Inmitten eines gr ausamen Krieges gibt es für acht tapfere M änner nur eine Aufgabe: einen einzigen zu retten! 1944, ku...
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Inmitten eines gr ausamen Krieges gibt es für acht tapfere M änner nur eine Aufgabe: einen einzigen zu retten! 1944, kurz nach der Invasion d er Alliierten in der Normandie: Tag für Tag, Stunde für Stunde, M inute für M inute fallen unzählige amerik anische Soldaten im Kampf um die Befr eiung Europas. Doch inmitten der schier endlosen Ver lustlisten sticht ein Schicksal besonders hervor - die Familie Ryan aus Iowa hat bereits drei ihrer vier Söhne ver loren. Die Regierun g beauftragt daher Captain John M iller, den Soldaten James Ryan, der in Frankreich kämpft, zu finden und sicher nach Hause zu bringen. Doch dieser Auftrag wird für M iller und sein zusammengewürfeltes Team nicht nur ein mörder ischer Wettlauf mit der Zeit, sondern auch eine Zerreißprobe, für ihre Seele und ihren Geist. Der Roman zum Film von Steven Spielberg mit Tom Hanks und M att Damon in den Hauptrollen.
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Max Allan Collins
Der Soldat James Ryan
Der Roman zum Film von Steven Spielberg nach dem Drehbuch von Robert Rodat
Aus dem Amerikanischen von Sven Dörper und Thomas Wollermann
Deutsche Erstausgabe Oktober 1998 ™ Paramount Pictures Corporation © 1998 Paramount Pictures, DreamWorks LLC and Amblin Entertainment. All Rights Reserved. 3
Für Master Sgt. Mahlon Collins, U.S. Army, und Lt. (j. g.) Max A. Collins sr., U.S. Navy, ... zwei Brüder aus lowa, die nach Hause zurückgekehrt sind
Redaktion: Boris Heczko, Kollektiv Druck-Reif First p ublished in the USA by Signet, 1998. Published by the Penguin Group. Copyright © 1998 der deutschsprachigen Ausgab e bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., M ünchen Umschlaggestaltung: A gentur Zero, M ünchen Scan, Korrekturlesen, Satz & Layout: waldschrat Druck und Bindung: Ebner Ulm Printed in Germany ISBN 3-426-61263-1 4
Mit militärischem Gruß Ich danke Robert Rodat für sein schönes Drehbuch, das die Landung der Alliierten in der Normandie beschreibt und mit der wahren Geschichte der Niland-Brüder verknüp ft. Einer von ihnen, Fritz Niland, wurde durch die 101. Luftlandedivision nach einer Su chaktion der Army von der Front zurückgeholt. Folgende Quellen habe ich zu Rate gezogen: Richard Goldstein, America at D-Day (1994); Peter Chamberlain und Chris Ellis, Axis Combat Tanks(l977); Anthony Kemp, D-Day and the Invasion of Normandy (1994); Theodore A. Wilson, DDay 1944 (1971, 1994); Stephan E. Ambrose, D-Day June 6, 1944: The Climatic Battle of World War II (1994) ; R. W. Thompson, D-Day: Spearhead of Invasion (1968); Forrest C. Pogue, George C. Marshall: Organizer of Victory (1973); Edwin P. Hoyt, The GIs War(l988); Gerald Astor, The Voices of D-Day (1994); Cornelius Ryan, The Longest Day (1959) [Der längste Tag; deutsche Übersetzung: Adolf Himmel; Fischer Taschenbuch Verlag]; Leon ard M osley, Marshall, Hero of Our Times (1982); .Blythe Foote Finke, No Mission Too Difficult! (1995) ; Robert Hunt und David M ason, The Normandy Campaign (1976); Ron ald J. Drez, Voices of D-Day (1994); M ordecai Richler, Writerson World War II (1991). Die beste Vorstellun g vom Alltagsleben der kämp fenden Truppen wurde mir jedoch von Audie M urphys Klassiker To Hell and Back (1949) vermittelt, auch wenn dieser Roman nicht vom D-Day handelt. M ein Dank gilt außerdem DreamWorks und der Verlegerin Danielle Perez; meinem Agenten Dominick Abel; Joe Collins für technische Infor mationen; und schließlich meiner Frau Barbara, die bei der Recher che half und mir d en Rücken stärkte.
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PROLOG St.-Laurent Soldatenfriedhof 6. Juni 1998
Der Pfad war von tadellos geschnittenen Hecken gesäumt, so hoch, daß man nicht über sie hinwegsehen konnte. Allen voran ging Grandp a, der in kariertem Hemd, grauen Hosen, Socken und Sandalen rasch den grünen Tunnel entlanglief, so daß der kleine Jimmy - mit seinen sieben Jahren der Jüngste unter den zwei Brüdern und vier Schwestern ( Sue, die Älteste, war zwanzig) - kaum Schritt halten konnte. Jimmy war ganz verblüfft, daß ein alter M ann wie sein Großvater sich so schnell bewegen konnte; er ging tief gebeugt, und in seinem weißen Haar schimmerte das Sonnenlicht. M am und Dad und der Rest der Familie r annten beinahe und versuchten ihn einzuholen (nur Grandma schien sich Zeit zu lassen), als wäre der alte M ann ausgerissen und sie bemühten sich, ihn wieder einzufangen. Plötzlich blieb Großvater stehen. Es war, als wäre er gegen eine unsichtbare M auer ger annt, und Jimmy konnte hören, wie der Atem seines Großvaters heftiger wurde, so als würde er immer noch laufen, immer schneller, noch schneller - allerdings stand er still, und dann fiel Grandpa auf die Knie und sog keuchend die Luft ein, so daß Jimmy einen Schr eck bekam und dachte, er wurde zusammenbrechen. »Dad!« M ams Stimme, die hinter Jimmy ertönte, klang besorgt, aber Jimmy hatte schon verstanden, daß Grandpa nicht hingefallen war; es sah eher so aus, als ob er ... kniete. Und betete. Bald wußte Jimmy auch, warum.
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Als er neben seinem Großvater ankam, dessen Augen auf der Landschaft ruhten, die sich hinter der Wegb iegun g öffnete, erblickte Jimmy ein phantastisches abstraktes Bild, ein Gemeinschaftswerk von Gott und M ensch. Das Grün des Grases auf dem sanft gewellten Hügel hatte Gott geschaffen, das M eer weißer Kreuze, in dem hier und da au ch ein Davidsstern aufblinkte, war eine Zutat des M enschen. Auf Jimmy, der in seinem siebenjährigen Leben bisher nur ein einziges M al einen Friedhof gesehen hatte (einen ganz gewöhnlichen, ver glich en mit diesem hier), machte es den Eindruck, als ob alle M enschen auf der Welt gestorben und hier begraben seien; wohin er schaute, erstreckte sich eine endlose Weite von Grün und Weiß, weder darüber noch links oder recht davon konnte man den Himmel erkennen, nur Grün, Weiß, Grün, Weiß, Grün, Weiß, bis es dem Jungen schließlich vor den Augen flimmerte. Endlich waren M am und Dad herbeigelaufen und schlossen Grandpa in ihre Arme; Jimmys Bruder und seine Schwestern kamen auch heran, und ganz zum Schluß Großmutter - sie als einzige schien keine Eile zu haben. Grandma, deren Haar nicht so weiß war wie das von Grandp a, hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht; Jimmy hätte nicht sagen können, ob sie fröhlich oder traurig war. Grandpas Gesicht dagegen wirkte völlig ausdruckslos. Seine Augen war en weit geöffnet, als wollte er d ie grünweiße Landschaft ganz in sich aufnehmen. Jimmy hatte diesen besonderen Blick bei Grandpa schon früher bemerkt - sein Gesicht war ansonsten ganz normal, freundlich und runzelig wie das von allen Großvätern. In solchen M omenten erinnerten Grandpas Augen an das Lächeln von Grandma - sie wirkten dann traurig und froh zugleich. Und noch nie war dieser Ausdruck deutlicher sichtbar gewesen als gerade jetzt, da Grandpas Augen auf den geo metrisch angeordneten Reihen d er Kreuze ruhten. Diese
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Augen mußten in all den Jahren v iel gesehen haben, dachte Jimmy. Der Junge fragte sich, ob Grandpa an die M enschen dachte, die hier beerdigt lagen und die vielleicht seine Freunde gewesen waren. Dad erklärte ihm, Grandpa habe in diesem Krieg gekämpft, doch Jimmy verstand nicht so recht, was er damit meinte. Er hatte vom Vietnamkrieg gehört. Aber hier ging es um Frankreich. Vielleicht hatte es dort ja auch einmal einen Krieg gegeben, vor langer, langer Zeit.
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TEIL EINS Omaha Beach, Normandie 6. Juni 1944
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Die eisen graue See zerrte an dem grauen Himmel, aber die fünftausend Schiffe d er Alliierten Armada, die von noch dunklerem Grau waren, b ewegten sich unaufhaltsam vorwärts, durchpflügten mit ihren Bugwellen die eisigen Wasser des Ärmelkanals. Unbeirrt von dem erdrückenden Himmel und der tosenden Gischt bahnten sich über eine Breite von dreißig Kilometern zehn Reihen von Schiffen ihren Weg, schlanke, neue Landungsschiffe, rostübersäte, betagte Frachter, umgebaute Ozeanriesen und Dampfer, Tanker und Schlepper, Küstenwachboote, M inensucher, Transp orter, Bojenleger und endlose Verbände von Kreuzern, Zerstörern und Schlachtschiffen. Den eigentlich en Angriff auf die Strände der Normand ie jedoch sollten fünfzehnhundert Landungsboote übernehmen, die die zwanzig Kilometer zwischen d er Armada und dem Land in dreieinhalb endlosen Stunden zurücklegen würden. Zweihundert Boote sollten vorneweg fahren und die erste Angriffswelle bilden, teils LCI (Landing Craft, Infantry), jedes mit ungefähr zweihundert Soldaten besetzt, teils die kleineren LCVP (Landing Craft Vehicle, Personnel), von denen jedes einen Zug mit dreißig So ldaten bzw. zwölf Soldaten und einen Jeep transp ortierte. In einem der letzteren - einem Higgins-
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Boot, benannt nach seinem Erfinder Andrew Jackson Higgins jr., der mit dem Verkauf kleiner, schneller Boote an Schmu ggler (und noch schnellerer an die Küstenwache) ein Ver mögen verdient hatte - saß Captain John H. M iller aus Addley, Pennsylvania, mit seinen M ännern - »Frischfleisch«, dir ekt von der Grundausbildung. M iller, Charlie-Kompanie, 2. Ranger-Bataillon, war kein Karrieresoldat; er hatte seinen Dienstgr ad auf dem Schlachtfeld erworben, indem er Arzew in Nordafrika, Gela auf Sizilien und Salerno in Italien üb erlebt hatte. M it seinen achtunddreißig Jahren war er bei weitem der Älteste unter den M ännern auf dem flachen Landungsboot, einem Kleintransporter für Kamp feinsätze mit einem einzigen Steuermann. I m Grunde handelte es sich um einen riesigen Trog voller M enschen - mit einer Bugklap pe, die sie auf einen Strand spucken würde, der noch nicht in Sichtweite war. M iller besaß ein ebenso glattrasiertes, weiches Kindergesicht wie seine M änner, seine Augen wirkten nicht mehr jung. Wie alle, die mehrer e Schlachten überlebt hatten, wußte er nur zu gut, daß er bislang den Gesetzen der Statistik ein Schnipp chen geschlagen hatte. Wie oft hintereinander konnte man in einem Spiel die Sechs werfen? M an hätte denken können, daß er in sein er Hand Würf el schüttelte; aber sie zitterte nur. Und dies hier war auch kein Spiel. Hoffentlich hatten seine Jungs das Zittern seiner Hand nicht bemerkt. Er fixierte sie, versuchte sie zur Ruhe zu bringen, sein e An gst zu unterdrücken, und schließlich gehorchte ihm sein Körper. Doch keiner hatte die zitternde Hand des Captain bemerkt. Alle waren zu beschäftigt, eingesp onnen in diesen ganzen Wahnsinn. Währ enddessen durchp flügte der flache Bu g des Bootes weiter Welle um Welle, wobei kaltes Wasser hereinsp rühte, das ihre Uniformen bis auf die olivgrüne
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wollene Unterwäsche durchnäßte. Jed esmal, wenn d as Boot auf eine Welle traf, wurden die Soldaten wie Lump enp upp en umhergeworfen und f ielen taumelnd übereinander. M it all ihrer schweren Ausrüstung, den aufblasbar en Rettungswesten (die von den Sold aten »M ae West« genannt wurden), Waff en aller Art (Gewehre, M örser, Panzerfäuste, Flammenwerfer), Leinenrucksäcken, Gasmasken, Verbandszeug, Kochgeschirr, dem Schanzzeug, M essern, Drahtscheren, Essensrationen, Granaten, Sprengstoff und M unition, wirkten die schlanken jungen M änner plump und unbeweglich. Ihre Helme, über die Netze gespannt waren, tanzten auf und ab wie die Köp fe von Karnevalspupp en; der Geruch von Diesel und salzigem M etall erfüllte die klare Seeluft. In regelmäß igen Abständen wurde die Besatzung des kleinen Bootes von Übelkeit heimgesucht. Die M änner suchten nach Behältern, da sie ihr e Kotztüten (jeder hatte zu seiner Ausrüstung von der Army seine »Tüte, bei Erbrechen, 1 Stck.« bekommen) schon vor einiger Zeit gefüllt ins M eer geworfen hatten. In ihrer Not nahmen sie ihre Helme ab, die schnell randvoll mit den Überresten der »Henkersmahlzeit« waren, die man ihnen am Abend zuvor serviert hatte - herrliche Steaks, ein Abschiedsgeschenk der Army . Sie hatten es »das letzte Abendmahl« genannt. M it dem Wasser, das ins Boot schwappte, konnten sie wenigstens anschließend ihr e Helme reinigen. Viele der Jungs schöp ften es sowieso mit ihren Helmen, um die Pumpe des Bootes zu unterstützen. Alle hatten auch Pillen gegen Seekrankheit erhalten, aber einige M öchtegernhelden hatten darüber die Nase gerümpft, so daß Private Anthony Cap arzo, zweiundzwanzig, Chicago, Illinois, sie ihnen während ihr er mehrtägigen Wartezeit auf dem Truppentransp orter für fünf Cent das Stück abgekauft hatte. Er hatte davon geträumt, sie später für einen Vierteldollar das
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Stück zu verkauf en und so ein kleines Vermögen zu machen, aber jetzt - da seine Kumpels um ihn herum stöhnten und kotzten - zeigte sich, daß er dazu ein zu weiches Herz hatte, oder vielleicht selbst nur einen zu schwachen M agen. Cap arzo hatte volle Lippen und eine stump fe Nase, seine Augen saßen wie kleine, schwarze Perlen in seinem bleichen ovalen Gesicht. Feierlich wie ein Priester, der das Abendmahl reicht, begann er d ie Pillen umsonst zu verteilen. Das Boot schlin gerte, und mit ihm Stanley M ellish, zweiundzwanzig, Yonk ers, New York, der gegen Cap arzo stieß und sich dabei die Handvoll Pillen schnappte. »Gib mir noch ein p aar!« sagte M ellish nach diesem Diebstahl. Er hatte das teigige, launische Gesicht und den dunklen, gierigen Blick eines verzogenen Rind es. »Das ist mein Vorrat für den Rest des Krieges, du Sch eißer!« »Schreib's als Kriegsver lust ab.« Das Boot schwankte erneut. »Und überhaupt, wozu brauchst du die denn noch? Glaubst du vielleicht, wir machen no ch mehr solche Bootsausflüge?« Cap arzo wußte darauf nichts zu erwidern, doch statt dessen machte das Boot ein en Satz aus dem Wasser, gen au in dem M oment, als eine Granate aus einem Schiffs geschütz über sie hinwegstrich. Kurz darauf verebbte ihr Pfeifen, und eine Detonation auf dem noch unsichtbaren Strand zeigte ihnen an, daß es nicht mehr weit war. Die Stunde X war geko mmen. Wer nicht kotzen mußte, betete; M ellish wechselte p lötzlich von der letzteren Gruppe in die erste, sein Gesicht wurde grün, als sei es mit Tarnfarbe bemalt, sein Hals richtete sich wie ein Geschützlaufauf, und die Pillen gegen die Seekrankheit schossen aus seinem M und und landeten auf dem Deck. Volltreffer. Während M ellish sich über die Bordwand beugte, schaute sich Caparzo vorsichtig um, und als er sich unb eobachtet
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glaubte, fischte er die schleimigen, aber kaum auf gelösten Tabletten aus der Brühe, suchte nach einer Tasche, stopfte sie hinein und wischte sich anschließend die Hand an seinem durchnäßten Kamp fanzug ab. Sein Captain hatte dies wohl gesehen, aber M iller verstand, daß M änner im Kamp f ihre geheimen Probleme hatten - wie er selbst seine unruhige Hand. Wieder fixierte er sie, als würde sie einem anderen gehören. Und wieder hörte sie auf zu zittern. Neben ihm stand Ser geant M ichael Horvath, M inneapolis, M innesota, ein vierschrötiger Haudegen voller Kriegsnarben, der auf die Dreißig zuging; wie sein Cap tain war auch der Sergeant verschwiegen, und wenn er M illers zitternde Hand gesehen hatte, so ließ er sich jedenfalls n ichts anmerk en. Der Sarge deutete auf die betenden, kotzenden M änner. »Schätze, die fahren sonst nicht so oft Boot«, meinte er, »daheim in ihren Käffern.« »Und das hier ist auch nicht der gute alte Fischteich«, erwiderte M iller. M iller liebte diese Jungs. Auf dem Truppentransporter hatten sie ein letztes M al Gelegenheit gehabt, ihre Ju gend zu gen ießen. Überall hatten sie gelegen und geschlaf en, auf den Decks, in, auf und unter den Fahrzeugen, hatten geraucht, Karten gesp ielt, waren umherspaziert, hatten von ihren M ädchen zu Hause erzählt. Alle hatten einen persönlichen Brief vom Oberkommandierenden Gen eral Eisenhower erhalten, den sie sich gegenseitig signierten wie ein HighSchool-Jahrbuch. Ihre Unschuld hatte ihn gerührt und ihm fast das Herz gebrochen. Einer der Jun gs war Danny Delancey woher kam er noch gleich, aus Cleveland? Ein netter Kerl, er konnte ziemlich gut Sinatra imitieren, vor allem wenn ihn jemand auf d er Gitarre begleitete. Gerade lugte er über die Bordwand nach einem Higgins-Boot steuerbord. »Köpfe runter!« bellte M iller. »Da gibt's nichts zu sehen!«
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Aber bevor Delancey dem Bef ehl noch Folge leisten konnte und wie um den Cap tain Lügen zu strafen, lief das HigginsBoot neben ihnen auf eine M ine. Delancey p rallte zurück, als auf ihn und alle anderen Insassen des tanzenden Bootes brennender Diesel, v ersengtes M enschenfleisch und M etallsplitter herabfielen und glühende Trümmer wie höllisch er Hagel auf Deck aufschlugen. Die Helme, mit denen man ger ade noch Wasser geschöpft hatte, wurden nun zu Löscheimern, mit denen man die Flammen bekämpfte, unterstützt von dem hereinschwappenden eisigen Kanalwasser, das die Explosion aufgewühlt hatte. Die hektische, aber entschlossene Säuberung des Bootes wurde von Flüchen und Schreien begleitet. M iller schleuderte einen Fuß hinaus, d er noch in seinem Stiefel steckte; der Sarge tat das gleiche mit einem verkohlten Arm, dessen Hand sich wie zu einer ungehörten Klage ausstreckte. Als das Boot weiterschoß, wechselten die beiden erf ahrenen Veteranen, d ie immer noch Leichenteile über Bord warf en, einen Blick - in diesem Krieg starb es sich verdammt würdelos -, und die jugendlichen Gesichter um sie herum wandten sich fragend ihren Vorgesetzten zu. »Verwundete?« rief M iller. Alle schüttelten die Köpfe; ein k lein es Wunder bei all den wirr herumfliegenden glühenden Splittern. Die Gesichter wandten sich dem Wasser zu, in dem Leichen und Leichenteile herumschwammen. »Köpfe runter, hab' ich gesagt!« »Cap tain ...« Delanceys Augen sahen aus wie d ie eines kleinen Hündchens. »... werden wir alle sterben?« M iller suchte nach den r ichtigen Worten - er wollte den Jungs nichts vormachen, aber sie brauchten etwas, an dem sie sich festhalten, was sie in den Kampf mitnehmen konnten. Doch Lieutenant Frank Briggs kam ih m zuvor.
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»Zum Teufel, nein, Delan cey!« sagte er mit einem herausfordernden Grinsen. »Höchstens zwei Drittel!« Das war nicht die Antwort, nach der M iller gesucht hatte. »Jesus M aria« rief Delancey aus. Im Krieg gehen Fluch und Gebet ineinander über. Briggs - dreiß ig Jahre, Dallas, Texas, ein stämmiger Bursche mit engstehenden blitzenden Augen - legte die Hände wie einen Trichter vor den M und und brüllte so laut, daß man seine Stimme über das Wasser hinweg auf den nächsten HigginsBooten hören konnte. »Schaut euch den M ann links neben euch an! Ihr alle, ihr verdammten Kerle. Jetzt schaut euch den M ann rechts neben euch an!« Alle Jungs im Boot gehor chten wie erstarrt. Briggs grinste. »Sprecht ein Gebet für die beiden Hurensöhne, denn sie werden nicht zurückkommen. Ihr dagegen werdet nicht den kleinsten Kratzer abkriegen!« Delanceys unsicheres Lächeln zeigte, daß die Worte des Lieutenants nur seine Neigung zum Kotzen verstärkt hatten. Diese »Aufmunterung« hatte die Stimmung des Zuges nicht ger ade gehoben. »Lieutenant«, sagte M iller leise zu Briggs Briggs Au gen strahlten. »Ja, Sir?« M iller funkelte ihn an. »Beantworten Sie in Zukunft bitte nicht mehr Fragen, die an mich ger ichtet sind. Haben Sie verstanden?« Das Leuchten in den Augen des Lieutenants erlosch. »Jawohl, Sir.« Orangeweißes Licht zuckte über dem Boot, und aller Augen blickten himmelwärts, als suchten sie dort nach einem Schutzengel, doch sie sahen nur Tausende von Granaten, die zischend über ihre Köpfe hinwegzogen, zur Küste hin, wo sie
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detonierten. Der Donner wirkte nicht allzu entfernt. »Seht ihr das?« rief M iller. »Hört ihr das? Da fahren d ie deutschen Befestigungen zur Hölle, eine n ach der anderen!« »Die Schwimmpanzer vor!« rief Lieutenant Briggs, als würde er von der Tribüne aus die M annschaft in einem wichtigen Spiel anfeuern. »Leuchtet ihnen nach Hause!« »Haltet endlich eur e Köp fe unten«, rief M iller, der selbst über die Bordwand zu der geschwungenen, neb elverhangenen Küstenlinie hinüberspähte, wo undeutlich ein e Steilwand hinter dem Sandstrand und einem hohen Deich aufr agte und gelblicher Pulv erdamp f sich mit dem aufgewirbelten Staub zu einer gespenstischen Szenerie v erband. Aber aus dem Sand h eraus, der bei der jetzigen Ebbe etwa eine M eile breit freilag, ragten wie bizarre Pilze un gleichmäßige Reihen von torartigen Eisenkonstruktionen, hölzerne Pfosten, die Tellerminen als Aufsatz trugen, und gekreuzte Eisenbahnschienen, alle seewärts gerichtet. Die Deutschen hatten sie hier auf gestellt, um den Booten eine Landun g bei Flut unmöglich zu machen. Bei Ebbe würden sie der über den Strand vorrückend en Infanterie Deckun g geben. Wer allerdings hinter einer minenbewehrten Sp erre Schutz suchte, tat im Grunde nichts anderes, als sich bei einem Feuer gefecht hinter einem Pulverfaß zu verstecken. Erneut gefror M iller das Blut in den Adern: Diese Unterwasserhindernisse sollten eigentlich gar nicht mehr da sein ; nach sein en Informationen hätten sie bereits vor dem M orgen gr auen alle von Pionier en beseitigt sein sollen. Aber da waren sie, X-förmige Stahlkonstruktionen, wie groteske Kreuze eines Friedhofs, der darauf wartete, daß sich seine Gräber füllten. Das Sperrfeuer der Schiffe fiel zu kurz aus, schien es M iller. Die großkalibr igen Granaten aus den Sch iffsgeschützen ließen ölschwarze Wasserfontänen aufsp ritzen. Er hoffte inständig,
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daß der Strand bei ihr er Ankunft von Trichtern übersät sein würde, wie man es ihm v ersp rochen hatte. Das hatte er seinen M ännern beigebracht: sich in Bomb enkrater f allen zu lassen und aus ihnen heraus- und um sie herumzukriechen ... »Das wird ein groß es Fest!« rief einer der Jungs. »Ein Kinderspiel!« meinte ein anderer. Cap arzo lehnte sich an die Bordwand, bemüht, das Gleichgewicht auf dem tanzenden Boot zu halten, dessen Fahrt durch die von Granaten aufgewühlte See noch unruhiger geworden war. »Klingt wie der M itternachtsexpreß!« »Eher wie eine Klospülung«, meinte M ellish mit einem nervösen Lächeln. Neben ihm streichelte der schlacksige Daniel Boone Jackson, dreiundzwanzig, Hickory Valley, Tennessee, sein Scharfschützengewehr und senkte den Kop f. »Am besten macht ihr eur en Fried en mit dem Herrn«, riet Jackson seinen Kumpels in einem beruhigenden Tonfall, der so gar nicht zu dem Aufruhr unter ihnen und um sie herum passen wollte. Als ob der Südstaatenjunge es befohlen hätte, breitete sich urp lötzlich Stille über der auf gewühlten See aus. Das Sperrfeuer der Schlachtschiffe hatte auf gehört, so daß nur noch das Brummen der M otoren der Higgins-Boote zu hören war; ein Geräusch, das ihren Passagieren bereits so vertraut geworden war, daß sie es schon seit einiger Zeit gar n icht mehr wahrnahmen. Die schweren Geschütze richteten sich neu aus, um ihr Feu er ins Hinterland zu richten. Aber für einen M oment entstand der Eindruck, als hätte der Krieg kurz angehalten, um den Jungs eine kurze Atempause zu verschaffen, die sie dringend benötigten. M iller wußte, daß dieser M oment zufällig gewährter Gnade wahrscheinlich der einzige ruhige M oment sein würde, den dieser kalte, gr aue M orgen seinen Jungs an dieser dunstigen
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Küste gönnen würde. Er schaute zu dem Steuermann rüb er, der drei Finger hochhielt. Seine M änner sahen ihn an. Sie wußten, daß es soweit war; sie warteten nur noch auf das Stichwort. Reden halten war nicht M illers Stärke, also trat er in ihre M itte, nachdem er dem Sarge zugelächelt hatte, was, wie beide wußten, ein endgültiger Abschied sein konnte. Er schritt durch die Reihen der Jungs und sprach mit ruhiger Stimme zu ihnen. »Alles ganz einfach«, sagte er leise, »geht seitlich über d ie Ramp e, trödelt nicht, bildet keine Gruppen ... Viel Glück, Gott mit euch, laden und entsichern.« Den einen oder anderen bedachte er mit einem Läch eln, manchem zwinkerte er sogar zu, wieder anderen klopfte er auf die Schulter. Einigen rückte er ihre aufblasbare Schwimmweste zurecht, denn er wußte, daß diese »M ae West«, wenn sie zu hoch saß und sich plötzlich mit Gas füllte, einen Soldaten, der in tiefes Wasser geriet oder in einen Granattrichter trat, in arge Bedrän gnis brin gen konnte. »Ihr wollt doch nicht mit dem Kopf nach unten und den Beinen nach oben im Wasser treiben«, sch impfte M iller väterlich. Er ging weiter, suchte Blickkontakt, nickte ihnen zu, lächelte in die Runde. »Paßt auf, daß euch kein Sand ins Gewehr kommt«, riet er. Etliche der M änner hatten Kondome über ihre Gewehrmündung gestülpt, was einen absurden Anblick bot, aber eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme für die bevorstehende nasse Landung darstellte. »Viel Glück, M änner.« Die schweren Schiffs geschütze fingen wied er an zu feuern, aber hinzu kam ein anderes Geräusch : feindliches Artiller ieund Granatwerferfeuer aus Batterien, von denen man gehofft hatte, daß sie die alliierte Bombardierung nicht überstanden hätten. Nun aber regneten ihre Geschosse auf die herannahenden Landungsboote herab und ließen Wasserfontänen
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neben ihnen aufspritzen. Von links und rechts war jetzt auch das unan genehme Tackern von M aschinengewehren zu hören. M iller sah Leuchtsp urmunition über dem Wasser tanzen und von der Rampe und der Bordwand des benachbarten Landungsbootes abprallen, das ein wenig versetzt vor ihnen fuhr. Er wußte nur zu gut, daß auf jedes Leuchtspurgeschoß vier Kugeln kamen, die man nicht sehen konnte. Als die Explosionen der f eindlichen Granaten Wasser ins Boot spritzten, machte es einen Satz und lief auf eine Sandbank. M it einem Ruck wurden alle nach vorne gesch leudert. »Von wegen Kinderspiel«, knurrte Caparzo M ellish zu. »Sieht so aus, als wollten sie Wid erstand leisten«, sagte M ellish düster. Und als die M änner wie gebannt auf die stählerne Frontplatte starrten, jenes Tor, das sich nun gleich als Ramp e herabsenken und sie in die Schlacht schicken würde, hämmerte plötzlich ein metallischer Hagelschauer auf sie ein. Scheiße, dachte M iller. Ihm blieben nur zwei M öglichkeiten: Er konnte seine M änner entweder direkt in das M G-Feuer schicken, das so heftig gegen die Ramp e schlug, oder abwarten, bis ein M örser oder eine Granate sie alle in einem Feuerball hinausschleud erte. Aber das M aschinengewehrfeu er setzte immer wieder aus. Er würde eine Pause abwarten und dann vorwärtsstürmen ... Während d iese Ged anken dur ch seinen Kopf wirbelten, wichen die M änner, seine Jungs, vor den Kugeln zurück, die gegen das Tor trommelten, und versuchten sich auf dem überfüllten Boot in die bestmögliche Position zu bringen. Bei einigen von ihnen entleerte sich die Blase, und ihr war m-feuchter Inhalt vermischte sich mit dem eiskalten Kanalwasser, das sie bereits völlig durchnäßt hatte. »M ir ist so speiübel«, sagte Private Brad Lewis, zwanzig, Bay onne, New Jersey , zu jedem, der es hören wollte, »da wird
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der Scheißstrand geradezu eine Erleichterun g werden.« Pudgy Brad Lewis, Sohn ein es Lad enbesitzers, hatte bis vor drei M onaten noch nie in seinem Leben das Wort »Scheiße« benutzt; nun mischte sich das Wort in alles, was er sagte oder dachte. Außer wenn er betete. »Noch nicht!« rief M iller dem Steuermann zu, der gerad e die Klappe öffnen wollte, gegen die eine weitere M aschinengewehrsalve p rasselte. Seinen Jungs schrie er zu: »Wenn das Tor runterkommt, will ich, daß ihr über b eide Seiten der Rampe lauft! Habt ihr verstanden? ... Wir sehen uns am Strand! Viel Glück!« Jeder der Jun gs auf d em Boot hatte denselben bangen Gedanken ... Mich wird es nicht erwischen ... oder doch? Dann ließ das M aschinengewehrf euer nach, M iller schrie: »Jetzt!«, und das Tor senkte sich herab. Und das M aschinengewehr ratterte von neuem los. M iller, der hinten im Boot stand, hörte es mehr, als daß er es sah - das Feuer von genau aus gerichteten 30er-KaliberM aschinengewehren, das sich durch M enschen und M etall fraß, und die Todesschreie seiner Jungs. Alles, was er zunächst sah, waren M etallp artikel, fleischfarbene und graue M aterie, Leichen, Qualm und Funken, d ie an ihm vorbei sp rühten. »Scheiße - Scheiße!« schr ie Priv ate Brad Lewis auf. Es waren seine letzten Worte. M iller sah nur die Rücken seiner Jungs, sah, wie die großkalibrigen Geschosse sie durchschlu gen und Blutfontänen nach hinten sp ritzten, mehr aber noch Splitter von Schaufeln und Kochgesch irr, auch Unifor mstücke und Gummi von den zerfetzten »M ae West«-Rettungswesten. Obwohl M iller schon viele Schlachten mit gemacht hatte, war er n icht darauf vorbereitet, daß in weniger als zwanzig Sekunden zwei Drittel der M änner seines Zuges wie menschliches Klafterholz aufgestap elt daliegen würden, nur nicht so ordentlich. Die
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Toten und Sterbenden waren jetzt nur noch Hindernisse, den stählernen Drachenzähnen am Strand gleich, über die hinweg und um die herum ein Dutzend Überlebende sich einen Weg bahnen mußten, um zur Ramp e zu gelangen und sich ins Wasser zu stürzen. M it weitaufgerissenen Augen plumpsten sie hinein wie Steine, d aß das Wasser um sie herum aufspritzte. Hinter ihnen brüllte M iller Kommandos: » Vorwärts! Vorwärts!«, mit seiner Stimme das Rattern der M aschinengewehre übertönend. Private Delancey schrie auf. Er schr ie weder aus Angst noch vor Schmerz, sondern vor Entsetzen, denn er lag eingek lemmt unter einem Stapel toter Soldaten, die eben noch seine Kameraden gewesen war en. Das Stöhnen und Wimmern der Verwundeten war durch das Geknatter des M aschinengewehrs und das Brummen des Schiffsmotors nicht zu hören. M iller, der sich gedu ckt hielt, damit der Stahlhelm seinen Kop f vor dem M aschinengewehrf euer schützte, zog den Jungen aus dem Stapel heraus, indem er ihn beim Rucksack packte und seine eingeklemmten Beine unter den toten Körp ern hervorzog ger ade rechtzeitig, bevor das M aschinengewehrfeu er über die Stelle hinwegstrich, an der Delancey eben noch gelegen hatte. Dann schleppte M iller den Jungen bis zur Ramp e, hielt ihn umklammert und sprang mit ihm ins Wasser, das tiefe Wasser links von der Sandbank, auf d ie das LCVP aufgelaufen war.
2.
Beim Sprung ins Wasser ließ M iller, der die Lun gen mit der frischen M orgenluft gefü llt hatte, den Jungen los und löste die CO2 -Patronen aus, um seine »M ae West« aufzublasen, die ihm
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zusammen mit dem Behälter für die Gasmaske Auftrieb verlieh; sein Abtauchen wurde dadurch jedoch nicht merklich verlangsamt. Die sechzig Pfund schwere Ausrüstung zog ihn wie ein Stein n ach unten, wo ihn eine starke Strömung nach links riß und ihn durch einen Unterwasseralptraum versinkender, ertrinkender Soldaten schlin gern ließ, darunter Verwundete, die die grünb laue Szenerie mit rötlichen Schlieren trübten. Die M änner um ihn herum ruderten wie wild, ließen im Kamp f um ihr Leben ihre Ausrüstung fahren, aber M iller hielt sein Gewehr fest umklammert, sogar noch, als sein Rucksack ihn auf den sand igen Boden zog. Um ihn herum tanzten in einem Unterwasserballett wie in Zeitlupe Helme, M 1-Gewehre, Flammenwerfer, Sprechfunk geräte, ein M örser, eine Panzerfaust, sogar eine Sturmleiter. Und während er sich von dem schweren Rucksack zu befreien suchte, wobei seine Lun gen zu zerplatzen drohten und ihm Luftblasen aus der Nase aufstiegen, blickte M iller empor zur Wasseroberfläche. Obwohl das Wasser eiskalt war, sah es von hier unten für ihn so aus, als würde er am Boden eines riesigen Top fes gekocht, so aufgewühlt war der Wasserspiegel von den Explosionen der Granaten, dem Aufsp ritzen der Schrap nells und dem besonders bedrohlichen, r egen gleichen Plitsch-Platsch des M aschinengewehrfeuers. Die Kugeln, die die Wasseroberfläche durchsch lugen, zogen eine wirbelnde Spur hinter sich her, bevor sie langsamer wurden und als har mlose, metallene Kieselsteine sachte u m ihn herum auf den trüben, sandigen Grund sanken. Nachdem er seinen Rucksack los geworden war, erkannte M iller in dem Soldaten, der neben ihm umh erruderte, Private Delancey, der gegen den Widerstand des Wassers eine verzweifelte Tarantella zu tanzen schien und sich dabei vergebens abmühte, die Gurte sein es schweren Gepäcks zu öffnen. M iller zo g ein M esser aus seinem Stiefel und kam dem
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Jungen zu Hilfe, er zerschnitt die Riemen des Tornisters, worauf dieser sich in die Par ade der verstreuten Ausrüstung einreihte, die dem sandigen Grund zustrebte. Aber der Junge war nun in Panik, Luftblasen strömten aus seinem M und, der unhörbare Schreie ausstieß, seine Augen waren vor Angst weit auf ger issen. Der Captain schlang einen Arm fest um den Private und schwamm mit ihm unter Wasser, bemüht, sich weiter unterhalb des Kugelhagels zu halten. Je näher M iller mit Delancey im Schlep ptau und mit berstenden Lungen d er Küste kam, desto mehr stieg der sandige Boden an, so daß sie sich bald dicht unter der von Kugeln aufgewühlten Wasseroberfläche befand en. M iller schlug auf d ie CO2 -Patronen d es Jungen, um seine »M ae West« aufzublasen, worauf der Cap tain und der Private an die Oberfläche getragen wurden. Sie schnap pten nach Luft, und sofort erfüllte ihr e Ohren d ie Kakophonie des Gemetzels von Omaha Beach - das Aufheulen von Granaten und M ännern, das Prasseln des brennenden Treibstoffs auf der Wasseroberfläche, das Gewehrfeuer, das wie ein Feuerwerk aus Knallfröschen k lan g, das Zipp -zippzipp, mit dem die Geschosse der M aschinengewehre den Sand küßten. Um sie herum schwammen Landun gsboote, Jeep s, DUKW-Amphibienfahrzeuge und mit Gummischwimmgürteln ausgerüstete Panzer, allesamt tote Fahrzeuge, nur noch von Flammen und Rauch belebt. Keines von ihnen hatte die Küste erreicht, als M aschinenleich en trieben sie zwischen d enen aus Fleisch und Blut. M iller wurde von einer Welle erfaßt, und die schreckliche Geräuschkulisse verstummte gnädig unter Wasser; aber dann spürte er wieder Grund unter den Füßen, und Delancey hing an ihm wie ein verängstigtes Kind an seiner M utter und jap ste einen Fluch oder v ielleicht auch ein Gebet: »Jesus ... M aria ... Joseph ...« Der Cap tain watete mit seiner mensch lich en Fracht durch das
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seichte Wasser, während um sie herum Kugeln aufklatschten und spritzten, zwischen herumtreibenden Leich en hindurch, inmitten anderer Soldaten, die sich denselben h arten Weg vorankämpften, viele ohne Helm und ohne Waffen, gut ausgebildete, erstklassige Infanteristen, die den Strand als erschöp fte, durchnäßte Überlebende eines Schiffbruchs erreichten. M iller zog den halb bewußtlosen Delancey an einem Riemen sein es Rucksacks hinter sich h er und steuerte um die stählern en Drachenzähne herum; manchmal hielt er hinter ihnen an oder hängte sich an sie, um Halt zu finden. In einem solchen M oment schrieb ein M aschinengewehr seinen Namen auf Delancey s Rücken ein; der Private bäumte sich in den Armen des Cap tain auf. Das Gesicht des Jungen entsp annte sich, Überraschung malte sich in seine Züge. Sogar in dieser höllischen Umgebung konnte der Tod noch Erstaunen auslösen. Der leblose Körper fiel auf M iller und stieß ihn einen halben M eter tief ins Wasser zurück. Da er jetzt dem Jungen nicht mehr helf en konnte, faßte der fürsorgliche Cap tain einen brutalen Entschluß -: er würde den toten Delancey als Schild benutzen. Während er sich paddelnd zum Strand vorkämpfte, spürte M iller, wie noch mehr Kugeln in Delanceys Körp er einschlugen, sieben oder acht, so daß er in seinen Armen heftig zuckte und kleine Blutfontänen sich dunstig in die Luft mischten. M iller fragte sich, ob das nicht der passende M oment war, um einfach wahnsinnig zu werden. Vor Erschöpfung keuchend, machte er nun eine Pause, in Deckung hinter dem blutigen Leichnam des Jungen, den er hatte retten wollen. Als er sich umsch aute, stellte er fest, daß er sich nicht allein abmühte: Viele and ere M änner, aus anderen Booten, arbeiteten sich ebenfalls verbissen zu der rauch- und dunstverhangenen Küste vor. Einige benutzten wie er Leichen als Deckung oder bewegten sich hinter den ineinander
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verkeilten, brennenden Wracks, den Trümmern ihres gut geplanten Angriffs, vorwärts, wobei sie sich mitten durch die von der Brandung umh er getrieben en Toten hindurchschlängeln mußten. Einen absurden Anblick boten unzählige tote Fische, deren friedliche Welt vom Zwist der M enschen aufgestört worden war und die nun zur Küste trieben. Nicht weit von M iller entfernt hob ein Soldat den Kop f und wimmerte, dann rollte er auf den Rücken in das seichte Wasser, das den Sand leckte. M iller verzog das Gesicht, stieß den menschlichen Schild von sich, ließ seine Rettungsweste fallen und lief p latschend durch das Wasser, um dem Verwundeten zu helfen. Jed enfalls dachte er, daß es ein Verwundeter sei. »Hau ab«, knurrte der Soldat, als M iller sich ihm näherte, um ihn an Land zu ziehen. »Nein, nein - verschwind e!« M iller verstand, und er fragte sich, wie viele ander e M änner sich ebenfalls totstellten, in der Hoffnung, die Schützen mit den M aschinengewehren und Karabinern würden statt nach ihnen nach lebenden Zielen suchen. Der Captain, der kein solches Ziel abgeben wollte, warf sich hinter eines der stählernen Sp errkreuze und preßte sich schutzsuchend dagegen, während M aschinengewehrsalv en gegen das M etall klatschten, pfiffen und hämmerten, als poche der Tod an die Tür. Viele Soldaten, die sich zum Strand vorgekämpft hatten, trugen noch ihre »M ae West«, die dort nur hinderlich waren; M iller schrie ihnen zu, sie sollten die Rettungswesten wegwerfen, als eine Artilleriegr anate, ein e große 88er, dir ekt hinter ihm explodierte und ihn ins Wasser schleuderte. Als er Sekunden später wieder zu sich kam, richtete er sich triefend und benommen im seichten Wasser auf und lehnte sich an das Stahlkreuzhindernis wie ein Betrunkener, der sich an der Theke einer Bar festhält. Er schaute ins Wasser, wo ein Helm umhertrieb: es war seiner. Er setzte ihn auf, und sein Blick fiel
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auf die blaugrün e Wasserfläche, wo ihn ein entfernt bekanntes Gesicht mit leeren Augen ansah: das Gesicht eines M annes am Ende seines Weges, nicht das Gesicht eines Captain, nicht das eines Soldaten, nur d as Gesicht eines M annes, der entschlossen war, sich in seinem Bett zu verkriechen und nie mehr aufzustehen. Seine Uniform war übersät mit kleinen Löchern und versengten Stellen, und überall, wo seine Haut herausschaute, zeigten sich kleine, blutende Wunden, so als hätte er sich am ganzen Körp er beim Rasieren geschnitten. Er fragte sich, warum das Sch ießen auf gehört hatte; war die Schlacht etwa vorüber? Vor sich sah er eine grotesken Stummfilm. Hunderte tote Soldaten lagen am Strand herum, ihr rotes Blut färbte den goldenen Sand, gelber Rauch lag wie Nebel über dem Szenario; unzählige Verwundete schlu gen vor Schmerz und Angst um sich, wanden sich wie Würmer, ihre M ünder bewegten sich, einige riefen stumm um Hilfe oder n ach ihren M üttern, wimmerten, schrien, aber es war nichts zu hören, kein Ton. M iller beobachtete die Schlacht, die als Pantomime weiterging: Vier So ldaten in durchnäßten Uniformen stapften zum Strand - es sah aus, als würden sie gegen schweren Wind ankämp fen -, und plötzlich kippten zwei von ihnen vornüber, wo bereits andere Leichen lagen, offensichtlich von M aschinengewehrfeuer dahin gemäht, aber M iller konnte es nicht hören. Er hörte überhaupt nichts. Sehen konnte er dafür nur zu gut: Überall im Sand verstreut lagen Gewehre, Helme, Gasmasken und Decken; ein Sher man-Panzer hatte es bis zum Strand gesch afft, nur um jetzt seine Kanone ins Leere zu richten, ein unförmiges, brennendes Ungetüm, von dem dicke schwarze Wolken zum Himmel aufstiegen. Einige M änner hatten sich bis auf den Küstenstreifen vorgearbeitet und erwiderten von dort das Feuer des verbor genen Feindes, das
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vom Steilufer und den Klipp en darüber kam. Ein GI, der sich in den Sand geworfen hatte, versuchte, auf die unsichtbaren Jerrys zu schießen, erwischte aber statt dessen einen seiner Kameraden, der vor ih m lief. Der M ann war auf der Stelle tot. Der Überlebende blickte sich entsetzt um; ganz offensichtlich fragte er sich, ob ihn jemand beobachtet hatte. M iller hatte ihn gesehen, und ihre Blicke kr euzten sich, aber der Captain schaute weg. Er wußte, daß Schuldgefühle und die schr eckliche Erinnerung an diesen fatalen Fehler d en Jungen bis zu seinem Tod verfolgen würden, ob er nun heute oder erst sechzig Jahre später sterben würde. Als er sich umdrehte, sah M iller plötzlich das Gesicht eines Soldaten vor sich, eines blauäugigen Jun gen, dessen erwartungsvolle M iene den Captain verdutzte. Ein paar M eter weiter drückten sich drei weitere blutjunge Priv ates hinter ein Stahlkreuz, bibbernd in dem eisigen Wasser, und schauten ihn mit demselben Blick an. »Heh?« brachte M iller heraus. Der M und des blauäu gigen Privates bewegte sich, und der Ton schien zurückzukehren; schließlich löste sich das wattige Gesp inst in seinen Ohren auf, und M iller wurde klar, daß seine Orientierungslosigk eit und sein gestörtes Gehör davon herrührten, daß hinter ihm eine 88er-Granate hoch gegangen war. »Haben Sie etwas gesagt, Soldat?« fragte M iller. »Was nun, Sir?« sagte der Private, aber M iller sah nur d ie Bewegung seiner Lippen, während der Lärm der Sch lacht um ihn herum langsam wieder zunahm. »Wie?« schrie M iller, ohne es zu bemerken. »Was haben Sie gesagt?« »Ich sagte«, schrie der Private zurück, »was, zum Teufel, sollen wir jetzt machen, Sir?« M iller schaute sich um, nahm die anderen wahr und zwang
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sich, an die Zeit nach dem Gemetzel, nach der Katastrop he ihrer Landung zu denken. Diese Soldaten und mit ihnen viele hatten überlebt, suchten hinter den eisernen Drachenzähnen Deckung, klammerten sich mit letzter Kraft fest, aber sie waren am Leben. »Captam! Captain!« Die v ertraute Stimme erreichte ihn in dem M oment, als sein Gehör mehr oder weniger vollständig wiederkehrte. Etwas entfernt erblickte M iller Ser geant M ichael Horvath, der sich hinter einer der stählernen Barrikaden duckte; aus dem Gesichtsausdruck des Sar ge schloß M iller, daß er schon eine Weile nach ihm gerufen hatte. Ein Lächeln huschte über M illers Züge, als er sah, daß sein Freund noch am Leben war. Dann sagte er zu ihm im Befehlston: »Brin gen Sie die M änner vom Strand.« Einer aus der Gruppe der jungen Privates quäkte: »Sir, wo ist der Sammelpunkt?« M iller zeigte zu den Klip pen, die in etwa zweihundert M etern Entfernung auf einer Seite der Steilküste aufragten. »Dort, wo ihr nicht im Schußfeld seid!« Jenseits des Rauchs und Nebels und hinter den Drachenzähnen, die aus dem durch die Ebb e freigelegten Sand aufragten, stieg das leichenübersäte Gelände leicht an und ging dann in einen Kiesstrand über, der stufenartig weiter zu einem aus Steinen und M auerwerk errichteten Deich führte. An manchen Stellen des Strandes war dieser Deich vier bis fünf M eter hoch; hier jedoch b etrug die Höhe nicht mehr als einen oder anderthalb M eter. Über die ganze Länge bedeckte ihn ein unheilvolles Gewirr aus Stacheldrahtrollen. Versprengte Grüpp chen von GIs kauerten dicht an der Deichmau er, um den Kugeln der M aschinengewehre und kleinkalibrigen Waff en zu entgehen, die von der Steilwand und den Klip pen herunterprasselten. Einige schaufelten hastig Löcher, andere versorgten Verwundete.
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»Der Deich!« rief M iller den zwanzig oder dreißig Privates zu, die sich hinter den Sp erren in dem seichten Wasser drängten. »Seht ihr den?« Ein So ldat rief: »I ch bleibe hier!« Es war die Stimme eines verschreckten, sch mollenden Kindes, das von seinen Eltern schon zu oft belogen worden ist. »Bewegt eure Ärsche von d iesem Strand!« brüllte M iller über das von Kugeln auf gewühlte Wasser hinweg. »M acht Platz für die nächste Angr iffswelle!« Ein anderer Private rief mit kläglicher Stimme: »Das ist doch alles, was noch zwischen uns und dem Allmächtigen liegt!« Der Junge meinte damit das Dreiecks gebilde aus Stahlschienen, hinter dem er Deckun g suchte. M illers Stimme schnitt durch das Konzert der exp lodier enden Granaten und die Salven der M aschinengewehre. »Jeder M eter dieses Strandes ist im Visier irgendeines Kraut! Wenn die M aschinengewehre euch nicht erwischen, wird es eine 88er tun! Und die Flut steigt in jeder M inute zwei Zentimeter! Dieser Deich bed eutet Leben ... hier werd et ihr alle krepieren!« M ehr gab es nicht zu sagen. Sie würden ihm entweder folgen oder nicht. Und M iller stürmte hinter der stählernen Barriere hervor, das Gewehr schußbereit, platschte durch das seichte Wasser, bahnte sich einen Weg zwischen den Drachenzähnen und umhertreibenden Leichen. Dutzende von M ännern verließen ihre Deckung und folgten ihm, eben noch verzagte Überlebende, aus denen p lötzlich wieder So ldaten wurden. Aus Kindern wurden M änner, als sie die Todeszone von Omaha Beach üb erquerten, viele von ihnen tote M änner, gewiß, aber M änner; nicht wenige ihrer Väter hatten im vorigen Krieg ein ähnliches Niemandsland unter erbittertem feindlichem Feuer durchqu ert. Rennend, schreiend, rufend, auf allen vieren, springend und im Zickzack, wobei High-School-
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Champ ions ihre Erfahrungen im Geländelauf nutzen konnten, arbeiteten sie sich zum Deich vor. M änner, deren Gewehre mit Sand verstopft waren oder die ihre Waffen im Wasser ver loren h atten, sammelten Ersatz bei den Toten ein. Granattrichter boten vorübergehend Schutz, ein zerschossener Panzer - einer der wenigen, die überhaup t so weit gekommen waren - wurde zur Deckung. Etliche Soldaten wurden gnaden los nieder gemäht und stürzten, nachdem die Verbindung zwischen ihrem Gehirn und ihr en Beinen jäh durchschnitten worden war, in den Sand oder den Kies, während die Verwundeten sich in den Armen anderer GIs wiederfanden, die sie mit sich fortzogen. Ander en konnte nicht mehr geholfen werden; die Klagen verwundeter und sterbender M änner, die wieder zu kleinen Jungen wurden, tönten über den rauchverhan genen Strand wie ein unheimliches Wiegenlied: Mama! Mama! Mutter! Mami! M iller kauerte k euchend hinter einer Sp erre; diesmal war es kein stählerner Igel, sondern einer jen er schrägstehenden, minenbewehrten, b aumdicken Holzstämme, d ie sich gut als Deckung eigneten. Direkt neben ihm duckten sich drei Priv ates mit verstörtem Blick und umklammerten Schreibmaschinen und Kartons. »Was, zum Teufel, macht ihr denn da?« schr ie M iller, um das prasselnde Gewehrfeuer zu übertönen. Ein Junge mit einem sommersp rossigen Gesicht antwortete: »104. Sanitätsbataillon, Sir! Wir sollen h ier ein Feldlazarett aufbauen!« »Seht ihr jemanden, der eure verdammten Schreibmaschinen nötig hätte?« »Nein, Sir.« »Schmeißt die Scheißdinger weg, und sucht euch ein e Waffe. M ir nach!« Nun bewegten sie sich jenseits der Brandung auf d em Sandstrand, kamen aber weiterhin nur lan gsam vorwärts.
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M iller wagte nicht zu schießen, denn zu viele GIs waren vor ihm. Viele der M änner waren so schwer mit ihrer durchnäßten Ausrüstung belad en, daß sie k aum gehen, geschweige denn rennen konnten; einige warfen unterwegs einen Teil ihres Gepäcks weg. Zwei junge Kerle, die ohne Waffen daherk amen und den rettenden Deich ansteuerten, halfen sich gegenseitig aus ihren nassen Uniformen und standen in Hosen und T-Shirts da, als neben ihnen der Kanister eines GI mit einem Flammenwerfer eine Kugel abb ekam. Der Feuerball erfaßte ihn und die beiden Jungs, drei lebende Fackeln, die schreiend über d en Strand liefen. Die anderen Sold aten, an denen sie sich als orangeblaues Gebilde vorbeiwälzten, versuchten ihnen auszuweichen, bis M aschinengewehrfeuer ihr em Leiden ein Ende machte und sie niederstreckte. Nun waren es nur noch drei weitere brennende Hindernisse, die man umrunden mußte. Neben M iller murmelte ein Soldat: »Das nenne ich eine schnelle Höllenfahrt.« M iller, dem sich vor Entsetzen der M agen zusammenzog, duckte sich hinter ein Stahlschienenhindernis. Er brauchte einen Au genblick Ruhe. Nur einen Au genblick ... »Hilf mir hier raus«, sagte ein e Stimme. Hinter der nächsten stählernen Barriere lag Lieutenant Frank Briggs, der in den Sand gestürzt war. »Ich hab' unten was abgekriegt«, knirschte Briggs. »Ir gendwas Heiß es ... in mir. Ich habe das Gefühl, als hätte ich eine schweren Stein im Körper ...« Aber Briggs war nicht allein. Zwei Pioniere verkabelten flink und behende den Drachenzahn, hinter d em Br iggs Schutz gefunden hatte. M iller kroch herbei und stupste einen der beiden, der ger ade Sprengstoff an der Basis des Hindernisses befestigte. »Was, zum Teufel, soll das denn werden?« fragte M iller. »M arine-Pionierbataillon, Sir!«
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Der Soldat war M itte Zwanzig und hatte ein bleiches, längliches Gesicht mit glanzlosen, braunen Augen; er wies mit dem Kinn auf den Drachenzahn. »Ich soll das Scheißding in die Luft jagen.« »Wozu denn das?« »Damit die Panzer freie Bahn haben.« »Welche Panzer denn, verdammt noch mal?« Der Pionier machte sich wieder an die Arbeit. »Befehl, Sir.« »Alle Panzer sind im Kanal abgesoffen! Schauen Sie sich mal um!« »Aus dem Weg, Sir!« Plötzlich hatte der Pionier einen Zünder in der Hand. »Das Ding geht gleich hoch.« Es blieb keine Zeit mehr für Diskussionen; M iller wandte sich von dem absurden Schauspiel ab, p ackte Briggs an d en Riemen seines Rucksacks und zog den Lieutenant vorwärts in Richtung der Rauchwolken und der sintflutartig aus ihnen herabprasselnden Gewehrkugeln. Ein So ldat lief neben M iller heran, und als er ihn schließlich überholte, bemerkte der Cap tain, daß der GI, der ununterbrochen »Sanitäter, Sanitäter, Sanitäter!« schrie, etwas wie ein Gewehr trug, das aber in Wirklichkeit sein Arm war; trotz des frischen Gliedverlustes schaffte er es bis zum Deich und schleuderte den abgetrennten Arm wie eine Granate hinüber und warf sich vor dem Deich zu Boden, wo er fürs erste in Sich erheit war. Während einer Schlacht kann man solche unwirklichen Geschehnisse nur registrieren, aber nicht verarbeiten, und M illers Hirn war noch dab ei, sich die gräßliche Szene einzuprägen, um sp äter über sie nachdenken zu können, als eine M örsergranate neben ihm einschlu g, ihn in die Luft schleuderte und wieder zu Boden warf. M iller schluckte, in seinem Kopf wirbelte alles durchein ander, seine Ohren klin gelten - aber
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zumindest hatte er diesmal nicht das Gehör ver loren -, und er untersuchte seine Beine, denn er wußte, daß man es manchmal zuerst gar nicht spürte, wenn man verwundet war, weil der Schock d en Schmerz betäubte. Kugeln u mschwirrten ihn wie auf gestörte Hornissen; in seiner Nase brannte der Geruch des Pulverdampfs, und auch in seinem M und spürte er diesen scharfen, talgigen Geschmack. Aber er war nicht verwundet, die Granatsplitter hatten ihm nur ein paar neu e Kratzer zugefügt, und so schnapp te er Lieutenant Briggs wieder an den Riemen seines Rucksacks, rapp elte sich auf und begann ihn weiter in Richtun g Deich zu ziehen. Allerdings fühlte sich M iller plötzlich stärker, so als hätte die M örsergranate ihn gekräftigt anstatt geschwächt; nein - er war nicht stärker geworden, aber Briggs war leichter ... Der Lieutenant hatte keinen Unterkörper mehr. Benommen setzte M iller den halbierten M enschenkörper wie einen Koffer ab, als plötzlich etwas gegen ihn p rallte, jemand gegen ihn p rallte, der Sarge. Der Sar ge p ackte ihn und schlepp te ihn vorwärts, und M iller faßte Tritt, humpelte mit ihm die letzten M eter durch den zischenden, knatternden Kugelhagel. Sie warfen sich hart am Deich in den Kiesgrund. M iller hatte sich noch n ie in seinem Leben so erschöpft gefühlt, so ausgepumpt, weder im zivilen Leben - was kein Wunder war - noch jemals während einer Schlacht. Seine Augen brannten, er spürte jeden Knochen im Leib, seine M uskeln waren nur noch eine einzige zuckende, schmerzende, widerspenstige M asse. Auf der ganzen Br eite des Strandes warf en sich and ere tapfere, erschöpfte Soldaten vor dem Deich nieder, der ihnen weitgehend Schutz bot. Aus M aschinengewehren und M örsern regnete unvermindert Blei auf den nur wenige Zentimeter entfernten Kies und Sand nieder; d er Lär m dieses Kugel- und Granatenhagels nah m kein Ende, und auch nahe am Deich
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waren die Verluste hoch. Dort begannen sich regelrecht die Leichen aufzutürmen. »Ich kann die Toten nicht von den Verwundeten unterscheiden«, sagte M iller. »Jedenfalls sieht der Spielstand nicht gut für uns aus«, sagte der Sarge. Sie mußten laut sprechen, um die ununterbrochenen Schreie »Sanitäter!«, »Leichenträger!«, »Hilfe!« zu übertönen. Entlang des Deichs waren d ie Gesichter M iller zugewandt, Gesichter von Soldaten, die den größten Teil ihrer Ausrüstung, ganz zu schweigen von ihrer Kampfmoral, eingebüßt hatten und sich, so gut es ging, in dieser sp ärlichen Deckung zusammendrängten. Die Überquerung des blutigen Strandes hatte M änner aus ihnen gemacht. Doch jetzt, nachdem sie diesen Abschnitt kriechend überwunden hatten und ihnen fast so etwas wie eine Atemp ause vergönnt war, stieg in ihnen erneut die Angst auf, und sie wurden wied er zu kleinen Jungs. M iller schaute auf die verstörten Kinder, von denen einige hemmungslos schluchzten, und stellte jedem, der ansprechbar war, die ban ge Frage: »Wer hat hier das Kommando?« Zwei Antworten kamen zugleich: Feuer aus M aschinen gewehren und anderen Waffen, das aus den Bunkern und Gräben über ihnen kam und anzeigte, daß h ier eindeutig die Deutschen das Kommando führten. Aber etliche der jungen Soldaten riefen ihm die ander e schreckliche Antwort auf diese Frage zu: »Sie, Sir!«, »Sie haben d as Kommando, Sir!« M iller blickte auf den Sar ge und flüsterte: »Das habe ich befürchtet.« »Dann lassen Sie sich mal n icht Ihren Arsch wegpusten«, flüsterte der Sar ge zurück, »sonst muß ich das hier übernehmen.« »Teufel, so weit kommt es hoffentlich nicht«, sagte M iller und rang sich sogar ein Grinsen dabei ab. »Dann würdet ihr ja schön in der Tinte sitzen ... Können Sie ausmachen, wo wir
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hier sind?« Der Sarge zuckte mit den Schultern. »Schätze, ungefähr anderthalb Kilometer von der Stelle entfernt, wo wir landen sollten.« Ein Soldat weiter unten am Deich, der das gehört hatte, rief aus: »Niemand ist da, wo er hingehört!« Der Private neben dem Sar ge, ein rundgesichtiger Bursche, sagte: »Er hat recht, Sir, es ist ein völliges Durcheinander. Wir sind die Überreste der Fox-, Able- und George-Kompanie, außerdem ein paar Jungs von einem Räumko mmando und Strandpioniere.« M iller musterte seine zerlump ten, aus verschiedensten Regimentern und Kompanien zusammengewürfelten M änner, und da ihm klar war, daß sie sich nur kurz hier im Schutz des Deichs aufhalten konnten, wiederholte er noch einmal zu sich selbst: Das ist es, was ich befurchtet hab e.
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M iller robbte den Deich entlang und inspizierte seine M änner, der Sarge hinter ihm. Inmitten des Durcheinanders von Lebenden, Sterbend en und Verwundeten hatte ein junger Funker klaren Kop f behalten und bellte in sein Funkgerät, das aussah wie ein antennen gespickter Schuhkarton. M iller kroch zu ihm heran und griff nach seiner Schulter. Der Funker, ein blonder Jun ge, fuhr heru m und sah sich einem Captain gegenüber. »Fordern Sie Luftunterstützung an!« überschrie M iller den Feuerlärm. »Sagen Sie ihnen, daß wir h ier kein b ißchen Luftunterstützung kriegen!« Der Junge nickte, wandte sich wieder um und gab den
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Funkspruch durch, wahrend im Hintergrund die M örser Granaten ausspuckten, die laut krachend exp lodierten und Splitter durch die Luft pfeifen ließ en. M iller faßte den Funker wieder an der Schu lter, worauf der ihn erwartungsvoll ansah. »Und geben Sie durch«, fuhr M iller fort, »daß von den schweren Waff en nichts bis ans Ufer kommt! Die C-3Angriffsschneise ist nicht frei! Fragen Sie, wo die verdammten Amphibienpanzer bleiben! In der Nähe der Ausfallwege ist kein einziger zu sehen!« Der Funker nickte wieder, drehte sich um und schrie in sein Gerät. Von oberhalb kn atterte M aschinengewehrf euer. Als der Junge seinen Funksp ruch abgesetzt hatte, p ackte M iller ihn erneut an der Schulter. »Und sagen Sie auch ...« Doch die Worte blieben dem Captain im Hals stecken: der junge Funker hörte nicht mehr zu, denn er hatte den Kopf verloren - jedenfalls die eine Hälfte, das Gesicht war weggeschossen. Der Junge sackte leblos in den Sand, und M iller gr iff nach dem Funk gerät. Aber das war ebenfalls durchsiebt und nur noch ein Stück wertloser Schrott. Erschüttert wich M iller vom Strand, wo die einschlagenden Geschosse unaufhörlich Sand aufwirbelten, in Richtung Deich zurück. Begrüßt von M aschinengewehrf euer, stürmte Private Robert Reiben, vierundzwanzig, Brooklyn, New York, über den Strand und warf sich zwischen seinem Captain und seinem Sergeant gegen den Deich. »Na warte, dafür werd' ich mich persönlich bei Eisenhower beschweren«, sagte er. Reiben war ein schlaksiger blonder Klugscheißer mit jüdischem Vater und irischer M utter, was den roten Schimmer in seinen Haaren und die Blässe seines Gesichts erklärte. Der Sar ge fr agte ihn: »Sonst noch jemanden vom Zug gesehen?« »Jackson«, sagte Reiben und wies mit dem Kopf den Deich
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entlang. Der Sch arfschütze aus dem Süden hatte mit seiner geliebten Springfield in d er Hand vorüber gehend Deckung gefunden. »Aber sonst niemanden.« »M ellish, hier, Sir!« rief eine and ere Stimme aus der anderen Richtung des Deiches. »Cap arzo ebenfalls, Sir!« rief eine weitere Stimme aus derselben Richtung. M iller reckte sich weit genug, um zu sehen, wo die beiden gemeinsam in Deckung lagen; dann du ckte er sich wied er, als Cap arzos Stimme fortfuhr: »Wade ist weiter hinten mit DeForest, aber den ar men Dee hat's schwer erwischt, der blutet aus hundert Löchern.« »Wo ist Wade?« rief M iller zurück. »Unten am Strand«, schrie Caparzo. »Er versucht ihm die Löcher zu stopfen!« Schließlich erkannte M iller zwischen Rauchschwaden und krauchenden M ännern den San itäter der Komp anie, Corporal Edward Wade, San Diego, Kaliforn ien, mit seinen achtundzwanzig Jahren einer der ältesten unter den Jungs des Captain. Der kleine, dunkelhaarige Wade kniete über Private Brian DeForest, einundzwanzig, DeKalb, I llinois, und versuchte ihn zu verarzten, obwohl er eine so stark blutende Brustwunde hatte, daß jede M ühe sinnlos erschien. Wad es Arme waren blutverschmiert bis zu den Ellbogen h inauf, und sein e weiße Binde war völlig bespritzt. Als ein ranghöherer Sanitätsoffizier ihm befahl, sich lieber um den nächsten Verwundeten zu kümmern, gehorchte Wade nicht, sondern erklärte: »Er lebt noch, Sir.« Während in der Todeszone um ihn heru m die M änner nacheinander umfielen, türmte Wade in aller Ruhe Leichen auf, die ihm als menschliche Sandsäck e Schutz für die Versor gun g seines Kumpels gaben.
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»Wade!« brüllte M iller vom Deich aus. »Wade! Sanitäter! Wade!« Doch entweder hörte Wade sein en Cap tain nicht, oder er verweigerte auch ihm den Gehorsam. M iller rief: »M ellish - Caparzo ... holen Sie mir Wade vom Strand runter! Wir brauchen unseren verdammten Sanitäter noch!« Nach und nach nagte sich das M aschinengewehrfeuer durch die Leichen, wie eine Säge durch Holz, aber Wade ließ sich nicht beirren und verabreichte dem Verwundeten eine Plasmakonserve. Da dur chschlug eine Kugel ein en der leblosen Körp er und bohrte sich seitlich in DeForests Kopf - der Arzt hatte seinen Patienten verloren. »Mist!« schrie Wade und schüttelte seine blutigen Fäuste. »Verfluch te Scheiße!« In diesem M oment kamen Caparzo und M ellish bei ihm an und zerrten ihn vom Strand weg zum Deich. M iller wandte sich zum Sarge. »Das ist alles, was von uns übriggeblieben ist?« »Nicht unbedingt, Sir. Unsere M änner hat es über den ganzen Strand verstreut. Irgendwo sind sicher noch welche von uns.« »Aber nicht genu g. Nicht genug.« M iller dachte noch einmal an das Landungsboot und daran, wie er seine M änner in das mörderische M aschinengewehrfeuer hin ausgeschickt hatte. Doch rings um ihn tobte das trockene Bam-bam der M örser, und die Splitter pfiffen ihnen um die Ohren - da blieb keine Zeit für solche Über legungen. »Wo ist DOG-1 ?« fragte er den Sar ge. »Wo, zum Teufel, ist unsere Angriffsschneise?« »M uß der Einschnitt da drüben rechts sein.« »So?« »Oder der linke dort?« »Nein.« M iller dachte nach.
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»Vierville ist westlich von uns. Es muß der rechte sein.« Eine Granate schlug so dicht am Deich im Sand ein, daß sie drei der dort kauernden Soldaten in Stücke riß. Eine Stimme in der Nähe dieser fur chtbaren Szene schrie hy sterisch: »Die schlachten uns ab! Sch eiße, d ie schlachten uns ab! Wir haben keine Chance! Das ist nicht fair!« M iller schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam, sie gehörte einem Corporal, ein em erfahrenen Soldaten wie ihm selbst, etwa Ende Zwanzig. Wenn ein M ann wie er die Nerven verlor, dann mußten all die jün geren, unerfahren en M änner kurz vor dem Durchdrehen sein. Höchste Zeit, von hier wegzukommen. »Sammelt Waffen und M unition ein!« b efahl M iller. »Alles, was ihr habt und was ihr finden könnt! Wenn nötig, zieht sie euch vom Strand herüber! Da draußen nützen die Waffen niemand em!« Der Befehl wurde nach beid en Seiten des Deiches weitergegeben. Die Kommandos rief en ein Raunen unter den M ännern hervor, denen die Aussicht, endlich aktiv zu werden, sichtlich Auftrieb verlieh. Niemand verspürte Lust, weiter vor diesem Deich zu hocken und darauf zu warten, daß ihn eine exp lodier ende 88er od er ein Querschläger erwischte. Der Sarge wandte sich an Reiben. »Wo ist denn Ihr Browning-Automatikgewehr, Reib en?« »Auf dem M eeresboden, Sar ge.« Reiben grinste. »Das M istding hat vesucht, mich zu ersäufen.« »Suchen Sie sich ein ander es.« »Schon so gut wie geschehen, Sarge.« Und schon huschte der Aufschneider h inaus auf den Strand, um Ersatz für seine Browning zu finden. Überall entlang des Deiches war das gleiche Bild zu sehen. GIs, beflügelt von der Aussicht auf einen Ausfall, sammelten Waffen und M unition,
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angelten sich Ausrüstungsgegenstände und setzten sich dem Kugelh agel aus, um so wertvolle Beute wie M aschinenpistolen, Bazookas, M 1er und 45er-Automatikgewehre zu er gattern. M iller blickte zu dem Dickicht aus Stacheldraht emp or, der auf dem Deich wie eine r iesige Ziehhar monika ausgebr eitet war. »Wir brauchen Ofenrohr e«, sagte er. »Damit reißen wir ein Loch in den Stacheldr aht und lassen die M inen ringsumher hochgehen.« »Ofenrohre!« rief der Sar ge, und der Befehl wurde entlan g des Deiches weitergegeb en. Etliche Stimmen r iefen: »Ofenrohre!«, »Wir brauchen Bangalore-Torpedos!« »Bangalore-Torpedos!« Dann kam ein Ruf zurück: »Wir suchen, wir suchen! ... Wo sind denn die Feuerwerk er? ... Prima, wir haben welche! Bangalore-Torpedos!« Ein Stück weiter den Deich hinunter beteiligten sich auch die Privates Caparzo und M ellish an der Jagd nach Waffen und beäu gten mit Geierblicken ein 30er-Kaliber-M aschinengewehr, das wie ein ver gessenes Kinderspielzeug im Sand lag. »Los, du rennst schneller als ich«, sagte M ellish. »Dafür gibst du ein kleineres Ziel ab«, erwiderte Cap arzo. »Du bist doch Italiener. Vielleicht halten sie dich für einen Verbündeten.« »So, meinst du?« »Sicher. Außerdem siehst du auch irgendwie d eutsch aus.« »Leck mich doch! Wer als erster da ist, der kriegt das Ding.« Und beide verließen die Deckung, stürmten los, um sich d ie Waffe zu schnapp en. Sie stolp erten im Sand, aber schon ein paar Augenblicke später kehrten sie bereits mit dem M G zurück. Sie trugen es gemeinsam und strahlten einander an wie stolze Eltern mit ihrem Neugeborenen im Arm.
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Ein Stück weiter hatte Ser geant Horvath seinem Cap tain ger ade eine Thompson-M P samt Ersatzmagazinen üb erreicht. »Hier, nehmen Sie, damit Sie ihnen zeigen könn en, daß wir hier waren«, sagte der Sar ge und deutete auf die Thomp son. Weitere Waffen - und M änner, die entschlossen waren, sie zu benutzen - sammelten sich zu beiden Seiten des Captain und des Ser geant. Ein Private, der immer noch ein en Flammenwerfer auf dem Rücken trug, machte M eldung bei M iller. Dabei bückte er sich aus gutem Grund. »Bin beeindru ckt«, gab M iller mit einem kaum sichtbaren Lächeln zu. »Den haben Sie durch die Hölle bis hierher gebracht?« Auch jetzt noch trafen Landungsboote ein, und d ie Granaten der deutschen 88er ließen das Wasser in Fontänen hoch sp ritzen. »Hatte keine Wahl, Sir«, grinste der Junge. M it seinen vorstehenden Zähnen sah er ein biß chen dümmlich aus. »Die Schnalle hat sich verklemmt, und ich hab' das M istding nicht runtergekriegt!« Zum Beweis zerrte er an dem Gurt. »Das würde ich an Ihrer Stelle aber nicht erwähnen, wenn Sie eine Auszeichnun g b ekommen sollten«, riet M iller dem Private. »Nein, Sir.« Zwei Ser geants vom 149. Pion ierbataillon kamen so tief gebü ckt wie möglich am Deich entlanggekrochen, jeder mit zwei meterlangen, TNT-gefüllten Ban galore-Torpedos. Als sie bei M iller ankamen, befahl der Cap tain, mit der Aktion zu beginnen. Die M inen waren für den Zusammenbau unter Beschuß konstruiert: Die einzelnen Stücke wurden miteinander verbunden, bis ein langes Rohr entstand, das bis zur Höhe des Deiches geschob en und durch das Stacheldr ahtgewirr gefädelt
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werden konnte. Bei der Detonation würde der Bangalore-Torpedo seitlich aufplatzen und eine Schneise in d en Drahtverhau sprengen. Soweit die Theorie. Viele M änner wurden benötigt, um sie in die Praxis umzusetzen, und M iller wußte eins: Wenn nach all den Fehlplanungen und Irrtümern der hohen Tiere dieser Tag und diese Invasion doch noch erfo lgreich sein würden, dann h atte man das solchen bunt zusammengewürfelten Trupps einfacher Soldaten zu verdanken, die mit dem M ut der Verzweiflung improvisierten. Diese Jungs in Khaki komplettierten ihre Ausrüstung, sie entsandeten ihre Waffen so gut es ging, machten die Schlösser gängig, überprüften die M echanik, luden, küßten Rosenkränze. Aus dem Augenwinkel sah er M ellish und Cap arzo grinsen, während sie mit Feuereifer ihr soeben requir iertes M aschinengewehr ölten. Obwohl M iller die meisten dieser M änner nicht kannte, liebte er sie wie die beiden Kinder, die zu Hause auf ihn warteten. Das TNT-Rohr schob sich beim Zusammenbau Stück für Stück seinem Ziel an der Oberkante des Deiches näher, die Spitze ragte schon in das Gewirr des Stacheldrahtes hinein. Gesp annt beobachtete M iller die Fortschritte, als Wade mit einsatzbereiter Sanitäterausrüstung neben ihm eintraf. Er hatte sich das Blut von den Händ en ab gewischt, aber d ie Ärmel seines Hemdes waren schwärzlich-feucht, und seine Handflächen hatten sich in einem schrecklichen, dunkelroten Ton verfärbt. »Freut mich, Sie zu sehen, Sir«, sagte Wade leise. Ihn konnte so leicht nichts aus der Ruhe bringen. »Freut mich, gesehen zu werden«, gab M iller zurück. »Pappi ist ganz verliebt in sein neues Baby«, sagte etwas weiter hinten Reiben. Er war mit dem Laden seiner BrowningAutomatic beschäftigt.
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Einer der beiden Ser geants vom 149. Pionierbataillon b lickte M iller an und hob den Daumen: Das Rohr war jetzt in Position. »Legen Sie los, Ser geant«, antwortete M iller ihm. Der Ser geant zog den Sp lint aus der Zündkapsel des letzten Rohrstücks und rief: »Volle Deckung!« »Volle Deckung!« rief Reiben, und überall entlan g des Deichs wurde der Ruf weitergegeben, während alle so gut wie möglich Schutz suchten. Die Detonation, nur eine von vielen an diesem verhangenen M orgen, wurde von den hochgejagten M inen verstärkt, die durch die Exp losion ausgelöst wurden. Als Rauch und Staub sich verzogen hatten, gähnte eine breite Lücke in der Stacheldr ahtsperre. Nun konnten sie endlich von diesem blutigen Strand wegkommen. »Jetzt geht's los!« rief der Sarge. »Kommt, alle M ann da durch!« M iller zog sich den Deich hoch, ein Dutzend M änner dicht hinter ihm, darunter Reiben, M ellish, Caparzo, Wade und natürlich der Sarge. Sie rannten hinaus auf die Strandebene hinter dem Deich, wo es Flecken mit hohem Gras und Sumpfland gab - und auch die verkohlten Stellen, an denen die Explosion Landminen aus gelöst hatte. Das durchnäßte, sumpfige Geländ e ver langsamte nur wenig den Sprint der Soldaten zu der steilen, aus gewaschenen Böschung, die mit ihren tiefen Bodenwellen Deckung versp rach. Doch der Kugelhagel aus den deutschen M aschinengewehren änderte seine Richtung und verfolgte nun die dahinstürmenden Soldaten und die M änner, die gerade dur ch d ie Öffnung im Stacheldr aht drängten. Zwei stürzten im Sumpfland zu Boden, ein weiterer starb im Gewirr des Stacheldrahts. Den Soldaten auf der Strandseite des Deiches, die im Begriff waren, durch das Loch in der Ziehharmonika zu spurten, sank der M ut. Dann rief ein Private: »Scheiß drauf, wenn ich schon
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abkratzen muß, dann wenigstens auf dem Weg nach oben!« und stürmte los. Das riß die übrigen Kämp fer mit. Zwei weitere Wellen mit einem Dutzend oder mehr Soldaten brach en aus der Deckung hervor und folgten M iller und seinen M ännern. Inzwischen waren M iller und der Rest seines Zuges sowie einige andere beherzte Sold aten dabei, d ie Böschung zu erklimmen. Dabei blieben sie immer in den tiefsten Furchen, die ihnen eine natürliche Deckung boten. Es war klar, daß in den Erosionsfurchen genauso gut Deutsche hocken konnten, was sie sicher auch taten, aber noch hatten sich keine gezeigt ... Als die anderen zu ihnen stießen, verstummte das M aschinengewehrfeuer, so daß sie plötzlich eine unheimliche Stille umgab. Die GIs überquerten mehrere der gewundenen Erdfurchen. Sie hatten sich in kleine Gruppen aufgeteilt, die sich, von einer Position zur anderen hüp fend, aber immer gedu ckt, durch das Labyrinth natürlicher Gräben den Abhang nach oben schlichen. Ab und zu hielten sie inne, um eine unübersichtliche Biegung zu insp izieren. Vor Reiben war ger ade eine Grupp e von fünf Soldaten an einer solchen Stelle im Erosionsgr aben angelangt. Sie schauten einander an, zuckten mit den Schultern und bogen um die Ecke. Direkt hinter ihnen folgte eine weitere Grupp e, während Reiben, der M iller und die übrigen Jungs aus seinem Zug verloren hatte, das Schlußlicht bildete. Aber noch bevor die zweite Grupp e um die Kurve bog, wurde die Stille von heftigem Feuer aus kleinkalibrigen Waff en zerrissen. Zwei Soldaten aus der ersten Gruppe, die gerade eingebogen waren, kamen wie von Sinnen kreischend zurück gerannt, die Uniformen waren rot besp ritzt, die Augen traten hervor, die Beine rud erten wild, so daß sie mit M ännern der nächsten Grupp e zusammenprallten und sie wie Kegel umwarfen. Plötzlich lagen alle an der schmalen Stelle übereinander und versperrten sie, es entstand ein Stau aus taumelnden und
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stolpernden M ännern. Sie waren gefangen zwischen stramp elnden Armen und Beinen, und es sah fast aus, als würden sie zu der Kakophonie aus den Gewehrläufen einen Tanz auffuhren. Dieser schreckliche Stau aus M enschen ließ Reiben anhalten, und sonderbar abwesend sah er zu, wie deutsche StielHandgran aten im Bo gen um d ie Ecke flogen - vier, acht, zwölf der verfluchten Dinger, die wie klein e Bomben aus kleinen Flugzeugen auf sie hinabfielen. Reiben hechtete in die entgegengesetzte Richtung und landete in demselben Augenblick auf dem Boden, als die zwölf kleinen Explosionen sich zu etwas Ohrenbetäubendem, Entsetzlichem verbanden. Als er sich dann auf seinen Ellbo gen aufstützte und feststellte, daß er unverwundet geblieben war, ging eine gelbgraue Wolke aus Erde und Pulver nieder, und ein grausiger roter Regen besp rühte den Graben - und Reiben. Angeekelt, verängstigt und mit Blut und Erde beschmiert, kam er taumelnd wieder auf die Beine und gin g zurück, woher er gekommen war. Da vernahm er eine Stimme, und er folgte ihr, es war die Stimme des Captain, der rief : »Hier entlang! Hier entlang!« M iller, vom Lärm des Gewehrfeuers und der Granaten doppelt angespornt, rannte mit einem halben Dutzend M ännern einen tiefen Einschnitt hinauf: der Sar ge, M ellish und Caparzo waren dabei, und an einer Gabelun g des zerfurchten Geländes stieß auch der er leichterte Reiben wieder zu ihnen. Ein Stück weiter oben vor M iller liefen dr ei Privates. Sie bogen um eine Ecke und waren gerade außer Sicht, als M iller den Donner zweier detonierender Landminen vernahm und so abrupt im Lauf innehielt, daß er strauchelte. Er stützte sich mit dem Handgelenk ab, wobei er ein e Kerbe in der trockenen Seitenwand hinterließ. Dann lu gte er um die Biegun g des Grabens und erblickte die versen gten traurigen
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Überreste von zwei Soldaten. Wie überfahr ene Tiere am Straßenrand lagen die Toten zu beiden Seiten eines Pfades. Bei ein em eb enso erschütternden Anblick zogen sich M illers Augen zu Schlitzen zusammen: M itten im blau-gelbbraunen Rauch, der ihn und seine toten Kumpel umgab, stand stocksteif der dritte GI mit weit aufgerissenen Augen und v erzerrtem Gesicht, wie angewurzelt, ein menschlicher Baum in mitten eines M inenfeldes. Dann kam ein völlig unerwartetes Geräusch: ein Pfiff. Nicht das Pfeifen von Artilleriegeschossen oder Granatsp littern, sondern der Laut, mit dem ein M ensch seinen Rassehund heranpfeift. Das alltägliche, aber an diesem Ort geradezu gespenstisch anmutende Geräusch hallte die Furche entlang, und dann rief eine Stimme: »Fritz! Fritz!« Die Stimme eines Deutschen. Und richtig, ein Hund kam von hinten durch den Graben angetrabt. Er wirkte auf den überraschten M iller und seine Leute wie eine Erscheinung aus harmloser en, freundlicheren Zeiten. Unwillkürlich lächelten sie ihm zu und dachten noch nicht einmal daran, ihn einzufangen, als er wie Rin Tin Tin, der berühmte Filmhund, mit hellen, wachen Augen und heraushängender Zunge an ihnen vorbeijagte. Die Leine zog er hinter sich her. An einer Gabelung schlu g das Tier ein en Weg ein, der von der Furche wegführte, wo das M inenfeld den verängstigten GI gefangenhielt, und für einen kurzen M oment sah M iller eine Gestalt mit grauem M antel und Topfhelm hinter einer Biegun g hervortreten, die den freudig bellenden und hochsp ringenden Schäferhund in Empfang nah m. Der Deutsche zog den Hund um eine Biegun g, und schon waren sie außer Sicht und in Sicherheit. Für einen Augenblick war M iller gerührt von diesem Anblick der M enschlichkeit: ein Soldat, der seinen Hund liebte - so wie jeder Junge seinen Hund lieben würde. Dieser flüchtige Augenblick brüderlicher Besinnlichkeit kam zu einem jähen Ende, als d er deutsche
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Soldat wieder auftauchte, sein Gewehr anlegte und dem im M inenfeld gef an genen GI von der Seite in d en Kop f schoß. Die Kugel traf den Jungen ins linke Ohr und durchschlug sein Gehirn. Ohne eine M ine auszulösen, fiel er taumelnd zu Boden. Dann war der Deutsche v erschwunden. Nur das schwächer werdende Bellen des Köters verriet ihnen, daß Herr und Hund sich in eine unbekannte Stellung zurückzogen.
4 Träge zog Rauch vorbei, der säuerlichen Pulverdampf und den entsetzlichen Gestank von verbrannten Haaren und versengtem Fleisch herantrug. M iller blieb an der Gabelung des Grabenlabyrinths stehen. Nach dem Tod, besser gesagt, der Hinrichtung des von M inen eingesch lossenen Private, schwiegen der Captain und die Jungs, die sich hinter ihm drängten - eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus dreckund blutverschmierten GIs, darunter die Überreste seiner eigenen Einheit. Es gibt Din ge, die einfach zu schrecklich sind, um darüber zu reden. Das Schrecklichste daran war vielleicht die Gewißheit, daß alle von ihnen genauso gehandelt hätten wie der Deutsche. »Jetzt haben sie uns am Arsch!« sagte ein Jun ge hinter M iller. Er versuchte wütend zu klingen, aber die Angst schwang deutlich mit. »Die Krauts haben alle Ausgänge ver mint!« Während der leicht gedämp fte Gefechtslärm anhielt, hörten sie irgendwo über sich M aschinengewehre den Strand beharken, und von Zeit zu Zeit bebte der Boden vom Einschlag einer 88er-Granate. Der Sar ge flüsterte M iller zu: »War schon kein Spazier gan g
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bis hierher, Sir, aber beim Weg hier raus wird's ganz schön Ärger geben.« »Ärger ist gar kein Ausdruck«, gab M iller zurück und wandte sich mit einem Lächeln zu seinen Jungs um. Er hoffte nur, daß es nicht so gezwungen wirkte, wie er es empfand. »Der Hund, dieser Fritz, der kannte den Ausgang.« M ellish, der nervös seinen Kaugummi bearbeitete, fragte: »M einen Sie, daß der Köter weiß, wo die M inen liegen?« »Dieser Hund gehört zur deutschen Truppe«, sagte M iller nüchtern, »und die Deutschen müssen schließlich auch jeden Tag hier rauf- und runtergehen, od er?« Und damit trabte M iller mit schußbereiter Thompson den Pfad entlang, den Fritz eingeschlagen hatte. Nach kurzem Zögern folgten ihm seine M änner, und sie waren schon ein gutes Stück in dem Graben vorangekommen, als M iller ein Handzeichen zum Anhalten gab. Der Pfad stieg hier bis zu einer Lücke in d er Böschung an und führte dort auf freies Gelände. Obwohl sie sich an einer ziemlich niedr igen Stelle und eigentlich in einer Sackgasse befanden, konnten die GIs auf der anderen Seite der zehn M eter breiten, lehmigen Anhöhe eine Erhebun g aus Gestein und Sand ausmachen - eine einladende Zielger ade, d ie allerdings einen Nachteil hatte: Das Hämmern der M aschinengewehre und das Knattern der Handf euerwaffen, die den Strand bestrichen, war beständig lauter geworden, und auch das Bam-Bam-Bam d er Granatwerfer kam nun aus nächster Nähe. Wenn M iller und seine Leute über dieses offene Gelände laufen würden, konnten sie in Sicht- und Schußweite der Deutschen ger aten, die dort oben in Stellung lagen. »Wir haben keine Einsicht von hier«, sagte der Sar ge, als die ganze Grup pe sich zwischen den Wänden des Grabens drängte. »Erst wenn wir die Köp fe rausstecken, wissen wir, was wir da vor uns haben.«
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»Hat jemand ein Bajonett?« fragte M iller, und man r eichte ihm ein es. »Wer hat einen Sp iegel?« Gleich darauf hielt der Cap tain einen kleinen Rasiersp iegel in d er Hand und wandte sich an M ellish: »Sagen Sie mal >Ah»Die Öffentlichkeit wird denken, die Streitkräfte haben Jungs aus Iowa zum Abschuß freigegeben!< ... Weiß man ir gend etwas von dem vierten ... wie heißt der Junge?« »James«, sagte Wilson. »Nein, Sir. Er ist ungefähr fünfundzwanzig Kilometer landeinwärts abgesprungen, in der Nähe von Neuville.« Um die dünnen Lipp en von M arshalls M und zuckte es. »Und ich neh me an, das ist immer noch weit hinter den deutschen Linien, oder?«
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»Ja, Sir.« »Das wissen wir nicht mit Bestimmtheit, Sir.« Dye trat einen Schritt vor. »In ersten M eldungen von Eisenhowers Stab aus dem Alliierten Oberkommando der Invasionstruppen heißt es, die 101. Luftlandedivision sei in alle Winde verstreut und existiere praktisch nicht mehr.« Der Colonel zog die Schultern hoch und machte eine hilflose Bewegung. »Überall über der Normandie gab es Fehlabsp rünge. Alles in allem hatten wir schwer e Verluste. Kann sein, d aß er nicht mal den Sprung überlebt hat. Und selbst dann ist er wahrscheinlich inzwischen gef allen.« M arshall erwiderte nichts. In seinem wen ig attraktiven Gesicht lag ein gr immiger Ausdruck. Er gin g hinüb er zu seinem Schreibtisch und schaltete die Sprechan lage ein. »Cap tain Newsome, die Akte Bixby bitte.« »Ja, General«, antwortete eine Frau aus dem Vorzimmer. »Private Ry an könnte überall sein, Sir«, begann Dy e erneut. »Wenn wir da einen Su chtrupp reinschicken, mitten in d ie massiven deutschen Truppenbewegungen und direkt vor die Flinten unserer eigenen vorrückenden Leute ... dann wird es noch ein p aar Tote mehr geben, an deren M ütter wir Benachrichtigungen zu verschicken hätten.« M arshall schüttelte den Kop f, es sah so aus, als seufzte er, doch kein Geräusch war zu hören. Eine nüchtern-attraktive, streng aussehende dunkelblonde Frau in Uniform kam her ein: Captain Florence J. Newsome, M arshalls persönliche Sekretärin. Sie überreichte ihm einen Aktenordner, er bedankte sich, und sie ver ließ d en Raum. Der General ging langsam zu seinem Schreibtisch, setzte sich und entnahm dem Ordner ein Blatt Pap ier, das ziemlich
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abgegriffen aussah. »Ich habe hier ein en Brief, der schon vor län gerer Zeit an eine M rs. Bixby in Boston geschrieben wurde ... Wenn Sie die Geduld hätten, mir einen Au genblick zuzuhören ...« Der Colonel und der Captain wechselten einen Blick - ein Soldat muß schließlich mit seinem Gener al »Geduld haben« -, während M arshall seine Lesebr ille aufsetzte. »Sehr geehrte M rs. Bixby«, las er vor, »in den Akten des Verteidigungsministeriums wurde ich auf einen Bericht des Generaladjutanten für M assachusetts aufmerksam, dem zufolge Sie die M utter von fünf ruhmreich auf dem Schlachtfeld gef allenen Söhnen sind. Sehr wohl fühle ich, daß alle Worte, mit denen ich versuchen könnte, Ihnen die Trauer über einen derart schrecklichen Ver lust zu erleichtern, nur schwach und fruchtlos sein können. Dennoch ist es mir ein tiefempfundenes Bedürfnis, Ihnen den Trost zu spenden, der im Dank der Rep ublik gefunden werden kann, zu deren Rettung Ihre Söhne durch ihren Tod beigetragen haben.« M arshall legte das abgegriffen e Schriftstück oben auf den Aktenordner. Aber er war noch nicht fertig. »Ich bete zu unserem Vater im Himmel, daß er Ihnen die Pein des Verlustes lindern möge«, fuhr er aus dem Gedächtnis fort. »M öge er Ihnen die teure Er innerung an die geliebten und verlorenen Söhne erhalten sowie den feierlichen Stolz, den Sie darüber empfinden müssen, solch kostbares Op fer auf dem Altar der Freiheit dar gebracht zu haben.« Unterzeichnet: »M it zutiefst emp fundenem M itgefühl und vorzüglicher Hochachtung, Ihr Abraham Linco ln« Der Captain und der Colonel wechselten wieder einen Blick. Beide waren bewegt, tief sogar, doch M arshalls Gefühle zu diesem Thema überr aschten sie n icht. Dieser General hatte schon wiederholt Auszeichnun gen für sein e Dienste an der Heimatfront abgelehnt, solan ge in Übersee immer noch junge
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M änner ihr Blut vergossen. M arshalls unansehnliche Gesichtszüge hatten sich wieder verhärtet, und die Augen b litzten entschlossen auf. »Wenn dieser Jun ge noch am Leben ist«, sagte der Gener al, »dann werden wir jemand en schicken, um ihn zu suchen ... und um ihn da rauszuholen.« Das war genau das, worauf Captain M cRae gehofft hatte; und das leise Lächeln auf Colonel Dy es Lippen sagte ihm, daß der Adjutant trotz all seiner Versuche, M arshall von diesem Vorhaben abzubringen, genauso emp fand.
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TEIL DREI Normandie 9. Juni 1944
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Ein Konvoi aus Jeeps, Panzern und versch iedenen and eren Fahrzeugen r atterte an Cap tain John M iller und den Überresten seines Zuges vorbei - Private Reiben, Caparzo, M ellish und dem Sanitäter der Kompanie, Wade. Nach dem Verzehr einer C-Ration genossen sie im Schütze eines 88er-Granattrichters inmitten eines Kraterfeldes ein paar M inuten Ruhe. In ihren khakifarbenen und grünen Uniformen, d ie sich k aum vom erdigen Braun des Trichters abhoben, erschienen M iller seine Leute nun nicht mehr so jun g; ihre zerrissenen Uniformen, ihre mehrere Tage alten Bärte und ihre halb geschlossenen Augen zeigten an, daß diese Reife teuer erkauft war. Nur Sergeant Horvath hatte schon vor der Schlacht so ausgesehen ; aber selbst er wirkte nun um einiges älter. Oder zumindest müder. »Glaubt ihr, es stimmt«, fragte der schlaksige Reiben, der sich der Länge n ach aus gestreckt hatte und seine Brownin gAutomatic wie ein e Fahnenstange senkrecht hielt, »daß die Jap se den Gefangenen mit Zangen die Zehennägel ausreißen, um sie zum Reden zu bringen?« »Blödsinn«, erwiderte der Sar ge. »M anchmal denke ich«, fuhr Reiben fort, »vielleicht haben wir ja noch Glück, daß wir nicht im Pazifik geland et sind. Ich hab' da Geschichten über Bambussp rößlinge und den Schwanz von einem Typen gehört, die will ich hier in dieser zartbesai-
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teten Runde lieber nicht wiederholen.« M ellish, der Jüngste, empfand das als Beleidigung und brauste auf: »Hey, die haben keinen Sprößlin g, der lang genu g wäre, daß ich ihn überhaup t sp üren könnte.« Alle fingen an zu lachen, aber gedämpfte Detonationen in einiger Entfernung setzten ihrer guten Laune rasch ein Ende und erinnerten sie daran, daß der Krieg ihnen nur eine kurze Atempause gönnte. »Trotzdem«, grübelte Reiben, »es ist wirklich eine Strafe, hier herumzusitzen, acht armselige Kilometer von Caen entfernt.« »Was gibt's denn in Caen so Besonderes?« fragte der Sarge und zündete sich eine Lucky an. »M ann, Sarge«, grinste Reiben, »sag bloß, du weißt nicht, wofür Caen berühmt ist?« »Froscheier á la carte?« Reiben blickte seinen Ser geant mitleid ig an. »Gar nicht so einfach für einen ku ltivierten M enschen wie mich, es mit solchen Barbaren auszuhalten«, meinte er kopfschüttelnd. »Gerade eb en waren wir doch noch >zartbesaitetvon LuckIronie