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IJMHi* LT Seite K r a u s e , "Wolfgang: Die Runeninschrift auf dem Kamm von EKsenhof
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S n e l l , Bruno: Zu den Urkunden dramatischer Aufführungen
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L h o t s k y , Alphons: Ein Bericht über die Universität Göttingen für den Staatskanzler Fürsten Kaunitz-Rietberg (1772)
39
S c h l a c h t e r , Wolf gang: Zur Geschichte der Frequentativa im Ungarischen
69
H u b a t s c h , Walther: Montfort und die Bildung des Deutschordensstaates im Heiligen Lande
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T r e u , Kurt: Majuskelbruchstücke der Septuaginta aus Damaskus
201
B l e i c k e n , Jochen: Der Preis des Aelius Aristides auf das römische Weltreich
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S c h m i t t , Armin: Stammt der sogenannte „&"-Text bei Daniel wirklich von Theodotion?
279
S c h l a c h t e r , Wolfgang: Der Agens-Illativ beim Passiv des Lappischen 393 J a n k u h n , Herbert: Archäologische Bemerkungen zur Glaubwürdigkeit des Tacitus in der Germania
409
R a d d a t z , Klaus: Die germanische Bewaffnung Eisenzeit
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der vorrömischen
R i e c k e n b e r g , Hans Jürgen: Über die Formel „Requiescat in pace" in Grabinschriften
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NACHRICHTEN DER AKADEMIE D E R WISSENSCHAFTEN IN GÖTTINGEN I. P H I L O L O G I S C H - H I S T O R I S C H E
KLASSE
Jahrgang 1966
Nr.
Der Preis des Aeliias Aristides aiaf das römische Weltreich Von Jochen Bleickem
VANDENHOECK & R U P R E C H T IN GÖTTINGEN Ausgegeben August 1966
NACHRICHTEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN GÖTTINGEN P H I L O L O G I S C H - H I S T O R I S C H E KLASSE Inhalt der seit 1957 erschienenen Jahrgänge J a h r g a n g 1965: Nr. 1 F. Baclimann, Galens Abhandlung darüber, daß der verzügliche Arzt Philosoph sein m u ß . 87 S. 9,— D M " Nr. 2 G. Posener, Sur l'orientation et l'ordre des points cardinaux chez les iSgyptiens. 10 S. 1,50 DM Nr. 3 H. Brunner, Die Hieroglyphen für „räuchern", „bedecken", „Handfläche" u n d die ihnen entsprechenden Wörter. 18 S. 2,50 DM. Nr. 4 M. Malinine, Partage testamentaire d'une propriete familiale. 5 S. 1,—DM Nr. 5 E. Lüddeckens, P . Wien D 10151, eine neue Urkunde z u m ägyptischen Pfründenhandel in der Perserzeit. 18 S. 2,50 DM Nr. 6 E. Edel, Bericht über die Vorarbeiten für die Veröffentlichung der Welt kammerreliefs u n d -inschriften aus d e m Sonnenheiligtum v o n Abu Gurab. 2 S. —,50 DM Nr. 7 E. Brunner-Traut, Spitzmaus u n d Ichneumon als Tiere des Sonnengottes. 41 S. 6,— DM Nr. 8 P . Derchain, Le tombeau d'Osymandyas et la maison de la vie ä Thebes. 7S. 1,-DM Nr. 9 W. Helck, „Vater der Väter". 4 S. —,50 DM Nr. 10 P . Posener, £itat d'avancement de la publication des Archives d'Abu-Sir. 7 S. 1,—DM Nr. 11 S.Schott, Zum Weltbild der Jenseitsführer des neuen Reiches. 13 S. 2,50 DM Nr. 12 H. Ricke, Eine Ausgrabung im Totentempel Amenophis' I I I . 5 S. 1,50 DM Nr. 13 J.Leclant, Les fouilles de Soleb (Nubie soudanaise). 12 S. 3 , — DM Nr. 14 J. C. Bürgel, Die ekphrastischen Epigramme des A b u Tälib al-Ma'müm. 102 S. 14,80 DM J a h r g a n g 1964: Nr. 1 S. Schott, Der Denkstein Sethos' I . für die Kapelle R a m s e s ' I . in Abydos. 84 S. 11,50 DM Nr. 2 A. Dietrich, Die arabische Version einer unbekannten Schrift des Alexander von Aphrodisias über die Differentia speeifica. 64 S. 8,— DM Nr. 3 F. Tschirch, Probeartikel zum Wörterbuch der Bibelsprache Luthers. 49 S. 5,—DM Nr. 4 F. Bernhard, Gab es einen Lokativ auf -esmim im buddhistischen Sanskrit? 11 S. 1,50 DM J a h r g a n g 1963: Nr. 1 F. Wieacker, Notizen zur rechtshistorischen Hermeneutik. 22 S. 2.— DM Nr. 2 E, Heitsch, Überlieferungsgeschichthche Untersuchungen zu Andromachos, Markellos von Side und zum Carmen de viribus herbarum. 27 S. 3 , — DM Nr. 3 H. Jankuhn, Zur Lage von Sliesthorp und Sliawich, u n d W. Krause, Die Runeninschrift auf dem K a m m von Heidaby. 35 S. 4,— DM Nr. 4 E. Edel, Zu den Inschriften auf den Jahreszeitenreliefs der „ W e l t k a m m e r " aus dem Sonnenheüigtum des Niuserre. Π . Teil. 56 S. 7,— DM Nr. 5 E. Edel, Zu den Inschriften auf den Jahreszeitenreliefs der „Weltkammer 4 * aus dem Sonnenheiligtum des Niuserre. I L Teil (Fortsetzung). 77 S. 9,—DM
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auf das römische Weltreich (or. 26 K)
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Vorgelegt v o n H e r r n A. H e u ß i n der S i t z u n g vom 4. F e b r u a r 1966 7/1966
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
1. G e i s t i g e V o r a u s s e t z u n g e n der S c h r i f t Die Rom-Rede des Aelius Aristides aus d. J. 143 n.Chr. 1 ist sowohl ein Hymnus auf eine Stadt wie ein Hymnus auf die ideale Form der Herrschaft. Lobreden auf Rom, in denen die Größe der Stadt und der Herrschaft der Römer waren daher weitgehend auf bestimmte Gedankenschemata festgelegt. Wir haben damit zu rechnen, daß die laus Eomae ein in der Kaiser zeit auch bei den Griechen viel behandeltes Thema war. Um so erstaunlicher ist es, daß bis auf Aelius Aristides keine griechische Schrift auf uns gekommen ist, die wir dieser Gattung zurechnen könnten. Lediglich innerhalb größerer Werke finden wir einzelne Abschnitte, die sich diesem Thema widmen. So sind etwa die Proömien zu den Geschichtswerken des Dionys von Halikarnaß und Appian als Lobreden auf Rom anzusehen, so kümmerlich sie in der Ausführung auch sein mögen. Aber nicht nur deshalb ist die Rede des Aristides für uns ein einzigartiges Do kument zu dem antiken Bild vom römischen Kaiserreich. Die römische Herr schaft ließ sich nämlich jeweils nach dem Standpunkt des Redners auf sehr ver schiedene Weise darstellen. Aristides standen als Griechen von vornherein alle jene politischen Vorstellungen ferner, die um das Problem von libertas und principatus kreisten. Er erhielt auch später durch seine Verbindungen zu rö mischen Kreisen kein Verhältnis zu den ideologischen Aspekten des Prinzipats, was gewiß auch daran liegen wird, daß weder er noch seine Familie der rö mischen. Senatsaristokratie angehörten. Ihn, den Bewohner des griechischen Ostens, interessierten weniger die Probleme der römischen Verfassung als viel mehr die besonderen Herr Schaftsprinzipien der Römer gegenüber ihren Unter tanen. Es wäre hingegen denkbar gewesen, daß Aristides das Lob auf Rom — wenn nicht mit dem Preis auf die Freiheitlichkeit der Verfassung — so doch mit der Hymnisierung des römischen Kaisers als eines idealen Herrschers stoischer Provenienz verbunden hätte. Aber Aristides hat seine Rede ebenso klar von dem Herrscherhymnus geschieden wie von der Prinzipatsideologie. Obwohl sich an dieser oder jener Stelle Anklänge finden2, steht doch der Kaiser 1 Zitiert wird, wenn nicht anders vermerkt, nach der Ausgabe von K e i l . — Zur Da tierung vgl. J . H . O l i v e r , The Ruling Power. Α Study of the R o m a n Empire in the Second Century A.C. through t h e Roman Oration of Aelius Aristides, Transactions of the Amer. Phüos. Soc. N.S. Vol. 43, Part 4, Philadelphia 1953 ( = Oliver), S. 886f. — Erst nach FertigStellung dieser Studie erschien der Aufsatz von D. N ö r r , Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, Gymnasium 72, 1965, S. 485ff., der das hier angeschnittene Thema eng be rührt. D a D . Nörr beabsichtigt, das T h e m a demnächst in breiterem Rahmen zu be handeln, h a b e ich darauf verzichtet, seine interessanten, aber sehr knappen Bemerkungen zur R o m - R e d e des Aristides nachträglich noch in das Manuskript einzufügen. 2 So geht die Differenzierung von Regierung (αρχή) und Herrschaft (το δεσπόζειν) bzw. König (βασιλεύς) u n d Herr (δεσπότης) im § 23 auf Panaitios zurück; vgl. W. C a p e l l e , Griechische E t h i k u n d römischer Imperialismus, Klio 25, 1932, S. 94ff.; J . M e s k , Der Aufbau der X X V I . Rede des Aelius Aristides, 35. Jahresber. d. Franz-Joseph-Real-
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durchaus nicht im Mittelpunkt der Überlegungen, sondern treten ganz all gemein ,,die Römer" bzw. „Rom" als Herrscher auf, und für sie tritt lediglich dort der Kaiser ein, wo die besonderen Überlegungen — wie etwa die Gedanken zur Beamtenhierarchie — dazu zwingen. Den Grund dafür, daß das Lob auf Rom nicht in einen römisch oder griechisch gefärbten Hymnus auf den Kaiser einmündete, könnte man darin erkennen, daß die Rede zur Gattung der Städtereden gehört, in denen a priori nicht der Kaiser, sondern die Stadu im Zentrum steht. Aber da die angesprochene Stadt durch ihre Größe und Macht den Rahmen dieser Gattung sprengen muß und Aristides dann auch tatsächlich die durch die Gattung vorgeschriebenen Bahnen verläßt und das Schwergewicht der Gedanken sehr schnell auf das Problem der Herrschaft lenkt, bleibt es doch erstaunlich, daß der Kaiser-Hymnus so kon sequent ausgeklammert wird. Es will bisweilen scheinen, als ob Aristides die Gattung der Städtereden nur gewählt hat, um jenseits aller Topik vom idealen König (oder Princeps) seinen Gedanken zu dem Charakter der römischen Welt herrschaft nachzugehen. Wenn schon hierin der besondere Standpunkt des Redners unsere Auf merksamkeit verdient, so noch weiter dadurch, daß der Preis Roms nicht mit dem Preis auf das nationale Römertum vermischt ist. Es lag dem Griechen Aristides fern, die Römertugenden nach Art der Augusteer zu feiern; ja, nach seinem Verständnis wurde die römische Herrschaft gerade — in gewisser Um kehrung der augusteischen Position — n i c h t durch ein n a t i o n a l e s Ethos des herrschenden Volkes getragen. Nach Aristides ist zwar die Kunst des Herrschens spezifisch römisch, aber diese Kunst beweisen die Römer eben dadurch, daß sie sich selbst als Nation a u f h e b e n und aus dem ethnischen Begriff des Römertums einen rein personenstandsrechtlichen Begriff machen 3 . So ist der Weg frei für eine von festen Vorstellungen gelöste Betrachtung der römischen Herrschaft. Trotz dieses unabhängigeren Ausgangspunktes bietet natürlich auch die Rede des Aristides genügend Verbindungen zu älteren laudes Romae: Die Darstellung der Größe der Herrschaft, der Vergleich mit den älteren Weltreichen, der Hymnus auf die Segnungen des römischen Friedens und an deres begegnet vielfach in älteren, besonders auch griechischen Abhandlungen gymnasiums, Wien 1909, S. 14ff. Das Schema des Kaiser-Hymnus bei Menander, περί επι δεικτικών (L. S p e n g e l , R h e t . Gr. I H 368ff.) berührt sich mit dem R o m - H y m n u s des Aelius Aristides nicht. Die Gemeinsamkeit mancher Gedanken geht nicht darauf zurück, daß die Rede des Aristides eine Mischung aus dem βασιλικός λόγος u n d dem έπαινος πόλεως ist, wie M e s k a. O. S. 12 a n n i m m t , sondern darauf, daß eine Lobrede auf eine Stadt, die die Weltherrschaft symbolisiert, bisweilen auch von denjenigen Herrschertugenden sprechen m u ß , die nach der Topologie von dem idealen König gefordert werden. Die Herrschertugenden der römischen αρχή jedoch, die Aristides als besondere Charakteristika Roms herausarbeitet, sind nicht die von der Topik für den βασιλεύς geforderten; ja, sie können in einem βασιλικός λόγος überhaupt nicht erscheinen, weil sie nicht auf die Person eines Herrschers, sondern auf die besondere Situation einer Herrschaft Bezug nehmen. 3 63: τό 'Ρωμαΐον είναι έποιήσατε ού πόλεως, άλλα γένους όνομα κοινού τίνος.
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les Aelius Aristides
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zu dem Thema 4 . Aber das Vorhandensein dieser, schon zu Topoi gewordenen Gedanken berechtigt uns nicht, die Rede des Aristides als eine Schrift zu werten, die sich von früheren Versuchen nur in der verschiedenen Akzen tuierung der einzelnen vorgebrachten Themen unterscheidet und im ganzen eben doch nur die Topologie der laus Bomae weitertradiert 5 . Die Rede ist nicht nur dadurch ausgezeichnet, daß sie die Prinzipatsideologie, den Kaiser-Hymnus und d°s τ* Q'M^·'1"'n.lff. Τ? .^τγίΡτΗνπττϊ r.^c' iV^n.T^T^.—■**'*} r*r*?vr f^pcl"* i]n d°^ intQr^Tund drängt. Sie konzentriert vielmehr — bei aller Verknüpfung mit der Tradition der Gattung — die Gedanken auf wenige Gesichtspunkte, die gegenüber der älteren Literatur durchaus Anspruch auf Originalität haben. Sie allein auch sollen uns in dieser Studie interessieren. Wir vermögen bei dem Stand der Über lieferung allerdings nicht mit Sicherheit zu sagen, ob Aristides für diese seine neuen Gedanken wirklich keine Vorbilder hatte; möglicherweise erscheint er uns nur deswegen originell, weil uns die Masse des anderen Schrifttums verloren gegangen ist. Es spricht jedoch manches dafür, wie wir noch sehen werden, daß etwaige Vorbilder zumindest nicht viel älter sein können als die Rede des Ari stides und wir darum vielleicht doch unserem Autor die originale Fassung der Gedanken nicht absprechen dürfen. Nun ist allerdings „Originalität" hier nicht so zu verstehen, als ob Aristides oder wer auch immer vor ihm jene neue Ansicht der römischen Herrschaft als erster entwickelt hätte. Manche seiner be sonderen Überlegungen erkennen wir in den Prinzipien römischer Herrschaft wieder, die wir heute wie selbstverständlich den Römern unterstellen, und anderes findet sich — wenn auch in anderem Zusammenhang — verstreut bei diesem oder jenem Schriftsteller. Originell jedoch ist die Rede darin, daß sie jene Gedanken bewußt in den M i t t e l p u n k t eines R o m - H y m n u s rückt. Und da dies ein Grieche unternimmt, der vom Standpunkt der Reichs bevölkerung her denkt und der diesen Standpunkt auch ausdrücklich betont, erscheint uns hier die traditionelle Ansicht von Rom, wie man sie in den offi ziellen und offiziösen Verlautbarungen des Ostens zu sehen gewohnt war, nicht nur erheblich modifiziert, sondern das politische Bewußtsein des Reichs bewohners auf eine neue Ebene gehoben. Selbst den Römern in Rom und Italien mag die besondere Akzentuierung der römischen Herrschaft, wie Ari stides sie vornimmt, ungewöhnlich, manchem, bei allem Stolz über den Preis, unangenehm oder sogar bedenklich erschienen sein. Denn wenn auch Aristides — wie in der Bürgerrechtspolitik — an offizielle kaiserliche Politik anknüpft, die bis auf Caesar und Augustus zurückreicht, so ist diese Politik von den Kaisern doch niemals bis zu jener Konsequenz theoretisch durchdacht worden. Am allerwenigsten hat das wohl ein so konservativer Mann wie Antoninus Pius 4
S. u. Anm. 16. So zu Unrecht A. B o u l a n g e r , Aelius Aristide et la sophistique dans la province d'Asie au I I e siecle de notre ere, Bibl. des i c o l e s Franc. d'Athenes et de Rome, T. 126, Paris 1923, S. 357ff.; wie zu zeigen sein wird, stimme ich insbesondere mit ihm darin nicht überein, daß Aristides — wie Plutarch — eine resignierende Grundhaltung erkennen läßt. 5
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getan, vor dem die Rede vielleicht gehalten worden ist. Es bestand für einen Römer auch nicht das Bedürfnis, die Bürgerrechtspolitik zu ideologisieren; im Gegenteil hinderte ihn sein Römerstolz und der Egoismus des Herrschenden daran, sie dadurch zu forcieren, daß er sie in die Sphäre der Ideologie erhob. Für den Römer war die Bürgerrechtspolitik vor allem ein Arcanum der Herr schaft ; für den Griechen Aristides war sie mehr: Durch sie nämlich sieht er die Möglichkeit, die Existenz des politischen Griechentums zu bewahren. Und dieser Standpunkt ist innerhalb der griechischen Welt durchaus neu. Um den neuen Ansatz recht zu verstehen, muß man sich die Einstellung des Ostens zur römischen Herrschaft vor Aristides vergegenwärtigen 3 . Die griechische Welt hat in der Phase der römischen Expansion zunächst versucht, sich über die Ursachen des römischen Aufstiegs Rechenschaft zu geben. Polybios glaubte, in dem Charakter der römischen Verfassung und in dem Staatsethos des Bürgers die Ursachen der Größe Roms erkannt zu haben. Das Werk des Polybios ist unter den Griechen schnell bekannt und berühmt geworden. Aber sein Deutungsversuch mochte alle diejenigen nicht befriedigen, denen eine bloße Erklärung für den politi schen Zusammenbruch nicht genügte, und er vermochte um so weniger zu befriedi gen, als schon sehr bald nach Vollendung des Werkes die revolutionäre Entwick lung in der römischen Innenpolitik das Gegenteil von dem zu zeigen scliien, was Polybios erkannt zu haben glaubte: Das innere Chaos in Rom seit den Gracchen er weckte berechtigte Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussagen. Ganz abgesehen da von, trug Polybios wenig zu der Frage bei, wie diejenigen Griechen, die sich poli tisch noch nicht aufgegeben hatten·, sich in der neuen Situation verhalten sollten. Es war in der Tat schwierig, hier einen Ausweg zu finden; und es war die Frage, ob es überhaupt einen Ausweg gab. Gegen Ende der Republik versuchte die stoische Philosophie, die Frage positiv zu beantworten, indem sie eine Formel fand, unter der auch der Grieche ihrer Meinung nach die römische Herr schaft akzeptieren konnte. Es waren Poseidonios und — vor ihm — Panaitios, die nicht nur einfach eine Erklärung des römischen Aufstiegs, sondern eine Rechtfertigung der römischen Herrschaft brachten 7 . Unter Benutzung pla tonisch-aristotelischen Gedankengutes postulierte Panaitios das Recht des Besseren auf Herrschaft, wodurch allein den unredlichen Politikern die will kürliche Anwendung des Rechtes genommen werde und also die gerechte Herr schaft sich durchsetzen könne 8 . Nach dieser Philosophie ist gleichsam durch die Natur selbst den Besseren die Herrschaft gegeben zum Nutzen der Schwachen9. 6
Vgl. G. P a s q u a l i , L'idea di Roma, i n : Terze pagine stravaganti, Firenze 1942, S. 25ff.; H . B e n g t s o n , Das politische Leben der Griechen in der römischen Kaiserzeit, Die Welt als Geschichte 10, 1950, S. 87ff.; ders., D a s Imperium R o m a n u m in griechischer Sicht, Gymnasium 71, 1964, S. 150ff. 7 Vgl. C a p e l l e a.O.; M. P o h l e n z , Die Stoa, Göttingen 1948, 1, S. 206. 8 Cic. de rep. 3, 24 (36) (aus dem Resume* bei Aug. civ. 19, 21). 9 Cic. a.O.: veluti α natura sumptum nobile exemplum (wörtliches Zitat): an non cemimus optimo cuique dominatum ab ipsa natura cum summa utilitate infirmorum datum?
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Mit der Verbindung von Naturrecht und Imperialismus war die römische Herr schaft auf eine ethische Grundlage gestellt und sogar jede zukünftige Er oberungspolitik durch den kulturellen Auftrag gerechtfertigt, der in der ethi schen Begründung implicite enthalten war. Cicero hat in seinem „Staat" dieses Gedankengut den Römern zugänglich gemacht, und seitdem war es Allgemein gut auch der Römer. Nun wäre allerdings noch nachzuweisen gewesen, daß die Römer tatsächlich die Besseren — nicht nur ole Stärkeren — waren. Aber mit diesem Nachweis stand es schlecht, denn die ethische Begründung der Herr schaft stand in schärfstem Gegensatz zu dem praktischen Verhalten der rö mischen Behörden im Osten; es regierte das Unrecht und die Willkür, und es war kaum der Ansatz zur Aufrichtung einer positiven Herrschaftsördnung zu bemerken. Aber selbst wer von diesem Mißklang zwischen Theorie und Praxis einmal absah und damit zufrieden war, das politische Problem im Raum des reinen Geistes bewältigt zu haben, konnte den Philosophen doch nicht ein räumen, daß sie das Problem wirklich gelöst hatten. Denn einmal wurde durch die Prävalenz der Ethik alle Diskussion um die Staatsform abgeschnitten, und zum anderen überspielte dieselbe Prävalenz auch das Problem der römischen Fremdherrschaft. Wiewohl die Philosophie mit diesen Gedanken ganz neue Ansätze zur Theorie menschlichen Zusammenlebens fand, verlangte sie doch von dem politischen Griechentum der Zeit zu viel, wenn sie es aufforderte, die römische Herrschaft ohne jede Rücksicht auf das, was gewesen war, zu be trachten. Selbst wenn man geneigt war, die Tyrannei römischer Beamten für Gerechtigkeit zu halten oder so zu tun, als ob das Chaos im Osten der Friede wäre, so konnte man doch den geistigen und politischen Hintergrund, durch den die Griechen geprägt waren, nicht einfach vergessen. Die Vorteile, die man sich unter der römischen Herrschaft einzutauschen schien, waren vor diesem Hintergrund keine Vorteile, und die pax Romana, die Cicero den Asiaten in einem Brief an seinen Bruder Quintus vorhält, konnte nicht ohne Grund als Euphemismus für die nackte Gewalt angesehen werden. Wer daher zu dieser Zeit in der Provinz die Römer preisen wollte, konnte mit Anstand nur von dem Umfang der Herrschaft, von der Kraft der Römer und von der Ewigkeit der römischen Herrschaft sprechen. Die ersten latcdes Romae der Griechen be schränken sich denn auch ausschließlich auf diese Themen; so — schon lange vor der römischen Weltherrschaft — Lykophron in seiner Alexandra (v. 1228fF.) und nach ihm die Dichterin Melinno10 und Alpheios von Mytilene11. 10 D i e h l , Anth. Lyr. Graec. II S. 315f. Die Datierung ist strittig; die Vorschläge reichen vom Ende des 4. Jahrh. v. Chr. bis zum 1. Jahrh. n. Chr. Das Gedicht kann jedoch nicht vor dem 2. Jahrh. angesetzt werden, weil Rom als Dea Roma angeredet und eine ausgedehnte Herrschaft über Land, Meer und Städte vorausgesetzt wird. Zur Diskussion vgl. O l d f a t h e r , RE X V (1931) S. 521 ff., und die neueste Bearbeitung von C. Μ. Β ο w r a , Melinno's Hymn to Rome, Journ. Rom. Stud. 47, 1957, S. 21ff.; s. auch B e n g t s o n , Gym nasium 71, S. 153f. 11 Anth. Pal. 9,526. Das Epigramm gehört in die frühe Kaiserzeit; vgl. dazu Β ο w r a a.O. S. 27f.
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Die Einstellung der Griechen zu Rom änderte sich in der Kaiserzeit zu nächst kaum. Allerdings wandelte sich umgekehrt die Einstellung der Römer bzw. des Kaisers zu den Griechen; man merkte im Osten schon sehr bald, daß die Römer die Welt, die sie bisher mehr beherrscht als regiert hatten, nun auch wirklich zu verwalten begannen. Die kaiserliche Fürsorge für die Provinzen und der allgemeine Friede hoben sich sehr ab von dem, was man aus der Republik kannte, und die stoische Rechtfertigung der römischen Herrschaft erhielt jetzt in der Reichsverwaltung ihre praktische Bestätigung. Aber damit war natürlich nur erreicht, daß man die Römer nunmehr auch wirklich als die Besseren an sehen konnte und also die Forderung der Philosophie erfüllt schien. Das eigent liche Problem in jener philosophischen Anschauung, daß nämlich in ihr nicht nach der politischen Freiheit gefragt wird, war damit nicht ausgeräumt. Allerdings werden die Stimmen der Griechen, die sich überhaupt noch über das politische Verhältnis von Griechen zu Römern auslassen, in der Kaiserzeit immer seltener. Die Vorteile des Friedens und der kaiserlichen Fürsorge nach den Notzeiten der Republik mögen die Aktivität gelähmt, die Unab änderlichkeit der römischen Macht die Flucht in die große Vergangenheit gefördert haben. Es ist jedenfalls nicht zu übersehen, daß der politische Wille der Griechen zusehends nachläßt und die Literatur sich von der Gegenwart ab wendet. Aber der Wunsch, zwischen Römern und Griechen ein politisches Band herzustellen, erstarb nicht ganz. Um die Jahrhundertwende ist es Dion von Prusa, der in mehreren seiner Reden das Problem berührt. Die Gründe für sein politisches Schrifttum liegen jedoch zunächst nicht in dem Wunsch, die Griechen mit Rom zu versöhnen. Dion stand nänilich durch seine enge Ver bindung zum Kaiserhofe und durch seinen Gegensatz zu Domitian den Ge danken der r ö m i s c h e n aristokratischen Opposition gegen das „entartete" Kaisertum viel näher als dem Problem der römischen Herrschaft über das untertänige Reichsgebiet; seine Gedanken kreisen daher zunächst vor allem um das Verhältnis von römischer Aristokratie zum Kaisertum. Der ideale Herrscher, den er dem Tyrannen Domitian gegenüberstellte12, mochte aber in seinen Augen nicht nur für die Römer, sondern auch für die Griechen das Problem der Herrschaft lösen; und dies besonders deswegen, weil Dion damit im griechischen Bereich an eine umfangreiche Literatur anknüpfen konnte, die die Monarchie als Herrschaftsform akzeptierte und bei einer bestimmten in neren Einstellung des Monarchen zur Herrschaft diese geradezu glorifizierte. Aber damit war nicht viel mehr erreicht als schon durch die Gedanken der be reits zitierten Philosophen. Denn dem Griechen war mit dem idealen Herrscher Dions nicht mehr gegeben als wieder eine moralische Rechtfertigung des rö mischen Herrschaftsanspruches, wie sie ähnlich von Panaitios und Poseidonios versucht worden war. Die Rechtfertigung hatte jetzt lediglich ihren aktuellen Bezug auf die Monarchie erhalten, indem unter den ,,guten" Kaisern die For12 Vgl. H. v. A r n i m , Leben und Werke des Dion von Prusa, Berlin 1898, S. 147f. 249. 329. 395f.
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es Aelius Aristides
auf das römische Weltreich
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denmg der Philosophie an den Herrscher (jetzt eben das Kaisertum wie vorher die Republik) erfüllt schien. Die politische Freiheit war hier ebenso austfeklammert wie früher; und selbst der Grieche, der die monarchische Staatsform grundsätzlich akzeptierte, mochte davor zurückschrecken, das Kaisertum als politische Instanz anzuerkennen, weil es sich eben um ein r ö m i s c h e s Kaisertum handelte. So war mit Dion und dessen Bezug auf das ideale Herrschertum iiocn j£6iii gr"üiiCLsatzüCi.i. neuer τ ν 6g gewissen. Den Griechen war bei aller Anerkennung der Segnungen römischer Herrschaft die Erinnerung an vergangene Größe teurer, als sie eingestehen wollten oder konnten. Die Lektüre der klassischen Schriftsteller hielt diese Erinnerung auch stets wach, und in einer Zeit, die das Unrecht willkürlicher Beamtenherrschaft kaum noch kannte, hatte man Muße, sich seiner Sehnsucht und Trauer hin zugeben. Nur so ist es zu verstehen, wie leidenschaftlich und zäh sich im Osten das Andenken Neros hielt, in dem politische Träumer eher einen hellenistischen als einen römischen Monarchen sehen wollten. Klarere Köpfe trauerten nicht dem Phantom einer hellenistiscnen Monarchie nach, sondern suchten die alte Freiheit dort zu retten, wo sie wirklich noch Freiheit war: Die Selbstverwaltung der griechischen Stadt war so ein Relikt vergangener Unabhängigkeit, das von den Römern nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert wurde. Aber den all gemeinen Verfall der politischen Kräfte kennzeichnet nichts besser als die Tat sache, daß der politische Wille der Städte sich auf eine rivalisierende Titelsucht konzentrierte, wohingegen das Funktionieren der Selbstverwaltung sehr zu wünschen übrigließ und infolge davon der Eingriff der kaiserlichen Zentrale häufig notwendig wurde. Diejenigen Menschen jedoch, die sich um die Freiheit der Griechen ernsthafte Gedanken machten, kamen immer wieder auf die Stadt und ihre Selbst verwaltung zurück; ohne sie schien alles Sinnen um Freiheit unmöglich. So hat sich Plutarch, der neben Dion bedeutendste griechische Schriftsteller um die Jahrhundertwende, in seinen πολιτικά παραγγέλματα sehr energisch für das Funktionieren der Selbstverwaltung in den griechischen Städten eingesetzt. Er geht dabei von der klaren Prämisse aus, daß die Römer die Herrscher, die Griechen die Beherrschten sind, deren Wünsche jeder römische Beamte mit einem Federstrich zunichte machen kann (813 Ε—F. 824 C. E). Die Griechen, sagt er, haben gerade soviel Freiheit, wie die Römer ihnen zugestehen, und, fügt er hinzu, vielleicht ist mehr Freiheit auch gar nicht gut (824 C). Plutarch steht also nicht in Opposition zu den Römern. Er schätzt den römischen Frieden, der, wie er sagt, den Staatsmann in Griechenland unnötig mache (824 C), zu hoch und steht jeder politischen Phantasterei zu fern, um sich in eine nutzlose Opposition zu begeben. Man spürt jedoch deutlich die schmerz liche Resignation, wenn er den Griechen zuruft, daß die Tage von Marathon, Platää und Eurymedon nur noch Themen für die Sophisten-Schulen seien (824 C). Aber Plutarch ertrinkt nicht in jener Resignation. Er zeichnet die po litische Lage nur deswegen so ungeschminkt und hart, weil er seine Landsleute
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aus ihren leeren Träumen in die Gegenwart zurückrufen und sie durch die Er kenntnis der wahren Lage dazu bewegen will, wenigstens das zu retten, was den Griechen noch blieb: die Selbstverwaltung der Städte. Er beschwört sie, nicht bei jeder Gelegenheit den Statthalter in die Streitigkeiten der Städte hinein zuziehen oder für jeden Beschluß die vorherige Genehmigung des Statthalters einzuholen und damit den Rest der Selbstverwaltung (πολιτεία) zunichte zu machen. Wenn das Bein schön gefesselt ist, SO soll man sich nicht auch noch die Kette um den Hals legen, ruft er aus 13 . Man solle lieber die Streitig keiten selbst zu schlichten suchen und im übrigen das Ziel darin sehen, in der Stadt Eintracht und Freundschaft zu erhalten (8Ϊ4Ε—815C. 8240—E) 14 . Für das Rom-Bild der Griechen um die Jahrhundertwende ist dieser Standpunkt außerordentlich bemerkenswert. Plutarch kann als Grieche die römische Herr schaft nicht von Rom her sehen: Er steht ihr noch gegenüber. Er nimmt sie zwar hin; aber indem er sich mit ihr abfindet, gewinnt er keinen neuen posi tiven Ansatz für die politische Energie des Griechentums. Die politischen Be griffe Plutarchs gehören der Vergangenheit an; sein Ideal, dem er nachtrauert, ist die alte Freiheit der Stadt. Was von ihr noch übrig ist, jene reliqua umbra et residuum libertatis nomen15, will er erhalten. Gegenüber dieser Ansicht der römischen Herrschaft bringt Aristides ganz neue Gedanken. Die Leitgedanken seiner Rede finden sich bei keinem Griechen vor ihm. Das Proömium des Dionys von Halikarnaß zur römischen Archäologie weiß von ihnen nichts. Hier ist die laus Eomae noch ganz nach den geläufigen Topoi abgehandelt: Es werden der gewaltige Umfang der römischen Herrschaft und ihre Dauer preisend erwähnt und durch den stereotypen Vergleich mit den älteren vier Großreichen — dem assyrischen, medischen, persischen und make donischen Reich — und mit den Staaten des klassischen Griechenland ver deutlicht 16 . Sein plumper Versuch, das Problem der römischen Herrschaft für den Griechen dadurch aus dem Wege zu räumen, daß er die Römer von Hel lenen abstammen ließ, konnte nicht einmal den Einfältigen helfen und lehrt 13
814 Ε : μηδέ του σκέλους δεδεμένου προσυποβάλλειν καί τον τράχηλον. Zu den πολιτικά παραγγέλματα vgl. P a s q u a l i a.O. S. 59; B e n g t s o n , Welt als Ge schichte 10, S. 93f.; ders., Gymnasium 71, S. 159f.; O l i v e r S. 953ff. Obwohl Dion von Prusa ein durchaus anderes Verhältnis zu den römischen H e r r e n gehabt hat, begegnet er doch Plutarch vielfach in seiner Kritik an der städtischen Selbstverwaltung und in seinem Bemühen u m Eintracht in den S t ä d t e n ; wie Plutarch n a h m auch er aktiv an der Verwaltung seiner Heimatstadt teil; vgl. A r n i m a.O. S. 219. 364f. 386f. 505ff. 15 Plin. ep. 8,24,4 mit Bezug auf Athen und Sparta. Dion v o n Prusa, dem an der Selbstverwaltung seiner Heimatstadt ebenso gelegen war wie P l u t a r c h (vgl. die vorige Anm.), schätzte den Wert der alten Freiheit noch realistischer ein als dieser. E r nannte sie in einer Dankesrede an seine Mitbürger (44,12) τήν . . . . λεγομένην έλευθερίαν καί τό όνομα τοϋθ', δ παρά των κρατούντων καί δυναμένων γίγνεται, . . . . 16 Antiqu. 1,2—3. Zur Entstehung u n d Geschichte der Theorie von den vier Welt reichen vgl. C. T r i e b e r , Die Idee der vier Weltreiche, Hermes 27, 1892, S. 321ff.; B o u l a n g e r a.O. S. 360f.; J . W. S w a i n , The Theory of the F o u r Monarchies: Opposition History under the R o m a n Empire, Class. Philol. 35, 1940, S. lff. 14
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nur, daß er die Augusteer, mit denen er sich gewiß in Einklang glaubte, nicht verstanden hatte 17 . Erstaunlicher ist, daß Appian 170 Jahre nach Dionys in seinem Proömium nicht mehr zu sagen wußte. Sein Proömium konzentriert sich ebenfalls auf die Darstellung von Umfang und Dauer des Reiches und auf den Vergleich mit den älteren vier Weltreichen und den Staaten des klassischen Griechenland (1—23. 29—42). Daneben werden die Segnungen des Kaiser reiches, .briede, vv oiiibemicien miu Siciieriieit, gerade noch erwähnt (21) und die Ursachen des Aufstiegs durch die bloße Aufzählung einiger römischer Tu genden (ευβουλία, αρετή, φερεπονία) abgetan (26. 43)18. Ganz offenbar denkt Appian hier nicht als Grieche, sondern hat sich für ihn als Beamten Roms alle Problematik der Herrschaft von selbst gelöst. Eine Würdigung der politischen Vorstellungen des Aristides hat zu be rücksichtigen, daß die Rom-Rede, der wir diese Vorstellungen allein ent nehmen können 19 , eine Lob-Rede ist. Manche Gedanken mögen dadurch ent standen sein, daß ein Hymnus auf Rom dem Redner nahelegt, sich enger mit dem römischen Standpunkt vertraut zu machen, als ein Grieche bei nüchterner Betrachtung der römischen Herrschaft vielleicht zu tun bereit gewesen wäre. Aber durch die Art, wie Aristides seine Gedanken ausführt, wird der Einwand unwichtig. Er bringt nämlich nicht nur einfach römische Reichspolitik, sondern er erörtert diese Politik von der besonderen Situation des griechischen Unter tanen her. Das Ergebnis der Überlegungen ist die grundsätzliche Aufhebung des politischen Gegensatzes von Römern und Griechen. Selbst wenn Aristides nicht so gefühlt hätte, wie er schrieb, genügt allein schon die Feststellung, daß jemand solche Formulierungen finden konnte, um die Rom-Rede als einen End punkt in der politischen Auseinandersetzung von Römern und Griechen (bzw. Provinzialen insgemein) anzusehen; denn für die politische Bedeutung der Rede ist die innere Einstellung des Autors zu seinen eigenen Worten weniger wichtig als die Tatsache, daß eine solche Ansicht der römischen Herrschaft in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. überhaupt bewußt war. Wäre uns die Rede nicht erhalten, hätten wir konstatieren müssen, daß das Problem der Herrschaft Roms über die Hellenen von dem griechischen Geist weniger be wältigt wurde, als daß es sich vielmehr durch die allmähliche Nivellierung von Römern und Provinzialen von selbst löste. Trotz der Bedeutung der Rede für die Entwicklung des politischen Bewußt seins der Griechen ist sie in der modernen Literatur nur sehr selten in diesem 17
Vgl. die treffenden Bemerkungen von E d . S c h w a r t z , R E V (1903) S. 934f. 960. Hingegen verdient der Gedanke Erwähnung, daß die Körner lieber das Vorhandene bewahren (mit der notwendigen Emendation σώζει,ν statt des αΰξειν der codd.) als das Reich bis ins Unendliche ausdehnen wollen (26). Der Reflex auf die römische Politik seiner Zeit ist jedoch nicht weiter ausgeführt u n d nimmt sich als Auftakt zu dem Vergleich mit den Großstaaten der Vergangenheit, der folgt, etwas merkwürdig aus. 19 N u r in dem Panegyrikos auf den Tempel in Kyzikos findet sich eine kurze An spielung auf die Gedanken der Rom-Rede (27, 32ff. K). 18
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Zusammenhang untersucht worden. Das Beste, was über sie gesagt wurde, sind noch immer die kurzen Bemerkungen von M. R o s t o v t z e f f in seinem großen Werk über die Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich 20 . Aus führlichere Arbeiten zu der Rede bemühten sich vor allem um den Nachweis der Abhängigkeit mancher Gedanken und Formulierungen von der älteren po litischen und staatstheoretischen Literatur der Griechen. Auch die jüngste Be handlung der Hede durch J. K. Oliver, der ebenfalls den Text neu heraus gegeben hat, steht in dieser gelehrten Tradition 21 . Der Wert der Rede als Do kument einer bestimmten politischen Haltung der Zeit ist hingegen zu Unrecht sehr vernachlässigt worden. Allein Oliver widmet dieser Frage einige Auf merksamkeit, doch scheint mir gerade seine Interpretation der Korrektur zu bedürfen (s. u. Anm. 40).
2. Die R e i c h s v e r w a l t u n g als H e r r s c h a f t s p r i n z i p Das Thema, die Verherrlichung der römischen Herrschaft, ist von Aristides um zwei größere Gedankenkomplexe gruppiert, die jeweils einem der beiden Hauptabschnitte der Rede zugeordnet sind 22 . Derjenige Teil des ersten Haupt20
l,113f. Nach R o s t o v t z e f f h a t lediglich L. A. S t e l l a , εις Τώμην. I n Gloria di R o m a . Orazione di Elio Aristide. Introduzione, traduzione e commento, R o m a [1940], eine ausführliche Würdigung des politischen Inhalts der Rede vorgelegt u n d auch bereits auf die zentrale Bedeutung hingewiesen, die die römische Verwaltung in den Gedanken des Aristides spielt (S. 14. 21ff. 53). Ihre persönliche Begeisterung für das römische Im perium h a t sich jedoch für das Urteil über die Rom-Rede nachteilig ausgewirkt: Wenn die Autorin das Enkomion des Aristides mit ihrem eigenen Enkomion begleitet, kommt die Interpretation notwendigerweise zu kurz. 21 So hat M e s k a.O. S. 10ff. die stilistische u n d ideengeschichtliche Abhängigkeit von Isokrates sowie den Einfluß der rhetorischen H a n d b ü c h e r betont. W. S i e v e k i n g , De Aelii Aristidis oratione εις 'Ρώμην, Diss. Göttingen 1919, S. 60ff., hob demgegenüber die Wirkung des Demosthenes auf Aristides hervor. Noch sehr viel schärfer als er stellte TJ. v. W i l a m o w i t z - M o e l l e n d o r f f , Der Rhetor Aristeides, SB. Preuß. Akad., phil.histor. Kl., 1925, Nr. 18, S. 336. 341. 350, Demosthenes als das Vorbild des Redners heraus. Nach O l i v e r hingegen überwiegt das platonische Gedankengut, ein Urteil, das gewiß die Entrüstung von Wilamowitz hervorgerufen hätte. Nach der Meinung O l i v e r s ist die Rede sogar von dem platonischen Gedanken der guten Weltseele, die in der rö mischen Regierung den Weltkörper lenkt, konzipiert worden, u n d konsequenterweise hat er den Aufbau der Rede ganz von dieser Interpretation her gezeichnet (vgl. S. 874ff. 879f.). Daneben weist er den Einfluß von Isokrates, Xenophon und Plutarch nach. O l i v e r hat ohne Frage zu Recht den Einfluß platonischer Gedanken herausgestellt. I c h bezweifle jedoch, daß die Rede deswegen von Piaton her zu verstehen ist. Bei dem Anteil Piatons an dem allgemeinen Bildungsgut der Zeit dürften einem Redner, der R o m als idealen Staat zeichnen wollte, platonische Gedanken u n d Formulierungen eingefallen sein, ohne daß damit die Rede von den staatstheoretischen Ideen Piatons her interpretiert werden müßte. Vgl. die Bemerkungen von F . V i t t i n g h o f f , Gnomon 29, 1957, S. 74ff. 22 Der Aufbau der Rede ist folgender: Nach einer Einleitung (1—5) wird zunächst der Umfang der römischen Herrschaft dargestellt (6—13). D a r a n schließt sich der Vergleich
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abschnittes, der sich mit der Herrschaft Roms beschäftigt (29—39), schließt an die Charakterisierung der älteren Großreiche an und nimmt unmittelbar auf sie Bezug. Der Vergleich Roms mit den älteren Weltreichen, der hier durch geführt wird, ist ein Topos der laus Romae; aber er erschöpfte sich vor Aristides meist in einer einfachen Darstellung des räumlichen und zeitlichen Umfanges der früheren Weltherrschaften und der römischen Weltherrschaft (s. o. Anm. 16). Aristides genügt auch dieser Forderung sehr ausführlich; es ist jedoch für seine Gedankenführung charakteristisch, daß er nicht nur den Umfang, sondern auch den allgemeinen Herrschaftscharakter vergleichend behandelt. Er verfährt dabei so, daß er zunächst nur den Umfang der römischen Weltherrschaft dar stellt (6—13), daran den Umfang und den Charakter der Herrschaft der älteren Weltreiche anschließt (15—27) und zum Schluß den Charakter der römischen Herrschaft anbringt (29—39; 28 ist ein Rückverweis auf 6—13). Dadurch, daß Aristides bei dem Vergleich die Darstellung Roms in zwei voneinander getrennt behandelte Themen aufspaltet, bekommt das zuletzt behandelte (der Herrschaftscharakter) ein Eigengewicht und bildet daher auch den Auftakt zu den besonderen Gedanken unseres Redners, die die herkömmliche laus Romae durchbrechen. Das besondere Gewicht, das die Darstellung des rö mischen Herrschaftscharakters so gewinnt, wird noch dadurch verstärkt, daß Aristides auch bei der Behandlung der älteren Weltreiche ausführlich auf die Herrschaftspraxis dieser Staaten eingeht: Dem Despotismus der Perser (18 bis 23) wird der römische Verwaltungsstaat gegenübergestellt. Aus dem Ver gleich der beiden Herrschaftsstrukturen und aus der besonderen Behandlung mit den älteren Großreichen in der Weise, daß (im Anschluß an das Vorangegangene) der Umfang und (mit Bezug auf das Folgende) die „charakterlose", weil reine Gewaltherrschaft dieser Großstaaten vorgeführt werden (15—27). Darauf folgt der erste Hauptteü mit der Darstellung der römischen Herrschaft als einer intensiven und fürsorglichen Verwaltung (28—39), so daß also die Schilderung des Umfanges und des Herrschaftscharakters der älteren Großreiche durch die des Umfanges (vorangehend, mit Rückverweis § 28) und des Herrschaftscharakters der Römer (folgend) eingefaßt ist. Der nächste Abschnitt umfaßt die Charakterisierung der griechischen Staaten der Klassischen Zeit (40—57). Er dient der Vorbereitung des zweiten Hauptteils, indem hier nachgewiesen wird, daß diese Staaten trotz ihres hohen Kulturniveaus τό άρχειν είδέναι nicht hatten (vgl. 57). Der zweite Haupt teü erörtert dann τό άρχειν είδέναι der Römer, nämlich ihre Bürgerrechtspolitik (58—102). Den Schluß büdet der Preis auf die römische Herrschaft als die Wiedergeburt des Goldenen Zeitalters (103—106) und ein kurzer Kaiserhymnus (107—109). Die §§ 92—102 (Segnungen der römischen Herrschaft) sind, obwohl noch zum zweiten Hauptteü gehörig, schon als ein Übergang zu dem Abschnitt über die aurea aetas anzusehen. — Diese Disposition hält Aristides nicht nur klar durch, sondern er weist auch mehrmals ausdrücklich auf sie hin, indem er den ersten Hauptabschnitt unter den Begriff der ακρίβεια της αρχής (bzw. nur αρχή) stellt, den zweiten Hauptabschnitt unter den der πολιτεία (vgl. zur Disposition 29. 72 [ = O l i v e r 72a.] 92). Die Disposition der Rede hat O l i v e r 878f. durch die Idee verzerrt, daß Aristides seine Gedanken von der Staatstheorie Piatons her konzipierte. Auch die Inhaltsangaben bei Mesk a.O. S. 6ff. und bei S i e v e k i n g a.O. S. 39ff. 51f. führen nicht zum Verständnis des Aufbaus der Rede.
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der römischen Herrschaftsform arbeitet Aristides dann eine der beiden tra genden Herrschaftsideen heraus, unter die er seine Rede gestellt hat. Die Herrschaftsidee, um die es hier im ersten Hauptabschnitt geht, betrifft die römische Verwaltung. Aristides betrachtet die Beamtenschaft Roms mit den Augen des Weltbürgars; anders als Plutarch (s. o. 231 f.) steht er ihr daher nicht von vornherein negativ gegenüber. Aber nicht nur das; über die grund sätzlich andere Einstellung zur römischen Verwaltung hinaus sieht er gerade in ihrer außergewöhnlichen Intensität den eigentlichen Vorzug gegenüber den älteren Großreichen. In dem Vergleich Roms mit diesen Reichen gewinnt der Gedanke des Autors denn auch seine besondere Schärfe: Die Perser behandelten ihre αρχή nicht als ein οίκεϊον (19), weil bei ihnen αρχή und το δεσπόζειν noch nicht getrennt waren 23 . Sie herrschten über die Unterworfenen wie νομάδες τινές βασιλείς (18), die jeweils nur dort, wo sie sich gerade aufhielten und ihre Machtmittel einsetzen konnten, effektiv die Herrschaft innehatten; wo sie aber nicht waren, gab es Aufstände und Widerstand. Die Ursache für ihr Versagen sieht Aristides darin, daß der Untertan nicht Gegenstand eines echten Herrscherwillens war; die Perser waren im Grunde mit ihren Untertanen gar nicht befaßt: Sie gaben ihrer Herrschaft über das reine Herr-Sein hinaus keine Form 24 . Demgegenüber wird Aristides nicht müde, die ακρίβεια der römischen Herrschaft aufzuzeigen: Eine riesige Organisation (τάξις, 89) von Beamten überzieht das ganze Reich in der zivilen (31) wie in der militärischen Ver waltung (88). Wenn irgend etwas zu geschehen hat, so ist es in demselben Augenblick schon getan, in dem es gedacht ist (31). Die römische Zentrale, der Kaiser, lenkt alles von Rom aus; seine Briefe an die Beamten eilen wie von Flügeln getragen durch das Reich (33); er ist allgegenwärtig und weiß besser als die Beamten selbst, was im Reich geschieht (32). Es ist deutlich, daß Ari stides ganz unter dem Eindruck der Intensität der römischen Verwaltung steht. Sehr im Gegensatz etwa zu den Persern kann durch die Dichte des Verwaltungs apparates der Herrscherwille der Zentrale auf der einen und die Stimme des Beherrschten auf der anderen Seite überall hingelangen. Die Effektivität der Herrschaft, die Aristides hier im Auge hat, wird jedoch durch das dichte Verwaltungsnetz allein noch nicht hervorgebracht. Wenn der gewaltige Apparat richtig funktionieren soll, ist es notwendig, daß die Masse der Beamten in ein festes System gebracht ist und jeder Beamte den Platz, auf den er gestellt wird, ordnungsgemäß einhält. Die notwendige Ergänzung der Organisation ist daher die genaue Kontrolle der Verwaltung und der Gehorsam 23 22: και τους μεν θεραπεύοντας ώς δούλους ύπερεώρων, τους δε ελευθέρους ώς εχθρούς έκόλαζον, εξ ών μισοΰντές τε καί μισούμενοι διήγον 23. ού γαρ ένεστιν άρχεσθαι καλώς, δταν κακώς οι άρχοντες άρχωσιν. οΰπω γαρ ή τε αρχή καί το δεσπόζειν διήρητο, άλλ* ην ίσον βασιλεύς καί δεσπότης. 24 Das Reich Alexanders, das zweite von Aristides behandelte Großreich, wird n u r nach seinem Umfang dargestellt, da Alexander zu einer wirklichen Regierung des Eroberten nicht gekommen sei (24—26).
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des Beamten. In richtiger Einschätzung der Bedeutung dieses Punktes spricht Aristides ausführlich von ihm: Der Kaiser überwacht die Beamten (32), und bei Unklarheiten über Prozesse und Petitionen wendet sich der Beamte ge horsam an ihn und wartet wie ein Schüler auf den Bescheid des Lehrers (32); Appellationen gegen den Spruch des römischen Beamten (37/38) wie auch gegen die Willkür der lokalen Magistrate (65) gehen an die Zentrale und zügeln die Beamtenhierarchie. Die j^oncroiie aber erzeugt x^espeiit unü xj ürcht Vor dem allgegenwärtigen Kaiser und bringt den Gehorsam hervor (31). Letzterer ist geradezu der tragende Gedanke der Beamtenhierarchie nach Aristides: Obwohl den ihrer Gewalt Unterworfenen gegenüber άρχοντες, sind die Beamten doch αρχόμενοι innerhalb der Hierarchie bzw. gegenüber dem Kaiser und sind als solche allen Reichsbewohnern ein Beispiel für die Pflicht des Gehorsams25. In gleicher Weise beherrscht jener Gehorsam die gewaltige Heeresorganisation bis zum letzten Mann hinab (87/88), und so erfüllt das ganze Weltreich eine un gestörte Harmonie und gehorcht alles in großer Ruhe (30/31; für das Heer: 89). Die römische Verwaltung stellt sich Aristides also als ein gewaltiger Apparat dar, der in Furcht und Gehorsam unter dem Kaiser steht. Der Kaiser wird hierbei nicht weniger unpersönlich gesehen als die zahllosen Beamten, und er tritt genauso wenig wie sie aus der großen Apparatur heraus. Er ist der κορυ φαίος ήγεμών (3), der διδάσκαλος (32), der δικαστής μέγας (38; vgl. 39) oder μέγας άρχων (31)26. Vor allem in den beiden zuletzt genannten Formulierungen ergibt sich seine Höherstellung nur aus dem Verhältnis zu den Beamten, den άρ χοντες bzw. δικασταί. Letztere bezeichnet er an anderer Stelle sogar als οι της αρχής κοινωνοί (107) und betont damit, wie in den Abschnitten über die Misch verfassung (s. u. S. 25 2f.), das aristokratisch-kollegiale Verhältnis zwischen Kaiser und Beamten 27 . Der Kaiser ist bei Aristides nichts als die Spitze der Hierarchie; er hat darüber hinaus keine entscheidende Funktion. Er ist zwar der weise und gerechte Lenker der gesamten Beamtenschaft, der die Befehle gibt, aber Aristides schweigt von den ethischen und rechtlichen Normen, die den Befehlen zugrunde liegen, und stellt folglich den Kaiser auch nicht als Quelle solcher Normen und damit als Quelle herrschaftlicher Grundsätze heraus. Obwohl er gewiß nicht bestreiten würde, daß der Kaiser Normen setzt, erweckt er doch den Anschein, als ob auch der Kaiser lediglich ein Stück der Verwaltung sei und darüber hinaus in dem Weltstaat keine wesentliche Aufgabe habe. Natürlich entspricht diese Sehweise, die der Autor uns aufzwingt, nicht der 25
3 1 : οι δε άρχοντες οι πεμπόμενοι επί τάς πόλεις τε και τα έθνη των μέν ύφ* έαυτοΐς έκαστοι άρχοντες είσι, τα δε προς αυτούς τε και προς αλλήλους ομοίως άπαντες αρχόμενοι, και δη και τούτω φαίη τις αν αυτούς των αρχομένων διαφέρειν, δτι πρώτοι δεικνύουσιν δπως άρχεσθαι προσήκει. 26 Auch in dem kurzen Hymnus auf den Kaiser u n d in dem Gebet für ihn a m Schluß der Rede wird er zweimal άρχων μέγας genannt (107. 109). 27 Dieser Aspekt deckt sich mit der Ideologie des augusteischen Prinzipats, ohne von dorther konzipiert zu sein.
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Wirklichkeit; aber gerade deshalb muß uns besonders interessieren, warum Aristides, dem die Gesetzesautorität des Kaisers nicht unbekannt war, die Wirklichkeit des römischen Staates so und nicht anders sehen will und er die wichtige Frage beiseite läßt, welches die Rechtsnormen der Verwaltung sind und von wem sie gesetzt werden. Der Grund dafür, daß er die römische Ver waltung in einer Weise zeichnet, die nur ein unvollständiges Bild des Ganzen liefert, dürfte darin zu suchen sein, daß er die Problematik der Herrschaft nicht in dem Vorhandensein und in der Weiterentwicklung des materiellen Rechtes oder gar in den rechtlichen oder ideellen Voraussetzungen des römischen Kaisertums sieht, sondern in der Herrschafts ρ r a x i s . Ihm verbindet sich mit dem Gedanken der Herrschaft nicht zuerst die Frage danach, wie das Recht in dieser Herrschaft beschaffen ist und wie es entsteht, sondern die Frage danach, wie es angewandt wird und wie es sich durchsetzt. Die entscheidende Herrschafts idee kann darum für ihn auch nicht in den Rechtsnormen der Herrschaft bzw. in der Struktur der Kaisergewalt liegen, sondern sie muß dort zu suchen sein, wo die Herrschaft praktiziert wird: in der Verwaltung. . Die Herrschaftsidee, die sich in der römischen Beamtenorganisation mani festiert, sieht nun Aristides darin, daß die Beamten ein reines Instrumentarium, nur Mittel zur Herrschaft sind. Sie haben zwar die προστασία und die πρόνοια, d.h. sie tragen den Herrscherwillen an die Untertanen heran, aber sie vollziehen diesen Willen nicht als δεσπόται (36), d.h. als Herrscher mit willkürlichen, per sönlichen Absichten. Der Einbruch des individuellen Willens (d. h. eines Willens, der seinen Impuls nicht von den Normen der Verwaltung, sondern von den un kontrollierbaren, außerhalb der staatlichen Sphäre liegenden Wünschen erhält), ist vor allem verhindert durch das dichte Netz der Verwaltung selbst, durch die Masse der nebeneinander und hintereinander stehenden Beamten, die nicht mehr als Individuen, sondern als Organisation, eben als Verwaltung gesehen werden. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die lobende Bemerkung des Aristides über den Automatismus, in dem die Beamten abgelöst werden (36. 26)28. Der Versachlichung der Verwaltung (und d.h. der Versachlichung der Herrschaft) dienen des weiteren natürlich auch die Kontrolle und die Gehorsamspflicht. So hat Aristides in diesem Teil seiner Rede alles — den Preis auf das dichte Ver waltungsnetz, auf die Kontrolle der Beamten und auf den Gehorsamseifer — darauf konzentriert, den römischen Herrschaftsapparat als eine Organisation vorzustellen, in der der individuelle Wille keinen Platz hat und die Rechts normen der Herrschaft deshalb unverfälscht überall sich durchsetzen können. Die Gerechtigkeit der Herrschaft ist danach in erster Linie eine Konsequenz dieser Versachlichung des Herrschaftsapparates, und sie wird daher auch von Aristides vor allem im Zusammenhang mit dem Lob auf die Verwaltung ge priesen (32. 38f. 107). 28 26: ή ποία συνήθει διοικήσει τα πράγματα ήγαγεν (sc. 'Αλέξανδρος) αυτομάτως προϊούση χρόνων τακταΐς περιόδοις;
Der Preid des Aelius Aristides azif das römische Weitreich
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Der Automatismus der Organisation bzw. die E n t p e r s ö n l i c h u n g der Ver waltung steht im Mittelpunkt dieses ersten Teiles der Rede. Durch sie ist nicht nur die Willkür der Herrschaft ausgeschlossen, sie garantiert nach Aristides auch allen Reichsbewohnern, daß die gerechten Normen der Verwaltung für alle g l e i c h e Geltung besitzen und überall gleichmäßig hingelangen: πανταχού ίσον άρχεται., sagt Aristides im § 30, und am Schluß des Abschnittes erläutert er dies, indem er von der πολλή και εύσχημων ίσότης spricht, die Schwache und Mächtige, Unbedeutende, Arme und Reiche, Adlige und niedrig Geborene ganz gleichmäßig trifft (39)29. Aristides geht bei der Betrachtung der römischen Verwaltung aber noch einen Schritt weiter. Er verbindet nämlich den Verwaltungsapparat mit ideal staatlichen Vorstellungen der Vergangenheit und entkleidet ihn damit vor den griechischen Menschen allen herrschaftlichen Charakters, der ihm trotz seiner lobenswerten Prinzipien natürlich noch anhaftet. Im Hinblick darauf, daß die Beamten keine persönliche Herrschaft ausüben, sondern die Herrschaft durch die ,,Organisation" getragen wird, vergleicht er die Beamtenschaft mit den Beamten einer Polis und sagt, daß die römischen Beamten die Welt gleichsam wie eine einzige Polis regieren und für sie sorgen (36). Hier ist zum genaueren Verständnis der vorgetragenen Ansicht die demokratische Verfassung der Einzelpolis ins Gedächtnis gerufen, die durch die Pluralisierung, Kompetenzaufsplitterung und Erlösung der Beamten genau das erreichen wollte, was nach Aristides die Römer durch ihr Verwaltungssystem erreicht haben: die Eliminierung des individuellen Willens aus der Exekutive. Ganz im Einklang mit diesem Bilde sagt Aristides dann in dem gleichen Zusammenhang, daß die Be herrschten auf Grund des römischen Herrschaftssystems frei sind30 und daß sie von den Beamten gerade nur so weit beherrscht werden, wie es ihnen gut scheint31, und nennt diese Herrschaftsordnung der Römer eine Demokratie. Die römische Demokratie geht jedoch nach Aristides über alle bekannten Demokratien hinaus 32 ; ihr Vorrang vor den älteren Demokratien liegt darin, daß die Römer nicht eine einzelne Stadt, sondern die Welt unter die demo kratische Idee gestellt haben (34), und darin, daß der größere Verwaltungs29
Vgl. 93. Im § 73 verwendet Aristides den Begriff der ίσότης in anderer Weise. Hier stellt er dem ständisch organisierten ägyptischen Berufsheer das römische Bürgerheer entgegen, dessen Angehörige durch das Bürgerrecht mit den anderen Bürgern gleichgesetzt und verbunden sind. Die ίσότης ist an dieser Stelle juristisch zu verstehen; sie er gibt sich aus der Verleihung des Bürgerrechtes. In den o. im Text genannten Stellen ist die ίσότης hingegen eine Folge der Anwendung bestimmter Verwaltungsprinzipien. Die Gleichheit nimmt hier weniger darauf Bezug, daß für alle die gleichen Gesetze gelten (Gleichheit vor dem Gesetz; darüber vgl. u. S. 243), als vielmehr darauf, daß alle in gleicher Weise der (für alle gleichen) Gesetze t e i l h a f t i g werden (Gerechtigkeit der Verwaltung). 30 36: μόνοι γαρ των πώποτε ελευθέρων άρχετε. 31 37: ώστε φαιή τις αν τοσαΰτα άρχεσθαι τους νυν ύπό των πεμπομένων, όπόσα αν αύτοΐς άρέσκη. 32 38: πώς ουν ταΰτα ούκ εν τοις έπέκεινα πάσης δημοκρατίας;
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a p p a r a t der Römer eine Verlängerung des Instanzenweges über die Grenzen der einzelnen Polis hinaus ermöglicht u n d damit eine größere Gerechtigkeit ga rantiert (38). Trotz des Vergleiches mit den älteren Demokratien bleibt die Schöpfung der Römer also eine originelle Leistung, u n d als solche wird sie von Aristides auch ausdrücklich bezeichnet (34: δ παντελώς υμών έστιν ίδιον). Der Kaiser, den Aristides ja in die Organisation der Verwaltung einordnet (s. o. S. 237f.), erhält in diesem demokratischen Weltstaat kein Eigengewicht; er be k o m m t den Platz, den eine Demokratie für den ersten B e a m t e n vorgesehen h a t : Aristides nennt ihn mehrmals P r y t a n e u n d will mit dieser Anspielung auf das zentrale Organ der griechischen Demokratie die Vorstellung unterstützen, daß auch der Kaiser nicht die N o r m bzw. das Gesetz ist, sondern nur das be deutendste Rädchen einer großen A p p a r a t u r 3 3 . Es soll erst später (u. S. 247fF.) darauf eingegangen werden, wieviel dieser letzte Gedanke, daß Rom eine Weltdemokratie ist, für die R e d e bedeutet. Es sei jedoch bereits hier festgehalten, daß das Schwergewicht bei der Darstellung der Verwaltung zunächst d u r c h a u s nicht in dem Gedanken liegt, daß die Ver waltung Freiheit schafft, sondern in dem Gedanken, d a ß die Verwaltung (durch Versachlichung des Herrschaftsapparates) S i c h e r h e i t schafft. Der Nachweis der Rechtssicherheit in d e m römischen W e l t s t a a t ist das primäre Anliegen, und in der Verfolgung dieses Zieles wird d a n n auch ganz naiv die Verwaltung als herrschaftliche Ordnung gesehen und k o m m t damit der Kaiser als der Motor des Ganzen zu seinem R e c h t (vgl. o. S. 236). Dieses Bild steht aber ganz offenbar in einem Widerspruch zu jener anderen Vorstellung, d a ß R o m eine Demo kratie sei. Der Zwiespalt der Gedanken ist aus dem W u n s c h des Autors zu er klären, den Aufstieg des Griechen in das römische Bürgerrecht (das andere, zentrale Thema der Schrift) als den Aufstieg in den h e r r s c h e n d e n Bürger verband der Weltpolis anzusehen, die nicht n u r in dem gleichen Recht der Bürger, sondern auch in ihrer F o r m der griechischen Polis gleicht u n d damit für alle Bürger die Freiheit bringt, die nach dem Denken der Griechen zu einer Polis gehört.
3. D i e B ü r g e r r e c h t s p o l i t i k a l s
Herrschaftsprinzip
Der zweite zentrale Gedanke des Aristides betrifft das Verhältnis der grie chischen S t a d t zum römischen Weltreich; ihm ist vor allem der zweite H a u p t teil der Rede gewidmet. E s wird zunächst wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß das Reich eine W e l t v o n Städten ist. Aristides k o m m t als Grieche nicht auf den Gedanken, eine der größten Leistungen der Römer, die Verbreitung der Stadtkultur, besonders hervorzuheben; er widmet ihr allerdings gelegentlich der Darstellung des Grenzheeres u n d auch in dem zusammenfassenden Über33 Der Kaiser wird einmal Prytane genannt (90: έφορος και πρύτανις) und seine Tätigkeit zweimal als πρυτανεύειν apostrophiert (31. 109).
Uer Preis aes Aeiius Aristides auf da3 römische Weltreich
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blick über die Segnungen der römischen Herrschaft einige lobende Bemer kungen34, aber er stellt sie nicht in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Ins besondere verwundert, daß die römischen Stadtgründungen im Osten, für die gerade der Vorgänger des Antoninus Pius, Hadrian, sich so energisch ein gesetzt hatte, nicht ausdrücklich erwähnt sind. Ebensowenig ist der Philiieilenismus Kadrians und seines Nachfolgers betont 35 . Das wird darin be gründet sein, daß die philhellene Gesinnung der Kaiser in der Mitte des 2. Jahr hunderts ganz unproblematisch war; sie konnte ein Lob-Redner erst in einer Zeit bewußt herausstellen, in der das Philhellenentum eine Ausnahme bildete 36 . Darum wird man diesen Komplex bei Aristides weniger vermissen. Das Fehlen einer eingehenden Würdigung römischer Urbanisierungspolitik hingegen bleibt zunächst erstaunlich. Erst dann, wenn man sich über die Absichten der Rede Rechenschaft abgelegt hat, wird dieser Mangel voll begreiflich. Anders als Plutarch, der sich ganz auf die griechische Stadt zurückzieht und von ihr zu be wahren sucht, was irgend möglich ist, betrachtet Aristides das römische Reich nicht mit den Augen eines Lokalpatrioten. Weit davon entfernt, die phil anthropische Gesinnung der Römer gegenüber den einzelnen Städten und die Förderung ihrer kommunalen Verwaltung zu preisen, bildet den Kernpunkt seines Lobes der römischen Herrschaft vielmehr der Gedanke, daß durch die Römer das Problem der Unabhängigkeit der Stadt überhaupt aufgehoben wurde. Das ist natürlich in dieser Formulierung von ihm nicht gesagt, aber es spricht beinahe aus jedem Satz seiner Rede. Diesem Grundgedanken dient zunächst einmal die Behandlung der Vorzüge des römischen Friedens. Die jpax Romana bedeute das Ende des Streites und der Kämpfe um Macht, sagt Aristides, und gern hätten die Griechen die alten πόνοι κακοί aufgegeben. Selbst die einst mächtigen griechischen Städte erinnerten sich nicht einmal mehr an ihre frühere Herrschaft. Erst unter der Hegemonie der Römer habe man wieder zu leben begonnen; man sei jetzt gleichsam aus einem schrecklichen Traum in die schöne Wirklichkeit des Friedens erwacht (69—71; vgl. 103). Hier erscheint der Friede als das ideale Ziel einer po litischen Entwicklung, bei dessen Erreichung die Problematik der politischen Unabhängigkeit sich aufhebt. Der Gedanke ist nicht neu; auch die Römer be34
94: έκπεττλήρωνται δέ άκταί τε παράλιοι καΐ μεσόγειαι πόλεσι, ταΐς μεν οίκισθείσαις, ταΐς δέ αύξηθείσαις εφ' υμών τε και ύφ* υμών. Die Städtegründungen in den Grenzgebieten des Reiches sind § 81 erwähnt. 35 Auf den Phihellenismus der Kaiser weist der § 96, in dem allgemein von der väterlichen Fürsorge der Römer für die griechischen Städte und von den Privilegien (ελευθερία καΐ αυτονομία) gesprochen wird, welche die größeren und einst führenden unter ihnen genießen. 36 So hat der Urheber des unter dem Namen des Aristides überlieferten Enkomions auf einen Kaiser des 3. Jahrhunderts (nach E. G r o a g , Wiener Studien 40, 1918, S. 20ff., war es Philippus Arabs) den Philhellenismus des Kaisers als eine Haltung, die jedem „guten" Herrscher ziemt, ausdrücklich hervorgehoben (35,20 K).
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nutzten ihn zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft 37 . Aber die Propagierung des Friedensgedankens gegenüber den Untertanen blieb doch eben ein Akt der Rechtfertigung, und jeder Grieche, auch wenn er den Römern aufgeschlossen gegenüberstand, wie Plutarch, bedachte den Preis, den er dafür zu zahlen hatte. Von Aristides hingegen wird der Friedensgedanke nicht zur Begründung der römischen Herrschaft vorgebracht. Er ist für ihn nur die Voraussetzung, unter der Rom den nächsten Schritt tun kann: Die Gründung des römischen Welt staates, in dem die Polis Rom die ganze Oikumene umfaßt, ist das Telos der römischen Herrschaft (61/62). Friede und Freiheit sind also keine Antipoden, die sich gegenseitig aufheben; der Friede wird nicht durch den Verlust der Freiheit erkauft; in ihm verwirklicht sich vielmehr die neue Weltordnung, in der jeder Bürger des e i n e n Weltstaates ist oder werden kann. Dieser Gedanke wird nun von Aristides anhand der römischen Bürgerrechtspolitik weiterent wickelt und ausgeführt (59ff.). Nach Aristides haben die Römer dadurch, daß sie überall den besseren Teil der städtischen Bürgerschaft mit dem römischen Bürgerrecht beschenken und keine Stadt von dieser Gunst ausschließen, die Grenzen der Polis Rom mit den Grenzen der Welt gleichgesetzt (59/61): der römische Name ist nicht mehr auf die Bewohner einer Stadt beschränkt, sondern ist ein γένους όνομα κοινού τίνος. Dieses γένος κοινόν steht allen offen; die Angehörigen aller Völker der Welt können ihm beitreten. Und wenn auch Aristides die Ausbreitung des Römer namens auf den ,,besseren und tüchtigeren Teil der Menschheit" einschränkt, so ist jedenfalls die ethnische Zugehörigkeit kein Kriterium für den Ausschluß. Insofern lassen nach Aristides die Römer jene alte Scheidung der Menschen in Hellenen und Barbaren hinter sich und zeigen gleichzeitig damit, daß sie einen anderen Weg wählen, wie lächerlich jene ältere Einteilung der Menschheit war 38 . Niemand ist jetzt durch sein Ethnikon diffamiert: Es gibt nur Römer und solche, die keine bzw. noch keine Römer sind (63), und der Aufstieg des Nicht-Römers in das γένος κοινόν hegt grundsätzlich in jedermanns Hand. Da durch, daß die Römer allen an ihrer Herrschaft Anteil geben, ist aber der 37 Zum ersten Male klassisch formuliert von Cicero ad Q. fratr. 1,11.34. Nach Plut., de fort. Roman. 316 Ε—317 C, beseitigt Rom das ursprüngliche Chaos, bindet alle Herrschaften zusammen und errichtet den ewigen Kosmos, in dem der Friede herrscht. Dasselbe Bild verwendet Aristides 103. Vgl. auch die Bemerkung Plutarchs, πολ. παραγγ. 824 C, daß wegen des gegenwärtigen Friedens die Politiker eigentlich nicht mehr nötig seien. 38 Die Trennung des Römernamens von dem nationalen Römertum erinnert an den berühmten Satz des Isokrates, Paneg. 50, in dem das Hellenentum aus seiner nationalen Gebundenheit gelöst und zu einem geistig-kulturellen Begriff gewandelt wird. Aber ebenso sicher, wie Aristides dieses Wort des großen Rhetors gekannt hat, hat er seine Gedanken nicht von ihm her konzipiert. — Die römische Bürgerrechtspolitik hat Aristides auch in seinem Panegyrikos auf den Tempel in Kyzikos (or. 27 K) § 32ff. kurz berührt; seine Formulierungen dort korrespondieren so stark mit der Rom-Rede, daß er letztere bei der Abfassung der Paragraphen in der or. 27 im Sinne gehabt haben muß.
Der Frei,
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würdigere und stärkere Teil der Menschheit zugleich Angehöriger einer unter tänigen und der herrschenden Stadt und somit nicht nur Beherrschter, sondern deichzeitig Herrscher (64/65). So bindet das gemeinsame Bürgerrecht (κοινή ττολιτεία, 65), jene einzigartige Harmonie, die alle (lokalen) Bürgenechte zu sammenschließt (μία αρμονία πολιτείας απαντάς συγκεκληκυΐα, 66), alle Schichten der Menschheit, reich und arm, in einem Staat zusammen, in dem allein es sich zu leoen lohnt und BS sind, von den jRjöm.em auf diese "Weise ^ene scheinbar un vereinbaren Elemente zusammengefügt: Herrschaft und Philanthropie (66)39. Durch die Gemeinsamkeit des Bürgerrechts herrschen auf der ganzen Welt Ge setze, die für alle gelten, v/eil nämlich das römische Privatrecht alle Bürger bindet. Das ius conubii ermöglicht die Heirat nun über alle Stadtgrenzen hin weg, und es ist so für die Bürger Roms die Welt wie ein Haus 40 . Bei der Romanisierung der Welt durch die Bürgerrechtspolitik räumt Aristides dem Heer eine besondere Rolle ein (74fT.). Durch die Verleihung des römischen Bürger39 Der letzte Teil des Satzes ist leider sehr zerstört, und kein Herausgeber kommt ohne starke Eingriffe in die Überlieferung aus. Mit Sicherheit jedoch läßt sich aus dem Vorhandenen herauslesen, daß das, was früher als scheinbar unvereinbar galt, das κράτος αρχής auf der einen und die φιλανθρωπία auf der anderen Seite waren; vgl. den Kommentar von O l i v e r zu der Stelle. — Derselbe Gedanke wie im § 66 begegnet auch in der Rede 27 Κ des Aristides: 34: οι δε ού θυμού ρώμην ουδέ οργής άμετρίαν τα επίσημα τής αρχής έποιήσαντο, άλλα φιλανθρωπίας και μεγαλοψυχίας τα κράτιστα είσηνέγκαντο. Die Formulierung des Aristides erinnert an den berühmten Satz des Tacitus, Agric. 3,1: Nerva Caesar res olim dissociabilis miscuerit, principatum ac libertatem. Wie hier die Problematik der Herrschaft zwischen Kaiser und Römern bzw. römischer Aristokratie aufgehoben scheint, so bei Aristides die zwischen Römern und Reichsuntertanen. Vgl. u. S. 262. 40 102: νόμους τε κοινούς άπασι τάξαντες , γάμους τε κοινούς ποιήσαντες καΐ συντάξαντες ώσπερ ένα οίκον άπασαν την οίκουμένην; vgl. or. 24,31 Κ. Das Wort κοινός wird von Aristides stets dann verwendet, wenn er auf das alle Menschen des Reiches einigende Band des römischen Bürgerrechtes hinweisen will; vgl. u. Anna. 47. Mit den νόμοι κοινοί dieser Stelle können daher nur die kaiserlichen Konstitutionen, die das römische Privatrecht betrafen, und das prätorische Edikt gemeint sein. Diese Interpretation wird durch ein besonderes Beispiel, das ius conubii, bestätigt, mit dem die allgemeine Aussage erläutert wird; vgl. auch Α. Ν. S h e r w i n - W h i t e , The Roman Citizenship, Oxford 1939, S. 259f. Ich kann mich nicht der Ansicht von O l i v e r 889ff. 959ff. anschließen, wonach in dem Wort κοινός bei Aristides eine An spielung auf die griechischen Bünde der hellenistischen Zeit stecke, die in dem Panhellenismus Hadrians wieder aufgelebt seien, und mit den νόμοι κοινοί des § 102 auf ge wisse römische Administrativmaßnahmen angespielt werde, die die Römer (bzw. der Kaiser) als eine Art Bundesorgan nach Art der hellenistischen κοινά und in Anlehnung an entsprechende Gepflogenheiten der Pyläisch-delphischen Amphiktyonie getroffen hätten. Diese Interpretation wird weder durch den Sprachgebrauch bei Aristides noch durch dessen allgemeine Vorstellungen über das Verhältnis von Griechen zu Römern nahegelegt; außerdem halte ich — ganz abgesehen von Aristides — auch den Gedanken für abwegig, daß die römischen Kaiser in den Amphiktyonen ein Vorbild für ihre Administrativmaßnahmen sahen. Der Schutz von Stiftungen durch den Kaiser, den Oliver ausführlich erörtert, bedurfte keiner „peregrinen" Rechtsgrundlage, und selbst die extreme Philanthropie der römischen Monarchie hat schwerlich den kaiserlichen Befehl in hellenistische Antiquitäten gekleidet.
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rechtes gleichzeitig mit dem E i n t r i t t in das Heer 4 1 führen die Römer die fähigsten u n d auch körperlich tauglichsten Menschen in το κοινό ν των αρχόντων (78). Bei der Darstellung der römischen Bürgerrechtspolitik geht Aristides mit seiner Idealisierung des römischen Weltstaates nicht so weit, daß er das Problem der Untertänigkeit nunmeh£äls völlig gelöst ansieht. Die Masse der Politen in den peregrinen Städten besteht weiterhin aus Nicht-Römern, die als Untertanen be wacht werden müssen 4 2 , u n d an einer Stelle sagt Aristides sogar, daß die Römer nicht so viel Rekruten aus einer Stadt nehmen, daß diese Stadt mit ihnen ein eigenes Heer aufstellen könne (76). Hier wird also der Gedanke eines mög lichen Widerstandes der Einzelstadt nicht ganz ausgeschlossen (vgl. auch 67). Die Bürgerrechtspolitik der Römer h a t demnach das Problem der Unter tänigkeit nicht ganz beseitigt. Aber es liegt doch jetzt, soweit noch vorhanden, auf einer anderen Ebene als früher, nicht mehr auf der E b e n e Rom—peregriner S t a d t . Der mit dem römischen Bürgerrecht Beschenkte nämlich ist stolz auf seinen neuen Status; es ist für ihn eine τ^μή, dem Bürgerverband anzugehören (78), u n d er nennt in Zukunft nicht mehr gern neben seinem römischen Namen das Ethnikon (75). Obwohl der Neubürger auch Bürger seiner alten Stadt bleibt (64), fühlt er sich doch in erster Linie als R ö m e r u n d als Wächter der römischen Herrschaft in seiner Stadt (64). Die Soldaten, die mit dem Eintritt in das römische Heer das Bürgerrecht erhalten, n e n n t Aristides sogar aus drücklich άπόλιδες (75) Und will damit sagen, daß trotz mancher Bindungen an die alte Heimat der tatsächliche Effekt der Bürgerrechtspolitik die Heraus lösung der Neubürger aus ihren Städten ist. Soweit v o n Herrschaft noch ge sprochen werden k a n n , handelt es sich somit jetzt weniger um die Herrschaft R o m s über ehemals selbständige Städte als um die Herrschaft des Verbandes der römischen Bürger, der sich über alle Städte erstreckt, über die NichtR ö m e r ; u n d das Problem der Freiheit stellt sich desgleichen nicht mehr in dem Gegenüber von R o m u n d peregriner Stadt, sondern jetzt allenfalls in dem Gegenüber von R ö m e r n u n d Nicht-Römern. Diese neue politische Ebene bringt jedoch nach Aristides nicht dieselben scharfen Gegensätze hervor wie früher. Die Peregrinen betrachten nämlich ihre Landsleute, die Römer geworden sind, weiter als Bürger ihrer S t a d t 4 3 u n d als zu sich gehörig (κοινοί εαυτών) 44 , wie die römischen Neubürger ja auch t a t 41
Aristides unterscheidet nicht Legionen, Auxiliartruppen und numeri und differenziert folglich auch nicht die Modalität der Bürgerrechtsverleihung für die verschiedenen Truppengattungen, die zu seiner Zeit selbst für den Legionarsdienst nicht einheitlich war. Aber es ist müßig, deswegen mit ihm zu rechten. Er will mit seiner Bemerkung, daß jeder Peregrine zugleich mit dem Eintritt in das Heer das Bürgerrecht erhält, nur die Verbindung von Bürgerrecht und Heeresdienst illustrieren und verallgemeinert zum Zwecke der Illustration den „Normalfall" (Eintritt in die Legion unter gleichzeitiger Verleihung des Bürgerrechtes). 42 59: το δε λοιπόν ύπήκοόν τε καΐ άρχόμενον, vgl. 64. 75. 43 Vgl. das Zitat aus dem § 64 in der Anm. 45. 44 76: die Wendung ist hier mit Bezug auf die aus der peregrinen Stadt rekrutierten Soldaten gebraucht.
Der Pr
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sächlich ihr altes peregrines Bürgerrecht behalten. Die Neubürger herrschen also als L a n d s l e u t e über die Nicht-Römer; und wenn sie sich auch (etwa als lokale Beamte) als die Herrschenden fühlen mögen, so verliert doch — ganz ab gesehen von der landschaftlichen Verbundenheit der Herrschenden mit den Beherrschten — die Herrschaft noch dadurch an Härte, daß die römischen Bürger in den Städten nicht als Vertreter einer übermächtigen einzelnen Stadt, sondern als Bürger des vVeltstaates. an dem alle Städte über das römische Bürgerrecht unmittelbar Anteil haben, über ihre Landsleute herrschen (64/65)45. Hat schon auf diese Weise der Peregrine nicht mehr das Gefühl, unter einer Fremdherrschaft zu stehen, so wird nach Aristides das UntertanenVerhältnis auf der neuen politischen Ebene von Römern und Nicht-Römern noch durch ein weiteres Prinzip römischer Herrschaft gemildert. Römer und Nicht-Römer sind nämlich nicht ständisch streng voneinander geschieden, sondern es ist der Übergang von einem zum anderen Status offen. Schon bei der allgemeinen Be trachtung der Bürgerrechtspolitik (59ff.) hatte Aristides gesagt, daß die Römer jeweils nicht nur die Adligen und Mächtigen (γενναιότεροι και δυνατώτεροι) für die Aufnahme in den Bürgerverband auswählen, sondern allgemein die χαριέστεροι und überhaupt, όστις αρχής ή πίστεως άξιος (59/60; vgl. 63). Bei der Behandlung des Aufstiegs in das römische Bürgerrecht durch den Heeresdienst erläutert Aristides dann deutlicher, daß das Auswahlprinzip nicht durch den Adel und die ständische Gliederung gegeben ist noch rhetorische Begabung jemandem das Bürgerrecht bzw. eine bessere Karriere verschaffen kann, sondern die Würdigkeit sich allein nach der Leistung (έργα) bemißt 46 . Damit sind nicht nur die Römer aller Städte und Völker in jenes κοινόν der Herrscher zusammen45
64: πολλοί μέν εν έκαστη πόλει πολΐται υμέτεροι ούχ ήττον ή των ομοφύλων, ούδ* ίδόντες πω τίνες αυτών την πόλιν, φρουρών δε ουδέν δει τάς ακροπόλεις εχόντων, άλλ' ol έκασταχόθεν μέγιστοι καΐ δυνατώτατοι τάς εαυτών πατρίδας ύμΐν φυλάττουσιν καΐ διπλή τάς πόλεις έχετε, ένθένδε τε και παρ* αυτών έκάστας. 6δ. φθόνος δέ ουδείς επιβαίνει της αρχής * αυτοί γάρ υπήρξατε του μη φθονειν, άπαντα είς τό μέσον καταθέντες καΐ παράσχοντες τοις δυναμένοις μή άρχεσθαι μάλλον ή άρχειν εν τω μέρει, ού τοίνυν ουδέ μίσος εκ τών άπολειπομένων ΰπεισι* διά γάρ το κοινήν είναι την πολιτείαν καΐ οίον πόλεως μιας, είκότως ούχ ως αλλότριων, άλλ' ώς οικείων άρχοντες άρχουσιν. Es wird anschließend weiter ausgeführt, daß das πλήθος, d. h. die Masse der Peregrinen in den Städten, keine Furcht vor den δυνατοί, die Aristides gerade als die römischen Bürger vorgestellt hat, zu haben braucht, weil sie unter Kontrolle der Römer (d. h. der römischen Verwaltung) stehen. Nach dem Zusammenhang können die δυνατοί hier wie im § 64 nur die Mitglieder der herrschenden Klasse in den Städten sein und also diejenigen, die die lokalen Magistraturen und den Rat stellen; vgl. O l i v e r 929. 46 85: άπασαν την οίκουμένην ούτως σώζετε τοις κοινοΐς αυτής (obwohl alle mss. κοινοΐς haben und αυτής S, die anderen αύτάς, αυτά oder αυτήν, emendierte K e i l κοινοΐς in κοινή und beseitigte αυτής bzw. die Varianten. Der klare Sinn der Überlieferung ist dadurch entstellt worden. Die richtige Wiederherstellung bei O l i v e r , die hier abgedruckt wird) πολίταις τε και ξένοις, ους, ώσπερ έφην, εξ απάντων προκρίναντες έξηγάγετε, ελπίδας τε παραστήσαντες τοις γιγνομένοις άγαθοΐς άνδράσι μή μεταμελήσειν — ού γάρ έξ ευπατριδών έσεσθαι τον άεΐ πρώτον δυνάμενον καΐ δευτέρων τον δεύτερον καΐ την άλλην τάξιν ωσαύτως,