FsöTh 103
Henning Theißen
Die evangelische Eschatologie und das Judentum Strukturprobleme der Konzeptionen seit Schlei...
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FsöTh 103
Henning Theißen
Die evangelische Eschatologie und das Judentum Strukturprobleme der Konzeptionen seit Schleiermacher
Vandenhoeck & RuprechV'
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Reinhard Slenczka und Gunther Wenz
Band 103
Vandenhoeck & Ruprecht
00040222
Henning Theißen
Die evangelische Eschatologie und das Judentum Strukturproblem der Konzeptionen seit Schleiermacher
Vandenhoeck & Ruprecht
000402U
Gewidmet dem Andenken an Monsignore Dr. Jose! Schütt (/9/6-/999)
Bibliografische Information Ikr Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ilber abrufbar. ISBN J-525·S62S6·X
(12004. Vandenhocck & Ruprecht in Göuingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seiner Teile sind urhelx:rrechtlich gcschiltzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fil1en bedarf der vorherigen schrifHichen Einwilligung des Verlages. Hinweise zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dilrfen ohne vorherige schriniche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemaCht werden. Dies gilt auch bei einer entspreehenden Nutzung ffir Lehr- und Unterrichiszwecke. Printed in Germany. Druck- und Bindearbeiten: Iiubert &. Co., Göuingen Gedruckt auf aherungsbestlindigem Papier
elyeriteN
Staat,~bnolhek
MOnehen
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Inhalt
Vorwort
9
Erster Teil I. Exposition der Fragestellung
11
1. Christliche Eschatologumena aus jüdischer Tradilionsgeschichte
13
2. Schemata christlicher Wahrnehmung des Judentums
21
3. Anfragen des Judentums an die christliche Eschatologie
24
Zweiter Teil 11. Friedrich Schleiermachers eschatologisches Dilemma I. Analyse
42 43
I. I. Aufweis eines eschatologischen Dilemmas in zwei Gestalten
43
1.2. Implikationen für die Wahrnehmung des Judentums
57
2. Erhebung von Wahrnehmungsschemata 2.1. Weissagung und Ende der Weissagung? ? Partl'k u I antat '.. un dU' .. ? 2 ._. nlversaI'Itat
3. Problemgeschichllicher Ertrag 111. Die chiliastische Eschalologie der HeilsgeschichIlichen Theologie I. Analyse
62 62 . 63
68 79 80
1.1. Person und Natur als eschatologische Grundbegriffe
80
1.2. Implikalionen für die Wahrnehmung des Judentums
118
2. Erhebung von Wahrnehmungsschemala
124
2.1. Natur und Person?
124
2.2. Wahrsagung und Weissagung?
126
3. Problemgeschichtlicher Ertrag
130
6
Inhalt
1V. Martin Kählers messianisch-solerologische EschalOlogie I. Analyse
136 137
t .1. Das Konzept einer soterologischen Eschatologie
137
1.2. Implikationen für die Wahrnehmung des Judentums
159
2. Erhebung von Wahrnehmungsschemata
3. Problemgeschich.licher Ertrag V. Die antiapokalyptische Eschatologie von Paul Althaus I. Analyse
,. 178 183 193 194
1.1. Eschatologie der Ewigkeit als Jenseits der Geschichte
194
1.2. Implikationen für die Wahrnehmung des Judentums
208
2. Erhebung von Wahmehmungsschernata
240
2.1. Paradoxie von Geschichte und Eschatologie?
241
2.2. Hoffnung und Glaube?
247
3. Problemgeschichllicher Ertrag
256
Driller Teil Vl. Ergebnisse und Enrag rur Systematik und Ökumene
260
I. Ergebnisse für die Theologiegeschichte
260
2. Ergebnisse rur die Wahmehmungsschemara
262
3. Ertrag für die Eschatologie im Verhähnis zum Judentum
263
3.1. Zei. und Ewigkei •........................................................................ 268 3.2. Die Hoffnung auf die Parusie Christi
273
3.3. Die biblische Melaphorik der Eschatologie
282
3.4. Goues Handeln und menschliche Hoffnung
288
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Inhalt
7
Ex.kurse Exkurs I: Zur Eschatologiedebane des Rechtshegelianismus
64
Exkurs 2: Die hypothetische Eschatologie der Venninlungstheologie
69
Exkurs 3: Kontexte der Axiomatik von Person und Nalur.
98
Exkurs 4: Der infinite Progreßgedanke in der liberalen Eschatologie
144
Exkurs 5: Zur problemgeschichtlichen Bedeutung der "Soterologie"
153
Exkurs 6: Theologiegeschichtliche Kontexte von Kählers Eschatologie. 189 Exkurs 7: earl Stanges unmittelbar theo-Iogische Eschatologie
199
Exkurs 8: Eschatologie bei Althaus und der Dialektischen Theologie
214
Exkurs 9: Zum Apokalyplikbegriff der Religionsgeschichtlichen Schule 234
Anhang Bibliographie
296
I. Quellen
296
2. Sekundärliteratur
304
Register
319
I. Namen
319
2. Sachen und Begriffe
326
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Vorwort
Dieses Buch verknüpft schon in seinem Titel zwei thematische Stichwol1e, die auch einzeln beanspruchen könnten, einen eigenen und gewichtigen Gegenstand evangelischer Theologie danustellen: Eschatologie und Judentum. Indem diese Untersuchung ftlr eine Verbindung von eschatologischer Problemgeschichte und israeltheologischer Fragestellung eintri«, betritt sie mehr oder minder Neuland. Was sie leisten möchte, ist ein Beitrag zu einer systematischen Eschatologie, die sich ihre Aufgaben vom Interesse an einer theologischen Würdigung des Judentums slellen läßt. Diese wiederum kann nicht unabhängig von der Problemgeschichte der Eschalologie geschehen. Der Gedankenkreis, der mir den heiden Titelstichworten abgesteckt ist. markiert also einen hermeneutischen Zirkel. Einen Erweis für die Berechtigung dieses Verfahrens und dieses Ansatzes kann nur seine Ausführung selbsl erbringen. Wenn das letzte Kapitel meiner Arbeit dennoch nur eine Skizze evangelischer EschalOlogie und keine Ausftlhrung davon präsentiert, so bedeulet das einerseits eine schmerzliche Beschränkung, andererseits aber auch, wie ich hoffe, eine Konzenrralion. insofern gerade in der Stellung zu den sog. Letzlen Dingen Charakter und Profillheologischen Denkens sich bewähren müssen. Das hohe Gewicht eschatologischen Denkens für alle Theologie hat mir besonders Prof. Dr. Gerhard Sauter nahegebracht, der mir auch den Gegenstand dieser Untersuchung als Promolionsthema vorgeschlagen und das Erstgulachten verfaßt hat. Das Zweitgutachten schrieb Prof. Dr. Günter Bader. Die Untersuchung wurde daraufhin unter dem Titel "Konzeptionen evangelischer Eschatologie seil Schleiermacher unter besonderer BerücksiChtigung ihrer Wahrnehmung des Judentums" im Sommer 2002 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Bonn als Dissertation angenommen. 8eiden Gutachtern spreche ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aus. Prof. Sauter danke ich außerdem für vielerlei Förderung meiner Arbeit. besonders durch die inhaltliche Anbindung an den Sonderforschungsbereich 534 ,.Judentum Christentum. Konstituierung und Differenzierung in Antike und Gegenwart" an der Bonner Universität (1999-2003). Von dessen Gästen nenne ich dankbar Prof. Dr. Peter Ochs und von den Mitarbeitern Dr. Michael Konkel und Dr. Alexandra Pontzen stellvertretend ftlr die Teilnehmer an der Tagung ..Typisch jüdisch?" im Mai 2001 auf Burg Rothenfels. Die Studien-
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Vorwort
stiftung des deutschen Volkes hat meine Arbeit von November 2000 bis Juli 2002 mit einern Promotionsstipendium gefördert und mir so erst die Ausar· beitung in der jetzigen Form ermöglicht. In diesem Zusammenhang danke ich neben Prof. Sauter Dr. Roland Hain sowie Prof. Dr. Wolfram Kinzig und Prof. Dr. Johannes von Lüpke für wertvolle und unkomplizierte Unterstützung. Dankbar erwähne ich auch die Stipendiatengruppe von Prof. De. Wolfram Steinbeck, die meine Überlegungen in einern sehr frühen Stadium mit Wohlwollen und sachlicher Kritik entgegengenommen hat. Die systematisch-theologische Sozietät meines Doktorvaters, die interdisziplinäre Doktoranden- und Habilitandensozietät der Bonner evangelisch-theolo· gisehen Fakultät, das Graduiertenkolleg des Theologischen Arbeitskreises Pfullingen und die systematisch-theologische Sozietät an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal haben mir an verschiedenen SchlüsselsteIlen meiner Arbeit Gelegenheit zu Referat und kritischer Diskussion geboten. Dafür sei allen Beteiligten herzlich gedankt. Unter den vielen Menschen, die das Entstehen dieses Buches ebenso ideell wie tatkräftig begleitet haben, möchte ich besonders meinen Vikarskollegen Dirk Dörpholz nennen, der in einem Akt praktischer Eschatologie mein Manuskript davor bewahrt hat, im elektronischen Orkus zu versinken. Für die Drucklegung habe ich das Manuskript durchgehend überarbeitet und dabei um ein Sechstel seines ursprünglichen Umfangs gekürzt. Für mancherlei Rat hierbei danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Herzlich danke ich auch der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Buber-Rosenzweig-Stiftung, der Evangelischen Kirche der Union (jetzt Union Evangelischer Kirchen) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, die allesamt das Erscheinen dieses Buches mit namhaften Druckkostenzuschüssen gefördert haben. Prof. Dr. Reinhard Slenczka und Prof. Dr. Gunther Wenz als Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die "Forschungen zur systemati. sehen und ökumenischen Theologie". Erste Denkerfahrungen mit der systematischen Bedeutung der Eschatologie verdanke ich dem ökumenischen Austausch mit dem erfahrenen Theologen und Religionspädagogen sowie langjährigen Ökumenebeauftragten des Bistums Aachen, Monsignore Dr. Josef Schütt. Er war mir ein unvergeßlicher Lehrer im theologischen und philosophischen Gespräch geworden, ehe er vor meiner Inangriffnahme dieses Buches am 29. Mär.l 1999 starb. Das Buch ist darum zum Zeichen meines Dankes seinem Andenken gewidmet. Bonn, den 28. Juni 2003
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I. Exposition der Fragestellung
In der protestantischen Theologie der vergangenen Jahrzehnte hat sich mehr und mehr die Einsicht Geltung verschafft, daß die Vernichtung des europäischen Judentums in der Shoa nicht nur die weitere Existenz von Juden und Judentum fraglich gemacht hat. sondern auch eine Infragestellung der christlichen Theologie bedeutet Diese sieht sich seither zu einer kritischen Revision ihrer eigenen Theorietradition genötigt. I Die vorliegende Untersuchung will einen Beitrag zu einer solchen Revision leisten, und zwar auf dem Gebiet der Eschatologie. Diese hat in den letzten Jahren verstärkt Interesse gefunden als ein Judentum und Christentum gemeinsamer Inhalt von Theologie. Ein markantes Beispiel dafür ist, daß die Evangelische Kirche im Rheinland, um ihren Grundsatzbeschluß von 1980 zur Umkehr und Erneuerung im Verhältnis zum Judentum mit Leben zu erfüllen, 1996 den Grundartikel ihrer Kirchenordnung um einen Satz zur mit Israel gemeinsamen Zukunftshoffnung ergänzte. 2 In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden. wie evangelische Eschatologie das Judentum wahrnimmt, welche Begründungsmuster dabei Anwendung finden und welche Zusammenhänge mit der argumentativen Struktur christlicher Theologie bestehen. Das Ziel ist, Fragestellungen zu ermitteln und zu erörtern. die für eine künftige evangelische Eschatologie mit Blick auf das Judentum wichtig sind. Dazu bietet der einleitende erste Teil der Untersuchung in Aufnahme der bisherigen Forschung einen Aufriß. der durch die weitere Untersuchung präzisiert wird. Im Anschluß daran werden im zweiten Teil (Kap. li-V) vier paradigmatische Komplexe evangelischer Konzeptionen zur Eschatologie in ihrer systcmatischen Argumentation analysiert und auf deren inhärente Strukturprobleme für die Wahrnchmung des Judentums hin befragt. Der drille Teil resümiert die dabei ermiuelten Fragestellungen und entfaltet sie systematisch (Kap. Vl). 1 Vgl. den Sammelband AuschK'it: (1980) und Äußerungen wie: Eliezer BERKQVrrs. Failh af· ter lhe HolocauSl. New Yor\: 1973. 18: ..From lhe poinl of view of lhe spinl. lhe hoIocauSl has been a ChriSlian C8laSlrophc much l'l'"IOR: than a Jewish one" oder Elie WIESEL Die Masscnvernichlung als Iitc:nuische Inspiralion. in: Gon nxh Auschwitt. Dimensionen des Massenmords am jüdischen Volk.. hg.v. Eugen Kogon. FreiburgIBascl/Wien 1979. 21-SO. 44f.: _Wenn die Opfer mein Probkm sind - die Mörclrr sind es n;chl! Die Mörder sind das Probkm anderer (... 1. so werden andere vefSlehen müssen (... 1. warum die Mörder OtriSlen - sicher schlechle Chrislen. aber doch O1rislen _ waren. 2 Zur Doturnentation: Umtrhr(1980): GO(f('s Trru(' (1998). M
12
Ersler Teil
Quellen einer solchen Revision der evangelischen Eschatologie sind vor allem deren Darstellungen) von 1830 bis etwa 1960. Diese zeitliche Abgrenzung ergibt sich wie folgt: Einerseits steht zwar am Beginn christlicher Theologie als derjenige Punkt, wo sich im Rahmen des anlikjüdischen Diskurses erstmals eine eigene und bald als christlich bezeichnete Reflexions· gestalt auszudifferenzieren beginnt, das Nachdenken über die Zukunftserwanung. so daß das frühe Christentum geradezu als ein Judentum mit modifizierter Eschatologie erscheinen kann. Doch andererseits hat im Protestantismus gerade die Eschatologie erst spät ihre lehnnäßige Ausgestaltung gefunden; so beschränkt sich 1530 die Confessio Augustana auf wenige Sätze, die dann freilich zugleich eine Abgrenzung gegen jüdische Zukunftserwartung beinhalten (CA 17); und erst im 19. Jh. setzt sich in der Dogmatik. der seit 1644 belegte Begriff der Eschatologie für die themati4 sche Bearbeitung der Zukunftshoffnung durch. Die vorliegende Untersuchung setzt daher mit F. Schleiermachers Äußerungen zur Eschatologie ein. Sie verfolgt dann den Gesprächszusammenhang protestantischer Eschatologie bis etwa 1960. Dieses Datum markiert einen Einschnitt, da die spätere Debatte etwa ab J. Moltrnanns epochemachender "Theologie der Hoffnung" im Zuge einer in der ganzen Gesellschaft verstärkten Auseinan· dersetzung mit der Shoa bereits selbst die Revision christlicher Verhältnisbestimmung zum Judentum zum Thema macht und somit andere Voraussetzungen bietet als der frühere Diskurs. Dieser Einschnitt macht sich bemerkbar, denn schon eine erste Durchsicht der Quellen aus dem soeben eingegrenzten Zeitraum zeigt, daß die evangelische Eschatologie vor 1960 nur höchst selten auf jüdische Darstellungen theologischer Reflexion von Zukunflserwartung Bezug nimmt. Dies ist um so überraschender, als der Aufschwung der evangelischen Eschatologie. der inmitten unseres Quellenzeitraums liegt, sich gerade der Entschiedenheit verdankt, mit der die sog. Konsequente Eschatologie bei J. Weiß, A. Schweitzer U.3. das frühe Christentum in den zeitgeschichtlichen Rahmen des inlenestamentarischen Judentums steJle s ] Neben den Gesanlldars!ellungen in Monographien werden auch Lexika und Dogmatiken sowje einschlägige Monographjen und Aufsitze: zu Einzelfragen der Eschatologje Ilerangezogen. nichl jedoch solche Werl:e. aus denen sich dk Eschatologie nur implizil erheben lißI. wie dies für wichtige AUllmn der Zeil um den 2. Wehkrieg gih. V.L K. Banh (in seiner •.Kirchlichen Dogmalikj und D. Bonhodfer. 4 Zur Begriffs< und 1beoriegesc:hichte von Eschatologie vgl. übertMicbartig SAUT'ER (1999) 156lff. .5 Vgl. HOlM~OM (1936) 7If.; 93f.; HJElDE (1987) 23J.:l45f. zur Bedc:UIUllg von Weiß und Schweitzcr.
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I. Exposition der Fragestellung
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Obwohl also die Wende zur Eschatologie in der evangelischen Theologie des 20. Jh. mit einer forschungsgeschichtlichen Hinwendung zum Judentum einhergeht, bleibt doch die jüdische Eschatologie wie bis dato außerhalb ihres Gesichtskreises. Das ist ein methodisches Problem. vor dem die beabsichtigte Revision evangelischer Eschatologie und ihrer Wahrnehmung des Judentums steht Wenn also die QueUen der vorliegenden Untersuchung eine unmittelbare Auseinandersetzung mit jüdischen Stimmen zur Eschatologie nicht fUhren. so besteht die erste Aufgabe darin, alternatil'e Ansatzpunkte aufzuspüren. an denen erkennbar wird. wie die evangelische Eschatologie der Modeme ihr Verhältnis zum Judentum und zu jüdischer Zukunftserwartung bestimmt. Das vorliegende erste Kapitel dieser Arbeit sammelt dafür dreierlei Aspekte, nämlich Themen christlicher Eschatologie. die aus jüdischer Traditionsgeschichte stammen (Kap. I.I), begriffliche Schemala von Wahrnehmung des Judentums (Kap. 1.2) und Anfragen jüdischer Auloren an diese heiden (Kap. 1.3). Auf diese Aspekte wird die gesamte Untersuchung in ihrem weiteren Verlauf bei der problemgeschichtli. ehen Ausarbeitung und Entwicklung von Fragestellungen, die für eine evangelische Eschatologie im Blick auf das Judentum wiChtig sind, besonders achlen müssen.
1. Christliche Eschatologumena
aus jüdischer Traditionsgeschichte I. Inhaltliche EillZeltopoi \'on Eschatologie. Ein beachtlicher Teil der Topoi christlicher Zukunftserwartung. die in den eschalologischen Partien der altkirchlichen Symboltexle und in der theologischen Lchrtradition enthalten sind, wuchs dem Chrislentum aus jüdischer Tradilionsgeschichte zu. Dies iSI z.B. für die Auferstehung der Toten am Neuen Testament abzulesen (Mt 22.23-33). Zugleich zeigt dieser Topos, was auch für spätere Zeiten zu beachlen ist, daß nämlich die jüdische Traditionsgeschichte keinen monolithischen Block darstellt; Apg 23.8 häh, historisch zutreffend, fest, daß die Pharisäer mit einer Auferstehung rechneten, die Sadduzäer diese Erwartung aber ablehnten, da sie im Judentum deutlich jünger iSI als die entscheidende jüdische Tradilionsbildnerin, die Tora. Daran lassen sich als ein weilerer. auch für spätere Traditionszusammenhänge wichtiger Gesichtspunkt die Enlwicklung und das Gewordensein auch jüdischer Eschatologie erkennen. Die religionsgeschichtliehe Forschung hat die Herkunft der Auferstehungshoffnung in der iranischen Religion des Zoroastrismus ausfindig gemacht,
14
Erster Teil
und donher stammt auch die Erwartung eines Jüngsten Gerichts, die ebenfalls über das Judentum Eingang ins Christentum fand. 6 Ein weiteres Element christlicher Eschatologie, das aus dem Judentum stammt, ist die zumindest in Teilen des christlichen Traditionskreises verbreitete Erwanung eines Antichrist, der als endzeitlicher Gegenspieler lesu Christi Gottes eschatologisches Heilswerk zu verhindern trachtet und damil zugleich zum Anzeichen dieses Heilswerks wird. Im Judentum galt eine derartige Gestalt freilich nicht als Widersacher lesu Christi. sondern des erwaneten Messias. Aber genau darin scheint ein Merkmal der Modifikationen zu bestehen, die das Christentum als •.Judentum mit modifizierter Eschatologie" an seinen traditionsgeschichtlichen Wurzeln vornimmt: Verheißungsgehalte, die dem Gonesvolk Israel gelten, werden in einer traditionsgeschichtlich ihrerseits komplex.en, Abgrenzung und Identifikation miteinander verbindenden Weise auf das Christentum bezogen, das sich dann als Gonesvolk, Volk des Bundes usw. begreift. In diesem Sinne gehören auch Topoi wie das Volk bzw. dessen "Rest" oder der Bund zu den jüdisch verwurzelten Eschatologumena. Als im engeren Sinne eschatologisch wäre die Erwartung zu nennen. daß das Christentum im Zuge einer endzeillichen Mission universelle Geltung erlangen wird; die emsprechende jüdische Er· wartung, die sich auf das Judentum richtet, scheint aber weniger missionarische Züge zu tragen. In bestimmten Fällen kann der jüdische Traditionshintergrund auch zur Negativfolie stilisien werden, wenn z.B., wie in Tei· len des amerikanischen Dispensationalismus, aus der jüdischen Erwartung 7 eines Antichrist die Erwanung eines jüdischen Antichrisl wird. 2. Charaktere von Eschatologie. Über solche Einzeltopoi hinaus hat das Christentum auch Traditionselemente vom Judentum übernommen, die größere Ideenzusammenhänge darstellen. Die bedeutendsten Beispiele hierfür sind Chiliasmus, Apokalyptik und Messianismus. Auch sie enthalten einzelne Topoi der Zukunftserwartung; so kennzeichnet den Chiliasmus, daß er mit einer tOOO·jährigen Herrschaft der Gläubigen auf Erden rechnet. 6 In unserem Quellenzeilr3um sind die Arbeiten der Religionsgeschichtlichen Schule grundle. gend. L8. 8ÖKLEN (1902); aber auch OESTBtLEY (1908). Für die Frage nllCh dem Zusammenhang mit dem Islam ist HIRSCHBERG (1939) zu nennen. Für den religionsgeschichtlichen (babyloni. schen) Hintergrund des Alten Testaments au8crhalb der Eschatologie ist der Slreit um •.Bibel und Babel" wichtig. in den auch jüdische Gdehr1e eingriffen. 7 Der Dispensationalismus rechnei mit einer geschichtlich fixicrbaren Ver1eilung (dispensali· on) heilsgeschkhllkher Epochen. so daß der heulige Slaat Isntl als Vonetchen des Endes er· scheinen kann: vgl. ARJEl. (1992) 435ff. - Gow (1995) entfalle'l für die Zeil von 1200 bis 1600 ein anderes Beispiel: Aus der jüdischen Hoffnung auf eine eschalologische Wiederkehr der (seil 722 v. ehr.) verlorenen zehn Stimme wird im Christentum das Schreckbild der dem AnlkhriM anhängenden JOIen Juden~.
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I. Exposilion der Fl""dgeslellung
15
auch wenn im Detail fraglich ist, ob diese Zahl buchstäblich zu verstehen und wie sie kalendarisch auf die erwartete Ankunft des Messias zu beziehen ist (Unterscheidung zwischen Prä- und Postmillenniarismus). Doch im Unterschied zu Topoi wie dem eschatologischen Gericht oder der Auferstehung der Toten sind "Chiliasmus", "Apokalyptik" und "Messianismus" Abstraktbegriffe, die auf der Grundlage einzelner Topoi allererst gebildet werden müssen, während z.B. die Begriffe "Gericht" und "Auferstehung" bereits in den antiken Quellen vorkommen. Man könnte sagen, daß Chiliasmus, Apokalyptik und Messianismus weniger Inhalte als vielmehr den Charakter von Eschatologie bezeichnen. In welchem Maße solche Charaktere nun zeigen, wie christliche Eschatologie das Judentum sieht, sei an einigen Beispielen aus der Eschatologiegeschichte des Untersuchungszeitraums erläutert: a) Thema Chiliasmus. Das klassische Beispiel ist die Behandlung des Chiliasmus in der evangelischen Eschatologie. Er wird bereits am Beginn protestantischer Lehrbildung 1530 in der Confessio Augustana verworfen: "Sie verdammen auch andere, die jetzt die jüdischen Anschauungen verbreiten, daß vor der Auferstehung der Toten die Frommen die Herrschaft der Welt innehaben werden und überall die Gottlosen unterdrückt sein werden."s Diese Fonnulierung richtet sich zwar zuerst gegen die zeitgleichen und wenig später im westfalischen Münster verwirklichten Bestrebungen des Täufertums, ein eigenes Staatswesen zu gründen - also gegen eine christliche, keine jüdische Sondenneinung. 9 Doch bemüht sich z.B. der in unserem Untersuchungszeitraum maßgebliche Auguslana-Kommentar des Erlanger KirchenhislOrikers G. Plitt, Verbindungen der "Schwänner", wie die Refonnation das Täufertum rubrizierte, zu zeitgenössischen Juden nachzuweisen. Als gemeinsames Element wird dabei gehend gemacht, daß Schwännerffäufer und Juden die Wirksamkeit des Geistes Gottes ohne exlerne Vennittlung manifestiert sahen in der geschichtlich vorfindlichen Wellwirklichkeit. Noch P. Althaus übernimmt in seinem verbreiteten Lehrbuch der Eschatologie diese Wahmehmung. 1O Der Chiliasmus erscheint ll dann als die Erwartung eines verlängerten oder übersteigerten Diesseits. 8 CA 17 (Bek~nnlnissf! {199711,46). 9 FIUEDIUCH (1999) 233 zeigl analoge Mechanismen impliziler Kritik an westeuropäischen Chiliaslen um 1650. 10 Vgl. Guslav PurT, Einleilung in die Augustana 11, Leipzig 1868.421 mil ALTHAUS (1949) 30 I Anm. 1. Die Quelle dürflen entsprechende Geständnisse eines 1530 hingerichleIen Täufers sein. auf die R. MAU verweisl (Bd~nnlnisse [1997)1,46 Anm. 55). 11 Dieser Eindruck mag allenfalls ftlr einen binnenkirchlichen Chiliasmus gellen. wie er im 19. Jh. in der Nachfolge J.A. Bengels in SüddeulSChland verbreileI war. v.a. in Wünlemberg, wo der
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16
Ersler Teil
Freilich behandelt Althaus den Chiliasmus zugleich auch als Zwischenreich, d.h. als die soziale Entsprechung zu dem, was auf der Ebene des Individuums der Zwischenzustand vom Tode bis zur Auferstehung ist. Als ein solches Zwischenreich, als logisches Bindeglied zwischen der individuellen Dimension der Eschatologie, die mit dem Tod des Einzelnen "schon" zum Austrag kommt, und der damit "noch nicht" eingetroffenen universellen Vollendung, hat im 19. Jh. besonders F.H.R. v. Frank den Chiliasmus thematisiert. Darin ist er lediglich der wirkungsvollste Exponent einer unter den Erlanger Theologen seiner Zeit ohnehin virulenten Beschäftigung mit dem Chiliasmus, die aus einem ausgeprägten Interesse am Judentum erwuchs. Zu nennen sind hier vor allem J.C.K. v. Hofmann und sein Schüler C.E. Luthardt 12 Wird dieser Chiliasmus wie bei Althaus als Übergangsreich verstanden, so liegt sein Charakteristikum weniger in der diesseitigen Gestalt der Zukunftserwanung als darin, daß er die erwartete Zukunft zeitlich vorwegnimmt. Auch hiermit kann eine bestimmte Sicht auf das Judentum verbunden sein: Daß der Chiliasmus das Ende vorwegnehme und so Widersprüche und Doppelungen produziere, richtet sich bei T. Kliefoth, der 1886 mit einem umfangreichen Werk zur Eschatologie hervortritt, gegen chiliastische "Israelolatrie". tJ b) Thema Apokalyptik. Von hier aus spannt sich ein Bogen zu einem weiteren exemplarischen Thema von eschatologischer Wahrnehmung des Judentums, der Apokalyptik. In den Augen der um die Mitte des 19. Jh. aufblühenden vergleichenden Religionsgeschichte ist der Chiliasmus als Erwartungsgestalt des Übergangs besonders kennzeichnend für die jüdische Apokalyptik, denn sie erscheint hier im ganzen als ein Übergangsphänomen zwischen dem von der Prophetie geprägten Israel der staatlichen Zeit und der Eschatologie, die das frühe Christentum beherrschte. So interpretiert A. Hilgenfeld bereits 1857 die Apokalyptik als Übergang und Vorstufe des Christentums. 14 Die gestufte Abfolge von vorexilischem Israel - (nach-) exilischem Judentum - Christentum ist dabei für die hislOrische. besonders exegetische und religionsgeschichtliche Forschung zur Eschatologie in unChiliasmus unter dem Einfluß P.J. $peners seit 1694 als Adiaphoron kirchenrechtlich geduldet war (vgl. JUNG [19921 53). Dagegen läßt diese: Wahrnehmung außer Betracht. daß der Chiliasmus zumeist unter bedrängenden äußeren Umständen entstand. deren Verlängerung gerade nicht erhofrt werden konnte. 12 Bei V. FRANK (1878/80) 11,452 fallt das Millennium (§ 47.7) unter das ... vorläufige Ziel ..•. in dem das .Ziel des Werdens" (Überschrift a.a.O. 11,418) bereits ,.festen Bestand des Seins" (a.a.O. 11,463) gewonnen hat: zu v. Hofmann und Luthardt s. Kap. IIJ (S. 79ff.). 13 KUERYrH (1886) 346. 14 HILGENFELD(1857) 16.
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1. Exposition der Fragestellung
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serern Untersuchungszeitraum ein zwar variables, aber unverziehtbares Grundgerüst. Allein während der Alttestamentler J. Wellhausen das Gedankengut des frühen Christentums unter Auslassung des (intertestamentarischen) Judentums direkt an das sittlich-religiöse Ideal der Propheten im Israel der staatlichen Zeit anschließen sieht,IS nimmt eine Generation später der wichtigste Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule. W. Bousset, eine Affinität des frühen Christentums zur Apokalyptik des intenestamentarischen Judentums an. Ein herausragendes und seinerzeit weithin konsenshaftes Ergebnis dieser religionsgeschichtlichen Forschung lautet, daß Alles Testament und Judentum eine Zukunftserwartung lange Zeit nur für das Volk kennen, während erst das Christentum durchweg die Hoffnung auf die Auferstehung des Ein16 zelnen hege. Daraus erklärt sich, daß bei dreien der namhaftesten Eschalologen des 20. Jh., z.T. unter ausdrücklicher Berufung auf die Religionsgeschichlliche Schule. der Terminus ,jüdische Apokalyptik" beinahe technisch für eine auf das Volk beschränkte, partikulare und daher nicht zu ihrem eigentlichen Sinn als Ende der Zeit vorstoßende Eschatologie stehen kann. Dem wird die christliche Erwartung als universell gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung von Volk und Universum geht so in diejenige von Diesseits und Jenseits über. Der Terminus .,(spät-) jüdische Apokalyptik" steht dann bei diesen Autoren für eine Fehlfonn von Eschatologie, weil sie als das Letzte das bloß Gegenständliche, das Konkrete und Anschauliche ansieht und so Diesseits und Jenseits, Geschichte und Ewigkeit miteinander vennischt. 17 Die drei Autoren äußern sich hier übereinstimmend: P. Althaus etwa hält bündig fest: Die Eschalologie hat es I... ) nicht mit der Endgeschichte oder mit dem Geschichtsende. sondern mit dem Jenseits der Geschichte zu tun. Sie isl keine Apokalyptik. l '
Und C. Stange schreibt: Man kann in der Apokalyptik nicht unterscheiden. ob es sich noch um geschichlliche Ereignisse oder um jenseitige Ereignisse handelt. Der jüdische Typus der Apokaly15 Wie KONKEL (2003) 8 Ir. nabdegt. opüert WELLHAUSEN (1905) 409-424 im kuhurgeschichllichen Kontexl mit seiner Aurwertung des staallichen Israel vor dem sog.•.späljudenlum~ ru.r den PfeuBischen NatiooalSlaal. 16 So LB. 80KLEN (1902) 110 Anm. I: BouSSET (1903) 198: Vou (1903) 68r. Anders OIARLES (1899) 19f.: Du \'orsa:uliche Isrxl kennl demnach keine Eschalologie. das Slulliche l.sracl bildet dann eine IndiYiduale5chalOlogie IUS. 17 Zu diesem Bild von Apobl)'P'ik MOUH (1983). für das Alle Testamenl KUSCHE (1991). 18 AL1lIAUS (1922) 95.
Ersler Teil
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ptik sucht die Vollendung in der menschlichen Geschichte selbst. während dagegen die christliche Apokalyptik die Vollendung von dem Zusammenhang der menschlichen Geschichte loszulösen und ausschließlich ins Jenseits zu verlegen such!. Aber dabei kommen leicht und vielfach Rückfalle in die jüdische VorstelJungsweise vor. Die in dem Abbruch der Geschichte sich vollziehende Vollendung wird als eine durch Gott bewirkte Umgestaltung der irdischen Welt verslanden. 19
Und bei E. Brenner heißt es: Es muß doch wohl gesagt werden, daß die christliche Theologie diesem Paradox nie voll gerecht worden (sie! I ist Entweder hai sie mit der jüdischen Apokalyptik das Endgeschehen als ein dramatisches Schlußslück der Geschichte verstanden und es in den Bildern einer kosmischen Katastrophe von ungeheuerlichem Ausmaß geschildert. um ihm den Charakter wirX.lichen Geschehens zu verleihen. Odu aber sie hat in der richtigen Erkenntnis. daß diese apokalyptische Dramatik eben darum. weil sie sich in den Strukturfonnen der irdisch-zeitlichen Geschichtlichkeit abspielt - mag sie im übrigen die Dimensionen des Geschehens noch so sehr vergrößern - eben doch nicht das zukommend Ewige sein kann. auf die Vorstellung eines Endgeschehens überhaupt verzichtet und das Ende in den statischen Begriffen zeitlos ewigen Seins zur Geltung zu bringen versucht. 20
Das letzte Zitat deutet an, was von der Dreierfolge Israel - Judentum Christentum, in der die ReligionsgeschichtIer die Apokalyptik veronen, her ohnehin naheliegl: Die Apokalyptik kann auch als charakteristisches Zeit· verständnis erscheinen. In Anlehnung an die erwähnte dreifache Staffelung kann dann eine Dreiheit von Zeitverständnissen geltend gemaCht werden: Während der Alte Orient die Zeit zyklisch denke, habe das Judentum einen linearen Zeitbegriff eßlwickelt, der vom Christentum beibehalten. aber durch die Pointierung auf Christi Gebun als die Mitte der Zeiten zugespitzt und SO erst mit einem klaren Ziel versehen werde. 21 Seide Elemente dieses Zeitkonzeples. sowohl die Entgegenselzung von zyklischem und linearem Zeitverständnis als auch die Hervorhebung Christi als Zeitenwende, sind in der Eschatologie- und Theologiegeschichle des Untersuchungszeitraumes nachweisbar. - Des weiteren sind für den skizzicnen Apokalyptikbegriff die Stufenschemata kennzeichnend. in denen das Judentum als eine Vorstufe des Christentums wahrgenommen wird. Diese Einschätzung, die für das Verhältnis beider Religionen im ganzen während unseres Untersuchungs19 STANGE (1930) 227 (Hervortlebunge:n aufgehoben). 20 BRUNNER (19.53) 144. Ein weilerc:r Bdeg wirc: KINDal. (19.5.5) 10-12. 21 BRUNNER (19.53) 36f. Zu linearem und zyklischem Zeilmodc:lI vg!. GESE (19.58): kritisch KOCH (1988) 253ff.
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zeitraumes die Religionsgeschichtliche Schule entfaltet hat. wirkt sich speziell in der Eschatologie so aus, daß die dem Judentum zugeschriebene Erwanung für das Volk aufgenommen und aufgehoben wird in den christlichen Universalismus. Christliche Eschatologie ftihn dann die eigentlichen Intentionen jüdischer Eschatologie zum Ziele. In diesem Sinne bezeichnet F. Richter seine in der ersten Hälfte des 19. Jh. Furore machende eschatologische Konzeption als Messianismus. c) Thema Messianismus. Damit ergibt sich der Übergang zu einem weite· ren für die Wahrnehmung des Judentums einschlägigen Thema. dem Mes· siallismus. Der inzwischen weitestgehend vergessene Friedrich Richter löst 1833 mit seiner messianischen Eschatologie einen Streit von heute kaum vorstellbarer Heftigkeit aus. Das liegt weniger daran, daß er die Unsterblichkeit der menschlichen Seele bestreitet - das haben andere vor ihm und nach ihm mit größerer Wirksamkeit getan -. als daran, daß er offen die Schüler des jüngst gestorbenen G.W.F. Hegel angreift. aus deren Staats· philosophie das gerade aufstrebende Preußen seinen theoretischen Rückhalt bezieht. Dabei ist Richter ein glühender Bewunderer Preußens; sein gesamtes literarisches und gesellschaftliches Engagement zielt auf eine reJi· giöse Durchdringung und damit Veredelung des preußischen Staatswesens: Dieses Anliegen vertritt er in seiner fast im Alleingang redigierten Zeitschrift "Der Prophet". Zu diesem Zwecke auch schreibt Richter seine umfangreiche Geschichte der preußischen Befreiungskriege. ftir die er bei Hofe einiges Wohlwollen erntet (freilich auch nur Hir sie). In diesem Sinne auch spricht er schließlich im zweiten Band seiner Eschatologie von Mes· sianismus, worunter er unter Berufung auf das Alte Testament die "Herstellung der alten Gouesherrschaft (Theokratie),,22 versteht wie in seinem programmatischen Aufsatz über "Das christlich-theokratische Princip in Preußen". Messianismus bedeutet also für Richter die tätige soziale Gestaltung der spirituell erfahrenen Erlösung. Bei alldem ist für ihn freilich entscheidend. daß er keinen jüdischen Messianismus vertritt, der "es nicht einmal zu jenem äußerlichen Durchbruch der Völkerscheide" bringe, sondern einen christlichen und damit universellen Messianismus.u Hier geht Richter ganz mit Hegels Verständnis des Geistes und seiner Universalität konfonn. das den Hegelianismus veranlaßt hat. dem Judentum in der Eschatologie ein Festhalten am irdischen und die Verkennung seiner Überwindung durch
22 ROITa. (1833144) 11,18. 23 A.a.O.Il.12.
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den Geist vorzuwerfen?~ Dieses Verständnis von Messianismus hat G. Schalem im Auge, wenn er kurz nach unserem Untersuchungszeitraum gegenüber einem .,protestantischen Theologen" - gemeint ist H. Gollwitzer - darauf insistiert. daß christliche Eschatologie jüdischen Messianismus meist als blinden sozialen Aktionismus wahrgenommen habe. 25 3. Zwischenergebnis. Es fallt auf, daß Chiliasmus, Apokalyptik und Messianismus als Charaktere von Eschatologie zwar grundsätzlich nicht auf die Eschatologie einer bestimmten Religion beschränkt sind, in den zitierten Beispielen jedoch als Paradigma der Unterscheidung zwischen Judentum und Christentum fungieren. Darauf weisen die zweipoligen Gegenüberstellungen hin, durch die jeder der Charaktere gekennzeichnet wird: Chiliasmus erscheint als eine schwärmerische "weltliche" Erwanung (CA 17) im Gegensatz zum christlichen Verständnis des Geistes. Apokalyptik wird wahrgenommen als eine Vennischung von DiesseilS und JenseilS oder doch als eine partikulare Beschränkung des JenseilS auf ein einzelnes Volk anstalt der Menschheit. Ebenso wird der Messianismus charakterisiert; daneben wird er auch als Ersetzung der spirituellen durch die tätige Komponente der Religion aufgefaßt. Mit Blick auf die drei geschilderten Charaktere von Eschatologie lautet also das Ergebnis unseres ersten Zugangs zu der Frage, wie christliche Eschatologie das Judentum wahrnimmt: Sie modifiziert ihr vom Judentum übernommenes Traditionsmaterial, indem sie es in polarer EntgegenselZung zu demjenigen Gebrauch verwendet, den sie als kennzeichnend jüdisch versteht. Wie christliche Eschatologie das Judentum wahrnimmt, läßt sich dann aber nicht schon an dem bloßen tradilionsgeschichtlichen Faktum erkennen, daß sie Begriffe und Ideenzusammenhänge von ihm übernimmt; es muß vielmehr der problemgeschichtliche Aspekt berücksichtigt werden, d.h. die Frage. wie sie diese innerhalb ihrer eigenen Argumentation modifiziert. Daher gehe ich im zweiten Teil dieser Untersuchung so vor. daß die Quellen der Eschatologie zunächst in ihrer eigenen Argumentation rekonstruiert werden. Die gesuchten Fragestellungen einer Eschatologie mit Blick auf das Judentum werden so allmählich entwickelt werden aus einer problemgeschichtlichen Darstellung exemplarischer Konzeptionen evangelischer Eschatologie im 19. und 20. Jh. 26 Dies geschieht jeweils in den er· 24 Dazu SAllTU (1982) 16Of. 25 SOIOLEM (1910) 168. Daß Gollwiu..er gemeinl ist. zeigt MARQUARDT (1919) 143 in Ver· bindung mit Anm. 15. 26 Diese pmblemgeschichlliche Vorgehensweise. die ähnlich von BECKMANN (2002) befolgt wird. unlerscheidel die vorliegende Unlersuchung von den umfangreichen Arbeiten von BLASCtlKE (1991) und HEINRICHS (2000). die die Wahrnehmung des Judentums vor allem in
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sfen Abschnitten der Kapitel tl-V. Dabei lassen sich die im vorliegenden Abschnitt vorgestellten thematischen Charaktere der Eschatologie mit bestimmten eschatologiegeschichtlichen Komplexen verbinden: Am Anfang steht F. Schleiennacher (Kap. 11), der als Impulsgeber der neuzeitlichen evangelischen Theologie auch für die Eschatologie weichenstellend gewirkt haI. Daran schließen sich die eschatologischen Entwürfe derjenigen theologischen Strömung an, die im Anschluß an den Begründer des Begriffs der "Heilsgeschichte",21 lCK. v. Hofmann, als Heilsgeschichlliche Theologie bezeichnet werden kann und deren Kennzeichen das lnteresse am Chiliasmus ist (Kap. m). Es folgt M. Kählers von ihm selbst als "soterologisch,,28 bezeichnete Eschatologie (Kap. IV). Damit ist ihr methodischer Grundansatz bei der Reflexion über die Personalität des Messiastums und also die Nähe zum Messianismus ausgedrückt. Schließlich wird die Eschatologie von P. Althaus (jun.) sowie die Debatte um sie erörtert (Kap. V). Althaus sticht hervor durch eine schroffe Front gegen die von ihm sog. "endgeschichtliche Eschatologie" ,29 die er exemplarisch in der Apokalyptik vorfindet. mit der er so auf negativem Wege eng verbunden ist.
2. Schemata christlicher Wahrnehmung des Judentums I. Bipolare Begriffsschemata. Die Betrachtung von aus jüdischer Tradition
übernommenen Charakteren der Eschatologie führte zu dem Ergebnis, daß diese die Wahrnehmung des Judentums in bipolarer Gegenüberstellung zum Christentum strukturieren können. Diese Gegenüberstellungen sind jedoch freilich nicht an die Konzepte von Chiliasmus, Apokalyptik oder Messianismus gebunden, sondern können die Argumentation christlicher Eschatologie grundsätzlich prägen. Im 5. Jh. christlicher Zeitrechnung hält z.B. der Kirchenvater Hieronymus eine ,.Regel" für die christliche Beschäftigung mit Zukunftsverheißungen fest: Ein weiser, christlicher Leser sollte bei den prophetischen Verheißungen dieser Regel folgen: Wir lehren. daß dasjenige. was die Juden und die, die jüdisch denken bei den
mcnt31itälsgeschichllichem Zugriff aus ausdrücklichen Äußerungen kalholischer bzw. protcstantischer Kirchlichkeit des Kaiserreichs zum Judentum erheben. 27 v. HOfMA/IIN (1841/44) 1,8 ist lam GREJG (1975n6) 118r. der älteste Belcg rur .•Heilsge. schichtc". 28 KÄHLER (1898) 495. 29 Erslmals ALTliAUS (1922) 64ff.
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Unsrigen. - oder vielmehr nicht den Unsrigen - in fleischlicher Weise als zukünftig beanspruchen. in geistiger Weise schon eingetroffen ist, damit wir nicht anläßlich deraniger Erzählungen oder schier unlösbarer apostolischer Fragestellungen gezwungen sind. jüdisch zu denken. 30
Was im vorigen Abschnitt am Beispiel von Chiliasmus. Apokalyptik und Messianismus als Entgegensetzung von weltlichem und jenseitigem Reich, Diesseits und Jenseits, Volk und Menschheit, tätiger sozialer Gestaltung und deren geistiger Überwindung präsent war, ist in der ..Regel" des Hieronymus auf knappe Begriffspaare gebracht: Jüdische Zukunflserwartung interpretiert die Prophetie in "f1eischlicher" Weise als ..Verheißung" von ,,Zukünftigem", christliche Lehre dagegen liest sie in ..geistiger" Weise als ..schon" gegenwärtig "eingetroffene" Erfüllung. indem sie Jesus Christus als den Vollzug des Eschalon begreift. Für die Eschatologiegeschichte wichtig sind vor allem die Begriffspaare von Fleisch und Geist als zwei getrennten Sphären. in denen das Judentum bzw. das Christentum die Erlösung erwarte, sowie von deren noch nicht bzw. schonjetZl gegebener Wirklichkeit oder deren nur partikularer oder aber universaler Reichweite. Derartige begrifniche Schematisierungen durchziehen die Geschichte des jüdisch-christlichen Verhältnisses und waren auch schon Gegenstand kritischer Untersuchung. 31 Dabei fragt sich nicht nur, wie triftig die Schemata sind, ob also z.B. mit "Aeisch" und ..Geist" klar abgrenzbare Phänomene bezeichnet sind, die sich dann auch Judentum bzw. Christentum zuordnen lassen. 32 Solche Fragen werden sich schon deshalb oft nicht beantworten lassen. weil weder Judentum noch Christentum Gebilde aus einem Guß sind. Sondern vor allem zielen die paarweisen Schemalisierungen ja gar nicht auf eine klare und distinkte Beschreibung der beiden schematisierten 30 CChr.SL LXXIII, 1963. 157,43-48: ..Prudens el christianus leclor hanc habcat repromissionum prophetalium regulam, ut quae ludaei el nostri, immo non nostri ludaizantes. camaliler futura contendunt. nos spirilsliter iam transac1a doceanlUs. oe per occasionem iSliusmodi fabularum ct inextricabilium iuxta apostolum quaestionum iudaizare cogamur" (zu Jes 11.15f.). 31 Zu den eschatologischen Schemata von Aeisch und Geist. Noch nicht und Schon jelzt, Partikularit5t und Universalilät vgJ. SCHOLEM (1963) 121 f. bzw. M....ROU....RDT (1993196) 1,25 (Abriß der Eschalologie seit der Reformation) bzw. T ....LMON (1976). In Verbindung der Schemata folgern z.B. Teile der christlichen Rezeplion des Messianismus aus dem Noch nicht des Erwanelen, daß sein Eintreffen an die tätige Geslaltung im sozialen Menschenleben (Aeisch) gebunden sei. vgl. kritisch dazu VAl.VI NAGV (1993) I24f.'Zu den Schemala im ganzen vgl. ntOM.... (2000) 13 und Konstruktion (2003). 32 MAlER (1976) 132 kritisiert. daß das Schema .,Schon jetzt - Noch nichl" dem jüdischen GeschichIsbewußtsein christliche Parameter unterlegt. Z.B. übersehen Chrislcn oft. daß die Tempelzerstörung 70 n. Chr. im Judentum nicht bloß Ende und Abbruch, sondern auch Anfang eigener Traditionsbildung sei (so ZAAS 119921 135-148).
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Größen, sondern zeichnen sich durch die Konstruktion eines komplementären Gegenübers aus: Die jeweiligen Pole schließen sich zwar gegenseitig aus, können aber doch nur im (abgrenzenden) Bezug aufeinander bestimmt werden. Z.B. versteht sich Christentum dann als Religion des Geistes und erklärt, was Geist ihr ist, mit der Absetzung vom Judentum als einer Religion der Tat. 33 Die Schemata haben somit, obwohl sie in ihrer Polarität zwei Traditionsgeflechte in Beziehung setzen, vorrangig eine Funktion innerhalb nur eines dieser beiden Traditionskomplexe. Ähnlich wie beim Problem eschatologischer "Charaktere" ist daher auch bei den Schemata neben dem traditionsgeschichtJichen Sachverhalt in erster Linie die Funktion im Rahmen der christlichen Argumentation zu untersuchen. 34 Das aber heißt, daß das Phänomen der Schemata zunächst ein Problem innerhalb der christlichen Theologie ist. Man muß daher mit der Möglichkeit rechnen, daß die Konturierung christlicher Theologie im Gegenüber zum Judentum eine Chiffrierung innerchristlicher Frontstellungen ist, wie dies für den Protestantismus des 17. Ih. kürzlich an mehreren Beispielen nachgewiesen wurde. Demnach ist der Vorwurf jüdischer Trinitätsleugnung eigentliCh antisozinianisch zu verstehen, und das altprotestantische Anathema über die jüdische Ablehnung der Messianität Jesu gilt im Zeitalter des Konfessionalismus tatsächlich dem Calvinismus, der die doppelte Prädestination als Grund der Verdammnis ansieht (und nicht das verweigerte Messiasbekenntnis). Ähnlich wird die zeitgenössische Lehre von der Inspiriertheit der Schrift gegen den Buchstabenglauben des talmudischen Judentums profiliert, richtet sich aber gegen die katholische Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition. 35 Vergleichbare Phänomene zeigen sich auch in der Eschatologiegeschichte des Untersuchungszeitraums vor dem Hintergrund des antikatholischen Kulturkampfes im protestantisch unierten preußischen NationaJstaat. J6 Schließlich dürfte auch hinter der 33 Das bcreilS mil S. 20 Anm. 24 belegle Schema (z.B. bei Hege!) des Judenlums als einer Religion der Tal wird aufgenommen. aber auch krilisch gespiegelt im Iilerarischen Zionismus eines M3lI Brod (vgl. STÄllLER 12003]). 34 Der Sammelband KonSlmJaion (2003) unlersuchl im Sinne solcher Funktionsgeschichle Wahrnehmungen des Jüdischen in Theologie. Literalur-, Medizin- und Profangeschichle der Kai· semit und der Weimarer Republik. 35 Vgl. FIUEORICII (1999) 239 (Triniläl): 227.229 (Schriftinspinllion); 228 (Prädeslinalion). Vgl. S. 15 Anm. 9. 36 S. bei S. 17 Anm. 15 zu Wellhausens pro-preußischer GeschichIsschreibung Jsrnels und vgl. DQRNER (1879180) II.938f.. bei dessen pro-uniener Eschatologie die Krilik jildischcr und kalholi· scher Anschauungen verschwimmt. Die HislOrikerin VOLKOv (2000) haI ähnliche argumenl3live Gemengelagen im damaligen Antisemitismus als •.kuhurtllen Code" rekonstruien. Ich spreche in ähnlicher Absicht von ..Wahmchmungsschemata".
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Erster Teil
zwiespältigen Haltung der pietistischen Judenmission zur jüdischen Emanzipation - die Missionare des 17./18. Jh. arbeiten ihr zu (oder vor)/' die Missionsgesellschaften der neupietistischen Erweckungsbewegung im 19. Jh. lehnen sie ab - ein Problem chrisl1icher Theologie siehen, nämlich das Verhältnis von persönlicher Bekehrung (Glaube) und deren tätiger Ausgestaltung (Liebe), innerhalb dessen die bürgerliche Gleichstellung der Juden bald die Bekehrung zur praxis pietatis fUhren zu helfen scheint, bald die Motive der Bekehrung ökonomisch zu korrumpieren droht.)! 2. Zwischenergebnis. Die Auseinandersetzung mit den Schemata kann angesichts derartiger Beispiele nur so geschehen. daß sie als Problemanzeige für die Frage aufgefaßl werden, ob und wieweit christliche Theologie durch die Abgrenzung von einem ausschließenden Gegenüber bestimmt ist oder aber auch im eigenen Wissenschaftsdiskurs mit solchen Abgrenzungen operien. In diesem Sinne, als Anzeige systematisch-theologischer Problematiken, sammelt die vorliegende Untersuchung im Anschluß an die Analyse der eschatologischen Konzeptionen jeweils in den zweiten Abschnitten der Kapitel li-V Hinweise auf Diskurslagen im Umfeld der jeweiligen Entwürfe, bei denen von einer Verdichtung beslimmter Formen der Wahrnehmung des Judentums zu einem begrifflichen Schema gesprochen werden kann. Die theologischen Probleme, die in solchen Schemata transportien werden, müssen dann im Rahmen der systematischen Auswenung im dritten Teil der Untersuchung eigens bearbeitet werden. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit jüdischen Anfragen an die christliche Eschatologie. die in den Schemata noch nicht selbst zu Wone kommen.
3. Anfragen des Judentums an die christliche Eschatologie Werden für eine Revision evangelischer Eschatologie eingedenk der Shoa jüdische Autoren herangezogen, so geschieht dies mit der Absicht, über das begriffsgeschichtliche Traditionsgenecht von jüdischer und christlicher Zukunftserwartung (Kap. 1.1) und dessen Funktionalisierung in den Wahr37 Nach ARNOlDI (1993) 240 "'ermindlen die pktislischt:n Theol.n in Halle zwischen JulJ\NO (1993) 2.51-273. Der Umerschied zur Orthodoxie ist v.•.• daß diese den Messias als Person erwartel. 62 liierzu vgl. BERTRAMS (2003) 37C. am Beispiel zweier Gründungsvitcr der Judaislik, I. Wolf und E. Gans. 63 eben SCHÄFER (1976) 100 vgl. GOwMAN"N (1993) 65. der die ..Umkehr zu Gocr- als .ß~ dingllng sin~ qUD non" für das Kommen des Messias ansiehl. 64 ach SCHÄFER (1976) 116r. hal rrt:iljeh gegenüber den messianischen Bewegungen die Schullnwtilion das größere GewK::hl. Doch hal sie dies nach F. Rosenzweig gerade aufgrund des •.psetado-messian;c" Charakter jener Bewegungen (WERBLOWSKY (1968139).
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monides sodann versteht seine naturalistisch scheinende Eschatologie als eine geistige Realilät M und nimmt damit - ebenso wie sein eschatologiegeschichl1icher Gegenspieler Abrabanel 66 - Einsichten der Kabbala vorweg. die einen mehrfachen Schriftsinn annimmt 67 und damit den ausschließli· ehen Altemativcharakter der genannten Unterscheidung fraglich macht. In dieser Tradition steht auch im 17. Jh. die messianische Bewegung um Sabbatai Zwi. der die Erwartung des Messias mit mystischer Spiritualität verbinden kann. 68 Hieran knüpft im 19. Jh. der Chassidismus an, der eine individuelle ErlösungsvoTSlellung auf der Grundlage persönlicher Spiritualität pflegt 69 und so ein Gegenspieler des menschheillieh orienlienen Reformjudentums wird. Auch die auf S.R. Hirsch zurückgehende Neoonhodoxie entdeckt freilich die menschheitliche Bedeutung des Judentums für sich und plazien sich so jenseits der gängigen Alternative von Talmud und Refor10 menum. Vollends der Zionismus fügt sich kaum in das Schema der Un· terscheidung von "dieser" und "kommender Welt". Versteht er sich in seiner Anfangszeit weitgehend areligiös, so kann der bedeutendste Jerusalemer Oberrabbiner vor der Staatsgründung 1948. der aus der rabbinischchassidischen Tradition des Baltikums stammende A.l. Kook, gerade die nicht religiös motiviene Besiedelung Palästinas durch eine möglichst große Volksmasse als einen notwendigen Bestandteil der vollen religiösen Exill stenz Israels würdigen. Kook hebl sich durch diese Geringschätzung der 6S Nach WURZBURG€R (1993) 79f. ist Maimonides' Zukunftgerwanung daher durchaus messianisch. &wanele aber die Tradition vor Maimonides lohn und Strafe in der kommenden Weh. so sieht er diese selbst als lohn bzw. ihre Versagung als Sinfe (vgl. MAtER [19761 169f.). Inhahlich ist der Lohn die Vollendung de5 Intel1eklS (Seele) durch die ToralJ'euc. die zuvor in der davon streng zu unterscheidenden Messiaszcit (a.8..0. I SM.) durch das siuliche Regimenl eines (irdischen) Königs ermöglichl wurde. 66 AVNERlJ'GROSSMAN}REINES (1971) 106 (A. GROSSMAN). 67 Z.B. die Lehre von den göttlichen Wirk weisen (SefirOl). die in den jlklisch-ehrisdichcn Religionsgesprächen des Millelalters oft als Vergleichspunkt zur Trinitätslehre diente: so noch bei F.C. Octinger (JUNG 119921203). 68 Aus seinen grundlegenden Forschungen Uber die Myslik des Sabbatai Zwi ergab sich ftir G. SCHOI..ßM das wirtmächlige Konzept: des Messianismus als einer "KatllSlrophentheorie" (DERS. (19631 130). die der Erlösung die Gestalt einer Sozialutopie gibt (ebd.) und zugleich ,u~n im A.uf~huh" (a.a,O, 167) bedeuten kann. 69 SCtIATZ-UFfelHEIMER (1970) 209-211. die den nkhtnationalen Charakler solcher ..self· redemplion" betont, 70 Zu Hirsch und besonders der menschhcillkhen Dimension seiner Eschatologie vgl. BA1..J..HORN (2003) 94--98. 71 Für SCHATZ-UFfelHEl'lER (1976) 194 denk! Kook damit ..nichts Alltägliches"; ähnlich STEMSERG€R (1992) 629. Für GEWIRTZ (1986) 110 entsprichl freilich Koots Auf~'eI1ung des bkl8en Volkskörpers der ma.imonidischen Lehre (a.a.0. 32f.) vom Leib als Bewthrungsort dc:r Seele (Ißlelld:l: s. S. 30 Anm. 6S). also einer eher reformerischen Tooition.
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Diaspora vom Refonnjudemum ab und durch eine analoge Abwertung der talmudischen gegenüber der biblischen (autochthonen) Zeit zugleich von der Orthodoxie und steht damit zwischen den Polen der vermeintlichen Alternative - wie auf andere Weise nach der Staatsgründung Israels 72 auch die an den 1994 verstorbenen M.M. Schneerson anschließende messianische Bewegung "Chabad". Während nämlich Kook das Nichtreligiöse religiös interpretiert, zielt Chabad auf eine tät.ige Heiligung des Profanen. 73 Somit ist in der Tat auch die jüdische Eschatologie geprägt von den Ausschließlichkeitspragmatiken polarer Begriffsschemata; aber gerade die im vorstehenden Absatz genannten scheinbaren Randerscheinungen dieser Traditionsgeschichte zeigen, daß nicht die EntSCheidung für eines der "beiden Extreme", sondern deren kritische Thematisierung als solche die maßgebliche Frage ist,14 die das Schema selbst stellt. 3. Anfragen jüdischer Religionsphilosophie. Deutlich sind derartige Anfragen an die Schemata von einigen jüdischen Religionsphilosophen gestellt worden, die schon zu Lebzeiten und dann in ihrer Nachwirkung Diskurspartner des Christentums sind. a) Leo Baecks paradox-sittliche Wesensbestimmllllg des Judentums. Um die kalendarische Wende zum 20. Jh., nach gängigem theologiegeschichtlichen Urteil zugleich Wende zur Eschatologie, hält A. v. Hamack in Berlin seine programmatischen Vorlesungen über "Das Wesen des Christentums", in denen er den einfachen Jesusglauben um "Gou und die Seele, um die Seele und ihren Gou" unter allen theologischen und kirchlichen, sowohl dogmatisierenden als auch ritualisierenden Verschüttungen freilegen will und ihn damit wie vom hellenistischen Denken so vom Judentum abgrenzt, das kurz vor v. Harnack der sog. eschatologische Aufbruch eines J. Weiß als Apokalyptik dargestellt hal. 15
72 Zum ZioniSIllUS nach 1948 vgl. RAVrrzKY (1991). der a.a.O. 34ff. solchen religiösen Zionismus als unmessianisch bezeichneI, der das Werk des Messias an sich zu reißen sucht. Christlicherseils wird die Staatsgründung Israels ähnlich krilisch gesehen vom sog. Dispensationalismus (s. S. 14 Anm. 7). dem in Deulschland l.B. die ApokalaStaliker HEl.J...ER (1949) und FüNNtNO (1949) anhängen (vgl. Hol.TIIAUS '1993] 443f.). 73 Dazu LEVtNSON (1994) 124. 74 Zitat MAlER (1983) 160. Weitere Beispiele rur Relativierungen der eschatologischen Schemata im Judentum nennt GRAl:.Tl (1983) 170-181. 75 Zitat v. HARNACK 119001 (1999) 91: zur Abwehr von Weiß vgl. :I.a.O. 89 und zur Abgrenzung gegen das Judentum a.a.O. 84f. Daß Hamack das Judentum als kirclrlichr Erslarrung des Glaubens galt. steht in vollem Einklang mil WEU.HAUSENS Begriff der Theokratie als ,,Anstalt" (DERS. '190514091T.) und mil BOUSSCIS Einschätzung der Synagoge. Nach seiner bekanlllen Defi· nilion des Dogmas betrachtet Hamack auf der anderen Seile den Hellenismus als die Ihrologischt Verfremdung des Jesusglaubens.
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Erster Teil
Dagegen wendet sich 1905 der liberale Berliner Rabbiner Leo Baeck. wie schon der Titel seines Buches "Das Wesen des Judentums" erkennen läßt, das dann in der Zweitgestalt von 1922 berühmt wurde. Hier erscheint das Judentum als die Religion des religiös·sittlichen Paradoxes: Z.B. zeigt sich die für das Judentum schlechthin grundlegende Einzigkeit und Absolutheit Gottes darin, daß sein Gebot unbedingt wirklich ist; dennoch ist der Mensch gefordert, es zu venvirkliche1l. 76 Daher drückt sich Israels Erwählung darin aus, daß es die Tora befolgt und durch dieses sittliche Menschenhandeln den Monotheismus verkündigt. Baeck versteht so das Judentum als die eigentlich missionarische Religion. 77 Damit ergreift er eine für sein rabbinisches Herkommen durchaus unkonventionelle Position. Zwar kennt der Rabbinismus seit seinen Anfangen in der Spätantike den Übertritt zum Judentum, doch galt in der halachischen Tradition grundsätzlich das Geborenwerden von einer jüdischen Mutter als Kriterium des Judeseins. 18 Freilich hängt gerade mit der Verabsolutierung dieses genealogischen Kri· teriums die Abwertung des Judentums als Nationalreligion oder Volkstum zusammen, die im rassisch motivierten Antisemitismus gipfelt, sich aber auch in der christlichen Eschatologie beobachten läßt. 79 Wenn Baeck dagegen das Judentum als missionarisch versteht, ergibt sich für die Eschatologie das Bild des Judentums als sittlicher Menschheitsreligion. In diesem Sinne kann Baeck ausdrücklich den Messianismus als die letzte Spitze des missionarischen Monotheismus begreifen, auf der Sittlichkeit sich in Politik weitet und jüdische Religionsgeschichte in die Wehge· schichte der Völker. so Indem Baeck das Judentum auffalligerweise als die eigentliche missionarische Religion bestimmt, stellt er also das eschatologische Schema von Partikularilät und Universalität in Frage. b) Herma1l1l Cohe1ls Konzept eines menschheitlichen Messianismus. Baeck veröffentlicht sein ..Wesen des Judentums" erstmals im vom liberalen Berliner Rabbinerseminar veranstalteten "Grundriß der Gesamtwissenschaft des Judentums". Hier erscheint auch 1919 in der Erstaunage das postume Spät werk des vormaligen Marburger Neukantianers Hermann eohen, ,,(Die) Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums". Tatsächlich 76 ß"ECK (1922) IO6f. IJ2f. 155 nennt drei Paradoxien; die genannte ist die z.weite davon. 77 A.a.O. 77: ..Das Judentum hat dcnn auch das GCbol des Weges z.ur Menschheit. der Mission. die der Besitz der Religion forden. en.eugl." 78 Auch wenn das anlikjüdische GeschichlSdenken sonsl eher palrilincar geprägl scheinl. 79 Für die chriSlliche EschalOlogic vgl. 7..B. BULTMANN (1949) 183: ..Das wahre Gouesvolk iSI die EkJdesia. die eine eschalologische Einheit ist. [... ) Man gelangt in sie nichl durch Gebun oder Volkszugehörigkeit... 80 ßAECK (1922) 282f.
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bestehen eInige Berührungspunkte zu Baeck, jedenfalls was die Eschatologie betrifft. Cohens Vernunftreligion geht freilich. anders als bei den deutschen Aufklärern von Lessings ..Erziehung des Menschengeschlechts" bis zu Kants "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft". über eine reine Sittlichkeit hinaus. Denn diese kennt den Menschen nur als Exemplar der Menschheit; die Religion dagegen entdeckt den Menschen zuerst am Mitleid mü dem Mitmenschen und differenzien so neben Einheit und Allheit des Menschlichen noch die Mehrheit. sl M.it diesem Spezifikum, einem Plus der Religion vor der Ethik, gewinnt das Baeck'sche Konzept des Judentums als der Religion der sittlichen Paradoxien bei Cohen ein eigenes Profil. Baeck korreliene Goues Einzigkeit als die Absolutheit seiner sittlichen Forderung mit deren menschlicher Verwirklichung. Auch Cohen kommt zu dem Ergebnis, daß Gott heilig ist, weil der Mensch sich heiligen soll: er begründet dies aber ausführlicher. Dazu ist hier kurz der Gedankengang des Buches unter diesem Aspekt nachzuzeichnen: Gottes Einzigkeir schließt irgendein anderes Sein, das daneben gegeben wäre, aus. 82 Auch ein geschöpniches Sein als eigenständiges Sein neben Gott ist damit verneint, Schöpfung heißt gerade die Verneinung solchen Seins. Genauer: Da die Verneinung eines positiven Seins neben Gott ein solches im Akt der Verneinung doch noch voraussetzen müßte. verneint Schöpfung nicht ein positives, sondern ein privatives Sein. eine M.inderung von Sein. Cohen definien Schöpfung daher im Anschluß an Maimonides als Negation der Privation. 8l Gottes Einzigkeit ist demnach sein Schöpfersein. So kann Cohen die Offenbarung der Tora als ein Beispiel von Schöpfung auf dem Gebiet der Vernunft verstehen: 8A Gott läßt Israel. so wäre mit einem typisch schöpfungstheologischen Uneil zu fonnulieren, nicht im Unklaren über seinen heiligen Willen. Gottes Einzigkeit und Heiligkeit besteht nach diesem Schöpfungskonzept darin. daß er den Menschen schafft und zur Heiligung forden. und dieses wechselseitige Verhältnis nennt Cohen mit dem tragenden Systembegriff seines Buches "Korrelalion".8s Sie be81 COIlEN (1928) 17.131 f. Zur Entdeckung am Mitmenschen a.3.0. 160. 82 So 3.a.0. 50 im Anschluß an Cohens Übersetzung von Ell 3,14: ..ich bin der Seiende. Ich bin der, der nicht anders benannt werden kann als dureh .ich bin'''. Das wäre heJlenisljsch gedacht aus der Sicht heutiger Exegese. die hier auf den Spuren hebräischen Denkens ein helfendes Mit· sein Gottes mil sdnem Volk liest. 83 A.a.O. 76. Ertenntnislogisch gesprochen formulien Schöpfungslehr"c nach Cohen unendli· che Uneile. die nach der kallliscben UneilSiafel Allbeit. in diesem Falle die Absolutbeil Gottes. aussagen. Der m3imonidische Grundsalz aller Schöpfung: Gou ist nicht trige (vgl. a.a.O. 73). ist ein solches unendliches Unei!. Cohen spricht daher von einer Infinitc:sim3lmethode. 84 A.a.O. 84. 8S Eingefilhn ....0. 100f.: entfalle! •.•.0. 119f.
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Erster Teil
steht in der Vernunft, die Gott als sittliche in seiner Willenskundgabe durch die Tora anspricht, und im heiligen Geiste. der nach dem hebräischen Text von Ps 51,6 der Geist der Heiligung ist. Da sich Heiligung am Mitmenschen vollzieht, kann eohe" die Korrelation von Gou und Mensch auch auf der Ebene der Mehrheit, des Volkes. ausdrucken und mit R. Akiba sagen: Gott ist der Einzige, weil einzig vor ihm Israel sich reinigen kann. 86 Die es· chatologische Konsequenz dieses Korrelationskonzeptes ist ein Messianismus, der als die menschheitliche Aufgabe einer unabschließbaren Selbstheiligung schroff der Eschatologie entgegengesetzt wird, die diesen immerwährenden Prozeß durch die Setzung einer jenseitigen Welt abbricht.87 Cohenfoigert also allS seinem tragenden Begriff der Korrelation eine allsschließende Alternative von Messianismlls lind Eschatologie. Messianismus bezeichnet hier die sich als unverwechselbar jüdisch verstehende Erwartung, daß die Menschheit begriffen ist in einem Prozeß der Heiligung, der fortschreitend. aber unabschließbar und darum auch ein Geschehen in der einen raumzeitlichen Welt ist. Wenn dem die christliche Jenseitseschatologie entgegengesetzt wird. so hat Cohen dabei noch nicht die Diastase von Diesseits und Jenseits in der frühen Dialektischen Theologie vor Augen, sondern die Jenseitserwartung, die am Ende des 19. Jh. unler dem Einfluß von Schleiennachers Kritik der Eschatologie den Locus prägt und dabei von einer bloßen Unsterblichkeitsgewißheit für die individuelle Persönlichkeit bis zum detailfreudigen Zukunftsgemälde die ganze Bandbreite von Zukunftserwartung enthält. Cohens Konzept des menschheitlichen Messianismus zieh also nicht nur wie Baeck auf das Wahmehrnungsschema von Partikularität und Universalität. Vielmehr steht Cohens Partei· nahme Hir eine soziale Gestaltung des Messianismus zugleich jenseits des Schemas von sinnenfalliger Gestalt der Hoffnung und ihrer übersinnlichen Vergeistigung. da die Gestallungja eben, heide vermittelnd. im Geiste stau· finden soll, wie es Cohens Theorem der Korrelalion von GOIt und Mensch ausdrückt. c) Franz Rosenzweigs Neubestimmllng des Verhöl",isses vo" VerheIßung lind Erfüllllng. Cohens Gedanken werden fortgeführt von Franz Rosenzweig in seinem noch in den Schützengräben des erslen Weltkriegs begonnenen Hauptwerk ..Der Slern der Erlösung". Auch hier sei der gedankliche Duktus nachgezeichnet. wobei sich die Darslellung wiederum auf die für unsere Fragestellung einschlägigen Linien beschränkt: 86 A.a.O. 261. Zugrunde ltegt ein talmudischer Ausspruch R. Akibas (Joma 85b). der das Buchmono bildec. 81 A.a.O. 331.
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I. Exposilion der Fragestellung
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Definiert Cohen Schöpfung als Negation der Privation, so unterscheidet Rosenzweig die Schöpfung im Anfang von der Schöpfung im Wort. Erstere ist die arche-ologische und. mit Rosenzweig zu sprechen: elementare Frage, weil sie nach dem Dasein der Elemente des Alls fragt, das Rosenzweig im ersten Teil seines Buches als eine festgefügte und abgeschlossene Ordnung darstellt. Diese eine Frage nach der Schöpfung im Anfang beantwortet Rosenzweig mit Cohens Infinitesimalmethode: Schöpfung ist das Nichtnichts. 88 Schöpfung im Wort dagegen ist eine andere Frage und handelt von dem Wunder, daß die Abgeschlossenheit des Alls wieder als Anfang erscheint, die Erfüllung nochmals zur Verheißung wird, indem die Ordnung der Elemente aufgebrochen wird und diese auf die "Bahn", wie Rosenzweig im Titel des zweiten Buchteils sagt, gesetzt werden zu einer Geschichte, die sich theologisch durch die Tennini Schöpfung, Offenbarung und Erlösung beschreiben läßt. 89 Das Wunderhafte der Schöpfung, das die Erfüllung neu zur Verheißung macht, besteht dabei in der Voraussage, dem Verheißensein eines bestimmten Ereignisses im Geschehenszusammenhang,90 besteht also im Verheißungswort selbst. Anstelle der mathematischen Methode im ersten Teil des Buches erfordert daher die Schöpfung im Wort für den zweiten Teil als Methode eine Grammalik. Sie drückt das Wunder des Verhei· ßungswortes aus, in dem sich die Ordnung des Alls umkehrt zur Schöpfung und die Negation der Schöpfung im Anfang (das Nichtnichts) zur Position. dem reinen Ja der Verheißung. 91 Das Urwort solcher Grammatik kann deswegen kein Substantiv sein, das als Bezeichnung eines Anschaulichen stets negierbar wäre. noch ein syntaktisches Element. etwa Subjekt oder Objekt, das stets auf andere Satzbauteile beziehbar. damit aber begrenz- und also vemeinbar wäre. sondern nur das wertende Adjektiv. Das grammatikalische Urwort der Schöpfung im Wort ist daher das göttliche Prädikat über die Schöpfung: ..gut!" (nach Gen 1,31 ),92 und umgekehrt ist das Schöpfersein das ursprüngliche GOllesprädikat, d.h. Gott ist immer schon Schöpfer, so 88 ROSENZWEIG [1921] (1988) 26. 89 In der Architeklonik des Boches zeigt ein Vergleich die Neubcslimmung des Verhällnis.'iCS von Verheißung und Erfüllung beim Übergang vom erslen Teil (Mollo: .Jn philosophos!". lI.a.O. 3) zum zweiten (..in lheologos!". lI.a.O. 103): Ist in jenem ..die Philosophie gewissemmßcn nur die Erftillerin des in der Offenbarung Verheißenen" (a.a.O. 7). SO heißt es don (a.a.O. 120): ..Die Philosophie. wie sie der Theologe lreibt. wird zur Weissagung auf die Offenbarung:' A.a.O. 124: ..so ist von der Verheißung zur Erfullung nichts weiter verändcn. der Inh:lIt der Verheißung und die Phasen der Erfüllung sind eins; nur haI sich das Fenige zum Anfang verkehn." 90 A.a.O. 106f. gegen die Ansicht vom Wunder als Durchbrechung des Geschehenszusammenhanges. 91 VgJ. a.a.O. 125f. 92 A.a.O. 141 f.
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Erster Teil
daß er nicht aus freiwilliger Liebe, sondern aus Notwendigkeit schafft. 93 Er ist daher nicht nur immer schon, sondern auch immer wieder Schöpfer; seine Schöpfung währt fort als allgemeine Vorsehung. die auf die Erlösung der Schöpfung ziell. 94 Dieser Gedanke ergibt sich auch daher, daß Schöpfung als Wunder ja die Umkehrung der Erfüllung in Verheißung ist und so auf die Zukunft der Schöpfung weist. Deswegen ist auch das Schöpfungsprädikat der Güte als Verheißung aufzufassen, was im Umkehrschluß heißt, daß, wo es ausgesprochen wird - im gemeindlichen Dankgebet -, Erlösung vorweggenommen wird. 95 Solche Vorwegnahme läuft im Sinne Rosenzweigs nicht einfach ihrer Zeit VOraus, sondern ist immer auch vorläufig im einschränkenden Sinne, weil das vorwegnehmende Gebet das Nächstliegende ausläßt und sogleich auf mindestens das Übernächste zugreift - denn um das Nächstliegende müsse ja nicht gebetet werden. 96 Dies unterscheidet das Gebet von der Liebe, die sich als Nächstenliebe auf das Nächste richtel. 97 Rosenzweig korreliert also seine Neubestimmung des Verhältnisses von Verheißung und Erfüllung mit einer bestimmten Zuordnung von Gebet und Liebe. Dabei bezieht er Gebet und Liebe so aufeinander, daß die Liebe die Bahn zur Erlösung der Schöpfung ist, das Gebet aber die eschatologische Ausrichtung gibt auf die erlöste Welt, die .,ewige Überwelt", wie die Überschrift des dritten Teils lautet. Dies erklärt nun, warum Rosenzweig in diesem dritten Teil die Eschatologie in einer Beschreibung des gottesdienstlichen Geschehens und mit dem methodischen Handwerkszeug einer Liturgik entfaltet. Die Vorwegnahme der vom Wunder der Schöpfung verheißenen Erlösung geschieht als Ausgriff auf das Übernächste im Gebet. nämlich im schweigenden Dankgebet, dem anbetenden Nachvollzug des "gut!", das GOIt über seine Schöpfung spricht. In diesen Bahnen beschreibt Rosenzweig ausführlich das gottesdienstliche Geschehen beim jüdischen Versöhnungsfest und spitzt es zu auf die Reinigung der Lippen. Sie befahigt das Volk zu einer erlösten Anbetung Gottes. die sich im schweigenden Verneigen vor ihm ausdrückt. 911 93 A.a.O. 128f. mil Maimonides gegen den Islam. rur den GOlt auch ohne eine Schöpfung volllr:.ommen ist. 94 A.a.O. 133-135 mit Maimonidcs gegen die islamische Lehre von nur einer besonderen Vorsehung. 95 Vgl. a.a.O. 278f. 96 A.a.O. 305 3m Beispiel des Gebets um den Tod des Anderen. da der Andere ab Anduer doch schon 101 ist: Durch die Schöpfung ist er vielmehr Milgeschöpf (man vgl. Cohen zur Entdclr:.kung des Mitmenschen). 97 A.a.Q. 298. 98 A.a.Q. 360.
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Rosenzweig stellt dem die christliche Liturgik gegenüber, die eine derartige Feier der Erlösung nicht oder. wie in der Taufe. nur als Anfang eines Lebensweges, nicht als Vorwegnahme der Erlösung kennt." So korreliert er das Judentum als Religion des ewigen Lebens mit dem Christenlum als Re1OO Das Judentum hat in der Vorwegnahme bereits ligion des ewigen Weges. das. was es als Eschalon erhofft, nämlich ewiges Leben, jedoch auf Kosten des zeitlichen Lebens - Rosenzweig erinnert daran, daß das Diasporajudentum Verzicht leistet auf eigenes Land, eigene Sprache und eigene Nalionalität 101 -, das Christentum hingegen schreitet den ganzen Weg der Hoffnung auf das Eschaton, also den Weg zum ewigen Leben aus, ohne doch ewiges Leben zu besitzen. So stehen beide Religionen in je ihrer Eschatologie sich entgegen, bilden aber erst in ihrer Korrelation aufeinander die Wahrheit Gottes, die zwar beiden zuleil wird, in diesem ZUlei/werden aber auch nur einen Teil der ganzen Wahrheil darstellt. 102 Es iSI also zu beobachten, daß sich Rosenzweigs Neubestimmung des Verhältnisses von Verheißung und Erfüllung, die er im Anschluß an Cohens differentialmathematischen $chöpfungsgedanken vornimmt, durch sein gesamtes Hauptwerk zieht und unmiuelbar in eine escilOtoJogische Kritik eines Verheißungskonzepls mündet, das auf der Unterscheidung zwischen "schon jetzt" und .. noch nicht" geschehener Er!üJJung fußt. Damit ist das chrislliche Zeitverständnis in der Eschatologie grundsätzlich in Frage gesteilt. d) Mnrtin Bubers Kritik einer Zäsur in der Geschichte. Auf solche zeitlichen Wahmehmungsschemata zielt nun die Anfrage, die Rosenzweigs Mit~ arbeiter im Frankfurter Jüdischen Lehrhaus und Initiator der gemeinsamen Bibelübersetzung, Martin Buber. in einem eindrucksvollen Gespräch mit dem Bonner Neutestamentler Karl Ludwig Schmidt im Januar 1933 geäußert hat, wenige Tage vor der nationalsozialistischen Machtergreifung. Themen dieses Gesprächs waren "Kirche, Staat, Volk, Judentum". Schmidts Einlassung zielI, wie er zu Beginn darlegt, angesichts eines wachsenden, rassisch begründeten Antisemitismus darauf, die vier einschlägigen Themen, damit nicht ..das Volkharte überbetont" wird. als religiöse zu behandeln. Hierzu nimmt er dann als Theologe Stellung und erklärt, daß das Judenlum seit seiner Ablehnung Jesu als des Messias und der Zerstreuung 99 A.a.O. 416. 100 z'B. a.3.0. 459. Der Vergleich mil dem Christenlum prägt aber den ganzen drillen Teil. der unter dem MOllo ..in tyrannos!" (3.a.0. 295) steht. womit die gcnlCinl sind. die das Eschaton vorwegnehmen (vgl. 3.a.0. 319). 101 A.a.O. 333.334.336 zu den Slichworten Land. Sprache und Nationalität. 102 A.a.O. 462.
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Ersler Teil
in die Weltgeschichte "miuelpunktlos" sei, wo doch Jesus Christus genau diesen Mittelpunkt bilde: "Die Weltgeschichte als Gouesgeschichle. als Heilsgeschichte ist nur von dieser Zäsur aus zu verstehen.,,103 In seiner Entgegnung versieht auch Buber die vier Themen des Gesprächs als religiöse Themen, indem er sie zunächst unter dem Stichwon "Israel" lusammenfaßt. Sodann stellt er die jüdische und die christliche Wahrnehmung, die er inhaltlich durchaus im Einklang mit Schmidt rekonstruien, einander gegenüber als zwei auf gleicher Ebene liegende, aber einander ausschließende Geheimnisse. Das Miteinander dieser Geheimnisse ist seinerseits ein Geheimnis, nun aber das Geheimnis Goues: .jedes echte Heiligtum kann das Geheimnis eines anderen echten Heiligtums anerkennen. (... ] Wie es möglich ist, daß es die Geheimnisse nebeneinander gibt, das ist Gottes Geheimnis". Vor diesem Hintergrund antwonet er Schmidt dann ausdrücklich: "Erlösung der Welt ist uns unverbrüchlich eins mit der Vollendung der Schöpfung r...]. Eine Vorwegnahme der vollzogenen Welterlösung zu irgendeinem Teil, etwa ein Schonerlöstsein der Seele. vennögen wir nicht zu fassen, wiewohl sich auch uns, in unseren sterblichen Stunden. Erlösen und Erlöstwerden kundtut. Eine Zäsur nehmen wir in d04 der Geschichte nicht wahr: Anscheinend stehen Schmidts und Bubers Einlassungen unbehelligt nebeneinander wie die zwei kraft des Geheimnisses Goues koexistierenden Geheimnisse, von denen Buber spricht: Die einen sehen einen Einschnitt in der Geschichte, wo die anderen ihn nicht sehen. doch beide tun dies aus der Einsicht heraus, daß die Geschichte religiöses Thema sein muß. Doch der Widerstreit ist über diese Beobachtung hinaus schärfer. Indem Schmidt die Zäsur zur Voraussetzung solch religiösen Verständnisses der Geschichte macht - sie sei als Gottesgeschichte ..nur von dieser Zäsur aus zu verstehen" -. beansprucht er, daß diese Zäsur auch vor und außerhalb dieses religiösen Verständnisses gültig sei. Aber gerade indem er damit die gesamte Geschichte unler das Vorzeichen dieser Zäsur bringt. kompromittien Schmidt sein eigenes Anliegen, angesichts des rassisch. nicht religiös molivienen Antisemitismus die Geschichte als religiöses Thema zu behandeln, denn für dieses Vorzeichen reklamien er allgemeinhistorische. nichl religiös gebundene Evidenz. Schmidts Argumentation bildet damil in aufschlußreicher Weise den Antipoden zu derjenigen Iheologischen Auffassung, die elwa zur selben 103 Die Zilale SCHMIDT 11933 J (1981) 153.155 sind verbunden durch den a.3.0. 152f. dreimal geäußerten Gedanken vom Verlust der Mine. 104 Zilale BUBER (1933) 563.562 (hier eröffneI der lel:r.le zitierte Salz einen neuen Absatz).
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Zeit zum endgültigen Zerbruch der eschatologischen Arbeitsgemeinschaft der Dialektischen Theologie fühn. Dieser Zusammenhang ist kurz darzu~ stellen. ehe ich auf Bubers Entgegnung an Schmidt eingehe: E. Brunner entwickeh 1934 nach längeren Vorarbeiten eine Lehre vom natürlichen Anknüpfungspunkt der unverrechenbar freien Gnade Gones, wogegen K. Barth seinen energischsten Widerspruch SelZl. Dieses ,.Nein!" wieder~ holt er gegenüber der späteren Lehre der Hermeneutischen Theologie von einem rein strukturellen Anknüpfungspunkt im Menschen, also gegenüber seinem Marburger Gegenspieler R. Bultmann und dessen Fachkollegen E. Fuchs. IOS Vor aJlem aber ist davon F. Gogartens zeitgleiches theologisches Engagement für die dem Nationalsozialismus verbundene sog. Glaubensbewegung der Deutschen Christen getroffen. Barths grundlegender Einwand, der in der deutschen evangelischen Nachkriegstheologie als das Verdikt der natürlichen Theologie einen noch stärkeren Aufschwung erlebte, lautet ja jeweils, daß irgendein anderer Anfang der Theologie als bei Gou selbst Gefahr läuft, geschichtliche oder gesellschaftliche, anthropologische ooer kulturelle Gegebenheiten und Standards religiös zu überhöhen. d.h. theologisch gesprochen: die Radikalität des GegensalZes von Sünde und Gnade zu verwässern. Dies richtet sich zeitgeschichtlich gegen die Deutschen Christen; aber eine vergleichbare Gefahr in der akademischen Theologie wird da gesehen. wo Theologie auf Begriffen aufbaut. die mit dem Repertoire der antisemitischen Gesellschaftsideologie der Nationalso~ zialisten in Berührung geraten können. Deswegen sieht sich von Banhs Kritik auch P. Althaus in Mitleidenschaft gezogen. I06 Seine "Theologie der Ordnungen" rezipiert die Kategorien Rasse, Volk. Stand, Obrigkeit in einer Weise, die vielen Beobachtern als gefahrlieh harmonische Aufnahme natio~ nalsozialistischer Anschauungsformen erschien und erscheint. - Gegenüber all diesen ist nun Schmidt deshalb der Antipode, weil seine aUgemeinmenschlich einsehbare Voraussetzung einer weltgeschichtlichen Zäsur in Christus nicht einer natürlich~theologischen Harmonie von Vernunft und Offenbarung. Wellgeschichte und Heilsgeschichte folgt. sondern sie ergibt sich für ihn gerade umgekehn aus der krassen Dissonanz von Welt- und Heilsgeschichte: Die Weltgeschichte ist "Schatten" und ,.Nachtseite"· des Lebens! Barth monien. daß von der Geschichte theologisch zu optimistisch gedacht werde; und dieses Monitum häll Schmidt in einem 1997 im Druck veröffentlichten Brief vom 11.9.1933 (an P. Allhaus) gerade seinem Stuttganer Gesprächspartner Buber vor: Bubers Auffassung von einer bruchlo105 Fuchs war 1933 Assistent SchmKhs in Bonn. 106 ALnlAUS (1935) 6.
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Erster Teil
sen Geschichte sei ..Schwärmertum", schreibt Schmidt: .,Es ist jedenfalls so. daß der Jude Buber, der viel von Israel weiß, der aber noch nicht genug von Israel weiß, den Deutschen Christen näher steht als - ich.'d07 Diese argumentative Konstellation zeigt die ganze Schärfe des Problems einer Wahrnehmung des Judentums. Schmidts Argumentation fallt nicht unter die Barth'sche Kritik, dennoch folgt seine Wahrnehmung des Juden· turns den von ihr kritisierten Schemata, ohne daß ihm auch nur entfernt theologischer Antijudaismus unterst.ellt werden könnte, vielmehr ist dessen Überwindung sein ausdrückliches Ziel. Der Vergleich von Schmidts Entgegnung an Buber mit den zeitgleich von Barth kritisierten Autoren zeigt instruktiv, daß die theologische Aufgabe, die sich einer Revision der Eschatologie stellt, nicht darin bestehen kann, die genannten Schemata von Wahrnehmung des Judentums gewissermaßen "umzupolen".108 Barths Verdikt natürlich-theologischer Harmonisierungen trifft also nur die eine Seite des Problems. Denn nicht nur in deutlicher Annäherung an die Deutschen Christen (wie bei Gogarten). sondern auch in der schroffen Abgrenzung davon (wie bei Schmidt) kann dieselbe Schwierigkeit entstehen. daß nämlich für einen theologisch eindeutigen Sachverhalt außertheologische Evi· denz beansprucht wird. Genau dies tut Schmidt, wenn er eine weltgeschichtliche Zäsur in Jesu historischem Auftreten zur Voraussetzung eines religiösen Geschichtsverständnisses macht und damit fordert. auch das Judentum als nichtchristliches Denken müsse. sofern es an einem Verständnis der Geschichte interessiert sei. diese Voraussetzung mitvollziehen. Liest man nun vor diesem Hintergrund Bubers Replik an Schmidt. dann stellt die Nichtwahrnehmung einer Zäsur nicht bloß ein Geheimnis neben ein anderes, sondern bestreitet, daß dem Christentum ein solcher Rückgriff auf allgemeinmenschliche Evidenzen zu Gebote stünde. die auch für das Judentum verbindlich sein müßten. Er zieht so die Möglichkeit einer derartigen Voraussetzung generell in Zweifel. also sowohl in ihrer harmonistischen Ausprägung wie bei Gogarten als auch in ihrer skeptischen Variante wie bei Schmidt. Buber übt damit grundsätzliche Kritik vor allem am Wahmehmungsschema von "Schon jetzt" und "Noch nicht", das sich am Thema der Messianität Jesu in der aporetischen Frage niederschlägt: Ist der Messias schon gekommen oder noch nicht?l09 Bubers Anfrage zielt somit 107 Zitale MOllLlNü (1997) 239.240.240.240: vgl. früher: V.O. OSTEN-SACKEN (1978) 142. 108 Darum ist nicht das von Buber ..dialektisch dem ,Noch nicht' hinzugefLIgle .Schon' ent· sprechend dem christlichen .Schon'. dem dialektisch das .Noch nicht' hinzugehörr' (STf.GEMANN [19881 145). das zukunftsweisende Morncnt des Gesprächs. das Judentum ab und dem christlichen 109 Diese Frage weist WERBLOWSKY (1%8) 44 Fundamentalismus zu.
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auf eine Revision des in der christlichen Eschatologie vorfindlichen Verständnisses von Zeit. 4. Ergebnis. Die Bedeutung der hier referienen Anfragen jüdischer Religionsphilosophie an die zeitgenössische christliche Eschatologie ist nicht allein in der kritischen Spiegelung der Wahmehmungsschemata zu sehen, sondern mehr noch darin, daß damit sachliche Themen entbunden werden, die für eine Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum wichtig sind. Bei Baeck wird die Mission und bei Cohen die Leidensthematik zum Thema der Eschatologie, jeweils als Entdeckungszusammenhang ihrer menschheitlichen Dimension. Seide betonen dabei den Zusammenhang von Eschatologie und Ethik als Zusammenhang von göttlichem und menschlichem Handeln, der im vorigen Punkt dieses Abschnitts schon für die jüdische Eschatologiegeschichte überhaupt wichtig zu sein schien. Bei Rosenzweig wiederum ist der Gottesdienst der Entdeckungszusammenhang der Eschatologie, für die sachlich das Verheißungsthema zentral ist. An ihm entscheidet sich auch das Zeitverständnis, auf das Buber eingeht. - Alle diese Anfragen und Themen werden im weiteren Verlauf vorliegender Untersuchung wichtig sein bei der weiteren Ausarbeitung der Fragestellungen, die eine evangelische Eschatologie im Blick auf das Judentum berücksichtigen muß. Deswegen werden die dritten Abschnitte der Kapitel [I-V im Rückgriff auf den vorliegenden Abschnitt und in Weiterführung davon eigens den Ertrag der jeweiligen Eschatologiekonzepte für diese Fragestellungen sichern. Somit ergibt sich für den folgenden, zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung dieser Gesamtaufriß: Es werden vier Komplexe evangelischer Eschatologiegeschichte (Kap. U-V) hinsichtlich ihrer eschatologischen Argumentation und deren Implikationen für die Wahrnehmung des Judentums (Abschniue Nr. I mit den Unlerabschniuen 1.1 zur Argumentation und 1.2 zu den Implikationen), ihrer eventuellen Schemata von Wahrnehmung des Judentums (Abschnitte NT. 2) und ihrer Bedeutung für Fragestellungen evangelischer Eschatologie im Blick auf das Judentum (Abschnitte Nr. 3) behandelt.
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II. Friedrich Schleiennachers eschatologisches Dilemma
"Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion:
schnille handeln von der Beziehung der Gnade auf den Menschen (§§ 91112) bzw. von GOII in bezug auf die Gnade (§§ 164-169) und spiegeln damit die drei Dimensionen dogmatischer Sätze als Aussagen über das Selbst·, Welt- und Gouesverhältnis des Menschen,9 in denen auch auf seiten der Sündenlehre (§§ 65-85) sowie im ersten Teil (Voraussetzungen des Gegensatzes von Sünde und Gnade: §§ 32-6 J) die Dogmatik entfaltet wird. IO Es fallt nun auf, daß in der GnadenJehre die individuelle Dimension der Dogmatik in zwei Hauptstücken dargestellt wird, die überindividuelle aber in dreien. Über die Frage des EIl1stehens und des Bestehens von (individuellem bzw. gemeinschaftlichem) Gnadenbewußtsein hinaus handelt hier nämlich die Eschatologie von dessen überindividueller Vollendung. Vollendung. so wird argumentiert. ist dabei deshalb der gemeinschaftlichen und nicht der individuellen Dimension zugeordnet. weil für Schleiermacher die Gnade ohnehin nur an einem ..Gesamtleben" besteht. in dieser gemein11 schaftlichen also die individuelle Dimension miteingeschlossen ist. So wird die zunächst befremdliche Eingliederung der Eschatologie in das Ganze von Schleiermachers Dogmatik plausibel. Jedoch bei der internen Gliederung der Eschatologie kehrt dieselbe Spannung von individueller und sozialer Dimension wieder. Hier stellt zunächst je ein Paragraph die beiden Aufgabenfelder der Eschatologie vor, nämlich die gemeinschaftliche Dimension als Vollendung der Kirche (§ 157) bzw. die individuelle Seite als Fortdauer der Persönlichkeit (§ 158), ehe der eigentliche Schlüsselsatz in § 159 Eschatologie als ..Lösung beider Aufgaben" definiert}2 Von diesen drei Grundlegungsparagraphen deutlich unterschieden durch die Zählung von vier ..prophetischen Lehrstücken". thematisieren die §§ 160-163 vier Ansätze zur Lösung dieser doppelten Aufgabe; Schleiermacher greift damit die protestantische Überlieferung von der Vier.lahl der letzten Dinge auf und verbindet so auch hier. wie bei der Stellung der Eschatologie im Ganzen der Dogmatik, seine originären Ein9 Dazu grundsälZlich SCHLEIEltMACIiER 118301J I1 (1960) 1.163 (§ 30). 10 In dieser Dreisteltigkeit der Dogmatik schlägt sich Schleic:nnachc:rs 1lIeorie des BeWUßIseins nic:dc:r. derzufolge der Mensch sieb teils als rahig zu eigener. wirksam handelnder Einfluß. nahme auf sicb selbst und die Weil empfindei und leils als dazu unflibig. d.h_ teils als frei und teils als abhängig. Gott gegenüber aber als schlechthin abh5ngig. also unfähig zu irgendeiner Gegenwirkung auf Gon (u.O. 1.23-30 I§ 4 J). II HalMS (1990) l04f. sowie a.•.O. 101 mil der Schlußfolgerung fiir die Stellung der EschalOkJgie. 12 Zltal 5CHLEtERMAQtEJt 1183013 I ) (1960) 11.416.418 (f 159).
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11. Friedrich Schleiennachers eschatologisches Dilemma
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sichten mit der dogmatischen Tradition. l3 Beide Elemente sind im einzelnen so miteinander verbunden, daß Schleiermachers eigene Einsicht das Problem formuliert, welches er gerade der eschatologischen Lehrtradition entnimmt "Daher nun können wir auf keine Weise den folgenden Sätzen, welche von den letzten Dingen handeln, denselben Wert wie unsem bisherigen Lehrsätzen beilegen.'d4 2. Der dogmatisl:he Wert der Eschatologie. Die entscheidende Frage an Schleiermachers Eschatologie lautet, was mit der Rede vom .,Wen" eschatologischer bzw. sonstiger Lehrsätze gemeint isl. Sie läßt sich mit architektonischen Überlegungen nicht beantworten, sondern nur so, daß die Einleitung zu Schleiermachers "Glaubenslehre" (§§ 1-31) zu Hilfe genommen wird, wo er sein Verständnis von Lehrsätzen entfallel. 15 Hier unterscheidet er im Abschnitt "Vom Verhältnis der Dogmatik zur christlichen Frömmigkeit" zweierlei Sätze, nämlich Glaubenssätze (§ 15) und dogmatische Sätze (§ 16). Glaubenssätze sind dabei solche Sätze, die Zuständlichkeiten eines ursprünglichen frommen Selbst bewußtseins zur Sprache bringen; und dogmatische Sätze sind innerhalb der Glaubenssätze diejenigen, die dies nicht tun, um momentan künsl1erischen Eindruck oder rhetorischen Erfolg zu erzielen wie das dichterische bzw. rednerische Sprachgebiet (§ 16, I). sondern um grundsätzlich darzustellen und zu belehren, wobei "der höchst mögliche Grad der Bestimmtheit bezweckt wird".16 Der Unterschied zwischen Glaubenssätzen und dogmatischen Sätzen ist also keinesfalls ausschließend, vielmehr sind diese eine Teilmenge jener, und zwar auf der höchsten von drei Stufen. Diese drei sind das dichterische, das rednerische und das darstellend belehrende Sprachgebiel. In einem Zusatz zu § 16 betont Schleierrnacher den Zusammenhang zwischen Glaubenssätzen und dogmatischen Sätzen: Diese müssen immer rückbeziehbar bleiben auf jene, nämlich "auf die unmittelbaren Aussagen des frommen Selbstbewußtseins" .17 Dieser Zusammenhang suggerien nun die Folgerung. daß die Un13 S. S. 43 Anm. 7. Zur schwankenden Vienahf der Eschata vgl. HJELDE (1987) 71.84 u.ö. Bei SCBLJHERMACIIER 11830/311 (1960) §§ 160-163 sind diese Lehrslücke die Wiederkunfl Chrisli. die Auferslehung des Fleisches, das JUngsle Gerichl sowie die ewige Seligkeit. Der .Zusatz" zu diesen (in der Zweit3uOage der ..Glaubenslehre·') ist kein eigenes Lehrslück. 14 A.a.0.1J,418 (§ 159.2): vgl. 3.a.0. IIAI6f. (§ 159. LehrsalZ). 15 Hier selzen, völlig zu Recht, die Überlegungen von WEE8ER (2000) an. 16 Die Formulierung des Lehrsalzes in § 16 (SCHLElERMACtIER 11830/311 119601 1.107) Ilißt mil dem zitierten Nachsatz zunächst noch offen, ob die größtmögliche Beslimmlheil eine der darstellend belehrenden Redeweise inhärente Eigenschaft oder eine zusätzliche Qualifikation ist: s. S. 54 Anm. 44. 17 A.a.Q. 1,110 (§ 16. Zusatz). Diese Rückbindung unterscheidei fUr Schleiennacller a.9.0. J.lll Dogmalik von Spekulation. Ein viertes, "besonderes Sprnchgebicl". das er mit Rückgriff auf
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Zweiter Teil
terscheidung zwischen Glaubenssätzen und dogmatischen Sätzen für den Ausschluß der Eschatologie aus dem Kreise der Lehrsätze keine Rolle spielt; m.a.W. wenn die dogmatischen Sätze nur eine Teilmenge der umfassenderen Klasse der Glaubenssätze sind und die Unterschiede beider gradueller Natur, dann scheint der grundsätzliche Einwand gegen die Sätze der Eschatologie ihnen auch den umfassenderen Charakter von Glaubenssätzen abzusprechen, womit sie dann freilich auch als dogmatische Sätze nicht mehr in Frage kommen. I! Im folgenden sind nacheinander beide Arten von Sätzen für die Prüfung eschatologischer Sätze heranzuziehen. a) Eschatologische Sätze als Glaubenssätze. Wenn also die Eschatologie vor allem deswegen nicht den Wert von Lehrsätzen beanspruchen könnte. weil sie keine Glaubenssätze bildet. dann hieße dies. daß sie keine unmittelbaren Aussagen des Selbstbewußtseins bildet; und dieser Einwand klingt plausibel, sofern Zukünftiges keinen unmittelbaren Inhalt von Selbstbewußtsein darstellen kann. Will man dagegen die Lehrbarkeit von Eschatologie behaupten, so wäre zunächst nachzuweisen, daß die Inhalte ihrer Lehrsätze als Vorstellung im religiösen Selbstbewußtsein vorkommen können; und einen solchen Beweis strengt Schleiermacher an. Dabei zeigt sich, daß er etwa in § 157 das Argument von der dem Selbstbewußtsein unzugänglichen Zukunft zwar gebraucht, gerade angesichts seinef aber festhält, daß die Erwartung einer Vollendung der Kirche zum christlichen Selbstbewußtsein hinzugehört: Allein wenn diese Sätze (sc. neutestamentliche Weissagungen bezüglich der Kirche] auch nicht Glaubenssätze sind, insofern ihr Inhalt als unser Fassungsvennögen übersteigend keine Beschreibung unseres wirklichen SelbstbewußlSeins ist: so stellt sich die Sache doch anders, wenn wir I... ] dabei stehenbleiben. daß sie nichts von demjenigen enthalten dürfen. was in unsern jetzigen Zuständen von den Einwirkungen der Welt heITÜhr1. Daß diese. auch weiter als die Mitwirkung eines jeden dazu reicht. eingeschränkt werde. ist immer der Gegenstand unseres Gebetes. und die vollendete Kirche ist sonach der Ür1 der vollständigen Erhörung desselben. l ,) § 16 als ..llia/~klisch" bezeichne!. erinncn durch seine ..Verwandlschafl mit der wissenschaftlichen Tenninologie jener Gebiete (sc. der Philosophie]" (alle Zitale 0..0..0. 1.155 (§ 28.1 J) zwar an die
bewußtseinsunabhängige Spekulation. ist aber doch wohl eher als ein ideeller Grenzbegriff der theologischen Rede gemeint und steht dem oben Gesagten also nicht entgegen. 18 Es ist daher verständlich. wenn HERMS (Im) 109-112 regelmäBig von ..Glaubensaussagen" spricht. die Unterscheidung von Glaubens- und dogmatischen Sälzen überbrückend. Auch WEEBER (2000) 29 macht den Unterschied zwar thematisch. schränkt seine Bedeutung aber sofon ein und bez.ieht die Exklusion der Eschatologie aus dem Gebiet der Lehrsätze 0..3.0. 114f. 117f. ebenso auf Glaubens- wie auf dogmatische Sätze. 19 SCIlLfIERMACHER (1830/311 (1960) IIA 10 (§ 157.2). Der Absatz schließt daher nur scheinbar die Vollendung der Kirche 3US dem christlichen Selbstbewußlsein aus. wenn es zunächst heißt
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11. Friedrich Schleiennaehers eschatologisches Dilemma
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Was Schleiermacher mit dieser Argumentation erreicht, ist der Nachweis, daß die Erwartung einer erst zukünftigen Vollendung der Kirche Bestandteil des gegenwärtigen Selbstbewußtseins ist: nämlich in Gestalt des Gebets. lO Ähnlich argumentiert er in § 158 zur Erwartung der persönlichen Fortdauer oder Unsterblichkeit des Menschen. Hier bestreitet er zunächst, daß der Gedanke der Unsterblichkeit mit der Religion notwendig mitgesetzt und 21 also religionsphilosophisch beweisbar sei (§ 158,1), und zeigt dann, daß er. freilich ausschließlich als Verheißung, im christlichen Selbstbewußtsein enthalten ist, als solcher dann aber allgemeinmenschlich gültig (§ 158,2). Schleiennaeher wehrt also zunächst die allgemeine Begründbarkeit ab, um danach die allgemeine Geltung zu behaupten, und erreicht so, was bei der Vollendung der Kirche der Rekurs auf das Gebet bewirkte, nämlich die Begründung auf dem christlichen Selbstbewußtsein. Was dort das Gebet, ist hier Christi Verheißung seiner Wiederkunft und damit der implizierten Fortdauer "als menschlicher Person", die dann "vermöge der Selbigkeit der menschlichen Natur in ihm und in uns" auch "für alle ohne Ausnahme" gilt. 22 Schleiermacher, so das Ergebnis dieser Analysen, ist also durchaus der Ansicht, daß die Sätze der Eschatologie unmittelbare Aussagen des christlichen Selbstbewußtseins enthalten. Die SälZe der Eschatologie sind für Schleiermacher Glaubenssätze. Wie aber kann er ihnen dann dennoch den Wert von Lehrsätzen bestreiten? Hier ist offensichtlich die Unterscheidung zwischen Glaubenssätzen und dogmatischen Sätzen doch gewichtiger, als es zunächst schien. Denn wenn die Eschatologie dem christlichen Selbst~ bewußtsein Ausdruck gibt, heißt das ja noch nicht. daß dies auch in dogma(11.11.0. 11,4(9): .Slrenggenommcn kann uns also auf unserm Standpunkl keine Lehre von der Vollendung der Kirche entstehen, da unser christliches Selbstbcwußtsein geradezu nichts über diesen uns ganz unbekannten Zustand aussagen kann:' 20 HERMS (1990) 11I verallgemeincn diesen Sachverhalt. wenn er ,,die gf'gem4'Örtige Perspektive des unmittelbaren Selbstbcwußtseins auf den ncxh ausstehenden Zustand" als ebenso real begreift wie eine gegenwärtige Bestimmtheit, denn beide haben ,,denselben Gegenstand" (ebd.). 21 Entscheidend ist hicr. daß es, wie ..ein unfrommes Leugnen dcr Unsterblichkeit", so auch ein •.ganz anderes (.sc. frommes 1 Entsagen auf die Fondaucr der Persönlichkeit" gibt (Zitate SCmEIERMAOtER [18301311 [19601 11,412 [§ 158,11). Bewiesen wird also wiederum bloß das mögliche Vorkommen solcher Vorstcllungen. 22 Zitate a.a.O. 11,413.413.415 (alle § 158,2). Der naheliegende Einwanlogie festhält,61 sind die neuen Äußerungen auch nicht im Sinne einer Differenzierung von Gottes-, Selbst- und Weltverhähnis als Geist, Seele und Leib zu verstehen. Es bleibt somit nur die Möglichkeit. daß v. Hofmann die Verhällnisbestimmung von Seele und Leib, wie er sie 1841 vorgenommen hatte. 1852 in den Zusammenhang seines trinitarisch strukturierten Gesamtkonzepts gestelh haI. D.h. der Mensch als Seele und Leib erscheint jetzt nach diesen heiden Seiten als unter den Einfluß des göttli65 Z.8. Y. HOFMANN (185US5) 1.235. Weitere Retrllkulionen: ....0. 1.258 Anm. 100.108: 1.260 Anm. I 16. 66 A.a.O. 1.26Of.: Der GeiSi gill als sill..Iich Bedingendes. die Scde als Bedingtes am Men·
,,""'.61
A.a.O. 1.2.59. Khefoths Kritik 51indnis zurückgehen.
(s. S. 95 Anm. 64) mag freilich
auf das o.g. suggeriene Ver·
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ehen Geistes gestellt, der auf Seele und Leib einwirkt: nämlich auf die Seele, und dies auch durch Venninlung des Leibes, Für die Dämonologie häh v, Hofmann im "Schriftbeweis" dies sogar als Regel fest,68 und sein Verständnis von Geschichte überhaupt zielt ja auf eine Einheit von Seele und Leib, die solche Vernliulung zur Unmittelbarkeit aufhebt Es scheint daher, daß v, Hofmann sein Verständnis des Verhällnisses von Person und Natur 1852 njcht geändert, sondern nur in einen größeren Rahmen gestellt hat. Gerade weil aber das Verhältnis von Person und Natur die durchgehende Konstante seines theologischen Denkens ist, könnte die genannte Selbstkorrektur den Eindruck verstärken. daß bei v, Hofmann eben die Aßlhropologie und nicht die Eschatologie den Horizont des theologischen Geschichtsverständnisses bildet. 69 Die Beziehung von Person und Natur auf Gottes Geistwirken, die v, Hofmann im "Schriftbeweis" vornimmt, erschiene dann als ein AnalogieSChluß, der Gottes Sein aus der Beschaffenheit des Menschseins zu folgern erlaubte,70 Die Theologie handelte demnach, wenn sie von Christi Geist redete, eigenliich vom Christengeist 71 und entwickelle lediglich die Geschichte der letztlich ungebrochenen Frömmigkeit des Menschen, denn die ihr entgegenstehende Sünde müßte in der Systematik von Person und Natur als schuldloses Ausgeliefertsein der menschlichen Natur an dämonische Geistwesen ohne Beeinträchtigung der menschlichen Person gedacht werden. 72 In dieser Entwicklungsgeschichte der Anthropologie bliebe der Eschatologie dann keine produktive Rolle mehr zu spielen üb-
. ng.
"
Dies sind die Einwände, welche die Forschung des 20. Jh, in sehenem. überkonfessionellem Konsens von reformierten und lutherischen Autoren 68 DERS. (1857160) 1,359. Zu Beginn des chrislologischcn Lehrslücks liest man freilich a.a.O. 1,45: "Wir slehen in einer nicht blos sachlich, sondern persönlich venniuellen Gerneinschafl mil GOII", wo in der Erstaunage gar stand (OERS. 11852/551 1.44): ..nicht sachlich. sondern persönlich", Doch der Satz nennt als Vernlilllllngsinst31lz die göltliche Person Christi. nichl die menschliche Persönlichkeil. 69 Nach WENDEBOURG (1953) will Y. Hofmalln diese anthropologische Beziehung von Person und N:llur auf den Geist (a.ll,O. 39) mit dcr kenolischen Verhältnisbcslimmung beider in der Chrislologie (a.3.0. 99-101) in eine Reihe, eben die Heilsgeschichle, stellen, was aber das Problem der Sünde vernachlässige (a.a.O. 102). 70 Vgl. HOONER (1956) 120.121: "Gotl ist [sc. bei Y. Hofm3nn) eine anthropologische SeIzung"; ygl. BEIIR (1995) 81 f. und a.a.O. 76 (,.amhropologische Struktur göulictlcn Wirkens" als Behrs Forschungsergebnis). 71 HOBNER (1956) 18: ..Er meint das lcsl[imoniuml sp[ irilusl s[ancli I inl[ernuml. auch wenn er in Wirklichkeit vom subjekliven Glauben rede!." 72 A.a.O. 123 1.U Dämonologie und "RelatiYierung der SUnde"; ygl. BEIIR (1995) 85.90 zu denselben Themen. 73 HÜBNER (1956) loor.: vg1. BEIIR (1995) 112.
B.yeriscM Staatslltibllothllk Münchon
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gegen v. Hofmann vorgebracht hat Um sie zu prüfen, soll der theologische Zusammenhang der Begrifflichkeit von Person und Natur in einem Exkurs untersucht werden:
Exkurs 3: Kontexte der Axiomatik von Person und Natur I. Eschatologie in der Debarte um die Christologie der lutherischen Orthodoxie.
Theologiegeschichtlich stellt sich v. Hofmanns originelles Konzept vor allem als Absage an die lutherische Orthodoxie dar. Deren Zweinaturenlehre zufolge können aufgrund der sog. Idiomenkommunikation in der Redeform des genus majestaticum von Christi menschlicher Natur die Eigenschaften seiner göttlichen Natur prädiziert wer· den. Die lutherische Orthodoxie eines 1. Gerhard verdeutlicht dies vornehmlich kontroverslheologisch am Beispiel der Abendmahlslehre: Christus iSI seiner menschlichen Natur nach der Allgegenwart fahig und so im Brot einer jeden Abendmahlsfeier gegenwärtig. Im Jahre 1900 zieht Gerhards später Epitomator HEINRICH EßELlNG daraus die Konsequenzen fUr die Eschatologie und lehrt diese sakramentstheologische sog. Ubiquilät und die eschatologische Präsenz Christi bei der Parusie "nebeneinander und miteinander glauben".74 so daß die Ewigkeit und die Allgegenwart des sakramentalen Christus sich egalisieren. Eine extensive Neuschöpfung der Welt ist daneben nicht nötig bzw. nur geistig zu vers!ehen. 75 Ebeling vertritt denn auch grundsätzlich eine Spiritualisierung der eschatologischen Verheißungen. was er gerade mil Blick auf das Judenlum. nämlich den Titel ..Israel", ausfUhn. 76 Ebeling folgert so die Weltlosigkeit der Eschatologie. die Gerhard als Lehre von der annihilatio mundi in die protestamische Theologiegeschichte eingeführt hat. im Einklang mit einer sakramentstheologiscbcn Anwendung der Zweinaturenlehre.n Diese Folgerung ist jedoch dann nicht mehr zwingend. wenn die Christologie das - von der lutherischen Orthodoxie stets abgelehnte - genus tapeinoticon lehrt. das in Umkehrung des genus majestaticum von Christi göttlicher Natur die Eigenschaften der menschlichen auszusagen erlaubt. Diese Frage, wieweit und in welcher Art Christi göttliche Eigenschaftcn in der Inkarnation durch dic menschlichen überlagert oder abgelöst wurden. prägt bereits in der Mille des 17. Jh. den Streit zwischen der Tübinger Krypsischristologie und der Gießener Kenosechristologie und wird zur Zeit 74 EBEUNG 119131 (1998) 132: vgl. a.a.O. 7 zum Verhällnis zu Gerhard. 75 A.a.O. 176 wird angesichts der annihil31io mundi die Neuschöpfung von Himmel und Erde poslUlien: behandelt wird aber (a.3.0. 233) nur der Himmel! A.a.O. 184 sind ohnehin .nur Engel und Menschen rur die Ewigkeil" beslimllll. 76 A.a.O. 164 grundsätzlich und 3.&.0.168-170 rur Israel. 77 Diesen Argumenl31ionshinlergrund haI für J. Gerhard selbst STOCK (1971) 126-164 gegen ällere Ableilungen aus der Myslik und der rc:fom\3lorischen Kritik 3111 jüdischen SchwämlCnum (ALTHAUS 11949J 356.358 bzw. ALTIIAUS 1I856/57J 118: s. bei S. 15 Anm. 10) dargelegl. Spätere InterprelaIionen verslehen die Wehvemichtungslehre als apokalYplische Bearbeilung des Themas der Angsl (KÖRTNER [1988J 1%-198) oder als eschatologischen Begriff von Dialeklik im UnIerschied zu geschichtlich·politischer Dialeklik (UERRMANN [199Sl 139 mil Anm. 71).
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v. Hofmanns erneut diskutiert in der sog. kenotischen Christologie. v. Hofmann steht in der Tat in Berührung mit ihr. allerdings beschäftigen ihn die im engeren Sinne christologischen Fragen schon deshalb weniger. weil er die Voraussetzung der zwei Naturen in Christus (deren Verhältnis dann allererst klärungsbedürftig wäre) rur den historischen Christus nicht teill. 78 Sein Konzept einer allmählichen Befahigung der menschlichen Natur zur persönlichen Gemeinschaft mit Goll versteht sich eher als Versuch einer Überwindung aporetischer Alternativen in der Soteriologie. der quer zu den Schultraditionen steht. 79 Später hat A. Ritschl in der Versöhnungslehre mit der Einftihrung deskriptiver bipolarer Schemata ähnliche Absichten verfolgt. und im 20. Jh. möchte die sog. Lunder Schule mit der ..klassischen" Lehrgestalt von Versöhnung als eschatologischer Überwindung der widergöltlichen Mächte den Gegensatz von lateinischem (anselmischem) und idealistischem (abaelardischem) Lehrtypus überwinden.110 Es scheint. daß v. Hofmanns christologische Neuorientierung des Verhältnisses von Person und Natur in strukturell vergleichbarer Weise auf ein eschatologisches Verständnis zielt. Dem entspricht. daß v. Hofmanns Eschatologie als die endgültige Verklärung der Natur das Gegenbild zur weltlosen Eschatologie der lutherischen Orthodoxie bietet. Anregung zu einer Neuorientierung dürfte v. Hofmann hier empfangen haben durch Schleiennachers Kritik an der orthodoxen Zweinaturenlehre. Schleiermacher lehnt einen ontologischen Begriff von Natur ab. da er logisch eine Gott und Mensch übergeordnete Gattung bilden und so die theologische Grundunterscheidung von Sünde und Gnade verwischen müßte. 81 Im Gefolge dieser Kritik kann Natur nicht mehr einen feststehenden Eigenschaftskomplex und Person nicht mehr den Träger dieser Natur bezeichnen: vielmehr versteht v. Hofmanns Konzept einer allmählichen Befuhigung des Weltverhältnisses zum Gonesverhältnis die Natur (Weltverhältnis) als Träger der Person (Gouesverhältnis). der sie werden soll. v. Hofmann kehrt das von Schleiermacher krirüierte VerhälmiJ VOtl PerJotl Imd Nalllr alJo um. Durch die Betonung der Naturseite Christi ergeben sich freilich ihrerseits theologiehistorische Zusammenhänge. die in einem zweiten Schrill zu klären sind. 2. Anthropologie ill der Debaue /Im die Iheosophüche Eschalologie. v. Hafmanns Interesse an der menschlichen Natur Christi und damit der geschichtlichen Dimension der Theologie legt sogleich einige Schulzusammenhänge nahe. Am niichstliegenden schon im topologischcn Sinne ist darunter die sog. Erlanger Theologie. Sie slrebt. da der supranaturalistische Offenbarungsbegriff durch die kantische Tmnszcndentalphilasophie in die Krise geraten ist. eine NeubegfÜndung theologischer Aussagen auf dem Kanzepl der Erfahrung an: Weil Offenbarung als objektive Ursache gläubigen Goltes- und Welt verständnisses diesem selbst nicht zugänglich ist, sondern darin als seine Möglichkeitsbedingung schon vorausgesetzl ist. kann Theologie nur die subjek· 78 Vgl. BRElD€RT (1977) 23 zur ab....'Cicheoden Fragcslcllung des 17. Jh. 79 S. bei 5. 93 Anm. 57. 80 Zu Ritsehls problemgeschichlJieher Bedeutung vgl. 5TEFfEN (1910): GRÄDER (1922) und s. Kap. IV.I.I mit Exkurs 5 (5. 153ff.). Die Typologie der Lunder Schule wird grundgelegt von Aulb (1931) 532-538. 8! 5Clll.EIERMACliER 11830/311 (1960) 1151 f. (§ 96.1).
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tiven Konslilutionsbedingungen der Erfahrung des Glaubens zur wissenschaftlichen Grundlage nehmen. Diese fLir die Systematik besonders von F.H.R. v. Frank durchge· ftihrte Konzeption greift zwar auf v. Hofmanns Ansatz bei der Wiedergeburtserfah· rung zurück: allerdings ist v. Hofmann im Vergleich zu v. Frank an einer tragfahigen theoretischen Grundlegung der Möglichkeit von Erfahrung auffallig unintcressiert. 82 Damit rückt eine alternative ideengeschichtliehe Verbindung ins Blickfeld. nämlich die NalUrphilosophie des späten F.WJ. Schelling. die dieser in München jusl zu der Zeit entwickelt. als v. Hofmann seinen Gedanken der allmählichen Nalurverwandlung faßl. Eine gewisse Beeinflussung v. Hofmanns durch ScheUing ist wahr-
scheinlich;8J Schellings Rolle für v. Hofmanns Eschatologie triu freilich zurück. wenn man zum Vergleich den Diskurs um die theosophische Eschatologie heranzieht: Der württembergische Pfarrer THEODQR LEsSING triu 1858 mil einem vornehml ich individualeschatologisch orientierten Entwurf in Erscheinung. Ln Anlehnung an den unlöslichen Zusammenhang der christlichen Tugenden von Glaube, Liebe und Hoffnung erscheint hier die Eschatologie grundsätzlich als Hoffnungslehre. deren zukünftiger Gegenstand aber in der Gegenwart - ihr wird die Liebeslehre (Sinenlehre) zugeordnet - schon als Pfand oder Keim enthalten ist und nur noch entfaltet werden muß, wie Lessing grundsätzlich nachweisen möchte.&4 Deswegen ist das Kemproblem der Eschatologie der Tod. der solch allmähliche Höherentwicklung abzubrechen scheint. Lessings Spezifikum ist daher der Nachweis der Möglichkeit. daß Christen des Todes überhoben und im Sterben bereits zur Ewigkeit entrückt werden können: ,.Der gefürchtete Tod wird nicht geschmeckt:' Lessing verweist hier auf den .. Verlauf des allmächtigen (sie! sc. allnächtlichen] Einschlafens", den der Mensch eine Zeitlang verfolgen könne, doch nicht bis auf "den Augenblick des Einschlafens" selbst. In eine vergleichbare Grauzone greift nach Lessing die Entrückung der Gläubigen ein.8~ Nach dem als Wartezeit vorgestellten Zwischenzustand werden die vollendeten Gläubigen bei der ersten Auferstehung ins Millennium versetzt und sind damit auch dem Jüngsten Gericht entnommen. vor dem sich alle Anderen nach der allgemeinen Auferstehung verantworten müssen. Da aber ja fLir Lessing die zukünftige Hoffnungs- in der gegenwärtigen Liebeslehre gründet und deren Entfaltung bedeutel, erstreckt sich das Gericht nur auf die Liebeswerke ..ganz abgesehen von aller bestimmten Religion", so daß auch solche "aus der Menschheit unter Christen, Juden, Türken und Heiden" gereltel werden können, die rechtschaffen gehandelt haben. Rb Erste und zweite Auferstehung dienen also der Vollendung gegenwärtiger Anlagen, und daher bedeutet Auferstehung nieht einfach die Wiedervereinigung von Seele und Leib. sondern die 82 So mit Recht ß ...CHM...NN (19103) 938f. Die Bedeutung v. Hofmanns ftir die Überwindung des Supranaturalismus betont dennoch sein Biograph W",PLER (1914) 238.261 u.Ö. Und ftir BEYSCIIlJ\O (1993) 61 ist v. Hofmann ,,der Erlanger Erfahrungstheologe schlechthin". 83 Dazu W .....LEk (1905) und wieder WENDEBOURG (t955), v.n. 3.3.0. 97f. 84 z.a. LEsStNG (1858) 11: ..Es soll nun aber nachgewiesen werden. wic durch diesen Glauben an den aufcrstandenen Hciland [... 1schon jetzt ein Aufcrslehungsle~n. ein Hoffnungslt'~n in uns gezeugt wird". Vgl. a.a.O. 9 zum Zusammenhang von Glaubens-, Liebes- und Hoffnungslehre. 85 Zitate 3.3.0. 42.41.41. 86 Zimte a.3.0. 112.110; don auch zur Entnahme der Heiligen aus dcm Gericht.
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Seele der Chrislen erhäll in dcr Auferstehung den Leib, den sie zu Lebzeiten durch VerLehr des Leibes Christi im Abendmahl schon in sich angelegt haL ll1 Dieses gesamte Konzept einer durchgeistigtcn Leiblichkeit ist weniger der heilsgeschichtlichcn Axiomatik als theosophischer Naturspekulation geschuldet und die recht auffallige Abendmahlslehre ist direkt von dem christlichen Kabbalisten und Theosophen F.c. Oetinger übernommen, der auch die Möglichkeit jenseitiger Bekehrung und die apokatastalische Tendenz teilt. 88 Genau gegen diese Tendenz schreibt der aus Jena stammende und in Basel und Bem wirkende Arzt und Theologe ERNST JOSEPH GUSTAV OE VALENTI schon 1840 seine Eschatologie. Er hat dabei mit J. Böhme einen weiteren evangelischen Theosophen und Kabbalisten vor Augen. Auch flir de Valenti ist das Zentralproblem der Eschatologie der Tod. und zwar der natürliche Tod89 als Trennung von Leib und Seele. Entsprechend Luthers Ablaßthesen folgert er seinen Kernsatz, daß jegliche Beeinflussung der individuellen Seligkeit oder Unseligkeit nach dem Tode ausgeschlossen isr, weil sie der Alleinverdienstlichkeit des Todes Christi widerspräche. Stattdessen fordert er eine diesseitige...wahre Bekehrung".90 Gerade deswegen aber untersuchl de Valent i in sieben kurren Abhandlungen die anthropologischen Möglichkeitsbedingungen von Bekehrung; und hier hat der Arzt dcn Theologcn fest im Griff. Voraussetzung einer Bekehrung ist das Vorhandensein eines klaren und verständigen Bewußtseins. also einer Seele. Eine solche nimml nun der Traduzianer de Valenti 91 ftir den gesamten Zeitraum ab der Zeugung bis zum natürlichen Tode an. Jedoch schiebl er die Todesgrenze hinaus durch die zur selben Zeit auch von I.H. Fichte vertretene Scheintodlehre. de Valenti trägt sie mit aller Autorität des medizinischen Fachmannes vor: .. Es ist nämlich beinahe keinem Zweifel unterworfen, daß zwischen dem eigentlichen Todeskampfe und dem wahren vollkommenen Tode immer ein Jängerer oder kürLerer Zwischenraum des bloßen Scheintodes minen inne steht';, in dem der ..Verkchr der Seele mit dem bereils empfindungslosen Leibe" noch funktioniert. 92 Dcswe87 A.a.O. 68: ..Wer in den Himmel kommen will, muß den Himmel mit hinüberbringen, wer zur Auferstehung der Seligen kommen will, muß den verborgenen Lebenskein Isic!l des himmlischen Auferslchungsleibes schon in sich lragen", allein: ..Unser Aufel1ilehungsleib wird also von dem zweilen Adam, von dem Herrn Jesu. Slammen" (0.0.0. 67), d.h...wir nehmen besonden im heiligen Abendmahl den verkJänen Leib des Herrn. der nichl blos zur lebendigen Seele. sondern zum lebendigmachenden Geist geworden ist, in uns aur' (ebd.). 88 Vgt. a.a.O. 68 Anffi. zur Berufung auf Oetinger beim Thema Abendmahlsleib; Lessings Schluß auf eine Entnahme der Gläubigen aus dem Gerichl verwirft Oelinger aber gegen bestimmte hemlhulischc Ansichlen (WEYEJ!.-MENICIlOfF 120001 43f.). Die jenseilige Bekehrung leitel Delinger aus einer kabbalistischen Etymologie des Wones ..Hades" von ch"dosch (erneuern) ob: "Der Hades ist eine ElIleucrungsanstoll" (0.0.0. 45). 89 DE v .... t.Dm (1840) 2fT. unterscheidei daneben pcrsonifizienen. f1"IOf'8.lischen und ewigen Tod. 90 Z.B. 3.0.0. 22 (Zitat) bezeichnet er ,.den nalürlichen Tod als den äußentcn Grenzpunkt gölllichcr Erbannung". Vgl. a.a.O. 19 zum Bezug auf die Refonnalion. 91 A.a.O. 66 Anm. 92 Zitate a.3.0. 87 wegen Muskelzuckungen bei TOlen sowie post ellitum austragbarer Schwangerschaften. Ähnlich behauptet Ul. FtCHTE (1855) l60ff. gegen Göscheis spekulative Unsterblichkeit (s. Exkurs I, hier S. 66f.) deren Ausweisbarkeit an der Himphysiologie.
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gen kann rur keinen Sterbenden die Möglichkeit einer nach außen nicht wahrnehmbaren Bekehrung im Tode ausgeschlossen werden, und so schränkt de Valenti den Kreis der Verdammten trotz seines Beharrens auf der Notwendigkeit diesseitiger Bekehrung immer weiter ein; miß- und totgeborene sowie ungetaufte Kinder von Christen sind ebenso ausgenommen wie Menschen. die nie christlich missioniert wurden.'B Zuletzt ist rur de Valenti wie fUr Lessing nur noch die willentliche Verwerfung Christi verdammlieh. 3. Eschatologische Aml/ropologie als Ergebnis. Gerade der Vergleich mit dem ausdrücklich um die Theosophie kreisenden Diskurs zeigt den deutlichen Abstand v. Hofmanns zu naturphilosophischen Gedanken. Das Problem, um das trotz gegensätzlicher Positionen sowohl Lessing als auch de Valenti ringen, ist. die Ausschließlichkeit von Christi Heilswirksamkeit zusammen mit der Tathaftigkeit der Bekehrung festzuhalten,94 um die es beiden aufgrund ihrer pietistischen Herkunft gehl. Dies ist das Problem von menschlicher Aktivität und Passivität in bezug auf das Heilsgeschehen. und beide nehmen ihre Zuflucht zu Theoremen von Bewußtseinstrübung und Scheintod, also zu einem Kapitel medizinischer Anthropologie (Pk1. 2). Gefordert wäre jedoch eine theologische Anthropologie, und genau eine solche erstrebt v. Hofmann. wenn er in Abkehr von der christologischen Tradition (Pkt. I) die Begriffe Person und Natur eschatologisch von der Parusie Christi her interpretiert. Gewiß folgt v. Hofmanns Einftihrung der Begriffe auch der zeitgenössischen Ansicht, daß die geistige Sphäre des Menschseins sich über die leibliche erhebe, wie man es mit der Gegenüberstellung von Geschichte und Natur ausdrückte. Aber indem er diese anthropologische Anschauung auf die Parusie Christi bezieht. erreicht er im Ansatz und Grundsatz eine eschatologische Anthropologie. die sich noch als belangreich ruf eine evangelische Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum erweisen wird.
Die Frage nach Eschatologie oder Anthropologie als Horizont von v. Hofmanns Theologie ist mit den Analysen des vorst.ehenden Exkurses beantwortet: v. Hofmann geht es um eine eschatologische Anthropologie, also eine solche theologische Besinnung auf den Menschen, die in ihrem denkerischen Ansatz und darum im Grundsatz eschatologisch ist. 9$ 93 Vgl. 00 VALEI'm (1840) 67: •.Für Aftergewächse wird ja ohnehin Niemand Unslerblichkeit begehren" bzw. 70.67 fUr Ungel8ufte bzw. Unmissionierte (anders a.a.O. 74 filr getaufte Chrislen aoderer Konfessionen). 94 Dies verbindet beide mit der Eschatologie von T. HARMS. dem Bruder des bekanrllen Hermannsburger Missionars. Sie ziell in sechs erwecklichen Predigten ab auf das diesseitige Leben als einzige Mögliehkeit zur vollkommenen Bekehrung. zu der dann am Ende der Predigten eltplizit aufgerufen wird mil der Verheißung. doß die Bekehrten nicht ins Gerichl kommen (DERS. [18751 80.74; vgl. T. Lessing). Sie haben nach Harms auch gar keine Sünden. soodem nur gute Werke vorzuweisen (a.a.O. 82). Gleichwohl dient die Eschatologie ihnen als Bckehrungsaufruf zum Erschrecken über ihre Süoden (a.a.O. 97). 95 LaUI dem Fazit bei BECKMANN (2002) 299f. 311 kompromiuien v. Hofmann die refonnatorische Lehre von unfreiem Willen und Verstockung. wenn er dem Judentum die Ablehnung Jesu. durch die die Kirche in die Heilsgeschichle eintriII. als Schuld vorhält. Diese zutrerrende Beob-
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2. Die eschatologische Axiomatik in der HeilsgescJlichtlichen Theologie. Nachdem für v. Hofmann die begriffliche Grundlage seines spezifischen Eschatologieverständnisses gefunden wurde, sollen nun unler derselben Fragestellung Auloren analysiert werden, die unter seinem Einfluß slehen. a) Reich Christi und Reich Goltes. Als ältester Vertreler der Heilsgeschichtlichen Theologie im begrifflichen Sinne gilt der Württemberger JOHANN TOBlAS RECK, obgleich die einflußreichsten Partien seines Werkes ersl nach seinem Tode gedruckt werden; darunter auch die Eschalologie, die 1887 als Separatabdruck aus der postumen Glaubenslehre erscheint Deren systemalisches Gerüst struklUrierte allerdings schon 1843 Recks Dogmatikvorlesung. 96 Terminologisch spricht Reck freilich weniger von einer Heilsgeschichle als von einer ,,Reichsökonomie",97 was daran liegen dürfle, daß er die wissenschafl1iche Darstellung des Stoffes der Theologie in biblischen Begriffen zu geben bestrebl ist. Dabei gewinnt für ihn, in offenkundiger Anlehnung an Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes, das Reichskonzepl seinen ökonomischen Charakter, indem es als wachslümlich gedacht ist. ln traditionsgeschichtlicher Perspektive läßt sich nachweisen, daß der Wachslumsgedanke an die biblische ReichsvorsteUung außerbiblische. konkret naturphilosophische Einflüsse heranträgt 98 Neben dieser historischen Frage ist aber gewissermaßen umgekehrt auch systematisch zu ermitteln, wie der Reichsgedanke innerhalb der theologischen Konzeption die Wachstumsvorstellung prägt Und hier läßt sich ein ganzes "Reichssystem" registrieren,99 in dem die Reichsökonomie den Oberbegriff bildei, der Schöpfungs· und Heilsökonomie unter sich befaßt: Jene nennt Beck das Reich Gottes als den universellen Horizont der Schöpfung, in dem diese, das Reich Christi, zur 100 Herrschaft gelangen 5011. Dies tut es bislang nur "nach seiner jetzigen geisligen Wesenheit" und noch nichl so, "daß sich an die Stelle der bloß geistigen imlem Reic!lsentwicklullg. wie sie bis dahin herrscht, das sichtba· re äußere Reichsregiment selZt". JOI Diese Herrschafl Christi, diese Christoachtung stellt allerdings nicht in Rechnung. daß hcilsgcschichlliche Theologie als eschalOlogische Amhropologie :loch das Verhältnis von gönlicher und menschlicher Beteiligung am Heilsgeschehen rdonnulieren muß. 96 So Becks Hernusgeber und Schwiegersohn J. Lindenmeyer: BECK (1886/81) LV. Er war es auch, welcher der separaten Eschatologie. materialilcr § 25 der Glaubenslehre, wenige $c:ilen aus deren § 24 (nämlich a.a.O. 11,635--6(2) voranstellte und damit eine bestimmte Interpretation nahelegte. Ich zilien: aus der Eschalologie im folgenden mil der Paginierung nur der Glaubenslehre. 97 ZOO. a.a.O. 1.395: 1I.670. Ein Eintrag "Heilsgeschichte" fehlt im Register a.8.0. 11,776. 98 Betont von HOl'FMA/liN (1975) 145.147 u.ö. 99 BECK (1886187) 11.779. 100 A.a.O. 11.636. Aa.O. 11,637 zur Unterscheidung von Reich Gones und Reich Christi. 101 Zitate 8.a.0. 1J,638.707.
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kratie geschieht im Millennium, das daher Reich Christi im prägnanten Sinne ist. lo2 Wenn es sich, durch das Jüngste Gericht hindurch, von den Christen auf die ganze Schöpfung ausgedehnt hat, wird das Reich Christi zum Reich des Vaters. 103 So ergibt sich eine sehr charakteristische vierfache Unterscheidung von Reich Gottes, Christi geistigem Reich, Christi chiliasti· schem Reich und Reich des Vaters. Auffällig daran ist, daß für Beck Reich Gottes kein eschatologischer Begriff ist, weil er mit ..Reich" überhaupt kein Gut, geschweige ein eschatologisches höchstes Gut bezeichnet. sondern im ursprünglich buchstäblichen Sinn einen Machtbereich oder ein Herrschafts· gebiet. Eschatologie beschreibt daher, wie sich solche Herrschaft vom zunächst nur geistigen Bereich (Christi geistige Herrschaft) auf den Machtbereich Gottes, die Schöpfung als den leiblichen Außenbezug des Menschen, ausdehnt. Heils- und Schöpfungsökonomie bzw. Reich Christi und Reich Gottes stehen somit für die geistige bzw. leibliche Dimension des Heils, und damit ähnelt die allmählich fortschreitende Reichsökonomie bei Beck v. Hofmanns Staffelung der Heilsgeschichte nach Person und Natur. 104 Von diesem unterscheidet Beck aber, daß er die Einheit beider nicht in der eschatologischen Parusieverheißung, sondern ausdrücklich in der Hirn· melfahrt Christi erblickt. 105 Erst für den himmlischen Christus, so zu sagen, gilt die Zweinaturenlehre. Beck setzt sich damit wie v. Hofmann von der altprotestantischen Christologie ab in Richtung auf die Kenotik; allein deren Fragestellung macht er an Jesu irdischer Erniedrigung und Erhöhung fest und bewegt sich damit in den Bahnen der Kenotik nicht des 19., sondern des 17. Jh., die zwischen Geschichte und Heilsgeschichte nicht zu differenzieren brauchte: 06 Deswegen auch kann Beck, was v. Hofmann von Christi Parusie erwartet, schon vom seit Himmelfahrt geistig in der Kirche gegen· wärtigen Christus erwarten, ja: ,.Alle Zeiten und Zeitereignisse. die seit der persönlichen Vollendung des Erlösers ablaufen, sind r...] Entwicklungen des Einen göulichen Vollendungswerkes. und sie gehören so alle der fetzten do7 So entspricht Becks vierfacher UnterZeit an oder der Voffendungszeit: 102 A.a.O. 11.639f. fUhrt ..das Reich der Heiligen auf. oder vielmehr Christi Reich in dieser Form". 103 A.a.O. [1.638.755. 104 Geist und Leib korrespondieren in den Passagen zur Parusie 8.a.0. 1I.676f. dem Reich Christi und dem Reich des Vaters a.a.0.1I.716.761. 105 Die Himmelfahrt erscheint als Einheit von Geist und Leib a.3.0. 11.497.567f. 633. 106 S. S. 93 Anm. 55. Bei BRElDERT(1977) 115.252 erscheint Beck denn auch nicht selbsl als Kenotiker. wohl aber als Lehrer zweier entschiedener KellOliker: W.F. Geß und J.F. v. Reiff. 107 BECK (1886/87) 11675. A.a.O. 11.673 bezieht er dies zwar auf .,die erste Erscheinung". führt aber mit "der Vollendung nämlich des Versöhnungswerks" (also mit Himmelfahrt) fort. Noch deutlicher ist 8.a.0. 11.668 ..die Möglichkeit einer vollkommenen Umbildung der Menschen-
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scheidung der Reichsökonomie eine vierfache Parusie Christi: Christus ist demnach anwesend in seinem historischen Eintritt in die geschöpfliche Weh, in seiner geistigen Gegenwart seil Himmelfahrt, in der Wiederkehr zum tausendjährigen Reich der Gläubigen und in der Parusie zum Jüngsten Gericht. 108 Becks Unterscheidung von Reich Christi und Reich Goltes berührt sich also mit v. Hofmanns heilsgeschichtlicher Axiomatik von Person und Natur. hebt aber in eigenständiger Weise die Himmelfahrt als Einheit beider hervor - und nicht die zukünftige Parusie. 109 Der kritische Punkt seiner Eschatologie ist damit tatsächlich das Parusieverständnis in Gestalt der (ersten und zweiten) Parusie des Inkamierten und Erhöhten. Erstere ist als Jesu Ankündigung der Zerstörung Jerusalems und als seine Hinwendung zu den Heiden der "vorbildliche Anfang"ll0 der Eschatologie nach den Seiten des Gerichts und der Gnade; zweitere führt dies in der Zeit der Kirche zu Ende. Daß die Eschata im historischen Erscheinen Jesu vorgebildet seien, demon111 striert Beck an mehreren Einzelthemen. Becks Eschatologie spitzt sich so, auch im Vergleich mit dem heilsgeschichllichen Konzept v. Hofmanns, auf den Wendepunkt von alttestamentlicher zu christlicher Geschichte zu, und das macht diese Konzeption für unsere Fragestellung nach der Wahrnehmung des Judentums interessant. b) Apokalyptik und Prophetie. Der dritte einOußreiche Vertreter der HeilsgeschichtJichen Theologie neben v. Hofmann und Beck ist der Basler Theologe CARl AUGUST AUBERLEN. der, zunächst von der Theosophie F.C. Octingers herkommend, 1854 mit einem originellen bibelhermeneutischen Werk über den Propheten Daniel und die Johannesoffenbarung pointiert Stellung in der eschatologischen Debatte bezieht. Auberlen gehl es hier um die Etablierung einer .,offenbarungsgcschichllichen'· Exegese der beiden nm ur I... J in Jesus Christus bereits f:IClisch gelöst"·. Diese Stelle ist. da die anschließende "Centr.llstellung. die Christus im Weltganzen einnimmt", nichts anderes ist als .. di~ Sulll/n8 (/~s ~rhahlen Chrisws :ur ",...JI im AlIgl'ml'inell" (a.a.O. 11,635), nicht mit liOFfMANN (1975) 297 auf das "Koml1lt!n Jesu Chrisli in der Vergangenhcil" zu beziehen. soodcrn auf Uimmelfahn. lOS UAKE (1999) 62 unlerscheidel unter der Überschrift "Das mehrfache Kommen Chrisli" .Arei verschiedene. chronologisch gestufte Parusien", weil sie die geislige Anwesenheil Chrisli in der Kirche ntehl mitzählt. zu der aber UOfFMANN (1975) 30 I mit Recht bemerkl: ,.eine vOflauftnde Gwalt der Parusit". 109 DEas. (1975) 308319 kritiSiert 8ecks Einreihung der Parusie in ein kOOlinuierltehes Gedie freilich a.a.O. 69 sagen kann: schchtn: tbenso mit fast denselben Wonen HAKE (1999) •.EnISChc:idcnd iSI das eschatcMogische Moment, lriu doch als Zielpunkl der Bcck'schcn 1bcologte klar die zukünflige Parusie Christi hervor.110 Reo: (1886181) 11,677. 111 Ilienauf wti51 zu Recht PAE (1989) 73 hin.
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Bücher. d.h. ihre Weissagungen offenbaren unmittelbar den Verlauf der Heilsgeschichte in ihrer Ausrichtung auf das messianische Ziel und sind nicht erst oder auch auf die frühjüdische Zeitgeschichte zu beziehen. lll Zur Begründung dieser Besonderheit von Da und Offb entwickelt Auberlen im grundlegenden Teil des Buches sein Konzept von Apokalyptik: Apokalyptik ist demnach Offenbarung zur Überbrückung einer offenba· rungslosen Zeit; 113 ihre Weissagungen sind daher im Vergleich zu denen der Prophetie zeitlich weiter gefächen - Auberlcn sagt "auseinandergelegt" - und deshalb überblickshafrer,114 zumal der Standpunkt des Apokalypti· kers, da in offenbarungsloser Zeit stehend, nicht der des Gottes-, sondern der des Weltreiches isr. '15 Prägnant sagt Auberlen: Was die Prophetie perspektivisch zusammenschaut, das legt die AJX)kalyptik in seine einzelnen Enlfallungen und Zeiträume auseinander. So sind bei Daniel einerseits die vier Wellmonarchieen die aJX)kalyptische Entfaltung der einen Weltmacht. welche die Propheten je nach ihrer geschichtlichen Stellung Assur oder Babel u. dgl. benannl halten; andererseits ist die messianische Weissagung des 9. Kap. nichts Anderes als die Auseinanderlegung des typischen und des antitypischen Heiles. der vorläufigen Erlösung aus dem Exil und der vollen messianischen Erlösung. welche von den Pr0pheten noch zusammengeschaut worden waren. 1I6
Im einzelnen widmet Auberlen dann besondere Sorgfalt der ihm zufolge messianischen Weissagung Da 9,24-27 und der Ankündigung der vier Weltmonarchien Da 2.7. Erstere versteht er gegen zeitgeschichtliche Deutung auf Antiochus Epiphanes nachdrücklich offenbarungsgeschichtlich als Ansage von dem Ende des Exils, dem Auftreten des Messias und der Aufrichlung des Gottesreiches am Ende der Zeiten. l17 Ebenso die zweite Wcis112 Auberlen geht es nicht um die Trennung sakraler von profaner Geschichte. da er auch die Deutung auf die Kirchengeschichte abweist und so E. W. Hengstcnberg gegcn sich hat (AUBERLEN [18541221 u.ö.). Vielmehr sieht er das Heil gerade in einer dcr Kirchengeschichte jenseitigen Geschichte verwirklichl. eben der Offenbarungsgeschichte (z.O. a.a.O. 16: ..Der ofrenbarungsge. schichtliche Ausgangspunkt"). und darum ist der Anlipode dieses .Jenseitsrealisten" niemand anders als der ..Geschichtsrealisl'· v. Hofmann (die Tennini bei Wem [19311 115)1 113 AUBERILN (1854) 21.18 mit Blick auf Daniel. den er lIufgrund 5Ciner Ablehnung zeitge. schichtlicher Auslegung an den Beginn des Exils dalien (11.11.0. 14): entsprechend rur den Seher Johannes am Ende der Aposlelzeit. 114 A.•.O. 14. 115 A.•.O. 2; vgl. ....0. 22 nebst Datierung Danieis ins babylonische Exil. Auberlen ergänzt •.LO. 26r.• daß Da ja im hebriischen Kanon nicht zu den ,,~bj' im. sondern den lnubim gehöre. 116 A.•.O. 15. 111 A.a.O. 97 ruhn Aubcrlen den jüdischen Gelehnen Abarbanel (d.i. der ~i S. 29 Anm. 58 vorgeslellte lsaac Abrabanel) zur 8eslliligung an. Gegen die Deutung der Zeilgc:schichller (.Iso v. Hofmanns) hei81 es ..a.O. 155; .Jhre Berechnung isa im Prinzip verfehlt. M
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sagung überbrückt nach Auberlen, gut apokalyptisch,1I8 die bis in seine eigene Zeit reichende Geschichte der Welthegemonien Babyion, Persien, Griechenland und Rom samt dessen Translation ins deutsche Reich. 1I9 So handelt diese Weissagung von der messianischen Zeit als Millennium: 120 ein organisiert verfaßtes Reich der Christen, das zugleich im Gegensatz zur Zeit der Weltreiche nicht bloß äußerlich ist. 12I Diese beiden exemplarischen offenbarungsgeschichtlichen Exegesen Auberlens führen im Vergleich mit v. Hofmann zu dem verblüffenden Resullat, daß er sich im ersten Beispiel schroff gegen dessen zeitgeschichtliche Exegese absetzt, im zweiten FaIJ (beim innerlich-äußerlichen Chiliasmus) dessen Konzept einer Vollendung der Natur zur Einheit mit der Person aber genau übemimml. 122 Vollends kann Auberlen von seiner Chiliasmustheorie aus eine universalgeschichtliche Skizze ansetzen, die die heilsgeschichtliche Axiomatik von Geist und Natur nun auch explizit aufgreift. Demnach slellt sich die alttestamentliche Geschichte bis zu Christus als eine Indienstnahme von Natur und Geschichte durch Gottes Offenbarungshandeln dar, während von der neutestamentlichen Zeit bis zum Millennium Christi leben zur .,Macht der Naturverklärung" wird. Das Millennium und die alttestamentliche Geschichte entsprechen sich hier komplementär, so daß "don im Geiste" geschieht, "was hier im Buchstaben und daher in nationaler Einschränkung geschah".123 So endet Auberlen, dessen offenbarungsgeschichtliehe Methode doch gerade gegen v. Hofmann entworfen war. zuletzt doch als ein Schüler der v. Hofmann'sehen Axiomatik von Person und Natur, und zwar ist die Apokalyptik dabei auf jene zu beziehen. die Prophetie aber auf 124 diese. 118 A.a.O. 236. freilich unter Hinzuziehung der neutestamentlichen Offb. 119 Die Translationstheorie galt freilich eigenllich nur bis zum Untergang des Heiligen RÖmi· schen Reiches Deut.seher Nation 1806: sie konnte aber so verstanden werden. daß Deutschland der legitime Erbe Roms sei. Für Aubcrlcn war dies unproblematisch. da sein offenbarungsgeschichtli. cher Ansatz - im Unterschied zu seinen Vorbildern J.A. Bengel und F.C. Oetinger - aur einer datierenden Ausdeutung der ZahlelUlngaben ohnehin nicht bestand (vgl. a.a.O. 85 zur Symbolik der Apokalyptik). ja deren Überwindung und die Inkaufnahme von Verzögerungen vielmehr fUr den Vor.lug der neu- gegenüber der ahtcslamentlichen Apokalyptik ansah (8.a.0. 78). 120 A.a.O. 219f. grenzt Auberlen die chiliaslische Deutung gegen die auf ChriSli Inkarnation oder Parusie ab. 121 Vgl. a.LO. 229 zur Innerlichkeit. a.a.O. 226 zur Slaatlichen Verfa.6lheit des Millennium. 122 Auch schon u.O. 98 Anm. I bemühl er ad Da 9.24ff. v. Hofmann fllr die Volksgestall des Gonesreic:hes_ 123 Zilale a.a.O. 361. 124 HILGENFELD (1851) 8 gn:ift. obwohl er Auberk:ns EAege.se.n ablehnt. dessen Vorstellung von geiSliger ApokaI}'pcik und leiblicher Prophelie auf und bildel 50 das Bindeglied zur Religtons· geschichtlichen Schule.
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Grund für diese Diskrepanz dürfte sein. daß Auberlen sein eigenes Konzept von Apokalyptik als ..Auseinanderlegung" der Prophetie selbst nicht durchhält. wenn er über die seinem Entwurf so unentbehrliche Stelle Da 9.24-27 im Widerspruch zu seiner These vom weltlichen Standpunkt des Apokalyplikers schreibt: .•Alle diese Ge,ichle [Da 2.7f. 10-121 gehen vom Standpunkt der Weltmacht aus. das unsrige (Da 91 dagegen durch und durch von dem des Bundesvolks:'12S Wir können somit festhalten, daß Auherlen gerade in seinem Widerspruch zu v. Hofmann diesem nahe ist hzw. in jenem Widerspruch sich selbst widerspricht. Allerdings weist Auberlen auf ein SachprobJem hin, daß nämlich die für die Apokalyptik angeblich kennzeichnende offenbarungslose Zeit. die Zwischenzeit, wie v. Hofmann sie genannt hätte, zwiespältig ist Heilsgeschichllich eher wirkungslos, ist sie doch die Zeit der Kirche. der die Heilsgeschichte gilt. Das Problem wird 126 uns noch beschäfligen. c) Geist und Natuf. Der Leipziger Dogmatiker CHRISTOPH ERNST LUTHARDT publiziert in dichter Folge 1855 und 1856, unmiuelbar nach Abschluß von v. Hofmanns .,Schriftbeweis". in der von diesem herausgegebenen ,,Zeitschrift für Protestantismus und Kirche" drei Aufsätze. die den Grundstock seines zwischen 1861 und 1885 in drei Aunagen veröffentlichten Sammelbandes zur Eschatologie bilden. Kirchenhistorischer Hintergrund der Veröffenllichungen ist die auf E. lrving zurückgehende Kalhelisch-AJX)Stolische Gemeinde, die in jener Zeit starken Zulauf findet. Sie triu als kirchliche Refonnbewegung auf und lehrt. nur eine Kirche in den Strukturen urchristlicher Ämter könne durch Entrückung dem kommenden Gericht entnommen werden. das dann vielmehr Israel treffe. 127 In den fünf Abhandlungen. die in Luthardts Buch die Grundlegung zu sechs einschlägigen Schriftauslegungen bilden, stellt der Autor die Eschatologie jeweils entlang demselben Grundgedanken dar. Dieser Gedanke ist der Gegensatz von Gottesreich und Weltreich. 128 Er trin mit dem baby125 AUßERILN (1854) 161. Vgl. damil a.a.O. 75 (bei S. 106 Anm. 116) in Verbindung mit l.a.O. 22 (S. 106 Anm. 115). 126 Es laOChle schon bei Bed: auf. der auS~rtthncl die Himmelfahrt als Parusie verslehen ~onnte.
127 LUihanhs einschlägige Aufsitze erscheinen auf dem Scheilelpunkt der Kalholisch· Aposlolischen Bewegung (von ihm als .JrvingianismllS·· beu;chnel). da 1855 die crslen ihrer Apostel sierben. Bezug auf die Bcv.-cgung nimml die Rede über •.manches Krwtkhafte und Un· richlige" bzw. die: .xhwännerischcn Gedanken" (LunIARDT II86t) VI bzw. OERS. (18701 VII) in den Vorwonen zur ersten und selbst noch Zv.-eilen Aunage des Sammelbandes. die 1870 ~rKheim - bt.reils nach Spaltung der Bewegung (1863) in Kalholisch·Aposlolische Gemeinde und (später sog.) Neuaposlolisc.he Kirche. 128 Grundsiu.lich CERS. (1861) 23. daneben •.•.0. 10. Hier sind Einnüsse Aubt.rIcns denkbar.
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Ionischen Exil ein: '29 Das Volk Gottes verliert sein Reich, d.h. seine organisiene Verfaßtheit als jüdisches Königtum, und ein anderes Staatswesen tritt mit hegemonialem Anspruch auf, was es unvereinbar mit der ebenso menschheitsumspannenden Reichweite des Gottesreiches macht. l30 Mit dem Weltreich kann das Gottesreich darum nur so koexistieren, daß es, wie das Christentum seit dem Neuen Testament grundsätzlich, allein auf geistige Weise, ohne organisiene Verfaßtheit als Reich besteht. lJI Eine solche kann es nicht von der Staatlichkeit weltlicher Reiche übernehmen, sondern nur von Israel, in dem das geistige Reich eine "nationale Naturbasis" besaß. 132 Eine solche geistig-natürliche Restitution des Gottesreiches wäre wegen des Gegensatzes beider notwendig das Ende des Weltreiches und damit das Eschaton. Luthardts Eschatologie läuft so zu auf das Millennium als jüdisch-christliche Einheit von geistigem Gottesreich und natürlicher VerfaBtheit desselben. 133 Darin besteht die eschatologische Bedeutung des Judentums,l34 und deswegen ist für Luthardt die Wiederherstellung und Bekehrung des in der Diaspora lebenden Israel das entscheidende Vor.leichen des Endes. 1J5 Auch wenn Luthardt den tragenden Grundgedanken hinter diesem eschatologischen Konzept nur ausnahmsweise auf prägnante Begriffe bringt, liegt er doch, wie die gegebenen Zitate zeigen, unübersehbar in der Korrelation von Geist und Natur. Sie bestand im alttestamentlichen Judentum der Königszeit als Einheit von Sinaibund und Davidsbund, wird im Neuen Testament auf den gegenwärtigen Geist reduziert und eschatologisch durch die chiliastische Einheit von christlichem Geist und jüdischer Naturbasis voll129 So a.a.O. 10; a.a.O. 23 denkl Luthardt an die Reichslcilung. ohrK: daB dies viel zur Sache läte: cs geht jeweils um den Wegfall der verfaßten Gestalt des Gottesreiches. 130 Zum. wcnigstens intenlional, menschheillichen Horizont des GOlles- wie des Wehreiches a.a.O. 10 bzw. 14f. 131 A.a.O. 19: .,Paulus hat die Kirche daher lediglich auf die Basis des Geistes Bufgebaut und in seinen Grund eingesenkt:' Vgl. a.a.O. 25: .Das iSI der Gcistesanfang des Reiches, den er lJesusl zu schaffen begehn: aber die geschichtliche Verwirklichung und Aufrichtung des Reiches ist S:Iche der Zukunft." 132 Zilat a.a.O. 18: vgl. zur ..Naturbasis'· (a.a.O. 17) als der bleibenden .,Bedeulung" Israels fUr das Christentum (a.a.O. 20). Luthardt nimmt hier viele Gedanken gegenwliniger Beilräge zum christlich-jüdischen Dialog vorweg, besonders mil seiner Ablehnung der spätcr sog. Substitutionstheorie (a.a.O. 17f. 20). 133 A.a.O. 18.25 zur Identifikation Israels als Boden des Chiliasmus, der a.a.O. 33-35 ausflihrlicher themalisien ist. 134 Z.B. a.B.O. 18.20.25.27 und der ganze Aufsalz ..Die Zukunfllsraels" (a.a.O. 106-123). 135 A.a.O. 21: ..H:lt die Vollendung der Kirche Isrnels Bekehrung urKl Wiederherstellung zur Voraussetzung, so iSI dieB also die erste weilcrführende ThBlsache, die überhaupt einzutreten hat" Vgl. a.a.O. 25.42.77.115f.
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endet. In diesem bei Luthardt fast auf jeder Seite nachweisbaren Entwurf von Heilsgeschichte entdeckt man sofort die Stufung von persönlicher Erfüllung und natürlicher Weissagung in v. Hofmanns Jugendwerk. l36 Mitunter zitiert Luthardt v. Hofmanns Schlüsselsätze der Eschatologie gerade da, wo es um ihre Bedeutung für die Wahrnehmung des Judentums gehl. So nennt er die Bibel "Denkmal der Geschichte Israels", um den israelitischen Charakter der Heilsgeschichte zu betonen: ,,zwischen Anfang und Ende Israels nun ist die Zeit und Kirche der Heiden zwischeneingeschoben" ,137 und er hält fest: "Alle andem Völker haben nur kirchengeschichIlichen Beul38 ruf, Israel ist das Volk des heilsgeschichtlichen Berufs. Freilich führt diese Betonung des jüdischen Charakters christlicher Eschatologie dazu, daß die systematische Bedeutung, welche bei v. Hofmann die Parusie Christi hat - die Einheit von Person und Natur darzustellen -, bei Luthardt eher das Millennium als Einheit von Geist und Natur übernimmt. Doch dies ändert nichts an der streng eschatologischen Ausrichtung seines Konzepts von Heilsgeschichte, da er das Millennium engstens an Christi Parusie anbindet und beide als Eschaton scharf abhebt von den Vorzeichen des Endes. 139 Auch die andere und auffallende Differenz zu v. Hofmann, daß nämlich Luthal'dt die chiliastische Einheit von Geist und Natur als Wiederherstellung des alttestamentlichen Gottesreiches erwartet. ändert nichts an der eschatologischen Ausrichtung, da Luthardt andernorts mehrere Eschatologumena als Verzukünftigung alttestamentlicher Erwartung darstellt. l40 Dies entspricht v. Hofmanns Annahme einer heilsgeschichtlichen Zwischenzeit der Kirche, der eben erst das Eschaton selbst zum Fortschreiten verhelfen kann. Auf Grund dieser weitreichenden Ubereinstimmungen wird man resümieren können, daß Luthardts Axiomatik von Geist und Natur derjenigen 141 von Person und Natur bei v. Hofmann entspricht. 136 Dies umso mehr. als LUTHARDT (1861) 77 rur das Millennium v. Hofmanns Begrifflichkeil von Person und Natur gebraucht: ..Das kann aber nichls anderes sein. als daß. nachdem die GOllesgemcinschaft des Personlebens hergestellt isl. auch das Nalurleben in dieselbe aufgenommen, d.h. also verklän werde." 137 Zitate 8.a.0. 19: das erste Zilal greif! V. HOFMANN (1857/60) 1.22 auf. 138 LlJTllARDT (1861) 120; der zweite Halbsalz ist ziticr1 aus v. HOFMANN (1857160) 1.27. 139 Diese Unterscheidung von Vorleichen und Ende selbst ist im hislori.schen KonteJL:1 gerade die arguffiCnlalive Poinle. mil der Luthardt die katholisch-aposlOlische Lehre einer Entrückun8 zum Millennium \'0' der Parusie Chrisli zum Gericht als Melabasis eis allo geoos abweis!. 140 LUTlIARDT (1882) 363.365 rur die eschatologische Mission und die Parusie. 141 Das Ergebnis der einzigen größeren wi.ssenschafllichen Unlersuchung zu Luthardl. daß seine Sozialethik im Anschluß an A. v. Harleß ".zwei Lebenssphären'" (RIESKE-BRAUN 119931 143 mil LuthanilziIBI). nämlich den religiös-sittlichen Bereich und die natürlich'geschichtlichen
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H1. Die chiliastische Eschatologie der HeilsgeschichIlichen 1lleologie
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d) Rechtfertigung und Heiligung. Die zwischen 1857 und 1861 in drei Aunagen erschienenen zehn Vorträge über die letzten Dinge von HERMANN KARSTEN verstehen sich ausdrücklich als Aufnahme, aber auch Weiterführung von v, Hofmanns heilsgeschichtlichem Konzept. Laut Karsten ist Eschatologie Lehre vom Ende, und zwar vom Ende der Gnadenfrist, die GOIt zwischen der Sünde und dem ihr eigentlich zukommenden Gericht einge· schoben hat. Eschatologie handelt somit vom Gericht und lenkt zugleich die Geschichte zurück auf die gerade Bahn ohne die Störung durch Sünde und Gericht. Dieses für Karsten kennzeichnende Konzept einer Gnadenfrist markiert den theologischen Sachverhalt der Heiisgeschichte,I42 Im Einklang damit beschreibt Karsten alles Christentum als ausgespannt zwischen ge· 143 genwärtiger ReChtfertigung und zukünftiger Heiligung. Von diesem Spannungsbogen zieht Karsten eine individual- und eine universaleschatologische Linie aus, die sich entsprechen: "Wir haben also das Ende der Einzelnen und das Ende der Welt zu betrachten, doch aber so. daß wir erkennen, wie das Ende der jetzigen Weltzeit auch die Endentscheidung der Einzelnen ist". 144 Dabei oszilliert sich die Heilsgeschichte in individueller Hinsicht zwischen den Polen Geist und Körper, weil sie mit dem Tode endet und dieser als das "gewaltsame Abreißen des Geistes vom Körper" definiert ist. '45 Das Gericht bestätigt dann den Seligen die Verbindung von Geist und Leib, während die Unseligen als sündige Geister ohne Körper zurückbleiben. l46 Derselbe Gedanke strukturiert mit dem paulinischen Bild der in den Öl· baum eingepfropften Zweige (Röm 11.18fL) auch die universelle HeilsgeLebensordnungen. unlerscheide und in "harmonische[rl Teleologie" (a.a.O. 148) auf die ..Durchdringung" (ebd. u.ö.) lelZlerer mil der .,ChriSllichen Gesinnung" (a.a.O. 142: •.LuthardIS ethischer Zentralbegrirr') erslerer ziele, stützt sich genau auf Luthardls Unterscheidung von Person und Nalur: Er wolle damil in Abgrenzung von Luther ausdrücken, daß der Mensch nur als gleichartiger Teil der Natur unfrei sei, in seiner Siulichkeit aber als von Golt angeredete Person frei (a.a.O. 138). so daß die persönliche Freiheil allCh das Leben in den natürlichen Ordnungen durchdringen könllC (z.B. a.a.O. 145). - Wenn Rieske-Brnun in dieser Verhällnisbeslimmung von Person und Natur cillC ..semipelagianisierende" (a.a.O. 136 u.ö.) Tendenz ausmachl, dann m.E. deshalb, weil er ihren eschalologischen BegrUndungszusamlllCnhang nicht einbez.ieht, in dem sie. wie gezeigt. in LUlhardts ..Lehre von den letzten Dingen" steht. 142 KARSTEN (1858) 7 (Kap. I). A.a.O. VII über das Verhällnis zu v. Hofmann. 143 A.a.O. 32 (Kap. 11): "die Rechtfertigung 1... 1 iSI als göttliche Gabe vollkommen [... ]. Dagegen muß die Heiligung täglich in uns zunehmen." 144 A.a.O. 64. Dabei behandeln Kap. U1-V die Individual- und Kap. VI-X die Univemleschatologie. 145 A.a.O. 75 (Kap. 11I); a.a.O. 63f. zum Tod als Abschluß der individuellen Heilsgeschichle. 146 So rur die Unseligen a.a.O. 75 (Kap. 11I) in individual- und a.a.O. 300 (Kap. X) in universaleschalologischer Hinsicht, was dle Bedeutung des BegrilTspaarcs von Geist und Körper rtlr Karslens gan1.e Eschatologie zeigt.
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schichte. Ihr Motor ist die Spannung von christlichem Glauben und jüdi. schem Unglauben an Christus, durch den die Christen allererst Zweige am 147 Baum der Geschichte Israels werden. Dementsprechend lenkt die Parusie als universelles Ende die Geschichte wieder in israelitische Bahnen, d.h. sie mündet in "ein einiges seliges, christliches Israel" ,148 das während lausend Jahren das verklärte ,)erusalem und das heilige Land" beherrscht. Dieses Millennium wird in seiner Verklärtheit als "geistleibliches Dasein" beschrieben, und auch diese Verbindung von Geist und Leib kann Karsten mit 149 dem paulinischen Ölbaumgleichnis illustrieren. In der phasenweisen Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung, individualeschatologisch als Ergänzung des Geistes durch den Körper, universaleschatologisch als organische Eingliederung der Christen in das jüdische Volk, erkennt man unschwer v. Hofmanns Begriffspaar von Person und Natur wieder. Die Vorstellung, daß Heilsgeschichte die Einspeisung der Heiden in Israels Geschichte sei, ist in v. Hofmanns Qualifikation der Heilsgeschichte als israelitischer Geschichte stets präsent. Wie v. Hofmann spricht Karsten von einem goumenschlichen Personleben des wiederkehrenden Christus als dem eigentlichen Ende, in dem beide Seiten vereinigt sind. Freilich lassen sich auch Unterschiede nicht übersehen, so bei Kar· stens stärkerer Betonung der Individualeschatologie. Vor allem aber lenkt Karstens Kerngedanke, daß die Heilsgeschichte Gnadenfrist sei, den Blick genau auf die Zeit der Kirche, die v. Hofmann als heilsgeschichtlichen Stillstand eher auszuklammern scheint. Man kann somit festhalten, daß trotz einiger Verschiebungen v. Hofmanns Axiomatik von Person und Natur bei Karsten in den Termini Rechtfertigung und Heiligung zur Geltung kommt. e) Unendlichkeit und Endlichkeit. 1866 erscheint in Rostock eine Vortragsserie zur Eschatologie aus der Feder des Pfarrers WILHELM FLOERKE. Sein Grundgedanke, dargelegt im ersten Abschnitt. ist. einen Zentralsalz lutherischer Christologie auf die Eschatologie anzuwenden: finitum capax infinili.l~ Die zweiten bis vierten Abschnitte handeln von der stufenweisen 147 A.a.O. 239f. (Kap. IX). 148 Wohl nur hier (9.a.0. 248) wird der Israellitel (auch) auf die Chrislen IIUS den Heiden bezogen. a.a.O. 198.242f. und selbst 3.a.0. 258.....'0 vom •.Israel GOllcs" die Rede iSI. denkl Karsten an das Volk Israel in seiner esch31OIogischen Bekehrung zum Chrislentum. 149 Zitale a.a.O. 258.253. Das Ölbaumgleiehnis wird a.8.0. 240 rur die historische Entsle· hungssituation des Christentums. 3.3.0. 198.202.248 dagegen eschatologisch herangezogen. 150 FLOF.RKF. (1866) 8 (Kap. I): "Wir sehen uns hier an die Frage gestell!: ob das Endliche des Unendlichen flihig sei ooer nicht? und finden auch hier die rechle Anlwon nur bei der lutherischen Kirche. [... 1 das reehte Ja. welches zuent ein Nein iSI. und dann ent zum Ja wird. [... 1 Diese wirkliche Einwohnung Goues 1... 1 ist nun aber auch der Punkl grade. von dem aus der Begriff der letzten Dinge im engem Sinne sieh erbaut:'
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Durchsetzung der in dieser Formel ausgedrückten Einheit von Gott und Mensch: zunächst individuell im einzelnen Menschen, dann in der ge· schichtlichen Weh der Menschheit und schließlich auch im außergeschieht. 151 lichen und außermenschlichen Universum. Floerkes Eschatologie legt somit schon dem Aufriß nach den Akzent auf die AlImählichkeit, mit der das Unendliche in das Endliche Eingang findet. Realisiert ist die Einheit beider nur erst in Christus, und deswegen kann die Eschatologie für F10erke nicht vom verewigten Endlichen aus entfaltet werden, sondern nur vom erlösenden Christus,152 und zwar als die allmähliche Befahigung der Endlichkeit für die Unendlichkeit. Dieser Grundgedanke erinnert an v. Hofmanns Konzept einer durch die Parusie begründeten, allmählichen Befahigung der Natur zur Gemeinschaft mit der Person. Bei Floerke erscheint auf dieser Grundlage als Thema der lndividualeschalOlogie der Zwischenzustand, den er als geistlichen Tod infolge der Erbsünde versteht. Christus als der Gekreuzigte nun befreit von Sünde und muß diese Befreiung den geistlich Toten mitteilen, und deswegen ist seine Ha· desfahrt der Beginn seiner triumphalen Erhöhung. 153 Deswegen auch ist für die Christen der leibliche Tod Durchgang zur Erlösung, die Befahigung des Leibes zur Ewigkeit: ..Nur in diesen Stäublein ist noch der Leib da, (... ] in diesen Stäublein grade muß also der Hades zu Schanden werden, in diesen Stäublein grade der Herr eine unentreißbare Beute haben: dS4 - Die Ge· schichtseschatologie der sog. Vorzeichen des Endes stellt in toto solche Be· fahigung dar, indem sie alle menschliche Geschichte auf das Eschaton als ihren einzigen Zweck ausrichtet. 155 Inhaltlich heißt das: Die aus der Johannesoffenbarung entnommenen Vorzeichen des Endes, also die Logien von einer vorHiufigen Machtstellung, doch letztlichen Vernichtung der Kirche. bedeuten ihre Vollendung. machen ihre geschichtliche Gestalt überhaupt erst fahig der ewigen Herrlichkeit. 156 151 Aa.D.9 mit der Gliederung ..zunächst"· - ..zweitens·· - ..driUens··. der die Folge der Kap. 11. 111. IV entsprichl. 152 A.a.D. 9: •.Also nicht von der Kirche. sondem vom Heml aus enl~teht der Begriff der letzten Dinge:' A.a.Q. 75: ..Nicht die Weh mil ihrer Elllwicklung. sondern der Herr fllhn solehen ISC'. Jüngsten) Tag herbei". 153 Aa.D. 19 kann ..der Eingang in den Hades daher auch nur Sieg und Herrlichkeitsoffenbarung sein". 154 A.a.D. 26 (Kap. 11). 155 Für die Geschichle ist der jüngste Tag •.freilich noch keineswegs ihr niichster und ausschließlicher"' Zweck: erst in der Periode der Vorzeichen werden .,alle ihre Entwicklungspunktc nicht mehr durch ihre eignen. sondern durch die direkten Zwecke des jüngsten Tages bedingt werden" (a.a.D. 32(, 33f. IKllp. 1111). 156 Aa.D. 55(, (Kap. 111).
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Wird allerdings so alle Geschichte gänzlich auf das Eschaton ausgerichl57 Mit tet, dann geht bei seinem Eintreffen auch alle Geschichte in ihm aur. diesem Argument verwirft Floerke das Millennium als eine unmögliche ..noch diesseitige Entwicklung und diesseitige Kirchengeschichte [, .. J, während es anderseits doch zwischen der Wiederkehr und dem Weltgerichte seinen Platz haben soll",m Befahigung des Endlichen für das Ewige heißt ihm vielmehr jenseitige Geschichte, Transfer der Geschichte ins Jen· seits: Die .,drei Gnmdordnungen" Ehe, Staat und Kirche bestehen fort, dienen aber ausschließlich Gottes Gebot für die Wiedergeborenen,I59 Die Toten erstehen vom Säugling bis zum Greis mit einem Leib im besten "Manl60 nesalter"; die Tiere werden, "was heute Märchen ist", sprechen können. Über die Parusie liest man, gewissermaßen im Schlußakkord des Buches: "der am jüngsten Tage Erscheinende, [sic!] ist der von uns Verkündete, der lutherische wirkliche Gott und Mensch in einer Person", 161 Auch die lutherische Konfession wird demnach als solche verherrlicht! Bei genauerern Hinsehen zeigt sich tatsächlich, daß in allen vier Kapiteln der systematische Akzent auf lutherischen Eigenheiten ruht: Gewiß is( schon das finitum capax infinit i eine lutherische Spezialität; ebenso wird die Individualeschatologie mit der siegreichen Hadesfahrt Christi lutherisch gegen deren reformierte Deutung als tiefster Erniedrigung Christi interpre· tiert,'62 Die Vorzeichen des Endes als eigenständige Periode der eschatologischen Zweckausrichtung werden gegen unmittelbar eschatologische Ausdeutung der Geschichte bei Baptisten und "lrvingianem" abgesetzt. 16J Schließlich gilt F10erke im Schlußabschnitt seines Buches der Chiliasmus als reformierte Sittenüberspannung,l64 157 So gebe es mit der Parusie ,.kein chronologisches. sondern nur ein sachliches Nacheinander"' (a.a.O. 72: Hervorhebungen aufgehoben). 158 A.a.O. 66 (Kap. IV) nebst der Feststellung, Chiliasmus sei seinem Wesen nach immer Prämillenniarismus. 159 A.a.O. % (Zitat) sowie a.a.O. 108 zur Überhöhung der beiden ersten Bräuche des Gesetzes durch den usus in renalis. Aoer\:e ergänzt a.a.O. 97, daß die unterschiedliehen Herrlichkeitsgrade innerhalb der allen gleiehen Seligkeit durch die Verschiedenheit der ...höhern ßeamtung" in der Ewigkeit ausgedrückt würden. 160 Zitate 3.a.0. 83.93 (heide Kap. IV). 161 A.a.O. 110 (Kap. IV). 162 Vgl. die Abgrenzungen a.&.O. 8 bzw. &.a.O. 19. 163 A.a.O. 33. Bei den endgeschichtliehen Vorzeichen treibt F10erkes Einzelauslegung zudem besonders konfessionalistische Blüten. Demnach sind die Judäer unter den 144.000 Versiegelten aus Offb 7.4 die lutherische Kirche (a.a.O. 44). Das irenische Laodieea aus Offb 3.14ff. steht für die Kirche der altpreußischen Union (a.3.0. 57). Der Antichrist schließlich wird vorn Katholizismus verkörpert (a.8.0. 6O.63f.). 164 A.a.O. 75.
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Floerkes systematische Schwierigkeit wird aus dem Vergleich mit v. Hofmann ersichtlich. Der Ansatz einer Befahigung des Endlichen zum Unendlichen ähnelt zwar v. Hofmanns Konzept von Natur und Person, doch legt Floerke die Naturseite mehr und mehr auf das gegebene Luthertum fest, so daß jede echte Erwartung von etwas Neuem für sie ausfällt. Floerke halbiert so das heilsgeschichtliche Konzept gewissermaßen. Gerade darum aber muß diese eigenartige Zwiuergestalt von Eschatologie im Zusammenhang der Heilsgeschichtlichen TheOlogie verstanden werden - nämlich als konfessionell restaurative Polemik dagegen. f) Seele und Leib. Im Jahre 1886 veröffentlicht der Präsident des mecklenburgischen Oberkirchenrates, THEODOR KLiEFOTH, als sein Alterswerk eine "Christliche Eschatologie". Kliefoth begreift Eschatologie grundsätzlich antiprogressiv. Jede Entwicklung zum vollendeten Heil stößt in der Sünde auf eine unübersteigbare Schranke. und deswegen kann Eschatologie keine Entwicklung, sondern nur Gottes sprunghaftes Eingreifen lehren, das die Schranke aufhebt 165 und so die Eschatologie in zwei Hälften teilt, nämlich die Vorbereitung des Endes und das Ende selbst. Die "Markscheide" zwischen beiden ist die Parusie Christi als "Mittelpunkt der die Vollendung schaffenden Gottesthaten".I66 Daß solch "unnatürliche Sprünge"167 notwendig sind, bemerkt Kliefoth schon zu Beginn seiner materialen Durchführung bei der Lehre vom Tode. Da die Seele nach dem Tode, der sie vom Leibe trennt, keiner Tätigkeit oder Veränderung fahig ist,l68 wäre ihr Zwischenzusland nach dem Tode identisch mit dem eschatologischen Gericht über sie,l69 wenn nicht Gott den berufenen Seelen die im Tode noch anhaftende Sünde abnehmen oder die unberufenen Seelen nachträglich zum Glauben benlfen könnte. no Diese eschatologischen Wunder vollziehen sich zufolge Kliefoth mit Christi Parusie als dem Zentralwunder. Dadurch erklärt sich, daß Kliefoths 165 KLlEFQTH (1886) 4.5 (§ I): •.AlIe diese die Vollendung verhindernden Dinge 1... 1 hebl keine Enlwickelung auf:' - •.Demnach werden wir neue Goltesthalen erwarten müssen". 166 Zitate a.a.O. 226.26: überhaupt a.a.O. 26f. (§ 4) und das Inhallsverzcichnis zur Zweiteilung der Eschatologie nach Vorbereitungen des Endes (U 5-18: Zwischenzustaod IU 6-121 und Vorl.eichen des Endes IU 13-18]) und Ende selbst (U 19-26: als Parusie IU 20-241 und Ewigkeill§§ 25-261). 167 A.a.O. 86. 168 Dies ist Klicfolhs Ergebnis zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele (§ 6). 169 Dagegen a.a.O. 74: ..Es wird zwischen dem über jeden Menschen bei seinem Ableben ergehenden Gerichl und dem Endgericht der Parusie ein Unterschied stall finden mUssen:' Diese Unlerscheidung ist Them.1 des § 7. 170 A.a.O. 86 zur sprunghaften EnlsUndigung und a.8.0. 111f. zur Nachberufung. Der Unttrschied von berufenem und unberufenem Zwischcnzustand iSI Thema der §§ 10 bzw. 11.
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gesamte Eschatologie um die Parusie Christi zum Gericht strukturiert ist in streng korrespondierender Zweiteilung von Partikular- und Universalgericht: Jenes gehört zur Vorbereitung des Endes und ergeht im Tode; 171 dieses gehört zum Ende selbst und ergeht bei der Parusie. Jenes betrifft die Rechtfertigung und richtet nach dem Glauben; dieses betrifft die Heiligung und richtet nach den Werken. Jenes wird logisch ermöglicht durch den Zwischenzustand. der bloß das Urteil über die Berufenen zu konservieren bzw. rur die Unberufenen nachzuholen hat: dieses wird logisch ermöglicht durch die Auferstehung Aller. Jenes vollzieht sich an der Seele; dieses vollzieht sich am Leibe. Jenes mißt die unteilbare Seligkeit bzw. Unseligkeit zu; dieses teih als Binnendifferenzierung davon Grade der Herrlichkeit bzw. Verdammnis aus. 172 Bei Kliefoth scheint solch strenge Symmetrie ein völlig anderes Konstmktionsprinzip als der heilsgeschichtliche Entwurf einer allmählichen Vollendung der Natur VOnluszusetzen. Doch die Symmetrie ist keineswegs so slreng. 113 Das ergibt sich schon aus Kliefoths Grundgedanken: Wenn Eschatologie aufgrund der Sünde keine Entwicklung lehrt. sondern gerade die Aufhebung der Schranke solcher Entwicklung. dann ermöglicht sie, indem Gottes Wunder deren Schranke aufhebt, zugleich Entwicklung; eine Entwicklung, die freilich in eben dem Augenblick, wo sie möglich wird, auch schon wirklich ist. weil durch Gottes Wunder ihre Schranke ja aufgehoben iSI. Kliefoths Eschatologie lehrt also, pointiert gesprochen. zwar entschieden wegen Gottes Eingreifens keine Entwicklung zum Heil. wohl aber wegen desselben Gaues Eingreifens eine Entwicklung des Heils. Der Entwicklungsgedanke wird damit nicht schlechthin aufgegeben, sondern auf eine höhere Ebene gehoben. Auf ihr kehren die Spezifika der Heilsgeschichtlichen Theologie wieder. Die Ewigkeit fügt die leibliche Seite des Menschen mit der seelischen zusammen, sie erstattet zur Seligkeit die Herrlichkeit: Mit alldem denkt Kliefoth die Ewigkeit als Einheit von Person und Natur, analog zum Chiliasmus der Heilsgeschichtlichen Theologie, denn wie dieser sieht er die Ewigkeit als Erfüllung der an Israel ergangenen 174 Verheißungen und spricht Israel einen Ehrenprimal zu, weil es die völki111 A.a.O. 75. KliefOlh nennl das Gerichl im Tode hier auch ein ••Vorgerichf'. 172 A.a.O. 287. 173 Auf Asymmelrien macht auch HJElDE (1987) 192 aufmen:sam: Der erste Teil ist nach dem Schema von IndiYidual· und UniYersalesc:hatologie lInlerglieden. der zweite nach dem von Heil lind Unheil. 174 KUEfOTtI (1886) 190.344f. mit Verweis auf § 16 (WKlerlegung des Chiliasmus). wo es La.O. 162 hieB: ..diese Weissagung muB ih~ Erlüllung finden. so ",,"Cit sie sie nicht schon gefunden bat. und zwar n'alilcr und yoll".
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sehe, ja raumzeitliche Struktur der Ewigkeit, eben der neuen Erde, vorgegeben habe. Kliefoths Eschatologie muß somit im Zusammenhang mit dem Konzept v. Hofmanns gesehen werden. Daß er diesen wohl mit der Kritik an "der jetzt beliebten lsraelolatrie" im Auge hat 115 und auf annähemd fünfzig Seilen den Chiliasmus in Bausch und Bogen verwirft, gibt Kliefoths Enlwurf kaum eigene Konsistenz, denn sein entscheidendes Argument gegen den Chiliasmus: daß er ein ,,Zwitterding" sei, welches den ,.Grundfehler'· begehe, "zweimalige Parusie" und "doppehe Auferstehung" anzunehmen,176 überzeugt wenig in einem Konzept, das ganz auf Doppelungen und Zweiteilungen gebaut ist. Während nämlich bei v. Hofmann die Pointe der Axiomatik von Person und Natur inhaltlich auf ihrer Verklärung zur Einheit im Christus der Parusie liegt, wendet Kliefoth die entsprechenden Begrifflichkeiten mechanisch als Formprinzip an. Während die Heilsgeschichtliche Theologie Unseligkeil gerade nicht als bloß negativ gespiegelte Form der Einheit von Person und Natur, sondern als deren Verfehlung denkt, ist sie für Kliefoth das exakte Spiegelbild zur Seligkeil. 177 Die eigentliche Absicht der heilsgeschichtlichen Eschatologie, daß sie auf die Herrlichkeit Christi und die Neuschöpfung der Welt zieh, kann Kliefoth daher nicht ausdrücken. Seine Eschatologie wirkt trotz ihres anschaulichen Materialreichtums wie ein vom Inhalt abgelöstes fonnales Konstrukt, das ohne den abgrenzenden Bezug auf die Heilsgeschichtliche Theologie kaum verständlich wäre. Auch Kliefoths Eschatologie ist daher, wie diejenige Aoerkes, im Zusammenhang der Heilsgeschichllichen Theologie zu sehen. 118 Das hier zusammengetragene Material erlaubt ein Fazit: v. Hofmann strukturiert die Eschatologie im Ausgang von der Parusie mit Hilfe der Axiomatik von Person und Natur als allmähliche, stufenweise Vollendung des Weltverhällnisses (Natur) zu seiner Einheit mit dem Gottesverhältnis (Person). Diese Axiomatik findet sich in mehr oder weniger abgewandelter Form auch bei Beck, Auberlen, Luthardl, Karsten, Floerke und Kliefoth. Zudem bestehen zwischen den genannten Theologen auch kirchengeschichtliehe Beziehungen, die mehr sind als untergründige Strömungen, deren Aufspüren den wissenschaftlichen Wert von Wünschelrulengängen 175 Zilat a.a.O. 346, dort auch. mit Yielen Bedenken. zum eyentuellen Vorzug ISflleiS. 176 Zitate 3.3.0. 190.189.189.189. 177 Y. Uofmanns und Karslens Poinle im Umgang mit dem Problem der ewigen Verdammnis ist dagegen. dnß die Unseligen als Geister ohne Körper (s. S. 94 Anm. 62 bzw. S. 111 Anm. 146) weder seJbslleiden noch jemandem Leid anlun können. 178 WEBER (1955/62) 11,738 Anm. 3 7.ähh Kliefoth zur Heilsgeschichtlichen Theologie.
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hätte. Vielmehr ergibt sich durch sie auf der theologiegeschichl1ichen Landkarte so etwas wie eine Topographie heilsgeschichtlicher Eschatologie mit dem fränkischen Stamm der Erlanger v. Hofmann und Luthardt sowie einem alemannischen (Beck, Auberlen) und einem mecklenburgischen Zweig (Karsten, F1oerke, Kliefoth),179 die sich jedenfalls tendenziell in der Handhabung der gemeinsamen Axiomatik von Person und Natur unterscheiden. Hatte v. Hofmann daraus das Theorem einer heilsgeschichtlich fortschrittslosen Gegenwart abgeleitet, so akzentuierten Beck und Auberlen diese als Zeit der Kirche. was die Bedeutung des Chiliasmus als spezieller Hoffnungsgestalt für die Kirche erhöhte. Solche Argumentation (etwa auch bei Luthardt) ruft aber die antichiliastischen Mecklenburger Floerke und Kliefoth mit einer amtskirchlich geprägten Restaurationseschatologie auf den Plan. Der Chiliasmus markiert so die inhärenten Probleme der eschatologischen Axiomatik von Person und Natur. denn das Millennium ist eine Durchdringung der Dimensionen von Person und Natur, die daher zwischen alttestamentlichen Konturen und der christlichen Bekehrung Israels schwankt. Dies zeigt schon. daß die chiliastische Eschatologie der HeilsgeschichtJichen TheOlogie bedeutsam ist für die Frage, wie evangelische Theologie das Judentum wahrnimmt.
1.2. Implikationen für die Wahrnehmung des Judentums I. Alllestamentliches lind endzeitliches Judentum. Schon ein flÜChtiger Blick auf die Autoren der Heilsgeschichtlichen Theologie zeigt. daß das Judentum in ihrem eschatologischen Denken eine wichtige Rolle spielt. Zum einen wird die erwartete Verheißung mit begrifflichem und anschaulichem Material aus dem Alten Testament beschrieben, zum anderen hat der Chiliasmus als eine jüdische Eschatologietradition maßgebliches Gewicht, denn die Hoffnungsgestalt der Kirche wird in der Heilsgeschichtlichen Theologie durch das Millennium verkörpert. Beides zeigt sehr deutlich Luthardt, der den Chiliasmus geradezu definiert als das Auftragen geistigen Kirchenturns auf ein israelitisches Trägennaterial. Doch auch bei den übrigen Autoren ist deutlich, wie sie sich speziell für das Alte Testament und den Chiliasmus interessieren. Dabei wird für das Eschaton gewissennaßen angenommen, der christliche Glaube werde mit seiner aluestamentlichjüdischen Gestalt zusammenwachsen, so daß eschatologisch zur Deckung kommt, was geschichtlich getrennt war. Die neutestamentliche Weissagung 179 Späler lrill noch ein baltischer Zweig hinzu (5. Kap. V.2.2. hier S. 253-255).
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ist keine andere als die alttestamentliche Zukunftserwartung, Israel ist die Zukunft der Kirche. Deswegen steht zum einen mit den Verheißungen des Alten Testaments die eschatologische Verheißung immer gleich mit zur Debatte, deswegen wird zum anderen mit dem Chiliasmus notwendig auch die Frage einer christlichen Bekehrung Israels zum Thema. Letzteres zeigt sich daran, daß Chiliasmus nicht ohne Bekehrung Israels und diese nicht gegen jenen vertreten werden kann; man vergleiche etwa Kliefoth mit den übrigen Genannten. Ersteres war besonders gut bei Auberlen zu beobachten, der ursprünglich gegen v. Hofmann für die rein eschatologische Deutung alttestamentlicher Verheißung eintrat, ihm letztlich aber doch in einer Korrespondenz von zeitgeschichtlicher und eschatologischer Interpretation beipflichten mußte. Beides zeigt sich deutlich auch bei v. Hofmann. Wenn er in seinem Jugendwerk in neuartiger Weise mit einer offenen neutestamentlichen Weissagung schließt, ist diese sachlich alttestamentliche Erwartung, da sie ja dem mit dem Neuen Testament gegebenen wahrhaftigen Gottesverhältnis (Person) das rechte Wehverhähnis hinzufügt, also die Ver· klärung der Natur, die eben schon Gegenstand alttestamentlicher Erwartung war. l80 Für v. Hofmann ergibt sich eine protologisch-eschatologische Klammer um die Geschichte also schon aus seiner axiomatischen Begrifflichkeit von Person und Natur. Die Ansicht, daß Anfang und Ende sich entsprechen, ist in christlichem Geschichtsdenken freilich nichts Außergewöhnliches, charakteristisch für die Heilsgeschichtliche Theologie ist aber, daß Anfang und Ende beide auf Israel und das Judentum konzentriert sind. So sind durchweg schon aufgrund der Axiomatik von Person und Natur das Judentum der alttestamentlichen Zeit und das Israel des Eschaton die beiden Brennpunkte heilsgeschichllichen Interesses am Judentum. Man muß nun aber sogleich die Beobachtung anschließen: Mit ebensolcher Ubereinslimmung wird ein Judentum anderer Epochen aus der Betrachtung ausgeblendet. Das ergibt sich aus der heilsgeschichtlichem Denken zugrundeliegenden Axiomatik ebenso klar wie andererseits die Fokussierung auf früh- und endzeitliches Judentum. Demnach ist ja das Alte Testament die Zeit natürlicher Erwartung, das Neue Testament die Zeit persönlicher Erftillung und das Eschaton die Zeit auch natürlicher Erfüllung. Die Zeit zwischen Christi historischem Auftreten und seinem zukünftig er· homen Kommen ist dann, heilsgeschichtlich betrachtet, ohne escha180 So auch BECKMANN (2002) 293. womit dessen BehauplUng. bei v. Hofmann weise das Alte Testament nur auf den .,Anfang des Endes". ,,nichi wie das NT auf das Ende selbsr· (a.a.O. 285), in Spannung steh!. Angemessener scheinl mir. das Problem nicht bei der Zukunfl.scrwanung des Alten Testamenls, sondern bei v. Hofmanns Ausdruck .,Anfang des Endes" zu suchen.
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tologischen Wen, und tatsächlich war zu beobachten, daß v. Hofmann diesen Schluß ausdrücklich zieht. 181 Also gibt es in der gesamten Geschichte. die vom heilsgeschichtlichen Standpunkt aus ja eine allmähliche Vollen· dung der Natur ist, eine genau abgrenzbare Zeit zwischen Christi erstem und zweitem Kommen, die zu dieser Verklärung nichts beiträgt. Das ist umso überraschender, als derselbe v. Hofmann ausdrücklich festhält, die ganze Geschichte sei israelitische Geschichte,l82 ja in ihrem israelitischen Gepräge bestehe ihr heilsgeschichtlicher Charakter. Noch deutlicher wird das Problem bei Karsten: Aus der Entsprechung zwischen jüdischer Frühzeit und israelförmjger Eschatologie ergibt sich bei ihm, daß die fragliche Zeit zwischen Christi historischem Auftreten und seiner Parusie nur ein heidengeschichtlicher Einschub in die Israelgeschichte ist, aus der jene entspringt und in die sie dereinst wieder mündet. 183 Nicht anders verhält es sich bei Beck und Auberlen. Sie sind trotz ihrer Übereinstimmung mit v. Hofmanns Axiomatik zwar gerade an der fraglichen Zwischenzeit interessien, aber eben als einer Zeit der Kirche. Gewiß ist es in der christlichen Eschatologie zumal dieser Epoche nicht so ungewöhnlich, daß eine fremde, die jüdische Tradition nicht ins Blickfeld gerät, so daß man hieraus allein nicht wohl schon einen Einwand gegen deran'ige Eschatologie entnehmen kann. I84 Gleichzeitig wird aber ja in der Heilsgeschichtlichen Theologie die gesamte Geschichte in ihrer christlichheilsgeschichtlichen Prägung als israelitische behauptet, und dies ist nun ein ernsthafter Widerspruch, der in der heilsgeschichtlichen Konzeption selbst angelegt ist. Denn einerseits werden klar jüdische von nichtjüdischen Epochen getrennt, andererseits wird für die Geschichte Stetigkeit reklamiert. Einerseits fühn die Axiomatik von Person und Natur zu einer klaren Stufung der Geschichte. andererseits beschreibt sie eine allmähliche Verklä· rung der Natur zu ihrer Einheit mit der Person. m Die Axiomatik von Person und Natur ist also in sich "nk/ar; denll Swjimg und Stetigkeit des Gesclliclltsmecllanismlls von Person und Nalllr schließen einander alls. Diese BegrifOichkeit. die wir bislang nur rekonstruien und in ihren Funktionen 181 S. S. 94 Anm. 59. 182 v. HOFMANN (1857/60) 1.26f. 183 KARSTEN (1858) 239f. (s. S. 112 Anm. 147). 184 Besonders BECKMANN (2002) 325.328.336 kritisien die evangelische Theologie des 19. Jh. immer wieder daHir. daß sie in der Eschalologie dem •.nachchristlichen Judentum" keine produktive. d.h. krilische Funktion am ..kirchlichen Slalus quo" einräumt. Freilich kann solcher Wunsch nach Kritik auch vom christlichen Unbehagen an Kirche beslimnll sein. wie umgckehn Produktivitäl sich nicht in Kritik erschöpft. 185 Ein ähnliches Problem konstatien auch BEHR (1995) 106.
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analysiert haben, muß darum nun nochmals einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. 2. Der historische Jesus lind der Christlls der Parusie. Diese kritische Betrachtung führt ZU folgender Problembeschreibwlg: Der Terminus "Person" bezeichnet bei v. Hofmann das Gouesverhältnis, das ein Mensch, aber auch Gott selbst 186 haI. Das Weltverhältnis nennt er im Unterschied dazu ,.Natur". Demnach zielt die heilsgeschichtliche Axiomatik, indem sie auf die Parusie orientiert ist, auf die Einheit von Goues- und Weltverhältnis. Diese ist so, wie sie sich geschichtlich vorfindet, gestört, denn zum einen iSI die Heilsgeschichtliche Theologie darin dem aufklärerischen Denken und der allgemeinen Hinwendung zur Geschichte verpflichtet, daß für sie ein unmiuelbares Gottesverhältnis nicht erschwinglich ist. Zum anderen kann das Weltverhältnis aufgrund der Sünde auch nicht Träger eines vermiuelten Gottesverhähnisses sein. Problematisch ist also, wie die Natur Träger der Person sein kann; und diese heilsgeschichtliche Fragestellung kehrt die frühere Denkrichtung um, in der die Person Träger der Natur war. Die Heilsgeschichtliche Theologie handelt also davon, unter welchen Umständen das Weltverhältnis dem Menschen ein Gottesverhältnis vermitteln kann. wie also die sündige Korruption der Menschenwelt behoben werden kann. Der Mensch, der GOIt in der Welt nicht finden kann, weil er die Welt und sich mit ihr immer wieder zu GOll machl, erfahrt eine Veränderung, die ihn zur Gemeinschaft mit Gott befähigt; das ist gemeint, wenn die Heilsgeschichtliche Theologie von einer Verwandlung der Natur spricht. Wenn sie dabei aber Christi Kreuzestod im Gegenzug zur sündigen Korruption der Natur als eine. allgemein gesprochen, Veränderung der Natur auffaßt. so daß diese der Gemeinschaft mit GOll nicht mehr entgegensiehtwas. so lautet die entscheidende Frage, was fehlt dann noch zur Einheit von Welt- und Gottesverhältnis? Ist die Einheit von Person und Natur dann nic/ll mit Christi historischem Au/treten gegeben lind die Erwarwng einer Pamsie schlicht über/lüssig?181 Dieses Problem bedarf einer Klärung, da sonst die von den beiden Daten des hislorischen und des zukünftigen 186
v. BOFMANN (I 857/fIJ) 1.36 erwähnt eine immanent-trinitarische Gleichpersöntichkeil des
Gcisles mit Jesus. 187 Bereits bei S. 92 Anm. 54 wurde darauf hingcwiesen. daß v. Hofmann die Versöhnung zwar als Gutmachung der sündigen Natur begreift. gleichwohl aber das Christentum vorbehaltlich des die Ntllur vcrklärenden Eschaton auf die Perso/l gründet: ebenso 1..8. Luthardt, der es auf dem Geist ruhen sicht (s. S. 109 Anm. 131). KUEFOTIIS Gliederung der Eschatologie verrul ein ähnliches Problem, weil cr von seinem eschatologischen Ansatz bei GOlles wunden3tigem Eingreifen 'Ion der Parusie Christi ausgehl. daneben aber auch die Vorzeichen durch ihre Wunderhaftigkeit begründen will (DOS. [18861 139f.).
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Kommens Christi eingegrenzte Zeit der Kirche unversehens in den Mittelpunkt der Eschatologie rückt und die Hoffnung sich dann nur noch auf den Fortbestand der Kirche richtet. Für dieses Problem zwischen erstem und zweitem Kommen Christi sind zwei LösLlflgsvorsc:hJäge denkbar, die jedoch beide wieder bestimmte Schwierigkeiten der Heilsgeschichtlichen Theologie aufdecken. Das Verhältnis zwischen Christi historischem Auftreten und seiner erhofften Parusie läßt sich zum einen als dasjenige von Ermöglichung und Verwirklichung des Eschaton beschreiben, dabei aber verliert die Geschichte ihr durchgehend israelitisches Gepräge, von dem ja die Heilsgeschichtliche Theologie ausgegangen war. Zum anderen kann man den historischen Jesus dem Parusiechristus zuordnen wie Individual- zu Universaleschatologie, dies aber widerspricht dem heilsgeschichtlichen Grundgedanken, daß das Individuum Christus die Menschheit Gottes sei, m.a.W. hier wird das Problem spürbar, daß in der Begrifflichkeit von Person und Natur (als Gottesund Weltverhältnis) das Verhältnis von Individualität und Menschheitlichkeit ungeklärt ist. - Beide Fälle seien kurz erläutert: Für die erste Lösung ermöglicht der historische Jesus den Menschen, Gott in der Welt zu finden, also ein naturvermitteIles Gonesverhältnis zu erlangen, was der Parusiechristus dann verwirkliche. Da v. Hofmann aber durch den Ansatz bei der Wiedergeburt auch schon eine geschichtliche Verwirklichung annimmt, wäre diese Lösung nur im Sinne einer allmählichen und prozessualen Verwirklichung denkbar. Gerade so löst sie freilich das Problem von Stufung und Stetigkeit der Geschichte: Sie wird dann mit der grundsätzlichen Befähigung der Natur zur Gottesgemeinschaft durch Christi Tod auf die höhere Stufe einer christlichen Geschichte geführt, die sich dann wie eine Rolltreppe - gestuft, aber stetig - der immer höheren Vervollkommnung zu bewegt. 188 - Tatsächlich ist diese Anschauung in der Heilsgeschichtlichen Theologie nachzuweisen. Die Höherentwicklung der christlichen Geschichte ist im Millennium verkörpert. Die Verbindung dieser Entwicklung mit ihrer vorigen Stufe kommt zum Ausdruck, wenn Christus in seinem historischen Auftreten als Ende und darin zugleich Wende der Geschichte verstanden wird. Mit ihm beginnt dann eine neue, eine höhere Geschichte. Die frühere Geschichte verblaßI demgegenüber allerdings zur Vorgeschichte. Auf Judentum und Christentum bezogen heißt das, die christliche Geschichte ist keine israelitisch geprägte mehr wie ihre alttesta188 Ein komplementäres Problem der zeitgleichen katholischen Eschalologie der Ti.ibinger Schule kritisien MOUER-GoLDKUHl.,.E (1966) 123 als ..Terrassen-Eschatologie"; Stufung ohne innere Stetigkeit.
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mentliche Vorstufe. Genau dies hatte die Heilsgeschichtliche Theologie aber ursprünglich für alle Geschichte reklamiert. Die andere Lösung sieht im historischen Christus die Einheit von Person und Natur nur ftir ihn selbst wirklich. in der zukünftigen Parusie dagegen gewinne sie für alle Menschen Gültigkeit. Tatsächlich versteht v. Hofmann Jesu Tod und Auferstehung als Einigung von Person und Natur. l89 Der Zusammenhang zwischen beiden Daten besteht dann darin. daß im historischen Christus bereits vorwegereignet ist. was in der Parusie geschieht. Diese typologische Verknüpfung der beiden Parusien Christi ist besonders charakteristisch ftir Beck, der sie ftir mehrere Eschatologumena einzeln durchführt. l90 Sie findet sich aber tatsächlich bei praktisch allen hier besprochenen Autoren für das Eschatologumenon Gericht dargestellt. Es wird dann angenommen, daß Christus mit seiner Ankündigung der Zerstörung Jerusalems das Gericht vorwegnimmt und daß deswegen der Untergang des zweiten Tempels im Jahre 70 innerhalb einer dreiphasigen Parusie der (geistige) Beginn von Christi zukünftig erhoffter Parusie sei. 191 Die Schwierigkeit ist aber. daß die ganze Hypothese einer individuellen Vorwegereignung der Eschata in Christus der charakteristischen Pointe von v. Hofmanns Christologie widerspricht. denn Christus kommt dort nie als Individuum in den Blick, sondern als der Mensch Gottes, der in diesem Kollektivsingular die Menschheit Gottes ist. Ja, v. Hofmanns Lehre von der Person Christi gipfeh ja darin, daß Christus als der Erlöser derjenige ist. dessen WeItverhältnis ganz vom Gottesverhältnis durchdrungen ist und darum keine Individualität kennt. 192 Daß Christus auch Individuum werde, fehlt ihm gerade noch. dies ist auch ftir Christus die noch ausstehende Verklärung der Natur, und deswegen muß v. Hofmann annehmen, daß die Parusie nicht nur um der Menschen. sondern auch um Christi willen erhofft wird. Dieses Problem liegt bereits in der axiomatischen Begrifnichkeit von Person und Natur. Personalität bezeichnet hier Gottesverhältnis und Naturalität Weltverhältnis; aber in diesen Kategorien iSI Christus, der (wie v. Hofmann sagt) Mensch GOlles, tenninologisch nicht zu unterscheiden vom Menschen schlechthin. Es fehlt hier an einem Begriff des Menschen 189 S. S. 85 Anm. 25. 190 s. S. 105 AnOl. IIOf. 191 Vgl. V. HOfMAN (1841/44) 11.281: K~ (1858) 156: DECK (1886187) 11.682. Den· selben Gedanken fa& noch GÄCKLE (1999) 115. AuBcmalb der Hc:ilsgeschichtlkhc:n TheologJc: USSL"(j (1858) 59: GERLAOl (1869) 102. Anders dagegen LEm (1948) 134. obwohl er La.O. 63 eine drtlfachc Parusie annimmt. 192 v. HOFMANN (1841/44) 1••H f. sprichl Ouistus vorbchalllich seiner PlmlSJc dJc Individualiwab.
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im Verhältnis zu seinen Mitmenschen, so daß er nicht nur als Exemplar der Menschheit erscheint. Doch die Konsequenz, das begriffliche Instrumentarium von Person und Natur überhaupt zur Debane zu stellen, wurde von keinem der hier behandellen Autoren gezogen. Dies zu tun, hätte geheißen.
den schematischen Charakter dieser Begrifflichkeit in Betracht zu ziehen. Genau dies ist die Aufgabe des folgenden Abschnills.
2. Erhebung von Wahrnehmungsschemata Die Analyse der Heilsgeschichtlichen Theologie ergab, daß deren Charakter erst im problemgeschichtlichen Kontext Kontur gewinnt: Die zentrale Begrifflichkeit von Person und Natur wird entwickelt als Antwon auf die Kritik. die Schleiennaeher am substanzontologischen (lx>ethianischen) Konzept von Person und Nalur in der allprotestanlischen Orthodoxie geübt halte, und sie kehrt dieses Verständnis um; alls der Perso" als ontologischem
Träger der Natllr wird die Na",r als eschalOlogischer Träger der Person. Man muß die Heilsgeschichtliche Theologie also in ihrem Bezug sowohl zu Schleiennacher als auch dahindurch zur derjenigen Iheologischen Tradilion sehen. mit der Schleiennacher sich auseinandersetzt. Damit ist ein theoriegeschichtlicher Bezugsrahmen abgesteckt, der die Voraussetzung für eine 193 Erhebung von Schemata der Wahrnehmung des Judentums darstellt.
2.1. Natur und Person? Wie der Abschluß der Analyse schon andeutele, nimml gerade die Begrifflichkeit, welche den eschatologischen Grundgedanken der HeilsgeschichlEchen Theologie prägt und also auch ihr Interesse am Alten Testament und Judenlum erklärt. den Menschen nicht als Individuum, sondern nur als Exl94 emplar der Menschheil in den Blick. Geschichtliche Differenzierungen von Geslallen des Menschscins entfallen damil tendenziell dem Auge des Betrachters. Dies kann sich auch so niederschlagen. daß die Art und Weise. wie Israel als Volk sich aus den übrigen Völkern der Anlike ausdifferenziert. nicht thematisch wird. Israel wird dann unmiuelbar als menschheitliche Größe beanspruch I, und die ihr zugeschriebene Zukunflserwanung wird 193 S. Kap. 1.2. hier S. 24. 194 In di~su UinsK:ht iSI dK öfters gdube Krilik am Idcalismu der Heilsgeschichllichen Theologie mAig.
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mit dem gleichgesetzt, was für alle Menschheit, also als Abschluß der Naturvollendung erwartet wird. 19S Die auf die Personalität gerichtete Zukunftserwanung wird dann dem Judentum abgesprochen und bleibt dem Chrislentum vorbehalten. So bildet sich das Gegenüber von gegenständlicher, sichtbarer Zukunftserwanung im Judenlum und geistiger, innerlicher Hoffnung im Christentum aus, das z.B. in v. Hofmanns Jugendwerk eine für den Aufbau der Argumentation wichüge Rolle spielt 196 Zu einem Wahrnehmungsschema, dessen Belege sich in hinreichender Dichte nachweisen lassen, wird das Begriffspaar von Person und Natur freilich erst dadurch, daß es im Gefolge der Heilsgeschichtlichen Theologie eine charakteristische Rezeption findet: Von ihrem eschatologischen Grundansatz in der Heilsgeschichtlichen Theologie her ist die Einheit von Person und Natur nur auf die Parusie Christi zu beziehen. Durch die impliziten Schwierigkeiten, deren Verhältnis zum historischen Auftreten Christi zu bestimmen, bürgen sich aber etwa eine Generation nach der Blüte der Heilsgeschichtlichen Theologie die Ansicht ein, die Parusie sei nach christlichem Verständnis zweigeteill in Jesu Erdenleben und seine Wiederkunft. Was also bei v. Hofmann noch ein klärungsbedürfliges Problem ist, weil von ihm eine inkonzinne Wahrnehmung des JudenlUms ausgeht. wird nun als Lehre von den "zwei Adventen Christi" in Siellung gebracht gegen die jüdische Erwartung nur einer Parusie, in der das persönliche Erscheinen des Messias und die Umwandlung der Weil zusammentreffen müßten. Das Judentum, so die Folgerung, besäße nichl die Spannkrafl, das erhoffte Eschaton auf die Welt zu beziehen, ohne diese sogleich in es hinein aufzulösen. Dieses Schema wird zunächst bei LA. Domer wirksam. durchzieht aber verschiedenste theologische RiChtungen bis weit ins 20. Jh. hinein. 191 Man bemerke, daß diese Wahrnehmung des Judentums als weltnüchtig oder zukunftssüchtig zwar im Anschluß an die Heilsgeschichtliche TheOlogie entsleht, 195 Daß eine vorschnelle Beanspruchung des Judentums als menschheillicher Größe dieses zu "einem imaginären Typus" machl. zeigt BRENNER (1993) 190 (Zitat) on Antisemitismen im kaiserzeilliehen Philosemilismus. Hier liegt auch das Problem von PFlSTERER (1959) 266ff.. dcr den ..Bund" als Oberbegriff ftir Christen und Juden gebrJuehl. daneben aber die endzeilliche Chrislianisierung der Juden aufgrund von Röm I1 ,25ff. erwanet. 196 S. aueh S. 86 Anm. 26 z.ur Zuteilung von Person und Natur an Neues bzw. Alles Teslamenl. 197 Die Belege sind brcilgeslreul: neben dem VermillJungslheologen DoRNER (1879/80) 11.920 (§ 151.3) (dazu auch HJELDE '19871 201) der Rilschlschüler KAFTAN (1920) 664 (§ 71) und der modem-konservative !'lEIM (1937) 1n.237. Zuvor schon der liberal-kritische KERN (1840) 4. Ebenso der theologisch konserv:uive Missionar DAH1.E. (1900) 2.29. Andeutllngsweise auch v. HOFMANN (1857/60) 1112.663 selbst: AUBERLEN (1854) 78. JüngSI noch der evangelikal geprägle: GÄCKLE (1999) 93 (hier auch das Zilat von den ..zwei Advenlcn ChriSli·').
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deren eigenen Blickrichtungen auf das Judentum aber eher entgegensteht, denn was dieser als Begrenztheit jüdischer Zukunftserwartung erschien, war nicht ihre Weltflucht, sondern gerade ihr Festhalten an der verkehrten Welt. 198 Wie viele Schemata erweist sich also auch dieses als umkehrbar. Doch in beiden Zuordnungen bleibt das zugrundeliegende Problem dassei· be, nämlich die Frage nach dem Verständnis der menschheillichen Bedeu· tung Jesu Christi, wie das Begriffspaar sie durch die Definition der Parusie als Einheit von Person und Natur aussagt, oder allgemeiner: die Frage nach dem theologischen Verständnis von Menschheit. 2.2. Wahrsagung und Weissagung? Bündelt sich die Frage nach der Menschheit theologisch im Gedanken der Parusie als der Verheißung menschheitlicher Bedeutung Jesu, so ist das Konzept der Verheißung zugleich der Punkt, an dem die Auseinandersetzung der Heilsgeschichtlichen Theologie am klarsten im Durchgang durch Schleiennaehers Kritik das Gespräch mit der traditionellen Eschatologie anknüpft. Hier ist v. Hofmanns Konzept einer offenen neutestamentlichen Weissagung als Antwort an Schleiennaehers Auffassung von Christus als Ende der Weissagung einschlägig. l99 Welches Problem ist mit diesem Diskurs berührt? I. Extensiver Begriff der Weissagung. Gegenstand der Eschatologie ist nach allgemeiner Auffassung Goues Zukunftsverheißung. Strittig ist freilich, auf welche Art diese der theologischen Reflexion zugänglich ist. Denn da zukünftiges Geschehen nicht Gegenstand der Erfahrung sein kann, trifft eine Verheißung von zukünftigem Geschehen eine Aussage über einen un· abgeschlossenen Gegenstandsbereich und ist darum in ihrem Wahrheilsanspruch unausweisbar. Für eine Eschatologie, wie Schleiermacher sie kri· tisch vor Augen haI, wäre kennzeichnend, daß sie dieses Problem supranaturalistisch mit dem Offenbarungsanspruch der Bibel zu lösen beabsichtigt. Offenbarung wird hier verstanden als empirische Erkenntnis überempiri. scher Gegenstände vennöge des überempirischen Charakters dieser Gegenstände selbst, und der spezifisch eschatologische Modus von Offenbarung ist die biblische Verheißung. Eschatologie ist dann besonders Auslegung der biblischen Verheißung oder die Theorie dazu. Dies sei an einem Beispiel aus dem Untersuchungszeitraum erläutert: 198 S. bei S. 20 Anm. 24. 199 S. bei S. 82 Anm. 14.
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Die Eschatologie besteht bei dem Thumauer Pfarrer JOHANN ALBRECHT LUDWIG HEBARTOO aus einer vollständigen Darbietung des Textmaterials biblischer Verheißung und einer vorgeschalleten Theorie der Verheißung in Gestall von Kunstregeln zu ihrer Auslegung (§§ 1-7). Heban unterscheidet hier zwischen direkten, indirekten und perspektivischen Weissagungen. lOl Direkte Weissagungen zielen auf ein konkretes Einzelereignis, das sie erftillt; indirekte Weissagungen können von mehreren Ereignissen nacheinander in jeweils unterschiedlichem Sinne erfuHt werden; perspektivische Weissagungen sind eine An der direkt'en, denn sie zielen auf eine einzige Erfüllung, die sich aber in mehrere Ereignisse auseinanderfaltet - so, wie sich zwischen zwei Punkten, die von der Perspektive eines Berggipfels aus nahe zusammenliegen, talsächlich ein längerer Weg crstreckt. 202 Die Systematik von Hebans Eschatologiekonzept scheint nun darin zu liegen, daß er die sog. Vorzeichen des Endes (§§ 8-27: endzeilliche Trübsal. Antichrist. Bekehrung und nationale Restitution Israels) als indirekte, die Eschata selbst (§§ 28-41: Parusie, Millennium, Auferstehung, Gericht, Neuschöpfung) dagegen als direkte (und dann wieder teils als perspektivische) Weissagungen versteht 20J Trotz oder vielmehr gerade wegen dieser Differenzierung wird Weissagung hier doch grundsätzlich in der linearen Ausdehnung 200 He~ lebte von 1816 bis 1865 und v.;rkle also nach $chkiermacher. Wenn er hier den· noch Hir eine rrühere Geslall evangelischer Eschatologie stehl. dann deshalb, weil seine Henne· neulik der Weissagung eiMn zu allen Zeilen glek:hbkibenden Zugriff aur die Bibel rddamiert, Werden biblische Texte darüberflinaus noch unmillelbar mll Ereignissen der jeweiligen Gegenwart verbunden, kann man von Biblirismus sprechen. So v.a. E.W. Hengstenbergs Applikatton der biblischen Eschalologie auf das Problem \'on Monarchie und KonSlitultonalismus im 19. Jh. (vgl. BECKMAN 120(2) 249-260), aber auch die exklusive Beanspruchung der eschalologischen Ver· heißungen für die Zchmission bei deren Gründer J. VETTER (191 S) 71: Tem:strische Begleiler. scheinungen der PllrUSje werden Bodenschälze zu Tage fördem, die der Ze\lmission im Millenni· um zur Deckung ihrer jetzt so drilckenden Koslen dienen. Der Biblizist Veller bestehl daher gegen (I) die biblische Schilderung aur einer pyramidalen (:: zehanigen!) Form des himmlischen Jerusa· lern (a.a.O. 77). 20 t I1E8AIIT (18S0) 8f. ALTBAUS (1924(25) 621 fUhrt die ,..Gesctze[ ... J der prophetischen Perspektive'" aur Aubcrlen zurück, dessen escMlologische Hermeneutik 18S4 erscheint. 202 B10B in umgekehrter Reihenfolge trifft dieselbe Unterscheidung ISO Jahre später auch salMID (1999) 12: .Zunächst ist zu sehen. daß sich Verheißungen in mehreren Schrillen erfullen kOnnen. ( ... 1 Die andere Möglichkeit besteht darin. daß sich eiM Verheißung mehnnals erfullt. I ... ) Bei vielen Verheißungen ist außerdem zu beobachlen, daß eine Ietzle Konkretion rehlI. So wurde Isnel durch Mose eine Stelle venprochen. an der Gol:I seinen Namen wohnen lassen wird 1... ).1 ... ) Erst mit der Erfüllung wurde klar, daß sich die Verheißung mil dem Tempetbau in Jeru· sakm erfüllle:' 203 § 10 bei HEBAJl:T (18SO) S9 argumentien eigens für ..den indi,duff Charakter"' der Weis. SIIungen \'011 Vorzeichen. da noch keiM abschlie6ende Eriüllung eingetreten sei. Unter den Weissqungen des Endes selbst ragt die der Parusie als perspektivische her1lWi (u.O. 9), die sich in d'e Konsequenzen der Parusie entfallei.
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des Zeitstrahls mit einem geschichllichen Ereignis der Erfüllung korrclien. Dieser traditionelle Wesenszug erlaubt. von einer extensiven Weissagung zu sprechen. Für sie ist kennzeichnend, daß die Weissagung geschichtlich Kontingentes betrifft, daß Eschatologie Zufalliges weissagt. Die Auslegungskunsl der Weissagungen dient also nicht in erster Linie der Identifikation geschichtlicher Ereignisse als geweissagt. auch nicht der Konstruktion von Erf.. ..illungsgeschichIC aufgrund der Weissagung, sondern die Kontingenz von Weissagung und Erfüllung soll gerade den besonderen. der berechnenden Konstruktion eben entzogenen Charakter, die offenbarungsmäßige Würde der in der Bibel verheißenen Zukunft unterstreichen. Gleichwohl bleiben Verheißung und Erfüllung als kontingente Daten hier im Bereich der Geschichte. 2. Intensiver Begriff der Weissagung. Genau gegen diesen kontingenten Charakter der Weissagung richtet sich nun Schleiennaehers Kritik. Ihm zufolge ist die Weissagung im eigentlichen Sinne vielmehr Erkenntnis des Notwendigen. Deswegen handeh Eschatologie bei ihm nicht von einer extensiven Ereignisgeschichte. sondern von einem intentionalen Bezugspunkt der Geschichte. Deswegen ist bei ihm nicht die Bibel die Quelle es· chatologischer Erkenntnis, sondern das gläubige Bewußtsein. Um diese Binnenwendung des Weissagungskonzepts zugleich mit seinem intentionalen Charakter auszudrücken. kann man von einer intensiven Weissagung sprechen. In diesem Sinne hat etwa die Venniulungstheologie eines c.1. Nitzsch die Weissagung als hypothetischen Orientierungspunkt der Eschatologie verstanden. 3. Vermiuelnde Verslöndnisse von Weissagung. Die Antithese der Weis· sagung als Zufall oder Notwendigkeit, Extension oder Intension, Bibel oder Bewußtsein hat in der Eschatologiegeschichte neben und nach Schleiennacher aber auch mehrfach kritische Aufnahme gefunden mit dem Ziel. die Trennschärfe der Alternative aufzuheben. So hat etwa A. Tholuck, der Vater der halleschen Erweckungstheologie. einerseits Schleiennaehers Gegenüberstellung von zumBiger und notwendiger Verheißung noch zum begriff. lichen Gegenüber von jüdischer Wahrsagung und christlicher Weissagung verschärft. will aber andererseits zugleich den Offenbarungsrang der Prophetie festhalten, den er am Charisma der Propheten festmacht. 204 Auch R. Steinmetz verbindet das intensive mit dem extensiven Konzept. indem er bei der Bestimmung der Weissagung vom Sicheren zum Unsicheren vor· 204 THol...uCK (1861) § 11 zu Wahnagungcn. § 12 zu Wcissagungen bz...... § 6 zur Gcislbcga. bung dct' Pn:V'Clcn. A.a.O. 152f. wendet cr steh mit all dem gegen v. uormann und dessen Wahrnehmung des Judentums.
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dringen will und so die Zukunft aus der Gegenwart als deren Überbietung erschließen. 2os Eschatologie redet demnach via eminentiae von der Zukunft, und dies berührt sich mit Hebarts Interesse, durch extensive Weissagung die Unverfügbarkeit der Zukunft herauszustellen. Am grundsätzlichsten wird die Alternative von extensiver und intensiver Weissagung jedoch durch die Heilsgeschichtliche Theologie in Frage gesteilt. v. Hofmann weist gleich eingangs seines Jugendwerkes sowohl Nitzschs intensive Weissagung ab als auch das seinerzeit aktuelle extensive Verständnis Hengstenbergs. Statt dessen rechnet v. Hofmann mit einer mehrmaligen Einzelerfüllung, die jedoch immer vom eschatologischen Gesamtsinn der Weissagung zu unterscheiden sei.206 Indem z.B. Hebart hier nicht unterscheidet, sondern sowohl direkte als auch indirekte Weissagung auf eine "chronologische Darstellung" (z.B. in Offb) der Zukunftsereignisse zielen sieht. liest er Stellen wie Offb 11,1 als Weissagung: Die Juden würden in der Endzeit den Tempel wiederaufbauen, der dann vom Antichrist zum Teil wieder zerstört werde.2°7 Hier zeigt sich die Schwierigkeit des Schemas von Wahrsagung und Weissagung (direkter und indirekter Weissagung): Das Verheißungskonzept wird damit bloß unterteilt und auf einen linearen Zeitstrahl aufgeteilt. Zu fragen wäre demgegenüber nach einem Verständnis von Verheißung, das auf derartige Aufteilungen nicht angewiesen ist. Gerade das heilsgeschichlliche Konzept v. Hofmanns steht im Ansatz solchen Aufteilungen entgegen. Mit seinem Eintreten für die zeitgeschichtliche Auslegung biblischer Weissagungen wirkt v. Hofmann als "Geschichtsrealist" im Unterschied zu ,Jenseitsrealisten;', welche die Heilsgeschichte als eine bis ins EschalOn ständig mitlaufende Parallel weil zur Geschichte begreifen.208 Demgegenüber nimmt v. Hofmann an, daß die Geschichte selbst auf die Ewigkeit zuläuft. Der Begriff bedeutet also nicht, daß v. Hofmann die eschatologische Wirklichkeit auf die Geschichte beschränkte; vielmehr ist dies gerade die Schwierigkeit Hebarts. Um sie zu 205 SlEINMI:.!Z (1888) 60 nennt zum Vergleich das Beispiel eines Generals. der in der Eroberung nur vom sicheren Temtin aus operien. In der DurchHihrung (a.lI.O. 62-75) erinnert Sleinmclz freilich an die Auslegungsregel qal wachomer des R. Hille!. dcn Schluß a mioori ad maius. 206 v. HOFMANN (1841/44) 1.8 sowie a.a.O. 1.3.6 gegen Hengslenberg bzw. Nilzsch. 207 Zitat HE8ART (1850) 68: vgl. a.a.O. 69 zur angeblichen Voraussclzung eines dritten Tem· pels in Offb 11,1. Dies spiegelt ein mittelallerliches Schema eschalologischer Wahrnehmung des Judentums: Die Juden halten den Anlichrisl Hir den Messias und bauen ihm darum den Tempel auf (vgl. die Abbildungen bei Antichrist [ 14801119791). 208 Die Tcnnini bei WEm (1931) 115, wo Beck und Auberlen als JenseilsrealiSlen finnieren, was m.E. nur flir Auberlen und auch hier nur mil Einschränkungen zUlriffl (s. Kap. 111.1.1. hier S. 103--108).
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venneiden, unterscheidet v. Hofmann Geschichte und Ewigkeit sorgfaltig, indem er z.B. das Konzept der Weissagung auf jedes der beiden Phänomene bezieht. Die eschatologische Weissagung steht somit gewissermaßen der Geschichte als ganzer gegenüber. In welchem Sinne dies geschieht, war eine Frage der Debatte um das Weissagungskonzept in späteren Generationen 209 - und ist überhaupt eine der Schlüsselfragen evangelischer Eschato· logie in ihrem Verhältnis zum Judentum, denn das Gegenüber von Geschichte und Eschatologie ist die wohl umfassendste Begrifflichkeit für das mit dem Konzept der Verheißung gegebene Problem.
3. Prob1emgeschichllicher Ertrag Aufgrund der Analysen im ersten Abschnitt dieses Kapitels erschien uns als Ausgangspunkt der heilsgeschichtlichen Eschatologie die Verheißung der Einheit von Person und Natur in Christi Parusie. Die Erhebung von Schemata der Wahrnehmung des Judentums zeigte sodann, daß die Heilsgeschichtliche Theologie damit Schleiennachers Kritik an der orthodoxen Eschatologie aufnimmt, aber die Wahrheitsmomente letzterer festhalten will. Man kann somit die Eschatologie der Heilsgeschichtlichen Theologie problemgeschichtlich als den Versuch beschreiben, Schleiennachers eschatologisches Dilemma durch den Ansatz bei der Parusie zu überwinden. Diese theologiegeschichtliche Situierung wird bestätigt durch die Schwierigkeiten, auf die ein solches Parusieverständnis stößt, denn es muß in dem Konzept einer Einheit von Person und Natur das Gottes- mit dem WeItverhältnis des Menschen vereinen und die Stetigkeit der Geschichte mit ihrer Stufung. Ersteres führt aber ja auf die Frage nach der Individualität im Verhältnis zur Universalität und zweiteres ist das Problem von Entwicklung und Vergeltung, so daß die heiden Punkte, welche die Parusie im Eschatologiekonzept der Heilsgeschichtlichen Theologie vereinen soll, sich mit den Polen von Schleiennachers eschatologischem Dilemma in seinen zwei Gestalten decken. Die Heilsgeschichtliche Theologie führt so unmittelbar die Auseinandersetzung mit Schleiennacher. I. Das Problem VOll Individualität und Menschheitlichkeit. Der vorliegende Abschnitt hat nun die Aufgabe, den so rekonstruierten Problemkomplex auf die im ersten Teil dieser Untersuchung geschilderten jüdischen Anfragen zu beziehen, um mögliche Fragestellungen einer evangelischen 209 S. Kap. V.3. hier S. 256f.
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Eschatologie im Blick auf das Judentum zu erheben. Dabei ergeben sich für beide der geschilderten Schwierigkeiten Berührungspunkte: So ist die Aufgabe, den Menschen nicht nur als Exemplar der Menschheit. sondern auch als einzelnen Menschen neben anderen, also als Individuum zu denken, genau der Differenzpunkt, an dem H. Cohen die jüdische Religion der Vernunft vom Idealismus unterscheidet. Cohen kleidet dieses Spezifikum in den Begriff der Mehrheit jenseits von Einheit und Allheit und begründet so sein Konzept menschheitlicher Religion. 2lo Wie schon der vorige Abschnitt nahelegte, ergibt sich also im Anschluß an die Heilsgeschichtliche Theologie für eine Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum die wichtige Aufgabe, die menschheitliche Dimension von Eschatologie zu begründen. 2. Das Problem des Geschichtsverständnisses. Wiederum ansetzend bei der Paradoxie von Entwicklung und Vergeltung, läßt sich die Schwierigkeit der Heilsgeschichllichen Theologie in der Begrifflichkeil M. Buhers als Problem einer Zäsur in der Geschichte beschreiben, denn als eine solche Zäsur erschien in der Heilsgeschichtlichen Theologie das historische Auftreten Jesu, das ein nachbiblisches Judentum aus der Betrachtung ausklammert. Dabei geht, wie gesehen, Bubers Anfrage über das Problem der Epocheneinteilung von Geschichte hinaus und rührt an die Frage der theologischen Valenz von Geschichte überhaupt, denn in Bubers Kontroverse mit KL. Schmidt war ja strittig, ob für ein theologisches Datum außertheologische Gültigkeit beansprucht werden kann,2l1 so daß die Theologie in der Profangeschichte einen nachträglichen Beweis fande, der diese dann wieder theologisch imprägniert. Genau diese Frage nach der theologischen Eindeutigkeit von Geschichte bzw. dem geschichtlichen Geltungsanspruch der Theologie wird ja aber durch den Begriff der Heilsgeschichte ausgedrückt, in dem Heil und Geschichte miteinander verbunden werden. 2t2 Der eschatologische Topos, an dem sich dieses Problem beinahe klassisch manifestiert, ist daher nicht ohne Grund der so oft als janusköpfig wahrgenommene Chiliasmus, auf den sich gerade die Heilsgeschichtliche Theologie konzentriert. Deswegen konnte ihre Eschatologie in der Überschrift des vorliegenden Kapitels als chiliastisch charakterisiert werden. Das eschatologische Thema, das sich aus Bubers Anfrage ergibt, ist also die Klärung des Begriffs der Heilsgeschichte. Der Begriff wird. wie ange210 S. Kap. 1.3. hier S. 32-34. 211 S. Kap. 1.3. hier S. 37-40. v.n. bei Anm. 109. 212 So Slellt KOCII (1995) 1341 gleich zu Beginn seiner Ausruhrungen fest. daß ..H[eilsgc· schichlCI Trans:r.enclen1. ulnd) Jmm:lllcn:r. verbinder-.
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deutet, erstmals von v. Hofmann gebraucht, um gegen das noch recht junge geschichtliche Denken des Rationalismus die Verbindung von Geschichte und Heil auszusagen, die für die Orthodoxie vor dem Rationalismus noch so einerlei war, daß sie gar keinen Begriff dafür hatte. Als weiteres Merkmal von Heilsgeschichte kommt zu dieser grundsätzlichen geschichtlichen Dimension des Heils das ebenfalls kennzeichnend geschichtliche Moment des Nacheinander hinzu, also die zeitliche Erstreckung 2lJ eines Spannungs~ bogens von Heilsgeschichte, wie es die Analyse der einschlägigen Eschatologiekonzepte bestätigte. Aufgrund dieser Voraussetzungen könnte Heilsgeschichte als eine bestimmte. theologisch qualifizierte Abfolge geschichtlicher Ereignisse verstanden werden. und tatsächlich ist ein derartiger Begriffsgebrauch vielfaltig nachweisbar. Heilsgeschichte wird etwa verstanden als die alttestamentliche Vorbereitung der Christusgeschichte oder als diese selbst, d.h. als der Zeitrdum des Lebens Jesu. 214 Oie entsprechenden Geschichtsdaten werden dann mit einem kennzeichnenden Tenninus als "Heilstatsachen" identifiziert. 21S Freilich muß diese Identifikation bestimmter Geschichtszeiträume als Heilsgeschichte sich implizit gegen nicht ebenso heilsmäßig qualifizierte geschichtliche Räume abgrenzen, also zumindest partiell die Trennung von Geschichte und Heil wieder einführen, die die Heilsgeschichtliche Theologie am Rationalismus bekämpfen wollte. 216 Deswegen ist das Konzept der Heilsgeschichte oft als widersprüchlich kritisiert worden; es lebe von Voraussetzungen, deren Konsequenzen es ablehne, und falle so zuletzt in den Rationalismus zurück. 217 Das Problem der Heilsgeschichte als Aussonderung bestimmter Geschichtsereignisse ließe sich lösen, wenn man das fragliche Konzept auf die Geschichte allgemein ausdehnte: Heilsgeschichte ist dann keine Ansammlung theologisch hervorgehobener Geschichtsereignisse, sondern eine theo213 Erstreckung gehön nach OTT (1959) 187: WEISER (1995) 1336 konstitutiv zur Ikilsgeschichte hinzu. 214 P. Ahhaus hat im Laufe seiner Entwicklung beide Positionen vertreten. s. S. 236 Anm. 195 bzw. S. 237 Anm. 198. Die erste Position hält STANGE (1930) 22n-226 fest. jedoch im Sinne seines Gesamtkonzepts (s. bkurs 7 [S. 199f.I). 215 Auf das eigenc Problemfeld der ~Icilstatsachen weist in diesem Konlext mil Rechl Lolll-"'F (1974) 1033 hin. 216 Dieses Problem ruft M ILDENBERGER (2000) 1586 ins Bewußtsein. 217 Z.B. STf-CK (1959) 53: .. Und doch war. wie man weiB. hier ein Gast an dcn Tisch der TIleologie gebeten worden. der mehr als ein Danaergeschenk mitbrachle. Auch änderte er sehr rasch sein Auftreltn. nachdem er einmal Zutrin bekommen hallt. Es war das historische Denken. der Historismus. der im Gewand der heilsgeschichtlichen BeIrachtung auch dort seinen Einzug hielt. wo man ihm bis dahin widerstanden halle:-
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logische Perspektive auf die ganze Geschichte. Heilsgeschichte ist dann wesensmäßig nicht mehr Faktenerhebung, sondern Faktendeutung. 218 Die Schwierigkeit hierbei ist freilich. daß heilsgeschichtliche Theologie dann Aussagen über einen unabgeschlossenen Gegenstandsbereich. nämlich auch über die zukünftige Geschichte treffen muß. Gerade in Hinsicht auf die Eschatologie droht Heilsgeschichte dann entweder zum bloßen Abspulen eines vorab festliegenden ..Heilsplanes'; oder aber zur nachträglichen SankIionierung des faktischen Geschichtsverlaufs zu werden. Auch das Verständnis der Heilsgeschichte als Faktendeutung steht nämlich noch im Bannkreis des empiristischen Begriffs der Faktizität,219 wenn es sich als theologische Vereindeutigung der Geschichte versteht. Bubers Einwand gegen Schmidt richtete sich ja gerade dagegen, auf diese Weise theologisch mehr zu sagen, als sich geschichtlich verantwonen läßt. 3. Das Problem der Parusieverheißung. Vor diesem Hintergrund hieße Heilsgeschichte eine solche theologische Würdigung der Geschichte, die deren Uneindeutigkeit nicht vorschnell auflöst. Gerade dies scheinl die Ab~ sicht eines eschatologischen Begriffs von Heilsgeschichte zu sein, der, wie in den Konzeptionen des vorliegenden Kapitels. bei der Parusieverheißung anselzt. Möglicherweise nämlich hat v. Hofmann die Uneindeutigkeiten der Geschichte mit Bedacht auf die christologische Begrifflichkeit von Person und Natur gebraCht, um auszudrücken, daß die Vereindeutigung dieser Zweideutigkeiten oder Überwindung dieser Gegensätze nach theologischer Einsicht tatsächlich Sache der Zukunftshoffnung auf Christus ist. Andere begriffliche Mittel hätten einem Autor des 19. 1'11. durchaus näherliegen können, so das Gegenüber von Geist und Natur. das Luthardt wählt, und besonders das von Geschichte und Natur. Beide Begriffe geben den großen geistesgeschichtlichen Zwiespalt wieder, der das 19. 1h. mehr und mehr durchzieht und schließlich im Neukantianismus zur wissenschaftsge~ schichtlichen Aufteilung der dem Menschen erkennbaren Wirklichkeit in zwei Bereiche führt. 22o Wenn v. Hofmann dagegen christologische Tennini wählt. bringt er die Erwartung einer eschatologischen Überwindung dieser 218 Fakten ulld ihre Deutung zu vemlCngcn. ist bei HESSE (1971) 6Of. dcr Vorwurf gegen die Heilsgeschichte, 219 SCHMnT (1982) 34 hält F. Hesses Trennung von Faklcn und DeulUng m.E. zu Recht für unzureichend: sein eigener Vorschlag. Hcilsge.schichle als theologische Qualifikalion historisch erfaßbarer DeUlczusammcnhänge zu begreifen (a.8.0. 45). verschiebt allerdings das Problem womöglich nur in die Wissenssoziologie. 220 Einschlägig ist 7..8. W. Windclbands Unterscheidung idiogrnphischer von nomothetischen Wissenschaflen sowie die AbsclZung der Geschichts- von der Naturwissenschaft bei dem Le· bensphilosophen W. Dilthey.
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Zweiter Teil
tiefsten Gegensätze seiner Zeit zum Ausdruck und hält zugleich fest, daß diese Überwindung, eben weil sie Gegenstand der religiösen Zukunftserwartung ist, von Menschen nicht geleistet werden kann, sondern von Gott erhofft wird. In diesem Sinne hat in neuerer Zeit K. Rahner den Gedanken der Heilsgeschichte rezipiert. 221 Er interpretiert sie als ..Freiheitsgeschichte", in der Menschen mit Gott in freier menschlicher Entscheidung für die unvorgängliehe freie Gnade Gottes zusammenwirken unter keiner weiteren Voraussetzung als der, daß ein ewiges Leben als Realität erwartet wird;222 m.a.W.
Heilsgeschichte bezeichnet die nur eschatologisch aussagbare, jedoch geschichtlich wirkliche Beteiligung von Gott und Mensch am Heilsgeschehen. Gerade diesen Zusammenhang von göttlichem und menschlichem Tun haben jüdische Autoren gegenüber christlichen Verhältnisbestimmungen von Heil und Geschichte immer wieder angemahnt. Im ersten Teil unserer Untersuchung waren Baecks und Cohens religionsphilosophische Entwürfe wichtige Beispiele dafür. Daß dies auch ein zentrales Anliegen der Heilsgeschichtlichen Theologie ist, zeigte die Charakterisierung ihrer Eschatologie 22J Es scheint gegenüber der lutherischen Orthodoxie und der Theosophie. also, daß die Heilsgeschichtliche Theologie hier mit ihrem Ansatz bei der Parusieerwartung ein wichtiges Thema evangelischer Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum berührt. Für die evangelische Eschatologie ergibt sich daraus vorrangig die Aufgabe. ihr Verständnis der Parusie neu zum Thema zu machen, denn hierin bündeln sich die vorgenannten Themen, fußt doch die Parusieerwartung auf der Verheißung einer menschheitlichen Bedeutung Jesu, also den heiden Themen, die auch die Analyse der Wahrnehmungsschemata als einschlägig für eine christliche Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum auswies. Es scheint daher plausibel, die Heilsgeschichtliche Theologie aufgrund ihrer besonderen Einschätzung der Parusieerwartung als einen schulmäßigen Gesprächszusammenhang zu verstehen,224 von dem sich etwas lernen läßt für eine evangelische Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum, auch wenn der konzeptionelle Ansatz bei der Begrifflichkeit von Person und Natur seine Grenzen hat. So soll im folgenden Kapitel der es221 Evangelischerscits wären W. Pannenberg. P. Brunner und V.3. O. Cullmann zu nennen: s. S. 246 Anm. 243. 222 Zu dieser Voraussetzung vgl. RAIlNER (1982) 11: das Zital DERS. (1962) 116. wo Heilsgeschichte noch sachlich koextensiv mit Weltgeschichte gedacht ist. aber als deren ChriSLliche Bewußtmachung (a.a.O. 129). 223 S. Exkurs 3. hier S. 102. 224 S. die HinrtJhrung zu diesem Kapitel (S. 79).
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01. Die chiliaSlische Eschatologie der Heilsgeschichtlichen Theologie
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chatologische Enlwurf eines Autors betrachtet werden, der bei der Heilsgeschichtlichen Theologie in die Schule ging. seinen Lehrern aber nicht bloß mit dauerndem Schülerdasein vergelten wollte: Martin Kähler.
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IV. Martin Kählers messianischsoterologische Eschatologie
MARTlN KÄHLER steht quer zu den schulmäßigen Rubrizierungen der Theologiegeschichte. In der Zeit zwischen Schleiermacher und Ritschi, die nach verbreitetem Urteil in Sachen Eschatologie Fehlanzeige zu verzeichnen hat, sieht Kähler eine "Überwucherung der Theologie durch eschatologische Studien".1 Dagegen komml A. Schweitzer in seiner historischen Unlennauerung des eschatologischen Aufbruchs in der biblischen Exegese ohne jeden Bezug auf den doch als Bibeltheologen bekanßlen Kähler aus. 2 Dabei sieht der Hallenser Neutestamentler es zunächst als seine Aufgabe an, die biblisch gesättigte Eschatologie der Heilsgeschichtlichen Theologie "ins Norddeutsche zu übersetzen".3 Freilich verfaßt er dann als Systematiker die einschlägigen Artikel in dem großen Vorläufer der Theologischen Realenzyklopädie, der Protestantischen Realenzyklopädie für Theologie und Kirche, sowie einen programmatischen Vortrag zum Thema. 4 Seine Bedeutung für die Eschatologiedebane wird daher meist in den Prinzipienfragen gesuchl. 5 In prinzipiellem Sinne greift auch die an R. Buhmann anknüpfende Kerygmatheologie in den 1950er Jahren auf Kähler zurück. 6 Wenn das vorliegende Kapitel dieser Arbeit eigens Kählers eschatologischem Denken gewidmel ist, dann soll Kähler weder prinzipaliter der Kerygmatheologie vorausgeschickt noch materialiter der Heilsgeschichtlichen Theologie subsumiert werden.? Aber auch Kählers Eigenständigkeit, die wie nirgend sonst am theologischen Rededuktus seiner "Wissenschaft der christlichen Lehre" abzulesen ist, erschwert die Hinführung zu Kählers Eschatologie. Dennoch ist es gerade Kählers Sprache, in der sich sein Beitrag zur Eschatologiegeschichtc konzeßlriert. 1 KÄllLER (1896) 495. 2 SCllWErr/..ER (1906) bzw. DERS. (1913) rezipicn Kähler nicht. 3 KÄJlLER (1926) 182. 4 DERS. (1879): OERS. (1898): OERS. (1896). 5 HOLMSTRÖM (1936) 168 und wieder HJE1..OE (1987) 206. V.R. \\regen KÄHLER (1896) und OERS. (1898). 6 S. zu dieser auf KÄIILER (1892) fußenden Rezepl:ion Exkurs 6 (S. I89ff.). 7 Der Versuch einer Verbindung beider Tendenzen kennzeichnei die bisher einschlägigsie Untersuchung von OE SOOR (1990). die darin jedoch - v.a. a.a.O. 93 - von ihrem Anlipoden HJEWE (1987) abhängt.
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IV. Martin Kählcrs messiunisch-SOlerologischc EschalOlogie
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I. Analyse Die nachstehende Analyse folgt chronologisch Kählers Äußerungen zur Eschatologie - nicht im Sinne einer Entwicklungsgeschichte, sondern um problemgeschichtlich8 den systematischen Grundgedanken zu profilieren. 1.1. Das Konzepl einer soterologischen Eschatologie I. Ewigkeit als Grund und Grenze von For/schrill. Wenn Schleiennachers
Aufweis eines eschatologischen Dilemmas in zwei Gestalten als der entscheidende Impuls für die Fragerichtung neuzeitlicher prolestantischer Eschatologie gehen kann, dann ertastct M. Kähler mit seinem 1866 in Duisburg gehaltenen und im folgenden Jahr gedruckten Vortrag über ,.Der Menschheil Fortschriu und des Menschen Ewigkeil" genau den Puls der Eschalologie, denn damit werden beide GestaJlen des Dilemmas abgedeckt. Menschheit und Mensch stehen sich als universeller und individueller Gegenslandsbereich gegenüber. während Fortschriu und Ewigkeit die im Sinne Schleiennachers widersprechenden Pole des Eschaton als Entwicklung oder Vergeltung repräsentieren. was Kähler mit den Bildern von strömendem Fluß und sich gleich bleibendem Meer verdeutIicht 9 Den Einstieg in Kählers Eschatologie soll hier dieser frühe Text bilden: als Dokument nicht einer FTÜhphase seines Denkens, 10 sondern der Auseinandersetzung sowohl mit der Problemtradition als auch mit der zeitgenössischen Fragestellung. Es ist zum einen eine Auseinandersetzung mit der Problemtradition: Wenn Schleiermacher die Widersprüchlichkeit der Eschatologie konstatiert, sistiert er zugleich ihre Lehrbarkeit. Entgegen solcher Fesl.stellung im dop· pelten Wortsinne geht es Kähler um eine Überwindung des Dilemmas. Er übernimmt es in seinem Vortrag aber nichl einfach aus Schleiermachers Problernanzeige, sondern entwickelt es im Gcspräch mil der Position seiner Hörer und also zum anderen in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Fragestellung, d.h. dem Fortschrinsgedanken. Kähler spriCht in Duis· burg vor einem "gebildeten Publikum" evangelischer Bürgerlicher, die den 8 Zum Versländnis einer probkmgcschichtlichcn Darstdlung s. bei S. 20 Anm. 26. 9 Vgl. hmu den ersren Abschnin des VonDgs: KAHLEJt 118671 (1913) 166-170: v.a. u.o. 170 zur Gcgc.nüberstellung der widerspnk:hlkhcn Pole als ausdrikkJkhcr Absicht; u_O. l66r. zu .,Fluß" und ..M~r". 10 Vgl. d)c Inlerpl'e13liQfl des VonDgs bei OE 800R (1990) 6>-68.
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Zweiter Teil
industriellen Aufschwung der Stadt freudig als Fortschritt begrüßt, ja wohl zu seinen Nutznießern gezählt haben. Schon der vom Bildungsgut deutscher Klassik durchsetzte Stil des Vortrags zeigt, daß "des Volkes Hefe" nicht zum Publikum gehört. 11 Dennoch bedeutet vor diesem Hintergrund die Ge· genüberstellung von Fortschritt und Ewigkeit weder eine für Kähler "undiskutierte Voraussetzung des Entwicklungsgedankens" ,12 der die optimistische Stimmung der heraufziehenden Gründerzeit prägte, noch ein Eintreten für die soziale Frage, wie sie zu jener Zeit den deutschen Protestantismus umtrieb. 13 Vielmehr kommt Kähler dem Fortschrittsgedanken zunächst entgegen, um ihm dann freilich für maßgebliche Gebiete menschlichen Lebens die Geltung abzusprechen. Die Themen, an denen er die Entgegensetzung von Fortschritt und Ewigkeit durchführt, sind dabei die gleichfalls dem Wertekanon seiner Zuhörerschaft entnommenen Ideale von Freiheit und Gleichheit der Menschen, wie sie in einer großbürgerlich aufgeklärten Rezeption der Französischen Revolution gang und gäbe waren. Man mag dieses Vorgehen Kählers apologetisch finden; es ist jedoch zum Verständnis seiner Argumentation unverzichtbar. Diese Argumentation soll nun nachgezeichnet werden: Kähler will nicht einfach durch die Ewigkeitsvorstellung das Fortschrittsdenken ablösen, sondern ihm ein entscheidendes "Gebiet unseres Lebens" streitig machen: die Sittlichkeit. Seine These lautet: "Wagen wir den Ausspruch, so ketzerisch er klingen mag, daß es in dem sittlichen leben des Geschlechtes überhaupt keinen Fortschritt gibt" Zur Begründung dessen, daß überindividueller sittlicher Fortschritt - etwa ein sittliches Zeitalter - unmöglich ist, macht Kähler geltend, daß Sittlichkeit. verstanden als Tugendübung, immer Sache des akuten persönlichen Wollens des Guten ist, 14 wozu jeder Einzelne im Gewissen die Anlage hat. 11 Zitat KÄIllER [18671 (1913) 183. A.a.O. 172 läßt das •.gebildete Publikum" (vgl. den Titel der Reihe. in welcher der Erstdruck dieses Vonrags erschien) Kontur gewinnen: •.sie wohnen inminen der rauchenden Essen der Eisenhämmer und Kohlenzcchen. [siel und sahen selbst unrern eine Stadt entstehen [sc. das 1862 durch Zusammenlegung mehrerer Gemeinden entstandene Oberhausen, das freilich erst acht Jahre naeh dem Vonrag Stadtrechte erhielt], das Kind der ne· senmäßig wachsenden Industrie. Ihre Söhne arbeiten jenseit des Oceans in Geschäften. welche im vollsten Sinne kosmopolitisch sind; auf Ihren Schreibtischen kreuzen sich Correspondcnzen aus allen Weltteilen, deren Beförderung der Zeit zu spotten scheint:' 12 KORNER (1957) 65. der Kähler hier "dem Geist der Zeit" folgen sieht. Körner meint mit ,,Entwicklung" anscheinend zugleich Fonschrin. also eine mehr geslallbare Entwicklung. 13 SO DE BDOR (1990) 66. 14 Die zitiene These KÄHLER (18671 (1913) 175, aufgenommen a.a.O. 177.181.191; zur BegTUndung a.a.O. 176: ..Der siuliche Charokter als solcher ist derselbe auf dem Thron und in der HÜlle" und m.a.O. 180 zum Gewissen als Sitz der Siulichkeil. womit Kähler seine Dis.senalion über das Gewissensthema (1859) aufgreift.
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IV. Martin Kählers messianisch-sOierologische Eschatologie
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Kähler wendet diesen Einwand gegen die Fortschriusvorstellung nun auf die ihm von ihr selbst vorgegebenen Themen der Gleichheit und Freiheit an. indem er beiden einen charakteristisch anderen Bezugspunkt zuweist. Das Fortschrittsdenken, das Kähler besonders in der Französischen Revolu· tion manifestiert sieht, begreift Gleichheit und Freiheit als eingeborene und unverlierbare Eigenschaften des Einzelnen. es definiert sie aber aufgrund seiner Stellung zum Ganzen der Gesellschaft: Jeder Mensch ist gleich. weil im Rousseau'schen Gesellschaftsvenrag alle ihre Eigenheit der Gesamtheit opfern; und jeder Mensch ist frei. sofern alle das Verfügungsrechi über ih· ren eigenen Leib haben. tS Gleichheit ist dann die Gleichheit vor dem Ge· setz. und Freiheit ist die Freiheit des Anderen. Genau gegen diesen Bezugspunkt von Gleichheit und Freiheit im Fortschrittsdenken macht Kähler nun sein Ewigkeitskonzept geltend. 16 Eine Gleichheit des Einzelnen von Gnaden seines Eingehens in das Ganze gilt Kähler als der ..Fieberwahn des französischen Volkes". Denn der Einzelne als Einzelner ist in solcher ~galit~ egal angesichts der Gesamtheit. Auf dem Gebiet der Siulichkeit, dem Kähler sich hier hauptsächlich zuwendet, würde solche Gleichheit bedeuten, daß dem ins Ganze aufgegangenen Einzelnen der Anteil am sittlichen Ertrag dieses Ganzen vorenthalten wird. 11 Gerade der Eigenanteil des Einzelnen angesichts der Gesamtheit, in die er ein· und aufgeht. ist aber der Begriff von Freiheit. Freiheit ist damit auch Freiheit von der Grenze des Todes t8 oder in den Termini der Sittlichkeit: Die Freiheit des Einzelnen ist das in ihm angelegte Gewissen, dessen Entfaltung am Tode nicht ihre Schranke findet. sondern in der Ewigkeit vollendet wird. Die Pointe von Kählers Argumentation ist dieses Ewigkeitsverständnis, dieser eschatologische Bezugspunkt von Gleichheit und Freiheit. Kähler 15 VgJ. 3.a.0. 181f. und a.a.O. 171 zur Gleichheil. die •.ein reich gegliedenes Volksleben in eine: mathematisch geordnete Masse gleichgeaneter Atome zerschlug": ebd. zum FreiheilSkon1.ept der Französischen Revolution. 16 Im drillen Abschnül seines Vortrags: OERS.118671 (1913) 175-185. nachdem der zweite (a.a.O. 170--174) die entgegengeselzte Position referiert hat. - Im Erstdruck (DERs.118671 120) sind beide Abschniue nicht getrennI. 17 Zilat a.a.O. 185. Das Problem des Anteils verstorbener Generationen am Ganzen der Gene:· ralionen(olge (a.a.O. 183) ist eine: V.rilUlte des als .,Zwischenzustand" bekannten Problems der ef'SlCß Gestall "on Schleiermachers eschatologischem Dilemma (zwischen IndivKiual- und Uni,-ersakschatologie). 18 Die •./zJ....-ei ent.scheKkndelnllrrtümer des Fonschrinsdenkens. die KlihleT a...O. 182 bekämpfl. betreffen genau die zwei Dimenstonen individuelkr Freiheil ab Freiheit von der Gesell· sch3fi (•.a.O. 182f.) und vom Tode: (•••.0. 1&4)••och wenn Kihkr im vorliegenden Konlexl nur einmal beiläufig von Freiheit spricht: ~ Was wir an der unfr~jn, Natur sehen. übertrigt sie (sc. ..eine in unseren Tagen weil verbreitete Lehre"l auf das menschliche Gcschlecht~ (a.•.0. 181: Hervorhebung ,'on mir).
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Zweiter Teil
lehnt damit die aufklärerische Idee eingelx>rener Menschenrechte nicht rundweg ab; er modifiziert sie aber entscheidend. indem er statt von einge· borener vielmehr von auf die Ewigkeit angelegter Gleichheit und Freiheit spricht, auf dem Gebiet der Sittlichkeit vom Gewissen als Anlage zur Sitt· Jich.keit. Gleichheit lind Freiheit des Einzelnen definieren sich so nicht VOll seinem Bezug zur Gesellschaft her. in die er hineingeboren wurde. sondern von seinem Verhältnis zur Ewigkeit, auf die er hofft. Was sind die Konsequenzen dieser Modifikation? Sie sind weittragend: Weil die Anlage zur Sittlichkeit der Entfaltung fahig und bedürftig ist. erreicht Kähler damit, daß Gleichheit und Freiheit über die Bedingungen der Gesellschaft hinausreichen und nicht zur Sanktionierung des jeweiligen gesellschafllichen status quo herabsinken können - eine Gefahr, die laut Kähler nach der ersten Phase der Französischen Re· volution zur Zeit der vomapoleonischen Republik Wirklichkeit wurde in Gestah der ..Herrschaft des Pöbels". Diese Fonnulierung im Verbund damit. daß Kähler die Notwendigkeit einer individuellen Entfaltung sittlicher Anlagen unterstreicht,19 darf nicht so verstanden werden, als wolle er dem demokratischen ein aristokratisches GesellschaflSbild enlgegenselZen. 20 Vielmehr verwahrt er sich kritisch gegen die "Verkünder der Geislesarislokralie" und die .•Aristokraten des Talentes... 21 Er kann und muß dies tun. weil das Gewissen als Anlage zur Sittlichkeit nicht auf die Entfaltung per· sönlichen Genies oder Talentes angelegt iSl, sondern auf die Ewigkeit; die anlhropologische Anlage wird so ein eschatologisches Konzept. Entfaltung ist damit auch nicht Sache persönlicher Leistung, sondern Werk Goltes. Jeder Kurzschluß gesellschaftlicher Gegebenheiten mit Gottes Ewigkeit ist damit verhindert. Die ,.andre Gleichheil" , ,jene Gleichheit", die Kähler dem Fortschrittsdenken entgegenhält. liegt ..in der Bestimmung eines jeden für die Ewigkeir', darin, "daß Gott die Ewigkeit in des Menschen Herz gelegt lIa,",22 Die Bedeutung von Kählers Ewigkeitskonzepl besteht vorrangig darin, daß es jeden Fortschrittsgedanken begrenzt durch die kritische Ori· 19 Zitat 8.8.0. 171; vgl. zur nOlwcndigcn Entfaltung der Anlagcn 8.8.0. 181. 20 Der Kählcr der 1860cr Jahre crscheint UNK (1975) 220 als .,aristokratischer Individualisl" (lOgt auch a.•.O. 189 zu Kählers Abhängigkeit von romantischen Anschauungen Schlctermachers und v. Rankes: anders der spätc Kihler: a••.O. 386): cr zilier1 dafUr a.a.O. 120 Anm. 129 auch den Vorbehalt von KAHl..EII (18671 (1913) 190 gegen •.eine Verherrlichung der niederen Schichten und eine Proscripcion der herrschenden Krei.5C menschlicher GeselJschaft~. - Zu dieser Stelle s. S. 14\ Anm.28. 21 Zitale ••LO.185.183Anm.I. 12 Zitate La.O. 171,185.185.170. Nur an der k1Zlgcnannten Stelle (und par. LLO. 184) begründet Kihkr. wie OE 800R (1990) 65 bemerkt, individuelle EwigkeilSerwar1ung mil einem alncscamenllichen Zitat (Pred 3.11).
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entierung am Eschaton. Fortschritt kann nicht mehr anzeigen, "wie wir's so herrlich weit gebracht",23 weil die Ewigkeit, auf die wir angelegt sind. von Gott in unser Herz gelegt ist. Das Eschaton kann also aus keinem Fortschritt jemals erwachsen, sondern ,.ragt" umgekehrt aus Gottes Ewigkeit in die 24 Zeit hinein. wie Kählers anschauliche Formulierung lautet. Damit erfahrt der Fortschriusgedanke eine völlige Richtungsumkehr; Vollendung kann nur im Aufblick zu Gottes Ewigkeit erhofft werden. Damit aber. und das iSI die zweite Bedeutung von Kählers Ewigkeilskonzept, ist der Fortschriusgedanke nicht einfach ausgelöscht. sondern tatsächlich neu ausgerichtel?S Wenn das menschliche Gewissen nicht auf Fortschritt, sondern auf Gott angelegt ist, dann muß sub specie aelernitatis auch von einer Entfaltung des Gewissens gesprochen werden können. Wenn es Goues Ewigkeit ist, an der aller menschliche Fortschritt seine Grenze findet, dann muß sie auch dessen Grund sein. In diesem Sinne hält Kähler fest, "daß Religion der tragende Grund echter Siu!ichkeit ist".26 Hatte er zuvor den Ewigkeitsbegriff eingeführt in Auslegung der mehrfach wiederholten These, daß es keinen überindividuellen Fortschritt in der Sittlichkeit gebe, so kann er nun komplementär dazu gerade für diese selbe grundlegende Stellung des Ewigkeitskonzepts als "nicht das schwächste unter den Zeugnissen" ins Feld führen, "daß die Geschichte des Geschlechtes kein sich wiederholendes Auf- und Abschwanken, sondern ein steliger Fortschritt auf ein ihm gesleckles Ziel hin iSI",27 und er kann dies wiederholt und breit illustrieren an der Bedeutung des Christentums ausgerechnet für die Enlwicklung der Sinlichkeit!28 Kähler kennt also durchaus einen sittlichen Fortschritt auf überindividuellern Gebiet. Genau dies widerspricht aber der ursprünglichen Fassung seiner These. so daß er selbst über diese sagl: "Wie bestünde auch mil solcher 23 KÄHLER 118671 (1913) 175 mil Anspielung auf die Wone WagllCrs in QoE11iES Faust 1.570-573. dllrch die sich der Fonschriusglaube als epigonales Bauen auf fremdem Fundament entlarvt. 24 KÄIlLER r 18671 (1913) 170.194 zum ,.Ragen", 25 So der viene Abschnitt voo Köhlers Vortrag: a.a.O. 185-191. 26 A,a.O. 187. 27 Zilal~ a.3.0. 188. 28 A.a.O. 177 Anm, I; 118.179 ("Großmacht christlicher Sitlenlehre") und besonders a,8.0, 187-190. wobei diese Stellen z.T. ausdrücklich neben Kählers Grundlhese geslelll werden, Köhlers bevorl.ugtc Beispiele sind die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau und die Abschaffung der Sklaverei. Aber auch der Protest dagegen, ,.daß Millionen nur das Fußgestell sind I., ·1. auf dessen höchster Spitze sich die einsamen Geslalten der herrschenden Männer und der hervorragenden Frauen erheben" (a,a.O. 183). ist dem Zusammenhange nach zuerst im Sinne eines in der Ewigkeit gründenden Fortschrills und nicht eillCs Eintretcns rur die soziale Frage zu lesen (gegen OE BooR 119901 66f.); ebenso der von Link (s, S. 140 Anm, 20) inkriminierte Vorbehalt.
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Zweiter Teil
Fassung unsre Aussage, das Christentum verbürge dem ganzen Geschlechte die Erreichung eines ihm gesteckten Zieles?,,29 Die Antwort lautet, daß ein überindividueller sittlicher, freilich religiös begründeter, Fortschritt in der Mission bestehe: "So gibt es denn einen Fortschritt auf dem Gebiete des Lebens der Menschheit, welchen die sittliche Arbeit von dem einzelnen Menschen aus beherrscht und gestaltet; einen Fortschrin, welcher das Ganze voran bringt. Es findet eine allmähliche Christianisierung der Völker statt".3O Ist aber nicht diese Antwort nur die Kehrseite des Dilemmas? Entweder schließt die Ewigkeit, wie Kähler sie eingeführt hatte, allen Fortschritt aus, oder aber die Ewigkeit, die einen Fortschritt zu begründen vermag - freilich nur auf dem Boden der Religion -, muß sich hierfür ihrer Ewigkeit begeben und geschichtlich werden: "diese wahre Religion selbst ist eine geschiChtliche Erscheinung". In diesem Satz schürzt sich abschließend nochmals der 31 ganze Knoten des Problems. Seine Auflösung ist nur 50 möglich, daß die scheinbare Aporie der Alternative von Fortschritt und Ewigkeit auf eine dritte Größe hin geöffnet wird. Hier zeigt sich die Bedeutung von Kählers "apologetischem" Vorgehen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Ewigkeitskonzept den Fortschritt nicht einfach aus-, sondern mit einer tieferen Begründung sogar einschließt. Dies ist jetzt für die Art dieser Begründung zu präzisieren: Die Ewigkeit, welche den Fortschrill als Vollendung der allgemeinmenschlichen Anlage im Gewissen verbürgt, wird von Kähler einmal als ,jenseil dieser Zeitspanne" liegend bezeichnet. 32 Dieses Jenseits ist von einem "Nach" zu unterscheiden. Verstünde Kähler die Ewigkeit als ,,Zeil nach der Zeit", dann wäre das Zeitverständnis des Fort5chrittsdenkens zwar umgepolt, aber nicht überwunden; anstatt aus der Vergangenheit wie bei Faus(s Famulus Wagner würde sich der Fortschritt aus der Zukunft speisen, aber aus einer Zukunft, die mit der Vergangenheit einen einzigen linearen Zeitstrahl bildete. Dann wäre das gezeigte Dilemma unüberwindlich.
29 KÄHLER [18671 (1913) 191. 30 A.a.O. 192. Im Ersldruck des Vonrags ist an dieser Stelle der Rückbez.ug auf die grundlegende These. daß es keinen sinlichen Fonschriu des Menschengeschlechts im ganzen gebe. vergiebt es denn einen Fonschriu auf dem deutlicht durch die Aufnahme eines ihrer 5tichwone: • Gebiele des Geschlechls-Lebens" eie. (DERS. [1867J 134). Die spätere Änderung dürfte daher rühren. daß Kähler hier nicht als Sexualelhiker verstanden werden wollte. 31 Zitat DERS. [ 1867) (1913) 192. ausführlicher a.a.O. 193: vgl. den ganzen flinften Abschnilt: a.a.O. 191-194. -Im Ersldruck (DERS. [1867J 134) ist der HInfte vom vienen Abschniu nicht ge· IrennI. 32 DERS.118671 (1913) 184.
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IV. Martin Kählers messianisch-solerologische Eschatologie
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Doch Kähler verstehl die Ewigkeit nichl in diesem linearzeitlichen Sinne; vielmehr ist sie ihm zufolge die "Ruhe, die über die Zeit hinausliegl U33 und daher, mit Kählers eindrücklicher Redeweise, in die Zeit "hineinragt". Der kurze Schlußabschniu des Vortrags beschreibt das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit mit den Worten des Eindrucks, den J.A. Bengel auf einen Zeitgenossen machte, so: "Ich ward wie von dem kräftigen Magnet durch die Augen, die voll Licht und Leben waren, und durch die Stirne, auf der ich das Wort ,Ewigkeit' zu lesen meinte. in eine andere Sphäre hingezogen.,,34 Der systematische Ertrag von Kählers Ewigkeitskonzept wird mit diesen Worten aus einem erbaulichen Lebensbilde in seinen zwei entscheidenden Momenten gut getroffen: Ewigkeit ist zum einen eine andere Sphäre über den zwischen Vergangenheit und Zukunft sich erstreckenden Fortschritt hinaus; sie ragt zum anderen in diesen Fortschritt hinein und zieht ihn zugleich an sich. Begrifflich expliziert Kähler diesen Gedanken mit dem Konzept der Verheißung: Auch das Christentum geht noch zu auf "die große Verheißung. welche allein imstande ist, die peinigenden Rätsel des Erdenlebens zu lösen", das Rätsel nämlich, daß die wahre Religion "eine geschichtliche Erscheinung" ist. Offensichtlich ist also das Christentum als geschichtliche Erscheinung zu unterscheiden von seiner eschatologischen Gestalt als wahrer Religion, die ausschließlich Gaues Verheißung ist. Als diese Verheißung ist das Eschaton die drille Größe im Dilemma von Fortschritt und Ewigkeit. Kähler kann daher, den Fortschritt ganz auf die so verstandene Ewigkeit beziehend, resümieren: "Der Fortschritt, wie er seinen Ausgangspunkt hatte, findet seine Vollendung in der Ruhe, die über die Zeit hinausliegt.,,3' Erst von diesem systematischen Ziel punkt der Argumentation aus wird auch die Wahl der Bilder "Fluß" und "Meer" für Fortschritt und Ewigkeit voll verständlich. Eine schroffe Alternative empfehlen sie schon deshalb nicht, weil ja der Fluß ins Meer mündet, und so kann Kähler seinen Vortrag im Stile einer lnc1usio rahmen durch das Leitmotiv vom "Meer der Ewigkeit', "in welcher doch kein Tröpflein der reich wechselnden zeitlichen Vergangenheit verloren ;S(',.36 Kählers Eschatologiekonzepl verbindet so Fortschritt und Ewigkeit unter dem klaren Vorrang der 33 A.a.O. 194. 34 A.a.O. 19.5 (der sechsie Abschnitl: 3.a.0. 194f.). Zilien ist Oskar WÄC.lTER. Johann AIbrechl Bengel. LebensabriB. Charakter. Briefe und Aussprüche nach handschrif!lichen Mittheilungen dorgcstclh. Slungart \86.5.206. 3.5 Zitate K},HUiR 11861] (1913) 194. Vgl. DERs.11911j 72: ..Man wird die Wege Gotles von hinlen vcrstehen:' 36 DERS.11861] (1913) 193; 8.8.0. 167 Jautcl der Relativsatz: ..in dem doch kein Tröpnein ei· ner reich wechselnden zeillichen Enlwickelung verloren ist".
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Zweiter Teil
Ewigkeit. Kähler richtet so den gesamten Fonschritts- und Entwicklungsgedanken neu aus an einem Konzept von Ewigkeit als der "großen Verheißung", die allein den Fortschritt begründet und zugleich seine Grenze bildet, die mit keinem geschichtlichen Ziel von Fortschriu in irgendeiner Weise verrechnet werden kann.
Exkurs 4: Der infinite Progreßgedanke in der liberalen Eschatologie I. Zum Begriff der liberalen Dogmatik. Kählers Ewigkeitskonzept ist. wie gesehen. in der Auseinandersetzung mit dem Fortschrinsgedanken entstanden. Zur Verdeutlichung ist daher der Vergleich mit solchen Entwürfen von Eschatologie hilfreich, die ausdrücklich auf einem Begriff von Fortschritt basieren. Daft.ir kommen besonders einige Autoren in Betracht. die sich unter dem Titel einer ..liberalen Dogmatik" zusammenfassen lassen. Der Tenninus "liberal" soll dabei keine dogmatische Richtung oder theologiegeschichtliche Schule bezeichnen,J7 sondern ist zu verstehen von einer methodischen Grundsatztendenz in der Theologie des 19. Jh. überhaupt. welche durch das Aufkommen der historisch-kritischen Methode gekennzeichnet ist. [m Unterschied zur sog. Positiven Theologie.3Jl die. im einzelnen mit unterschiedlicher Begründung. die in Bibel und Credo genannten ,.Heilst3tsachen'· als feststehend gegebene (in diesem Sinne "positive") Grundlage der theologischen Arbeit voraussetzt. sollen im folgenden unter dem Stichwort ..liberale Dogmatik" diejenigen systematischen Theologen zusammengefaßt werden. die die kritische Methode in ihre Darstellung biblischer und kirchlicher Theologie integrieren. 2. Infinirer Progreß als unendliche Durchdringung von Geist find Leib. Hier ist vor anderen der Tübinger FR1EDRICH HEtNRICH KERN zu nennen. der nicht nur als gleichaltriger Schüler von F.C. Baur an der Wiege der historisch-kritischen Methode steht. sondern auch zugleich eine heute wenig beachtete Monographie zur Eschatologie verfaßt hat. In ihr will er Schleiernlachers Dilemma überwinden. daß die beiden Pole. persönliche Fortdauer und Vollendung der Kirche. jeweils nur entweder auf den Gedanken der Entwicklung ocIer den der Vergeltung (des Abschlusses) bezogen werden können. Kern dagegen eint sie, indem er heide •.nach der negativen s0wohl. als nach der positiven Seite des Begriffs" betrachtet und so ein umfassendes Gesamtbild herstell!.J\! Demnach ist die persönliche Fortdauer zwar die Entwicklung der im frommen Selbstbewußtsein des Individuums positiv gegebenen Gemeinschaft mit Christus, sie ist aber zugleich negativ beschreibbar als Befreiung ..von allem 37 Insbesondere ist nicht ausschließlich an den Kulturprotcstantismus zu denken. 38 Der Gegensatz von Positiver Theologie und liberaler Dogmatik im genannten Sinne ist theQlogiegeschichllich im sog. Apostolikumsstreil manifesl geworden. der über die unmiltelbar kirchenhiSlorischen Streitigkeiten hinaus seine theologiSChe Renexion in der Auseinandersetzung zwischen A. v. Hllmack und H. Cremer fand. Cremer selbsl ist zusammen mit M. Kähler und A. Schlauer der wichtigste Venreler der Posiliven Theologie. 39 Zum Folgenden vg!. KERN (1840) 77 (Zitat) mit Bezug auf ScIU..EIERMACHER 11830131] (1960) § 159.
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Sündhaften" und damit als Gericht oder Vergeltung. Und ebenso ist die Vollendung der Kirche zwar negativ als gerichtliche Befreiung von der ihr noch anhaftenden Sünde zu beschreiben. Sie ist damit aber zugleich durch logische Negation positiv .,wesentlich auch Entwicklung". weil sie Befreiung zu weiterer und dann ungehinderter. also unendlicher Verklärung bedeulet. 40 Kern erläutert diesen Gedanken mit einem doppelten Rückgriff auf Eschatologeme der Venninlungstheologie: Er erklärt die individuelle Tilgung der Sünde mit H. Steffens' Theorem der Involution so. daß auf das vom Leib beherrschte Erdenleben ein geistdominierter Zwischenzustand folge. an den sich als Ausgleich beider die jenseitige Entwicklung zu unendlicher Einheit von Geist und Leib in der Auferstehung anschließen müsse. 41 Auf universaleschatologischer Ebene entspricht dem der später vor allem durch I.A. Dorner zur Wirkung gebrachte Gedanke. daß mit Christi Auftreten die Eschata in einer geistigen Zwischenzeit bereits angebrochen sind. auch wenn sie noch der endgültigen leiblichen Konkretion durch dje zukünftige Parusie bedürfen. Kern kann also mit diesem doppelten Rückgriff auf die Venniltlungstheologie42 sowohl die Unsterblichkeit leh43 ren als auch den Gedanken einer vollendeten Kirche als infiniten Progreß anschaulich machen. Eschatologie bietet damit. Schleiennachers partikulare Anschauungen überwindend, das Gesamtbild einer immer vollkommeneren Durchdringung von Geist und Leib sowohl im Individuum als auch in der Kirche als Gesanllheit aller Individuen im Verhältnis zu jedem einzelnen. Kern kann so gegen Schleiennaehers Verdikt der Nichtlehrbarkeil die Eschalologie als Apokalastasis dogmatisch beweisen, indem "der Begriff der Vollelldullg selber. und ihre NOfhwelldigkeit ins Klare gesezt" werden. 44 Gewiß ist der in diesem Konzept tragende Gedanke der Involution Spekulation. Doch liberale Theologie und Spekulation schließen sich im 19. Jh. nicht aus, wie das wirkmächtige Beispiel von RICIlARD RQTIIE zeigt, der als später Begründer des Proteslantenvereins der Inbegriff liberaler Theologie vom Schlage des Kulturprotestantismus zu sein scheint und doch ein eschatologisches Konzept von infinitem Progreß 40 Zitate KERN (1840) 78.77; vgl. ebd.: .,ein ins Unendliche sich steigernder Fortschriu". 41 KERN (1840) 115 greift Sterfens' Involution (s. Exkurs 2. hier S. 70f.) auf. auch wenn die Begrimichkeit von Geist und Leib an die heilsgeschiehlliche Axiomatik von Person und Natur erinnern mag. Diese versteht aber nicht den Zwischenzustand. sond(1Tl gerade die nach Kern leibdominierte Gegenwan als geistbcslimmt. 42 KERN {I 840) 4 strukturiert die biblische Eschatologie (Kap. I) so: Gegen die antikjUdische Unterscheidung zweier Äonen. die durch das eine Auftreten des Messias getrennt sind. nimmt das Neue Testament eine Endzeit an, die durch die zwei Parusien Christi gerahmt ist. S. S. 125 Anm. t 97. 4) Kern verteidigt diese ewige Unsterblichkeit der persönlichen Geist-Leib-Einheit gegen die aus der hegelianischen Deballe (s. Exkurs I IS. 64ff.J) bekannten Beschränkungen. also gegen P.K. Mnrheinekes ..rechlShegelianische" Unslerblichkeit in ..einem blos diesseitigen Sinne" (a.a.O. 92). gegen C.H. Weißes Unsterblichkeit nur der christlichen Persönlichkeit (a.a.O. 83f.) und gegen die Unsterblichkeit nur der menschlichen Gallung (a.a.O. 86 als Linkshc:gelianismus eingestuft). 44 A.a.O. 94. Bereits das Kap. I zur biblischen Eschatologie nennt die "Wiederherstellung alI~r Menschen in Christo zur Einheit mit GOIl die ein:ig richlig~ Conseqll~n:" (a.a.O. 37) der neuteStamentlichen Anschauungen und begrlIndei dies damit. daß nach Paulus zuletzt •.ganz Israel gereltet werden wird" (a.a.O. 38).
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entwickelt. das grundsätz.lich spekulativ begründet ist.4~ Grundlage dieses Konzepts ist das Verhältnis von Gon dem Schöpfer zu seiner Schöpfung: Gott ist das absolut geistige Wesen, das durch sein Schöpferhandein Materie sich ins Geistige anverwan· deli. doch so. daß Schöpfung nie das Maß von Goltes Geistigkeit erreicht. Es gibt daher eine ewig fortgesetzte Schöpfung. die aus den irdischen Schlacken der zu an· gelischem Dasein emporgeläuterten Geschöpfe neue, geisligere Wesen schafft. 46 Folglich gibt es in ihrer Geistigkeit je nach Frühe oder Späte ihrer Schöpfung abge· stufte KrealUrsphären,47 deren einzelne Angehörige gleichwohl individuell vollendet sind. 48 Der ewige Fortgang dieser Schöpfung in einer unendlichen Weltenreihe nach Abzug aller bösen. d.h. auf die Verschlackung statt die Vergeistigung gerichteten Tendenzen49 ist Rothes Bild von Eschalologie.~ Der Gedanke eines unendlichen Progresses ist hier zwar auf dem Boden der Spekulation, aber bestechend klar durchge-
ruh". Derselbe Gedanke des infiniten Progresses beherrscht bei scheinbar völlig ande· rem theologischen Ansatz die Eschatologie von RICHARD ADELBERT LIPSlus. Sie ist die konsequente Aufdeckung und anschließende Überwindung der Aporien in der kirchlichen Eschalologie.~1 Die Kirche lehre zum einen ein im Himmel fertig bereit liegendes Heil~2 und erwarte zum anderen, daß die sittlichen Gesamterträge der einzelnen Menschenleben als ..fertige Zustände" in die Ewigkeit übernommen würden. H Mit dieser Lehre setzt die Kirche Lipsius zufolge den Grundirrtum des Frühjudentums fort. der in der .jüdischen Zeiuheologie" mit messianischem Königreich und Weltgericht zwei ursprünglich selbständige eschalologische Gedankenreihen vermengt ..s4 Dies würde eine "sprungweise Vollendung" bedeuten. die eine Entwicklung 45 Da die bei Rothe meist auf Einnüsse der 1lleosophie (s. Exkurs 3. hier S. 99-102) zurück· geführte Spekulation das historisch-krilische Interesse überlagen. kann ROlhe nur mit Einschränkungen unter meinen Begriff liberaler Dogmatik fallen. Vgl. das Charakterbild des Theologen Rothe bei BARTIt (1947) 544-552. 46 RonlE (1869n I) 11,481 f. (§ 457). 47 A.a.Q. 1I,482f. (§ 457 Anm.) zur höheren Geistigkeit späterer Schöpfung. 48 A.a.O. 11,483 (§ 458). Grade der Seligkeit sind daneben niehl ausgeschlossen (u.a.O. 111, 194 I§ 5951), doch jedes Individuum SIeht mit der Seligkeit aller Kreatursphären in völligem Austausch (a.3.0. 11.480 [§ 4561). 49 So wird der im Gericht Verworfene als "sieh allmälig in sich selbst aufzehrend" (a.a.O. U1,1941§ 5961) gedachl: vgl. a.a.O. 11,478 (§ 452 Anm.) zum Gericht über die Natur: Dort "wird die Chemie ihren Triumph feiem". 50 Rothe wird m.E. zu sehr von Hegel aus gelesen. wenn man seine chiliastische Eschatologie auf die Vorstellung beschrJnkl, daß die Kirche im Staal aufgehen werde. Dagegen bemerkt ÜSTHOF (1999) 286 (vgl. a.a.O. 273 Anm. 382), dieser Zusammenfall geschehe ..erst im Escha· ton". Ungesagt bleibt dabei aber. daß Rolhe dieses Eschnlon als infinit denkt. Seine Eschatologie hat so die Weite der Spekulation eines Origenes und ist daher ähnlich umstrinen wie diese. 51 LtPS1US (1893) 849 (§ 970) faßt den dogmatischen Negalivbeweis zusammen aus §§ 947.950.958 zur alt- bzw. neuleslamentliclten bzw. kirchlichen Eschatologie. Vgl. a.a.O. 855 (§ 982) mit den Begriffen Zeit und Ewigkeit. 52 A.a.O. 840 (§ 956) fUhrt Lipsius diese Vorstellung auf den Hebräerbrief zurück. 53 A.a.O. 852 (§ 978). 54 Zitat 3.a.0. 835 (§ 947): zu den beiden Vorstellungen vgl. a.a.O. § 945 bzw. § 946.
OOO~Ogelit jedoch zugleich als au8ertbeologiscb!
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scheidet vom Wesen des Christentums das •.Allgemeingültige an seiner Erscheinung", welches der ..maßgebende Religionsbegrifr' ist. Dieser Begriff gibt das Maß für den Vergleich des Christentums mit anderen Religionen. In dieser Funktion ist er daher vom Christentum unterschieden. Köhlers Apologetik fäuft also 'rOIl ihres christlichen Standpunktes grundlegend auf einen Begriff \Ion Menschheilsre/igion hinaus, der vom Begriff des Christentums zu uflterscheiden '-SI.124 Das Christentum ist also nicht schon die Menschheitsreligion. so sehr es die Menschheitsreligion werden soll. Diesen Eindruck aus der Grundlegung der Christlichen Apologetik unterstützen die einzelnen Belege des Tenninus der Menschheilsreligion. freilich heißt es in Kählers einleitender Definition der systematischen Theologie: ,.die christliche Lehre aber ist die Erkenntnis des Christentumes als der sittlichen Menschheits-Religion",.I25 lm entsprechenden Leitsatz aus der Grundlegung der Christlichen Apologetik, auf den mit diesem Satz verwiesen wird, heißt das Christentum in dieser menschheitlichen Bedeutung aber mit kennzeichnendem Unterschied .,das Reich Gottes in seinem Kommen"", was ausweislich der den Leitsatz erläuternden Paragraphen die Vorstellung der Menschheitsreligion zu einem eschatologischen Begriff macht. 126 Folglich ist die Menschheitsreligion eine Größe, auf die auch das Christentum trolZ seiner ,,lmperfectibilität" noch zugeht. 127 Dieser Eindruck der TextbeJege ist nun an der systematischen Bedeutung der Vorstellung einer Menschheitsreligion zu verifizieren. Tatsächlich schließt dieser Begriff in Kählers Allsführung der Christlichen Apologetik denselben Argumentationsbogen, wie er in dem untersuchten Vortrag von 1867 vorlag: In beiden Fällen wird die Religion zunächst als Grund der Sittlichkeit ermittelt, muß dann aber von ihrer geschichtlich positiven Erscheinung als bestimmter Religion unterschieden werden. Der erste Schriu l2ll zeigt, daß sittliche Freiheit, ein Wechselverhältnis des Einzelnen 124 Im Register (KÄIH.ER 11905 J 712) erscheint als Beleg flir den Tenninus der Menschheitsreligion der 1 113 (•.Der maßgebende Religionsbegrifr·). obwohl er diesen nicht gebraucht. Das o.g.•.AlIgemeingUhige" (a.a.O. 108) des Religionsbegriffs. \o"e1ches an scinc:r Stelle auflrill. ist aber ja dessen menschheitliche Bedeutung. 125 A.a.O. 42 (I 40). Vgl.•.•.0. 475 (I 551) zum Anspruch des ChriSlentums..,die Mensch· heit!ireligion zu sein". 126 Zital im Leitsatz zum Absehnin .Das Christentum das Reich Goues und darum die Menschheits.Religion" &.8.0. 99 (I 105). A.a.O. 100.101 (I 107) macht KAhler dies am "weltum· spannenden Abschluß" fest. hat also das ".lIbergeschichlJK':he WeltzKI Slets im Auge" und fußt so auf einem ~halologischen Ekgriff. 127 Zilal a.a.O. 204 in der Oberschrirl von 1 229. Vgl. auch D€JlS. (1908) 363. 128 Vgl. die .Jzlwd enlSCheKk:ndelnl Imümer" im vienen Abschniu des Vortrags (D€JlS. 118671 (19131 182) mil den zwei Slikk:en im I. HauplSlück der Chrisdichen Apologelik: (1905).
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zur Gesamtheit, in dem jener sich einzig 129 das "AlIgemein~ und Gleichartig-Menschliche" zum Zwecke setzt (so 1905) und doch ,jeder Mensch be~ stimmt ist, Anteil zu haben" am sittlichen Ertrag der Gesamtgeschichte (so 1867), nur möglich ist aufgrund religiöser Freiheit von ebendieser Gesamtheit durch ..Abhängigkeit von der Gottheit" (so 1905) oder "Gemeinschaft mit dem Ewigen" (so 1867).1JO Wie 1867 die ..Religion der tragende Grund echter Sinlichkeit" genannt wurde, so heißt es daher auch 1905: "Die Zusammenfassung des sittlichen und des religiösen Lebens ist also von dem letzten aus zu suchen".I)1 - Der zweite Schritt zeigt aber dann, daß diese als Bewußtsein der Freiheit von der Geschichte begriffene Religion doch selbst "eine geschichtliche Erscheinung" ist (so 1867), ihr Begriff also im Ver~ gleich mit den positiven Religionen bewährt werden muß (so 1905),132 dar~ unter besonders dem Judentum, weil das Christentum nur zu ihm, nicht zum Heidentum, in einem geschichtlichen Verhältnis steht. Kählers Wahrnehmung des Judentums steht also durch den Aufriß der Christlichen Apologetik von vornherein in demselben eschatologischen Spannungsbogen, den die ihrerseits "apologetische" Argumentation des Vortrags von 1867 133 beschreibt. Damit aber kann die Bedeutung des Judentums sich nicht in der Selbstaufhebung ins Christentum erschöpfen, und dann geht die Zuordnung von Judentum und Christentum als Verheißung und Erfüllung nicht mehr auf. Auf der einen Seite kann das Christentum nicht als Erfüllung im absoluten Sinne verstanden werden und ebensowenig seine lmperfektibilität. In unmittelbarer Nachbarschaft zu diesem Stichwort schreibt Kähler vielmehr: "Der neue Bund begründet eine neue Weltzeit. Diese ist freilich auch noch Geschichte; deshalb kann die Vollkommenheit ihrer Eröffnung nicht darin bestehen. daß die begonnene Entwickelung fertig, sodann nur darin, daß ihr befriedigender Abschluß ausreichend verbürgt ist. u Demgemäß heißt es weiterhin nur, "daß der neue Bund die Menschheitsreligion begründet 129 In dieser Ausschließlichkeilliegl der Unlerschied zwischen Siulichkcil und Gesiltung. den Kähler a.3.0. 175 einschärft in Vorwegnahme von DEMS. (1905) § 138. 130 Zit:lIe a.a.O. 129 (§ 138): DEM.s. 118671 (1913) 183 sowie DERS. (1905) 143 (§ 162): DERS. 11867J (1913) 186. 131 Mun vergleiche die beiden Zitate: a.3.0. 187 (Hervorhcbungen aufgehoben) bzw. DERS. (1905) 144 (§ 162). Die Abgrenzung der sittlichen und religiösen Freiheit gegen die NivelIierung von Geschichle und Nalur (DERs. 118671119131 181) kehn zudem bei DERS. (1905) 183 (§ 209) als ..Naturalismus··. ein Kennzeichen des Heidentums. wieder. 132 Vgl. den ftinften Abschniu des Vonrngs (l867)(Zilal DERS. 118671 119131 192) mit dem 3. I-lauplsltick der Christlichen Apologetik (1905). welches dllS Christentum mit Heidenlum und JLldenlLlm ins Verhä.ltnis setzt. 133 S. nach S. 138 Anm. 13.
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hat" .134 Ist aber das Christentum nicht schlechthin Erfüllung, dann ist weiterhin auf der anderen Seite auch zu fragen, ob mit der Weissagung einer Vollendung, in welche sich aufzuheben das alttestamentliche Judentum be· reit ist. tatsächlich das Christentum gemeint ist oder nicht vielmehr die davon zu differenzierende Menschheitsreligion. 135 Denn Kähler sieht eine "bleibende Bedeutung jener [alttestamentlichen] Geschichte für die Menschheit", die er (freilich ausschließlich) religiös bestimmt: "ihr letzter Ertrag ist die lautere, wahre und wirkliche Menschheitsreligion" .136 Die Menschheitsreligion ist also eine dem alttestamentlichen Judentum wie dem Christentum zuzuschreibende Erwanung, und damit ist dann auch die ge· radlinige Verrechnung von Judentum und Christentum mit Verheißung und Erfüllung nach heiden Seiten dieses Schemas durchkreuzt. Dieser Eindruck der referierten Stellen empfangt nun seine Bestätigung von der Gesamtanlage der Apokalyptik, denn sie führt ganz stringent auf den von der Grundlegung zur Christlichen Apologetik bereits vorgezeich· neten Begriff der Menschheitsreligion in seiner charakteristischen Unter· schiedenheit vom Christentum: "Es ist der von dem Christentum als geschichtlicher Erscheinung abgezogene Religionsbegriff, welcher sich als ausreichender Maßstab erweist, nicht nur für das Verständnis und die Be· urteilung alles sonstigen religiösen Lebens, sondern auch für das Verständ· nis und die Beurteilung der befremdenden Erscheinungen an der Kirche und ihrer Geschichte". lJ7 Dieser Abschluß der ausgeführten Apologetik entspricht in jeder Hinsicht dem ihrer Grundlegung. Sie führte den Begriff der Menschheitsreligion ein als einen "Hilfsbegrifr', anhand dessen das ihn sprengende Christentum mit den anderen Religionen verglichen wird,138 der aber doch der "maßgebende" Begriff religiöser Wirklichkeit ist, an dem sich auch das Christentum "als Verwirklichung oder als Verkümmerung ihres Wesens" messen lassen muß. 139 134 Zitate DfJl.S. (1905) 204 (lxide § 228). 135 Für dcn Paragraphen über den neuen Bund als Erfüllung des allcn (a.a.O. 2021§ 2271) findei zwar die aillestamemliche Geschichle mit der Erhöhung Jesu ,.ihren Abschluß und die vorausdeutende Weissagung an seiner Erhöhung zum Herrn des Gonesreiches ihre das Ende verbürgende Erfüllung". Doch immerhin wird hier mit einem Ende noch über die Erhöhung Jesu hinaus, so zu sagen: nach Himmelfahn. gerechnei. wi~ es auch dem V~rständnis der G~schichl~ Jesu in der VefSÖhnungslehre (s. Exkurs 5. hier S. J 53) entspricht. 136 Zilale a.a.O. 190 (§ 217). Vgl. den Leilsalz a.8.0. § 96. wo vom ..übergeschichIlichen Grund und Gchalt" (a.a.O. 94) des alten wie des neuen Bundes die Rede ist. 137 A.a.O. 214 (§ 241). J 38 Zilal a.a.O. 83 im Leitsatz (§ 80) zu der der Grundlegung VOrllusgeschickten EinleilUng in die Apologelik: a.8.0. 85 (§ 84) zur Überschreitung des Religionsbegriffs durch das Christentum. 139 Zitate a.a.O. 107 (Überschrift des die Grundlegung beschließenden § I 13) bzw. a.a.O. 108.
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b) Begriff und Wesen der Religion. Dies gibt nun Anlaß zu einer weitergehenden Überlegung: Die soeben zitierten Sätze sprechen explizit aus, daß der Allgemeinbegriff der Religion als Menschheitsreligion nicht leer ist, sondern das Wesen der Religion enthält, das ohne ihn blind wäre. Begriff und Wesen der Religion sind also nicht voneinander zu trennen; und wenn das Christentum zur Menschheitsreligion bestimmt ist, wenn es das Wesen religiöser Wirklichkeit verwirklichen soll, dann muß es diesen Begriff der Religion verwirklichen. Der Begriff ist also zwar vom christlichen Standpunkt aus geprägt, jedoch "behufs der Vergleichung mit andem entsprechenden Lebenserscheinungen"; er hat also eine das Christentum überschreitende Reichweite, und in dieser Funktion auch geschieht es, daß das Christentum sich ihm "unterstellen kann", 140 weil er das Wesen der Religion enthält, welches das Christentum zu verwirklichen beansprucht. D.h. der Begriff der Menschheitsreligion gibt Möglichkeiten an die Hand, auch in anderen Religionen als dem Christentum das Wesen der Religion verwirklicht zu denken, weil er selbst dieses Wesen enthält. M.a.W. das Wesen der Religion, wie es im Begriff der Menschheitsreligion enthalten ist, ist nicht kongruent mit dem Wesen des Christentums, so gewiß nur an ihm dieser Begriff gewonnen werden kann. Was aber ist das Wesen des Christentums? Man mag zunächst überrascht sein. festzustellen, daß gerade der Soterologe Kähler, der zufolge K. Barth als einziger neuerer evangelischer Theologe den articulus stantis et cadentis ecclesiae ins Zentrum seiner Dogmatik stellt,141 als "das Wesentliche" des Christentums, "wodurch es sich von an dem Religionen unterscheidet". nicht die Rechtfertigung durch Christus anführt, sondern das Übergeschichtliche! 142 Dies entspricht aber durchaus der Christlichen Apologetik, die ausweislich ihrer Grundlegung das "Wesen des Christentumes vom Standpunkte des RechtfertigungsGlaubens aus betmchtel,·143 und dabei, wie wir sahen, zur Menschheilsreligion als dem AllgemeinbegriffderReligion geführt wird. Beide Auskünfte - das Übergeschichtliche und die Menschheilsreligion als Wesen des Christentums - widersprechen sich keineswegs, sondern decken sich vielmehr, da die Menschheilsreligion als Übergeschichtliches zu verslehen ist,l44 wie 140 ZitaTe a.4.0. 85 (§ 84). FUr Kähler .,beslehl dagegen vom chrisllichen Slaodpunkl aus kein Bedenkeo" (ebd.). 141 Vgl. Karl BARm. Die Kirchliche Dogmalik lVII, ZollikonlZürich 1953.582. Es bestehl kein Anlaß, mil der Kählerkritik von FOIIRER (1993) 49 die SOlerologische Einheil von Person und Werk Chrisli bei Kühler gegen die Rechlfenigungslchre auszuspielen. 142 Zilalc KÄHLER (1905) 64 (I 63.2). 143 Überschrift zur Grundlegung der Chrisllichen Apologelik l1.a.O. 88. 144 Zum ÜbergeschichIlichen s. bei S. 157 Anm. 105.
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es ihre bisherigen Charak:terisierungen als einer Größe, auf die das Christentum, wie auch das Judentum. noch zugeht. ohnehin nahelegten. Es ergäbe sich dann, daß das Christentum sein Wesen nicht in sich hat. so wie es ja auch nicht die Menschheitsreligion ist. Vielmehr stteckt es sich auf beides aus als auf Gottes "große Verheißung". 145 Dies hätte Konsequenzen für die Wahrnehmung des Judentums. Das geschichtliche Verhältnis zwischen Judentum und Christentum - z.B. die Übernahme des jüdischen Geschichtsverständnisses ins Christentum - würde dann für beide Seiten jeweils bezogen auf ein Verhältnis zur Menschheitsreligion als zum Übergeschichtlichen, ein Verhältnis, das seinerseits geschichtlich wäre und das auf jeder der beiden Seiten sehr unterschiedlich aussehen könnte. Deswegen kann das Christentum im Begriff einer übergeschichtlichen Menschheitsreligion zwar denken, daß auch etwa das Judentum das Wesen des Religiösen erfüllen kann; eine Anschauung davon kann es aber immer nur für die eigene Religion haben. Dies dürfte erklären, warum Kähler nur für das Christentum die Bestimmung zur Menschheitsreligion beansprucht. Er kann freilich ähnliche Ansprüche anderer Religionen ebensowenig erheben wie abweisen; sie sind ihm vielmehr als deren jewei~ liger Tradition angehörig nicht nachvollziehbar. l46 Er kann sie daher nur hören im Gespräch über die Ausrichtung auf dieselbe Ewigkeit, in diesem Gespräch hört er sie jedoch als Gegenstimme. Anders gesagt: Christentum und Judentum haben eine gemeinsame. doch nicht die gleiche Zukunftshoffnung. Kählers Konzept der Menschheitsreligion läßt sich so weiterführen zu einer eschatologischen Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und Christentum, die auf einen konstitutiven, jedoch konstitutiv antagonistischen Dialog hinausläuft. Kähler nennt in der "Wissenschaft" zwei Arten, wie das Christentum zur MenschheilSreligion ,.wird", und beide sind mit einer derartigen Verhältnisbestimmung kompatibel. Einerseits nennt er die Anlagenenlfaltung. die sich auch schon bei der Analyse seines Eschatologiekonzepts im ganzen als von der Ewigkeit gesteuert erwies,147 andererseits die Mission, die ebenfalls schon in Kählers frühem Vonrag ein145 DERS. [18671 (1913) 194. 146 Zu diesem Problem vgl. RATSCIIOW (1979) 127 (11lese): . .Der Absolutheilsanspruch der Religionen ist daher filr die eigene Religion unabweisbar. fLir jede fremde Religion nicht nachvollziehbar." 147 KÄIlLER (1905) entfaltet die ganze Theologische Amhropologie als Theorie von den AnJagen zur Religion (I. Stück; v.a. 3.a.0. § 123) und zur Siulichkeit (2. Slück; v.a. a.a.O. § 146). vgl. besonders a.a.O. 114 (§ 118) zum Begriff der Anlage als eines Untergeschichtlichen. Vgl. DERS. [18671(1913) 180 und s. bei S. 138 Anm. 14.
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schlägig war. Diese Entsprechung legt nahe, auch die Mission nicht als Kulturleistung im Sinne einer "Ausbreitung des Christentums" zu verstehen, in der eine Linie, auf die das Christentum die Menschheit gesetzt hätte, nur noch auszuziehen wäre, sondern, solche Linien im Gegenteil durchkreuzend, als das Bekenntnis zu Gottes "großer Verheißung" einer Menschheitsreligion, die mit keiner positiven Religion gleich- oder auch nur auf eine Linie gesetzt werden kann. Kählers ausführliche Beschäftigung mit dem Missionsgedanken weist gegen zeitgenössische Bestrebungen aus149 drücklich in diese Richtung. Man kann von einer eschatologischen Dialogik des jüdisch-christlichen Verhältnisses sprechen. Nun läßt sich allerdings gegen diese ganze unter b) aufgeführte Gedankenreihe einwenden, daß sie auf einer falschen Voraussetzung beruhe, nämlich der Vereinerleiung von Begriff und Wesen der Religion, was für Kähler selbst der "idealistische Grundirrtum, nämlich die Verwechselung des abstrahierten Gauungsbegiffes mit einer Wesenserkenntnis" ,150 ist. Tatsächlich ist Kähler in diesem Sinne bleibende Verhaftung an den Idealismus vorgehalten worden. Gerade die Christliche Apologetik ist dafür kritisiert worden, daß sie mit der Rede von einer Anlage zur Sittlichkeit und Religion eine Allgemeingültigkeit beanspruche, die doch von Kählers Konzept aus erst eschatologisch möglich sei, kurz: daß der Begriff der Anlage ein abstrahierter Allgemeinbegriff sei, dem nachträglich jeder Inhalt beigelegt werden könne. 1St
n
148 KÄHLeR (1905) 205 (§ 230. also in der Konsequenz der 228f. über die Menschheitsreligion und die Jmpcrfelaibililä! des Christentums; s. bei S. 162 Anm. 127 und S. 164 Anm. 134) spricht sehr enthusiastisch von einem ,.Erobenmgszug durch die MenSChheitsgeschichte"; auch a.II.O. § 107 redet von der Sache der Mission ohne ihren Begriff. Vgl. DERS.[18671 (1913) 192 und s. bei S. 142 Anm. 30. 14950 sagt KÄIlLER (1908) 347 zur Propaganda: ..Man breitel eben nur das Eigene aus". Anders die Mission a.a.O. 365: •.slau der wissenschaftlich erweisbaren Absolutl\cit des Christeniums steht UllS hinler seinem Anspruch der bestimmte Wille des persönlichen Gones. dessen unantastbare Majestät unsere lieilsgewißheil trägt. r... 1 Das ist der Grund der Missionspnicht. und damit eben die Berechtigung des Chrislentums zur Mission:' 150 OcHS. (1905) 63 (§ 62). 151 W1RscmNG (1963) kann seinen Haupteinwand des metaphysischen Kausalismlls (s. 5. 158 Anm. 110) traditionsgeschichtlich als Kählers ..liIdealistische Denktechnik" (Überschrifl a.a.O. 77) bezeichnen, die gegen den Idealismus .•Wesensschau" erstrebt. aber dafUr doch zuletzt den Begriff. die Kategorie einsetZl (a.8.0. 79f.). - Und GOu. (1991) zeigt zwar überzeugend. daß KähJers Gedanke des Überge.schichtlichen ein eigenes wissenschaftstheoretisches Konzept theologischer AlIg~meingUltigkeit darstellt. die nur eschatologisch in der über Ostern und liimmeJfahn hinausreichenden Wirksamkeit Christi und in der Erwartung .seiner Parusie Bestand hai (vg1. a.a.O. 30.63.97.126 zur eschatologischen und 8.a.0. 23.51.131 zur Chrislusgebundcnheil der AJlgemein. heit); er deutel aber 3.a.0. 77.88.209 weder den Gedanken einer einheitlichen Menschheit noch den der sittlichen Weltordnung noch den der Anlage im eschatologischen Sinne. vennutel an letz·
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Nach den bisherigen Überlegungen ist dagegen jedoch einzuwenden, daß der Allgemeinbegriff im Sinne Kählers kein freigewählter Ausgangspunkt ist, dem gegenüber die inhaltliche Bestimmung nachträglich wäre. Vielmehr hat das Konzept der Menschheitsreligion den Rang eines eschatologischen Begriffs. l52 Dasselbe war bereits für Kählers Vorstellung einer sittlichen Weltordnung festzustellen. 15) Diese Begriffe, für die sich weitere Beispiele finden ließen, sind daher auch mitnichten abstrakt und vom Christentum abstrahiert. sondern im Gegenteil mit ihm konkretisiert: So macht Kähler in Anlehnung an vier der Hoheitstitel lesu vier Momente am Wesen des Christentums namhaft, die in der Prägung des Allgemeinbe~ griffs der Menschheitsreligion wiederkehren. l54 Die Kon~kretion der Menschheitsreligion durch das Christentum ist hier freilich wörtlich gemeint: Erst eschatologisch kommt es zwischen Christentum und Menschheitsreligion zum Zusammen~wachsen (con-crescere).l.'i.'i Die Hoffnung auf dieses eschatologische Zusammenwachsen ennöglicht dem Christentum auch das Gespräch mit dem ludenturn als einem anderen Traditionsstamm von Hoffnung auf die Menschheitsreligion, denn die gemeinsame Verankerung besteht. um im Bild zu bleiben. eher in der Krone als in der Wurzel des Baumes. 156 Die systematische Folgerung aus Kählers Eschatologie für die Frage nach dem Verhältnis zum ludentum besteht also darin, die christlich-theologischen Begriffe eschatologisch zu konturieren. Dies sei im folgenden an einigen weiteren Theologumena durchgeführt. 2. Alttestamentliche Konkretion der Eschatologie. Der vorige Punkt dieses Unterabschnittes führte am Beispiel der Menschheitsreligion auf das lerer Stelle vielmehr Abslraktbegriffe wie Wirsching. - Bereits HEJl.MANN (1917) 17 krilisien Kählers Begriff der religiös-sitllichen Anlage und forden im Sinne der Lutherren3issaoce. ihn auf dem Gewissenskonzcpt zu fundieren. L52 So rur Kähler Ill. W. bislang nur der HernmnnschUler H. PFrRAN (1931) 122: ..Von größter Bedeutung rur das geschichtliche Verständnis dcr MenschheilsbcdeulUng Jesu iSI ihm aber namentlich l... 1 die Eschatologie". Freilich habe Kähler die Geschichle Jesu nach Oslcrn nicht mehr als echte Offenbarung verstanden (a.a.O. 179). 153 S. bei S. 151 Anm. 73. Ähnlichcs gill rur die sitllich-religiöse Anlage (s. S. 140 Anm. 21). obwohl sie selbsl- im Ul1Ierschied zu dem. womuf sie angelegt iSI- ein Untcrgcschichtliches ist. 154 Vgl. KÄHLER (1905) § 113a.b.c.d mit a.a.O. §§ 96--98 (Messias) bzw. 3.R.0. §§ 99-101 (Gouessohn) bzw. a.a.O. §§ 105-107 (Menschensohn) bzw. a.3.0. §§ 102-104 (Gekreuzigter). 155 Prägnanl iSI ein Passus der Ahcrsvorlesung zur Esch:uologie (DERS. 119111 101): •.Als geschichtliche Größe iSI dcr irdische Jesus panikular. - gebunden an Israel -. schickt seine Jünger nicht weiler als zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel; als der erhöhle Heiland iSI er Hlr alle da. - und dieser Universalismus prägl sich nun darin aus. dl1ß er keine Ofgllnisiene Massenbewegung einrichtet. keine geschichtliche Kulturnrbeit an IsraelIreib( und andere Völker dem angliedert. - sondern unaufhörlich mil jedem Einzelnen in Beziehung lriu. Seine Grundbeziehung ist nkhl die zu Israel. sondern zu den Menschen." 156 S. zum Vergleich S. 216 Anm. 103.
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IV. Martin Kählers messianisch-solerologische Eschatologie
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Desiderat eines eschatologischen Verständnisses theologischer Begriffe. Wie dies aussehen könnte, soll im vorliegenden Punkt an einem weiteren Thema erörtert werden, das für Kählers Sicht auf das Judentum wichtig ist, nämlich seiner Einschätzung des Alten Testaments. a) Eschatologischer Begriff des Selbstbewußtseifls Jes". Dieses Thema ist nicht nur deshalb einschlägig, weil "Die Bibelfrage" neben der Versöhnungslehre das andere große Thema von Kählers theologischem Schaffen ist. Zugleich war das Alte Testament zur Zeit des Vortrags über "Jesus und das Alle Testament" auch Gegenstand kirchlicher und theologischer Kontroversen, deren Thema dem des unmittelbar vorausgegangenen Apostolikumsstreits ähnelte: Durch die Fragen, welche die inzwischen universitär etablierte historische Kritik aufwarf, schien der feste Boden einer geschichtlichen Grundlage der Theologie, hier des Alten Testaments, ins Wanken geraten zu sein. Damit ist die theologiehistorische Stellung des Vortrags bezeichnet, die Kähler sofort zu Beginn bezieht, wenn er als sein Ziel, ja theologisches Lebensziel angibt: "Ich will ein zuversichtliches Verhältnis zu meiner Bibel gewinnen", "ohne wegen der Entdeckungen, Zweifel und Beweise geschichtlicher Forschung in fortwährender Besorgnis zu sein". Trotz dieser deutlichen Parteinahme wäre allerdings der argumentati. ve Spannungsbogen von Kählers Vortrag kaum erfaßt. wenn man ihn als Versuch verstünde, der Theologie ein windstilles Plätzchen zu sichern, an dem sie sich ungerührt von den Slürmen der Geschichtswissenschaft entfalten könnte. Vielmehr wie es die Ergebnisse geschichtlicher Forschung sind, von denen Kähler angestoßen wird. so zieh er selbst auf "das Grundproblem des geschichtlichen Christemums". t57 Er hebt also selbst die Geschichte als das Interesse hervor, welches ihn mit der kritischen Forschung verbindet. Von besonderem Gewicht ist deswegen der I. Abschnitt des Vortrags. der "Das geschichtliche Verhältnis im ganzen" darstellt. 158 Kähler selbst nennt die These, welche den Abschnitt über "Die geschichtliche Aus157 Zitate KÄIILCR [18961 (1965) 20.21.21 (zu These I): vgl. 8.a.0. 18 über die ..kirchlichcn Klimpfc" um das Altc Testament. Eine Trennung zwischen kritischcm und theologischem Ge· schichtsbegriff hieße "Dogmatiker" und "ChriSl"' (3.3.0. 21). hieße Theologie und Glauben auseinandemißen und wlire weder im Sinne Klihlers (s. bei S. 161 Amn. 121) noch der kritischen Geschichtswissenschaft. die mehr ist als bloße Faktenerhcbung. Beide erheben einen noml:uivcn Anspruch. 158 Der 3. Abschnitt zieht daraus ..Folgerungen ftir unsere Stellung zur Bibel", die als unmittelbare Wahrnehmung des Allcn Testaments flir unsere Fragestellung ebenfalls von Belang sind, während der 2. Abschniu die Ergebnisse durch ,Jesu Unfehlbarkeit und seine Benutzung der ahle· stamcntlichcn Schrift.. illustriert, was dem im vorliegenden Abschniu unserer Untersuchung verfolgten Ansatz bei der geschichtlichen Seite weniger entspricht (vgl. die Übersicht Uber die Thesen 3.0.0. 13-17).
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Zweiter Teil
prägung" des Verhältnisses von Jesus und dem Alten Testament einleitet, "das Ganze meiner grundlegenden Ausführung", was die folgenden Thesen 159 desselben Abschnitts noch begründen. Kähler entwickelt hier einen Begriff von Geschichte in impliziter Aus· einanderselzung mit dem der kritischen Geschichtswissenschaft. Sein Begriff soll nun rekonstruiert werden. Er deckt sich mit dem geschichtswissenschafllichen nicht, nimmt aber denselben Ausgangspunkt bei der Fakti· zilät, dem positiven Gegebensein des Geschichtlichen. In diesem Sinne ruft Kähler bei der Erläuterung seiner These 4 aus: "Das ist eine geschichtJiche Tatsache ersten Ranges", daß das Alte Testament im abendländischen Denken eine nicht weg zu diskutierende Wirkung gehabt hal. l60 Freilich geht es Kähler über diese Feststellung hinaus um die Prüfung der Gründe für ihre Geltung. Er antwortet darauf zunächst (in These 5), die epochemachende Bedeutung des Alten Testaments rühre daher, daß Jesus selbst in einem "mit seinem inneren Leben verwachsenen" Verhältnis der Treue zum Alten Testament gestanden habe. 161 Er weiß aber, daß er damit nur erklärt, wie "das Alte Testament zur Geltung gekommen" ist, und fragt daher weiter nach dem "Sachgrund" der Geltung, dem dann die Thesen 6 und 7 gewidmet sind: "Ist das Zufall, ist das nur eine Abhängigkeit Jesu von geschichtlichen Verhältnissen, die keine Bedeutung hat, oder hat es einen inneren Zusammenhang?,,162 Solch ein innerer Zusammenhang läge vor, wenn nicht nur die Wirkungsgeschichte des Alten Testaments auf Jesu Stellung zu diesem fußte, sondern auch diese wiederum im Alten Testament, noch abgesehen von jener Wirkung, wurzelte. Der innere Zusammenhang bestünde dann präzise darin, daß die Thesen 6 und 7 über These 5 auf These 4 zurückgreifen könnten. Und genau dies fühn Kähler aus. Daß Jesus aus dem Alten Testament lebt, wie These 5 festgehalten haue, sagt nämlich nicht nur etwas darüber aus, mit welchen Augen Jesus die heiligen Schriften seines Volkes liest, sondern auch, daß er selbst mit den Augen dieser Schriften gelesen werden muß: Jesus selbst, sein Selbst bewußtsein ist nur aus dem Alten Testament verstehbar, so daß "die alttestamentliche Offenbarung zur wirksamen Voraussetzung seiner inneren Entwicklung geworden ist" (These 6).163 159 Zitale a.a.O. 13 in der Überschrift des fraglichen Abschnins bzw. a.a.O. 31 (zu These 4); zu den Thesen 5-8 vgl. den Überblick a.a.O. 32. 160 A.a.O. 32 (zu These 4). 161 A.a.O. 33 (zu These 5). 162 Zitate a.a.O. 32.32.34. jeweils als überleitende Bemerkungen zur Gliederung. 163 A.8.0. 35 in der AusfUhrung '" a.8.0. 13 in der Thesenreihe.
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IV. Martin Kählers messianisch-solcrologische Eschatologie
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Mit diesem Gedanken bezieht Kähler implizit Stellung gegen die damals schon jenseits ihres Zenits stehende Leben-Jesu-Forschung. Für sie ist das Alte Testament Voraussetzung für Jesu innere Entwicklung nur als traditionsgeschichtlicher Verstehenshintergrund, vor dem Jesus sich erst aLlmählich bewußt wurde, der im Alten Testament verheißene Messias zu sein. Denn dann wurzelt Jesu Stellung zum Alten Testament in seiner Messianität und nicht, wie für einen "inneren Zusammenhang" erforderlich, im Alten Testament selbst. Kähler lehnt einen deranigen alttestamentlichen Vorbau für Jesu Selbstbewußtsein daher ab mit dem Hinweis, dieses sei "von Anfang an"l64 dasselbe gewesen. Zugleich wendet Kähler sich jedoch gegen W. Hemnann, der ebenfalls gegen die Leben-Jesu-Forschung ein allmähliches Werden des Selbstbewußtseins Jesu bestritten und statt dessen für Jesus eine fertig abgeschlossen gegebene religiöse Persönlichkeit angenommen hatte. die bei denen, die ihm enlgegentreten, zu einer "Überwältigung" führe. 165 Mit dieser Doppelfront bestreitet Kähler sowohl ein unfertiges als auch ein fertiges Selbst bewußtsein Jesu. Statt dessen schreibt er: Jesus ist sich von Anfang an (ich kann es wenigstens in den Evangelien nicht anders finden) bewußt gewesen, nicht bloß fur Israel, ja sogar dem Erfolge nach gar nicht fur Israel, sondern unter Verwerfung Israels fur die Menschheit dazusein. Dieses Bewußtsein hat sich ihm einfach über dem Allen Testamenl erschlossen. Wie es so vor uns liegt und wie es vor Jesus lag. anfangend mit der Schöpfungsgeschichte und ausgehend in die große Prophetie von dem Gericht und der Vollendung. ist es durchaus universalislisch: mitten in der zerklüfteten Völkerwelt kennt es ohne die toten Abstraklionen der Philosophie eine einheitliche Menschheit. eine Menschheit mil einem Ausgang und einem Ziel. Hili
Indem Jesu Selbslbewußtsein hier in eine umfassende Geschichte gestellt wird, beantwortet sich die Frage nach dem Sachgrund für die Gellung. die das Alte Testament durch Jesu Stellung zu ihm in der Menschheitsgeschichte erlangt hat; denn den menschheitlichen Horizont dieser Geltung faßt das Alte Testament mit dem Gedanken einer einheitlichen Menschheit 164 A.a.O. 37. IM Zilllt a.a.O. 39 (zu These 7). Dieselbe Abgrenzung findet sich auch bei KAHLeIt (1892) 55. wo a.a.O. Anm. I ausdrücklich Henmann genannt iSI. 166 DERS./18961 (1965) 37 (zu These 6). Kähler plädien hier H1r eine lectio continua des Allen Testaments. wie sie in der gegenwärtigen Revision christlicher Theologie im Blick auf das Judemum geforden wird (z.B. von FL Hossfeld und E. Zcnger ftlr den Psalter) - allerdings bleibt Kähler bei der christlichen Kanonanordnung mit den Propneten am Schluß als Übergang zum Neuen Testament.
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Zweiter Teil
selbst ins Auge. Der Sachgrund für JesIl Stellung zum Alten Testament isl also dos Alle Testament selbst. und damit ist der innere Zusammenhang erreicht, den These 5 forderte. Damü ist auch kJar. daß Kählers Rede von einer inneren EnlwickJung des Selbst bewußtseins Jesu weder auf sein Verhältnis zum Allen Testament zu beziehen ist wie in der Leben-Jesu-Forschung noch. wie W. Herrmann es in einem Buchtitel ausdrückte. auf Jesu unvergleichlichen "Verkehr mit Gotr' - denn "der innere Haushalt einer unsündlichen Entwicklung ist für uns so unvorstellbar wie das Leben auf den Sandwichinseln für einen Lap. pen"167 _. sondern auf die menschheitliche Geschichte. deren Horizont das Alte TeSlament eröffnet. Jesu Selbstbewußtsein entwickelt sich auch zufolge Kähler, aber nicht "von rückwärts", sondern ..nach vorne" auf den Hori· zont dieser Geschichte zu. Diesen aber steckt nach Kählers Eschatologiebe· griff die Ewigkeit selbst ab. M.a.W. für Kähler ist Jesu Selbstbewußtseill dessen Wissen um die eigene zukünftige Parusie. Das ist Kählcrs eschatologischer Begriff von Selbstbewußtsein Jesu. b) Eschatologischer Begriff des Alten Testaments. Dieser eschatologi· sche Begriff des Selbstbewußtseins Jesu entspricht genau dem Konzept der Geschichl1ichkeit, das Kählers Eschatologieentwurf prägt: die Erstreckung eines historischen Ereignisses auf seine zukünftige Vollendung"" These 7 von Kählers Vortrag zieht die entsprechenden eschatologischen Folgerungen. Jesus fUgt sich demnach in eine .,große geschichtliche Entwicklung, die bis heute reicht. und die er vorwärts und rückwärts beherrscht". Mit Blick auf diese menschheitliche Geschichte kann Kähler die alttestamentlichen Schriften "ein gewachsenes Ganzes" nennen. das er inhaltlich mit "ih· rem letzlen vormessianischen Ergebnis'; gleichsetzt. l69 Dies ist sein es· chatologischer Begriff des Alten Testaments. Er wirkt freilich dadurch doppeigesichtig, daß hier als Ganzes das Vormessianische. also etwas Unabgeschlossenes angegeben wird. Das hat in These 9 des Vortrags zur Folge, daß einerseits die christliche Bedeutung des Alten Testaments auf seine messianische Erwartung, diese aber ande· rerseits nicht auf den Charakter einer Vorstufe zum Christentum festgelegt wird. M.a.W. das Alte Testament hat nach Kählcr für das Christentum nur 167 KAuLa. (189611) 53: nichl abgedNCkl in der Ausgabe VOll E. Wolf (CERS. (1892) (1956». 168 O€RS. (1896) (1965) 46 nennt mit Bezug auf H. v. Trcil.sc:hke als Beispjcl einer gC5Chichllichen Auffassung ..im großen Stil" die Beziehung aller Einzcldalcn der deutschen Geschichte auf die Reichsgriindung 1871, was UNK (1975) 175 Anm. 146 scharf kritisicn. Jedoch verSIeht Kihlcr dieses Beispiel nichl eschalologisch. d.h. die Reichsgrundung wird nichl Dbergeschichllic:h überhöht. sondern soll nur das Konzepl der Gcsc:hic:htlichkeil als sokhc.s erläutern. 169 ZilalC KÄIIID 11896) (1965) 41.42.42 (alle zu These 7; Hervorhcbungt:n aufgehoben).
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IV. Martin Kählers messianisch-soterologische Eschutologie
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als Eröffnung eines eschatologischen Horizonts Gewicht, als solche aber hat es auch bleibendes Gewicht. Daraus ergibt sich einerseits, daß KähJer eine christliche Bedeutung des Alten Testaments in nichtmessianischer Auffassung abweist. Dazu zählt er das Verständnis des Alten Testaments als Rituaigesetz,I10 aber auch die Re· zeption des Alten Testaments im FTÜhjudenlum. das er als möglichen Interpretationskontext der Person Jesu gegen d.ie zeitgenössische Exegese be· streitet. 17t Andererseits lehnt Kähler es ab, Christus als die ErfliJlung der alttestamentlichen Verheißung zu sehen: Es ist der Bibel gegenüber willkürlich. Jesus in seinen Aeischestagen. den irdischen Christus. ftir den anzusehen. in dem alle Verheißungen Ja sind. Der geschichtliche Christus ist der gepredigte Jesus Christus!"']. Seine Predigt. d.h. die Predigt, deren Inhalt er ist. gehört nach dem Neuen Testament in das alttestamentliche messianische Programm!···t.m
Diese Sätze zielen durch den Verweis sowohl an den gepredigten Christus als auch an den alttestamentlichen Messianismus auf die Parusie Christi. Diese Zukunftshoffnung kann daher für Kähler nur mit "alttestamentlichen Anschauungsfonnen" ausgesagt werden. Jesu "Stellung zur ganzen Menschheit, und zwar rückwärts wie vorwärts, ist unfaßbar, wenn man ihn lediglich zeitgeschichtlich ansieht und schätzt (... ]; das Alte Testament ist unentbehrliches Mittel für ihre KlarstelJung".173 In diesem Satz ist die Klarstellung nicht als Zweck von ihrem alttestamentlichen Minel abzulösen; Jesu Stellung zur Menschheit ist kein Abstraktum. das auch unabhängig von der Konkretion gedacht werden könnte; d.h. die Unentbehrlichkeit des alue· stamentlichen Messianismus ist eine unbedingte. weil sie ebenso eschatologischen Rang hat wie die Parusie Christi selbst. Chrisllls ist eine eschatologische Gestalt nur als der alllestamelllliche Messias, und der altte· sramentliche Messias gewinnt Gesralr ersr als der eschatologische Christus 170 A.a.O. 47f. (zu These 9), die christliche Geselzesfreiheil ist allerdings eingeschränkl ..durch den geprediglen ChrisluS" (a.a.O. 49), so daß a.a.O. 48 auch eine .,chriSlliche Würdigung des Siuliehen in aller Gesetzgebung" in Betracht kommt. 171 [)r,RS. (1892) 39f. polemisien gegen die .jüdische Th~Qlogi~ und ihr~ EschotoJogi~" als Quelle ruf das Verständnis Jesu. die zur selben Zeit J. Weiß epochemachend in den Vordergrund steIlI. Kahkn Losung von ~d~m g~sdichllichm Christus du BilNl" bzw.•.der ganzen Bibel" hat also auch diru SI06richtung gegen das Frilhjudenlum. das O€RS. 118961 (196's) 58f. nur in Fragen. die nicht die Ganzheil des Alten T~amenls belreffen. zum Verständnis Jesu herangezogen wissen will. 172 A.a.O. 75 (These 13. auf die bereits '.'.0. 49 ein Vorverwcis gegeben wurde). 173 Zitale a.•.O. 76. Ein ..Verzteht auf die alltest:amentltehe Verht'iBung" (Überschrift OE 8<X>R /19901 120) ließe sich bei Kähkr nur konstaticren. wenn man diese auf Bibelzilale festkgte.
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Zweiter Teil
der Parusie. Diese heiden Gedanken sind in Kählers eschatologischer Wahrnehmung des Judentums unlösbar verknüpft. So ist das Alte Testa-
ment selbst die Konkretion der Eschatologie, allerdings nicht in dem Sinne. daß dadurch die Zukunftshoffnung für die Gegenwart mehr Gegenständlichkeit und Farbigkeit gewänne, sondern das Alte Testament ist die KOß· krelioß der Parusieerwartung, also in seiner Konkretion selbst zukünftig. Wie Christus in seinem irdischen Auftreten aus dem Alten Testament lebte, mit ihm "verwachsen" war - die Wachsrumsmetapher gebraucht Kähler in seinem Vortrag mehrfach 174 -, so ist auch das Alte Testament gerade in sei· nem "letzten vormessianischen Ergebnis" ein "gewachsenes Ganzes", so daß man sagen kann, die Parusie Christi und der messianische Horizont des Alten Testaments wachsen in der erhofften Zukunft zusammen: das ist im wönlichen Sinne des lateinischen con-crescere die Kon-kretion der christlichen Eschatologie, 175 und das ist Kählers eschatologischer Begriff des Allen Testaments. 3. Zwischenergebnis. Kählers Wahrnehmung des Judentums, die hier am Beispiel seiner Konzeptionen von Menschheitsreligion, SelbstbewuBtsein Jesu und Altem Testament vorgestellt wurde, geschieht jeweils in der Perspektive eschatologischer Begriffe, die den Sachverhalt des Übergeschichtlichen - eine nichtgeschichtliche Größe, die aber in einem geschichtlichen Verhältnis zur Geschichte steht - auf verschiedene Einzelthemen anwenden. Der vorige Punkt dieses Unterabschnitts deutete an, welche Auswirkungen dies auf die Wahrnehmung des Judentums überhaupt hat; ihm wird nämlich eine tragende Bedeutung für das Christentum zugewiesen, sofern es eine messianische Ausrichtung auf das Menschheitliche hat, allerdings auch nur unter dieser Voraussetzung. Diese Wahrnehmung fühn zu einer Einteilung der verschiedenen Gestalten des Judentums; bereits erwähnt wurde. daß halachische Strömungen des Judentums aus Kählers Betrachtung ausscheiden, weil er ihnen keine messianische Ausrichtung zuschreiben kann. Des weiteren ergibt sich, daß eine andere als eschatologische Bedeutung - also etwa eine kulturgeschichtliche - auch für messianische Gestalten von Judentum nicht in Betracht kommt, jedenfalls nicht als theologisch relevant. Andererseits kann Kähler so auch nachbiblischen Gestalten von Judentum ein theologisches Gewicht für das Christentum zuschreiben, wenn sie in messianischer Perspektive gesehen werden können. Damit hat Kähler die Möglichkeit, die Beschränkung der Sicht auf das Judentum als bloß alttestamentliches und 174 KÄI1LER [18961 (1965) 33 (zu These 5) und a.a.O. 42 (zu These 7). 175 Zitate 8.a.0. 42.41 (Hervorhcbungen aufgchoben).
IV. Manin Kählers messianisch-solerologische Eschatologie
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endzeitliches Israel aufzuheben, die die HeilsgeschichlJiche Theologie kennzeichnete. Kählers Wahrnehmung des Judentums ergibl so auf den ersten Blick kein eindeuliges Bild. Die exklusive Annahme einer religiösen, näherhin eschalologischen Bedeutung des Alten Testaments für das Christentum mutet zunächsl wie eine Restriktion des Judentums an; andererseits verhindert sie eine Usurpation jüdischer Traditionselemente durch das Christentum, indern dieses etwa alttestamentliche Texte unmittelbar auf sich bezieht. 176 Gerade hiergegen nämlich macht sich das theologische Gewicht von Kählers ausgearbeitetem Eschatologiekonzept als Rahmen aller theologischen Verhältnisbestimmung von Chrislentum und Judentum bemerkbar: Chrislliche Theologie nimmt nach Kähler das Judentum in eschatologischer Perspektive, also in der Blickrichtung der eigenen, christlichen Zukunftshoffnung wahr, die aber als Horizont alttestamenllicher Geschichte auch die Hoffnung der fremden, jüdischen Tradition ist. So hängt die Art und Weise. wie christliche Theologie auf das Judentum blickt, also daran, inwieweit sie selbst ihren eschatologischen Einsichten folgt. Kähler legt damit das Judentum grundsätzlich nicht auf eine bestimmte, sei es alttestamentliche oder endzeitliche, sei es messianische oder eine andere Gestalt fest, sondern macht die Einschätzung des Judentums jeweils von einem eigenen Akt der Urteilsbildung christlicher Theologie abhängig. Es zeigt sich auch hier, daß christliche Theologie ihre Stellung zum Judentum nur durch eine kritische Klärung ihrer eigenen Argumentation gewinnen kann. 177 Dies zeigt deutlich ein geschichlseschatologischer Aufsatz von 1906, in dem Kähler im Anschluß an seine grundlegende "Geschichtsanschauung" den ..Gang der Menschheit" als deren Verifikalion rekonstruieren will. Die Geschichtsanschauung deckt sich mit dem nun schon bekannten Es· chalologiekonzepl. Es wird hier so begründet, daß der Zusammenhang der Menschheilsgeschichte zwar nicht von ihrem Anfang aus zu gewinnen sei. denn dieser liege im vorgeschichtlichen Dunkel, aber eben von ihrem Ziel her: der "Einheitshoffnung", d.h. der Hoffnung auf eine geeinle Menschheit, welche die letzten Worte des Textes als Christi Wiederkunft identifizieren. Da mit diesen Worten zugleich Kählers Aufsalzsammlung endet, handelt es sich hier um so etwas wie sein Iheologisches Vermächtnis. 178 176 Dies iSI die Gefahr z.O. der altonhodoxen christologischen dicta probanlia. 171 Das entspricht unseren melhodischen Grundentscheidungen (s. bei S. 20 Anm. 26). 178 Zilale KÄHLER 119061 (1913) 198.200: zur Parusie a.a.O. 212. Der erste Abschnin (a.a.O. 196-200) emfaltel die •.GeschichlSanschauung'· als Grundlegung, wozu der Z\l..e i,e Abschnin (a.a.O. 200-208) die AusftJhrung und der drille (a.a.O. 208-212) das Resiimee bietet.
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Zweiter Teil
Die Menschheitsgeschichte sieht Kähler sodann in "drei Epochen" gegliedert, die vom Ende der babylonischen Gefangenschaft, also dem Aufkommen des historischen Judentums, bis zur Etablierung der christlichen Staatskirche, von dort bis zur Reformation und von dort bis zur Gegenwart reichen. 179 Wichtiger als die historische Triftigkeit dieser EpocheneinleiJung ist die Frage, wie Kähler sie begründet. Und hier nennt Kähler als Motiv, das den Gang der Menschheit antreibt, die Mission. Explizit geschieht dies freilich nur in dem Satz: "Deshalb ist die dritte Erscheinung der werdenden Einheit die kirchliche Mission." Die damit vorausgesetzte erste und zweite Erscheinung dieser Einheit werden nicht ausdrücklich als solche bezeichnet, sie sind aber in der Beschreibung der Grenze von erster zu zweiter Epoche erkennbar in Gestalt der "christlichen Mission", die in dem einen Fall auf das Judentum folgt und in dem anderen als "kirchliche Cultunnission" die Antike durch das Mittelaller ablöst: ISO Wie aus der Puppe des Judenvolkes der Falter der chrisLlichen Mission aufflog. so niegt derselbe Faller nun aus dem verwesenden Leichnam der Antike hinüber zu den herandrängenden Gennanen und Slaven. Die kirchliche Cultunnission vollzieht sich während des folgenden Jahrtausends in nördlicher Richtung. lll
Die christliche Mission setzt dabei zufolge Kähler die Einheit der Menschheit als von Gottes Ewigkeit motivierte gegen verschiedene Kräfte durch, so besonders gegen die beiden einseitigen Abstraktionen der Einheit in den theoretischen. vom Bezug auf den Menschen gelösten Monotheismus des Islam einerseits und in die ..anthropocentrische", von Gott gelöste "Conventikelreligion" des Buddhismus andererseits; sodann gegen eine bloß formale goltgegebene Einheit des Menschlichen wie im starren Hierarchiedenken des römischen Katholizismus. 182 Die stärkste Front, welche die christliche Mission als von Gottes ewiger Zukunft begründeter Fortschritt im Gang der Menschheit zu durchbrechen hat, sieht Kähler allerdings in folgendem: Vollends die befremdliche Gestalt des internationalen Nationalismus. das zähe Volkstum ohne Vaterland und Muttersprache. das seit der römischen Kaiserzeit als 179 A.3.0. 201. ISO Zitale a.a.O. 208 rur die dritte bzw. a.3.0. 203 rur die z.weite und erste Epoche. 181 Ebd. 182 Gegen den Islam als "Karrikalur (siel] des vorjüdischen Israel" a.3.0. 204: gegen den Buddhismus a.3.0. 202: gegen den römischen Katholizismus 8.a.0. 212. Zum Buddhismus vgl.
OERS. (1905) 185 (§ 212).
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IV. Martin Kählers messianisch-soterologische Eschalologie
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solches anerkannte "Element der Decomposition" lsic!], der ewige Jude. das Gespenst des messianischen VoLkes, seit es seinen Messias verworfen hat. Die goldene Internationale mit ihrer Weltpolitik im Dienste des Mammonismus, mit ihrem gonlosen Rassenegoismus. mit ihrer Ausnützung eines abstracten Humanitarismus und imaginären Kosmopolitismus, hält das lell.le und schwerste Problem auf dem Wege zur Einheit der Menschheit vor Augen und prägt es damit ein (Eph 2; Röm 9-1 I)."J
Diese Tirade ist unverkennbar auf das Judentum der nachbiblischen Zeit bis zu Kählers Gegenwart bezogen, und es rallt nicht schwer, verschiedenste Schemata des landläufigen Antisemitismus bis in die Formulierungen hinein nachzuweisen: so die Ahasverlegende, die theoretisch auf der substitutionstheologischen Annahme der Enterbung Israels infolge der Verwerfung Christi beruht;l84 so die Behauptung vom jüdischen "Weltkapital" (verbunden mit dem Vorurteil jüdischer Geldgier), welche die bis weit in die Zeit der Emanzipation wirksamen ökonomischen Restriktionen an das gewerbetreibende Judentum, also dessen Abdrängung vom zünftigen Handwerk in den Handel. mit einem Nationalcharakter verwechselt; 185 einhergehend da· mit die Verquickung von jüdischer Diasporaexistenz mit der sozialistischen Internationale, gegen die Kähler sich kurz vor diesem Zitat eigens abgegrenzt hatte: eine Zuschreibungsfigur, die als Vorwurf einer angeblichen jüdischen Wehverschwörung bekannt ist. 186 Theologische Varianten solcher Wahrnehmungen sind in dem Absatz ebenfalls enthalten, Über den Grund für diese gegenüber Kählers sonstiger Wahrnehmung des Judentums auffallende Verschiebung läßt sich nicht in einem Satz Aufschluß geben; es rallt jedoch auf. daß in dem fraglichen Passus das Judentum als Hindernis der christlichen Mission geschildert wird, die in den vorigen Zitaten z.T. ausdrücklich als Kulturleistung (..kirchliche Cultunnissi[83 DERS. 119061 (1913) 208. Die Passage hat gewisse Entsprechungen in einem Abschniu von KähJers später EschalOlogievorJesung (DERS. 119111 67--69). wo das Verhälmis Israels zur "vollkommenen Offenbarung" (gemeint: lesu irdisches Auftrelen) behandelt wird: vg!. daneben
(1913) 426-428. 184 KähJer spricht in dem genannten Zitat (DERS, [19061 [19131 208) vom "ewigen Juden·'.
DERS.
Mit der Rede vom ,,Elemenl der Decomposition" zilien Kähler ungenau Theodor MOMMSEN, Römische Geschichte, Ber[in 91902/04. 11I,550. der das antike Judentum ein "wirksames ~rmenl des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition" im römischen Reich nannte. Ungenaue b7.w. kontelttfremde Zitalion dieses Diclums. zunächst durch H. v. Treilschke, löste den sog. Berliner Antiscmitismusstreil aus, in dem. wie HOFFMANN (1988) 98-103 zeigt. verschiedene Abwandlungen des MommscnziulIS Hir antisemitische Zwecke herangezogen wurden, so die Variante als •.Elemenl" von A. Stoecker im preußischen Abgeordnetenhaus. 185 KÄHLER 119061 (1913) 208 spricht von Mammonismus. 186 Kahler ebd. gebraucht die Ternlini "imaginfircr Kosmopolitismus" und Weltpolitik. Wichligsles Beispiel des Stereotyps der Wehverschwörung ist die um 1914 in Rußlarxl enlst:mdene antiscmilische Erfindung angeblicher ,.Protokolle der Weisen vom Zion",
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Zwciler Teil
on") aufgefaßt wurde - im Gegensatz zu Kählers sonstiger Auffassung von Mission, die bei ihm den Status eines eschatologischen Begriffs von Bel87 kenntnis zum Übergeschichtlichen hat. Sollte diese Dimension im vorliegenden Text tatsächlich ausfallen, so müßte sich der Begriff der Mission auf geschichtliche Gegebenheiten beschränken, und in diesem Fall böten Judentum und Christentum ein ausschließendes Gegenüber. dem die jeweilige Ausrichtung auf eine übergeschichtliehe Zukunft fehlte. Dies könnte den Wechsel zu einer schroffen Negativwertung des Judentums erklären. Diesem Problem ist im folgenden weiter nachzugehen.
2. Erhebung von Wahmehmungsschemala Kählers Eschatologiekonzept ist durch das Verfahren einer eschatologischen Begriffsbildung charakterisiert, das die Ewigkeit als Grund und zugleich Grenze geschichtlicher Entwicklungsverhältnisse versteht. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf gängige Schemata von Wahrnehmung des IU Judentums. So lös( er z.B. die lineare Zuordnung von Verheißung und Erfüllung auf und einhergehend damil lineare Zeitversländnisse. All dies kommt in der Abgrenzung gegen die zeitgenössische liberale Progreßeschatologie deutlich zum Ausdruck. Es is( daher um so überraschender, daß Kähler sein Eschatologieversländnis häufig mit Bildern verdeutlichen kann, die der Naturbeobachtung entlehnt sind und Wachstumsprozesse darstellen (wie fluß und Meer, Keim und Frucht, Puppe und Schmetterling). Daß Kähler diese Bilder oft paarweise gebraucht, läßt noch stärker an die polaren Wahmehmungsschemata denken. Im Sinne des hier befolgten methodischen Umgangs mit dem Problem der Wahmehmungsschemata l89 ist daher zu fragen. wie Kähler diese Bilder in seiner Argumentation verwendet. Dabei ist einerseits zu fragen. welcher mögliche Referenzgegenstand mit den jeweiligen Metaphern bezeichnet ist, und andererseits. welcher argumentative Gehalt sich mit dem Gebrauch der Bildpaare verbindet. Bezeichnet man in lockerer Anlehnung an G. Frege erstere Dimension als Bedeutung der Metapher und letztere als ihren Sinn,l90 so zeitigt der Überblick über Kählers eschatologischen Metapherngebrauch ein interessantes Ergebnis: 187 S. bei S. 167 Anm. 149. 188 S. z.B. Kap. IV.I.2. hier S. 168--114 zur a1nc:starnentlichen Konkrecion der Esclwologic. 189 S. Kap. 1.2. hier S. 2Jf. 190 Vgl. Gottlob FREGE. Funktion, Begriff. BcdcUlung_ Fünf Iogi.sche SlUdicn 118921. hg.v. Günler PalZig, Göl:tingen 1962 (KVR 144/14.5).
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IV. Martin Kählers messiunisch·solerologische Eschulologie
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Die Metaphern, die Kähler verwendet, sind im bildungsbürgerlichen Sprachgebrauch großenteils konventionalisiert, teils stehende Wendungen für die Ewigkeit: so das Bild des Meeres, das ihre Unbeweglichkeit und Unfaßbarkeit ausdrückt; so die Rede vom Schmetterling. seit der Antike Symbol der unsterblichen Seele. Dennoch gelingt es Kähler. diesen beinahe abgenutzten Melaphern durch die paarweise Verwendung und im Kontext seiner eschatologischen Argumentation einen Sinn abzugewinnen, der solch traditionellem Verständnis gerade zuwiderläuft. Denn in den hier betrachteten Texten werden, wie sogleich an einigen Beispielen zu zeigen ist, die genannten Bildpaare SIels zur Brechung der Wachsrumsvorslellung und damit des Progreßgedankens eingesetzt - ganz im Sinne von Kählers Eschatologiekonzept im ganzen. Kählers eschatologischer Metapherngebrauch bürstet somit, ähnlich seinem Verfahren eschatologischer Begriffsbildung}91 die vorgegebene und im Falle der Metaphern scheinbar zum Traditionalismus erstarrte Begriffsgeschichte gegen den Strich und erblickt in ihr so einen neuen Sinn. - Was hingegen die Bedeulung der Metaphern angeht, so ist das Ergebnis weniger klar, weil mit dem eschatologischen Sinn der Metapher bald auf die Ewigkeit selbst referiert wird, bald auf das Christentum; und diese Diskrepanz ist nun gerade für die Frage aufschlußreich. wie Kählers Metapherngebrauch mit seiner Wahrnehmung des Judenlums zusammenhängt. In der Bedeutung der eschatologischen Metaphern als bald Ewigkeit, bald Christentum spiegelt sich ja die Unterscheidung der Menschheirsreligion von der positiven Religion (auch der positiven Religion Christentum), also jene Unterscheidung. die Kählers Pointe bei der Frage nach der Wahrnehmung des Judentums ausmacht 192 Wie fein diese Pointe und wie zart jener Unterschied ist, zeigt sich auch bei der Analyse von Kählers Metaphorik. die eben diese Finessen umspielt. I. Fluß und Meer. In Kählers grundlegendem Eschatologievonrag von 1867 etwa erfahren die den ganzen Text durchziehenden Metaphern "Fluß" und .. Meer" einige Nuancierungen, die exakt den Gedankengang des Vortrags wiedergeben: Stets bedeuten beide Fortschritt bzw. Ewigkeit; doch während sie als Gegensatz eingeführt werden (wie der antithetische Aufsatztitel es auch nahelegt). wird die Metaphorik bald durch das Bild der Mündung erweitert. die eine Verbindung beider als Überfließen des Fortschritts in die Ewigkeit suggeriert. Als Quelle dieses Überflusses erweist sich jedoch dessen Ziel, also das Meer, wenn zuletzt in einer Inclusio mit dem Begriffspaar vom Anfang das Meer hervorgehoben wird. in dem kein 191 S. bei S. 168 Anm. 152(. zur Mcnschhc:ilmligion und zur Wc:llordnung. 192 S. Kap. IV.1.2, hic:t" S. 159-168.
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Zweiler Teil
"Tröpnein" - d.h. doch wohl: des speisenden Flusses - verloren iSl. 193 Sinn der gesamten Metaphorik ist also von diesem Ende her. die Ewigkeit als l94 Grund des Fortschritts zu markieren. 2. Sirah/ und Sonne. In demselben Sinne gebraucht KähJer in diesem Vortrag auch die aus der Christologie allbekannte Metapher des Strahls und der ihn erst hervorbringenden Sonne, um das Verhältnis des Fortschritts zu Christus auszudrücken, und zwar zur Geschichte Christi. die sich von seinem Erdenleben aus auf die Ewigkeit erstreekt. 195 Besonders im Vergleich mit dem Bemer Theologen und Schüler von Kählers Weggenossen H. CremeT, W. Hadom, der dasselbe Bild für die eschatologische Wahrnehmung des Judentums gebraucht, wird kenntlich, daß die Sonne für Kähler den Christus der Parusie, also die Ewigkeit bedeutet, und nicht etwa bloß den historischen Christus (während Hadom hier auf das Christentum als positive Religion Bezug nimmt).I96 3. Puppe und Schmelterling. Freilich bedeutet zuweilen auch bei Kähler die Ewigkeitsmetaphorik das Christentum. So steht in seinem universalgeschichtlichen Versuch "Der Gang der Menschheit" das Bild des Schmetterlings (Falters) einmal ausdrücklich für die "kirchliche Culturmission'" die zunächst das Judentum und dann die klassische Antike verwandeh habe, die dann als "Puppe" bzw. .,Leichnam" bezeichnet werden. Wenn zwar auch hier dem Sinne nach nicht an ein bloßes Entwicklungsschema gedacht ist die Entsprechung zwischen ..Puppe" und "Leichnam"197 suggeriert hier doch zu sehr Abbruch -, so ist hier jedenfalls das historische Christentum als Gipfel der Universalgeschichte gedacht 198 - anders als in dem Aufsatz ,.Mit Christo auferweckt sein". wo dieselbe Metaphorik festhäll. Christus der Erhöhte sei im Vergleich zum Irdischen nicht einfach der ,.Schmenerling, wenn er das verdeckende Puppenkleid abgestreift har,:'99 Kähler sieht hier vorbehaltlich des Christus der Parusie anscheinend keine Entwick193 KAHLER 11867] (1913) 170 zur Mündung; a.a.O. 193 bzw. 3.a.O. 167 zur Inclusio. 194 Ebenso OERS. (1896) 496. wenn es heißt. die - freilich eschatologisch begründete - •.Entwicklung der Menschheir' trage als ein Strom •.die Schiffe zum Meere" eines silllichen Gesamtzieles, 195 DERS. 118671 (1913) 188: ••Was wir heute als die erhabensten Ideen der Humanität preisen. es sind nur Strahlen jener Sonne. welche der Welt am See Geneureth aufging und auf Golgatha nur scheinbar erlosch. um vom OstemlOrgen ab mit unwandelbarer Klarhc:il zu leuchten." 196 HAOORN (1914) 37. 197 KOEPP (1921) 35 wird das Judentum wegen seines Konzepts von E....igkeit als ..Mumie" bezeichnen. so Eigenschaften von Puppe und Leichnam verbindend. 198 Zilate KAlUn 119061 (1913) 203. dessen Rede von Kulturmission seinem MissK>ns,'erslindnis wtdersprichl.
I99DERs.(I906) 180.
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IV. Martin Kählers mcssianisch-solerologische Eschatologie
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lungslinie, die vom Irdischen zum Auferweckten führt, genauso wenig also auch vorn irdischen Menschen zum Mitauferweckten (worum es dem Auf~ salzlitel nach ja geht), sondern er macht hier vielmehr einen nur von Gottes Zukunft her bestehenden Zusammenhang gehend. Darin zeigt sich wieder~ um sein Konzept von Eschatologie im Unterschied zur Auffassung etwa des Serner Reformierten E. GÜder. der zur Verdeutlichung seiner Unterschei~ dung von vier Lebensständen Christi die Abfolge von Ei, Raupe, Puppe und Schmetterling als naturhafte Entwicklung heranzieht. 200 4. Keim und Frucht. Besonders verbreitet und am unmittelbarsten der Naturbeobachtung angelehnt scheint aber die Metaphorik von Keim und Frucht. Mit ihr erläutert Kähler in Ausführung seiner These von der ge~ schichtsstiftenden Kraft der Eschatologie 1896 den Lehrsatz von der Sünd~ haftigkeit der ungetauflen Neugeborenen: Hier werde der "Keim schon an der voll ausgetragenen Fruchl,,201 gemessen. In diesem Fall erhellt der Zu· sammenhang von Sinn und Bedeutung besonders klar Kählers Metapherngebrauch, denn indem die Frucht hier das Endgericht und den ewigen Tod bedeutet und zudem der ganze Satz zur Entfaltung der These vom Vorrang der Eschatologie vor der Geschichte dient, ist klar, daß sein Sinn ist, den natürlichen Wachstumsprozeß, der vom Keim zur Frucht geht, zu durch· kreuzen. Und dies trifft ja gerade im Falle des Keimes, der die Erbsünde bedeutet, wiederum genau den theologischen Sinn, denn wenn die dogmatj~ sche Tradition die Erbsünde bevorzugt mit botanischem Bildmaterial be~ schreibt, dann ja als die Wurzel eines mit Stumpf und Stiel auszurollenden M I"ß wuc hses. '02 Kähler kann dieses neuartige Verständnis der Metaphorik von Keim und Frucht daher auch mit der "Aufstellung von Typus und Antitypus" gleich~ setzen, um klarwmachen, daß das Verhältnis, in dem Jesus zum Alten Testament steht, kein naturhafter Enlwicklungsprozeß ist, sondern ein Verwachsensein. 203 Gerade in diesem Ausdruck, der nicht nur gegenseitige Durchdringung, sondern auch Mißbildung besagen kann, kommt zur Spra200 GODER (1853) 355 in dem Bestreben. den Zwischenzustand zwischen Diesseits (Ei) und Jenseits (Schmetterling) soteriologisch auf Christus anzuwenden. was einen diesseitigen und einen jenseiligen ZwischenZUSland. also den Erdenwandel vor Himllleifahn (Puppe) und die Höllenfahn (Raupe) annehmen läßt (a.a.O. 346).
20 I KÄIIL...ER (1896) 503. 202 So FC SO 1.5 (BSLK 846.95) und besonders die Rede vorn Zunder. also bereits abgebro.chenem und vcrdomem Gehölz: AC 11.1 (BSLK 148.21 mit den scholastischen Belegen ebd. Anm. I). 203 Zila! KÄItLER (18961 (1965) 46 neben dem umstriuenen Beispiel Hir geschichtlictlCS Denken ..im großen Stil". der Reichsgrundung von 1871. Zum Vcrwachsensein vgl. a.a.O. 33.42; oeRS. (1906) 182.
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Zweiter Teil
che. daß Kähler die Wachslumsmetaphorik nur per nefas gebraucht. um ihr seine Vorstellung einer eschatologisch begründeten Entwicklung aufzuprägen. Der Grund für diesen so unnatürlichen, ja unphysiologischen Meta· pherngebrauch könnte schlicht und einfach in Kählers Bibellektüre liegen. Denn liest man das Gleichnis vom vierfachen Acker. das als altkirchliches Evangelium zu Sexagesimä zugleich der locus c1assicus der Metaphorik von Keim und Frucht ist, so hat man in den vier ausgeführten Szenen ja weder ein "Wachstumsgleichnis" im eigentlichen Sinne vor Augen noch eine Typologie menschlicher Herzensbeschaffenheit. sondern dem Betrachter bietet sich eine Saat· und Emtesaison im Zeitraffer dar. bei der bis zur Ernte ein Teil der Saat nach dem anderen vergeht, so daß man aufgrund der Zeitphänomenologie dieses Gleichnisses204 also tatsächlich sagen kann, erst die Ernte selbst - also die Frucht - erhalte den Keim am Wachstum. Mit solch eschatologischem Sinn dieser Metaphern korrespondiert dann auch ihre bei Kähler allermeist eschatologische Bedeuwng, m.a.W. wo die Metapher zwar eschatologischen Sinn, aber keine eschatologische Bedeutung hat, da liegt ein Hinweis auf ein dem theologischen Konzept innewohnendes Problem. da kann das sprachliche Potential der Metapher wieder zum Schematischen erstarren und die Metapher zum Wahrnehmungsschema werden. Und im Falle Kählers zeigten die Beispiele. daß immer dann. wenn mit den eschatologisch gemeinten Metaphern auf das Christentum als positive Religion referiert wurde. eine Abwertung des Judentums zur bloßen Vorstufe damit verbunden war. 205 während da, wo die Metaphorik in Sinn und Bedeutung eschatologischen Charakter hat. wo also der Unterschied zwischen Christentum und MenschheilSreligion gewahrt bleibt, Kählers größtes Potential für eine Erneuerung christlicher TheOlogie in ihrem Verhältnis zum Judentum liegt. 206 In Kählers Metapherngebrauch bündelt sich also zum einen sein gesamtes eschatologisches Konzept, und zum anderen wird hier zugleich die Be204 Zuerst vergeht der Teil auf dem Weg (noch vor dem Aufgehen), dann der auf dem Slein (,,sofort" nach dem Aufgehen), dann der unter den Domen (nach deren Mitaufgehen). Vgl. Michael WOLTER. Interaklive Erzählungen. Wie aus Geschichten Gleichnisse werden und was Jesu Gleichnisse mit ihren Hörern machen, in: GILem 13 (1998) 120-134, 132. 205 S. bei S. 177 Anm. 183. 206 KÄIIL.ER kann in Abwandlung der Melliphorik von Keim und Frucht auch da.. (/922) 95: Anlichrisl: DERS. (1926) 162-174 par. DERS. (1924/25) 662-668, vgl. DERS. (/922) 90-94. Geschichte: DERS. (1926) 174--186 par. DERS. (1924/25) 668-676, vg/. VERS. (/922) 94-100.
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V. Die anliapokalyplische Eschalologie von Paul Althaus
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scheidung zwischen einem sozusagen eher ..negativen" und emem eher "positiven" Element der endgeschichtlichen Eschatologie: Demnach wäre Heilsgeschichte eine .,stetig fortschreitende" Geschichte zwischen Urstand und Eschaton als eine einzige fonschreitende Degeneration infolge des Sündenfalls. der auf ihrem Tiefpunkt die Uberwindung in einer ..Endgeschichte" korrespondiert. ll8 Heilsgeschichte ginge dann einfach in Endge· schichte über, so daß Heilsgeschichte einerseits grundsätzlich negativ und nur an ihrem Ende Aufstieg wäre und Endgeschichte andererseits grundsätzlich positiv und nur an ihrem Anfang Verfall. Wenn jedoch Althaus Heilsgeschichte "nicht mehr" in diesem Sinne versteht. sondern auf die alttestamentliche Vorgeschichte bis zu Christi Erdenleben als terminus ad quem begrenzt,119 dann bestreitet er, daß die Geschichte im Sinne eines Konzepts von degenerativer Heilsgeschichte eindimensional aus dem Sün· den fall abzuleiten sei. Was hier im Ausgang von Althaus' erweiterter Gliederung formal festgestellt wurde, ist nun an den wesentlich umfangreicheren Derailaus/iihnUlgen zur Endgeschichte zu überprüfen, also besonders zu den Einzelthemen Parusie, Chiliasmus und Antichrist, die Altbaus die ..Postulate der Endge· schichte" nennl. l20 Als solche verwirft er sie, da die Vorstellung eines "geschichtlichen Heraustretens" des Eschaton, wie Altbaus zum Parusiethema schreibt. eine "contradiclio in adjecto" sei; ihrem Gehalt nach sind die Postulate bereits das Eschaton. und ihre Verwirklichung ist daher die Aufhebung der Geschichte. Unter den Bedingungen der Geschichte sind sie dagegen ..nur dem Glauben zugänglich", so daß Altbaus sie nur als Postulate des lll Glaubens akzeptiert. Die Folgerungen aus diesem Argument decken sich 1924/25 und 1926 aber nicht exakt. In dem früheren Aufsatz bringt Althaus gegen die Postulate den Gegensatz von Geschichte und Eschaton zur Geltung, so schreibt er Das fonnllie Ergebnis des Vergleichs lautet demnach: Was 1922 oft nur angedeutel war. haI AhhllUS 1924n5 und 1926 an den verschiedenen Stellen des neuen Aufrisses ausgebreilel. nur der Abschnill Ober theologischen Eric.ennlnisronschriu ist ohne jeden Vortäurer. - Also ist ein inhallJi· cher Vergleich durchHihrbar. 118 Zitat DERS. (1926) 95: zum degeneraliven Schenlll vgJ. a.a.O. 91. Dieser Begriff von Heilsgeschichle leitete ja 1922 die Begründung des MiuelzuslatKls. s. bei S. 210 Anm. n. 119 Zitat CERS. (1924(25) 615: übernommen DERS. (1926) 95: DERS. (1922) 81 bereits als mögliche Definition erwogen. aber nicht dun:hgefUhn. 120 Zitat CERS. (1926) 149 (Übc:tsehrift). Althaus behandeh auch die endgeschichtliche Behauptung endzeitlicher Vollendung von Mission. ErkeMtnis und Sittlichkeit. Doch bieten diese 1bemen keine Peripetie VOfl •.negativer'" Heilsgeschichte zu ...positiver'" Endgeschichle wie dje anderen und sind daher weniger kennzeichnend. 121 Zitale CERS. (1924/2.5) 6SJ :: CERS. (1926) 151.
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Zweiter Teil
zur Erwartung des Antichrist: "Was heraustritt in der Geschichte, ist nicht unbedingt. Und was unbedingt ist, tritt nicht heraus.',122 - 1926 hat dieser (und nur dieser) Abschniu eine Änderung erfahren, die gerade den zitierten Spitzensatz streicht. Jetzt wird gegen den Antichrist vielmehr mit der Doppeldeutigkeit der Geschichte argumentiert. die es l.B. verbietet. eine geschichtliche Größe wie die römische Kirche eindeutig mit dem Antichrist als einer eschatologisch geistigen Größe zu idenlifizieren. 123 Im Hinter· grund dieser feinen Verschiebung dürfte diese Überlegung stehen: Wenn die Postulate der Endgeschichte unter den Bedingungen der Geschichte nur geglaubt werden können, dann ist die Geschichte eine Bedingung des Glaubens; dies aber verbietet, sie zum kontradiktorischen Gegensatz des Eschaton zu machen. Sie muß dann vielmehr auch eine positive Bedeutung für den Glauben haben. Dies deckt sich mit der Ablehnung des Konzepts einer rein durch den Sündenfall bedingten Geschichte, also mit dem, was sich aus unseren Überlegungen zur Gliederung nahelegte. In diesem Sinne hat Althaus in den grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Geschichte und Eschaton diejenigen Sätze zurückgenommen, die 1922 den Eindruck erwecken konnten, als würde die ,.Längslinie'· der Geschichte ganz von ihrer "SenKrechten", dem Eschaton, verschlungen. Es heißt daher jetzt nicht mehr, daß sich alle Senkrechten in der Ewigkeit in einem Punkte treffen,124 dafür malt Althaus das ausdrucksstarke Bild: "Nicht nur die letzle Welle. sondern jede Welle schlägt an den Strand der Ewigkeit."I25 Bei der Aufwertung der einzelnen Welle dürfte an den ..Selbstwert jeder Epoche" gedacht sein. 126 Des weiteren verwirft Althaus die Frage nach dem Wann des Endes nicht mehr als sinnlos,127 schreibt aber dennoch: ,.Ich antworte daher ausdrücklich: die geschichtliche Seite der Vollendung kommt dadurch zur Geltung, daß die Geschichte ein Ende hot."128 122 DEMoS. (1924(25) 666. 123 DERS. (1926) 170. 124 ALlllAUS (1926) 181 Anm. I revidiert entsprechende Äußerungen (DERS. [1922198) explizil. 125 DERS. (1926) 174"" DERS. (1924(25) 669. 126 EXPlUSis verbis DERS. (1926) 174. Darum auch erwähn! Althaus L v. Rankes berühmtes Dictum: .Jede Epoche iSI unmiltelbar zu GOIt" (Leopold v. RANKE. Über d)e Epochen der nc:ueren Geschichle. 19 Vorträge vor König Muimilian von Bayern 118541. hg.v. A. Dove. München 1917.17). 127 ALlllAUS (1926) 177 Anm. I relaliviert. was OEXS. (1922) 96 hien.u gesagl hat.. 128 DERs. (1926) 178 Anm. in der Fortsetzung der in der vorigen Anmertung zilierten Sclbstrr:lativ)erung. Anders als bei K. Barth (5. S. 216 Anm_ 106) zieh dieser Gedanke bei Allhaus nichl auf eine Reslilutionseschalologie.
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V. Die anliapokalyptische Eschatologie von Paul Althaus
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In diesem Zitat findet sich das Interesse von Althaus' Überarbeitung der Abwehr endgeschichtlicher Eschatologie zugespilZt: Gegen eine einlinige Ableitung der Geschichte aus dem Sündenfall, die ihr nur eine negative Bedeutung für die Ewigkeit zuerkennen könnte. setzt Althaus eingedenk der Doppeldeutigkeit der Geschichte deren auch positiv inhaltliche Bedeutung, erblickt diese aber in der Endlichkeit der Geschichte. Dieses paradoxe Bild wird bestätigt von der Ewigkeitslehre, wie Althaus sie 1926 modifiziert: b) Ewigkeirslehre. Die geschichtliche Begründung von Welthaftigkeit und Leiblichkeit der Ewigkeit beschränkt sich 1926 nicht mehr auf das Schlußkapitel, sondern wird bereits in Kap. 1I thematisch. Auf kritische Anfrage von K. Heim, der den Zusammenhang der lndividual- mit der Universaleschatologie vermißt hat,I29 ergänzt Althaus hier Abschnitte zur welthaften Dimension von axiologischer und teleologischer Eschatologie. l30 Dabei heißt es im Abschnitt über die teleologische Eschatologie, die Bedeutung der Welt für das Kommen des Ewigen bestehe darin, "daß der ganze Welrbesrand. in dem wir leben, aufgehoben wird", im ,,Ende unseres Welrbesrandes", der "überall eine Welt des Kampfes und daher des Todes" ist. Und in der axioJogischen Eschatologie ist zufolge Althaus jetzt die Welt, "einschließlich des Dämonischen und Bösen, Gortes Well:,l3I Althaus nennt als Momente der eschatologischen Bedeutung der Welt hier also durchweg ihre Endlichkeit. Dem entspricht die geschichtliche Begründung für Welthaftigkeit und Leiblichkeit der Ewigkeit in Kap. V. Sie wird nun nicht mehr, wie noch 1922, ethisch akzentuiert, t32 sondern eher ästhetisch: Welt und Leib sind als eigene Gestalten und Gestaltungen von Ewigkeit bedeutsam für die Eschatologie. 133 Mit diesem auch 1922 schon gebrauchten Interpretament will 129 A.a.O.IX. 130 Zur einhergehenden Neugliederung der teleologischen Eschatologie s. bei S. 205 Anm. 49. 131 Zitate a.a.O. 43.48.51 zu den drei teleologischen Paradoxa (s. bei S. 205 Anm. 49) bzw. a.a.O. 35 wr Axiologie. A.a.O. 43 explizit zum Zusammenhang dieser Stellen: er zeigt sich auch in den Rückverweisen ersterer auf die letzte. 132 In einigen Schlüsselsätzen hat Althaus den Begriff der Sittlichkeit 1926 gestrichen: Bestand ftir DERS. (1922) 139 .jn dem sittlicht!N Verhältnis von Seele und Leib ein selbständiger Gollcsgcdanke", so flir DERS. (1926) 261 ..in dem lebendigen Verhältnis" usw. Erblickte DERS. (1922) 142 einen .,wesentlichen Zusammenhang" •.zwischen der sinlichen Treue. in der wir das Körperliche zum Gepräge der Seele werden lassen. und unscrer ewigen Gesta!l". so spricht DERS. (1926) 265 von einem .....escntlichen Zusammenhang" •.zwischen der persönlichen Geschichte, in der das Leibliche zum Gepräge der Seele wird. und unserer ewigen Gestalt... stall von sinlicher Treue also von persönlicher Geschichte. Auch die S. 212 Anm. 82 zitierten Sätze fehlen 1926. 133 Die ..sinnliche Schönheil" der ,.Natur in ihrer Sclbstzweck.lichkeit" ftihrte auch schon DERS. (1922) 135 an: doch DERS. (1926) 255.254 flankiert dies durch neue Erwägungen zur eschatologischen Bedeulllng der Kunst. die aber abwägend gehalten siocl (o.a.O. 253f.).
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Zweiter Teil
Althaus nun noch stärker als vier Jahre zuvor dem Eindruck entgegentreten, die eschatologische Bedeutung von Welt und Leib sei nicht Selbstzweck, sondern ein bloßes Mittel zum Zweck der Ewigkeit. Inhaltlich aber zeigt die Aufwertung beider als Gestalten von Ewigkeit dasselbe Doppelgesicht wie die Abwehr der Endgeschichte. In einem gegenüber 1922 neuen Absatz schreibt Althaus: "zwischen hier und dort steht auch für die ,Gestalt', die die Seele sich prägt, der Tod und das Gericht Gottes" .134 Und hatte es 1922 geheißen: "Die irdische Natur weist als Verheißung auf eine Erfüllung", so fügt Allhaus dem 1926 hinzu: "aber eine Erfüllung (das sei gegen alle christlich-theosophische Naturphilosophie gesagt!) jenseits des Todes dieser unserer Natur". mAlthaus wertet also die positive Ewigkeitsbedeutung der Geschichte auf, erblickt sie aber umso mehr in der Endlichkeit und Sterblichkeit. Erst recht dürfte dies für die Lehre vom Gericht gelten, das in sich schon die Begrenztheit der Geschichte bedeutet. c) Gerichts/ehre. Althaus hat 1926 seine Gerichtslehre nach einem Aufsatz von Emanuel Hirsch zum Thema umstrukturiert. Hirsch hatte vor dem Hintergrund von Althaus' Eschatologie die Aufteilung des Gerichts in ein Gericht nach dem Glauben und eines nach den Werken kritisiert und dagegen als strenger Vertreter des Personalismus die Einheit beider in der Person, nämlich der Person Christi. zum einzigen Maßstab des einen Gerichts erklärt. 136 Althaus gliedert daraufhin Kap. IV nicht mehr nach dem Schritt vom geschichtlichen zum ewigen Gericht, der an zwei unabhängige Gerichtsereignisse erinnern könnte, sondern nach den Dimensionen des Gerichts, deren er jetzt zwei unterscheidet: das "Gewissensgericht" vertritt das vonnalige Gericht über das Sein, und das "Geschichtsgericht" vertritt zusammenfassend das frühere Gericht nach den Werken und dem Werk. 131 Trotz dieser Anpassung an Hirsch bleibt der entscheidende Unterschied zu dessen Personalismus bestehen, nämlich die geschichtliche Begründung des ewigen Gerichts, die Althaus in jeden der neu gegliederten Abschniue inkorporiert. 138 Ja sie erfahrt sogar eine zusätzliche Akzentuierung. So sagt
134 DERS. (1926) 266, nicht in DERS. (1922) 142f. 135 DERS. (1922) 136 par. OERS. (1926)255. 136 HIRSCH (1923(24) 206.211. 137 ALTItAUS (1926) 189 Anm. I zu Hirschs Einnuß. Die gliedernden Termini a.a.O. 191.215. Da Althaus beim GeschichlSgericht äußere und innere Geschichte unterscheidet (a.a.O. 215.222), iSI materialiler nichts gestrichen. 138 A.a.O. 187 grundsätzlich und a.a.Q. 201 fUr das Gewissens- sowie a.a.O. 218 rur das Ge· schichisgericht. Für HIRSCH (1923(24) dagegen ist das Gerichi. obwohl er es wie Allhaus vorbehaltlich des Eschalon als Verdarnrnungs- und Läulerungsgerichl zugleich lehren will (a.a.O. 223). gar kein Gegenstand der Erwanung mehr.
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v. Die anliapokalyplische Eschatologie von Paul Althaus
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Althaus zum Geschichtsgerichl in der wesentlich erweiterten Auseinander· selzung mit der Fegfeuerlehre, daß das Gericht als Läuterung zwar vollen· deI, was Menschen in ihrem geschichtlichen Dasein geworden sind, in eins damit aber auch beendet: "Aber es gilt eben beides zusammen festzuhalten: die Bedeutung der Werdegesetze und ihre Autnebung durch Gott.',139 Hatte er 1922 noch ein "Wahrheilsmoment" in der Purgatoriumslehre anerkannt, so heißI es 1926 schroff: "Daher warten wir nicht auf ein Fegefeuer. sondern auf den Tod" .140 Das ist auch ein Rückbezug auf den Abschnitt zum Gewissensgericht, dem Althaus sieben neue Seiten über die theologische Lehre vom Tode eingefügt hat mit der Spitzenaussage: Der Tod "ist auch uns der Befreier [... ]: ich. der alte Mensch, darf sterben. Und ich darf ihm. dem Herrn, sterben.'d41 Hier wird ganz handgreiflich, daß Althaus' Aufwertung der Geschichte als positiv bedeutsamer für die Ewigkeit in der Hervorhebung ihrer Endlichkeit besteht. Somit ergibt sich für alle maßgeblichen Änderungen in der Drittauflage derselbe Eindruck: d) Zwischenergebnis. Althaus ist 1926 wie 1922 an einer kritischen Würdigung der Geschichte interessiert, widmet sich dabei aber verstärkt deren positiver Ewigkeitsbedeutung, die er paradoxerweise in der Endlichkeit der Geschichte erblickt. Da sich Althaus' Stellung zur Dialektischen Theologie ebensowenig wie seine Front gegen die jüdische Vorstellung der Endgeschichte verschoben hat, kann diese Betonung geschichtlicher Endlichkeit weder die Auflösung der Geschichte durch das Eschaton noch ihre Verrechnung mit demselben bezeichnen, sondern muß eine dritte Größe jenseits dieser Alternative vor Augen haben. Dies kennzeichnet auch Althaus' GeschichlSlehre, die er parallel zur Ausfonnung seiner Eschatologie in Auseinandersetzung mit dem Personalismus der Lutherrenaissance. aber auch mit K. Heim. entwickelt. Wie z.B. Hirsch begreift Althaus Geschichte in erster Linie als menschliches Entschei· dungs leben, dessen Bedeutung sich dann besonders in der Eschatologie als Frage nach der Endgültigkeit solcher Entscheidung niederschlägt. Hatte hier die (venninlungstheologische) Tradition l42 mit ihrer Antwort, daß Gott in der Geschichte um seine Anerkennung durch den Menschen ringe und sie 139 AlntAUS (1926) 235. DERS. (1922) 125 sah noch eine ..ernste Bedeulung" des Werdens flir die Ewigkeit. 140 DERS. (1926) 232: auf die frühere 5lelle DERS. (1922) 122 Anm. 1 (,.Wahrheilsmomenr') verweisl DERS. (1926) 227 Anm. (Fortselzung von a.a.O. 226 Anm. 3) selbst. 141 A.a.O. 198f.: der ganze Passus a.a.O. 194-200; a.a.O. 231 al.s ..Th~olo8i~ d~s Tod~s" aufgegriffen. 142 5. Exkurs 2 (5. 69ff., besonders bei Anm. 111).
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Zweiter Teil
nicht gegen dessen Willen durchsetze, menschliches Entscheidungsleben einseitig mit der Möglichkeit zum Bösen, also dem Sündenfall, verbunden, so will Althaus mit seiner Auffassung vom positiven Ewigkeitswert der Geschichte hinter diese infralapsarische Ableitung der Geschichte bloß aus dem Sündenfall zurück zu einem supralapsarischen Verständnis der Geschichte in eigenständiger schöpfungstheologischer Dimension neben ihrer Bedeutung für Sünde und Gnade. 1932 formuliert Althaus daher eine dreistellige Geschichtslehre,143 die in der ebenfalls dreiwertigen Lehre vom To~ de kulminiert: "Der Tod (und mit ihm die Gestalt unserer Welt überhaupt) liegt für uns in einem dreifachen Lichte: von Gottes Zorn über die Sünde her, von der Erlösung durch seine Gnade her, von der ursprünglichen, immerdar gegenwärtigen Liebe Gottes zu seinem Geschöpfe her."I44 Die drei~ stellige Geschichtslehre hat darum Konsequenzen für die Anthropologie, die Althaus nun auch in Überwindung der klassischen Alternative von Aktiv und Passiv in Kategorien des Opfers und der Hingabe zu entwickeln versuchL I4j Opfer und Hingabe drücken hier die positive eschatologische Bedeutung des geschichtlichen Menschen aus; in ihrer Begrifflichkeit bündelt sich also das Interesse der Eschatologie von 1926, den Ewigkeitswert der Geschichte in der BelOlIIlIIg ihrer Endlichkeit zu erblicken, und dieser Versuch einer Anthropologie jenseits gegebener Altemalivsetzungen erklärt auch das merkwürdige Doppelgesicht dieser Stufe von Althaus' eschatologischem Denken.
3. Die Ewigkeit als EnthiiJlung der verheißenden Geschichte (1933). Die nochmalige Neuschrift der Eschatologie, die Althaus 1933 als vierte Auna~ ge publiziert, ist in der Anzahl und Anordnung der Kapitel stark erweilert. doch sie wahrt die Kontinuität mit den entscheidenden Charakteristika ihrer Vorgänger. Das 1922 begründete systematische Gerüst einer Ewigkeit als Jenseits der Geschichte, also die Korrespondenz der heiden eröffnenden Grundlegungs- mit dem abschließenden Ewigkeitskapitel, bleibt erhalten. 143 Hierflir ist die Auseinanderselzung mit Heim bei ALntAUS (1932) maßgeblich. a.a.O. 335: .,Auch rur uns ist die Geschichte mit ihren Bedingungen. dem Kampf und Tode usw.• nicht Gones tndgültiger Wille. Aber sein ursprünglicher Wille. Die Geschichte ist nicht zwischeneingekommen. sondern auch sie ist Gottes .sehr gute' Schöpfung." Gegen Heim DER.S. (1926a) 98f.: •.Nun lehren auch wir. daß die Weh als geschichtliche nicht Gottes lauer Wille 1...1 ist I... ). Aber obgleich nicht sein fe/rltr Wille. so ist sie doch sein ursprünglicher Wille:' 144 DERS. (1932) 337. 145 A.a.O. 333: "Man darf sagen: der Begriff. unter dem das Sterben hier eingeordnet wird. gehört dem ursprilnglichen Verhältnisse zwischen GOIt und Mensch an. Denn darin ist Gou Gon und dazu ist der Mensch Mensch. daß er sein Leben Gott zum Opfer hingebe:' A.a.O. 334 wird dies am Soldalentod exemplHizien!
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Auch das hauptsächliche Interesse der Übemrbeitung von 1926, die positive Ewigkeitsbedeutung der Geschichle stärker zu betonen, findet Aufnahme. So wird in einem neugeschaffenen Kapitel über den Tod die seit 1926 entdeckte drille, schöpfungs mäßige Dimension der Todeslehre gegenüber den 146 Und das andere früheren Ausführungen zum Thema erkennbar ergänzt. 147 neue Kapitel über die Methode der Eschatologie häll - neben der schon bekannten Begründung auf dem Christusereignis statt auf den biblischen l48 Weissagungen - fest, daß von Ewigkeit nicht nur in Negationen der Geschichte zu reden ist, sondern auch via anaJogiae, so daß ,,{ulnser Leben und unsere Welt f...] doch auch Gleichnis des Ewigen Lebens und der neu· en Welt" sind.'49 Freilich wird damit die ursprüngliche Einsicht, daß alle Geschichte durch das Gericht hindurch muß, nicht zurückgenommen; das Gerichtskapitel erfahrt 1933 trotz einer hemach zu erwähnenden deutlichen Zuspitzung keine wesentliche Veränderung und bleibt am ehesten unbeeindruckt von der Neubearbeitung. Vielmehr scheint es, daß ein entscheiden· des Kennzeichen dieser Neubearbeitung darin liegt, die 1926 begonnene Aufwertung der positiven Ewigkeitsbedeutung von Geschichte fortzuführen. In diesem Sinne wird auch das tragende Korrespondenzverhällnis von Grundlegungs· und Ewigkeitskapitel modifiziert. So macht Althaus im Schlußkapitel (Kap. VII[) für die geschichtliche Begründung der Welthaf· tigkeit und Leiblichkeit der Ewigkeit 1933 eine bestimmte Art von Realismus geltend: "Die Frage nach der kommenden Leiblichkeit und die Frage nach der Welt müssen einheitlich beantwortet werden. I... J Hier wie dort muß der gleiche ,Realismus' - wenn auch eben nicht der Realismus der orthodoxen Auferstehungs-Lehre - zur Geltung gebracht werden."I50 Diese Unterscheidung eines eschatologischen Realismus von einem "orthodoxen" Realismus ist ein Rückbezug auf Kap. VU, wo Althaus wiederum in Abwehr eines "orthodoxen" (d.h. altprotestantischen) Gedankens, diesmal der 146 DERS. (1933) 84 [871: ..Aber er [der Tod] hat als solcher dann doch J I949ff.: doch dann] selbsländige Bedeutung gegenllber dem Sinne des Todes als Zornes- uod Gnadcngerichles über die Sünde" und 3.0.0. 84 [881 (Hcrvorhebungen aufgchoben): .,Der Tod will von unserer Geschichte mit Gou aus und z.war nach aUrfl [1949ff.: reclel ihren Beziehungen verstanden werden: vom S (1921) 27.23 (alle Hervorhcbungen aufgehoben). Zu Kocpps Ewigkeilskonzcpt vgl. a.a.O. 24f. 256 Zitate a.a.O. 24.39.38.31.28.31 (alle Hervorhebungen aufgehoben).
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per nefas Eingang findei; und es sind gerade die EschatoJogumena jüdischer 257 Provenienz, die Koepp dabei abweist. In den ähnlich gelagerten Erörterungen von FRIEDRICH TRAUB sieht an Stclle des Begriffspaares von Glaube und Hoffnung das Gegenüber von Glauben und Wissen (Denken), und zwar fraglos wegen Traubs kantischen Grundansatzes, demzufolge die Erkenntnistheorie für die Eschatologie nur kritische, nicht begründende Funktion haben kann. da sie ihr nur Postulate liefert. 258 Eschatologie baut vielmehr ihre theologische, nicht philosophische "Begründung auf die geschichtliche Offenbarung" in Christus;259 darum sind ihre Lehrgegenstände ausschließlich Glauhensgegenslände und was damit logisch oder zur Veranschaulichung unmittelbar zusammenhängt, jedoch keine bloßen Wissensfragen wie z.B. das Problem von Apokatastasis und doppeltem Ausgang. 260 Das Problem dessen, was in die Eschatologie hineingehöT1 und was nicht, findet bei dem Ritschlschüler THEODOR HAERLNG Ausdruck in der Unterscheidung und Inhalt und Fonn, die dem Glauben bzw. der Hoffnung zu- und untereinander nachgeordnet werden: "Nur die Glaubensnorm der Offenbarung kann bestimmen, was christliche Hoffnung ist." Der so durch den Glauben vorgegebene Inhalt der Eschatologie stoße in der Fonn auf das Zeitproblem, das nicht die Dogmatik, sondern allenfalls die Spekulation 261 Praktisch gleichbedeutend schreibt abschließend behandeln könne. JULIUS KAFTAN, daß "die Grundgedanken der christlichen Hoffnung aus inneren Gründen des christlichen Glaubens zu entwickeln" seien und damit das ..Dass" vom ..Wie" der Eschatologie zu unterscheiden. 262 257 Koepp. als SchUler H. Cremers der Positiven Theologie vcrpnichtcl wie Hadorn. nennt kritisch a.a.O. 38-40 den Chiliasmus. den Gerichtsgedanken, den Zwischcnzustand. die Auferstehung der Toten und die Parusieerwanung. Dazu slimmt, daß ALTItAUS, der Koepps Ansutz begrußt (DERS. [19221 15 = DERS. [1926] 11), die Kritik an dessen Vernachlässigung der Zukunftshoffnung nicht erneuert, als er sich 1933 selbst sl1irker von jüdischer Eschatologie abgrenzl (OERS. 11922]58 Anm. I = DERS. 11926] 69 Anm. I: vgl. DERS. [19331 53f. [56J). Die Rezeplion Kocpps durch Ahhaus gleicht damit derjenigen Dunkmnnns, Siegfrieds und Hadorns. 258 TRAU8 (1925) 33f. An.O. 29 zum Problem des Wissens und a.a.O. 91 zu Glauben und Denken. Vgl. KAN'rs Ausspruch .•lch mußle also das Wisst'rr aufheben. um zum Glauben Platz zu bekommen" (DERS. (1787) B XXX). 259 TRAU8 (1925) 42 nlervorhebungen aufgehoben). Traub war es. der mit diesem betont Ihcologischen Ansatz Althaus bewog. die Begriffe ,Axio1ogie" und "Teleologie" allercrst durch die biblischen .,Glaube" und "Hoffnung·' zu ersetzen (vgl. ALTHAUS [19261 16 Anffi. 2). 260 Dies gehl gegen Allhaus (TRAU8 (19251 Illf. 116); lehrbar ist nur die Vollendung im Jenseits (a.a.O. 91 f.). 261 Das Zital des Inhalts von Eschatologie: HAERINO (1912) 643: zum Fonnproblcm vgl. a.a.O. 669. 262 Zitale KAfTAN (1920) 670 (§ 73,2) bzw. 3.a.0. 671 (§ 73,3).
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V. Die anliapokalyptische Eschatologie von Paul Althaus
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Mit der in den letzten Beispielen besonders deutlichen Abstufung zweier eschatologischer Gegenstandsbereiche in Glaube lind Hoffnung folgen Kaftan und Haering ebenso wie Traub und Koepp Schleiermachers Argument,263 daß die Eschatologie infolge ihrer ebenso notwendigen wie inadäquaten, jedenfalls nicht auszugleichenden Bilder, Denk- und Veranschaulichungsformen nicht in einem umfassenden Gesamtbild lehrbar und daher nicht Teil der Dogmatik sei. 3. Pneumatalogische Eschatologie. Es scheint daher, daß das Problem der Wirklichkeit von Eschatologie. das wir mit dem Begriffspaar Glaube und Hoffnung angeschnitten sahen, zuletzt doch, wie das Schema von Eschatologie und Geschichte, in die wissenschaftstheoretische Frage einmündet, ob die Eschatologie dem theologischen Denken den Rahmen vorgibt (Vorrang der Hoffnung) oder aber ihm die veranschaulichenden Bilder nachliefert (Vorrang des Glaubens). Aber die Alternative von Rahmen und Bild besteht nur zum Schein, und der Überblick über das Problem von Glauben und Hoffnung kann nicht abgeschlossen werden, ohne Althaus' zentralen Gewährsmann für diese Frage heranzuziehen. ERICH SCHAEDER kritisiert 1924 die ganz auf dem Konzept der Hoffnung aufgebaute Dialektische Theologie K. Barths und hält in einer Zusammenfassung seines Buches fest: "Diese ganze Arbeit ist geschrieben, um u.a. dieser [Barth'schenJ Übertreibung, welche das Christentum auf die alttestamentliche Stufe zu drücken droht, zu wehren." Dagegen nun Schaeder: "Man ist wirklich in der Form des Glaubens am Ziel der Geschichte. Aber immer nur in der Form des trauenden Glaubens." Hier wird anscheinend die Hoffnung der alttestamentlichen, der Glaube aber der christlichen Religion zugeschrieben. Althaus führt diese heiden Stellen 1926 und 1933 denn auch zur Untermauerung seiner Verhältnisbestimmung von Glauben und Hoffnung an. Dabei fällt allerdings auf. daß Althaus das zweite Zitat 1926 im Sinne eines schon vollendeten Glaubens gebraucht, 1933 aber damit den Glauben austariert durch sein Angewiesensein auf Hoffnung. 264 Tatsächlich steht Schaeder selbst zwischen diesen beiden Ext.remen. Sein theologisches Zentralthema ist das Problem, daß der Glaube schon aufgrund der Schwächen, die dem geschichtlichen Jesus Christus selbst anhafteten gedacht ist z.B. an Gethsemane -, nicht stark genug ist. um ohne die Bestä263 KOEPP (1921) 28-31 übernimmt in den Fragen der persönlichen Fondlluer und der zukünftigen Leiblichkeit alle ArguffiCme Schleiennllchers; HAERtNG (1912) 66.5ff. rekonstroicn das Fonnproblem der Eschatologie (Zeil und Ewigkeit) im Anschluß an Schleiermacher. 264 Die Kritik an Bllnhs HoffnungscschlilOlogie stehl bei SCHAEDER (1924) 39; die Zilate lI.a.O. 149.199: ersteres wird erwähnl von ALTIIAUS (1933).5.5 Anm.3 [.58 Anm. 21; lelzteres zitien DERS. (1926) 72 Anm. I '" DERS. (1933) 58 Anrn. t [61 Anm. I].
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tigung durch fortgehende geschichtliche Erfahrung zu überleben?65 Glaube kann daher weder bloß in der Hoffnung auf Christus gründen noch allein in der geschichtlichen Erfahrung der eigenen Wiedergeburt. Schaeder selzt dagegen die Verbindung beider durch eine "Theozenlrische Theologie",266 in der die unsichtbare Gegenwart des Auferstandenen erfahrbar gemacht wird durch gute Werke, durch die Kirche. besonders aber durch die alttestamentliche Gestalt der Christusgeschichte, für die sich Schaeder auf v. Hofmann berufl. 267 Dabei ist "das Entscheidendc",268 daß diese glaubensstärkende Erfahrung Eschatologie "entbindet" als die "notwendige Konsequenz",269 mit der Christi Parusie die verborgene Herrlichkeit des Auferstandenen offenbar machen wird. Schaeder verbindet in diesem Konzept die heiden Charaktere, die AIthaus' Eschatologie nach bzw. vor 1933 kennzeichnen, denn in ihrer Schlüsselstellung für die Theozentrische Theologie folgt die Eschatologie einerseits einer Art Apokalypsismotiv, das erlaubt, sie aus der Heilsgegenwart zu folgern; andererseits bildet die Eschatologie durch die doppelte Frontlinie des Grundansatzes derselben Theozentrischen Theologie das Jenseits der Alternative von geschichtlichem Glauben und zukünftiger Hoffnung, das keines von beiden auflöst. Und in dieser letztgenannten Funktion bildet die Eschatologie als "Das Geistproblem der Theologie" den "Übergang" zwischen den Fronten von Schaeders Theozentrischer Theologie. 27o Bei Sc/weder selbst ist mit dem Begriffspaar von Glaube und Hoffnung die pneumatologische Dimension VOll Eschatologie angesprochen, und in dieser Bedeutung, d.h. als Versuch. die eschatologischen Polaritäten zu überwinden, hat Schaeders Behandlung des Geistproblerns einen heute weithin 265 SCliAEOOR (1909/14) 11.275: ,,Es gibt auch hier kein Glouben ohne ein Sehen, ohne GlaubensslülZCn in kundbarcr Erfahrung". 266 Der Buchtilel erklän sich v.a. flir die Erstaunage durch die Doppelfront von Christo1.cnIrismus und Anlhropozemrismus. die Schaeder weniger mit konkrelen Autoren ~selll, sondern als Anlagonismus von biblizistischem Supranaluralislllus und llCuprotestantischcm Subjektivismus bei verschiedensten Theologen konsilitien. In der Lclzlgestalt des Buches wird der Christozcntrislllus jedoch abgelösl durch Banhs Dialektische Theologie (SCUAEDER [1925/28]11.63 Anm. I im Ver· bund mil a.a.O. I,Vf.), an der Schaeder bemängelt. daß sie nicht GOlt in Chrislus, sondern abSlrakterweise den Abstand zwischen GOII und Mensch als Ausgangspunkt nehme (a.a.O. II.VII: der ,J'Jlional-dialeklischc Subjclaivismus"). 267 DERS. (1909/14) 1I.277f. 276.273. 268 DERS. (1925/28) 11.263. 269 Zitale DERS. (1909/14) 11.272.285. Vgl. OERS. (1925/28) 11,263 zur Bedeutung der Es· chatologie: Sie iSI •.in der Fonn gewisser Hoffnung vom Glau~n unablrennba(·. 270 Das mit dem ersten Zitat betitelle Buch OERS. (1924) erschien. als nur dcrerste Band dcr Theozenlrischcn Theologie in z..... eiter Auflage vorlag (1916), nichl auch der zweite, so daß die spätere Rede vom ..Übergang" (DERS. II92.'l/28]I. VI) wönlich gemeint ist.
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in Vergessenheit geratenen Vorläufer mit der Eschatologie des baltischen Luthertums: Der heute nurmehr als Moralstatistiker bekannte Dorpater Systematiker ALEXANDER V, OETIINGEN leistet zur Eschatologie nach zwei einschlägigen Qualifikationsarbeiten einen originären Beitrag mit einer Monographie zur Pneumatologie, Demnach vermittelt der Geist in der theologischen ,.,Meisterfrage,,,211 nach der menschlichen Beteiligung am göttlichen Heilshandeln, indem er zwischen aktionistischer Leidenschaftlichkeit und passivistischer Leidenllichkeit eine Leidensbereitschaft und -willigkeit 212 v,Oeningen kommt so zu seiner ",Konzentrations-Hypothese''', setzl. derzufolge Gott sich über die Kondeszendenz am Kreuz Christi hinaus im heiligen Geist konzentriert und so weiterhin den christologischen status 273 Weder ist der Geist hier die den Menschen zur exinanitionis erleidet. Passivitöt verurteilende, unwiderstehliche Natunnacht, als die er im Alten Testament nicht selten auftritt, noch wird er als dritte Person der Trinität der Gemeinde appropriien und so zum Gemeingeist hypostasiert, der in der Aktivitöt des christlichen Gesamtlebens erscheint,274 sondern er verbindet Person und Natur, indem er jeden Einzelnen persönlich zum Glauben ruft und zur Naturverklärung führt. 215 Ist aber damit die Alternative von Goues allein aktiver und des Menschen ausschließlich passiver Beteiligung am Heilsgeschehen gegenstandslos, weil die Gegenüberstellung von Aktiv und Passiv als solche zu unscharf ist, dann verliert auch für den Menschen die Gegenüberstellung von Aktiv und Passiv ihre Bedeutung. Der fortgesetzten Leidensbereitschaft Gottes entspricht daher auf seiten des Menschen die .,noch nicht'" erreichte Vollendung, die v.Oettingens Buch den Titel gibt und die auf eine eschatologische Würdigung menschlichen Leids zielt, an 271 Zitat v. OElTINGEN (189S) 39 und vgl. 0.3.0. 40 zur ..Dissonanz zwischen gÖlllicher AI· lein wirksamkeit und melIschlicher Selbsllhätigkeil'", 272 Aa.O. M. 273 Dieses. vielleichl von der Kabbala (und ihrer Lehre von Gottes SelbslkOflzcnlralion im sog. ZiffiZum) beeinflußte, Konzepl soll die kenOlische Otrislologie v. Hofmanns korrigieren (Zitat a.a.O. 122). freilich kaum deren Idealismus (so PAWV.S 119901 209), solidem eher deren Axiomatik (s. S. 253 Anm. 27S). 274 v. OElTINGf..NS pneumolologische Fronlstellung ist vielflihig: vgl. DERS. (189S) 57.79.34 gegen ein naturalislisches (alttestamentliches) bzw. personalislisches (hypost3siencs) bzw, kongrc:glllionalistisches Geislvcrsländnis: jeweils in AuseinanderselZung mit H. Gunkel bzw. R. Seeberg bzw, A. RilSChJ. 27S Aa.o. 59. Daß der Geisl persönlich und individuell zum Glauben beruft (a.a.O. 101 vgl. DEll.s.1 1897/1902111/2.299), verbindet demnoch Eschatologie und Pneumatologie (a.a.O. 11/2.723 und schon die Habilitation 1856), Indem der Geist die Stufung von Person und Natur Uberwindel. rutin v. Qeningen v. Hofmunns Konzcpl weiter und gehön daher auch eschatologiegeschichtlieh in dessen Tradilion (gegen PAWLAS [1991121 Anm. 15).
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dem bis in das 20. Jh. hinein gerade die baltische Landeskirche zu Iragen haue. 216 Dies läßt verständlich erscheinen, warum der aus Westfalen stammende Tallinner Missionar TRAUGOlT HAHN, als Student in Dorpal zeitweise Hörer v. Oeuingens,211 die Frage nach dem Leid in den Mittelpunkt seiner beiden Bücher zur Eschatologie stellte. 278 Eschatologie handelt demnach von der Durchsetzung des Guten gegen das Böse. Dies kann jedoch gegen eine innerliche. "geistige Macht" wie das Böse nicht durch die Wirkung göttlicher Allmacht geschehen, denn diese gilt nach Hahn nur ..der äußeren Regierung der Welt" und gehört nicht zu Goues Wesen, das Hahn unter m.W. analogieloser - Berufung auf das Bilderverbot des alttestamentlichen Judentums in der Geistigkeit erblickt. 279 Aus dieser für Hahn kennzeichnenden Allmachtskritik ergibt sich, daß Gott das Böse nur in innerer Auseinandersetzung mit ihm überwindet, indem er es durchleidet, und dementsprechend wird "am Ende der Zeit die leidende Gemeinde der Märtyrer siegen". Hahn hat diesen, ohne v. Oeuingens dreifache Leidensbegrifflichkeit und ihre Folgerungen für eine Theologie des Leids kaum denkbaren, Grundgedanken später noch zugespitzt und damit wohl auch überspitzt. Denn ein Jahrzehnt später beschränkt er Eschatologie auf die innerliche Überwindung des Bösen, und die Erwartung einer auch äußeren Überwindung des Leids wird als fleischliches Motiv und als Leidensscheu abqualifi2w Wenn sich diese Kritik auch historisch gegen die Entrückungslehziert. ren der lrvingianer richtet. so geht mit dieser Veränderung doch auch eine gewandehe Wahrnehmung des Judentums einher. 1929 lehrt nicht mehr das Judentum die Christenheit den Vorrang des Geistigen vor dem Anschaulichen, sondern lernt diesen umgekehrt erst daran, wie die Christen ..stand~ 276 V.OETTlNGEN stehl gegen eine verbreitele Lesart des Wahmchmungsschcmas .,Schon jelzr' - ..Noch nichl". wenn er die ..fertigen Chrislen" (!>ERS. [18951 111) mahnen will. daß ..noch nicht" alles Leid behoben. damil aber auch Gones Langmul •.noch nicht" am Ende sei (a.a.O. 6f.). 277 HAHN hörte im zweilen Semesler v. Oeningen. bei dem er mittwochs Freitisch halle. gegen dessen Ral und war. auch späler bei der Lektüre. von seiner unerbaulichcn Theologie enuäuscht; DERS. (1919) 272.276. 278 Das ersle Buch erschien erstmals 1919 - wenige Monale, nachdem Hahns Sohn. der Dorpaler praktische Theologe Traugoll Hahn jun.. von Bolschewislen emlOroel worden war. 279 Zitale HAIIN (1920) 48.47. Zur Allmachlslehre a.a.O. 46-48 vgl. die Zuspit'lung DERS. (1929) 79: ..es iSI nichl anders möglich gewesen. Samn zu Uberwindcn. als durch das uittl'n und den Tod des Erlösers". Vgl. DERS. (1920) 35 zum Bilderverbol des alttestamenllichen Judenlums (das Hahn a.a.O. 38ff. 42f. vom gegenwärtigen und vom zukUnftigen Judentum diffcrenzier1). 280 A.a.O. 57 (Zitat) vgl. DERS. (1929) 101. Wagte HAIIN (1920) 67 .,nicht zu enlscheiden". ob der Chiliasmus als verklärtes Irdischsein oder himmlisch zu denken sei. so legt sich DERS. (1929) 102 auf lelzteres fesl und kritisiert a.a.O. 82 jedes ..ungeistlichc. fleischliche Denken" (woflir die ••Leidensscheu"la.a.O. 19] ein Beispiel wäre).
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haft alle Leiden ertragen".281 Ln der Konsequenz dieser Überlegungen richtet sich das Stichwort der Leidensscheu dann aber auch gegen die Juden. Hahn zeigt mir seinem Interesse an einer eschatologischen Würdigung der Leidensthematik aJso eine ähnliche Entwicklung wie Althaus mit seinem Bestreben, einen Ewigkeitswert der Geschichte zu ermiueln. Wie bei ihm der Versuch, geistlichen von irdischem Realismus zu unterscheiden, zur Wendung gegen das Judentum führt, so ergibt sich dieses selbe Resultat bei Hahn aus der Trennung des geistigen Übels, also des Bösen, vorn vermeintlich fleischlichen. dem Leid, obwohl Hahn zuvor doch selbst mit v. Octtingens dreifachem Leidensbegriff die Durchdringung beider erkannt hatte. Was sich daher bei Althaus in der Abhebung des Glaubens von der Hoffnung ausdrückt, hat eine Entsprechung in Hahns anthropologischer Dissoziierung von Geist und Fleisch. 4. Ergebnis. Das problemgeschichtliche Ergebnis dieses Überblicks über die Eschatologiedebatte um Althaus lautet, daß das Schema von Glaube und Hoffnung tatsächlich einen eigenständigen Fragenkomplex markiert. Er betrifft im Unterschied zum wissenschaflstheoretischen Problem der Wahrheitsfahigkeit von Eschatologie, das das Schema von Geschichte und Eschatologie ausdrückt, tatsächlich die Wirklichkeit der Eschatologie. und zwar, wie erst anhand der pneumatologischen Eschatologie bei den genannten baltisch-lutherischen Autoren kenntlich wurde, als Frage nach der menschlichen Beteiligung am gÖlffichen Heilshandeln. Mit den Termini "Glaube" und "Hoffnung" verbindei sich also die Aufgabe der theologischen Anthropologie. 282 Wie zuletzt die Entsprechung in den konzeptionellen Verschiebungen bei T. Hahn und P. Althaus zeigte, liegt hier auch die Bedeutung der Begrifflichkeit von Glaube und Hoffnung für die Frage der Wahrnehmung des Judentums, die sich bei allen in diesem Unterabschnitt vorgestellten Autoren untergründig mit den Begriffen verband. Man kann daher das Begriffspaar von Glaube und Hoffnung als ein Wahmehmungsschema im Sinne der hier befolgten problemgeschichtlichen Methode28J ansprechen. Die Bedeutung dieses Schemas wurde und wird einzig dadurch überdeckt, daß kurz nach dem Zeitraum. in dem die hier verhandelten Autoren schreiben, die Dialektische Theologie ihren Siegeszug antrat und in ihrer Eschatologie Glaube 281 A.3.0. 91. Daduf{;h würden die Juden aus ihrer ..Chrislusfcindschaf"· aufwachen (ebd.). 282 Die Frage nach dem Vcrhältnis von göttlicher und menschlicher Beteiligung am Heilsgeschehcn kann sich auch. unter ~Iinzunahme der drillen theologischen Tugend. im Schema von Glaube und Liebe ausdrUcken, wie es in Teilen der pietistischen Trndilion einschlägig war H1r die Wahrnehmung des Judcnlums (s. bei S. 24 Anm. 37f.). 283 S. dazu Kap. 1.2. hier S. 23f.
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und Hoffnung praktisch austauschbar verwenden konnte. um den Zusammenhang von Gericht und Gnade auszudriicken. 284
3. Problemgeschichtlicher Ertrag 1. Alrhaus und die heilsgeschicJu/iche Tradition. Althaus ist in seinem gesamten eschatologischen Denken grundlegend an einem Ewigkeilswert von Geschichte interessiert. und dieses Interesse als solches verbindet ihn mit der zeitgleichen Dialektischen Theologie. In ebenso grundlegend vollzogener Abkehr von dieser bestimmt er jenen Wen jedoch nicht rein negativ, sondern konzipiert Geschichte dreisteIlig. Damit drückt er aus, allein die Ewigkeit als das Jenseits geschichtlicher Polaritäten vermöge deren Zweideutigkeiten so aufzuheben. daß ihre Pole beibehalten werden. Die Analyse zeigte jedoch, daß Althaus in der LetzIgestalt seines Konzepts durch ein verändenes Verständnis von Verheißung den historischen Jesus Christus aus der Spannung aller Geschichte gegenüber der Ewigkeit entläßt und so zu einer Abwenung jüdischer Zukunftserwanung gelangt. M.a.W. das Problem, wie Eschatologie jenseits der Altemativlogik vom Satz des ausgeschlossenen Dritten wissenschaftlich verantwonet über christliche Zukunftshoffnung reden kann, ist bei Althaus nicht letztlich gelöst, und dies 28j zeigt sich gerade an seiner Wahrnehmung des Judentums. Das verbindet Althaus mit der Eschatologie der HeilsgeschichIlichen Theologie, denn auch sie wollte mit ihrem Ansatz bei der verheißenen Parusie Christi die Diastase von Person und Natur im theologischen, von Geschichte und Natur im allgemein geistesgeschichl1ichen Diskurs überwinden. doch auch sie geriet durch die Stufung ihrer Axiomatik von Person und Natur in die Abwenung des Judentums. Fcstzuhahen ist also: 111 problemgeschichtlicher Sicht gehört die Eselwtologie 11011 Palll AlthOlIS zusammen mir der heilsgeschichtlichen Tradition - untl nicht mir der Dialektischen Theologie. 286 Dagegen spriCht nicht, daß 284 Vgl. R. BULn1ANNS These (DEltS. [1924) 50) von der Identität des Sünders mit dem Ge· rechlfenigten, die: ..geglaubt' wird; zur Hoffnung bei K. Barth s. Exkurs 8. hKr S. 214-216. 285 Dieser problemgeschichtliche Enrag aus Allhaus' Eschalologie unlersm:icht die: BedeulUng des Wahmehmungsschemas von Geschichte und Ewigk.eit rur das Problem einer EschatologK im Gespräch mit dem Juderllurn. denn das Schema iSi besondef'S virulent eben bei Althaus und der Dialeklischen Theologie (I. S. 246 Anm. 241). und don findet es seine Zuspitzung eben an der Frage, WK das Judentum eingescllälZl wird (5. S. 246 Anm. 243). 286 Die vCl'tttilClC gegenteilige Ansicht (5. S. 214 Anm. 91) hal jedenfallS an der Problemgc' schichte keinen Anhalt.
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V. Die antiapokalyplische Eschatologie von Paul Althaus
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Ahhaus sich gerade gegen die Heilsgeschichtler v. Hofmann und Aulxrlen abgrenzt, da auch der umso mehr herangezogene M. Kähler, wie wir sahen, das eschatologische Erlx der Heilsgeschichllichen Theologie Ixi ähnlicher Skepsis gegen deren Vertreter antrat. Viel wichtiger ist, daß Althaus sein Konzept ülxrhaupt nur vor diesen heilsgeschichtlich denkenden Autoren legitimien. 287 Engste Verbindungen schafft daneben das Schema von Wahrsagung und Weissagung. das ftir Althaus ebenso wichtig ist wie rur die Heilsgeschichtler - obwohl er sich hierfür nicht auf sie beruft. sondern auf Erich Haupt, der dieses Schema in seiner Untersuchung der eschatologi· schen lesuslogien von 1895 festhält. Haupts Besonderheit liegt aber nicht in diesem seil Schleiennachers Zeit gängigen Schema, sondern darin, daß er lesu Eschatologie ganz aus dem messianischen Selbst bewußtsein lesu entwickeln will - kaum drei Jahre. nachdem j. Weiß in seinem bahnbrechenden Buch eine jegliche deranige Ableitung aufgrund des durchgehend es· chatologischen Charakters der Verkündigung Jesu verworfen hat! Sollte man aus Allhaus' Berufung auf den gegen den Strom der Zeit schwimmenden Haupt nicht entnehmen können. daß er sich seinerseits gegen die eschatologische Hochflut der Weiß und Schweitzer folgenden Dialektischen Theologie stemmt und vielmehr an die Seile des heilsgeschichtlichen Traditionsstromes stellt?288 2. Das Problem der theologischen Anthropologie. Und schließlich sieht die Literatur zu Althaus diesen zum Teil selbst indirekt in der heilsgeschichtlichen Tradition. wenn sie sein charakteristisches Interesse an der dreisteIlig verstandenen Geschichte (und dessen inhärente Problematik) in der - bei Althaus selbst keineswegs so prominenten - axiomatischen Begrifflichkeit der Heilsgeschichtlichen Theologie ausdrückt: derjenigen von Person und Natur. Natur und Person sind dabei neueren Stimmen zufolge bei Allhaus aufeinander bezogen wie Natur und Gnade im Sinne des vorkonziliaren Katholizismul1l9 oder wie eine existentiale Struktur und ihre gnadenhafte Ausfüllung im Sinne des nachkonziliaren Katholizismus eines 287 Vgl. ALTII....US (1933) 67-70 [70-731. wo er in allen Punklcn Material der früheren Aunllgen verarbeitet (s. S. 230 Anm. 170). S. auch die AusfUhrungen zu Allhaus' Bcgriffsgebl1luch von .Jlcilsg~hichte·· bei S. 236 Anm. 193--195. 288 DERS. (1922) 78 Anm. I "" CERS. (1926) 104 Anm. 1 beruf! sich auf Hlupl. krilisien aber 11.11.0.78 Anm. 1 "" CERS. (1922) 65 Anm. I dessen über"..cllliche EschalOlogk: 1933 wird Haupt nichl erwähn!. 289 Laut Wl\lMER (1979) 143 bleibt Allhaus' Anlhropologk deshalb l.wiespähig. ~il er das OOcthilllllSChe Konzept der Person als Substanz durch den Verhä.ltnisbegriff der Persooa1itäl ersetzl und ~ die menschliche Nalur durch das nach reformatorischer Einsichi sündige Gonesverllältnis definieren. also die Person mit der (sündigen) Nalur identifizkren muß. Der Mensch habe so keine posllive Bedeutung mehr fiir die Eschalologie (a.a.0. WS).
Zweiter Teil
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K. Rahner oder, in den Augen der finnischen LUlherforschung. wie die kantischen BürgeJ1ürner zweier Welten in Natur- und Sillengesetz. 291 In all diesen Fällen erscheint Althaus als Vertreter einer theologischen Anthropologie. die je nach Standon des betreffenden Autors aufgefaßt wird als natürliche Theologie bzw. als Fundamentalanlhropologie bzw. als Ethik der Zweireichelehre im Sinne des Personalismus der Lutherrenaissance. Doch ersteres deckt sich, wie gesehen, nicht mit Althaus' Interesse an einer "neutralen" Theologie (in AuseinanderselZung mit C. Slange292 ), und zweiteres übergeht Althaus' Differenz zur Kerygmatheologie (besonders R. Bultmanns 29J ) ebenso wie letzteres sein eschatologisches Spezifikum gegenüber dem Personalismus (etwa bei E. Hirsch 294). Unsere Analyse ergab demgegenüber, daß theologische Anthropologie für Althaus eine Überwindung des Alternativschemas von Aktiv und Passiv verlangt, daß aber gerade in der statt dessen vorgeschlagenen Begrifnichkeit des Opfers und der Hingabe diejenigen Tendenzen Vorschub erfahren. die, besonders in Althaus' Sozialethik, mit einer Abwertung des Judentums zusammenhängen. 295 Erst die Erhebung der Wahrnehmungsschemata zeigte dartiberhinaus, daß in jenem Verständnis von Anthropologie ebenso wie in dieser Problematik der Wahrnehmung des Judentums Parallelen bestehen zur pneumatologischen Eschatologie des baltischen Luthenums,296 die darin. nicht anders als Althaus, einen weiteren Zweig am Stamm der Heilsge· schichtlichen Theologie darstellt. Man kann daher ftir die Problemgeschichte folgern, daß Althaus mit sei· nem Komept eines dreisteIligen Geschichlsbegriffs, das ihn mit der Heilsgeschichtlichen Theologie verbindet. das Thema einer theologischen Anthropologie anschlägt. das sich uns ja als die Frage enthüllte. die in dem Begriffsschema von Glaube und Hoffnung implizien ist. Ein Blick auf die jüdischen Anfragen an die christliche Eschatologie zeigt nun, daß gerade die theologische Anthropologie ein Thema ist, das für eine Eschatologie im 290 Dieses Konzepl ähnelt der proIcslamischcn Existemialtheologie, beansprucht aber rur dic Ebene des Exislentialen. also ftir die Nalur als ein durch den persönlichen Glauben auszuftilleodes Raster des Glaubens, Offenbanmgsrang, KNITTER (1974) 82 sprichl daher mil Bezug auf Allhaus von einem ,,supernatural existenlial", 291 MARnKAINEN (1988) 6 siehl gegen Wimmer bei Althaus eine theologische Bedc:U1ung des Menschen rur die Eschatologie: ,,das Gewissen iSI das üntrum der Person. Somit iSi das Gewissen nicht vom Naturgc:sctz abhängig. sondern von GoUes unminelbarem Willen". 292 S. Exkurs 7 (S. 199f.). 293 S. Exkurs 8 (5. 214f.). 294 S. bei 5. 202 Anm. 40 b1.w. S. 212 Anm. 85 bzw. S. 222 Anm. 138. 295 S. Kap. V.I.2. hier S. 235-240. 296 S, Kap. V.2.2, hier 5. 253--255, v.a. zu T. Hahn (bei 5. 254 Anm. 279-281).
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V. Die antiapokalyptische Eschatologie von Paul Ahhaus
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Gespräch mit dem Judentum höchste Bedeutung hat. Besonders L. Baeck betont, daß die Gegenüberstellung von menschlicher Passivität gegenüber göul icher Aktion, wie sie sich aus der reformatorischen Sünden- und Gnaden lehre, besonders der Lehre vom unfreien Willen, ergebe, für keine Strömung des Judentums plausibel ist, daß hier vielmehr mit einem Zusammenwirken von Gott und Mensch gerechnet wird. Und H. Cohen, der dieses Zusammenwirken im Begriff der Korrelation zum Zentrum seiner jüdischen Religionsphilosophie macht, wählt dafür mit dem heiligen Geist denselben biblischen Ausdruck wie die pneumatologische Eschatologie. Ja, indem er darunter mit der zugrunde liegenden hebräischen Vokabel (Ps 51,6) den Geist der Heiligung versteht und die ..Heiligung des Namens (Gottes)" der Terminus für das Martyrium ist, berührt er mit dem Theorem der gottmensch lichen Korrelation zugleich das Thema des Leids. Dieses bildet für die pneumatologischen Ansätze der baltischen Lutheraner den Entdeckungszusammenhang der Eschatologie. So entwerfen sowohl v. Oettingen als auch Hahn ihr Verständnis von Anthropologie in einer dreistelIigen Leidensbegrifflichkeit. Man kann daher annehmen, daß eine eschatologische Anthropologie auch das Thema der Theodizee wird behandeln müssen. Mit alldem verdichten sich die Hinweise, daß mit der Eschatologie von Paul Althaus und der breiten Diskussion darüber ein problemgeschichtlieher Zusammenhang angeschlagen ist, der die gesamte heilsgeschichtliche Tradition von v. Hofmann über Kähler durchzieht und der für die Revision christlicher Theologie hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Judentum von allerhöchster Bedeutung ist. Es ist darum nun an der Zeit. die so gewonnenen Ergebnisse zuammenzufassen und systematisch im Gespräch mit dem gegenwärtigen eschatologischen Diskurs auszuwerten.
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VI. Ergebnisse und Ertrag für Systematik und Ökumene
Die vorliegende Untersuchung hat sich die Aufgabe gestellt (Kap. 1), Themen für ein evangelisches Verständnis von Eschatologie besonders im Hinblick auf eine theologische Würdigung des Verhältnisses zum Judentum zu ermitteln. Die Ergebnisse, welche die problemgeschichtliche Analyse im Hauptteil (Kap. li-V) hierzu erbracht hat. sollen nun zunächst für die ein· zeinen Rubriken der analytischen Kapitel zusammengefaßt (Kap. Vl.l-3) und dann in einem Entwurf von Eschatologie als Lehre von der Verheißung systematisch entfaltet werden (Kap. V1.3.1-4).
I. Ergebnisse für die Theologiegeschichle In den ersten Abschnitten der vorstehenden Kapitel wurden die ausgewählten eschatologischen Konzeptionen aus inneren SachgTÜnden im Dienste einer Problemgeschichte evangelischer Eschatologie werkimmanent analysiert; 1 die Problemzusammenhänge, die so erkennbar wurden, liefern aber auch einer im engeren Sinne theologiegeschichtlichen Fragestellung einige Ergebnisse, d.h. es bilden sich theoriegeschichtliche Knotenpunkte, an denen eschatologische Typen unterschieden werden können. Ausgang unserer Analysen war der Nachweis. daß Schleiennacher ein systematisches Dilemma der Eschatologie konstatiert, das der spätere Diskurs entweder bejaht (umsetzt) oder bestreitet (aufhebt). so daß sich im wesentlichen zwei Stränge ergeben: 2 Der eine versteht die Eschatologie fundamentaltheologisch als Problem der Voraussetzungen theologischen Denkens und Redens. der andere begreift sie heilsgeschichtlich als Frage des theologischen Verständnisses von Zeit und Geschichte. Jene erste Richtung konzentriert sich charakteristischerweise auf die prinzipielle Bedeutung der Eschatologie für ein theologisch wissenschaftlich verantwortbares, nicht naiv gegenständliches Reden von der erhofften Zukunft Goues. Für diese Richtung sind bestimmte Fragestellungen ein· I S. Kap. 1.1. hier S. 20. besonders bei Anm. 26. 2 S. Kap. 11.3. hier S. 78.
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VI. Ergebnisse und Ertrag für Systematik und Ökumene
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schlägig, welche die vorliegende Untersuchung mit teils bisher unerforschten, teils neu zu bewertenden Konzeptionen verbinden konnte: Zu diesen Fragen zählt das Verständnis der Eschatologie als regulativer Idee, das auf H.C. Schmidt zurückgeht J und ebenso wie die Vorstellung vom progressus in infinitum besonders bei R.A. Lipsius und A.E. Biedermann4 in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Tradition Kants steht. Letzteres gilt auch für das Problem der eschatologischen Anschauungsformen, das sich uns als Motiv der Bevorzugung des Glaubens- vor dem Hoffnungsthema etwa bei F. Traub ergab. s Unter solchen Fonnen spielt die auf H. Steffens zurückgehende Lehre von der Involution der unsterblichen Seele eine besondere Rolle; auf sie greifen neben dem Liberalen F.H. Kern praktisch alle Vertreter der Venniulungstheologie zurück, deren eschatologischer Entwurf hier erstmals als solcher rekonstruiert wurde. Er repräsentiert idealtypisch diese ganze theologiegeschichtliche Richtung, besonders in ihrer prinzipientheoretischen Bedeutung. 6 An dieses prinzipielle Moment schließt der vielbeachtete Aufschwung der Eschatologie in der Dialektischen Theologie und der sie vorbereitenden Konsequenten Eschatologie an. Letztere ist nach unseren Analysen zugleich charakteristisch für die Frage nach den eschatologischen Rede- und Veranschaulichungsfonnen. 7 Eine weitere Rückbindung an die Vernlinlungstheologie besteht darin, daß sowohl beim Schul haupt der Konsequenten Eschatologie, A. Schweitzer, als auch bei den wenig untersuchten Verminlungstheologen l.P. Lange, H.C Schmidt und H. Gerlach die Eschatologie neben Arbeiten zum "Leben lesu" steht, also dem zeitgenössischen Streitthema, das durch E. Renans gleichnamiges Buch angefacht wurde. 8 Die andere, heilsgeschichtliche Richtung hat demgegenüber ein klar unterschiedenes. aber ebenso kennzeichnendes Profil. Sie wird durch l.CK. v. Hofmann begründet, der neben CE. Luthardt besonders in MeckJenburg (außer T. Kliefoth die bislang unerforschten H. Karsten und W. Floerke) eine breitgefächerte Schülerschaft findet. 9 Kennzeichnend ist hier neben der gemeinsamen Axiomatik von Person und Natur (Gottes- und Wellverhähnis ) S. S. 73 Anm. 120. 4 S. S. 148 Anm. 62. 5 S. S. 250 Anm. 258. 65. Exkurs 2 (5. 69ff.) zur Vennilllungsthcologie und zur Involulionslehre. 75. EXKUrs 6. hier S. 190-192. 8 VgJ. Joh:mn Peler LANGE. Das Leben Jesu nach den Eyangelien dargestelll 1-111, Heidelberg 1844/47: Hennann GERU.CH. Gegen Renan. Leben Jesu. Berlin 1864: Hennann Christoph SCItMIOT über Aufgaben und Grenzen eines Lebens Jesu. in: ThStKr 51 (1878) 393-457. 9 S. Kap. 111.1.1. hier S. 103-118 und ygl. dazu TIIElSSE/II (2002).
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Driller Teil
des Menschen) die intensive Auseinandersetzung mit dem Alten Testament und mit dem Chiliasmus, die für die systematische Frage nach dem theologischen Verständnis der Geschichte steht. Diese Punkte machen es auch sinnvoll und notwendig, die bedeutenden Eschatologen M. Kähler und P. Althaus (und als Bindeglied dazwischen die hier erstmals untersuchte lO Eschatologie des baltischen Luthertums ) nicht der Konsequenten Eschatologie bzw. der Dialektischen Theologie. sondern eben der heilsgeschichllichen Denkrichtung zuzuordnen. ll Für sie ist kennzeichnend, daß sie das Thema der Anthropologie, das in jener ersten Richtung mil Steffens' Seelenlehre gegeben ist, als Überwindung der gängigen Dichotomien behandelt, wie jeweils aus der Auseinandersetzung mit benachbarten Eschatolo· giekonzepten deutlich wurde: so für LC.K. v. Hofmann im Unterschied zur theosophischen Eschatologie; so für M. Kählers Verständnis von Menschheit im Gegenüber zu liberaler Dogmatik und Rirschlschule; so für P. Althaus im Unterschied zur Dialektischen Theologie. 12 Angesichts dieser beiden, dicht geflochtenen Traditionsstränge erscheint die Auffassung, die Eschatologie im 19. Jh. sei ein bloßes ,.Loch" und ihr Büro "geschlossen", kaum mehr haltbar; besonders der zweite der O.g. Stränge war nicht im Blickfeld dieser Auffassung.
2. Ergebnisse für die Wahmehmungsschemata Die polaren Begriffsschemata, in denen sich die theologische Auffassung vom Judentum in den Quellen dieser Untersuchung oftmals niederschlägt, wurden hier in erster Linie als Anzeichen für Problematiken im christlichtheologischen Diskurs gewertet. 13 Dieser Zugriff erlaubte aber zugleich, an bestimmten Punkten der Problemgeschichte Verdichtungen im Gebrauch solcher Begriffspaare nachzuweisen, die über die bekannten Gegenüberstellungen (Fleisch/Geist, Noch nicht/Schon jetzt, Partikularität/Universalität usw.) hinaus von eigenständigen Wahmehmungsschemata und deren jeweiliger Wirkungsgeschichte zu sprechen erlauben. Hier ist vor anderen die begriffliche Binnendifferenzierung der Verheißung zu nennen, also das Gegenüber von Weissagung und Wahrsagung. das sich bei Schleiermacher lOS. Kap. V.2.2. hier S. 253-255. 11 S. den Schlußabsatz von Kap. IV zu Kähler bzw. Kap. V.3. hier S. 256f. zu Allhaus. 12 S. Kap. 111.1.1. hier S. 96--102 zu Y. Hofmann bzw. Kap. IV.3. hier S. 183-186 zu Kähler bzw. Exkurs 8 (S. 214ff.) und Kap. V.1.2. hier S. 224 zu Althaus. 13 S. Kap. 1.2. hier S. 23f.
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VI. Ergebnisse und Er1mg ftir Systematik und Ökumene
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anbahnt, bei A. Tholuck ausdrücklich wird und dann vor allem bei P. Althaus (als Apokalypsismoriv) wirksam wird. 14 Auf diesem Schema baut wiederum eine charakteristische Auffassung von einer bestimmten Verheißung, nämlich der der Parusie, auf: die Lehre von den zwei Adventen Christi (im Unterschied zur nur einen Ankunft des Messias im Judentum), die wohl auf LA. Domer zurückgeht und bei den unterschiedlichsten Autoren bis weit ins 20. Jh. hinein wirkt 15 - ein weiteres Indiz dafür, diese Zeit nicht auf den eschatologischen Aufbruch um Weiß, Schweitzer, Buhmann und Barth zu reduzieren. Dies gilt auch für die Unterscheidung von Glaube und Hoffnung. deren Betonung im Diskurs vor 1922 oftmals theologische Einschätzungen des Judentums transponiert, ehe die Dialektische Theologie mit ihrem beherrschenden Auftreten beide Tennini sinngleich gebrauchen kann. 16
3. Ertrag für die Eschatologie im Verhältnis zum Judentum Die Themen, die sich aus unseren Analysen für eine evangelische Eschatologie ergaben, sollen im vorliegenden Abschnitt zunächst für die jeweiligen Kapitel zusammengefaßt werden. Danach können sie auch abgelöst von der Bindung an bestimmte Autoren in einer systematischen Betrachtung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionslage in der christlichen Theologie sowie der Eschatologie und ihrer Beziehung zum Judentum entfaltet werden. I. Schleiermacher: Verheißung lind Zeitverstö"dnis. Schleiennachers Eschatologie läuft auf den Aufweis hinaus, daß die im Protestantismus obligaten vier letzten Dinge kein geschlossenes Gesamtbild ergeben, sondern immer in partikularen Vorstellungen hängen bleiben. Diese Partikularilät ist nach Schleierrnachers Religionsauffassung das charakteristisch jüdische Moment der Eschatologie und mit dem christlichen Konzept der Universalität unvereinbar. Schleiermacher hat seit seinen "Reden" dieses Gegenüber von Judentum und Christentum am Phänomen der Weissagung festmachen können, denn hier stehen die auf einen "Schauplatz ohne Verwickelungen" berechnete Weissagung des (at 1.) Judentums und der christologische "Gipfel" der Weissagung, der zugleich ihr "Ende,,17 ist, zueinander wie Paniku14 S. S. 127 Anm. 204 zu Tholuck und bei S. 227 Anm. 157 zu Althaus. 15 S. S. 125 Anm. 197. 16 S. Kap. V.2.2 (S. 247ff.). 17 Zu den Zil:lIen s. S. 61 Anm. 66 bz.w. S. 63 Anm. 70.
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Dritter Teil
larität und Universalität. Die Frage nach Panikularität und Universalität erwies sich aber gerade im Vergleich mit der zeitgenössischen Eschatologiedebaue der rechten Hegelschule als das Problem des Zeitverständnisses, nämlich der linearen Auffassung von Zeit als einem "bloßen Nacheinander" (Kant). Man kann daher auch das Problem der Verheißung als eine Gestalt des Zeitverständnisses auffassen: Eschatologie redel von der Zukunft in einer bestimmten Hinsicht, nämlich soweit sie als Gottes Zukunft erhofft wird, im Modus der Verheißung. Diese Verbindung des Zeitthemas mit dem der Verheißung drückt sich in gewichtigen Anfragen aus, welche die jüdische Religionsphilosophie der christlichen Eschatologie gestellt hat: So drückt F. Rosenzweig seine Kritik am chrisllichen Schema von Verheißung und Erfüllung als eine Umkehrung der Zeitfolge aus und flankiert damit M. Bubers Abwehr des Zeilkonzepts einer (christologischen oder sonstwelehen) Zäsur in der Geschichte. 18 Zeit und Verheißung sind also ein wichliges Thema, das Schleiennachers Problemstellung einer evangelischen Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum aufgibt; mit dem traditionellen Terminus ist die durch die Verheißung als theo-Iogisch qualifiziene, erhoffte Zeit die Ewigkeit. 2. Heilsgeschichtliche Theologie: Parusieerwartung. Die drei hier schwerpunktmäßig untersuchten Konzeptionen außer Schleiermacher lieBen sich mit je einem der eschalologischen Charaktere "Chiliasmus", "Messia19 nismus" und "Apokalyptik" verbinden. Die Heilsgeschichtliche Theologie kennzeichnet ihr Chiliasmus. Dieser entspringt, so zeigte die Analyse, aus der heilsgeschichtlichen Axiomatik von Person und Nalur, welche die eschatologische Erwartung aufteilt in eine das Gottesverhältnis des Menschen und eine sein Wellverhältnis betreffende Seite. Diese Einteilung ist, wie der Vergleich mit der zeitgenössisch bedeutsamen Unterscheidung von Geschichte und Natur lehne, dem Thema der Parusie, dem nach Gottes- und Weltverhällnis vollendeten Chrislus. entnommen. Deswegen fußt der oft beobachtete Übergangs- oder Mischcharakler des Chiliasmus weniger auf zeitlichen oder räumlichen Doppelungen (Chiliasmus als Zwischenreich oder Himmel auf Erden), sondern auf dem ungeklärten Verhältnis des histo20 rischen Kommens Jesu zu seiner erhofften Parusie. Hierunter wird in der Heilsgeschichl1ichen Theologie, wie Beck lehrte, oftmals eine Zeit der Kirche verstanden: Sie bildel eine höhere Epoche der Geschichte, aus der das Judenlum ausgeschlossen wird, so daß sich das unbestreitbar starke Interes18 S. zu Rosenzweig Kap. 1.3. hier S. 34-31: besonders Anm. 89. 19 Zu diesen Charakteren s. Kap. 1.1. hier S. 15-20. 20 S. Kap. 111.1.2. hier S. 120-123.
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VI. Ergebnisse und Enrag rur Syslemalik und Ökumene
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se an Israel auf Ur- und Endzeit beschränkt?l Man kann vor diesem Hintergrund sagen, daß Bubers Einwand gegen eine Zäsur in der Geschichte22 besonders heilsgeschichtlichen Entwürfen von Eschatologie gilt, eben dem Verständnis einer mit Jesu Kommen angebrochenen höheren Geschichte. Da Heilsgeschichtliche Theologie aber gerade beim Kommen Jesu, freilich seinem zukünftig verheißenen Kommen ansetzt, bedeutet Bubers Einwand, daß die systematische Kernfrage des Konzepts der Heilsgeschichte in der Klärung der Parusieerwal1ung besteht, besonders in ihrem Bezug auf das Kommen Jesu in Zeit und Geschichte. 3. Kähler: Metaphorische Rede. Wie die Heilsgeschichtliche Theologie an Schleiermachers Verheißungskonzept ansetzt, so greift auch Kähler den neuralgischen Punkt der vorangegangenen Tradition auf. Das ist die Paru· sieerwal1ung, die für Kähler wie für die Heilsgeschichtliehe Theologie geschichtserschließende Funktion hat, bei jenem aber die heilsgeschichlliche Stufung nach Person und Natur aufhebt. An ihre Stelle tritt Kählers Konzept einer soterologischen. d.h. an der Person des Messias (Soter) orientierten, Eschatologie, die darum mit dem Messianismus assoziiert werden kann. 23 Kähler befolgt dabei ein Verfahren eschatologischer Begriffsbildung,24 in dem die erhoffte Zukunft selbst - Kähler spricht vom Übergeschichtlichen - zugleich Grund und Grenze geschichtlicher Ausrichtung auf sie (z.B. in Hoffnung oder in Fortschritt) ist und darum an der Geschichte teilhat und sie doch zugleich übersteigl. 25 Hierin liegt das metaphorische Potential eschatologischer Rede, so daß sich Kählers Konzept am gebündeltsten zeigt in seinem Bibelverständnis und dem Gebrauch von Bildem,26 mit denen er sein Verständnis von Menschheit - im Konzept der Menschheitsreligion, das sich, etwa im Vergleich mit dem Spätwerk H. Cohens, als besonders einschlägig für die Einstellung zum Judentum herausstellte 27 konkretisiert. Kähler positioniert sich damit auch in den einschlägigen Kontroversen des Untersuchungszeitraums, in denen über die Fronten verschiedener Gestalten des Messianismus hinweg der menschheitliche Horizont und die geschichtliche Konkretion der Zukunftshoffnung das kennzeichnend messianische Moment bilden,28 mag dieses nun auch im einzel21 s. Kap. 111.1.2. hicr$. 118-120. 22 S. Kap. 1.3. hier S. 37-41. 23 $. Exkurs 5 ($. 153f.) zur Smcrologie. 24 S. bei S. 168 Anm. 153f. 25 S. Kap. IV.I.I (S. 137ff.) anhand des wenig untersuchten Eschalologievonrags lIon 1867. 26 S. Kap. IV .1.2. hier S. 168-174 und Kap. IV.2 (S. I 78fr.). 27 S. Kap. IV.1.2. hier S. 159-168. 28 S. Kap. 1.1. hier S. 19f.
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Driller Teil
nen als weltweite Praxis des Evangeliums oder als Menschheitskatastrophe verstanden werden. 29 Kählers eschatologische Metaphorik als Konkretion seines Konzepts von Menschheit stellt so ein wichtiges Thema evangeli. scher Eschatologie im Verhältnis zum Judentum dar. 4. Althaus: Theologische Anthropologie. Der Umgang mit den biblischen Bildern, Kählers thematischer Ertrag für die Eschatologiegeschichte, ist nun aber die Front, die Althaus in seiner Eschatologie vor Augen hat. Sie kann als anliapokalyptisch charakterisiert werden, weil Apokalyptik für Althaus (ebenso für Stange und Brunner)30 heißt, diesseitiges Bild und jenseitige Sache der Eschatologie, Menschliches und Göttliches unzulässig zu vennisehen, und zwar gerade in dem Bestreben, beides zu unterscheiden. 31 Gegen dieses Dilemma setzt Althaus sein schon am Aufbau des Buches ablesbares Konzept der Ewigkeit, die als das Jenseits der Zeitlichkeit deren Pole festhält, aber ihre Polarität aufhebt. 32 Bei Althaus schlägt sich dieses paradoxe Verständnis von Ewigkeit nieder in der DreisteUigkeit, die seinen Geschichtsbegriff und seine Anthropologie kennzeichnet, ja überhaupt in sei· nem unübersehbaren Interesse an der theologischen Sozialethik, die durchweg von dieser Dreistelligkeit geprägt ist. 33 Damit wird der Satz vom ausgeschlossenen Dritten in Abrede und zugleich die Frage nach der Wahrheitsfahigkeit der Eschatologie gestellt;34 Althaus antwortet darauf mit der Wirklichkeit der Eschatologie, indem er die Ewigkeit als Zugleich von Tun und Ruhe, Aktivität und Passivität bzw. menschlicher Aktivität und göttlicher Aktivität beschreibt, kurz: indem er, der pneumatologischen Eschatologie bei E. Schaeder und den Balten Hahn und v. Oettingen folgend, die anthropologische Alternative von Handeln und Erleiden und ihre soteriologische Entsprechung, die Alternative von Gottes Handeln und menschlichem Erleiden von Gottes Handeln, neu zur Diskussion stellt. 3S Althaus' Es· 29 Dies sind die Standpunkte in der Dcbatle zwiS(;hen H. Gollwitzer und G. Scholern (s. S. 20 Anm.25). 30 S. Kap. 1.1. hierS. 16-19. ALTtIAUS (1933) 74 [771 nennt selbst einmal die Eschatologie Jesu und des Paulus. auf die er sich beruft...wider.apokalyptisch". 31 Erst 1933 versteht Ahhaus Apokalyptik eher einseitig als Vergegenständlichung stall als Vermischung und setzt dem. ebenso einseitig. eine vergeisligte Eschatologie enlgegen. Ursprünglich galt sein Interesse in charaktcristiS(;hem Unterschied zur Dialektischen Theologie (s. Exkurs 8 [So 214ff.)) gerade dem Problem, wie die Zweideutigkeit der Geschichte angesichls des Eschaton zu erfassen sei. ohne vercindeutigt zu werden. 32 S. Kap. V.LI (S. 194ff.). 33 S. S. 224 Anm. 145. 34 Diese Frage steckt im Wahmehmungsschema von Geschichte und Eschatologie (5. K:lp. V.2.1 [So 24Iff.]). 3S Zur Wirklichkeitsfrage im Wahmehmungsschema von Hoffnung und Glaube s. Kap. V.2.2 (S.247ff.).
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VI. Ergebnisse und Enrag für Systematik und Ökumene
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chatologiekonzept erinnert so an Cohens Korrelationsmethode. die dieser der zeitgenössischen christlichen Eschatologie gegenüberstellt, sowie allgemeiner an Baeck, der das Judentum überhaupt als die Religion der Paradoxien der Sittlichkeit definiert und unterstreicht, daß im Judentum die Anthropologie nirgends in einen soteriologischen Zusammenhang wie im Christentum eingespannt ist. 36 Die anthropologische Wirklichkeit erscheint hier geradezu als Markenzeichen des Judentums. Wenn nun Althaus mit diesem für das Verhältnis zum Judentum so ausschlaggebenden Thema der anthropologischen Wirk.lichkeit auf das Problem der Wahrheit der Eschatologie antwortet, das einst den Anstoß für Schleierrnachers Eschatologiekritik gegeben hatte, dann schließt sich in dieser Antwort ein thematischer Bogen, der den Quellenzeitraum der vorliegenden Untersuchung umspannt. Die Überlegungen können sich daher nun der systematischen Entfaltung dieser Themen im gegenwärtigen Diskurs von systematischer Theologie und christlich-jüdischer Ökumene zuwenden. Dabei ruht das Augenmerk auf dem sachlichen Ertrag der bisherigen Analysen für den systematischen (in den folgenden Abschnitten als Pkt. I) und ökumenischen Diskussionsstand (Pkt. 2). 5. Ergebnis. Für eine evangelische Eschatologie im Verhältnis zum Ju. denIUm ergeben sich somit vier Themen, nämlich das Verständnis von Zeit und Ewigkeit, die Parusieerwartung, die Metaphorik und die theologische Anthropologie. Daß damit genau der Vierzahl der Eschata entsprochen ist, welche die protestantische Tradition vorschreibt, hat keine inneren Gründe, zumal dieser Themenkatalog nicht abgeschlossen ist. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, daß schon diese Themen nicht auf einer Ebene liegen, sondern teils traditionsgeschichtliche Topoi, teils eschatologische Charaktere und teils Prinzipienfragen betreffen. Es scheint jedoch, daß sich alle vier Themen im Stichwort der Verheißung bündeln, denn Verheißung ist die religiöse Qualifikation der in der Eschatologie thematischen zukünftigen Zeit, während die Parusie der Inhah der Verheißung ist, die Metaphorik hingegen ihre Form. Die theologische Anthropologie schließlich ist als Verhältnisbestimmung göttlicher und menschlicher Beteiligung am Heilsgeschehen dasjenige Thema, das von Verheißung überhaupt erst sinnvoll reden läßt, nämlich als Verheißung Goues an den Menschen.)7 Daher wird in der folgenden Skizze eines evan· 36 S. Kap. 1.3. hier S. 31L und bei S. 26 Anm. 46 zu Baeck bzw. Kap. 1.3, hier S. 32-34 zu Cohcn.
37 Auch bei den Wahmehmungsschemala (5. Kap. II-Vn) ist das Thema ..Verheißung" in seinen verschiedenen Binnendifferenzierungen SIelS pr'.isenl.
000402 1.142 (Hervorhebung aufgehoben).
VI. Ergebnisse und Enrng ftir Systematik und Ökumene
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tels uOlerscheidet in der hergebrachten Fragestellung "unde mal um?" dreierlei Begriff von mal um, nämlich das metaphysische Übel sowie als dessen Manifestationen das moralische Böse und das physische Leid, so daß Böses und Leid aus dem (metaphysischen) Übel hervorgehen, daß Menschen keine Götter sind, sondern die Sünde - so der theologische Titel des metaphy· sischen Übels - GOll und Mensch trennt. Auch in dieser dreigliedrigen Theodizee geht es also um das Beteiligungsverhältnis von Gott und Mensch arn Heilsgeschehen. Die evangelische EschalOlogiegeschichle zeigt nun durch ihre Wahrnehmung des Judentums, daß die Verhältnisbestimmung dieser drei Glieder entscheidend ist für die Erfassung des Verhältnisses von GOlt und Mensch: Die Theologie darf nämlich im Begriff des Übels das Leid weder mit dem Bösen kurlschließen noch VOll ihm abkoppeln. Das eine Extrem geschieht. wenn das Leid. womöglich unler dem Eindruck der Shoa, als Hauptthema der Theodizee mit dem Bösen geradezu gleichgesetzt wird als das, was mit Gou schlechterdings unvereinbar, darum aber auch gar keiner theologischen Bearbeitung zugänglich ist. sondern nur in der Klage herausgeschrien wer· den kann; die Theodizeefrage bleibt dann notwendig ohne Antwort.89 Das andere Extrem unterbindet noch vor aller Antwon die Theodizee/rage nach dem Leid. indem es die Bedeutung des Glaubens auf die Überwindung des als innerl icher Geistesmacht verstandenen Bösen beschränkt und dagegen das Leid als Äußerlichkeit und den Wunsch nach seiner Überwindung als fleischlichen Irnum des Judentums abtut; letzteres war in der evangelischen Eschatologiegeschichte bei den Venretern der leidgeprüften baltischen Nationalkirche zu beobachtcn. 90 - Mit der Überlegung. daß Gott das Böse nur überwindet. indem er es durch/eidet. hat allerdings dieselbe theologische Tradition beide Extreme durch das Phänomen des Erleidens überbrückt und damit die Allemative von Aktiv und Passiv zunächst für die Soteriologie (aktiver GOIt und passiver Mensch) und in unmittelbarem logischen Anschluß auch für die Anthropologie als gegenstandslos erwiesen. 91 Damit ist nicht weniger geleistet als die Überwindung der seit Aristoleles klassischen Alternative von bios praktikos und bias theoretikos. vita aCliva und vila conlemplativa. denn in diese Polarität zieht mit dem Phänomen des Erleidens eine dritte Größe ein. Das gibl insofern dem Leiden einen Sinn, als 89 l.B. dic ciner
iSr.lCllhco~i.schcn
Rcvision
chri~'ichcr
Dogmatik zlWbtitcndc Untcrsu-
chung: KRESS (1999). 90 S. bei S. 255 Anm. 281. 91 5. Kap. V.2.2. hier 5. 2S~255. v.a.. bei Anm 279.276 zur lhco-Iogischcn Frage (Hahn) bzw. zur anthropologischen Konsequenz (v. Oellingen).
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damit der sprachliche Sinn von ..Ieiden" erweitert wird und über die Erfahrung bestimmten, mit der Empfindung der Unlust verbundenen Geschehens hinaus einen anthropologischen Sachverhalt jenseils von Aktiviliit und Pas· sivität bezeichnet. Begreift man es so, dann steht diese Erkenntnis des baltischen Luthertums auch gar nicht allein da, denn im Miuclpunkt aller derjenigen eschatologischen Traditionen, die sich in irgendeiner Weise auf die anthropologische Spekulation bei H. Steffens (lnvolulionslehre) oder F.C. Gelinger (Lehre vom Abendmahlsleib) stützen, war zu beobachten. daß sie die Insuffizienz der Alternative von Aktiv und Passiv aufdecken. Dies gilt für so unterschiedliche Strömungen wie die Auseinandersetzung erweckli· eher Theologie mit der theosophischen Spekulation einerseits und die libe· rale. historisch-kritische Eschatologie im 19. Jh. andererseits, besonders freilich für die Vermittlungstheologie. 92 Aber auch schon eine frühere Form vermittelnder Theologie, nämlich die sog. philippistischen Lehrstreitigkeiten, konzentriert sich, etwa im synergistischen Streit, auf die melanchthonische Litotes. des Menschen Wille sei "nicht müßig in der Bekehrung;" was die Unzulänglichkeit der anthropologischen Alternativsetzung unterstreichl. 9J Letztlich fußen all diese Problemanzeigen auf M. Luthers Konzept der vita passiva. mit dem er die Alternative von vita activa und vita contempla. tiva überwinden will. 94 Vita passiva ist dabei nicht der Mittelweg, der von beiden Polen der Alternative gleich weit entfernt iSI,~ sondern steht quer zu ihr als ganzer, wie denn Luther damit traditionsgeschichtlich auf die in jener Alternative ebenfalls nicht unterzubringende deutsche Mystik zurückgreift, welche die anthropologische Dimension des Glaubens als Widerfahrnis. besonders des Hingerissenseins. beschreibt. Entscheidend ist dabei die Erkenntnis von C. Link. daß der frühe Luther in Anlehnung an J. Tauler unter vita passiva eine LeidensfTÖmmigkeit der imitalio passionis Christi versteht, während ab Luthers zweiter Psalrnenvorlesung (seit 1518/19) Christus Exempel nicht mehr des Leidens, sondern des Sierbens und Aufer-
92 S. einerseilS Exkurs 3. hier bei S. 102 Anm. 94. andererseilS Exkurs 4 (s. l44ff.) und besonders Exkurs 2, hier S. 72. 93 Der Melanchlhonsau (aus den Loci \'on 1535 und 1543: eR XXI.376.658), der auf Johannes Chrysoslomus und (Pscudo-) Basilius zurück (PG U.143 bzw. a.a.O. XXX1I482) und wird in Fe Epitome 11. Negaliva 8 (Bd~rtn/"iss(' 11997) 11.222) als miBversländlich krilisien. 94 Dazu vgl. BAYER (1994) 42--49. 95 Gegenwänig nimml HÄRLE (1992) 77 rur den Glauben eine .,aklive Passivität" im Sinne eines ..5ich-beslimmen-Lassens- an. qualifizien dies aber ßäherhin als ..Unlerlassc:n einer gegebenen H:mdlungsm6glkhkeil- (Zilale DERS. 11995) 516.517). 1A'aS doch noch sehr am GegensalZ von Akliviläl und Passiviläl orienlien ist
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VI. Ergebnisse und Ertrag ftir Systematik und Ökumene
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stehens ist, so daß das leidenl.liche Moment des Menschseins in der Hoffnung auf die Gleichgestalt mit diesem Ergehen Christi besteht. 96 Mit diesem Bezug auf Tod und Auferstehung aber bekommt die Anthropologie eine klare eschatologische Ausrichtung. Vita passiva ist demnach nicht die Vermiulung der Alternative von Aktivität und Passivität, sondern ihre wirkliche Überwindung durch die Zukunftsverheißung. Vita passiva bezeichnet also einen Sachverhalt theologischer Anthropologie: daß der Mensch durch eine Größe konstituiert ist, die außerhalb des anthropologisch erfaßbaren Möglichkeitsrahmens anzusiedeln ist. So konnte Luther den Menschen definieren als dasjenige Wesen, das durch GOll gerechtfertigt werden sol1. 97 Anthropologie in theologischer Perspektive handelt darum von der Externität des Menschen, der von außerhalb des Menschen durch den rechtfertigenden GOIl konstituiert wird. während die Philosophische Anthropologie in umgekehrtem Richtungssinne von der Exzentrizität des Menschen redet, weil er, anders denn das Tier, sich als Person von seinem Zentralorgan distanzieren kann. Diese wichtige Nuance markiert einen grundlegenden Unterschied zwischen theologischer und philosophischer Anthropologie, denn Gegenstand der philosophischen Anthropologie ist die "conditio humana" (H. Plessner), also das Menschsein im Unterschied zu den Phänomenen der außermenschlichen Natur der Tiere und Pflanzen. Gegenstand der theologischen Anthropologie ist dagegen der Mensch als Mensch in seinem Verhältnis zu GOll, also als Geschöpf GOlles. 98 Das ist nicht der Mensch schlechthin, sondern so, wie er sich in der Sicht des Glaubens darstellt. Dies heißI nun wiederum nicht. daß für eine theologische Anthropologie nur der glaubende Mensch thematisch wäre; im Gegenteil ist ihr Thema der Mensch liberhaupt, aber eben in theologischer Perspektive, d.h. Gegenstand der theologischen Anthropologie ist der Mensch als Geschöpf Gones des Schöpfers. 99 Von hier aus erklärt sich, daß theologische Anthropologie als eschatologisch verstandene Schöpfungslehre durchzuführen ist. Die Schöpfungslehre 96 LINK (1984) 320ff. 336ff. zum fruhen bzw. späten LUlher. 97 So in These 32 der Disputnlio de homine (1536): WA XXXIXJI.176.33. 98 Die Schwäche der ,,Studien zu den anthropologischen Implikluionen der Eschatologie" bei UERRMANN (1997) ist m.E., daß er .,das Ich. an dem sich das lluferweckende und ...erwandelnde eschatologische Uandeln Gottes im Geist ereignet", als SeeJesein bestimmt (n.a.O. 63) und nicht als Geschöpnichkeit. Dabei hiitte gerade diese dezidien theo·logische Kategorie ausdrücken können, was nir Uerrmanns Arocit ,,ein roter Faden" (a.a.O. 15) sein soll, daß nämlich Eschatologie nur .....on Gott als der wirk.enden e;o;temen Größe" (a.n.O. 307) her begründet werden kann. Herrmann selbst drück.t dies Slan dessen durch eine Repristinat.ion Kliefoths (a.a.O. 307-310) aus. 99 Zum wissenschaftslheoreliscllen Status solcher Aussagen s. bei S. 185 Anm. 214.
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handelt demnach nicht von einem "Urstand" (und die Eschatologie dementsprechend nicht von dessen, vielleicht überbietender, Restitution); sie sagt nicht, was der Mensch einmal war, aber durch die Schuld seines Willens nicht mehr ist, sondern was er nach Gones Willen sein soll. In der altprotestantischen Dogmatik wird dieser Aspekt von Schöpfung in der Vorsehungslehre bearbeitet, denn diese handelt ja nicht von einem vorgezeichneten oder gar vorherbestimmten Weg des Menschen, sondern von der Hoffnung, daß aus den einzelnen Lebensdaten des Menschen - in der Sprache der Berufswelt wäre von einem Lebenslauf zu reden - allererst ein Lebensweg wird,l00 denn daß dies geSChieht, ist nicht in das Belieben des Menschen gestellt. der "mitten im Leben stehend" nicht das Ganze dieses Lebens erfassen, sondern nur Gottes Verheißung ergreifen kann. Wenn so die Vorsehungslehre als individualeschatologische Schöpfungslehre gelten kann, dann ist ihre universaleschatologische Entsprechung eben die Theodizee, die nun nicht den Lebenslauf des einzelnen, sondern, wie oben gesagt, den Weltlauf im ganzen aus dem Glauben heraus zu verstehen sucht. Hier zeigt sich, daß die evangelische Eschatologie auch des 20. Jh. mit ihrem bei den beiden Hauptanlipoden K. Barth und P. Althaus zentralen Thema der Geschichte einer eschatologischen Anthropologie zuarbeitet. Althaus' beherrschendes und (gegenüber Barth) kennzeichnendes Interesse an einem positiven Ewigkeitswert der Geschichte führte ja zu dem Versuch, soteriologische Altemativsetzungen durch eine dreidimensionale Geschichts- und Schöpfungslehre in den anthropologischen Kategorien der Hingabe und des Opfers aufzubrechen; 101 Althaus liegt darin auf einer Linie mit Kählers Verständnis der Theodizee. Es wird vor diesem Hintergrund naheliegen, auch die Theodizee (wie die Vorsehungslehre) an der Verheißung Gottes auszurichten, so daß die Eschatologie als Theodizee letzte Fragen weder offen läßt (schon gar nicht programmatisch) noch beantwortet, sondern überantwortet an Gottes Zukunft. Von der Entsprechung zur Vorsehungslehre her ist dieses Überantworten für den Menschen, der die Theodizeefrage stellt, Ausdruck der vita passiva, d.h. die Theodizeefrage erSChöpft sich nicht in der Klage, die in all ihrer legitimen Expressivität immer ungerichtet bleibt (auch als Klage vor Gott 102), sondern richtet sich auf ein klares Gegenüber aus in der Anklage Gottes, die dann freilich angesichts ihrer inhaltlichen Schwere eben nur vor 100 S. bei S. 277 Anm. 64. 101 S. bei S. 224 Anm. 145. 102 Die Rede von einer ..Klage zu GOII". mil der KRESS (1999) 265 anscheinend dieses Pro· blem beheben will, iSI synlaklisch und semamisch schwierig.
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dem Forum GOlles selbst verhandelt werden kann. Theodizee wird so als Anklage gegen GOIl immer zilgleich Appeffa/ion an Gott. ebenso Klage wie Bitte (letztlich die letzte Vaterunserbitte).103 Theodizee ist also ein vieldimensionales Gebet, und schon daran, selbst an diesem Thema, bei dem der Mensch in einem sonst unerreichten Maße als Ausgelieferter erscheint, zeigt sich, daß die Beteiligung des Menschen an Gottes Heilshandeln weil vielfältiger ist als die Entgegensetzung von Aktivität und Passivität erahnen läßt. und in diesem Sinne ist die Theodizee in der Tat ein Thema eschatologischer Schöpfungslehre. Der systematische Ertrag einer eschatologischen Anthropologie und Schöpfungslehre liegt denn auch genau darin, daß so ein sehr viel breiteres und feiner unterteiltes Spektrum von menschlichem Leben als geschöpOichern Leben im Angesicht des Schöpfers theologisch thematisch werden kann, m.a. W. daß die Theologie eine Vielfalt religiöser Phänomene in den Blick nehmen kann, die zum Leben des Glaubens und der Menschen hinzu· gehören. Und diesen geweiteten Blick auf das religiöse Menschsein erreicht eine eschatologische Anthropologie, indem sie den Menschen, nur scheinbar den Blick auf ihn verstellend, gänzlich in seiner GeschÖpflichkeit. also im Gegenüber zu seinem Schöpfer und damit theo·logisch betrachtet. Gerade die Theodizee, das Thema, wo Gott schweigend oder abwesend scheint wie Baal nach den Worten Elias. konnte hier so als universaleschatologische Schöpfungslehre skizziert werden. und tatsächlich ist die Theodizee schon dadurch mit einer eschatologischen Schöpfungslehre verbunden, daß hier der Ort ist. über die Neuschöpfung von Himmel und Erde zu reden. Denn das Bekenntnis zur Neuschöpfung kann nie der Entwurf der zukünftigen Stadt vom Reißbrett her oder gar auf den Trümmern der alten Weil sein, sondern ist gerade in der paradigmatischen Situation der Theodizee, also entgegen allem, was die Schöpfung gegen Hoffnung sprechen läßt, die Hoffnung auf ihren Schöpfer. Am gebündeltsten spriCht sich christliche Zukunftshoffnung darum in einem paulinischen Aphorismus aus, in dem Gottes Kraft ausgedrückt ist, die Schöpfung und auch die Menschen. die als Bestandteil dieser Schöpfung an ihr selbst oder an ihren Mitgeschöpfen und in all dem an ihrem Schöpfer schuldig geworden sind, durch Umkehr neu zu erschaffen: ,.Glaube wider Hoffnung auf Hoffnung hin" (Röm 4,18). 103 BAYER (1983) 259ff. spricht von ,.erhörter Klagc" und bringt damil gcnau den doppeltcn Gouesbcwg in Anklage und Bille zum Ausdruck. Eingedenk der Unterscheidung von akliycr und kontemplatiyer Theodizee. die DERS. (1990) 22-24 in Entsprechung zu vita aCliva und yila conIcmplaliva vornimml. könnle man allalog zur vita passiva auch von ciner passivcn Theodizee sprechen.
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2. Okumenischer Ertrag einer eschatologischen Aml/ropologie. Den Menschen als Geschöpf Gottes des Schöpfers wahrzunehmen, ist die Aufgabe einer eschatologischen Anthropologie und Schöpfungs lehre. Wenn diese Aufgabe gipfelt in dem Gedanken von Röm 4,18. daß die menschliche Hoffnung auf Gott in sich das Menschenmögliche an Hoffnung durchkreuzt. dann ist damit eine Einsicht berücksichtigt. die gerade von jüdischer Seite unter dem Eindruck der Shoa gewonnen wurde, daß nämlich die ..große Verheißung Theodicee" (um es mit Kähler zu sagen) nur wirklich wird. indem die Menschen - und die Klage angesichts der Shoa ist ja in der Tat offensichtlicher eine AnkJage bestimmter Menschen als eine solche Got· tes 104 _ sich durch Umkehr daran beteiligen (lassen). Auch hier meldet sich daher die Frage nach der Beteiligung von Gott und Mensch am Heilsgeschehen. und hier scheint jüdische Theologie und Religionsphilosophie sehr viel unbefangener als christliche von einer tätigen Beteiligung des Men· sehen, besonders durch Umkehr, zu reden. Zumal evangelische Theologie scheint hier aufgrund der refonnatorischen Lehre vom unfreien Willen und des Streits gegen jeden Pelagianismus keinerlei Verhandlungsspielraum zu besitzen. Aber wie in der gesamten Selbstrevision christlicher Theologie eingedenk der Shoa. und im christlich-jüdischen Dialog überhaupt. so geht es auch hier nicht darum. durch Übernahme und Modifikation anderer Denktraditionen einen Ausgleich mit dem Gesprächspartner auszuhandeln. Was die hier vorgetragenen Überlegungen. sowohl zum christlich-jüdischen Gespräch als auch zum Verhältnis von Gott und Mensch. jedoch erbringen sollten, ist. daß die Problemlage in dieser Frage von Aktivität und Passivität aufgrund der jeweiligen Traditionen genau bestimmt und damit auch geklärt werden kann. Und so wird das Wahrnehmungsschema. dem der Christ als rein empfangend, der Jude dagegen als tätig erscheint - mitsamt den sich anschließenden Schemata wie Spiritualisierung vs. geschichtliche Konkretion. Individualität vs. Gemeinschaftlichkeit usw. -, zu einem großen Teil darauf zurückgehen. daß Luthers Konzept der vita passiva, das sich uns als maßgeblich für die evangelische Position in dieser Frage erwies. mit der Passivität einen Begriff verwendet. der eine Seite des Schemas (Aktivität vs. Passivität) abzudecken scheint, tatsächlich aber als Überwindung ge· meint ist. denn das LUlher vorliegende Schema lautet ja Aktivität vs. Kon· templation. Daß dieser Sinn von Passivität jedoch hinter dem neuzeitlichen Gegenüber zur Aktivität verschwindet, war an manchen Stellen des Theo· riediskurses zu beobachten; so waren sowohl die Darstellung des ChristenI~
Mit diesem Argumem läßt sich sogar fragen. ob die Shoa überhaupt das Theodizeeproblem aufwirft. Vgt. S. I1 Anm. I.
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VI. Ergebnisse und Ertrag für Systematik und Ökumene
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turns in den ..Lehren des Judentums" als auch das gegenwärtig vertretene anthropologische Konzept einer .,aktiven Passivität" von dem neuzeitlichen Verständnis der Passivität als Gegenteil der Aktivität bestimmt. Passivität im Sinne LUlhers (und ebenso die Rede vom Erleiden) zielt dagegen auf die im neuzeitlichen Sinne "aktive" Beteiligung des Menschen am Heilsgeschehen; so dürfte auch Luthers Schrift .,Oe servo arbitrio" zeigen wollen, wie GOlt den Menschen am Heilsgeschehen beteiligt (nur daß er dies eben nicht in einer Weise tut, die mit menschlichem Wollen und Vollbringen gleichzusetzen wäre). - Auf der anderen Seite sollte im Sinne eines christlich-jüdischen Gesprächs klar werden. daß die Rede von Schöpfung in keiner Richtung des Judentums die innere Verbindung mit dem Thema von Schöpfung und Fall hat, die im Christentum zunächst in der Auseinandersetzung mit der Gnosis und dann in der Soteriologie seit Augustin obligat wurde für die Lektüre von Gen 1-3, der sog. Schöpfungserzählung. Hier differieren christliche und jüdische Lektüreweisen deutlich, und dies festzuhalten, ist bereits ein Vollzug christlich-jüdischen Gesprächs. Der nur vermeintlich weiterführende Versuch, beide Lektüren auf einen gemeinsamen Ursprung zurück- oder eine Entscheidung zwischen beiden herbeioder die eine in die Wirkungsgeschichte der anderen zu überführen, würde dagegen vom gemeinsamen Gespräch nur wegführen. Die Schöpfungslehre in ihren unterschiedlichen Gestalten in Judentum und Christentum ist so wie die Menschheitsreligion ein vorrangiges Thema christlich-jüdischen Gesprächs, und sein Ertrag für dieses Gespräch ist, daß die Schöpfungslehre einen Sprachraum bietet, in dem auf beiden Seiten die religiösen Phänomene von Menschsein beschrieben werden können, die durch Altemativschemata eher verdeckt werden. In dieser konvergierenden Bestrebung, solche Schemata zu überwinden und etwa die Beteiligung von Gott und Mensch am Heilsgeschehen in Schöpfungssprache auszudrücken, zeigt sich, daß in den verschiedenen Lektüren der Schöpfungserzählung derselbe Schöpfer am Werk gesehen wird: der Gon Israels und Vater Jesu Christi.
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Bibliographie
Die Lileraturangaben werden mit den in der Untersuchung verwandten Kurztiteln, bestehend aus AUlQmame bzw. Titelstichwort (bei Herausgeberwerken) und Jahreszahl(en), angeführt. Abkürzungen folgen Siegfried M. SCHWERTNER, lntemationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, BerlinlNew York 2 1992 (lATG\
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