Gruselspannung pur!
Der Satansrächer von Greifswald
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Es war schon nach Mitte...
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Gruselspannung pur!
Der Satansrächer von Greifswald
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Es war schon nach Mitternacht, als Thorsten Lambrecht den himmelblauen Trabant seines Vaters mit quietschenden Reifen vor der Parkanlage zum Stehen brachte. Thorsten war in Siegerstimmung, denn endlich hatte er es geschafft, mit Julia Weidemann allein zu sein! Hier, in der Klosterruine Eldena. In einer lauen Juninacht. Thorsten kannte Julias romantische Ader. Dies hier war bestimmt die richtige Umgebung, um das blonde Mädchen in Stimmung zu bringen. Er federte aus dem Wagen, ging um die Motorhaube herum und öffnete die Beifahrertür. Seine Hände waren feucht. Auch sie verrieten deutlich die Vorfreude. Von dem grauenhaften Monster, das in nächster Nähe
lauerte, sahen und hörten die beiden jungen Menschen nichts! Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
Julia Weidemann warf ihre langen, blonden Haare zurück. Die Siebzehnjährige strich über ihren superkurzen Minirock und versuchte ihn um ein paar Millimeter nach unten zu ziehen. Oder sie tat zumindest so. Sie fand Thorsten ja eigentlich ganz nett. Wenn er sie nur nicht immer so begierig angeglotzt hätte! In ihren Augen mußte ein Junge ein Märchenprinz sein, der auf einem kraftstrotzenden Schimmel herangesprengt kam und sie zu sich in den Sattel hob. Ein Held wie aus ihren Liebesromanen. Ein Mitschüler, der einmal in der Woche den alten Kleinwagen seines Vaters benutzen durfte, fiel gegenüber ihrem Märchenprinzen natürlich stark ab. Und trotzdem hatte sie sich überreden lassen, an diesem Mittwochabend mit Thorsten Lambrecht hierher zu fahren. Heraus aus Greifswald, der kleinen Universitätsstadt in Ostseenähe. Hin zur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt liegenden Ruine des 1199 gegründeten Zisterzienserklosters. Die Mauerreste hatten durch die Bilder des romantischen Malers Caspar David Friedrich Unsterblichkeit erlangt, der Greifswald u.a. seine Gemälde »Abtei im Eichwald« und »Klosterruine Eldena« gewidmet hatte. Julia Weidemann kannte diese Werke nicht. Sie interessierte sich nicht für Kunst, sondern für ihre Phantasiewelten. Doch die waren harmlos gegenüber dem, was hier in wenigen Minuten ablaufen würde. Und auch Thorsten Lambrecht hatte herzlich wenig Sinn für Caspar David Friedrich. Wenn überhaupt Kunst, dann kam für ihn höchstens Modedesign in Frage. Zum Beispiel Julias grellbuntes Top und das dunkelblaue Flatterröckchen. Und auch an diesen schrillen Klamotten interessierte ihn letzten Endes nur, wie er sie so schnell wie möglich seiner Mitschülerin ausziehen konnte. Der Junge und das Mädchen stapften durch das wadenhohe Gras
auf die Überreste des Brunnenhauses zu. Die Sommernacht war hell genug, daß sie sehen konnten, wohin sie traten. Das seltsame Geschöpf bewegte sich derweil vorsichtig hinter Mauerresten, war von den beiden jedoch immer noch nicht bemerkt worden, obwohl sie darauf zugingen. Irgendwo in den dunklen Mauern ertönte das Rufen eines Käuzchens. Die Lichter des Dorfes schienen Lichtjahre entfernt zu sein. »Ist das nicht herrlich hier?« fragte Julia und breitete die Arme aus. Ganz wohl war ihr nicht in diesem Augenblick. Thorsten sah seine Stunde gekommen. Er zog das Mädchen an sich. Er hielt es einfach nicht mehr länger aus. Während er Julia umarmte, fingerte er unter das Röckchen und grabschte nach den Pobacken. Er stöhnte, als hätte er das Paradies bereits erreicht. Wie eine Schlange wand sich die Blondine jedoch aus seinem Griff. »Du bist so stürmisch!« hauchte sie. »Wenn uns jetzt die alten Mönche sehen könnten!« »Die hätten bestimmt bedauert, keine Ferngläser zu besitzen, um dich aus der Nähe zu betrachten«, gab Thorsten schlagfertig zurück. »Julia Weidemann, die fleischgewordene Sünde.« Wieder lachte die langbeinige Schönheit. Sie ging rückwärts um das Brunnenhaus herum, während Thorsten sie verfolgte. »Würdest du es als Mönch aushalten, Torti? Ich meine - ohne Sex…« »Nenn mich nicht so«, brummte Thorsten. Julia wußte schon, wie sie ihren Mitschüler auf die Palme brachte. »Torti, Torti, Torti!« sang sie laut vor sich hin. »Torti, mach's dir doch selbst! Mach's dir doch selbst! Mach's dir doch…« »Na warte!« Der muskulöse Junge mit dem kantigen Kinn war wirklich sauer. Solche Spielchen schätzte er überhaupt nicht. Für Spinnereien oder Witze auf seine Kosten hatte er nichts übrig. Julia dafür um so mehr. Thorsten kränkte es, daß sie ihm diesen albernen Spitznamen
verpaßt hatte. Daß sie es getan hatte, weil sie ihn auch mochte - auf diesen Gedanken wäre er nie gekommen. »Fang mich doch!« rief das Mädchen neckend und machte unbewußt einen Riesensatz auf die widerwärtige Kreatur zu, die hinter einem Mauervorsprung lauerte. Die Augen des Wesens glommen in der Dunkelheit. Thorsten schnaufte wütend und versuchte, seine Mitschülerin zu fangen. Doch die Kleine war schnell. Sie schlug einen Haken, duckte sich unter seinen Armen hinweg. Das dunkle Monster richtete sich langsam auf. Die beiden waren so in ihr Spiel vertieft, daß sie das Wesen noch immer nicht bemerkt hatten. Nun hatte der Junge das Mädchen doch erwischt. Kreischend landeten sie im hohen Gras. Er auf ihr. Thorsten war nicht mehr ganz so sauer. Um so überraschter war er, als Julia ihm plötzlich die Arme um den Nacken legte. Gleichzeitig spürte, er ihre Schenkel auf seinen Hüften. Würde sie ihn nun endlich erhören? In dieser herrlichen, lauen Sommernacht. »Warum spielst du so mit mir?« fragte er etwas dümmlich. »Wenn du es doch auch willst.« »Du redest zuviel, Torti!« erwiderte das Mädchen mit einem schelmischen Grinsen. »Küß mich lieber!« Ihre Lippen näherten sich einander. Und Thorstens Wut war inzwischen völlig verflogen. Jetzt kam die Freude. Sie wuchs mit jeder Sekunde! Plötzlich jedoch fuhr Julia Weidemann mit einem Schreckensschrei zurück. Sie sah es trotz des schwachen Lichtscheins ganz deutlich. Thorstens Gesicht wuchs zu! Er mußte selbst bemerkt haben, was mit ihm los war. Entsetzt schlug er sich die Hand vor den Mund. Schien die Veränderung stoppen zu wollen. Und als er die Hand wieder wegzog, war sein Mund komplett verschwunden!
Julia hatte den ersten Schreck überwunden. Sie traute sich sogar, mit ihrer schmalen und zarten Hand über sein Gesicht zu streichen. Doch dort, wo eben noch seine Lippen gewesen waren, befanden sich nur noch trockene Haut und ein paar Bartstoppeln. Thorstens Augen waren weit aufgerissen. Er schlug sich mit beiden Fäusten verzweifelt gegen die Stirn. Er will schreien, fuhr es Julia durch den Kopf. Er will schreien, aber er kann es nicht mehr! Sie war hin- und hergerissen zwischen Panik und Mitleid. Am liebsten wäre sie weggerannt. Weit weg. Zurück nach Greifswald, zu Fuß durch die Nacht. Nur, um das nicht miterleben zu müssen! Aber sie bekämpfte diesen Impuls. Thorsten brauchte ihre Hilfe. Sonst würde er sich womöglich noch etwas antun. »Atme tief durch die Nase!« versuchte sie ihn zu beruhigen. Sie kam sich vor wie bei der Fahrtenschwimmer-Prüfung der DLRG. »Wir steigen jetzt in den Wagen. Und dann fahren wir ins Krankenhaus nach Greifswald. Die Ärzte werden schon… O nein! Was ist das denn?« Während sie sprach, hatte sie instinktiv ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt. Plötzlich spürte sie an ihren Fingerspitzen, wie kalt und schleimig sich seine Haut anfühlte. Wie der Körper einer gigantischen Nacktschnecke. Julia mußte sich Gewißheit verschaffen. Deshalb griff sie kurzentschlossen in Thorstens Jeanstasche, in der sie vorhin sein Feuerzeug hatte verschwinden sehen. Sie rieb mit ihrem Daumen über den Zündstein. Die Flamme spendete genug Licht, um die gräßliche Wahrheit zu erkennen. Thorstens Haut wurde grünlich und schuppig. Wie bei einem riesigen Reptil. Mit zitternden Fingern hielt sie die Flamme vor sein Gesicht. Und blickte in große, schwarze Lurchaugen, die sie ausdruckslos anstarrten. Diesmal konnte sich die junge Frau nicht mehr beherrschen. Diesmal schrie sie sich die Seele aus dem Leib.
Was zuviel war, war zuviel. Sie wollte nur noch flüchten. Julia machte einen Sprung weg von dem verwandelten Thorsten, der sich nur noch träge bewegte. Da prallte die Schülerin wieder zurück, denn hinter ihr stand eine entsetzliche Kreatur. Sie war mindestens drei Meter groß!
* »Hellmann!« Ich erhob mich aus dem orangefarbenen Plastikstuhl, der diese Wartezone des Einwohnermeldeamtes von Weimar verunzierte. Wenn ich etwas hasse, dann sind es Behördengänge. Das war schon zu DDR-Zeiten so. Und daran hat sich auch nichts geändert. Zumal man oft mit denselben Spaßvögeln auf der anderen Seite des Schreibtisches zu tun hat wie vor der Wende. Seit Jahren wurden einige dieser Altgedienten auch durch kunterbunte Westimporte ersetzt. Ich kann nicht sagen, welche Sorte ich mehr schätze. Aber man ist als Bürger auf die Ämter angewiesen. Wenn man beispielsweise einen Personalausweis verlängern lassen will. Da wird ein Journalist oder ein Kämpfer des Rings nicht bevorzugt behandelt. Man reiht sich ein und wartet. Und wartet und wartet… Die Dame, die mich soeben zackig aufgerufen hatte, schien sich schon fast im Alter des seligen bzw. unseligen Erich zu befinden. Auf jeden Fall schien sie ihre Brille beim selben Optiker bestellt zu haben. Damals. Sie musterte mich mehr als kritisch. Ich blieb breitbeinig vor ihrem Schreibtisch stehen, die Daumen in den Gürtel meiner verwaschenen Jeans gehakt. Meine Frisur schien ebensowenig auf ihre Zustimmung zu treffen wie mein bedrucktes TShirt. Aber ich war hier ja nicht auf einer Modenschau, sondern bei einer deutschen Behörde. Das wurde mir im nächsten Moment klar. »Hellmann - in voller Lebensgröße, gnädige Frau«, sagte ich freundlich.
Die Dame im grauen Kostüm giftete mich an, als ob ich wegen dreifachen Mordes angeklagt wäre. Dabei wollte ich doch nur meinen Personalausweis abholen. Zum Glück gibt es Beamtinnen, die Charme, Ausstrahlung und Flair haben. Meine Dauerfreundin Tessa Hayden, von der Kripo Weimar, beispielsweise… Ich seufzte wohlig auf, als ich an ihre Vorzüge dachte. »Markus Nikolaus Hellmann?« »Niemand anders. Aber sie dürfen mich auch gerne Mark nennen«, bot ich der Dame mit einem Augenzwinkern an. Aber da war ich an die falsche Adresse geraten. »Sie haben das Formular falsch ausgefüllt. Deshalb kann ihr Ausweis nicht ordnungsgemäß verlängert werden.« Ich verdrehte die Augen Richtung Himmel. Schon auf der Uni hatte ich mit den Behörden häufig im Klinsch gelegen. Als ich nach meinem Völkerkundestudium sogar einen Job als Wissenschaftlicher Assistent bekam, hatte, ich ihn bald wieder an den Nagel gehängt. Ich hatte keine Lust, jahrzehntelang in diesen erstarrten Strukturen vor mich hinzudämmern und erst kurz vor der Rente Karriere zu machen. Da gab es eine starke Kraft in meinem Inneren, die mich ständig in Bewegung hielt. Die mich ruhelos und neugierig machte. In diesem Augenblick war ich allerdings eher genervt. »Falsch ausgefüllt? Aber wieso?« Die Beamtin knallte mir den Antrag hin wie ein Todesurteil. »Unter der Rubrik Geburtsdatum haben Sie statt der Jahreszahl ein Fragezeichen eingetragen!« Und sie schnappte Luft angesichts dieses unglaublich dreisten Vergehens. Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kenne mein Geburtsdatum nicht. Meine Eltern, also, meine Pflegeeltern haben mich gefunden, als ich etwa zehn Jahre alt war. An die Zeit davor habe ich keine Erinnerung.« »Das gibt es nicht!« behauptete der alte Drachen. Dann klappte sie ihr Stempelkissen auf, nahm einen Stempel vom Karussell und
knallte ein wunderschönes rotes »Abgelehnt!« auf meinen Antrag. »Das gibt es nicht?« wiederholte ich ungläubig. »Soll das heißen, ich lüge?« »Kommen Sie mit Ihrer Geburtsurkunde wieder«, empfahl mir die Frau mit der Hornbrille. »Aber ich habe keine Geburtsurkunde!« rief ich aufgebracht. »Wie denn auch? Ich habe Ihnen doch gerade erklärt…« »Keine Geburtsurkunde, kein neuer Personalausweis!« entschied sie. »Wieso wurde Ihnen überhaupt ein solches Dokument ausgestellt, Herr Hellmann? Das ist offenbar ein Irrtum gewesen.« Ich schenkte ihr mein charmantestes Lächeln. »Dann muß ich wohl durch diese Wand gehen und auf dem fliegenden Teppich davonschweben, den ich vor der Tür geparkt habe. Vergessen Sie mich einfach, gnädige Frau. Sie haben es messerscharf erkannt. Ich bin wohl nur ein Geist!« Als ich draußen vor dem Einwohnermeldeamt stand und den wolkenlosen Himmel über dem frühsommerlichen Weimar betrachtete, kehrte meine gute Laune schlagartig zurück. Ich hatte schon gegen ganz andere Gegner gekämpft. Schwarzmagische Ungeheuer und Dämonen. Allen voran Mephisto höchstpersönlich, der offenbar eine Rechnung mit mir offen hatte. Den Grund wußte ich bis heute nicht. Aber ich hatte mich in hoffnungslosen Situationen befunden und war immer wieder als Sieger daraus hervorgegangen. Und da sollte ich mich von einer solchen Paragraphenreiterin aus der Bahn werfen lassen? Zum Trost für den unerfreulichen Behördengang kaufte ich mir eine große Eiswaffel und schleckte sie, während ich durch die Fußgängerzone schlenderte. Ich dachte an den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg, für den sollte ich einen Fernsehbeitrag über ein angebliches Spukhaus in Potsdam produzieren. Ich war schon vor Ort gewesen, aber zur Zeit war alles verschlossen und verriegelt. Das Haus stand unter Denkmalschutz. Den Schlüssel würde ich von der Kulturbehörde bekommen. Auf Antrag. Und über den Antrag entschied ein Ministerialrat, der gerade die Sommergrippe hatte.
Also mußte ich warten. Und während ich das tat, schlenderte ich durch meine Heimatstadt Weimar und erfreute mich am Anblick der leicht bekleideten jungen Thüringerinnen. Ein Schrei riß mich aus meinen Träumen! Ich wirbelte herum. Das jahrelange Training als Zehnkämpfer hat meine Reflexe geschult. Seit ich mich auf unerklärliche Ereignisse spezialisiert habe und dabei gegen die Mächte der Finsternis antreten muß, hat mir diese Fähigkeit schon oft das Leben gerettet. Doch an diesem schönen Sommertag schien es nur allzu irdische Probleme zu geben. Ein halbwüchsiger Bengel flitzte auf Rollerskates zwischen den überraschten Passanten herum. Fünfzig Meter weiter hinten lag eine alte Dame auf dem Pflaster der Fußgängerzone. Der Typ in seinem teuren bunten Trainingsanzug hatte eine abgeschabte Handtasche unter dem Arm. Man brauchte keine große Phantasie, um zu erkennen, daß sie nicht ihm gehörte. Der Dieb machte einen entscheidenden Fehler. Er wollte an mir vorbei. So schnell konnte er gar nicht sein. Ich war schneller. Mit einem Bodycheck sprang ich ihn an. Jeder Eishockeyspieler wäre auf diese Attacke stolz gewesen. Ich hatte den Handtaschendieb völlig überrascht. Wir beide krachten ziemlich unsanft zu Boden. Nun erwiesen sich die Rollerskates als Nachteil. Der Dieb versuchte aufzustehen. Aber das war nicht so einfach. Jedenfalls rutschte er aus und setzte sich wieder auf sein Hinterteil. Ich war schon wieder auf den Beinen und packte ihn am Kragen. »Gib die Tasche her!« herrschte ich ihn an. Ich war wirklich sauer auf ihn. So eine wehrlose alte Frau zu bestehlen! Sie bekam sicherlich nur eine kleine Rente, und da schmerzte jede gestohlene Mark mehrfach. In dem heimtückischen Gesicht des Straßenräubers arbeitete es. Er überlegte sich offenbar, ob er sich mit mir anlegen sollte. Dann war die Entscheidung gefallen. Der Dieb zog ein Butterfly-
Messer aus der Hosentasche! Ich federte zurück und ging in Abwehrstellung. Doch ich brauchte nichts zu tun. Bevor mich der Rollerskater verletzen konnte, hatte jemand die Messerhand mit einem eisernen Griff gepackt und auf den Rücken gedreht. Das Butterfly klirrte auf das Pflaster. Ich grinste. Denn ich hatte den Mann erkannt, der den Dieb so elegant entwaffnet hatte. Es war mein Freund Pit Langenbach. Der Hauptkommissar der Weimarer Kripo war zusammen mit einem ebenfalls in Zivil gekleideten Kollegen offenbar hinter dem Handtaschenräuber hergewesen. Jedenfalls atmeten die beiden Polizisten schwer. Es sah ganz so aus, als ob sie ihn zu Fuß hätten verfolgen müssen. »Ihr solltet Dienst-Rollschuhe beantragen«, riet ich Ihnen und mußte lachen. »Keine Chance«, gab Pit zurück, während er dem jammernden und tobenden Räuber Handschellen anlegte. Pits Kollege forderte einen Wagen an, um den Gefangenen abzutransportieren. »Sparmaßnahmen.« »Mußt du als Hauptkommissar deshalb Streife gehen!« Langenbach schüttelte den Kopf und wurde wieder ernst. Sein Mund verzerrte sich verächtlich unter dem mächtigen Schnauzbart. »Das Raubdezernat hat eine Art Sonderkommission gebildet. Straßenraub. Und sie haben mich für ein paar Stunden dorthin ausgeliehen. Um solchen Typen hier das Leben schwerzumachen. Überhaupt sind jetzt mehr Kollegen in Zivil unterwegs als früher.« Ich nickte. Die zunehmende Gewaltkriminalität war wirklich ein Problem. Gut, daß es solche entschlossenen und mutigen Polizisten wie meinen Freund Pit Langenbach gibt. Ein VW-Bus der Weimarer Polizei bahnte sich seinen Weg durch die Menge der Gaffer, die sich inzwischen eingefunden hatte. Wenn die Gefahr vorbei ist, wollen die Leute immer etwas sehen. Ich wünschte mir, sie würden genauso zahlreich herbeistürmen, wenn
jemand Hilfe braucht. Pit schaute auf seine Armbanduhr. »Hast du was zu erledigen?« Ich schob meine Hände in die Hosentaschen. »Ist das Antwort genug?« »Aber immer doch. Was hältst du von einer gemeinsamen Mittagspause? Das Protokoll der Festnahme kann ich auch noch später schreiben.« Er schnaubte höhnisch. »Heute abend ist unser Handtaschenräuber sowieso wieder auf freiem Fuß, weil er noch unter das Jugendstrafrecht fällt.« Pit verabredete sich noch kurz mit seinem Kollegen, der ebenfalls essen gehen wollte. Dann verabschiedeten sich die uniformierten Polizisten mit dem Gefangenen. Und mein Freund und ich gingen weiter, als wenn nichts gewesen wäre. Keine fünfzig Meter weiter fanden wir ein Fisch-Schnellrestaurant, das erst vor kurzem eröffnet hatte. Wir gaben ihm eine Chance. Zwischen pausierenden Angestellten und Hausfrauen, die sich vom Shopping erholen wollten, fanden wir noch einen Zweiertisch für uns. »Hast du wirklich keine Aufträge zur Zeit?« wollte der Hauptkommissar wissen, während er sich seine Heilbuttschnitte schmecken ließ. »Doch. Diese Gespensterhausgeschichte, von der ich dir erzählt habe. Aber es gibt da bürokratische Hindernisse.« Pit Langenbach nickte nachdenklich vor sich hin. Ich nahm einen Bissen von meinem Schollenfilet. Es war kross gebraten, ganz ausgezeichnet. Mit einem großen Schluck alkoholfreien Bieres spülte ich es hinunter. Ich hatte das Gefühl, daß ich noch einen klaren Kopf brauchen würde… »Ich hätte da nämlich einen Job für dich«, kündigte mein Freund an. Ich horchte auf. Ich hatte mit Pit Langenbach zusammen schon einige Kämpfe gegen das Böse überstanden. Der anfängliche Skeptiker war inzwischen durch eigene schmerzliche Erfahrungen überzeugt worden, daß es Mächte gab, die für uns Menschen nicht
faßbar waren. Böse Mächte, die seit Urzeiten vorhanden waren. »Spann mich nicht auf die Folter, Pit«, sagte ich daher. »Auf den ersten Blick ist es nur eine normale Vermißtenmeldung«, begann mein Freund, wobei er seine Stimme senkte. »Die Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern suchen nach einem jungen Mann. Er ist spurlos verschwunden. Ein gewisser Thorsten Lambrecht aus Greifswald.« »Was ist daran für mich interessant?« »Er hatte ein nächtliches Stelldichein mit seiner Freundin, einer gewissen Julia Weidemann. Sie ist die letzte, die ihn lebend gesehen hat.« »Besteht Mordverdacht, Pit?« Er zuckte mit den Schultern. »Konkret nicht. Die Eltern von Thorsten Lambrecht haben eine Vermißtenmeldung aufgegeben.« »Und dieses Mädchen? Diese Julia?« »Die befindet sich in einer Nervenklinik. Eine Funkstreife hat sie frühmorgens aufgegriffen. Sie hat von einem entsetzlichen Ungetüm erzählt. Und davon, daß sich Thorsten in ein grauenhaftes Wesen verwandelt haben soll.« Mein Adrenalinspiegel stieg. »Was soll das bedeuten?« »Die Kollegen in Greifswald können sich darauf auch keinen Reim machen. Sie haben das Mädchen sogar im Verdacht, diesen Thorsten Lambrecht selbst getötet zu haben.« »Aber warum?« »Wenn ihr Geist umnachtet ist, erübrigt sich diese Frage. Das weißt du so gut wie ich, Mark.« Wir schwiegen beide und hingen für einen Moment unseren Gedanken nach. Pit zündete sich einen langen Zigarillo an. Seit ich ihn kenne, will er sich das Qualmen dieser Stinkbolzen abgewöhnen. Wenn es einmal wirklich soweit sein sollte, werde ich mir - als überzeugter Nichtraucher - diesen Tag rot im Kalender anstreichen. »Aber die Pointe habe ich dir noch gar nicht verraten«, meinte der
Hauptkommissar unschuldig. Das macht er immer so. Das Beste kommt zum Schluß. »Die Greifswalder Lokalpresse berichtet angeblich von einem seltsamen Amphibienwesen, das in der Nähe der Stadt gesichtet worden sein soll. Eine Art Riesenlurch.« »Solche Meldungen tauchen in einer Polizeifahndung auf?« staunte ich. »Normalerweise nicht. Aber diese Beobachtung von mehreren Zeugen paßt zu einer Aussage der angeblich geistig so verwirrten Julia Weidemann.« »Wieso?« »Diese geheimnisvolle Gestalt hat keinen Mund, kein Maul, keine Schnauze oder Ähnliches. Und Thorsten Lambrechts Mund, das habe ich dir noch nicht gesagt, ist in dieser unglückseligen Nacht ebenfalls zugewachsen!«
* Die Gestalt lag im flachen Wasser. Hier fühlte sie sicher einigermaßen sicher. Wenn es in ihrem Leben überhaupt noch so etwas wie Sicherheit geben konnte. Und falls man diese jämmerliche Existenz als Leben bezeichnen wollte. Das Wesen hatte sein Versteck gut gewählt. Der Greifswalder Vorort Eldena liegt direkt am Greifswalder Bodden. Einer großen, geschützten Ostseebucht zwischen den Inseln Usedom und Rügen. Dort, wo sich die halb menschliche Amphibie in den ufernahen Schlamm gewühlt hatte, gab es keinen Badestrand. Für den Moment brauchte die Kreatur keine Feinde zu fürchten. Der Horror kam von innen. Erstens verspürte die Amphibie einen mörderischen Hunger. Sie konnte ja nichts essen, weil sie keinen Mund hatte. Doch diese Qual
war gar nichts gegen die Gedankenblitze, die immer wieder durch ihr gepeinigtes Gehirn zuckten. Das Wesen sah jemanden, dem es sich sehr verbunden fühlte. Einen Menschen. Es konnte sogar den Namen dieses Menschen in seinem halb tierischen Bewußtsein behalten. Thorsten Lambrecht. Das Monstrum sah verblichene Bilder von diesem Thorsten Lambrecht. Bilder wie aus einem alten Fotoalbum. Thorsten beim 10.000-Meter-Lauf, der Sieger des Schulsportfestes. Thorsten, schwitzend über einer Mathearbeit. Thorsten bei der »Jugendweihe«, zum ersten Mal in seinem Leben in einem Anzug mit Schlips und Kragen. Thorsten mit Freunden im Zeltlager, beim Bier. Thorsten mit seinen Eltern. Eine Träne rann aus dem ausdruckslosen Auge des Wesens. Ihm wurde klar, daß es selbst einmal dieser Thorsten gewesen sein mußte. Aber weswegen es nun in diesem völlig anderen Körper steckte - das verstand es nicht. Ein Pfeifen ertönte. Kurz darauf ein wütendes Kläffen. Instinktiv duckte sich das Monstrum Thorsten tiefer in den ufernahen Schlamm hinein. Es sah einen Mann in Gummistiefeln, der am Wasser entlanglief. Seine Angelrute hatte er geschultert. Wahrscheinlich ein Urlauber. Zu ihm gehörte ein Hund, eine fette Promenadenmischung. Dieser Kläffer verbellte nun das geheimnisvolle Wesen im Wasser. Immerhin verfügte der Vierbeiner über genug Verstand, Thorsten nicht anzugreifen. Er hätte vielleicht den Hund mit seinen kräftigen Krallen in Stücke gerissen. Und das Herrchen gleich mit. Aber der so unglückselig verwandelte junge Mann wollte keinen Ärger machen. Er wollte nur seine Ruhe. Und endlich erlöst werden von den quälenden Bildern in seinem Kopf. »Was hast du denn, Akbar!« rief der Angler ärgerlich. »Da ist doch nichts! Komm! - Braver Hund!« »Thorsten« sah, wie der Angler einen Flachmann zum Mund
führte. Nachdem sich die Promenadenmischung wieder einigermaßen beruhigt hatte, trottete sie auf krummen Beinen hinter dem Angler her. Dem Monstrum fiel ein Stein vom Herzen. Es war selbst erstaunt, wie leicht es ihm gefallen war, sich an die Kiemenatmung zu gewöhnen. An Land bekam es nach wie vor durch die Nase Luft. Aber mit den Kiemen konnte es auch unbegrenzte Zeit unter Wasser bleiben. Wenn Thorsten im Biologieunterricht besser aufgepaßt hätte, dann hätte er begriffen, daß er zu einer echten Amphibie geworden war. Doch das hätte ihn auch nicht glücklicher gemacht. Bevor er es verhindern konnte, überschwemmten ihn wieder diese Wahnbilder. Wie eine riesige Übelkeit kamen sie in Wellen. Und es gab kein Mittel, sich dagegen zu schützen. »Thorsten« sah dieses Ding. Das Ding. So hatte er es schon in dieser verfluchten Nacht getauft, als seine Verwandlung begonnen hatte. Es kam dem Wesen vor, als wäre es schon mehrere Jahrhunderte her. Julia, die Klosterruine, sein Mund, die ersten Wahnbilder - und dann das Ding. Es hatte plötzlich hinter Julia gestanden. Und als es sich auf das Mädchen stürzen wollte, hatte sich »Thorsten« dazwischengeworfen. Was danach passiert war, wußte er nicht mehr. Filmriß. Schlimmer als beim heftigsten Besäufnis. Durch »Thorstens« Bewußtsein tobte das Ding wie ein Nachtmahr, den man nicht mehr los wird. In den Augen des Dings glomm das unaussprechlich Böse. Die Schlechtigkeit, die seit Beginn aller Zeiten vorhanden war. Die Gestalt des Dings veränderte sich ständig. Es war wie eine Geschwulst, die sich im Zeitraffertempo immer weiter verschlimmert. Das. Ding stank. Der Pesthauch des Todes umgab es. Seine Klauen waren furchterregend. Und im Gegensatz zu dem unglücklichen mundlosen Monster hatte es messerscharfe Zähne. Wie die eines Menschenhais. Das Ding strahlte eine mächtige Aura aus. »Thorstens« Instinkt sagte ihm, daß eine sehr mächtige Gestalt ihre Hand über diese
Kreatur halten mußte. »Thorsten« konnte sich niemanden vorstellen, der es im Kampf mit diesem Ding aufnehmen konnte. Aber das war bei weitem noch nicht das Schlimmste. Am schlimmsten war, daß es irgendeine besonders perverse und unaussprechliche Verwandtschaft zwischen »Thorsten« und dem Ding geben mußte.
* »Meinen Sie wirklich, Hellmann?« Der Chefredakteur dieser großen Hamburger Illustrierten klang am Telefon, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. »Ich meine gar nichts«, erwiderte ich. »Soweit sollten Sie mich kennen. Bisher habe ich nur eine winzige Meldung aus einer Lokalzeitung. Ich muß nach Greifswald und vor Ort Informationen sammeln. Vielleicht ist das eine Geschichte für Sie, vielleicht auch nicht.« »Sie meinen so was wie >Fischmensch terrorisiert Ostseeküste