiger Wasserblüten, schwamm still ein tiefblaues Vogelpaar, das Tschobe ein wenig an die terranischen Schwäne erinnerte. Allein Simon, der Wächter, hielt sich abseits und im Hintergrund. Aus irgendeinem Grund hatte er den Weinpokal nicht abgelehnt, und irgendwie sah es witzig aus, wie der rotschimmemde und gesichtslose Metallkörper neben dem Portal verharrte und den Pokal in der Metallfaust seines rechtwinklig abgespreizten Metallarms von sich weghielt, als wäre er mit ätzender Säure gefüllt; irgendwie aber auch rührend. »Kann er so etwas wie Verlegenheit empfinden?« flüsterte der Commander Amy ins Ohr. »Natürlich, er kann doch auch lieben.« Amy neigte nicht zu vielen Worten. Eine von vielen Stärken, die Dhark an ihr schätzte. Kurz darauf ein Tusch des Posaunenchors, zwei Flügelportale zum Garten wurden auf gestoßen, die Gäste strömten hinaus und verteilten sich an die gedeckten Rundtische, die zwischen den Säulen des großzügigen Peristyls aufgestellt waren. Der Säulen gang rahmte einen Rasen von mindestens zweihundertfünfzig Quadratmetern ein. Auch auf ihm standen Tische: rechteckige Tafeln an seinem Rand vor den Säulen des Peristyls und eine große runde in seinem Zentrum. Hohe Tische übrigens, und nirgends entdeckte Ren Dhark Liegen ausschließlich geflochtene Sessel standen an den Tischen und der Tafel. Bei einem Gastmahl im Hause des Konsuls pflegte man nicht zu liegen, wie es schien. Der Commander erinnerte sich dunkel, von Manlius gehört zu haben, daß sich diese Sitte nur in den Villen gewisser Künstler und Bohemiens erhalten habe. Volle Obstschalen, rote und gelbe Blumen, Weinkrüge und pokale standen auf den Tischen. Hausangestellte schleppten die ersten Tabletts voller dampfender Speisen in den Garten. »Sir Bauer läßt sich nicht lumpen, alle Achtung...« raunte Arc Doorn. Respektlos, wie er war, nannte er 17
den Konsul wegen seines Familiennamens Sir Bauer. Ein strenger Blick Amy Stewarts brachte ihn zum Schweigen. Während die Gäste ganz unbefangen die Tische zwischen den Säulen und am Rande des Rasens bevölkerten, nahm an der runden Tafel im Zentrum des Gartens zunächst niemand Platz bis Agricola einzelne Gäste mit Namen aufrief und ihnen einen der Ehrenplätze an seiner Tafel anbot; die Ehrengäste selbstverständlich als erste. Zuletzt nahmen er selbst und seine Familie Platz. Statt sich zu setzen, sprach Simon mit einem Angehörigen der Leibgarde. Der Commander verstand nicht, wovon die Rede war, doch kurze Zeit später schleppten zwei Männer eine schmale Steinbank herbei. Jemand nahm den Sessel von Simons Platz, und die Gardisten stellten statt dessen die Steinbank an die Tafel. So konnte der tonnenschwere Wächter Platz nehmen, ohne ein Möbelstück zu zerstören. Ren Dhark fand sich an der linken Seite des Konsuls wieder. Links von ihm selbst saß Julius Martius, der Raummarschall der römischen Flotte. Die Akademiepräsidenten gegenüber rahmten die schöne Gattin des Konsuls ein. Manlius, den Verbindungsoffizier der Römer an Bord der POINT OF, entdeckte Dhark an der Ehrentafel neben Marius Antonius, dem Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Akademie von Nova Roma. Doorn und Tschobe hockten neben Senatoren, deren Namen dem Commander entfallen waren; Doorn mit mürrischer Miene und Tschobe etwas steif. Einer, dessen Namen Ren Dhark wohl nie vergessen würde, schien es sich zur Aufgabe zu machen, Amy Stewart zu unterhalten: Senator Marcus Cethegus Sulla. Schließlich war er der erste Neurömer, dem Dhark begegnet war. Fünf Monate zuvor, im April des Jahres 2059, hatte der Volkstribun die Besatzung POINT OF auf Terra Nostra willkommen geheißen. Kein Grund allerdings mit Amy zu flirten, fand Dhark. Während des Essens drehten sich die Gespräche um Unverfängliches und die schönen Dinge des Lebens um den Wein, den milden Herbst auf Terra Nostra, die Rezepte für das marinierte Geflügel, das neben vielen anderen Fleischsorten serviert wurde. Der Commander selbst leitete das Thema ein, das allen unter den Nä 18 geln brannte. Er berichtete von dem atemberaubenden Projekt, durch das Marcus Nauta und Socrates Laetus die Zehntausende von Tonnen Tofirit gewonnen hatten. Der weißblonde Terraner zeigte sich nicht nur beeindruckt, er war es auch. Bis an sein Lebensende würde Dhark die schrecklichschönen Bilder mit sich herumtragen: Der aus seinem Sonnensystem herausgeschleuderte Glutplanet, die gewaltigen Sonneneruptionen, der Sprung des öden Planeten zum Schwarzen Loch, seine Auflösung und die Materiespirale, in der er schließlich hinter dem Ereignishorizont verschwand. Und dann die gigantische Fontäne unvorstellbarer Materiemassen darunter Tofirit, Tofirit und noch einmal Tofirit. Das Dessert wurde serviert, die Männer und Frauen hingen an Dharks Lippen, und jetzt stand es im Raum, das Wort, schwer wie das Metall selbst: Tofirit. Es lastete im Schweigen, das für ein paar Sekunden entstand, als Ren Dhark seine Schilderung beendete. Manu Tschobe war der erste, der die Eiscreme vor sich in Augenschein nahm, bald hörte man das Klappern seines Löffels. Schließlich räusperte der Raummarschall sich. »Damit können wir zehntausend Ovoidraumer ein Jahr lang betreiben«, sagte er. Pompeius Julius Agricola nickte langsam. »Oder vierzigtausend Raumer drei Monate lang.« Nicht die Spur von Genugtuung in der Stimme des Konsuls; geschweige denn Triumph. »Vierzigtausend Schiffe drei Monate lang? Das ist gut.« Jim Smith alias Gisol ballte beide Fäuste. »Das ist sehr gut. Wie viele Schiffe laufen täglich von den Bändern Ihrer Werften?« »Sechshundertdreißig sind geplant.« Socrates Laetus blickte auf seinen Chronometer. »Inzwischen dürften also zweitausendfünfhundert neue OvoidRingraumer in den Hangars unter dem Raumhafen stehen. Hinzu kommen weit über zehntausend Schiffe älterer Baureihen, die erst durch das von Ihnen mitgebrachte Tofirit einsatzbereit geworden sind.«
»Sie ahnen ja nicht, welche Erleichterung uns das neue Schwerstmetall verschafft.« Der Konsul wandte sich an Ren Dhark. »Immer neue ZyzzktVerbände tauchen in der Umgebung von Gardas auf. Sie führen etwas im Schilde. Wir fürchten, ihr nächster Angriff könnte den Generatoren für das Schutzfeld gel 19 ten.« Als wären seine Worte nur für Dhark bestimmt, sprach er leise, doch sogar an der gegenüberliegenden Seite der Tafel verstummten die Gespräche, und die Blicke wanderten zu Julius Pompeius. Einige Frauen wirkten auf einmal seltsam bleich. »Sie sehen, Commander Dhark«, ergriff Martius wieder das Wort, »wir können gar nicht rasch genug produzieren.« »Wir lassen die neuen Schiffe mit Kompaktfeldschirmen terranischer Bauart ausrüsten«, sagte Marcus Nauta, der zweite Akademiepräsident. »Und mit Wuchtkanonen. Vier an der Ober, vier an der Unterseite.« »Wuchtkanonen?« Ren Dhark runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Ich halte HyKon für die wirksamere Waffe im Kampf gegen die Wimmelwilden.« »Sicher, Commander«, nickte Laetus. »Aber die modifizierten Gravitationsgeneratoren an Bord der neusten Ringraumer erhöhen bei einem Angriff mit HyKon die Schiffsmasse. Nur ein HyKon Feld mit signifikant erhöhter Energieleistung ist noch in der Lage, das angegriffene Objekt in den Hyperraum zu reißen. Sowohl der HyKonBeschuß als auch die Abwehr eines HyKonAngriffes sind mittlerweile derart energieintensiv, daß der Einsatz der Waffe während einer Massenschlacht sich kaum noch lohnt.« Da saßen sie, die beiden Worgun; als Römer getarnt und an den Schalthebeln der Macht des römischen Kolonialplaneten. Saßen an der Festtafel eines Gastmahls, das unter anderem zu ihren Ehren ausgerichtet wurde, und taten, was sie bereits seit so vielen Jahrhunderten taten: Sie steuerten Geschichte und Entwicklung auf Terra Nostra. Marcus Gurges Nauta alias Margun hielt seinem Blick stand, und Dhark wäre jede Wette eingegangen, daß der Worgun seine Gedanken kannte. »Sie sehen, Commander Dhark«, schaltete er sich ein, »gegen jede Waffe entwickelt irgend jemand irgendwann eine entsprechende Abwehrtechnik. Der Feind, mit dem wir es zu tun haben, sowieso. Gegen die Wuchtkanone jedoch, so primitiv diese Waffe vom Prinzip her auch sein mag, ist eine Defensivwaffe bislang nicht einmal theoretisch in Sicht.« Das überzeugte schließlich auch den kritischen Geist des Commanders. 20 »Wir bieten Ihnen an. Ihre Schiffe entsprechend umzurüsten«, sagte Martins, der römische Flottenmarschall, an Simon, Dhark und Gisol gewandt. »Es ist eine Angelegenheit weniger Stunden. Unsere Werftroboter holen die alten Gravitationsaggregate mit Intervallfeldem aus Ihren Schiffen und bringen die neuen Schwerkrafterzeuger mit Intervallfeldem hinein. Keine Hexerei.« Gisol lehnte ab. Er hatte seine Schiffe schon vor Jahren mit selbstentwickelten Gravitationsaggregaten aufgerüstet. Simon und der Commander jedoch waren einverstanden. »Na also.« Jim Smith Gisol gelang ein besonders grimmiges Menschengesicht. »Dann können sie also kommen, die verfluchten Mordkäfer!« Er schlug mit der Faust auf die Tafel, daß der Löffel in seiner Eisschale klirrte. »Wir werden in Gardas eine Hölle veranstalten, in der sie verbrennen! Es wird ein großes Schlachtfest werden.« Er griff nach seinem Löffel und beugte sich über sein Dessert. Im gleichen Augenblick begann der Posaunenchor zu spielen. An vielen Tischen erhoben sich Männer und Frauen und stimmten eine Art Festhymne an. Auch an der Ehrentafel stand einer nach dem anderen auf, und wer das Lied kannte, sang mit. »Ja, ein großes Sterben wird es geben.« Ren Dhark sprach mit belegter Stimme. »Und nicht nur auf Seiten der Zyzzkt, da sollten wir uns nichts vormachen.« Wegen der Musik und des
lauten Gesangs konnten nur seine direkten Nachbarn ihn verstehen. »Ich will es verhindern,
ich will es wenigstens versuchen.«
Der Konsul und der Raummarschall sahen ihn von der Seite an. »Haben sie einen Plan,
Commander Dhark?« wollte Martins wissen.
Dhark zuckte mit den Schultern. »Plan? Das ist vielleicht zuviel gesagt. Aber lassen Sie mich
noch eine Nacht darüber schlafen...«
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2. Die Polizisten eröffneten sofort das Feuer. Der erfahrene, mitunter ein wenig pragmatische Leutnant Streu Temo und sein halb so alter, ehrgeiziger Assistent Kor Parm zerlöcherten mit ihren Strahlensalven jedoch nur die Luft. Der gepflegte Hinterhof, auf dem sich eben noch einer oder mehrere unbekannte Angreifer aufgehalten hatten, war leer. Der Heckenschütze hatte sich direkt nach dem hinterhältigen Schuß auf den Zuhälter zurückgezogen. Die telsche Prostituierte Reem und der türkische Geheimagent Ömer Giray waren in Deckung gegangen. Sie kniete hinter ihrem Sofa, er stand im Türrahmen. Auf dem Teppich lag der verschrumpelte Leichnam des Luden. Eine auf den meisten Planeten verbotene Spezialwaffe hatte seine Körperflüssigkeit zum Verdampfen gebracht und ihm das Leben ausgehaucht noch bevor er seine Aussage hatte machen können. Reem war am Ende ihrer Kraft. »Warum Lubag?« fragte sie leise, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Er hätte nichts gesagt er hat eh so gut wie nichts gewußt.« »Der Anschlag hat dir gegolten«, entgegnete Ömer. »Hätte nicht gedacht, daß die Mitarbeiter des SFT so schlecht zielen. Wahrscheinlich hat man wieder irgendwelche zweitklassigen Handlanger eingesetzt, Möchtegemagenten ohne Gehirn, jederzeit bereit, für Geld über Leichen zu gehen.« Reem konnte sich denken, worauf sich seine Bemerkung bezog: auf die beiden Mörder des Geheimdienstchefs Bor Frikk, die sie und ihre Freundin Berol unter Druck gesetzt hatten zwei gewissenlose Schläger, charakterlich auf allerunterstem Niveau. Ömer war überzeugt, daß die beiden keine offiziellen Mitarbeiter 22 des SFT, des Schutzverbandes gegen die Feinde Telins, waren. Nicht nur die Galaktische Sicherheitsorganisation auf Terra, auch der Geheimdienst auf Cromar, dem Hauptplaneten des TelinImperiums, legte bei der Auswahl seiner Agenten hohe Maßstäbe an. Tumbe Schläger hatten normalerweise keine Chance. Gefragt waren Männer und Frauen mit technischwissenschaftlichen Kenntnissen und guter Allgemeinbildung. Frikks Mörder paßten nicht in diese Kategorie, dafür waren sie nicht intelligent genug. Ihren Mangel an Verstand kaschierten sie mit Rücksichtslosigkeit und Abgefeimtheit. »Wie sieht es aus an der Front?« fragte Ömer die telschen Kriminalbeamten, die mit gezückten Handfeuerwaffen links und rechts am offenen Fenster standen. »Verdächtig ruhig«, meinte Kor Parm. »Wollen Sie zu uns rüberkommen und nach draußen schauen?« »Kann ich mir gerade noch verkneifen«, erwiderte der vierunddreißigjährige terranische Agent. »Ich wäre allerdings bereit, mich auf dem Hof umzusehen, vorausgesetzt. Sie geben mir meine Waffen zurück.« »Ihre Waffen?« entgegnete Streu Temo, der am linken Ohr einen kleinen rechteckigen Ohrring trug. »Die Strahler gehören zwei unserer Streifenbeamten, schon vergessen? Ich bin sicher, die beiden würden sich liebend gern mit Ihnen über den Überfall unterhalten unter sechs Augen.« Fünf! widersprach Giray im stillen.
Sein linkes Auge war eine künstliche Nachbildung, vollgestopft mit Mikroelektronik und vielseitig einsetzbar, unter anderem als Kamera und Minischocker. Hinter seinem linken Ohr befand sich ein Datenchip für Speicherzwecke. Die Energie dafür wurde auf biologischem Weg aus Onaers Körper gewonnen. Er war nach Cromar gekommen, um mehr über die Hersteller des Sensoriums herauszufinden, eines brillenähnlichen Unterhaltungsgeräts, das sowohl für die Menschen als auch für die Tel eine Suchtgefahr darstellte und mittlerweile überall im terranischen Regierungsbereich und im TelinImperium verboten war. Teigeheimdienstchef Bor Frikk hatte ihn bei seinen Recherchen unter 23 stützen wollen. Jetzt war Bor tot und nach Giray wurde cromarweit gefahndet, da man ihn für seinen Mörder hielt. Rein äußerlich waren die Tel den Menschen ähnlich, allerdings hatten sie eine dunkle Hautfarbe, ohne negroide Züge, weshalb man sie auf Terra als Schwarze Weiße bezeichnete, was als Kompliment an ihre ästhetische Schönheit gemeint war, keinesfalls als Abwertung. Der wichtigste charakterliche Unterschied zu den Menschen war die asketische Lebensweise der Tel. Sie waren beileibe keine Kinder von Traurigkeit, ließen sich aber weniger gehen und bewahrten nach außen hin immer Format. Entscheidungen der Regierung — ein allwissender Rechner (Kluis), drei hohe Beamte (Vank) und acht ihnen unterstellte, geachtete Regierungsmitglieder (Vankko) wurden nur selten vom Volk in Frage gestellt. Daß es Ömer gelungen war, zwei telsche Kripobeamte auf seine Seite zu ziehen, hatte drei Gründe: Ömers Dreistigkeit. (»Ich bin der, nach dem gefahndet wird.«) Ömers Überzeugungskraft. (»Wir drei sollten uns zusammentun. Meinethalben könnt ihr hinterher gern den Ruhm einstreichen. Mir kommt es nur darauf an, meinen Namen reinzuwaschen.«). Ömers Fingerspitzengefühl. (»So ist es recht. Der SFT schnippt mit dem Finger, und die Kriminalpolizei muß springen.«) Zwischen der Polizei und dem Geheimdienst der Tel gab es so etwas wie eine interne Rivalität. Zwar zogen beide am selben Strick, doch der SFT ließ keine Gelegenheit aus, allzu übereifrige Kripobeamte niederzumachen und die wichtigsten Fälle zur Staatssache zu erklären. Giray, der sich aufgrund seiner vielfältigen CromarEinsätze längst zu einem gewieften Telkenner entwickelt hatte, wußte davon und spielte nun beide Behörden geschickt gegeneinander aus. Streu Temo schickte Kor Parm nach draußen und blieb selbst bei Ömer Giray, um ihn und die Prostituierte zu bewachen. Während Parm den Hof absuchte, gestand Reem dem verbliebenen Beamten, daß man Berol und sie auf Qiray und Frikk angesetzt hatte, und sie schilderte ihm die Ereignisse in der Absteige »Rubin«. Als sie geendet hatte, kam Kor Parm wieder herein und meldete 24 seinem Vorgesetzten, daß keine unmittelbare Gefahr mehr bestand. »Reem hat die Version seiner Geschichte weitgehend bestätigt«, informierte ihn Temo. »Könnte abgesprochen sein oder aber beide sagen die Wahrheit. Was meinen Sie?« »Ich denke, wir sollten zunächst ihre Freundin befragen, bevor wir uns eine Meinung bilden«, erwiderte Parm. »Wie war doch gleich ihr Name?« »Sie heißt Berol«, antwortete Reem. »In ihrer Wohnung werden wir sie vermutlich nicht antreffen, doch sie weiß nicht, daß ich ihr Geheimversteck kenne. Wann immer sie in Schwierigkeiten ist, zieht sie sich dorthin zurück.« »Wohin?« hakte Kor Parm nach. »Was liegt für drin mich, wenn ich euch zu ihr führe?« stellte Reem ihm die Gegenfrage. »Du stellst hier keine Bedingungen, klar?« schnauzte Temos Assistent sie an. »Laut deiner eigenen Aussage seid ihr indirekt mitschuldig am Tod des Geheimdienstchefs, deine Freundin
und du. Euretwegen wäre beinahe ein Unschuldiger verhaftet und abgeurteilt worden. Dafür werdet ihr euch vor Gericht verantworten müssen.« »Falls es überhaupt zu einem Prozeß kommt«, warf Ömer ein. »Die Hintermänner des Anschlags werden sicherlich alles daransetzen, die Verhandlung zu sabotieren. Im Klartext: Man wird versuchen, Berol und Reem zu töten, um sie an der Zeugenaussage zu hindern.« »Beide kriegen bis zur Verhandlung Polizeischutz«, versicherte ihm Streu Temo. »Wenn sie geständig sind und dazu beitragen, Frikks Mörder zu schnappen, wird man sie mit Sicherheit in keines der Arbeitslager für Schwerverbrecher stecken, sondern in eine unserer Umerziehungsstätten.« »Dort wären sie vor der Rache ihrer Verfolger niemals sicher«, entgegnete Ömer. »Gibt es auf Cromar denn keine Kronzeugenregelung?« Temo und Parm schauten sich ratlos an. »Bei uns auf Terra bekämpfen wir Bandenkriminalität sehr erfolgreich, indem wir einzelne Gangmitglieder zu Aussagen gegen 25 ihre Anführer bewegen«, erklärte ihnen Giray. »Als Lohn für ihre Kooperationsbereitschaft erhalten sie einen neuen Namen und werden an einen Ort gebracht, an dem sie vor Racheakten sicher sind.« »Als Lohn?« entrüstete sich Parm. »Ihr belohnt Verbrecher für ihre Untaten? So etwas käme auf Cromar nicht in Frage. Reumütige und aussagewillige Täter, die wieder ins bürgerliche Leben zurück möchten, gibt es natürlich auch bei uns. Aber wir machen es ihnen nicht zu leicht. Zunächst müssen sie für ihre Taten büßen und ein staatliches Umerziehungsprogramm durchlaufen. Während dieser Maßnahme schützen wir sie so gut es geht vor der Rache ihrer ehemaligen Bosse und Komplizen.« »So gut es geht?« unterbrach Ömer ihn. »Was heißt das?« »Es gibt schon mal den einen oder anderen unerklärlichen Unfall in den Strafgefangenenstätten«, räumte Streu Temo ein und zupfte nervös an seinem rechteckigen Ohrschmuck. »Das gehört halt zum Lebensrisiko eines Verbrechers. Niemand wird gezwungen, vom ehrlichen Weg abzuweichen.« »Unter diesen Umständen ziehe ich meine Aussage zurück«, machte Reem ihm klar und deutete auf Ömer. »Er hat Bor Frikk getötet, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Berol und ich haben nichts damit zu schaffen; wir sind lediglich unserem ehrbaren Beruf nachgegangen. Die beiden großen Unbekannten existieren überhaupt nicht.« Polizeichef Bru Kowal schnaubte vor Wut wie ein Rohachs. Gerade hatte er erfahren, daß Tun Argop zum vorläufigen SFTLeiter ernannt worden war. Ausgerechnet Argop! Kowal und er waren zusammen aufgewachsen. Schon als Kinder hatten sie sich nicht ausstehen können. Später hatten sich ihre Wege getrennt. Argop hatte Karriere beim Geheimdienst gemacht, Kowal bei der Polizei. Je höher Tun Argop beim Schutzverband gegen die Feinde Telins aufstieg, um so mehr steckte er seine Nase in Polizeiangelegenheiten, die ihn nach Kowals Ansicht nicht das geringste angin 26 gen. Umgekehrt blockierte Bru Kowal jedwede Zusammenarbeit mit dem SFT, selbst dann, wenn ein Fall zweifelsfrei dem Bereich der Staatssicherheit zuzuordnen war. Somit war die gewohnte Rivalität zwischen Geheimdienst und Polizei in Kowals Bezirk ganz besonders ausgeprägt einem Bezirk, der nicht weit von der »Akademie für kulturelle Bildung« (Tarnbezeichnung des SFTGebäudes) entfernt lag. Argop hatte sich inzwischen zum stellvertretenden Geheimdienstchef hochgearbeitet. Ob er auf normalem Wege Frikks Nachfolge hätte antreten können, war mehr als fraglich, denn er war aufgrund einiger ungeklärter Gerüchte ins Gerede gekommen. Zweifel an seiner Integrität waren lautgeworden.
Von einem Tag auf den anderen schien das alles plötzlich vergessen zu sein. Bor Frikk war tot, und der SFT brauchte dringend einen neuen Leiter, der die Fäden in der Hand hielt. Dadurch rückte Tun Argop zunächst einmal nach, so wollte es die Staatsordnung und an staatliche Regeln hielt man sich auf Cromar strikt. Natürlich waren Bor Frikk die privaten Reibereien zwischen seinem Stellvertreter und dem örtlichen Polizeichef nicht entgangen. Mehr als einmal hatte er schlichtend eingegriffen. Jetzt war der Schlichter tot und Kowal befürchtete das Schlimmste. Argop würde keine Gelegenheit auslassen, ihn zu schikanieren. Es sei denn... ... es sei denn, ich komme ihm zuvor, dachte Bru. Falls es mir gelingt, ihm einen kräftigen Schuß vor den Bug verpassen, so zielgenau, daß sein Schiff total aus dem Kurs gerät, enthebt man ihn vielleicht seines Postens. Nicht nur auf der Erde, auch auf anderen Planeten schlug das Leben manchmal seltsame Kapriolen. Kowal hatte seine geheimsten Gedanken noch nicht vollständig zum Abschluß gebracht, da läutete sein Vipho. Der Polizeichef meldete sich mit mürrischer Miene, hörte lange und aufmerksam zu und sein Gesicht erhellte sich nach und nach... »Selbstverständlich kann ich den beiden Frauen umfassenden Schutz und eine neue Identität garantieren«, antwortete er seinem Gesprächspartner, nachdem dieser seine ausführliche Schilderung 27 beendet hatte. »Das TelinImperium umfaßt weit über dreizehntausend Planeten. Auf einem davon, weit entfernt von Cromar, werden sie ein neues Zuhause finden. Wir bauen ihnen dort eine berufliche Zukunft auf, so daß sie nie mehr anzuschaffen brauchen. Vorher müssen sie allerdings die beiden Männer identifizieren, die sie auf Giray und Frikk angesetzt haben. Sollte sich herausstellen, daß die Schurken für den SFT arbeiten, kann Tun Argop gleich wieder seinen Schreibtisch räumen. Andernfalls werde ich die ganze Angelegenheit öffentlich machen.« Er konnte es kaum erwarten, ein Druckmittel gegen seinen Lieblingsfeind in die Hände zu bekommen. »Wie soll das mit der Identifizierung vonstatten gehen?« ertönte es aus dem Vipho. »Wenn Frikks Mörder wirklich dem SFT angehören, werden sie kaum in der normalen Verbrecherkartei zu finden sein.« »Richtig. Ebendeshalb werden Sie in Ihrer internen SFTKartei nach Ihnen suchen, Streu Terno. Soweit ich informiert bin, ist darin auch eine erhebliche Anzahl von gedungenen Spitzeln und Schlägern aufgelistet, die nur hin und wieder für den Geheimdienst tätig sind.« Terno verschlug es fast die Sprache. »Sie... Sie wissen davon, Bru Kowal?« Der Polizeichef lächelte. »Mir entgeht so schnell nichts. Haben Sie wirklich geglaubt, mir würde es nicht auffallen, daß Sie sich laufend auf illegalem Wege Zugriff zur Mitarbeiterkartei des SFT verschaffen? Wüßte Argop davon, würde er sämtliche Suprasensoren auf Ihrem Revier und bei Ihnen daheim beschlagnahmen lassen. Den auf meinem Schreibtisch vermutlich auch.« »Das würde ihm nichts nutzen«, erwiderte der erfahrene Beamte. »Der Datenträger befindet sich in einem sicheren Versteck. Die Daten werden übrigens fortwährend aktualisiert so lange, bis der Geheimdienst mitkriegt, daß die Kartei von irgendwoher angezapft wird.« »Dann lassen Sie sich mal nicht erwischen. Dieses Gespräch hat übrigens nie stattgefunden, klar?« »Welches Gespräch?« fragte Streu Terno und brach die Verbindung ab. 28 Unter dem Geleitschutz von Kor Parm, Streu Terno und Ömer Giray wurde Reem zum Polizeigleiter gebracht. Niemand trug Fesseln. Zwar betrachteten die Kripobeamten Ömer weiterhin als ihren Gefangenen, doch falls sie erneut angegriffen wurden, konnte er ihnen vielleicht noch von Nutzen sein und sei es nur als Schutzschild.
Unbehelligt gelangten alle vier zum Gleiter und stiegen ein. Parm hatte ihn in einer Seitenstraße abgestellt, in unmittelbarer Nähe eines schmalen Gäßchens, aus zwei Gründen. Erstens sollte der Gleiter von der heimkehrenden Reem nicht sofort entdeckt werden. Und zweitens... Kurz darauf startete der Gleiter durch und flog in Richtung Polizeistation. Wenig später nahm ein unbekannter Gleiterpilot die Verfolgung auf, in sicherem Abstand. Streu Terno aktivierte sein Vipho und bestellte ein Schwebetaxi. Er und die anderen befanden sich nicht im Polizeigleiter, sondern am hinteren Ausgang der schmalen Gasse, welche sie zweitens vorsorglich als Fluchtweg ausersehen hatten. Terno hatte im Gleiter lediglich die Steuerung programmiert, war dann zusammen mit seinen Begleitern wieder ausgestiegen und unbemerkt in der Gasse verschwunden. Auf diese Weise hatte man die Heckenschützen abgeschüttelt, wenigstens für kurze Zeit. »Sie sind ein kluger Kopf«, lobte Reem den älteren Polizeibeamten und fügte, mit einem amüsierten Blick auf seinen Ohrring hinzu: »Von Männern, die Körperschmuck tragen, hatte ich noch nie eine sonderlich hohe Meinung das wird sich ab heute ändern.« Ihre Beschuldigungen hatte sie inzwischen wieder zurückgezogen und Ömers Aussage erneut bestätigt. Sie war sicher, daß Berol unter den gegebenen Umständen ebenfalls ein Geständnis ablegen würde. 29 Berols Versteck war ein kleines möbliertes Zimmer im Kellergeschoß eines mehrstöckigen Mietshauses, angemietet auf einen fremden Namen. Der Raum war separat über eine windschiefe, baufällige Hintertreppe zu erreichen. Ihre offizielle Wohnung lag im selben Haus unter dem Dach. »Letzte Nacht haben die beiden Schläger dort oben stundenlang auf mich gewartet«, berichtete sie ihrer Freundin Reem, Ömer und den Polizeibeamten. »Hätten sie gewußt, daß ich mich ganz in ihrer Nähe aufhalte, wäre ich inzwischen tot so wie Lubag.« Da man Reem und ihr Zeugenschutz zugesichert hatte, legte sie ein volles Geständnis ab, ohne ihre eigene Rolle in dem Intrigenspiel zu beschönigen. Beide Frauen waren zwar mit Drohungen zur Mitarbeit gezwungen worden, hatten aber auch Geld dafür genommen. Ihr Auftrag hatte gelautet, den Geheimdienstchef und seinen terranischen Freund mit Hilfe des Sensoriums und verbotenen Chips süchtig zu machen. Sie hatten versagt. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Reem war noch vor dem Mord an Frikk geflohen und hatte erst aus den Nachrichten davon erfahren. Berol hingegen hatte den tödlichen Vorfall als »Hörspiel« miterlebt, verborgen im Zimmer nebenan. Ihre wahren Auftraggeber kannten Reem und Berol nicht, nur deren Mittelsmänner, die beide unter Decknamen aufgetreten waren. Die Prostituierten erklärten sich bereit, sich auf dem Polizeirevier die »Verbrecherkartei« anzuschauen. (Streu Temo verschwieg ihnen wohlweislich, daß es sich in Wahrheit um die Mitarbeiterkartei des SFT handelte.) »Hätte ich im Eifer des Gefechts nicht versäumt, Aufnahmen von den beiden zu machen, könnten wir sie schneller identifizieren«, murmelte Ömer, der sich für diesen Fehler hätte ohrfeigen können. »Alles ist so schnell gegangen, daß ich überhaupt nicht auf den Gedanken kam, wenigstens einen von ihnen zu fotografieren.« »Sie hatten im >Rubin< eine Kamera mit dabei?« wunderte sich Streu Temo. »Ich frage Sie lieber nicht, was Sie damit vorhatten, sonst gerät das Polizeiprotokoll zu pikant.« Über Amibandfunk bestellte er einen gepanzerten Polizeigleiter, 30 der die Gruppe hier abholen und ins Präsidium bringen sollte. Doch der Feind schlief nicht... In der Gegend, in welcher Berol wohnte, gab es zahlreiche mehrstöckige Mietshäuser von unterschiedlicher Höhe. Dazwischen lagen breite Straßenschluchten und Parks. Cromar war
wie eine einzige riesige Stadt, die allerdings fortwährend ihr Aussehen wechselte, je nachdem, in welcher Gegend man sich aufhielt. Der gepanzerte Gleiter landete direkt vor Berols Haus. Man erwartete die Gruppe am Hauptausgang. Alles sollte schnell und möglichst unauffällig vonstatten gehen, bevor neugierige Passanten auf die Aktion aufmerksam wurden. Statt durch die Tür kamen die beiden Polizeibeamten mit ihren Begleitern um die Hausecke gerannt. Sie hatten die Hintertreppe benutzt und waren ums Haus herumgelaufen. »Einstieg öffnen!« befahl Kor Parm per Armbandfunk. Der Telroboter, der den Panzergleiter flog und von einem echten Tel kaum zu unterscheiden war, befolgte die Anordnung auf der Stelle. Sein Kopilot, ebenfalls ein Roboter, sprang mit der Waffe in der Hand aus dem Gleiter und sicherte die Umgebung. Drei Sekunden danach explodierte er mit einem ohrenbetäubenden Knall. Von einem gegenüberliegenden Hausdach war eine Minirakete auf den Roboter abgefeuert worden, kaum daß dessen Füße den Boden berührt hatten. Rundum gingen zahllose Fenster zu Bruch. Passanten flohen in Panik. Ömer und die beiden Polizisten ließen sich reaktionsschnell fallen und rissen die Prostituierten mit sich. Sie wurden vom Dach aus unter Beschuß genommen. »Zurück hinters Haus!« rief Terno. .. Er packte Berol am Arm, sprang auf und riß sie mit sich hoch. Ömer tat das gleiche mit Reem. Parm gab den Flüchtenden Feuerschutz. Er war ein verdammt guter Schütze. Einer der Attentäter, der am Dachrand auf dem Bauch lag, wurde an der Schulter getroffen. Mit 31 einem Aufschrei kam er auf die Beine und suchte eine neue Dekkung. Einen Augenblick später war er hinter einer Brüstung verschwunden. Ömer hatte im Laufen kurz zurückgeblickt und den Vorfall beobachtet mit beiden Augen. Reem und er hatten die schützende Hausecke fast erreicht, da traf Reem ein tödlicher Energiestrahl in den Rücken. Parm und Temo deckten den Heckenschützen sofort mit mehreren Strahlensalven ein und zwangen ihn, sich weiter nach hinten zurückzuziehen. Dadurch waren sie kurzzeitig abgelenkt und achteten nicht auf den Mann hinter der Brüstung. Der an der Schulter verletzte Attentäter nutzte die Gelegenheit für einen gezielten Todesschuß auf Berol. Kor reagierte blitzschnell, schwenkte seine Waffe herum und verpaßte ihm einen Streifschuß am Arm. Der Getroffene duckte sich und brachte sich im Schutz der Brüstung in Sicherheit. Auch dieser Zwischenfall wurde von Ömer zwei, drei Sekunden lang beobachtet. Die Meuchelmörder hatten ihr Ziel erreicht. Sie verschwanden so unbemerkt, wie sie gekommen waren in einem wartenden Fluchtgleiter mit Pilot. Ömer beugte sich über Reem. Ihr war nicht mehr zu helfen. Auch Berols Leben hatte in dieser Straße geendet. »Diesmal waren zweifellos Profis am Werk«, bemerkte der GSOAgent verbittert. »Der SFT lernt offenbar aus seinen Fehlem.« »Ich kann und will nicht glauben, daß unser Geheimdienst dahintersteckt«, entgegnete Streu Temo. »Wenn man nicht einmal mehr der Regierung vertrauen kann, wem denn dann?« Giray äußerte sich nicht dazu. Auf Terra war die Regierungshörigkeit nicht so ausgeprägt wie auf Cromar. Im Gegenteil, augenblicklich machte die Bevölkerung den Politikern gehörig Druck. Der Roboter löschte die brennenden Überreste seines »Kameraden« und beseitigte sie anschließend. Die Männer trugen die beiden Leichen in den Gleiter. Mittlerweile hatten sich zahllose Hausbewohner auf der Straße eingefunden. Man verlangte eine Erklärung. Parm forderte über Funk mehrere Poüzeischweber und ein Spu 32
rensicherungsteam an. Die Streifenbeamten würden sämtliche Aussagen und Schadenersatzansprüche aufnehmen sowie Verletzte in die nächste Klinik transportieren, während ihre Kripokollegen das Dach nach Täterhinweisen absuchten. Für Terno, Parm und Giray gab es hier nichts mehr zu tun. Sie bestiegen den Panzergleiter und flogen davon. »Ja, ja, danke für die Information. Sie müssen sich nicht entschuldigen, ich habe eh nichts anderes erwartet. Ich weiß, daß Sie in Ihrem Team nur Profis beschäftigen, aber unsere Gegner sind leider auch nicht ohne.« Streu Terno, der sich in seiner Revierstube aufhielt, schaltete die Verbindung zum Leiter der Spurensicherung ab und nahm direkten Funkkontakt mit dem Büro des Polizeichefs auf. »Zu meinem größten Bedauern verlief die Suche nach den Hekkenschützen bislang ergebnislos«, unterrichtete er Bru Kowal über den aktuellen Stand der Ermittlungen. »Wir wissen nicht einmal genau, wie viele es waren; ich schätze zwei oder drei. Auf dem Dach war nicht der kleinste Hinweis auf die Identität der Täter zu finden. Wir können dem Geheimdienst somit keine Beteiligung an dem Überfall nachweisen und am Mord an Bor Frikk schon gar nicht. Fest steht bisher nur, daß Ömer Giray nichts damit zu tun hat. Sollen wir ihn aus der Haft entlassen?« Die Bezeichnung »Haft« war mehr als übertrieben. Ömer saß nebenan in Parms Büro und genoß ein telsches Kaltgetränk. Als Terno hereinkam, sah er ihm gleich an, daß endgültig alles ausgestanden war. »Der Polizeichef hat Ihre offizielle Entlassung angeordnet«, teilte der Beamte dem GSOAgenten mit. »Die Fahndung nach Ihnen wurde selbstverständlich eingestellt. In den Medien wird derzeit eine Richtigstellung verbreitet, damit Sie von niemandem mehr behelligt werden. Sie können sich also auf Cromar wieder frei bewegen, Giray. Bru Kowal ließ mich allerdings wissen, daß er gegen Ihre frühzeitige Abreise nichts einzuwenden hätte. Sie hätten uns genug Ärger gemacht, sagte er. Hätten Sie Ihre An 33 schuldigungen gegen den SFT beweisen können, wäre er sicherlich besserer Laune. Er und der neue Geheimdienstchef Tun Argop können sich nämlich nicht ausstehen.« Ömer atmete auf. Endlich wurde er nicht mehr wie ein Tier gehetzt. »Ich sehe keinen Anlaß für eine überstürzte Abreise«, sagte er zu Parm und Temo. »Vielleicht werde ich ja noch gebraucht. Zwar sieht augenblicklich alles nach einer Niederlage aus, aber noch ist Polen nicht verloren. Verfügen Sie über einen tragbaren Datenkonverter?« Die Beamten sahen ihn verblüfft an. »Ein Konverter«, wiederholte Ömer langsam. »Das ist ein Gerät zum Umformen von Frequenzen.« »Wir wissen, was ein Datenkonverter ist«, erwiderte Kor Parm. »Aber was ist ein Polen?« Ömer grinste. Er war dreisprachig auf gewachsen türkisch, deutsch, angloter und kannte daher die verschiedensten Sprichwörter und Aussprüche. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Cromar und der Erde waren verhältnismäßig frisch; es würde wohl noch Jahrzehnte dauern, bis man sich hier an terranische Redewendungen und geflügelte Worte gewöhnt hatte. Wenig später hielt Ömer einen kleinen Datenkonverter an sein linkes Ohr, hinter welchem sich der Datenchip befand. Drahtlos überspielte er einen Teil der enthaltenen Daten. Anschließend wurde der Konverter an Parms Suprasensor gekoppelt. Auf dem Bildschirm erschien das leicht schmerzverzerrte, aber trotzdem gut erkennbare Gesicht eines Mannes, den Kor sofort wiedererkannte. »Das ist der Kerl, den ich auf dem Dach an der Schulter und am Arm erwischt habe!« rief er. »Leider konnte ich in der Hektik nicht besser zielen.« Zwei weitere Bilder waren auf dem Schirm zu sehen. Sie zeigten denselben Attentäter, wie er auf Berol schoß und dann selbst angeschossen wurde. Seine Waffe hielt er trotz alledem fest im Griff.
Die freie Hand preßte er auf die Schulterwunde, damit kein Blut auf den Boden tropfte.
Offensichtlich hatte man ihn darauf gedrillt,
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auch unter größten Schmerzen keine verräterischen Spuren zu hinterlassen.
»Womit haben Sie die Aufnahmen gemacht?« fragte Parm.
»Wir Geheimagenten haben so unsere kleinen Geheimnisse«, antwortete Giray ausweichend.
»Sowohl auf Cromar als auch auf Terra.«
Diesmal hatte er es nicht versäumt, einen der Angreifer mit seinem künstlichen Auge
abzulichten.
»Nun brauchten wir noch die Verbrecherkartei zum Abgleichen«, konstatierte er. »Besser
wäre natürlich die Mitarbeiterkartei des SFT, doch soweit ich informiert bin, hat die Polizei
darauf leider keinen Zugriff.«
»Das ist richtig«, bestätigte ihm Kor Parm.
»Das ist falsch«, widersprach ihm Streu Temo und nahm seinen rechteckigen Ohrschmuck ab.
»Nicht nur die Menschen haben es faustdick hinter den Ohren. So lautet doch ein anderes
terranisches Idiom, oder?«
»Korrekt interpretiert«, entgegnete Ömer schmunzelnd. »Ich merke schon, die Kooperation
zwischen unseren beiden Völkern macht sich allmählich bemerkbar. Lassen Sie mich raten:
Im Ohrring befindet sich ein Datenträger.«
»Wieder falsch«, erklärte Temo. »Der Ohrring ist der Datenträger.«
Ömer erinnerte sich an eine kurzzeitige Modeerscheinung auf der Erde. Seinerzeit galt es als
schick, Schmuck in Form von winzigen Disketten und CD zu tragen, als Ohrring, Brosche
und sogar aufgereiht als Kette.
»Bedeutet das etwa. Sie verfügen über eine Mitarbeiterkartei des Geheimdienstes?« fragte
Kor Parm erschrocken. »Wer weiß davon?«
»Nur der Polizeichef und ich«, gab Temo ihm wahrheitsgemäß Auskunft. »Und jetzt Ömer
Giray und Sie. Wenn Sie weiterhin Karriere machen wollen. Kor Parm, dann rate ich Ihnen,
Stillschweigen zu bewahren. Bru Kowal würde Ihnen eine Indiskretion in dieser Sache sehr
übelnehmen. Andererseits erweist er sich bestimmt als überaus dankbar, wenn ich eines Tages
meinen Posten zur Verfügung stelle. Haben wir uns verstanden?«
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»Voll und ganz«, erwiderte Parm rasch. »Ihr Ohrring ist nichts weiter als ein ganz normales
Schmuckstück.«
»Wenn ich etwas an Ihnen zu schätzen weiß, dann ist es Ihre schnelle Auffassungsgabe«,
entgegnete Temo und legte die MiniDisk in den Computer ein.
Wenig später stand zweifelsfrei fest, daß der Mann auf dem Foto dem SFT angehörte. Sein
Name war Erl Yobo, und er arbeitete seit mehreren Jahren für den Geheimdienst der Tel.
»Die Frage ist, ob uns das wirklich weiterbringt«, bemerkte Ömer Giray. »Frikks Nachfolger
wird mit Sicherheit abstreiten, davon gewußt zu haben. Vielleicht läßt er Yobo verhaften,
möglicherweise rollt auch noch der Kopf irgendeines Abteilungsleiters...«
»So leicht kann er sich nicht herausreden«, unterbrach ihn Streu Temo. »Erl Yobo gehört
nicht irgendeiner SFTUnterabteilung an sondern dem Stab von Tun Argop.«
Bru Kowal empfing Temo, Parm und Giray in seinem Büro. Streu Temo erstattete ihm
Bericht und legte ihm Ömers Aufnahmen vor.
»Jetzt habe ich dich. Tun Argop!« entfuhr es dem Polizeichef. »Noch heute wirst du mir im
Vemehmungsraum Rede und Antwort stehen.«
Er schaute Streu Temo an.
»Sehr wahrscheinlich wurde die Polizei bereits von Spitzeln des SFT unterwandert. Anders
kann ich mir nicht erklären, daß die Attentäter noch vor Eintreffen des Panzergleiters auf dem
Dach Stellung beziehen konnten. Wir werden Argop so lange verhören, bis er jeden einzelnen
Komplizen preisgibt.«
»Soll ich ihn über Funk aufs Revier bestellen?« erkundigte sich Kor Parm. »Nein, er würde eh nicht kommen«, antwortet Kowal. »Wir verhaften Argop und Yobo in der Zentrale des Geheimdienstes. Außerdem kann es nichts schaden, dort eine gründliche Hausdurchsuchung durchzuführen, zwecks Beweissicherung.« 36 »Unmöglich«, meinte Streu Temo. »Man wird uns erst gar nicht hereinlassen.« »Ich habe auch nicht die Absicht, durchs Tor zu gehen.« »Sie, Bru Kowal?« staunte Temo. »Heißt das. Sie kommen mit?« »Selbstverständlich«, sagte der Polizeichef entschlossen. »Ich werde die Aktion leiten.« »Halten Sie das für klug?« fragte ihn der erfahrene Polizeibeamte skeptisch. »Mal angenommen, es geht irgendwas schief, und der Einsatz läuft aus dem Ruder. Dann wird man Sie direkt zur Verantwortung ziehen. Ich schlage daher vor, Sie überwachen das ganze von Ihrem Büro aus, und ich halte Sie ständig auf dem laufenden. Und falls etwas Unvorhergesehenes passiert, nehme ich die Alleinschuld auf mich. Auf einen im Dienst gealterten Polizisten kann dieser Bezirk gut und gern verzichten, nicht aber auf seinen obersten Chef.« »Sie haben recht«, räumte Bru Kowal ein. »Hochgestellte Persönlichkeiten wie Tun Argop und ich bleiben stets im Hintergrund und überlassen anderen die Drecksarbeit. Meistens bin ich ganz froh darüber, doch es gibt Tage, an denen ich das zutiefst bedaure und mich frage, ob ich seinerzeit lieber hätte im Streifendienst bleiben sollen.« »Darf ich eine Bitte äußern?« warf Ömer Giray ein. »Schon gewährt«, antwortete ihm der Polizeichef. »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie bei der Hausdurchsuchung beim SFT mit dabei sind. Immerhin sind Sie sozusagen der Auslöser dafür.« »Das mit der Einsatzbeteiligung wäre meine zweite Frage gewesen«, entgegnete Ömer. »In erster Linie wollte ich um ein neues Paar Schuhe bitten. Meine wurden während der Flucht durch den TuranPark ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Lauferei heute morgen gab ihnen den Rest. Mittlerweile fühle ich mich, als würde ich rechts barfuß gehen.« 37 3. Eine Stimme zirpte seinen Namen. Eine Hand strich über seine Facettenaugen. Etwas drückte schmerzhaft an der Stelle, an der die Reste seines rechten, unteren Arms endeten. Eine Lichtquelle leuchtete jenseits der Nacht, die sein Hirn beherrschte. Er sah sie nicht, er ahnte sie aber. Und wieder die Hand diesmal auf seiner Brust und wieder die Stimme: »Pnurrsk! Pnurrsk! Kommandant Pnurrsk! Können Sie mich hören, Kommandant...?« Ja, da war etwas, da rief etwas, da berührte etwas einen Körper; einen Körper, der eventuell mit seinem identisch sein könnte. Eventuell... Möglicherweise ruhte er aber längst im Totenreich, endlich im Totenreich. Endlich dort angelangt, wo man alleinsein konnte, wo Platz genug war, einen Tag lang zu laufen, ohne einem Angehörigen des eigenen Volkes zu begegnen; wo keine Sorge um die Brut mehr drückte, wo nicht mehr gestorben und getötet werden mußte; wo Frieden herrschte. Frieden... »Kommandant Pnurrsk!« Oh, diese lästige Stimme! »Können Sie mich hören, Kommandant Pnurrsk? Dann richten Sie die Fühler auf, bitte, Kommandant, bitte, bitte...!« So dringend klang diese lästige Stimme, so flehend und besorgt, daß die Illusion von Frieden und Totenreich zerstob. Krieg, Feinde, die Kolonien, die Tyrannen man brauchte ihn, ja ihn! Er fuhr hoch, starrte auf den durchsichtigen Sprühverband am Stumpf seines rechten unteren Armes. »Kommandant Pnurrsk! Pnurrsk! Kommandant! Kommandant! Endlich...!«
Er hob den Schädel da standen sie vor seinem Lager, fünf, sechs Offiziere, nein, acht waren es. Die Hälfte davon Söhne von ihm. Vor ihm der Subkommandant, mit dem er den Aufstand er 38 sonnen, geplant und angezettelt hatte. Wie hieß er gleich? Gwerstn, genau. Die Erinnerung überschwemmte sein Bewußtsein: Brennende Wälder, brennender Himmel, brennende Städte, der Goldene Hochverehrte des Tores inmitten eines Flammenmeeres. Pnurrsk schüttelte Kauscheren und Fühler. Er lebte noch, nicht zu ändern. »Was ist los?« »Bis auf drei haben sie sämtliche Stützpunkte zurückerobert«, sagte Gwerstn. »Auf Planet IX und XIV haben sie die Kolonien der Aufständischen zerstört.« »Und hier?« »Unsere Städte brennen, unsere Stützpunkte sind umzingelt, in der Hauptstadt erwartet man eine Großoffensive, kein Ringraumerkommandant ist mehr auf unserer Seite. Bald werden neue Verbände der Loy allsten ins Sonnensystem eindringen. Der Goldene Hochverehrte des Tores, Pnurrsk solange die Loyalisten ihn kontrollieren, haben wir keine Chance.« »Natürlich nicht.« Mit den restlichen drei Händen faßte Pnurrsk nach seinem Schädel und tastete ihn ab. »Wir haben sowieso keine Chance mehr, es ist vorbei.« Der andere packte ihn an den Schulter und schüttelte ihn. »Es ist nicht vorbei, Kommandant!« Eine Unverschämtheit, er sollte ihn degradieren. »Wenn wir nicht aufgeben, ist es nicht vorbei!« »Laßt uns in Würde sterben...« Er versuchte die Arme des Subkommandanten zur Seite zu drücken. Vergeblich. »Laß mich doch...!« »Nein, Kommandant Pnurrsk! Wir müssen den Goldenen Hochverehrten des Tores erobern! Nur wenn wir dort die geheimen Dateien finden und veröffentlichen, können wir den Kampf in die Galaxis hineintragen!« Unbeirrt hielt der andere ihn fest. »Das Gerücht, du seist gefallen, demoralisiert unsere Kämpfer! Unsere Truppen in der Hauptstadt warten auf ein Lebenszeichen von dir! Unsere Truppen an der Front warten auf ein Lebenszeichen von dir!« Wie hartnäckig, dieser Gwerstn, wie unangenehm hartnäckig. »Laß mich, Subkommandant! Es ist vorbei, wir sind verloren...« »Nein, nein, nein...!« Wie ein Chor stimmten die anderen Offi 39 ziere in den Widerspruch ein. »Gib unseren Kämpfern das Zeichen, auf das sie warten, dann werden sie die Hauptstadt gegen die Loyalisten verteidigen und die feindliche Front am Goldenen zerschlagen! Es ist nicht vorbei, Kommandant Pnurrsk! Nicht, wenn wir den Goldenen Hochverehrten des Tores haben, nicht wenn wir das Tor kontrollieren, nicht wenn wir die Daten finden! Wir haben eine Chance...!« Sein Widerstand bröckelte bereits. Dennoch lehnte er sich noch einmal auf. »Laßt mich doch endlich, laßt mich...« Ein Schott öffnete sich, Frauen betraten den Raum. Durch den offenen Eingang sah er Körbe und Behälter im angrenzenden Raum. Jetzt erst realisierte er, wo er sich befand: im Lagerraum einer Gemüsefarm, irgendwo in den Wäldern nördlich der Hauptstadt und südlich der Transmitterstatue. Immer mehr Frauen drängten durch das Schott. Mindestens zwölf von ihnen hatte er in letzter Zeit persönlich begattet. Sie sammelten sich um sein Lager. Er zog die Beine an, wich bis zur Wand zurück, fühlte sich belästigt. Sie aber öffneten ihre Gewänder, fixierten ihn dabei aus glänzenden Facetten. Er hielt den Atem an: Jede trug mindestens ein Dutzend befruchteter Eier im Flaum ihrer Taille und in den Flankentaschen ihres Unterleibes, mindestens ein Dutzend...! »Tausende von Gründen, nicht aufzugeben, Kommandant!« Oh, dieser lästige Subkommandant! »Unsere Kinder sollen auf einem freien Nttssl aufwachsen, Pnurrsk, bedenke! Sie werden ein neues Reich aufbauen, eine freie Galaxis! Bedenke, Kommandant,
bedenke...!« Pnurrsk starrte auf die Eier, starrte in die Gesichter der Weiber, sah in die Facettenaugen der Offiziere. Zuletzt blieb er an der Miene Subkommandant Gwerstns hängen. Dessen Kauscheren zuckten, und seine Fühler bebten. Ein tapferer Kämpfer im Grunde. Ja, ein guter Offizier, einer der besten, genau betrachtet. Und hatte er nicht recht? »Unsere Kinder... ein freier Nttssl... ein neues Reich... freie Galaxis...« Der Flottenkommandant senkte den Schädel. »Läuft die Waffenproduktion in der Hauptstadt noch?« »Auf Hochtouren, Kommandant.« 40 »Also gut, aber es wird ein Todeskommando.« »Das wissen wir, und es macht uns nichts aus.« »Sorgt zunächst für Funkverbindung mit der Hauptstadt und mit der Front. Ich werde eine Ansprache halten. Danach brauche ich dreihundert Freiwillige. Zweihundertfünfzig davon werden sterben! Mindestens Zweihundertfünfzig...« Sie trafen sich in der Zentrale der NOREEN WELEAN. Warum dort, wußte Simon nicht. Gisol hatte darum gebeten, und der Terraner war einverstanden gewesen. Vielleicht verlangte es den Worgun nach einem neutralen Ort? Oder nein: Er, Simon, war der letzte Wächter der Worgun, und sein Schiff war kein neutraler Ort. Suchte Gisol also Beistand? Und wenn, in welcher Sache? Simon hatte die Fragen ein paar Mal durchgerechnet. Er fand keine befriedigende Antwort. Hinzu kam noch die Tageszeit: Beide meldeten sich mitten in der Nacht, und beide kamen sie über den Transmitter an Bord, eine Stunde bevor die Sonne von Terra Nostra aufging. Die beiden Vertrauten unter seinen Robotern kamen zu ähnlichen Ergebnissen in ihren Analysen: Hugo glaubte, der Worgun suche einen Ort, an dem er Unterstützung erhoffte, weil er die Karten in einer heiklen Angelegenheit auf den Tisch legen wollte, und Joker glaubte, der Terraner suche einen neutralen Ort, an dem man seine Pläne so objektiv wie möglich beurteilen würde. Und beide glaubten, daß weder Gisol noch der Commander in dieser Nacht geschlafen hatten. Der Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN glaubte gar nichts. Er hielt sich grundsätzlich an die Fakten, und das war gut so. Die Fakten eine Stunde vor dem Aufgang der Sonne waren folgende: Amy Steward und Lati Oshuta lehnten vor dem Ringtransmitter über der Brüstung der Galeriebalustrade und blickten auf die Kommandozentrale herunter; der Commander der Planeten und Gisol saßen sich gegenüber in den Sesseln des Kopiloten und des Navigators vor der Steuerkonsole; Simon selbst saß auf seinem Spezialsessel; in Höhe der holographischen Bildkugel schwebten 41 Hugo und Joker sie mochten weiter nichts als spindelförmige Roboter sein, aber sie waren neugierig wie die Kinder und die Bildkugel über der Konsole zeigte den farbenprächtigen Nachthimmel über Terra Nostra. »Ich weiß, was du vorhast, Terraner«, sagte der Worgun mit dem glatten Gesicht eines Menschenmannes. »Du willst einen dieser verbotenen Planeten ansteuern, du willst dort einen dieser verfluchten Goldenen aktivieren, und du willst durch dessen Transmitter gehen und so die verfluchte Zentralwelt der verfluchten Zyzzkt erreichen.« »Stimmt fast«, sagte der Commander der Planeten. Simon erhöhte die Sensibilität seiner akustischen Sensoren. Hätte ein Herz in seiner Tofiritbrust geschlagen, seine Frequenz hätte sich beschleunigt.
»Eine sehr gute Idee im Prinzip«, fuhr der Worgun fort. »Aber hör mir zu, Ren, das bringt nichts.« Für ein paar Sekunden wurden die Lippen Jim Smiths zu grauen Strichen. Unter der bleichen Haut seiner Schläfen traten violette Adern hervor. »Ich muß dir ein Geständnis machen.« »Rede, Geheimnisvoller, ich höre.« »Du erinnerst dich an diesen unheimlichen Planeten mit den verlassenen ZyzzktSiedlungen?« »Ja.« »Und du erinnerst dich auch an die Sporen, die wir dort fanden?« »Richtig. Sporen, die Chitin auflösten, Sporen, die alles insektoide Leben des Planeten ausgelöscht hatten.« »Unglaublich!« entfuhr es Simons Sprachmodul. »Das ist ja genial. ..!« Er hatte noch nichts von diesen Sporen gehört. »Genau.« Die kalten Augen des Worgun richteten sich auf den Wächter. »Ich fand sie auch genial, diese Sporen.« Wäre Simon auf Sauerstoff und Atmung angewiesen gewesen, hätte ihm in diesem Moment der Atem gestockt. Der Commander schwieg. Vermutlich ging es ihm wie Simon, vermutlich fiel es auch ihm wie Schuppen von den Augen. Den folgenden Satz des Worgun jedenfalls hätte der Wächter vorhersagen können. Er lautete: »Ich habe eine Kultur dieser Sporen mit einer Sonde durch den Transmitter 42 eines Goldenen zur Zentralwelt der Zyzzkt geschickt.« »Bitte?« Die Gestalt des weißblonden Mannes straffte sich, seine Gesichtshaut verlor an Farbe, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was sagst du da?« »Du verstehst schon richtig, Terraner.« Der Worgun beugte sich nach vom, stützte sich auf die Instrumentenkonsole auf, sein Blick wich dem des Commanders nicht aus. »Ich habe eine große Kultur dieser Sporen durch den Transmitter geschickt. Es geschah auf dem Planeten, auf dem die Zyzzkt Jagd auf ihresgleichen machten.«* »Wo wir DNS eines Worgun in einem toten Jäger fanden?« fragte Amy Steward von der Galerie herunter. »Korrekt.« Gisol alias Jim Smith nickte. Keine Gefühlsregung konnte Simon auf seiner Miene erkennen. »Auf genau diesem Planeten gelang es mir, eine Sonde mit den Sporen durch das Transmitterfeld des Goldenen zu steuern. Ich gehe davon aus, daß die Sporen ihr Ziel erreicht, sich kräftig vermehrt und ihre Arbeit erledigt haben. Ich glaube nicht, daß auf dem Zentralplaneten der Zyzzkt auch nur ein Insektoide überlebt hat.« Gisol sagte das sehr ruhig. Simon meinte sogar, ein Lächeln in seinen Augen zu erkennen. Die Prozessoren in seinem gesichtslosen Tofiritschädel arbeiteten auf Hochtouren. »Das ist großartig«, resümierte er. »Etwas Besseres konnte nicht geschehen. Vorausgesetzt, der erwähnte Transmitter führt tatsächlich zur Zentralwelt der Wimmelwilden.« Ren Dhark stieß sich ab. Sein Sessel machte eine halbe Drehung, so daß er dem Worgun den Rücken zuwandte. Simon erschrak über die plötzliche Härte in seinem Gesicht. Sekunden saß der Commander völlig reglos, bis er sich mit einer heftigen Bewegung aus dem Sessel stieß. »Großartig? Sony, Simon, aber ich sehe das anders.« Er begann um den Kommandostand herumzulaufen. »Ist euch klar, wie viele Leben diese >großartige< Aktion ausgelöscht hat? Und wie viele Massaker diese >großartige< Tat nach sich ziehen wird? Die Zyzzkt werden auf Rache brennen und Siehe DrakhonZyklus Band 22, »Die Sage der Goldenen« 43 ihren Zorn an den nächstbesten Planeten und ihren Bewohnern austoben.« »Seit wann benötigen sie dazu einen Anlaß?« fragte Gisol kühl. »Bist du mit geschlossenen Augen durch Orn geflogen, Commander der Planeten?«
Der Terraner blieb stehen, blickte den Worgun an. Sekundenlang fixierten sie einander. Simon glaubte die Luft zwischen beiden knistern zu hören. Auf der Bildkugel verblaßten die Farben des Nachthimmels. »Ich hab dir nichts vorzuwerfen, Gisol«, sagte Dhark leise. »Welches Gesetz verpflichtet dich, besser zu sein als die Peiniger deiner Rasse? Dein Kampf währt schon länger als ein Menschenleben. Andere hätte er zerrüttet oder wahnsinnig gemacht, dich machte er hart und unbarmherzig. Ich bin nicht sicher, was ein solch einsamer Kampf mit mir gemacht hätte.« Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und setzte seinen Weg um die Kommandokonsole fort. Die Cyborgs, Gisol und Simon verfolgten ihn mit den Augen. Gleich würde er reden, gleich würden sie wissen, wie ihre Zukunft aussah. »Nicht alle Zyzzkt dürfte dein Geschenk vernichtet haben, verehrter Gisol«, sagte Ren Dhark, ohne den Blick zu heben, ohne seinen Rundgang zu unterbrechen. »Ihren mutmaßlichen Tyrannen, falls es sich dabei tatsächlich um mutierte Worgun in Insektengestalt handeln sollte, werden die Sporen kaum geschadet haben. Ich will mit ihnen verhandeln. Auf der Zentralwelt der Wimmelwilden wird Chaos ohne Ende herrschen, wenn deine Morgengabe angekommen ist. Geheimnisvoller.« Sarkasmus lag in seiner Stimme, aber sofort wurde er wieder sachlich. »Die Wahrscheinlichkeit ist groß, die Mutanten in Verhandlungslaune zu treffen. Ein Grund mehr, so rasch wie möglich zu handeln.« Endlich blieb er stehen, sah hinauf zu Simon und Gisol. »Wir nehmen unsere und deine Schiffe, Gisol.« Er wandte sich an den letzten Wächter der Worgun. »Hätte uns das Schicksal einander nicht über den Weg geführt, Simon, könnte mein Plan nicht funktionieren. Du aber bist im Besitz des Codes, mit dem man die Transmitter der Goldenen aktivieren kann. Das stimmt doch, oder?« 44 Simon aktivierte seine Kunststimme. »So ist es, Commander. Der Transmittercode befindet sich dreifach gesichert in der Datenbank der NOREEN WELEAN.« »Gut. Und wirst du uns mit der NOREEN WELEAN begleiten, Simon?« Simon wußte plötzlich, worauf es hinauslaufen würde. »Gisols Weg ist mein Weg.« »Dann hört weiter«, fuhr der Commander fort. »Wir bitten die Römer um elf Schiffe. Eines müßte unbemannt zu steuern sein. Dazu unsere und deine Schiffe, Gisol, und die NOREEN WELEAN. Mit dieser Flotte fliegen wir einen der verbotenen Planeten an. Dort schicken wir den unbemannten Ringraumer durch den Transmitter des Goldenen. Über ToFunk wird er uns den Weg weisen. Sie werden sich unseren Frieden diktieren lassen, oder wir geben der neuen römischen Rotte die Koordinaten durch, und sie sterben.« Er blickte von einem zum anderen. Sein weißblondes Haar schimmerte im düsteren Kunstlicht der Kommandozentrale. Entschlossenheit und Härte spiegelte sich auf seiner Miene. Die Frage stand in seinen Augen zu lesen. Simon begriff: Es ging dem Commander auch um ein politisches Zeichen. Die Worgun, die Neurömer, die Terraner jede Partei mit zehn Schiffen. »Ich bin dabei«, schnarrte er. »Sie werden sterben?« Der Worgun stieß ein bitteres Lachen aus. »Es wird sehr schwer, meine Freunde! Keiner von euch hat genug Phantasie, sich auszumalen, wie schwer es werden wird! Aber ich bin einverstanden.« Gisols Menschenfinger trommelten auf der Armlehne seines Sessels herum. »Vernünftiger Plan.« »Fragt sich nur, wie wir ihn den Römern verkaufen«, sagte Amy Stewart von der Galerie herab. Der Raummarschall empfing sie drei Stunden nach Sonnenaufgang. Vor seiner Villa warteten etwa dreißig Männer und Frauen auf eine Audienz, als Gisol, Simon, Dhark und seine Cyborgs dort eintrafen: Veteranen in Rollstühlen oder auf Krücken, Krieger 45
witwen mit ihren Kindern, ältere Frauen, die lange nichts von ihren Söhnen gehört hatten, blutjunge Männer, die sich freiwillig zur römischen Raumflotte melden wollten. Es war dem Commander der Planeten unangenehm, von Martius9 Adjutanten ins Atrium gewunken zu werden, obwohl er und seine Gefährten noch lange nicht an der Reihe waren. Gisol erriet die Gedanken seines terranischen Freundes. »Es geht auch um das Leben dieser Römer«, sagte er mit Blick auf die Wartenden. Rechts des geräumigen Atriums, etwa drei Meter vom Bassin entfernt, zierten zwei Fresken die lange Wand. Auf einem war der Spiralnebel einer Galaxis zu sehen, und Ren Dhark wußte sofort, daß es die heimatliche Milchstraße war. Auf dem anderen Fresko war eine antike Stadt abgebildet. Ihre Gebäude standen auf sieben Hügeln. Zwischen den Fresken gab es eine Tür. Ihre beiden Flügel stieß der Adjutant auf und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Hinter der Tür befand sich die Kanzlei des Raummarschalls. Martius saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern in einem der Sessel einer Sitzgruppe. Auf einem niedrigen Marmortisch stand das Modell eines OvoidRingraumers. Der Flottenmarschall begrüßte sie mit einem Lächeln und deutete auf die freien Ledersessel. Sie nahmen Platz. »Sie haben noch einmal über Ihren Plan geschlafen und nun eine Entscheidung getroffen, Commander Dhark«, sagte er. »Habe ich recht?« Dhark bejahte. Er erläuterte sein Vorhaben: Zweiunddreißig Schiffe, Kurs auf einen verbotenen Planeten, ein unbemanntes Schiff, das durch das Transmitterfeld eines Goldenen fliegt, und so weiter... »Wenn Sie diesen Krieg ohne Blutvergießen beenden wollen, rennen Sie bei mir offene Türen ein«, sagte der römische Oberbefehlshaber. »Ihr Plan ist gefährlich, aber er ist gut, sehr gut. Ich sehe kein Problem, ihn dem Senat schmackhaft zu machen. Schließlich rechnen alle in absehbarer Zeit mit einem Großangriff der Zyzzkt. Was könnte uns da Besseres passieren als ein unverhoffter Frieden?« Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme über der Brust und 46 sah Dhark nachdenklich an. »Und Sie verfügen tatsächlich über den Code, um diese Riesentransmitter zu aktivieren?« »Simon besitzt ihn.« »Sind Sie denn sicher, daß man über die Transmitter zur Zentralwelt der Wimmelwilden gelangt?« »Nicht hundertprozentig, zugegeben«, räumte Ren Dhark ein. »Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch.« ^94,7 Prozent nach meinen Berechnungen«, schaltete Gisol sich ein. »Der ToRichtfunk des Robotraumers wird uns den Weg weisen, und sollte er uns wider Erwarten nicht zum Heimatplaneten der Zyzzkt lotsen, dann doch immerhin zu einem Ort, an dem wir entscheidende Informationen erhalten, um das Geheimnis der ZentralweltKoordinaten endgültig zu lüften. Daran zweifele ich keinen Augenblick.« Martius blickte von einem zum anderen. Er nickte langsam, es war schwer einzuschätzen, was hinter seiner hohen Stirn vor sich ging. »Nicht, daß Sie mich falsch verstehen, meine Herren: An den Frieden glaube ich erst, wenn er eingetreten ist. Darum registriere ich jeden neuen Ringraumer, der in den unterirdischen Werften vom Band läuft, mit Erleichterung. Die Zyzzkt wissen nichts von unserer sprudelnden Tofiritquelle. Sollte es ihnen irgendwann gelingen, unseren Sicherheitsschirm zu zerstören und in die Gaswolke einzudringen, werden sie sich unverhofft mit einer dreifachen Übermacht konfrontiert sehen, die noch dazu im Vollbetriebsmodus operieren kann. Vorausgesetzt, diese größte anzunehmende Katastrophe geschieht nicht schon morgen oder übermorgen. Doch wenn ihre Mission eine solche Konfrontation verhindern kann, Commander Dhark und Gisol um so besser. Ich werde eine Sondersitzung des Senats beantragen. Dann kann ich der Regierung Ihren Plan vielleicht
schon morgen vortragen. Was genau brauchen Sie von uns?« Er zog ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche, aktivierte es und legte es auf den Tisch. »Sie erlauben, daß ich Notizen mache.« »Zehn fabrikneue OvoidRingraumer, einschließlich Besatzung und Ausrüstung, und ein Aufklärungsschiff, das von einem Rechner gesteuert werden kann...« 47 Die fünf jungen Neurömer spritzten aus ihren Sitzen und standen stramm, als der Mann mit dem weißblonden Haar in der Bildkugel über der Instrumentenkonsole erschien. Also bemühte auch Gisol sich schließlich aus seinem Sessel. Er tat es den fünf Römern zuliebe, deren Namen er sich eingeprägt hatte, und die ihn aus irgendeinem Grunde als ihr Vorbild betrachteten. »... vor sechs Tagen hat der Hohe Senat von Terra Nostra über den Plan des Kommandountemehmens beraten, zu dem wir heute starten werden...« Auf dem Hologramm der Bildkugel sah man Ren Dhark vor dem Hintergrund seines Kommandostandes auf der POINT OF. Seine Ansprache galt der terranischen Besatzung seiner eigenen zehn Schiffe sowie der römischen Besatzung auf den zehn Schiffen Gisols. Sie galt auch Simon, dem Wächter, selbstverständlich auch ihm. Und eigentlich galt sie auch der Besatzung von zehn neuen OvoidRingraumem der Flotte von Terra Nostra, aber der Hyperkalkulator der EPOY meldete lediglich 21 Schiffe auf dem Startfeld des Raumhafens von Nova Roma. »... vor vier Tagen hat der Hohe Senat einstimmig beschlossen, einen Vorstoß zum Zentralplaneten der Zyzzkt zu wagen. Der Konsul und die militärische Führung von Terra Nostra haben mir das Kommando der Mission Herz. der Dunkelheit anvertraut...« Aus den Augenwinkeln beobachtete der Worgun in Menschengestalt die fünf jungen Offiziere rund um den Kommandostand: Ihre Augen glänzten, ihre Mienen spiegelten die Entschlossenheit von Männern wider, die ein Ziel hatten und bereit waren, über ihre Grenzen zu gehen, um dieses Ziel zu erreichen. Gisol wußte, daß die 54 Römer auf seinen anderen neun Schiffen diese fünf hier beneideten, weil sie in seiner Nähe Dienst tun durften. Die Römer verehrten ihn, ohne Zweifel. Gisol fragte sich, warum ihm diese Tatsache nicht schmeichelte. »... der Countdown läuft, in genau neununddreißig Minuten und zwölf Sekunden starten wir zu einer Mission, von der wir alle uns die Wende im galaktischen Krieg von Om erhoffen. Wir fliegen ins Herz der Finsternis. Ich will nicht verschweigen...« 48 Der Terraner unterbrach sich, und gleichzeitig tönte die künstliche Stimme des Hyperkalkulators aus den Bordlautsprechem über der Ringgalerie. »Elf Schiffe im Anflug aus Vektor sieben Strich zwei, Flughöhe 3369 Meter, Geschwindigkeit...« Während der Zentralrechner die restlichen Daten durchgab, verblaßte die Bildkugel und baute sich sofort wieder auf. Gisol stützte sich auf die Instrumentenkonsole und spähte in das Hologramm. Da flogen sie heran: Zehn OvoidRingraumer der neusten Produktionsserie und ein etwas älteres Schiff mit unwesentlich geringerem Durchmesser. »Vergrößern«, murmelte Gisol. Die Bildkugelansicht veränderte sich ohne nennenswerten Zeitverlust: Der anfliegende Pulk löste sich auf, bis das Hologramm zwei einzelne Schiffe einfing. Die neuen Ringraumer hatten einen um zehn Meter größeren Ringdurchmesser, durchmaßen also einhundertneunzig Meter. Darüber hinaus besaßen ihre Rümpfe im Querschnitt keine Kreisform wie etwa die EPOY oder die POINT OF, sondern eine ovale, wobei die spitzen Pole der Ellipsen auf der Vertikalachse lagen. In der Waagerechten durchmaßen die Rümpfe weiterhin dreißig Meter, in der Senkrechten hingegen vierzig. Von den zehn neuen Räumern unterschied sich der ältere Robotraumer außer in Größe und Form vor allem dadurch, daß er kaum Sonnenlicht reflektierte. Seine Oberfläche war im Laufe vieler Dienstjahre stumpf geworden.
Die kleine Flotte rauschte heran, flog zwei weite Schleifen über dem Raumhafen und sank dann in immer enger werdenden Spiralen herab. Simons NOREEN WELEAN und die zwanzig anderen Schiffe bildeten eine Gerade von 9,78 Kilometern Länge. Knapp sieben Minuten nach der Meldung des Hyperkalkulators setzte der erste Ovoidraumer auf dem Flugfeld neben der RHEYDT auf, und hielt dabei den Abstand ein, der die bereits wartenden Schiffe voneinander trennte, nämlich exakt dreihundert Meter. Im genau gleichen Abstand und im Dreißigsekundenintervall landeten danach die anderen zehn neurömischen Raumer. Aus der Satellitenperspektive mußte es aussehen, als würde eine vollkommen gerade und fünfzehn Kilometer lange Kette aus Ringen auf dem Raumhafen liegen. 49 »Flottenkommandant Manlius meldet zehn OvoidRingraumer und einen Aufklärer mit Autosteuerung einsatz und startbereit.« Ren Dhark bestätigte, und nacheinander gingen die Meldungen der neun anderen Kommandeure ein. Unter ihnen Nuntius und Aulus, die damit bereits zum zweiten Mal an einer von Dhark befehligten Expedition teilnahmen. Jedes Schiff der Neurömer wurde von einer sechsköpfigen Besatzung gesteuert. Zum Schluß meldete eine elektronische Stimme den automatischen Aufklärer einsatzbereit. »Willkommen in der vereinigten Flotte, meine Herren.« Wieder baute das Hologramm Dharks Konterfei auf. »Wie ich sehe, beherrschen Sie Ihre Schiffe perfekt, gratuliere. Der Countdown läuft, noch siebzehn Minuten und vierundfünfzig Sekunden bis zum Start. Ich war gerade dabei, die Eckdaten von Herz der Dunkelheit zu erläutern. Es ist eine gefährliche Mission, und ich kann nicht garantieren, daß wir ohne Verluste zurückkehren werden. Sobald wir Gardas verlassen haben, werden wir transitieren, um die feindlichen Patrouillen in unmittelbarer Nähe der Wolke hinter uns zu lassen. Danach nehmen wir Kurs auf den nächstliegenden verbotenen Planeten. Die Zyzzkt nennen ihn Virm. Er kreist mit drei Gasriesen um einen weißen Zwerg, der in den Sternkarten Terra Nostras die Bezeichnung Leukos IX/VII trägt. Auf dem Zielplaneten wird unser Aufklärer den Transmitter des Goldenen passieren. Sein ToRichtstrahl wird uns durch die Galaxis Om bis zur ZyzzktZentralwelt leiten, wie einst Ariadnes Faden Theseus den Weg aus dem Labyrinth des Minotaurus wies...« Amy Stewart hatte ihm diese Metapher aus den Datenbanken der POINT OF gefischt. Ren Dhark wußte inzwischen, daß die Neurömer eine Schwäche für die Sagen des klassischen Altertums hatten. Nach der Rede des Commanders änderte sich das Hologramm, und Gisol erkannte einen Römer in der Bildkugel: Manlius, der Verbindungsoffizier zwischen Römern und Terranem. Jetzt allerdings wandte er sich als Flottenkommandant an die Männer auf seinen und Gisols Schiffen. Er begrüßte den Einsatzplan und betonte noch einmal, daß der Senat dem Terraner Ren Dhark das Kommando über den gesamten Einsatz gegeben hatte. Anschließend ertönte ein Posaunenchor, und die Römer stimmten eine ihrer 50 Hymnen an. Gisol beobachtete, wie jeder der jungen Offiziere in seinem Kommandostand seine Hand auf die Brust legte und die Augen schloß. In dieser Haltung sangen sie ein martialisches Lied, das von der Liebe zu Terra Nostra handelte und dem unbedingten Willen, dieser Liebe jedes Opfer zu bringen. Gisol senkte den Blick. Hart war er geworden in all den Jahrhunderten, in all den Kämpfen, ja, Dhark hatte recht. Dieser Augenblick aber der Gesang, die Posaunen, die bewegten Gesichter der jungen Burschen — dieser Augenblick griff ihm ans Herz. Die letzten Minuten vor dem Start herrschte Schweigen auf der EPOY. Nur Gajus Julius tat Dienst an der Seite des Rebellen. Die vier anderen Römer hatten frei und würden das Schiff später in zwei weiteren Schichten übernehmen. Gisol wies den Hyperkalkulator an, das
Flugfeld zu visualisieren und sich dann um den Start zu kümmern. In der Bildkugel erstreckte sich auf einmal die unübersehbare Reihe der Ringraumer. Und endlich der Start. Die Flotte erhob sich. Wie an einem unsichtbaren Stab aufgereiht schwebte sie in den Morgenhimmel Terra Nostras. Mit SLEAntrieb und in einem Winkel von neunzig Grad zur Bahnebene des Planeten nahmen die Schiffe Kurs auf die Grenze des Systems. In der Bildkugel leuchteten hier und da die für Gardas so typischen Gaswirbel. Außer der Sonne Terra Nostras war kein einziger Stern zu sehen. Koordiniert von der POINT OF gingen die Schiffe auf Stemensog. Gisol kommunizierte stumm mit dem Hyperkalkulator. Schon bald funkelte die Bildkugel von der Stemenpracht Oms, wie man sie in diesem Spiralarm der Galaxis fand. Die Gaswolke Gardas lag hinter ihnen. »Voller Tamschutz«, wies Gisol den Hyperkalkulator an. Daten strömten auf den Worgun ein: von den anderen Schiffen, aus dem Lautsprecher des Hyperkalkulators, von den Römern vor der Femortung und in der Navigationszentrale. »Vierzehntausendzweihundertdreißig ZyzzktRaumer patrouillieren in unmittelbarer Nähe der Wolke«, meldete Gajus Julius. »Vorwiegend in Dreierverbänden. Die Femortung erfaßt eine gewaltige Flotte Fremdraumer in Vektor siebzehn Strich drei Strich zweihundertelf. Es handelt sich 51 um mindestens dreißigtausend Ringraumer, sie manövrieren im Energiesparmodus.« »Entfernung?« »Neunhundertachtundsiebzig Lichtjahre«. »Kontakt zur POINT OF.« Gajus Julius bestätigte. Zwei Sekunden später erschien Ren Dharks Gesicht in der Bildkugel. »Ihr wißt schon Bescheid?« fragte Gisol. Der Commander nickte. »An die neununddreißigtausend Einheiten der Zyzzkt.« »Sollten sie ein Mittel gegen das Schutzfeld gefunden haben, brauchen sie nur in den Vollbetriebsmodus schalten und stehen in weniger als zehn Stunden am Himmel über Terra Nostra.« »Gegen die neuen Schiffe der Römer dürften sie chancenlos bleiben.« »Vierzigtausend, Ren! Auf Terra Nostra braucht man noch ein paar Tage, bis der zwanzigtausendste Ovoidraumer vom Band geht. Dann sprich von mir aus von einer Chance!« »Du bist und bleibst ein Pessimist, Gisol, aber du hast recht: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir transitieren in acht Minuten.« Acht Minuten später flackerte die Bildkugel. Als sich das Hologramm wieder aufbaute, glitzerte in einer Entfernung von siebzehn Astronomischen Einheiten eine weiße Sonne vor dem Hintergrund eines Ornschen Spiralarmes: Leukos IX/VII, das Muttergestirn des verbotenen Planeten Virrn. 52 4. Von außen ähnelte die Zentrale des Schutzverbandes gegen die Feinde Telins einem Universitätsgebäude allerdings waren die Lehrstätten der Tel nicht von hohen, alarmgesicherten Zäunen umgeben, an den Eingangstoren standen keine Wachen, und auf dem Gelände patrouillierten keine bewaffneten Roboter. Rund um die Zentrale erstreckte sich nach allen Seiten hin eine mächtige Rasenfläche, bepflanzt mit einzeln stehenden sattgrünen Buschgruppen und bunten Blumen. Wer jedoch glaubte, sich im Schutz der Büsche unbemerkt ans Gebäude heranschleichen zu können, irrte sich gewaltig. Registrierten die Alarmsensoren eine unbefugte Person im Garten, öffnete sich die Erde, und das gesamte Buschwerk verschwand in der Tiefe. Auch die Blumenbeete hatten es in sich...
Das Zentralgebäude verfügte über zehn Etagen. Vier oben und sechs unter der Erde. Im unteren Teil wurden geheime Laborexperimente durchgeführt, neue Waffen für die Agenten entwickelt und derzeit junge Anwärter für Spezialtruppen ausgebildet. Im oberen Teil hatten die festen Mitarbeiter des SFT ihre Büros. Die Unterkünfte und Aufenthaltsräume der Auszubildenden und der organischen Wachtposten befanden sich ebenfalls oberhalb des Erdreichs, während die Wartungs und Werkstätten für die Wachroboter in den Tiefgeschossen lagen. Die medizinische Abteilung war oben untergebracht. Als sich eine Flotte von Polizeigleitern dem SFTGelände näherte, wurde in sämtlichen Etagen gelber Alarm ausgelöst. Die Blumenbeete spalteten sich in der Mitte und zeigten, was in ihnen steckte genauer gesagt: unter ihnen. Aus großen runden Öffnungen erhoben sich schwere Strahlengeschütze und nahmen die Gleiter ins Visier. 53 »Soll ich Feuerbefehl geben?« fragte der zuständige Wachleiter per Funk bei seinem Befehlshaber an. »Oder schalten wir den Schutzschirm ein?« »Weder noch«, lautete die Antwort. »Tun Argop hat Anweisung gegeben, die Gleiter unbehelligt landen zu lassen. Schließlich handelt es sich um keinen feindlichen Angriff, sondern um einen unangemeldeten Besuch der Polizei.« »Besuch?« sagte der Wachleiter. »Ich würde das eher als unerlaubtes Eindringen bezeichnen. Weiß man schon, wer dafür verantwortlich ist?« »Streu Temo«, erwiderte sein Vorgesetzter. »Er hat sich auf unsere Funkanfrage hin zu erkennen gegeben. Temo sitzt im ersten Gleiter, zusammen mit seinem Assistenten und einem terranischen Agenten. Falls den dreien etwas zustößt, riskieren wir nicht nur Ärger mit dem hiesigen Polizeichef, sondern auch einen diplomatischen Zwischenfall mit Terra. Fahren Sie die Geschütze wieder ein.« Der Befehl wurde ausgeführt. Bald war der Garten wieder von einem Blumenmeer überzogen. Die kleine Polizeiflotte kam auf Sichtweite heran. Gegenüber dem SFT hatte der Kluis seinen Sitz. Die Piloten gaben acht, den dortigen Luftraum nicht zu verletzen, um die automatischen Sicherungsanlagen nicht zu aktivieren. Wenig später landeten vier Mannschaftsgleiter mit je fünfzig Polizisten an Bord vor und hinter dem SFTGebäude. Die mit Kampfanzügen bekleideten Insassen stiegen aus und umzingelten die Geheimdienstzentrale. Sie waren mit Handfeuerwaffen ausgestattet, die sie vorerst allerdings im Holster steckenließen. Gesteuert wurden die Gleitet von Polizeirobotem, die ebenfalls Waffen trugen. Sie hielten sich innerhalb der Gleiter kampfbereit. Im Garten befanden sich nur einige SFTWachleute und ihr Wachleiter. Sie unternahmen zunächst nichts gegen die Übermacht. Lediglich die Wachroboter ergriffen ihre Waffen, würden aber ohne ausdrücklichen Befehl niemanden angreifen. Der Befehlshaber des Sicherungsteams, Mur Rokil, kam nach draußen. Er wartete ab, bis Temo und seine beiden Begleiter ihren Gleiter 54 verlassen hatten, und ging dann mit freundlicher Miene auf sie zu. »Willkommen, Streu Temo, Kor Parm«, begrüßte er die Beamten, die er von früheren Begegnungen her kannte. »Wie Sie uns bereits über Funk wissen ließen, möchten Sie eine Hausdurchsuchung vornehmen. War es wirklich nötig, gleich halb Cromar mitzubringen? Auch beim SFT halten wir regelmäßig Manöver ab, doch ich kann mich nicht erinnern, daß wir zu Übungszwecken jemals ein fremdes Gelände besetzt hätten.« »Dies ist keine Übung«, machte Terno ihm klar. »Mir ist durchaus bekannt, daß Ihre Zentrale größer und verwinkelter ist, als es von außen den Anschein hat. Je mehr Männer ich bei der Durchsuchung einsetze, um so schneller sind wir fertig. Im übrigen muß ich noch eine Verhaftung vornehmen, vielleicht sogar mehrere, da kann ein bißchen Verstärkung nichts schaden.«
»Ein bißchen?« erwiderte Rokil mit spöttischem Unterton. »Sie müssen furchtbare Angst vor uns haben, wenn Sie so viele bewaffnete Leute mitbringen. Zu schade, daß der ganze Aufwand völlig unnütz ist. Ich darf lediglich Sie und Ihren Assistenten hereinlassen. Tun Argop wird sich Ihre Bitte anhören und dann entscheiden, ob er Ihnen eine begrenzte Hausdurchsuchung gestattet natürlich nur unter meiner Aufsicht. Daß Sie nicht jede Etage betreten dürfen, versteht sich von selbst, schließlich ist das hier die Geheimdienstzentrale und kein öffentliches Amüsierlokal.« Er warf Giray einen mißbilligenden Seitenblick zu. »Auch Sie kommen mit. Zwar haben wir aus den Nachrichten erfahren, daß Sie allem Anschein nach nicht der Mörder von Bor Frikk sind, dennoch möchte unser Geheimdienstleiter Sie persönlich vernehmen.« Ömer trug inzwischen frische Kleidung und ein neues Paar Schuhe. Seine dunkle Tarnfärbung war mittlerweile fast gänzlich verblaßt. »Allmählich reicht es mir mit Ihrem arroganten Gehabe!« fuhr Terno Rokil unbeherrscht an. »Giray ist beweiskräftig entlastet worden und somit ein freier Mann. Die wahren Mörder laufen noch frei herum, und aller Wahrscheinlichkeit nach gehören sie dem Geheimdienst an deshalb ist die Durchsuchung der SFTZentrale unbedingt vonnöten. Polizeichef Bru Kowal höchstper 55 sönlich hat diese Maßnahme angeordnet. Kein Bürger von Cromar hat das Recht, die Polizei bei ihren Ermittlungen zu behindern, das gilt auch für Tun Argop.« »Sie vergessen offenbar, daß der SFT über zahlreiche Sonderrechte verfügt«, entgegnete Mur Rokil gelassen. »Wir stehen über dem Bürger und über der Polizei.« »Niemand, der unter Mordverdacht steht, kann sich über die Polizei stellen«, machte Streu Temo ihm klar. »Selbst der SFT darf sich die Gesetze des TelinImperiums nicht zurechtbiegen, wie es ihm beliebt.« »Tun Argop steht unter Mordverdacht?« fragte Rokil ungläubig. »Zumindest ist er im Fall des ermordeten Bor Frikk ein wichtiger Zeuge«, wich Temo einer klaren Antwort geschickt aus ohne hundertprozentigen Beweis stand es ihm nicht zu, den Geheimdienstleiter zu beschuldigen. »Erst nach seiner Aussage werde ich entscheiden, ob er den Verdächtigen zuzuordnen ist oder nicht.« »Dann sollten Sie schleunigst mit ihm reden, damit er den Irrtum aufklären kann«, meinte Mur Rokil. »Kommen Sie herein. Ihre Männer rühren sich in der Zwischenzeit nicht vom Fleck. Sollten sie versuchen, die Zentrale zu stürmen, gibt es hier draußen ein Blutbad.« »Machen Sie sich nicht lächerlich«, erwiderte Kor Parm geringschätzig. »Das Verhältnis steht zweihundert zu zwanzig.« »Sind Sie davon überzeugt?« fragte ihn der Sicherheitschef. Er betätigte ein kleines Gerät, das er die ganze Zeit über unauffällig in der Hand gehalten hatte, und sandte ein geheimes Signal aus. Plötzlich öffneten sich im ganzen Gebäude auf allen Seiten sämtliche Fenster. Mit Karabinern ausgestattete Männer lehnten sich hinaus und nahmen die Polizisten im Garten ins Visier. Auch die Türen gingen auf. An jedem Eingang postierte sich ein bewaffneter Vierertrupp. Das war noch nicht alles. Erneut teilten sich die Blumenbeete wie das Rote Meer. Diesmal tauchten leichte, manuell zu bedienende Strahlengeschütze aus den großen runden Bodenöffnungen auf. An jedem doppelläufigen Geschütz stand ein junger Agent. »Die meisten von ihnen befinden sich gerade in der Ausbil 56 dung«, räumte Rokil offen ein. »Doch Ihre Männer geben derart leichte Ziele ab, Streu Temo, daß sie kaum zu verfehlen sein dürften.«
Die beiden Polizeihundertschaften hielten Ausschau nach Dekkung. Weit und breit gab es so gut wie keinen Schutz, abgesehen von den Büschen und Buschreihen und die verschwanden plötzlich wie weggezaubert im Boden. »Gehen wir hinein, meine Herren«, schlug Rokil vor und setzte sein unverschämtestes Grinsen auf. »Oder ziehen Sie es vor, einen Kleinkrieg anzufangen?« Ömer sah sich gründlich um, schaute so vielen SFTAgenten wie möglich ins Gesicht. Die beiden Schläger, denen er in der Absteige »Rubin« gegenübergestanden hatte, konnte er jedoch nirgends entdecken. Auch in Temos illegaler Kartei war er nicht fündig geworden. Das bestätigte seinen Verdacht, daß es sich bei ihnen lediglich um Handlanger oder gedungene Killer handelte. Wo waren sie abgeblieben? Zuletzt war Ömer mit einem von ihnen nahe der terranischen Botschaft zusammengeprallt, seitdem hatte er nichts mehr von den beiden gesehen oder gehört. Hielten sie sich im Zentralgebäude auf? Oder hatten sie sich längst auf einem anderen Planeten in Sicherheit gebracht? Denkbar war auch, daß der SFT sie inzwischen beseitigt hatte, damit sie der Polizei keine Hinweise auf ihre Auftraggeber geben konnten. Ömer folgte Temo, Parm und Rokil ins Haus. Der Mann von der Sicherheit begleitete die »Gäste« bis ins Büro des neuen Geheimdienstleiters und ließ sie dann mit ihm allein. Tun Argop kam gleich zur Sache. »Wie ich hörte, möchten Sie in unserer Zentrale eine Hausdurchsuchung vornehmen. Streu Terno. Sie werden sicherlich verstehen, daß ich so etwas nur in eingeschränktem Maße zulassen darf, aus Gründen der Staatssicherheit. Und selbst eine begrenzte Durchsuchung werde ich Ihnen nur erlauben, wenn Sie mir plausibel erklären können, warum Sie diese Maßnahme für unbedingt notwendig halten.« 57 Damit hatte er den Polizeiermittler von vornherein zum Bittsteller degradiert. Temo ließ sich das nicht bieten. »Ich brauche Ihre Erlaubnis nicht. Tun Argop! Die Gesetze des Imperiums...« »Hier bin ich das Gesetz!« fuhr Argop ihm über den Mund. »Ohne eine vernünftige Begründung werde ich Ihnen nicht gestatten, auch nur einen einzigen Raum zu betreten.« »Warum nicht?« warf Kor Parm ein. »Was haben Sie zu verbergen? Wir suchen den Mörder Ihres Vorgängers. Das sollte auch in Ihrem Interesse sein.« »Selbstverständlich bin ich daran interessiert, Frikks Mörder beziehungsweise dessen Auftraggeber zu fassen. Bislang dachten wir, Giray habe Bor Frikk auf dem Gewissen, deshalb wurde seitens des SFT mit Hochdruck nach ihm gefahndet. Mittlerweile hat sich ja seine Unschuld erwiesen, wenn man den verwaschenen Darstellungen in den Medien glauben darf. Wieso wurde nichts Konkretes veröffentlicht?« »Weil die Ermittlungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind«, antwortete Temo. »In erster Linie war es mir wichtig, Giray in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren. Über Einzelheiten unserer Untersuchungen informieren wir das Volk erst, wenn wir Frikks wahren Mörder präsentieren können.« »Und den suchen Sie ausgerechnet hier bei uns?« entrüstete sich Argop. Parm tauschte mit seinem Vorgesetzten einen kurzen Blick aus und legte dann die von Ömer geschossenen Fotos auf Argops Schreibtisch. Der Geheimdienstleiter schaute sich die Aufnahmen mit versteinerter Miene an. Für einen Moment sah es so aus, als ob ihn die Bilder ein wenig aus der Fassung bringen würden, doch er bekam sich schnell wieder in den Griff. »Kennen Sie diesen Mann?« fragte Temo ihn scharf. Nur einen Augenblick lang zögerte Tun Argop mit der Antwort. Dann sagte er mit fester Stimme: »Das ist Erl Yobo, ehemaliger Agent des SFT.«
»Ehemalig?« fragte Temo nach. »Wollen Sie behaupten, er arbeitet nicht mehr für Sie?
Soweit ich weiß, gehört er Ihrem persönlichen Stab an.«
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»Gehörte«, verbesserte ihn Argop nachdrücklich. »Sie sind erstaunlich gut informiert, doch
offenbar kennen Sie nur die halbe Wahrheit. Durch Zufall fand ich heraus, daß Yobo in
schmutzige Geschäfte verwickelt war. Noch bevor ich ihn dazu vernehmen konnte, tauchte er
unter. Nähere Details darf ich Ihnen leider nicht nennen, um den guten Ruf, den der
Geheimdienst in der Bevölkerung genießt, nicht in den Schmutz zu ziehen. Es muß Ihnen
genügen, Streu Terno, wenn ich Ihnen versichere, daß Yobos kriminelle Machenschaften
nichts, aber auch rein gar nichts mit dem SFT zu tun haben. Er ist keiner mehr von uns. Allem
Anschein nach hat er sich einer staatsfeindlichen Verschwörergruppe angeschlossen, deren
Anführer auf unseren Fahndungslisten ganz oben stehen.«
Ömer Giray schüttelte innerlich den Kopf. Tun Argop log und das nicht mal besonders gut.
In diesem Augenblick läutete Stren Temos tragbares Dienstvipho. Der Polizeibeamte staunte
nicht schlecht: Der Anruf kam direkt aus dem Vank.
»Gibt es hier einen abhörsicheren Raum, in den ich mich zurückziehen kann?« fragte Temo
den Geheimdienstleiter.
»Alle unsere Räume sind abhörsicher«, behauptete Tun Argop. »Sie können mein
Ruhezimmer nebenan benutzen.«
Temo begab sich in den Nebenraum und aktivierte das Vipho. Sein Erstaunen wurde noch
größer, als er sah, daß es TradoTräger Gen Punfk höchstpersönlich war, der mit ihm sprechen
wollte.
Bei seiner Rückkehr in Argops Büro wirkte Temo etwas blaß, trotz seiner dunklen Hautfarbe.
»Gen Punfk hat mir den Befehl erteilt, mit allen meinen Leuten das Gelände des SFT auf der
Stelle zu verlassen und mich künftig nicht mehr in Geheimdienstangelegenheiten
einzumischen«, teilte er den anderen mit. »Kommen Sie, Giray, Parm, wir gehen.«
»Wie bitte?« entfuhr es Ömer. »Das kann unmöglich Ihr Ernst sein! Jede Wette, Erl Yobo hält
sich hier irgendwo versteckt.«
»Das spielt keine Rolle mehr, ich bin raus aus den Ermittlungen«, machte ihm der
Kripobeamte deutlich. »Sämtliche Akten
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gehen an den SFT, der die Suche nach Frikks Mördern ohne uns fortsetzen wird.«
Ömer wollte erneut protestieren, doch Kor Parm hielt ihn davon ab.
»Der Befehl eines Vank ist für jeden Tel wie ein göttliches Gebot«, sagte er zu ihm.
»Niemand darf sich dem widersetzen.«
»Darf ich wenigstens erfahren, wie der Vank seine obskure Anweisung begründet hat?«
entgegnete Ömer ärgerlich.
»Gar nicht«, antwortete ihm Streu Terno. »Braucht er auch nicht. Was Gen Punfk anordnet,
wird ohne Wenn und Aber ausgeführt. Hätte er mir befohlen. Sie zu töten, würden Sie dieses
Büro nicht mehr lebend verlassen.«
»... und dann hat er seine Männer vom SFTGelände abgezogen und sämtliche Ermittlungen
eingestellt. Mir legte er nahe, möglichst bald abzureisen, zu meiner eigenen Sicherheit. Ich
hatte auch keinen Grund mehr, länger bei den Tel zu bleiben. Ohne meinen Freund Bor Frikk
und ohne die Hilfe der Kripo konnte ich unmöglich weiterermitteln schon gar nicht im
geheimen. Aufgrund der planetenweiten Fahndung kennt dort inzwischen jedes telsche Kind
mein Gesicht.«
Ömer Giray hielt sich im Büro von Bernd Eylers auf, dem Leiter der Galaktischen
Sicherheitsorganisation. Gleich nach seiner Rückkehr zur Erde hatte er ihn aufgesucht und
ihm ausführlich Bericht erstattet.
»Schade, daß ich nie erfahren werde, was aus den beiden Galgenvögeln geworden ist, die Bor
Frikk und mich im >Rubin< bedroht haben«, fügte er abschließend hinzu. »Wenn es auf
Cromar so was wie eine göttliche Gerechtigkeit gibt, verfaulen ihre Knochen irgendwo in einem verborgenen Grab, das ihnen ihre gewissenlosen Auftraggeber bereitet haben. Manchmal mache ich mir Vorwürfe, und ich frage mich, ob ich Frikks Tod nicht hätte verhindern können. War es wirklich richtig, aus dem Zimmer zu fliehen und ihn mit zwei bewaffneten Männern alleinzulassen? Ich habe einfach keine andere Lösung gesehen. Die Situation war so 60 verworren wie die Gedanken, die mir dabei zusammenhanglos durch den Kopf jagten. Zeitweise wünschte ich mir, es hätte sich >nur< um einen Raubüberfall gehandelt damit wäre ich sicherlich besser fertiggeworden. Bor mußte sterben, weil er mir bei meinen Ermittlungen helfen wollte. Sein Tod war völlig umsonst, denn ich habe nichts von Belang herausgefunden.« Eylers war Realist, kein Träumer oder Wunschdenker. Entsprechend nüchtern fiel auch sein knappes Fazit aus. »Keiner Ihrer bisherigen Aufenthalte auf Cromar war umsonst, Ömer. Sie haben jede Menge kleiner, für sich allein eigentlich unbedeutender Informationen zu einem Gesamtbild zusammengefügt, aus dem hervorgeht, daß der SFT tief in der Sensoriumsaffäre drinsteckt. Mehr noch: Allerhöchste Kreise scheinen in die Sache verwickelt zu sein, bis hinauf in den Vank. Das ist besorgniserregend, aber wir haben derzeit keine Möglichkeit, gegen die Betreffenden vorzugehen.« Damit hatte er alles gesagt, was es von seiner Seite aus zu sagen gab. Eylers war noch nie ein großer Redner gewesen. Ömer Giray nickte zustimmend. Seine Einschätzung der Lage war noch kürzer und klang fast schon poetisch: »Es dräut Gefahr am Horizont.« 61 5. Sie schwiegen. Ihre Fühler vibrierten. Ihre Facettenaugen waren feucht. Einigen lief das Rachensekret über die Kauscheren und tropfte auf den rotbraunen Rumpf schütz, und manchmal mischte sich metallenes Scharren in den Kampflärm und das Stimmengewirr aus der Empfängerbox; immer dann nämlich, wenn einer der Freiwilligen sich das Sekret vom elastischen Leichtmetallmmpfschutz wischte. Zu viert kauerten sie in den Liegeschalen des Steuersegments; einer seiner Söhne vor der Steuerkonsole; er selbst, Pnurrsk, auf dem Sitz des Kopiloten. Weitere neun Freiwillige saßen im Ladesegment des TZC (Anmerkung: Abkürzung für TIrrotZyrrecChinttk. Aus der Verkehrssprache der Zyzzkt übersetzt: Luftbodenpanzer), unter ihnen vier weitere Söhne Pnurrsks. Auch die Kämpfer im Hecksegment wiesen alle Symptome äußerster Anspannung auf, auch sie verfolgten die Stimmen aus dem Funkmodul. Das Zirpen, Fauchen und Zischen ebbte ab, eine einzelne Stimme trat in den Vordergrund: Subkommandant Gwerstns Stimme. Sein in den Rumpf schütz integrierter Sender war aktiviert. »Phase eins der Mission Goldenes Tor abgeschlossen, Verluste etwa vierzehn Prozent, Phase zwei beginnt.« Irgend jemand seufzte, irgend jemand zischte, und einige Freiwillige machten ihrer Erleichterung Luft, indem sie die Fühler oder Kauscheren aneinander rieben. »Still«, zischte Pnurrsk. Der Angriff auf einen schon seit Tagen auf dem Raumhafen der Hauptstadt liegenden Ringraumer war also gelungen. Angeschossen und schwerbeschädigt konnte das Schiff weder starten noch seine schweren Waffen aktivieren. Mit seinen leichten Strahlgeschützen hatte die loyalistische Besatzung die Umgebung des 62 Raumhafens in Schutt und Asche gelegt. Mit hundertzwanzig Freiwilligen hatte Gwerstn das Wrack erobert. Das bedeutete erstens: Der Beschuß der Stadt vom Raumhafen aus hatte
endlich ein Ende, zweitens standen ihnen jetzt mindestens zwanzig Flash zur Verfügung, und drittens konnte Phase zwei des Todeskommandos beginnen: Die Enterung eines der feindlichen Ringraumer im Orbit durch den Ringtransmitter des eroberten Schiffes. »Transmitter funktionstüchtig«, meldete Gwerstn. »Ich gehe jetzt mit der zweiten Truppe.« Dann Stille. Eine entscheidende Phase der Mission begann. Wieder warteten sie, wieder zitterten ihnen Fühler und Kauscheren vor Erregung. Einen der angreifenden Ringraumer hatte Pnurrsk einst selbst kommandiert er kannte dessen Transmittercode. »So könnte es gehen«, hatte Gwerstn gesagt. »Das könnte der Weg sein.« Und nun ging er ihn. Im Hologramm schwankten Bäume, vibrierten Laubdächer, bogen sich Famfelder und Domengestrüpp. Ein Gewittersturm zerzauste das ausgedehnte Waldgebiet zwischen der Hauptstadt und dem Goldenen Hochverehrten des Tores. Mit rötlichen Lichtpunkten markierte der Bordrechner die Stellen, an denen die Ortung die anderen zehn TZC erfaßte. Eine der rotgrün gescheckten Maschinen konnte Pnurrsk keine siebzig Meter entfernt am Ufer eines Tümpels erkennen: Das Kommandosegment glich einer langgestreckten Kuppel, das Transportsegment einer halben, zum Heck hin stumpf zulaufenden Spindel. Ein Kombinationspanzer für Transporte und Kampfoperationen auf feindlichem Gelände. Das Gerät konnte sowohl im Flug als auch im Rollmodus gesteuert werden. Es war mit zwei schweren Strahlgeschützen ausgerüstet. Elf dieser Neuentwicklungen hatten Gwerstns Kämpfer in der Hauptstadtwerft sichergestellt. Auf jedem TZC warteten dreizehn Freiwillige auf den Befehl, Kurs auf den Goldenen Hochverehrten des Tores zu nehmen. Der Himmel war dunkel von Rauch und Gewitterwolken, die sonst weithin sichtbare Gestalt des Goldenen verbarg sich hinter Dunst, Qualm und Feuer. Die Front verlief etwa fünfundvierzig Kilometer entfernt in den Randgebieten des Waldes. Die Loyalisten verteidigten das offene Feld rings um den Goldenen. Mit Ro 63 botergeschützen, Flash und den Waffenarmen der Transmitterstatue. Alles hing jetzt von Gwerstn und seinem Stoßtmpp ab. Endlich meldete sich der Subkommandant. Alle streckten die Fühler aus und stemmten sich halb aus ihren Liegeschalen, als seine Stimme aus dem Empfänger zirpte. »Wir haben das Schiff! Wir kommen! Phase drei beginnt!« Jubel im Steuersegment, Jubel hinten im Ladesegment. Auf allen TZC würde die Kampfmoral jetzt steigen. Pnurrsk schöpfte zum ersten Mal Hoffnung. Er gab Befehl zum Aufbruch. Die elf Kombipanzer pflügten durch den Wald. Auf dem niedrigsten Energiemodus steuerten sie die Front an, den Flugmodus hatte Pnurrsk streng verboten. Auch Funkverbindung, Waffenaktivitäten und Femortung waren untersagt so spät wie möglich sollte der Gegner den kleinen Verband entdecken. Erst wenn Gwerstn mit dem eroberten Schiff über der Front auftauchte, würde Pnurrsk seine Panzer aus dem Wald starten lassen. Kurze Zeit später ging das vereinbarte Funksignal ein. Pnurrsk gab den Befehl, in den Flugmodus zu schalten. Nacheinander stiegen die TZC aus dem Wald und beschleunigten. Ihr Pulk zerfiel, bis sie im Abstand von mehreren Kilometern flogen, einige dicht über dem Wald, andere in den oberen Schichten der Atmosphäre Nttssis. Nur so rechnete Pnurrsk sich eine Chance aus, daß wenigstens einer von ihnen sein Ziel erreichte. Rasend schnell rückten Waldrand, Front, der Goldene Hochverehrte des Tores und sein gigantisches Feld heran. Bald konnte Pnurrsk den eroberten Ringraumer im Hologramm erkennen. Er flog über dem Feld des Goldenen und feuerte aus Nadelstrahlantennen auf die Roboterkanonen, die Panzer und die Infanterie der Loy allsten. Aus den Waffenarmen des Goldenen Hochverehrten des Tores sirrten Nadelstrahlen in das Intervallfeld des Schiffes. Es lief alles nach Plan: Das eroberte Schiff band die Feuerkraft des Goldenen, lenkte die Bewegung der feindlichen Bodentruppen auf sich. »Phase vier der Mission Goldenes Tor
beginnt«, funkte Pnurrsk. »Viel Glück.« Er meinte nicht nur Gwerstn, er meinte die Besatzungen seiner TZCs, er meinte sich selbst. Eine Wand aus Feuer und Qualm stand über der Region, wo der Wald an das Feld des Goldenen grenzte. Pnurrsk ließ die Ortung 64 aktivieren. Wracks brennender Geschütze und Panzer markierte der Rechner auf der topographischen Karte in der Bildkugel, Dutzende, Hunderte! Gwerstns Waffenoffiziere leisteten gute Arbeit. Und jetzt erreichte der erste TZC das Feld des Goldenen! Und im nächsten Augenblick blähte sich eine Glutkugel an seiner Stelle auf. Ein Robotergeschütz hatte ihn geortet und als feindliches Objekt identifiziert. Plötzlich schwirrten Flash durch das Hologramm sieben, acht, ja neun Maschinen meldete der Rechner! Ein TZC, der noch höher flog als der des Flottenkommandanten, eröffnete das Feuer, ein weiterer aus einer Position knapp über dem Boden. An drei Flash leuchteten die Intervalle auf, einer verglühte in einer rot aufleuchtenden Feuerkugel. »Nicht schießen!« zischte Pnurrsk in sein Mikro. Die Flash drehten eine Spirale, gingen in den Sturzflug über und griffen mehrere Robotergeschützbatterien an, die massives Sperrfeuer unweit des Goldenen entfachten. Und wie zur Bestätigung meldete sich das eroberte Schiff: »Ihr beschießt unsere Einheiten, Flottenkommandant!« Gwerstns Stimme überschlug sich vor Erregung. »Feuer einstellen! Feuer einstellen!« Pnurrsks TZC raste in knapp drei Kilometer Höhe dem Goldenen Hochverehrten des Tores entgegen. »Irrtum erkannt«, gab Pnurrsk zurück. Flash des eroberten Ringraumers hatten in den Kampf eingegriffen. »Wir schaffen es!« funkte Pnurrsk. »Wir schaffen es!« Ein weiterer TZC ging verloren, und gleich darauf noch einer und noch einer. Gwerstns Ringraumer und seine Flash schalteten die Robotergeschütze aus, das Sperrfeuer ließ nach. Doch bald wurden die ersten Einheiten des TZCVerbandes von den Waffenarmen des Goldenen unter Feuer genommen. Eine Glutkugel nach der anderen blähte sich auf. Vier Einheiten erreichten schließlich das nördliche Sockelschott. Der Code war nicht das Problem den kannte Pnurrsk als ehemaliger Flottenkommandant selbstverständlich doch als sie in den Sockel hineinflogen, erwartete sie die loyalistische Besatzung des Goldenen, Pnurrsk wußte, daß mindestens sechs seiner Söhne zu ihr gehörten. Alle Verteidiger kämpften, als hätte man ihnen befohlen, ihr Leben zu opfern... 65 Die Verbindung steht. Hugos Stimme meldete sich in Simons Tofiritschädel. Der Hyperkalkulator des Robotraumers hat bestätigt. Er ist jetzt bereit, die Daten aufzunehmen. Gut, dachte Simon. Und an die Adresse seines Hyperkalkulators: Daten komprimieren, auf weitere Anweisung warten. Er richtete seine Optik auf die Bildkugel: Weiße Feuerschlieren waberten durch das Hologramm, Sonnenwind und Eruptionen. Seit drei Tagen hielt sich die Flotte im Schutz der Korona von Leukos IX/VII auf. Grelles Gleißen warf gespenstisches Lichtspiel aus der Bildkugel in das Gewölbe der Kommandozentrale. Manchmal sah es aus, als würden die Wände an einigen Stellen durchsichtig werden, und manchmal, als würden grellweiße Wolken über sie wandern. Simon störte weder das Lichtspiel noch blendete ihn die Wiedergabe des Hologramms. Auf den terranischen und römischen Schiffen dagegen würden sie vermutlich die Helligkeit der Bildkugel heruntergeschaltet haben. »NOREEN WELEAN an POINT OF, ich bin soweit. Kommen.« Über ToFunk stand er mit dem Flaggschiff in Verbindung. »Verstanden«, kam es zurück. Inzwischen erkannte Simon die vielen Besatzungsmitglieder der POINT OF an ihren Stimmen. Diese hier gehörte Glenn Morris, dem Ersten Funker des Flaggschiffs. »Befehl vom Commander: Daten überspielen. Ende.« Der Commander war kein Risiko eingegangen: Aus der Dekkung der Sonnenkorona von Leukos IX/VII hatte er drei Flash unter dem Kommando Dan Rikers in das Sonnensystem
geschickt. Das Späherkommando untersuchte die beiden Gasriesen und den verbotenen Planeten Virm aus einer Entfernung von jeweils hunderttausend Kilometern. Drei Tage Zeit nahm sich der Commander, um alle Daten gewissenhaft auszuwerten. Ergebnis: Auf den Gasriesen gab es weder Kolonien noch irgendwelche Roboterstationen. Auch Satelliten oder Sonden wurden nicht geortet. Virm bot das gleiche Bild wie alle bisher bekannten verbotenen Planeten: idyllische Parklandschaften, ausgedehnte Wälder, ein paar über den gesamten Planeten verteilte, riesige Palastanlagen und ein 66 acht Kilometer hoher goldener Zyzzkt, mit einem Schädel, an dem sich anstelle eines Gesichts eine glatte Fläche wölbte. Erst als Ren Dhark gewiß sein konnte, mit keiner bösen Überraschung rechnen zu müssen, leitete er die heiße Phase der Mission Herz der Dunkelheit ein Simon war jetzt am Zug. Die Daten an den Aufklärungsraumer senden, befahl der letzte Wächter der Worgun seinem Hyperkalkulator. Die Bestätigung kam sofort, durch Simons Kopf rauschten Listen mit Ziffern, Buchstaben und Zeichen der worgunschen Mathematik, seine Optik beobachtete den grünen Lichtbalken auf dem Kontrollschirm rasch wuchs er bis zum Anschlag. Der Transmittercode bestand aus einem hochkomplexen Datenpaket, doch für die Hyperkalkulatoren der NOREEN WELEAN und des Roboteraufklärers war die Übertragung eine Sache von drei Sekunden. Der Hyperkalkulator des Aufklärers hat den Code erfolgreich gespeichert, raunte Hugos Stimme in Simons Kopf. Was uns betrifft, kann es los gehen. Simon gab die Erfolgsmeldung an die POINT OF weiter. Danach richtete er seine Optik wieder auf die Bildkugel. An einer Stelle rissen die Energieschwaden auf, und er konnte die knapp drei Millionen Kilometer entfernte Plasmakugel des Zentralgestims sehen. Leukos IX/VII sah aus wie ein kochender Schneeball. Beiläufig nur registrierte Simon die Zahlenkolonnen in seinem Schädel. Der Hyperkalkulator sendete die neueste Datenaktualisierung: Außentemperatur, Geschwindigkeit des Elektronenwinds, Gammastrahlung und so weiter. Viel mehr interessierten ihn die einunddreißig in violettem Licht eingeblendeten Koordinaten an verschiedenen Stellen der Bildkugel: die Positionen der anderen Ringraumer. Ein Zahlenwert war heikot unterlegt die POINT OF ein anderer blinkte: der Roboteraufklärer. Er bewegte sich. Das automatische Schiff nimmt Fahrt auf, ließ Hugo sich in Simons Schädel vernehmen. Ich sehe es. »Commander an alle«, tönte Dharks Stimme aus dem Bordlautsprecher. Zeitgleich baute das Hologramm die Ansicht seines Oberkörpers und seines Gesichtes auf. »Das Aufklärungsschiff nimmt Kurs auf Virm. Sein Hyperkalkulator wird die goldene Sta 67 tue ansteuern und den Transmittercode senden. Wir folgen dem Aufklärer in achtundzwanzig Sekunden. In einem Abstand von hundertzwanzigtausend Kilometern geht die gesamte Flotte in die Umlaufbahn des Planeten.« Simon bestätigte, Gisol bestätigte, die römischen und terranischen Kommandanten bestätigten. »Tarnschutz aktivieren, noch sieben Sekunden«, sagte der Commander, bevor sein Bild verblaßte. Lichtwogen, Blitze und Energienebel zuckten und schwebten wieder durch das Hologramm. SLEAntrieb, dachte Simon an die Adresse seines Hyperkalkulators. Wie die gesamte Flotte verließ auch die NOREEN WELEAN ihre Deckung in der Korona von Leukos IX/VIL Zwei Stunden später drang der Aufklärer in die Atmosphäre von Virrn ein. Simon steuerte sein Schiff zusammen mit den anderen einunddreißig Einheiten in die angewiesene Umlaufbahn. Der Commander schickte eine Mikrosonde auf den Kurs des Aufklärers. Von der POINT OF aus flog sie in die Planetenatmosphäre hinein. Zehn Minuten vergingen, dann lieferte die Bildkugel jedes Schiffes die ersten Bilder von Virrn.
Simon konzentrierte seine Optik auf das Hologramm. Eine glühende Aura umgab den Robotraumer, die Reibungshitze verhüllte ihn noch. Zahlenkolonnen auf den Nebenschirmen und in Simons Schädel aktualisierten seine Geschwindigkeit, seine Flughöhe und seinen Kurs im Sekundentakt. Der Aufklärer flog im Energiesparmodus und selbstverständlich mit deaktivierten Waffensystemen. Niemand sollte Gründe finden, ihn anzugreifen. Endlich durchstieß die Sonde eine Wolkendecke, die chaotische Oberflächenstruktur des Planeten differenzierte sich in identifizierbare Einzelheiten. Simon erkannte Flüsse, Wälder, Küstenstreifen, einen Ozean, Inseln, wieder einen Küstenstreifen, eine hellbraune Ebene mit schnurgeraden Rändern, und schließlich tauchte am Horizont die Statue auf. Der Robotraumer rückte in das optische Feld der Sonde. Er drosselte noch immer seine Geschwindigkeit, keine Reibungshitze glühte mehr an seiner Oberfläche. Schnell wuchs die Statue, schon konnte Simon den goldenen Insektenkörper erkennen und die sechs Gliedmaßen unterscheiden. Die Schultern und den gesichts 68 losen Schädel verhüllte die Wolkendecke. Die Gigantstatue ruhte auf einem zweitausend Meter hohen Sockel und war selbst sechs Kilometer hoch. Er hat den Transmittercode abgesetzt, hörte Simon die Stimme seines Spindelroboters in seinem Kopf raunen. Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten: »Commander an alle: Der Aufklärer hat den Code gefunkt. Die nächsten Sekunden bringen die Entscheidung, halten Sie sich bereit!« Simon beobachtete Aufklärer und Gigantstatue. Der Robotraumer flog jetzt mit minimaler Geschwindigkeit in Kopfhöhe des Goldenen, nicht einmal zwanzig Kilometer trennten Schiff und ZyzzktFigur mehr. Und dann bewegte sich das obere Armpaar der Statue. Es funktioniert, dachte Hugo in Simons Kopf, der Transmitter reagiert auf den Code. Simon blieb mißtrauisch. Konzentriert verarbeitete sein zentrales Steuersystem jede Bewegung des Goldenen. Während das obere Armpaar sich in den Himmel streckte und spreizte, blieb das untere Armpaar die Waffenarme reglos. Er aktiviert seine Waffenarme nicht, dachte Hugo in Simons Kopf, er baut ganz. friedlich das Transmitterfeld auf... Alle erhoben sich von ihren Sesseln, alle standen sie um die Steuerkonsole der Kommandobrücke, alle beobachteten sie das Hologramm in der Bildkugel. Ein atemberaubendes Schauspiel bot sich ihnen dar, keiner sprach ein Wort. Die Insektenstatue spreizte ihre oberen Goldarme himmelwärts bis in die Wolken, weiße Lichtwellen blitzten zwischen rechten und linken Greifklauen hin und her, die Wolkendecke verfärbte sich gelblich und riß auf, und auf einmal flimmerte ein Energiefeld zwischen den abgespreizten Armen. Es tauchte das obere Drittel des Goldkolosses in gleißende Helligkeit. Die Wolken verflüchtigten sich und gaben den gesichtslosen Schädel der Figur frei. »Er hat das Transmitterfeld aufgebaut«, murmelte Manu Tschobe. »Kaum zu glauben...« »Demnach identifiziert er Schiffe, die über den Code verfügen, 69 automatisch als ZyzzktRaumer.« Amy Stewart dachte laut. »Oder zumindest als Ringraumer von Verbündeten.« »Eine ziemlich gewagte Schlußfolgerung«, sagte Hen Falluta. Der Erste Offizier stützte sich mit den Fäusten auf die Konsole und beäugte das Hologramm aus schmalen Lidern. »Ich glaube das erst, wenn der Aufklärer durch ist.« »Warten wir doch einfach ab.« Mit vor der Brust verschränkten Armen und ausdrucksloser Miene stand der Commander zwischen seinem Sessel und der Konsole. Seine Kaumuskulatur pulsierte, als der Roboteraufklärer den Außenbereich des Transmitterfeldes erreichte. Grelle Blitze zuckten um seinen Ringkörper, ein Netzschleier aus weißem Licht hüllte ihn ein, nur die Konturen eines Ringes sah man noch im Hologramm. Das Roboterschiff erreichte die Position über dem Goldschädel der Statue, und jetzt lösten sich auch die letzten Ringkonturen auf, der Netzschleier aus weißem Licht surrte zusammen,
verdichtete sich, verharrte für Bruchteile von Sekunden als gleißende Kugel über dem
Insektenschädel und inmitten des Energiefeldes und fiel schließlich in sich zusammen.
»Er ist durch!« Arc Doorn schlug mit der Faust in die Handfläche.
»Geschafft! Wir haben es geschafft! Er ist durch!« Sie klopften einander auf die Schultern,
ballten die Fäuste wie im Triumph.
»Auf Ihre Plätze, Ladys und Gentlemen!« rief der Commander. Er selbst saß längst wieder in
seinem Sessel. »Dhark an Funkzentrale!«
»Hört.«
»Aufgepaßt, Morris! Der Hyperkalkulator des Aufklärers muß sich jeden Moment über
ToRichtfunk melden!«
»Wir sind ganz Ohr!« kam es zurück.
Mit den Fäusten auf die Konsole gestützt beobachtete der Erste Offizier noch immer das
Hologramm. »Kann mir einer erklären, warum das Transmitterfeld noch aktiviert ist?«
Ren Dhark hob den Blick, schaute ins Hologramm: Zwischen den ausgestreckten oberen
Goldarmen der Statue flirrte das Energiefeld mit gleicher Intensität wie vor fast einer Minute
schon. Blauer und türkisfarbener Schimmer mischte sich in das Geflim
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mer, der goldene Schädel des Kolosses verdunkelte sich.
»Was zum Teufel geht da ab?!« knurrte Doorn. Seine Finger flogen schon über die Tastatur
seines Arbeitsplatzes. Er aktivierte die Meßinstrumente der Mikrosonde.
»EPOY an POINT OF«, tönte Gisols Stimme aus den Boxen über der Galerie. »Etwas kommt
aus dem Transmitterfeld! Dabei müßte es längst deaktiviert sein!«
»Etwas?« Dhark beugte sich nach vom. »Du meinst, ein Objekt materialisiert sich? Ich kann
nichts erkennen!« Der Kopf des Goldenen glühte rötlich, rötliche Streifen zogen sich über
seinen Hals bis auf seine Brust.
»Materialisiert ist der falsche Ausdruck«, kam es von der EPOY. »Eher würde ich von
>fließen< sprechen. Ja, Energie strömt aus dem Transmitter...«
»Commander an Funkzentrale! Warum höre ich nichts?« Dhark wurde lauter.
»Weil wir nichts hören, Sir.« Morris' Stimme vibrierte.
»Das gibt es doch überhaupt nicht...!« Ren Dhark verstummte was er auf der Bildkugel sehen
mußte, verschlug ihm die Sprache:
Schädel und Schultern der Statue glühten in grellem Rot, der Schädel verformte sich...
»Eine mir unbekannte Energieform strömt aus dem Transmitter!« Erneut Gisols Stimme.
»Eine Art Hyperenergie...«
Wieder erhob sich einer nach dem anderen von seinem Sitz, wieder starrten sie die Bildkugel
an, dieses Mal ungläubig und fassungslos. »Seht euch das an«, murmelte Manu Tschobe.
»Das Ding brennt...«
»Setzen Sie sich mit der POINT OF in Verbindung, Livius.« Gisol ließ die Bildkugel nicht
aus den Augen. Der Kopf der Statue schmolz buchstäblich ab. »Bitten Sie um direkten
Zugang zu den Daten der Mikrosonde. Ich brauche genau Ergebnisse.« Der neue Mann an
Gisols Seite bestätigte. Die fünf Römer hatten ihren Wachplan so ausgearbeitet, daß jeder
einmal zusammen mit dem berühmten Rebellen Dienst tat.
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Die Blicke des Worgun flogen zwischen der Bildkugel und den ersten Meßdaten des
Hyperkalkulators hin und her, als würde er seinen Augen nicht trauen. Türkisfarbene
Flammen schlugen aus dem Energiefeld zwischen den Goldarmen. Geschmolzenes Gold floß
am Oberkörper der Statue hinunter, hier und da löste sich das brennende Metall, schoß aus
dem Energiefeld und stürzte über Tausende von Metern in die Tiefe. Da, wo das glutflüssige
Gold im Sockel und am Boden aufschlug, loderten Flammen.
»Haben Sie die Aufnahme aktiviert?« wandte Gisol sich an den Römer.
»Die Szene wird aufgenommen, das Bildmaterial inklusive sämtlicher Daten in den gewünschten Verzeichnissen Ihrer Datenbank gespeichert, Kommandant Gisol.« »Gut. Was sagen uns die Taster?« »Im Zentrum des Transmitterfeldes messe ich über vierzehntausend Grad Celsius, die Temperatur steigt kontinuierlich. Ich messe außerdem ein starkes Magnetfeld, nicht nur im Brandzentrum, sondern auch an den neuen Brandherden im Sockel und im ihn umgebenden Feld.« Gisol war ratlos. Ein solches Phänomen kannte er nicht. »Die Daten aus der Mikrosonde gehen ein, Kommandant!« rief Livius. Eine weitere kleine Anzeige auf der Konsole leuchtete auf, die Verbindung mit der Sonde stand. Zahlenreihen liefen über den Monitor: chemische Analysen, Angaben über Temperaturen, Dichte, Strahlungsarten, Magnetfeldstärken und so weiter. »Verbindung mit der POINT OF! Ich muß den Commander sprechen!« Gisol starrte in die Bildkugel. Schultern und Brust des Goldkolosses glühten rötlich, türkisfarbene und weiße Flammen hüllten die Oberarme und den Unterleib ein. In immer größeren Massen flutete die fremde Energie aus dem Transmitter, der Brand fraß sich durch die goldene Statue, verflüssigte das Edelmetall, brachte es zum Sieden. Flammen hüllten den Sockel des Goldenen ein, rötlicher Qualm stieg an seinen Unterschenkeln hinauf. »Was sagst du dazu, Gisol?« meldete Ren Dharks Stimme sich aus den Energiefeldem der Schallerzeuger. »Energie aus dem Hyperraum. Frag mich nicht, was für eine Art von Energie. Wir können hier starke Magnetfelder messen, das 72 spricht für Unmengen zerfallender Myonen.« Gisol fixierte die Anzeige mit den aktuellsten Daten aus der Mikrosonde. »Dazu immens beschleunigte Elektronen und Protonenströme. Die Myonen sind negativ geladen, das deutet auf Antimaterie hin...« »Ich verbinde dich mit unseren Astrophysikern«, sagte Dhark, Gisols Blick heftete sich wieder auf das Hologramm. Mit bloßem Auge konnte man jetzt erkennen, wie die energetischen Prozesse sich beschleunigten. Der linke, untere Arm der Statue hob sich langsam, verbog sich schließlich und löste sich vom brennenden Koloß. Einen Schweif aus Feuer und Rauch hinter sich herziehend rauschte er in die Tiefe. Der Aufschlag sprengte einen Krater in die glatte Ebene rings um den Sockel. Aus ihm schoß eine gewaltige Fontäne aus Gestein, geschmolzenem Gold, Erde und Feuer. »Hier spricht die astronomische Abteilung der PODMT OF«, tönte eine Männerstimme aus den Boxen. »Mein Name ist Spence Claus Bentheim, ich bin Astrophysiker. Wir stehen hier auf dem Schlauch, Mr. Smith. Wenn Sie mich fragen, bringt die Energie aus dem Transmitter sämtliche Atome zum Rotieren, mit denen sie in Berührung kommt. Habön Sie die schweren Elektronen bemerkt?« »Die Myonen, natürlich«, sagte Gisol. »Eine Kettenreaktion, wenn Sie mich fragen. Haben Sie auch die Gammastrahlung gemessen? Ähnelt einer nuklearen Kernreaktion, das Spektakel da unten...« Gisol konzentrierte sich auf die Daten von der Sonde. Tatsächlich gab es da unten signifikante Gammastrahlung; und einen wahren Orkan atomarer Teilchen. »... als würde das verdammte Zeug aus dem Transmitter alle Materie, die es kontaminiert, in ihren Urzustand zurückführen. Mit ein bißchen Glück können wir hier gleich den Big Bang in natura studieren. Maßstab eins zu was weiß ich wieviel. Was meinen Sie, Kollege Smith...« Bentheim verstummte plötzlich, und Gisol hob den Blick: Die verbliebenen drei Arme der Statue rasten in die Tiefe. Es sah aus, als würden brennende Raumschiffe abstürzen. Die Einschläge sprengten Massen von Fels und Gold und Staub aus dem Boden
74 und dem Sockel, ein Wirbel aus Geröll, Rauch und Feuer stieg in den Himmel, verhüllte die Statue bis zu den Knöcheln, bis zu den Knien, bis an die Hüften. »Das Transmitterfeld ist zusammengebrochen...!« schrie Livius. »Ich kann es nicht mehr messen!« Gisol spähte in die Bildkugel tatsächlich: Keine Spur mehr von einem Transmitterfeld, der Augenschein bestätigte die Meßdaten. »Die Statue brennt weiterhin«, meldete der Römer, und wie zur Bestätigung mischte sich Bentheim von der POINT OF aus ein: »Elektronen und Protonenwinde nehmen zu, dort unten verwandeln sich Gestein und Metall in einen Molekülbrei, und der Molekülbrei in eine Atomsuppe...!« Gisols Augen suchten die Anzeige mit den Daten der Sonde. Es stimmte: Auch Gamma und Magnetfeldfeldstrahlung nahmen kontinuierlich zu, der Anteil der negativ geladenen Myonen sogar beunruhigend schnell. Schweigend beobachteten Gisol und der Römer das energetische Schauspiel in der Bildkugel. Das weitete sich zu einem apokalyptischen Drama aus: Schneller als zuvor das Gold brachte die exotische Energie das Gestein der weiten Ebene rund um die Statue zum Glühen und zum Sieden. Die ersten Flammen erreichten den Wald. Die Statue zerfloß wie eine Kerze im Feuer, Ströme kochenden Goldes ergossen sich in die Flammen, die aus dem Gelände um den Sockel schlugen, und fachten sie noch heftiger an. »Commander an alle Einheiten.« Ren Dharks Stimme erfüllte das Gewölbe des Kommandostandes. »Immer noch kein Richtfunksignal von unserem Aufklärer. Wir müssen davon ausgehen, daß er verloren und unsere Mission gescheitert ist. Manu Tschobe vertritt die These, daß der Brand auf dem Planeten von selbst aufhört, sobald die Fremdenergie sich verbraucht hat. Bitte lassen Sie diese These von Ihren Hyperkalkulatoren durchrechnen.« Gisol brauchte nicht lange rechnen. »Die These erscheint mir, gelinde gesagt, ein wenig blauäugig zu sein. Nach meinen Daten transformiert die Fremdenergie sämtliche Materie, die sie dort unten erwischt, in Energie ihrer Art, meiner Meinung nach in Hyperenergie. Das heißt: Der Energienachschub hört nicht auf, bis der 75 Weltenbrand dort unten keinen Zündstoff in Form von Materie mehr hat.« Schweigen auf allen Frequenzen. Das Schaubild mit den Sondendaten erlosch. Die Bildkugel verblaßte und baute sofort ein neues Hologramm auf. Es zeigte den von seiner weißen Sonne angestrahlten Planeten Virm. An einer Stelle glühte die Atmosphäre rötlich. »Kontakt mit der Mikrosonde abgerissen«, meldete die Funkzentrale der POINT OF. Alle einunddreißig Schiffe richteten ihre Teleskope und Ortungsgeräte auf den Planeten. Nach zwei Stunden erwies es sich, daß Gisol recht behalten würde: Der energetische Prozeß auf Virm verlor sich keineswegs im Nichts, ganz im Gegenteil: In jeder Minute schien sich die Geschwindigkeit, mit der er voranschritt, zu vervielfachen. Bald war die Atmosphäre der verlorenen Welt bis auf wenige glutrote Stellen tief schwarz. »Commander an alle: Wir verlassen das System mit SLEAntrieb.« Während die Flotte die Gasriesen hinter sich ließ, beobachtete Gisol Virm und seine Sonne. Gewaltige Eruptionen schössen aus der Oberfläche von Leukos IX/VII. Die Navigatoren sämtlicher Schiffe meldeten Veränderungen in den Gravitationsfeldern der Gasriesen. Als Virm schließlich in einer gewaltigen Explosion verpuffte, rissen die freiwerdenden Gravitationskräfte den inneren der beiden Gasplaneten aus seiner Umlaufbahn... 76 6. Einen Tag und eine halbe Nacht lang kämpfte Pnurrsks Stoßtrupp um die Kontrolle über den Goldenen. Mit zweiundfünfzig Freiwilligen drang der Flottenkommandant in den Sockel ein. Alle wesentlichen Generatoren, der Zentralrechner und die Energieund Transmitterzentrale waren darin untergebracht.
Mit einunddreißig Kämpfern eroberte er Stunden danach die Energie und Transmitterzentrale. Als die loyalistische Besatzung der Waffenleitstelle sich ergab, lebten noch vierundzwanzig Mann seines Kommandos, und als endlich das letzte Schott unter ihrer Kontrolle war, kommandierte Pnurrsk noch siebzehn Kämpfer. Genug, um den Goldenen Hochverehrten des Tores zu kontrollieren und wenigstens vorübergehend zu halten. Zunächst nahmen sie die vier Ringraumer im Orbit unter Beschuß, die in den letzten Tagen zusammen mit dem eroberten Schiff durch den Transmitter in das heimatliche Sonnensystem gekommen waren. Die Waffenarme des Goldenen Hochverehrten des Tores verfügten über die Feuerkraft von mindestens sieben Ringraumern. Hinzu kam die Kampfkapazität des Ringraumers, den Gwerstns Kommando inzwischen kontrollierte. Gemeinsam schafften sie es, die Flotte der LoyalistenRaumer hinter den Horizont zu zwingen. Das wiederum verschaffte den Truppen in der Hauptstadt neuen Spielraum. Außerhalb der Reichweite von Ringraumerwaffen warfen sie die loyalistischen Truppen bis an die Stadtgrenzen zurück. Die geheimen Waffenfabriken steigerten ihre Produktion. Die Umgebung des Goldenen Hochverehrten des Tores war auf einmal frei von feindlichen Verbänden, die Front um mehr als hundertachtzig Kilometer nach Norden gerückt. Kurz: Am Morgen nach der Eroberung des Goldenen standen alle Zeichen auf Sieg. Noch im Morgengrauen setzte der Hauptstadtkommandeur einen 77 Verband aus siebzehn Flash und dreiundzwanzig TZC in Bewegung. Gegen Mittag sollten die Entsatztruppen das Südschott des Goldenen Hochverehrten des Tores erreichen und die Besatzung verstärken. Pnurrsk selbst plante, das Kommando über das eroberte Schiff zu übernehmen. Fünf Stunden noch bis dahin. Der Flottenkommandant nutzte die Zeit, um die Datenbanken durchzuforsten. Er wußte genau, wonach er zu suchen hatte. Einer der überlebenden Offiziere war ein Enkel von Pnurrsk. Er hatte zwei Jahre lang als Kommandant Dienst in der Energiezentrale des Goldenen Hochverehrten des Tores getan. Die Datenbanken der Zentrale waren ihm vertraut. Dennoch dauerte es drei Stunden, bis sie auf Dateien stießen, die Pnurrsk allein durch ihre Unauffälligkeit ins Auge stachen. Sie waren als Entwürfe für Gemüsefarmen deklariert und stammten aus dem letzten Jahr, wenn man dem Datum der Dateiinformation glauben wollte. In den letzten sechs Jahren waren keine neuen Gemüsefarmen geplant worden. Sie versuchten, die Blaupausen zu öffnen, und siehe da: Der Zentralrechner verlangte einen Zugangscode. Sie knackten den Code, und siehe da: Die Gemüsefannentwürfe waren verschlüsselt. Inzwischen hatte sich der Fund herumgesprochen. Die Hälfte der Waffenleitstandsbelegschaft versammelte sich um Pnurrsk und den ehemaligen Kommandanten des Goldenen Hochverehrten des Tores. Einer der Kämpfer war Funkspezialist, ein zweiter Historiker und ein Enkel Pnurrsks. Beide entschlüsselten die angeblich so aktuellen Entwürfe, und sie stellten sich als eine jahrtausendealte, reichbebilderte Chronik heraus. Die Kämpfer beugten sich über den Sichtschirm, blätterten, betrachteten, staunten. Schier unglaubliche Fakten mutete ihnen der Fund zu. Bald begannen ihre Fühler zu vibrieren, und einige stimmten ein Gezirpe an, als würde man ihnen die Hinterleiber zertreten. »Das hier ist eine galaktische Sprengladung«, sagte Pnurrsk und seine Stimme zitterte vor Erregung. »Das hier wird eine neue Zeitepoche in der Galaxis Om einleiten...« »Wir werden angegriffen!« Der Hilfeschrei aus der Energiezentrale riß sie in die Gegenwart zurück. »Ringraumer über Nttssl! Fünfundsiebzig neue Ringraumer über Nttssl! Sie greifen an!« 78 »Kopier das!« befahl Pnurrsk seinem Enkel, dem ehemaligen Kommandanten des Goldenen. Er selbst hastete in die Waffenzentrale. Das Hologramm zeigte eine Flotte von fünfzig Ringraumem, deren Intervallfelder in der Atmosphäre von Nttssl aufglühten. Fast gleichzeitig eröffneten sie das Feuer und griffen den Gol' denen Hochverehrten des Tores und Gwerstns
Schiff mit Mix4 an. Die Schutzsysteme der Statue wurden bis an ihre Grenzen belastet, merkwürdigerweise aber auch nicht darüber. Es war, als wollten die Angreifer die Energiekapazitäten des Goldenen nur binden, ihn auf diese Weise neutralisieren, ihn aber keineswegs zerstören. Den ehemaligen Flottenkommandanten wunderte das nicht im geringsten. »Gwerstn!« Pnurrsk Kauscheren rieben gegeneinander. »Sie haben es auf Gwerstns Schiff abgesehen!« Im Hologramm sah man die Umrisse des eroberten Ringraumers hinter einem Vorhang aus Feuer. Gwerstn hatte längst das Intervallum aktiviert und versuchte im Boden zu versinken, um unter der Planetenoberfläche zu entkommen. Doch dem Beschuß von fünfzig Angreifem hielt das Intervallfeld nicht stand. Es brach zusammen. Der schon halb im Boden steckende Raumer wurde aus dem Zwischenkontinuum gerissen, seine bereits im Feld versunkene Hälfte materialisierte gleichsam unterirdisch. Riesige Platten des künstlichen Feldes brachen aus dem Boden, richteten sich am Rand des Ringraumers und aneinander auf. Das Schiff zerbrach unter dem Druck des Gesteins, seine Trümmer explodierten unter dem Beschuß der Angreifer. Kurz darauf meldete die Energiezentrale feindliche Bodenverbände aus allen Himmelsrichtungen. Von fern hörte Pnurrsk eine dumpfe Detonation. Ihm war, als würde der Boden unter seinen Füßen erzittern. »Das Nordschott ist explodiert!« meldete die Energiezentrale. »Mindestens siebzig Eindringlinge!« Panik jagte Pnurrsk das heiße Blut durch Schädel und Hinterleib. »Die Dateien! Wir müssen Sie retten!« Er riß das Mikro unter seine Kauscheren. »Kommandant an Energiezentrale! Konzentriert alle verfügbare Energie auf den Funk! Wir jagen einen Hilferuf durch den Hyperraum!« »Wer soll uns denn hören!?« schnarrte der Funkspezialist. »Wer, 79 Flottenkommandant, wer?! Da ist niemand!« »O doch!« zischte Pnurrsk. »Da ist jemand! Tu, was ich dir sage! Alle anderen werfen sich den Eindringlingen entgegen!« Er diktierte der Funkzentrale den Wortlaut des Notrufes und sprang danach zurück in die Transmitterabteilung, wo der ehemalige Kommandant des Goldenen Hochverehrten des Tores vor den Kontrollen saß und sich anschickte, die Geheimdatei mit der Uraltchronik zu kopieren. »Warte noch!« rief Pnurrsk ihm zu. »Warte, bis sie den Notruf abgesetzt haben! Sie benötigen sämtliche Energiereserven...!« Die Beleuchtung flackerte, Schneegestöber auf dem Sichtschirm des Rechners, und dann die Meldung. »Notruf abgesetzt!« »Jetzt!« rief Pnurrsk. »Jetzt die Daten...!« Wieder flackerte die Beleuchtung, der Sichtschirm erlosch, es wurde dunkel, vollständig dunkel. »Sie haben das Hauptaggregat deaktiviert«, flüsterte eine Stimme aus der Finsternis... Siebenundzwanzig Astronomische Einheiten von Leukos IX/VII entfernt kamen Manlius, Gisol und Simon über Ringtransmitter an Bord der POINT OF. Sie saßen um die Steuerkonsole des Kommandostandes unter der Bildkugel und hielten Kriegsrat. Ren Dhark wirkte nicht nur niedergeschlagen, er war es auch. »Die Mission Herz der Dunkelheit ist gescheitert«, eröffnete er die Kommandeurskonferenz. »Nun geht es darum, mit kühlem Kopf die nötigen Schlüsse zu ziehen und dann zu entscheiden, wie wir weitermachen.« »Die Wimmelwilden müssen die Gefahr eines Angriffs über die Giganttransmitter einkalkuliert haben«, sagte Gisol. »Die Wimmelwilden oder ihre Herren«, korrigierte Manlius. »Wer auch immer dahintersteckt: Den Weg über die Transmitter hat er wirkungsvoll blockiert. Nach Einschätzung meiner Astrophysiker wird es Jahrtausende dauern, bis das System von Leukos IX/VII wieder zur Ruhe kommt.« Niemand widersprach dem Römer. Aus der eigenen Astronomi 80
schen Abteilung wußte der Commander, daß der Gasriese vermutlich eine neue Umlaufbahn finden würde. Auf Grund seiner letzten Berechnungen prognostizierte Bentheim etwa dreizehn Jahrtausende, bis dieser Prozeß abgeschlossen sein würde. Was allerdings geschah, wenn der Planet dann einen erheblichen Teil seiner Masse einbüßte, wagte Bentheim nicht vorauszusagen. »Es beunruhigt mich, wie kaltblütig und wie gezielt sie mit Hyperenergie operieren.« Der Worgun untertrieb bewußt: Es beunruhigte ihn nicht, es entsetzte ihn. »Wir könnten natürlich versuchen, die Koordinaten des Zentralplaneten aus den Datenbanken der EPOY zu rekonstruieren. Immerhin waren wir schon einmal in ihrem Sonnensystem.« Eine Reise, an die Ren Dhark sich nicht gern erinnerte. Er wußte heute nicht mehr zu sagen, wie sie es damals geschafft hatten, ihr nacktes Leben und die schwerbeschädigte EPOY zu retten. »Ich rate dringend davon ab«, ließ sich Simons Sprachmodul vernehmen. »Mit einunddreißig Schiffen ins Herz der Finsternis vorzustoßen, wäre wider alle Vernunft.« »Du vergißt, daß es dort mit großer Wahrscheinlichkeit kein insektoides Leben mehr gibt, Wächter«, widersprach der Worgun in Menschengestalt. »Außerdem sind wir in der vorzüglichen Lage, zehn kampfstarke OvoidRingraumer aus den Werften von Terra Nostra zu unserer Flotte zählen zu dürfen...« »Ich möchte ausdrücklich zu Protokoll geben, daß ich diesen Vorschlag für halsbrecherisch halte!« brauste Manlius auf. »Ich lehne ihn ab!« Gisol winkte mit ärgerlicher Geste ab, und Dhark schüttelte müde den Kopf. »Nein, wir sollten zurück nach Gardas fliegen und eine Großoffensive vorbereiten...« »Hyperfunkimpuls eingegangen!« Glenn Morris9 Stimme dröhnte aus den Bordlautsprechem. Er sprach schnell und ziemlich laut für seine Verhältnisse. »Ein extrem starker Impuls auf offener Frequenz! Die Botschaft muß ja von einem Spiralarm Oms zum anderen hallen!« Ren Dhark sprang auf. »Der Aufklärer? Hat der Aufklärer sich doch noch gemeldet?!« Die anderen von Simon abgesehen sa 81 ßen jetzt kerzengerade auf den Kanten ihrer Sessel. »Nein«, kam es aus der Funkzentrale. »Eine Nachricht in der offiziellen Verkehrssprache der Zyzzkt.« »Auf offener Frequenz? Unverschlüsselt?« Gisol schnitt eine skeptische Miene. »Ausgeschlossen!« »Der Hyperfunkimpuls ist wirklich unglaublich intensiv...!« Der Erste Funkoffizier konnte sich kaum beruhigen. »Er muß über einen jener Gigantsender abgestrahlt worden sein, wie wir ihn von Babylon her kennen!« »Schicken Sie uns den Text auf die Monitore, Morris!« Dhark wandte sich an Gisol. »Dein Job, Erhabener!« Der Worgun beugte sich über eines der Anzeigefelder, auf dem der Hyperfunkimpuls die Gestalt eines Textes angenommen hatte. »Tatsächlich, die Sprache der Wimmelwilden, sogar ihre Koordinaten haben sie in die Galaxis hinausposaunt...« »Lesen Sie die Botschaft bitte vor«, forderte Manlius ihn auf. Gisols Lider verengten sich, er schürzte die Lippen und stieß ein bitteres Lachen aus. »Eine Falle, eine billige Falle!« »Bei allen Göttern Oms, lies endlich!« rief der Commander. »Also gut. >An die Regierung von Terra Nostra, an Gisol den Schlächter, und an alle freien Intelligenzen, die den Glauben an Frieden und Freiheit in Om noch nicht aufgegeben haben... »Millionen von Zyzzkt auf dem Planeten Nttssl und seinen Kolonien rütteln am Joch der Tyrannen. Die Freiheit leuchtete für wenige Tage am Horizont auf, wie der
untergehende Abendstem. Und er sinkt tatsächlich, der Stern der Hoffnung. Mit hundertfacher Überlegenheit wollen sie uns zurück unter ihre Fersen zwingen. Ohne eure Hilfe werden wir untergehen... Ich wiederhole: Ohne Eure Hilfe werden wir untergehen. Und mit uns das Geheimnis der Tyrannen von Orn.Amt für Freundschaft und tätige Reue< beschäftigt, wie
ich dir berichtet habe. Zwar haben wir uns schon vor vielen Jahren entzweit, aber wenn einer
etwas über Kalums Verbleib sagen kann, dann er.«
»Dann sollten wir ihn aufsuchen«, schlug Dhark vor. Dabei wußte er genau, daß sich auch
diese Option möglicherweise nicht mehr bot. Er kannte die Bedeutung dieses Amtes, das eng
mit den Besatzern zusammengearbeitet hatte. Natürlich war es von der Übergangsregierung
aufgelöst worden, und er hatte keine Ahnung, was aus den aktiven Kollaborateuren geworden
war.
Gisol schien die gleiche Überlegung zu hegen. »Eine geringe Chance, aber besser als keine.
Solange das Kraftfeld um Epoy existiert, bleibt uns Zeit, jedem Hinweis nachzugehen.«
Die beiden Männer fuhren alarmiert herum, als hinter ihnen ein Geräusch entstand. Wie von
selbst glitt der Kombistrahler in Gisols Hand zurück. »Nicht schießen!« zischte Dhark, als er
einen Worgun in seiner amorphen Naturgestalt sah, der bewegungslos "n Türrahmen stand.
»Wer bist du?« wandte Gisol sich an den fremden Worgun.
Statt einer Antwort kam der Gestaltwandler näher. »Ich kenne ^ch«, sagte er ungläubig. »Du
bist Gisol, der Rebell. Ich habe in den letzten Tagen eine Menge Berichte über dich gesehen,
die dich auch als... Jim Smith gezeigt haben.«
219 »Ich habe dich gefragt, wer du bist.« »Mein Name ist Garom«, sagte der Worgun. »Und du bist sicher auf der Suche nach deinem Eiter.« Dhark, der bemerkte, daß Garom keinen ID-Dämpfer trug, warf Gisol einen vielsagenden Blick zu. Er wünschte, alle Angehörigen von Gisols Volk hätten diese Eigeninitiative gezeigt. »Du kennst Kalum?« fragte der MysteriousRebell lauernd. »Ich wohnte früher ebenfalls auf dieser Ebene, aber dann habe ich mich in den Kellern versteckt, als die Zyzzkt die Stadt räumten«, sprudelten die Worte aus Garom heraus. »Sie haben die früheren Bewohner mit Transportern in andere Bereiche Epoys gebracht. Kalum war auch dabei. Aber ich wollte nicht schon wieder umgesiedelt werden, deshalb bin ich dorthin hinabgestiegen, wohin die Zyzzkt niemals kamen.« »Kannst du sagen, wohin man Kalum gebracht hat?« Garom produzierte ein Pseudopodium aus seinem Körper und machte ein paar hektische Bewegungen, die Dhark unverständlich blieben. »Ist dein Begleiter einer von diesen... Menschen, die dir gegen die Zyzzkt beigestanden haben?« Gisol bestätigte. »Er ist ihr Anführer und mein Freund.« Obwohl Garom keine menschlichen Augen ähnliche Wahmehmungsorgane formte, fühlte Ren sich intensiv gemustert. Er hatte das instinktive Gefühl, daß sich der Worgun vor ihm fürchtete. »Ich helfe meinem Freund Gisol dabei, seinen Muttervater zu finden.« Garom nannte einen Namen und ein paar weitere Angaben und zog sich eilig zurück. Dhark machte Anstalten, ihn zurückzuhalten, aber Gisol legte dem Terraner eine Hand auf die Schulter. »Laß ihn gehen. Ich kenne die Wohnpyramide, von der er gesprochen hat. Mit der Adresse dürfte es kein Problem sein, Kalum zu finden wenn die Information richtig ist.« Sie war richtig, wie sich herausstellte, als sich die Tür öffnete. Ein Worgun stand vor Ren Dhark, der Garom wie ein Ei dem anderen glich. Jedenfalls in seinen Augen. Bis auf einen kleinen, 220 aber bezeichnenden Unterschied, nämlich den auf den ersten Blick sichtbaren IDDämpfer. »Eiter«, sagte Gisol ergriffen. Seine Stimme zitterte dabei. »Ich freue mich, dich zu sehen.« Einige Sekunden herrschte Schweigen, bis Kalum endlich antwortete. »Ich habe befürchtet, daß du hierher kommst. Aber da du nun schon hier bist, komm herein.« Der Kommandant der POINT OF registrierte beiläufig, daß Kalum sein Kind trotz dessen menschlichem Erscheinungsbild sofort erkannt hatte, weil Worgun über ein Gesicht verfügten, das nur sie selbst wahrnahmen, das Angehörigen anderer Völker aber verborgen blieb. Daran konnten sie sich untereinander jederzeit erkennen. Auch wenn Dhark die Körpersprache des Worgun nicht lesen konnte, entging ihm nicht die frostige Atmosphäre, in der das Wiedersehen zwischen Muttervater und Nachkomme stattfand, zumindest von Kalums Seite aus. Er erinnerte sich an Gisols Schilderung der letzten Begegnung der beiden Gestaltwandler. Sie war alles andere als harmonisch verlaufen. Hinter Gisol betrat er Kalums neue Wohneinheit. Sie war viel kleiner als seine frühere Wohnung. Es handelte sich um ein winziges Einraumapartment, das mit Einrichtungsgegenständen vollgestopft war, die es noch kleiner erscheinen ließen, als es ohnehin schon war. Zudem wirkte es düster, weil es keine Fenster nach draußen besaß, sondern lediglich von Kunstlicht unzureichend beleuchtet wurde. »Warum besucht du mich?« fragte Kalum mit unterkühlter Stimme. »Ich hatte gehofft, dich niemals wiederzusehen.«
»Das behauptest du, aber ich glaube dir nicht«, erwiderte Gisol. »Tief in deinem Inneren sieht es anders aus. Zumindest teilst du meine Freude über unser Wiedersehen ein wenig, schließlich bist du noch immer mein Eiter.« »Ich habe dir bereits bei deinem letzten Besuch gesagt, daß ich das nicht mehr bin. Wie kann ich ein Kind haben, das der meistgesuchte Verbrecher der Galaxis ist?« »Gisol ist kein Verbrecher«, begehrte Dhark auf, erschüttert über die Kälte, die Kalum seinem Nachkommen entgegenbrachte. »Im 221 Gegenteil hat er gegen Unterdrücker gekämpft und stets im Sinne seines Volkes gehandelt.« »Nicht in meinem Sinn«, wehrte Kalum ab. »Und auch nicht im Sinne meiner Freunde und Bekannten. Er ist ein Geächteter, und das hat er selbst zu verantworten. Ich schäme mich für seine verbrecherischen Taten gegen die Verehrten. Für seine Morde!« »Nenn die Sabocaer nicht so!« Gisol griff nach Kalums ID-Dämpfer, um ihn abzureißen. »Den mußt du auch nicht mehr tragen, denn wir sind endlich wieder frei.« Mit einem entsetzten Aufschrei entwand sich Kalum dem Griff. »Du hast dich nicht verändert. Immer noch hetzt du gegen die Verehrten, die so viel Gutes für uns getan haben.« »Die Zyzzkt haben dem Volk der Worgun nichts Gutes getan, sondern es unterworfen und jahrhundertelang belogen und betrogen.« »Das ist Propaganda gegen die Verehrten«, beharrte Kalum auf der huldvollen Bezeichnung, die sich die Insektoiden selbstherrlich verliehen hatten. »Ich glaube kein Wort davon.« »Die Sabocaer waren diejenigen, die uns mit ihrer Propaganda alle ins Verderben gestürzt haben. Sie sind die Lügner, niemand sonst.« Kalum stieß einen schrillen Schrei aus, als er die verbotene Bezeichnung vernahm. »Die Worgun sind nicht das einzige Volk, das von den Zyzzkt vertrieben und zusammengepfercht wurde«, erklärte Dhark. »Sie haben ganz Om unterworfen und zahllose Völker unterworfen. Meist reichte ihnen aber nicht einmal das. Viele Zivilisationen haben sie in ihrem Expansionsdrang einfach vernichtet, vollständig ausgerottet. Wären sie jetzt nicht im letzten Moment aufgehalten worden, hätten sie sogar Epoy mit Giftgas entvölkert.« Er berichtete von dem dramatischen Konflikt um Pscherid und von all den Völkern, die von den Herren von Om vertrieben worden waren und sich im Heerzug der Heimatlosen zusammengeschlossen hatten. »Nein!« schrie Kalum, und er stolperte wie von Schlägen getrieben durch den kleinen Raum. »Ich begreife jetzt, daß Gisol sich mit Wesen umgibt, die genauso verdorben sind wie er selbst.« 222 »Du machst dir etwas vor, Eiter«, beschwor Gisol seinen Muttervater. »Denk einen Moment lang nach, dann erkennst du, daß wir keinen Grund haben, dich zu belügen. Besonders nicht Ren Dhark, der aus seiner eigenen Galaxis Nai nach Om gekommen ist, um uns zu helfen, uns von unserem Joch zu befreien.« Kalum torkelte gegen ein Möbelstück und verharrte regungslos davor. Abgehackte Geräusche entfuhren ihm. Trotz aller bisherigen Erkenntnisse hatte Ren nicht erwartet, daß die permanente Gehirnwäsche durch die Zyzzkt solch einen durchschlagenden Erfolg gehabt haben könnte. Kalum schien jegliches eigenständige Denken verloren zu haben. Einen größeren Gegensatz zu dem Freidenker und Rebellen Gisol konnte es nicht geben. »Wie geht es Lagon?« durchbrach Gisols Frage nach seinem Geschwisterkind Dharks Gedanken. Kalums Körper schien in sich zusammenzufallen. Seine Stimme hatte jegliche Kraft verloren, als er sagte: »Lagon lebt nicht mehr. Er konnte die Schande nicht ertragen, die wir mit der Schließung des Amts für Freundschaft und tätige Reue auf uns geladen haben.« »Was willst du damit sagen?«
»Die Scham über dieses zusätzliche Verbrechen an unseren Wohltätern war zuviel für ihn. Sie hat ihn getötet.« »Er hat... seinem Leben ein Ende bereitet?« Sämtliche Farbe wich aus dem Gesicht Jim Smiths, da Gisol seine Gemütsverfassung auch auf das Äußere der angenommenen Person transferierte. »Dieser Narr! Eigentlich habe ich nichts anderes von ihm erwartet. Wieder ist er den Weg des geringsten Widerstands gegangen, statt auch einmal an dich zu denken.« »Im Gegensatz zu dir hat er immer an mich gedacht.« »Wieso hat er dann zugelassen, daß die Sabocaer dich aus deiner Wohnung gebracht und in diese Absteige gesteckt haben?« »Ich habe den Verehrten meine Wohneinheit gern überlassen«, flüsterte Kalum. Jetzt schien er nicht einmal mehr die geächtete Bezeichnung zu bemerken. »Ich war es ihnen schuldig, und es war das mindeste, was ich tun konnte, um ihnen meinen Dank zu zeigen.« Eine harsche Zurechtweisung lag Ren Dhark auf der Zunge, weil 223 Kalum sogar für seine eigene Vertreibung noch eine Ausrede und Entschuldigung fand, aber er schwieg. Genaugenommen war das nicht seine Sache, sondern die seines Freundes. Doch auch Gisol hatte offenbar eingesehen, daß keines seiner Worte bei seinem Muttervater etwas ausrichten konnte. Schon gar nicht konnte er dessen Meinung ändern. Mit gesenktem Kopf ging er zur Tür, ohne sich noch einmal umzusehen. »Laß uns gehen, Ren«, sagte er nur. Draußen erwartete eine Überraschung in Form von blauem Himmel die beiden Männer. Das goldene Kraftfeld war endlich erloschen. 224 15. Auf dem Rückflug zur POINT OF beobachteten Ren Dhark und Gisol, wie im Zuge des Wiederaufbaus eine der über den ganzen Planeten verstreuten Skulpturen der Zyzzkt abgerissen wurde, die als Mahnmale für die angeblichen Untaten der Worgun gestanden hatten. Diese Tatsache konnte den verzweifelten Gisol aber ebensowenig über seine familiäre Tragödie hinwegtrösten wie Dharks aufmunternde Worte. Erst ein Funkspruch von der POINT OF ließ ihn aufhorchen. Hen Falluta war in der Phase. »Es gibt Neuigkeiten, Commander«, meldete er. »Tino Grappa hat, kaum daß das abschirmende Feld erloschen war, eine starke Flotte im Foru-System angemessen.« »Schiffe der Zyzzkt?« entfuhr es Gisol unwillkürlich. Immerhin hatten die Insektoiden genug Zeit gehabt, sich auf die veränderte Situation einzustellen und weitere Verstärkung zu schicken, die vor Ort nachschauen sollte, was vorgefallen war. »Dann würden wir kaum hier sitzen und in aller Ruhe unseren Kaffee genießen, den keiner so gut macht wie unser Charly«, antwortete der Erste Offizier in seiner zuweilen sarkastischen Art. »Es sind OvoidRingraumer aus neuester römischer Produktion, beinahe 10 000 Einheiten.« Erleichtert atmete Ren auf. »Ich vermute, daß Socrates Laetus und Marcus Gurges Nauta mit an Bord sind.« »Positiv, Sir. Und nicht nur das, sämtliche Schiffe der Zyzzkt sind verschwunden.« »Verschwunden? Geht es etwas genauer?« »Leider nicht, Sir. Wir konnten bisher nicht feststellen...« »Schon gut, Hen«, unterbrach Dhark seinen Ersten. Die Information, daß keine direkte Gefahr mehr drohte, reichte ihm fürs er 225
ste. »Wir sind gleich da.« In der Feme sah er bereits den unitallblau schimmernden Ring seines Flaggschiffs und unterbrach kurzerhand die Verbindung. »Ich freue mich darauf, Margun und Sola wiederzusehen«, bemerkte Gisol und schaffte es sogar, den Anflug eines zuversichtlichen Lächelns in seine Züge zu zaubern. Dhark warf ihm einen fragenden Blick zu. »Alles klar?« »Das nicht gerade, aber ich bin in Ordnung«, winkte der Gestaltwandler ab. »Ich lasse den Kopf nicht hängen, wir ihr so schön sagt. Schließlich haben wir noch eine Menge zu tun.« Ren drückte den Flash tiefer und schleuste ihn ein, während sich in seinem Kopf die Gedanken überschlugen. Gisol hatte recht, die römische Flotte brachte ganz neue Möglichkeiten mit sich. Er dachte an das legendäre Zentrum der Macht. Vielleicht ließ sich sogar ein galaxisweiter Krieg noch verhindern. Auch wenn sämtliche Zeichen auf Sturm standen, war er noch nicht bereit, diese Hoffnung zu begraben. Doch was war aus den anfliegenden Einheiten der Zyzzkt geworden, die Simon gemeldet hatte? Der Wächter hatte von tausend Schiffen und sogar einem Arkan-Riesen gesprochen. Plötzlich katoen Ren die Sekunden wie Ewigkeiten vor. Nachdem der Flash in seinem Depot verankert war, liefen die beiden Männer in die Kommandozentrale, wo der Kommandant schon sehnsüchtig erwartet wurde. Hektische Betriebsamkeit herrschte vor. Die Ortung arbeitete auf Hochtouren. »Die Römer haben das System und besonders Epoy abgeriegelt«, begrüßte Dan Riker die beiden Heimkehrer. »Was ist mit den Ringschiffen der Zyzzkt?« fragte Dhark. »Haben Sie sich zurückgezogen?« »Wir wissen es nicht, Sir«, ergriff der aus Mailand stammende Grappa das Wort. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir kein einziges davon mehr in der Ortung haben. Vielleicht sind sie von den Römern vernichtet worden.« »Erst nachdenken, dann reden«, erwiderte Riker spöttisch. »Weder gibt es Trümmer noch andere Anzeichen einer vorangegangenen Raumschlacht.« »Guter Einwand«, nahm Bebir die Zurechtweisung gelassen hin. 226 »Aber wahrscheinlich bekommen wir gleich eine Erklärung«, meldete sich Glenn Morris aus der FunkZ. »Ich habe Generalmajor Szardak von der RHEYDT in der Phase.« »Durchstellen!« ordnete Dhark an. Im nächsten Moment ertönte die Stimme des ehemaligen Kommandanten der TERRA. »Ich bin froh, daß wir endlich zu Ihnen durchkommen, Sir. Hier oben hat sich einiges getan. Sie erhalten einen ausführlichen Bericht.« »Keine Floskeln, Janos. Das Wichtigste zuerst: Wie viele Verluste gab es beim Untergang der BUDVA?« »Vierzehn Tote, Sir. Captain Jana und der Rest seiner Besatzung wurden von der RHEYDT aufgenommen.« Dem Commander der Planeten fiel ein Stein vom Herzen, denn insgeheim hatte er mit wesentlich mehr Toten gerechnet. »Alles weitere werden Sie mir persönlich berichten. Ich möchte Sie bitten, bei unseren Koordinaten zu landen und sich danach unverzüglich an Bord der POINT OF zu begeben. Ich möchte, daß Laetus und Nauta ebenfalls an unserer Besprechung teilnehmen.« »Ich stand in permanentem Kontakt mit ihnen. Sie sind an Bord der GISOL, dem neuen römischen Flaggschiff, das unter dem Kommando von Raummarschall Martius steht. Ich werde sie informieren.« »Dann laden Sie auch den Marschall ein, und Simon ebenfalls.« Dhark bedankte sich und trennte die Phase.
Erst da fiel ihm auf, daß die Blicke aller in der Kommandozentrale Versammelter auf den
Worgun gerichtet waren. Ihm war klar, weshalb.
»Das neueste römische Flaggschiff trägt deinen Namen«, sagte er zu Gisol. »Eine große Ehre,
aber keiner hat sie mehr verdient als du.«
Gisol deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich werde mich später darüber freuen«, erklärte
er. »Zu einem angemessenen Zeitpunkt.« Von dem niemand sagen konnte, wann der sein
würde.
227
Dhark betrachtete die beiden Römer, die wie üblich in ihre Togen gewandet waren. Nur Gisol
und er kannten inzwischen ihre wahre Identität. Niemand sonst ahnte, daß es sich bei ihnen in
Wahrheit um Margun und Sola, die Erbauer der POINT OF, handelte.
»Ohne unsere römischen Freunde würden wir immer noch hilflos im Raum kreuzen«, begann
Janos Szardak ohne Umschweife. »Ihnen ist zu verdanken, daß das Kraftfeld erloschen ist.«
»Wir haben in uralten Datenbanken, die uns die Worgun einst hinterließen, einen speziellen
Code gefunden, um den Schirm zu durchdringen«, fügte Nauta hinzu. »Offenbar war er noch
immer gültig, denn als wir ihn aussandten, kollabierte das Feld.«
»Das ist keine Erklärung für das Verschwinden der Zyzzkt«, warf Gisol ein.
»Sie wurden vernichtet.«
»Einfach so? Und wieso gibt es keine Trümmer?«
»Weil keine übrig blieben. Es ist, als hätten die Schiffe der Zyzzkt niemals existiert. Das
goldene Schirmfeld ist dafür verantwortlich.«
Nachdenklich rieb sich Ren übers Kinn. »Wie wäre es, wenn jemand mit dem Bericht von
vorne anfinge?« Er nickte Szardak aufmunternd zu. »Das letzte, was wir mitbekommen
haben, waren der Anflug der Zyzzkt-Flotte und die Vernichtung der BUDVA. Von da an
waren wir von den Ereignissen abgeschnitten.«
»Wir wurden von dem goldenen Feld ebenso überrascht wie Sie, Sir«, antwortete der
hochdekorierte Offizier der TF. »Zum Glück ging es den Zyzzkt nicht anders. Ihre Schiffe,
die um Epoy massiert waren, haben sich danach zurückgezogen und der anfliegenden Flotte
angeschlossen. Offenbar wußten sie nicht, was sie tun sollten.«
»Vorher haben wir sie beschäftigt«, fuhr Simon fort, dessen künstlicher Wächterkörper unter
der Deckenbeleuchtung des Konferenzraums rötlich schimmerte. »Aber gegen die gewaltige
Übermacht, die sich dem System näherte, konnten wir nichts ausrichten. Sie hätte uns in
kürzester Zeit aufgerieben, deshalb blieb uns nichts anderes übrig, als aus dem Sonnensystem
in den Leerraum zu fliehen.«
228
»Sie haben richtig gehandelt«, versicherte Dhark. »Wir haben vergeblich versucht, Kontakt
zur Planetenoberfläche herzustellen, aber der Schirm erwies sich als absolut undurchlässig.
Nicht einmal mit To-Richtfunk war etwas zu machen.«
»Nachdem wir das Foru-System verlassen hatten, haben wir in sicherer Entfernung Stellung
bezogen. Von dort aus haben wir die Aktivitäten der unterlichtschnell anfliegenden Zyzzkt
beobachtet«, übernahm wieder Janos Szardak das Wort. »Unsere römischen Verbündeten
haben ARKAN7 identifiziert. Wir haben verschiedene Planspiele zum Eingreifen
durchgeführt, weil wir fürchteten, daß es dem ArkanRaumer gelingen könnte, auf den
Planeten durchzubrechen und das Landekommando anzugreifen. Doch dazu kam es nicht.«
»Weil das goldene Feld die Wimmelwilden attackiert hat«, schloß Gisol.
»Ja, das stimmt. Dank der Fernortung bekamen wir mit, wie sich goldene Lanzen von
ungeheurer Intensität aus dem Planetenschirm lösten. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares
erlebt. Sie zerstörten zunächst die Arkan-Station und danach sämtliche Ringraumer der
Zyzzkt. Die Vernichtung war so umfassend, daß sie sich anschließend nicht mehr rekapitulieren ließ.« »Deshalb gibt es weder Trümmer noch Energierückstände uns bekannter Waffensysteme«, überlegte Dhark. »Bei den ehemaligen technischen Möglichkeiten der Worgun wundert mich nichts.« »Es war ein unheimlicher Anblick, Commander« bestätigte Simon. »Dieses Kraftfeld stellte ein perfektes Abwehrsystem dar. Ich frage mich nur, wieso es so gezielt gegen die Zyzzkt vorging.« »Wahrscheinlich hat ein Mechanismus die Biodaten der Zyzzkt registriert«, erklärte Gisol und berichtete von der Kugelstation im Planetenkem. »Allerdings ist er erst durch das Eindringen der POINT OF aktiv geworden. Ohne die Rückkehr der legendären MASOL hätte er nicht auf die Bedrohung reagiert, wie wir aus Maluks Ausführungen wissen.« »Aber wieso blieb der Schirm auch nach der Vernichtung der Zyzzkt weiterhin aktiv?« »Wir können nur spekulieren, wann er sich von selbst wieder abgeschaltet hätte. Oder wieso nur die Zyzzkt von der Vernichtung 229 betroffen waren. Sie sind ein ziemliches Risiko eingegangen, wieder ins ForuSystem zurückzukehren, Janos, denn Sie hatten keine Garantie, daß die Abwehrwaffen des Schirmfelds nicht auch gegen unsere Schiffe aktiv werden.« »Simon ließ sich nicht davon abhalten, die Probe aufs Exempel zu machen, Sir«, verteidigte sich Szardak. »Wir haben eine Weile abgewartet, bis wir sicher waren, daß keine weiteren Schiffe der Zyzzkt kommen«, erklärte der Wächter. Fasziniert registrierte Ren Dhark die geschmeidigen Bewegungen der annähernd unzerstörbaren Metallegierung des künstlichen Körpers. »Dann habe ich mit der NOREEN WELEAN einen Vorstoß gewagt, um die Sicherheitslage zu testen. Als ich nicht angegriffen wurde, konnten wir davon ausgehen, daß uns keine Gefahr droht. Daher kehrte der terranischrömischworgunsche Verband nach Epoy zurück.« In Janos Szardaks Augen funkelte es unzufrieden. »Trotzdem blieb die Lage alles andere als durchschaubar, zumal es auch in der Folgezeit nicht gelang, Kontakt durch den goldenen Schirm herzustellen. Zumindest so lange nicht, bis Martius' römische Flotte eintraf.« »Wir dachten, die Römer könnten keine Verstärkung schicken?« Ren blickte auf, als ihm urplötzlich bewußt wurde, was das bedeutete. Für die Ankunft der 10 000 römischen Neubauten konnte es nur einen Grund geben. »Die Kämpfe um Gardas sind also beendet?« »Mit den neuen Schiffen ist es gelungen, die Zyzzkt dort entscheidend zu schlagen.« Zum ersten Mal mischte sich Raummarschall Martins in das Gespräch ein. »Einige leisteten auch zuletzt noch Widerstand, aber dabei handelte es sich nicht um mehr als Rückzugsscharmützel der Insektoiden.« »Daraufhin wurde beschlossen, unverzüglich eine starke Flotte zur Unterstützung nach Epoy zu entsenden«, fuhr Nauta fort. »Weitere Schiffe wurden unter starkem Begleitschutz zu verschiedenen Schwarzen Löchern geschickt, um weiteres Ala-Metall zu Tofirit 230 produzieren. Künftig wird unser Kampf gegen die Zyzzkt nicht länger von Treibstoffmangel diktiert werden.« »Laetus und ich haben darauf bestanden, die Flotte nach Epoy zu begleiten, um uns mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß wir den richtigen Code gefunden haben.« »Andernfalls säßen wir jetzt nicht hier zusammen«, sagte Dhark grübelnd. Gedanklich war er bereits einen Schritt weiter. Die verborgene Station hatte ihnen schon einmal geholfen, vielleicht erwies sie sich auch ein zweites Mal als wichtige Hilfe. Er war überzeugt, daß dort noch eine Reihe von Geheimnissen darauf wartete, erkundet zu werden.
Besonders Arc Doorn war ganz heiß darauf, einen weiteren Vorstoß dorthin zu unternehmen,
um die gigantischen Aggregate, deren Sinn er nicht hatte entschlüsseln können, erneut unter
die Lupe zu nehmen.
Ren entschied sich, ihm die Gelegenheit dazu zu bieten. Sein Entschluß stand fest: »Wir
stoßen mit der POINT OF in den Planetenkem vor.«
Im Schutz seines Intervallums senkte sich der Ringraumer durch die feste Materie des
Planeten. Diesmal hatte der Checkmaster den künstlichen Zwischenraum errichtet, er war dem
Schiff also nicht wieder von unsichtbaren Kräften auf gezwungen worden. Ren Dhark hoffte
nur inständig, daß das Bordgehim nicht wieder auf die Idee zur Eigeninitiative kam, die es
nachher nicht erklären konnte.
Oder besser: nicht erklären wollte.
Martius hatte sich wieder an Bord der GISOL begeben, Laetus und Nauta waren geblieben,
weil sie sich von der verborgenen Station im Innern Epoys ebenfalls neue Erkenntnisse
versprachen.
Während die POINT OF durch die verschiedenen geologischen Schichten der Planetenkruste
drang, wurden zahlreiche Standardmessungen vorgenommen. Arc Doorn tigerte in der
Schiffszentrale auf und ab und ging allen Anwesenden mit seiner Ungeduld auf die Nerven.
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Tino Grappa, der unablässig an seinen Ortungseinrichtungen hantierte, schüttelte ungläubig
den Kopf.
»Probleme, Tino?« erkundigte sich Dhark.
»Kann man wohl sagen, Sir«, antwortete der Mailänder mit einem Gesichtsausdruck, der
seine Ratlosigkeit offen demonstrierte. »Ich versuche schon die ganze Zeit, die
Zentrumsstation auszumachen, aber sie läßt sich nicht lokalisieren.«
»Gibt es Probleme mit unseren Einrichtungen?«
»Negativ, alles im grünen Bereich. Die Orter erfassen nur nichts. Weder energetische
Emissionen, noch für einen Planetenkem ungewöhnliche Massenverhältnisse. Lediglich einen
glutflüssigen Kem, wie er zu erwarten ist.«
»Mit anderen Worten, die Orter funktionieren doch nicht«, konstatierte Arc Doorn mürrisch.
»Sie funktionieren einwandfrei, aber was sollen sie anzeigen, wenn es nichts anzuzeigen gibt?
Ich verstehe es ja selbst nicht, aber da ist nichts.«
»Unsinn!« polterte der Sibirier und stapfte zum Instrumentenpult. Unmittelbar davor blieb er
stehen und starrte in die Bildkugel, als könne er sie allein dadurch zum Leben erwecken, aber
natürlich zeigte auch sie unter der Erde nicht mehr als einen grob verwaschenen Hintergrund
aus Grau, der nichts hergab. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß die Station
verschwunden ist? Mal ist sie da und dann wieder nicht? Das ist doch unmöglich.«
Dhark war da anderer Meinung. Wenn es um die Worgun in ihrer Blütezeit oder gar die
mysteriösen Balduren ging, war nichts unmöglich. »Keinerlei Anzeichen für ein energetisches
Abschirmfeld?«
»Kein Jota an Emissionen, aber das besagt nichts. Wenn wir es wirklich mit einem
ausgeklügelten Tarnfeld zu tun haben, kann es so perfekt sein, daß es selbst für die beste
Energieortung unsichtbar bleibt.«
»Dann werden wir trotzdem darauf stoßen, sobald wir den Kem erreichen.« Dhark ging nicht
davon aus, daß das eine Gefahr für sein Schiff bedeutete, auch wenn er nicht wußte, wie
dieses hypothetische Feld strukturiert sein mochte. »Wir behalten den Kurs bei.«
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Arc Doorn zog ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, aber er sagte nichts, obwohl ihm offensichtlich ein Einwand auf der Zunge lag. Ren hatte den Eindruck, daß er nicht mehr an einen Erfolg der Expedition glaubte. Immer tiefer drang die POINT OF ins Planeteninnere vor, und in regelmäßigen Abständen gab Grappa eine kurze Negativmeldung ab. Mit jeder verstreichenden Minute wuchsen auch Dharks Zweifel. Beiläufig registrierte er, daß die beiden Römer eine geflüsterte Diskussion führten. ^k »Wir haben die Zielkoordinaten erreicht«, teilte der Mailänder ^— schließlich mit. »Wie ich bereits sagte, die Orter arbeiten korrekt. Die Station ist nicht hier.« ;|B|. »Dann haben wir uns verflogen«, behauptete Arc Doorn kurz angebunden. Auch wenn es zahlreiche Erklärungen für das Phänomen geben konnte, erschien diese Ren am unwahrscheinlichsten. »Kursabgleichung!« wandte er sich an den Checkmaster. »Stimmt unsere Position mit derjenigen überein, an die du uns bei unserem ersten Vorstoß gebracht hast?« »Position ist identisch«, räumte der Rechner auch den letzten Zweifel aus. »Die Route vom vorherigen Intervallflug war gespeichert und wurde exakt eingehalten.« »Hast du eine Erklärung für die Abwesenheit der Station?« »Negativ. Ich schließe aber aus, daß sie zerstört wurde. Aufgrund der vagen Erkenntnisse unseres ersten Besuchs läßt sich die Heftigkeit einer möglichen Explosion errechnen. Die Folgen wären bis an die Planetenoberfläche zu spüren gewesen und hätten den Ortem auf keinen Fall entgehen können.« »Mit anderen Worten, die Kiste hat auch keine Erklärung«, brachte es der Sibirier auf den Punkt. »Oder sie hat mal wieder ihre eigenen Gründe, uns gewisse Fakten vorzuenthalten.« Leider konnte Dhark diese Möglichkeit nicht ausschließen, aber instinktiv glaubte er diesmal nicht daran. Auch wenn der Checkmaster zuweilen eigenverantwortlich und auf den ersten Blick unverständlich agierte, log er nicht. ^Vielleicht haben wir eine Erklärung«, warf Laetus ein. »Wir 233 haben die Fakten eben diskutiert und sind zu einem möglichen Schluß gekommen.« Ren nickte. Also hatte er sich nicht getäuscht. »Dann laßt mal hören.« »Unser Wissen über die Balduren ist begrenzt, aber offenbar legen sie keinen großen Wert darauf, entdeckt zu werden. Bei ihrer Machtfülle verfügen sie zweifellos über die Mittel, sich zu verstecken. Wenn sie nicht gefunden werden wollen, dann werden sie auch nicht gefunden.« »Diese Befürchtung hatte ich schon während des Anflugs auf diese Position«, mischte sich Doorn ein. »Ich wollte aber nicht als Spielverderber dastehen, solange sich meine Ahnung nicht bestätigt. Leider ist das nun geschehen. Trotzdem bleibt die Frage, wie die Balduren das bewerkstelligt haben. Wenn sie denn tatsächlich dafür verantwortlich sind, und dafür haben wir bisher nicht mehr als Maluks Aussage.« »Wir sind der Meinung, daß wir seinen Worten Glauben schenken sollten. Dann könnte die Station in der Existenz verschoben sein.« »In der Existenz verschoben?« echote Dan Riker. »Darunter kann ich mir ehrlich gesagt nicht viel vorstellen.« »Ich aber schon«, behauptete Doorn. Seine langen roten Haare flogen vor und zurück, als er aufgeregt nickte. »Ich stelle mir das in gewisser Weise wie ein Intervallfeld vor. Was sich im Innern eines Intervallums befindet, gehört auch nicht mehr dem normalen RaumZeitgefüge an, sondern einem Zwischenkontinuum, zu dem wir auf andere Weise mit uns bekannten
Mitteln keinen Zutritt bekommen. Wir könnten es hier mit einer modifizierten Version dieses Felds zu tun haben.« »Zu diesem Ergebnis sind wir auch gekommen«, sagte Nauta. »Nur daß im vorliegenden Fall alles, was von dem Feld eingeschlossen ist, zudem gegen normaloptische Sicht wie auch gegen energetische oder andere Nachforschungen gefeit ist.« »Und damit völlig unsichtbar.« Der Gedanke schien dem sibirischen Technikgenie zu gefallen. »In der Existenz verschoben eine bessere Bezeichnung wäre mir vermutlich auch nicht eingefallen.« 234 »Sie halten das also auch für möglich, Are?« fragte der Kommandant der POINT OF. »Durchaus, Sir. Nur eines verstehe ich dabei nicht.« »Und das wäre?« »Daß ich nicht selbst darauf gekommen bin.« Dhark konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während Laetus den Sibirier mit einem demütigen Lächeln bedachte. »Sehen Sie es uns nach«, bat er, »daß wir diesmal schneller waren als Sie. Immerhin konnten Nauta und ich das Problem zusammen erörtern.« »Stimmt«, murmelte Doorn, während er sich in eine andere Ecke der Zentrale trollte. »Mit ein wenig Unterstützung von Chris Shanton oder dem jungen Robert Saam wäre ich eindeutiger Punktsieger geworden.« »Die Balduren werden ihre Gründe haben«, wurde Riker wieder ernst. »Allerdings verstehe ich sie nicht. Zwar sorgten sie sich anscheinend um Epoy und trafen entsprechende Vorkehrungen gegen eine mögliche Invasion der Zyzzkt, machten diese Gefahrenabwehr aber von der Präsenz der POINT OF abhängig. Wäre sie nicht gekommen, hätten die Balduren nichts zur Rettung des Planeten und seiner Bevölkerung getan.« »Diese Vorgehensweise ist uns ebenfalls ein Rätsel.« Nauta gab dem Commander und Gisol einen unauffälligen Wink und trat ein wenig abseits. Als er sicher war, daß niemand sonst von der Besatzung ihn hören konnte, sagte er: »Uns ist vor kurzem noch etwas anderes eingefallen, und zwar betrifft es den Code, der den goldenen Planetenschirm abschaltete. Wir haben ihn keineswegs in einer alten Datenbank gefunden.« »Aber warum diese Lüge?« »Um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Wir haben den Code damals von Dalon auf Deluge erhalten. Angeblich sollte er uns weiterhelfen, wenn wir jemals auf die goldenen Götter treffen.« Die goldenen Götter die Balduren. Allmählich begriff Ren. Mit der Wahrheit über die Geschehnisse auf Hope, die über tauend Jahre zurücklagen, hätten die beiden Akademiepräsidenten auch ihre wahre Identität offenlegen müssen. »Jedenfalls hat dieser Code gewirkt.« 235 »Ja, zu unserem Erstaunen, denn wir hatten selbst unsere Zweifel. Um die Wahrheit zu sagen, hatten wir ihn längst vergessen und erinnerten uns nur aufgrund des goldenen Schutzfelds daran. Dennoch bezweifelten wir, daß wir damit etwas gegen den Schirm würden ausrichten können.« »Denn wir selbst hatten ja nie Kontakt zu den Balduren, und das glaubten wir im Grunde genommen auch nicht von Dalon, dessen ganze Geschichte, mit der er uns damals konfrontierte, doch zu phantastisch klang. Doch offenbar haben wir uns in unserer Einschätzung getäuscht.« »Zumindest müssen wir sie überdenken. Aber einen Grund, warum die Zentrumsstation nur in Anwesenheit der MASOL eingriff, sehe ich immer noch nicht.« Noch weniger begreife ich, wieso sie sich jetzt vor dem Schiff versteckt, dachte Ren. Er kam zu dem Schluß, daß es nichts brachte, im Kem des Planeten auszuharren und auf ein Wunder zu warten, das womöglich niemals eintrat.
»Rückkehr an die Oberfläche!« ordnete er an. Dort wartete bereits ein aufgeregter Martius mit Neuigkeiten auf die POINT OF. »Im gesamten Imperium der Zyzzkt sind Kämpfe ausgebrochen«, verkündete der römische Marschall. »Aus zahlreichen Sektoren Oms kommen gleichlautende Meldungen unserer Spione und Aufklärungseinheiten.« Skeptisch hörte Ren Dhark sich die Neuigkeiten an. »Aber wieso? Gehen die Zyzzkt etwa aufeinander los?« »Die Hintergründe sind unklar, aber allem Anschein nach hat die Führungsstruktur der Zyzzkt nach unseren jüngsten Erfolgen einen gewaltigen Schlag bekommen. Offenbar herrscht ein ziemliches Durcheinander unter den verschiedenen Gruppierungen.« »Dann dürfen wir nicht länger zögern«, forderte Gisol, den die Aussage geradezu elektrisierte. Dhark konnte seine Aufregung mit Händen fassen. »Wenn die Meldungen stimmen, müssen wir die Unruhen zu unseren Gunsten 236 nutzen. Eine solche Gelegenheit kommt wahrscheinlich so schnell nicht wieder.« »Trotzdem dürfen wir nicht blind nach vom stürmen«, wehrte Martins ab. »Wir müssen genau überlegen, was wir tun, und besonnen handeln.« »Überlegen? Was gibt es da zu überlegen? Auf diesen Augenblick haben wir lange gewartet, deshalb müssen wir jetzt zuschlagen.« »Unmöglich. Terra Nostra ist noch nicht bereit für einen Frontalangriff. Dazu reichen unsere Kräfte nicht aus.« Demonstrativ drehte Gisol sich um. Verärgerung zeichnete sich in seinem Gesicht ab, und seine Lippen bebten. Er setzte zu einer harschen Antwort an, aber Ren Dhark kam ihm zuvor, um eine offene Konfrontation zu vermeiden. »Martins hat recht«, beruhigte er den ehemaligen Rebellen der Mysterious. »Die Raumschiffsproduktion in den Werften läuft auf Hochtouren, aber die in Dienst gestellten Raumer reichen noch lange nicht aus. Bis es soweit ist, ist ein Einsatz an neuralgischen Punkten sinnvoller. Wir dürfen unsere Kräfte nicht verzetteln. Wir müssen auf den richtigen Moment warten.« »Wenn ich in meinem Leben immer nach dieser Maxime gehandelt hätte, würde ich heute noch auf Chssrrt Sklavendienste für die Wimmelwilden verrichten. Ihr habt vielleicht alle Zeit des Universums, mein Volk aber nicht.« »Du läßt dich wieder einmal von deinem jugendlichen Hitzkopf leiten, von dem du mir erzählt hast. Wir können nicht blindlings nach Om hinausstürmen und einen Mehrfrontenkrieg führen. Soweit ist unsere Logistik noch nicht.« »Ganz meine Meinung«, pflichtete der römische Marschall Dhark bei. »Dank unserer inzwischen unbegrenzten Energie Vorräte und der täglichen Produktion von sechshundert Ringraumem neuster Bauart sind wir endlich in der Lage, Terra Nostra und Epoy wirkungsvoll zu verteidigen. Unsere beiden Welten sind die gefährdetsten Planeten in ganz Om, deshalb muß ihnen zunächst unser Hauptaugenmerk gelten. Nur noch auf Epoy gibt es Worgun in nennenswerter Zahl. Mit dieser Welt steht und fällt das Schicksal der Hohen!« 237 Gisol schwieg eine Weile, dann nickte er. »Es ist nur so, daß ich so lange auf die Freiheit gewartet habe, und nun, da sie endlich erreichbar scheint, soll ich noch länger warten. Ich habe mich so sehr ans Kämpfen gewöhnt, daß ich den Krieg beinahe herbeisehne.« Ren Dhark fuhr sich durch die weißblonden Haare. Da er über dieses Thema ganz anders dachte, übermannte ihn wieder die Hoffnung, den seit Jahrhunderten währenden Konflikt auf friedliche Weise zu beenden. Er wollte einfach nicht akzeptieren, daß Krieg die einzige Lösung mancher Probleme war.
Nicht für dieses, und auch nicht für andere. Jedenfalls nicht, solange er auch nur die vage Vorstellung einer Alternative hatte. »Wir sollten nicht alles auf die militärische Karte setzen«, beharrte er und betrachtete die Versammelten der Reihe nach. »Vielleicht gelingt es uns, den drohenden Krieg zu verhindern, der ganz Om erschüttern wird, wenn er erst ausbricht.« »Mit den Wimmelwilden kann man nicht verhandeln, das müßtest du allmählich wissen.« »Aber man kann es zumindest versuchen.« »Auch auf die Gefahr hin, hohe Verluste zu erleiden?« gab Martins zu bedenken. »Sie wissen, daß ich ebenfalls für eine friedliche Lösung bin, Commander Dhark, aber wie Gisol schätze ich unsere Aussichten auf Erfolg als äußerst gering ein.« »Ich sehe sie überhaupt nicht. Wenn du immer noch der Meinung bist, vernünftig mit den Zyzzkt reden zu können, hast du die Geschichte nicht verstanden, Ren. Oder du hast meine Schilderungen der Vergangenheit bereits wieder vergessen.« Gisol betrachtete seinen menschlichen Freund lange und nachdenklich, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Andererseits kenne ich dich inzwischen gut genug, um genau zu spüren, daß du einen bestimmten Plan hast.« Dhark nickte. »Ich schlage einen weiteren Flug ins Zentrum der Macht vor. Wenn wir auf diplomatischem Weg etwas erreichen können, dann dort.« »Unmöglich!« In Dan Rikers Gesicht zeichnete sich Unverständnis ab. »Mußt du unbedingt mal wieder mit dem Kopf durch die Wand? Vergiß nicht, daß die Zyzzkt uns bei unserem ersten 238 Vorstoß in ihren Kemsektor trotz unserer Tamfelder bemerkt haben. Ihren raffinierten Ortungsfeldem kann man nichts vormachen.« »Aber auch sie haben uns nicht davon abhalten können, in die innerste Kugelschale vorzudringen.« e »Trotzdem hätten ihre Schiffe uns beinahe erwischt.« l »Aber nur beinahe. Die Erfahrungen, die wir damals gewonnen haben, werden wir jetzt nutzen. Wir kennen den Aufbau des Zentrums der Macht und das Sicherungssystem und können uns darauf einstellen.« Dhark wandte sich an die Römer. »Was halten Sie davon?« »Wir dürfen Dan Rikers Einwände nicht überhören, und Gisol ist wohl der gleichen Meinung«, antwortete Laetus nach kurzem Nachdenken. »Ein weiterer Vorstoß in die Höhle des Löwen birgt ein großes Risiko in sich.« »Aber ein Risiko, das vertretbar ist angesichts der möglichen Verhinderung eines Kriegs, der ganz Om in seinen Strudel reißen wird«, widersprach Nauta. »Da kann ich dem Commander nur zustimmen.« »Aber diesmal gibt es keinen Alleingang, sondern wir starten mit einer schlagkräftigen Streitmacht.« »Was kein Problem ist«, gab sich Martius geschlagen. »Allerdings starten wir nicht mit der gesamten Rotte. 2000 Schiffe bleiben hier, um Epoy zu sichern. Wir können nicht ausschließen, daß hier schon bald wieder Zyzzkt auftauchen.« »Wenn es so ist, schließe ich mich ebenfalls der Mehrheit an«, verkündete Gisol. »Ich möchte nur nicht, daß Epoy ungeschützt zurückbleibt. Zur Zeit steht meine Welt einem Angriff sonst nämlich schutzlos gegenüber.« »Dan?« »Was fragst du mich, Ren? Du machst ja doch, was du willst.« Martius veranlaßte umgehend eine Aufteilung seiner Streitmacht. 8 000 neue römische Schiffe sollten mit den dreißig verbliebenen Schiffen von Ren Dharks Flotte ins Zentrum der Macht vorstoßen, während die restlichen an den Grenzen des Foru-Systems ausschwärmten und eine mehrfach gestaffelte Kugelschale um Epoy bildeten. 239
Es wurde entschieden, daß Gisol, Laetus und Nauta an Bord der POINT OF blieben, da allein sie mit ihrer besonderen historischen Bedeutung auf dem Zentralplaneten der Zyzzkt landen sollte. Neben diesem psychologischen Effekt für die römischen Kämpfer besaß ein einzeln operierendes Schiff zudem mehr Bewegungsfreiheit als eine Gruppe, selbst wenn die zentral gesteuert wurde. Dharks übrige Schiffe und Martins" 8000 Raumer sollten im Zielgebiet für die nötige Sicherheit sorgen und die Rückendeckung geben, die die POINT OF für einen erfolgreichen Durchbruch benötigte. Die Vorbereitungen waren rasch abgeschlossen, und wenige Stunden später setzte sich die Flotte in Marsch. 240 16. Die Schiffe rasten mit einem Überlichtfaktor im knapp zweistelligen Millionenbereich durch den Raum, mit einem Vektor, der auf einen Sektor nahe des galaktischen Zentrums von Om ausgerichtet war. Auf die Verbotene Zone zu, in der das Zentrum der Macht verborgen war, eine ausgedehnte Zone, die von konzentrisch angeordneten, kugelförmigen Feldern umgeben war, die jedes einfliegende Schiff registrierten. Auch der hochentwickelte römische Tamschutz half dagegen nicht. Das äußere Feld hatte einen Durchmesser von stattlichen dreihundert Lichtjahren, jede darin eingebettete Kugelschale war zwanzig Lichtjahre kleiner. »Negative Beschleunigung einleiten, sobald es innerhalb der Kugelschalen erforderlich wird«, wandte sich Ren Dhark an den Checkmaster, der die Flotte im Verbund steuerte. Obwohl es bei der Expedition weitgehend auf Schnelligkeit ankam und jede Sekunde zählte, durfte nicht zum zweiten Mal die gleiche Panne eintreten. Diesmal verließ er sich auf die Fähigkeiten des Rechners. Sobald sie in die innere Kugelschale eindrang, mußte die Flotte stark genug abgebremst sein, sollte es sie nicht zerreißen. Denn dort gab es ein Dämpfungsfeld, das Intervallfelder zusammenbrechen ließ und somit jeglichen Flug mit Stemensog unmöglich inachte. Die EPOY war übergangslos von einem Tempo von mehr als eine Million Überlicht in den Normalraum und auf Unterlichttempo zurückgerissen worden, was ihr beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Denn die kritische Grenze für diesen Rücksturz lag bei einem ÜL-Faktor von einer Million. »Die Zyzzkt werden uns wieder einen heißen Empfang bereiten. Mir reicht noch das KatzundMaus-Spiel von letztem Mal«, murmelte Arc Doorn vor sich hin. »Sobald wir die äußere Kugelschale erreichen, geht alles wieder von vom los.« 241 »Aber dieses Mal gibt es keinen wirren Zickzackkurs und keine Ausweichmanöver. Wir nutzen unsere Geschwindigkeit zum Durchstoßen«, widersprach Ren Dhark. »Wir müssen durch sein, bevor die Zyzzkt reagieren.« »Das haben wir beim letzten Mal auch versucht. Was daraus geworden ist, wissen wir alle.« »Genau, nämlich die Informationen, die wir jetzt benötigen, um erfolgreich zu sein«, hielt ihm Gisol entgegen. »Man soll sein Schicksal nicht zweimal auf die gleiche Weise herausfordern«, beschwerte sich der Sibirier. »Aber auf mich hört ja eh keiner.« »Wenn ich mich nicht sehr täusche«, mischte sich Nauta ein, »sind Ihre Einwände nichts als Phrasen. Um nichts in der Welt würden sie diesen Flug versäumen wollen.« »Insgeheim sind Sie sogar ein absoluter Befürworter«, stimmte Laetus zu. »Gestehen Sie ruhig, daß die Schlappe mit der Zentrumsstation von Epoy noch immer in Ihnen rumort.« Doorn verzog entsetzt das Gesicht. »Ich fasse es einfach nicht. Da reißt man sich den Hintern auf, und dann werden einem solche menschlichen Eifersüchteleien angedichtet. Über so etwas stehe ich doch. Ich verleihe lediglich meinen begründeten Befürchtungen um unser aller
Wohlergehen Ausdruck, und deren Berechtigung können weder Sie noch sämtliche größenwahnsinnigen Mysterious leugnen.« Gisol warf ihm einen protestierenden Blick zu. »Anwesende natürlich ausgeschlossen«, beeilte sich Doorn anzufügen. »Wenn Ihre Nerven plötzlich so empfindlich sind, empfehle ich einen starken Kaffee von Charly«, warf Hen Falluta sarkastisch ein. »Oder einen kräftigen Tropfen.« »Ich heiße doch nicht Shanton.« Dhark und der Erste Offizier grinsten, aber dann holte die Wirklichkeit die Männer wieder ein. Die Flotte jagte durch die äußere Kugelschale, und nur wenige Sekunden später zeigte die Passivortung das Resultat. Dutzende von Ringraumem der Zyzzkt rasten aus verschiedenen Richtungen auf die Stelle zu, an der die über 8000 Schiffe in den überwachten Bereich eingedrungen waren. 242 »Ich habe es ja gesagt«, stellte Doorn mit einem kurzen Blick auf die Anzeigen fest. »Aber immerhin, die Burschen laufen ins Leere.« Denn die Zyzzkt konnten die Flotte nicht orten. Ihre tastenden Strahlen wurden von den Ortungsschutzvorrichtungen nicht reflektiert, sondern umgelenkt. Sie wußten, daß sie ungebetene Besucher hatten, aber nicht, wohin die unterwegs waren. Und noch etwas anderes konnten sie nicht feststellen. »Hoffentlich glauben die Sabocaer möglichst lange, es wieder mit einem einzelnen Eindringling zu tun zu haben.« Gisols Blick ruhte auf der Bildkugel, wo von den Zyzzkt nichts zu sehen war. Doch die Passivortung gestattete keinen Zweifel, aber da waren die Eindringlinge längst auf dem Weg zur nächsten Kugelschale. »Damit ist es aus, sobald sie uns normaloptisch zu Gesicht bekommen.« Und das würde nicht lange dauern. Es bestätigten sich die Erfahrungen, die mit der EPOY gemacht worden waren. Bei jedem weiteren Flug durch ein Feld stieg die Anzahl der alarmierten Zyzzkt-Ringraumer. Gespannt verfolgte die Zentralebesatzung die Ereignisse. Immer noch war es zu keinem direkten Feindkontakt gekommen und kein einziger Schuß gefallen. Das wird sich ändern, dachte der Kommandant. Spätestens wenn wir innen sind. Der Sibirier sah das Unheil viel schneller auf sie zukommen. »Als hätten wir in ein Wespennest gestochen. Sie stellen sich auf unseren Kurs ein und erwarten uns.« Der Checkmaster hatte die drohende Gefahr ebenfalls erkannt und reagierte mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit, als er die Flotte einen Haken schlagen ließ. Ununterbrochen führte er Messungen und Analysen durch, damit nicht plötzlich eine Sonne oder gar ein Planetensystem in Flugrichtung stand, das womöglich Stützpunkte der Zyzzkt unterhielt oder gar besiedelt war. Die Tatsache, daß deren Ringschiffe bei einem von den Kugelfeldem ausgelösten Alarm immer so schnell zur Stelle waren, deutete auf zahllose Startbasen hin. Außerdem waren Scharen von Patrouillen u! dem stemenreichen Gebiet unterwegs. 243 »Wir werden beschossen!« »Zyzzkt! Wo kommen die denn her?« »Mittels Kurztransition aus dem Hyperraum. Nun haben wir den Salat«, stieß Doorn aus. »Gerade eben haben wir ein weiteres Feld durchstoßen, und diesmal haben sie verdammt schnell reagiert. Viel zu schnell für meinen Geschmack.« Damit war der Vorteil der Unsichtbarkeit dahin.
»Feuer frei!« gab Dhark den Waffensteuerungen durch. Die Sinnlosigkeit war ihm klar, obwohl sie seinem Befehl augenblicklich nachkamen. Bei der Geschwindigkeit der Flotte blieben die Zyzzkt in Sekunden unerreichbar zurück, doch es schadete nicht, ein wenig Verwirrung zu stiften. Abermals änderte der Checkmaster den Kurs für sämtliche Schiffe. Ren kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Wie viele Felder hatten sie bereits durchdrungen? Wie viele lagen noch vor ihnen? Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich. Das Bordgehim bremste dramatisch ab, um der Intervallbremse im zentralen Kugelsektor nicht in die Falle zu gehen. Mein Gott, ging es ihm durch den Sinn. Es ist fast soweit. In Gedanken bereitete er sich auf die letzte Etappe vor. Sie kam schneller, als er erwartete. »Die letzte Kugel!« erreichte ihn Gisols vor Anspannung bebende Stimme. Dessen Hände waren zu Fäusten verkrampft, an denen die Knöchel weiß hervortraten. Da halfen auch hundert Jahre Kampferfahrung nicht. »Dann also mal Butter bei die Fische« brummte Arc Doorn, auf einmal scheinbar wesentlich gelassener als alle anderen. Doch innerlich war er nicht weniger aufgewühlt. Nicht einmal die so sachlich wirkenden Römer konnten sich davon freisprechen. »Es ist wie immer mit Ihnen, Ren. Alles oder nichts. Irgendwann wird uns das Glück verlassen.« Aber nicht heute, dachte Dhark und war sich gleichzeitig darüber im klaren, daß sein Wille allein keinen Einfluß auf die Ereignisse hatte. Nicht bevor ich diesen elenden Krieg verhindert habe. Seine Augen richteten sich auf die Kontrollen. Es reichte noch nicht! Die Geschwindigkeit war immer noch zu hoch. Doch der Checkmaster beging keinen Fehler. Rasend schnell wurden die 244 eingeblendeten Zahlen kleiner, und dann unterschritten sie die magische Grenze von einer Million ÜL. Im Normalfall verlor der abrupte Übergang von Stemensog zu SLE unterhalb dieser imaginären Grenze seine Gefahr. »Wir stoßen durch!« krächzte irgendwer. »Jetzt!« 900000 facher Überlichtfaktor. Die Zahl brannte sich in Dharks Verstand. Geschafft! l Sie erlosch schlagartig wieder, als das Dämpfungsfeld des Kemsektors gnadenlos zuschlug. Sämtliche Intervalle kollabierten, die POINT OF und mit ihr die ganze Flotte wurde von titanischen Kräften übergangslos auf Unterlicht geschleudert. »Zahlreiche Transitionen!« Das war Tino Grappa. Diesmal verloren die Zyzzkt keine Sekunde. Verbundsteuerung aufheben! richtete Ren Dhark einen blitzschnellen Gedankenbefehl an den Checkmaster. Von allen Seiten stürzten sich die Insektoiden auf die Flotte. Obwohl sie in der Unterzahl waren, griffen sie mit allem an, was sie vorzuweisen hatten. Trotz der relativistischen Geschwindigkeit war binnen Sekundenfrist eine ausgewachsene Raumschlacht im Gange, und nun zeigte sich, über welchen Vorteil Dharks Flotte verfügte. »Auch die Intervalle der Zyzzkt-Schiffe funktionieren nicht«, stellte Arc Doorn fest. »Ein großer Pluspunkt für uns.« Denn die Raumer der Eindringlinge besaßen noch ihre Kompaktfeldschirme, die sich ebenfalls nicht so leicht knacken ließen. Martius zögerte keinen Augenblick. Die römischen Einheiten teilten sich auf und stellten sich dem Gegner. Noch waren sie in der Überzahl, und das nutzte der Raummarschall aus. Doch schon zeichnete sich ab, daß sich die quantitative Situation in den nächsten Minuten umdrehen würde. »Weitere Transitionen erfolgen. Zyzzkt bauen einen Sperrkordon in Flugrichtung auf.«
»Unsere früheren Erkenntnisse bestätigen sich. Achtzig Sonnensysteme liegen im Kemsektor.« Damit war die Dichte im unmittelbaren Zentrum der Macht am 245 größten. Verwaschene Lichtflecken, die mit aberwitziger Geschwindigkeit vorbeihuschten, tauchten vor der POINT OF auf und blieben gleich darauf wieder hinter ihr zurück. Die Meldungen in der Zentrale überschlugen sich, während die Bildkugel das Geschehen im Raum übertrug und gleichzeitig taktische Einspielungen vornahm, die die Gesamtlage anzeigten. »Von wo kommen die meisten Transitionen?« fragte Dhark. Vielleicht irrte er sich, und die Zyzzkt kamen anteilmäßig zu etwa gleichen Teilen aus sämtlichen umliegenden Sonnensystemen. Wenn sich allerdings herausstellte, daß sie überproportional stark von einem bestimmten System aus sprangen, handelte es sich dabei vermutlich um das eigentliche Zentralsystem. »Gibt es ein Schema in den Sprüngen?« »Schwer zu sagen bei all den Ortungsimpulsen«, antwortete Grappa. »Bei den Tausenden von Energieechos wird alles andere überlagert. Die Fernortung liefert kaum vernünftige Daten.« »Nicht auf die Emissionen achten.« Selbst in einem solchen Moment hielt es Doorn nicht an einer Stelle. Er tanzte vor dem Instrumentenpult hin und her. »Ich nehme mir mal die Aufrisse des Raum-Zeitgefüges vor, die bei Transition und Wiedereintritt entstehen. Die künstlich erzeugten Kontinuumsanomalien werden uns mehr verraten.« Die Bedienungsmannschaften der beiden Waffensteuerungen hatten unterdessen alle Hände voll zu tun. Die Antennen der POINT OF hämmerten Nadel und Dust ins Alls hinaus, wo die irrlichtemden Strahlenlanzen gierig nach ihren Zielen tasteten. Doch auch ohne Intervall brauchten sie eine Weile, um die Unitallpanzerung eines Raumschiffs zu knacken, wenn sie gezwungen waren, ihre Schlagkraft auf mehrere Ziele aufzuteilen. Als viel effektiver erwiesen sich die Wuchtkanonen, mit denen nur die POINT OF und die NOREEN WELEAN noch nicht ausgerüstet waren. Wo eine der auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Tofiritkugeln einen Volltreffer landete, zerriß es das Zielobjekt buchstäblich. Doch selbst bei Querschlägern war die Wirkung noch verheerend, weil das Tofirit dann in Energie umwandelt wurde, und zwar in gigantische Mengen, weil selbst kleinste Tofiritbrocken extrem viel Masse besaßen. 246 Ren Dhark hielt die POINT OF ein wenig abseits vom Kampfgeschehen, weil sie über keine Wuchtkanone verfügte, mit der sie die gleichen Erfolge erzielen konnte wie die Neuentwicklungen. Dennoch konnte sie den Kampfhandlungen nicht gänzlich aus dem Weg gehen, sondern mußte sich ihrer bläulich schimmernden Haut erwehren. Sie wurde kräftig durchgeschüttelt, als sie einen Treffer erhielt. Für zwei oder drei Sekunden badete sie im Licht rosaroter Nadelstrahlen, die sich zerfließend um den KFS legten, und wirkte wie ein mit Zuckerguß überzogener Gebäckkringel, dann setzte sich Rens Erfahrung als Pilot durch. Niemand konnte so gut mit dem Ringraumer umgehen wie er. Zuweilen hatte er das Gefühl, daß sein metallener Leib nur eine Verlängerung seines eigenen Körpers war. Lange bevor Yaar es schaffte, durch den Kompaktfeldschirm zu dringen und die Unitallhülle auch nur ansatzweise in Energie umzuwandeln, hatte er sie aus dem tödlichen Griff befreit und trieb sie mit einer Geschwindigkeit, die sich menschlichem Begriffsvermögen entzog, an der Peripherie der Hauptstreitmacht entlang. Und wer außer der Besatzung eines Raumschiffs konnte neunzig Prozent LG schon wirklich nachvollziehen? »Gute Arbeit, Alter«, kommentierte Dan Riker. »Aber allzu oft sollten wir uns so nicht erwischen lassen.« Was ohnehin nicht sehr wahrscheinlich war. Denn bei relativistischen Geschwindigkeiten war eine genaue Zielerfassung selbst mit Rechnerunterstützung eine Kunst für sich. Trotzdem
wurde Dhark mit einem Mal die ungewohnte Verletzbarkeit klar, der sein Schiff ausgesetzt war, als ihm der Sinn von Rikers Worten aufging. Sie alle waren daran gewöhnt, daß der schnittige Ringraumer vom verläßlichen Intervallfeld geschützt wurde. , Das sich jetzt aber nicht mehr aufbauen ließ. l Dafür aber der KFS. Doch dessen tatsächliche Leistungsfähigkeit und ob er überhaupt mit einem Intervallfeld konkurrieren , konnte mußte sich erst noch erweisen. l »Was machen Ihre Berechnungen, Are? Ich warte auf Ergebnisse.« »Ich auch, Ren«, antwortete der Sibirier in seiner zuweilen re 247 spektlos anmutenden Art, der Gisol nicht besonders viel abgewinnen konnte. »Ich tue, was ich kann, aber ein alter Mann ist nun mal kein DZug. Die zahlreichen Strukturaufrisse überlagern sich teilweise. Grappa hat recht, da draußen tobt das Chaos.« »Wenn es auf diese Weise nicht klappt, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen«, drängte Nauta. »Unser Überraschungsmoment ist dahin, und es läßt sich absehen, wann wir umkehren müssen.« »Bis dahin bin ich dreimal fertig.« »Kriegen Sie das wirklich hin, Are?« erkundigte sich der Commander ungeduldig. Auch ihm entging nicht, daß seine Flotte inzwischen den gesamten Raumsektor aufgescheucht hatte. Längst wußte auch der letzte der Zyzzkt, was auf ihren ursprünglichen Herrschaftsbereich zukam. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, wenn es nicht klappt, aber dann muß ich das möglichst schnell wissen. Also?« »Sicher, aber ich brauche noch ein paar Minuten.« »Die kriegen Sie, mehr aber auch nicht.« Denn der Raum war inzwischen voll von Ringschiffen der Zyzzkt. Die Zahlenverhältnisse hatten sich eklatant umgekehrt. Auch wenn damit immer noch keine wirkliche Gefahr für die Flotte bestand, kam es doch zu vereinzelten Ausfällen, und jeder davon schmerzte Ren. Die ungleich reichere Blutemte hielt aber unter den Zyzzkt Einzug. Der Macht der Wuchtkanonen, die der in manchen Dingen naive und so unbekümmert wirkende Robert Saam quasi so nebenbei aus dem Ärmel seines schöpferischen Werks gezogen hatte, hatten sie nichts entgegenzusetzen. Doch sie dachten nicht daran, auch nur eine Lichtminute Raum preiszugeben. In Wellen warfen sie sich der Flotte entgegen, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben zu nehmen. »So etwas wie Selbsterhaltungstrieb scheinen die Zyzzkt nicht zu kennen«, überlegte Leon Bebir. »Das liegt an ihrem kollektiven Sozialsystem, scheint aber trotzdem nur auf den ersten Blick so«, widersprach Gisol. »Ich habe einige Zyzzkt persönlich kennengelernt. Wenn es ihnen an den Panzer geht, verhalten sie sich nicht anders als andere Lebewesen 248 auch. Sie wollen weiterleben, denn trotz allem verfügen sie über ein gewisses Maß an Individualität.« Was er besonders in der zyzkktischen Drogenhölle im Narm-System erfahren hatte. »Schwer zu glauben.« Wie um Bebirs Zweifel zu bestätigen, warfen sich die ungeschützten Ringe der Insektoiden den ihnen hoffnungslos überlegenen Wuchtkanonen entgegen. Wrackteile und zahllose ausglühende Unitallgerippe trieben im Raum, der erfüllt war von Strahlenbündeln und den dazwischen aufblitzenden Lichtpünktchen, wenn eine Ringröhre in einer heftigen Eruption verging. Die POINT OF huschte zwischen zwei Zyzzkt-Raumem hindurch, die unversehens zu ihren Flanken aus dem Hyperraum fielen. Dhark zwang sie in eine enge Kurve und vermied eine Kollision. Aufgrund der fehlenden Intervalle war selbst eine Kollision der Schiffe möglich. Bud Clifton und Jean Rochard in WSWest und WSOst lösten die Waffensysteme im gleichen Moment aus. Der Feuerschlag fiel so schnell und präzise über die Zyzzkt her, daß ihnen nicht
mal Zeit blieb, sich nach der Retransition zu orientieren. Dem konzentrierten Punktbeschuß aus jeweils zwanzig Antennen hielt auch das Unitall nicht stand. Bevor sie wußten, wie ihnen geschah, existierten sie schon nicht mehr, sondern trieben hinter der POINT OF als verwehende Gaswolken im Raum. »Bingo!« ertönte Arc Doorns Stimme. »Ich habe es. Aber die Sucherei hätte ich mir sparen können. Gesunder Menschenverstand hätte es nämlich auch getan.« »Ich will kein Rätselraten«, wies Ren den Sibirier zurecht. »Was haben Sie entdeckt?« •l »Daß das Zentrum der Macht seinen Namen nicht von ungefähr trägt. Es liegt tatsächlich im exakten Zentrum der Kugelschalen. Jedenfalls kamen aus dem dort angezeigten Planetensystem mehr Schiffe der Zyzzkt als aus allen anderen System zusammen. Damit dürfte die Sache ziemlich klar sein.« Das sah der Kommandant der POINT OF ebenso, und genaugenommen war es nur logisch. Hätte die Erde über eine ähnliche Warneinrichtung verfügt, wäre das menschliche Planetensystem der Mittelpunkt davon gewesen. 249 »Verbundsteuerung wieder aufnehmen«, instruierte er den Checkmaster. »Hältst du es für machbar, unsere gesamte Flotte per Transition auf einen Schlag zu den von Arc Doorn ermittelten Koordinaten zu bringen?« »Kein Problem«, antwortete das Bordgehim lapidar. Doorn grinste. »Da soll mir noch mal einer Überheblichkeit vorwerfen. Gegen diesen Kasten bin ich die Bescheidenheit in Person.« »Der Hyperkalkulator der MASOL ist nicht überheblich, sondern stützt sich auf Fakten«, versetzte Nauta trocken. »Ich etwa nicht?« »Schluß jetzt!« fuhr der Commander dazwischen. Transition einleiten! wandte er sich an die Gedankensteuerung. Und dann nichts wie weg von hier, Gut 8000 Raumschiffe sprangen gleichzeitig. Eine vertraut wirkende blaue Sonne prangte im Mittelpunkt des Systems. »Sprung erfolgreich durchgeführt«, meldete Hen Falluta. »Flotte hat Übergang vollständig mitgemacht. Die POINT OF steckt mittendrin.« Beeindruckt nahm Ren Dhark die veränderten Eindrücke in sich auf, die die Bildkugel lieferte. Eigentlich war seine Frage nur hypothetisch gewesen, aber der Checkmaster überraschte ihn immer wieder aufs neue. Obwohl er inzwischen einiges von dem Rechengehim gewöhnt war, stellte die koordinierte Transition einer solchen Anzahl von Raumschiffen eine Meisterleistung dar. Zudem hatte der Checkmaster die Flotte wieder zu einem zusammenhängenden Pulk geformt. »Dieser Kasten hat es wirklich drauf«, war Arc Doorn der gleichen Meinung. Dhark warf den beiden Römern einen kurzen Blick zu. Er konnte den Stolz über ihre Schöpfung aus ihren Gesichtern ablesen. »Die Sonne sieht aus wie Foru«, stieß Gisol fassungslos aus. »Wundert dich das wirklich?« fragte Dhark. »Nach dem, was 250 wir von Pnurrsk erfahren haben, war davon auszugehen. Wenn wir in diesem System auf abtrünnige Worgun treffen, die sich als Herrscher aufspielen, ist das doch klar. Bei der Auswahl eines Machtzentrums werden sie Wert auf die gleichen Bedingungen wie in der Heimat gelegt haben.« Gisol gab keine Antwort. Die Erkenntnis, daß es womöglich mutierte Worgun waren, die als Herrscherkaste hinter den Zyzzkt standen, konnte er nicht so rasch verarbeiten.
»Die Übereinstimmungen sind nicht nur äußerlich«, kam die Bestätigung von Dharks Worten aus der Astrophysik. »Wir haben es bei der Sonne mit exakt der gleichen Spektralklasse zu tun wie bei Foru. Insgesamt wird sie von 23 Planeten umlaufen, von denen einer eine Sauerstoffwelt von der Größe Epoys ist. Er hat auch annähernd den gleichen Abstand vom Zentralgestirn.« »Raumschiffstarts werden angemessen«, meldete Grappa plötzlich. »Das gesamte System verwandelt sich in einen Hexenkessel.« Wo eben noch scheinbare Ruhe geherrscht hatte, trat überbordende Aktivität ein. Die Kontrolleinrichtungen des Instrumentenpults erwachten zu hektischem Leben. Außer den Gasplaneten waren offenbar sämtliche Welten zu Flottenstützpunkten und Festungen ausgebaut. Überall starteten Ringraumer und jagten ins All hinaus. Ren Dhark reagierte sofort. »Verbundflug aufheben. Erhöhter Alarm für die Waffensteuerungen. Sämtliche Waffensysteme in Bereitschaft. Was ist mit der Sauerstoffwelt?« l »Keine Starts von dort.« Also handelte es sich möglicherweise um eine reine Wohnwelt. Über planetare Abwehrforts mochte sie dennoch verfügen. »Mit wie vielen Gegnern haben wir es zu tun?« »Noch keine genaue Angabe möglich. Es sind jetzt schon mehrere tausend Einheiten im Raum, aber es folgt ein unaufhörlicher Strom.« »Taktische Anzeige in der Bildkugel!« m Die sich aufbauende Darstellung bestätigte die Meldungen. Eine Flut von Symbolen stellte die Ringschiffe der Zyzzkt dar. Noch riß , der Strom nicht ab. Diesmal mobilisieren sie alles, dachte Ren. Sie werfen ihre letz' 251 ten Reserven in die Waagschale. Denn zweifellos war es noch nie zuvor einem Eindringling gelungen, bis in die Kernschale der verbotenen Zone vorzudringen. Auch Gisol war bei seinen früheren Exkursionen immer frühzeitig entdeckt und gejagt worden. Doch wieviel konnten die geheimen Herrscher noch aufbieten? »Funkspruch von der GISOL«, meldete Manu Tschobe. »Martius ist in der Phase.« »Herein damit!« »Wir halten der POINT OF den Rücken frei«, begann der Römer anstelle einer Begrüßung. »Was immer Sie tun wollen, Ren Dhark, tun Sie es jetzt.« »Keine weiteren Starts«, warf Grappa dazwischen. »Der Checkmaster zählt knapp 40 000 Ringschiffe der Zyzzkt.« Rens Gedanken überschlugen sich, das war eine Überzahl von fünf zu eins. Und die Zyzzkt würden alles daransetzen, ihn nicht zu nahe an die Sauerstoffwelt herankommen zu lassen. Er hegte keinen Zweifel, daß nur sie sein Ziel sein konnte. Wie sollte er es mit SLE erreichen? »Kommen Sie mit der starken Übermacht der Zyzzkt zurecht, Martins?« ; »Die sehe ich nur rechnerisch«, beruhigte ihn der Raummarschall. »Sowohl unsere Defensiv wie auch Offensivwaffen sind ihnen um ein Vielfaches überlegen.« Wie bereits vor der Transition kompensierte dieser Umstand die fünffache Übermacht der Insektoiden. Ren registrierte, daß die Kämpfe im Raum bereits begonnen hatten. »Da hol mich doch der Teufel!« fluchte Arc Doorn lautstark. »Diese hinterhältigen Kerle!« »Schiffe der Zyzzkt gehen in Intervallflug über«, übersetzte Falluta Doorns Ausbruch in eine für alle verständliche Sprache. »Intervalle hoch!« konterte Dhark in Gedankenschnelle und schaute zur taktischen Anzeige, wo sich die beschleunigten Flugmanöver der Insektoiden in hektischer Aktivität niederschlugen. Mühelos ließen sich die Intervallfelder aufbauen, also war das Dämpfungsfeld tatsächlich erloschen und die eben noch von Martius proklamierten Vorteile von einem Moment auf den anderen dahin. Denn auch die Unitallhüllen der Zyzzkt-Einheiten waren 252
wieder zusätzlich geschützt. Zwar konnten die Römer nach wie vor auf die Stärke der Wuchtkanonen bauen, aber auch deren Wirkung hatte sich dramatisch verringert. »Ich lasse den Angriff abbrechen«, kündigte Martius an. »Flotte geht in Defensivformation.« Der Anfang vom Ende, ging es Ren durch den Kopf. Eine zweite Chance erhalten wir nicht. So nah kommen wir nie wieder ran. »Wie beurteilen Sie Ihre Lage, Martius?« »Schwer zu sagen, denn die Zyzzkt stellen Ihre Taktik bereits um. Eine Zeitlang halten wir durch, aber jede Minute ist wertvoll. Wir halten die Position so lange wie möglich, aber wir können auf keinen Fall weiter vorstoßen. Letzten Endes wird uns nichts anderes übrig bleiben als der Rückzug.« Also zumindest eine kurze Galgenfrist. Dhark dachte an den Sauerstoffplaneten und die Tatsache, daß von dort kein einziges Ringschiff gestartet war. War dort die letzte Eingreifreserve stationiert? Oder gab es dort keine Schiffe? Ohne zu zögern traf er eine Entscheidung. »Wir nehmen unsere letzte Chance wahr. Die POINT OF fliegt den Sauerstoffplaneten an. Ich möchte Sie bitten, so lange wie möglich durchzuhalten, Martius.« »Wir tun, was wir können, Commander, aber ich kann Ihnen nicht viele Schiffe zur Unterstützung mitgeben.« Stumm schüttelte Ren den Kopf. Eine Eskorte hätte ohnehin nichts gebracht, denn auch ein Umschalten war sinnlos. Selbst mit Stemensog würde er nicht durchkommen. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Und sobald die POINT OF Kurs auf die Zentralwelt gesetzt hätte, würden die Zyzzkt mit all ihrer zahlenmäßigen Stärke über sie herfallen Es gab nur eine Alternative. »Keine Unterstützung, Martius«, erwiderte er. »Verschaffen Sie uns nur die Zeit, die wir brauchen.« Zielvektor auf die Sauerstoffwelt, schickte er einen stummen Befehl an die Gedankensteuerung. Intervall runter! Kurztransition! Und wieder sprang die POINT OF. 253 Ein harter Schlag traf die POINT OF und schüttelte sie durch, kaum daß sie am Rand der Atmosphäre aus dem Hyperraum fiel. Gleichzeitig war sie in waberndes Licht getaucht, das von der Planetenoberfläche nach ihr griff. Die Abwehrmechanismen handelten ohne Zeitverzögerung. Bevor irgendwer reagieren konnte, fuhr der Checkmaster die Intervalle hoch, doch ohne den eingeschalteten Kompaktfeldschirm wäre die POINT OF da bereits vernichtet gewesen, so massiv war der Feuerschlag. »Unzählige goldene Gigantstatuen«, stellte Arc Doorn fest. »Allesamt Zyzzkt und um die sechs Kilometer hoch.« Ren Dhark nahm die Ausführung des Sibiriers kommentarlos hin. Es waren die typischen planetaren Abwehrforts der Verteidiger, die er in dieser oder in humanoider Form inzwischen von zahlreichen Welten kannte. Natürlich hatte er sie auch hier erwartet. »Sind Schiffe der Zyzzkt in der Nähe?« fragte er, während er den Ringraumer durch die Atmosphäreschichten und der Planetenoberfläche entgegenjagte. »Negativ. Es werden auch keine Starts angemessen.« Wie ein Insekt im Netz der Spinne hing das Flaggschiff der Terranischen Flotte im Kreuzfeuer der Gigantstatuen. Das Intervallfeld wurde bereits bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit beansprucht. Mit zusammengepreßten Lippen, die zwei blutleeren, fahlen Strichen glichen, starrte Dhark auf die Anzeigen. Wenn das Intervallum sich verabschiedete, bohrte er sein Schiff geradewegs in die äußere Planetenkruste. Doch er dachte nicht daran, die Richtung zu ändern, denn den Erfassungsoptiken der Statuen konnte er damit nicht entrinnen. Den Rückzug in den Raum anzutreten kam ebenfalls nicht in Frage.
»Heilige Maria Mutter Gottes!« entführ es Doorn, als die POINT OF endlich die Oberfläche
des Planeten durchstieß und im Boden versank, wo sie vor weiterem Beschuß sicher war.
»Das war mal wieder knapp, knapper, am knappsten.«
»Kein Grund zur Panik«, beschwichtigte Laetus. »Für so etwas ist die MASOL konstruiert.«
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»Das glauben Sie doch selbst nicht«, wehrte Dan Riker mürrisch ab. »Manchmal kann ich die
Leier von der Überlegenheit der Mysterious nicht mehr hören. Selbst ihrem kleinen
Wunderwerk sind Grenzen gesetzt.«
Der Meinung konnte sich Dhark nur anschließen. Auch er fand, daß die beiden falschen
Römer bei all ihrer Genialität und ihren vollbrachten Leistungen zuweilen übertrieben, wenn
es um ihr technisches Meisterwerk ging. Aber das sagte er nicht, sondern richtete seine Worte
an die Ortung.
»Beim Anflug habe ich Wohnburgen der Zyzzkt gesehen. Wie viele davon konnten wir
anmessen?«
»Es liegen keine definitiven Zahlen vor, weil sie zu zahlreich sind«, wurde er enttäuscht. »Die
Wabenburgen sind über den gesamten Planeten verteilt. Die gesamte Oberfläche ist mit ihnen
bebaut. Lediglich um die goldenen Statuen herum finden sich freie Plätze von jeweils fünfzig
Kilometern Durchmesser.«
»Die Statuen stehen auch auf dem gesamten Planeten?«
»Es gibt keine Region, die frei von ihnen ist.«
Das half ihnen nicht weiter, denn es bedeutete, daß die POINT OF nirgendwo ungefährdet an
die Oberfläche zurückkehren konnte. Gleichgültig wo sie aus dem Untergrund auftauchte, sie
würde sofort wieder unter Beschuß geraten. Eine nähere Erkundung dieser Welt schied damit
von vornherein aus.
»Anscheinend sind wir in eine Sackgasse geraten«, überlegte Gisol. »Ich habe die
Gigantstatuen noch nirgendwo so flächendeckend erlebt wie hier.«
Dhark ebenfalls nicht. Wenn es wirklich noch eines Beweises fiir die herausragende
Bedeutung dieser Welt bedurft hätte, stellte das unüberwindliche Abwehrbollwerk dar.
»Was hast du vor, Ren? Wie ich dich kenne, wirst du auf keinen Fall umkehren.«
»Sicher nicht.« Aber es brachte auch nichts, sich zu verstecken. Früher oder später mußten sie
den Kopf wieder aus der Deckung nehmen. »Wir werden Kontakt zu den Herrschern
aufnehmen.«
»Damit verraten wir sämtlichen Zyzzkt-Schiffen im Sonnensystem unseren Standort.«
»Nicht unbedingt«, erhob Nauta die Stimme. »Natürlich dürfen
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wir nicht den normalen Funkverkehr benutzen, sondern Ultrakurzwellen. Aufgrund der
geringen Sendereichweite können sie im Weltraum nicht abgehört werden.«
»Gute Idee«, befand Laetus. »Vielleicht können wir die Herrscher zu Verhandlungen
bewegen.«
Ren nickte. Genau deswegen waren sie schließlich hergekommen. Mit einem unguten Gefühl
dachte er daran, daß draußen im Raum inzwischen eine ausgewachsene Raumschlacht tobte,
und er hatte keine Ahnung, wie lange Martius' Flotte ihre Position halten konnte und wie viele
Opfer die Römer dabei zu beklagen hatten. Er wies die FunkZ an, eine entsprechende Phase
einzurichten und nickte den beiden Römern aufmunternd zu.
Kurz darauf kam die Bestätigung von Walt Brugg. »Sie können sprechen. Wenn es in einem
Umkreis von maximal 150 Kilometern einen Empfänger gibt, kommen wir durch.«
»Wir rufen die Herren der Zyzzkt«, begann Nauta. »Wir kommen nicht in feindlicher Absicht, sondern um mit Ihnen zu reden. Wir bitten um Einstellung der Kampfhandlungen.« In der Zentrale der POINT OF herrschte gespannte Stille, aber außer einem kaum hörbaren Prasseln blieb der UKW-Empfänger stumm. Dhark schüttelte den Kopf, als er erkannte, daß Gisol drauf und dran war, das Wort zu ergreifen. Er kannte den Worgun lange genug, um befürchten zu müssen, daß der mit seiner impulsiven Art Nautas Vorstoß zunichte machte. Der Akademiepräsident wiederholte seine Worte. »Wir bieten Ihnen Verhandlungen statt Krieg an«, fuhr er fort und versicherte: »Wir können Ihr Dilemma verstehen. Sie sorgen sich nur um Ihre Sicherheit.« Wieder verstrichen die Sekunden, ohne daß eine Antwort kam. »Das bringt doch nichts.« Gisols Mimik drückte aus, daß er die Worte des Römers für Zeitverschwendung hielt. »Die denken gar nicht daran, uns zu antworten wenn sie die Nachricht überhaupt empfangen.« »Lassen wir ihnen noch ein wenig Zeit«, widersprach Dhark. Etwas anderes konnten sie ohnehin nicht tun. Doch auch seine Hoffnung schwand. »Ich rufe die Herren der Zyzzkt«, wagte Nauta einen weiteren 256 Versuch. »Wir wissen, daß in Ihrem Imperium interne Kämpfe ausgebrochen sind, die früher oder später auch in Ihren zentralen Machtbereich schwappen werden. Uns ist nicht an weiteren Kämpfen gelegen. Sie müssen uns glauben, daß wir uns mit Ihnen verständigen wollen.« Nichts geschah, und Dharks Hoffnung, daß die geheimnisvollen Worgunmutanten mit sich reden ließen, sank wie die seiner Weggefährten beinahe bis auf den Nullpunkt. Plötzlich trat Laetus vor. »Eine Möglichkeit gibt es noch«, sagte er und suchte den Blickkontakt zu seinem Kollegen. »Ich hatte gehofft, daß es nicht nötig sein wird, uns zu offenbaren, aber offenbar ist nun der Zeitpunkt gekommen.« Die Augenpaare sämtlicher in der Kommandozentrale Versammelter richteten sich auf ihn, weil niemand verstand, was er meinte. Nur Dhark und Gisol begriffen augenblicklich. Rens Vermutung bestätigte sich, als Laetus den Faden wieder aufnahm. E »Margun und Sola an Bord der MASOL rufen die Herren der Zyzzkt. Wir kommen, um mit Ihnen zu reden.« Schlagartig setzten Tumulte in der Zentrale der POINT OF ein. Margun und Sola] Unmöglich! Oder doch nicht? Alle riefen ungläubig durcheinander, als der Römer seine wahre Identität preisgab. An den überraschten Ausbrüchen erkannte er, daß der Commander sie bisher wirklich vor seiner Besatzung geheimgehalten hatte. »Bitte, meine Herren«, verschaffte sich Dhark Gehör. »Etwas mehr Disziplin. Wir haben immer noch eine offene Phase.« In der es nach wie vor teilnahmslos prasselte. Dafür trat in der Schiffszentrale wieder Ruhe ein, nur einige geflüsterte Debatten ließen sich nicht unterbinden. Jetzt oder nie, dachte Ren. Wenn die geheimen Herrscher sich auch nach dieser Offenbarung nicht meldeten, würden sie es überhaupt nicht mehr tun. Als er schon nicht mehr daran glaubte, wurde das statische Prasseln von einer ausdruckslosen Stimme durchbrochen. »Hier spricht Gangol vom Planeten Morpok. Wir schicken Ihnen einen Peilstrahl.« 257 17. Eine Erklärung folgte der anderen, während Ren Dhark die POINT OF zurück an die Oberfläche Morpoks steuerte, und nun wurde auch der Rest der Besatzung eingeweiht. Im allgemeinen waren Raumfahrer damit vertraut, sich blitzschnell auf eine neue Lage und veränderte Gegebenheiten einzustellen, weil häufig ihr Leben davon abhing. Doch die Wendung mit den beiden Römern war zu sensationell, als daß irgendwer sie auf die Schnelle verdaut hätte.
Die legendären Margun und Sola an Bord des Schiffs, das sie vor Generationen selbst entworfen hatten! Arc Doorn fand in der Kommandozentrale als erster die Sprache wieder. »Nun wundert mich nicht mehr, daß Laetus und Nauta... Verzeihung, daran muß man sich erst gewöhnen, daß also Margun und Sola sich an Bord immer irgendwie wie zu Hause benommen haben.« »Ich hoffe. Sie sehen uns das nach.« »Sicher wenn Sie mir dafür verraten, welche kleinen Geheimnisse die POINT OF noch für uns bereithält, auf die wir bisher noch nicht gestoßen sind. Da gibt es doch bestimmt noch welche.« Margun lächelte. »Die gibt es in der Tat, allerdings...« »Allerdings ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür, Are«, mischte sich Dhark ein. »Wir haben andere Sorgen. Auch wenn wir eine Feuerpause erwirkt haben, sind wir alles andere als in Sicherheit. Jedenfalls haben wir keinen Grund, in unserer Wachsamkeit nachzulassen.« Bis zum Horizont erstreckten sich die goldenen Statuen nämlich in alle Richtungen. Sie schössen nicht mehr, sondern streckten ihr^ Arme teilnahmslos zum Himmel, doch dieser Umstand konnte sich jederzeit wieder ändern. Der momentane Waffenstillstand war eine 258 fragile Angelegenheit, die beim kleinsten Fehlverhalten binnen Sekundenfrist wieder in Gewalt umschlagen konnte. Doorn murmelte etwas Unverständliches und widmete seine Neugier den Darstellungen in der Bildkugel. Der Planet, der vollständig mit den archaisch anmutenden Wabenburgen der Zyzzkt und ins Riesenhafte vergrößerten goldenen Abbildern der Insektoiden bedeckt war, präsentierte dazwischen immer wieder Waldstreifen und ausgedehnte grüne Oasen, die aber im Vergleich zur Bebauung klein und unscheinbar wirkten. Für Menschen besonders einladend erschien Morpok somit nicht. Die Peilung leitete die POINT OF in eine äquatomahe Zone des Planeten, und die Landmasse des großen Kontinents blieb hinter ihr zurück. Tiefblaues Wasser zog unter ihr dahin. »Anscheinend ist eine Insel unser Ziel«, bemerkte Hen Falluta. »Hervorragend«, knödelte Arc Doorn. »Wenn wir das hinter uns haben, bin ich ohnehin reif für die Insel.« Niemand achtete auf ihn. Dhark studierte die hereinkommenden Daten, als der Ringraumer dem Peilsignal folgend langsam tiefer ging. Es war tatsächlich eine Insel, allerdings eine von der Ausdehnung Grönlands. »Subtropisches Klima. Sieht fast aus wie auf der Erde.« Denn auf der Insel standen keine Wabenburgen der Insektoiden. Im Gegenteil war sie im Vergleich zum Rest des Planeten weitgehend naturbelassen. Neben Urwald gab es zahlreiche Parks, zwischen denen vereinzelte Schlösser dezent ins Landschaftsbild eingepaßt waren. »Da unten steht nur ein einziger Goldener«, las Gisol von den Anzeigen ab. »Von ihm geht das Peilsignal aus.« »Status seiner Waffen?« »Nicht besonders vertrauenerweckend. Die Ortung meldet hohe Energiewerte. Die Waffen sind auf Bereitschaft geschaltet, der Bursche kann also jederzeit zum Leben erwachen.« Das gefiel Dan Riker nicht besonders. »Bei solch einem freundlichen Willkommen bleibt das Intervallum vorläufig oben, und diesmal will ich keine Widerworte hören, Ren.« Immerhin war es beruhigend, es mit nur einer Riesenstatue zu tun zu haben. Trotz 259 ihrer Größe konnten die Waffensysteme der Goldenen vom Kontinent Ziele auf dieser Insel nicht erfassen.
»Schon gut.« Dhark flog eine weite Schleife und entdeckte Bewegungen am Fuß der Gigantstatue. Irgend etwas ging dort unten vor sich. »Ausschnittvergrößerung!« Gleich darauf erkannte er eine Gruppe von neun Gestalten, die dem anfliegenden Ringraumer entgegensahen. »Zyzzkt!« entfuhr es Falluta. »Jedenfalls auf den ersten Blick.« Aber auch nur auf den ersten Blick, dachte Ren. Die Wesen, die wie Zyzzkt erschienen, waren zu groß, und, wie die Massenortung feststellte, auch zu schwer. Zweifellos handelte es sich um die großen, 75 Kilogramm schweren Herrscher, die in Wahrheit mutierte Worgun waren. Sie standen einfach da und warteten darauf, daß die MASOL mit ihren legendären Erbauern Margun und Sola landete, waren dabei aber von einem starken Intervallfeld geschützt. Sie sind nicht wie wir! Was hatte diese Aussage des auf Gesst vor seinen Jägern geretteten Tzrrp Dhark damals zu denken gegeben. Heute verstand er sie um so besser. Er reduzierte die Fluggeschwindigkeit bis beinahe zum Stillstand und schaltete auf AGrav um. Auf dem dämpfenden Polster senkte die POINT OF sich auf das freie Feld vor dem Goldenen herab, wo sie schließlich zum Stillstand kam. »Waffensysteme der Statue noch immer aktiv?« »Positiv. Messungen ergeben permanente Einsatzbereitschaft.« »Sie melden sich wieder.« Manu Tschobe legte den einkommenden Spruch auf die Lautsprecher, so daß die gesamte Zentralebesatzung die Botschaft mithören konnte. Sie war kurz und bündig. »Wir erwarten Margun und Sola.« »Aber nicht allein«, warnte Gisol hinter vorgehaltener Hand, damit die abtrünnigen Worgun seine Bedenken nicht mitbekamen. »Das könnte eine Falle sein. Diesen Mutanten traue ich noch weniger als den Wimmelwilden.« Ren Dhark machte eine zustimmende Geste, denn auch ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, die beiden Römer ohne Unterstüt 260 zung zu den Worgunmutanten gehen zu lassen. Er brachte einen diesbezüglichen Einwand vor, und Margun nickte. »Wir bedanken uns für die Einladung«, sagte der Römer, »würden aber gern ein paar Begleiter mitnehmen, die ebenfalls neugierig auf Sie sind.« »Dagegen ist nichts einzuwenden. Bringt so viele Begleiter mit, wie ihr wünscht«, antwortete die tonlose Stimme. »Sobald ihr das Schiff verlaßt, schalten wir das Intervallfeld ab, damit ihr zu uns gelangen könnt. Als Zeichen eurer Aufrichtigkeit und zu unserer Sicherheit erwarten wir, daß die MASOL ihre Intervalle ebenfalls senkt, auch den zusätzlichen Schutzschirm, über den sie verfügt. Sobald ihr, Margun und Sola, bei uns seid, werden wir aus Sicherheitsgründen unser Feld wieder einschalten, was der MASOL natürlich gleichfalls zusteht.« »Wir sagten, daß wir um des Friedens Willen kommen, deshalb sind wir mit euren Bedingungen einverstanden.« »Dann ist es auch unnötig zu erwähnen, daß wir keine Waffen tragen und das gleiche von unseren Gästen erwarten.« Skeptisch verzog Gisol das Gesicht. »Das gefällt mir nicht, Ren. Wenn die Mutanten Margun und Sola unter ihrem Intervall haben, sind sie eindeutig im Vorteil. Dann können sie uns ihre Bedingungen diktieren.« »Deshalb werden die beiden auch nicht allein gehen. Du und ich werden das großzügige Angebot annehmen und unsere römischen Freunde begleiten.« »Leg noch ein paar Cyborgs drauf, und ich bin zufrieden.« »Das hatte ich ohnehin vor. Stewart, Sass, Oshuta, Burton und Cindar kommen mit. Einen besseren Schutz gibt es nicht. Gegen die Cyborgs können die Worgunmutanten nichts ausrichten.«
»Hoffentlich erweisen sich diese Vorsichtsmaßnahmen als unbegründet«, unkte Arc Doorn.
»Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Übrigens würde ich auch gern an dem kleinen
Ausflug teilnehmen, Commander.«
»Diesmal nicht«, wehrte Dhark ab. »Ihr technisches Genie ist ausnahmsweise einmal nicht
gefragt, Are. Statt dessen setzen wir auf Diplomatie, und wie ich Sie kenne...«
»... fürchten Sie, ich könne mit meiner direkten Art alles ka
261 puttmachen«, fuhr der Sibirier säuerlich fort. »Schon verstanden... Sir. Der Mohr hat seine
Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.«
»Nicht beleidigt sein, Are. Benachrichtigen Sie lieber die Cyborgs, damit die sich
bereitmachen.«
Fünf Minuten später brach die kleine Gruppe auf.
»Ein sinnloser Fußmarsch«, beschwerte sich Sola. »Wir hätten Flash nehmen sollen.«
»Die Anweisungen der Herrscher waren eindeutig. Wir wollen sie doch nicht verärgern.«
»Aber der Gestank ist kaum zu ertragen.« Sola rümpfte angewidert die Nase, während er über
den asphaltierten Untergrund schritt. Auch Ren Dhark hatte den Eindruck, kaum atmen zu
können. In seinem Magen rumorte es, und er mußte seinen Ekel niederkämpfen, als er an die
Ursache für den penetranten Gestank dachte.
Er rührte von den 23 Milliarden toter Zyzzkt her, die an Gisols Pilzsporen zugrunde gegangen
waren. Es war Verwesungsgeruch, der sich bleischwer über den gesamten Planeten gelegt
hatte. Morpok war eine Welt des Todes, in der allein die Worgunmutanten überlebt hatten.
Denn ihre Exoskelette sahen zwar aus wie Chitin, bestanden aber aus Worgungewebe, das für
die Sporen, die Gisol mittels Transmitter auf diese Welt befördert hatte, nicht anfällig war.*
Die unzähligen Wabenburgen an der Planetenoberfläche waren entvölkert und zu riesigen
Mausoleen geworden, in denen die sterblichen Überreste wahrscheinlich noch immer lagen.
Wer sollte sie auch abtransportieren? Und wohin?
Ren ertappte sich dabei, wie er sich nach Leichen umschaute, aber zumindest der weiträumige
Bereich um die goldene Statue war von ihnen freigeräumt worden. Falls es hier überhaupt
welche gegeben hatte, aber er vermutete eher, daß auf dieser Insel niemals
Angehörige der Insektoiden gelebt hatten. Die vereinzelten Schlösser und das Fehlen von
Wabenburgen deuteten darauf hin, daß das Eiland ausschließlich den geheimen Herrschern
der Zyzzkt vorbehalten war.
& »Ich lese deine Gedanken, mein Freund«, flüsterte Gisol an seiner Seite. »Die Geschichte
wiederholt sich. Ist es nicht das, was dir durch den Kopf geht?«
Unwillkürlich erinnerte sich der Commander der Planeten an Gisols nächtliche
Schilderungen. Dabei hatte er unter anderem zugegeben, schon einmal, wenn auch nur
aufgrund der Verkettung einer Vielzahl unglücklicher Umstände, 500 Milliarden Zyzzkt
umgebracht zu haben.* Ren schob den Gedanken beiseite, weil er ihn von dem ablenkte, was
vor ihm lag. Wenn es ihm und seinen Begleitern nicht gelang, auf diplomatischem Weg eine
Annäherung zu erzielen, würde Om möglicherweise in einem Meer aus Blut und Tränen mit
noch weitaus mehr Opfern versinken.
l »Ich sagte dir schon einmal, daß du zu diesem Thema keine befriedigende Antwort von mir
erhalten wirst.«
»Ist auch nicht nötig.« Gisol streckte einen Arm aus und deutete über sich. »Das Intervallfeld
hat sich wieder aufgebaut. Wenn unsere Gastgeber schlechte Laune haben, sitzen wir in der
Falle. Dann kann uns auch die POINT OF nicht herauspauken.«
Ganz wohl war auch Ren Dhark bei dem Gedanken nicht. »Wir müssen ihnen eben vertrauen.
Ich betrachte es schon als großen Erfolg, daß sie uns empfangen.« Und damit war das Ende
der Fahnenstange hoffentlich noch nicht erreicht.
»Vertrauen?« Gisol sah seinen Freund an, als hätte der den Verstand verloren. »Macht ihr das mal, aber das ist etwas für dich, Margun und Sola. Die Cyborgs und ich werden hingegen um so mehr die Augen offenhalten und diesen nachgemachten Wimüielwilden auf die Fühler schauen.« Als sie die Herren über das Imperium der Zyzzkt erreichten, fühlte Ren sich erneut an die Begegnung auf Gesst erinnert. Die Wesen in den mattschwarzen Chitinpanzem waren viel größer als 263 normale Zyzzkt und vermittelten einen bedrohlichen Eindruck. »Wir heißen Sie noch einmal auf Morpok willkommen«, sagte einer von ihnen, ohne seinen Namen zu nennen. Er wollte sich an die beiden Römer wenden, doch dann blieb sein Blick an Gisol hängen. »Du bist ein Worgun«, stellte er fest. Worgun erkennen einander in jeder beliebigen Form, dachte Dhark, der sich unauffällig vergewisserte, daß die Beherrscher der Zyzzkt wie versprochen keine Waffen bei sich trugen. Eine Ausnahme in gewisser Hinsicht stellten lediglich ihre Mutanten dar. Sie waren weder für andere Worgun noch von anderen Mutanten als Angehörige der Gestaltwandler zu erkennen, konnten aber selbst die Identität normaler Worgun auf Anhieb feststellen. Ren spielte mit dem Gedanken, das aufkommende Gespräch an sich zu reißen, weil er nicht wußte, wie Gisol sich verhalten würde. Er, der schon bei direktem Kontakt mit Zyzzkt recht schnell die Fassung verlor, stand im Angesicht derer, die die Insektoiden zu ihrem Tun erst aufgestachelt hatten, zweifellos noch unter viel stärkerem Druck. Um so erstaunter war er, als sein Freund gelassen antwortete. »Mein Name ist Gisol. Ich bin sicher, daß ihr bereits von mir gehört habt.« »Gisol«, wiederholte der Mutant gedehnt. »Der Schlächter der Zyzzkt«, fügte ein anderer hinzu. »Nicht nur das. Ich war es auch, der die tödlichen Pilzsporen nach Morpok gesandt hat. Bei mir könnt ihr euch bedanken, daß ihr auf dieser Welt keine Vasallen mehr habt.« Der nachgebildete Zyzzkt machte eine abwertende Bewegung mit einer seiner Greifklauen. »Es gibt so viele von denen in Om, daß es auf ein paar Milliarden mehr oder weniger nicht ankommt. Wir können jederzeit beliebige Reserven anfordern, die an die Stelle der Toten treten.« Die Worte waren kalt wie Eis. Dhark konnte nicht entscheiden, ob die Übelkeit, die ihn übermannte, an dem Verwesungsgeruch oder der verächtlichen Aussage lag. Der Tod von Milliarden Intelligenzwesen, die sie erst in die Rolle der Unterdrücker gedrängt 264 hatten, war den Mutanten nicht nur gleichgültig, sie spotteten noch darüber. »Ich hielt die Wimmelwilden stets für die Geißel von Orn«, erklärte Gisol, und seine Stimme hatte ihre Gelassenheit verloren. Jetzt klang sie verbittert. »Und das tue ich immer noch. Doch sie sind harmlos gegen euch meine Brüder.« Er spie das letzte Wort wie einen Ruch aus. »Wir sind nicht deine Brüder.« Margun trat vor und erhob das Wort. »Ich dachte immer, wir Worgun seien alle Brüder. So wurde es mich schon in meiner Jugend gelehrt.« Sekundenlange Stille trat ein. Als der Mutant antwortete, schwang Hochachtung in seiner Stimme mit. »Margun?« Er musterte auch den anderen Römer aus seinen Facettenaugen. »Dann bist du Sola. Jedenfalls wenn wir eurer Behauptung Glauben schenken dürfen. Allerdings haben wir bisher keinen Beweis dafür erhalten, und einige in unseren Reihen zweifeln daran, daß ihr die Wahrheit sagt.« »Einen Beweis wollt ihr?« fragte Sola. »Der ist nicht schwer beizubringen.« Er berichtete in knappen Zügen von seiner und Marguns Begegnung mit Dalon, den die meisten Mutanten in
ihrem Leben zumindest einmal getroffen hatten, und ihrem weiteren Werdegang, der sie an die Spitze des neuen römischen Volks von Terra Nostra gebracht hatte. Die Details, die er nannte, konnte er unmöglich nur vom Hörensagen kennen, daher war klar, daß auch sie beide zu den beinahe unsterblichen mutierten Worgun gehörten. Dhark bemerkte, wie Unruhe die falschen Zyzzkt erfaßte, als sie begriffen, daß sie tatsächlich den legendären Erbauern der MASOL gegenüberstanden. Aufgeregt redeten sie aufeinander ein. »Wir haben in unseren Reihen stets einen Platz für euch reserviert gehalten, denn wir wußten immer, daß wir eines Tages aufeinandertreffen würden«, wandte sich der Wortführer der Mutanten schließlich wieder an die beiden Akademiepräsidenten. »Nun geschieht es endlich, und wir können euch dieses Angebot vorlegen.« Dhark beobachtete die Römer genau. Offenbar waren sie von 266 kommen überrascht und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. »Damit wir uns zu Mitschuldigen an euren Verbrechen machen?« fragte Sola schließlich. »Von welchen Verbrechen redest du?« Der Mutant klang ehrlich erstaunt. Er schien sich wirklich keiner Schuld bewußt zu sein. »Ich rede von der Unterwerfung einer ganzen Galaxis. Von der Vertreibung und Versklavung ungezählter Völker. Ich rede von galaxisweitem Massenmord, dem ihr einen unüberschaubaren Krieg folgen lassen wollt.« In den Facettenaugen blitzte es kurz auf, dann redeten die Mutanten erneut mit gedämpfter Lautstärke aufeinander ein. Dhark befürchtete, daß sie sich diese Vorwürfe nicht gefallen lassen würden, und suchte unauffällig Blickkontakt zu Amy Stewart. Gemeinsam mit den vier anderen Cyborgs stand sie ein paar Schritte abseits und verfolgte die Unterhaltung mit analytischer Nüchternheit. Amy s abwartende Körpersprache brachte ihn zu dem Schluß, daß weiterhin keine unmittelbare Gefahr drohte. Mit ihren geschärften Sinnen hätten die Cyborgs sonst längst etwas gemerkt und Alarm geschlagen. Er bedachte die junge Frau mit einem etwas zu langen Blick und konzentrierte seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Mutanten. »Was wir getan haben, waren keine Verbrechen«, erklärte deren Wortführer gerade. »Wir haben uns nur die Freiheit genommen, die uns früher verwehrt blieb.« »Freiheit?« echote Gisol verständnislos. »Was ist das für eine Freiheit, die ihr euch auf Kosten der Unterdrückung eures eigenen Volks nehmt? Und zahlreicher anderer Völker? Wovon redet ihr Überhaupt?« »Davon daß wir früher Ausgestoßene waren«, verteidigte sich der Mutant vehement. »Ausgestoßen von den Worgun und von alkn anderen. Als wir die fremde Gestalt angenommen haben, wurden wir nicht mehr als Worgun erkannt. Dabei haben wir nicht darum gebeten, daß uns dieses Schicksal ereilt. Es ist einfach so gekommen.« »Kein Worgun hätte euch jemals vertrieben«, widersprach Sola. ^Gleichgültig, in welcher Gestalt ihr auf Epoy gelebt hättet.« 267 »Niemand hat uns vertrieben. Wir sind freiwillig gegangen, um den Neid der anderen nicht ertragen zu müssen. Wir wenigen sind relativ unsterblich, einen besseren Grund für Neid und Mißgunst gibt es nicht. Wir konnten einfach nicht mehr unter anderen Worgun weiterleben.« »Ihr habt es wahrscheinlich nicht einmal versucht.« Der Mutant gab ein heiseres Lachen von sich. »So wie du und Margun. Auch ihr habt die Heimat verlassen, um euch unerkannt unter Fremden zu verstecken.«
Sola schwieg, und Dhark spürte seine Betroffenheit über den Vorwurf, der sich faktisch nicht so einfach von der Hand weisen ließ. »Aber wir haben niemanden unterworfen oder gar getötet«, verteidigte Margun die Handlungsweise der beiden Akademiepräsidenten. »Im Gegenteil haben wir mit unserem Wissen dazu beigetragen, die Römer in ihrer Entwicklung weiterzubringen.« »Aber nur aus Eigennutz. Ihr habt sie belogen, um euch unerkannt an ihre Spitze zu setzen. Ich sehe keinen Unterschied zu dem, was wir taten. Wir machen euch keinen Vorwurf, doch ihr dürft auch uns keinen machen. Unsere Entscheidung half uns, zum ersten Mal wirklich frei zu sei, und rein instinktiv gingt ihr den gleichen Weg.« »Frei?« mischte sich Ren Dhark ein. Er hatte genug gehört und lange genug geschwiegen, um sich ein Bild machen zu können. »Wenn es euch wirklich nur darum gegangen wäre, hättet ihr euch nicht gegen euer eigenes Volk wenden müssen.« Der Worgunmutant sah ihn aus seinen schimmernden Facettenaugen an. »Du kannst das nicht verstehen, denn du gehörst einem fremden Volk an. Dort hast du dich wahrscheinlich nie als Ausgestoßener gefühlt, so wie wir es taten. Die Worgun stellten eine Bedrohung für uns dar, die wir nicht ignorieren durften. Sie hätten unsere Herrschaft niemals akzeptiert, deshalb blieb uns keine andere Wahl, als Maßnahmen gegen sie zu ergreifen.« »Maßnahmen, welch verniedlichender Euphemismus«, murmelte Gisol. »Da kamen euch die Zyzzkt gerade recht. Eine stärkere Waffe als ihre natürliche Vermehrungsrate hättet ihr niemals finden können.« 268 »In der Tat spielte uns das Schicksal mit ihnen das ideale Werkzeug in die Hände. Sie waren willfährig und gehorsam. Ganz so, als hätten sie nur darauf gewartet, daß jemand kommt, der sich ihrer annimmt und ihren künftigen Weg bestimmt.« »Aber eines verstehe ich nicht. Früher habt ihr die Worgun verschont und euch erst vor ein paar Jahrhunderten gegen sie gestellt.« »Weil wir sie früher noch brauchten, denn allein aus ihren Reihen gingen weitere Mutanten hervor. Auch wenn wir relativ unsterblich sind, blieb unsere Zahl nicht konstant, denn gegen Gewalt oder Unfälle sind auch wir nicht gefeit. Daher brauchten wir die Worgun als Nachschublieferanten.« »Eine Situation, die sich irgendwann änderte«, schloß Dhark. »Ihr habt einen Weg gefunden, diese Abhängigkeit auszuschalten.« »Wir haben Verfahren entwickelt, die es uns ermöglichen, uns zu klonen, und konnten von da an unsere Zahl permanent erhalten oder gar vergrößern, wenn uns danach war. Das war vor etwa zweihundert Jahren. Damals begriffen wir, daß wir endgültig frei waren und die Worgun nicht länger benötigen. Vielmehr erkannten wir, daß sie eine Gefahr für uns darstellen, die wir um jeden Preis ausschalten mußten.« »Und das habt ihr getan«, flüsterte Gisol. Bebend stand der täuschend echt nachgebildete Mensch da. Er schwankte vor Erschütterung wie Schilfrohr im Wind. »Diese Schuld werdet ihr niemals wieder gutmachen können, gleichgültig wie alt das Universum auch wird.« Dhark konnte sich vorstellen, was in seinem Freund vor sich ging. Die Tatsache, daß nicht die Insektoiden die Worgun unterworfen hatten, sondern andere Worgun, war viel tragischer als alles andere. Auch wenn sie die Wahrheit durch Pnurrsk bereits kannten, hatte der Rebell der Mysterious bis zuletzt gezweifelt. Doch die Offenbarungen der Mutanten zerstörten sämtliche verbliebenen Hoffnungen Gisols, nicht bei Angehörigen seines eigenen Volks nach den Drahtziehern der Tragödie suchen zu müssen. »Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?« fragte Ren. »Die Zustände in Om ändern sich dramatisch. Ihr wißt, daß wir zu euch 269
gekommen sind, um endlich den Frieden zu erreichen. Die Kämpfe und die Unterdrückung müssen endlich enden, bevor es zu einem allesvemichtenden Krieg kommt.« Der Sprecher der Worgunmutanten ignorierte ihn. Bewegung kam in den übergroßen Zyzzktkörper, und Dhark registrierte die kaum merklichen Reaktionen der Cyborgs, die sich auf einen Angriff einstellten. Doch unmittelbar vor Margun und Sola blieb der Fremde stehen. »Ihr seid wie wir und gehört nicht zu den anderen«, sagte er. »Schließt euch uns an, uns, euren wahren Brüdern. Gemeinsam werden wir für alle Zeiten für Ruhe in Om sorgen.« Bei der Aufforderung krampften sich Dharks Eingeweide zusammen. Ihm war klar, von was für einer Art Ruhe der Mutant sprach. Von der Ruhe eines Friedhofs. Und Margun und Sola sollten die endgültigen Totengräber für die Galaxis sein. Gisol starrte die legendären Konstrukteure der POINT OF an. Seine Züge waren wie aus Stein gemeißelt angesichts der ungeheuerlichen Offerte der abtrünnigen Worgun. Auch Ren Dhark wunderte sich gewaltig, aber nach kurzem Überlegen begriff er, wieso die Mutanten Margun und Sola auf ihre Seite ziehen wollten. Sie fürchteten die geballte römische Schlagkraft, die hinter den beiden Männern stand, und versuchten sie auf diese Weise zu neutralisieren. »Wir sind gern bereit, in freundschaftliche Beziehungen zu euch zu treten«, formulierte Margun vorsichtig, um die Mutanten nicht offen zu brüskieren. »Denn nur auf Freundschaft und Vertrauen können ein künftiger Friede und das gleichberechtigte Miteinander aller Völker Oms basieren.« »Es gibt bereits einen Frieden«, konterte der Renegat. »Er wird bis in alle Ewigkeit bestehen, und nichts wird sich daran ändern.« »Es ist kein Friede. Jedenfalls nicht in den Augen der Völker Oms.« 270 »Wohl aber in unseren, und allein daraufkommt es an.« In diesem Moment begriff Dhark, daß den abtrünnigen Worgun nicht wirklich etwas an einer Verständigung lag. Zu diesem Treffen kam es allein aufgrund der jüngsten Rückschläge der Zyzzkt und der Hoffnung der Mutanten, Margun und Sola, in denen sie offenbar tatsächlich so etwas wie Geistesverwandte sahen, auf ihre Seite zu ziehen. »Wie stellt ihr euch das vor?« dachte Sola laut nach. »Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, daß wir uns eurer Politik der Unterwerfung anschließen? Welchen Wert haben wir für euch?« »Bisher hatten wir alles unter Kontrolle«, erklärte der Wortführer der Mutanten bereitwillig. »Es gab keine Probleme, die wir nicht in kurzer Zeit lösen konnten. Doch durch das Erstarken der Widerständler von Gardas beginnen sich die Machtverhältnisse zu verschieben, zumal sie über neuartige Waffensysteme verfügen und eine Methode entwickelt zu haben scheinen, AlaMetall in unbegrenzten Mengen herzustellen.« Daher wehte also der Wind. Die Herrscher der Zyzzkt hatten von den Möglichkeiten der Römer erfahren, das kostbare Superschwermetall zu produzieren. Die Kenntnis hatte ihre Begehrlichkeit geweckt, was Ren gut nachvollziehen konnte. Seit Jahrhunderten lebten sie mit dem Mangel an Tofirit, das sie dringend für den effektiven Betrieb ihrer Raumschiffe benötigten. Nun bot sich endlich eine Chance, an ausreichende Mengen davon zu kommen. Die Worte des Mutanten bestätigten seine Vermutung. »Wir empfangen euch auch nicht mit leeren Händen. Im Gegenzug für das Verfahren zur Erzeugung des Alas bieten wir jedem von euch eine eigene Galaxis, über die er herrschen kann.« Gisol ließ hörbar die Luft entweichen. »Eine davon soll wohl Nai sein«, flüsterte er, damit die Abtrünnigen seine Worte nicht hörten. »Ich habe dich immer gewarnt, Ren.« »Ich vertraue Margun und Sola«, gab Dhark in der gleichen Lautstärke zurück. »Sie sind unsere Freunde und Verbündeten und haben keinen Grund, sich auf einen solchen Kuhhandel einzulassen.« »Wir brauchen keine solche Macht«, wehrte Sola ab. »Niemand darf darüber verfügen, auch nicht ihr.«
271 »Ihr wollt auf eine ganze Galaxis verzichten?« Die Stimme des falschen Zyzzkt troff vor Überraschung. Anscheinend war ihm völlig unbegreiflich, wie jemand ein solch großzügiges Angebot ablehnen konnte. »Ihr solltet noch einmal darüber nachdenken, bevor ihr eine voreilige Entscheidung trefft.« »Da gibt es nichts zu überlegen«, bestätigte Margun die ablehnende Haltung seines Freundes und Kollegen. Unruhe kam in die Reihen der Mutanten. Wild redeten sie durcheinander, weil sie es nicht fassen konnten. Ren ließ sie nicht aus den Augen. Bei all dem, was sie in der Vergangenheit angerichtet hatten, verfügten sie dennoch über ein unerklärliches Maß an Naivität, die nicht zu machthungrigen Wesen paßte, die eine ganze Galaxis in die Knie gezwungen hatten. »Was scheren euch die niederen Völker Oms? Dir seid nicht wie sie, ihr seid wie wir. Auch ihr seid Worgunmutanten, die von niemandem anerkannt werden.« »Von mir sehr wohl«, beschied Gisol. »Und von den Menschen in Nai ebenfalls«, versetzte Dhark. »Wir urteilen nicht danach, in welcher Gestalt jemand auftritt. Auch nicht danach, wie hoch seine Lebenserwartung ist. Wir tun dies nicht bei Margun und Sola, und auch nicht bei euch. Ihr macht euch etwas vor, denn die Toleranz anderer Wesen ist viel größer, als ihr glaubt.« Sola neigte den Kopf und lächelte, doch die Mutanten konnten oder wollten Rens Worte nicht glauben. »Wir können diese Entscheidung nicht akzeptieren.« Von einem Moment auf den anderen kippte die Stimmung. Aggressivität und eine unverhohlene Drohung dominierten die Stimme ihres Sprechers. »Euch bleibt keine andere Wahl, als genau das zu tun.« »Das werden wir nicht. Wir sind es gewohnt, uns zu nehmen, was man uns nicht gibt.« Aha, dachte Ren. Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Er stieß einen stummen Fluch aus. Statt in seinen Bestrebungen auch nur einen Schritt vorangekommen zu sein, drohte die Lage zu eskalieren. Das Gespräch hatte einen ganz anderen Verlauf genommen als 272 beabsichtigt, und es erschien ihm beinahe unmöglich, es zurück auf den richtigen Kurs zu bringen. Ein schleifendes Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Aus den Augenwinkeln erkannte er hektische Bewegungen. Bis eben verborgene Luken öffneten sich schneller, als Blicke folgen konnten. Wo gerade noch fester Untergrund gewesen war, prangten Schächte, aus denen Ströme von Zyzzkt-Herrschem quollen. Schwerbewaffnet! »Nichts unternehmen!« entschied er gedankenschnell, als er erkannte, daß die Cyborgs sich auf die Angreifer stürzen wollten. Doch gegen diese Übermacht hatten auch sie keine Chance. Nadelstrahlen aus Dutzenden schwerer Kombiwaffen, die von allen Seiten auf die Besucher gerichtet waren, würden Dharks Eskorte trotz der überlegenen körperlichen Eigenschaften in Sekundenschnelle atomisieren. In den Abstrahlmündungen der Waffen schimmerte es unheilverkündend. 273 18. Schwergewicht, Halbglatze, Bart, hochintelligent eingebauter Suprasensor, Kugellager und Saugnäpfe an den Pfoten, Energiestrahler in der ausfahrbaren Zunge anmutig, undurchschaubar, beherrscht zahlreiche asiatische Kampftechniken... eine Vielzahl von Attributen, die auf ein seltsam verformtes Superwesen schließen ließen, in Wahrheit aber zu drei Personen gehörten.
Genaugenommen handelte es sich um zwei Personen und eine Maschine, die allerdings bis zu einem gewissen Grad Persönlichkeit entwickelt hatte. An Roboterhund Jimmy, der einem Scotchterrier nachempfunden war, waren nicht nur die Füße und die Zunge bemerkenswert; er verfügte über diverse Zusatzgeräte, die er bei Bedarf selbst programmieren konnte. Zudem bildeten sich in seinen diffizilen Schaltkreisen immer wieder Subprogramme, die ihn weitgehend selbständig agieren ließen. Sein schwergewichtiger, bärtiger Konstrukteur Chris Shanton hatte bei der Errichtung eines bedeutsamen Teils der solaren Verteidigungsanlagen mitgewirkt: den Ast-Stationen. Mehrere hundert Asteroiden waren zu Abwehrfestungen ausgebaut und teilweise auf neue Umlaufbahnen gebracht worden. Ein Meisterstück der Technologie nicht das einzige, das der geniale Diplomingenieur im Lauf seines siebenundvierzigjährigen Lebens abgeliefert hatte. Kein Wunder, daß ihn die Regierung bei technischen Schwierigkeiten aller Art gern zur Beratung hinzuzog. Auch die zierliche, anmutige Chinesin Liao Morei füngierte des öfteren als Beraterin, obwohl sie sechzehn Jahre jünger und entsprechend unerfahrener als Shanton war. Sie arbeitete für Wallis Industries als Leiterin des Sicherheitsdienstes, wurde aber vom Firmeninhaber Terence Wallis meist für andere Zwecke eingesetzt. 274 Ihr aktueller Auftrag lautete, sich um Chris Shanton zu kümmern und ihn gegebenenfalls auf eine falsche Fährte zu locken. Shanton stand nämlich kurz davor, herauszufinden, wohin Wallis seinen Firmensitz demnächst zu verlegen beabsichtigte nicht nach Australien, wie er überall verlauten ließ, sondern nach Eden, einem in seinem Privatbesitz befindlichen Planeten im Kugelhaufen M 53, Sternbild Coma. Die Abreise sollte im Herbst stattfinden, nach der Wahl des neuen Commanders der Planeten. Das höchste Amt auf Erden wurde augenblicklich noch von Ren Dhark bekleidet. Doch das würde sich ändern, und auch deshalb wurde das achtzig Quadratkilometer große WallisStammwerk bei Pittsburgh, Pennsylvania, derzeit zu einer Art fliegender Stadt umgerüstet. Zu diesem Zweck zog man ein gänzlich neues Fundament unter das Gelände, bestehend aus einem außergewöhnlichen Verbundwerkstoff namens Carborit. Shanton hatte sich unbefugt in den Tunneln unter dem Werk herumgetrieben und wäre dem Geheimnis beinahe auf die Spur gekommen. Aber eben nur beinahe... Eigentlich hatte ihn lediglich der Zufall auf Terence Wallis' Aktivitäten aufmerksam gemacht. Bei der Entwicklung eines effektiveren und gleichzeitig billigeren terranischen Transmittemetzes war Chris aufgefallen, daß jemand den Markt für Transmitterteile praktisch leerkaufte. Daß Wallis Industries gerade dabei war, eine Transmitterstraße durchs All zu bauen, um den Handelsverkehr zwischen Eden und der Erde sowie den Tofiritabbau im Achmed-System zu erleichtem, ahnte der Dicke (wie ihn sein Roboterhund zuweilen nannte) bislang nicht. Noch nicht. Liao sollte dafür sorgen, daß es vorerst dabei blieb. Dummerweise hatte Shanton sie in den Tunneln niedergeschlagen. Nicht absichtlich, mehr aus Versehen, aus einem Reflex heraus, was sie ganz besonders ärgerte. Eine wendige Kampfsportexpertin wie sie schlug man nicht einfach so nieder, auch dann nicht, ^enn man vor Saft und Kraft kaum gehen konnte. Nun war es Shanton, der am Boden lag, auf einer menschenleeren Toilette des Raumhafens von Alamo Gordo. Liao Morei hatte . Aoi dort aufgelauert. Erst hatte sie den Roboterhund außer Ge 275
fecht gesetzt, dann sein Herrchen mit einem einzigen gezielten Schlag auf die Kinnspitze. Chris Shanton war hart im Nehmen. Schon nach wenigen Sekunden kam er wieder zu sich. Liao kniete auf ihm. Sie hatte es sich gemütlich gemacht wie auf einem besonders flauschigen Sofakissen. Perplex starrte er sie an. »Sie, Miß Moräne?« »Morei«, verbesserte sie ihn. »Liao, für meine Freunde.« »Sind wir denn Freunde?« fragte er. »Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie mir gerade einen harten Schlag verpaßt.« »Und wenn schon«, entgegnete die kleine Asiatin lächelnd. »Ein großer starker Bär wie du kann einiges vertragen. Wußtest du eigentlich, daß du bisher der einzige Mann bist, dem es gelungen ist, mich mit einem Schlag niederzustrecken? Das konnte ich schlecht auf mir sitzenlassen, deshalb habe ich hier auf dich gewartet, um es dir heimzuzahlen. Jetzt sind wir quitt.« »Heimtücke, dein Name ist Weib«, brummelte Chris. »Geh sofort runter von mir!« Liao beugte sich nach vom und gab dem überraschten Mann einen Kuß auf die Lippen. »Du bist zwar nicht mein Typ, doch du hast mich schwer beeindruckt«, hauchte sie. »Ich wollte dich nicht auf die Asteroiden verschwinden lassen, ohne dir das zu sagen.« »Du weißt, daß ich nach Ast1 reisen will?« fragte Shanton verblüfft. »Ist man denn bei Wallis Industries über jeden meiner Schritte informiert?« Jimmy fiel ihm ein. Der Hund war bei den Waschbecken plötzlich umgekippt. Shanton richtete sich auf, ohne Rücksichtnahme auf Liao, die auf seinem Bauch kniete und nun nach hinten fiel. Sie machte einen Überschlag und kam mit einem eleganten Sprung auf die Beine. Chris rappelte sich ebenfalls hoch, was allerdings weniger elegant wirkte. Er begab sich zu den Waschbecken und beugte sich besorgt über den reglosen, auf der Seite liegenden Robothund. Liao zückte ein kleines Gerät und betätigte eine Sensortaste. Daraufhin kam wieder »Leben« in Jimmy. Er sprang auf und ver 276 „ suchte sofort, seinen unbekannten Gegner ausfindig zu machen. il Wer oder was hatte seine Funktionen lahmgelegt? Seine Sensoren erfaßten das Gerät in Liaos Hand. Angriffslustig fuhr er seine Zungenwaffe aus. »Aktion abbrechen!« befahl ihm Shanton. Jimmy tat so, als wäre er taub. Der Miniapparat stellte eine Gefahr für ihn dar und mußte vernichtet werden mitsamt dessen Besitzerin, falls sie es darauf anlegte. »Fahr deine Zunge wieder ein, oder ich reiße sie dir ab und schmeiße sie in den nächsten Gully!« drohte Jimmys Erschaffer. Diesen Umgangsjargon verstand der Roboterhund, so war er es von seinem Herrn gewohnt. Gehorsam brach er den Angriff auf Liao ab. »Was ist das für ein Gerät?« wollte Shanton von ihr wissen. »Ein ganz spezieller Störsender, allerdings noch in der Testphase«, gab sie ihm Auskunft. »Mit menschlichen Angreifem werde ich meist spielend fertig. Moderne Kampfroboter bereiten mir allerdings gewaltige Probleme. Mit Hilfe einiger Wallis-Experten versuche ich daher, eine handliche Abwehrwaffe zu entwickeln, mit der man auf Tastendruck sämtliche Funktionen einer Kampfmaschine schlagartig abschalten kann. Leider klappt noch längst nicht alles wie gewünscht.« »Ach nein? Der Sender hat doch perfekt funktioniert.« »Bisher aber nur bei Jimmy, und der ist nicht repräsentativ. Es handelt sich bei ihm sozusagen um einen Ausnahmeroboter.« »Und darauf bin ich mächtig stolz«, warf der Robothund ein. »Nebenbei bemerkt: Auch du bist ein Ausnahmefall. Es gibt sicherlich nicht viele Frauen, die sich auf Herrentoiletten herumtreiben.«
»Sei nicht so frech!« ermahnte Chris ihn.
»Er hat ja recht«, entgegnete Liao lächelnd. »Höchste Zeit, daß ich von hier wegkomme.«
Sie begab sich zur geschlossenen Tür. Shanton und Jimmy folgten ihr.
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»In diesem Teil des Raumflughafens gibt es außer mir garantiert noch andere >Bedürftige... für einen Mann Ihres Alters.< Dann gibt es Ärger, klar?« »Insbesondere für einen Mann, der die letzten Jahre im Innendienst verbracht hat«, ergänzte Bert schlagfertig seinen Satz. Der kugelige, rothaarige Reporter konnte sich nicht vorstellen, jemals ausschließlich in der Redaktion zu arbeiten. Ein Abenteurer wie er gehörte an die Basis, nach draußen, direkt an die Brandherde dieser Welt. Patterson konnte das gut verstehen, er war früher nicht anders gewesen. Doch in einem großen Betrieb gab es nun mal ausführende und leitende Organe. Einer mußte den Laden schließlich am Laufen halten. »Ich habe eine gesonderte Redaktionskonferenz im Großraumbüro angesetzt«, informierte Sam seinen besten Mitarbeiter. »Die Kollegen sind schon gespannt auf Ihre aktuellen Ermittlungsergebnisse zur Verbindung zwischen der Fortschrittspartei und Intennedia. Die
Zeit drängt, der Wahltag nähert sich mit Riesenschritten; wir haben bereits Anfang November.« Stranger stieß einen Seufzer aus. »Ich befürchte, ich werde die Kollegenschaft enttäuschen müssen. Meine Recherchen sind 311 ziemlich ins Stocken geraten. Ich trete auf der Stelle, mir fehlt der letzte Beweis.« »Und Intermedia trommelt derweil auf allen Kanälen für Dreyfuß«, erwiderte Patterson zerknirscht. »Von Rechts wegen sollten wir sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Wir könnten verstärkt für Henner Trawisheim werben und gleichzeitig Halbwahrheiten über Antoine Dreyfuß in die Welt setzen. Aber dann wären wir um keinen Deut besser als Skittleman und seine Schweinebande. Deshalb werden wir weiterhin fair und neutral beachten. Die Wahrheit setzt sich am Ende immer durch.« Stranger bewunderte seinen Chef insgeheim für dessen konsequente Haltung. Patterson verfolgte eine klare Lebenslinie, von der er auch nicht abwich, wenn es brenzlig wurde. Es klopfte an die Tür. Bert öffnete. Draußen stand die Firmenbuchhalterin Elisabeth Deutschmann und bat ihn um eine Unterredung. »Er hat keine Zeit«, entschied Patterson. »Die Konferenz kann nicht warten.« »Kann sie doch«, widersprach ihm Stranger. »Vielleicht lohnt sich das Warten ja. Würden Sie uns bitte für einen Augenblick alleinlassen, Mister Patterson?« Der Eigentümer von Terra-Press mußte erst einmal schlucken. Was fiel Stranger ein, ihn wie einen kleinen Jungen hinauszuschicken? Ihn dem hier jeder Bleistiftanspitzer gehörte?! »Na schön, ich verschiebe die Konferenz um ein paar Minuten«, knurrte er. »Doch wenn es nicht wirklich wichtig ist, schmeiße ich Sie auf der Stelle raus, Stranger, kapiert?« »Kapiert«, antwortete Bert grinsend. »Wie gehabt.« Patterson hatte ihn schon mehrfach entlassen und wieder eingestellt. Wenig später waren Elisabeth und Bert allein. Stranger hatte die »graue Maus« aus der Buchhaltung vor längerer Zeit darum gebeten, ein paar Recherchen über eventuelle finanzielle Verbindungen zwischen der FP und Intermedia anzustellen. Und nicht nur sie. Elisabeth Deutschmann war eines von vielen Eisen, die er im Feuer gehabt hatte. Mittlerweile waren die meisten Flammen verloschen. Nur 'die 312 blasse Buchhalterin hatte sich an der Sache festgebissen. Stranger hatte sie fast schon vergessen. Anfangs war es auch ihr nicht gelungen, Hinweise auf finanzielle Abmachungen zu finden, die über das übliche Maß legaler Parteispenden hinausgingen. Inzwischen war sie jedoch fündig geworden. »Halten Sie sich fest!« begann die Leiterin der Buchhaltung ihre Ausführungen, die sie mit schriftlichen Unterlagen beweiskräftig untermauerte. »Haltet euch fest!« lautete Bert Strangers erster Satz, als er in die Redaktionskonferenz platzte. »Wir haben Skittleman & Co. am Wickel.« Genüßlich präsentierte der Journalist seinem Chef und seinen Kollegen Unterlagen und Fotos, die er von Elisabeth Deutschmann erhalten hatte. Daraus ging zweifelsfrei hervor, daß die Spitzenfunktionäre der FP auf wesentlich größerem Fuße lebten, als es ihnen ihre normalen Gehälter eigentlich erlauben würden. »Paleys Jett, Paleys Villa, Paleys Pferd, Paleys Yacht«, zahlte er auf und reichte die dazugehörigen Bilder herum. »Mit Dreyfuß und ein paar anderen einflußreichen Parteimitgliedern verhält es sich genauso. Teure Gleiter und Boote, Ferienhäuser in bester Lage, Golfklubmitgliedschaften...« »Schießen Sie da nicht ein wenig übers Ziel hinaus. Stranger?« unterbrach ihn Sam Patterson. »Sogar meine Putzfrau ist Mitglied in einem Golfklub. Villen muß man nicht unbedingt kaufen, man kann sie mieten, genau wie Ferienhäuser. Zudem kann man heutzutage alles
mögliche leasen: Schweber, Gleiter, Yachten, Musikanlagen... und die Mitgliedschaft in einem Reitklub kostet nicht die Welt. Immerhin verdienen unsere Politiker nicht schlecht.« »Sie verdienen sich in der Tat goldene Nasen meiner Meinung nach weitaus mehr als ihre Leistungen es wert sind«, erwiderte Stranger. »Doch Dreyfuß, Paley und Konsorten geben davon kaum etwas aus. Statt dessen sammeln sie den größten Teil ihrer Gehäl 313 ter auf ihren Konten an. Sie haben recht, Mister Patterson, es trifft zu, daß sie ihre Wohnhäuser, Fahrzeuge und alles sonstige lediglich gemietet haben aber für lächerlich geringe Mieten und Leasingbeträge, die für den Vermieter nicht einmal annähernd kostendeckend sind. Vielmehr handelt es sich dabei um symbolische Zahlungen, Kleingeld sozusagen.« »Das riecht verdammt nach Bestechung«, meinte eine jüngere Kollegin. Bert nickte. »Sehe ich auch so. Für manche Menschen ist es lediglich eine harmlose Ordnungswidrigkeit, wenn ein Politiker ab und zu mal die Hand aufhält. Meiner Meinung nach ist so etwas ein Verbrechen. Eine vom Volk gewählte unabhängige Regierung sollte ausschließlich die Interessen der Bevölkerung vertreten und nicht die Anordnungen derjenigen befolgen, die am meisten zahlen.« Unwillkürlich fiel ihm sein vertrauliches Gespräch mit Terence Wallis ein. Der Milliardär hatte ihn als Chefredakteur für ein neu zu gründendes, hauseigenes WallisMedienuntemehmen gewinnen wollen. Bert hatte ihm eine klare Absage erteilt. Seinerzeit war der Satz gefallen: Wer zahlt, befiehlt. Bezogen auf den FP-Bestechungsskandal trafen diese drei Worte zu wie die Faust aufs Auge. Was Bert nicht ahnte: Auch Sam Patterson dachte in diesem Augenblick an seine letzte Unterredung mit Wallis, in deren Verlauf er denselben Satz verwendet hatte. »Meine Frau wünscht sich schon lange eine Villa mit Swimmingpool«, bemerkte ein kahlköpfiger Redakteur mittleren Alters. »Könnte man den großzügigen Vermieter mal kennenlernen?« »Kein Problem«, entgegnete Stranger. »Die Villen, Yachten und so weiter gehören einer Stiftung, die ihren Sitz in Südamerika hat.« »Bißchen weit weg«, murmelte der Kahle. »Wart's ab«, sagte Bert und fuhr mit seinen Ausführungen fort. »Die betreffenden FPPolitiker verwenden zur Begleichung ihrer diversen Clubmitgliedsbeiträge und sonstiger Rechnungen fast ausschließlich Kreditkarten, die auf die Stiftung laufen. Auf diese Weise haben sie so gut wie keine persönlichen Ausgaben.« »Das nenne ich mal eine waschechte Bestechung!« staunte Saiü 314 Patterson. »Paley und seine habgierigen Parteifreunde finanzieren sich beinahe ihren gesamten Lebensunterhalt über illegale Gelder. Damit gehören ihre Seelen praktisch dem >ehrenwerten Spenden. Falls sie nicht tun, was er von ihnen verlangt, dreht er kurzerhand den Geldhahn zu und kündigt die Mietverträge.« Bert Stranger schaute zum glatzköpfigen Redakteur. »Um den Gründungsstifter kennenzulernen, brauchst du nicht weit zu gehen, mein Lieber. Es ist kein Geringerer als Joe R. G. Skittleman. Damit die Stiftung nicht mit Intermedia in Verbindung gebracht werden
kann, finanziert Skittleman das Ganze aus seinem Privatvermögen.«
Einer der Anwesenden stieß einen leisen Pfiff aus. »Junge, Junge, wenn der so weitermacht,
ist er bald pleite.«
»Schräge Vögel wie Skittleman haben doch immer Geld«, erwiderte Klatschtante Claire alias
KC, die bekannteste Klatschkolumnistin von Terra-Press. »Intermedia wirft bestimmt
Riesengewinne ab. Und wer weiß, was für krumme Geschäfte er sonst noch am Laufen hat.
Joseph Randolph Gordon hat einflußreiche Freunde in hohen Positionen und vielleicht sogar
in der Unterwelt. Die sogenannte feine Gesellschaft ist mitunter gar nicht so fein, wie sie tut.
Wenn man da mal ein bißchen herumstochert...«
»Wir sollten doch die Kirche im Dorf lassen«, sagte Patterson. »Anstatt uns in wilde
Spekulationen zu versteigen, halten wir uns lieber an die Fakten die sind schon ergiebig
genug. Unsere Rechtsabteilung wird die Unterlagen umgehend überprüfen. Auf den ersten
Blick scheint die Beweiskette wasserdicht zu sein. Gleich morgen früh setzt TerraPress in
allen Sendern und Zeitungen eine Kampagne in Gang, die sich gewaschen hat. Das
übernehmen Sie, Stranger. Skittleman wird sich in diesem Herbst warm anziehen müssen. Für
seine halbseidenen Freunde aus der Politik gilt das gleiche. Frau Deutschmann ist wirklich
eine erstaunliche, patente Frau, auch wenn man es ihr nicht ansieht. Ich werde sie für ihre
detektivischen Bemühungen mit einer Beförderung belohnen.«
»Geht nicht«, entgegnete Stranger. »Sie leitet bereits die Buchhaltung.«
»Dann versetze ich sie auf einen besseren Posten.«
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»Geht nicht. Sie fühlt sich dort überaus wohl und macht ihre Arbeit gem.«
»Dann beschenke ich sie mit einem Präsentkorb voller Süßigkeiten.«
»Geht nicht. Beim Geschmack von Marzipan wird ihr übel, und von Schokolade bekommt sie
Ausschlag.«
»Sekt?«
»Sie trinkt nicht.«
»Offensichtlich haben Sie eine sehr lange und sehr intime Unterhaltung mit ihr geführt«,
stellte der TerraPressLeiter verwundert fest.
»Goldrichtig«, bestätigte Stranger. »Wir saßen bei einem Automatenkaffee in der Kantine
zusammen, und ich mußte ihr haarklein alles über meine Freundin Veronique erzählen.
Elisabeth ist ganz begierig auf privaten Tratsch. Erst nachdem sie mich wie eine Tomate
ausgequetscht hatte, erklärte sie sich bereit, ihre Kontakte spielen zu lassen und für mich
Nachforschungen zu betreiben.«
Klatschtante Claire horchte auf. »Sie tratscht gern? Dann habe ich das richtige Geschenk für
sie! Es kostet Sie nicht die Welt, Mister Patterson, und bereitet ihr bestimmt große Freude.«
Die drei schwarzgekleideten, hochgewachsenen Gestalten, die nachmittags die
Redaktionsräume von TerraPress betraten, verhießen nichts Gutes. Mit düsterer Miene
erkundigten sie sich nach Bert Stranger.
Man wies ihnen den Weg zu seinem Büro.
Stranger verfügte über drei Schreibtische. Einer stand im Großraumbüro, zwei weitere in
seinem eigenen. Als die unheimlichen Besucher eintraten, waren beide Schreibtische besetzt.
Am ersten saß Bert, am zweiten ein unscheinbares Männlein, das mit fahriger Miene die
Tastatur von Strangers Suprasensor malträtierte.
»Mein Name ist Mader«, stellte sich einer der drei Besucher vor und legte eine Visitenkarte
auf Berts Tisch. »Das sind meine beiden Kollegen Anderson und Leandros. Wir sind die
Rechtsanwälte
316
»n Mister Skittleman, Mister Paley und Mister Dreyfuß. Wir sind angemeldet.«
»Ich weiß«, erwiderte Stranger und deutete auf eine dreiteilige Sitzgruppe. »Nehmen Sie bitte
Platz.«
Zwei weitere Visitenkarten machten Bekanntschaft mit Strangers Schreibtischplatte.
»Wir möchten mit Ihnen allein reden«, forderte Anderson, nachdem er sich gesetzt hatte.
»Bitte schicken Sie Ihren Sekretär hinaus.«
»In meinem Büro bestimme ich, wer bleibt und wer nicht«, machte Stranger ihm klar. »Es kann nichts schaden, wenn bei dieser sicherlich unerfreulichen Unterredung ein neutraler Zeuge anwesend ist.« Das Männlein schien überhaupt nicht zuzuhören. Es hatte aufgehört zu tippen und schaute mit nachdenklicher Miene auf den Bildschirm, der für die drei Anwälte nicht einsichtig war. »Wie Sie meinen«, entgegnete Leandros mit säuerlicher Miene. »Wir wurden beauftragt, Klage wegen Verleumdung und Ehrverletzung gegen Sie einzureichen. Man erwartet von Ihnen, daß Sie sich öffentlich für Ihre Schmierenkampagne entschuldigen. Im übrigen werden Sie uns drei Erklärungen unterzeichnen, in welchen Sie sich verpflichten, künftig weitere Lügenattacken gegen unsere jeweiligen Mandanten zu unterlassen.« Mader stand auf und wollte Stranger die vorbereiteten Schriftstücke überreichen. »Legen Sie den Papierkram auf dem Schreibtisch nebenan ab«, wies Bert ihn desinteressiert an. »Vielleicht lese ich es später.« »Sie verkennen offenbar Ihre Situation«, erwiderte Mader scharf, kam aber der Aufforderung nach. »Unsere Mandanten lassen nicht mit sich spaßen. Seit Tagen verbreitet TerraPress gemeine Lügen über den Generalsekretär der Fortschrittspartei und deren aussichtsreichen Kandidaten für das Amt des Commanders der Planeten. Den beiden ehrenwerten Herrschaften Bestechlichkeit zu unterstellen, stellt eine schwere Beleidigung dar und die ist laut Paragraph 222 Absatz 11 strafbar.« Der Unscheinbare wandte sich vom Suprasensor-Bildschirm ab und nahm die auf seinem Schreibtisch befindlichen Niederschrif317 ten der Anwälte zur Hand. Er studierte sie aufmerksam. Sein stupider Gesichtsausdruck ließ allerdings darauf schließen, daß er nur wenig damit anfangen konnte. »Auch der Intermedia-Geschäftsführer fühlt sich aufs übelste verleumdet«, ergriff Anderson das Wort. »Er bereitet zur Zeit eine Gegenkampagne vor, um die Sache richtigzustellen.« »Da bin ich aber gespannt«, entgegnete Stranger gelassen. »Meine Beweise sind hieb und stichfest. Skittleman kann nur das tun, was er immer tut, nämlich heiße Luft in den Orbit blasen.« »Sind Sie sich eigentlich bewußt, mit wem Sie sich anlegen?« fragte ihn Leandros. »Skittleman und Paley gehören zu den wichtigsten Männern unseres Staates und können Ihnen einen Haufen Ärger bereiten. Ziehen Sie Ihre unwahren Behauptungen zurück, Stranger, und unterschreiben Sie die Erklärungen. Nur so kommen Sie noch mit einem blauen Auge davon.« »Sorry, aber Drohungen wirken bei mir nicht«, sagte Bert grinsend. »Dagegen habe ich mich vorige Woche impfen lassen.« »Sam Patterson hält seine schützende Hand über Sie, nur deshalb leisten Sie sich solche Frechheiten«, giftete Mader ihn an. »Aber wenn wir Sie erst einmal vor Gericht in die Mangel nehmen, wird er Ihnen nicht mehr helfen können weil er nämlich neben Ihnen auf der Anklagebank sitzt. Sie, Stranger, sind der Initiator der feigen Verleumdungskampagne. Und Patterson ist der Hauptverantwortliche, weil er als Chef von TerraPress die feindseligen öffentlichen Attacken gegen unsere unbescholtenen Mandanten zugelassen hat. Deshalb wird auch er nicht ungeschoren davonkommen.« »Es wird weder eine Klage noch eine Gerichtsverhandlung geben«, war Stranger überzeugt. »Skittleman ist zwar nicht der Hellste, doch er weiß, wann er auf verlorenem Posten kämpft. Und was Paley und Dreyfuß angeht, so wird er sie spätestens nach der Wahl fallenlassen, weil sie ihm dann nicht mehr von Nutzen sind. Hoffentlich sind die beiden ohne ihn überhaupt noch lebensfähig, schließlich hat er sie sich gehalten wie zwei Meerschweinchen.« Mader schaute seine beiden Begleiter an.
»Ich denke, wir haben hier nichts mehr verloren, meine Herren. Wie nicht anders zu erwarten, ist mit Mister Stranger nicht zu re 318 den. Hoffen wir, daß sich Mister Patterson als vernünftiger und kooperativer erweist.« »Er läßt Ihnen schöne Grüße ausrichten«, entgegnete Bert Stranger. »Auf seinem Schreibtisch stapelt sich die Arbeit, deshalb bittet er Sie, ihn heute nicht zu belästigen.« »Das könnte ihm so passen«, knurrte Anderson. »Wo ist sein Büro?« »Schon mal was von Hausfriedensbruch gehört?« meldete sich überraschend das Männlein am Suprasensor zu Wort. »Paragraph 123 des terranischen Bürgergesetzes stellt Personen unter Strafe, die in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen eindringen beziehungsweise ohne Befugnis darin verweilen und sich auf die Aufforderung des Berechtigten nicht umgehend entfemen.« Mader, Anderson und Leandros schauten den vermeintlichen Sekretär verblüfft an. »... regelt der elfte Absatz von Paragraph 222 nicht die Strafbarkeit der schweren Beleidigung, vielmehr befaßt er sich mit dem Tatbestand der einfachen Beleidigung. Genaugenommen gibt es beides nicht, denn die auf Terra und unseren Kolonialplaneten gültige Gesetzgebung kennt nur den Begriff der Beleidigung im allgemeinen unter Juristen auch als Formalbeleidigung bekannt. Bei einer Formalbeleidigung kann es sich sowohl um eine bloße Beschimpfung als auch um eine grobe Mißachtung handeln. Im juristischen Sinne ist eine schwere Beleidigung nichts anderes als eine üble Nachrede, die laut Absatz zwölf unter Strafe gestellt wird. Zitat: >Wer beleidigende Äußerungen ungeprüft weitergibt, wird bestraft, insofern er nicht die Richtigkeit seiner Behauptungen nachweisen kann.< Der Hinweis, man habe die Informationen von Dritten erhalten, schützt nicht vor einer Verurteilung, denn bloße, ehrverletzende Gerüchte darf man nicht ungestraft weiterverbreiten.« Das unscheinbare Männlein, das an Strangers Nachbarschreibtisch saß, holte kurz Atem. 319 Mader nutzte die günstige Gelegenheit für einen Einwand. »Beleidigung oder nicht das ist doch Haarspalterei. Dann hat sich Mister Stranger halt der üblen Nachrede schuldig gemacht, und die ist strafbar. Er hätte die ihm zugespielten Informationen eingehender prüfen sollen, dann säße er jetzt nicht in der Patsche.« »Ich sitze nicht in der Patsche!« protestierte der Journalist. »Gemeinsam mit Sam Patterson und unserer Rechtsabteilung habe ich jedes Detail gewissenhaft überprüft. In keiner einzigen Meldung, in keinem einzigen Artikel wurde auch nur der Hauch einer Lüge verbreitet. Sämtliche veröffentlichten Angaben sind wahr. Üble Nachrede daß ich nicht lache!« »Es wird keine Klage wegen übler Nachrede eingereicht, sondern wegen Verleumdung«, stellte Anderson klar. »Diese juristisch völlig korrekte Bezeichnung verwenden wir auch in den vorliegenden drei Schriftstücken.« Stranger schaute das Männlein ratlos an. »Nachrede? Verleumdung? Wo liegt da der Unterschied?« »In der Höhe der Strafzumessung«, erhielt er zur Antwort. »Wer nachweislich um die Unrichtigkeit eines verbreiteten Gerüchts weiß, begeht im Sinne des Gesetzes eine Verleumdung. Davor muß der Bürger geschützt werden. Die Schwierigkeit liegt in der Beweisführung. Wie soll man einem Verleumder nachweisen, daß ihm die Unwahrheit zum Zeitpunkt der Verbreitung der Falschmeldung bewußt war?« »Heißt das, ich muß mir ernsthaft Sorgen machen?« hakte Stranger nach. »Nicht, wenn Sie stets nur die volle Wahrheit verbreitet haben. Einen Bestechungsskandal aufzudecken ist nicht straf, sondern ehrbar.« Mit zufriedener Miene wandte sich Bert den drei Anwälten zu und gab ihnen ihre Schriftstücke zurück. »Sie haben es gehört ich bin ehr, nicht ruchbar. Bitte gehen Sie jetzt, und nehmen Sie Ihre Pamphlete mit.«
Leandros nahm die mühevoll aufgesetzten Niederschriften mit entrüsteter Miene entgegen.
»Ihr sittenwidriges Verhalten wird Ihnen noch leid tun!« drohte er.
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»Solch ein Verhalten liegt in unserem Fall nicht vor«, belehrte ihn das Männlein.
»Sittenwidrigkeit führt laut Paragraph 138 Absatz 77 zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts,
wenn sich jemand unter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder der
erheblichen Willensschwäche eines anderen geschäftliche Vorteile oder Vermögensvorteile
verschafft, die in einem auffälligen Mißverhältnis zur erbrachten Leistung stehen. Darf ich
fragen, Mister Mader, Mister Anderson, Mister Leandros, in welcher Zwangslage sich Ihre
Mandanten zum Zeitpunkt der Abwicklung ihrer geschäftlichen Vereinbarung mit Mister
Stranger befanden, um was für eine geschäftliche Vereinbarung es sich in praxi handelt und
welche Art von Leistung... ?«
Rumms!
Mader, der als letzter hinausgegangen war, hatte die Bürotür laut und vernehmlich ins Schloß
fallen lassen.
»Habe ich was Falsches gesagt?« fragte der Unscheinbare verdattert.
Bert klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Aber nein, Sie waren großartig!«
»Der Mann ist wirklich großartig!« sagte Sam Patterson zu Terence Wallis am Vipho.
»Stranger hatte eine Kameraverbindung zu meinem Büro geschaltet, um es mir zu
ermöglichen, zuzuschauen und mitzuhören. Am liebsten hätte ich laut losgelacht, so komisch
war die ganze Situation. Wie er die drei Winkeladvokaten in ihre Schranken verwiesen hat,
mit tonloser Stimme, völlig emotionslos, das war nicht zu überbieten. Und so ganz nebenher
besserte er zwei orthographische Fehler in den Schriftstücken aus mit Rotstift, wie ein Lehrer
bei seinen Schülern.«
»Ich habe dir doch gesagt, er ist unbezahlbar«, entgegnete Wallis amüsiert. »Deshalb steht er
ja auch in meinen Diensten. Vor Gericht hat er schon so manchem gegnerischen Anwalt den
letzten Nerv getötet ohne große Anstrengung, nur mit seiner unnachahmlichen Art des
Auftretens.«
Patterson hatte im Verlauf eines privaten Telefonats mit Wallis
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erwähnt, daß Mader, Anderson und Leandros ihr Erscheinen in der Redaktion angekündigt
hatten. Daraufhin hatte Wallis ihm seinen besten Anwalt zur Verfügung gestellt. Zwar
verfügte Terra-Press über eine ausgezeichnete Rechtsabteilung, doch S am hatte sich letztlich
überreden lassen.
»Nur gut, daß ich auf dich gehört habe«, bedankte er sich jetzt am Vipho. »Die Schau, die
dein Hausjurist hingelegt hat, war durch und durch gelungen. Seine fahrigen
Fingerbewegungen an der Tastatur, der stupide Ausdruck in seinen Augen, seine farblose
Kleidung, die einschläfernde Stimme... sogar als er sich von Stranger und mir verabschiedet
hat, behielt er seine Rolle bei.«
»Wieso Rolle?« fragte Terence Wallis. »Er hat euch nichts vorgespielt. A. B. C. D. E.
Fortrose benimmt sich immer so.«
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21. »Es ist an der Zeit, Abschied zu nehmen, mein Freund«, sagte der Gestaltwandler, der sich wie üblich als Jim Smith präsentierte. Sein Alter Ego war ihm längst zur zweiten Natur geworden, die er auch künftig und fern der Erde nicht aufzugeben gedachte.
»Aber sicher nicht für immer«, erwiderte Ren Dhark. »Wir liegen doch nur ein paar Galaxien weit voneinander entfernt.« Nur ein paar Galaxien weit. Seine eigenen Worte brachten ihn zum Lachen. Als er vor zehn Jahren sein Raumfahrerpatent erhalten hatte, wären sie ihm wie Größenwahn vorgekommen, doch inzwischen hatte er sich schon fast daran gewöhnt, in Galaxien außerhalb der Milchstraße zu operieren. Wie im Zuge der Globalisierung die Erde einst scheinbar kleiner geworden war, war es nach dem Wegfall des Exspects dieser Bereich des Weltalls. Von Terranem gesteuerte Raumschiffe waren in der Lage, die Nachbargalaxien viele tausend Mal schneller zu erreichen, als es das Licht vermochte. Der »Blick in die Vergangenheit«, von dem Astronomen des zwanzigsten Jahrhunderts so gern gesprochen hatten, hatte dadurch eine ganz neue Dimension erlangt. »Du magst recht haben. Der Kreis schließt sich jedenfalls«, erinnerte sich Gisol. »Hier hat alles angefangen, und für dich und die Menschen endet es hier.« Ren Dhark nickte stumm, als er neben dem Worgun durch die großzügig angelegte Parkanlage schlenderte, die die römische Akademie umgab. Im April 2059 hatten sie Terra Nostra zum ersten Mal betreten, und nun schrieb man daheim, auf der Erde, Anfang November. Etwas mehr als ein halbes Jahr war also vergangen, seit die Orn-Expedition ins Innere der Gaswolke Gardas vorgestoßen war. Es 323 fiel ihm schwer zu glauben, was in dieser Zeit alles geschehen war. »Es scheint mir eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit wir Laetus und Nauta kennengelernt haben«, sagte er. »Damals traten wir uns beinahe wie Gegner gegenüber, und heute sind wir Freunde. Die Dinge haben sich geändert.« »Das tun sie immer.« Gisol wirkte schwermütig angesichts des bevorstehenden Abschieds. »Laß dir das von einem alten Mann gesagt sein.« »Alter Mann? Nur weil du ein paar hundert Jahre mehr auf dem Buckel hast als ich? Hör bloß auf, du Worgun-Jungspund.« »Ihr seid beide alte Männer«, kicherte Juanita vergnügt, die seit Gisols Rückkehr nach Terra Nostra nicht einen Schritt von dessen Seite gewichen war. »Zwar kenne ich noch viel ältere Männer von der Erde, aber im Vergleich zu mir seid ihr beide echt alt.« »Da muß wohl etwas dran sein«, sinnierte Dhark. Als Dreißigjähriger hatte er in der Tat schon viel mehr erlebt als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben. »Womit wir wieder bei den Veränderungen sind. Du bist fest entschlossen, mit dem Mädchen bei den Römern zu bleiben?« »Ich gehöre hierher, das wissen wir beide, und Juanita fühlt sich auf Terra Nostra wohl. Sie kann hier eine Menge lernen. Auf der Erde kennt sie niemanden, aber hier hat sie bereits eine Reihe von Freundschaften geschlossen. Sie hat hier alle Möglichkeiten, die ihr in den Slums, aus denen sie stammt, verwehrt geblieben wären.« Die unbekümmerte und fröhliche Art von Gisols Ziehtochter bestätigte dessen Worte. Längst hatte sie sich in der anfangs für sie fremden Welt eingelebt. »Zu Hause gab es nicht so viele Blumen, da gab es nur Schmutz und Abfall«, plapperte sie vergnügt und sprang zwischen den Beeten umher. »Hier darf ich so viele Blumen abpflücken, wie ich will, und niemand schimpft deswegen. Ich will nie mehr von hier weg.« »Dagegen kann wohl niemand etwas einwenden«, sagte Dhark, als sie einen langgezogenen, flachen Gebäudetrakt betraten, der im Sonnenlicht badete. Musik begleitete sie, während sie durch einen 324 in Marmor gehaltenen Korridor gingen, der in einen festlich geschmückten Saal führte. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß eine ausgelassene Stimmung herrschte. Neben zahlreichen Römern von Terra Nostra war die gesamte Besatzung der POINT OF zugegen
und sprach den mannigfaltigen Speisen und erlesenen Weinen reichlich zu. In Gruppen und Grüppchen standen Menschen und Römer zusammen und unterhielten sich angeregt. Auch der Wächter Simon hatte sich unter die Menge gemischt. Dan Riker kam den Neuankömmlingen mit einem Glas Wein entgegen und prostete Gisol zu. »Da seid ihr ja endlich, Ren. Doorn hat bereits Wetten angeboten, daß ihr beide stillschweigend an Bord der POINT OF und der EPOY gegangen wärt, um die Zyzzkt vor Gardas auf eigene Faust endgültig zu vertreiben.« »Vor Gardas parrouillieren keine Wimmelwilden mehr«, korrigierte ihn der Worgun. »Dann eben im Rest von Om. Ihr kennt doch unseren guten Are. Wenn der sich etwas in seinen Dickschädel gesetzt hat, bekommt man es nicht so schnell wieder raus.« Gisol lächelte. »Aber er weiß ebensogut wie der Rest von euch, daß der Krieg in Om nicht eure Sache ist. Damit kommen wir allein klar, und ich bin zuversichtlich, daß wir ihn in absehbarer Zeit beenden können. Die Allianz aus Römern, Worgun und zahlreichen anderen Völkern, die es endlich wagen, sich gegen die Unterdrücker zu erheben, ist auf einem guten Weg.« »Dennoch bedaure ich noch immer, daß es uns auf Morpok nicht gelungen ist, den Krieg zu verhindern.« »Wir sollten nicht in die Vergangenheit schauen, sondern in die Zukunft. Immerhin verbringen wir dort den größten Teil unseres Lebens.« Riker starrte in sein Weinglas und runzelte fragend die Stirn. »Hat dieser früher so steife Rebell der Mysterious das jetzt wirklich gesagt, oder habe ich schon zuviel von diesem edlen Tropfen genossen? Ach egal, jedenfalls hat er recht. Das hier ist unsere Abschiedsfeier, und die sollten wir genießen. Unsere Gastgeber haben sich alle Mühe gegeben, und wir wollen sie doch nicht enttäuschen.« 325 Als hätten sie auf dieses Stichwort gewartet, gesellten sich Laetus und Nauta zu ihnen. Margun und Sola, dachte Ren, auch wenn die Römer das nicht wußten. Das Geheimnis der Erbsenatoren blieb weiterhin gewahrt. Er hatte seine Leute von der POINT OF dazu vergattert. Stillschweigen über die wahre Identität der Akademiepräsidenten zu bewahren. Wenn Margun und Sola der Meinung waren, sie eines Tages lüften zu müssen, sollten sie das selbst tun. »Ohne unsere Freunde von der Erde würden wir uns wahrscheinlich immer noch verstecken«, sagte Laetus, der einen unscheinbaren Datenspeicher in der Hand hielt. »Nur den Daten über das Schwarze Loch haben wir es zu verdanken, daß wir endlich so mobil sind, wie wir es immer erhofft haben.« »Was ist das?« fragte Dhark, als der Römer ihm den Datenspeicher reichte. »Ein bescheidenes Zeichen unserer Dankbarkeit«, antwortete Nauta. »Das mindeste, was wir tun können. Der Speicher enthält uraltes Worgun-Wissen.« »Papperlapapp, Ren«, kam Gisol dem Commander zuvor, ehe der sich bedanken konnte. »Was wir euch zu verdanken haben, läßt sich nicht in Worte fassen.« »Auch nicht der Verlust der BUDVA und Ihrer Kameraden, die für die Freiheit Oms gestorben sind«, pflichtete Laetus bei. »Für ein Leben kann es keinen Ersatz geben, zumindest aber für Ihr verlorenes Schiff. Auf dem Landefeld steht bei Ihren Schiffen ein neuer OvoidRingraumer bereit, den wir Sie bitten anzunehmen. Wir waren so frei, ihn im Gedenken an Ihren Verlust auf den Namen BUDVA II zu taufen. Wenn Sie ihn mit Ihren übrigen Schiffen koppeln und an die Spitze der Formation setzen, wird das Ihre Geschwindigkeit beträchtlich erhöhen.« Ren nickte. Die neuen Freunde aus einer anderen Galaxis machten ihm den Abschied wirklich nicht leicht. Er rang nach Worten, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. In seinem Hals
steckte ein Kloß, der ihm den Atem raubte. Nur nicht die Übersicht verlieren, befahl er sich,
als er bemerkte, daß er drauf und dran war, in Melancholie zu ertrinken. Er konnte sich nicht
erinnern, schon einmal ähnlich gefühlt zu haben.
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»Sind wir Männer oder Mädchen? Wir könnten jetzt gemeinsam eine Runde heulen«,
überspielte Dan Riker die Situation mit einem Augenzwinkern und schwenkte sein
inzwischen leeres Weinglas. »Wir könnten uns aber auch gemeinsam an diesem wunderbaren
Tropfen vergehen.«
»Ich bin ein Mädchen«, warf Juanita mit einem strahlenden Lächeln ein. »Ihr seid Männer,
Mister Riker. Auch wenn ich die Frage nicht verstehe, denn es gibt doch nichts zu heulen.«
Als ringsum Gelächter einsetzte, verstand sie die Welt nicht mehr.
»Mach dir nichts draus«, sagte Gisol, hob sie mit einem Ruck in die Höhe und setzte sie auf
seine Schultern. »Manchmal sind kleine Mädchen wie du viel vernünftiger als wir alten
Männer.«
»Ist mir schon klar. Und wenn ich erst mal groß bin, werde ich noch viel vernünftiger sein als
ihr alle zusammen.«
»Apropos vernünftig«, fiel Dhark etwas ein. »Was ist eigentlich aus der Millionenflotte der
Zyzzkt geworden, mit der die Insektoiden nach Nai auswandern wollten?«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Commander. Die haben wir lahmgelegt. Zu einer
Invasion anderer Galaxien durch die Zyzzkt wird es niemals kommen.«
»Der Checkmaster weigert sich übrigens beharrlich, uns zu verraten, wie er auf Morpok auf
die Idee mit dem neuronalen Blockadefeld gekommen ist, das die Worgunmutanten
ausgeschaltet hat«, beschwerte sich Dan Riker. »Diese Kiste wird sich auch niemals ändern.«
»Das Feld haben Nauta und ich entworfen und in die MASOL eingebaut vor eintausend
Jahren auf Kaso«, flüsterte Margun so leise, daß ihn sonst niemand hören konnte. »Sollten Sie
es irgendwann wieder einmal brauchen, sprechen Sie den Autonomrechner darauf an. Er wird
es ihnen sicher gern zur Verfügung stellen, auch Wenn er manchmal ein wenig... eigen ist.«
»Eigen? Das ist viel zu milde ausgedrückt.« Dan Riker spielte unmer noch mit seinem leeren
Glas. »Eine Apparatur, die nicht mal Arc Doorn durchschaut, kann nur spinnen.«
»Sehen Sie es uns nach«, bat Laetus ebenso leise wie sein Kollege. »Aber wenn jemand die
Schuld daran trägt, dann nicht der
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Autonomrechner, sondern mein Freund und ich. Schließlich steckt eine Menge von uns als
seinen Erbauern in ihm, und zweifellos haben wir ihn mit ein paar unserer persönlichen
kleinen Eigenheiten versehen.«
»Dann dürfen wird uns in Zukunft auf weitere Überraschungen gefaßt machen, so weit es den
Checkmaster betrifft?« fragte Dhark.
»Durchaus, Commander, durchaus. Immerhin ist er ein Stück von uns.«
»Ich frage gar nicht weiter, denn ich bin sicher. Sie werden uns ohnehin nicht mehr sagen.«
Die beiden Akademiepräsidenten setzten ein beinahe synchrones Lächeln auf und neigten die
Köpfe. Als Nauta wieder aufblickte, sagte er: »Eines kann ich aber durchaus verraten. Von
dem Wein, der Mister Riker so zusagt, lagern noch einige Fässer in unseren Kellern.«
Der Rest des Abends und der darauffolgenden Nacht verging in einer Mischung aus
Sentimentalität und rauschender Atmosphäre. Erst als der nächste Morgen graute, kehrte in
den prächtigen römischen Hallen allmählich Ruhe ein.
Das Kapitel Orn war abgeschlossen.
Jedenfalls dachte das Ren Dhark.
Wohltuende Stille lag in der Kommandozentrale der POINT OF, wo in letzter Zeit nur Lärm
und Hektik regiert hatten.
Ren Dhark sog die beinahe vergessen geglaubte Atmosphäre in sich auf wie eine milde
Frühlingsbrise, die Balsam war für Nerven und Seele.
Er hatte sich nach einer Nacht wie dieser gesehnt, und nun, da sie endlich gekommen war,
hielt er sie fast für einen Traum, aus dem er jeden Moment aufwachen konnte.
Strahlend und funkelnd blieb Orn hinter den gekoppelten Raumschiffen zurück, als sie im
intergalaktischen Leerraum zwischen den Galaxien beständig beschleunigten.
Die Römer hatten nicht zuviel versprochen, was die Möglichkei
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;n der BüDVA II anging, und Ren war dankbar für jede Stunde, die sie dadurch früher in der
Milchstraße ankommen würden.
Im heimatlichen Sonnensystem und vor allen Dingen auf der Erde.
»Du bist so still«, durchbrach Dan Riker, der neben dem Commander der Planeten saß, die
Stille. »Woran denkst du?«
»Daran, daß es Blödsinn ist, daß wir uns beide die Nacht um die Ohren schlagen.« Dhark
winkte lachend ab. »Ich bin erleichtert, daß wir rechtzeitig vor den Wahlen wieder daheim
sind. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht damit gerechnet.«
»Früh genug jedenfalls, daß du noch in den Wahlkampf eingreifen kannst. Auch wenn nicht
mehr viel Zeit bleibt, wirst du die Wähler schon überzeugen. Schließlich hast du einmal mehr
die Galaxis gerettet. Bei der Vorstellung einer Invasion der Milchstraße durch die Zyzzkt
dreht sich mir noch immer der Magen um.«
»Mir geht es nicht anders.« Dharks Gedanken kehrten zurück zu den neuen Freunden, die sie
durch die Orn-Expedition gewonnen hatten. So sehr er sich auf die Heimat freute, so sehr
vermißte er sie bereits.
Das ist der Lauf der Dinge, sagte er sich. Das ganze Leben war eine Aneinanderreihung
flüchtiger oder intensiver Bekanntschaften aus denen aber zum Glück hin und wieder auch
mehr wurde.
»Glaubst du, daß die Worgun und die Römer die Zyzzkt endgültig besiegen werden?«
»Bei Leuten wie Martius und Gisol zweifle ich nicht daran. Ei
?s Tages werden wir es erfahren, verlaß dich drauf.«
»Na ja, nicht jede Galaxis, in die es uns verschlägt, verschwindet wie Drakhon. Das wäre ja
auch noch schöner. Die Menschen auf der Erde könnten sonst auf die Idee kommen, daß wir
uns diese Geschichten nur ausdenken, und zum Münchhausen eigne ich mich nicht besonders
gut.«
Die alten Freunde lachten gemeinsam, als sich die Ortung meldete. l »Was gibt es denn?«
seufzte Dhark schicksalsergeben.
»Wir erfassen ein Flugobjekt, das mit hoher Überlichtgeschwinligkeit aus dem Leerraum
kommt und Orn anfliegt.«
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»Kommt vor«, antwortete Riker anstelle des Kommandanten. »Und was ist daran so
ungewöhnlich?«
Langsam richtete sich Dhark in seinem Sitz auf. So gern er auf unvorhergesehene
Zwischenfälle verzichtet hätte, hatte er mit einem Mal das untrügliche Gespür, es nicht mit
einem herkömmlichen Raumschiff zu tun zu haben. In dem Fall hätte die Ortung nämlich kein
besonderes Aufheben darum gemacht.
»Das Objekt besitzt die Größe eines Planeten und wird eindeutig gesteuert, wie eine
Kurskorrektur bestätigt.«
»Klingt ziemlich geheimnisvoll. Ich möchte einen Blick darauf werfen.«
»Was wahrscheinlich keine so gute Idee ist«, warf Dan Riker ein und verdrehte theatralisch
die Augen. »Aber wir sind ja nicht zum Spaß hier draußen.«
In der Bildkugel wurde das unbekannte Objekt sichtbar. Es war tatsächlich so groß wie ein
mittlerer Planet, aber das war nicht das auffälligste daran.
»Du liebe Güte«, entfuhr es dem Chef der TF ungläubig. »Hast du so etwas schon mal
gesehen?«
Der weißblonde Mann schüttelte den Kopf, während er das faszinierende Objekt betrachtete.
Es war tatsächlich ein Planet, aber einer, der golden leuchtete, und sein Ziel war unzweifelhaft
Om. Anscheinend hatte irgendeine Macht des Universums etwas dagegen, daß der amtierende
Commander der Planeten die Erde rechtzeitig genug erreichte, um sein Amt bei den
bevorstehenden Wahlen verteidigen zu können.
Kurs ändern, instruierte Ren Dhark die Gedankensteuerung. Schiffsverband auf Abfangkurs
bringen.
Statt Richtung Milchstraße ging es zurück nach Om.
Zurück in eine Galaxis, die weit entfernt vom Frieden war.
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22. Samstag, 29. November 2059 13 Uhr in Alamo Gordo (12 Uhr Pazifische Zeitzone) Büro von Sam Patterson Die Umfragewerte der Fortschrittspartei waren rapide gesunken. Davon profitierten die übrigen Parteien, allen voran die Partei für Demokratie. Bald hatte kaum noch jemand Zweifel daran, daß Trawisheim die Wahl gewinnen würde. Mit Beginn des Wahltages wurden keine Unifragen mehr durchgeführt. Auch Hochrechnungen waren verboten um eine Beeinflussung der Wähler zu verhindern, die noch nicht ihre Stimme abgegeben hatten. »Theoretisch könnte sich das Volk die Stimmabgabe schenken«, meinte Bert Stranger. »Der Sieger steht sowieso fest.« l »Sehe ich genauso«, entgegnete Sam Patterson. »Das wird die . % stinklangweiligste Wahl in der Geschichte der Menschheit.« Bert grinste. »Leider können wir auf eine umfangreiche Berichterstattung kaum verzichten. Die Konkurrenz schläft nicht. InterI1 media wird seine besten Leute in die Parteizentralen und in die Wahlzentrale schicken und die ganze Sache zu einem >Wahlkrimi< hochspielen. Sobald dann das Ergebnis offiziell feststeht, folgt das übliche Lamento der Politiker. Die Sieger triumphieren und behaupten, das hätten sie von vornherein gewußt, keine Sekunde hätten sie an ihrem Sieg gezweifelt und die Verlierer führen ihre Niederlage auf unfaire Intrigen ihrer Parteigegner zurück und erklären sich zu den eigentlichen Gewinnern.« Patterson nickte. »Sinnloses Blabia, über das jeder Anfänger berichten kann. Ich werde Louis Carton beauftragen, ein Team für die Wahlberichterstattung zusammenzustellen.« 331 »Wie bitte?« entfuhr es Stranger verwundert. »Aber ich habe bereits ein Team zusammengestellt, unter meiner Leitung.« »Die Besten der Besten, wie ich Sie kenne.« »Logisch, die Elite von Terra-Press ist gerade gut genug für mich. Immerhin wird das Wahlgeschehen über sämtliche Kanäle ausgestrahlt, bis ins hinterletzte Mauseloch unseres Planeten. Rund um die Erde dauert der Wahltag 36 Stunden, die ersten Wähler haben also ihre Stimmen bereits abgegeben. Wenn morgen um kurz nach achtzehn Uhr amerikanischer Westküstenzeit das Wahlergebnis bekanntgegeben wird, sitzen wahrscheinlich tausend Prozent der terranischen Bevölkerung vor ihren Bildschirmen. Ein historischer Augenblick und den soll ich an Louis Carton abtreten?«
Sam nickte noch einmal. »So ist es. Haben Sie damit Probleme, Bert? Eben noch waren Sie
mit mir einer Meinung, daß es sich kaum lohnt, darüber zu berichten.«
Bert war irritiert, fast schon ein wenig entsetzt. Seine Wortwahl war dementsprechend.
»Sie verarschen mich, oder?«
Patterson demonstrierte ihm, daß sein Kopf nicht nur zum zustimmenden Nicken geeignet war
er schüttelte ihn.
»Nein, ich verarsche Sie nicht. Sie werden sich definitiv von der Wahl fernhalten.«
»Ich soll zu Hause vor dem Holoschirm hocken, Däumchen drehen und tatenlos zusehen, wie
Louis Carton die Früchte erntet, die ich gesät habe?« fragte Bert ärgerlich.
Wieder schüttelte Sam den Kopf. »Bei dem Gehalt, das Sie beziehen, kann ich es mir nicht
leisten. Ihnen eine Ruhepause daheim auf dem Sofa zu gönnen. Sie werden sich in
Pennsylvania an der frischen Luft aufhalten, gemeinsam mit Ihrem Team. Das
Wahlgeschehen können Sie über die Monitore im Übertragungsgleiter sowie über tragbare
Empfänger mitverfolgen.«
»Sie haben sicherlich einen plausiblen Grund dafür, oder?«
»Den habe ich, aber Sie erfahren ihn erst im letzten Augenblick.«
»Wozu die Geheimniskrämerei? Haben Sie kein Vertrauen mehr zu mir? Habe ich Ihnen
irgend etwas getan?«
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Patterson schmunzelte. »Im Gegenteil. In letzter Zeit sind Sie geradezu zu Hochform
aufgelaufen. Dafür werden Sie nun von mir elohnt.«
Sonntag, 30. November 2059
16 Uhr in Pennsylvania (13 Uhr Pazifische Zeitzone)
Vor dem Werksgelände von Wallis Industries
Das Wetter war so, wie man es sich am letzten Novembertag äblicherweise vorstellte: feucht
und diesig. Keine gute Voraussetzung für ein Reporterteam, das im wahrsten Sinne des
Wortes im tegen stand.
»Nieselschauer, Windböen, schwarze Wolkenballungen, Donnergrollen aus der Feme wie
soll man unter derart ungünstigen Bedingungen gute Aufnahmen machen?« beschwerte sich
Pinto, einer der Kameramänner.
»Ist was anders, als im geheizten Ballsaal geschniegelte Tanz»aare zu filmen, wie?« hänselte
ihn Bert Stranger.
Rhanui war es eigentlich gewohnt, Klatschtante Claire auf ihren Bxkursionen durch die feine
und weniger feine Gesellschaft zu begleiten. Da KC aber aus privaten Gründen verhindert
war, hatte Stranger den fähigen »Kameravirtuosen« sofort mit Beschlag belegt.
Nicht nur ihn. Rund um das achtzig Quadratkilometer große Umzäunte Gelände des Wallis-
Industries-Hauptwerks hatte er unluffällig TonbildHolokameras postiert wie Patterson ihn
angewiesen hatte.
Die Kameraleute standen in sicherer Entfernung überall dort, wo üan sie vom Werksgelände
aus nicht wahrnehmen konnte, denn ie wollten keinen Ärger mit den Wachleuten bekommen.
Wer binen Unterstand gefunden hatte, selbst wenn es nur ein Baum l^ar, konnte sich glücklich
schätzen. Die weniger Glücklichen "standen im Freien, getarnt von Büschen oder hohem
Gras. Mitgebrachte Tarnplanen boten in erster Linie den teuren Geräten Schutz die Menschen
durften ruhig ein bißchen naß werden.
Der Übertragungsgleiter, der auch Transportzwecken diente,
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stand am Rande eines Wäldchens. Für die Überwachung der eingebauten Hauptsendeanlage
genügte ein Mann Lex Leroy, der einzige, der im Trockenen saß.
Wer über einen tragbaren Empfänger verfügte, verfolgte draußen die Wahlberichterstattung
mit.
Louis Carton gestaltete seine Gespräche möglichst unterhaltsam, entpuppte sich aber auch als hartnäckiger Fragesteller. Bei Interviews mit besonders redegewandten Politikern hakte er jedesmal so lange nach, bis ihnen die handelsüblichen Phrasen ausgingen und sie aus dem Bauch heraus antworteten. Gescheiter wurden die Antworten dadurch allerdings auch nicht. »Der Sturm, den die PfD gesät hat, wird sich gegen sie wenden!« sagte FP-Generalsekretär Dave Paley theatralisch. »Das wird den Verleumdern eine Lehre sein!« Große Worte für einen Mann, der sogar einen Psychologen engagiert hatte, um Henner Trawisheim und Ren Dhark in Femsehtalkshows durch den Kakao zu ziehen. Weder Dreyfuß noch Paley hatten je offiziell Klage gegen TerraPress eingereicht auf Anraten von Skittleman. Der Intermedia-Chef wollte nicht noch mehr schlechte Publicity riskieren. Auch bei seiner großspurig angekündigten Gegenkampagne war nicht mehr herausgekommen als ein heiseres Bellen. Trawisheim stand ebenfalls unter Spannung, doch nach außen hin mimte er den Gelassenen. »Falls ich gewinne, habe ich mein politisches Ziel erreicht«, verkündete er vor laufenden Mikrophonen mit breitem Lächeln. »Und falls ich verliere, habe ich künftig weniger Arbeit.« Die Kandidaten der kleineren Parteien kamen nur selten in den Genuß von Befragungen, man kümmerte sich kaum um ihre Meinung. Unverdientermaßen, denn einige von ihnen waren überaus engagiert. »Die Henriette-Moll-Partei hat ein schlüssiges Konzept zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vorgelegt«, erklärte Henriette Moll einer jungen Intermedia-Journalistin. »Man sollte damit aufhören, den Arbeitslosen ständig weiszumachen, neue Arbeitsplätze ließen sich aus dem Hut zaubern, solange man nur die richtige Partei wählt. Wenn keine Arbeit da ist, ist keine Arbeit da, das muß end 334 lich offen und ehrlich ausgesprochen werden.« Die Journalistin bedankte sich für das Gespräch. »Und wo war nun das schlüssige Konzept?« fragte Pinto Rhanui in Pennsylvania am tragbaren Bild und Tonempfänger. Bert Stranger, der neben ihm hinter einem niedrigen, grasbewachsenen Erdwall hockte, zuckte nur mit den Schultern und schlug den Kragen seines Regenmantels hoch. Am liebsten hätte er sich zum Gleiter begeben und hineingesetzt. Aber er wollte möglichst nah dran sein, wenn es losging. Es? dachte er. Verflucht und zugenäht, vorauf warten mr alle hier eigentlich? Mehr als ein paar vage Andeutungen hatte er Patterson nicht entlocken können. Von einem »faszinierenden Ereignis, das in dieser Form nie wieder stattfinden wird« hatte sein Boß gesprochen. Momentan ereignete sich auf dem Werksgelände rein gar nichts. Außer den Wachen war kein Mensch zu sehen, und aus den Hallen drang kein Laut. Offensichtlich wurde an diesem Abend hier nicht gearbeitet, was Stranger verwunderte. »Terence Wallis hat heute weltweit geschlossen, damit seine Mitarbeiter wählen gehen können«, informierte ihn KCs philippinischer Kameramann. Bert tippte sich an die Stirn. »Und dafür kriegen die den ganzen Tag frei? Seit wann zählt Wallis zum Club der selbstlosen Menschenfreunde? Dahinter steckt garantiert etwas ganz anderes.« Plötzlich fiel ihm etwas auf, das ihm bislang total entgangen war obwohl es einem nahezu ins Auge sprang. Umgehend setzte er sich mit den anderen Beobachtungsposten in Verbindung. Sein Verdacht bestätigte sich. Von überallher gingen die gleichen Meldungen ein. , 17 Uhr in Pennsylvania (14 Uhr Pazifische Zeitzone) l Ein Restaurant in der Innenstadt von Pittsburgh l i »Und ihr wollt wirklich nicht mitkommen, um das grandiose
eignis hautnah mitzuerleben?« 335 Terence Wallis schaute erst Art und dann Jane Hooker fragend an. Beide hatten sein Angebot, in seinem Ikosaederraumer mitzufliegen, abgelehnt. Umgekehrt lehnten es Wallis, Robert Saam, George Lautrec, Saram Ramoya und Regina Lindenberg ab, mit den Hookers auf der SEARCHER mitzureisen, obwohl deren diskusförmiges Schiff viel eher am Ziel sein würde; außerdem waren die Kabinen weitaus geräumiger und bequemer. Das norwegische Universalgenie, der kanadische Allroundwissenschaftler, der indonesische Funk und Ortungsspezialist und die Schweizer Biologin hatten Carborit gemeinsam entwickelt jenen neuartigen Verbundstoff, der das Stammwerk von Wallis Industries komplett aus dem Erdreich lösen und ins Weltall befördern sollte. Nicht in irgendeine Umlaufbahn, sondern auf die Reise von Terra nach Eden. Unterhalb des Hauptwerks hatte man ein gänzlich neues Fundament eingezogen: eine riesige, aus einzelnen Elementen zusammengefügte Carboritplatte. Gewaltige Antigravaggregate würden die Platte in die Höhe erheben, ein Prallschirm würde das Werksgelände luftdicht einschließen und mächtige Impulstriebwerke würden es ermöglichen, die »fliegende Stadt« im All auf Transitionstempo zu beschleunigen. Zusätzliche Energieerzeuger wurden nicht gebraucht, da für den Flug nach Eden die Produktion unterbrochen worden war, so daß man die vorhandenen Kraftwerke auf dem Gelände nutzen konnte. Ein überarbeiteter Verwaltungsbeamter hatte routinemäßig eine Öffnung des planetenweiten Schutzschirmes über dem Werk veranlaßt, weil laut den umfangreichen Antragsunterlagen ein neuer Raumschiffstyp von Wallis Industries auf Probeflug gehen sollte. Um die allgemeine Aufmerksamkeit von der Hauptzentrale bei Pittsburgh/Pennsylvania abzulenken, hatte Terence Wallis weltweit alle seine Werke schließen lassen angeblich, um seinen Mitarbeitern den Wahlgang zu ermöglichen. Sein Plan war aufgegangen. Außer Stranger und seinem Team beobachtete niemand das Stammwerksgelände, und über deren Anwesenheit war Wallis bestens informiert. (Er hatte schließlich ausgezeichnete Kontakte in die Chefetage von TerraPress!) 336 Menschen durften sich nicht innerhalb der fliegenden Anlage aufhalten, da die Transitionen bei einem relativ niedrigen Tempo l erfolgten und der Schock bei einer solchen Masse für Normalsterbliche unerträglich wäre. Deshalb ging der Flug automatisch vonstatten, mit Robotern als Sicherheitsbegleitem. Zudem sollte ein Carborit-Ikosaeder den Flug begleiten, dessen Besatzung notfalls über eine spezielle Funkfernsteuerung Korrekturen vomehimen konnte. Wallis, Saam, Lautrec, Ramoya und Lindenberg gehörten der Ikosaederbesatzung an. Ob sie den wochenlangen Flug bis zum Schluß mitmachen würden, stand noch in den Sternen. In der ersten Phase würden sie »ihr Baby« jedenfalls nicht aus den Augen beziehungsweise Sensoren lassen. Vielleicht orderten sie ja später ein anderes Raumschiff und stiegen um, eine Aktion, die heutzutage keine große Sache mehr war. Art und Jane Hooker hatten nicht das geringste Interesse, im Weltall neben der »WIGroßstadt« herzuschleichen. Sie wollten •mit ihrem eigenen Raumer nach Eden vorausfliegen, sich dort ein Jwenig erholen und zu gegebener Zeit die sorgsam vorbereitete Ankunft und Landung des Werks beobachten. Maximal 5000 Lichtjahre konnte die SEARCHER bei jeder Transition überwinden. Um eine Materialüberlastung zu verhindern und Energie zu sparen, führten die Hookers bei ihren Flügen zwischen Eden und Terra üblicherweise nur 3000erSprünge aus, ungefähr alle sechs Stunden. Somit brauchten sie für eine Strecke ^irka fünf Tage. Den Eheleuten gehörten als Anteilseigner nicht nur 2,5 Prozent von Wallis Star Mining, einer Tochtergesellschaft von Wallis Industries, die für den Tofiritabbau im Achmed-System zuständig War, sie konnten auch 2,5 Prozent von Eden für sich beanspruchen. Als
Erstentdecker des Planeten hatten sie sich ein »Filetstückchen« ausgewählt, einen malerischen Inselkontinent, den sie Aloha getauft hatten. Dort war mittlerweile das neue Zuhause der beiden Weltallvagabunden, die auf der Erde nie so richtig heimisch geworden waren jedenfalls hatten sie sich nie für einen festen Wohnsitz entscheiden können und die meiste Zeit über auf ihren r verschiedenen Raumschiffen gelebt. 337 Daß Terence Wallis von »meinem Planeten« sprach, wenn er Eden erwähnte, obwohl ihm genaugenommen nur 97,5 % gehörten, störte Art und Jane nicht der schwer und einflußreiche Unternehmer hatte halt so seine Eigenarten. Verglichen mit den nervtötenden, ständig unzufriedenen Auftraggebern, für die sie früher tätig gewesen waren, hatten sie mit ihm das große Los gezogen. Außer Terence Wallis, den Hookers, Robert Saam und seinem »Dreierdreamteam« sowie neuerdings Sam Patterson kannten nur noch zwei Personen den neuen Standort von Wallis Industries: Liao Morei und Alexander Basil Christian David Edward Fortrose. Beide waren auch über die geplante Staatsgründung informiert. Fortrose und Liao blieben zunächst auf der Erde zurück. Wallis wollte nach und nach die kleineren Werke und Tochtergesellschaften auf Terra auflösen und mit Transportschiffen nach Eden verbringen, möglichst mit sämtlichen festen Mitarbeitern. Ein eingespieltes Organisatorenteam sollte sich darum kümmern überwacht von Fortrose, dem Ansprechpartner für Rechtsfragen, und der WallisSicherheitsbeauftragten Morei. Die beiden waren zu dem Treffen im Restaurant nicht erschienen. Fortrose fand es nicht sonderlich interessant, zuzusehen, wie sich eine Fabrik in die Lüfte erhob, und Liao wollte sich das furiose Schauspiel lieber gemeinsam mit Chris Shanton (der noch nichts von seinem Glück wußte) am Bildschirm anschauen. Wallis schaute auf die Uhr. »In ungefähr sieben Stunden befinden wir uns am Himmel über Pittsburgh im Ikosaeder, dem besten Logenplatz, den man sich denken kann. Mein lieber Schwan, bin ich aufgeregt! Ich kann es kaum erwarten, mitzuerleben, wie sich mein Lebenswerk in die Lüfte erhebt und ins Weltall entschwindet. Das einzige, was mir Sorgen bereitet, sind die Erschütterungen beim Start. Wenn ein Areal von achtzig Quadratkilometern aus dem Erdreich gerissen wird...« »Wie oft soll ich es dir noch sagen?« unterbrach ihn sein Schützling Saam genervt. »Nichts wird gerissen das komplette Gelände löst sich ganz, ganz sanft aus dem Boden, ohne daß Erdbeben oder Einsturzgefahr besteht. Die Roboter, Arbeiter und Ingenieure 338 haben alles perfekt vorbereitet. Eventuell gefährdete Bereiche wurden gesichert und abgestützt, es kann also gar nichts passieren. Theoretisch könntest du dich direkt neben dem Werk aufhalten, Bewährend es hochsteigt, du würdest so gut wie keine Erschütterung merken, abgesehen vielleicht von ein paar leichten Vibrationen unter den Schuhsohlen.« »Und warum sollte ich den Wachleuten Anweisung erteilen, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen gewissen Mindestabstand zum Werksgelände einzuhalten?« fragte Lautrec. »Sie haben sich darüber sehr gewundert, schließlich wissen sie noch gar nicht, was heute abend auf sie zukommt.« »Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, wiegelte der junge Norweger ab. »Warum seid ihr eigentlich so pessimistisch? Wovor fürchtet [ihr euch als nächstes? Davor, daß die Werkshallen beim Start umkippen?« »Die Hallen könnten umkippen?« fragte Wallis entsetzt. »Daran |habe ich überhaupt noch nicht gedacht!« Von dieser Sekunde an dachte er in einem fort daran.
18 Uhr in Pennsylvania (15 Uhr Pazifische Zeitzone) Vor dem Werksgelände von Wallis Industries »Ich hasse diese verdammten Herbstabende!« fluchte Isaac Stein, der seit vielen Jahren nachts bei Wallis Industries Wache lachob. »In lauen Sommernächten ist unsere Arbeit das reinste Preizeitvergnügen, doch zu dieser Jahreszeit wünsche ich mir jeiesmal, ich hätte was Anständiges gelernt.« »Ich habe was Anständiges gelernt«, entgegnete sein Kollege ^ene Pulgrimm. »Hat mir nicht viel genutzt. In diesen schlechten Zeiten muß man nehmen, was man kriegen kann. Na ja, im Grunde genommen geht es uns gar nicht mal so übel. Wir werden anständig behandelt, gut bezahlt... wenn nur dieses Mistwetter nicht wäre!« Wem sagst du das? erwiderte Bert Stranger in Gedanken. Ohne Rücksicht auf seine Kleidung robbte er auf dem Bauch 339 durch Gras und Matsch, hob ab und zu den Kopf und hielt Ausschau nach einer unbewachten Lücke in der nahezu nahtlosen Abriegelung des Werksgeländes. Da es bereits dunkel war, verwendete er ein Nachtsichtgerät. Die Wachen verfügten ebenfalls über solche Geräte, die sie allerdings nur einsetzten, wenn es etwas Verdächtiges zu erkunden gab. Solange Bert nicht ihre Aufmerksamkeit erregte, war er im Schutz der Dunkelheit verhältnismäßig sicher. Ihm war aufgefallen, daß der Werkschutz nur außerhalb des umzäunten, menschenleeren Geländes patrouillierte. Seine Teamkollegen hatten die gleichen Beobachtungen gemacht, wie sich auf Nachfrage herausgestellt hatte. Was hatte Terence Wallis zu verbergen, daß er nicht einmal seine eigenen Leute ins Werk ließ? Bert war fest entschlossen, das Rätsel zu lösen. Es mußte ihm gelingen, sich unbemerkt aufs Werksgelände zu schleichen. Dort, davon war er überzeugt, würde er sicherlich einen Hinweis finden. »Warten Sie in sicherer Entfernung ab, und tun Sie nichts Unüberlegtes«, hatte Sam Patterson ihn gewarnt. Genau die richtigen Worte, um Bert neugierig zu machen und ihn zu Höchstleistungen anzuspornen. Hätte Stranger geahnt, wie ernst Patterson seine Warnung gemeint hatte, wäre er sofort umgekehrt... »Hast du eine Ahnung, warum wir heute nacht nur vor der Umzäunung Wache schieben dürfen?« fragte Pulgrimm. »Und weshalb sollen wir uns eine Viertelstunde vor neun Uhr so weit wie möglich von der äußeren Eingrenzung zurückziehen?« Stein hob die Schultern. »Es hieß, jeder, der sich nach neun auf dem Gelände oder zu nahe am Gelände aufhält, würde in Lebensgefahr schweben. Mehr weiß ich leider auch nicht. Bislang bin ich immer gut damit gefahren, dem Boß zu vertrauen und keine überflüssigen Fragen zu stellen. Wallis weiß schon, was er tut.« »Hoffentlich. In letzter Zeit benimmt er sich reichlich merkwürdig und geheimnisvoll. Egal, mir kann es nur recht sein. Ich suche mir gegen neun Uhr ein trockenes Plätzchen, stöpsele meinen Ohrhörer ein und verfolge die letzten Minuten der Wahl mit. Bin schon gespannt auf das Ergebnis.« »Du hast einen versteckten Rundfunkempfänger dabei? Laß dich 340 damit nur nicht erwischen. Man erwartet von uns, daß wir uns voll und ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren. Jede Ablenkung ist strikt verboten. Äh, läßt du mich nachher mithören?« Auch Bert war ein Mithörer er hatte das Gespräch der beiden aufmerksam verfolgt. Jetzt wußte er, wie er aufs Gelände kam. Er brauchte nur abzuwarten, bis sich die gesamte Wachmannschaft weiter nach hinten zurückzog.
Dann war der Weg für ihn frei. 19 Uhr in Mexiko (17 Uhr Pazifische Zeitzone) Eine Luxushotelsuite in MexikoStadt »Wieso siehst du dauernd auf die Uhr?« fragte Chris Shanton brummig. »Fährt dein Bus gleich?« Er lag nackt und gewaltig, wie Gott ihn erschaffen hatte in einem überdimensionalen Hotelbett. Neben ihm räkelte sich die ebenfalls unbekleidete Liao. »In einer Stunde wird das Wahlergebnis bekanntgegeben«, antwortete sie. »Das möchte ich um keinen Preis versäumen.« Außer der zierlichen Chinesin schien alles in diesem Zimmer Übergröße zu haben. Die Fenstervorhänge, der Schreibtisch, die Sessel alles Größe XXL. Am dominantesten war jedoch der Holofemseher, dessen Bildträger sich über eine ganze Wand erstreckte. »Ehrlich gesagt, mich interessiert die Wahl nicht die Bohne«, | sagte Shanton. »Ich schwelge hier in Luxus, an der Seite einer [ wunderschönen Frau und soll mir diesen herrlichen Abend mit Politikergeschwafel verderben?« »Hast du dich noch gar nicht gefragt, wieso ich ausgerechnet diese spezielle Suite für unser Beisammensein ausgesucht habe?« fragte ihn Liao Morei lächelnd. »Mit einem Femseher von der E Größe einer Holokinoleinwand?« Shanton grinste. »Verstehe, das ist die Heiratssuite. Hier schauen sich die Paare in der Hochzeitsnacht schmuddelige Filmlchen an. Hast du welche mitgebracht?« 341 »Männer!« seufzte Liao. »Ich habe eine Riesenüberraschung für dich. Um Punkt acht Uhr schalten wir den Apparat ein und warten das Wahlergebnis ab.« »Tolle Überraschung«, entgegnete Chris mißgelaunt. »Trawisheim, Paley und Dreyfuß in Großformat das habe ich mir schon immer gewünscht.« »Mein Fall sind die auch nicht«, erwiderte die Asiatin. »Doch dank meines Chefs und seiner guten Freundschaft zu Sam Patterson weiß ich, daß die Wahlberichterstattung heute abend nur das Beiprogramm sein wird. Die Hauptsache wird im Anschluß übertragen.« »Du machst mich neugierig wie so oft.« »Nur noch eine knappe Stunde, und deine Neugier wird befriedigt, versprochen. Heute erhältst du die Antwort auf alle deine Fragen im Zusammenhang mit Wallis Industries. Ich schlage vor, du holst inzwischen Jimmy herauf. Ihm wird das ganze sicherlich genauso viel Freude bereiten wie dir.« »Jimmy ist eine Maschine«, stellte Shanton klar. »Er kann keine Freude empfinden und auch sonst nichts. Roboter sind gefühllose Gegenstände wie Blumenvasen oder Aschenbecher.« »Und weshalb hast du ihn vorhin unten an der Rezeption gelassen, statt ihn wie eine Vase einfach in die Ecke zu stellen?« »Weil ich mit dir ungestört sein wollte. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn der Köter dauernd auf der Bettkante hockt und uns anstarrt.« Je mehr er sich bemühte, Jimmy als einen ganz gewöhnlichen Roboter zu betrachten, um so weniger gelang ihm das. Der Hund war für ihn nicht nur ein Gegenstand oder ein außergewöhnliches Haustier er war sein Freund. Allerdings würde er das niemals zugeben, nicht gegenüber Jimmy, auch nicht gegenüber Liao und schon gar nicht gegenüber sieb selbst. 342 21 Uhr in Pennsylvania (18 Uhr Pazifische Zeitzone) Ein kleines Theater am Rande von Pittsburgh Elisabeth Deutschmann war sich durchaus bewußt, daß man sie hinter vorgehaltener Hand als »graue Maus« bezeichnete. Sie war selbstbewußt genug, großzügig darüber hinwegzusehen. Es gab nichts, daß sie an ihrem Leben auszusetzen hatte oder zu ändern beabsichtigte.
Auch Klatschtante Claire, von der es hieß, nicht einmal der Personalabteilung von TerraPress sei ihr Nachname bekannt (was natürlich kompletter Unsinn war), hatte ihr Leben voll im Griff. Sie wußte, daß sie keine Schönheit war und den Leuten mit ihren bohrenden Fragen manchmal gehörig auf den Wecker fiel. Na und? Wer sie nicht nehmen wollte wie sie war, konnte ihr den Buckel runterrutschen. Beide Frauen hatten sich schnell miteinander angefreundet — gleich am ersten Tag ihres Kennenlemens, als Claire in Elisabeths Büro gekommen war, um ihr Pattersons Geschenk zu überreichen: zwei Freikarten für einen Theaterklassiker, der leider nur noch selten gespielt wurde. »Obwohl Terra über ein weltumspannendes Netz mit Kulturinformationen aller Art verfügt, war es nicht leicht, einen Spielort ausfindig zu machen«, hatte Claire seinerzeit zu der Buchhalterin gesagt. »Es gibt kaum noch Intendanten und Regisseure, die sich an das Stück herantrauen. Selbst an geeigneten Schauspielern inangelt es mittlerweile. Insbesondere die beiden Hauptrollen lassen sich nur schwer besetzen.« Es war nicht die Rede von einem dramatischen Schauspiel im Stil von »Hamlet«, »Othello« oder »Nathan, der Weise« sondern von einem simplen Schwank mit dem Titel »Gossip in the Staircase« (Tratsch im Treppenhaus). Unterhaltsames für die Bühne in Szene zu setzen gestaltete sich mitunter schwieriger als die Inszenierung kulturell bedeutsamerer Werke. Elisabeth hatte Claire vor Freude umarmt und sie spontan eingeladen, sie zu begleiten. Der Rüg nach Pittsburgh, wo das Stück derzeit an einem kleinen 343 Theater aufgeführt wurde, war natürlich im Geschenk mit Inbegriffen, ebenso ein feudales Nachtmenü. Um einundzwanzig Uhr schaute KC auf ihre Uhr. »Noch etwa fünf Minuten«, flüsterte sie ihrer neuen Freundin im dunklen Zuschauerraum zu. »Bis zur Pause?« fragte Elisabeth Deutschmann. »Bis zur Verkündung des Wahlergebnisses«, entgegnete Claire. Obwohl sie so leise wie möglich sprach, zischelte ihr Hintermann ungehalten: »Pssst!« Offensichtlich interessierte sich nicht ein einziger der hier Anwesenden für die Wahl was auch auf Elisabeth zutraf. Da alle Wahlstimmen weltweit von Suprasensoren erfaßt wurden, würde es nur knappe fünf Minuten dauern, bis das Ergebnis vorlag. Außerhalb des Theaters wurde es weltweit verkündet. Etwa ein bis zwei Minuten danach vernahm KC ein dumpfes Grollen, das immer lauter wurde und allmählich in ein leichtes Beben überging. Die Unruhe im Zuschauersaal hielt sich in Grenzen. Hier und da wurde gemurmelt, aber niemand stand auf und lief in Panik hinaus. Auch auf der Bühne spürte man die Vibrationen, doch die Schauspieler erwiesen sich als Profis und spielten kurzerhand weiter. The show must go on. 20 Uhr 05 in Mexiko (18 Uhr 05 Pazifische Zeitzone) Eine Luxushotelsuite in MexikoStadt Als Chris Shanton mit Jimmy in die Suite zurückkehrte, erblickte er Strangers Kollegen Louis Carton in voller Lebensgröße. Die Holodarstellung war so perfekt, daß er für einen Moment glaubte, der Reporter würde mitten im Zimmer stehen. »Und wegen dem Knilch weckst du mich aus meinem Schönheitsschlaf hinter der Rezeption?« beschwerte sich der Robothund. »Wenn das die ganze Überraschung ist, will ich lieber wieder zurück.« 344 »Sei still, Mistvieh!« ermahnte ihn Shanton in seiner bekannt liebenswürdigen Art. »Ich will hören, wie die Wahl ausgegangen ist.« »Somit hat die Partei für Demokratie mit 46 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit im Parlament«, verkündete Louis Carton. »Henner Trawisheim ist der neue Commander der
Planeten. Im Klartext: Ren Dhark ist nicht mehr im Amt und weiß noch gar nichts von seinem Glück.« Der Journalist legte eine Kunstpause ein, während abwechselnd Archivfotos von Trawisheim und Dhark eingeblendet wurden. | »Normalerweise würden wir jetzt ausführliche Interviews mit den Wahlsiegem und Wahlverlierem führen«, fuhr Carton fort. »Doch da es Wichtigeres zu berichten gibt, verschiebt TerraPress die Gespräche ausnahmsweise. Wer dennoch nicht darauf verzichten möchte, dem empfehle ich umzuschalten auf die Sender von Intermedia, dem Garanten für tödliche Langeweile. Wir hingegen wohnen gleich live einem Riesenereignis bei, das sämtliche Wahlen des Universums in den Schatten stellt.« Louis Carton wußte selbst nicht, warum er die Liveübertragung plötzlich an Strangers Übertragungsgleiter abgeben sollte. Sam 'Patterson persönlich hatte ihn per Vipho von seinem Büro aus kontaktiert und ihm die Anweisung gegeben, ein »Riesenereignis« anzukündigen. l Sekunden später erschien das Gesicht eines verdatterten stoppelbärtigen Mannes auf dem großen Schirm in der Hotelsuite und auch sonst überall auf Terra. Verdutzt stammelte er irgend etwas | Unverständliches und schaltete sich weg. Und dann kam es endlich, endlich, endlich zu dem angekündigen bombastischen Ereignis, das weltweit ausgestrahlt wurde. Chris Shanton fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Was hat das zu bedeuten?« stammelte er. »Wo fliegt das Ding (hin?« »Ins Paradies«, antwortete ihm Liao. »Es wird dort einsam sein ohne dich.« 345 21 Uhr 06 in Pennsylvania (18 Uhr 06 Pazifische Zeitzone) Hoch über dem Werksgelände von Wallis Industries Terence Wallis starrte auf den blinkenden Sensorschalter, den er soeben in der Zentrale des ersten weltalltauglichen Carborit-Ikosaeders bedient hatte. »Was ist nun?« fragte er ungeduldig. »Wieso tut sich nichts? Mittlerweile warte ich fast zehn Minuten.« »Zehn Sekunden«, widersprach ihm Robert Saam. »Die mir wie zehn Minuten vorkommen!« erwiderte Wallis gereizt. »Wann geht's endlich los?« »Sobald das Blinken aufhört«, antwortete ihm Lautrec und in derselben Sekunde blinkte es nicht mehr. In seiner sprichwörtlichen Bescheidenheit hatte Wallis das Raumschiff TERENCE getauft. Es war mit allen nur erdenklichen technischen Neuerungen ausgerüstet die den Milliardär augenblicklich allerdings herzlich wenig interessierten. Er hatte nur Augen für den Hauptbildschirm, der sein Stammwerk in voller Größe zeigte. Auf mehreren Nebenbildschirmen war es von verschiedenen Seiten zu sehen. Allmählich kam Bewegung in die Sache, zunächst allerdings nur unterhalb des Geländes, das sich vibrierend aus der Erde zu lösen begann. Irgendwo in der Tiefe knickten Abstützungen um wie Streichhölzer, brachen Tunnel in sich zusammen. Das war nicht sonderlich katastrophal, da sich weder Menschen noch teures Robotermaterial an den Einsturzstellen befanden und das Tunnelsystem ohnehin nicht mehr gebraucht wurde. Von oben sah man noch nichts. Terence Wallis und Robert Saam und sein Team schauten gespannt auf die Monitore. Lediglich die Kontrollen zeigten an, daß sich unter dem Werk etwas tat. »Warum rührt es sich nicht vom Fleck?« fragte Wallis nervös. »Es müßte längst zu uns heraufschweben.« »Alles läuft ab wie geplant«, beruhigte ihn George Lautrec. »Der Start erfolgt vollautomatisch, sobald sich der Energieschirm aufgebaut hat.« Wie aufs Stichwort funkte und blitzte es über dem Gelände, ob
346 wohl das Gewitter, das sich am Nachmittag grollend angekündigt hatte, längst weitergezogen war. i Sekunden später versiegte der Funkenstrom wieder. l »Das war's dann wohl!« regte sich Wallis auf. »Aus und vorbei!« »Richtig, es ist vorbei«, bestätigte ihm Saram Ramoya gelassen. »Der unsichtbare Prallschirm steht.« Kaum hatte er ausgesprochen, erhob sich das gewaltige Gelände mit viel Getöse langsam in die Höhe. Rundum erzitterte der Boden. | »Die Erde bebt!« rief Wallis entsetzt und deutete auf die KonI trollanzeigen. »Hast du nicht behauptet, so etwas könne nicht passieren, Robbie? Wir werden die halbe Umgebung zerstören! Start abbrechen, sofort!« »Vergiß es, für einen Abbruch ist es längst zu spät«, behauptete „Robert Saam, obwohl es technisch durchaus machbar gewesen |wäre. »Im übrigen handelt es sich nur um ein leichtes Beben, das höchstens ein paar Kilometer weit zu spüren ist. Es wird nichts passieren, glaube mir. Schlimmstenfalls fällt irgendwo in Pitts|burgh ein Teller aus dem Küchenregal.« Regina Lindenberg hatte ihren Chef noch nie so aufgeregt erlebt. Wie zufällig stellte sie sich ganz dicht neben ihn, so daß er vollen Ausblick in ihren tiefen Ausschnitt hatte. »Entspannen Sie sich, und schauen Sie genau hin«, sprach sie ihn mit sanfter Stimme an und deutete auf den Hauptbildschirm. »Dieser historische Moment kommt nie wieder. Genießen Sie ihn.« | Das riesige, unbeleuchtete Werksgelände schwebte gemächlich | zum Nachthimmel empör, mitsamt den leeren Häusern, Hallen, Straßen, Plätzen sowie den Schwebem, Gleitern, Produktionsmaschinen, Robotern... Mehrere Bodenscheinwerfer gingen an und tauchten die »fliegende Stadt« von allen Seiten in helles Licht. Hoffentlich hat sich kein neugieriger Wachmann aufs Gelände ^geschlichen, dachte George Lautrec. Er würde den Flug nicht ^überleben. Wallis wirkte jetzt wie erstarrt. Von seiner Nervosität war nichts i 347 mehr zu spüren. Von einem Augenblick auf den anderen war er wieder die Ruhe selbst. »Faszinierend«, murmelte er. »Was für ein malerisches Bild! Es gehört auf die Titelseite eines Buches.« 21 Uhr 06 in Pennsylvania (18 Uhr 06 Pazifische Zeitzone) Vor dem Werksgelände von Wallis Industries Bert Stranger wußte immer, wann er verloren hatte. Wie schon so oft hatte er sich auch diesmal viel zu weit vorgewagt. Nun war sein Weg zu Ende, es gab keine Umkehr mehr. Der Lauf der Waffe, die sich in seinen Nacken bohrte, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß es nur noch vorwärts ging, weg vom WallisWerksgelände, auf das er sich hatte schleichen wollen. Leider hatten ihn zwei Wachen bemerkt und umgehend festgenommen. Jetzt gingen sie hinter ihm her, bedrohten ihn mit einer Handfeuerwaffe und ließen ihm nicht die geringste Chance zu entkommen. »Ich war schon so nah dran«, knurrte er unwillig. »Es waren nur noch ein paar Meter bis zur Umzäunung.« »Pech gehabt. Stranger«, bemerkte Rene Pulgrimm, der ihn von seinen Berichterstattungen her kannte. »Sie haben sich ihre Kleidung beim Anschleichen umsonst eingesaut. Was wollten Sie eigentlich im Werk?« »Herumspionieren, was sonst?« antwortete Isaac Stein an Berts Stelle. »Ist schließlich sein Job.«
Plötzlich erzitterte der Boden unter ihren Füßen. Isaac stürzte, und Pulgrimm ließ erschrocken die Waffe sinken. Bert nutzt seine Chance. Er wirbelte herum und schlug dem Wachmann die Waffe aus der Hand. Anschließend beförderte er sie mit einem schnellen Tritt in die hintere Walachei. Sekunden später konnten sich auch Stranger und der zweite Wachmann nicht mehr auf den Beinen halten. Bert fiel nach vom, rollte sich geschickt ab und rappelte sich gleich wieder auf. Eine blitzschnelle Entscheidung war vonnöten. Sollte er zurück 348 zum Werk laufen oder zum verborgenen Übertragungsgleiter? ? Der Weg zum Gleiter war küzer. Bert rannte los. Als er sich im Laufen umdrehte, um nachzusehen, ob er verfolgt wurde, traf ihn fast der Schlag. Hinter ihm hob sich das gewaltige Stammwerk von Wallis Industries in die Höhe, so als habe es plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Abrupt blieb er stehen. Lex Leroy, der Mann im Übertragungsgleiter, war nicht minder verwirrt als Bert Stranger. Obwohl dies niemand vom Außenteam beantragt hatte, hatte die Sendezentrale von TerraPress überraschend eine Liveschaltung vorgenommen. Verdutzt blickte der stoppelbärtige Techniker in die Bordkamera. Für mehrere Sekunden war er rund um den Globus in Großaufnahme zu sehen. Glücklicherweise besann sich Lex doch noch auf seinen Job und schaltete auf die Außenkameras um, die ums Gelände verteilt waren. Sein Gesicht verschwand überall von den Schirmen und , machte Platz für einen weitaus fesselnderen Anblick. | Auf der ganzen Welt konnte man nun mit ansehen, wie sich das gesamte Werksgelände gleich einer riesigen fliegenden Stadt aus der Erde erhob und majestätisch zum Nachthimmel emporstieg. Pinto Rhanui und seine Kamerakollegen leisteten ganze Profiarbeit. Die aufsteigende »Stadt« wurde von allen Seiten mit Schein, wertem ausgeleuchtet und gefilmt,'aus verschiedenen Perspektiven. Auch den geheimnisvollen Ikosaeder, der reglos zwischen den Wolken stand, vergaßen sie nicht. Lediglich Bert Stranger verhielt sich nicht wie ein Vollprofi. Wie festgewurzelt blieb er an Ort und Stelle stehen und stierte das schwebende Werk an wie das achte Weltwunder. Eine außen am Übertragungsgleiter angebrachte Kamera erfaßte ihn und präsentierte den amüsierten Zuschauem Terras fassungslosesten Reporter in verdreckter Kleidung. Endlich löste sich Stranger aus seiner Erstarrung. In einem Blitzsprint erreichte er den Gleiter, stieg ein und übernahm ab sofort die Führung. Wortgewandt kommentierte er den Flug des Werkes in allen aufregenden Einzelheiten, während Leroy dafür sorgte, daß im l richtigen Moment die richtigen Kameras zugeschaltet wurden. 349 Damit Bert optisch besser rüberkam, hatte Lex ihm sein Sakko geliehen. »Weiter so, Jungs«, murmelte Sam Patterson, der zigarrerauchend in seinem Büro saß und das Geschehen am Holoschirm mitverfolgte. »Ich bin stolz auf euch.« Als das schwebende Werk ungefähr die Mitte zwischen Himmel und Erde erreicht hatte, schien es für eine Weile stillzustehen, wie ein mächtiger Adler, der seine Beute fixierte und jeden Moment pfeilschnell herabstoßen würde. Dieser Eindruck, den eine besonders gelungene Großaufnahme vermittelte, täuschte jedoch. Für Wallis Industries gab es nur einen Weg, und der führte unaufhaltsam nach oben. Stranger ließ sich nicht anmerken, daß er eigentlich keine so rechte Ahnung hatte von dem, was sich hier abspielte. Er redete wie ein Weltmeister und hielt selbst dann nicht inne, als das Werk und der Ikosaeder nur noch winzige Punkte zwischen dunklen Wolken waren.
Erst nachdem sich die Punkte gänzlich aufgelöst hatten, präsentierten die Kameraleute ihren Zuschauem Wallis' Hinterlassenschaft: ein gigantisches, achtzig Quadratkilometer großes, gähnendes Loch.