ohannes Fried Der Schleier der Erinnerung Grundzüge einer historischen Memorik
Erinnern und Vergessen sind grundlegend...
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ohannes Fried Der Schleier der Erinnerung Grundzüge einer historischen Memorik
Erinnern und Vergessen sind grundlegende Prozesse menschlichen Lebens. Wie weit aber reicht die verformende Kraft des Gedächtnisses tatsächlich? Die moderne Geschichtswissenschaft hat sich der Frage bisher kaum gestellt, obschon die Mehrzahl der historischen Quellen auf Gedächtnisleistungen beruht. Die Unzuverlässigkeit des menschlichen episodischen Gedächtnisses erweist sich schon im Hinblick darauf, wie fehlerhaft es die Sachdaten eines Geschehens, den Ort, die Zeit, die daran Beteiligten erinnert und festhält. Diese Unzuverlässigkeit erfordert neue methodische Überlegungen und Zugänge für die historische Quellenkritik. Der Frankfurter Historiker Johannes Fried erläutert in diesem Buch die Ergebnisse moderner Kognitionswissen schaften und konfrontiert sie mit ausge wählten Beispielen der modernen und mittelalterlichen Geschichte. Sein Ergebnis: Vergangenheit wird in der Gegenwart stets neu geschaffen; unbewußt konstruiert aus unterschiedlichen Elementen erinnerten Geschehens . Wesentlich geprägt durch die Erfordernisse der jeweiligen Gegenwart entstehen scheinbar stimmige Vergangenheitsbilder, die doch in ihren elementaren Aus sagen erheblich vom tatsächlich Geschehenen abweichen können. Jede Erinnerung und damit jede Quelle ist deshalb auf ihre Gegenwart hin zu befragen, um sie beurteilen zu können . Am Ende stehen neue Regeln für den Umgang mit Geschichte.
Verlag C.H. Beck München
Johannes Fried
Der Schleier der Erin,nerung Grundzüge einer historischen Memorik
Verlag C.H.Beck 1-
Wir aber sind Gestrige Hesterni quippi sumus (Job 8,9)
© Verlag C. H. Beck oHG, München 2004 Satz: Fotosatz Janß, Pfungstadt Druck und Bindung: Kösel, Krugzell Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany ISBN 3406522114
www.beck.de
Vorwort
Ich bin mein Gedächtnis. Die Erkenntnis ist nicht neu. Jede Kultur verdankt sich und ihr Wissen ihrem Gestern. Alles Wissen ist gestrig. Ob es sich heute erweitert, wird sich in der Regel erst morgen entscheiden. Es verdankt sich dem Zusammenwirken von zerebralen, interzerebralen und kulturellen Aktivitäten, wobei auf beiden Seiten mit im Spiele sind; ob indessen oder wieweit auch eine Rolle spielt, ist zumindest umstritten. Wissenskulturen - gleichgültig, ob in der Vergangenheit oder in der Gegenwart, ob als umfassende Wissensgesellschaften oder als partielle Wissensklüngel - leben und sterben mit ihrem Gedächtnis. Dasselbe gibt sich als kollektives und als kulturelles, doch exprimiert es sich stets als individuelles Gedächtnis. Kulturgeschichte - Kultur im weitesten Sinne des Wortes verstanden - bedarf somit einer umfassenden Gedächtnisforschung, der Erforschung nämlich dessen, was <wir> wissen, unter welchen Bedingungen derartiges Wissen zustande kam, wie es wirkte und neues Wissen möglich machte, wie es generiert, tradiert und transformiert wurde und wird. Historiker freilich sind, wie unten zu zeigen ist, dem Gedächtnis - der. eingeschränkten Zuverlässigkeit seiner Leistungen, seinen und den daraus sich ergebenden Konsequenzen für die Beurteilung seiner Elaborate - weithin ausgewichen, obgleich doch ein Großteil ihres Quellenmaterials sich irgend Erinnerungen verdankt. Zumal Antike und ,Mittelalter -sind ob der Eigenart und Dürftigkeit ihrer Überlieferungen betroffen, aber keineswegs nur sie. Auch die neue re und neueste Geschichte unterliegen den Konditionen, die das Gedächtnis und seine Medien vorschreiben; keine Gegenwart und keine Wissenskultur entkommt der Angewiesenheit auf das Erinnerungsvermögen ihrer Wissensträger und dessen Grenzen. Wo aber liegen diese letzteren und wie wirken sie auf den Kulturwandel ein? Derartige Fragen beschäftigen nicht bloß die Neuro- und Geschichtswissenschaften, vielmehr jedes Unternehmen, das auf Wissen, Wissensmanagement und Wissenskultur angewiesen ist. Sie zielen auf eine kulturelle Gedächtnistheorie, eine umfassende Memorik. Die folgende Untersuchung nahm ihren Ausgang bei Fragen nach der sachlichen Zuverlässigkeit mündlicher Traditionen im Mittelalter, wie sie jede erzählende Quelle der Epoche beherrschten. Bald zeigte sich, daß
6
Vorwort
die traditionelle Quellenkritik nicht zureichte, um die Gedächtnis-Phänomene zu beurteilen, mit denen diese Überlieferung aufwartete. Rat und Hilfe wurde gesucht zunächst bei der Ethnologie, sodann bei experimenteller Psychologie und zuletzt bei weiteren Kognitionswissenschaften mit Einschluß der Neurophysiologie. Die Ergebnisse sind Zwischenetappen; sie müssen sich einstweilen mit der gedächtniskritischen Betrachtung einzelner Episoden begnügen und können noch nicht zu umfassenden Entwürfen größerer Zusammenhänge oder ganzer Geschichtsepochen vordringen. Gleichwohl werden auch die vorgetragenen Korrekturen und Hypothesen nicht jedem Historiker, auch vielen Historikerinnen nicht schmecken. Ein erster Entwurf des hier vorgelegten Buches geht auf sechs Vorträge zurück, die ich auf Einladung des unvergeßlichen Cinzio Violante im Dezember 1996 an der Scuola Normale Superiore in Pisa halten durfte. Violantes erstaunten Blicken, seinen Fragen und Kommentaren, seinen Zweifeln und seiner Ermutigung verdankt dieses Buch mehr, als sein Text zu erkennen gibt. Ohne ihn hätte ich es wohl nie zu schreiben begonnen. Ich bedaure zutiefst, ihm das fertige Werk nun nicht mehr übergeben zu können. Die Präferenz italienischer Beispiele - Goten, Langobarden, Benedikt von Nursia, Venedigs Seesieg an der Punta Salvore, der Grenzstein von Marzano, der Streit um das Val di Lago di Bolsena, der Prozeß um die Grafschaft im Val Blenio u. a. - ist durch den Vortrags ort begründet. Dankbar war und bin ich für die Hilfe bei der Übersetzung, die damals, in tagelanger Nachtarbeit, Prof. Livia Fasola und Dr. Gundula Grebner leisteten. Den lebhaften Diskussionen im Anschluß an die Vorträge schulde ich zahlreiche Anregungen und weiterführende Hinweise, auch und nicht zuletzt die Korrektur von Irrtümern. Notwendige Ermutigung zu dem nun abgeschlossenen Unternehmen erfuhr ich durch Ernst-Peter Wieckenberg und Detlef Felken. Überhaupt gilt der Dank zahlreichen Gesprächs- und Diskussionspartnern. Aleida und Jan Assmann, Neithard Bulst, Dieter Groh, Paul Hoyningen-Huene, Christoph von der Malsburg, Wolf Singer seien stellvertretend für viele genannt - die einen, weil sie die ersten waren, mit denen ich die aufgeworfenen Fragen erörtern konnte, die anderen, weil sie nachsichtig die Fragen des Laien ertrugen. Manch ein Streitgespräch mit meinen Frankfurter Kollegen liegt hinter uns. Überzeugt haben wir uns wechselseitig vielleicht nicht, aber die bestehenden Zweifel habe ich, so gut ich konnte, zu berücksichtigen versucht. Peter Wende und Christof Mauch schulde ich Dank für die Einladung, an den Deutschen Historischen Instituten in London resp. in Washington einige meiner Hypothesen zur Diskussion stellen zu können. Auch in Aachen, Bielefeld, Dresden, Düsseldorf, Göt-
Vorwort
7
tingen, Konstanz, Landsberg, Münster und nicht zuletzt an der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mai~z durfte ich meine Thesen vorstellen. Einiges davon wurde in mehr oder weniger vorläufiger Gestalt auch zum Druck gebracht; es bildet nun, überarbeitet, einzelne Kapitel des vorliegenden Buches (vgl. FRIED 1998b, 1999a, 2002C, 2002e, 2oo3a). All dieser Gelegenheiten gedenke ich dankbar, zumal der zahlreichen skeptischen und kritischen Fragen, denen vermutlich meine damaligen Antworten und meine jetzigen Ausführungen nicht immer gerecht wurden. Die aufgeworfenen Fragen und Sachverhalte sind zu komplex, als daß sie ein einzelner abschließend behandeln könnte. So versuche ich, mich an einen Gegenstand heranzutasten, der bislang in den Geschichtswissenschaften keinen Platz besaß, und hoffe zugleich auf den Zauber des Anfangs ... Zu danken gilt es auch meinen Frankfurter Mitarbeitern, Kerstin Schulmeyer-Ahl, Olaf Schneider, Barbara Schlieben und Oliver Ramonat, die durch Jahre hindurch kritische Gesprächspartner waren, und denen direkt oder indirekt manch eine Überlegung geschuldet ist. Helfer bei der Einrichtung des Manuskripts und der Korrekturarbeit waren Martin Dallmann, Daniel Föller, Carola Garten, Friederike v. Morr und Andreas Weidemann. Auch ihnen gebührt mein herzlicher Dank. Der nachdrücklichste Dank aber gilt meiner Frau Sigrid, die geduldig und klug, aus der Erfahrung eines ganz anderen Berufsfeldes heraus viele Fragen mit mir erörterte, meine Skrupel und meine Verlorenheit an das Gedächtnis ertrug und immer gespannt auf die Fortsetzung blieb. Ihr sei das Buch gewidmet - in Erinnerung an jenen unvergeßlichen Tag im Oktober, der vor vierzig Jahren seinen Anfang nahm. Frankfurt am Main, im Juli 2004
Johannes Fried
Inhalt
I. 1.1
1.2
11.
111.
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.5.1. 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6'3 3.6.4 3.7 3.8
Vier Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung: Wahrnehmung, Erinnerung, Wissen und Wirklichkeit. . . . . . . . . . . . . Der erste Fall: Ein Präsidentenberater . . . . . . . Der zweite Fall: Zwei Physiker . . . . . . . . . . Der dritte Fall: Ein Philosoph im kulturellen Leben Der vierte Fall: Ein Fürst . . . . . . . . . . . . Konsequenzen: Irritation der Wirklichkeit durch Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primäre und sekundäre Verformungs faktoren des Gedächtnisses . . . ; . . . . . . . . . . . . . . Das Schweigen der Forschung: Die Mediävistik als Beispiel . . Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft . . . . . . . . . . . . Gedächtnistypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Individuum zum Kollektiv: Kulturelle Transmission des Wissens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethologie und kognitive Verhaltensforschung . . . Ein kurzer Blick in die Evolution des Gedächtnisses Experimentelle Gedächtnispsychologie . . . Wahrnehmung und Bewußtsein. . . . . . . . Die Wirklichkeitsversuche William Sterns. . . Psychische Konditionierung der Erinnerungen. Vergessen................... Einsichten durch Neurobiologie und Neuropsychologie Zur Vorgeschichte der Fragestellung. . . . . . . Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses . . . . Reiz- (Informations-)Verarbeitung des Hirns und neuronale Netze . . . . . . . . . . . Die Arbeitsweise des Gedächtnisses . . Sprache als Stabilisator der Erinnerung Wirklichkeit und Sprache . . . . . . .
13 13 22
49
57
80 80 83 86 95 100 100 104 107 112 116 116 118 121 123 128 132
10
Inhalt
3·9 3. 10 3. 11 3. 12
Gedächtnis als konstruktiver Prozeß . Die Wahrnehmung - ein Erinnerungsprozeß Neurokulturelle Gedächtnisforschung . . . . Ergebnisse und Folgerungen für die geschichtswissenschaftliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.
Zwischen Hirn und Geschichte: Implantierte Erinnerungen . . . . . . . . . . 153
4-1
Scheinrealitäten in der Geschichte und im kulturellen Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . Venedigs Sieg über Friedrich Barbarossa . . . . . . Karl der Große: Ein heiliger Kaiser? . . . . . . . . Die schwierige Suche nach erinnerter Wirklichkeit
V.
Wie zuverlässig sind Erinnerungen? Das Mittelalter als Untersuchungsfeld . . . . .
5. 1 5. 1 . 1 5. 1 . 2 5·1.3 5. 2 5. 2 .1 5. 2 . 2 5. 2 .3 5. 2 -4
Die Erinnerungsfähigkeit von Prozeßzeugen . Der Grenzstein von Marzano . . . . . . . . Ein Streit um das Val di Lago di Bolsena Der Prozeß um die Grafschaft im Val Blenio Die Erinnerungsfähigkeit von Verwandten Dhuoda . . . . . . . . . Thietmar von Merseburg Hermann der Lahme . Fulco von Anjou Lambert von Watterlos Die Irrwege der Erinnerung setzen der Erkenntnis Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. 2 .5 5·3
VI.
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I: Erfahrungen der Ethnologie . . . .. . .
6.1
Unberechtigte geschichtswissenschaftliche Skepsis gegenüber der Ethnologie . . . . . . . . . . Ein Streit um Knochen: Die Mißdeutung des Neandertalers . . . . . . . . . . . . . . . . Überschreibungen in den Erinnerungen schriftloser Kulturen . . . . . . . . Interkulturelle Vergleiche . . Strukturelle Amnesie . . . . Traditionen werden erfunden Stabilisatoren des Gedächtnisses .
6.2 6·3
201
202
205 208 212 21 4
218 218
Inhalt VII.
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen 11: Erfahrungen der Mediävistik. . . . . .
7·1.
Die Spur der Gedächtnismodulation in historischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entdeckung der Mündlichkeit . . . . . . . . . . . . Spuren suche im Reich der Mündlichkeit: Die «Germania» des Tacitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gedächtnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . «Lügenfeld»: Ritual statt Schrift . . . . . . Königssalbung: Überschreibungen im kulturellen Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Herkunft der Langobarden: Teleskopie in Aktion «Chiavenna»: Ein inversives Implantat? . . . . Wie weit reichen mündliche Traditionen in die Vergangenheit zurück? . . . . . . . «Sagen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Amaler-Genealogie als Prüfstein . . . . . Die Formbarkeit des Herkunftswissens im frühen Mittelalter Überlieferung . . . . . . . . Verschriftung . . . . . . . . Wiederholte Neuschöpfungen Mutationen der Dietrich-«Sage»: Von der Schrift zur Mündlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das endlose Fließen mündlicher und schriftlicher Überlieferung im Mittelalter . . . . . . . . . .
7. 2
7·3 7·4
7·4-3 7·4·4
7·5
7.5. 2 7·5·3 7·5·3·1. 7.5.3. 2 7·5·)'·3 7·5·3-4
VIII.
Stabilisierungsstrategien von Erinnerungskulturen und deren Grenzen . . . . . . . . . . . .
8.1.
Stabilisierung mündlicher Erinnerung durch die Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen sprachlicher Stabilisierung: Zum Beispiel die irischen dilid» . . . . . . . . . . . . Textstabile und textvariable Überlieferung. Autoritatives Gedächtnis " . . . . . . . Kanonbildung . . . . . . . . . . . . . . . «Machet einen Zaun um das Gesetz»: Kanon, institutionalisierte Lehre und Gedächtnis . . . . Moderne Bibelkritik . . . . . . . . . . Das Vergessen des Nicht-Kanonisierten
8.2
8.5. 2 8·5·3
11.
223 223 227 23 2 237 239
255 255 259
293 29 8 300 302 3 02 3 06
31.1.
1.2
Inhalt
8.6
Die Schrift als modulationsbereiter Stabilisator der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . Sophistik, Rhetorik, logisches Denken . . . . . . . Die Anfänge der Geschichtsschreibung . . . . . . Nur eine begrenzte Leistungskraft der GedächtnisStabilisatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8·7 8.8
IX.
Gedächtnis in der Kritik: Chlodwigs Taufe und Benedikts Leben .
Chlodwigs Taufe . . . . . . . Wer war Benedikt von Nursia? Resümee . . . . . . . . . . .
X.
Memorik: Grundzüge einer geschichtswissenschaftlichen Gedächtniskritik . .
10.1
Auch Historiker vergessen . . . . . . . . . . . . Die Kulturwissenschaften sind auf interdisziplinäre Gedächtnisforschung angewiesen . . . . . . . . . Lassen sich Fehlleistungen des Gedächtnisses korrigieren? Der Anfangsverdacht gegen Erinnerungszeugnisse Erste methodische Postulate . . . . . .. Kalkulation der Gedächtnismodulation Erkenntnisgewinn durch Gedächtniskritik
10.2
10·3 10.3.1 10.3. 2 10·3·3 10·4
Anhang . . . . . . . . . . . . . . .
Anmerkungen . . . . . Abkürzungsverzeichnis Bibliographie . . . . . Register der Personen, Völker und mythischen Gestalten. Register der Orte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 3 31 7 3 21 33°
333
335 344
35 6
395 397 443 444 5°1
5°7
I.
Vier Fälle
1.1
Einleitung: Wahrnehmung, Erinnerung, Wissen und Wirklichkeit
Man lag zu Tisch. Simonides von Keos, einer der ersten, der mit Dichten seinen Lebensunterhalt bestritt, trug das bestellte Preislied auf seinen Gastgeber vor. Der aber bezahlte den Gesang, weil er zugleich Kastor und Pollux, die Dioskuren, rühmte, in gottlosem Geiz nur mit der Hälfte des versprochenen Lohns; den Rest sollte sich der Sänger von jenen beiden erbitten. Bald darauf wurde Simonides nach draußen gerufen: Zwei junge Männer wollten ihn sprechen. Doch niemand war zu sehen. Noch während er schaute, stürzte der Speisesaal ein. Alle wurden erschlagen. Als die Verwandten nach den Verschütteten gruben, war kein einziger mehr zu erkennen. Simonides indessen wußte, wo ein jeder zu Tische gelegen, und vermochte die Toten zu identifizieren. «So erkannte er, daß es vor allem die Ordnung sei, die das Gedächtnis erhelle». Wer sein Gedächtnis zu schulen trachte, müsse im Geiste Orte bestimmen, die er geordnet abgehe und an die er, was er erinnern wolle, als Bild deponiere - und zwar so, «daß die Ordnung der Orte die Ordnung der Dinge bewahre» und die Orte als Tafel, die Bilder als Buchstaben dienten 1. Das Strafwunder, mit dem Cicero ein halbes Jahrtausend nach jener Zeit seine Leser ergötzte, verschmolz Wahrnehmung (was immer sie sei), Erinnerung, Wissen, Wirklichkeit und Fiktion zu einer Erkenntnistheorie, die auf Konstruktionen setzte und Künftigem die Wege wies. Der römische Redner aber garnierte mit ihm nur die Erfindung der Gedächtniskunst, ohne über deren Voraussetzungen und Folgen, die konstruktive Tätigkeit des Gedächtnisses und ihre Implikationen, genauer nachzusinnen2 • Doch entpuppt sich die Legende als ein Erinnerungszeugnis, das die mannigfachsten Einblicke enthüllt. Ciceros illustriert ganz vordergründig den Triumph des Erinnerungsvermögens über Zerstörung und Untergang, über das Vergessen durch ein bewahrendes Wissen um frühere Wirklichkeit. Sie verdeutlicht, wie jede Gegenwart an das Gedächtnis appelliert, um angemessen handeln zu können, wie dieses Gedächtnis aufgerufen werden muß, um seine Leistungen hervorbringen zu können, wie es die einstigen Wahrnehmungen dazu in Einzelheiten zergliedert, dieselben sich ordnet und
14
Vier Fälle
in geordneter Abfolge, als Gang durch einen imaginären Raum voll vorgestellter Bilder zu erinnern erlaubt und wie es dabei den imaginativ errichteten Bildersaal als Wirklichkeit deutet - wie somit fiktiver Raum und fiktive Bilder einst wahrgenommene Wirklichkeit mental zu bewahren vorgeben. Eine eigentümliche Konstellation. Erinnerung hat es in der Tat mit Wirklichkeit zu tun, mit unmittelbar oder mittelbar erfahrenen Wahrnehmungen, mit deren Ordnung und Deutung, mit dem Wissen um dieselben, mit der Kommunikationssituation, die sie aktualisiert, nicht zuletzt mit den Konstruktionsbedingungen, die dabei im Gedächtnis herrschen. Die Welt, die uns umgibt, die wir wahrnehmen, in der wir uns einzurichten haben, und die Weise, wie wir uns in ihr befinden, betrachten wir als Wirklichkeit; sie müssen wir bildund gedanklich ordnen, um in ihr bestehen zu können. Dies geschieht, indem wir unwillkürlich oder willkürlich in unseren Erinnerungen kramen, im Vertrauen auf den Wissensschatz, der seit frühester Kindheit unserem Gedächtnis anvertraut wurde, auf die fortbestehende geistige Verfügbarkeit dessen, was war und uns wichtig dünkt, das gleichwohl Vergessen bedroht und Unvergeßliches bedrückt und bedrängt. Um diese Wirklichkeit zu erfassen, bedarf es einer Fülle ordnender Hirnaktivitäten, die wir indessen, so wird sich zeigen, nur begrenzt und zu geringerem Teil zu lenken vermögen, die sich zumeist unbewußt einstellen und unser handlungsleitendes Wissen einer Mischung aus Zufall und Notwendigkeit aussetzen, außerdem bedarf es aber auch eines kommunikativen Kollektivs, das nach diesem Wissen dürstet, es verlangt und abfragt. Dieses Gemisch prägt unser Weltbild und unser Dasein; es konstituiert unsere Wirklichkeit. Die Ordnung, die Simonides wahrgenommen hatte und an die er sich erinnerte, behielt er nicht für sich. Befragt teilte er sie anderen in einer Weise mit, die ihnen gestattete, sich aufgrund seiner Erfahrungen in nächster Zukunft recht zu verhalten. Er gab sein Wissen um diese Ordnung des gottlosen Gelages mit Hilfe der Sprache, einem überindividuellen, repräsentierenden Zeichensystem, an die Hinterbliebenen weiter und erlaubte ihnen somit, just ihre Toten zu beweinen und keine Fremden zu begraben. Seine Erinnerung floß in ihr Gedenken ein. Ihr Wissen verdankte sich seinem Wissen. Derartige Wissensvermittlung, eine «kommunikativen Kognition»3, ist vermutlich die wirksamste Strategie zur <Eroberung> der Welt, die das Menschengeschlecht je zu entwickeln vermochte; wir folgen ihr heute nicht anders denn alle frühere Menschheit. Ihre Evolution begann auf der Ebene der Tiere. Die wichtigsten Lernprozesse beruhen auf derartiger Kommunikation. Dem Wissen folgte ein entsprechendes Handeln. Das Leben ging trotz der Katastrophe weiter.
Wahrnehmung, Erinnerung, Wissen und Wirklichkeit
15
Simonides' Erkenntnis wurde dem kulturellen Gedächtnis anvertraut, das schließlich die Geschichte von der Entdeckung der Gedächtniskunst formte. Auch die Geschichte hat es also mit Wirklichkeit zu tun. So stiftet kommunikative Kognition, die Kommunikation über wahrgenommene, gedeutete und erinnerte Wirklichkeit, auch die Geschichte. Doch gewährt erst der Gebrauch der Schrift, nicht schon das bloße Erinnern, ein Eindringen in die Tiefen der Vergangenheit und befreit, wie eingeschränkt auch immer, die aus den Fesseln der Erinnerung. Thukydides, der erste Historiker, der diesen Namen verdient, ahnte es durchaus. Er wolle, so schrieb er, der Nachwelt überliefern, «wie es gewesen ist» (I, 22). Auch Simonides dachte noch über den Augenblick hinaus, indem er die Erfahrung dieses Augenblicks verallgemeinerte: «daß nämlich die Ordnung der Orte die Ordnung der Dinge bewahre». Eben dies war seine Entdeckung: daß der Einzelfall jeden Fall.abdecke, die Episode überhaupt auf die Wirklichkeit verweise. In der Tat, Gedächtnisprozesse weisen über sich hinaus auf allgemeine Zusammenhänge. Sie verharren nicht bei der Ordnung von Toten, bei der Rekonstruktion von Episoden, auch wenn die Erinnerung an solche für die Gedächtnisforschung den Schlüsselliefert. Sie beanspruchen Geltung für alle «Dinge». Nichts, kein Griff nach der Wirklichkeit, kein abstrahierendes Wissen, keine Orientierung in der Welt, kein Handeln geschieht ohne das Gedächtnis. Wieweit trägt da die «Ordnung der Orte» ? Simonides erinnerte nur Ausschnitte dessen, was seine Sinne erfuhren: die schäbige Bezahlung, daß ihn die Dioskuren hinausgerufen, die Ordnung der noch lebenden Toten - nicht aber die komplexe Wirklichkeit des Gelages, von Gespräch und Gesang, von Speisen, Wein oder Düften. Andere' Gäste hätten anderes, auch er selbst zu anderer Zeit oder anders befragt, anderes erinnert. Selektion und Vergessen schleichen sich von Anfang an in die Wahrnehmungen ein und provozieren im Gegenzug mancherlei kaschierende Aktivität im Gehirn. Gleichwohl repräsentiert, was wir wahrgenommen, deutend geordnet, erinnert und mitgeteilt haben, in einer für uns angemessenen Weise Wirklichkeit. Es wäre indessen vermessen zu behaupten, daß, was wir wahrnehmen oder erfahren, deuten und ordnen, woran wir uns erinnern, was wir darzustellen und weiterzugeben vermögen, bereits die ganze Wirklichkeit sei. Alle historische Erfahrung, alle Dichter, Philosophen, Soziologen oder Linguisten, alle Naturwissenschaften belehren uns täglich, daß wir Menschen trotz der Fülle der uns zu Gebote stehenden Wahrnehmungsund Kommunikationsinstrumente, seien sie kognitiver, psychischer oder religiöser, ethischer oder sozialer, mathematischer, chemischer, physika-
:16
Vier Fälle
lischer oder biologischer Natur, auch eine Kombination aus mehreren von ihnen oder eine Verrechnung von allen, daß wir angesichts der zwingenden Standort- und Bewegungsabhängigkeit aller Wahrnehmung, bei der Unendlichkeit der Perspektiven und Horizonte, bei der Subjektivität jedes Instrumentengebrauchs, aller Deutungen und Bedeutungszuweisungen, daß wir also stets nur Segmente der Welt um uns, nur Ausschnitte von Wirklichkeit bewußt zu erfassen vermögen und dieselbe niemals ganz. Die Mehrdeutigkeit des Erinnerten resultiert daraus. Auch nehmen wir, was wir wahrnehmen, nicht in seiner Totalität und in seiner ruhelosen Verlaufsdynamik auf einmal wahr. Weder Simonides' Ordnung noch die «Geschichte des Peloponnesischen Krieges» durchbrachen derartige Schranken. Thukydides überlieferte, was immer er intendierte, nicht den gesamten Krieg, dessen Zeuge er war und den er zu beschreiben plante, wohl aber ein geschlossenes Bild desselben, mithin eine Abstraktion. Raum und Zeit zertrennen unsere Erfahrungen in eine Serie von Einzelheiten, von separaten Szenen und Momentaufnahmen, deren kognitive erst wieder hergestellt werden muß, um danach dann alles Wissen zu beherrschen. Simonides erinnerte sich an die Liegeordnung der Gäste, nicht an die Dynamik des Gelages, an die räumliche, nicht an die zeitliche . Verlaufsprozesse aber werden, so die Ergebnisse moderner experimenteller Psychologie, als Abfolge statischer Szenen erinnert, also tatsächlich durch ersetzt. Auch hierbei mischt das Gedächtnis in einer dem Bewußtsein unzugänglichen und durchaus souveränen Weise mit. Erinnern ist offenbar ein komplexerer Vorgang, als Simonides oder Cicero ahnten. Erinnerungen sind allem Ordnungsstreben zum Trotz unbewußt-bewußte Konstrukte. Jedes übergreifende und Einzelwahrnehmungen verbindende Konstrukt aber ist , <Schau> (8EüJQLa) oder Setzung, Hypothese, deren Entwicklung wir aktiv und passiv, zugleich als Empfänger und Akteure betreiben, und deren Wirklichkeits gehalt nur eine Serie segmentärer Kontrollen und kontrollierbarer Wirkungen hervortreten läßt. Standort und Bewegung des Beobachters gilt es zu beachten. Die Rolle des Kontrolleurs übernimmt im Leben gewöhnlich die Wirklichkeit selbst. Sie klopft uns mitunter schmerzhaft auf die Finger, sobald wir falsch konstruierten, nimmt aber bereitwillig Falsches hin, soweit es dem Leben nicht schadet. Hätte Simonides sich etwa geirrt, so hätte es vermutlich kein Überlebender bemerkt oder gar Schaden genommen. Wirklichkeit erfahren wir in der Folge niemals objektiv, weil immer wir es sind, die sie erfahren, sie deuten und ordnen, zu Bewußtsein bringen. Derartige Deutung gilt vielfach als sozial bedingt, nicht weil die Wirklichkeit ein soziales Konstrukt darstellt, sondern weil die Bedingun-
Wahrnehmung, Erinnerung, Wissen und Wirklichkeit
17
gen der Möglichkeit ihrer Wahrnehmung, Ordnung, Deutung und Explikation sozialen Vorgaben unterliegen4 • Zugleich und keineswegs etwa in minderem Maße bringen sich auch die körperlichen und psychischen Konditionen des Wahrnehmenden zur Geltung. Doch wäre es unsinnig daraus zu folgern, daß, was wir wahrnehmen und erfahren, deshalb keine oder wegen subjektiver Färbung des Wahrgenommenen und Erfahrenen durch Ordnung und Deutung anderen nicht rekognoszierbare und angemessen, obgleich in symbolischer Form, mitteilbare Wirklichkeit sei. Es zu tun, verbietet abermals das Leben. Indes, wie verfährt die Erinnerung, die Wirklichkeit zu erinnern intendiert und sich auf keine Geschehens- oder stützen kann, mit der einst wahrgenommenen, in Einzelheiten zerlegten und bewußt oder unbewußt gedeuteten und konstruktiv geordneten Wirklichkeit? Ciceros Antwort stimmt optimistisch. Imaginäre Räume mit bildhaften Zeichen retteten, was unterzugehen drohe, durch ihre spezifische Ordnung. Andere teilen diesen Optimismus. Ein schier unerschütterliches Vertrauen in das Gedächtnis zeichnet uns Menschen aus, obwohl viele ahnen oder dumpf zu wissen glauben, daß wir uns irren können. Wir teilen diese Haltung mit einer Vielzahl von antiken, mittelalterlichen oder neuzeitlichen Geschichtsschreibern, mit kritischen Historikern, sich erinnernden Autobiographen und vielen anderen, die wahre Wunderdinge vom humanen Erinnerungsvermögen erwarten. Zumal den Erinnerungen von Zeitgenossen, die gewesen sind, wird bereitwillig Glauben geschenkt. Auch Simonides oder Thukydides vertrauten ihrem Gedächtnis. Wir alle kennen jene allwissende Tante, die lebende Chronik unserer Familie, den unverdächtigen Zeugen. Wer, wenn nicht sie, sollte wissen, was geschehen ist? Erst wenn nachgewiesen sei, daß sich die Augenzeugen irrten, sei Zweifel am Platze; so war zu hören. Und nicht ungern flüchtet man sich auch heute noch, wo ältere Schriftzeugnisse fehlen, zur Hypothese solider, nämlich verläßlicher mündlicher Überlieferung 5 . Doch wie sollte sie entstehen? Wird Sinnloses erinnert? Nichts vergessen? Wäre aber das Gedächtnis, etwa um der Mehrdeutigkeit des Erlebten zu entgehen, an Sinnstiftung gebunden, wer stiftet dann den Sinn? Wer die Ordnung? Was machen dieselben aus dem Erinnerten, und was macht das Gedächtnis aus Ordnung und Sinn? Es war nur die Ordnung der Liegenden, nicht die Dynamik des Geschehens, nicht etwa das Hin und Her der Gespräche beim Wein, nicht die Mienen und Gesten des Herrn und der Gäste, die Simonides zu seiner Theorie führte; es war erst die Notwendigkeit der Identifikation für den Totenkult, die der Ordnung der um die Tafel Lagernden nachträglich Sinn verlieh. Kein Gesche-
18
Vier Fälle
hen trägt seine Semantik schon in sich; es gewinnt sie erst in rückblickender Schau, durch den sozialen, religiösen oder wissenskulturellen Kontext, in den diese Schau eingebunden und auf den ihr Inhalt bezogen wird. Die Folgen dieser Konstellation sind beträchtlich. Selbst Simonides, der vor die Türe des Hauses getreten, konnte weder sehen noch ahnen, daß und wie der Tod den Hausherrn und seine Gäste ereilte, und wie die Hinterbliebenen ihn um sein Wissen angehen sollten. Geschehenes, gar die Bedingungen und Umstände seines Zustandekommens, können erst in der Erinnerung zum Ereignis, das seinen spezifischen Sinn aufzuweisen hat, ja, erst erinnernd zu Wirklichkeit werden. Mit solchem Sinn gewinnen sie etwas hinzu, das sie zuvor, als bloße Planung, als bloßes Sinnenspektakel, noch nicht besessen hatten, werden etwas, das sie zuvor nicht gewesen. Derartiger Veränderung und den Fragen, die sich an sie knüpfen, gilt es genauer nachzuspüren. Denn die Semantik des Erinnerten macht vor den Datensätzen nicht halt, derer sich das Gedächtnis bedient, und auf die auch der Historiker angewiesen ist, um seiner Intention zu genügen. Die Wahrnehmung selbst sieht sich auf das Gedächtnis verwiesen. Gegenwart pur zu erfassen, ist uns schlechthin unmöglich. Sie ist genau genommen eine Fiktion - es sei denn, wir betrachten das Feuern der Neuronen im Hirn, das Aufleuchten eines Gefühls oder Gedankens, einer bildhaften Vorstellung, den Erinnerungsblitz als Gegenwart. Denn unsere Augen, Ohren, der Geruchs-, Geschmacks-, Wärme- und Tastsinn, unser gesamter Wahrnehmungsapparat registrieren nur Geschehenes, nicht Geschehendes. Nur die Reaktion darauf und unser Bewußtsein davon sind gegenwärtig. Gleichwohl suggeriert uns unser Bewußtsein die Gleichzeitigkeit unserer Wahrnehmung mit einem Geschehen und damit Gegenwart. Diese entpuppt sich als eine Projektion des Wahrnehmenden in das von ihm Wahrgenommene, als eine unbewußte Verrechnung des eben Erlebten gemäß den gerade dominierenden Parametern mit dem für sogleich Erwarteten durch das Hirn und eine daraus resultierende fa~on de parler. Das Hirn mag dabei in seiner vom Augenblick bedingten Weise fragen, was es wahrnahm, wer beteiligt war, wo alles stattfand, wie es sich vollzog, warum und zu welchem Zweck es geschah, auch wann und in welcher Zeit es sich ereignete, und dergleichen Wissenswertes mehr; es mag den Schmerz registrieren und von einer Ursache herleiten. Aber schon dieses Fragen und jegliche Antwort sind an Vorwissen, an das individuelle und kulturelle Gedächtnis gebunden; Simonides mußte jeden der Gäste namentlich kennen, um seinen Platz im Erinnerungssaal festhalten zu können. Schlich sich kein Entsetzen in sein Gedächtnis ein? Keine Dank- oder Triumphgefühle ? Nichts sonst? Wie dem auch sei, er
Wahrnehmung, Erinnerung, Wissen und Wirklichkeit
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war sich seiner Sache gewiß. Erst die ordnende Erinnerung stiftet - weithin unbewußt und nur in Grenzen auch bewußt aktiv - wahrgenommene Wirklichkeit. Behandelt das Hirn den Verlauf einer Episode und den ihr zugewiesenen Sinn in gleicher Weise? Weist das Hirn seiner eigenen Aktivität ein anderes, gar ein höheres Gewicht zu als den bloßen Sinnesdaten ? Wie also arbeitet unser Gedächtnis, das allein auf sich selbst, auf seine genetische Bedingtheit, sein <Wissen> und auf intersubjektive Kommunikation angewiesen ist? Auch Cicero behalf sich mit Griffel und Tafel, als er seinen imaginären Gedächtn~sraum kontrollierte - ein unverhohlenes Eingeständnis, daß die Mnemotechnik, die er pries, trotz aller Leistungsfähigkeit nur die halbe Wahrheit bot. Was also können wir wissen? Wie zuverlässig ist, was unser Gedächtnis uns zuspielt? Was überhaupt erinnern wir? Die Antwort zielt ins Zentrum der heutigen und jeglicher Wissens gesellschaft. Wissen ist aktualisierbare Erfahrung; es wird durchweg aus einer nahen oder fernen, der eigenen oder einer fremden Vergangenheit gespeist und unablässig durch Erinnerungsfähigkeit, Vergessen und die kommunikative Situation moduliert, in der es abgefragt wird. Es bleibt sich nie vollkommen gleich. Erinnerte Erlebnisse - sinnliche Wahrnehmungen, Gefühle oder Gedanken - werden hier und im folgenden als betrachtet; auch der nachlesbare Inhalt von Schriftstükken, wissenschaftlichen Handbüchern oder die wiederholt zu befragenden Protokolle von irgendwelchen Vorkommnissen oder Sachverhalten dürfen, erfahrungsbedingt wie sie sind, als solche gelten. Wissen ist stets Erinnerung, und diese beruht stets auf Erfahrung, obgleich in der Praxis zweifellos zu unterscheiden ist zwischen dem wissengenerierenden Verlauf eines <Experiments> oder dem Erwerb von Wissen und seinem Ergebnis, der , die aus der Erfahrung gezogeniund dem Gedächtnis <eingeschrieben> wird. Der Saal aber jenes Gelages, dem Simonides Glanz verleihen sollte, liegt auf ewig in Trümmern; das die Erfahrung bedingende Geschehen ist unwiederbringlich vergangen, ist für immer in sich vollendete, unveränderbare, obgleich fortwirkende Realität. Der Tod hatte die Welt um Simonides und seine Freunde verändert, seine Opfer ruhten im Grab. Allein das Gedächtnis des Dichters und der von ihm instruierten Verwandten bewahrte Spuren einstigen Erlebens samt der zugehörigen Sinnstiftung; allein aus Erinnerung gespeiste Erzählungen und Niederschriften stiften den Zusammenhang individueller oder kollektiver menschlicher Erfahrungen und des Lebens. So sind und formen die Erinnerungen vielfältige neue Wirklichkeiten. Schon Quintilian (XI, 2, 11-22), der antike
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Vier Fälle
Rhetoriklehrer, kannte zahlreiche, sachlich abweichende Varianten der Simonides-Episode und bestritt ihretwegen deren Historizität überhaupt. Doch läßt sich zumindest analytisch zwischen abgeschlossener Wirklichkeit hier und erinnerungsoffener Wirklichkeit da, zwischen der Vielzahl weitergegebener und fortwirkender Erinnerungen, endlich auch zwischen Erzählungen mit und Fiktionen ohne dergleichen Erinnerung unterscheiden. Ein sich vielfach verzweigender Erinnerungsfluß, den zusätzlich noch weitere Quellen nährten, entsprang mit dem Gastmahl und seinem abrupten Ende, das zunächst allein Simonides erinnerte, und wird so lange fortfließen, bis alle seine Seitenarme versickert und vertrocknet sind. Diese Erinnerungen stellen den einzigen Zugang zu einstiger Wirklichkeit her, nicht etwa Erzählungen, Texte, Sprache, Intertextualität oder auch Experimente als solche, obgleich die kulturelle Transmission über Zeichen systeme wie die Sprache weiterfließt. So gilt es, diesen semiotisch gefaßten Fluß, so gut es geht, entgegen der Flußrichtung zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen, um sich dem einstigen Geschehen zu nähern. Hier stellen sich neue Schwierigkeiten in den Weg. Bereits die Ordnung der Wahrnehmungen setzt einen intellektuellen, an das Gedächtnis appellierenden Deutungs- und Formungsprozeß voraus, der trotz grundsätzlich gleicher kognitionsbiologischer Grundlagen aller Menschen sich keineswegs zu allen Zeiten und in jeder menschlichen Kultur gleich ausnimmt. So steht keineswegs von vorneherein fest, daß Simonides, Cicero und Quintilian, deren Lebenszeiten nur wenige Jahrhunderte auseinanderliegen, oder die Rhetoriklehrer der spätmittelalterlichen Renaissance jeweils das gleiche bedachten, wenn sie die «Ordnung der Orte» betrieben. Bei Simonides spielte der unheimliche Kult der gewalttätig grausamen Dioskuren hinein, bei Cicero die Aufstellung der Ahnenbilder an gut sichtbarer Stelle im Haus, bei Quintilian ein heroen- und überlieferungskritischer Skeptizismus, in der Renaissance der restaurative Rückgriff auf formale Techniken6 • Die Antworten auf jenes <Wer?> oder <Was?> differieren somit gemäß einem analysierbaren Zusammenspiel von Natur und Kultur und besitzen durchweg hypothetischen, nämlich an die kulturellen Prämissen gebundenen Charakter. Jedes Erkennen und jede rationale Deutung unserer Welt verdankt sich einem analogen Frage- und Antwortspiel und entsprechenden Hypothesenbildungen. Offenbar ist auch die «Ordnung der Orte» keine absolute Größe und bedarf zu ihrer Deutung des Wissens um die Konditionen ihrer Festlegung. Das Gedächtnis agiert stets situativ. Das erste Innewerden, die erste systematische Reflexion über
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Fragen und Hypothesen, erfolgte freilich, soweit erkennbar, erst durch die antike griechische Sophistik des ausgehenden sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts. Simonides und die jüngeren Redner partizipierten daran. Über neue Disziplinen wie Rhetorik und Dialektik floß der Strom solcher Methodik dann in die römische und abendländische Wissenskultur. Auch der Historiker gewinnt aus ihm sein Datenmaterial. Doch wie wirklichkeitsgemäß nimmt dasselbe sich aus, wenn es Wahrnehmung, Gedächtnis, Vorwissen, Kommunikationssituationen und Explikationen unterliegt? Was also wissen wir von der Vergangenheit? Wie können wir Vergangenes aktualisieren? Wie erinnern wir uns? Die Antworten entscheiden über unsere Gegenwart und Zukunft. Sie gewinnen, weil sie generell unser Wissen implizieren, eine weit über die engere Geschichtsforschung hinaus greifende, generelle Bedeutung. Ihr Beitrag zur Wissensfrage übersteigt zugleich unsere eigene, begrenzte Erfahrung und unser persönliches Gedächtnis; er richtet sich keineswegs bloß an Altertumsfreunde. Jede Art von Wissensverwaltung, jedes Wissensmanagement ist betroffen. Ihnen gilt am Beispiel der Geschichte die folgende Studie. Simonides' Schritt von der Episode zur allgemeinen Erkenntnis diene ein letztes Mal zur Orientierung. Die Leistungskraft des gesunden, nicht pathologischen, nicht traumatisierten oder von Hirnläsionen beeinträchtigten, aber auch nicht speziell geschulten menschlichen Gedächtnisses sei deshalb einleitend an vier Episoden verdeutlicht. Sie sind der neueren Geschichte entnommen und beruhen auf der Annahme, daß das menschliche Hirn vor 1000 Jahren oder in noch früheren historischen Zeiten nicht anders arbeitete als heutigentags, daß sich seitdem trotz zunehmender Schriftlichkeit die humane Erinnerungsfähigkeit nicht wesentlich geändert hat, daß diese Beispiele Alltägliches mit Außerordentlichem vereinen und als typisch gelten dürfen, daß sie zudem umfassender dokumentiert sind als des Simonides Totengedenken oder des Thukydides Kriegsberichte und die Gedächtnisleistungen der folgenden zweieinhalb Jahrtausende, daß sie endlich zuverlässiger überprüft werden können und methodisch sprechender sind als jene aus der Antike oder dem quellenarmen dunklen Mittelalter entlehnten Exempel, von welch letzteren die folgenden Untersuchungen ursprünglich ihren Ausgang nahmen und auf die sie auch wieder zurückführen werden7 • Doch trotz ihres episodischen Charakters steht zu erwarten, daß sie dem Historiker allgemeine Erkenntnisse ermöglichen und ihm gestatten, tiefer in vergangenes Geschehen hineinzuleuchten, als es ohne systematische Gedächtnisforschung geschehen könnte. Vorgestellt wird je ein Fall aus dem Milieu der Politik, der Wissenschaft, des kulturellen Lebens und des späten Hochadels. Die Beispiele sollen
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Vier Fälle
nicht zuletzt die breite Gegenwärtigkeit des Phänomens illustrieren. Detailreich überliefert, wie sie sind, gestatten sie eine gerade so detaillierte Betrachtung, wie sie für eine Erinnerungsanalyse unabdingbar ist, um die Einzelheiten von der Abstraktion zu trennen und die Analyse für die Geschichtswissenschaft fruchtbar zu machen. Denn das Gedächtnis bearbeitet beides: die Details und die Abstraktion; es bemächtigt sich der Einzelheiten und der Generalisierungen. Eine ausführlichere Präsentation der Exempla wird damit notwendig und gerechtfertigt. Auch die griechischen Verwandten jener Opfer göttlicher Rache wollten kein vom individuellen Gedenken und Massengrab anlegen, sondern nur ihre eigenen und keine fremden Toten bestatten. Doch sollte aller gedacht werden. Die aus den folgenden Beispielen abzuleitenden Folgerungen betreffen demgemäß jegliches Geschehen, dessen Kenntnis sich dem Gedächtnis verdankt, gleichgültig, ob es in der Antike, dem Mittelalter oder der Gegenwart spielt, und damit prinzipiell die gesamte Geschichte. Sie sind von allgemeiner Gültigkeit.
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Der erste Fall: Ein Präsidentenberater
Unter Psychologen und Gedächtnisforschern gelangte John Dean zu einiger Berühmtheit8 • Er war seinerzeit Berater und im Trüben fischender Helfer des einstigen Präsidenten der USA Richard Nixon. In den Watergate-Anhörungen vor dem amerikanischen Senatsausschuß, die den kriminellen Aktivitäten der Wahlkampfstrategen dieses Präsidenten nachspüren sollten und zu ihrer Zeit, in den Jahren 1972 und 1973, nicht nur die USA erregten, spielte Dean eine entscheidende Rolle. Er trat fest und bestimmt auf, beteuerte, ein ausgezeichnetes Gedächtnis zu besitzen - «I have a good memory!» -, wußte tatsächlich die Senatoren mit seinen präzisen, bis in Einzelheiten genauen Erinnerungen zu verblüffen und das alles, ohne sich auf Notizen zu stützen9 . Einmal waren es drei Monate, die das fragliche Gespräch mit Präsident Nixon zurücklag, das andere Mal neun. Einerlei, die Zeit schien Deans mnemonischen Fähigkeiten nichts anzuhaben. Die Presse pries sein tonbandhaft protokollierendes Gedächtnis. Nixon brachte es vorzeitig zu Fall; der Präsident wurde zum Rücktritt gezwungen, seine Helfer wanderten ins Gefängnis. Kurzum, Dean war der ideale Zeuge. Wenn irgendwo in der Weltgeschichte, dann fand Erinnerung hier ihre Opfer. Verhieß nun die Zuversicht des Gedächtnisgenies John Dean tatsächlich Gewißheit über das erinnerte Geschehen, von dem er sprach? Seine Erinnerungen erlangten durch den Verdacht einer aufgeschreckten Öf-
Der erste Fall: Ein Präsidentenberater
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fentlichkeit und die aufklärerischen Intentionen des Senats ihre Bedeutung. Welche Semantik floß in sie ein? Was widerfuhr ihnen auf dem Weg vom natürlichen zum kollektiven Gedächtnis jener Kommunikationsgemeinschaft, die seinen Aussagen lauschte und für die seine Aussagen bestimmt waren? In welcher Gestalt wird sich künftig ein um kulturelles Gedächtnis besorgtes Kollektiv mit ihnen auseinandersetzen müssen? Ein <Erinnern an sich> ist unmöglich; jedes Erinnern ist an seinen Augenblick gebunden. Wieweit also lassen sich aus der Analyse von Deans Erinnerungen Kriterien für eine erinnerungstheoretische Arbeit gewinnen? Jene Gespräche waren mitgeschnitten und die Tonbänder später, im Jahr 1974, von Nixon als Zeugnis gegen Dean zur Publikation freigegeben worden. Die Geschehen, ließen sich nun mit der Erinnerung an sie vergleichen; jedenfalls partiell, soweit sie das hörbare Wort betrafen. Das Ergebnis entlastete den Präsidenten in keiner Weise; zu tief war er in die Sache verstrickt. Doch es demontierte auch John Dean und enthüllte die widersprüchliche Mehrschichtigkeit seines Gedächtnisses; statt der Juristen nahmen Psychologen sich seiner an. Ihre Ergebnisse werden hier übernommen; sie ersparen uns die detaillierte Dokumentation des Falls. Kaum eine von Deans Angaben stimmte so, wie er sie zu Protokoll gegeben hatte. Kein Kreuzverhör, deren mehreren er unterzogen worden war, hatte vermocht, die Irrtümer und Fehler auch nur erahnen zu lassen, die diesem Zeugen mit beharrlicher Bestimmtheit für Geschehenes oder Gesagtes unterlaufen waren. Kein Zweifel, sein Gedächtnis trog - nach wenigen neun oder nur drei Monaten. Modulation und Vergessen hatten unmerklich teil am Erinnern. Doch vermochte der einstige Präsidentenberater in einem übergreifenden, ganz allgemeinen Sinne das Wesentliche jener Gespräche tatsächlich wiederzugeben: daß Nixon nämlich von dem kriminellen Vorgehen gewußt und zu den Drahtziehern seiner Vertuschung gehört habe. Es geschah in eigentümlich selektierender und damit wiederum in verfälschender Weise. Verlauf und Sinngebung der Gespräche traten in der Erinnerung auseinander. Zahlreiche Einzelheiten des Geschehens waren dem Teilnehmer an dem Geschehen entglitten, hatten sich in seiner Erinnerung verschoben, waren falsch beleuchtet, zu seinen eigenen Gunsten geschönt und aufgewertet worden. Inversionen vom weniger Günstigen zum Günstigeren für die eigene Person hatten sich also ereignet, positive Inversionen, wie man sie nennen kann; doch auch ihr Gegenteil, negative Inversionen, fehlten nicht, die umgekehrte Transformationsrichtung, die zum Nachteil des Gegners statt des Günstigen das Falsche, Verabscheu-
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Vier Fälle
ungs- und Verdammenswürdige hervorkehrte. Eine eigentümliche Mixtur formte die erinnerte Wirklichkeit; Vergessenes, Verschobenes, zutreffend Erinnertes verschlangen sich zu einem mentalen Konstrukt, dem die Realität nicht entsprach, obgleich es Daten realen Geschehens verarbeitete, Realität suggerierte und eine Einheit bildete. Dean hatte verschiedene Begegnungen kontaminiert, Inhalte angesprochen, die er herbeigewünscht, tatsächlich aber nicht realisiert hatte, hatte seine eigene aktuelle Rolle stärker herausgestrichen, als ihr gebührte, und «wissender» getan, als er seinerzeit war. Er hatte seine eigene Geschichte erzählt, nicht die der protokollierenden Tonbänder. Zutreffender waren solche Episoden und Worte, die sich aktiver Teilnahme am Geschehen, nicht bloßem Zuschauerturn verdankten, sich an verbreiteten Erzählmustern orientieren konnten oder sich durch Wiederholung eingeprägt hatten. Er hatte bewußt und unbewußt aus den Informationsbündeln, die ihm zur Verfügung standen, ausgewählt und daraus seine Geschichte, ein geschlossenes Ganzes, gemacht mit sich selbst in günstigem Licht. Er hatte in wiederholten Erzählungen seine Erinnerungen kanonisiert. Dazu traten Kontaminationseffekte sowie eine bemerkenswerte sowohl die Qualität der Ereignisse als auch die tatsächliche zeitliche Abfolge verändernde Inversionsbereitschaft. Als einer der Hauptbeteiligten am Watergate-Skandal beschrieb John Dean mit seinen Erinnerungen gerade «nicht das Treffen ... sondern sein Phantasieprodukt, das Treffen, wie es hätte sein sollen» 10. Gleichwohl war der Mann noch in seiner drei Jahre später erschienenen Autobiographie von der unantastbaren Richtigkeit seiner Aussagen überzeugt, so gewiß war er sich seines Gedächtnisses ll . Er litt an einem Gewißheitssyndrom. Was Deans Fall verdeutlicht, besitzt allgemeine Gültigkeit. Die deformierende Veränderungsdynamik der Erinnerung mag noch rascher und durchdringender wirksam werden oder weniger schnell und tief in das Gedächtnis eingreifen, als es bei diesem Zeugen den Anschein hat, das Phänomen selbst verflüchtigt sich damit nicht 12 • Das Vergessen operiert dabei nicht anders als das Erinnern. Dieselben Gewißheitsannahmen und die nämliche Inversionsbereitschaft kennzeichnen es, die auch das Erinnern durchsetzen. Ich glaube etwas vergessen zu haben und habe es tatsächlich nicht. Ich will etwas vergessen und kann es nicht; ich tue so, als hätte ich etwas vergessen, und habe es bestenfalls verdrängt. Die Folgen sind beträchtlich. Das Gewußte verlagert nun seinen Ort, siedelt sich irgendwo an, schafft und bricht sich unversehens Bahn, ohne sich zu erkennen zu geben, oder könnte es wenigstens. Verdrängtes Wissen sucht sich erst recht eine neue Stätte und kann, über ein, zwei Generationen hinweg, in der Erinnerungsgemeinschaft von Verfremdungen
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verdeckt, selbst überfremdet und sprachlich verhüllt, tatsächlich bewahrt werden, eine Gedächtniskrypta bilden, aus der heraus es fortan agiert und unkontrollierbar seine Fäden spinnt l3 . Erinnern und Vergessen besitzen ihre eigene Semantik. Sie ist situationsbedingt und liegt nicht einfach auf der Hand. Mit dieser Situationsbelastung gehen die Erinnerungsprodukte ins kommunikative und kulturelle Gedächtnis ein. Gedächtnis-Analytiker wissen das und berücksichtigen es bei ihren Analysen l4 .
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Der zweite Fall: Zwei Physiker l5
«Lieber Heisenberg ... Ich bin höchst erstaunt, wie sehr Dich Dein Gedächtnis getäuscht hat ... Ich selbst erinnere jedes Wort unserer Unterhaltung»l6. Niels Bohr, der Vater der modernen Kernphysik, der Nobelpreisträger und Mitschöpfer der Atombombe, vertraute, selbstsicher und unbeirrbar, mehr als 16 Jahre nach dem fraglichen Geschehen in einem niemals abgeschickten Briefentwurf an seinen Meisterschüler Werner Heisenberg, gleich ihm Nobelpreisträger, der Untrüglichkeit seines Gedächtnisses. Der Fall erfordert hier, da bislang noch nicht gedächtniskritisch untersucht, wie auch die beiden folgenden eine ausführlichere Darstellung als jene Watergate-Affäre. Die Begegnung, die Bohr erinnerte, hatte in Kopenhagen unter vier Augen stattgefunden, als Dänemark von der deutschen Wehrmacht besetzt worden war, als die Deutschen glaubten, kurz vor dem Sieg über die Sowjetunion zu stehen, und in ihrem Größenwahn daran dachten, sich ganz Europa zu unterwerfen; vor allem, als in Deutschland Forschungen zur militärischen Nutzung der wenige Monate vor Ausbruch des von Hitler entfesselten Krieges von Otto Hahn und Fritz Straßmann entdeckten, von Lise Meitner und deren Neffen Otto Robert Frisch gedeuteten, in dessen Gespräch mit Niels Bohr weiter geklärten und durch den letzten alsbald bekannt gemachten Kernspaltung betrieben wurden 17. Das Gespräch zweier Freunde, die zugleich Feinde waren, kreiste um eben diese Nutzung von Kernenergie und um die Entwicklung von Atomwaffen, doch mit welcher Absicht Heisenberg vor Bohr das Thema angeschnitten, was beide tatsächlich gesagt oder nicht gesagt hatten, worauf das ganze Gespräch eigentlich zielte, daran erinnerten sich beide, wenn überhaupt, nur mehr kontrovers. Während Bohr meinte, aus Heisenbergs Worten eine Warnung herausgehört zu haben, die siegesgewissen Deutschen würden Atomwaffen entwickeln und seien bereit, sie einzusetzen, wollte Heisenberg das
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Vier Fälle
schiere Gegenteil vermittelt haben, die deutschen Kernphysiker nämlich würden solche Waffen gar nicht projektieren, weil sie den technischen Aufwand als zu hoch erkannt hätten 18 • Während der eine, Sohn einer jüdischen Mutter, fürchtete, in Kollaboration mit dem Nazi-Regime verstrickt zu werden, wollte der andere verschlüsselt die Botschaft an die auf seiten der Alliierten forschenden Kollegen weitergeleitet wissen, sich wie sie zu verhalten und keine Uranbombe zu entwickeln. «Aber», so be.schrieb Heisenberg 1969 die erste Nachkriegsbegegnung mit Bohr im Jahre 1947, «als wir versuchten, unser Gespräch vom Herbst 1941 zu rekonstruieren, merkten wir, daß die Erinnerung in eine weite Ferne gerückt schien. Ich war überzeugt, daß wir das kritische Thema beim nächtlichen Spaziergang auf der Pileallee angeschnitten hätten, während Niels bestimmt zu wissen glaubte, es sei in seinem Arbeitszimmer in Carlsberg gewesen. ... Bald hatten wir beide das Gefühl, es sei besser, die Geister der Vergangenheit nicht mehr weiter zu beschwören» 19. Zum Glück brachen jene beiden Kernphysiker ihr Schweigen. Zum al Heisenberg kam seit 1948 wiederholt auf die Kopenhagener Begegnung zurück; ein Brief an den Publizisten Robert Jungk vom Januar 1957 freilich, den dieser in seinem unseligen Buch «Heller als tausend Sonnen» auszugsweise veröffentlichte, sowie die Darstellung, die Jungk durch seine Auslegung des Geschehens gab, nötigten Bohr (aber auch Heisenberg, Otto Hahn oder Carl Friedrich von Weizsäcker) zum Widerspruch und entfesselten eine bis heute nicht verstummte Diskussion20 • Bohr hatte schon früher, spätestens seit seiner Flucht aus Dänemark 1943, seine Erinnerungen an das Gespräch Freunden mitgeteilt, sie damals auch dem britischen Geheimdienst nutzbar gemacht, ohne sie zu publizieren. Er scheute zeit seines Lebens vor jeder Veröffentlichung dieser Erinnerungen zurück, obgleich er wiederholt schriftlich fixierte, woran er sich erinnerte. Mehrere nie abgeschickte Briefentwürfe aus den Jahren 1957-62 künden von ihnen und spannen sie auf den Seziertisch gedächtniskritischer Forschung. Die Erinnerungen eines jeden der beiden Protagonisten waren nicht frei von Widersprüchen. Heisenberg etwa erinnerte sich am 6. August 1945 in Farm Hall21 , wo er mit anderen herausragenden deutschen Wissenschaftlern interniert war und ihre Gespräche über versteckte Mikrophone abgehört wurden, erinnerte sich also am Tag von Hiroshima, als ihn die zunächst unglaubliche Nachricht vom Abwurf einer Atombombe überraschte, im Jahr zuvor von einem Beamten des Auswärtigen Amtes mit der Information konfrontiert worden zu sein, die Amerikaner hätten den Abwurf einer Atombombe über Dresden angedroht, sollten die Deutschen nicht alsbald kapitulieren: «Damals wurde ich gefragt, ob ich
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das für möglich hielt, und mit voller Überzeugung antwortete ich: , der weitverbreiteten, ausführlichen, von Wilhelm Wattenbach begründeten, von Wilhelm Levison und Heinz Löwe überarbeiteten Quellenkunde des früheren Mittelalters, das Gedächtnis
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Das Schweigen der Forschung
keine Rolle spielt. Für Frankreich läßt sich auf Gabriel Monod, für Belgien auf Godefroid Kurth verweisen, deren kritische Quellenstudien bis heute nachwirken. Nirgends findet sich eine Lehre der Erinnerung, des historischen Gedächtnisses oder Bewußtseins, des Vergessens, der Verschränkungen von Mündlichkeit und Erinnerung in Ansätzen entwickelt, geschweige denn beachtet. Herausgreifen möchte ich Johann Gustav Droysen. Zwar bietet er, ähnlich wie Rehm, einige Bemerkungen über das Erinnern; gleichwohl entwickelte auch er keine quellenanalytische Methodologie der Mündlichkeit, keine kritische Gedächtnistheorie, auf die der Historiker der Antike oder des Frühmittelalters sich hätte stützen können. Droysen holte es auch nicht nach, als er sich der Geschichte Alexanders des Großen oder Preußens zuwandte. Erinnerung bot ihm lediglich die Gelegenheit, sich «das Verständnis seiner selbst und seiner zunächst unmittelbaren Bedingtheit und Bestimmung» zum Bewußtsein zu bringen 19, erfüllte also einen personalistischen, ethischen Zweck, ohne in eine Kritik der Erinnerungsfähigkeit und erinnerten Wissens zu münden. Sie diente mit anderem «nur dazu, jenes seelische Leben zu erregen»20, das jede höhere Kultur begleitet, ist gleichbedeutend mit «historischem Bewußtseim)21. Er pries ihren kulturschaffenden Wert, nicht ihre inhaltliche Gefährdung. Droysen trennte mitunter, wenn auch nicht scharf, zwischen mündlicher und schriftlicher Erinnerung. Er wußte, daß mündliche Erinnerung zu Verwerfungen führen kann, sprach auch von «verfließenden Vorstellungem/2. Aber er ging diesem Einwand nicht systematisch nach. Erinnern und Gedächtnis blieben Grauzonen der historischen Methode. Die Beispiele, die er für verformte Erinnerung brachte, entstammten dem Bereich der Sage, der Heldenlieder und des Heldenepos. Kein einziger «Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit» wurde angeführt, geschweige denn erinnerungskritisch analysiert. Doch auch als Droysen auf das Thema von Erinnerung und Sage zu sprechen kam, holte er das Versäumte nicht nach 23 . Kriterien zur Kritik mündlicher Überlieferung und zur genaueren Bestimmung des verzerrenden Einflusses mündlicher Erinnerung auf schriftliche Quellen ließen sich auf diese Weise nicht entwickeln, die Verzerrung der Geschichtsforschung aufgrund ihres Glaubens an die mündliche Erinnerungsleistung nicht korrigieren. Deren eigentliche Problematik war tatsächlich gar nicht erkannt. Die Wirklichkeit aber sieht anders aus, als diese Historiker sie sich träumen ließen. Für die Erforschung des Mittelalters zeigten sich alsbald erhebliche Auswirkungen. Mehr oder minder vertrauensselig wurden die Berichte
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der frühmittelalterlichen Geschichtsschreiber hingenommen, obgleich sie sich weithin, bald unmittelbar, bald mittelbar, mündlicher Erinnerung verdankten. Schlimmer noch, Jacob Grimm lehrte in seiner «Deutschen Mythologie», daß die Erinnerungskraft des Volkes trotz mancherlei Wandel bis in vorgeschichtliche Zeit zurückreiche. Grimms Paradebeispiel war die «Edda», also jene religiöse Dichtung, die zum größten Teil im 1-3. Jahrhundert auf Island und in einer seit Generationen christianisierten Gesellschaft entstanden war, die sich voll Stolz auf ihre heidnische Vergangenheit berief24 • Tausend Jahre waren für Grimm wie ein Tag. Junges verschmolz mit Altem und ergab einen Brei germanischen Denkens von zäher Beharrungskraft, angeblich uralt. Solcherart Erinnerung, die bis zu den (fiktiven) germanischen Vorvätern zurückgereicht habe, wurde als Hausüberlieferung der Deutschen in Anspruch genommen. Obwohl doch alle Nachrichten dazu aus nicht-römischen, nichtfremden Quellen erst nach Jahrhunderten, dazu in einem geistigen Milieu zu fließen begannen, das sich an römische Dichter und Historiker, an christliche Kirchenväter und an die biblischen Bücher der Juden eben anzulehnen bestrebt war. Alles Ältere indessen, die antiken Nachrichten zu Germanen, war durch Hörensagen, Mündlichkeit, Informanten, Wahrnehmungs- oder Verstehensprozesse geprägt, kurzum durch das Nadelöhr des Gedächtnisses hindurehgepreßt worden. Doch blind für dasselbe hantierte der Mythologe mit Farben, deren Qualität ihm unbekannt blieb. Grimm hatte viele Gefolgsleute. Man unterschied vor allem nicht zwischen den diversen Inhalten der Überlieferung. Erinnerung war gleich Erinnerung, einerlei ob es religiöse Kulte oder Kriege, Wissen oder Handeln betraf. Mythologisches glich - erinnerungstechnisch betrachtet - Geschehenem, Kultisches Heldentaten, Götter Königen. Überhaupt, Kultmythen, mit Ritualen verschlungen, lieferten Jacob Grimm die bevorzugten Beispiele, die er für die Langlebigkeit von Erinnerungen des Volkes ins Feld zu führen wußte. Zwar lernte man mit der Zeit, differenzierter zu urteilen, registrierte gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Ernst Bernheim beispielsweise die zahlreichen Trübungen, denen die Sinneswahrnehmung ausgesetzt war: durch diverse Standorte, durch Überschichtung mit Phantasie, durch Verfremdung aufgrund von Unvollkommenheiten und Inadäquanz der Sprache als eines Darstellungssystems, durch mancherlei andere Quellen. Auch wurde man ein wenig kritischer gegenüber der Sagenwelt, als es die Brüder Grimm einst waren. Aber doch nur ein wenig und nicht prinzipiell und mit methodologischen Konsequenzen, wie wiederum vor allem die deutsche Geschichtswissenschaft bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu illustrieren vermag.
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Das Schweigen der Forschung
Die historische Leistungskraft des Gedächtnisses wurde bei all dem nicht gründlich in Zweifel gezogen oder systematischen Kontrollen unterworfen. Der erwähnte Bernheim etwa widmete in seinem immerhin 780 Seiten umfassenden «Lehrbuch der Historischen Methode» ganze zwei Sätze von dreizehn Zeilen Länge dem Thema Erinnerung: «Die Treue und Genauigkeit des Gedächtnisses», so lautete deren erster, «spielt überhaupt eine starke Rolle bei der Reproduktion [des Wahrgenommenen], da diese meist nicht angesichts der Vorgänge selbst zum _Beschluß gelangt, sondern großenteils nachher aus der Erinnerung geschöpft wird.» Das traf in einem allgemeinen Sinne zweifellos zu, klang einigermaßen skeptisch, und war doch mehr beiläufig hingeworfen. So blieb es denn folgenlos und damit ohne theoretische, methodologische Vertiefung und Systematisierung. Bernheims zweiter einschlägiger Satz wie gelte zudem schon wieder ab: «Von dem Autor, der die berichteten Thatsachen selbst miterlebt hat, dürfen wir voraussetzen, daß er unmittelbare Kenntnis derselben haben kann, wenn er sonst der rechte Mann ist; von dem entfernteren Zeitgenossen, dessen Erinnerung noch in die Jahre der berichteten Ereignisse reicht und der noch aus der allgemein lebendigen Erinnerung der Zeitgenossen schöpfen konnte, dürfen wir ebenfalls eigene Kenntnis annehmen; bei dem weiter entfernten müssen wir nach den Quellen seiner Kenntnis fragen und diese wiederum auf ihre Unmittelbarkeit prüfen»25. Miterleben, Erinnerung aus den Jahren der berichteten Ereignisse, Unmittelbarkeit - das waren Bernheims vorausgesetzte Garanten für wirklichkeitsgemäße Reproduktion des Wahrgenommenen durch das Gedächtnis. Sie behandelten das Gedächtnis geradezu wie ein Netz, dessen Maschen so grob gestrickt waren, daß Aktivität und Kreativität des Erinnerns nicht aufgefangen werden konnten. Ein Gedächtnis, das Erinnerungen schafft, dessen Kreativität Geschehnisse erinnert, die nie geschehen sind, dessen homogenste und überzeugendste Leistung sich fortgesetzt gegen den Verdacht behaupten muß, geschehensfernes Konstrukt zu sein, ein solches Gedächtnis entzieht sich einer historischen Methode, die Bernheim verpflichtet ist. Dessen weitere Bemerkung, daß nämlich Sage «Wirklichkeit und Dichtung, Erinnerung und Phantasie» durcheinanderwerfe, läßt unschwer erkennen, wie ungeheuer nahe an Wirklichkeit Bernheim die Erinnerung angesiedelt hat 26 . Dreiunddreißig Seiten hatte Ernst Bernheim in seinem verbreiteten «Lehrbuch der Historischen Methode» immerhin der Psychologie gewidmet; doch sie führten nicht zum Gedächtnis. Von ihm und seiner Kritik war hier keine Rede. Als aber, etwa durch Sigmund Freud oder William Stern, die Psychologie sich änderte und von einer «verstehenden» zu
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einer «erklärenden», experimentell und statistisch operierenden Wissenschaft reifte, distanzierte sich die Geschichtswissenschaft in Deutschland von ihr, obgleich Bernheim selbst schon in einer früheren Auflage seines Werkes, wenn auch an versteckter Stelle, auf Sterns Forschungen verwiesen hatte. Es half nichts, obgleich William Stern schon 1902 seine «Psychologie der Aussage» vorgelegt hatte. Die Zunft nahm die experimentelle Psychologie ebensowenig zur Kenntnis, wie sie später auch die Entwicklungspsychologie eines Jean Piaget unbeachtet ließ 27 . Die Katastrophe von 1933 vertiefte die Abkehr noch weiter. Entgegengesetzt verlief die Entwicklung in Frankreich, wo Maurice Halbwachs in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts seine bahnbrechenden Untersuchungen zum kollektiven Gedächtnis durchführte, an die wenig später, 1933, der englische Psychologe Frederick C. Bartlett anknüpfte 28 . Erinnerung aber ist ein psychisch konstituierter Faktor der Wirklichkeitskonstruktion, dessen Bedingungen der Historiker kennen muß, will er vergangene Wirklichkeiten und nicht nur frühere Erinnerungen re-konstruieren, und der ihn grundsätzlich und radikal an der Exaktheit erinnerter Wahrnehmungen zweifeln lassen muß, bevor er wagen darf, Erinnerungszeugnisse als zuverlässig anzunehmen. Das alles verlangt nach Methoden, die Erinnerungskritik selbst und gerade dann erlauben, wenn - wie so oft - keine weiteren Bezugsgrößen als Erinnerungsprodukte zur Verfügung stehen. Unerörtert blieb die tatsächliche Rolle des Gedächtnisses beim Formen der Quellennachrichten und beim Umgang des Historikers mit ihnen. Welches Ausmaß der Veränderung es bewirkte, wie oft, unter welchen Bedingungen seine Verformungskräfte erwachten, wie rasch nach dem Geschehen, in welche Richtung sie sich fortbewegten, ob der Historiker sie erkennen könne und woran, ob sie kalkulierbar wären, welche Quellen und Geschehenshorizonte von ihnen infiziert waren, das alles und noch vieles mehr blieb außer Betracht, unbeachtet und unbekannt. Bernheim streifte, knapp genug, die Problematik mündlicher Erinnerung ausschließlich am Beispiel der Sage, also am Grimmschen Paradigma (das er, wie die beiden Brüder, mit Mythos und Legende verband, und das man an seiner literarischen Gestalt leicht erkennen zu können glaubte). Von den eigentlichen Geschichtsschreibern, denen das Wissen über die Vergangenheit verdankt wird, schwieg auch er. Immerhin: «Man hat auf diesem Wege (über die literarische Gestalt) erkannt, daß die Mythen sehr häufig die Form geschichtlicher Sagen annehmen, ohne daß irgend ein wirkliches historisches Element verhanden ist, während sie sich in anderen Fällen mit wirklich historischen Reminiszenzen auf mannigfaltige Art verbinden und durchsetzen»29. Mißverständnisse, Aneignungs-, Konzentrations-, Übertragungsprozesse, Gestaltungstrieb, Interpretationen,
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Ergänzungen und Motivierungen wurden zu Recht als verformende Kräfte gewürdigt; daß aber Kultmythen und historische Sagen durchaus unterschiedlichen Erinnerungsbedingungen unterlagen, daß sich damit die Frage nach der zeitlichen Dimension von verwerfungsfreier Erinnerung "verknüpfte und damit die Qualität des Vergangenheitswissens überhaupt zur Prüfung stand, wurde nicht angemerkt. Erinnerung war gleich Erinnerung - einerlei, worin sie sich verfing. Die Wirkungen zeigen sich bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Ich greife ein besonders krasses Beispiel angeblich durch Jahrtausende lebendiger Bräuche heraus. Da ist bei Otto Höfler, einem einstmals auch unter deutschen Historikern einflußreichen Wiener Germanisten, davon die Rede 30, daß das «Totenheer», das mit Wotans wilder Schar und der familia Herlechini gleichgesetzt wird, «unter lautem Glockengetön» einherziehe. Hinter der Sage, so behauptet Höfler nun, versteckten sich die Relikte eines altgermanischen, ekstatischen Geheimkultus. Um das zu belegen, werden die Glocken mit einem «Charivari» des 14. Jahrhunderts, dem bayrischen «Haberfeldtreiben» des 19. und 20. Jahrhunderts, dem wutteshere der Zimmerischen Chronik des 16. Jahrhunderts, dem Lärmen antiker Mysterien, südgermanischen Kulten und den blutigen Festen von Alt-Uppsala, welche Saxo Grammaticus beschreibt, und mit manch anderem lärmenden Haufen, mit den heterogensten Dingen also verknüpft. Kein einziges Element dieser langen Serie von Phänomenen läßt sich kontinuierlich bis in taciteische oder caesarische Zeit und zu germanischen Stämmen zurückverfolgen. Alle Beispiele sind pure Wissenssplitter, deren Kenntnis gelehrten Autoren, christlichen Priestern, Volkskundlern und Mythenforschern verdankt wird, deren aus Ähnlichkeiten deduzierte Folgerungen gewiß keine lebendige Tradition nachweisen können. Zweifellos hätten sich auch aus Indien, Tibet oder China entsprechende Lärmszenen beibringen lassen. Welche Vorstellungen im einzelnen tatsächlich auf welche kultischen Handlungen zu welcher Zeit und in welchen Kontext zurückführen, diese Fragen sind nur in den allerseltensten Fällen zu beantworten. Zumeist ersetzen mehr oder weniger begründete Hypothesen sicheres Wissen, oft müssen Spekulationen die Abgründe von Nichtwissen überbrücken, und regelmäßig treten vorauseilende Glaubensüberzeugungen, in Höflers Fall gar völkische, an die Stelle von Quellen 31 . Nichts ist hier evident. Keine einzige Glocke oder Schelle hat sich bisher in kaiserzeitlichen, germanischen Fundhorizonten auffinden lassen. Was Caesar und Tacitus von der Religion der Germanen berichteten, findet sich nicht in der «Edda» des 13. Jahrhunderts, die ihrerseits bereits ein synkretistisches Gemisch aus christlichen, jüdischen, orientalischen und nordischen Kult-
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und Glaubenselementen darstellt. Mit Synkretismen, auch solchen jüngsten Datums, ist also zu rechnen. Maskenzüge und lärmende Menschen begegnen einem in allen Religionen und Kulturen dieser Erde. Totenkulte ebenso. Oftmals wird ursprünglich Fremdes unter einem Namen vereint, als sei es seit alters dasselbe. Wieviel von den einzelnen Berichten gelehrter, aus schriftlicher, nicht einheimischer Überlieferung gespeister Konstruktion verdankt wird, wieviel «lebendiger Tradition», die in diesem Falle ja über Jahrhunderte, über mehr als ein Jahrtausend hinweg mündlich erfolgt und rituell oder von Volksgebräuchen getragen gewesen sein müßte, wieviel der Schule, ob und wie die angebliche Tradition in die angeblichen Traditionsgruppen erst hineingeredet wurde, das vermag in keinem einzigen von Höflers Fällen geklärt zu werden. Der Glaube an die sich stets erneuernde Erinnerung, an ein fortdauerndes Gedächtnis schafft Erinnerung und Gedächtnis, Vergangenheitsbilder und gelehrte Konstrukte. Solche Wissenschaft zerrinnt in neuheidnische Mythologie. Selbst wenn nach 1945 über Erinnerung reflektiert wurde, geschah es ohne Interesse an der Arbeitsweise des Gedächtnisses. So widmete der bedeutende Althistoriker Alfred Heuss in seinem immer wieder zitierten Essay «Verlust der Geschichte» auch der «Geschichte als Erinnerung» ein KapiteP2. Er registrierte jetzt das längst bekannte Phänomen, daß Erinnerung «strukturell reflexiv» sei, daß nämlich «in dem Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit ... stets das eigene Selbst» erscheine, sie «stets individualisierend» verfahre, obgleich in ihr entsprechend der menschlichen «Konstitution als interpersonaler Individualität» auch Kommunikation widerscheine, daß «Erinnerung ... immer selektiv», der Mensch aber «sich seiner eigenen Kontinuität in der Zeit bewußt» sei. Der Gegenstand historischer Analyse sei indessen das «kollektive Gedächtnis», nicht das eigene des Historikers, keine «individuelle Erinnerung». Denn die «Menschen als Angehörige eines Gruppenverbandes» besäßen «ein gemeinsames Bewußtsein ihrer selbst» und ebenso «eine gemeinsame Erinnerung ihrer selbst». Sie sei «so objektiv wie diese Gemeinschaft» und resultiere aus einer vom Historiker ge stifteten «Kette von Tradition» aus «Zeugenschaft» und «Mitteilung». Gewiß, Heuss hat auch die Veränderung der Erinnerung angesprochen. Der Mensch bemerke «auch geschichtlich nicht zu allen Zeiten immer das gleiche». Doch hier verrät sich die mangelnde Vertrautheit mit der Erinnerungsproblematik, wie sie durch Halbwachs oder Bartlett längst dargelegt war. Denn Heuss erwähnte lediglich den Umstand, daß «bestimmte Episoden (eines) Lebens ... je nach den Stadien seines Alters ein verschiedenes Gewicht und verschiedene Bedeutung erhalten». Der-
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artiges trifft zweifellos zu. Daß aber die Belange des Historikers noch viel unmittelbarer betroffen sind, daß nicht nur Gewicht und Bedeutung erinnerter Episoden sich mit der Zeit verschieben, daß vielmehr (zum Teil als Folge jener Verschiebungen) sachliche Abweichungen hinsichtlich Zeit, Ort, Beteiligten, Umständen, Intentionen oder Verhalten und dergleichen mehr fortgesetzt die erinnerte Wirklichkeit paralysieren, nämlich «die Vergangenheit und ihre Fakten» (die auch Heuss intendierte), das bedachte der durch das Zustandekommen der weit überwiegenden Zahl gerade seiner wichtigsten Quellen extrem betroffene Althistoriker nicht. So zutreffend also seine Hinweise waren, sie blieben methodisch steril und flossen nicht in die Untersuchung der Vergangenheit ein. Sie galten dem forschenden Historiker von heute und seiner Psyche, nicht der Quellenanalyse, warfen existentielle Fragen auf, nicht methodologische 33 • Sie dienten mehr der Vergangenheitsbewältigung als der Gedächtnisforschung. Die Psychologie wurde zudem gleich der Anthropologie ausdrücklich aus dem Betrachtungs bereich des Historikers ausgeklammert34 . N euere Einführungsschriften in die Mediävistik und Geschichtswissenschaft haben dar an wenig geändert. Als repräsentativ darf für den deutschsprachigen Bereich die «Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte» gelten, die Heinz Quirin erstmals 1949, in gründlich revidierter Fassung 1961 und wiederholt seitdem vorgelegt hat35 • Sie besitzt ein einhundertseitiges Kapitel «Die Arbeit an den Quellen», in dem über allerlei Nützliches, über die «Eigenart der historischen Methode», die «Quellenlektüre», die Philologie, über die «Quellenkritik und Quellenanalyse» gehandelt wird, auch über das literarische Erbe der Spätantike, die «Stilform und Stilanalyse», «die Form als Brücke zwischen Idee und Wirklichkeit», sogar über «die mündliche Tradition des adeligen Sippenbewußtseins», über den «Autor und sein Verhältnis zur Wirklichkeit» oder «Überlieferungsweisen» (um hier nur diese Punkte zu erwähnen). Das hat alles seine tiefe Berechtigung. Doch mit keiner Silbe kommt diese Einführung auf Erinnerung, Vergessen und Gedächtnis zu sprechen, auf die «Psychologie der Aussage», auf Möglichkeiten einer Gedächtniskritik. Der Mangel ist durch nichts zu rechtfertigen, es sei denn mit dem Hinweis auf eine Wissenschaftstradition, die derartigen Fragen noch völlig fernstand. Form und Inhalt, Stil und Tendenzen historischer Texte, literarische Techniken, Urkundenlehre, Formularkunde, das «Übersetzungsproblem» (aus der volkssprachlichen Muttersprache ins gelehrte Latein), die Eleganz der Rhetorik, die Belesenheit der Quellenautoren, Zitatnachweise, das und dergleichen mehr war die tägliche Kost angehender Mittelalter-
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historiker bis in das letzte Viertel dieses Jahrhunderts - und nicht ein Hauch von Erinnerung; keine Gedächtniskritik, keine Techniken der Erinnerungskontrolle, keine Bauformen historischer Anamnese. Ist mir nichts entgangen, so werden die Vokabeln «Gedächtnis» und «Erinnerung» in der einflußreichen Quirinschen Einführung in das Geschichtsstudium nicht einmal erwähnt. Jüngeres propädeutisches Schrifttum folgt diesem Vorbild sogar noch heute 36 • Die scheinbaren Gewißheiten romantischer Forschung, die relative Gleichgültigkeit ihrer idealistischen und positivistischen Nachfolger haben die Historiker im 20. Jahrhundert gegenüber dem Erinnerungsproblem abstumpfen lassen. Sie sahen sich nicht gezwungen, sich mit der menschlichen Basis aller Geschichte Wahrnehmung und Wahrnehmungs selektion, Erinnern, Vergessen, Gedächtnis - auseinanderzusetzen. Eine zaghafte Wende, nahezu folgenlos und deshalb kein Durchbruch, trat in Deutschland mit den Forschungen von Reinhard Wenskus ein. Historiker der germanischen Welt und des frühen Mittelalters, zugleich Ethnologe, der Feldforschungen bei den Hopi in Nordamerika trieb, verstand er, Fragestellungen, Methoden und Sichtweisen der beiden Disziplinen zu vereinen. Wenskus entwickelte dabei, den allgemeinen Tendenzen der westdeutschen Mediävistik nach :1945 folgend, in Anlehnung an ethnologische Forschungen eine neue Verfassungsgeschichte. Die Ergebnisse legte er in einem epochalen Werk nieder, das als solches noch kaum gewürdigt wurde 37 : «Stammesbildung und Verfassung». Wenskus betrachtete soziale Ordnungen und politische Verbände der Spätantike und des früheren Mittelalters. Die Wandervölker der Völkerwanderungszeit wurden hier in neuer Weise gesehen, als auf Mündlichkeit angewiesene Traditionsverbände nämlich, deren Führungsgruppen die Erinnerung an die gemeinsame Abkunft, das Erzählen der gleichen Mythen vereinte. Es verlieh ihnen politische und soziale Identität, die das aktuelle Handeln in eminentem Ausmaß betraf. Wenskus hat zuletzt seine Ausführungen um religionsgeschichtliche Perspektiven erweitert, welche die völkerwanderungszeitliche «Germania» zwar «in die religiöspolitische Vorstellungswelt des gesamten Großraums von Vorderasien bis zum Atlantik» rückten, vor allem aber auf eine noch vorhandene, vielfältig und unterschiedlich ausgeprägte «Grundschicht der sog. niederen Mythologie und des Volksbrauchs» verwiesen 38 . Deutliche Grenzen trennten zwar beide Schichten; sie dürften nicht übersehen werden; gleichwohl vermischten sie sich immer wieder aufs neue und zeitigten dadurch stets andere religiöse Verhältnisse. Das alles hing eminent mit Erinnerung zusammen, oder genauer: mit Ritualen und Kulttraditionen. Die Vorgänge verraten also einiges über die Veränderungsdynamik des
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an Mündlichkeit gebundenen religiösen Gedächtnisses. Indessen hat auch Wenskus die damit einhergehenden Probleme nicht aufgegriffen und vertieft. Doch gerade darauf käme es in unserem Zusammenhang an. Die Mündlichkeit der Kommunikation und des Gedächtnisses und die in ihr liegenden Bedingungen allen Wissens oraler Kulturen wurde nicht weiter erörtert. Damit blieben entscheidende Faktoren der Konditionierung historischen Wissens und des Wissenstransfers aus der Vergangenheit in die jeweilige Gegenwart und unter Zeitgenossen nach wie vor von der Quellenkritik unbeachtet. Auch die durch Mündlichkeit gesteuerte Veränderungs dynamik der gemeinschaftskonstituierenden Traditionen, die ja keineswegs starr fixiert sind, vielmehr flexibel sich der sich fortgesetzt wandelnden Umwelt der jeweiligen Gemeinschaft anpassen, wurde nur bedingt erkennbar. Der Umstand etwa, daß alle uns greifbaren Abstammungsmythen nur Durchgangsstadien eines endlosen Mythendiskurses darstellen, findet sich kaum beachtet. Nicht einmal die schriftliche Fixierung schützt derartige Mythen auf Dauer vor nachhaltiger Veränderung, wie die Geschichte vom Untergang der Burgunden beispielhaft lehrt; ich komme später darauf zurück. Erst der moderne Historiker findet die Mythen ein für allemal fixiert, nämlich just in der Gestalt, in der er sie in seinen Quellen zufällig aufgezeichnet antrifft, also etwa in der Gestalt der Lieder-Edda des 13. Jahrhunderts. Hier spielen Überlieferungschance und Überlieferungszufall, auf die Arnold Esch so nachdrücklich verwiesen hat, eine alles entscheidende Rolle 39 • Doch darf diese Aufzeichnung nicht darüber hinwegtäuschen, daß jede Aufzeichnung nur ein einziges Durchgangsstadium im endlosen Fließen der Erzählung herausgriff und fixierte. Anders im Bereich der Philologien. Dort wird seit geraumer Zeit die Mündlichkeit der Literatur im weitesten Sinne untersucht. Ein ungeheurer Reichtum mündlicher Kulturen offenbart sich nun, und eine hohe, an Mündlichkeit gewöhnte mittelalterliche Wissenskultur zeichnet sich ab, die illiteraten Laien ebensoviel verdankte wie der literaten Geistlichkeit, wenn beide Gruppen teilweise auch mit unterschiedlichen Rollen an ihr beteiligt waren40 . Zumal die Vortrags situation von Dichtung trat in den Blick. Die Texte wurden einst inszeniert, nicht still für sich gelesen. Ihr Vortrag war ein kommunikativer Akt. Wort, Gestik, Mimik und Musik vereinten sich bei der Aufführungspraxis. Texte wurden gehört und gesehen, mit Aktivitäten der Zuhörer durchsetzt 41 . Mündlichkeit brachte sich dabei wenigstens zweifach zur Geltung: Einmal indem die Dichtung für sie typische sprachliche Attitüden aufnahm, zum andern indem sie regelmäßige Hinweise auf eben diese Vortrags situation selbst zu bieten
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hatte. Eine derartige Beurteilung der Mündlichkeit einer Kultur hat nun aber erhebliche Konsequenzen auch für deren Vergangenheitswissen und die Form, in der es präsentiert wird. Sie berührt also unmittelbar den Allgemein- und keineswegs nur den Literatur- oder Bildungshistoriker. Denn das historische Wissen einer derartigen Gesellschaft ist ständig im Fluß, seine Inhalte sind hoher Modulation und Instabilität ausgesetzt. Hier aber steht die Forschung noch ganz am Anfang. Auch das Gedächtnis, die Erinnerungs- und Vergessensprozesse sind grundlegend von den Medien geprägt, derer sie sich bedienen. Mündlich erinnert man sich anders als unter dem Einsatz schriftlicher Gedächtnisträger. Welche Wirkungen zeitigt es für die Vergangenheitsbilder jener Epochen? Wie läßt sich dieser Andersartigkeit näherkommen ? Welche Folgen hat sie für die Geschichtsforschung? Das Verdienst, die Oralitätsdebatte in der deutschen Mediävistik eröffnet zu haben, gebührt Hanna Vollrath42 . Die unmittelbare, eigene Begegnung mit afrikanischen Kulturen verwies sie auf analoge Situationen im europäischen Frühmittelalter. Sie zeigte, daß in der deutschsprachigen Mediävistik die Frage der Literalisierung der mittelalterlichen Gesellschaft unter unzureichenden Vorgaben erörtert wurde. Man habe Mündlichkeit lediglich als fehlende Schriftlichkeit gewertet, mithin als einen defizitären Bildungsinhalt, nicht als eine kommunikative Grundbedingung der oralen Gesellschaft. Doch nicht die Bildung, ein soziales Segment, die Gesellschaft als ganze sei vielmehr betroffen. Der gesamte Bereich des Zusammenlebens, der sozialen Ordnung, des Wissens und seiner Vermittlung, der individuellen und kollektiven Identifikationsprozesse sei von Mündlichkeit geformt und gestaltet. Mündlichkeit konstituiere einen eigenen Typus von Gesellschaft. Vollrath ist uneingeschränkt zuzustimmen. Doch kann es dabei noch nicht bleiben. Wo Mündlichkeit dominiert, herrscht zugleich das (natürliche) Gedächtnis und herrschen mit ihm alle Stufen von Modulation, Verformung, Vergessen, Verdrängen von Vergangenheit. Alle Erinnerung an Vergangenes unterliegt in schriftlosen oder weithin schriftlosen Kulturen, wo alles nur sprachlich vermittelbare Wissen an mündliche Weitergabe gebunden ist, den Bedingungen des Erinnerns. Der Umstand bringt die allergrößten Probleme mit sich. Denn er wirft seine Schatten auf das weitaus überwiegende Quellenmaterial des früheren Mittelalters und betrifft die gesamte Behandlung der Geschichte dieser Epoche - nicht nur durch die Zeitgenossen von einst, sondern auch durch die Historiker von heute. Er besitzt darüber hinaus exemplarische Bedeutung im Rahmen einer historischen Erkenntnistheorie. Die das Gedächtnis berührenden Fragen wurden in diesem Zusammen-
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hang bislang noch gar nicht gestellt: Was wird wahrgenommen und gespeichert? Unter welchen Umständen? Wie vollständig? Wie korrekt (im Sinne historischer Faktizität)? Was und wie wird selektiert? Wie und unter welchen Umständen wird es vom nie erlöschenden Vergessen paralysiert? Wie spiegeln die Produkte, also die Texte der Geschichtsschreiber und die Bericht erstattenden Notizen, mithin die erzählenden Quellen des modernen Historikers, diese Mischung aus Bewahren und Vergessen? Wie kann sie der heutige Historiker analysieren? Wie die Verwerfungen fassen? Wie entzerren? Mit welchem Instrumentarium und Gewißheitsgrad ? Die Bedingungen des Erinnerns müssen für jeden Einzelfall aufgedeckt, entsprechende Kontrollverfahren eingerichtet werden, Kontrollgruppen von Erinnerungsträgern müssen zur Verfügung stehen, um Klarheit über den Quellenwert der fraglichen Berichte zu gewinnen. Ohne derartige Rückversicherungen schweben alle Aussagen über Erinnerungsleistungen in der Luft. Nur soviel steht fest: Die Geschichtswissenschaft hat die Konsequenzen noch gar nicht angedacht, die ihr die Kognitionswissenschaft zu ziehen aufgegeben hat. Sie hat nämlich bei Gedächtnisquellen nicht, wie bislang noch stets, lediglich zu prüfen, was falsch an ihnen sei, sondern umgekehrt vorzugehen, nämlich nachzuweisen, was sie zutreffend überliefern. Denn das Gedächtnis ist ein notorischer Betrüger, ein Gaukler und Traumwandler ;und ein phantastischer Abstraktionskünstler dazu; und es bietet die lautere Wahrheit. Um so erstaunlicher ist die fortgesetzte Abstinenz der Mediävisten zumal in Deutschland gegenüber der Erinnerungsforschung43 . Selbst noch die jüngsten, durchaus für anthropologische Fragestellungen offenen Einführungen in die mittelalterliche Geschichte etwa aus der Feder von H.-W. Goetz44 oder von H.-H. Kortüm45, schweigen sich mit einer Ausnahme46 über das Gedächtnis aus. Rückt die Gedächtnisforschung einer traditionell philologisch ausgerichteten Geschichtswissenschaft, die sich nahezu ausschließlich mit literarischen Traditionen (die an ihrer Stelle zu untersuchen ja berechtigt ist) und nicht mit dem Gedächtnis befaßt, zu nahe auf den Leib? Man unterstelle, so wurde beispielsweise gegen den Versuch eingewandt, Heinrichs I. Königserhebung nach den Bedingungen mündlich überlieferten Vergangenheitswissens zu beurteilen, unzulässigerweise, Otto der Große habe «nichts mehr von den Einzelheiten der Herrschaftsübernahme seines Vaters gewußt»47. Das ist selbstverschuldete Blindheit angesichts des Erinnerns. Denn auch Ottos (und seiner Informanten) Wissen war im Gedächtnis verankert und nur dort. Wie dieses aber sein Wissen erlangt und welche Qualität dasselbe aufzuweisen hatte, das verrät, um Jahrzehnte dem Geschehen entrückt, die bloße Überlieferung
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nicht. Was immer der Kaiser wußte - Otto war, als sein Vater den Thron bestieg, sieben, acht oder neun Jahre alt -, es war von dem, was tatsächlich in seiner Kindheit geschehen war, weit entfernt, und niemand kann bis heute sagen, wie weit. Es ist aber nach den Erfahrungen der Kognitionswissenschaft mit erheblichen Verzerrungen und zwar auf allen Ebenen, den personalen ebenso wie den lokalen, den politischen ebenso wie den rituellen, den faktischen wie den semantischen und mentalen zu rechnen. Die erwähnte Kritik ist denn auch formuliert, ohne sich über die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gedächtnisses vergewissert zu haben. Das ist symptomatisch für den gegenwärtigen Forschungsstand. Kortüm beispielsweise will - so der Untertitel seines Buches - «Vorstellungswelten des Mittelalters» darstellen. Er behandelt dazu synchrone und diachrone Beschreibweisen, Mentalitäten diverser sozialer Gruppen, «Erfahrungen» und «religiöse Vorstellungen». Dagegen ist nichts einzuwenden; im Gegenteil, es ist nachdrücklich zu begrüßen. Nur, von der Psychologie ist nirgends die Rede, von jener Disziplin also, die neben den Neurowissenschaften und der Verhaltensforschung sich am intensivsten mit der menschlichen Vorstellungskraft und den vorgestellten Welten befaßt. Auch von den Bedingungen des Erinnerns wird beharrlich geschwiegen. Doch an jeder Erfahrung, an jeder Vorstellung, an jedem Wissen ist das Gedächtnis maßgeblich beteiligt; und dieses ist ein kreativer Erfinder. Es gibt kein Wahrnehmen ohne Erinnern, kein Verhalten und Handeln losgelöst vom Gedächtnis, keine 5chriftlichkeit ohne mündliche Gedächtnisleistung. So gibt es denn auch keine Vergangenheit, die sich allein auf mündliches Erinnern berufen kann, ohne Vergessen, ohne einschneidende Modulation und Manipulation des tatsächlich Erinnerten. Wer aber den «Vorstellungswelten», dem Vergangenheitswissen, den Traditionsbildungen nachgehen will, der muß sich dem Gedächtnis zuwenden. Wir stehen hier offenbar noch ganz am Anfang einer Forschung, die sich dem Erinnern und Vergessen, den Vorstellungen schriftloser Kulturen, dem kulturellen Gedächtnis buchloser und bucharmer Gesellschaften, ihren Geschichtsbildern und der Geschichtskonstruktion zuwendet. Die Lage nimmt sich in der anglophonen Forschung, auch in Frankreich nur wenig günstiger aus. Darauf kann hier wiederum nur kursorisch verwiesen werden. Paul Thompson48, Michael T. Clanchy 49, David LowenthaPO, Michael Curschmann51, Patrick J. Geary52, Michael Richter53, um nur einige zu erwähnen54, haben sich einschlägigen Fragen zugewandt, freilich auch sie, ohne die Kognitionswissenschaften sonderlich zu beach-
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Das Schweigen der Forschung
ten. Jacques LeGoff hat vor über einem Vierteljahrhundert einen Essay zu «Geschichte und Gedächtnis» vorgelegt, der übrigens zuerst in Italien erschien55 . Doch galt er mehr dem Aufkommen der Geschichtsschreibung als den uns hier interessierenden Fragen nach der Wirkungsweise des Gedächtnisses und den Implikationen für den Historiker, auch wenn diese Seite nicht völlig ausgeklammert war. Bemerkenswert ist in Frankreich die Gemeinschaftsarbeit der Brüder Tadü~, Literaturwissenschaftler der eine, Neurochirurg der andere 56 . Im deutschsprachigen Raum verharrt die Geschichtsforschung indessen zumeist bei der Betrachtung des «kulturellen Gedächtnisses», dem Ensemble der Erinnerungskultur also, der narrativen, geistigen, identitätsstiftenden, legitimatorischen oder zivilisatorischen Traditionen der Gesellschaft, ihrem sozialen und kulturellen Wissen und seinen Trägern57 . Aufs Ganze gesehen wurde die Kulturgeschichte Kultur im weitesten Sinne des Wortes verstanden - ohne zureichende Beachtung des humanen betrieben, des Gedächtnisses, seiner Arbeitsweise und Wirkungen58 . Was also tun, um der deutlich gewordenen Subjektivität und Situativität aller Erinnerung zu entkommen, auf deren Leistungen die Historiker gleichwohl angewiesen sind? Da die Geschichtswissenschaft, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Relevanz solcher Fragen noch kaum entdeckt hatte, sind andere Disziplinen, die sich mit gleichartigen Phänomenen konfrontiert sehen, um Rat zu fragen. Als hilfreich erwiesen sich zumal die Ethnologie, die (kognitive) Ethologie, die (Kriminal-, Aussagen- und Neuro-)Psychologie und nicht zuletzt die Neurophysiologie. Andere Disziplinen wie etwa die Linguistik oder Neurolinguistik müssen, um die Untersuchung nicht unangemessen aufzublähen, übergangen werden. Die Antworten aber, die sich hier abzeichneten, irritierten ein weiteres , Mal. Die Ethnologie, die größere Erfahrung im Umgang mit überwiegend mündlichen Kulturen besitzt als die Mediävistik, registrierte bei allen Völkern rund um den Erdball dasselbe Fließen und Gleiten von Erinnerungen der Vergangenheit von Kollektiven und Individuen. Das Erinnerte paßt sich fortlaufend Detail für Detail und in seinen Grundlinien den Bedürfnissen der erzählenden Gegenwart an, und wieder verrät keine Erzählung aus sich heraus, was zutrifft und was aus späterer überschreibenden Verformung resultiert. Danach wäre es grundsätzlich falsch, den mittelalterlichen, ja, überhaupt den erzählenden Quellen, soweit sie sich einem Gedächtnis verdanken, im Hinblick auf Zeit, Ort, beteiligte Personen, auf Umstände, Motive, auf andere historisch relevante Momente einen Vertrauensvorschuß zuzubilligen. Die Verhaltensforschung schärfte weiter den Sinn für die Herkunft
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des menschlichen Erinnerungsvermögens aus der vormenschlichen Evolution und damit dafür, daß das Gedächtnis dem Menschen nicht um seiner Geschichte, vielmehr um der Gegenwart und Zukunft willen, um anpassungsfähiger Erfahrung, des Wissens, der Zukunftsbewältigung wegen zugeflossen ist. Die Psychologie wartet mit in ihrer Konsequenz für die Geschichtsforschung abermals erschreckenden Testberichten und weiteren Erkenntnissen auf. Und auch die Neurophysiologie bestätigte die unzuverlässige Detailgenauigkeit eines sich an Wirklichkeiten erinnernden Gedächtnisses.
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Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
3.1
Gedächtnistypen
Wir Menschen erinnern uns, manche besser, manche schlechter, aber es geschieht durchweg in eigentümlich täuschender Weise: unscharf, unbeständig und lückenhaft, /phantasiedurchsetzt, diverse, doch reale Erlebnisse verschmelzend, unzuverlässig und in erschreckendem Ausmaß falsch. Ohne Betrugsabsicht verbreiten wir Unzutreffendes. Dieser Umstand nötigt den Historiker, der wissen will, was war, und dazu gleich einem Kriminalisten auf Erinnerungszeugnisse angewiesen ist, die individuelle und kommunikative Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses genauer kennenzulernen, um dessen Leistungen angemessen würdigen und Fehlurteile vermeiden zu können. Einmal betreten, führt dieser Weg, da alles Wissen an das Gedächtnis gebunden ist, zugleich in tiefere Schichten der menschlichen Kultur, ihrer Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen. Warum täuscht das Gedächtnis in der geschilderten Weise? Wie vermag der Mensch dennoch seine realen Erfahrungen darzustellen und sie anderen, von Mensch zu Mensch, von Generation zu Generation, über alle Barrieren von Raum und Zeit und die Abgründe zwischen den Gehirnen hinweg weiterzugeben? Wie überhaupt wird aus eingehenden Sinnesreizen Wahrnehmung, Erfahrung und ein tradierbares Wissen? Bewußte Vergangenheit? Wissenskultur? Was geschieht während solcher Transformation des Gegenwärtigen in das Erinnerte, im kommunikativen Kontext, mit dem Wahrgenommenen und Erfahrenen, mit der erinnerten Wirklichkeit? Lassen sich die erinnerungsbedingten Verformungen heilen? Die Fragen beunruhigen die Geschichtswissenschaft oder müßten es doch. Indes, jede Antwort appelliert an das Gedächtnis und entzieht sich damit ihrer primären Kompetenz. Das erste und vorläufig letzte Wort zur Sache steht vielmehr Neurobiologen, Neurophysiologen und Neuropsychologen zu. Die Psychologie und Neuropsychologie trachten dabei nach Erkenntnissen über die kognitive Leistung des Gehirns, Neurophysiologie und Neurobiologie je nach solchen über deren Zustandekommen; sie reduzieren die kognitiven und kommunikativen Phänomene auf ihr neuronales und molekulares Substrat und deren Evolution, Struktur
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und Funktionsweise. Die Geschichtswissenschaft könnte beider Nutznießer, aber auch beider Helfer sein. Denn die Organisation unseres Hirns dürfte sich in seinen geistigen und kulturellen Hervorbringungen und in den interzerebralen, gesellschaftlichen Kommunikationsnetzen spiegeln, in die jeder Mensch eingebunden ist. Wenigstens rudimentäre Kenntnisse über die Wirkungsweise des Gedächtnisses, soweit sie sich den Erkenntnismöglichkeiten anderer Wissenschaften erschließen und im Folgenden angesprochen werden, erscheinen deshalb für den Historiker unabdingbar, eben um abschätzen zu können, welche Fehlschlüsse sich ihm aufdrängen und zu welchen Einsichten diese Wissenschaften über ihr eigenes Forschungsfeld hinaus die Geschichtswissenschaft führen können. Freilich können nicht alle Wissenschaften, die sich mit dem Gedächtnis befassen, hier näher betrachtet werden. Vorgestellt werden als Hinweis auf die kognitive Evolution die Evolutionslehre und die Verhaltensforschung (Ethologie), dazu die kognitive Psychologie und die Neurophysiologie; ausgespart bleiben weitere Kognitionswissenschaften, wie Linguistik, Psycho- und Neurolinguistik oder die Kommunikationswissenschaft l . ist ein psychologischer Hilfsbegriff. Er bezeichnet die Summe individueller Hirnaktivitäten, die auf Enkodierung, Bewahrung, Wiederabruf und Vergessen sinnlicher und neuronaler Informationen gerichtet sind, seien sie Sinneseindrücke, Körpermotorik, Wahrnehmungen, Lernprozesse, Bewußtsein oder sonstige Erfahrungen. Wie es im einzelnen geschieht, ist nur zum Teil bekannt. Doch gibt es kein spezielles Zentrum, das diese Leistungen hervorbringt. Das gesamte Gehirn, der N eocortex und , subkortikale Strukturen, wirken vielmehr zusammen. Das vereint das im Laufe der Stammesgeschichte dauerhaft erworbene Können, läßt die Zellen <wissem, was sie sollen, wie sie sich erst mit ihrer zellulären, dann mit ihrer intra-, endlich mit ihrer extrakorporalen Umwelt auseinanderzusetzen und in Wechselwirkung zu treten haben. Auch Neuronen sind gleich den anderen Zellen auf Kooperation angelegt. So artikuliert sich das Gedächtnis in hochkomplexer, sich selbst organisierender Kooperation der jeweils beteiligten Neuronen und Hirnstrukturen. Die Fähigkeit zu diesem Zusammenspiel ist genetisch gesichert; wie sie sich indessen tatsächlich in neuronalen Netzwerken und deren Interaktion entfaltet, ist in starkem Maße von den kulturellen Faktoren abhängig, denen das ausreifende Hirn ausgesetzt ist. So gleicht trotz gleicher genetischer Basis auf neuroanatomischer Ebene kein Hirn einem anderen, und bringen verschiedene Individuen keine identischen Gedanken oder Erinnerungen hervor.
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Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
Auseinanderzuhalten sind <sensorisches> (oder< Ultrakurzzeit>-), - (oder -) und . Endlich gilt es, nichtdeklaratives (implizites), deklaratives (explizites) und prospektives Gedächtnis zu unterscheiden. Letzteres gilt dem Verfolgen von Zielen. Das erste erinnert als prozedurales Gedächtnis erworbene Fertigkeiten (etwa den Fingersatz beim Geigen- oder die Reflexe beim Tennisspiel), Gewohnheiten und Konditionierung; es umfaßt weiter das kategoriale Lernen (die Zuordnung von Phänomenen zu Prototypen, eine Tanne z. B. zu einer zur Eindeutigkeit gedrängt. Fehlschlüsse im Konstruktionsprozeß der Wahrnehmung sind unvermeidlich und fließen unkorrigiert dem Gedächtnis zu; sie gelten heimtückischerweise demselben für wahr. Der Zeuge macht unter diesen Umständen keine absichtliche Falschaussage, auch wenn er Falsches sagt. Ein Geschichtsschreiber fälscht unter diesen Umständen keine Vergangenheit, auch wenn er Verfälschtes tradiert. Die Feststellung entlastet manchen historischen Text vom Fälschungsverdikt und erschließt seine gleichwohl falsche Aussage für eine neue Beurteilung. Im natürlichen Gedächtnis, das keine Spezialschulung geformt hat, haften vor allem Bilder, szenische Eindrücke, Empfindungen zu Symbo-
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Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
len verdichtet oder in solche eingefangen, nicht abstrakte Sätze, keine Geschehenskomplexe, zeitübergreifende Zusammenhänge; diese aber bestimmen das schriftgestützte Gedächtnis. Das entspricht der neurologischen Beobachtung, daß visuelle Eindrücke ohne vorgeschalteten Durchgang durch das <sensorische> und unmittelbar in das eingehen können58 . Wiederholung stabilisiert die Gedächtnisinhalte. In schriftlosen oder schriftarmen Kulturen besitzen rituelle Inszenierungen - auf bildhaft-symbolische Darstellung und Wiederholung angelegt - eine erhöhte Memorierchance. Freilich laufen gerade auch sie Gefahr, den individuellen Vollzug in einem Gesamtbild aller Vollzüge aufgehen zu lassen. Die diversen Vollzüge desselben Rituals lassen sich im Gedächtnis nicht trennen. 3.5.4
Vergessen
Zum Erinnern tritt das Vergessen59; das eine vollzieht sich synchron mit dem anderen. Beide erweisen sich für Tier und Mensch in gleicher Weise notwendig. Auch das Vergessen dient dem Leben - woran Friedrich Nietzsche die Historiker schon einmal erinnerte, ohne daß angemessene Konsequenzen für das verfügbare historische Datenmaterial überdacht wurden60 • Die neuronalen Ursachen des Vergessens sind (von einzelnen Faktoren abgesehen) unbekannt, seine individuelle und kulturelle Wirkung indessen ist ungeheuer. Sein Versagen hat weitreichende Folgen, nicht nur für die Behandlung seelischer Traumata. Wie es scheint, entstehen sogar bei erwachsenen Individuen in dem für das Erinnern wichtigen Hippocampus neue Nervenzellen, deren Funktion vorwiegend darin bestehen könnte, nicht mehr benötigte Erinnerungen zu löschen; eine Störung der Eiweißsynthese scheint das Vergessen zu fördern 61 . Weitere Verformungen der Erinnerung und neuerliche Konstruktionsarbeit des Gedächtnisses sind die Folge. Psychologen und Kognitionswissenschaftler verweisen vor allem auf Interferenzen, auf das Überlagern früheren Wissens durch späteres, auf die Überschreibvorgänge als Ursache für Vergessen, nicht auf Speicherverluste des Gehirns. Denn, wie gesagt, nichts geht (solange traumatisierende Eingriffe ausbleiben) völlig verloren. Die Superskription aber verbindet diverse, doch gleichartige Erfahrungen miteinander, trennt sie nicht scharf voneinander ab, vermengt sie. Bekanntes wird leichter erinnert als Unbekanntes; traumatische Erfahrungen sind tiefer in den neuronalen Netzwerken verfangen als Routineerlebnisse 62 . Phobien sind genetisch gesteuert; Angst vergißt sich schwerer als kulturelles Wissen63 ; ein traumatisches Erlebnis, das in der Symbolsprache
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des Verletzten bis zur Unkenntlichkeit verformt erscheint, kann in einer Gedächtnis-Krypta seine ursprüngliche Gestalt bewahren 64 . Doch blendet es anderes aus. Wiedererlebtes Entsetzen löst gleichartige Aktivitäten des Gehirns wie bei dem traumatischen Sinneseindruck selbst aus. Als man Bankangestellten, die Opfer eines brutalen Überfalls geworden waren, erstmals einen Videomitschnitt des Geschehens zeigte, wurden sie erneut von der ursprünglichen vegetativen Erregung übermannt - bis hin zur Deaktivierung des Broca-Zentrums: sprachlos vor Schrecken65 • Für das autobiographische Gedächtnis spielt derartiges unzweifelhaft eine herausragende Rolle; es gestaltet seine Erinnerungen 66 • Doch auch der Allgemeinhistoriker hat die eigentümliche Selektivität und Gewichtung der Erinnerungen zu beachten, will er Gedächtnisdaten verwerten, die durch traumatische Erlebnisse gezeichnet sind67 • Auch das Vergessen erscheint somit als ein konstruktiver Prozeß. Es wirkt als ein negativer Selektionsprozeß, bald bewußt, bald unbewußt aktiv. Er sondert mit souveräner Verfügungsrnacht aus der Fülle von Sinneseindrücken und Wißbarem aus, wessen es nicht zu bedürfen meint. Vergessen macht Geschehenes - partiell, nie vollständig - ungeschehen, verformt und gewichtet Erinnertes, paralysiert das Wissen. Vergessen entlastet das Gedächtnis zugleich aber auch von einschnürendem, beklemmendem Ballast und befreit die kreative Phantasie von den Fesseln des Erlebten und Gewußten, auch von lähmendem Entsetzen. Es sorgt mit für die Selektion unter den zahllosen Einzelwahrnehmungen und Einzelerfahrungen und ermöglicht oder erleichtert so deren vom Einzelfall abstrahierende Weitergabe an das Gedächtnis. Dort aber steht das Vergessen selbst als ein <Wissens>-Muster zur Verfügung. Es ist der komplementäre Teil des Erinnerns, so sinnvoll und notwendig wie dieses. Je besser vergessen wird, desto wirksamer wird das tatsächlich Erinnerte. Auch das Vergessen dient demnach dem Überleben. Wie die Erinnerung entzieht es sich ohne äußere Hilfsmittel jeder Kontrolle. Jede Gedächtniskultur ist immer zugleich auch eine Vergessenskultur. Erinnern und Vergessen halten sich in ihrer kulturellen Bedeutung somit die Waage. Der Historiker sollte das beachten, wenn er Erinnerungsprodukte auszuwerten beabsichtigt. Er hat nach dem Vergessenen zu suchen, um jene beurteilen zu können. Bekannt ist der Fall des russischen Gedächtnisgenies S. W. Schereschewskij, auf den Alexander Lurija aufmerksam gemacht hat68 . Schereschewskij setzte Worte in Bilder um, die er etwa entlang einer gedachten Straße aufreihte, welche er dann in Gedanken abging, oder er plazierte die Wortbilder auf einer Tafel. So vermochte er lange Wortlisten binnen kürzester Frist auswendig zu lernen und sie noch nach Jahrzehnten feh-
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Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
lerfrei wiederzugeben. Die Technik ähnelte jener Gedächtniskunst, die in antiken Rhetorenschulen gepflegt wurde und auch im Mittelalter und in der Renaissance zu Ehren kam 69; und sie entsprach den Ergebnissen moderner Gedächtnispsychologie, die zeigen konnte, daß imaginale Kodierung dauerhafter und verformungsresistenter enkodiert wird als andere und gewöhnlich mit begrifflicher Kodierung im Austausch stehen. Schereschewskijs eidetisches Gedächtnis vergaß nahezu nichts. «Es war schlicht unmöglich, an die Grenzen seines Gedächtnisses zu stoßen oder irgendwelche Anzeichen eines mit der Zeit auftretenden Verblassens von Erinnerungen festzustellen»7l. Doch Abstraktionen waren ihm verwehrt; jedes Wort rief Ketten von Bildern hervor. So war es ihm, dem Gedächtnisgenie, unmöglich, vom Besonderen auf Allgemeines zu schließen oder die Bilderflut und mit ihr sein Wissen zu ordnen. Zuletzt wurde er der Flut erinnerter Bilder nicht mehr Herr, mußte seinen Beruf als Journalist aufgeben und sein Leben kümmerlich als Wortlisten-Künstler fristen 72 • Der Mensch bedarf offenbar des abstrahierenden Vergessens, um sich orientieren und überleben zu können, um aus der Fülle der Erlebnisse das Festhaltenswerte, das zu wissen Notwendige herauszufiltern. Das Vergessen tritt unabdingbar zum <erfolgreichem Erinnern hinzu. Historiker kennen die , das absichtliche Auslöschen von Menschen und Ereignissen aus der öffentlichen Kommemoration; das schleichende, kulturstiftende Vergessen aber lassen sie eher auf sich beruhen73 • Doch die Tilgung der Namen von den Stelen, die Zerstörung der Denkmale, das Streichen aus dem Buch des Lebens, die Retuschierung von Photographien, die Säuberung der Enzyklopädien, die gezielte Entleerung des Geschichtsunterrichts von ganzen Epochen in den Lehrplänen, die, wie wichtig sie waren, fortan für unwichtig gelten, setzt eine spezifische Literalität voraus. Derartige Reinigungsverfahren retten, was nicht immer beachtet wird, Verhaltensweisen in die Schriftlichkeit hinüber, die auf der Ebene mündlicher Erinnerung sich Tag für Tag ereignen. So sind wir im praktischen Leben auch bereit, derartig manipulierende Fälschungen hinzunehmen. Zu vergessen ist ein tiefes Bedürfnis höheren Lebens und komplexer Kultur. Allein der Historiker, der hinter die Vergessensprozesse, hinter die Konstruktionsarbeit des Erinnerungsvermögens, hinter die widersprüchlichen Gedächtniskolportagen schauen will, kann sich damit nicht abfinden. Was aber wird vergessen? Und warum eben dieses? Wie wirken beide, Erinnerung und Vergessen, auf kultureller Ebene zusammen? Mit welchen Folgen? Wie also hat der Historiker mit der Amnesie umzugehen? Wie seine Methoden der Datenauswertung vergessensbewußt zu schärfen 74? Davon wird noch zu handeln sein.
Vergessen
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Vergessen wird allerlei. Zumal die erfolglosen Planungen, fehlgeleiteten Erwartungen, unerfüllten Hoffnungen finden sich selten erinnert. Endzeitängste beispielsweise, die sich auf einen nah bevorstehenden Untergang richteten und wie sie in der Geschichte des Christentums regelmäßig anzutreffen sind, werden verdrängt oder vergessen, sobald der prophezeite, gar vorberechnete kritische Augenblick verstrichen ist und die Sonne noch immer scheint75 • Der Historiker hat somit den Zeitpunkt genau zu gewichten, zu dem das von ihm auszuwertende Zeugnis entstand. Denn dieser Zeitpunkt bedingt dessen Aussage, nicht das bloße Geschehen oder die zu erinnernde Wirklichkeit. Mitunter wird - als negative Inversion - das Gegenteil von dem, was ein Text sagt, der Wahrheit näher kommen als der unmittelbare Wortlaut dieses Textes. Der Autor hat ja nie an einen bevorstehenden Untergang geglaubt. Auch unerfüllte politische Ziele besitzen gewöhnlich kaum eine Chance, erinnert zu werden. Wer hätte sie denn gehegt? Sie werden ersetzt durch das tatsächlich Eingetretene, das Scheitern wird angepaßt an den Erfolg. Wer möchte nicht sein dummes Geschwätz von gestern rasch wieder zuhäufeln. Auch jetzt gilt es, den Zeitpunkt genau zu prüfen, zu dem eine Aussage gemacht wurde, bevor diese selbst gewürdigt werden kann. Psychische Verdrängung verformt Erinnerung. Die symbolische Repräsentation des Verdrängten in der Sprache gestattet aber dem Analytiker mitunter über die Dechiffrierung der sprachlichen Symbole deren unbekanntes Komplement in der Wirklichkeit aufzuspüren. Das Verfahren ähnelt der Auseinandersetzung mit dem mehrfachen Schriftsinn antiker und mittelalterlicher Autoren, dem historischen (Jerusalern als Stadt), dem symbolisch-allegorischen (Jerusalem als Kirche), dem moralischen (Jerusalem als Inbegriff der Wahrhaftigkeit) und dem anagogischen (Neues Jerusalem als künftiger Äon) nämlich76 . Es ist, als spräche ein Autor fortwährend auf der Ebene des allegorischen oder moralischen Sinnes, um historische Botschaften zu vermitteln. Das Beispiel zeigt, daß es zwischen Psychologie und Mediävistik (methodische) Gemeinsamkeiten gibt, die noch kaum ausgelotet sind. Moralische Exempel verlangen mitunter nach ihrer Transponierung auf die historische Ebene. So bietet die Psychologie erste Beiträge zu einer Formanalyse der Verformung.
1.1.6
Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
3.6
Einsichten durch Neurobiologie und Neuropsychologie
3.6.1.
Zur Vorgeschichte der Fragestellung
Die Frage nach dem Zusammenspiel von Geschichte und Gehirn besitzt eine lange Vorgeschichte. Sie kann sich auf erlauchte Ahnherren des englischen Empirismus berufen. So zog Francis Bacon eine Verbindung zwischen Gehirnfunktionen und Wissensformen77 und schickte Thomas Hobbes, der sich schon zuvor auf die «Humane Nature: or the fundamental elements of policie» (1.650) eingelassen hatte, seinem «Leviathan, or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth, ecclesiasticall and civil!» (1651) einige Ausführungen über die Sinne voraus, über Wahrnehmen, Imagination und Gedächtnis, über die Gedankenfolge beim Denken und dergleichen mehr, weil er davon überzeugt war, daß der Mensch nichts denken könne, was nicht zuvor als Sinneseindruck gegeben sei78 • Diese schlichte Psychologie entsprach dem Wissen seiner Zeit, und man hätte von seiten der Historiker systematisch weiter in diese Richtung forschen können. Descartes glaubte ja schon, in der Mathematik ( ständig aktiv und stehen fortgesetzt in interner Wechselwirkung, ohne sich schon in einer bestimmten Weise gruppiert zu haben. Sie bieten gleichsam ungefragt und je für sich immer aufs neue Wahrnehmungs-Hypothesen an, die an den eingehenden Außensignalen geprüft werden, und feuern erst dann synchron, wenn eine Assoziation gemäß den eingehenden Außensignalen als erfolgreich betrachtet wird95 • Erst damit ist das relevante Objekt wahrgenommen. Jede Wahrnehmung ist von einer Unzahl dynamischer, selektiver und sich selbstorganisierender hirninterner Vorgänge geprägt; sie ist somit nur zum Teil abhängig von dem, was tatsächlich geschieht. Sie deckt sich auch nicht ohne weiteres mit den Wahrnehmungen anderer, und repräsentiert dennoch bis zu einem gewissen Grad für das von außen stimulierte, wahrnehmende Hirn äußere Wirklichkeit.
Reiz- (Informations-)Verarbeitung des Hirns
].6.]
1.21.
Reiz- (Informations-)Verarbeitung des Hirns und neuronale Netze
Hohe neuronale Plastizität stattet Tier und Mensch mit Lern-, Erinnerungs- und Anpassungsfähigkeiten an wechselnde Umweltbedingungen aus, die um so größer werden, je höher die fragliche Species phylogenetisch eingeordnet wird, je komplexer die neuronalen Schaltsysteme und je flexibler seine Spielräume sind96 • Die Nervenzellen bedienen sich elektrischer Wellen unterschiedlicher Frequenz, die meßbar, analysierbar und elektroenzephalographisch darstellbar sind. Diverse bildgebende Verfahren können die jeweiligen Aktivitätszentren sichtbar machen. Charakteristische Wellen- und Oszillationsmuster spiegeln ihre Tätigkeit97 . Lernvorgänge und Kurzzeitgedächtnis etwa manifestieren sich in derartigen Wellenmustern; komplexe Wahrnehmungsvorgänge, die subjektiv als Einheit empfunden werden, zeigen sich als synchrone Oszillation der Gehirnströme in den beteiligten Hirnstrukturen. Auch die an Hören, Lesen, Sprechen und bewußtem Erfassen derselben Wörter beteiligten Hirnregionen synchron98 . Neurobiologen kooperieren mit Mathematikern, um mathematische Modelle zur Funktionsweise dieses mit der Umwelt kommunizierenden Systems zu finden 99 . Eingehende Signale werden zerebral in die «Sprache» des Gehirns übertragen, nämlich unter Einsatz von Proteinen und chemischen Transmittern sowie der erwähnten elektrischen Ströme zu elektrischen und chemischen Signalen und Signalsequenzen transformiert und über vorhandene oder bis zur Pubertät aufzubauende an die relevanten Hirnzentren zur Einspeicherung weitergeleitet. Derartige Enkodierungen bilden die Grundlage kognitiver Tätigkeit mit Einschluß des Gedächtnisses und des Bewußtseins. Das Hirn organisiert dies ohne ein internes Leitungszentrum als ein komplexes, selbstreferentielles, taxonomisches (Bewertungen durchführendes) System. Es steuert sich, ohne daß die internen Bewertungen zu Bewußtsein gelangen, bis hin zu Fehlerdiagnosen selbst. Das Chemie- und Elektrizitätswerk im Kopf kann nicht abgeschaltet werden, es arbeitet unablässig - bewußt und unbewußt, im Wachzustand, im Schlaf, im Traum; auch jene Bewertungen finden ständig - wachend, schlafend, träumend - statt; das Hirn bringt somit ununterbrochen seine Leistungen hervor, indem äußere, eben zu enkodierende Signale mit internen, bereits in der elektrochemischen Sprache verfügbaren Bewertungsmustern zusammenwirken. Aktive Wahrnehmung der Umwelt wirkt als mächtige Stimulanz zur Ausbildung von Gehirn, Gedächtnis und Bewußtsein lOo • Die entscheidenden Schritte werden mit dem Homo habilis, der frühesten Stufe des
122
Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
Menschen (vor ca. 1,8 Millionen Jahren), manifest. Assoziationszentren wie der nur dem Menschen eigentümliche parietal-okzipital-temporale Knotenpunkt entstanden. Das zu vermutende erhöhte Erinnerungsvermögen und die erschließbare Fähigkeit zum Darstellen und vielleicht zum Sprechen hängen damit zusammen. Das Broca-Areal als motorisches Sprachzentrum des Hirns, das, so lehrte man allgemein, Grammatik und Syntax kontrolliere, und das Wernicke-Areal als sensorisches Sprachzentrum, das die Semantik lenke, beide in der linken Gehirnhälfte gelegen, galten dafür in erster Linie für zuständig. Die Zentren des bewußten, aufmerksamen Handeins sind nicht dieselben wie jene der eingeübten Routine 101 . Auch wenn die frühere «Annahme eng lokalisierter Zentren mit kleinen Speichereinheiten» nicht mehr geteilt wird und gesichert erscheint, daß das gesamte Gehirn über neuronale Netze und Cluster an der Hervorbringung seiner diversen Leistungen beteiligt ist, so steht doch außer Zweifel, daß die genannten Zentren, das Broca- und Wernicke-Areal, durch weiträumige Vernetzung und Synchronisierung ihrer Aktivitäten unmittelbar am Sprachprozeß beteiligt sind 102 . Beide Areale aber liegen inmitten jenes parietal-okzipital-temporalen Knotenpunktes, in dem sensorische, visuelle, akustische und taktile Informationen verarbeitet werden. Diese Region, wesentlich für kognitive Informationen wie etwa das Gedächtnis zuständig, organisiert die aufwendige Kooperation von Sinneseindrücken und Bewegung. Das Broca-Zentrum könnte sich geradezu zu solchen Kooperationszwecken gebildet und die entsprechenden Verbindungen hergestellt haben, Sprechen und Erinnern sich mithin als Funktionen im Koordinationsbereich von Sinneseindrücken und Bewegung erweisen. Der funktionale Druck macht sich dauerhaft bemerkbar. Aktive Beteiligung an einem Geschehen steigert, wie Experimente zeigen, noch immer Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen eines jedweden Zeugen. Paläoanthropologische Funde legen die Annahme nahe, daß sich das Broca-Zentrum lange vor den zum Sprechen nötigen anatomischen Veränderungen am Stimmapparat ausgebildet hat. So dürften andere Artikulationsformen, etwa ein Gesten-und Zeichensystem mit Einschluß akustischer Signale und deren erinnernder Speicherung, der eigentlichen Sprache vorausgegangen sein. Entsprechendes wurde bei taub geborenen Kindern beobachtet, die in roher Form selbst Abstraktionen wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darzustellen vermochten. Denn, so wird vermutet, die neurobiologische Struktur des Gehirns und die kognitive Kompetenz, wie sie sich beim Homo habilis ausbildeten, werden bei dem in Gemeinschaft lebenden Menschen immer ein abstrahierendes
Die Arbeitsweise des Gedächtnisses
1.2)
Darstellungssystem hervorzubringen in der Lage sein und nach einem solchen trachten 103. Die neuronalen Vernetzungen werden dem Menschen bei seiner Geburt nur zum Teil mitgeliefert; das Fehlende hat er unter dem Einfluß seiner Umwelt selbst, wenn auch in einem genetisch vorgegeben Rahmen zu knüpfen. Dies geschieht bis zur Pubertät in vermutlich für jede Fähigkeit (wie etwa das Sehen) und Kompetenz (wie das Sozialverhalten) jeweils kritischen Phasen, die, wenn nicht irreparable Schäden eintreten sollen, einzuhalten sind. Ein , ein zeitigt nicht nur verminderte Leistungsfähigkeit, sondern im Extremfall gerade auch völlige Unfähigkeit zu den entsprechenden Hirnaktivitäten. Unser gesamtes späteres Wissen, Können und Gedächtnis bis hin zu Selbstbewußtsein ist entscheidend von diesem Vernetzungsfahrplan geprägt. ; bleibt der Zugang zu diesen Schaltungen - aus welchen Gründen auch immer - blockiert, wird . Je stärker das Gedächtnis gefordert und beansprucht, je regelmäßiger es trainiert wird, desto intensiver können die beteiligten neuronalen Verschaltungen genutzt werden. Das ist bei Tier und Mensch im wesentlichen gleich. Hier wie dort stieg während der Evolution mit fortschreitenden Anforderungen an das Wahrnehmungs- und Orientierungsvermögen zu komplexem Erfassen von Umwelt, Nahrung, Konkurrenten und Feinden der Selektions druck in Richtung eines immer komplexeren, flexibleren, Gedächtnisses; hier wie dort entstanden körperexterne, soziale und - nicht nur beim Menschen - auch kulturelle Techniken und Verhaltensweisen, welche die genetisch bedingten, körperinternen Dispositionen und Fähigkeiten verstärken und mitunter auch lenken. Mit der Ausbildung des Neocortex erhöht sich die Empfänglichkeit für mehr und komplexere Reize sowie die Plastizität des Gehirns bis hin zu Bewußtsein und Selbstbewußtsein, dessen Anfänge wenigstens beim Schimpansen zu beobachten sind; mit ihnen weitet sich der Horizont möglicher Antworten auf eingehende Informationen. Die Funktion der Reize und ihrer Beantwortung ändert sich dabei; doch kann das hier nicht weiter referiert werden. Auch bleibe das traumatisierte Gedächtnis außer Betracht. Erlebnisse fließen einem Hirn als komplexe, zum Teil mehrdeutige Informationsmengen zu. Es verrechnet die Fülle der eingehenden Signale grundsätzlich in gleicher Weise: die optischen so gut wie die akustischen, thermischen, olfaktorischen, taktilen oder sonstigen mit dem psychischen, emotionalen, kategorischen, semantischen, linguistischen und dem übrigen relevanten und verfügbaren <Wissen> des Hirns zu dessen Wahrnehmungen, internen Beurteilungen und Konstrukten. Dieses Verrechnen ist die neuronale Konstruktion der Wirklichkeit, die als Engramme der Abfolge neuronaler Aktivität vom Hirn, im Gedächtnis, gespeichert wird. Zahlreiche variable und noch unbekannte Faktoren spielen hier zusammen. Doch stets kommt es zu individuell variierenden, nämlich von den je aktuellen Bedingungen des operierenden Hirns bestimmten Konstrukten, die den Konstrukten anderer Hir-
Die Arbeitsweise des Gedächtnisses
1.25
ne nur insoweit gleichen, als deren Arbeitsbedingungen und zu verarbeitenden Informationen gleich sind. Um einer Reizüberflutung vorzubeugen, bedarf es zuverlässiger <Schutzmaßnahmem des Hirns. Es muß noch vor jeglichem Bewußtwerden aus den unzähligen Informationen, die ihm fortwährend zufließen, fortgesetzt auswählen, muß zwischen und , <wichtig> und unterscheiden und die entsprechenden Ergebnisse festhalten, mithin vergessen oder erinnern. Es muß dazu intern bewerten, etwa Gleichartiges zusammenfassen, von Einzelheiten abstrahieren, Auffälliges und Ungewohntes verarbeiten, um endlich das nicht zu Übergehende in seiner eigenen Sprache - elektrische Impulse, chemische Signale - zu enkodieren und als (modulierbares) Engramm zu speichern. Viele Signale bleiben unbewußt, aber wirksam. Auch derartige Bewertungen, Enkodierungen und Speicherungen sind sich selbst steuernde, flexible neuronale Prozesse ohne lenkende Oberinstanz, bei denen ausgedehnte Regionen des Gehirns synchron beteiligt sind; auch sie vollziehen sich unbewußt. Doch können hier bereits Fehler auftreten, nicht erst während der dritten Phase der Gedächtnisarbeit, dem Wiederabruf des Gespeicherten 106. Die entsprechenden Bewertungszentren sitzen im (phylogenetisch lernte.
132
Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
3.8
Wirklichkeit und Sprache
Die Wirklichkeit, mit der es der Historiker - von Objekten und archäologischen Befunden einmal abgesehen - gewöhnlich zu tun hat, wird ihm also durch die Sprache vermittelt. Gegenwärtige Gegebenheiten können ferner, das folgt aus den Wahrnehmungsbedingungen, denen wir Menschen unterliegen, nur kontextuell gebunden wahrgenommen werden, nie absolut jenseits eines Kontextes erfaßt, dargestellt und überliefert werden. Historiker müssen deshalb beides, Kontext wie Einzelheiten, aus den tradierenden Sprachzeugnissen, ihrem gewöhnlich als Erzählung gefaßten empirischen Datenmaterial, heraus filtern, um sich ihrem Gegenstand, eben der , zu nähern, wie immer sie dieselbe dann hervorbringen und konstruieren. Heute betrachtet man - zumal in postmoderner und sozialkonstruktivistischer Perspektive - mit Vorliebe jede Erzählung primär als Text, als ein literarisches Gebilde, als Reflex eines weitläufigen Diskurses, und würdigt sie entsprechend; historische Quellen werden da nicht ausgenommen. Diskursanalytische Methoden genießen denn auch und keineswegs zu Unrecht hohes Prestige. Historiker indessen sollten diese Erzählungen zunächst als sprachliche Phänomene behandeln; denn hinter jedem Text steckt Sprache, hinter der Sprache aber wirkliches Leben. Keine Erzählung ist ursprünglich Text, bloße Literatu~ im Kern Diskurs. Keine Sprache difnt ursprünglich literarischen Textproduktionen, irgendwelchen Texterklärungen oder Diskursen; jede vielmehr der hirninternen, neuronal zu enkodierenden symbolischen Repräsentation äußerer Wirklichkeit und der Kommunikation über dieselbe. Sie repräsentiert diese Wirklichkeit in näher zu bestimmenden Grenzen zuverlässig, hinlänglich genau, nämlich wiedererkennba~ ja, voraussagbar, sonst hätte das Menschengeschlecht, das sich auf die Sprache verließ, kaum überlebt und seine Kulturen entfaltet. Die Leistungskraft der Sprache ist evident: Wir können anderen Menschen sprachliche Beschreibungen liefern, die sie nie gesehene Dinge auffinden lassen. Wir können mit Hilfe der Sprache Fremden nie betretene Wege weisen, die sie tatsächlich an das erstrebte Ziel führen. Kriminalisten können einen Täter mit sprachlichen Mitteln in die Enge treiben, so daß er gesteht. Wissende können Anweisungen erteilen, welche die erwarteten Ergebnisse zeitigen. Wir können mit Sprache planvoll Erlebniswelten in fremde Seelen zaubern, die nie geschehen sind. Kurzum: Wir verstehen einander selbst über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg, auch wenn das Nichtverstehen viele Residuen hat. Auch Irrtum ist möglich.
Wirklichkeit und Sprache
133
Autonome, ihren eigenen Regeln unterworfene Sprachoperationen, rein sprachliche Schöpfungen und Inhalte, die nur sprachlich existieren, verbalisierte Abstraktionen und Hypostasierungen, Texte und Diskurse sollen nicht geleugnet werden. Aber sie treten zu jener in der vorhumanen Lautgebung angelegten Wirklichkeits symbolik hinzu und gewinnen ihre Überzeugungskraft aus eben dieser die Wirklichkeit repräsentierenden Symbolik, derer sich die Sprache bedient. Es besteht somit nicht bloß ein kulturell, vielmehr ein auch genetisch vermittelter Zusammenhang zwischen der Sprache und der Wahrnehmung von Wirklichkeit, ein neurokultureller Konnex. In der Tat, wir lernen unsere Muttersprache nicht an Hand einer Sammlung elaborierter Texte, ja, überhaupt nicht als Texte, vielmehr mit ihrem gesamten Reichtum, mit Wortschatz, Syntax, Semantik, Metaphern, mit Melodik, Tempora und Modi, mit Erzählmustern und sonstigen narrativen Mitteln, mit Wortspielen und semantischen Scherzen, auch mit entsprechenden Täuschungsmanövern, in ihrer ganzen mimischen, gestischen, affektiven Ausdrucksbreite, kurzum mit allen wesentlichen Feinheiten, die uns unsere Erzieher und unsere Gesellschaft zur Verfügung stellen können - vielmehr lernen wir die Sprache unbewußt durch kommunikative Nachahmung als Kleinstkinder, Unmündige und Kinder bis zur Pubertät, durch individuelles Hineinwachsen in das uns vermittelte Zeichensystem für die reale Welt, die uns umgibt. Weite Bereiche der Wirklichkeit werden uns über die Sprache vertraut. Das geschieht längst, bevor wir eine Erzählung als solche zu durchschauen, einen Text zu analysieren vermöchten und den sprachlichen Gebilden einen metaphysischen Überschuß zuweisen, der jene Wirklichkeitssymbolik transzendiert. Unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit ist durch frühkindliche Präge- und Lernprozesse an die Sprache gebunden. Laute, Worte, Sätze, alle Syntax, Semantik, Expression und Melodik, alle Tempora und Modi, die Erzählmuster und, was dergleichen mehr, sind für uns, wenn wir sie internalisieren und neuronal enkodieren, in erster Linie Wirklichkeitssignale, die uns im beginnenden Leben aneignende Orientierung in dieser Welt oder doch in unserer Umwelt erlauben, und an Hand derer wir uns tatsächlich in Raum und Zeit, in der Gesellschaft und in deren Sinnwelten, auch in unseren Erinnerungen zurechtfinden, was immer kindlicher Spieltrieb oder spätere Kultur aus dem Sprachvermögen macht. Sprache und Wirklichkeit fließen für uns ineinander. An diesen Wirklichkeitswert der Sprache halten wir uns ein Leben lang; er geht uns (von traumatischen Entwicklungen abgesehen) zu keiner Zeit verloren und mischt sich allem Sprachgebrauch und allen sprachlichen . Wahrnehmungen unter. Selbst wenn wir später die Sprachfiguren
1.34
Neurokulturelle Grundlagen der Geschichtswissenschaft
und erfassen, gar selbst anzuwenden verstehen, geschieht es vor dem Hintergrund eines impliziten Wissens um die Non-Fiktionalität der Sprache, ihre Wirklichkeit vermittelnde Funktion. Obgleich alle Wahrnehmung subjektiv und in keiner anderen Form möglich ist - nur ein Individuum kann sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, empfinden und sich des Wahrgenommenen bewußt werden, sprechen oder lesen, kein Kollektiv -, so objektiviert eben die Sprache als das Zeichensystem eines Kollektivs doch zugleich die wahrgenommenen Befunde. Sie macht sie anderen mitteilbar, wenigstens partiell nachvollziehund nachprüfbar. Das folgt aus dem Spracherwerb, der sich einer dynamisch an Komplexität zunehmenden Interaktion des heranwachsenden Individuums mit seiner sozialen und dinglichen Umwelt verdankt. Subjektivismus der Wahrnehmung, individueller Erwerb der kollektiv geprägten Sprache, individueller und kollektiver Denkstil, Objektivismus gehen hier ineinander über, auch wenn erfahrungsbedingt stets Bereiche bleiben, in denen sich zwei Individuen trotz gleicher Muttersprache nicht verstehen. Aller Zeitgeist, alle kollektiven Einstellungen und Merjtalitäten werden in derartigen Austauschprozessen begründet, gehegt und in deren Vollzug fortgesetzt transformiert. Das Wissen, die anderen sind Wesen wie ich (ein Wissen, das uns vermutlich über sprachliche Kommunikatikon zugeflossen ist), die Fähigkeit, sich entsprechend in andere hineinzuversetzen, Interaktionsmuster des Typs: dch weiß, daß du weißt, daß ich weiß> erhöhen die Leistungskraft dieses Austausches mit ein wenig Geduld sogar in fremdem gesellschaftlichem Umfeld. Eine Erzählung (wie sie auch historiographischen Quellen zugrunde liegt) ist somit primär kein Text, kein literarisches Gebilde, vielmehr ein komplexes Gefüge von (in ihrer Leistungsfähigkeit noch genauer zu bestimmenden) Wirklichkeitssignalen, die auch als solche gemeint sind und als solche verstanden werden. Erst aufgrund breiter Erfahrung und mit erheblichem intellektuellen Aufwand, oftmals erst verzögert und spät und keineswegs stets werden unwirkliche Geschichten und fiktionen und, was immer eine nur sprachliche Existenz führt, als solche durchschaut. Zu erinnern ist an Kinder, die sich zu Tode stürzten, weil sie die Geschichte von für Wirklichkeit nahmen. Es ist der Wirklichkeit repräsentierende Charakter der Sprache, der psychische Wirklichkeiten, Realitäten allein der Seele, zu erschaffen vermag. Mit diesen Hinweisen sei in keiner Weise bestritten, daß <Wirklichkeit> als ein mentales Konstrukt erscheint. Ganz im Gegenteil: Sprache ist eine kulturelle und kommunikative Größe, auch wenn ihr genetisch und neuronal gelenkte, mithin körperliche Bedingungen gesetzt sind. Doch darf der Wirklichkeitsgehalt des explizierten Konstrukts nicht un-
Gedächtnis als konstruktiver Prozeß
135
terschätzt werden. Wir konstruieren zwar die Welt, die wir wahrnehmen; diese Feststellung stimmt durchaus mit der Arbeitsweise des Hirns überein. Aber das Konstrukt ist als solches, nur deshalb, weil es ein Konstrukt ist, keinesfalls ohne Realitätsgehalt. Es mag unvollständig, fragmentarisch sein, nur wenige Dimensionen einer vieldimensionalen Welt erfassen, eine höchst subjektive Färbung besitzen oder sonstige Schwächen aufweisen, dennoch repräsentiert es im Hirn selbst ohne Zutun des Bewußtseins hinlänglich genau äußere Wirklichkeit. beispielsweise ist als Begriff, als ein Zeichen, eine kulturelle Schöpfung, als Wahrnehmung. aber eine unbewußte Verrechnungsleistung eingehender optischer Signale durch das Hirn, die dasselbe im Laufe der Evolution gelernt hat, mit ... Da trat jm der Bapst noch einest auf! den Hals und sprach: <et mihi et Petra»>. So empfing Friedrich gedemütigt die Absolution und den apostolischen Segen 13 • Kritischer Sinn hatte noch keinen Besitz von Erinnerung, kulturellem Gedächtnis und Geschichtserzählung ergriffen, und kein Mensch stieß sich daran, daß allenthalben andere Geschichten erinnert, niedergeschrieben und verbreitet wurden, und daß niemand war, der fremde Erinnerung zu korrigieren begehrte, solches gar vermocht hätte. Erst in altgläubiger Abwehr derartiger Konstrukte sah sich das Gedächtnis mit den Quellenzeugnissen des Geschehens von einst konfrontiert. Mit dem 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzungen, setzt denn auch, worauf hier nicht weiter einzugehen ist, die historische Aufklärung ein; sowohl die päpstliche als auch die kaiserliche Seite artikulierten nun Gegendarstellungen. Zu Recht berühmt sind die bewundernswerten, methodisch innovativen «Annales ecclesiastici» des Kardinals Caesar Baronius (1605-1612). Der Glaube verlangte nach Entmythologisierung der Historie. Sogar in Venedig irritierte bereits um 1500 das Fehlen jeglicher urkundlichen Überlieferung zur (angeblichen) Verleihung der Herrschaft
Venedigs Sieg über Friedrich Barbarossa
161
über das Meer durch Alexander III. Sie stünde, so beantworteten im Jahr 1505 venezianische Gesandte die bedrohliche Frage des Papstes Julius II. danach in höchst delikater Weise, auf der Rückseite der «Konstantinischen Schenkung» zu lesen, jenem Dokument also, dem das Papsttum nach Auffassung der Zeitgenossen seine weltherrscherliche Stellung verdankte, und das damals bereits seit zwei Menschenaltern in Verruf geraten war, unter dem Druck der konfessionellen Kämpfe alsbald aber wieder und dann bis ins 19. Jahrhundert seine ku:uialen Verteidiger fand. Auch Venedig sah sich somit einstweilen nicht genötigt, sein Vergangenheitsbild kritisch zu durchleuchten oder gar zu revidieren 14 . Erst die Darstellung des Baronius 15 brachte hier die endgültige Wende. Was aber war geschehen? Ein Implantat in das kulturelle Gedächtnis Venedigs hatte tatsächlich andernorts etwas Neues hervorgebracht und dort einen Haß zu artikulieren erlaubt, den kein geschichtsschreibender Doge je intendiert hatte. Eine zwiefache Wirkung ging somit nun von dem historischen Geschehen aus: Der tatsächlich geschlossene Frieden von Venedig im Jahre 1177, dessen Dokumente erhalten sind,16 wirkte ebenso fort wie jenes Implantat. Auch dieses war real und schuf, einmal ins kulturelle Gedächtnis eingespeist, eine neue Wirklichkeit. Damit beginnt die Arbeit des Historikers, der beide zu erforschen hat. Wie kann er Kollusion und Kollision von Wirklichkeit und Implantat erfassen? Wie jene konstruierten Gespinste des Gedächtnisses durchdringen und zur Wahrheit wenigstens der äußeren Fakten sowie der realen Wirkungen derartiger Einschaltungen, gar zur Wahrheit des ganzen bald grandiosen, bald erschreckenden, doch stets folgenreichen Geschehens vordringen? Zur Schlacht an der Punta Salvore? Zum Frieden von Venedig? Zur Geburt des Hasses? Zu vergangenen Wirklichkeiten? Ein Kinderspiel! Lächelnd winkt der erfahrene Quellenkritiker und Geschichtsforscher angesichts der venezianischen Mären und Bildinszenierungen ab. Diese und jene Quelle, hervorragend informiert, zeitnah, zuverlässig, die Fülle der originalen Urkunden und der sonstigen Zeugnisse, ein kurzer Vergleich, ein Blick in die Handbücher und Regestenwerke falsifiziere die ganze Geschichte von des Papstes Flucht und der Schlacht und dem Fuß auf dem Nacken des Kaisers. Zudem ließen sich die einzelnen Elemente, aus denen die Fiktion sich konstruiert sieht - biblische Sprüche, ältere Papstbilder, Mythen, reales Geschehen -, schon früher nachweisen; erst ihre Vereinigung erfolgte im 14. Jahrhundert, wobei wir allerdings weitere, nicht überlieferte Vorstufen vermuten müssen. Interesse verdiene allenfalls, warum und von wem diese Fabeleien ins Leben gerufen wurden, wieweit ihre Urheber selbst an sie glaub-
162
Zwischen Hirn und Geschichte: Implantierte Erinnerungen
ten und warum sie es taten, wer noch auf sie hereinfiel, wie sie fortwirkten. Doch leicht zu entlarvende Lüge seien sie allemal. Rasch und ohne sonderlichen intellektuellen Aufwand erkennt dieser Historiker das «vitale Interesse», das offenkundige venezianische Legitimationsbedürfnis, die Herrschaftsrepräsentation der Serenissima, den Kampf um die Adria, die spannungsreichen Beziehungen zum Heiligen Stuhl, die diesen Chronisten, die selbst wiederholt Dogen waren oder wurden oder dogalen Familien entstammten, die Feder führten und irreale Fiktionen zeitigten. Er durchschaut, jener Historiker, den verherrlichenden Diskurskontext, in den sich das ganze Geschehen gestellt findet, die ätiologischen Momente zur Erklärung der «Trionfi» des Dogen; das spätere, in Augenblicken arger Bedrängnis dringliche Buhlen gerade um die Gunst des Papstes, der - zum Nachbarn auf Venedigs «Terra ferma» geworden - weithin und gefahrverheißend der Markusrepublik aus mancherlei Gründen zürnte; er enthüllt endlich auch, dieser moderne Forscher, daß die Erzählung gezielt mit den Erwartungen des lauschenden Publikums spiele, daß, was sie brachte, von Vorurteilen gefiltert aus einem breiteren Wissen selektiert worden sei, daß absichtsvoll ausgesuchte Erzählmuster die Adressaten der Mär für sich einnehmen sollten. Kurzum, dieser Historiker entdeckt den Erzähler und sein Publikum als gestaltende Mächte der Vergangenheitsbilder und mit diesen der Gegenwart, entdeckt die Manipulierbarkeit jedweder Geschichte und wie jenseits derartiger Manipulation alles wirkliche Leben verschwimmt. Ein großer Triumph der entmythologisierenden Geschichtswissenschaft. Aber er hat noch zu wenig erkannt und keineswegs die methodologischen Konsequenzen seiner Entdeckungen schon erfaßt, solange er, dieser belesene Historiker, übersieht, daß alle diese Momente nur Faktoren eines viel umfassenderen Faktorenbündels darstellen, das insgesamt auf die konstruktiven Operationsweisen von Hirn und Gedächtnis verweist, die auch das allgemeine Wissen beherrschen. Im Falle des Seesieges an der Punta Salvore tritt es offen, wenn auch bislang noch kaum durchschaut zutage l7 • Hatte doch Venedig nur ein Vierteljahrhundert nach der angeblichen Seeschlacht einen echten, einen grandiosen und die Welt tatsächlich verändernden Sieg errungen: im Jahre 1.204 nämlich, als unter Führung seines Dogen Enrico Dandolo und unter maßgeblicher Beteiligung seiner Kriegsflotte die Kreuzfahrer Konstantinopel eroberten. Dieser Sieg veränderte gründlich die politische Konstellation im Osten des Mittelmeeres und schuf die Voraussetzung für Venedigs beherrschende Machtstellung in der östlichen Mediterranee. Doch war er unter skandalösen und rechtlich anstößigen, von vielen Zeitgenossen scharf kritisierten Umständen erfochten.
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Venedigs Sieg über Friedrich Barbarossa
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Das kulturelle Gedächtnis Venedigs reagierte umgehend darauf. Der reale Sieg, der in der Stadt und zum al in und an S. Marco und in seinem Schatz mit zahlreichen Kostbarkeiten und Spolien aus Konstantinopel, mit heiligsten Reliquien, welche jahrhundertelang in Prozessionen zur Schau gestellt wurden, unvergeßlich und immerfort gegenwärtig zu sein schien, wurde in Venedig zwar nicht mit Schweigen übergangen, aber zu keiner Zeit in einer seiner Bedeutung angemessenen Weise erinnert; er sah sich eher heruntergespielt, irgendwie marginalisiert, geradezu verdrängt. Erst nach dem Fall Konstantinopels im Jahre 1453 und angesichts der wachsenden Türkengefahr im 16. Jahrhundert sollte es sich abermals ändern - jetzt freilich unter den Vorzeichen einer von Renaissance und humanistischer Quellenkritik geprägten Geschichtsschreibung. Für die älteren Historiographen indessen war es ein Sieg zumal der Kreuzfahrer, die Venedig für seine Hilfe angemessen entschädigten. Allein, daß er «Herr über ein Viertel und die Hälfte des ganzen Kaiserreichs der Romania» sei, fügte der Doge fortan seinem Titel (bis 1356) bei. Immerhin registrierte sein Nachfahre, der Doge und Geschichtsschreiber Andrea Dandolo anderthalb Jahrhunderte später, daß Enricos «wundervolles Werk den Staat der Venezianer gewaltig vergrößert» habe. Der Chronist stützte sich, als er daran erinnerte, auf Akten und Verträge. Seine Darstellung ging denn auch - so scheint es - über eine nüchterne Berichterstattung nicht hinaus; tatsächlich freilich reinigte er das Geschehen von allen zwielichtigen, skandalträchtigen Implikationen und bösen Anschuldigungen, wie sie in geschehensnahen Quellen durchaus anzutreffen waren. Ganz anders war derselbe Autor mit der Schlacht an der Punta Salvore verfahren. Das Wissen um die Wirkung jenes Sieges blieb also präsent. Um so erstaunlicher ist, wie wenig die Serenissima ihren Triumph auszuschmükken bestrebt war, wie unscheinbar sich derselbe in ihrem Selbstbewußtsein und ihrer Selbstdeutung ausnahm. Keine dogalen «Trionfi», nicht ein einziges Herrschaftszeichen der Serenissima wurden mit ihm in Verbindung gebracht. Die Siegestrophäen von 1204 und an ihrer Spitze das «wahre Kreuz» und die Ampulle mit dem Blut des Herrn sowie die porphyrnen «Tetrarchen» und die goldenen «Pferde von S. Marco» in Venedig verloren ihre triumphale Qualität oder streiften doch ihren Zusammenhang mit dem Sieg über Konstantinopel ab. Die Reliquien gaben zwar Anlaß zu aufwendigen Prozessionen der gesamten Staats- und Kirchenführung der Markusrepublik; doch bewahrte weder die Liturgie noch der Tag der jeweiligen Prozession etwas von der kriegerischen Herkunft der Heiltümer. In den «Tetrarchen» glaubte man bald heimtückische Kaufleute zu erkennen, die paarweise des Schatzes
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Zwischen Hirn und Geschichte: Implantierte Erinnerungen
wegen einander ermordeten, bald heimatlose Prinzen, bald edle Albanier, bald verwegene Schatzräuber, bald die Tyrannenmörder Aristogeiton und Harmodios; Vergessen hatte sich der Herkunft dieser Figuren, des Anlasses ihres Erwerbs und der imperialen Qualität des Porphyrs bemächtigt. Die Rosse galten zunächst als Dokumente des Triumphes über Friedrich Barbarossa, bevor sie von gelehrten Humanisten mit Konstantinopel, Konstantin dem Großen und Nero in Verbindung gebracht wurden. Anderes wurde zu harmlosen Importen erklärt, wie sie die Venezianer seit je tätigten. Die Fiktion verdrängte die Wirklichkeit. Punta Salvore und der von der Schlacht erzwungene Frieden traten an die Stelle der Metropole Konstantinopel und des skandalumwitterten Kreuzzuges. Statt des realen Sieges über den «rhomäischen» Kaiser in Byzanz schob sich anscheinend noch während des 13. Jahrhunderts und, ohne daß es genauer zu datieren wäre, der erfundene Sieg über den «römischen» Kaiser des Westens in das kollektive Gedächtnis der Venezianer und zahlreicher Fremder. Was immer die Gründe dieser gewesen sein mögen - rechtliche oder politische Skrupel, der Kirchenbann des Papstes, den Enrico Dandolo auf sich gezogen hatte, der baldige Tod dieses Dogen, nachhaltige Zweifel an der Legitimität des von ihm geführten Krieges, wie sie zumal von Innocenz IH. und den Kanonisten Italiens aufgeworfen wurden, der tatsächliche Verlust Konstantinopels im Jahre 1261, Scham oder was immer - diese Überschreibung spiegelt die manipulative Macht des kulturellen Gedächtnisses. Sie konstruiert aus echten Elementen ein fiktives Bild; und ihr mußte sich vor dem Zeitalter kritischer Geschichtsforschung eine jede Vergangenheit unterwerfen. Auch der reale im Jahr 1177, den die Geschichtsschreiber Venedigs mit ihren Konstrukten überdeckten, war davon betroffen. Das Gedächtnis ersetzte ein skandalträchtiges Bild durch eines, das auch der höchsten, sakrosankten Rechtsautorität, dem Nachfolger Petri und Stellvertreter Gottes auf Erden, zu schmeicheln verstand, und vollbrachte damit eine gründliche Selbstreinigung Venedigs. Erst die Türkengefahr und der Sieg von Lepanto 1571 tauchten die verdrängte Vergangenheit in ein helleres Licht, versöhnten Venedig mit seiner eigenen Geschichte und ließen jetzt auch die Eroberung Konstantinopels in gewaltigen Schlachtgemälden feiern, die fortan gemeinsam mit der Schlacht an der Punta Salvore und ihren Folgen die Sala deI Maggior Consiglio schmücken durften. Sie erschienen nun geradezu als der Kreuzzug allein der Serenissima, auf dessen Höhepunkt der Doge den neuen, den lateinischen Kaiser krönte 18 •
Venedigs Sieg über Friedrich Barbarossa
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Die geschichtswissenschaftliehe Dekonstruktion ist somit das eine, der frühere Glaube das andere. An ihm partizipierten die ihn mit ihren Werken manifestierenden Autoren. Wie also kam es zur Verdrängung der Wirklichkeit? Wie wurden jene Vergangenheits bilder möglich? Warum war ihnen Erfolg auch jenseits der venezianischen Grenzen beschieden? Angesichts so herausragender und so gut dokumentierter europäischer Ereignisse wie des realen Friedens von Venedig im Jahre 11-77 und des späteren Todes des Rotbarts im Saleph? Da kam es offenbar nicht auf ein faktizistisch korrektes Erinnern an, vielmehr auf die für den Augenblick aktuelle Botschaft, der das kulturelle Gedächtnis dienstbar war, auf die Bedürfnisse der gegenwärtigen Gesellschaft Venedigs, Italiens oder des von der Reformation aufgewühlten Deutschland. Vermag eine Gemeinschaft auch nicht ohne ein geistige Orientierung stiftendes Vergangenheitsbild, ohne <Wahrheit> zu leben, so kann sie sich doch mit ahistorischen, mythischen, sachlich falschen Visionen arrangieren. Und diese bilden ein eigentümliches Konstrukt aus Geschehenem und Erfahrenem, aus Möglichem, Geglaubtem, Gefolgertem und stets aus Erinnertem. Fortan konkurrieren die in Gedächtniskrypten abgesunkenen Wirklichkeiten und die neuen Schöpfungen des Gedächtnisses um die Gestaltung der Zukunft. Doch auch in dieser Konkurrenz spiegeln sich die unbewußten Aktivitätsweisen des Hirns, indem sie in das kollektive Wissen eingreifen, Handeln lenken und Neues bewirken. Gegenwärtiges Leben bedarf, anders als der kritische Historiker, keines wirklichen Geschehens von einst, vielmehr der Helden, berauschender Taten, erhebender Bilder, mythischer Identifikationen und dergleichen Animation. Der Glaube an eine heroische Vergangenheit erscheint notwendiger als das Wissen um verflossene Wirklichkeit, wie bedeutsam sich diese bei näherem Zusehen auch ausnehmen möchte und wie tausendfach ihre Impulse fortwirken und die Welt gestalten mochten. Das Geschriebene, das allgemein Geglaubte, das von den höchsten religiösen, politischen oder wissenschaftlichen Autoritäten für wirklich und wahr Gepriesene entzog sich beharrlich aller Kritik. Mittelalterliche Geschichtsschreiber handelten danach; sie emanzipierten sich nicht von den Bedürfnissen des Glaubens. Ihnen ging die mythische «Wahrheit» der nackten «Wirklichkeit» vor, wobei sie den Unterschied vermutlich selten hätten registrieren können. Übrigens glaube ich nicht, daß es sich heutigentags wesentlich anders verhält. Der «alte Barbarossa, der Kaiser Friederich», war den Deutschen bekanntlich ein nationaler Nothelfer, der im Kyffhäuser nur schlief, um wiederzukehren (F. Rückert), den sie unter dem letzten deutschen Kaiser mit einem gewaltigen, furchteinflößenden
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Zwischen Hirn und Geschichte: Implantierte Erinnerungen
Denkmal feierten; und der «Hohenstaufe» ist ihnen noch immer der Held, zu den ihn Luther erklärte: «Ein seer trefflicher, theürer, weidlicher, küner und sieghafter Fürst, das ich jhn jn meinem hertzen seer lieb habe» 19. Auch unsere Welt will betrogen sein.
4-1.2
Karf der Große: Ein heiliger Kaiser?
Implantationen kennen zudem noch eine andere Seite. Sie korrespondiert mit dem Auslöschen, einem Verdrängen und Vergessen oder Tabuisieren von Erinnerungen, die in qualitativer Inversion Gegenbilder erzeugen und erinnern lassen. Auch der tatsächlich geschlossene Frieden von Venedig im Jahre 1177, ein umfassendes Vertrags- und Aussöhnungswerk zwischen Papst und Kaiser, wurde von den Chronisten der Markusrepublik mit keiner Zeile gewürdigt. So wie die Implantation Geschehnisse hervorzubringen vermag, kann derartiges Verdrängen sie überdecken und verschwinden und anderes an ihre Stelle treten lassen. Auch jetzt verdankt sich das die Realität auflösende Implantat kommunikativen Prozessen, die sich einer vollständigen Kontrolle der Beteiligten entziehen; und abermals ist das Ergebnis eine Erinnerung ohne wirklichkeitsnahen Kern, mit einem geradezu herausoperierten Kern. Auf jeden Fall widersetzt es sich zäh den Aufklärungsbemühungen der Historiker. Das Phänomen sei wiederum an einem Beispiel, dem Begräbnis des Kaisers Otto IH. in Aachen im Jahre 1002, illustriert und verdeutlicht. Vorauszuschicken ist, was erst neuerdings erkannt wurde, daß Otto nämlich in dem in Aachen bestatteten Karl dem Großen den Apostel der Sachsen verehrte, dessen Erhebung zur Ehre der Altäre er seit dem Pfingstfest des apokalyptischen Jahres 1000 betrieb. Ein Spruch des Papstes war dazu nicht nötig; es genügte die Zustimmung des Ortsbischofs, Notkers von Lüttich, oder des zuständigen Metropoliten, Heriberts von Köln. Damals soll Otto, von einem Traumbild geheißen, nach dreitägigem Fasten, wie es sich gehörte heimlich, doch in Gegenwart zweier Bischöfe, vor kompetenten Zeugen nach dem Grab des fränkischen Heros suchen und es öffnen lassen haben, um den Leib erst mit gebeugten Knien zu verehren, dann ihn «emporgehoben» (levatum) dem Volke zu zeigen, ihn neu unter einer «goldenen Krypta» zu bergen und der bald eintretenden Wunder zu harren 20 . So weiß es ein annähernd zeitgenössischer, dem Ort des Geschehens freilich fern stehender Gewährsmann: der Aquitanier Ademar von Chabannes um 103021; teilweise bestätigt die Chronik von Novalesa (in Piemont) um 1050, die sich auf ein Augenzeugnis beruft, diesen Bericht. Beide Nachrichten verdeutlichen auf jeden Fall, wofür die Graböffnung ohne
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jene posthumen Erinnerungs-Inversionen gehalten wurde. Träfe es die Wirklichkeit, was nicht auszuschließen ist, so wäre Karl damals bereits zur Ehre der Altäre erhoben. Doch starb Otto III. keine zwei Jahre später in jugendlichem Alter von knapp zweiundzwanzig Jahren. Manch ein Zeitgenosse - nicht freilich jene beiden soeben erwähnten Zeugnisse - deutete seinen frühen Tod als ein Zeichen göttlichen Zorns, als Strafe für ein todeswürdiges Verbrechen. Manch einer, der dem Kaiser nahegestanden hatte, wie beispielsweise der Informant der Hildesheimer Annalen, der Bernward von Hildesheim gewesen sein dürfte 22, und zumal die unmittelbar in Aachen Beteiligten, unter ihnen vermutlich wiederum Bernward, erkannten nun in der Graböffnung die Verletzung der Totenruhe und darin eben jenen ruchlosesten Frevel, der jene bittere Strafe verlangte. Damit aber hatte der Himmel selbst sein Urteil auch über Karl gesprochen: Derselbe war kein Heiliger. Alles, was zu seiner Verehrung in die Wege geleitet worden war, verfiel mit Ottos Tod in normativer Inversion dem Vergessen, war eben Sakrileg und Verbrechen und kein Heiligenkult und durfte nicht als solcher erinnert werden. So erklärt sich, daß nur fernstehende Autoren, vom Tod des Kaisers nicht mehr betroffen, das Geschehene überliefern. Schuldig aber waren nicht bloß der Kaiser, auch die beteiligten Bischöfe: Bernward und Heribert, auch Notker, wenn er gegenwärtig gewesen sein sollte. Ottos Tod war zugleich eine himmlische Warnung an sie 23 . Allein eine Grabsuche, die im Rahmen des liturgischen Gebetsgedenkens für den Kirchenstifter zulässig war, entging der Diskriminierung und schob sich jetzt statt der Elevation in den Vordergrund. Der Vorgang spiegelt sich in den Quellen, sobald deren zeitliche Ordnung mit ihrer Nähe zum Geschehen verschränkt wird. Die wichtigste, weil zeit- und geschehensnächste Information bietet Johannes Diaconus von Venedig. Johannes kannte Otto persönlich; er war wiederholt und gerade eben noch der Bote zwischen ihm und dem Dogen; es ist nicht einmal auszuschließen, daß er an des Kaisers Totenlager in Paterno gestanden hat. Der Diakon aber schrieb, daß Ottos Leichnam nach Aachen geleitet worden sei, «um dort mit seinem Vorgänger Karl seligen Angedenkens am Tag des Gerichts bereit stehen zu können»24. Eine solche enge Gemeinschaft in der Erwartung des Jüngsten Gerichts suchte man seit der Antike gewöhnlich mit Heiligen25 . Johannes überlieferte als einziger diesen Hinweis, der noch einmal und nun aus des Kaisers nächster Umgebung bezeugen kann, daß Otto Karl als Heiligen zu verehren gedachte. Der Venezianer, der über die Graböffnung und ihre Strafwürdigkeit schweigt, brachte diese überhöhte Form der Verehrung des großen
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Zwischen Hirn und Geschichte: Implantierte Erinnerungen
Karl durch seinen jugendlichen Nachfolger Otto noch nicht mit dessen vorzeitigem Tod in Zusammenhang. Anders die Quellen aus dem näheren Umfeld der Beteiligten - wie die Hildesheimer Annalen. Sie spiegeln ein vermutlich von Schuldbewußtsein und Angst gelenktes Verdrängen. Jetzt war - trotz der beteiligten Bischöfe - die Graböffnung nur aus weltlicher «Bewunderung» Karls und deshalb «gegen das kirchliche Recht der göttlichen Religion» geschehen, forderte «die Rache des ewigen Richters» und ließ Karl den Großen selbst seinem Nachfolger wegen des begangenen Verbrechens sein Ende verkünden26 • Nur Ottos «vorzeitiger Tod» wurde erwähnt, der nun ein Sühnetod war, während sein Begräbnis neben Karl sich mit Schweigen übergangen sah. Karls Heiligkeit hatte sich vollends verflüchtigt. Doch dabei blieb es nicht. Alle seinerzeit anwesenden Bischöfe - keiner von ihnen war vorzeitig ins Grab gesunken - verschwanden nun in den ihnen nahestehenden Quellen aus der Erinnerung an das Geschehen; der mit dem Tod bestrafte Otto allein blieb als Frevler. Brun von Querfurt, gleich Otto ein Sachse, der den Kaiser trotz seiner Sünden schätzte, aber kein Zeuge der Vorgänge um das Karlsgrab und weder beim Tod in Paterno noch beim Begräbnis in Aachen zugegen war, Brun also schwieg über die Graböffnung, rückte aber immerhin noch «das Vorbild an Religion, den besten» Karl dem «heiligen und großen Kaiser» Konstantin zur Seite, den Glaubensbringer also dem Glaubensbringer, und ließ Ottos todwürdige Sünde in der Mißachtung des hl. Petrus gipfeln, dessen Stadt Rom er selbst, Otto, «wie die alten, heidnischen Kaiser» zu erneuern gedachte27 . Der unzeitige Tod verlangte auf jeden Fall nach einer Erklärung. Andere wiederum, wie die Quedlinburger Annalistin, die gleich Brun um das Jahr 1008 schrieb, wußten von Aachen nur als dem Ort, den Otto nach Rom vor allen anderen liebte, während Graböffnung und Karl, auch Ottos jugendliches Alter gänzlich ausgeblendet blieben28 . Neue Erklärungen tauchten auf. Der Bischof und Chronist Thietmar von Merseburg, ein ängstlich auf die Zeichen aus dem Jenseits bedachter Mann, verwies ein Jahrzehnt später nicht anders denn andere jüngere Geschichtsschreiber lediglich im Kontext einer legitimen Suche nach dem unbekannten Stiftergrab auf das heikle Geschehen29 • Warum aber dann der vorzeitige Tod des blutjungen Kaisers, dessen dynastische Folgen der Merseburger schmerzlich zu beklagen hatte? Thietmar ließ die Frage unausgesprochen und somit auch die Antwort offen. Die Lebensbeschreibung des hl. Erzbischofs Heribert von Köln endlich, des Mannes, der bei der Graböffnung unzweifelhaft zugegen war und sie geistlich gelenkt haben dürfte, der dann für Ottos Begräbnis in Aachen Sorge getra-
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gen hatte, wußte sie indessen eindeutig zu klären. Ihr Autor Lantpert, der um die Mitte des 11. Jahrhunderts schrieb, unterschlug zwar abermals jeden Hinweis auf Grabsuche und Heiligkeit Karls; aber er ließ jetzt den jungen Herrscher (wie vor ihm schon Ademar von Chabannes) durch Gift aus der Hand einer rachsüchtigen Frau aus Rom sein Ende finden. So verflüchtigte sich zuletzt auch der göttliche Zorn wider Otto III. und seine Berater und es blieb die Abscheulichkeit eines Verbrechens 30 • Kein Hauch einer Spur von Karls Heiligkeit war fürderhin mehr zu finden. Die Inversion war im kulturellen Gedächtnis der Deutschen wirksam implantiert. Erst nach über einem Jahrhundert und unter gänzlich gewandelten Umständen wagte ein Kaiser erneut, Friedrich Barbarossa, und nun erfolgreich, die Heiligkeit Karls des Großen durch den jetzt zuständigen Papst, der freilich ein Gegenpapst war, zu verkünden. Und erst nach annähernd einem Jahrtausend wurden die voreilige Heiligkeit Karls, ihre Verdrängung und normative Inversion, der sie unterworfen wurde, als einstige Handlungsimpulse wieder entdeckt. Doch beides, Implantat und einstiges Geschehen, wirkten fort und formten je auf ihre Weise mit an der Zukunft des h1. Karl.
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Die schwierige Suche nach erinnerter Wirklichkeit
Geschichte also, wie es sie nie gab, und wie sie niemand erlebte, wurde dem kulturellen Gedächtnis eingeschrieben. Implantierte Erinnerungen werfen sich den Mantel erlebter Wirklichkeit über; und unser aller Gedächtnis nimmt es hin. Es sind gewöhnlich knappe Einzelszenen oder kurze Episoden, die so das Gedächtnis in die Irre schicken, selten umfassende Geschehensbündel. Selbst die Episode um die Schlacht an der Punta Salvore galt nicht der Ereigniskette von Alexanders Flucht nach Venedig bis zu seiner Rückkehr nach Rom, sondern zunächst der zeitlich gestreckten Verleihung der dogalen «Trionfi», auch der Umwertung de's Skandals und Selbstreinigung Venedigs, sodann dem Fuß des Papstes auf dem Nacken des Kaisers. Warum dulden wir solche Phantasmen? Warum gehen wir nicht entschlossen dagegen vor? Was hemmt uns und gestattet solche Triumphe des Irrealen? Warum nimmt der Mensch unwirkliche, fiktive Vergangenheiten als eigenes Erlebnis an? Wie oft ist es der Fall? Und wie wirkt es fort? Was endlich folgt aus dergleichen Fragen für die Arbeit des Historikers, zumal des Mediävisten und eines jeden, der dem Gedächtnis verdankte Quellen auswerten muß? Die Antworten . fallen nicht leicht. Nichts mehr mit Kinderspiel. Jetzt geht es um den
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Menschen selbst, um uns: unser Erkennen, unsere Erinnerungen, unser stolzes, selbstbewußtes Denken, unseren sich frei dünkenden, das Bewußtsein beherrschenden Willen. Ihn hält unser Gedächtnis in Ketten. Könnte es die Wirklichkeit sein, die derartige Maskerade provoziert? Die uns unwirkliche Geschichte hinzunehmen gebietet? In der Tat, unser Gedächtnis wird bereits geformt, bevor unser Bewußtsein und unser Wille, was immer er sei, sich artikulieren. Dieser Wille dürfte selbst ein kulturelles Implantat ins Gedächtnis~sein, ein durch Erziehung, mithin fremdinduziertes Aktivitätsmuster unseres Hirns. Wäre dem so, so trieben dem Willen entzogene Gedächtnisinhalte als solche unbemerkt in uns ihr Unwesen. Die Willensphilosophie und zumal die Lehre vom freien Willen ist ja als Charakteristikum des antiken und christlichen Westens kein Gemeingut der gesamten Menschheit. Implantate wären danach als neuronale Enkodierung überall möglich, in jeder Kultur, der freie Wille indessen nur dort, wo er rechtzeitig, nämlich im empfänglichen Kindesalter als kulturelle Schöpfung implantiert wurde. Derartige Implantate schleichen sich gewöhnlich über die Sprache, mitunter auch über Imaginationen ins Gedächtnis ein. So wenig aber der assoziative Cortex Außen- und Binnensignale unterscheiden kann, so wenig vermag er Realität und Irrealität unserer sprachlich oder bildhaft kodierten Erinnerungen scharf voneinander zu trennen. Der Gesichtssinn spiegelt gleich einem Zauberkünstler auch fiktive Bildwelten als Wirklichkeit in das Gedächtnis. Doch ist es vordringlich die Sprache, die uns irritiert, und der kommunikative, von Schutzmechanismen entblößte Kontext, in dem sie uns attackiert. Sie, dieser Garant hinlänglich genauer, hirninterner symbolischer Repräsentation äußerer Wirklichkeit, diese Hinterlassenschaft des Frühmenschen zur effizienten Wirklichkeitsbewältigung narrt uns mit Unwirklichkeit. Die Sprache, die uns erlaubt, fremde Erfahrungen nachzuvollziehen und eigene anderen mitzuteilen, schickt zugleich unser Gedächtnis in die Irre, weil sie gestattet, fremde, in Wirklichkeit nie erlebte Fiktion wie selbsterlebtes Eigenes anzunehmen und erinnernd für wahrgenommene Wirklichkeit auszugeben. Alles aber, was mit unserem Gedächtnis geschieht - bis hin zu Verformungen, irrealen (nämlich nur sprachlichen) Konstrukten und Implantationen, ja, bis hin zu bewußten Falschinformationen, Lügen und fiktionen -, geschieht auch in der Geschichtsschreibung. Wie läßt sich ihnen begegnen? Nicht immer steht ein ausreichend breit gefächertes und vielfältiges Vergleichsmaterial zur Verfügung, dessen Widersprüche Einblikke in den Wirklichkeitsgehalt jeder einzelnen von ihnen und damit auch der historischen Erzählungen gewähren. Der Vergleich, der im kultur el-
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len Leben auf individuellen und kollektiven Erfahrungen beruht, kann durchaus - wie im Falle der Seeschlacht von der Punta Salvore - Fiktionen enthüllen oder doch - wie angesichts von Ottos IH. Tod - auf Verdrängen und Gedächtnisreinigung verweisen. Trübe, spärliche, verschleiernde Sachdaten bei einem Überschuß an «ideologischer» Information (auch dies verrät die fingierte Seeschlacht oder Phänomene wie die «Konstantinische Schenkung») nötigen zur Implantationsvermutung, wenn sie auch jeweils für sich genommen keinen definitiven Beweis für ein Implantat zu liefern vermögen. Entsprechendes gilt für eigentümlich schwebende Zeit- und Orts- oder Zeugennennungen, wie sie einen so oft in den historischen Quellen begegnen; auch sie wecken berechtigte Vermutungen, die nach einer Beweisführung in diese oder jene Richtung, für oder gegen ein Implantat, verlangen. Die Geschichtswissenschaft, soviel wurde deutlich, ist unmittelbar betroffen. Ist sie doch, recht betrachtet, eine Auseinandersetzung eines Gedächtnisses mit fremden Gedächtnissen. Im Unterschied zu unseren Vorgängern verfügen wir heute allerdings über immer mehr und immer leistungsfähigere Gedächtnishilfen. Doch wissen wir alle, daß es Jahrhunderte brauchte, um Texte wie die «Konstantinische Schenkung» als Legende zu entlarven; oder daß selbst anerkannte Spezialisten für einen Augenblick auf die gefälschten Hitler-Tagebücher hereinfielen, obgleich auch ihnen bekannt war, daß der späte Hitler nahezu niemals schrieb. Anderes harrt noch der Entmythologisierung. Vor der erinnerungskritischen Analyse von Basistexten unserer geistigen und religiösen Kultur, wie etwa der Apostelgeschichte des Lukas (um von den heiligen Texten anderer Religionen zu schweigen), scheuen noch viele zurück31 • Die Erfahrungen mit Gedächtnisimplantaten wie Venedigs Version vom Frieden von Venedig oder der ob des unzeitgemäßen Todes Ottos IH. verdrängten Heiligkeit Karls des Großen dürften auch hier manche unliebsame Entdeckung verheißen. Wie dem aber sei, die Geschichtswissenschaft muß, nicht anders als der Strafrichter, Implantate von Wirklichkeit zu unterscheiden und die Listen des Gedächtnisses zu überlisten trachten. Sie muß erkennen, was einst wirklich geschah: daß der oder jener geboren, dies oder das zu der und der Zeit an dem oder jenem Ort getan, gedacht oder erlitten wurde, mit der und der Wirkung, daß jenes sich dann ereignete oder dort zutrug, und dergleichen mehr; und eben auch, wann Berichtetes tatsächlich nicht geschehen war, daß Barbarossa nicht nach seinem Kreuzzug gestorben und kein Barbarossa-Sohn als Gefangener in Venedig seiner Befreiung harrte 32; und sie muß nicht zuletzt die Wirkungen tatsächlicher Wirklichkeit mit den nicht minder realen Wirkungen erinnerter Wirklichkeiten konfrontieren, seien diese
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Zwischen Hirn und Geschichte: Implantierte Erinnerungen
letzteren auch noch so fiktiv. «Geschichte» mag jenseits von Tatsachen als geistige Form, als immer neue gedanklich-konstruktive Vereinigung historischer Phänomene konzipiert werden - unabhängig von der Wirklichkeit wird sie damit nicht.
v.
Wie zuverlässig sind Erinnerungen? Das Mittelalter als Untersuchungsfeld
Man raube ihnen die Quellen, die Quellen ihres Wissens, so wurde wiederholt von Mediävisten geklagt, nachdem sie die ersten Forschungen zum Gedächtnis kennengelernt hatten, die sich den Konsequenzen für die Geschichtsforschung zugewandt haben. Auch manch ein Althistoriker geriet in Bedrängnis, als er an die späte Quellenbasis für Alexander den Großen erinnert wurde. Ein Abgrund von Angst tat sich da auf, Angst nämlich zu verlieren, was bisher für gesichert galt. Angst aber macht blind. Erinnerungskritische Forschung indessen raubt keine Quellen, sie wertet das Vorhandene allenfalls um. Sie bedeutet tatsächlich und in erster Linie eine erkenntnistheoretische Herausforderung. Was läßt sich von vergangener Wirklichkeit noch erkennen, wenn unser Gedächtnis so funktioniert, wie es funktioniert? Wann kann ein Historiker sichere Aussagen treffen? Die sachlich unzuverlässige Arbeitsweise des Gedächtnisses hinterläßt im historischen Quellenmaterial erkennbare Spuren, die ihrerseits als Quellen betrachtet werden dürfen. Sie verweisen durchweg auf komplexe Erinnerungs- und Aushandlungsprozesse zwischen Individuen und Gesellschaft und damit auf kognitive Sachverhalte, welche die Quellen explizit gewöhnlich nicht ansprechen. Freilich verbergen sich diese Spuren in der Regel unter dem Schutzmantel einer Sprache, die unmittelbar erlebte und unverfälscht kolportierte Wirklichkeit suggeriert. Das Gewißheitssyndrom manifestiert sich somit auch in den schriftlichen Hinterlassenschaften vorwiegend mündlich orientierter Kulturen. Entsprechende Spuren, die selten fehlen, müssen geduldig aufgesucht, identifiziert und vorsichtig interpretiert werden, um in der angedeuteten doppelten Weise das fragliche Material angemessen auswerten zu können: im Blick auf seine sachlichen Informationen sowie auf die ihnen immanenten kognitiven und kollektiven Prozesse. Sie können in günstigen Fällen zu vertieften Einsichten in die Bedingungen und den Modulationsspielraum von Wirklichkeitswissen vergangener Zeiten und der daraus resultierenden Wissensgesellschaft führen. Derartige Spurensuche soll beispielhaft für eine jener Geschichtsepochen, das Mittelalter, geschehen, deren schriftliche Hinterlassenschaften in eminentem Maße von den Modulationen des Gedächtnisses betroffen
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Wie zuverlässig sind Erinnerungen?
sind. Nahezu alle <erzählenden Quellen> der Epoche wurden mit mehr oder weniger weitem Abstand von dem berichteten Geschehen niedergeschrieben und verdankten ihre Nachrichten in ausgedehntem Maße (wenn auch nicht ausschließlich) mündlichen Traditionen. Wie aber erinnerte man sich damals? Ein geläufiges Vorurteil behauptet ja, die Zeitgenossen jener fernen Jahrhunderte hätten sich, bar jeder Überfrachtung an Wissensstoff und fern jeder Hilfe der gedächtnisschwächenden Schrift, besser erinnert als heutige Menschen. Diese Annahme beruht freilich auf blanken Vermutungen, nicht auf gesicherten Untersuchungen über heutige Analphabeten. Besteht das Vorurteil also zu Recht? Siebzig oder achtzig Jahre, mithin die Weitergabe eines Ereigniswissens von den Großeltern an die Enkel, gelten unter Historikern, gelegentlich auch unter Ethnologen für die Grenze zuverlässiger im Modus der Mündlichkeit erfolgender Rückerinnerung. Man mochte für diese Frist auf den Chronisten Thietmar von Merseburg verweisen, der bis zu seinem Tod 1.01.8 an seiner Chronik schrieb und sich um 1015118 seiner beiden Urgroßväter namens Liuthar erinnerte, die in derselben Schlacht im Jahr 929 gefallen waren l . Ähnlich wußte, um ein weiteres Beispiel anzuführen, auch der Mönch auf der Reichenau, Hermann der Lahme, ein Jahrhundert nach dem Geschehen, daß sein Ururgroßonkel Dietbald von Dillingen und sein Urgroßonkel Graf Reginbald, der Oheim seiner Großmutter Bertha, im Jahre 955 im Kampf gegen die Ungarn auf dem Lechfeld den Tod gefunden hatten2 . So reichte also das mündliche Familiengedächtnis tatsächlich generationentief in die Vergangenheit zurück? Moderne Historiker sind in der Tat geneigt, es zu glauben3 • Auch der Ägyptologe Jan Assmann bestätigt für das kulturelle Gedächtnis die Grenze von 80-100 Jahren4 • Doch das kulturelle Gedächtnis ist nicht identisch mit der erinnerten Wirklichkeit; und reine Mündlichkeit ist unter diesen mittelalterlichen Literaten selten faßbar und nachzuweisen und noch seltener ein zuverlässiger Reportator. Zudem verrät kein Name etwas über das zu erinnernde Geschehen. Thietmar fand in den Geschichtswerken Widukinds von Corvey oder der Quedlinburger Annalen und in sonstigen Texten eine Gedächtnisstütze, bei schriftlichen Aufzeichnungen also; auch Memorialquellen, Zeugnisse des institutionalisierten, teilweise verschrifteten Gebetsgedenkens, waren ihm vertraut. Weiteres, das heute verloren ist - seien es Annalen, Urkunden, Grabverse oder Inschriften -, wird hinzugekommen sein. Hermann von Reichenau verfügte gleichfalls über schriftliche Quellen, welche die Familienmemoria tradierten, zum al über die Lebensbeschreibung des hl. Ulrich, der wiederum einer seiner Ururgroßonkel war5 . Bloß erinnerte Zeitan-
Die Erinnerungsfähigkeit von Prozeßzeugen
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gaben sind höchst problematisch, wie K. Löwiths Autobiographie oder Bohrs Erinnerungen an «Kopenhagen» zur Genüge lehrten. Wie detailreich und verläßlich war somit das Gedächtnis schriftferner <mündlicher Kulturen> von einst? Die Frage soll durch eine Untersuchung mittelalterlicher Zeugenaussagen und an einigen Beispielen herausragenden Familiengedenkens einer Antwort näher geführt werden (Kap. 5). Erschwerend fällt dabei das Fehlen von Parallelüberlieferungen und Kontrolltexten ins Gewicht. Im Anschluß daran werden Erfahrungen der Ethnologie und Kulturanthropologie vergleichend betrachtet, soweit sie das Erinnerungsverhalten mündlich orientierter Gesellschaften betreffen (Kap. 6), um endlich Spuren von Gedächtnismodulation in mittelalterlichen erzählenden Quellen unter methodologischen Gesichtspunkten auszuwerten (Kap. 7). Dies alles kann freilich nur beispielhaft dargestellt werden, an der Analyse und Auswertung von Einzelfällen 6 •
5.1
Die Erinnerungsfähigkeit von Prozeßzeugen
Gerichtliche Zeugenaussagen, die sich bloß mündlicher Tradition verdankten, gelten gewöhnlich als recht zuverlässig, sind indessen für den auf ein präzises Datenmaterial angewiesenen Historiker ohne Kontrollmöglichkeit eine höchst zweifelhafte Wissensquelle, wenn nicht ganz unbrauchbar7 • Die vierzig, fünfzig, sechzig oder noch mehr Jahre, die da mühelos überwunden wurden, müssen erhebliche Zweifel weckenS. Niemand vermag ihren Inhalt zu kontrollieren. Was an ihm stimmte, was nicht, wie jüngere Informationen ältere überlagerten, welche Verzerrungskoeffizienten dabei wirksam wurden, wieweit die Zeugen vor ihrer Aussage ihr Wissen austauschten, aushandelten und - bewußt oder unbewußt - aufeinander abstimmten, verraten die erhaltenen Gerichtsprotokolle selten oder nie und keinesfalls auf den ersten Blick. Wie viele und welche Details stimmten? Auf sie kommt es dem Historiker gerade an. Wie waren sie zeitlich zu verorten ? So lange derartige Fragen nicht zweifelsfrei zu beantworten sind, ist auch der Geschichtsforscher nicht berechtigt, die erwähnten Aussagen und mit ihnen die postulierten Belege für die Erinnerungsdauer für gewiß zu nehmen. Wieder warnen John Dean, Fürst Eulenburg, der Philosoph Löwith oder der Nobelpreisträger Heisenberg. Wer sich in einem Fall an ein Detail desselben Falles zutreffend erinnerte, konnte sich mit einem anderem abgrundtief täuschen - ohne es zu bemerken und ohne dem späteren Historiker, der nur auf dergleichen Aussagen angewiesen ist, auch nur den Hauch einer Chance zu lassen, die Irrtümer zu rea-
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Wie zuverlässig sind Erinnerungen?
lisieren und die zutreffende Angabe dem zugehörigen Detail oder Ereignis zuzuordnen, die falsche aber als solche zu durchschauen. Alles konnte der Verformung unterliegen: die absolute und relative Chronologie, die Beteiligten, die Handlungen, die Geschehensorte, die in die Darstellung eingeflochtenen Urteile, kurzum: die Gesamtheit der «harten Fakten». Lassen sich also Kriterien finden, um die mittelalterlichen Prozeßzeugen wenigstens ansatzweise zu kontrollieren? Welche Qualität von Erinnerung spiegeln jene Aussagen? Wie ordneten sie die erinnerten Einzelheiten zu einem Ganzen? Was erinnerten diese Zeugen überhaupt?
5.1..1.
Der Grenzstein von Marzano
Aufschlußreich ist eine Episode, die bereits Renato Bordone kurz beleuchtet hat9 . Da sei einst zwischen den Bischöfen von Pavia und Piacenza um die Grenze ihrer Diözesen ein Prozeß ausgetragen worden, der so wissen die von einer späteren Untersuchung erhaltenen Urkunden durch ein Duell zweier Kämpen für ihre Herren zugunsten des Pavesen geendet haben soll. Neun Zeugen bestätigten immerhin dieses Duell. Doch wann es stattgefunden hatte, wußte keiner mehr zu sagen; es ist bis heute unbekannt. Kein Augenzeuge war aufzutreiben. Soweit eine Informationsquelle angegeben wurde, war es «der Vater» oder «die Alten von S. Marzano», des Ortes, um den sich alles drehte. Doch existierte - so noch einmal die erhaltenen Urkunden vom späteren Prozeß - ein Grenzstein bei S. Marzano, der nach dem Kampf errichtet worden sein soll. Und er besagte etwas. Doch was? Die ersten drei Zeugen erinnerten sich wie eben ausgeführt; der vierte, der Priester von S. Marzano, war unsicher, wußte vom Duell der beiden Bischöfe, auch daß der Pavese gewonnen, wußte aber nicht, wofür er gekämpft hatte. Die dritte Gruppe von abermals drei Zeugen erklärte, die Grenze zwischen den Territorien der beiden Grafschaften sei umstritten gewesen; der achte, der sich äußerte, wagte keine Festlegung, ob die Grafschaften oder das Land von S. Sisto (d. h. der Kirche von Pavia) umkämpft war; der letzte Zeuge schließlich gab zu Protokoll, das Duell sei nicht um die Grafschaften, sondern um das Territorium von S. Marzano ausgetragen worden. Unklar ist, zu wessen Gunsten die jeweiligen Zeugen ihre Aussagen machten, wie weit sie also Erinnerungen, Gegenerinnerungen oder Kontrollerinnerungen boten. Bordone zitierte diesen Fall allein, um zu illustrieren, wie trügerisch Erinnerungen jenseits der Grenze von sechzig Jahren waren. Doch genügt diese Betrachtungsebene in keiner Weise; die Aussage war ohne ko-
Der Grenzstein von Marzano
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gnitionswissenschaftliche Untersuchungen zum Gedächtnis zustande gekommen. Solche hätten den Historiker schnell belehrt, daß in viel kürzerer Zeit divergierende Erinnerungen produziert werden, insofern die vom Geschehen empfangenen Sinneseindrücke fortwährend umformende Ergebnisse. Das Duell von Pavia, von dem wir nicht wissen, wann es stattgefunden hat, illustriert denn auch etwas ganz anderes, keineswegs eine Sechzig-jahres-Frist sicherer Erinnerungen: nämlich die unabdingbare Notwendigkeit neutraler Vergleichszeugnisse zur Kontrolle der Verläßlichkeit erinnerter Sachinformationen. Ohne solche, das heißt im Falle der Historiker: ohne. weitere Quellen, läßt sich schlechthin nicht entscheiden, welche der verschiedenen Zeugenaussagen der Wahrheit am nächsten kam. Ein mittelalterlicher Richter konnte es ebensowenig, wie immer er sich entschieden haben mochte. Indes, der Historiker muß und will noch hinter die Faktenentscheide der Richter blicken; und da beginnt der Boden zu wanken, den er betritt. Möglich ist, daß sich die ersten drei Zeugen korrekt erinnerten, möglich, daß es die zweite Dreiergruppe tat. Aktualisierung für den gegenwärtigen Prozeß dürfte ihre Erinnerungen manipuliert haben. Auszuschließen ist aber keineswegs, daß allein der neunte Zeuge den Sachverhalt zutreffend memorierte; und schließlich muß ins Auge gefaßt werden, daß kein einziger der Zeugen die Wahrheit kannte. Offen ist ferner, ob die übereinstimmenden Aussagen jeweils drei unabhängige Zeugnisse darstellten oder aufgrund vorangegangenen Wissensaustausches vereinheitlicht worden waren. Der Historiker muß die Antwort auf die Frage nach Ursache und Zweck des bischöflichen Duells, wenn ein solches denn stattgefunden hat, schuldig bleiben. Erinnerte Vergangenheit schickte auch mittelalterliche Zeitgenossen in die Irre. Sie brach sich in einem sich widersprüchlich erinnernden kollektiven Gedächtnis, das seine Äußerungen fortgesetzt modulierte und sich - selbst Gewißheit suchend - unmerklich der erinnernden Gegenwart anpaßte. Die Glaubwürdigkeit lag in der allgemeinen Lebenserfahrung eines jeden Menschen. Wer wollte da zweifeln; und wer sollte in einer so weithin von Mündlichkeit beherrschten Gesellschaft wie damals das sich autobiographisch gebende Gedächtnis überprüfen können? Greifbar indessen und unbezweifelbar war jener «Grenzstein», der bei S. Marzano stand. Er aber behielt seine Geschichte auf ewig für sich. Das Drama, das sich um ihn rankte, wurde nur als mündliche Erzählung, nicht als wahrgenommenes Geschehen erinnert; es könnte sich um eine ätiologische «Sage» handeln, von einem Erzähler ins Leben gerufen, der die Semantik des steinernen Mals zu entziffern trachtete oder auch nur seine Zuhörer zu unterhalten wünschte.
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Wie zuverlässig sind Erinnerungen?
5.L2
Ein Streit um das Val di Lago di Bolsena
Im Jahre 1194 stritten die Bischöfe von Sovana und Orvieto um das Val di Lago di Bolsena lO • Beide Parteien legten ihre Beweisurkunden, ihre Instrumenta vor. Schriftlichkeit war also im Spiel, ohne daß wir aus Mangel an weiteren Quellen ihre volle Wirkung abschätzen könnten. Die Richter hörten zusätzlich insgesamt 57 Zeugen, die sich ohne Schriftdokumente zu erinnern hatten. Die ihnen gestellten Fragen wurden nur ungefähr protokolliert und auch die Antworten vielfach nur in abgekürzter Form festgehalten: Wie alt sie seien. Wie weit zurück sie sich erinnerten und ob sie das Erinnerte beeiden könnten. Ob sie die Kleriker des Tals zur Synode des Bischofs von Sovana oder von Orvieto hätten eilen sehen. Wer dort die Kirchen geweiht, dorthin das Chrisma (das Salböl) gesendet, wer hier gefirmt und die Weihen vollzogen habe. Ob sie frühere Streitigkeiten und Prozesse erinnerten. Wann das alles geschehen sei; und ob sie dabeigewesen seien. Ob sie es mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört hätten. Und dergleichen mehr. Fragen also, die weithin auf kontinuierliche Rechtsverhältnisse zielten, nicht auf Einzelereignisse, auf sich Wiederholendes, nicht auf Einmaliges, die mithin ein fortgesetzt wiederkehrendes Geschehen im Blick hatten und keine detaillierte Sequenz von Einzelakten. Die Antworten erfolgten stereotyp. Er habe die Kleriker zur Synode gehen sehen oder nicht, den Bischof firmen sehen oder nicht, er habe von früheren Prozessen gehört, sei aber nicht dabeigewesen, er wisse es nicht und so fort; nicht selten sagte einer dasselbe wie ein zuvor gehörter Zeuge, was in diesem Fall keine Bestätigung bedeutet. Mannigfache Aushandlungsprozesse zwischen allen Beteiligten schimmern immer wieder durch die Protokollnotizen hindurch. Zusammen mit der Schriftlichkeit könnten sie sich etwa in der namentlichen Nennung bestimmter Bischöfe niedergeschlagen haben. Damit wäre kein Geschehensgedächtnis, sondern ein Geschehen ganz eigener Art faßbar, die kommunikative Phase nämlich des kulturellen Gedächtnisses. Die Schwierigkeiten begannen mit dem Lebensalter, den Zeitangaben, der gen aue ren zeitlichen Verortung des erinnerten Außerordentlichen im gemächlichen Fluß der Jahre und seiner inhaltlichen Fixierung. Die Zeugen sollten sich an ihre Kindheit oder frühen Jugendjahre erinnern. Welcher Bischof diese oder jene Kirche geweiht habe? Damals. Indes, sie vermochten nicht einmal ihr Alter zutreffend anzugeben. Wie dann das . Mit Verformungen der mündlichen Überlieferung, wie sie der gleitende soziale Wandel mit sich bringt, rechneten somit beide Gruppen, gerade auch Vansina33 • Die Diskussion drehte sich um Triebkräfte und das Ausmaß der Verformungen, auch um die Frage, ob und in welcher Weise sie auf ein ursprüngliches Geschehen verwiesen und ob dieses «rekonstruiert» werden könne. Nur eine weitgestreute Fülle von Feldforschungen, die Sichtung des bereits verfügbaren Materials und zahlreiche Detailstudien vermochten in dieser Debatte eine Klärung herbeizuführen. Erschwert wurde sie durch den Umstand, daß selbst die frühen Schrift,zeugnisse, wie sie etwa europäischen Kolonialbeamten zu verdanken waren, unkritisch fixierten, was ihnen ihre Informanten erzählten, gar selbst interessengeleitet selektierten und eigenständig gewichteten, was sie zu hören bekamen, und keineswegs unvoreingenommen die mündlichen Traditionen, gar die Vielzahl konkurrierender Versionen derselben festhielten 34 • So liegt ein höchst problematisches Quellenmaterial vor, das eindringlicher Interpretation bedarf, soll es über die Vergangenheit Auskunft geben. Wie dem aber sei, für bestimmte Probleme wie etwa die Frage nach der Exaktheit von Erinnerungen in überwiegend auf Mündlichkeit angewiesenen Gesellschaften - und darauf kommt es hier an stellt die Ethnologie (und die ältere Ethnographie) ein reiches Datenma-
212
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I
terial und vielfältig erprobte Auswertungsmethoden zur Verfügung, an denen der Historiker nicht vorübergehen darf.
6.4
Interkulturelle Vergleiche
Auch wurde zeitweise die universale Einheit des Denkens von der Ethnologie grundsätzlich in Frage gestellt, wahrscheinlich zu Unrecht. Träfe es zu, jedem interkulturellen Vergleich wäre von vornherein der Boden entzogen. Auf der Basis von Emile Durkheims These, unterschiedliche Gesellschaften besäßen unterschiedliche Denksysteme, relativierten manche Ethnologen die menschliche Erkenntnisfähigkeit und attestierten nahezu jeder Kultur eine eigene Erkenntnistheorie. Danach bliebe nicht nur die Kultur der Buschmänner, Eskimos oder der australischen Aborigines, sondern strenggenommen auch das europäische Mittelalter aus theorie-immanenten Gründen in seiner Fremdheit der Moderne für alle Zeit unerreichbar und auf ewig fremd. Durkheim und seine Schüler, auch Maurice Halbwachs, hatten freilich die Neurobiologie noch nicht in ihre Überlegungen einbezogen. Auf der Basis ihrer These wäre jeder Versuch, mit Hilfe interkultureller Vergleiche die besonderen Erinnerungsweisen fremder Kulturen, auch die Geschichte abgelegener Zeiten, letztlich sogar die eigene Vergangenheit zu ergründen, von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Indes, auch diese These besaß ihren Schwachpunkt: Beanspruchte sie doch für sich selbst, was sie allen anderen bestritt: universale Erkenntnisweise zu sein, welche die Andersartigkeit der anderen zu erkennen vermöchte. Jene These war also nicht konsequent, vielmehr widersprüchlich in sich. Sie wird heute in der Regel nicht mehr verfochten. Gleichwohl bleibt die Forderung nach Berücksichtigung ethnologischer Erkenntnisse für die europäische Geschichte grundsätzlich gültig. An dieser Stelle setzte der Oxforder Anthropologe Maurice Bloch mit seiner Kritik ein. Sie stellte die perspektivischen Verzerrungen jener ethnologischen Untersuchungen heraus 35 • Die fraglichen Feldforschungen hatten sich durchweg Ritualen zugewandt, so stellte Bloch fest, und gerade nicht der Lebenswelt. Rituale aber folgten anderen Kategorien als Alltagswahrnehmungen und Alltagsdenken und dem «gewöhnlichen» Handeln der Menschen. So konnten sie auch andere Zeitvorstellungen oder Erkenntnisweisen zeigen als diese. Das tägliche Wahrnehmen aber bediene sich, so Bloch, universaler Vernunft, nur jene böten mancherlei Exotisches. Wir hätten demnach zwei Ebenen strikt auseinanderzuhalten: die Ebene des Rituals und die des Alltags. Entsprechendes gilt für das Gedächtnis. Zwischen ritualgeleitetem und
Interkulturelle Vergleiche
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alltäglichem Erinnern sowie den ihnen jeweils zuzuordnenden Überlieferungen muß streng unterschieden werden. Kultmythen etwa dürfen nicht gleich historischen Sagen behandelt werden; sie gehören verschiedenen Erinnerungsebenen an. Rituelles Handeln mag die Zeit aufheben und eine ewige Gegenwart suggerieren, andere Sozialstrukturen präsentieren oder andere Erkenntnisweisen nahelegen als die rituallose Lebenswelt. Aber sie ersetzt oder verdrängt dieselbe nicht. Beide Ebenen besitzen je andere Leistungsstärken und werden jeweils von anderen Verformungskräften gelenkt. Doch gibt es Übergangszonen. Das ist im folgenden genauer zu betrachten. Die Zusammenhänge, mit denen wir es hier zu tun haben, findet man in allen Kulturen. Die weltweite Streuung des ethnologischen und kulturanthropologischen Vergleichsmaterials vermag das zu verdeutlichen. Es erfaßt eine Vielfalt von Erinnerungstechniken mündlicher oder semiliterater Kulturen europäischer wie außereuropäischer Gesellschaften 36 . Bemerkenswert sind eigentümliche Wampum-Gürtel oder Piktogramm-Aufzeichnungen der Delaware, Dakota oder Kiowa aus dem 19. Jahrhundert 3? Die Mündlichkeit der Überlieferung läßt, wirken ihr keine elaborierten Gedächtnis-Stabilisatoren - wie beispielsweise die Quipuschnüre der Inka - entgegen, die psychischen Verformungsprozesse, die flexible, situative Gedächtnismodulation und die mit ihr einhergehende Ungenauigkeit der Erinnerungen verstärkt hervortreten. Details zerfließen rasch und für immer. Was unzutreffend erinnert wurde, läßt sich nicht mehr heilen; der Verformungsprozeß schreitet unaufhaltsam - bald rascher, bald gemächlicher voran. Als Stabilisatoren des kollektiven Gedächtnisses erweisen sich allerlei Objekte, Landschaften, Geländemale, Grabstätten, speziell errichtete Monumente, Waffen, Schmuck und dergleichen mehr; auch wiederholte Unterweisungen in «Männer-» oder «Frauenhäusern»38. Gleichwohl, auch sie bildeten keinen ewig haltbaren Damm gegen den schleichenden Wandel einer Erzählung, die sich an ein Objekt, ein Geländemal oder was immer bindet, gegen die gierige Aushöhlung der Vergangenheit durch die fortgesetzt anbrandenden Fluten immer neuer Gegenwarten. Er ist mehr oder weniger kontinuierlich und allenthalben zu registrieren, sobald nur eine Geschichte in ihren Wiederholungen verfolgt werden kann. Mündlichkeit, kollektive Erinnerung, Geschichtsdenken und Geschichtsschreibung treten auseinander. Der Historiker hat seine Erkenntnismethoden entsprechend zu modifizieren.
21.4
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I
6.5
Strukturelle Amnesie
Die Ethnologie bietet eine lange Serie von Beispielen zum Umgang mit dem Gedächtnis in oralen oder semiliteraten Kulturen. Die seßhaften, Bodenbau treibenden Hopi in Arizona etwa, eine Gruppe der westlichen Pueblo-Indianer, bilden seit den frühesten Feldforschungen im 19. Jahrhundert ein dankbares Untersuchungsfeld, da sie seit jeher eine spezifische Form elaborierter Mündlichkeit pflegten: Wer von einer Reise oder Unternehmung zurückkehrte, hatte in der Kiva, dem Kulthaus, seinen Gruppengenossen genau und detailliert zu berichten, was er erlebt hatte 39 . Das schien die Zuverlässigkeit der Erinnerungen zu gewährleisten. Der Plot einer Geschichte soll tatsächlich durch mehrere Jahrzehnte un- ' verändert von der mündlichen Tradition bewahrt worden sein, wobei unklar ist, wer die Träger der Überlieferung sind und wie weit die gedächtnisstabilisierende Wirkung jener Fragen eines Interviewers, die ihr Vorwissen aus der Literatur schöpften, und überhaupt die Verbreitung älterer Berichte (etwa in Zeitungen und Journalen) auf die Überlieferung einwirkten. Gleichwohl waren auch bei den Hopi Teleskopie und zeitliche Inversion an der Tagesordnung; erweisen sich auch bei ihnen die Altersangaben der Informanten und chronologische Hinweise als besonders verformungsanfällig; konnten ursprünglich unbeteiligte Personen hinzutreten; drangen traditionale Handlungsmotive und mythische Verhaltensmuster in ein anders geartetes reales Geschehen ein40 . Im Ergebnis traten eigentümliche Mischungen von einst Geschehenem, später Hinzugefügtem und Mythischem hervor, die ohne gesicherte Kontrolldaten derartige Tradition für eine akkurate Datensammlung, die ein Geschehen in Raum und Zeit und mit allen wichtigen Beteiligten verorten möchte, nur bedingt verwertbar macht. Es ist, um Mißverständnissen oder Diskriminierungen vorzubeugen41 , zu betonen, daß auch die folgenden Beispiele tatsächlich Beispiele sind, nämlich besonders bündige Illustrationen eines rund um die Erde zu beobachtenden Phänomens der «strukturellen Amnesie» darstellen, des Verlusts an Details bei gleitender Anpassung der Erzählung an die Gegenwart bei gleichbleibendem Erinnerungsplot, gleichbleibender Struktur des Erinnerten, daß sie nicht entfernt dazu dienen, den Beweis für derartiges Vergessen anzutreten42 • So können Glieder einer zu memorierenden Genealogie aus mancherlei Gründen aus der Abfolge der Namen ausfallen, ohne daß sich damit die Erinnerungsstruktur der Genealogie verflüchtigt hätte. Sie hatte sich lediglich an die Bedingungen und Bedürfnisse des Augenblicks angepaßt. Der Sachverhalt derartig kollekti-
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ven und kulturellen Vergessens ist längst bewiesen, längst von Autoren wie Maurice Halbwachs oder Frederick Bartlett für die Sozial- und Geschichtswissenschaften fruchtbar gemacht, wenn auch in der deutschen Geschichtswissenschaft, erinnerungsblind, wie sie sich bislang gab, nicht sonderlich beachtet worden. Es geht im folgenden also nicht um Beweise, sondern um Konsequenzen aus dem Phänomen der «strukturellen Amnesie» für die Beurteilung gleichartiger Phänomene des europäischen Mittelalters. Die bisher virulente Unterstellung, die vorliteraten Kulturen Europas verhielten sich grundsätzlich anders als die übrigen oralen Kulturen dieser Erde, zeugt mehr von Arroganz als von Wissenschaft. Bei den Gonja in Nordghana - einem unter dem Einfluß des durch maghrebinische Fernhändler vermittelten Islam lebenden Königreich mit ständigen Beziehungen zur literaten, muslimischen Außenwelt, mit einer im wesentlichen auf den Kontext dieser Religion, seltener auf Briefe, Handelsgeschäfte oder historische Darstellungen (deren älteste aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts stammt) eingeschränkten, arabischsprachigen Literalität43 - registrierten britische Kolonialbeamte die Geschichte von Ndewura Japka, ihrem legendären Reichsgründer, der sein Reich in sieben Provinzen gegliedert habe, deren jede einer seiner sieben namentlich genannten Söhne verwaltete. Die Zahl der Provinzen entsprach in der Tat der Situation, als die Briten um die Jahrhundertwende die fragliche Region ihrer Herrschaft unterstellten. Alsbald führten sie eine Verwaltungsreform durch, so daß statt der bislang sieben nur noch fünf Bezirke zu verwalten waren. So blieb es auf Jahrzehnte. Dann aber, nach sechzig Jahren, wurde die Geschichte vom Reichsgründer noch einmal erfragt. Jetzt besaß Japka nur noch fünf Söhne; jene zwei, deren Provinzen von der Kolonialverwaltung aufgelöst worden waren, waren spurlos aus der Geschichte verschwunden44 • Wären ihre Namen nicht von britischen Kolonialbeamten festgehalten worden, kein Gedächtnis hätte sie dem Vergessen wieder entreißen können. Bei den Tiv in Nigeria wurden lange Genealogien memoriert, aus denen sich die Rechte der jeweilig Genannten ergaben. Kolonialbeamte schrieben sie auf, weniger um sie der Nachwelt zu erhalten, als um für Gerichtsverfahren gerüstet zu sein. Vierzig Jahre lang stützte man sich auf sie, obgleich sie Gegenstand zahlreicher Kontroversen waren. Die Tiv behaupteten, die Aufzeichnungen seien falsch; die literaten Beamten aber betrachteten dieselben als Dokumente der altüberkommenen Rechtslage. Tatsächlich hatten sich die Genealogien flexibel den gleitend sich wandelnden, realen Verhältnissen angepaßt, während das Schriftzeugnis der Kolonialherren in seiner unflexiblen Starrheit längst veraltet war und festhielt, was niemand mehr wissen wollte45 • Die memorierten Genealogien waren·
21.6
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I
keine historischen Quellen, gaben gerade keine Kunde über die Vergangenheit, obgleich sie im Vergangenheitsmodus memoriert wurden, vielmehr aktuelle Daten der erzählenden Gegenwart. Vergangenheit, genauer: der Modus der Vergangenheit erweist sich als Legitimitätserfordernis der Gegenwart, nicht als tradiertes Einst. Sehe ich recht, so entspricht dieser Sachverhalt der neuronalen Selbststeuerung des Gehirns, in dem nur als ein verfügbares, <jetzt> aktualisiertes und zum Feuern gebrachtes neuronales Netzwerk erscheint. Die beiden Beispiele, denen ungezählte zur Seite gestellt werden können, verdeutlichen nicht nur das unter Ethnologen längst bekannte und vielfach beobachtete Phänomen der «strukturellen Amnesie». «Schon allein aus Gründen der Gedächtnisökonomie kann nur das weitergegeben werden, was auch aktuell von Bedeutung ist»46. Derartige Beobachtungen stellen auch den Historiker oraler oder semiliterater Gesellschaften vor ein methodisch kaum lösbares Dilemma. Die Schriftzeugnisse, die sich ihm bieten, stehen im Verdacht, nichts weiter als Fixierungen eines transitorischen Momentes im gleitenden Vergangenheitsbild dieser Gesellschaften zu bieten, nicht getreulich frühere Sachverhalte zu fixieren, vielmehr lediglich Zeugnis abzulegen für die zum Zeitpunkt der Niederschrift aktuelle Lage, ein Zeugnis, das sich aus Legitimitätsgründen der Vergangenheitsform bedient. Historiker, verfangen in Schriftgläubigkeit, Quellenpositivismus und ihren eigenen historistischen Denkweisen, haben den Vergangenheitsmodus in ihrem Sinne mißverstanden: nämlich als erinnernde Bewahrung von . Im Streit der Dagara mit den Sisala im Grenzgebiet von Ghana und Burkina Faso um die Siedlungsgebiete beispielsweise, der nicht zuletzt den alten Gegensatz von Jägern und Bauern aufleben ließ, bringt jede der beteiligten Gruppen ihre eigene Version des Siedlungshergangs hervor. Erzählung und Gegenerzählung konkurrieren, ohne daß bereits Aushandlungsprozesse eine einzige, gar eine offizielle Version zustande gebracht hätten. Die entsprechenden Erzählungen weisen nicht nur im Vergleich miteinander charakteristische und gerade wesentliche Kernpunkte des Geschehens verformende Abweichungen auf, so daß es methodisch falsch wäre, sich nur auf eine Version zu stützen; sie verändern sich zudem auch innerhalb der eigenen Gruppe mit dem Fortgang der Zeit, passen sich gleitend dem Wandel der politischen und sozialen Situation und der Interessen an. Sie «teleskopieren» und operieren mit dem «floating gap». Zwar gibt es gewisse Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Versionen; doch dieselben bedienen sich weit verbreiteter Cliches, allenthalben griffbereiter Wandermotive - Jäger gegen
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Bauern, Ziegen für Land, Frauenraub und dergleichen mehr -, wie sie in den Auseinandersetzungen zwischen Jägern und Bauern allenthalben auftreten~ so daß auch hier die Historizität des Einzelgeschehens kaum akkurat herausgearbeitet werden kann. «Die faktische Geschichte wird sich immer nur annäherungsweise ermitteln lassen»47. Vor allem aber - und das ist ein gravierender Einwand, der zumal dem Historiker zu schaffen macht: Fällt nur eine einzige dieser Erzählgemeinschaften vorzeitig aus (sie sei liquidiert, ausgestorben oder ausgewandert, entmachtet, assimiliert oder aus sonst einem Grund verschwunden), dann verstummt mit ihr in der Regel auch ihre Erzählung, die zur überlebenden ist; dann beherrscht allein die Version des <Siegers> die Vergangenheit und somit eine Version, deren Glaubwürdigkeit damit unkontrollierbar wurde; selbst wenn Traditionselemente wie etwa religiöse Kulte der Unterlegenen in die Überlieferungen der Sieger aufgenommen werden, so sind es die letzteren, welche über die Art der Adaptation befinden. Gerade die wesentlichen Elemente der Erzählung sind betroffen, die einstige soziale Konstellation selbst. Der noch erkennbare Plot verrät bestenfalls die halbe Geschichte, aber auch diese nur dem, der die ganze schon kennt. Zeit, Ort, Beteiligte und Geschehen haben sich verschoben und verflüchtigt. Wo immer in mündlichen Gesellschaften nur die Überlieferung einer einzigen Gruppe faßbar wird, ist mit untergegangenen Gegenerzählungen zu rechnen und nach den geringsten Hinweisen auf sie Ausschau zu halten. Allenfalls bei einigem Glück mag es gelingen, noch Spuren der Retuschen - kleinste Hinweise gleich einer überzähligen Hand, einem Fuß zu viel, einem falschen Augenschlag auf manipulierten Photographien - zu erkennen und für das zu errichtende Vergangenheitskonstrukt zu verwerten. Daraus ergibt sich die methodologische Forderung: Die Glaubwürdigkeit des so fragmentarisch Überlieferten - es handelt sich beispielsweise um eine beachtliche Menge frühmittelalterlicher Quellen ist schlechthin nicht zu kontrollieren. Ihm Glauben zu schenken, ohne der Gegenerinnerungen habhaft geworden zu sein, die Tradition also der Sieger - und sei es die Geschichte, wie Karl der Große seinen Vetter Tassilo ausschaltete oder wie Heinrich der Vogler die Krone gewann - mit welchen Kautelen auch immer garniert zu servieren, setzt an die Stelle des Geschehenen, das Geglaubte, den Anspruch einer Partei; setzt, wenn man so will, die Wahrheit der Vergangenheits-, Traditions- oder Geschichtsbilder der Sieger gegen die Wirklichkeit menschlicher Gruppen und Verbände.
21.8
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I
6.6
Traditionen werden erfunden
Heutige Ethnologen registrieren mit Staunen, daß sie selbst durch ihre Feldforschung und deren monographische Darstellung kulturelle Traditionen der von ihnen untersuchten Gesellschaften produzieren, ja fabrizieren können 48 • Ein bekanntes Beispiel dieser Art betrifft die Maori, in denen bald Semiten (Nachkommen der verlorenen jüdischen Völker), bald Arier gesehen worden waren, bevor ihnen eine eigene Identität zugebilligt wurde 49 • Diffusions- und Wanderschaftstheorien förderten die Erfindung und Akzeptanz von «Traditionen» durch Europäer. So soll ein Mann namens Kupe im Jahr 925 die neuseeländischen Inseln entdeckt, um die Mitte des 1.2. Jahrhunderts Toi und sein Enkel Whatonga sie von Tahiti aus besiedelt und schließlich die «Große Flotte» von sieben Kanus um 1.350 von Hawaiki aus das Land in Besitz genommen haben; von diesen Booten leiteten sich alle Maori her. Die hübsche Geschichte im Verein mit dem Kult des Gottes 10, des Unerschaffenen, Ewigen, Höchsten, des Weltschöpfers, der die übrigen Götter erschuf, ist, soweit zu überprüfen, - gleich der Geschichte vom bärenstarken Husaren von Szeged - ein. Konstrukt, eine Komposition nämlich von Europäern. Sie wird erstmals um 1.91.3h 5 greifbar und fabriziert unter Verwertung heterogenster Materialien - einheimischer Erzählungen, des biblischen Vorbilds, der Geschichte der Einnahme Englands durch Wilhelm den Eroberer, auch der Geschichte der Angelsachsen nach Beda Venerabilis - eine Tradition, die dann selbst von den Maori als die ihre akzeptiert wurde. Möglich wurde derartige Aneignung, so zeigt sich, weil um 1.900 die gesellschaftspolitische Integration der Maori, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihr neues politisches Selbstbewußtsein sich Ausdruck zu verschaffen suchte.
6.7
Stabilisatoren des Gedächtnisses
Jede Gesellschaft braucht ihre Gedächtnisträger, seien sie Sänger oder Erzähler, Schamanen oder Gelehrte, die nicht nur unterhalten, sondern vor allem Religion, Herrschaft, Recht und Sitte zu thematisieren wissen und dem Kollektiv eben auch eine Vergangenheit vor Augen stellen, mit der es sich identifizieren kann und die seine Gegenwart zu legitimieren vermag. Mitunter werden drastische Mittel ergriffen, um «korrekte» Dauerhaftigkeit mündlicher Überlieferung zu erzwingen. Im afrikanischen Königreich Buganda sollen alle offiziellen Hofsänger
Stabilisatoren des Gedächtnisses
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geblendet worden sein, um ihre Kunstfertigkeit zu erhöhen oder um sich von schönen Frauen nicht in Versuchung führen zu lassen. Sie hatten Lob- und Totenlieder auf die Könige und andere Hofleute zu dichten und vor allem die Ahnen des Königs zu besingen. Dies letzte war besonders gefährlich: Ein einziger Fehler konnte den Tod bedeuten. Bei den Ashanti standen zwei Scharfrichter hinter dem Sänger, bereit zum Töten, wenn ihm ein Fehler unterlief50 . Es mangelt indessen an Kontrollaussagen, um die Wirkung derartiger Bedrohung auf die Dauerhaftigkeit der Erinnerungsprodukte überprüfen zu können. Auch konnte bestenfalls das so Kanonisierte auf Dauer gestellt werden und nichts sonst. Waren die Mittel auch drastisch, so darf ein langanhaltender Erfolg solcher Kooperation von Macht und Gedächtnis gleichwohl bezweifelt werden. Denn ungeregelt blieb die Selektion der richtigen Erinnerungen etwa durch die Könige selbst. Hier spätestens schlich sich die Verformung des Vergangenheitswissens in die Überlieferungen ein. Die Nalumin in Papua-Neuguinea sicherten ihr kulturelles Gedächtnis im Kulthaus der Männer durch das Aufbewahren spezieller Kultobjekte - Federn, Knochenstücke wie beispielsweise Schweineunterkiefer, Versteinerungen, Geräte, Nahrungsmittel, sakrale Gegenstände -, an die sich bestimmte Mythen, Erzählungen oder Lieder knüpften, die von wenigen Spezialisten gewußt und weitergegeben wurden51 • Die der Kulthäuser, wie man sie genannt hat, waren für das entsprechende Wissen zuständig; sie gehörten alle dem mächtigsten Klan der Nalumin an. Gingen die Objekte verloren, ging mit ihnen ihre Geschichte unter. Darüber hinaus gab es Landmarken, Wege oder Naturmonumente, an die sich in analoger Weise das Gedächtnis der Ahnen heftete; so entstanden Erinnerungsräume um das Dorf. Was ohne Objekt im Kulthaus oder ohne Ort im Erinnerungsraum blieb, wurde nicht erinnert. Vergleichbare an Objekt und Ort gebundene Erinnerungstechniken finden sich auch andernorts, selbst in Europa52 • Überlieferungen ohne dingliche oder rituelle Anbindung sehen sich erhöhter Verformungsgefahr und rascherem Vergessen ausgesetzt als solche mit entsprechender Rückversicherung. Ständige Wiederholung der Erzählungen bewahrte diese wenigstens für eine gewisse Zeit vor Transformationen. Doch existiert auch jetzt keine Untersuchung über die inhaltliche Stabilität derartiger Erinnerungen; Verformungen etwa durch wiederholtes Aushandeln der Vergangenheit durch verschiedene Klane waren an der Tagesordnung. Älteres blieb auf der Strecke, Neues schob sich an seine Stelle. Faktizistische Präzision der Erinnerungen wird man nicht postulieren
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I
dürfen. Festgehalten wurde ohnehin nur das, was für die Gegenwart Relevanz besaß, nicht, wie es «tatsächlich» dazu gekommen war. Gravierende Folgen zeitigte die (erst 1978 erfolgte) Missionierung der Nalumin. Der zwanzigjährige Rhythmus der sich über Monate hinziehenden Initiationen mit der Mythen-Übermittlung, deren letzte um 1958 stattgefunden hatte, riß nun ab. Das Traditionswissen der N alumin begann, vollends zu versinken. Doch auch innerhalb der Zwanzig-JahreFrist griff Vergessen und Verformen auf das zu Erinnernde über. «Ich habe vieles erfahren, was ich erzählen kann», stellte im Jahr 1983, ein Vierteljahrhundert nach der letzten Initiation, einer der damals Initiierten resignierend fest, «aber etwas habe ich auch vergessen»53. Auch mit dem Kulthaus wandelte sich das Gedächtniswissen fortgesetzt; ohne das Kulthaus und die dort wirksame Institutionalisierung des Erinnerns aber geht die überkommene Traditionspflege und mit ihr die Vergangenheit unter. Entsprechendes gilt von den Sawos, einer weiteren Gruppe auf Papua-Neuguinea, die am mittleren Sepik siedelt 54 . Die wichtigste Form ihrer Überlieferung sind die Namensgesänge, die einzelnen Klanen oder Klangruppen zugeordnet sind und regelmäßig zur Aufführung gelangen. Sie werden etwa bei Totenfesten gesungen und verbinden die Namen der Ahnen mit mythischem Wissen, den Taten der Urahnen oder den magischen Funktionen des Klans. Ihre Kenntnis beschränkt sich auf sehr wenige Männer. Länge und Umfang einer Performance ist abhängig von den durch den fraglichen Klan zur Verfügung gestellten Nahrungsmitteln; denn der Gesang erstreckt sich über viele Stunden. Aufgebaut ist er nach einer festen Struktur aus mehreren Strophen oder Abschnitten, von denen mehrere hundert zu einem Namensgesang vereint sein können. Ein Bündel von Stäbchen, deren Anzahl der Zahl der Strophen entspricht, gehört zu jedem Namensgesang; es wird in den Häusern des zugehörigen Klans verwahrt. An ihm haftet gleichsam das Gedächtnis; die KlanMitglieder werden die Richtigkeit des Vortrags kontrollieren können. Wiederholung garantiert die Stabilität der Erinnerung, wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Gleichwohl gibt es «keine absolut festgelegte Form des Gesanges»; Inhalt, Reihenfolge der Einzelgesänge oder die Namensfolge unterliegen permanenten Veränderungen, sind also unablässig offen für Verformungen jeglicher Art. Allein die Struktur bleibt unangetastet. All dies stellt zweifellos bemerkenswerte Zeugnisse für das Bemühen dar, Erinnerung auf Dauer zu stellen. Die Aktivitäten sind verbunden mit einer extremen Informationsselektion. Nicht alles kann mit der
Stabilisatoren des Gedächtnisses
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nämlichen Intensität erinnert werden, nur weniges wird weitergegeben. Das Ausgewählte bedarf zudem kontinuierlicher Wiederholung, um bewahrt zu werden. Die Selektion aber erfolgt fortgesetzt. Sie streicht einst Memoriertes, fügt Neues hinzu, mithin, paßt die Vergangenheit der Gegenwart an. Wie erfolgreich das ganze Verfahren auf diese Weise ist, läßt sich nur abschätzen. Weit in die Tiefen der Vergangenheit reicht das Wissen, das sich derartigen Techniken verdankt, jedenfalls nicht. Gleichwohl gilt es, die Intention zu beachten. Mythen, Kultsagen, Kultlieder oder Ritualtexte, oft in gebundener Rede überliefert, sind gegen Vergessen oder Verformung in der Regel besser gefeit als kultferne Erinnerungen. Ihre Tradition ist institutionalisiert, mitunter kanonisiert, regelmäßig rituell inszeniert. Allein, sie überliefern ein ausgegrenztes Wissen, kein aus dem Fluß des Geschehens geschöpftes. Das Handeln der Menschen, die Fülle und Kontingenz des Geschehens verflüchtigt sich. kommt auf diesem Wege nicht zustande. Das Interesse am Kanon richtet sich nicht auf eine fortlaufende Geschichtsschreibung, auf Annalistik oder reflektierendes Festhalten irgendwelcher Vergangenheiten. Sie bewahrt lediglich verpflichtendes und deshalb prinzipiell unantastbares, im letzten normatives Wissen. Dasselbe vermehrt sich nicht mit dem Fortgang der Zeit und der Mehrung der Menschen oder nur in Ausnahmefällen. Als Modell für mündliche Tradition und als Maßstab ihrer Leistungskraft können solche Sagen letztlich nicht dienen. Nur spezialisierte Erinnerungspflege vermag die Zeiten mehr oder weniger ausgiebig zu überdauern 55 • Ohne eine derartige fällt, was geschah, über kurz oder lang dem Vergessen anheim. Die Hochzivilisation der Maya - nur dieses eine Beispiel noch -, die eine Symbol- und Silbenschrift kannte, einen komplizierten Kalender, eine schriftunterstützte Erinnerungskultur, ein elaboriertes Inschriftenwesen und Bücher besaß, die mehrere Großstädte und eine schriftkundige Bildungselite vorweisen konnte, verfiel aus inneren, einstweilen noch unbekannten Gründen vor ca. 1.000 Jahren. Die Städte und Tempel sanken in Trümmer; Wald überzog, Urwald überwucherte sie; keine Inschriften wurden mehr in Stein gehauen, keine Kalenderkunst mehr betrieben. Indes, wenigstens ein Teil der Bevölkerung blieb; sogar einige wenige Schreibkundige gab es noch zu Zeiten der Conquistadoren. Doch das Wissen, das im Lande einst gepflegt und tradiert worden war, hatte sich verflüchtigt und ging vollends unter, als die Spanier dem Land ihre Religion überstülpten. Keine Erinnerung überdauerte die Jahrhunderte bis zu den ersten spanischen Chronisten, keine Geschichtserzählung, keine Sage, kein Götter-, kein Heldenmythos, kein Schlachtgesang, kein Liebeslied rettete sich in die
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen I
mündliche Überlieferung des Volkes. Schriftloses Schweigen breitete sich über alle Vergangenheit, die Nacht ewigen Vergessens. Ohne Schrift und ohne Spezialisten mündlicher Erinnerungspflege welkte die Vorzeit spurlos dahin. Erst seit jüngster Zeit und allmählich gelingt es durch die Entzifferung der Schrift und der Kalender, die Vergangenheit der Maya ein wenig aufzuhellen56 •
VII.
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen 11: Erfahrungen der Mediävistik
7.1
Die Spur der Gedächtnismodulation in historischen Quellen
Kein Zweifel, wir Menschen erinnern uns. Aber in alle Erinnerungen schleichen sich - von absichtlichen Verdrehungen und Lügen abgesehen - aufgrund der Arbeitsweise unseres Hirns fortgesetzt unbewußt und unbemerkt Veränderungen ein, die den ursprünglichen Wahrnehmungen eines Informanten schwer zusetzen und die von seiner Erinnerung intendierte Wirklichkeit verfehlen. Auch wer informiert wurde, unterliegt gleichartigen Bedingungen und vermag fremde Erinnerungen, wenn überhaupt, nur begrenzt zu kontrollieren; er akzeptiert sie gewöhnlich, wandelt sie sich an und gibt sie verformt weiter. Derartige Modulationen sind als solche unabhängig von der Sprache, auch wenn verschiedene Sprachen verschiedene Strategien zur Stabilisierung von Erinnerungen entwickeln. Darauf ist unten zurückzukommen. Derartige Verformungen beginnen mit dem Wahrnehmungsprozeß selbst und setzen sich in allen Äußerungen fort, an denen das Gedächtnis beteiligt ist. Den Historiker kann dies nicht gleichgültig lassen; ein Großteil seiner Quellen ist von derartigen Verformungen gezeichnet, obgleich es nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß es zu anderen Zeiten oder in anderen Gesellschaften, in der Antike etwa oder dem europäischen, Byzanz und wichtige Bereiche der islamischen Kultur mit einschließendem Mittelalter, unter Afrikanern oder den Aborigines Australiens je anders gewesen sei, auch wenn es aus Überlieferungsmangel schwerer zu verfolgen ist als in der Neuzeit und im konkreten Einzelfall aus Quellenmangel ein Nachweis nicht immer gelingt. Doch darf eine derartige Unmöglichkeit keinesfalls zu der Annahme verleiten, ein zufällig erhaltenes Einzelzeugnis sei deshalb hinsichtlich seiner Faktenaussagen zuverlässig. Denn Unkontrollierbarkeit gestattet keine Ausnahme von der Regel. Wir haben vielmehr ein konstantes, sich bald stärker, bald schwächer, sich im vorhinein in seinen Windungen nie vorhersagbar artikulierendes Verformungspotential zu registrieren, das offenbar zur geistigen Grundausstattung des Homo sapiens sapiens gehört und sich in je spezifischer Weise allen seinen kognitiven Leistungen untermischt. Die geschicht-
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
liche Überlieferung bietet keinen Anlaß, den kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen zu widersprechen. Ganz im Gegenteil, sie bestätigt sie und verdeutlicht deren Relevanz für jede Kulturgeschichte. Die historische Forschung ist um so stärker betroffen, je weniger Quellen und Kontrollzeugnisse ihr zur Verfügung stehen, je mehr dieselben sich dem Gedächtnis und je seltener sie sich eingefahrener Routine verdanken. Zumal durchkomponierte historiographische Werke mit literarischem Anspruch müssen erinnerungskritische Skepsis erregen. Orale und semiliterate Gesellschaften unterliegen derartigen Konditionen fast uneingeschränkt. Antike und Mittelalter erweisen sich für entsprechende Untersuchungen als besonders ergiebig, deren aber auch als besonders bedürftig. Das Wissen über ihre Geschichte fließt zumeist aus spärlichen, immer wieder versiegenden historiographischen Quellen, die selten stabilisierende Routine, in überwiegendem Maße die Modulationskräfte des Gedächtnisses gestalteten. Diese Geschichte offenbart .sich dem forschenden Blick des Historikers nur durch abtönende, verformende, verzerrende Filtersätze aus Erinnerungen, die sich nicht entfernen, sondern nur einkalkulieren lassen. Der Umstand erfordert ein neuartiges Lektüreverhalten, das nur in der Praxis kontrolliert und geschult werden kann. So müssen im folgenden neuerlich einzelne Fälle erörtert werden. Vermutlich aber ist die gesamte Geschichte beider Epochen betroffen. Ein erster Schritt verlangt die Bestandsaufnahme einschlägiger Hinweise. Gleich einem Chemiker, der Spurenelemente nachweisen möchte, hat man die verfügbaren Quellen, soweit sie sich dem Gedächtnis verdanken, in zeitlicher Schichtung auf Spuren primärer und sekundärer Verformungsfaktoren, von Gedächtnismodulationen jeglicher Art zu durchsuchen. Schichten von Erinnerungen werden da hervortreten und mit ihnen Schichten von Wirklichkeiten, Schichten erinnerungsgefärbter Wahrnehmungen. Diese Spurensuche darf keine Quellengruppe aussparen und keinem Text voreilig unterstellen, daß er verformungsresistent geschehene Wirklichkeit tradiere, er erscheine noch so zuverlässig und genieße höchstes Ansehen. Sie hat die verschiedenen (im ersten Kapitel herausgearbeiteten) Artikulationsformen mnemonischer Verfremdungs- und Konstruktionsfreude zu beachten und eine Art Formkunde der Verformung zu betreiben. Mündlichkeit, Schriftlichkeit, der kulturspezifische Umgang mit letzteren und spezielle Stabilisatoren der Erinnerung, die besonderen Stabilisierungstechniken einzelner Gesellschaften oder gesellschaftlicher Gruppen und ihre Leistungsfähigkeit sind dabei angemessen zu berücksichtigen. Alle Erinnerungszeugnisse sind zur Auswertung kon-
Gedächtnismodulation in historischen Quellen
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sequent jeweils in ihrem sie konditionierenden gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Widersprüche zwischen ihnen sind erste Indikatoren für Erinnerungsmodulation; sie dürfen nicht werden. Die eintausend Jahre des sogenannten Mittelalters (von ca. 500 u. Z. bis ca. 1500 u. Z.), denen sich nun die Aufmerksamkeit zuwendet, sehen sich nicht durch gleichbleibende Stadien von Mündlichkeit geprägt. Im Gegenteil: Der zumal von religiös-kirchlichen Erfordernissen initiierte Literalisierungsprozeß schritt in diesem Jahrtausend kraftvoll voran. Die Zeitgenossen waren damit trotz mancherlei Skrupel nicht nur in der Lage und willens, von der heidnisch-antiken Schriftkultur zu retten, was heute noch greifbar ist; sie setzten auch aller Betrachtung der griechischrömischen Kultur (soweit sie sich nicht auf Inschriften, Münzen oder archäologische Befunde stützen kann) eine mittelalterlich getönte Brille auf, durch die allein noch diese Antike wahrzunehmen ist. Das haben die Ideologen der Renaissance völlig verdrängt, die sich die Wiederbelebung der Antike zugute hielten, doch nichts gerettet, das vom Mittelalter Gerettete vielmehr nur neu interpretiert haben. Gleichwohl repräsentieren diese mittleren Jahrhunderte zwischen einer trotz aller Literalität weithin schriftlosen Antike und einer keineswegs Ereignis anwesend war und dabei im Spiel seinen ersten Zahn verlor. Manche Historiker hielten das für ein verläßliches autobiographisches, über erschließbare Informationsketten auf uns gekommenes Zeugnis und deduzierten aus ihm allerlei wichtige Informationen. Doch haben sie sich wie die Zeitgenossen des Autors von einer späten Fiktion täuschen lassen, die das jedermann Vertraute und damit Plausible zur Tarnung benutzte2 • Parallelzeugnisse liegen in diesem Falle nicht vor. Selbst Augen- und Ohrenzeugen konnten irren, wie etwa der Karlsbiograph Einhard. Kolportierte er doch ein falsches Lebensalter seines Helden, obgleich er jahrzehntelang an dessen Hof gelebt und ihn wiederholt gesprochen hatte. Karl selbst dürfte sein wirkliches Alter ebensowenig gekannt haben wie seine nächste Umgebung3 . Auch die annähernd zeitgleichen und mit dem Königshof in Verbindung stehenden «Reichsannalen» überliefern unzutreffende Angaben. Nicht also die herausragenden Werke der karolingischen Geschichtsschreibung, die offiziösen und vielfach überlieferten, redaktionell durch-· komponierten «Reichsannalen», nicht Einhard, der literate, antike Autoren bis in Wortwahl, Satzgefüge und Aussage kopierende und Vertrauen erweckende Hofgenosse des großen Karl, erwiesen sich im Hinblick auf das Geburtsjahr des künftigen Kaisers als vertrauenswürdig, sondern eine knappe, nur in einer einzigen (Pariser) Handschrift überlieferte Notiz der bis vor kurzem als wenig zuverlässig geltenden, episodisch anmutenden «Annales Petavienses», denen zu folgen noch manche Gelehrte sich scheuen4 • Sie aber lassen Karl sechs Jahre jünger sein als jene angeblichen Hauptquellen. Sechs Lebensjahre mehr oder weniger lohnten, so könnte man mei-
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nen, den Forschungsaufwand nicht, der um Karls Geburtsjahr, überhaupt um Erinnerungen getrieben wurde und wird. Doch läßt erst die korrigierte Datierung den allgemeinen historischen Kontext dieser Prinzengeburt, ihre tatsächlich herausragende politische Bedeutung erkennen; und das ist entscheidend. Denn Geschichte spielt in der Zeit, und die Chronologie ist das Rückgrat der Geschichte. Fehler hier verzerren das Geschehene bis zur Unkenntlichkeit und Unerkennbarkeit. Gerade auf der Zeitebene bedarf der Historiker unbedingter, objektiver Gewißheit; gerade hier aber toben sich, wie jene vier Eingangsbeispiele verdeutlichten und weitere Exempel. verdeutlic;hen werden, die Verzerrungspotentiale, die schöpferische Assoziationsfähigkeit und Konstruktionslust des Gedächtnisses ungehemmt aus. Was hier verbogen wird, kann der Historiker nur unter glücklichen Umständen wieder richten, wenn ihm nämlich hinreichend verläßliche Quellen zur Verfügung stehen. Das ist für Antike und Mittelalter selten der Fall. Auch hier hat die Gedächtniskritik zu keinem Verlust, sondern zu vertiefter Einsicht in den Gang der Dinge geführt.
7.2
Die Entdeckung der Mündlichkeit
Erinnerung also fließt. Jeder Appell an frühere Enkodierungen ist tatsächlich unbewußt ablaufende Neuschöpfung durch das Hirn. Die komplexen' zu keiner Zeit abgeschlossenen (wenn auch endlichen), im letzten sich selbst steuernden, nämlich unbewußt, aufgrund zahlreicher variabler Faktoren intra- und extrazerebrale Informationen bewertenden und selektierenden Erinnerungsprozesse der Individuen, deren kollektivierendes Aushandeln sowie die dabei jeweils maßgeblichen Faktoren können bestenfalls im nachhinein erfaßt werden. Zu viele variable Größen sind an diesen Prozessen beteiligt. Die Ergebnisse derartiger Erinnerungsprozesse, die historischen Quellen, nötigen den Historiker, ihr Zustandekommen genauer zu betrachten, den Weg also vom individuellen Erleben zum kollektiven und kulturellen Gedächtnis für jeden Einzelfall zu untersuchen und zumal seinen Beginn: das individuelle, der Mündlichkeit verpflichtete Erinnern an die erfahrene Wirklichkeit. Das kulturelle Gedächtnis partizipiert durch die Erfahrungen und Erinnerungen der je Beteiligten an diesem unaufhörlichen Fließen. Wie also bahnt sich der Erinnerungsfluß mit seinen zahllosen Seitenarmen seinen Weg von der einzelnen Wahrnehmung oder Erfahrung und dem komplexen Geschehen zum kollektiven und kulturellen Gedächtnis? Wie wirken sich die individuellen zerebralen Enkodierungsprozesse auf
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
die Aushandlungsprodukte der Kollektive aus, und wie <speichern> die letzteren individuelle Erfahrungen in den Netzwerken ihres kollektiven Wissens? Wie wirkt sich dabei das kulturelle Umfeld aus? Wie leiten die Erfahrenden weiter, was sie erfuhren, solange sie sich nicht der Schrift bedienen oder, wenn sie sich eben der Schrift zu bedienen lernten? Und wie verändert der routinierte Schriftgebrauch ihre Attitüden? Kurzum: Wie spielen und zusammen? Diesen letzten Fragen, die für Historiker von größter Bedeutung sind, ging Alexander R. Lurija nach, ein seinerzeit blutjunger russischer Psychologe, durchaus den Fortschrittsutopien der Oktoberrevolution zugeneigt. Mit der Verschriftung, so erkannte er, kommen andere mentale Verhaltensweisen auf. Er meinte, sie am Beispiel der vom jungen Sowjetstaat verlangten '«Elimination der Illiteralität» bei bislang schriftlosen Völkerschaften Usbekistans und Kirgisiens nachweisen zu können. Seine Untersuchungen, an denen er kurz vor 1930 arbeitete, entsprachen alsbald freilich nicht mehr dem in der Stalin-Ära Gewünschten. So wurden sie erst um 1970 veröffentlichts. Mit einem Katalog von Testfragen an eben seit wenigen Monaten oder etwas länger mit der Schrift konfrontierten Erwachsenen suchte Lurija jene Attitüden zu erfassen. «Was haben Huhn und Hund gemeinsam?» So lautete beispielsweise eine dieser Fragen; darauf folgten Antwort und weitere Fragen. «Sie sind nicht gleich. Ein Huhn hat zwei Beine, ein Hund vier. Ein Huhn hat Flügel, ein Hund nicht. Ein Hund hat große Ohren, die eines Huhns sind klein.» - «Du hast mir erklärt, worin sie sich unterscheiden. Worin aber gleichen sie einander?» - «Sie sind überhaupt nicht gleich.» - «Gibt es ein Wort, das du für beide gebrauchen kannst?» - «Nein, natürlich nicht.» Lurija erkannte, daß die Struktur kognitiver Aktivitäten und mentaler Attitüden keineswegs statisch sei, daß vielmehr in so fundamentalen Bereichen wie Wahrnehmung, Verallgemeinern, Kategorisieren, in logi-. sehern Folgern und Denken oder Vorstellungsvermögen bei fortschreitender Literalisierung - oder genauer: durch entsprechende Schulung6 gemäß den sozialen Bedingungen des Lebens dramatische Veränderungen in Richtung auf Abstraktion und Generalisierung eintreten, grundstürzende «Veränderungen in der Basisstruktur kognitiver Prozesse». Der Grad oder die Intensität der Literalisierung (resp.literater Schulung) ändern mithin nachhaltig und zuletzt irreversibel die mentalen Prozesse. Wer in seiner Jugend mit der Schrift umzugehen gelernt hat, wird nie mehr wie ein Illiterat denken können, selbst wenn er Illiteralität erforscht. Auch dies wird durch die Neurophysiologie bestätigt, die neuronale Enkodierungen in der variablen Abfolge elektrochemischer Prozesse
Die Entdeckung der Mündlichkeit
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gespeichert sieht. Derartige Literalität verändert die neuronale Schaltarchitektur ihrer Adepten. Der amerikanische Jesuitenpater Walter J. Ong hat aus Lurijas mit annähernd vierzigjähriger Verspätung publizierten Untersuchungen und im Aufgreifen des auf Milman Parry zurückgehenden Konzepts oraler Kultur allgemeine Kriterien zur Charakteristik mündlicher Kulturen entwickelt, die sich, wie es schien, den Wirkungen von Literalisierung und Schulung entgegensetzen ließen7 • Ongs Ausführungen zu den Kompositions- und Überlieferungs attitüden oraler Kulturen bieten einen ersten Zugang zu Phänomenen, auf die der Mediävist ebenso wie der Altertumsforscher, der Bibelforscher und «Neutestamentler» allenthalben, und, wie gezeigt, auch der Neuhistoriker stoßen. Doch sind einige Vorbehalte vonnöten. Denn Schriftgebrauch gleicht nicht Schriftgebrauch. Die Mission der beiden Buchreligionen des Christentums und des Islam zum Beispiel erreichte in Europa oder Afrika illiterate Gesellschaften, in denen fortan die Schrift allein im religiösen Kontext Bedeutung besaß oder besitzt, während das alltägliche Leben ohne Schriftgebrauch auskam oder auskommt. Das lateinische Mittelalter etwa, aber auch lange Jahrhunderte der europäischen Neuzeit repräsentieren diesen Typus, insofern zu ihrer Zeit der Schriftgebrauch nur allmählich in die nichtklerikale Welt expandierte und erst spät, zum Teil erst im 19. und 20. Jahrhundert, die ländliche Gesellschaft erfaßte. Ong nun hat neun Kriterien der «Psychodynamik der Oralität» als typisch für mündliche Kulturen namhaft gemacht und beschrieben; sie gelten mit gewissen Einschränkungen auch für semiliterate Kulturen. Diese seien «eher additiv als subordinativ», eher «aggregativ als analytisch», seien «redundant oder nachahmend, «konservativ oder traditionalistisch», verharrten in der «Nähe zum menschlichen Leben», fänden Gefallen am «kämpferischen Ton» der Darstellung, seien «eher einfühlend und teilnehmend als objektiv-distanziert», im wesentlichen homöostatisch, da sie obsolete Erinnerungen ausschieden, schließlich «eher situativ als abstrakt». Diese sich sprachlich manifestierenden mentalen Attitüden begegnen einem allenthalben auch in mittelalterlichen Zeugnissen und bieten damit einen ersten Schlüssel zum Verifizieren der Reflexe von Mündlichkeit auch noch im Medium der Schrift. Ist die Literalität allerdings weit genug fortgeschritten, können diese Merkmale bewußt als Stilmittel eingesetzt werden, beispielsweise um Altertümlichkeit vorzutäuschen. Hier gilt es entsprechend zu unterscheiden. Explizite Hinweise auf Mündlichkeit lassen sich regelmäßig in mittelalterlichen Texten fassen, beispielsweise in althochdeutschen Glossen 8 oder in den Formulae Marculfi, die seinerzeit durch Alf Uddholm einer
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
gründlichen sprach- und stilgeschichtlichen Untersuchung unterzogen worden sind. In den Formeln traten die nämlichen Sachverhalte zutage, auf die später Ong und der Ethnologe Jan Vansina hinwiesen 9 . Modale Übergangsphänomene zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit werden deutlich. Als charakteristisch stellte der Philologe das «Gleiten des Gedankens» ( und bart bezeichne den Bart. Und bekannt sei auch, daß Godan derselbe wie Wodan sei, der bei den Römern Merkur heiße und von allen Völkern Germaniens als Gott verehrt würde (1,9). Ferner tauchten nun die Amazonen auf (I, 15), die den Langobarden bekannt geworden sein könnten, als sie mit der römisch-griechischen Welt in Berührung kamen. Die mündliche Tradition der Langobarden paßte sich also ihrer neuen mediterranen Umwelt an. Doch da stimme etwas nicht, registrierte der gelehrte Paul aufs neue. «Allen nämlich, die mit den alten Geschichten vertraut sind, ist bestens bekannt, daß das Volk der Amazonen, lange bevor sich die (Kämpfe zwischen ihnen und den Langobarden) hätten zutragen können, vernichtet worden sind.» Allenfalls könnten die fraglichen Gebiete den Historiographen unzureichend bekannt geworden sein, «so daß dort bis zur frag-
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
lichen Zeit ein solcherart Frauengeschlecht gelebt haben könnte» (1,15). Der gelehrte, in antiker Tradition gebildete Paulus kritisierte und spekulierte, verarbeitete heterogenes Material, zog Vergleiche zwischen seinen Quellen, wagte hypothetische Schlüsse, kurzum, er analysierte, was er vorgefunden hatte, um daraus seine Geschichte der Langobarden zu konstruieren. Das alles wäre ohne Schriftlichkeit unmöglich gewesen. Dieser Langobarde war ein Literat voll angelesenen Wissens und trainierter Rhetorik; und was dar an alte langobardische Überlieferung war, ist zweifels frei nicht mehr zu eruieren. Im Blick auf diesen Literaten ist unmittelbar nachzuvollziehen, wie sich mündliche Erzählungen, wie sich überhaupt Vergangenheit unter dem Einfluß antiker Schriftkultur zu ändern begann. Abermals wird man fragen, ob die Nachrichten stimmen, die Paulus über die anderen bekannten Überlieferungen hinaus vorzubringen hatte. Jetzt endlich, nicht früher, benutzte Alboin in frevlerischem Übermut die Hirnschale seines erschlagenen Gegners Cunimund als Trinkpokal, aus dem ihm zuzutrinken er Cunimunds Tochter Rosamunde befahl; keiner der Vorgänger des Diakons hatte derartiges zu berichten gewußt51 • Kontrollieren läßt es sich nicht. Nach der bisherigen Erfahrung im Umgang mit der Mündlichkeit wird abermals Zurückhaltung und Skepsis angebracht sein. Nichts schien fixiert und fest verankert, alles schwamm in einem fortgesetzten Kontinuum von Zugaben und Abstrichen, von Veränderungen und Neufundierungen, von Mythos, Erinnerung, Gelehrsamkeit und Konstrukt. Erst mit der Verschriftung gewann die Vergangenheit festere Gestalt und erst durch die geradezu kanonisierende Rezeption des Vergangenheitsbildes der «Origo» durch Paulus Diaconus wurde die langobardische Frühgeschichte unveränderlich - wirksam bis hin zur kritischen Geschichtswissenschaft unserer eigenen Gegenwart.
7.4.4
«Chiavenna»: Ein inversives Implantat?
Fiktionen können zu erinnerter Wirklichkeit werden. Ein herausragendes Beispiel aus der deutschen Geschichte mag dies illustrieren: der berühmt-berüchtigte Chiavenna-Zwischenfall, angeblich im Jahre 1176. Er dürfte, abweichend von der heute üblichen Meinung, als ein Implantat in das kulturelle Gedächtnis zu betrachten sein. Friedrich Barbarossa habe, so wußte ein wiederholt, doch spät überliefertes Gerücht, vor seiner schlimmen Niederlage bei Legnano vergebens Heinrich den Löwen in Chiavenna kniefällig um Hilfe gebeten. Es bedurfte der Niederlage, der Peripetie der kaiserlichen Italienpolitik durch dieselbe und den folgenden
« Chiavenna»
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Frieden von Venedig zwischen Kaiser und Papst im Jahre "1"177, des Sturzes des einstigen Herzogs von Sachsen und Bayern, endlich des Triumphes des Kaisers über seinen Vetter, um diese vage Geschichte in Umlauf zu setzen. Deren Verbreitung spiegelt den ausgedehnten interpretativen Spielraum in der geschichtswissenschaftlichen Analyse von Gedächtnisimplantaten52 . Dabei ist nicht zu zweifeln, daß an Heinrich den Löwen - wie an andere Fürsten auch - eine Aufforderung zur Militärhilfe ergangen war, doch sind eine persönliche Begegnung und der dabei angeblich erfolgte Fußfall des Kaisers vor dem Herzog angesichts der verfügbaren Quellen weder nachweisbar noch als einstige Wirklichkeit wahrscheinlich zu machen, sondern lediglich als Implantat in das kulturelle Gedächtnis zu betrachten. Nicht, daß Treffen oder Fußfall grundsätzlich undenkbar gewesen wären; die Geschichte kennt einige wenige, in etwa vergleichbare Beispiele für die Selbsterniedrigung eines Königs. Sie stellten die stärkste Form einer Bitte dar, die den Gebetenen zur Zustimmung geradezu verpflichtete 53 • Eine Möglichkeit bedeutet indessen noch keine Wirklichkeit. Aus staufischer oder späterer Zeit ist zudem dergleichen nicht bezeugt. Der kaiserliche Fußfall dürfte sich vielmehr als realitätsferne, inversive, fremdes Geschehen überschreibende Erinnerungsfigur in die Geschichte eingeschlichen haben: Friedrich hatte sich ja "1"177 tatsächlich vor dem Papst Alexander IH., Heinrich sich nach seiner Niederlage vor dem Kaiser mit Fußfall erniedrigen müssen. Die Quellen zu setzten erst zwei Jahrzehnte nach dem angeblichen Geschehen ein. Bestimmte Zeugen des Geschehens wurden mit Ausnahme der Kaiserin Beatrix und des welfischen Truchsessen Jordan von Blankenburg - beide waren zur Berichtszeit bereits tot - nicht erwähnt. Das Überlieferte läßt sich, was für seine jeweilige Interpretation relevant ist, in drei Gruppen einteilen: "1) in Quellen, die nach dem Tod der beiden Protagonisten, doch vor der staufisch-welfischen Doppelwahl von "1"198, 2) in solche, die nach der allgemeinen Anerkennung Ottos IV. (des Löwensohnes ), doch vor dem Auftreten Friedrichs H. in Deutschland, und 3) in solche, die nach dem endgültigen Triumph des staufischen Königtums entstanden. Ihre Darstellungen sind im Vergleich miteinander höchst divergierend, weisen aber bezeichnende Stereotype auf und sind von so zahlreichen typischen Momenten verzerrender Erinnerung durchsetzt, daß auch gegenüber jenem (zur zweiten Gruppe zählenden) Text, dem heute gewöhnlich trotz nachweisbarer Fehler weithin Vertrauen entgegengebracht wird, der Darstellung des Otto von St. Blasien (zu dem unzutreffenden Jahr "1"17"1), Skepsis angebracht ist. Die Geschichte von des Kaisers
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
persönlicher Begegnung mit dem Herzog und seiner kniefälligen Hilfsbitte begann erst seit den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts zu kursieren und diente in rückschauender Betrachtung durchweg zur Begründung des Welfensturzes. Im Prozeß gegen den Löwen, der tatsächlich mit dessen Deposition und Exilierung endete, hatte sie, soweit zu erkennen, nicht die geringste Rolle gespielt. Erstmals erwähnt wurde sie um 1196, von einem Fremden, dem Hennegauer Chronisten Giselbert von Mons, dem sie vermutlich über Köln (wo mit dem Erzbischof Philipp von Heinsberg der schlimmste Feind des Herzogs residierte) vermittelt worden sein dürfte. Sie enthält bereits Wendungen, die dann immer wieder, auch bei Otto von St. Blasien und noch später, auftauchen - ein sicherer Hinweis auf die Verbreitung einer quasi-kanonisierten Version. Das angesprochene Geschehen war, wie die erhaltenen Berichte zeigen, weder zeitlich noch örtlich fixiert. Jeder Chronist fügte es dort ein und ließ es dort spielen, wo es ihn am wahrscheinlichsten dünkte; der schwäbische Mönch Otto verlegte die Episode eben in die Zeit vor der Schlacht von Legnano und in die südlichste Grafschaft Schwabens, was ihm die folgende Niederlage des Kaisers gegen die Mailänder zu erklären erlaubte. Er allein nannte Chiavenna, wußte aber von dem Fußfall nichts oder nichts Genaues, daß nämlich Friedrich aus Furcht vor den Mailändern «demütiger als es der kaiserlichen Majestät gezieme» Heinrich um Hilfe gebeten habe, da dieser allein noch hätte helfen können. Ein anderer fügte hinzu: «Man sagt, daß er sich ihm zu Füßen geworfen hat»54. Es kursierte also ein Gerücht. Daß es der Wirklichkeit entsprach, müßte ebenso nachgewiesen, nicht nur postuliert werden, wie die keineswegs gesicherte persönliche Begegnung der beiden Fürsten selbst. Das Ritual eines Fußfalls bedürfte einer gewissen Öffentlichkeit, um die Wirkung zu erzielen, die es erzielen sollte. Von einer entsprechenden Versammlung aber fehlt jegliche Spur in den besten zeitgenössischen, zumal italienischen Quellen. Soweit sie über die Schlacht berichten, lassen sie überlegene kaiserliche Truppen und militärische Schlamperei der Deutschen bei der Feindaufklärung erkennen. Der Mönch in seinem Schwarzwaldkloster wußte davon wiederum nichts und entwickelte statt dessen seine Erklärung mit dem -Konstrukt. Vermutlich haben wir es mit einem Produkt nachträglich emotionalisierender Propaganda zu tun, welche die schwäbischen Freunde des Löwen für die staufische Seite gewinnen und dessen Gegner bei der Stange halten sollte. Es etablierte sich, als reale Möglichkeit von wirklichem Geschehen nicht zu unterscheiden, im kulturellen Gedächtnis. Die implantierte Episode operierte mit einer spiegelnden, den «Hochmut» des Löwen (eine Todsünde!) verdeutlichenden und damit seinen Sturz legiti-
«Sagen»
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mierenden Inversion: von der tatsächlich erfolgten Erniedrigung des Herzogs zur begründenden Erniedrigung des Kaisers. Doch muß die weitere Ausschmückung dieses Geschehens, in der möglicherweise auch das berühmte «Krönungsbild» im Evangeliar Heinrichs des Löwen und dessen umstrittene «Königspläne» eine Rolle spielten, an dieser Stelle auf sich beruhen55 . Beide spiegelten das stolze Wesen des Welfen, das den Zorn und die Feindseligkeit auch seiner fürstlichen Standesgenossen weckte. Das Implantat indessen mag den Vorstellungen der Zeitgenossen von fürstlicher Vasallentreue und kaiserlicher «Ehre» und den darauf gerichteten Erwartungen entsprochen haben; es mag Befürchtungen und Urteilsmuster der Zeitgenossen verdeutlichen56 • Doch hat der Historiker zu erkunden, welche Wirklichkeit hinter derartigen Berichten stand, ob (wie geartet auch immer) ein tatsächliches Geschehen, ob ein bloßes Gerücht oder gezielte Propaganda, und damit sich der Frage zu nähern, wie damals im späteren 1.2. Jahrhundert gemacht und ein Mächtiger zu Fall gebracht wurde. Ein Gerücht aber wurde damals, in einer Zeit, die weithin auf mündlich kolportierte Informationen angewiesen war, in der Erinnerung leicht zu Wirklichkeit.
7.5
Wie weit reichen mündliche Traditionen in die Vergangenheit zurück?
7.5.1
«Sagen»
«Hat Siegfried gelebt?» Die Frage wurde ernsthaft erörtert, vor allem in Deutschland, die Frage nach der Historizität der «Sage» und mit ihr die zeitliche Reichweite und Zuverlässigkeit des an Mündlichkeit gebundenen und Verformungen ausgesetzten Gedächtnisses; denn von dem Drachentöter schweigen alle historischen Quellen. Viele Antworten geben sich gleichwohl historisch; deren eine sei zitiert: «Der vertriebene Sproß eines ripuarischen Fürstenhauses, der am Rhein ansässig war, kommt zu den burgundischen Königen, findet Aufnahme in ihrer Gefolgschaft und steigt darin zu solchem Ansehen, daß er die Hand der burgundischen Schwester erhält und zum vertrauten Berater und Helfer der Könige wird. Macht und Bedeutung des Fremden wecken den eifersüchtigen Haß der einheimischen Großen, die es verstehen, dem König Mißtrauen gegen den Freund und Schwager einzuflößen. Er läßt es geschehen, daß ein entschlossener Mann der Gegenpartei den fremden Schwager ermordet, doch bleiben dessen Kinder - aus Rücksicht gegen die Schwester? vor dem gleichen Schicksal bewahrt. So etwa mag sich das zugetragen haben, was später Siegfrieddichtung wurde.»
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Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
Ripuarische Fürsten, burgundische Könige, germanische Gefolgschaft, der Mord im Königshaus - sie gelten dem Gelehrten für historische Daten. Der Held - hatte gelebt; am Niederrhein war seine Heimat gewesen, am Mittelrhein war er zugrunde gegangen. Indes, war hier tatsächlich «aus der Dichtung Geschichte (gewonnen)>>, wie der Urheber jener Zeilen, der renommierte Altgermanist Helmut de Boor, es glauben machen wollte57 ? Sie müßte denn, von Generation zu Generation erzählt, ein Dreiviertel Jahrtausend im Kern unbeschadet überstanden haben, bevor sie ihre älteste erhaltene Niederschrift (um 1200) erfahren hätte. Eine grandiose Ermutigung aller ? Doch wessen Geschichte aus wessen Mund? Traf sie die Wahrheit? Historische Tatsächlichkeit? Nichts dergleichen ist nachzuweisen. De Boors These spiegelte statt des dunklen Frühmittelalters das düstere Milieu ihres Erscheinungsjahres, des schicksalsschweren 1939. De Boor wurde aus mancherlei Gründen widersprochen, doch nicht, weil die Erinnerungsleistung schriftloser Kulturen in Zweifel gezogen oder ihre Erinnerungsformen analysiert worden waren. Die Debatte hält an. Professionelle Sänger, Skalden und Skops, hätten sich des Nibelungenstoffs bemächtigt, so konstruierte man, ihn in Verse gebracht, ausgestaltet, an den Höfen der Könige und Großen vorgetragen, aufgeführt und somit gerettet. Die «Sage», davon war mancher Forscher überzeugt, hatte die schriftlose Zeit überdauert, elaborierte Mündlichkeit dieses Wunder vollbracht58 • «Was aber», so meinte ein deutscher Historiker, «seit dem 12. Jahrhundert neu gedichtet und nun erst aufgeschrieben wurde von den Helden und Taten der Frühzeit, von Burgundern und Nibelungen, Dietrich von Bern und Gudrun, vom König Artus und seiner Tafelrunde, Karl dem Großen und seinen Paladinen, das muß vorher durch die Jahrhunderte ungeschrieben lebendig und bildungskräftig geblieben sein wie alle Rechtsüberlieferung auch». Die Gleichartigkeit von Geschichts- und Rechtsüberlieferung, welche die Brüder Grimm hervorgezaubert hatten, trug fatale Frucht59 . Überlegungen der zitierten Art haben den Mediävisten Karl Hauck bewogen, von einer «Liedzeit» historischer Überlieferung zu sprechen60 . Auf das Medium elaborierter Mündlichkeit gestützt, hätten «Lieder» schriftloser oder schriftarmer Kulturen Wissen aus der Vergangenheit in eine spätere Gegenwart transportiert. In der Tat, die Lebensbeschreibung des hl. Liudger erwähnte den blinden Scop Bernlef als Sänger. Man hörte ihn gern, «weil er die Taten der Alten und die Kriege der Könige vorzutragen verstand»61. Schon Tacitus hatte historische «Lieder» seiner «Germanen» erwähnt. Wie aber hatten sie ihren Stoff gewonnen? Unverformt, im Kern vergessensresistent, zuverlässig? Und über welche
«Sagen»
257
zeitlichen Distanzen hinweg? Wovon sang Bernlef überhaupt? Man hat im früheren Mittelalter zweifellos mit einer ausgedehnten Liedkultur zu rechnen62 . Wie aber wirkte sie sich auf die historische Überlieferung aus? Derartige Fragen lassen· sich nicht mit Gewißheit beantworten. Doch sonderbar, die der Schrift anvertrauten, erhaltenen Texte aus dem Umkreis des Nibelungenstoffs, um nur sie zu erwähnen, divergieren erheblich, obwohl sie zeitlich näher beieinander als die besungenen Ereignisse von ihnen entfernt liegen. Das ist eine bedenkliche Konstellation: Wo Kontrolle möglich ist, da variieren die Texte, wo Hypothesen Belege ersetzen müssen, da wird der Überlieferung kernige Unveränderlichkeit unterstellt, die in leichtem Flug Jahrhunderte und Jahrtausende überwand. Läßt diese Position sich halten? Zahlreiche Zeugnisse lassen erkennen, daß der Sagenstoff von den mittelalterlichen Zeitgenossen nicht im Gegensatz zur Geschichtsschreibung verstanden wurde, daß er vielmehr, allenfalls von einem leichten Unbehagen begleitet, gemeinsam mit dieser und als Teil von ihr überliefert werden konnte. Dieser Umstand wirft Licht auf die Frage der Verformungsresistenz mündlicher,Erinnerung. Sind diese «Sagen» kernstabile Produkte schriftloser Transmissionen eines heldischen Vergangenheitswissens? Welche Techniken der Mündlichkeit sorgten für die angebliche Zeitresistenz dieses Wissens? Oder spiegeln sie beides: eine Mischung nämlich aus schriftgestützter Tradition und mündlicher Erzählkunst, wie sie noch immer auftritt? Waren gar schriftliche Zwischenlandungen nötig, um jenen Flug über die Zeiten zu überstehen? Die gelegentliche Verschriftung also der eigentliche Garant, der dieser Mündlichkeit zu Dauer verhalf? Aus der europäischen Geschichte ist ja keine den Brahmanen vergleichbare Kaste bekannt, die als Träger umfassender Lied- und Textkompositionen gleich den heiligen Vedas und ihren Kommentaren hätte auftreten können. Jene Spielleute und Sänger lassen sich mit den Brahmanen schlechthin nicht vergleichen. Alter und Verformungsresistenz der «Sagen» und gleichartiger Fabeln, die Wirklichkeit, die sie spiegeln, sowie die Überlieferungsmedien ihres Wissens stehen im folgenden zur Diskussion. Zweifellos schafft Schriftlichkeit auch neue Traditionen bislang schriftloser Kulturen. Damit bereiten Zivilisationen am Übergang zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit erhebliche methodische Schwierigkeiten. Konfrontiert mit den bewahrenden Aufzeichnungen der Schriftträger übernehmen sie Inhalte von diesen, die sie fortan als eigene ausgeben und in ihre mündlichen Darbietungen einbeziehen. Vermutlich liegen derartige Verhältnisse, ohne daß es im einzelnen genau verfolgt werden könnte, im Zusammenwirken von Römern und
258
Das Gedächtnis mündlicher Kulturen II
vor. werden dürfen. Was Gregor von Tours, dem im wesentlichen alle Geschichtsschreibung zu diesem Geschehen folgte, wußte, stimmte mit dem Wissen der Zeitgenossen des ersten christlichen Frankenkönigs nicht überein. Dennoch ist kein Verlust zu beklagen, vielmehr ist ein anderes Geschehen zu erkennen als jenes, das die Handbücher von heute postulieren und die Erinnerung an dasselbe in ihren Mutationen während des 6. Jahrhunderts bis hin zu dem Geschichtsschreiber in Tours zu verfolgen. Auch der Blick auf Benedikts Leben läßt durch erinnerungskritische Textanalyse anderes hervortreten, als bisher gesehen wurde: Wie näm-lieh eine ideale Mönchs- und Abtsgestalt entstand, welche symbolische Bedeutung ihr zu ihrer Zeit in ihrer Umwelt zukam, wie sie dann literarisch von Fremden aufgenommen wurde und dabei historisch zu wirken begann, indem ihre Fiktionalität nicht mehr erkannt und für Wirklich-
Resümee
357
keit gehalten wurde, und wie diese irreale Realität endlich an ihren Ursprungsort zurückkehrte, um dort verspätet ins Leben zu treten. Auch dieser Weg läßt - nicht anders als Chlodwigs Taufe - das kulturschöpferische Zusammenspiel von Vergangenheitsbildern und Gegenwartsgestaltung, von individuellem und kulturellem Gedächtnis in seiner nimmer endenden Modulationsfreude erkennen und nicht zuletzt, daß der Historiker in dieses Spiel hineinleuchten kann, auch wenn er dessen Regeln (noch) nicht kennt.
x.
Memorik: Grundzüge einer geschichtswissenschaftlichen Gedächtniskritik
10.1
Auch Historiker vergessen
«Gegenwärtig, wo allenthalben erinnert wird, Zeitzeugen befragt werden, um zu hören, was sie 1989 im Herbst in Ostdeutschland, in der inzwischen untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik, erlebt haben, steht Erinnerungsleistung hoch im Kurs. Dies ist Grund genug, daß sich der Historiker bei der Wiederbegegnung mit einem solchen Text (nämlich eigene tagebuchähnlichen Aufzeichnungen vom 6., 7. und 8. November 1989) prüft, was das Gedächtnis vermag. Was hat es festgehalten und was nicht, frage ich mich. An welcher Stelle setzt Erinnerung ein, und wo versagt sie, weil sich das Vergessen, aus welchen Gründen auch immer, als stärker erweist? Selbst wenn ich über ein schlechtes Erinnerungsvermögen verfügte, was nicht der Fall ist, der Grad des Vergessens, auf den ich selbst stoße, ist beträchtlich. Er sollte vorsichtig stimmen gegenüber Erinnertem, sofern wir es nicht als ein Stück Erinnerungsrealität mit Neuwert ansehen, als Ausdruck einer besonderen Erinnerungskultur, in der Gegenwärtiges Vergangenes zu beherrschen vermag.» Mit diesen Worten leitete Hartrnut Zwahr, Professor der Geschichte und der politischen Wende von 1989 in Leipzig, seine Edition und Kommentierung eigener Aufzeichnungen aus diesem Epochenjahr ein. Die unvermutete Wiederbegegnung mit dem selbstgefertigten, doch zwischenzeitlich abhanden gekommenen Schriftzeugnis belehrte über die Verformungsmacht des Gedächtnisses auch des wissenschaftlich geschulten, emotional in Anspruch genommenen und aufs höchste interessierten Historikers. Er registrierte die doppelte Selektion durch Wahrnehmung und Gedächtnis nach nicht mehr nachvollziehbaren, selbst dem einstigen Beobachter verschlossenen Kriterien - dazu aller Aufmerksamkeit zum Trotz das Vergessen. «Ohne das Geschriebene wüßte ich kaum noch viel mehr von dem Kundgebungs- und Demonstrationsereignis dieses Tages, als daß es unaufhörlich regnete und die Leute trotzdem ausharrten» 1. Die Schrift aber hielt fest und rief versunkene Erinnerungen wieder auf.
Auch Historiker vergessen
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Der Historiker machte sich selbst zum Studienobjekt. Die Konfrontation seiner Erinnerungen mit eigenen Notizen lehrte ihn, daß jegliche Wahrnehmung trotz stärkster Betroffenheit und Sensibilisierung für die Bedeutung des Geschehens schutzlos dem Vergessen ausgeliefert ist, werden nicht umgehend Vorkehrungen dagegen getroffen. Der Leipziger Historiker steht nicht allein; uns allen ergeht es gleich. Selbst Gelehrte wie Gottfried Wilhelm Leibniz, der große Mathematiker, Philosoph, Bibliothekar und Historiograph, stehen nicht abseits. Ein Gedächtnisgenie, exzerpierte er für seine «Annales Imperii Occidentis Brunsvicences» alte Geschichtsschreiber, ließ, die Zettel dann achtlos in seiner Tasche verschwinden, ohne je wieder einen Blick auf sie zu werfen, und zitierte später das Exzerpierte aus dem Gedächtnis. Das Ergebnis nahm sich überraschend korrekt aus; Quellenangaben und Zitate schienen zu stimmen. Und doch war Wesentliches falsch und das Ganze weder verläßlich noch geschichtswissenschaftlich zu gebrauchen. Der große Gelehrte hatte verschiedene Quellen kontaminiert, Erinnerungslücken durch eigene Konstrukte gefüllt, den Zusammenhang verwechselt und dergleichen mehr nicht anders als weniger Begabte, die sich komplexer Episodenbündel zu erinnern suchen. Alle Genialität, alle Intention, alles Interesse schützten den Autor nicht vor den Modulationskünsten seines Gedächtnisses 2 • Das Gewißheitssyndrom schickte ihn offenkundig in die Irre. Mittelalterlichen Geschichtsschreibern erging es nicht besser, obgleich sich ihr Vergessen hinter dem herrschenden Quellenmangel wirksam zu verstecken vermag. Sie selbst oder ihre Gewährsleute erinnerten sich nicht zuverlässiger als moderne Kollegen. Derartiges Zerfließen und sich Verflüchtigen der Erinnerungen wurde zu allen Zeiten beachtet. Die Menschen sträubten sich dagegen. Mit allerlei Hilfsmitteln suchten sie zu retten, was es zu bewahren galt: Sie mochten sich des eigenen Körpers, der Hände, der Glieder als Memorialhilfen bedienen, semantisch besetzter Geländemale, der Knotenschnüre, speziell präparierter Objekte, der Lieder oder Rituale, trainierter Spezialisten, der räumlichen Ordnung der Dinge (wie der Gäste beim letzten Gelage), der Dialektik und Logik, die jene sinnlich erfahrbaren Orte durch eine kognitive Ordnung, durch logische Orte, ergänzte und erweiterte, oder eben protokollierender Schriftdokumente, der Archive und deren sachlicher Ordnung. Ausgeprägte Gedächtniskulturen entstanden. Erfolg war ihnen nur begrenzt, nach Leistungskraft der eingesetzten Mittel vergönnt. Was sie konservierend zu retten vermochten, waren bestenfalls verformte Ausschnitte des Lebens, nie dieses selbst oder dessen unverfälschten Kontext, schon gar nicht das Ganze; und nur unter glücklichsten Umständen führten diese Ausschnitte umfassendere Erinnerungskomplexe wieder herauf.
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Memorik: Grundzüge einer Gedächtniskritik
Geschichtsforschung aber - dieselbe als kollektiver Prozeß betrachtet - ist unersättlich. Sie begnügt sich nur widerwillig mit Ausschnitten und Fragmenten; und gegen die Verformungskräfte richtet sie ihre gesamte Forschungsstrategie. Ihr Erkenntnisziel ist universal. Gierig verlangt sie nach allen relevanten Daten, den , nach den primären Wahrnehmungen eines Geschehens, deren Ordnungsparametern, deren Wirklichkeitsgehalt, dürstet nach allen geschehensbedingten Erinnerungen von Belang, nach der das Ereignis konstituierenden Semantik, sucht nach ihren Kontexten und Urhebern, nach deren Transformationen durch das Erinnern, den Einflüssen, die darauf einwirkten, und den Wirkungen, die davon ausgingen, um daraus ihre Schlüsse zu ziehen und ihre Erkenntnisse zu begründen. Sie möchte verstehend eindringen in die kogn'itiven Verhaltensweisen und die kommunikativen Kognitionsprozesse menschlicher Gruppen und Individuen. Sie ist, will sie ihr Ziel erreichen, auf Sinnesdaten angewiesen, die von Sachverhalten und ausgingen, die ihren Zeugen zugeflossen sind und von diesen erst wahrnehmend, dann erinnernd bearbeitet wurden. Diese Wissenschaft greift grundsätzlich nach der Erfahrung aller Menschheit zu allen Zeiten, nach deren Erinnerung und Speicherung in allen verfügbaren Medien vom natürlichen Gedächtnis bis zu den elektronischen Speichern heutigentags und der Aktualisierbarkeit des Gespeicherten für jedweden Augenblick. Sie verfolgt Einzelheiten und präzise Details, und , urteilt über das extrem selektierende kulturelle Gedächtnis, spürt den mnemonischen Arbeitsprozessen sowie dem Vergessenen und Verdrängten nach, das gleichwohl in Individuen und Kollektiven je auf seine Weise fortwirkt. Die Geschichtswissenschaft ist eine Erfahrungswissenschaft, und die erste Erfahrung, der sie sich zuwenden muß, obgleich sie es bislang zumeist unterließ, ist die Schöpfe.rmacht der die ursprünglichen Wahrnehmungen deformierenden, jegliche Erfahrung transformierenden, individuelles und kollektives Wissen konstituierenden Erinnerungen, die das Vergessen mit einschließen. Sie will verhindern, daß alle Erregung, alle Betroffenheit endet an einem trüben Regentag und bei einer ausharrenden Masse Mensch. Das eigene Selbst und die Autobiographie dürfen sich täuschen, sich gar selbst betrügen, sich mit mannigfach bearbeiteten, wieder und wieder umgedeuteten Erfahrungen begnügen und auf gesicherte Fakten verzichten. Das hat jeder vor sich selbst zu verantworten. Der Historiker indessen kommt ohne Wirklichkeit nicht aus. Sie muß er freilegen, erfassen und festhalten: Zeit, Ort, beteiligte Personen, das <Was> ihres Tuns, das <Wie> ihres Vorgehens, die Wirkungen, die sie erzielten. Begegnungen, Kommunikation und Kognition, die gesellschaftlichen Bedingun-
Auch Historiker vergessen
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gen, unter denen sich alles vollzog, gilt es zu registrieren, den Umgang mit den eingesetzten Hilfsmitteln. Das <Warum> des Geschehens verlangt nach Beachtung, wie weit es äußerem Zwang, Naturkatastrophen, Seuchen, Hungersnöten, fremder Gewalt oder Verführung unterlag, ob es inneren gehorchte, welche Motive die Beteiligten bewegten, und dergleichen Umstände mehr. Auch das einstige Wissen der Betroffenen, seine Herkunft, Vernetzungen und jeweilige Verfügbarkeit gilt es zu erforschen, endlich wie sich alles im individuellen und kollektiven Gedächtnis niederschlug, um es einkalkulieren und in seinen Wirkungen verfolgen zu -können. Dafür nutzt der Historiker seine Methoden. Die Kenntnis solcher Faktoren erlaubt, einstige Handlungsspielräume auszuloten und aus der Geschichte zu lernen. Fragen danach sind prinzipiell eindeutig zu beantworten, auch wenn dies aus Quellenmangel oftmals nur hypothetisch möglich ist. Das Gedächtnis aber, dem auch der Historiker sein Wissen verdankt, sei es das eigene oder sei es ein fremdes, vermag nur unscharf und verschwommen solcher Art Faktoren zu fixieren; es vermengt sie in der Regel mit Fremdem, mit irrealen Konstrukten und Implantaten. Unbewußt, nicht absichtsvoll oder gar lügend verformt es die erinnerte Wirklichkeit. Zeiten fließen ihm ineinander, Orte vertauscht es, Personen läßt es bald verschwinden, bald hinzutreten, sie nicht mehr tun, was sie taten; Worte, Sätze und Gedanken reißt es aus dem Zusammenhang, erfindet und ordnet es neu; Gehörtes oder Gelesenes gewichtet es nach eigenem Gutdünken. Leibniz, bei seinen Fehlkonstruktionen ertappt, erhebt warnend seinen Finger. Ursprünglich konstitutive Zuordnungen lösen sich auf; die Identität erinnerter Einzelheiten und ganzer Geschehensbündel, ihre Zuordnung zu ursprünglichen Kontext, gerät ins Wanken; zumal Motive attackiert das Gedächtnis - sie sind so flüchtig - und täuscht das alt gewordene Ich über seine früheren Interessen und Wünsche. All dies hängt mit der Arbeitsweise unseres Hirns zusammen, die auch den Historiker nicht freistellt. Sie taugt für das Leben, nicht aber als Datenspeicher oder zur Datenverarbeitung für die Geschichtswissenschaft. Das Gedächtnis muß den Historiker geradezu betrügen. Vermag derselbe sich davor zu schützen? Das Hirn zu überlisten? Denn es ausschalten, das kann er nicht. Die allgemeine Bedeutung solcher List, wenn sie denn möglich, steht unzweifelhaft fest. Denn alles menschliche Wissen verdankt sich dem individuellen, kollektiven oder kulturellen Gedächtnis und den Manipulationen, welche die kommunikativ generierten Erinnerungen an den ursprünglich eingegangenen Sinnesdaten, den früheren Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lehren, an den einstigen Intentionen und Aktivitäten
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vornehmen und weitergeben. Die Inhalte des episodischen und semantischen Gedächtnisses sind stets gefährdet, wenn auch unter je anderen Bedingungen und in je anderen zeitlichen Rhythmen. Eine Erfahrung, die nicht wiederholt abgefragt und keinem Gedächtnis eingeschrieben wird, eine Erfindung, die niemand erinnert, geht für immer verloren; ein wissenschaftliches Experiment, das nicht protokolliert und publiziert und damit dem kulturellen Gedächtnis überantwortet wird, ist, als wäre es nie unternommen. Vergessenes und Verdrängtes kann freilich wenigstens eine Zeitlang im Untergrund agieren und sich irgendwie Bahn brechen, ohne daß es seine Herkunft offenbart und seine Folgen erkennt. Gedächtnis weist stets in die Vergangenheit zurück, auch wenn es für irgendein Heute aktualisiert werden soll und kann und muß. Wir sind stets Gestrige (Job 8, 9), kalkulieren aber mit der Zukunft. Episodisches Wissen ist von Verformungen und Verfälschungen bedroht, weil seine Semantik mit einer unaufhaltsam fortfließenden Welt mitschwimmt; die Zuverlässigkeit entsprechender Transmissionsleistungen an Dritte und über die Zeiten hinweg sinkt in der Folge, finden sich keine stabilisierenden Erinnerungsträger. Das semantische Gedächtnis kann nachträglich episodische Erinnerungen verformen oder vorgreifend (als Erwartung) die Perspektiven künftiger Episoden verzerren. Die Herrschaft des Gedächtnisses über unser Wissen bleibt dauerhaft erhalten; nichts ist ihm entzogen. Selbst Speichermedien sind in irgendeiner Weise, wenn auch in unterschiedlichen Graden - durch Eingabe, Verarbeitung und Abruf - dem natürlichen Gedächtnis des das Medium bedienenden und benutzenden Menschen ausgeliefert. Leibniz' Zettelsammlung erinnert daran. So treten eigentümliche Spannungseffekte zutage, da die vergessene Wirklichkeit ebenso fortwirkt wie das Erinnerte oder erinnernd Verformte; auch letzteres ist Wirklichkeit. Eine Schichtenfolge von Erinnerungen und Wirklichkeiten, die sich durchaus in den einschlägigen Quellen spiegelt, und in der die Fundamente des kulturellen Gedächtnisses gründen, gilt es zu ergraben und zu deuten. Neue Fragen werden damit aktuell.
10.2
Die Kulturwissenschaften sind auf interdisziplinäre Gedächtnisforschung angewiesen
Die Erforschung der Vergangenheit ist kein Selbstzweck; sie dient der Bewältigung der Gegenwart, indem sie Schicht um Schicht unseres Wissens, seiner Entstehungs- und Rahmenbedingungen und mit ihnen die Grenzen seiner Geltung aufdeckt. Sie spürt jenen von immer neuen Er-
Kulturwissenschaften und interdisziplinäre Gedächtnisforschung
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innerungen zwar überlagerten, aber nicht toten Wirklichkeiten und beider Wirkungen nach. Der bringt sich damit anders als bisher im Betrachtungshorizont der Geschichtswissenschaft zur Geltung; dieselbe erschließt sich die anthropologische Dimension ihres Gegenstandes in neuer Weise. Kulturanthropologie, Ethologie, Kognitionswissenschaften und Hermeneutik treten nun analogen Forschungen der Geschichtswissenschaft zur Seite. Eine Kulturtheorie auf anthropologischer Basis wird möglich. <Wirklichkeit> beschränkt sich nun keineswegs auf Phänomene wie beispielsweise Kriegs- oder Seuchenzüge, die neue Machtverteilungen oder Bevölkerungsdichte mit sich brachten, auf das Leben herausragender Männer. Eine solche Sicht folgt nur einem von der Antike bis ins 19. und 20. Jahrhundert genährten Vorurteil, daß lediglich oder vornehmlich derartige Segmente gesellschaftlichen und kulturellen Geschehens den Gegenstand der Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung ausmachten. Die Erforschung der Wirklichkeit hegt demgegenüber einen holistischen Anspruch, dem prinzipiell der , die Gesamtheit seiner Erfahrungen und Aktivitäten, seines Verstehens unterliegen, und dem sich nichts entzieht, dem freilich nur ein aufwendiger Forschungsverbund mit einer Vielzahl diskreter und reduktionistisch vorgehender Arbeitsschritte, kein einzelner Historiker gerecht werden kann. Erst seit dem 20. Jahrhundert rückten auch natürliche, gesellschaftliche oder im umfassenden Sinne kulturelle Prozesse - wie etwa, um nur einige zu erwähnen, der wiederholt zu registrierende Klimawandel, technische und intellektuelle Innovationen, deren gesellschaftliche Folgen, der immer neue Umgang mit dem Körper, der Wandel der Mentalitäten, der Kommunikation und sozialen Interaktion, Generierung, Transfer und Management des Wissens, Entdeckungen in Makro- und Mikrokosmos, in den Natur- oder Biowissenschaften - in den Mittelpunkt geschichtswissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Die zu berücksichtigende Datenmenge steigt in der Folge ins Unermeßliche. Die methodischen Konsequenzen, auch der daraus resultierende Erkenntnisanspruch, sind beträchtlich. Geschichte wird eine Erfahrungswissenschaft von umfassender Geltung. Zuvor verborgene Zusammenhänge werden sichtbar: soziale Integration oder Desintegration, kulturelle Konfrontation oder Synergieeffekte, die Wirkungen, die sie auf die Gesellschaften und ihre Ökonomie, auf Herrschaftsordnungen und Politik, auf Zielsetzungen und Normen, auf Lebensformen und Lebensordnungen, auf kommunikative und kognitive Prozesse sowie wechselseitig aufeinander ausüben. Sie alle sind ihrerseits Folgen gesellschaftlicher Konstellationen; sie alle aber schlagen sich im individuellen ebenso wie im kommunikativen und kollektiven Ge-
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dächtnis nieder. Sie entfalten dort ihren Einfluß, lange bevor sie in irgen deiner Weise zu Bewußtsein gelangen und erinnernd zu der komplexen Wirklichkeit werden, in die sich der Mensch hineingestellt sieht. Und sie beherrschen von dort, vom Gedächtnis aus, die Gesellschaft, deren Wissen und Handeln. Beide, Gesellschaft und Wissen, lassen sich nicht auseinanderdividieren. Sind sie auch nicht identisch, so manifestiert sich im Wissen doch die Gesamtheit der Erfahrungen einer Gesellschaft und der Aussagen, die sie oder ihre Individuen über sich und das für sie Relevante treffen können. Ohne Gedächtnis vermöchten sie nichts. Es artikuliert sich in komplexen Austauschprozessen. Das individuelle Gedächtnis operiert dabei mit der Vielzahl von Neuronen und Hirnstrukturen. Diese aber sind vom ersten Lebensaugenblick eines Individuums an auf Vernetzung, Kommunikation und Kooperation zunächst mit ihren N achbarzellen angelegt, sodann über diese hinaus durch zu <empfangende> und zu <sendende> Signale mit jener Gemeinschaft, in der Individuen mit gleichartiger kognitiver Apparatur leben. Die dieses zerebral-interzerebralen Spiels, die Algorithmen seines Verlaufs, beginnt man allmählich zu erforschen. Hier bedarf der Historiker der Hilfe fremder Disziplinen. Aus diesem umfassenden Zusammenwirken, aus der Kommunikation der Individuen im Kollektiv, speist sich das kollektive Gedächtnis, das bei Fortbestand dieser Kommunikation wie ein Speicher wirkt, der selbst den Austausch der Individuen übersteht. Das kulturelle Gedächtnis wiederum ist ein kollektives Gedächtnis, das durch eine Vielzahl von Speichertechniken und Speichermedien (wie elaborierte Sprache, Ritual, Schrift oder geschulte Logik), von Kommunikationskreisen (wie Sprach-, Verkehrs- oder Religionsgemeinschaften) zeitüberdauernd und kulturbestimmend wirksam ist. Kommunikation und Kooperation finden auf allen Ebenen statt - eine Wechselbeziehu~g, zu der die einzelnen Partner zwar ihren Beitr zu können, die ein Beobachter bezeugte. Eine derartige Totalität vermöchten die menschlichen Sinne nicht wahrzunehmen, mithin auch kein Gedächtnis zu bewahren. Stets werden nur Ausschnitte von Wirklichkeit erfaßt und gemäß Vorwissen und Erwartungen des wahrnehmenden Hirns von diesem zu einem eigenständigen Ganzen verrechnet. Das Ergebnis läßt in der Regel Spuren der modulierenden Tätigkeit des Gedächtnisses erkennen. Die Suche nach ihnen verläuft, sobald Verformungstypen bekannt sind, keineswegs aussichtslos. Widersprüche zwischen den Quellen bieten erste Anhaltspunkte zu ihrer Aufklärung;
Erste methodische Postulate
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eine vorschnelle Akzeptanz dieser oder jener Variante führt aber gewöhnlich in die Irre. Fehlen derartige Hinweise, so vermag kein Historiker die tatsächlich eingetretenen (doch nicht erkennbaren) Verformungen zu fassen. Er weiß dann nicht, wie er seine Quelle auszuwerten hat und was er weiß. Die Geschichtsforschung freilich mied, ja, floh bisher die Auseinandersetzung mit dem Gedächtnis und seinen Fehlleistungen, die übrigens weitere Irrtümer etwa durch die Versprachlichung und Verschriftung der ursprünglichen Wahrnehmungen und die auf diese Umsetzungen einwirkenden Faktoren keinesfalls ausschließen. Noch in jüngster Zeit wurde erinnerungsblind die Instabilität von Gedächtnisleistungen seitens der Historiker eher kategorisch bestritten. Was an Deformationen nachweisbar sei, so wurde aufs Geradewohl behauptet, sei irgendwelchen Diskursen zuzuweisen - als verliefen Diskurse erinnerungsfrei. Tatsächlich indessen sind alle Menschen zu allen Zeiten bei all ihren Tätigkeiten den Modulationsspielen ihres Gedächtnisses ausgeliefert. Will der Historiker in dieses Treiben Einsicht nehmen, mit Hilfe von Gedächtniszeugnissen (auf die er tatsächlich in umfassender Weise angewiesen ist) also erkennen, was einst in Wirklichkeit geschah, wer und was die «Welt» gestaltete, die er untersucht, hat er gewisse Grundregeln zu beachten. Zuallererst gilt es, entgegen dem bisherigen Trend in der Forschung, den Sachverhalt des irrenden, unwillkürlich Fehler produzierenden Ge-
dächtnisses in seiner Relevanz für die Geschichtswissenschaft anzuerkennen, dessen erstaunlich hohe Fehlerquote hinzunehmen und in ihrer Bedeutung für das Zustandekommen der historischen Quellen, für deren Aussage und Kritik sowie den Diskurs, in den sie eingebunden waren, zu erfassen, um so eine Neubestimmung ihres Quellenwertes in die Wege zu leiten. Gedächtnisleistungen sind weiter als erstarrte Momentaufnahmen eines fortfließenden Erinnerungsflusses zu betrachten. Jedes Erinnerungszeugnis stellt nur ein isoliertes Durchgangsstadium in einem endlos fließenden Strom sich wandelnder Erinnerungen dar. Es besitzt ein Zuvor und ein Danach, ein Woher und ein Wohin. Jede Auswertung muß dem Lauf dieses Flusses und seinen Verzweigungen und zwar entgegen der Flußrichtung bis zu seinen Quellen zu folgen suchen, nach dem Woher und dem Wohin also fragen, notfalls eine auf sein verschüttetes oder überdecktes Bett gerichtete Prospektion betreiben, um Strömungsrichtung und -dynamik dieses Flusses, gleichsam seine Wirbel, zu bestimmen. Der bisher obwaltende Glaube an die prinzipielle Zuverlässigkeit des geschriebenen Textes ist durch ein Wissen um das Fließen seines Inhaltes zu erset.zen. Auch ein der Schrift anvertrautes Erinnerungszeugnis offeriert nur
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ein mehr oder minder zufälliges Erinnerungsprodukt eben nach einem Zuvor und vor einem Danach, ein von der Augenblickskonstellation des Erinnerungsabrufs beherrschtes Stadium, das in seiner Mobilität und Flüchtigkeit durchschaut und kalkuliert werden muß, und keine abschließende Wahrheit. Das alles gilt in noch viel stärkerem Maße für mündliche Überlieferungen. Es bedarf eines Schriftzeugnisses, um verstummter Mündlichkeit nachlauschen zu können. Doch verklungen ist verklungen; die Gefahr, sich zu verhören, ist groß. Der Historiker vermag somit nur aus schriftlichen Hinterlassenschaften Hinweise auf mündliche Traditionen und deren Eigenleben zu gewinnen. Die Spuren der Mündlichkeit, wie sie durch A. R. Lurija, W. Ong, J. Vansina oder andere herausgearbeitet wurden, sind deshalb in den verschrifteten Zeugnissen zunächst aufzuspüren, bevor die Texte ausgewertet werden können. Sie verweisen auf Momente der Erinnerung, die erhöhter Modulation ausgesetzt waren, und verdeutlichen - recht gelesen - die Richtung, in welche die zunehmende Literalisierung der Gesellschaft wirkt. Berichtszeit und Geschehenszeit sind peinlich auseinanderzuhalten. Erinnerungen sind an ihren Augenblick gebunden. Sie konservieren in keinem Fall unverändert die ursprüngliche Aktivität oder Wahrnehmung eines Zeugen. Derartige Situativität macht sich schon beim Enkodieren und Einspeichern ins Hirn und nicht erst bei einem Abruf der Erinnerung und deren Explikationen bemerkbar; sie muß bedacht sein, auch wenn sie nicht immer rekonstruiert werden kann. Mehrdeutigkeit der Informationen kann sich beim Enkodierungs- wie beim Abrufprozeß von Erinnerungen bemerkbar machen. So ist zu prüfen, wann ein Informant oder ein Geschichtsschreiber sich ans Werk machte und wie die Konstellation dieses Augenblicks sich auf die mnemonischen, kognitiven und historiographischen Bedingungen ausgewirkt hat. Die Gegenwart des Autors verrät Wesentliches über seine Sicht der Vergangenheit und die Momente, die er auswählte und für mitteilenswert hielt, in welche Perspektive und in welche zeitliche Ordnung, in welches Sinngefüge sein Gedächtnis alles rückte, über die Art und Weise, wie er die erinnerten Gegenstände zu einem Ganzen vereinte. Ordnung als Erinnerungshilfe, die Einsicht in die «Ordnung der Orte», war ja der Dank der Götter an den Sänger Simonides. Die zeitliche Schichtung der verfügbaren Quellen ist streng zu beachten; sie bewahrt die Spuren der Transformation. Doch kann Späteres den Chronisten früher erreicht haben und damit eine unzutreffende Geschehensfolge suggerieren. Derartiges dürfte im Zeitalter der Mündlichkeit und gemächlicher Kommunikation häufig vorgekommen sein. Jüngeres
Erste methodische Postulate
375
besitzt nur dann einen primären Quellenwert, wenn es sich seinerseits auf nachgewiesen zuverlässige ältere (verlorene, aber erschließbare) Informationen stützt. Sind nur späte Zeugnisse überliefert, ist erhöhte Vorsicht am Platze. Erinnerungszeugnisse fordern somit eine systematische Suche nach Spuren nie ausbleibender Gedächtnisverformung. Was nicht als zutreffend nachgewiesen werden kann, taugt zu keiner Beweisführung; und eine Hypothesenbildung ohne Gedächtniskritik gleicht nur einer logisch unzulässigen Petitio principii. Jede Erinnerungszeugnisse verwertende Hypothese verlangt nach 'angemessener Prüfung und muß umgehend gegen weitere mögliche und gleichermaßen geprüfte Hypothesen abgewogen werden. Jedes voreilige Urteil trübt den Blick und verbaut Einsichten in vergangene Wirklichkeiten, sie mögen sachlicher oder psychischer, kognitiver oder praktischer Art gewesen sein. Zum al die Rolle dessen, der sich erinnert, ist in seinen stets , in: After Rome's Fall. Narrators and Sources of Early Medieval History. Essays presented to Walter Goffart, ed. by Alexander Callander MURRAY, Torronto u. a., S.121-152. MUSCHLER, Reinhold Conrad (1930), Philipp zu Eulenburg. Sein Leben und seine Zeit, Leipzig. MUSSOT-GOULARD, Renee (1996), Le bapteme gui a fait la France. De Blandine a Clovis, Paris. MUSSOT-GOULARD, Renee (1997), Clovis (Que sais-je? Bd.3237), Paris. NA'AMAN, Nadav (1994a), s. From Nomadism to Monarchy. NA'AMAN, Nadav (1994b), The «Conguest of Canaan» in the Book of Joshua and in History, in: From Nomadism to Monarchy: Archaeological and Historical Aspects of Early Israel, ed. by Israel FlNKELSTEIN and Nadav NA'AMAN, Jerusalem, S.218-281.
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Register der Personen, Völker und mythischen Gestalten (zentrale Erwähnungen)
Aaron 303 Abaelard, Petrus 320, 369 Adalbert, Ebf. von Magdeburg 189 Adam von Bremen, Geschichtsschreiber 231 Ademar von Chabannes, Geschichtsschreiber 166, 169 Agobard, Ebf. von Lyon 242 Agricola, Gnaeus Julius 233 Ägypter 314, 323 f. Alarich 1., Kg. der Westgoten 261 Alboin, Kg. d. Langobarden 245,247, 25 1f·, 3 25, 333, 341 Alemannen, 25 8, 269,335,34° f., 344 Alexander der Große 66,155,3°0 Alexander m., Papst 157-161, 169, 185,253 Alkmäon von Kroton 116 Alkuin 369 Amaler, ostgot. Königsgeschlecht 250, 259- 26 7 Amazonen 251, i67 Andreas von Bergamo, Geschichtsschreiber 198 f. Angelsachsen, 218, 269, 273, 275,281, 298,353 f. Anjou, Gff. von 191-195 Anno lI., Ebf. von Köln 278 Antigonos von Sokho, jüd. Gelehrter 3°3 Archilochos von Paros, Dichter 324 Aristoteles 116, 135, 318 Arminius 61, 234 Artus, sagenhafter brit. Kg. 156, 256, 284 Ashanti, westafrik. Volk 219 sog. Astronomus, Geschichtsschreiber 240, 24 2
Athalarich, Kg. d. Ostgoten 26o, 264-266 Attila, Kg. d. Hunnen 61,269,274, 280-282,286- 289 Auctor ad Herennium 135 Augustinus, h1. 116, 266 Augustus, röm. Ks. 188 Avicenna 116,117 Avitus, Bf. von Vienne 336-339, 343 f. Avitus, Eparchius, weström. Ks. 324 Awaren 248, 251, 282 f., 287 Azteken 204, 292 Bacon, Francis 116 f. Baiern 65, 245, 25 8, 26 9 Barbara, h1. 156,356 Baronius, Caesar 160 f. Beatrix von Burgund, Gemahlin Friedrich Barbarossas 253 Beda Venerabilis, h1. 218, 269, 369, 3 87 Benedikt von Nursia, h1. 156,332, 334,344-346,349-35 6 Bernhard, Kg. von Italien 387 f. Bernheim, Ernst 34, 67- 69 Bernlef, Sänger 256 f. Berno, Abt d. Reichenau 190 Bernward, Bf. von Hildesheim 167 Bismarck, Herbert von 36 f., 41-44 Boethius 262 Bohr, Niels 25-31,47,52,141-145, 175 Boso, Kardinal u. Geschichtsschreiber 185 Bruck, Karl 44 Brun von Querfurt, Missions-Ebf. 168 Burckhardt, Jacob 87, 90 f., 98, 202, 2°4-206
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Burgunden 74,255 f., 260, 26 9, 274f., 278-281,284, 288 Caesar, Gaius Julius 7°,151,234,292 Cassiodor 258-267, 269, 271 Childerich 1., fränk. König 272, 337 f. Chlodoswinda, Kgn. der Langobarden 333,335,341,344 Chlodwig 1., fränk. Kg. 332-344, 356 f. Chlothar 1I., fränk. Kg. 276 Christophorus, h1. 156, 356 Chrotchilde, fränk. Kgn. 333, 335, 337-34 2,344 Cicero, Marcus Tullius 13,16 f., 19 f., 46,318,322 Commynes, Philippe de 155 Conan, Gf. von Bretagne 193 Cosmas von Prag, Geschichtsschreiber 271, 273,334 Dagara, afrik. Volk 216 Dagobert 1., fränk. Kg. 276 Dakota 213 Dandolo, Andrea, Doge u. Geschichtsschreiber 158, 163 Dandolo, Enrico, Doge 159,162-164 Dänen 231,273 Darwin, Charles 118, 206 David, bibI. Kg. 266, 302, 308 f., 355 De Boor, Helmut 256,258, 279f., 28 9 Dean, John 22-24,47,52,137,175, 2°7,294,3 29 Delaware 213 Descartes, Rene 116 Dhuoda, Gfn. von Septimanien 187 f., 191 Diderot, Denis 117 Dietrich von Bern 61,156, 256, 259, 267,269, 274f., 277, 280, 28 5- 290 Dilthey, Wilhelm 62 Droysen, Johann Gustav 66, 88, 90 Einhard, Geschichtsschreiber 155, 187 f., 191, 226, 272 Eliezer von Tarascon, Rabbi 303
Elze, Reinhard, Historiker 153 Engels, Friedrich 201 Ennodius, spätantik. Literat 264, 285f. Ermanarich (Ermenrich), Kg. d. Ostgoten 280, 286-289 Esra 303, 307 Etzel, s. Attila Eulenburg-Hertefeld, Philipp Fürst zu 36 f., 41-45, 47 f., 52 f., 14 2 f., 175, 294,3 29 Fleck, Ludwik 117 Franken, 240, 258 f., 269, 271 f., 27 6 ff., 281 f., 284, 298,324,338, 340,34 2ff. sog. Fredegar, Geschichtsschreiber 244, 246, 248 f., 272, 275, 286, 324 f., 344 Freud, Sigmund 68 Friedrich I. Barbarossa 157-160,164 f., 169,171, 181, 183-186, 252-254, 277, 28 9 Friedrich H. von Preußen 92 Friedrich 11., Ks. 92,183, 253 Gallus Anonymus, Geschichtsschreiber 271,334 Genovefa, h1. 337 Gepiden 245, 285 Gerald von Wales, Geschichtsschreiber 284 Gerhard von Augsburg, Geschichtsschreiber 242 f. Geten, thrak. Reitervolk 267, 270 Giselbert von Mons, Geschichtsschreiber 254 Goethe, Johann Wolfgang von 298 Gonja, westafrik. Volk 215 Goten 246,25°,258-269,271,275, 277, 28 4- 28 7, 28 9,33 8,34° f., 343 Gottfried von Viterbo, Geschichtsschreiber 185 Grashey, Hubert von 44 f. Gregor der Große, Papst 225, 244, 249, 28 5,334,345-35 6 Gregor 1I., Papst 354
Register der Personen Gregor m., Papst 354 Gregor, Bischof von Tours, Geschichtsschreiber 225, 271, 273,334-336, 33 8 -344,35 6 Grimm, Jacob 60-64,67,69,256, 258 f., 268, 272, 275, 282, 288,304 Grimm, Wilhelm 60 f., 63 f., 69, 256, 258, 268, 275, 282, 288 Gudden, Bernhard von 36,38-46 Gundigar (Gunther), burgund. Kg. 62, 269, 274 f., 280 Gundobad, burg. Kg. 338 Gunther, Bf. von Bamberg 275 Hahn, Otto 25 f. Halbwachs, Maurice 69, 71, 104, 212, 21 5 Harff, Arnold von 159 Heinrich der Löwe, Hzg. von Sachsen u. Baiern 252-255, 289 Heinrich der Schwarze, Hzg. von Sachsen 195 Heinrich der Zänker, Hzg. von Baiern 243 Heinrich 1., ostfränk. Kg. 76 f., 156, 217,242 f., 289,378,383 Heinrich 11., Ks. 243 Heinrich v., Ks. 181 Heinrich 1., Kg. von England 196 Heinrich 11., Kg. von England 158 Heiric von Auxerre, karolingerzeitI. Literat 369 Heisenberg, Werner, Physiker 25-)1, 47,5 2,139,141- 145,175 Hekataios von Milet, Geschichtsschreiber u. Philosoph 266 Herder, Johann Gottfried 258 Heribert von Vermandois 193 Heribert, Ebf. von Köln, hI. 166-168 Hermann Billung, Mkgf. von Sachsen 18 9 Hermann von Reichenau (Hermann der Lahme) 174,188, 190f., 198 Herodot 266,322-327 Hethiter 204, 3°6, 314 f. Heuss, Alfred, Historiker 71 f. Hieronymus, hI. 387
503
Hilarius, hl. 343 f. Hildebrand -slied 286 f. Hildegar, Bf. von Meaux 276 Hitler, Adolf 171 Hobbes, Thomas 116,135 Höfler, Otto 70 f. Homer 208, 283, 298 f. Hopi, nordamerik. Indianervolk 73, 210, 214 Hrabanus Maurus, karolingerzeitl. Gelehrter 369 Hugo der Große, Hzg. von Franzien 193 Hugo I. von Amboise 231 Hunnen 28o, 282, 286 f. Huronen, nordamerik. Indianervolk 201 Inka 213 Innocenz m., Papst 164 Irene, byzant. Ksn. 387 Irokesen, nordamerik. Indianervolk 201 Isidor von Sevilla 249, 261,345, 348 Israeliten (Israel, Juda, Hebräer) 2°4, 248,262,266,302-3°9,311, 31 4 f. Johannes Codagnellus von Cremona, Geschichtsschreiber 284 Johannes de Plano Carpini, Asienreisender 321 Johannes Diaconus, Geschichtsschreiber 167 Jordan von Blankenburg, sächs. Ministerialer 253 Jordanes, Geschichtsschreiber 246, 25 8- 261 , 263- 26 7, 271, 273, 277, 28 7 Josephus, Flavius, Geschichtsschreiber 273,3 12 Josia, Kg. von Juda 266, 308 Josua, bibI. Prophet 302 f., 308-310 Julius 11., Papst 161 Kanaken, Südseevolk 204 Karl der Große, Ks. 60,65,92,151,
504
Anhang
1.56,1.66-1.69,1.71., 1.87f., 1.91., 21.7, 226 f., 230, 238 f., 245, 248, 256,258 f., 271.-275, 282, 285-287,293,320,37°,383, 3 85-3 87 Karl der Kahle, Ks. 239-241. Karl IV., Ks. 369 Kiowa, nordamerik. Indianervolk 21.3 Konrad 1., Kg. 242 Konrad m., Kg. 1.84 Konrad, Pfaffe 279 Konstantin der Große, Ks. 1.64, 1.68, 339 f., 3 65 Lafitau, Joseph-Franc;ois 201. Lambert von Ardres, Geschichtsschreiber 280 Lambert von Watterlos, Geschichtsschreiber 1.95-1.98 Langobarden 1.98 f., 244-252, 266, 269, 271. ff., 277, 281., 289 f., 325, 35 2f. Lantpert von Deutz, Geschichtsschreiber 1.69 Leibniz, Gottfried Wilhelm 359, 361. f. Lenzburg, Gff. von 1.83-1.86 Leo der Große, Papst 287 f. Leo m., Papst 387 Liudger, hl. 256 Livius 1.55 Lothar 1., Ks. 2:39, 240, 24 2 Lothar m., Ks. 1.81. Löwith, Karl 32 f., 35, 47, 52 f., 1.37, 1.39,1.42,1.75,294,3 29 Ludwig der Fromme, Ks. 239-242, 273, 286,377,387 f. Ludwig 11., Kg. von Bayern 36-47 Ludwig VII., Kg. von Frankreich 1.58 Lukian 273 Lurija, Alexander R. 1.1.3,228-231., 374 Luther, Martin 1.55,1.58,1.60,1.66, 3 65 Madjaren 208 f. Malchos, byzant. Geschichtsschreiber 260, 264
Maori, Ureinwohner Neuseelands 21.8 Marbod, Kg. d. Markomannen 234 Martin, hl. 333,341.-344 Maximian, Bf. von Syrakus 349 Maya 204 f., 221. f., 225 Mongolen 321. Mora, Ferenc, ungar. Erzähler 208 Moses 3°2-3°6,3°9,355 Muirchu, altirisch. Geschichtsschreiber 297 Nalumin, Volk Papua-Neuguineas 21.9 f. Narses, byzant. Feldherr 244 Nehemia, Statthalter von Judaea 3°7 Nero 1.64 Nibelungen 255 ff., 274 f., 278-281. Nicetius, Bf. von Trier 333, 335, 33 8, 341.f., 344 Niebuhr, Barthold Georg 206 Nietzsche, Friedrich 1.1.2 Nithard, Geschichtsschreiber 239- 241., 28 9, 3°° Nixon, Richard 22 f. Notker von St. Gallen (der Deutsche), 6of. Notker, Bf. von Lüttich 1.66 f. Odo, Gf. von Blois 1.93 Odoaker 247,267, 286-288 Odofredo von Bologna, Rechtslehrer 226,334 Olmeken 204 Orosius 287 Orseolo 11., Pietro, Doge 1.67 Otto der Große, Ks. 76 f., 1.88 f., 243, 28 5, 28 7 Otto m., Ks. 1.66-1.69,1.71.,243 Otto IV., Ks. 253 Otto von St. Blasien, Geschichtsschreiber 253 f. Ovid 61. Paterius, Familiar Gregors d. Großen 34 8f. Patrick, hl. 296 f. Paulus Diaconus von Montecassino,
Register der Personen Geschichtsschreiber 198, 245 f., 249-252,271-274,325,334 Paulus, h1. 355 Petronax von Brescia, Gründer von Montecassino 354 Petrus, Familiar Gregors d. Großen 346,34 8 f., 35 2, 355 Philipp von Heinsberg, Ebf. von Köln 254 Piaget, Jean 69,128,150, 154f. Pilgrim, Bf. von Passau 274 f.. Pippin der Jüngere, Kg. 238 Pippin, Kg. von Italien 245 Plutarch 155 Poeta Saxo, Geschichtsschreiber 282 f. Polybios 155 Prokop 33 6, 338 Quintilian 19 f. Ranke, Leopold von 57-59,63-65, 206,301, 385 f. Rather, Bf. von Verona, Geschichtsschreiber 369 Rehm, Friedrich, Historiker 62-66 Remigius, h1. 336 f., 339-344 Rudolf, Schulmeister von Fulda 271, 28 4 Sachsen 166, 245, 26 9, 27 1, 273, 276, 281, 284 f., 338 Salomo 302 Sawos, Volk Papua-Neuguineas 220 Saxo Grammaticus, Geschichtsschreiber 70 Schereschewskij, Solomon W. 113 f. Scolastica, h1. 354-356 Secundus, Bf. von Trient 246 Sedulius Scottus, karolingerzeit1. literat 341 Sigfrid (Siegfried) 61 f., 255, 267, 274, 279f., 28 9 Silvester 1., Papst 340, 365 Simonides von Keos 13-21,46, 317f., 33 2,374 Sisala, afrik. Volk 216 .Skythen 267
505
Snorri Sturluson, Geschichtsschreiber 259 Spinello Aretino, Maler 159 Sueton 188 Szluha, Gustl, Polizeipräsident von Szeged 208 Tacitus, Cornelius 59,7°, 23 2- 237, 256, 258 f., 262, 277,323 Taio, Bf. von Zaragossa 348 f. Tassilo m., Hzg. der Baiern 217,238, 289, 3 86 f., 389 Theoderich der Große 259-267,275, 285,287-289,336,339,351 Thietmar, Bf. von Merseburg, Geschichtsschreiber 168,174, 188-190,198, 242 f., 271, 3 21 Thukydides 15-17,21,319,322, 3 26 -3 29 Tiberius 234 Titus, röm. Ks. 311 Tiv, afrikan. Volk 215 Ulrich, Bf. von Augsburg, h1. 174, 191, 243 Urban 11., Papst 191,193 f. Valla, Lorenzo, Humanist 156 Velleius Paterculus, Geschichtsschreiber 234 Venantius Fortunatus, Geschichtsschreiber 343 Vergil 250 Vico, Giambattista 116, 201 Virchow, Rudolf 205 Walahfrid Strabo, karolingerzeit1. Gelehrter 275, 286 Walther von der Vogelweide 153 Wandalen 247 H. Widukind von Corvey, Geschichtsschreiber 174,189 f., 225, 242, 271, 273, 284,334,37 0 Wilhelm der Eroberer 218 Wilhelm 11. Kg. von Sizilien 157 Wilhelm 11., Dt. Ks. 36 f.
506
Anhang
Wilhelm von Rubruck, Asienreisender }21
Willibrord, Missions-Bf. }69 Wimpfeling, Jakob 258 Winniler, s. Langobarden 247,249
Ziani, Pietro, Doge 158 Ziani, Sebastiano, Doge 157-159 Zwahr, Hartrnut, Historiker }58 f.
Register der Orte
Aachen 1.66-1.68, 275 f., 286 Adria 1.58, 1.62 Ägypten 3°6, 309 f., 31.4 Afrika 96, 1.1.8, 1.3°, 1.49, 203, 208, 21.1., 229, 233 Amerika 73, 99, 2°5, 208 Anjou 1.92-1.95, 1.98 Aquitanien 333, 341. Australien 99, 208, 223 Babylonien 31.0 Bayern 36,65,1.88,253 Beaulieu 1.93 Belgica Secunda 337 Belgien 66 Bellinzona 1.83 Benevent 65 Berg, Schloß 36, 38, 40-42, 48 Berlin 35 Biasca 1.83 Bologna 226 Britannien 233 Buganda 21.8 Burgund 280,338 f. Burkina Faso 21.6 Byzanz 1.56,1.64,223,31.7 Cambrai 1.95 Chiavenna 252-254 China 70, 208, 225 Corno 1.85 Dänemark 25 f., 31., 1.41. St. Denis 240 f. Deutschland 25,33,65,69,73,1.°4, 1.06, 1.59 f., 1. 65, 1. 85, 358 Dresden 26 f. Düsseldorf 205 . England 21.8
Farm Hall 26 Fleury 354 Flores 2°9, 323 Francia (Frankenreich) 242, 245 f., 248, 333,344,3 86 Frankreich 66, 69, 77 f., 1.94 Fulda 275 St. Gallen 275 Gallien 324, 353 f. Germanien 73,233 f., 237, 251., 273 Ghana 21.5 f. Gotha 245 Griechenland 264,273,31.4 f. Haithabu 31.5 Hawaiki 21.8 Hazor XIII 309 f. Heidelberg 34 f. Hiroshima 26 f. Horeb 303 f. Indien 70, 225 Irland 295,298 Island 67, 258, 278 Israel 2°4,3°2,3°8 f., 31.4 Istrien 1.57,275 Italien 78, 1.59, 1. 64 f., 1. 89, 1.99, 233, 244-25°, 252, 264, 276, 281., 285-287,29°,325,349,353 f., 377 Japan 94 Jericho 3°8, 384 Jerusalem 1.1.5,1.91.,1.93, 266,3°7, 3°9 Kirgisien 228 Köln 254,338 Konstantinopel 1.59, 1.62-1.64, 263, 265
508
Anhang
Kopenhagen 25 f., 28-31, 141 f., 145, 175 Korinth 323 Lechfeld 174 Legnano 185,254 Leipzig 358 Le Mans 354 Lentzen 190 Lenzburg 183 f. Lepanto 164 Lesbos 323 Lissabon 311 Lombardei 158 Lorsch 286 Los Alamos 29 f. Lydien 324 Magdeburg 189 f. Mailand 185 Maine 193 Mainz 245 Marzano 176 f. St. Medard 240 Meranien (Maronia) 275 Milet 266 Montecassino 245, 350-354 München 33-37,142 Neandertal 205 Nebra 90 New Mexico 210 Nigeria 215 Norwegen 258 Odenwald 278 Orvieto 178-183 Palästina 308, 310 Pannonien 247 f. Papua-Neuguinea 219f. Passau 274 Pavia 176 f., 185, 285 Piacenza 176 Poitiers 193, 343 Preußen 66 Prüm 241
Punta Salvore (Istrien) 158 f., 161-164,169,171
Ravenna 158,261,275,285 f., 289 Reichenau 174,19° f., 258, 286 Reims 335, 341 Rök (Dänemark) 275 Rom 153,158 f., 168 f., 181, 189, 208, 234 f., 246, 250, 261, 265, 287,314, 348,35°-354,3 65 Rußland 99, 286 Sachsen 253 Salzburg 238 Scadanan 246-249, 251 Scadinavia 251 Scandza 266 Scathanavia 248 f. Seddin 381 Serravalle, Burg 184-186 Sibirien 99 Siena 159 Sinai 303, 306 Skandinavien 235,249 Soissons 341 Sovana 178-183 Spanien 311 Starnberg 37 f., 42 Starnberger See 36, 39-43, 52 Subiaco 350-354 Szeged 208-211, 218 Tahiti 218 Tainaron 323 Teutoburger Wald 234 Theben 323 Tibet 70 Tours 193,335,34°-342,356 Trier 324 Troja 250, 272, 281, 283 f. Ungarn 280 Alt-Uppsala 70 USA 22,33 Usbekistan 228
Register der Orte Val Blenio (Tessin) 183-186 Val di Lago di Boisena 178, 183 Venedig 157-167,169,171,253 Verona 289
Walbeck, Stift 188 f. Worms 280
509
MITTELALTER
Johannes Fried Aufstieg aus dem Untergang
Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter 2001.262 Seiten mit 18 Abbildungen. Leinen Jacques Le Goff Die Geburt Europas im Mittelalter
Aus dem Französischen von Grete Osterwald 2. Auflage. 2004. 344 Seiten mit 2 Karten Leinen. Europa bauen Alain Demurger Die Ritter des Herrn
Geschichte der geistlichen Ritterorden Aus dem Französischen von Wolfgang Kaiser 2003.399 Seiten mit 20 Abbildungen und 7 Karten. Leinen Horst Fuhrmann Überall ist Mittelalter
Von der Gegenwart einer vergangenen Zeit 3. Auflage. 1998 328 Seiten mit 37 Abbildungen. Leinen Michael Mitterauer Warum Europa?
Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs 3. Auflage. 2004 352 Seiten mit 2 Karten. Leinen Chiara Frugoni Das Mittelalter auf der Nase
Brillen, Bücher, Bankgeschäfte und andere Erfindungen des Mittelalters Aus dem Italienischen von Verena List! 2. Auflage. 2004. 198 Seiten mit 100 Abbildungen, davon etwa 91 in Farbe Gebunden
DEUTSCHE GESCHICHTE
Etienne Fran, um 1.665 / 66, Jan Vermeer van Delft; Kunsthistorisches Museum Wien.
Verlag C.H. Beck München www.beck.de