~
~
~ ""0
~ Der Mord an Rosa Luxemburg
~ und Karl Liebknecht Q.)
j
Dokumentation
(1j CI')
~
eines p...
198 downloads
722 Views
14MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
.......... ~
~
~ ""0
~ Der Mord an Rosa Luxemburg
~ und Karl Liebknecht Q.)
j
Dokumentation
(1j CI')
~
eines politischen Verbrechens
~o
tierausgegeben
c:
~ Q.)
Q
von Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannover edition suhrkamp
SV
Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Dokumentation eines politischen Verbrechens Herausgegeben von Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannov er
Elisabeth Hannover-Drück, geboren I928 in Maulbronn (Württemberg), hat in Freiburg, Göttingen und Tübingen Geschichte studiert. Publikationen: Politische Justiz 1918-1933 (gemeinsam mit Heinrich Hannover), I966. - Heinrich Hannover, geboren I925 in Anklam (Pommern), studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen und lebt heute als Rechtsanwalt in Bremen. Publikationen: Politische Justiz 1918-1933, 1966; Schriften zu Fragen des politischen Strafrechts und der Notstandsgesetzgebung. In diesem Buch werden die Hintergründe der Ermordnung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts im Januar 1919 in Berlin dargestellt. Die Autoren haben sich nicht vorgenommen, einen Kriminalfall aufzuklären, vielmehr gilt ihr Interesse den ideologischen und politischen Komponenten dieses Verbrechens. Erstmals werden hier ausführliche Dokumente - Zeugenaussagen, Prozeßakten, Briefe, Presseberichte, Stellungnahmen von Zeitgenossen - zur Vor- und N achgeschichte des Mordes an den zwei deutschen Sozialisten vorgelegt.
Suhrkamp Verlag
Inhalt 7
Vorwort
13
Die politische Vorgeschichte des Mordes
3I
Rosa Luxemburg, Ordnung herrscht in Berlin
33
Kar! Liebknecht, Trotz alledem!
35
Der Mord im Spiegel zeitgenössischer Presseberichte
59
Der Prozeß vor dem Feldkriegsgericht 6I r r6 122
125
117
Materialien zur Nachgeschichte des Mordes
r 33
Der Jorns-Prozeß
13 S 14 I
144 158 162 J
179 edition suhrkamp 233 2. Auflage, IJ .-20. Tausend 1968 © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1967. Erstausgabe. Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der übersetzung, des öffentlichen Vortrags, des Rundfunkvortrags und der Verfilmung, auch einzelner Abschnitte. Satz, in Linotype Garamond, Druwie kameradschaftlich diese Leute (nämlich die von ihm zu vernehmenden mordverdächtigten Offiziere) zusammenhielten «, und der es als seine Aufgabe ansah, die »Ehre« der mordverdächtigen Offiziere so lange wie möglich zu schützen, wird von seinen Kollegen schließlich bescheinigt, daß er sein Amt korrekt ausgeübt habe und weiterhin würdig sei, die Robe des Juristen zu tragen. Aus der AufgabensteIlung, nicht einen Kriminalfall zu lösen, sondern ein historisches Ereignis als Teil eines dialektischen gesellschaftlichen Prozesses darzustellen, ergab sich die Auswahl der Dokumente. Die Dokumentation veröffentlicht erstmals Auszüge aus dem von einem Parlamentsstenographen offenbar im Auftrage (oder jedenfalls mit Wissen) des Gerichts aufgenommenen Wortprotokoll der Verhandlung vor dem Feldkriegsgericht. Die Lektüre setzt kritische Leser voraus; wir glaubten, uns eine Kommentierung ersparen zu können. Wichtiger als das, was gesagt wird, ist meistens das, was nicht gesagt und auch nicht gefragt wird. Was hätte ein wirklich um Aufklärung der Tat und überführung der Täter bemühter Vertreter der Anklage aus dieser Verhandlung machen können! Aber immer dann, wenn ein Zeuge an einem kritischen Punkt angelangt ist, rettet die geschickte Verhandlungsführung des Vorsitzenden die Situation. Besonders deutlich wird dies bei der nochmaligen Vernehmung des Zeugen Janschkow zu einem Komplex, der zur überraschung aller Prozeßbeteiligten offenbar nicht vorher mit ihm einstudiert worden war - die einzige Panne dieses Prozesses, dessen Regie durch die kaum glaublichen Versäumnisse des Ermittlungsverfahrens ermöglicht worden war. Die Akten dieses Ermittlungsverfahrens sind lei10
der durch Kriegseinwirkung verlorengegangen; rekonstruierbar sind lediglich diejenigen Teile der Vernehmungsprotokolle, die wörtlich oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in den Akten des Prozesses Jorns gegen Bornstein zitiert werden. Die Auswertung der über dieses Verfahren noch vorhandenen Gerichts-, Staatsanwaltschafts- und Ministerialakten sowie des Verhandlungsprotokolls und des Urteils des Feldkriegsgerichts wurde uns in großzügiger Weise von Ost- und West-Berliner Archiven ermöglicht, denen wir gleichermaßen zu danken haben: dem Landesarchiv Berlin und dem Institut für Marxismus-Leninismus, Abteilung Zentrales Parteiarchiv der SED. Die Presseberichte fanden wir zum Teil in den Akten, zum größeren Teil in den Zeitun gsarchiven der Berliner HumboldtUniversität und der Bremer Staatsbibliothek. I r Die von uns gebrauchten Abkürzungen bei Quellenhinweisen bedeuten! IML, ZPA = Inst itut für Marxi smus-Leninismus beim Zentralkomi tee der SED, Abteilu ng Zentrales Parteiarchiv der SED, Berlin, Wilhelm-PieckStr. I; LAß = Landesa rchiv Berlin, ßerlin, Straße des 17 . .1t11li Nr. 111.
Die politische Vorgeschichte des Mordes
Um die Jahrhundertwende begannen Rosa Luxemburg und Kar! Liebknecht, beide 1871 geboren, ihre Tätigkeit in der deutschen Sozialdemokratie. Dieser Weg schien für den Sohn des bedeutenden sozialdemokratischen Politikers Wilhe1m Liebknecht vorgezeichnet, nicht aber für Rosa Luxemburg. Die aus Russisch-Polen stammende Tochter eines jüdischen Kaufmanns hatte schon mit 18 Jahren wegen Beteiligung an einer revolutionären Gruppe aus ihrer Heimat fliehen müssen und war J 896, nach Studienjahren in der Schweiz, nach Deutschland gekommen. Innerhalb der deutschen Sozialdemokratie standen beide auf dem linken Flügel. Eine glänzende Rednergabe, hoher persönlicher Mut und revolutionäres Engagement zeichneten Rosa Luxemburg und Kar! Liebknecht in gleichem Maße aus. Liebknecht, der sich 1899 als Rechtsanwalt in Berlin niedergelassen hatte, geriet als Verteidiger in politischen Strafprozessen notwendig in Konflikt mit den herrschenden Gewalten. Die aktuellen Probleme aus der praktischen Arbeit im Gerichtssaal nahm Liebknecht zum Anlaß, nicht nur in seinen Plädoyers, sondern auch auf zahllosen Versammlungen und in Zeitungsartikeln gegen das Unrecht der Klassenjustiz gegen Landarbeiter, streikende Bergleute, mißhandelte Gefangene und Soldaten und die oppositionelle Presse zu agitieren. Rosa Luxemburg dagegen gab ihr Debüt in der Partei mit einer grundsätzlichen Erörterung der Frage Sozialre/orm oder Revolution. Mit dieser ersten größeren Veröffentlichung hatte sich die junge Polin unter die führenden Theoretiker der Partei eingereiht. Gegen den Revisionismus in der deutschen Sozialdemokratie, der auf das allmähliche Hineinwachsen der Gesellschaft in den Sozialismus auf dem Wege legaler Reformen hoffte, vertrat sie den marxistischen Standpunkt, der Reformen nur als Vorbereitung für den Tag der Machtübernahme durch das Proletariat, nicht aber als Ersatz für die Revolution gelten läßt. 1905 nahm Rosa Luxemburg aktiv an der ersten russischen Revolution in Warschau teil und wurde in der Warschauer 13
Festung eingekerkert. Nach ihrer Freilassung entstand im Jahre 1906 aus den Erfahrungen der Revolution ihre Schrift Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. Wieder nahm sie zu einer in der Partei schon lange erörterten Streitfrage in ganz grundsätzlicher Weise Stellung. Hatten die Gewerkschaften den Massenstreik ohne Organisierung der Mehrheit aller Arbeiter für unmöglich erklärt, hatten andere Gruppierungen in der Partei ihn als Repressalie in bestimmten Kampfsituationen vorgesehen, so vertrat Rosa Luxemburg die Auffassung, daß der Massenstreik kein taktisches Mittel, sondern die Erscheinungsform des proletarischen Kampfes in der Revolution sei. Genau wie die Revolution nicht einfach gemacht werden könne, so müsse auch der Massenstreik spontan aus dem Proletariat hervorgehen. Die Leitung aber habe die Aufgabe, das Bewußtsein der Massen auf die revolutionäre Situation vorzubereiten und dem Kampf die Richtung zu geben. Ziel des Kampfes könne nur die »Diktatur des Proletariats« sein, da eine bürgerliche Revolution in Deutschland nicht mehr zu erwarten sei. Während die Gewerkschaften, die um den Bestand ihrer Organisation und um ihre vollen Kassen fürchteten, und die Parlamentarier, die um begrenzte Aufgaben wie Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts rangen, sich von dieser Konzeption mit Entschiedenheit abwandten, erblickte eine kleine Gruppe innerhalb der Partei in diesen Thesen ein Programm: Es war die äußerste Linke der deutschen Sozialdemokratie, die sich in dieser Zeit als eine dritte Kraft neben den Revisionisten und dem ausgleichenden, auf die Einheit der Partei bedachten Zentrum herauszuschälen begann. Rosa Luxemburg, die im Jahre 1907 Dozentih an der Parteischule in Berlin geworden war, schuf in den aus dieser Arbeit erwachsenden Abhandlungen Einführung in die Nationalökonomie und Akkumulation des Kapitals bedeutende theoretische Werke, die für das Selbstverständnis der Linken von Bedeutung wurden. Ihre These vom Imperialismus als dem Endstadium des Kapitalismus bildete die erkenntnistheoretische Grundlage für die Tätigkeit der Radikalen. Eine Aufgabe von großer Bedeutung in jenen Jahren sich verschärfender weItpolitischer Spannungen wa~ der Kampf gegen die Kriegsgefahr. Auch in diesem Punkt schieden sich die Geister innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Rosa Luxemburg teilte nicht die Hoffnung der Parteimehrheit, durch Abrü14
stung und internationale Schiedsgerichte den Krieg zu bannen; sie war überzeugt, daß nur das internationale Proletariat einen dauerhaften Frieden errichten könne. Besondere Verdienste im Kampf gegen den Militarismus als einer wichtigen Stütze des Imperialismus, in dem er nicht nur eine Gefahr für den Völkerfrieden, sondern auch einen »Sturmbock« gegen den inneren Feind erkannte, hat sich Karl Liebknecht erworben; er forderte eine Intensivierung der Jugendarbeit und der antimilitaristischen Propaganda gerade in den Jugendorganisationen nach dem Motto: Wer die Jugend hat, hat die Armee. Scharf arbeitete Liebknecht in seinem 1906 erschienenen Rekrutenabschied die Erkenntnis heraus, daß der Proletarier in der Armee nicht dem Schutz des Vaterlandes dient, sondern dem Schutz einer Klasse, die dem Proletariat Feindschaft geschworen hat; daß beim Einsatz gegen Streikbrecher und politische Demonstranten der Proletarier im bunten Rock zum Kampf gegen sich selbst gezwungen wird. Diese Gedanken vertiefte Liebknecht in seiner Schrift Militarismus und Antimilitarismus, die ihm 1907 eine Anklage wegen Hochverrats und eine Verurteilung zu 1 1/ 2 Jahren Festungshaft einbrachte. Von der Sache her gesehen waren der aufsehenerregende Prozeß vor dem höchsten deutschen Gericht und die Verurteilung ein politischer Erfolg; sein mutiges und geschicktes Auftreten, das ihn aus einem Angeklagten zum Ankläger werden ließ, verlieh Liebknecht eine ungeheure Popularität. Bei seinem Strafantritt gab die Berliner Arbeiterschaft ihm eine Sympathiekundgebung; noch während seiner Festungszeit wurde er ins Preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Einen großen Erfolg konnten die revolutionären Kriegsgegner auf dem im August 1907 in Stuttgart tagenden Internationalen Sozialistenkonkreß erringen. Für eine Resolution zum Tagesordnungspunkt Militarismus und internationale Konflikte hatte Rosa Luxemburg als polnische Delegierte zusammen mit Lenin ~nd Martow Zusatzanträge zum Entwurf Bebeis eingebracht, 1Il denen der Sozialdemokratie nicht nur die Aufgabe gestellt wurde, den Ausbruch von Kriegen durch Anwendung entsprechender Mittel, »die sich je nach Verschärfung des Klassenkampfes [ .. . ] naturgemäß ändern und steigern «, zu verhindern und für die rasche Beendigung bereits ausgebrochener Kriege zu sorgen, sondern auch die Krisensituation des Krieges
»zur Aufrüttelung der Volksmassen und zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen«. Dieses Programm wurde mit nur geringfügigen Abschwächungen in die Resolution übernommen. Mit Hilfe der ausl.ändischen Delegierten hatten sich die Ideen der deutschen Lmken auf diesem Kongreß durchgesetzt. Auch der anschließend in Stuttgart tagende erste internationale Jugendkongreß, auf dem Liebknecht, schon unter der Anklage des Hochverrats stehend, das Hauptreferat hielt, bekannte sich zu der Resolution. Aber schon der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie vom September 1907 und Gustav Noskes Bekenntnis zur Vaterlandsverteidigung und zum Patriotismus im Sinne der herrschenden Klasse machten deutlich, wie wenig sich die opportunistischen Kräfte in der Partei an die Beschlüsse der 2. Internationale gebunden fühlten. Hier zeichnete sich bereits die Tragödie des August 1914 ab. Im Schatten des heraufziehenden Weltkrieges verdoppelten die Kriegsgegner ihre Anstrengungen. Liebknecht war 19 I 2 in den Reichstag eingezogen und eröffnete von dieser Plattform aus den Kampf gegen die Heeresvorlage von 1913 mit einem Angriff auf das internationale Rüstungskapital, das er der »Vaterlandlosigkeit « bezichtigte; trotz allen patriotischen Beteuerungen zur Steigerung des Chauvinismus im eigenen Lande scheue sich die Rüstungsindustrie nicht, mit dem potentiellen Gegner Waffenlieferungen zu vereinbaren und Militärgeheimnisse auszutauschen. Liebknechts Enthüllungen über Beamtenbestechungen durch die Firma Krupp hatten zwei Prozesse gegen Angestellte von Krupp zur Folge. Rosa Luxemburg hatte im Herbst I 9 I 3 auf verschiedenen Kundgebungen erklärt, der deutsche Soldat werde die Mordwaffe nicht gegen seine ausländischen Brüder erheben. Für diese »Aufforderung zum Ungehorsam« diktierte ihr das Landgericht Frankfurt im Februar 1914 eine Gefängnisstrafe von einem Jahr zu. Dieses Urteil war für Rosa Luxemburg ein Grund mehr, ihre Agitation gegen Militarismus und Klassenjustiz zu verstärken. Ein Artikel über Soldatenmißhandlungen in deutschen Kasernen brachte ihr eine neue Anklage wegen Beleidigung der Armee ein. Zu ihrer Verteidigung meldeten sich viele tausend Opfer und Zeugen von Soldatenmißhandlungen, so 16
daß der Prozeß vertagt werden mußte und schließlich im Sande verlief. Den Ausbruch des Weltkrieges mit dem Zusammenbruch der Internationale und der Zustimmung der deutschen Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten empfand Rosa Luxemburg als niederschmetternde Enttäuschung. Karl Liebknecht beugte sich dem Fraktionszwang und stimmte mit für die Kredite. Im Ausland wurde die Meldung vom Selbstmord der deutschen Sozialdemokratie vielfach als ungeheure Propagandalüge betrachtet, wogegen man Gerüchten von der standrechtlichen Erschießung Liebknechts und Rosa Luxemburgs eher Glauben schenkte. Während führende Köpfe in der Partei mit in den Begeisterungstaumel der ersten Kriegswochen verfielen, suchten Rosa Luxemburg und ein winziges Häuflein Gleichgesinnter nach Möglichkeiten, unter den Bedingungen des Belagerungszustandes dem Protest gegen den Krieg Ausdruck zu verleihen. Karl Liebknecht war es schließlich, der am 2. Dezember 1914 bei der Abstimmung für die neue Heeresvorlage durch sein »Nein « diesem Protest Stimme und Gestalt verlieh. Nicht einer seiner Kollegen hatte gewagt, mit ihm vor dem Reichstag und der Weltöffentlichkeit seinem Gewissen zu folgen, und so wurde Karl Liebknecht zum Symbol für den Widerstand eines einzelnen gegen die Gewalten der entfesselten Kriegsmaschinerie und zur Hoffnung für die vielen, die in der Kirchhofstille des Burgfriedens zwar verstummt, aber ihren überzeugungen treu geblieben waren. Diese im ganzen Reich existierenden Gruppen von Sozialisten in einer wenn auch nur losen Organisation zusammenzufassen, bildete nun das Bestreben des Kreises um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Unter dem Namen ihrer neu gegründeten Zeitschrift, der ein Programm bedeutete, schlossen sich die linken Kräfte zusammen zur Gruppe Internationale. Die herrschenden Mächte reagierten sofort auf den Widerstand einer Minderheit: Im Februar 1915 mußte Rosa Luxemburg die ihr vom Frankfurter Landgericht zudiktierte einjährige Gefängnisstrafe antreten; Karl Liebknecht wurde als Armierungssoldat eingezogen. Ein Antrag des Gewerkschaftsvorsitzenden Carl Legien, Liebknecht aus der Partei auszuschließen, fand damals noch keine Mehrheit. Mehrere Führer der Linken wurden verhaftet, so daß die illegale Arbeit fast völlig zum Erliegen kam. Immerhin konnte Liebknecht beim 17
Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 durch ein illegales Flugblatt Der Hauptfeind steht im eigenen Lande! die Parole zur Fortführung des Klassenkampfs geben. In ihrer im »Weibergefängnis Barnimstraße« geschriebenen» Juniusbroschüre« mit dem Thema Die Krise der Sozialdemokratie analysierte Rosa Luxemburg die Entwicklung, die zur Katastrophe von 1914 geführt hatte, und beschwor die Schrecken des Krieges; in den der» Juniusbroschüre« beigefügten Leitsätzen über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie erhob sie die Forderung nach einer neuen Internationale, die vor allem im Kriege die Solidarität des internationalen Proletariats aufrechterhalten sollte. Den Beschlüssen dieser neuen Internationalen zu folgen, müsse für alle Mitglieder oberste Verpflichtung sein. A.uf ihrer illegalen Reichskonferenz im Januar 1916 bekannte sich die Gruppe Internationale, die sich jetzt Spartakus nannte, zu diesen Leitsätzen und grenzte sich damit gegen die in der offiziellen Sozialdemokratie geäußerte Ansicht ab, daß die Internationale ein Friedensinstrument mit den Aufgaben »Kampf für den Frieden«, »Klassenkampf im Frieden« sei und jedes revolutionären Charakters entbehre. Unermüdlich wirkte die Spartakusgruppe auf ihren illegalen Konferenzen für die Aktivierung der Bevölkerung, insbesondere der Jugend, die in Karl Liebknecht ihren großen Führer verehrte. Der 1. Mai 1916 wurde zum Kampf tag gegen den Krieg erklärt. Auf einer riesigen Friedensdemonstration auf dem Potsdamer Platz in Berlin gab Liebknecht die Parole aus: »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!« Er wurde sofort vernaftet und vom Militärgericht zunächst zu 2 1/2 Jahren, in 2. Instanz zu 4 Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt. Der Prozeß, den Liebknecht zu unentwegten Angriffen gegen die Kriegspolitik benutzte, wurde von der Arbeiterschaft mit Streiks und Massendemonstrationen, vom Spartakusbund mit unablässiger Agitation begleitet. Der Bann des Burgfriedens war gebrochen. Doch die Repressalien ließen nicht auf sich warten: Tausende von Arbeitern mußten für ihren Protest im Schützengraben oder im Gefängnis büßen; die Wortführer des Spartakusbundes verschwanden hinter Gittern. Rosa Luxemburg wurde am 10. Juli 1916 in »Schutzhaft« genommen, aus der sie erst am 9. November 1918 wieder freikam. Die Nachrichten aus Rußland verfolgte Rosa Luxemburg mit 18
den größten Hoffnungen, aber auch mit wachsender Ungeduld. Im Herbst 1918 nahm sie in einer Abhandlung Die russische Revolution kritisch zum Vorgehen der Bolschewiki Stellung. Das Heilmittel gegen die Mängel der Demokratie, das Lenin und Trotzki in der völligen Abschaffung der Demokratie erblickt hatten, hielt sie für verderblich; gerade die konsequente Verwirklichung nicht der bürgerlichen, sondern der sozialistischen Demokratie werde aus sich selbst alle regulierenden Kräfte zur überwindung der Mängel hervorbringen. Die Diktatur einer Partei oder Clique lehnte Rosa Luxemburg ab. Die Alternative Diktatur oder Demokratie habe in der sozialistischen Politik keinen Platz, vielmehr müsse die »Diktatur des Proletariats«, die zum Abbau der alten Gesellschaftsordnung nötig sei, mit der uneingeschränktesten Demokratie, mit der ungehinderten Teilnahme und Aktivität der Bevölkerung verbunden sein. Mit der Erörterung der Frage: Diktatur oder Demokratie hatte Rosa Luxemburg schon kurz vor ihrer Befreiung aus dem Gefängnis in die Auseinandersetzungen in der deutschen Sozialdemokratie eingegriffen. Die Anhänger des Burgfriedens in der SPD hatten Anfang 1916 zuerst Karl Liebknecht, dann die achtzehn oppositionellen Abgeordneten, die im Dezember 1915 gegen die Kriegskredite gestimmt hatten, aus der Reichstagsfraktion ausgeschlossen; nach ihrem Ausschluß aus der Partei gründeten die Kreditverweigerer 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Die USPD-Führung legte sich auf den parlamentarischen Kampf für Frieden und gleiches Wahlrecht fest. Trotz ihrer grundsätzlich anderen revolutionären Zielsetzung schloß sich die Spartakusgruppe der USPD an. So entstand wieder eine sozialistische Partei voll innerer Gegensätzlichkeiten und divergierender Strömungen. Unter der Führung von Leo Jogiches hatte Spartakus in der Hoffnung, die USPD von innen umgestalten zu können, auf eine eigene Parteigründung verzichtet. Je nach den lokalen Verhältnissen gewannen tatsächlich in manchen Orten die Ideen der Spartakisten großen Einfluß auf die Aktionen der Partei. Die offizielle Linie der USPD formulierte aber Kautsky, wenn er sich in der Frage Diktatur oder Demokratie wegen der Unreife des Landes für die bürgerliche Demokratie unter Verzicht auf die sozialistische Umwälzung entschied.
Im Oktober 1918 war die parlamentarische Demokratie im Deutschen Reich Wirklichkeit geworden. Das Ende des Krieges stand nahe bevor, und so sahen sich die Mehrheitssozialdemokr~ten, die mit zwei Staatssekretären in der Regierung des Pnnzen Max vertreten waren, und die rechten Führer der USPD in den wesentlichen Punkten am Ziel ihrer Bemühungen und strebten keine einschneidenden Veränderungen mehr an. Den Willen, die Bewegung weiter zu treiben, bekundete die Gruppe Spartakus auf einer Konferenz am 7. Oktober mit der Forderung nach Enteignung des Bankkapitals, der Bergwerke, Hütten und Großbetriebe und des Großgrundbesitzes. Die Dynastien und Einzelstaaten sollten abgeschafft, Arbeiter- und Soldatenräte überall eingerichtet werden. Das war, jedenfalls in den Grundzügen, das Programm, mit dem Spartakus in der deutschen Revolution auftreten sollte. Am 23. Oktober wurde Karl Liebknecht aus dem Zuchthaus entlassen. Im Triumphzug wurde er vom Bahnhof zum Potsdamer Platz geleitet, wo er zur Revolution aufrief. Die Polizei wagte nicht einzuschreiten. Die revolutionären Obleute von Berlin, die innerhalb der USPD die aktive Arbeiterschaft aus den Großbetrieben anführten, neigten im Gegensatz zum Parteivorstand im Oktober 1918, als sich die revolutionäre Hochspannung in immer neuen Demonstrationen entlud, der Auffassung zu, daß die sozialistische Umwälzung in Deutschland möglich sei. Auf zahlreichen Besprechungen suchte Liebknecht die revolutionären Obleute zum Losschlagen zu bewegen. Aber noch. am 4. November, als bereits die ersten Nachrichten von der Matrosenrevolte in Kiel eintrafen, wollten die Obleute noch eine Woche Zeit, um die Revolution in allen technischen Einzelheiten vorzubereiten. Liebknechts Warnungen, die Mehrhe.itssozialdemokraten würden den Zögernden zuvorkommen, bheben unbeachtet. So entstand die groteske Situation, daß die Matrosen den Aufruhr in vielen Großstädten bereits begonnen hatten, während in Berlin alles stillblieb. Wenn aber irgendwo, so mußte es in Berlin, wo durch das Bündnis zwischen Spartakus und den Obleuten eine einmalig günstige Konstellation gegeben war, gelingen, die revolutionäre Bewegung über eine bloße Machtübernahme hinauszutreiben und die sozialistische Umwälzung folgen zu lassen. Als überall im Lande die Massen der SPD-Anhänger Front 20
gegen die von ihrer Partei mitgetragene Regierung machten sahen sich die sozialdemokratischen Staatssekretäre gezwun~ gen, am 9. November aus der Regierung auszuscheiden. Obwohl Ebert ' die Monarchie gern aufrecht erhalten hätte erkl~rte Prinz Max die Abdankung des Kaisers und übertru~ das Reichskanzleramt an Ebert. Nur so, indem sich Ebert selbst an die Spitze der Revolution setzte, die er nach seinen eigenen Worten »haßte wie die Sünde «, schien es noch möglich, sie u.nte: K?n~rolle zu bringen. Denn seit dem Morgen bewegte sich 111 neslgen Marschsäulen die Arbeiterschaft aus den Großbetrieben der Innenstadt zu. Die starken Truppenteile, die man zum Schutz der Hauptstadt zusammengezogen hatte schlossen sich kampflos an. ' Es kam dann wirklich so, wie Liebknecht befürchtet hatte: Der wendige Scheidemann, morgens noch kaiserlicher Staatssekretär, rief mittags schon die »Freie Deutsche Republik« aus. Freilich meinte er damit etwas grundsätzlich anderes als Liebknecht der wenig später die »Freie Sozialistische Republik Deutsch~ land« proklamierte. Liebknecht hob gleich mahnend hervor daß die Hauptaufgabe, der Aufbau der Regierung der Arbei~ ter und Soldaten, noch bevorstehe. Die Verhandlungen über die Bildung der neuen Regierung begannen sofort. Die SPD-Führer forderten Liebknecht auf in die Regi~rung einzutreten, da sein Name sich günstig auf' die WaffenstIllstandsverhandlungen auswirken werde. Als Vorbedingung für einen befristeten Eintritt verlangte Liebknecht die übertragung der Legislative, Exekutive und der Jurisdiktion an die gewählten Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte und den A.usschluß al~er bürgerlichen Minister. Da diese Bedingungen mcht akzeptiert wurden, verzichtete Liebknecht auf eine Teilnahme, der Parteivorstand der USPD aber erklärte sich bereit. Am nächsten Tag gelang es den Mehrheitssozialisten mühelos, die revolutionäre Bewegung zu majorisieren. In der am 10. November tagenden Vollversammlung der Arbeiterund Soldatenräte hatte die SPD vor allem durch die Stimmen der Soldatenräte die Mehrheit. Mit der von Ebert propagierten und mit Begeisterung aufgenommenen Parole der »Einheit « wurden alle Bedenken Liebknechts, der vor dem Zusammeng~hen mit den rechten Sozialdemokraten warnte, niedergestImmt. Der Rat der Volksbeauftragten wurde paritätisch aus 21
SPD und USPD zusammengesetzt; der Vollzugsrat, das oberste Organ der Arbeiter- und Soldaten räte Deutschlands, erhielt eine SPD-Mehrheit. Da der Spartakusbund eine Zusammenarbeit mit den Mehrheitssozialdemokraten abgelehnt hatte, war er nun in keinem der obersten Gremien vertreten; es war ihm nicht gelungen, die Führung der Revolution an sich zu reißen, und bald sollte sich Spartakus gegenüber den in der Regierung etablierten »Revolutionären« schon wieder in der Rolle des auf außerparlamentarische Kampfmittel angewiesenen Störenfrieds befinden, den zu unterdrücken den Hütern der Ordnung oberstes Gebot schien. Rosa Luxemburg war am 9. November aus dem Gefängnis in Breslau befreit worden und am 10. November in Berlin angekommen. Geschwächt und krank durch die lange Haft, setzte sie in den ihr noch verbleibenden Wochen alle Kraft daran, in Artikeln und Flugschriften immer wieder aufs neue die Ziele der Revolution darzulegen und Wege zu ihrer Verwirklichung aufzuweisen. In der Roten Fahne, die seit dem 18. November regelmäßig erschien, kommentierte sie die Tagesereignisse. Ein wichtiges Dokument aus ihrer Feder ist das Programm des am Ir. November gegründeten Spartakusbundes. Als sofortige Maßnahmen zur Sicherung der Revolution forderte das Spartakusprogramm: Entwaffnung der Polizei und aller Angehörigen der herrschenden Klassen, Bewaffnung des Proletariats und Bildung einer Roten Garde; Beseitigung aller Parlamente und Gemeinderäte und die übernahme ihrer Funktionen durch Arbeiter- und Soldatenräte; Enteignung des großen und mittleren Grundbesitzes, aller Banken, Bergwerke, Hütten und Großbetriebe; Aufnahme der Verbindung mit den ausländischen Bruderparteien, um die Revolution auf eine internationale Basis zu stellen. Es ist auf die im Vergleich zu Rosa Luxemburgs Schrift über die Russische Revolution radikalere Tonart des Spartakusprogrammes hingewiesen worden. Zweifellos haben Formulierungen wie: »Dem Feinde [ ... ] Daumen aufs Auge und Knie auf die Brust! « dazu beigetragen, daß das Klischee von der »blutigen Rosa« entstehen konnte. Man wird jedoch den Wandel in der Diktion nicht nur auf den unterschiedlichen Charakter einer wissenschaftlichen Betrachtung und einer für die breiten Massen berechneten Kampfschrift zurückführen dürfen; aus dem 22
Inhalt des Programms ergibt sich klar, daß der Zusammenprall mit der rauhen Wirklichkeit der deutschen Revolution Rosa Luxemburg die Einsicht aufgedrängt hat, die proletarische Revolution brauche keinen Terror, um ihre Ziele zu erreichen, die herrschenden Klassen aber würden bei der Verteidigung ihrer Privilegien vor keiner Brutalität und Grausamkeit zurückschrecken und damit den Kampf unvermeidlich machen. Im Dezember 1918 begannen die gegenrevolutionären Kräfte, die die Schwäche und Laschheit der neuen Machthaber erkannt hatten, sich zur Abwehr zu formieren. Am 1. Dezember wurden das »Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus« und die »Antibolschewistische Liga« gegründet. Diesen Institutionen wurden von der Großindustrie ungeheure Summen zur Verfügung gestellt, die zur Anwerbung von Freiwilligenverbänden und zur Hetze gegen Spartakus verwendet wurden. Indem man Spartakus mit den russischen Bolschewisten gleichsetzte, deren Taten die bürgerlichen Schichten mit Schrecken erfüllten und ihren Willen zur Gegenwehr verstärkten, hatte die Haßpropaganda leichtes Spiel. Unter den Plakaten aus dem Dezember 1918, die das Gespenst des Bolschewismus bildlich als bluttriefende Bestie darstellten oder die Vernichtung der Religion, die Sozialisierung der Frauen durch Bolschewismus und Spartakusbund prophezeiten, ist das ruchloseste wohl jenes, das zur Rettung des Vaterlandes vor der inneren Bedrohung durch die Spartakusgruppe aufforderte mit den Worten: »Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht! Dann werdet Ihr Frieden, Arbeit und Brot haben. Die Frontsoldaten.« Die Unterschrift »Die Frontsoldaten« war eine Mystifikation, denn die aus dem Felde heimkehrenden Truppen hatten sich aufgelöst, wo immer sie in der Heimat mit der Revolution in Berührung gekommen waren. Einige besonders zuverlässige Divisionen waren jedoch nach einer geheimen Abmachung zwischen Ebert und General Groener in der Umgebung von Berlin zusammengezogen bzw. neu aufgestellt worden. Dem Wunsch der Obersten Heeresleitung, dem Räte-»Unwesen« ein Ende zu machen und die »Ordnung« in Berlin wiederherzustellen, zeigte sich Ebert sehr aufgeschlossen. Am 6. Dezember gab ein Putschversuch, bei dem der Vollzugsrat verhaftet und Ebert zum Präsidenten der Republik ausgerufen werden sollte, den 23
Bestrebungen der Gegenrevolution Ausdruck. Bezeichnenderweise sollten auch Rosa Luxemburg und Liebknecht festgenommen werden. Am Abend des selben Tages wurden sechzehn Teilnehmer einer Spartakusdemonstration von Regierungstruppen niedergeschossen. Der Putsch war fehlgeschlagen, trug aber zur Verschärfung der Gegensätze zwischen Regierungsanhängern und der radikalen Arbeiterschaft bei. Die trügerische »Einheit « der Novembertage wurde nicht mehr zur Schau getragen; der offene »Bruderkrieg« zwischen den sozialistischen Parteien war ausgebrochen. Was den Putschisten nicht gelungen war, die Ausschaltung der Räte, vollzog sich wenig später auf legalem Wege. Vom 16. bis 21. Dezember tagte in Berlin der Reichskongreß der Arbeiterund Soldatenräte Deutschlands. Liebknecht und Rosa Luxemburg hatten kein Mandat erhalten. Liebknecht forderte auf einer Massendemonstration von den Delegierten die Auflösung der Regierung und die Entwaffnung der Gegenrevolution. Der Kongreß jedoch, auf dem die SPD die absolute Mehrheit besaß, übertrug die gesetzgebende und vollziehende Gewalt bis zum Zusammentreten der Nationalversammlung auf den Rat der Volksbeauftragten. Der neu gewählte Zentralrat der Arbeiterund Soldatenräte, der lediglich eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung haben sollte, wurde von der SPD allein beherrscht, da die USPD unter dem Druck ihres linken Flügels auf eine Teilnahme verzichtet hatte. Damit war nicht nur in der grundlegenden Frage der deutschen Revolution die Entscheidung gegen die Räte gefallen; auch die Position der drei USPD-Volksbeauftragten in der Regierung war unhaltbar geworden. Eine neue Zuspitzung erfuhr die Lage in Berlin durch die Vorfälle der »Blutweihnacht«. In einem Streit zwischen der Volksmarinedivision und dem Stadtkommandanten Wels um rückständige Löhnung und Räumung des Schlosses gingen die Matrosen so weit, die Regierung unter Hausarrest zu stellen. Ebert forderte über seine geheime Telefonverbindung Hilfe von der Obersten Heeresleitung (OHL) an. Am Morgen des 24. Dezember traten Fronttruppen zum Sturm auf das Quartier der Matrosen in Schloß und Marstall an, wurden aber von Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich in einer Gefechtspause unter die Soldaten mischten, in Diskussionen verwickelt und
zur Einstellung der Kampfhandlungen bewogen. Die Beerdigung der elf gefallenen Matrosen gestaltete sich zu einer Kampfansage der radikalen Arbeiterschaft gegen die »Matrosenmörder« Ebert, Landsberg und Scheidemann. Als nun unter dem Druck ihrer linken Anhängerschaft die Volksbeauftraten der USPD aus der Regierung ausschieden, machten Rosa Luxemburg und ihre Freunde den Versuch, die revolutionären Obleute zum Austritt aus der USPD und zur gemeinsamen Gründung der Kommunistischen Partei zu bewegen. Das hätte den tatsächlichen Gruppierungen entsprochen und in der neuen Partei ein starkes übergewicht der mit Plan und überlegung handelnden Revolutionäre gegen die Utopisten geschaffen, deren blindes Vorwärtsstürmen sich im Januaraufstand. so verhängnisvoll auswirken sollte. D iese Leute waren es auch, die zur Diffamierung der revolutionären Bewegung gute Ansatzpunkte boten. Als »Liebknechts bewaffnete Tagediebe «, als Straßenräuber und Verbrecher tauchen sie auf Plakaten, in Zeitungsartikeln und Reden auf und haben das Ansehen von Spartakus ruiniert. Der Zusammenschluß mit den Obleuten scheiterte, und so blieben auf dem Gründungsparteitag der KPD (Spartakusbund) die besonnenen und weitschauenden Mitglieder in der Minderheit. In der entscheidenden Frage der Nationalversammlung konnten die führenden Persönlichkeiten ihre Ansicht nicht durchsetzen. Befangen in revolutionärer Ungeduld und der Illusion, daß der Zusammenbruch des kapitalistischen Systems kurz bevorstehe, lehnte die Mehrheit den »Umweg « über die Nationalversammlung ab, während Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sich bewußt waren, daß noch zähe und ausdauernde Arbeit zur Gewinnung einer breiteren revolutionären Basis in der Arbeiterschaft nottue, und daß man auf die parlamentarischen Möglichkeiten, auf die die deutsche Arbeiterbewegung seit Jahrzehnten eingeschworen war, nicht verzichten sollte. In einer großen Rede entwickelte Rosa Luxemburg das Programm der neuen Partei. Nach der Periode der nur politischen Umwälzung müsse nun die Zeit der ökonomischen Auseinandersetzung folgen. Dies sei der Punkt, an dem die Bourgeoisie Ernst machen und die Regierung Ebert-Scheidemann zum Abtreten zwingen werde. Es stehe also eine Periode härterer 25
Kämpfe bevor. Entsprechend dem Massencharakter der Revolution könne die Umwälzung nicht oben ansetzen, sondern an unzähligen Punkten auf der untersten Ebene müsse der Proletarier praktische Erfahrung im Kampf am Arbeitsplatz und in der öffentlichen Verwaltung sammeln. Eine weitere Voraussetzung sei das Hinaustragen des Klassenkampfes aufs Land, das noch gewonnen werden müsse; denn nie werde der Spartakusbund die Regierungsgewalt anders übernehmen als durch die unzweideutige Zustimmung der großen Mehrheit des deutschen Proletariats. Eine Prophezeiung über den Endpunkt dieses revolutionären Pro~esses wollte Rosa Luxemburg nicht machen - »wenn nur unser Leben ausreicht, es dahin zu bringen«, so schloß sie ihr Referat. In diesen Worten scheint eine Todesahnung anzuklingen, die nicht nur in gesundheitlicher Schwäche, sondern auch in der planmäßig angeheizten Pogromstimmung gegen Spartakus ihre Wurzeln gehabt haben mochte. Selbst die Vorfälle der »Blutweihnacht« schob man den Spartakisten in die Schuhe, und immer wieder wurde der Spartakusbund als das Böse an sich mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht identifiziert. Auch von Liebknecht ist aus jenen Tagen überliefert, daß er mit Todesgedanken umging. Falls eine Mordkugel ihn treffen sollte, so sagte er in einer Rede, solle man den Täter schonen, die Schuldigen seien andere. Daß es schon in den ersten Januartagen in Berlin zum Entscheidungskampf zwischen der radikalen Arbeiterschaft und den Regierungsanhängern kam, hatte im Spartakusprogramm und in Rosa Luxemburgs letzter großer Rede keine Grundlage. Die psychologischen Voraussetzungen für den Ausbruch der Feindseligkeiten waren durch Agitation und Hetze auf beiden Seiten geschaffen; dennoch wurden alle Beteiligten von den Ereignissen des 5. Januar überrascht. Daß die OHL sich schon seit Woch~n durch Truppenkonzentrationen um Berlin auf den Kampf vorbereitet hatte, gab schließlich den Ereignissen die verhängnisvolle Wendung: Gestützt auf die Macht der kaiserlichen Offiziere schob die Regierung alle Möglichkeiten zum gütlichen Ausgleich beiseite und beschloß, mit Gewalt Ordnung zu schaffen. Nach dem Ausscheiden der USPD aus der Regierung waren fast alle ihr angehörenden höheren Beamten zurückgetreten, nur
26
der Polizeipräsident von Berlin, Eichhorn, weigerte sich, seine am 4. Januar verfügte Entlassung zu akzeptieren. Er betrachtete seinen Posten als eine Machtposition des revolutionären Proletariats, die man nicht preisgeben dürfe. Am 5. Januar erging ein von der USPD, den revolutionären Obleuten und der KPD gemeinsam verfaßter Aufruf an die Berliner Arbeiterschaft, der in starken Tönen, als gelte es das Schicksal der Revolution, zu Massendemonstrationen für Eichhorn aufforderte. Am 5. und 6. Januar beherrschten die revolutionären Arbeiter, unter ihnen viele Bewaffnete, die Straßen von Berlin. Die sie gerufen hatten, waren sich aber keineswegs darüber -im klaren, was weiter werden sollte. In pausenlosen Beratungen, während die Demonstranten nach Waffen und Entschlüssen verlangten, wurde schließlich ein Revolutionsausschuß unter dem Vorsitz von Liebknecht, Ledebour und Scholze gegründet. Unter dem Einfluß von unzutreffenden Nachrichten, daß die in Berlin stehenden Truppen auf die Seite der Revolution übergehen wollten, wurde der Beschluß gefaßt, den Kampf um die Macht zu wagen und die Regierung zu stürzen. In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar wurde der Ausschuß von der Meldung überrascht, daß bewaffnete Stoßtrupps radikaler Spartakisten auf eigene Faust das Vorwärts-Gebäude und Verlagshäuser anderer großer Tageszeitungen besetzt hätten. Damit waren die Feindseligkeiten eröffnet und ein Zurückgehen nicht mehr gut möglich. Zwischen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht kam es zu schweren Auseinandersetzungen, weil Liebknechts intensive Beteiligung an dem gewagten Unternehmen keineswegs der Spartakus-Taktik entsprach. Nachdem aber die ersten Schritte getan waren, entschloß sich auch Rosa Luxemburg, Partei für die bereits kämpfenden Arbeiter zu nehmen. Tag für Tag suchte sie in der Roten Fahne erreichbare Teilziele für die Aktion aufzuzeigen und forderte vom Revolutionsausschuß schnelles und entschlossenes Handeln. Der aber kam über endlose Beratungen nicht hinaus und ließ die Massen ohne Führung. Bereits am 6. Januar traten die revolutionären Obleute in Verhandlungen mit der Regierung ein, nur der Spartakusbund harrte bei den Kämpfenden aus. Die letzten Lebenstage von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren von der tragischen Entscheidung verdüstert, die sie wider besseres Wissen an
den verfehlten und aussichtslosen Berliner Aufstand fesselte. Rosa Luxemburg erlitt mehrere Zusammenbrüche; Liebknecht eilte rastlos von einem Brennpunkt der Gefechte zum anderen und verzehrte so seine Kraft, die für eine vorausschauende Planung der Aktionen dringender gebraucht worden wäre. Die Regierung war entschlossen, diesmal aufs Ganze zu gehen. Zunächst war sie ohne Machtmittel, da die in Berlin stationierten Truppen sich neutral erklärt hatten, und deshalb bereit, auf Verhandlungen mit den Obleuten einzugehen. Mit der von der Regierung geforderten Vorleistung, der Räumung des Vorwärts-Gebäudes, die die Unterhändler nicht herbeiführen konnten, wurden aber die Erfolg versprechenden Unterredungen hingezogen, um Zeit zu gewinnen. Gleichzeitig mit der Aufnahme der Verhandlungen war nämlich der Volksbeauftragte Noske zum Oberbefehlshaber von Berlin ernannt worden. Er nahm sein Amt an mit den Worten: »Einer muß der Bluthund sein, ich scheue die Verantwortung nicht.« Obwohl sich mehrere Freiwilligen-Regimenter aus regierungstreuen Arbeitern und Bürgerlichen bildeten, die die Hauptlast der Kämpfe in Berlin getragen haben und zur Niederwerfung des Aufstandes genügt hätten, wandte sich Noske an die Offiziere der alten Armee, um dann zu einem Zeitpunkt, als die blutigen Auseinandersetzungen mit der Rückeroberung des Vorwärts und der anderen Zeitungshäuser schon nahezu beendet waren, am Ir. Januar an der Spitze von dreitausend Mann in die Hauptstadt einzuziehen. In den nächsten Tagen folgten weitere Divisionen, die Berlin in ein Heerlager verwandelten. Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division verkündete in einem Begrüßungsplakat, was der Sinn dieser Truppenmassierung jetzt nur noch sein konnte: die Ordnung endgültig wiederherzustellen. Nach der Niederwerfung des Aufstandes, der der Berliner Arbeiterschaft große Verluste nicht nur durch die Kampfhandlungen, sondern auch durch widerrechtliche ~r schießungen von Parlamentären und Gefangenen durch Regierungstruppen gebracht hatte, galt es nun im Sinne des »Ordnungrnachens« noch, der Anführer habhaft zu werden. Am I 3. Januar erschien im Vorwärts ein Gedicht von Artur Zickler, das mit den Zeilen endete:
Viel hundert Tote in einer ReihProletarier! Karl, Rosa, Radek und Kumpanei, es ist keiner dabei, es ist keiner dabei! Proletarier! Die so Apostrophierten befanden sich seit Tagen au~ der Flucht von einem illegalen Quartier zum andern. Berlm zu verlassen hatten sie aus Gründen der Solidarität abgelehnt" aber ihre Lage war bedrohlich. Polizei und Spitzelorganisationen die schon ein paarmal versucht hatten, Liebknecht und Rosa Luxemburg zu verhaften, waren den Spartakusführern auf den Fersen. In verschiedenen Prozessen des Jahres 1919 tauchte immer wieder das Gerücht auf, daß vom »Helferdienst der sozialdemokratischen Partei « eine Kopfprämie von 100000 Mark auf die Ergreifung von Liebknecht und Luxemburg ausgesetzt worden sei; schriftliche Bewe.ise für .die~e Behauptung gibt es verständlicherweise nicht. In emem Mmeilungs?latt gab Fritz Henck, der Schwiegersohn Scheidemanns, den Viele Zeugen mit der ausgesetzten Prämie in Ver?indung brachten~ am 14. Januar der Berliner Bevölkerung die makabre VeCSlcherung, die Häupter der Bewegung würden nicht u?gesch.oren davonkommen; schon in wenigen Tagen werde sich zeigen, »daß auch mit ihnen Ernst gemacht wird «. Als Rosa Luxemburg und Kar! Liebknecht am 15. Januar an ihrem letzten Zufluchtsort von der Wilmersdorfer Bürgerwehr verhaftet wurden, konnten sie sich keine Illusionen über das Schicksal machen, das sie erwartete.
Rosa Luxemburg, Ordnung herrscht in Berlin
[ ... ] >Ordnung herrscht in Berlin! < verkündet triumphierend die bürgerliche Presse, verkünden Ebert und Noske, verkünden die Offiziere der >siegreichen Truppen Spartakisten< im >Vorwärts" Die Zeiten des ersten ruhmreichen Eindringens deutscher Truppen in Belgien, die Zeiten Generals von Emmich, des Bezwingers von Lüttich, erblassen vor den Taten der Reinhardt und Gen. in den Straßen Berlins. Niedergemetzelte Parlamentäre, die über die übergabe des >Vorwärts< verhandeln wollten und von der Regierungs-Soldateska mit Kolben bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet wurden, so daß die Rekognoszierung ihrer Leichen unmöglich ist, Gefangene, die an die Wand gestellt und in einer Weise hingemordet werden, daß Schädel und Hirn herumspritzen: Wer denkt da noch angesichts so glorreicher Taten an die schmählichen Niederlagen vor den Franzosen, Engländern und Amerikanern? >Spartakus< heißt der Feind und Berlin der Ort, wo unsere Offiziere zu siegen verstehen. Noske, der >ArbeiterOrdnung herrscht in Warschau!< - >Ordnung herrscht in Paris!< - >Ordnung herrscht in Berlin!< So laufen die Meldungen der Hüter der >Ordnung< jedes halbe Jahrhundert von einem Zentrum des weltgeschichtlichen Kampfes zum andern. Und die frohlockenden >Sieger< merken nicht, daß eine >OrdnungOrdnung herrscht in Berlin!< Ihr stumpfen Schergen! Eure >Ordnung< ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon >rasselnd wieder in die Höh' richten< und zu
31
eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein!' , Auszüge aus Rosa Luxemburgs letztem Aufsatz in Die Rote Fahne vom 14. Januar '919. Zit. nach: Rosa Lu xemburg, Politische Schriften 11; Frankfurt/Mo 1966.
Karl Liebknecht, Trotz alledem!
[ .. . ] Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein. Denn die Niederlage ist ihre Lehre. [ ... ] Denn Spartakus - das heißt Feuer und Geist, das heißt Seele und Herz, das heißt Wille und Tat der Revolution des Proletariats. [ ... ] Denn Spartakus, das heißt Sozialismus und Weltrevolution. Noch ist der Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse nicht beendet - aber der Tag der Erlösung naht. [ ... ] Himmelhoch schlagen die Wogen der Ereignisse - wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleudert zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel. Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird leben wird unser Programm: es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!' , Aus Karl Liebknechts letztem Aufsatz in Die Rote Fahne vom, 5. Januar '919. Zit. nach: Geschichte der deutschell Arbeiterbewegung, Berlin 1966, Band 3, S. '91.
33
Der Mord im Spiegel zeitgenössischer Presseberichte
An jenem 15. Januar 1919, als Liebknechts Artikel Trotz alledem! erschien, wurden er und Rosa Luxemburg ermordet. Die Auseinandersetzung um den Mord wurde vor allem im Vorwärts, dem »Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands«, und in der Freiheit, dem "Berliner Organ der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands« geführt. Die bürgerliche Presse zeigte nach der Nachricht vom Tode Liebknechts und Luxemburgs wenig Interesse an den Einzelheiten, die zu ihrem gewaltsamen Ende geführt hatten. Die Rote Fahne, das »Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands«, war nach dem Tode ihrer Herausgeber Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bis zum 3. Februar nicht mehr erschienen. Am 12. Februar konnte Leo Jogiches die entscheidenden Feststellungen über das Mordgeschehen in der Roten Fahne veröffentlichen. Die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts entflammte die Leidenschaften, die eben gewaltsam erstickt worden waren, aufs neue. Der grundsätzliche Kampf zwischen den vorwärts drängenden revolutionären Kräften und den Schützern von »Ruhe und Ordnung« wurde nun in den Spalten der sozialistischen Presse ausgetragen. Wie der Januaraufstand war auch diese Zeitungsfehde ein »Bruderkrieg« innerhalb der Sozialdemokra tie. Der regierungsamtliche Vorwärts hatte als erstes Blatt Nachricht von der Verhaftung Liebknechts. In der Morgenausgabe vom Donnerstag, dem 16. Januar, erschien folgende Meldung: Verhaftung Liebknechts. Am Mittwoch morgen veröffentlichte die ~Rote Fahne« einen Artikel Liebknechts, worin er erklärte, die Spartakusführer seien nicht geflohen, und der schließliche Triumph sei ihnen sicher. Gegen Abend wurde einigen Wilmersdorfer Einwohnern bekannt, daß Liebknecht sich bei dem ihm eng befreundeten Ehepaar Marcusson in der Mannheimer Straße 43 aufhalte. Es gelang, Liebknecht
35
festzunehmen und einer Militärpatrouille zu übergeben, die ihn im Auto zum Stab der Garde-Kavallerie-Division in das Edenhotel am Zoologischen Garten brachte. Liebknecht soll zunächst geleugnet haben, Karl Liebknecht zu sein. Es wurden jedoch an ihn gerichtete Briefe bei ihm gefunden, die Wäsche des Verhafteten trug die Buchstaben K. L. überdies wurde Liebknecht auch von mehreren Personen zweifelsfrei erkannt. [ ... ]
Im Laufe des r6. Januar verbreitete das Wolffsche Telegraphenbüro eine »amtliche Darstellung« des Mordes, die in den Mittag- und Abendausgaben der Tageszeitungen abgedruckt wurde; so auch in der Vossischen Zeitung vom r 6. Januar r 9 r 9: Liebknechts und Rosa Luxemburgs Ende. über die Erschießung Liebknechts beim Fluchtversuch und über die Tötung der Frau Rosa Luxemburg auf der Fahrt zum Untersuchungsgefängnis erhalten wir vom Stabe der Garde-Kavallerie-SchützenDivision folgenden Bericht: I. Am Mittwoch, den I 5. Januar, gegen 9.30 abends, wurde durch Mannschaften der Wilmersdorfer Bürgerwehr der in Wilmersdorf, Mannheimer Straße 43 vorläufig festgenommene Dr. Karl Liebknecht und gegen IO Uhr die gleichfalls dort vorläufig festgenommene Frau Rosa Luxemburg beim Stabe der Garde-Kavallerie-Schützen-Division eingeliefert. Nach kurzer Vernehmung der vorläufig Festgenommenen zur Feststellung ihrer Personen wurde zunächst Dr. Liebknecht eröffnet, daß er sich weiterhin als vorläufig festgenommen anzusehen habe und auf Anordnung der vorgesetzten Dienststelle (Abt. Lüttwitz) in das Moabiter Untersuchungsgefängnis geschafft würde, wo die Weiterverfügung über ihn die Reichsregierung zu treffen habe. [ ... ] Die Nachricht von der Verhaftung und dem Aufenthaltsort von Liebknecht und Rosa Luxemburg hatte sich schnell in der Umgebung des Hotels verbreitet. Die Folge davon war eine große Menschenansammlung vor dem Eden-Hotel. Teile des Publikums drangen bis in die Halle des Hotels ein. Von der G. K. S. D. erhielt der Führer der in Aussicht genommenen Begleitmannsch'aft daher den ausdrücklichen Befehl, von der Menge unbemerkt Dr. Liebknecht durch einen Seitenausgang aus dem Haus zu schaffen, und ihn mit einem Dienstautomobil nach Moabit zu bringen. Der Führer machte Dr. Liebknecht ausdrücklich darauf auf-
merksam, daß er bei einem Fluchtversuch von der Waffe Gebrauch machen werde. Inzwischen aber hatte sich bereits auch am Seitenausgang eine zahlreich'e Menschenmenge versammelt, so daß es der Begleitmannschaft nur mühsam gelang, sich einen Weg zu bahnen. Als Liebknecht und die Begleitmannschaften gerade im Wagen Platz genommen hatten, und der Wagen im Begriff war, anzufahren, erhielt Liebknecht aus der den Wagen umdrängenden Menge von hinten von einem unbekannten Täter einen wuchtigen Sd1lag auf den Kopf, durch den er eine stark blutende Kopfverletzung davon trug. Der Führer der Begleitmannschaft ließ daraufhin das Automobil so sd1l1ell wie möglich anlaufen, um L. vor der Menge zu sd1ützen. Zur Vermeidung von Aufsehen wählte der Führer der Begleitmannsroaft einen Umweg durch den Tiergarten nach Moabit. Am Neuen See blieb der Kraftwagen stehen, der offenbar durch das schnelle Anfahren in Unordnung geraten war. Als auf Befragen der Kraftwagenführer angab, daß die Wiederherstellung der Maschine einige Zeit erfordern würde, fragte der Führer der Begleitmannschaft Dr. Liebknecht, ob er sich kräftig genug fühle, die Charlottenburger Chaussee zu Fuß zu erreichen. Hierbei leitete ihn die Absicht, sich eines Mietwagens zu bedienen, falls der Dienstwagen nicht bald wieder fahrbereit gemacht werden könne. Als sich die Begleitmannschaft etwa 50 m vom Wagen entfernt hatte, machte sich Liebknecht von ihnen los und rannte eiligst in gerader Richtung von ihnen fort. Der eine Begleitmann wollte ihn halten, erhielt aber von Liebknecht einen Messerstich in die rechte Hand. Da Liebknecht auf mehrfaches Anrufen nicht stehen blieb, schossen mehrere Leute der Begleitmannschaft hinter ihm her; einige Augenblicke später stürzte Liebknecht zusammen und war anscheinend sofort tot. 2. Auf Befehl der G. K. S. D. wurde etwa um IO Uhr abends einer zweiten Begleitmannschaft befohlen, Frau Rosa Luxemburg in das Untersuchungsgefängnis zu überführen. Da sich wegen des Abtransportes von Karl Liebknecht durch den Seitenausgang gerade dort eine große Menschenmenge angesammelt hatte, versuchte der Führer der Begleitmannschaften die Menge dadurch zu zerstreuen, daß er mit lauter Stimme vor dem Seitenausgang rief, der Abtransport der Rosa Luxemburg sei bereits erfolgt. Der Führer ließ dann das Automobil abfahren und erteilte dem Wagenführer zur weiteren Irreführung der Menge mit lauter Stimme den Befehl, nach Hause zu fahren. Der Wagen fuhr dann in einem Bogen an der Kaiser-Wilhelm-
37
Teil des Berliner Stadtplans I Gedächtnis-Kirche vorbei und wieder zurück vor den Haupteingang des Hotels. Zur Zeit des Vorfahrens war der Haupteingang menschenleer. Der Führer der Begleitmannschafl:en forderte die in einem Zimmer des ersten Stockes befindliche Frau Rosa Luxemburg auf, ihm schnell nach dem Wagen zu folgen und ging selbst zu ihrem Schutze vor ihr
her, während die Begleitmannschaften sie umringten. Innerhalb der wenigen Minuten zwischen der Vorfahrt des Wagens und der Abholung der Frau Luxemburg hatte sich aber eine zahlreiche Menschenmenge vor dem Hotel und in der Halle des Hotels angesammelt. Die Menge nahm eine drohende Haltung gegen Frau Luxemburg ein, es fielen Verwünschungen und es wurde mehrfach der Versuch gemacht, gegen Frau Luxemburg tätlich zu werden. Den Begleitmannschaften gelang es, Frau Luxemburg zum Wagen zu bringen und den Eingang des Wagens freizuhalten. Da sich aber auch an der Straßenseite eine erregte Menschenmenge angesammelt hatte, welche gleichfalls dem Wagen zu drängte, so befand sich die Begleitmannschaft vorübergehend in einem erregten Menschenknäuel und wurde auseinandergerissen. In diesem Augenblick schlug die Menschenmenge auf Frau Luxemburg ein. Diese wurde von dem Führer der Transportmannschaften aufgefangen und bewußtlos von ihm und seinen Leuten in den Wagen gebracht. Frau Luxemburg lag halb zurückgelehnt auf dem Vordersitz des Wagens. Als sich dieser der Menge wegen langsam in Bewegung setzte, sprang plötzlich ein Mann aus der Menge auf das Trittbrett und gab auf Frau Luxemburg einen Pistolenschuß ab. Auf Befehl des Führers der Begleitmannschaften versuchte der Wagen daraufhin in schneller Fahrt den Kurfürstendamm in Richtung Berlin hinunterzufahren, wurde aber in der Nähe des Kanals plötzlich durch Haltrufe zum Anhalten aufgefordert. In der Annahme, daß es sich um eine kontrollierende Patrouille handle, hielt der Wagen führer. In diesem Augenblick drängte sich eine zahlreiche Menschenmenge an den Wagen heran, sprang auf die Trittbretter und zerrte unter den Rufen: Das ist die Rosa! den Körper der Frau Luxemburg aus dem Wagen heraus. Die Menge verschwand mit ihr in der Dunkelheit. Es ist anzunehmen, daß die Leute, die das Automobil zum Anhalten brachten, aus der vor dem Eden-Hotel versammelten Menschenmenge waren. Da sich der Kraftwagen vom Hotel aus nur langsam hatte in Bewegung setzen können, war es den Leuten möglich geworden, dem Wagen vorzueilen und ihm den Weg zu verlegen.
Außerdem ließ die Garde-Kavallerie-Schützen-Division noch folgende Meldung verbreiten (zitiert nach Vorwärts, 17. Januar 1919):
I Aus: Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution; Berlin '929, S. 295.
39
Zur Feststellung, ob die beiden Führer der Begleitmannschaften von Dr. Liebknecht und Frau Rosa Luxemburg ihre dienstliche Pflicht erfüllt haben, ist die kriegsgerichtliche Untersuchung eingeleitet worden. Der die Begleitmannschaft der Frau Rosa Luxemburg befehlende Offizier ist vom Dienst suspendiert, bis klargelegt worden ist, warum er zum Schutze der Frau Luxemburg nicht gegen das Publikum von der Waffe Gebrauch gemacht hat.
Diese wenig wahrscheinliche Darstellung der Vorgänge in der Mordnacht wurde zunächst hingenommen und in der bürgerlichen Presse, im Vorwärts und von der Regierung mit moralischen Betrachtungen kommentiert. Von dem geschichtlichen Hintergrund der Ereignisse weiß die Vossische Zeitung kein Wort zu sagen. Ganz oberflächlich versucht sie, aus dem »Temperament« der Ermordeten den Ausbruch der Kämpfe zu erklären, wobei noch ein Seitenhieb auf Liebknechts mangelnde Geistesgaben abfällt. Mit erhobenem Zeigefinger, aber doch mit schlecht verhohlener Befriedigung registriert die Vossische, daß das "Volk« selbst seine großen Führer »gerichtet« habe. Man glaubte gern an diese Version, die die beste Rechtfertigung für die Niederknüppelung der Spartakisten geliefert hätte. Vossische Zeitung, 16. J anuar 1919: Richter Lynch. Das Ende, das die bei den Führer der Spartakusbewegung Kar! Liebknecht und Rosa Luxemburg gefunden haben, erweckt zunäch'st, über jede andere Erwägung hinaus, rein menschlich den stärksten gefühlsmäßigen Widerwillen. Keine noch so berechtigte Empörung des Volkes gegen die Urheber der letzten traurigen Ereignisse vermag eine Lynchjustiz zu rechtfertigen, wie sie an Liebknecht wenigstens versucht, an Rosa Luxemburg aber in der abstoßendsten und fürchterlichsten Grausamkeit verübt worden ist. Gle ichgültig, wen dieses Verfahren betroffen hat, dennoch muß man sich von seinen Einzelheiten sch·audernd abwenden und im Namen der Menschlichkeit dagegen protestieren. Kar! Liebknecht und Rosa Luxemburg haben auf das denkbar schwerste gesündigt. Aber über ihre Strafe durfte nur ein ordnungsmäßiges Gericht entscheiden. Seine Aufgabe wäre es gewesen, sie für die Zukunft unschädlich zu machen, nicht aber grau-
same Rache an ihnen zu nehmen. Dieses Gericht würde bei seinem Spruch nicht außer Acht gelassen haben, daß Liebknecht, im Gegensatz zu vielen seiner angeblichen Anhänger, ein Idealist gewesen ist, der an die Heiligkeit seiner Mission geglaubt hat, daß er nicht erst seit heute und gestern wohl auch unter dem Zwang der Erinnerung an seinen größeren Vater sich Aufgaben zugemutet hat, denen zwar seine zähe Willenskraft, nicht aber die Höhe und Stärke seines Geistes gewachsen war. Auch Rosa Luxemburg verdient nicht als gemeine Verbrechernatur abgetan zu werden. Sie hat ungewöhnliche geistige Qualitäten besessen, in weit höherem Maße als Liebknecht; sie war eine Frau von ernster wissenschaftlicher Bedeutung; und es wird nie ganz zu verstehen sein, daß sie sich bei solcher Veranlagung von ihrem allzu heftigen Gefühlsleben auf die Bahn verderblichen Irrsinns fortreißen lassen konnte. [ ...] Es ist nicht zu verkennen, daß an den beiden terroristischen Führern eine Art Volksgericht vollstreckt worden ist. Nicht Haß gegen ihre Personen, sondern gegen die von ihnen geführte Bewegung hat ihr Ende herbeigeführt. Der Spartakus-Schrecken hat durch diese Tat seine furchtbarste Ablehnung von Seiten des Volkes erfahren.
In einer Rede in Kassel diffamierte Scheidemann die Toten als Spießgesellen von Verbrechern und als Wahnsinnige, gegen die man im Interesse der Arbeiterklasse zur Notwehr habe greifen müssen. Vorwärts, 17. Januar 1919: Eine Rede Scheidemanns. Zum Tode Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Man hat die schrecklichen Ereignisse, die wir in Berlin in den letzten Tagen durchlebten, einen Bruderkrieg genannt. Ich kann die Berechtigung dieses Ausdruckes nur teilweise anerkennen. Verbrecher und Plünderer sind nicht meine Brüder. Der Kampf gegen das gemeine Verbrecherturn, das Geldschränke knackt und Kaufleuten mit vorgehaltener Pistole Geld und Waren wegnimmt, ist keine politische Angelegenheit. Sie hat nichts zu tun mit den inneren Auseinandersetzungen der Arbeiterbewegung. Die deutschen Arbeiter sind Sozialisten, aber keine Straßenräuber. Die Scharen von Spartakus sind ein seltsames Gemisch. An ihrer Spitze stehen und standen zum Teil Personen, die von einer politischen Wahnidee verblendet sind und waren.
Ich sage ausdrücklich waren, denn die Nachrichten vom Tode Liebknechts und der Frau Luxemburg sind richtig. Einzelheiten kenne ich noch nicht. Ich bedauere den Tod der beiden aufrichtig und aus gutem Grunde. Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie sind nun selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden. Bei Frau Luxemburg, einer hochbegabten Russin, ist mir der Fanatismus begreiflich, nicht aber bei Liebknecht, dem Sohne Wilhelm Liebknechts, den wir alle verehrten und noch verehren. Sein Sohn, der nunmehr tote Karl Liebknecht, hat sich leider vollkommen in die russisch-terroristische Taktik einspannen lassen. Sozialdemokraten waren Liebknecht und Frau Luxemburg längst nicht mehr, denn den Sozialdemokraten sind die Gesetze der Demokratie heilig, gegen die sich jene auflehnten. Jener Auflehnung wegen und weil sich neben irrgeleiteten Arbeitern auch das wüsteste Verbrechergesindel an ihre Fersen geheftet hat, mußten und müssen wir sie bekämpfen. Wenn mein wahnsinniger Bruder die Flinte auf mich anlegt, so kann ich, wenn es (um) mich allein geht, mich erschießen lassen, um sein Blut zu schonen, aber wenn ich im Begriffe bin, mich in ein brennendes Haus zu stürzen, um Weib und Kind zu retten, und der wahnsinnige Bruder legt dann auf mich an, dann hilft nichts mehr, dann muß ich mich gegen ihn zur Wehr setzen, denn dann geht es nicht mehr um mich, sondern um viele andere. So aber lagen die Dinge. Wir sind ein geschlagenes Volk und kämpfen mit moralischen Waffen, denn andere haben wir nicht mehr, um einen gerechten Frieden. Wenn wir jetzt in Anarchie versinken, wenn wir jetzt durch den Willen Rußlands und der Spartakisten in einen neuen Krieg gehetzt würden, dann bräche auch das Letzte zusammen. Darum haben wir uns gewehrt, mußten wir uns wehren, und darum bedeutet die Niederwerfung des Spartakusaufstandes für unser Volk, ganz besonders auch für die Arbeiterklasse, einen Akt der Rettung, den zu vollbringen wir vor unserem Volk und vor der Geschich-te verpflichtet waren.
An der brutalen Offenheit, mit der die Tägliche Rundschau ihre Gesinnung enthüllte, nahm der Vorwärts Anstoß.
Vorwärts, 17. Januar 1919: Selbst den Tod respektieren sie nicht. Der »Täglichen Rundschau« blieb es vorbehalten, selbst die Toten noch zu beleidigen. In Deutschland gehörte der Respekt vor dem Tode bisher zu den einfachsten Anstandsregeln. Vor dem Tode senkt man die Waffen. Anders die »Tägliche Rundschau «. Sie schreibt zum Tode Liebknechts und Luxemburgs: »Blut schrie nach Blut! Das Blutbad, das Liebknecht und Rosa Luxemburg angerichtet, verlangt Sühne. Sie ist schnell eingetreten und war bei der Rosa Luxemburg grausam aber gerecht. Man schlug die Galizierin tot. Der Volkszorn, übermächtig und ungeheuerlich geworden, verlangte die Rache. « Gegenüber solch ekelhaften Sudeleien des »deutsch-nationalen« Blattes sind doch die verächtlichsten Spartakistentaten noch-grundanständige Handlungen.
Eine Erklärung der Reichsregierung zum Mord an Liebknecht und Rosa Luxemburg wurde vom Vorwärts kommentarlos abgedruckt, während die Freiheit sie in folgender Verpackung brachte: Freiheit, 17. Januar 1919: Die Schuldigen! Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind von feigen Meuchelmördern ermordet. Die Bravos, die die Regierung Ebert-Scheidemann-Noske gegen die Berliner Arbeiter aufgerufen, haben das fluchwürdige Verbrechen begangen. [ ... ] Diejenigen aber, die all diese dunklen Instinkte wachgerufen, und die bürgerliche Bestie mit Waffen aufgerüstet haben, die eigentlichen und wahren Urheber dieses Verbrechens, die Mamelucken der Regierung Ebert-Scheidemann, besitzen die unbeschreibliche Kühnheit, folgendes amtlich zu verkünden: »Die Regierung hat über die Umstände, die zum gewaltsamen Tode Dr. Rosa Luxemburgs und Dr. Karl Liebknechts geführt haben, die strengste Untersuchung angeordnet. Die beiden Getöteten hatten sich zweifellos schwer am deutschen Volke vergangen (!), sie hatten jedoch ebenso zweifellos Anspruch auf Recht, das Schuldige bestraft, aber auch sie vor Unrecht schützt. Ein Akt der Lynchjustiz, wie er an Rosa Luxemburg begangen worden zu sein scheint(!), schändet das deutsche
43
Volk, und jeder, auf welcher Seite er auch politisch stehen mag, wird ihn sittlich verdammen . Ist im Fall Luxemburg das Gesetz offenbar verletzt worden, so bedarf es auch im Fall Liebknecht noch der Aufklärung(!), ob hier nach gesetzlichen Vorschriften gehandelt worden ist. Sollten sie verletzt worden sein, so müßte auch hier in der schärfsten Weise eingegriffen werden. Die traurigen Vorgänge der letzten Wochen zeigen leider, wie tief infolge des Krieges die sittliche Verrohung eingerissen ist und wie wenig das Menschenleben geachtet wird. Es ist Zeit, daß auf allen Seiten die Besinnung wiederkehrt, wenn nicht blinder Fanatismus alle si ttlichen und materiellen Werte unseres Volkslebens vernichten soll.« Die amtliche Publizis tik, die reich ist an ekelhaften Erzeugnissen, dürfte kaum ein so widerliches Gemisch von Verlogenheit, Heuchelei und Rührseligkeit aufweisen, wie diese Kundgebung der Regierung Ebert-Scheidemann. Sie, die den Mord von Liebknecht und Luxemburg auf dem Gewissen hat, wagt es, vor den Leichen der Ermordeten von ihrer Schuld am deutsdl'en Volk zu sprechen. Sie, die die Mörder aufgerufen und aufgerüstet hat, wagt es, sie sittlich zu verdammen.
Schon in ihrer Abendausgabe vom 17. Januar brachte die Freiheit eine Kritik der Amtlichen Darstellung und die ersten Augenzeugenberichte. Freiheit, 17. Januar 1919: Nach dem Mord die Lügen! Die Verwischung der Spuren. Wir wollen es gleich deutlich sagen: die Untersuchung über die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs betrachten wir als eine freche Verhöhnung. Eine nichtswürdige Zumutung ist es, die Untersuchung einem Kriegs»gericht« zu übertragen, das natürlich nur die Wahrheit zu verhüllen und zu verwirren trachten wird. Aber auch zu irgendeinem Gericht, das diese Regierung einsetzt, haben wir nicht das geringste Vertrauen. Diese Regierun g ist willkürlicher, gesetzloser als je irgend eine Regierun g [ ... ]. Zudem ist sie gegenüber den Offizieren und der übri gen Reaktion, die sie bewaffnet hat, machtlos, auf deren Wohlmeinung angewiesen. [ ... ] Die Verdrehung und Vertuschung ist schon in vollem Gange. Wir 44
erklären, wir halten die amtliche Darstellung für vollkommen erlogen, mit Absicht und wider besseres Wissen erlogen. Nur ein paar Punkte: Liebknecht wurde bekanntlich unmittelbar nach der Verhaftung im Auto schwer verletzt. Es ist fast sicher, daß dies durch einen Kolbenschhg geschehen ist, das heißt durch einen Regierungssoldaten. Er war schwer verletzt. Dann fuhr das Auto in den Tiergarten und da gab es an einer an diesem Tage sehr wenig frequentierten Stelle eine Panne. Angeblich sollte die Reparatur längere Zeit in Anspruch nehmen . Das Selbstverständliche wäre, falls die Angabe wahr sein sollte, gewesen, einen Begleitmann um ein Auto zu schicken. Das Selbstverständliche geschah nicht. Der Schwerverletzte sollte zu Fuß weitergehen. Es ist klar, daß das sehr unpraktisch war, abgesehen von der Grausamkeit, denn er war ja dann schwerer zu bewachen [ ... ] und der Zug konnte größtes Aufsehen erregen, was doch zu vermeiden war. Deshalb glauben wir von der ganzen Erzählung von dem Fluchtversuch kein Wort . Daß sie nicht wahr ist, beweist auch die Tatsache, daß Liebknecht von vorn erschossen worden ist . ..... ' Ebenso erlogen ist die amtliche Darstellung über die Ermordung Rosa Luxemburgs. Es ist ganz lächerlich, daß die Soldaten nicht imstande gewesen sein sollten, sie zu schützen, eine dumme Ausrede ist die Erzählung von der angeblichen Kriegslist, von dem Mann, der mit der Pistole auf das Auto gesprungen sei und die Bewußtlose niederschoß. [ ... ] Vollkommen unglaubwürdig ist vor allem die Behauptung, daß die Leiche von einer Volksmenge verschleppt und seither unauffindbar sei. Einmal handelt eine Volksmenge nicht so. Sie schändet die Leiche, trampelt vielleicht auf ihr herum, läßt sie aber liegen. Hätte sie sie aber weggeschleppt, so mußten doch Leute der Begleitmannschaft da hinterher laufen, also wissen, was mit der Leiche geschah. Die ganze Erzählung ist eben ein Märchen. Die Leiche ist verschleppt worden von denen, die ein Interesse hatten, die Spuren ihrer Tat zu verwischen, von den wirklichen Mördern. Und die sind aller Wahrscheinlichkeit neben der Bewußtlosen im Auto gesessen. Und nun ein neues Beweisstück, das wir erhielten, nachdem das Obige geschrieben war. Ein Augenzeuge, ein Gast des Hotels, der nicht zur Partei gehört, schreibt uns aus dem Eden-Hotel: »Die Darstellung von der Ermordung des Dr. Liebknecht und der I
Diese Behauptung ist durch die Obduktion nicht bestätigt worden (d. Hsg.).
45
Rosa Luxemburg ist absolut unzutreffend, die beiden sind vorm Hotel gemeinem Mord durch die Soldaten zum Opfer gefallen. Offiziere haben die Soldaten ermuntert. Liebknecht ist mit dem Gewehrkolben beim Einsteigen ins Auto niedergeschlagen worden und brach beim zweiten Schlag sofort vollständig zusammen. Von einer versammelten Menge vorm Hotel kann keine Rede sein, es war vollständig abgesperrt. Als ich zehn Minuten vor der ersten Katastrophe gegen 1/ 2 I I Uhr ins Hotel gehen wollte, fragte ich einen der Ausweis verlangenden Posten, was denn eigentlich los sei, worauf er mir mitteilte, man habe Liebknecht gefangen eingebracht und es sei beabsichtigt, ihn totzuschlagen. Ich nahm an, daß die Soldaten zum Schutze gegen den Mob das Hotel abgesperrt hätten; daß ich im Hotel Eden mit gemeinen Mordbuben unter einem Dach wohnen muß, [ ... ] ist mir ein entsetzlicher Gedanke. Bitte, helfen Sie der Wahrheit zum Durchbruch; nicht die Menge, die Soldaten des Regiments Reinhard sind die Mörder.« Nach dem Mord die Lüge! Wir aber fordern Wahrheit! Sie kann nur festgestellt werden durch eine besondere Untersuchungskommission mit außerordentlichen Vollmachten, der Vertreter der unabhängigen und kommunistischen Partei angehören [ ... ]. Weitere Augenzeugenberichte, die sich zwar in Einzelheiten widersprechen, aber immer wieder die Tatsache des geplanten Mordes hervorheben, folgten.
worden, daß Liebknedlt und Rosa Luxemburg auf das Scheußlichste von den Soldaten mißhandelt worden seien. Liebknecht habe in der Notwehr den Soldaten in die Hand gebissen. Liebknecht wurde mit Fäusten und Gewehrkolben so zugerichtet, daß er zusammenbrach. Dann wurde er fortgeschleppt und im Auto erschossen. Ein Soldat rühmte sich dessen offen vor dem Personal des EdenHotels. Er erklärte, er habe sich nicht erst die Mühe nehmen wollen, Liebknecht in Moabit einzuliefern, und außerdem habe er verhindern wollen, daß Liebknecht von Moabit wieder entlassen würde. Genossin Luxemburg wurde nach der Aussage des Personals ebenfalls auf das fürchterlichste mißhandelt, mit Fäusten und Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen, bis sie zusammenbrach. Ob sie ohnmächtig gewesen oder bereits totgeschlagen, konnte das Personal nicht feststellen. Von den Soldaten sei sie dann im Flur herumgeschleift worden, und schließlich auf das vor dem Hause haltende Auto geworfen und dann vom Chauffeur, nach dessen Aussage, in den Kanal geworfen. Einer der beteiligten Soldaten besaß die unglaubliche Gefühlsroheit, einen Schuh der Genossin Luxemburg, der bei dem Umherschleifen im Flur ihr vom Fuß gefallen war, in der Küche des EdenHotels auszubieten. Um die übertragung der Untersuchung an ein Militärgericht entspann sich in den Spalten der Freiheit und des Vorwärts eine heftige Kontroverse.
Freiheit, 18. Januar, abends: Freiheit, 18. Januar 1919 (Morgenausgabe): Neue Beweise für den Meuchelmord. [ ... ] Zwei zuverlässige Zeugen haben ehrenwörtlich das Folgende ausgesagt: Die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs ist nicht vom Publikum, sondern von den Soldaten unter Anführung von Offizieren erfolgt. Von einer Volksmenge vor dem Hotel zur Zeit der Abführung Liebknechts und Rosa Luxemburgs konnte keine Rede sein. Das gesamte Personal des Eden-Hotels wird, wenn es eidlich vernommen wird, dieses aussagen müssen. Der Direktor des EdenHotels kam am Mittag nach der Ermordung mit der »B.Z. « zu dem Personal, las ihm den Bericht vor und erklärte dazu: So haben sich die Dinge zugetragen! Daß Ihrs wißt! Ober alles andere habt ihr den Mund zu halten. Von dem Personal de~ Eden-Hotels ist ausgesagt
Der Mord und die Mörder! Die Regierung bleibt dabei, die Untersuchung einem Kriegsgericht zu übertragen. Amtlich wird mitgeteilt: »Um in Sachen des Todes Karl Liebknechts die Schuldfrage zu klären, ist vom Gerichtsherrn der Kriegsgerichtsrat Kurtzig bestimmt worden, der Fall der Frau Rosa Luxemburg soll im Interesse der Beschleunigung von einem anderen Kriegsgericht behandelt werden. Die Reichsregierung hat angeregt, daß in beiden Fällen der Vollzugsrat wie der Zentralrat je ein Mitglied damit betrauen sollen, an der Untersuchung mitzuwirken und zwar hat sie dem Vollzugsrat empfohlen, für diese Aufgabe nach Möglichkeit ein Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratie zu bestimmen. Daraufhin hat der Zentralrat für
47
die Untersuchung im Falle Liebknecht sein Mitglied Hermann Müller, der Vollzugsrat sein Mitglied Wegmann delegiert. Für die Untersuchung im Falle der Frau Luxemburg sollen die Vertrauensleute noch bestimmt werden.« Diese Hinzuziehung zweier Delegierter ist absolut unzulänglich. Wir fordern nochmals eine besondere Untersuchungskommission [ ... ]. Vorwärts, 18. Januar 1919: Die Untersuchung. Die "Freiheit « hetzt und verleumdet. Wie wir schon gestern mitteilten, ist von der Regierung die strengste Untersuchung der Fälle Liebknecht und Luxemburg angeordnet. Mit der Durchführung dieser Anordnung ist Genosse Landsberg, der Jurist in der Reichsleitung, speziell beauftragt. Ferner soll je ein Mitglied des Zentral rats und des Vollzugsrats an der Untersuchung beteiligt werden in der Weise, daß auch ein Vertreter der Unabhängigen Partei mitwirkt und vollen Einblick in das Material erhält. [ ... ] Diese Anordnungen waren bereits getroffen, als die »Freiheit « einen Artikel losließ, in dem sie erklärte: ,.Wir sind überzeugt, daß die Ebert, Scheidemann, Noske, Landsberg aus persönlichem und Fraktionsinteresse alles daran setzen werden, um die Wahrheit zu vertu schen.« Die »Freiheit « schöpft ihre »überzeugungen« aus dem unerschöpflichen Born ihrer schmutzigen Gesinnung. Sie benutzt den traurigen Fall einfach dazu, um in ekelerregender Weise mit wahnwitzigen Verleumdungen gegen die Mehrheitspartei und ihre Vertreter in der Regierung zu hetzen. Sie zweifelt die persönliche Rechtschaffenheit dieser Männer an, denen sie zumutet, sie könnten den Meuchelmord unter Regierungsschutz stellen! Man kann zu der schändlichen Hetze des Organs der USP [ ...] nur sagen: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die uns haßten, haben wohl gewußt, warum sie für die Unabhängigen nur Verachtung übrig hatten! Wie voreilig die verleumderischen Ausstreuungen der »Freiheit« sind, geht weiter aus der Tatsache hervor, daß auch Haase vollen Einblick in das Untersuchungsmaterial erhalten wird. Mit der Führung der Untersuchung ist Kriegsgerichtsrat Kurtzig betraut, zu dem Haase gestern sagte: »Wir kennen uns ja. Ich habe zu Ihrer Objektivität das vollste Vertrauen.« Damit ist die edle »F reihcit « erkannt und gerichtet [ ... ].
Die Freiheit antwortete am 19. Januar 1919: Ein merkwürdiges Verfahren. Der» Vorwärts« wagt es, im üblen Polizei jargon von einer »Hetzc« der »Freiheit « zu sprechen, weil wir Garantien für cine wirkliche Ermittlung der Wahrheit verlangen. Er beruft sich darauf, daß je ein Mitglied des Zentalrats und des Vollzugsrats zur Untersuchung des Kriegsgerichts hin zugezogen seien und Haase die Objektivität des mit der Untersuchung beauftragten Kriegsgerichtsrats anerkannt habe. Dazu können wir mittcilen: Der Kricgsgerichtsrat Kurtzig, dcm der Gcnosse Haase das Bestreben nach Objektivität gestern bescheinigte, hat die Untersuchung in dem Verfahren wegen Ermordung Kar! Liebknechts nicht mehr in seiner Hand. Die Führung der Untersuchung ist auf den Kriegsgerichtsrat Jorns übergegangen. Entgegen der »am tlichen « Notiz in unserer gestrigen Morgenausgabe wird ferner von dem Kriegsgerichtsrat nur ein Mitglied des Vollzugsrats zugelassen, da das kürzlich veröffentlichte Gesetz diese Bestimmungen enthält. Das Mitglied des Zentralrats Hermann Müller ist nach dieser Erklärung bereits gestern schon wieder zurückgetrc ten. [ ... ]
Freiheit, 19. J an uar 1919: Ein Protest der Familie. Gcnosse Theodor Liebknccht, der Bruder des Ermordeten, schreibt uns: Trotz unseres Widerspruchs hat die »sozialdemokratische« Regierung die Untersuchun g wege n der Ermordung meines Bruders Kar! und der Genossin Rosa Luxemburg der Militärbehörde übertragen. Namens der Familie erhebe ich hiergegen vor der Offentlichkeit schärfstcn Protest. Es ist ein Verbrechen des Militarismus, das hier zur Anklage steht, und jede Militärbehörde ist deshalb Partei! Wir fordern um deswillen, daß der Militärbehörde die Untersuchung unter allen Umständen aus den Händen genommen wird. Und wir fordern weiter ihre übertragung an eine aus den revolutionären sozialistischkommunistischen Parteien gebildete Sonderkommission, die allein den wirklichen Hergang klarstellen kann. Wenn die Reichsregierung sich für ihr ablehnendes Verhalten auf das bestehende formale Recht bezieht, so vergißt sie, daß bei ihr und dem Zentralrat jetzt die oberste gesetzgebende Gewalt ruht. Und sie vergißt weiter, daß die Beseiti-
49
gung der Militärjustiz eme der ältesten Forderungen der Sozialdemokratie ist. [ ... ] Th. Liebknecht.
12. Februar eine detaillierte Darstellung der Vorgänge in der Mordnacht, die um so sensationeller wirkte, als der mit allen Vollmachten ausgestattete Untersuchungsrichter »gar nichts« hatte in Erfahrung bringen können.
Ein Schreiben des Rechtsanwalts und früheren Volksbeauftragten (USPD) Bugo Baase 'Vom 23.1. 1919 an den Untersuchungs/ührer, Kriegsgerichtsrat forns t :
Rote Fahne,
Am 15. Januar cr. hielt ein Automobil ca. 25 bis 30 Meter von der Lichtenstein-Brücke nach der Cornelius-Brücke hin gerechnet. Ihm entstiegen etwa 6 Soldaten, unter denen sich mindestens ein Offizier befand, der einen Pelzkragen trug und eine weiße Armbinde hatte. Ober das Gesträuch warfen die Soldaten einen menschlichen Körper mit Frauenhaar in den Kanal. Dieser Vorgang kann der Wache an der Lichtenstein-Brücke nicht entgangen sein. Soweit ich ermittelt habe, stand das Kommando der Wache unter dem Hauptmann Weller, der sich zu der angegebenen Zeit - es war etwa 10 Minuten vor 12 Uhr nachts - auf der Brücke befand. Der Leutnant und die Mannschaften der Wache müssen mit Leichtigkeit festgestellt werden können. Die Wache wurde bald darauf um 12 Uhr nachts abgelöst. Im Wachtlokal selbst - Eingang Zoologischer Garten - ist der Vorfall Gegenstand vertraulicher Gespräche gewesen. Diese Tatsachen widerlegen die phantastische, von vornherein unglaubliche Erzählung, daß Frau Dr. Luxemburg von dem Publikum den Begleitmannschaften während der Fahrt aus dem Wagen entrissen worden ist. Die Begleitmannschaften sind dringend verdächtig, ihren Tod herbeigeführt und die Leiche beseitigt zu haben. Ihre sofortige Verhaftung und Trennung von einander zur Vermeidung weiterer Verdunklungsgefahr ist danach notwendig. Die Vernehmung des Hauptmanns Weller und desjenigen Leutnants, der an der Lichtenstein-Brücke Wache hatte, wird zur Klärung des Sachverhalts wesentlich beitragen. Gemäß § 195 der MiI.StGO. erscheint die Beeidigung der Zeugen als Mittel einer wahrheitsgetreuen Aussage über eine entscheidende Tatsache erforderlich. [ ... ]
Nachdem die Untersuchung in Sachen Liebknecht - Luxemburg fast völlig zum Erliegen gekommen war, brachte die Rote 1 Zit. nach dem Urteil der IV. großen Strafkammer des Land gerichts III in Berlin vom 30. 1. 1931 (LAB Rcp. 58. Nr. 59. Bd. V).
Fahne am
12.
Februar 1919:
Der Mord an Liebknecht und Luxemburg. Die Tat und die Täter. Vier Wochen sind vergangen, seit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet worden sind . Vier Wochen sind vergangen, seit eine Untersuchung im Gange ist, die nicht vorwärts geht. Vier Wochen, daß untersucht wird, mit keinem andern Erfolg, als daß immer weiter verdunkelt wird. [ ... ] Wir haben, seit wir wieder die Möglichkeit haben zu reden, zu reden versucht. Wir haben versucht, das Gericht, das die» Untersuchung führt«, zu seiner Pflicht zu bringen. Das war vergebens. Wir hatten keinen anderen Erfolg, als daß die Garde-Kavallerie-Schützen-Division eine Mitteilung brachte, die unwahr war. Und weiter den Erfolg, daß unser verantwortlicher Redakteur als Zeuge geladen wurde, um festzustellen, wer uns .Material geliefert« habe. Die Suche nach dem Mörder scheint dem Gericht weniger wichtig als die nach den vermeintlichen Indiskretionen. Wir haben versucht, das große Schweigen zu brechen [ ...]. Hier ist ein Mord begangen von weltgeschichtlicher Bedeutung [ ... ], und die Presse schweigt. So wollen wir reden [ ... ]. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind am Abend des 15. Januar 1919 in das Eden-Hotel beim Stabe der Garde-Kavallerie-SchützenDivision eingeliefert worden. Sie waren von der Wilmersdorfer Bürgerwehr unter Führung zweier Mitglieder, Lindner und Mehring, festgenommen worden . Die Festnahme war ein Rechtsbruch. Es bestand kein Haftbefehl. Selbst wenn sie verhaftet wurden, mußten sie nach den gesetzlichen Vorschriften der Polizei übergeben werden. [ ... ] Sie hatten auf dem Stabsquartier nichts zu suchen und das Stabsquartier kein Recht, sich mit ihnen zu befassen. Was hat die Wilmersdorfer Bürgerwehr veranlaßt, die Verhafteten nach dem Stabsquartier zu bringen? Es besteht der dringende Verdacht, daß Lindner und Mehring Mitwisser des Mordplanes gewesen sind.
Sind sie es nicht gewesen, hat das Stabsquartier sie veranlaßt, die Inhaftierten dorthin zu bringen, so ist das ein Beweis dafür, daß von Anfang an der Divisionsstab die Absicht hatte, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in die Hand zu bekommen, um sie [ ... ] zu ermorden. Karl Liebknecht ist am selben Abend gegen 9 Uhr, Rosa Luxemburg etwa eine halbe Stunde später im Eden-Hotel [ ... ] eingeliefert worden. Rosa Luxemburg ist bereits beim Eintritt ins Hotel beschimpft worden. Ein Hauptmann hat sich besonders hervorgetan. Er war es, der zuerst die geplante Tat verkündete. Er erklärte in der Halle des Hotels: »Den bei den wird heute Abend das Maul gestopft.« Karl Liebknecht wurde gegen halb elf vom Hotel weggebradlt. Er sollte, wie man erklärte, nach Moabit gebracht werden. Er wurde begleitet von dem Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Harttung, dem Leutnant Stiege, dem Leutnant Liepmann, dem Leutnant von Rittgen, dem Leutnant zur See Schulze, dem Leutnant Heinz von PflugkHarttung (einem Bruder des Kapitänleutnants) und dem Jäger Clemens Friedrich. Die sämtlichen waren schwer bewaffnet, trugen Handgranaten und entsicherte Pistolen, die Liebknecht gezeigt wurden. Zu derselben Zeit standen als Doppelposten vor dem Hotel die Jäger zu Pferde Runge und Träger. Gegenüber dem Hotel hielt ein Automobil, dessen Führer ein Chauffeur namens Göttinger war, nebst einem Beifahrer. Diese vier haben die Ausführu~g des Mordplanes besprochen. Sie besprachen, die zwei dürften nicht lebendig aus dem Hotel [ ... ]. Man dürfe sie nicht erschießen, das mache zuviel Lärm [ ... ], man müsse sie mit dem Kolben erledigen. [ ... ] Sie haben den Mordplan ins Einzelne f~stgelegt. Bis auf Runge hat das Gericht noch gegen keinen eine Hand gerührt. Karl Liebknecht kam aus dem Hotel. Er wurde nicht aus dem Hauptausgang [ ... ] geführt, sondern durch ' einen Nebenausgang. [ ... ] Runge lief um das Hotel und schlug dem bereits im Auto sitzenden Liebknecht zweimal mit dem Kolben auf den Kopf. Liebknecht sank halb bewußtlos zusammen. Auf der Straße war kein Mensch! Nur ein paar Soldaten. Die Offiziere standen und saßen um Liebknecht herum. Keiner hat nach dem ersten Schhg den zweiten zu verhindern versucht, keiner hat dem Mörder gewehrt, keiner auch nur ein Wort der Mahnung an ihn gerichtet. Das Automobil fuhr nicht den Weg nach Moabit. Es fuhr den Neuen See entlang in der Richtung nach der Charlottenburger Chaussee.
Wir behaupten, daß vom ersten Augenblick an die Absicht bei den transportierenden Offizieren bestand, Liebknecht zu ermorden, und wir folgern das aus diesen Tatsachen: 1. Sie ließen das Automobil ohne wichtigen Gru nd diesen nahezu unbeleuchteten Umweg fahren. 2. Sie haben die Lüge erfunden, daß das Automobil unterwegs eine Panne erlitten habe. Daß das alles eine Lüge ist, ergibt sich daraus, daß das Automobil sofort nach der Erschießung Liebknechts wieder gebraud1sfertig war. 3. Diese erlogene Panne trat ein genau in dem Augenblick, in dem das Automobil sich an einem völlig unbeleuchteten Nebenweg befand, also gerade an dem Punkt, den die Mörder für ihre Tat brauchten. 4. Sie haben die Lüge erfunden, Liebknecht habe einen Fluchtversuch gemacht. Daß dieser Fludltversuch erlogen ist, ergibt sich daraus: a. daß Liebknecht nach dem erlittenen schweren Schlag auf den Kopf kaum mehr im Stande war zu gehen, er war so benommen, daß selbst die Mörder ihn fragten, ob er noch gehen könne, b. daß auch nur der Gedanke an die Flucht eine Unmöglichkeit war, in Anbetracht dessen, daß zwei Mann vor, zwei Mann neben und drei Mann hinter Liebknecht gingen, schwer bewaffnet, mit entsicherten Pistolen und Handgranaten, wie Liebknecht wußte, c. daß jeder, der Liebknecht kannte, wußte, daß er noch nie sich einem Prozeß entzogen und an nichts auf der Welt weniger dachte als an Flucht. d. Sie haben nach der Tat Liebknechts »unbekannte Leiche« bei der Rettungsstation eingeliefert, sie haben also versucht, die Spuren der Tat zu ve rwischen. Der, wie hiernach festgestellt, geplante Mord vollzog sich in der Weise, daß das Automobil an der genannten Stelle, von der ein völlig unbeleuchteter Fußweg abging, hielt, daß Liebknecht in diesen Fußweg hineingeführt und nach etwa zwanzig Schritt aus allernächster Nähe erschossen wurde. Den ersten Schuß gab der Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung ab. Das ist der Vorgang des einen Mordes. Dann sollte Rosa Luxemburg abtransportiert werden. Derselbe Soldat Runge, der soeben den Mordversuch an Karl Liebknecht begangen, kehrte wieder auf seinen Posten zurück. Niemand wehrte ihm. Er stand bereit zu neuem Werk. Rosa Luxemburg kam die Haupttreppe des Hotels herab und schritt durch den Hauptausgang.
53
Dicht hinter ihr ging der Oberleutnant Vogel, der den Transport führen sollte. Vor der Drehtür standen Runge und Träger. Als sie durch die Drehtür schritt, drehte Runge das Gewehr um und schlug ihr auf den Kopf. Sie sank um. Runge schlug ein zweites Mal auf den Kopf. Von einem dritten Schlag sah er ab, weil er sie für tot hielt. Der Oberleutnant Vogel muß die Schläge bemerkt haben, denn sie wurden sogar im Innern des Hotels gehört. Er hat nichts dagegen getan. Es war ihm gleichgültig, daß Runge das Geschäft des Mordes ihm abnahm. Denn Runges Tat entsprach seinem, Vogels, Plan. Man schob die Leblose in den Wagen, rechts und links ein Mann, darunter Vogel. Der Wagen fuhr an. Ein Mann sprang noch hinten auf und schlug die schon Leblose noch mit einem harten Gegenstand, etwa einer Pistole, auf den Kopf. Der Oberleutnant Vogel hat unterwegs der Leblosen alsdann die Pistole gegen die Schläfe gehalten, ihr noch einmal eine Kugel durch den Kopf gejagt. Man fuhr mit der Toten zwischen Landwehrkanal und Zoologischem Garten entlang. Auf der Straße war kein Mensch. Nur am Ausgang des Zoologischen Gartens gegen den Landwehrkanal stand eine Gruppe Soldaten. Das Auto hielt, die Soldaten nahmen die Leiche in Empfang, und wohin sie sie gebracht haben, das war bis heute nicht zu ermitteln. Es ist eine bewußte Lüge, wenn behauptet wird, die Leiche sei von der »Menge« oder von »Anhängern« aus dem Wagen gerissen worden. Das Auto fuhr ja einen Weg, auf dem [ ... ] es kein Mensch erwarten konnte, es sei denn solche, die dahin bestellt waren. Es müssen die Leute, die dort waren, von denen, die den Mord planten, hinbestellt worden sein. Rosa Luxemburg hatte, als sie leblos ins Auto gezerrt wurde, einen Schuh verloren. Dieser Schuh wurde von Soldaten als Trophäe im Eden-Hotel herumgezeigt. Die Mordgesellschaft hat sich am Tage danach fotografieren lassen. Der Haupttäter, Runge, ist im Mittelpunkt der Photographie [ ... ] . Das sind festgestellte Tatsachen. Wir klagen an: Den Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung und seine Begleiter des Mordes an Karl Liebknecht. Den Oberleutnant Vogel des Mordes an Rosa Luxemburg. 54
Die Jäger Runge, Träger und Göttinger des Mordversuch-es, Mordes und der Beihilfe dazu. Den Hauptmann Pabst der Begünstigung der Mörder: er hat bereits am selben Tage Kenntnis von dem Morde erhalten und pflichtwidrig die erforderlichen Maßnahmen unterlassen. Den Hauptmann Petry der Anstiftung zum Morde: Er hat die Mörder durch Aufforderungen wie: »der Kerl lebt noch «, »schlagt den Hund tot «, angestiftet. Den Hoteldirektor Ott vom Eden-Hotel der Begünstigung und der Verleitung zum Meineid. Er hat am Tage nach dem Morde die von dem Dr. Grabowski, dem »Pressechef« des Stabes geschriebene und erfundene Darstellung von dem Morde, deren Unwahrheit dem Ott [ ... ] bekannt sein mußte, dem Hotelpersonal vorgelesen zu dem Zwecke, es von der Aussage der Wahrheit abzuhalten. Das sind die Tatsachen, [ ... ] die auch dem Gericht bekannt sein müssen. Es hat daraufhin nichts getan [ ... ]. Es hat keinen Haftbefehl erlassen, weder das Militärgericht, noch die Staatsanwaltsch·aft. Nichts ist geschehen. Gegen Runge hat man Haftbefehl erlassen, als Runge in Sicherheit war. Man hat ihn schon, sofort nach dem Morde, »verschoben«, indem man ihn schon von seinem Regiment zum Husarenregiment Nr. 8 versetzte. Nun ist er wohl »unauffindbar« [ ... ]. Wir glauben für heute genügend gesprochen zu haben. Unserer beider Führer Blut schreit zum Himmel. Die Militärgerichte stehen tatenlos. Die Ebert-Scheidemann hören nichts. Sie glauben, man könne die Wahrheit totschweigen. Sie glauben, man könne vertuschen. Es ist noch nie Blut vergossen worden, das lauter geschrieen hätte. Die Proletarier werden ihr Urteil sprechen über die Mörder und ihre Helfershelfer. Und wir werden weiter reden zum deutschen Proletariat: »Die Wahrheit muß herfür! «
Drei Tage später veröffentlichte die Rote Fahne eine Denkschrifl: der zur Untersuchung hinzugezogenen Mitglieder des Vollzugs- und Zentralrats (Wegmann, Rusch und Struve), in der sie ihren Austritt aus der Untersuchungskommission bekanntgaben. Als Begründung führten sie an, daß die Reichsregierung hartnäckig die Einsetzung einer Sonderkommission verweigert 55
und das Verfahren beim Militärgericht belassen habe, und daß von J orns die Verhaftung der Verdächtigen trotz Verdunkelungs- und Fluchtgefahr nicht zu erreichen war. Die Regierung aber stellte sich weiterhin vor das Militärgericht un.d ,:erschanzte sich in ihrer Ohnmacht hinter dem Legalitätspnnzlp.
Freiheit, I9. Februar I9I9: Ein Triumph der Meuchelmörder. Bankrott der deutschen Justi z. In der gestrigen Morgennummer des »Vorwärts « sind Kußerungen des preußischen Justi zmin isters Wolfgang Heine zum Falle LiebknechtLuxemburg veröffentlicht, die den schmählichen Bankrott der obersten Justi zbehörde grell kennzeichnen. Danach erscheint die Verschleppung der Untersuchu ng nicht als eine Folge der Sabotage der Militärbehörden, sondern als Folge - der Teilnahme der Vertreter des Vollzugsrats und des Zentralrats an der Untersuchungskommission, denen allein es zu verdanken ist, daß die öffentlichkeit wenigstens einen Teil der Wahrheit in diesem Justizskandal erfahren hat. Mit kaum zu überbietender Naivität bekennt Herr Heine, daß die oberste Justizbehörde den Meuchelmördern und den sie schü tzenden Militärbehörden machtlos gegenübersteht. Trotzdem gegen einen der Mörder, den Jäger Runge, ein Haftbefehl erlassen wurde, ist er - zu seinem Truppenteil entlassen worden und unterwegs desertiert. Weshalb die angeschuldigten Offiziere und übrigen Teilnehmer des Meuchelmordes noch immer auf freiem Fuße sidl befinden, übergeht der »Wahrheitssucher« Heine mit rührender Bescheidenheit. Der Hauptpunkt seine r Argumentation besteht darin, daß die preußische Justizbehörde auf das Verfahren wegen der Ermordung Liebknechts gar keinen Einfluß nehmen könne, »weil hier von vornherein feststand, daß nur eine militärische Untersuchung eröffnet werden konnte «. Warum stand das von vornherein fest? Was hinderte die Regierung, die im vollsten Besitz der gesetzgebenden Macht war, das Verfahren von vornherein dem ordentlichen Gericht zu übergeben? Was hinderte sie [ ... ] in diesem Fall eine besondere Kommission mit den Rechten eines Untersuchungsrichters einzusetzen [ ...]? Auf alle diese Fragen gibt Herr Heine keine Antwort. Immerhin gab auch Herr Heine zu, daß im Falle Luxemburg eine zivilrechtliche Untersuchung notwendig sei. Dagegen macht eine Kundgebung in der offiziösen »Deutschen Allgemeinen Zeitung« auch
mit diese r Angelegenheit kurzen Prozeß. Es heißt in dieser Veröffentlichung [ ...] : " Wie wir hören, gedenkt das preußische Justizministerium dem Verlangen der Vertrauensleute der Angehörigen der Rosa Luxemburg und Liebknechts nach einem Sondergericht nicht nachzugeben. Es sei ein unbedingtes Gebot, gerade in diesen Zeiten die Grundlagen unseres Rechtswesens nicht zu erschüttern. Die Untersuchung gegen Leutnant Vogel wegen ungenügender Bewachung seines Häftlings nimmt ihren Verlauf. Die Ermittlungen waren außerordentlich schwierig, da es zunächst nicht möglich war, wegen Fehlens von Wachtbüchern, die in Frage kommenden Soldaten festzustellen. In den nächsten Tagen soll ein Taucher den ganzen Landwehrkanal [ .. .] absuchen. Bisher waren soldle Versuche wegen des Frostes unmöglich. Im Falle Liebknecht ist das Verfahren gegen die betreffenden Offiziere eingestellt worden. Es ist zur Zeit auf einem toten Punkt angelangt, über den es nicht hinwegkommen wird und kann. Ob das vorliegende Material ausreicht zur Erhebung einer Anklage wegen Meuchelmordes hat allein das Gericht zu entscheiden. In unterrichteten Kreisen ist man der Ansicht, daß jedes Geschworenengericht notgedrungen zu einem Freispruch gelangen müßte, wenn nicht im Verlauf des Prozesses durch irgendeinen Zwischenfall, etwa durch ein Geständnis oder durch Hinzutreten neuer Zeugen neue Momente sich ergäben. Diese Aussicht ist aber nadl Lage der Dinge gleich Null. « Das ist klipp und klar das Eingeständnis der vollsten Kapitulation [ ... ] vor dem Offiziersgericht im Eden-Hotel. Es sind in der Denkschrift [ ... ] die schwersten Anklagen gegen eine Anzahl Offiziere und andere Militärchargen [ ... ] erhoben worden. Das Regierungsblatt erklärt indes, das Verfahren [ ... ] sei auf einem »tOten Punkt« angelangt, über den es »nicht hin wegkommen wird und kann «. D as Gericht allein, also das Offiziersgericht im Eden-Hotel, habe zu entscheiden, ob Anklage wegen Meuchelmordes erhoben werden könne. Selbst vor dem Geschworenengericht müßten die Angeklagten freigesprochen werden, wenn nicht durch irgendeinen Zwischenfall, »etwa durch ein Geständnis ~, neue Momente sich ergäben. Jetzt weiß man wenigstens, weshalb die Untersuchung unbedingt in den Händen des Offiziersgerichts bleiben muß [ ... ]. Offener und ungeschickter sind noch nie die Hintergründe eines Verbrechens aufgedeckt worden. [ ... ]
57
Trotz den amtlichen Bagatellisierungsversuchen setzten die Veröffentlichungen in der Roten Fahne das Militärgericht so unter Druck, daß Kriegsgerichtsrat Jorns eine gewisse Aktivität zu entfalten begann: Oberleutnant Vogel muß, durch Augenzeugen überführt, zugeben, daß er die Leiche in den Kanal geworfen und sich dann mit seinen Begleitern darüber geeinigt hat, wie sie die Sache darstellen wollten. Zwei Tage später wird er verhaftet, zunächst nur wegen Transportvergehens, und erst am 22. ergeht ein Haftbefehl wegen Mordes. Am 27. Februar werden auch die übrigen Offiziere der Mannschaften der beiden Transportkommandos festgesetzt. Alle treffen sich im Moabiter Zellengefängnis wieder, wo sie in ständigem Kontakt miteinander stehen. Nun fehlt nur noch Runge, auf den die Rote Fahne am 26. Februar mit folgender Glosse hinweist: Der verschwundene Runge. Herr Jorns! Bei ihrer eifrigen Aufklärungstätigkeit in Sachen Liebknecht-Luxemburg ist Ihnen zufällig der Mörder Runge aus den Augen gekommen. Falls es Ihnen noch nicht bekannt ist, teilen wir Ihnen mit, daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß Sie ihn im Husarenregiment Nr. 8, 5. Eskadron [ ... ] finden werden - falls Sie gelegentlich Zeit finden, ihn zu suchen. Für das dem Mörder freundlich geneigte Publikum die Mitteilung, daß Geldsendungen an den Mörder nicht mehr nötig sind: Mit 120000 Mark reicht einer ganz hübsch lange.
Trotz solchen Hinweisen konnte Runge erst Mitte April dingfest gemacht und den übrigen Beschuldigten zugesellt werden.
Der Prozeß vor dem Feldkriegsgericht
Aus dem Prozeßbericht der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 8. Mai 1919 (Abend-Ausgabe): Im Schwurgerichtssaale des Landgerichts I hat heute vormittag um 9 Uhr der Prozeß gegen den Husaren Runge und Genossen begonnen. Runge wird beschuldigt, im Januar vor dem Eden-Hotel Frau Rosa Luxemburg vor ihrem Abtransport nach Moabit durch Kolbenhiebe schwer verletzt und so ihren Tod herbeigeführt zu haben. Unter Anklage stehen weiter Kapitän leutnant Horst von Pflugk-Harttung, Oberleutnant zur See Ulrich Rittgen, Oberleutnant zur See Heinrich Stiege, Leutnant zur See Bruno Schulze und Leutnant d. R. Rudolf Liepmann, denen vorsätzliche Tötung Liebknechts, und schließlich Oberleutnant Vogel, dem die Tötung Rosa Luxemburgs zur Last gelegt wird. Das Kriminalgericht war seit heute früh 8 Uhr abgesperrt. Starke Patrouillen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division hielten alle Eingänge besetzt und auf der Straße standen starke Patrouillen, um etwaige Ansammlungen zu verhindern. Der ganze Ostflügel des Landgerichts I war von Truppen besetzt. Die neben dem Schwurgerichtssaalliegenden Warteräume waren für die Zeugen und Zeuginnen bestimmt, die sich dort einer Waffenrevision unterwerfen mußten. Ebenso wurden die zu den Verhandlungen zugelassenen Zuhörer und Pressevertreter auf Waffen untersucht. Hunderte von Personen suchten vergeblich Einlaß zu erlangen. Für Einlaßkarten wurden 4 bis 5000 M von Engländern und Amerikanern geboten. Der Schwurgerichtssaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Man sah Vertreter fast aller Reichsbehörden. Kurz vor 9 Uhr erschienen Mitglieder des Feldkriegsgerichts im Saal. Den Vorsitz übernahm Kriegsgerichtsrat Ehrhardt. Als Beisitzer fungierten Kriegsgerichtsrat Meyer, Kapitänleutnant Canaris, Offiziersstellvertreter Ernst und Kürassier Chimilewski; die letzteren Drei waren vom Korpsvertrauensrat der Garde-Schützen-Kavallerie gewählt. Die Anklage vertrat Kriegsge richtsrat Jorn s, der lange Jahre bei der Schutztruppe in China und Deutsch-Südwestafrika gekämpft hat. [ ... ]
59
Freiheit, 8. Mai 1919:
AUSZÜGE AUS DEM VERHANDLUNGSPROTOKOLL DES FELDKRIEGSGERICHTS'.
Der Beginn des Liebknechtprozesses. [ ... ] Kurz nach 9 Uhr erscheinen die Angeklagten. Sie werden nicht auf dem üblichen Weg zur Anklagebank gebracht, sondern durchschreiten vom Richterzimmer aus den Saal. Sie kommen lachend und strahlend daher, die Brust mit Orden geschmückt, und es hat cher den Anschein, als ob sie zu einem Hochzeitsfest schreiten als auf die Anklagebank, um sich dort wegen eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu verantworten. Auch auf der Anklagebank legen die Angeklagten ein entsprechendes Betragen zur Schau. Man sieht der militaristisch-feudalen Gesellschaft nicht an, daß sie während der Untersuchungshaft irgendwelche Not gelitten hat. Nur der Jäger Run ge paßt äußerlich nicht unter die Angeklagten. Er hat ein grobes, ungepflegtes Aussehen. [ ... ]
I .
Aus der Vernehmung des Angeklagten Runge>:
[ ... ] E Angeklagter, sagen Sie einmal, ist an Sie niemand herangetreten, daß Sie dem Liebknecht oder der Luxemburg irgend etwas tun sollen? Von keiner Seite, auch nicht von militärischer Seite? Sie haben lediglich auf Grund eigenen Entschlusses gehandelt, weil Sie eine persönliche Wut auf Dr. Liebknecht und die Frau Luxemburg hatten? A Ich bin von keinem Vorgese tzten oder Offizier beeinflußt worden oder begünstigt worden. E Sie haben auch kein Geld bekommen? Es ist Ihnen auch nichts versprochen worden? A Nein, nichts. [ ...] Aus der Vernehmung des Angeklagten Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung 3:
2.
[ ... ] Da wurde das Auto klar gemeldet. Ich brach den Disput ab und forderte Dr. Kar! Liebknecht auf, zu folgen. Da sagte Pabst noch: Also: Sie wissen, wie wichtig Ihr Transport ist, Sie kennen Ihre Pflicht und Ihre Verantwortung. E Vielleicht hat Herr Hauptmann Pabst darauf hingewiesen: Sie 1 Hauptverhandlung in der Strafsache wegen Ermordung von Dr. Kar! Liebknecht und Rosa Luxemburg vor dem Fcldkriegsgericht des Garde-Kavallerie-(Schützen)-Korps am 8.,9.,10.,12., '3. und '4. Mai '9'9 im großen Schwurgerichtssaal des Kriminalgerichts zu Berlin; Stenogramm des Parlamentsredakteurs Adolf Kuntze ; Band 1-7 (maschinenschriftlich) . (IML, ZPA St 8"9; Band 7 - Urteil - auch: LAB, Rep.58, Nr. 75). - Die Abkürzungen der Namen bedeuten: E = Kriegsgerichtsrat Ehrhardt; A Angeklagter; 1 = Kriegsgerichtsrat lorns, Vertreter der Anklage; Z = Zeuge; G = Grünspach, Verteidiger; R = Runge 2 A.a.O., BI. 30. 3 A.a.O., BI. 51, 52, 53, 58, 60,62,92.
6r
A
E A
E A
A
E A E A E
E A E
A
haben die für die Festnahme von Gefangenen geltende Dienstvorsmrift zu beamten. Das kann im nimt sagen. Das war nimt notwendig. Wenn im 10 Jahre Soldat bin, weiß im, was im zu tun habe. Im bin genau instruiert. Sie sind über die Vorsmriften wegen Waffengebraumcs orientiert. Draußen war eine furmtbare Erregung. Alle Leute drängten sim vor und wollten den Herrn sehen. Wir mußten einen Augenblick auf dem Absatz vor dem Saal warten. In diesem Augenblick wies ich Dr. Liebknecht meine Pistole und sagte, im würde bei Fluchtversum sofort smießen. Er nickte. Er erwiderte nimts darauf? Nein. Es ist auch möglim, daß er etwas gesagt hat, das weiß ich nicht, weil idl meine Aufmerksamkeit auf das Platzmamen rimtete. [... ] Ich weise den Vorwurf, der mir gemamt wird, auf das energismste zurück. Kein WOrt irgendeiner Verabredung ist gefallen. Im hatte dazu überhaupt keine Gelegenheit. Der Waffengebraum ist nach den Bestimmungen, die mir bekannt waren und die ich jetzt nom einmal durm gesehen habe, vollkommen beremtigt, ganz abgesehen von den Folgen, die ein eventuelles Entspringen, eine eventuelle Rückgriffnahme nimt bloß für mim persönlim, sondern für die Allgemeinheit haben konnte. Im habe nimts weiter zu sagen. Ich habe nom versmiedene Fragen bezüglim des Kolbensmlages. Für wie schwer haben Sie die Verletzung gehalten? Für sehr leimt. Denn er beugte sich vorn herüber, faßte mit der Hand drauf und sagte: Es blutet ja. Er soll gesagt haben: Ich bin gesmlagen. Im weiß es nimt. Sie sind nimt auf den Gedanken gekommen, ihn verbinden zu lassen? Sie haben gedamt, erst entledigen Sie sim Ihres Auftrages? [ ... ] Die anderen Angeklagten sagen, sie haben ihn für ziemlich smwam gehalten. Leutnant Stiege hat ihn gestützt. Mir ist nimts aufgefallen. Während der Fahrt hat er sim wieder erholt. Ihnen lag daran, Dr. Liebknemt möglimst smnell ins Untersumungsgefängnis zu bringen. Vorher smon haben Sie die Panne gehabt. Jawohl. [ ... ]
E Warum haben Sie, als Sie namher im Auto drinsaßen und mit Dr. Liebknemt losfuhren, Umwege gemamt? A Das habe im erklärt: Die Verhaftung war mehrere Stunden vorher. Ich mußte mit einer Gegenwirkung remnen. Wenn die Gegenpartei Wind bekommen hätte, mußte sie wissen, daß er nach Moabit geführt würde. [ ... ] J Dann hat der Angeklagte gesagt, er hätte mit einer Gegenwirkung von Spartakisten-Anhängern geremnet. Darf im fragen, wo er diesen überfall und dergleimen vermutete. A Im Tiergarten . ]. Aus der Vernehmung des Angeklagten Oberleutnant von Rittgen l
:
E Angeklagter Oberleutnant von Rittgen, wollen Sie sich zu der Ihnen zur Last gelegten Straftat äußern. A Im sm ließe mim den Ausführungen des Herrn Kapitänleutnants von Pflugk-Harttung an, ich habe weiter nimts dazu zu bemerken. [ ... ] .J Idl bitte, den Angeklagten zu fragen, weshalb er gcsmossen hat. A Weil der Führer gesmossen hat. Weil es selbstverständlim war. Es wurde Liebknemt darauf aufmerksam gemamt. J Sie haben dom nimt gewußt, daß der Führer gesmossen hat. A Erstens ist im Eden-Hotel in meinem Beisein die Waffe gezeigt worden und es wurde gesagt, es wird gesmossen beim Flumtversum, und wenn geschossen wird, und der Führer smießt, so schieße ich eben auch. [ ... ] A Von dem Moment im Eden-Hotel an stand klar in meiner Absimt fest: Wenn Flumtversum gemamt wird, wird gesmossen. [ ... ] A Als im in das Hotel kam, standen wir vor dem Eingang, und da wurde uns gesagt: Hier warten! Dort standen eine Menge Soldaten, im weiß nimt, ob Zivilisten dabei waren. Die sagten: Da oben ist Liebknemt. Einer sagte: Hier geht er weg, hier kommt er nimt lebendig vorbei, hier wird er ersmossen. Im sagte nom zu dem Betreffenden: Mamt eum nimt un glücklim, mamt keine Dummheiten. Ihr braumt keine Angst zu haben, wenn wir ihn transportieren, wir lassen ihn smon nicht laufen. I
A.a.O., BI. 92, 96, 98, 99.
4. Aus der Vernehmung des Angeklagten Liepmann ' : [ ... ] Ich stieg als erster ein und hatte meinen Platz auf der rechten Ecke des Wagens auf dem Rücksitz. Dann stieg Liebknecht ein, dann wieder ein Offizier. So saßen wir zu dreien auf dem Rücksitz eingeklemmt. In dem Augenblick wurde von hinten auf Liebknecht geschlagen. Es war selbstverständlich unmöglich, da wir zu dreien saßen, aufzustehen und einzugreifen. Liebknecht bewegte sich nach rechts herunter und griff mit beiden Händen nach der Wunde auf dem Kopf. Er blutete etwas. Das Blut lief über das Gesicht und tropfte auf meine Hose. In dem Augenblick, wo das Auto anfuhr, richtete er sich wieder auf, sah nach seinen Händen und sagte: »Blutet stark«. Um die Straßen, durch die wir gefahren sind, habe ich mich gar nicht gekümmert, da ich jetzt wußte, daß der Führer allein die Verantwortung für die Fahrtrichtung usw. trägt. Am Neuen See stoppte das Auto.
E Als Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung Dr. Liebknecht gefragt hat, ob er imstande wäre, zur Charlottenburger Chaussee zu gehen, hat da Dr. Liebknecht nichts gesagt? A Jawohl, er sagte wohl: »Wenn es denn sein muß!« oder so etwas.
5· Aus der Vernehmung des Angeklagten Hauptmann von PflugkHarttung ' : [ ... ] E Angeklagter Hauptmann von Pflugk-Harttung, wollen Sie sich einmal äußern. A Ich weise die Anklage aufs schärfste zurück. Ich bekam von Hauptmann Pabst den Auftrag, meinen Bruder mit einer Mannschaft zu holen, um Dr. Liebknecht wegzubringen [ ... ].
[ ... ] Als wir fertig waren, kam ein Mann und sagte: Liebknecht wird nicht zum Hauptportal, sondern aus der Kurfürstenstraße hinausgebracht. Wir fuhren hinüber, es war eine große Menschenmenge, auf den Dächern standen sie herum, an den Fenstern standen sie herum. Ich habe noch nie ein solches Schimpfen aus vollem Herzen gehört, wie da. Ich bedauerte, daß ich Begleitmann war.
[ ... ] E Wieviel Schuß haben Sie denn abgegeben? A Ich glaube, einen. Es ist auch möglich, daß es zwe i waren. Die Sache hat sich in Sekunden abgespielt. E Wohin haben Sie gezielt? A Ich habe gezielt, um zu treffen. Büchsenlicht war nicht mehr, es war ein Bruchteil von Sekunden. Ich habe darauf gehalten. E Sie haben auf den Rücken gehalten. Also ein feines Ziel war nicht möglich. Sie haben aber Grobziel auf den Rücken angeschlagen. A Angeschlagen, ja wohl. E Und gleich nach Ihrem Schuß ist Liebknecht gefallen? A Jawohl. E Wie weit war er da von Ihnen entfernt, als Sie schossen? A Ich habe da früher immer nur Schätzungen gemacht, indem ich auch bei den Vernehmungen angab: Ungefähr so weit von mir bis zu einem bestimmten Gegenstand, und danach ist ins Protokoll so und so viel Meter aufgenommen worden. E Schätzen Sie einmal hier! A Ich würde bis zur vorderen Kante des runden Tisches nehmen. E Auf wieviel Meter würden Sie das schätzen? A Das würde ich auf 5 Meter schätzen. I
A.a.O., BI. 123 f., 126 f., 130.
6. Aus der Vernehmung des Angeklagten Vogel>: [ ... ] Ich ging dann hinauf zu dem ersten Stock und holte Frau Luxemburg ab. Es können nur wenige Augenblicke gewesen sein, bis wir unten hinunter kamen. Sie hat noch ihre Sachen geordnet, dann habe ich ihr noch in den Mantel geholfen. [ ... ] Kurz bevor wir aus der Halle herauskamen, trat ich zur Seite und sagte: Bitte geradeaus in den Wagen! Beim Heraustreten aus der Drehtür - die Drehtür war aufgeklappt, es war also ein schmaler Gang - erhielt Frau Luxemburg von einem Soldaten mit Stahlhelm zwei Schläge auf den Kopf. Sie stürzte zu Boden, und ich eilte von hinten heran, um die Gefallene wieder aufzuheben. Mit Hilfe meiner Begleitleute wurde sie nun in den Wagen gelegt.
I
2
A.a.O., BI. 143, 144. A.a.O., BI. 153.
7. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Strassmann über die Verletzungen Liebknechts I: Weiter (fanden wir) eine Platzwunde auf der Höhe des Kopfes, die lag nach unserer Annahme 5 cm links vom Scheitel und war etwa 4 cm lang. Es war eine Schlagwunde, wie sie durch stumpfe Gewalt zu entstehen pflegt, wie sie sehr wohl durch einen Kolbenschlag bewirkt sein kann. [ ... ] Dann fanden sich drei Schußverletzungen, und zwar: eine am Kopf und zwei am Rumpf. Es handelt sich durchweg um Durchschüsse, nirgends war die Kugel im Körper geblieben, da überall ein durchgehender Schußkanal mit zwei entsprechenden Offnungen, Einschuß- und Ausschußöffnung, vorhanden war. 8. Aus der Vernehmung des Zeugen Hauptmann Pabst' : Zeuge Hauptmann Waldemar Pabst, 38 Jahre alt, mit keinem der Angeklagten verwandt oder verschwägert, wegen Verletzung der Eidespflicht nicht vorbestraft E Bitte, wollen Sie sich zur Sache äußern? Z An dem fraglichen Januartage, die Stunde kann ich nicht mehr genau angeben, wurde von Angehörigen der Wilmersdorfer Bürgerwehr, die uns damals militärisch unterstellt war, eine Persönlichkeit angebracht, von der die Bürgerwehr angab: dies sei Dr. Karl Liebknecht. Nach den bei uns vorliegenden Bildern stimmte das auch. Die betreffende vorläufig festgenommene Persönlichkeit bestritt, Dr. Karl Liebknecht zu sein und ist auch bis zum Schluß meines Wissens - ich habe die letzten Verhandlungen nicht mehr mitgemacht - beim Bestreiten dieser Tatsache geblieben. Ich bat den Betreffenden, in dem Nebenzimmer - es sind zwei Zimmer: das eine war für mich als Chef des Stabes, im anderen arbeiteten die anderen Herren - Platz zu nehmen und meldete meiner vorgesetzten Dienststelle die Festnahme der betreffenden Persönlichkeit - das war die Abteilung Lüttwitz - und teilte gleichzeitig mit, daß die Division, damals noch das jetzige GardekavallerieSchützenkorps, beabsichtige, die betreffende Persönlichkeit den bürgerlichen Behörden zuzuführen, und zwar in das Untersuchungsgefängnis in Moabit. Dann befahl ich einem der Offiziere 1 A.a.O., BI. 167. 2 A.a.O., BI. 183, 195 f., 197, 198,212 .
66
von den Nachtdiensthabenden [ ... ], den Führer der Marine-Stabswache, Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung mit einem Begleitkommando zu holen [ ... ] und die betreffende Persönlichkeit nach Moabit zu bringen. [ ... ] Der Transport war weg; es hat, wie gesagt, ziemlich lange gedauert. Dann kamen wieder Angehörige der Wilmersdorfer Bürgerwehr und brachten eine Dame und gaben an, das sei Frau Rosa Luxemburg, die sie in demselben Hause festgenommen haben wollten. [ ... ] Ich fragte: Sind Sie Frau Rosa Luxemburg? Darauf sagte sie: Entscheiden Sie bitte selber. Da sagte ich: Nach dem Bilde müßten Sie es sein. Darauf entgegnete sie: Wenn Sie es sagen. Ich war also genau so schlau, wie vorher. Ich befahl nun, - ich weiß nicht, ob ich dem Oberleutnant Vogel direkt oder durch einen anderen Offizier den Befehl gegeben habe - Frau Rosa Luxemburg nach Moabit zu bringen. [ ... ] über die weiteren Vorkommnisse unten vor dem Hotel vermag ich keinerlei Auskunft zu geben, denn ich habe weiter auf meinem Arbeitszimmer gesessen und gearbeitet. Nachdem dann Frau Rosa Luxemburg bereits abtransportiert war, kam der Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung und meldete mir, daß Dr. Karl Liebknecht im Tiergarten einen Fluchtversudl unternommen habe, und daß er bei dem Fluduversuch ersdlOssen worden sei. Die Leiche sei in die Rettungsstation am Zoologischen Garten gebracht worden, er habe dort auf der Station nicht gemeldet, daß es sich um Dr. Karl Liebknecht handele. Ich meldete darauf später meiner vorgesetzten Dienststelle diesen Vorgang und benachrichtigte meinen Kommandeur [ ...] und billigte ausdrücklich die Maßnahme des Kapitänleutnants von Pflugk-Harttung, daß er auf der Unfallstation nicht angegeben habe, um welche Persönlichkeit es sich handele, da die Sensationspresse ja sonst nichts Eiligeres zu tun gehabt hätte, als die merkwürdigsten Gerüchte in die Welt zu setzen. [ ... ] Gleich nachdem Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung die Meldung gemacht hatte, kam Oberleutnant Vogel und meldete mir, Frau Luxemburg sei auf der Fahrt aus dem Wagen gerissen und verschleppt worden, er wisse nicht wohin. Bei dieser Darstellung ist er mir gegenüber auch geblieben. Auch diesen Vorfall meldete ich an meine vorgesetzte Dienststelle.
E Von den Kolbenschlägen hat der Oberleutnant Vogel damals nichts gesagt? Z Nein. E Er hat auch nichts von einem Schuß gesagt? Z Doch. Es sei geschossen worden, hat er gesagt. E Auch, daß die Frau Luxemburg getroffen wurde? Z Daß sie getroffen worden ist, hat er mir auch gesagt. E Oder können Sie das nicht genau sagen? Z Das kann ich nicht genau sagen. E Sie haben nun sofort die protokollarische Festlegung der Aussagen der verschiedenen Herren veranlaßt? Z Jawohl. E Und zwar der Herren, die bei dem Transport Liebknechts gewesen waren? Z Die dabei waren, sofern sie mir in der Nacht noch erreichbar waren. Es ging bis morgens, ich glaube 6 oder 112 7 Uhr, bis das Protokoll fertig war. E Sie haben auch gleich eine Darstellung für die Presse veranlaßt? Sie haben früher angegeben, daß der Grund für Sie der war, eventuellem Gerede die Spitze abzubrechen. Z Wenigstens es so darzustellen, wie sich uns der Sachverhalt nach den Meldungen und Angaben der betreffenden Persönlichkeiten ergab.
...
[ ] G Ich habe gehört, daß es dem Herrn Zeugen bekannt war, daß sein Bursche die Kolbenhiebe, die gegen Frau Rosa Luxemburg gerichtet worden sind, gesehen haben soll. Ist das richtig? Z Mein Bursche hat mir seinerzeit angegeben, er wäre Zeuge der Kolbenhiebe des Jägers Runge gewesen und er habe den Eindruck gehabt, daß sie absolut tödlich gewesen wären. E Das hat er Ihnen gesagt? Z Ich möchte den Weg dieser Ji.ußerung an mich gen au charakterisieren: Ich pflege mich mit meinem Burschen über derartige Dinge nicht zu unterhalten. Er hat es meiner Frau gesagt und meine Frau hat es mir gestern gesagt, als die erste Verhandlung bekannt wurde.
9. Aus der Vernehmung des Zeugen Souchon t : [ ... ] Zeuge Leutnant Souchon, 24 Jahre alt, evangelisch, mit keinem der Angeklagten verwandt oder verschwägert, wegen Verletzung der Eidespflicht nicht vorbestraft. (Nach einer einleitenden Erörterung über die Gründe der Abwesenheit des Zeugen am Vortage:) E Herr Leutnant, ich weise Sie auf die Bedeutung des Zeugeneides hin. Sie müssen Ihre Aussage beschwören. Sie rufen dabei Gott zum Zeugen der Wahrheit und zum Rächer der Unwahrheit an. Sie stehen heute vor Gericht. Es gibt für Sie keinerlei politische Rücksichtnahme, keine Erwägungen der Zweckmäßigkeit und keine Rücksicht auf irgend einen Kameraden oder Vorgesetzten. Vor Gericht entscheidet lediglich die Wahrheit, von der Sie sich audl nicht um Haaresbreite entfernen dürfen; denn Sie müssen Ihre Aussage beschwören, Sie dürfen nichts verschweigen und dürfen nichts hinzusetzen. Die vorsätzliche Abgabe einer falschen Bekundung wird als Meineid mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft. Nun wollen Sie sich, nachdem ich Ihnen das vorgehalten habe, zur Sache einmal äußern. Sie waren also auch zu dem Transport Liebknechts ursprünglich vorgesehen? Z Ja. Ich saß an dem betreffenden Abend mit Herrn Kapitänleutnant von Pflugk-Harttung beim Abendbrot, als Kapitänleutnant v. Pflugk-Harttung herausgerufen wurde und dann zu mir hereinkam und mir befahl, sofort eine Patrouille für eine Unternehmung zusammenzustellen. Daraufhin machte ich ihm mehrere Herren namhaft und rüstete uns aus, ging in ein draußen bereitstehendes Auto und wurde ins Eden-Hotel gefahren. Im EdenHotel mußten wir zunächst im Vestibül warten, wurden dann oben im ersten Stock vor den sogenannten kleinen Salon geführt und erfuhren dort im Hotel du rch das aufgeregte Gebaren der dortigen Hotelgäste und des ganzen Personals, daß Dr. Liebknecht verhaftet war und sich im Eden-Hotel befand.
[ ... ] Der Transport ging wie angeordnet vonstatten. Dabei machte das Publikum Bemerkungen. Ich erinnere mich, daß ein Oberkellner, der sich an mir vorbeidrängen wollte, von mir ewe Ohrfeige bekam. I
68
A.a.O., BI. ur f. , 224,
226.
E Z E Z
E Z E Z E Z 10.
[ ... ] Eine Bemerkung, die fiel, habe ich in Erinnerung; die habe ich in meiner Zeugenaussage auch wohl angegeben. Es handelte sich darum: "Was, den Menschen bringt ihr lebendig weg?« "Was, den Kerl laßt ihr wieder weg?« haben Sie früher gesagt. Ja, so ist es auch gewesen. Dann gingen Sie alle ins Auto? Nein, es war so: Die Leute drängten kolossal heran, und wir mußten uns durch die Menge hindurchdrängen. Ich war als letzter Mann hinter Liebknecht und wurde vielleicht, wie ich auf der halben Trottoirbreite war, von der Menge abgetrennt, mußte mich durchzwängen und versuchte, noch auf das Auto hinaufzukommen. Ich karn nicht mehr durch; das Auto fuhr los; ich blieb da. [ ... ] Sie haben das Auto nicht verfolgt? Das Auto fuhr sehr schnell los. Haben Sie dem Auto noch nachgesehen? Ich habe dem Auto noch nachgesehen. Dann müssen Sie doch bemerkt haben, daß noch jemand auf das Auto aufgesprungen ist? Nein, das habe ich nicht gesehen. Ich kann mich nicht erinnern.
Aus der Vernehmung des Zeugen Leutnant Sander t :
[... ] E Nun kommen Sie noch einmal auf einen Vorfall zurück, der sich mit dem Zeugen Stadtrat Grützner abgespielt hat. Z Ich wurde - das Datum kann ich nicht mehr angeben - zum Divisionsstab kommandiert. [ ... ] Ich meldete die übergabe der Wache an den Chef des Stabes, Herrn Hauptmann Pabst; vorher hatte ich sie Herrn Hauptmann v. Pflugk-Harttung gemeldet, weil Herr Hauptmann Pabst nicht da war. Ich erhielt von Hauptmann v. Pflugk-Harttung den Auftrag, dem Oberleutnant Grützner mitzuteilen, daß er mit den Leuten, die die Wache stellten, doch über diesen Fall Rosa Luxemburg-Liebknecht sprechen möchte, um zu sehen, welche Stimmung bei den Leuten herrschte. Ich begab mich zu dem betreffenden Oberleutnant und teilte ihm dies mit. [ ... ]
E Z
E Z
...
E Z E
Z
E Z
...
E I A.a.O., BI. 254 f., 256, 257, 258 f., 260.
Darauf antwortete der Stadtrat Grützner, es fiele ihm gar nicht ein, mit den Leuten darüber zu sprechen. Präzisieren Sie noch einmal genau Ihre Worte, deren Sie sich entsinnen können, die Sie dem Zeugen Grützner gesagt haben. »Herr Grützner, der Hauptmann v. Pflugk-Harttung hat mir aufgetragen, Ihnen mitzuteilen, daß Sie mit den Leuten der Wache noch ab und zu eine Rücksprache über den Fall Rosa LuxemburgLiebknecht pflegen, um auf diese Art und Weise die Stimmung resp. die Meinung über den Fall Rosa Luxemburg-Liebknecht zu hören.« [ ... ] Was sagte der Stadtrat Grützner, der damalige Oberleutnant Grützner? »Es fällt mir gar nicht ein, daß ich mit den Leuten darüber spreche. Ich betrachte es als eine Verleitung zum Meineid.« In dieser Art und Weise antwortete er. Darauf sagte ich ihm: »Aber erlauben Sie, bei dieser Sache ist doch insofern nichts dabei, als lediglich die Stimmung der Leute, ob sie den vielen umherlaufenden Gerüchten Rechnung trägt, erforscht werden soll. Er ließ sich aber nicht darauf ein, und ich begab mich nach oben und meldete das. [ ] Sie haben vorhin gesagt, daß der Hauptmann v. Pflugk-Harttung Ihnen diesen Auftrag gegeben hat. Jawohl. Sie sollten mit dem Nachfolger darüber sprechen. Wie kommt es, daß da ein anderer Name sich eingeschlichen haben soll. Wir werden von dem Zeugen Grützner, dem Sie damals gegenübergestellt worden sind, hören, daß Sie gar nicht den Namen des Hauptmanns v. Pflugk-Harttung gesagt haben, sondern den Namen des Hauptmanns Pabst, des ersten Generalstabsoffiziers. Das ist mir nicht verständlich. Mir ist nur in Erinnerung, daß ich den Namen des Hauptmanns v. Pflugk-Harttung genannt habe. Von dem hatten Sie auch die Weisung? Ich sehe keinen Grund, weshalb ich den Namen des Hauptmanns Pabst gebraucht haben sollte. [ ] Was sagte denn etwa der Hauptmann v. Pflugk-Harttung zu Ihnen?
Z Er sagte es ungefähr in derselben Art und Weise, wie ich midl nachher dem Oberleutnant Grützner gegenüber ausgedrückt habe. E Er sagte vielleicht: Orientieren Sie den Nachfolger, den Wachhabenden, daß er den etwa auftretenden Gerüchten, einer etwaigen Legendenbildung entgegentrete. So dem Sinne nach? Z Jawohl. [ ... ]
Z E Z E
Z I I.
E
Z E
Z E
Z E
J I
Aus der Vernehmung des Zeugen Dreger l
:
[ ... ] Früher haben Sie aber gesagt, er (Runge; d. Hsg.) wollte noch zu einem dritten Schlage ausholen. Da hätte ein Offizier etwas gesagt? Ja, der Offizier war doch dahinter. Der sagte also beim ersten Schlage schon: "Ihr seid wohl verrückt, was macht ihr da? « Das haben Sie aber bei Ihrer früheren Vernehmung anders dargestellt. Nach Ihrer früheren Vernehmung ist das so gewesen, als ob der Offizier das gesagt hat, als der Angeklagte Runge zum dritten Schlage ausgeholt hat. Nein, das hat er beim ersten gesagt. Na, dann werde ich Ihnen das zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses entgegenhalten. Da ist im ersten Bande Blatt 114 ein Protokoll, das ist am 2. Februar 1919 vom KGR Jorns aufgenommen, der hat Sie damals vernommen. Das wissen Sie? Jawohl, das weiß ich. »Als wir hörten, daß Rosa Luxemburg heruntergebracht wurde« - "wir«, damit sind Sie und Runge gemeint - " hatte er schon seinen Karabiner entsichert und die Patronen herausgenommen, da er bemerkte : »Die kommt nicht lebendig heraus. « Nach dem Schlage fiel sie in der Tür rücklings um, ohne einen Laut von sich zu geben. Sie fiel mir mit dem Kopf auf die Knie. Dann gab ihr Runge noch einen Schlag, der sie wohl an der Stirn traf. Er holte noch zu einem dritten Schlage aus, führte ihn aber nicht mehr aus. Ich sagte: "Hör auf, es ist genug.« Es hat niemand versucht, ihn am Schlagen zu verhindern.« [ ... ] Haben Sie irgend wie nach der Geschichte Geld erhalten, sozusagen als Belohnung? A.a.O., BI. 290 f., 30 8 f.
E Z E Z J R
E R E R E R E R E R E R
Nein, ich habe kein Geld ~rhalten. Sie sagen das mit einem gewissen Zögern. Ich möchte fragen: von wem? Von irgend einer Seite, seien es Hotelgäste, selen es ganz unbekannte Personen. Sind Ihnen nach dem Vorfall von irgend einer Seite Zuwendungen gemacht worden, deren Grund Sie sich nicht erklären können? Ich habe sonst gar kein Geld bekommen, außer von Runge 20 Mark. Von Runge haben Sie 20 Mark bekommen. Wann? An dem Abend. Ich bitte das ins Protokoll aufzunehmen. Was hat er dabei gesagt? Er hat dabei gar nichts gesagt. [ ... ] Was sagt der Angeklagte Run ge dazu, daß er dem Zeugen 20 Mark gegeben hat? Der Fall läßt sich aufklären. Die 20 Mark sind Liebesgaben gewesen. Die 50 Mark habe ich schon bekommen, ehe Liebknecht eingeliefert worden ist und von einer Person, die nicht genannt werden wollte, und die ich auch nicht kenne. Die hat mir den Auftrag gegeben, meinem Kameraden 20 Mark abzugeben, was ich getan habe. Es war ein 50-Markschein, den habe ich gewechselt und habe Dreger 20 Mark abgegeben. Das ist eine recht eigenartige Liebesgabe. Wann ist die gegeben worden, vor oder nach der Tat? Vor der Tat. Das wollen Sie behaupten. Was war das für el11e Person? Ein Hotelgast? Nein, ein besserer Herr, ein Zivilist. Da haben Sie das mit dem Dreger geteilt? Mit dem Dreger. Wie kamen Sie dazu, das Geld mit Dreger zu teilen? Weil mir das gesagt wurde und ich gerade mit dem Dreger zusammen war. Wo zusammen? Waren Sie besonders befreundet miteinander? Nein, nicht. Wie kamen Sie gerade dazu, nach der Tat dem Dreger 20 Mark zu geben? Das wurde mir von dem Gast gesagt, der mir die 50 Mark gege-
73
ben hatte, ich sollte ihm 20 oder 25 Mark geben, wie es mir beliebte. Hat er sie denn zuvor gegeben? Jawohl, vor der Einlieferung, da stand ich schon Posten. Sie meinen, der Gast hat es getan, ohne von den früheren Vorgängen zu wissen? Ohne zu wissen. Was haben Sie dem Zeugen Dreger gesagt? Ich habe gesagt, da sind 20 Mark, das sind Liebesgaben, und ich soll dir von dem Gelde etwas abgeben. Da hat er es freudestrahlend genommen. Er hat gesagt, wenn du mir etwas abgeben willst, nehme ich es eben. War das zu der Zeit, wo Sie Posten gestanden haben? Jawohl, wo wir Posten gestanden haben. Stimmt das, Zeuge Dreger? Jawohl, es stimmt. Was stimmt? Hat der Angeklagte Ihnen 20 Mark gegeben und was hat er gesagt? Er hat mir gesagt, daß er das Geld bekommen hat und mit dem andern Posten teilen sollte.
E R E R E R E R E R E Z E Z
I2.
Aus der Vernehmung des Zeugen Edwin v. Rzewuski I
;
[ ... ] Ich bin am 12. Januar 1919 von der Bürgerwehr zum Stabe der Garde-Kavallerie-Schützen-Division als Befehlsempfänger kommandiert worden und kam zum Kommando von Herrn Leutnant Liepmann. Am 15. Januar mittags I Uhr zog ich auf und hielt mich in dem Mannschaftsraum im Cafc auf. Als wir es uns abends gemütlich gemacht hatten, meldete uns ein Soldat, Liebknecht sei verhaftet und befände sich im Vernehmungszimmer. Wir diskutierten über die Lage der Zeit und sprachen, daß die ärgsten Feinde im Inlande seien. Ich habe 7 Jahre an der Front gekämpft, war auf See. - Wir gingen aus Neugierde ins 1. Stockwerk, dort hielten wir uns auf, auch Hotelpersonal. Dann habe ich nur gesehen, wie Dr. Liebknecht nach einer Weile abgeführt wurde. [ ... ] E Sind Sie nicht auf das Auto hinten aufgesprungen und haben Liebknecht geschlagen? I
A.a.O., BI. 3 I9 ff.
74
Z Jawohl! E Sie wollen also auch heute in der Beziehung von Ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen? Z Nein. E Sie sind auf das Auto des Dr. Liebknecht hinaufgesprungen? Wie weit sind Sie mitgefahren? Z Noch keine 10 Meter. E Haben Sie mit der Faust geschlagen oder mit emem Gegenstand? Z Mit der Faust, ich habe keinen Gegenstand in der Hand gehabt. E Wie war es nun beim Auto der Luxemburg? Z Da habe ich keinen Gegenstand in der Hand gehabt, sondern ich bin da heraufgesprungen, ich habe auf Rosa Luxemburg mit der Hand leicht zugeschlagen, als das Auto kurz vor der Kurve war, und bin nachher mit Vizewachtmeister LilienthaI zusammen gewesen. E Sie geben heute zu, daß Sie Frau Luxemburg auch geschlagen haben? Früher haben Sie gesagt, Sie haben sie nur an den Haaren hochgehoben. Wie war der Zustand der Frau Luxemburg? Wie lag sie da, hielten Sie sie für tot, leblos, besinnungslos? Blutete sie? Z Das kann ich nicht sagen, ich habe darauf keine Obacht gegeben. Ich nehme an, daß sie vielleicht durch den Schlag getötet war oder besinnungslos, das kann ich nicht feststellen. E Sie haben aber ihre blutige Faust gezeigt. Z Bei Rosa Luxemburg nicht, aber bei Liebknecht, weil der geblutet hat. Ich hatte einen Blutfleck auf der rechten Hand. E Wie war denn die Stimmung im allgemeinen, war große Aufregung? Z Eine Aufregung, eine kolossale Aufregung, denn es waren noch Menschen draußen vor dem Eingang am Kurfürstendamm, an der Nürnberger Straße vielmehr, und es haben selbst Leute aus dem Publikum gerufen. E War denn da Zivilpublikum? Z Es war einiges Zivilpublikum. E Einige? Wie viel waren es im ganzen, I0-50? Z Ungefähr 20-30. Ich habe mich nicht hingestellt und gezählt. Ich habe nicht gedacht, daß aus der Sache etwas wird. Die Empörung ist so groß, wenn man so lange Soldat gewesen ist und kommt zurück und sieht, wie unsere eigenen Angehörigen behandelt wer-
75
E
G
Z
E
den. Man ist entlassen und muß selber zum Schwert greifen, um diese Leute zu verteidigen. Diese Leute sind es gewesen, die die Sache angestiftet haben. Alle politischen Erwägungen scheiden hier aus, nicht wahr, und ich habe die Bemerkung auf Ihre Erregung hin zugelassen, soweit es zur Richtigstellung des Sachverhalts dient. Verzeihen Sie gütigst: Für die Frage, ob evtl. Mord oder Totschlag vorliegt, ist natürlich von Bedeutung, die Stimmung der Leute kennenzulernen. Ich habe die Leute bisher nicht danach gefragt. Ich habe von diesem Zeugen den Eindruck gewonnen, daß er es wiedergeben kann. Die Politik hat hier nichts zu tun, aber es ist von Bedeutung, die Wirkung der damaligen Unruhen auf die Beteiligten zu schildern. Weiß der Herr Zeuge etwas davon, wie die Offiziere, die hier angeklagt sind, sich bei dem Abtransport Liebknechts benommen haben? Haben sie die andrängende Menge zurückgedrängt oder mit unterstützt? Davon habe ich nichts gesehen. Ich bin ganz ruhig hinausgegangen. Die Situation hat mich dazu verleitet, auf beide einzuschlagen. Die Situation, die Erbitterung der Menge und die Zustände. [ ... ]
E Sie haben etwas Dumpfes aufschlagen hören? Sie selbst standen wo? Z Ich selbst stand beim Portier. E Der Portier hat einen Verschlag, der neben dem Rondell ist, und die Fenster gehen auf die Straße. Von diesem Platz aus haben Sie gesehen, wie die Frau Luxemburg hineingetragen wurde? Z Nein, hinein gezerrt wurde. Sie konnte nicht allein gehen, ich sehe es heute noch, mit einem Arm wurde sie hineingezerrt. E War es roh oder ein Tragen? Z Nein, es war richtig, als wenn sie sie hineingeschmissen hätten. Frau Luxemburg war nicht mehr imstande zu gehen. E Wie fanden Sie dies ganze Verhalten? Z Meiner Ansicht nach war die Tat sehr roh. I4· Zeuge Kellner Max Krupp', '7 Jahre alt, evangelisch, mit keinem der Angeklagten verwandt oder verschwägert, wegen Verletzung der Eidespflicht nicht vorbestraft.
IJ. Aus der Vernehmung der Zeugin Pauline Baumgartner', 33 Jahre alt, katholisch, mit keinem der Angeklagten verwandt oder verschwägert, wegen Verletzung der Eidespflicht nicht vorbestraft. [ ... ]
E Erzählen Sie einmal, was Sie von den Vorfällen wissen! Z Liebknecht sah ich nur ins Hotel herein führen bis zum Fahrstuhl hin, sonst habe ich nichts mehr davon gesehen. Rosa Luxemburg sah ich beim Portier vorbeiführen, geführt von 2 Soldaten, und vor und hinter ihr gingen auch Soldaten. Da trat ich ans Fenster zurück. Da sah ich ein Auto stehen und einen Ring von Soldaten, in das Frau Luxemburg hineingezerrt wurde. Sie wurde auf den Rücksitz gesetzt. Da strömte ihr Blut durch Nase und Mund. Das Auto fuhr dann gleich weg. E Weiter haben Sie nichts gesehen. Sie haben den Schlag in der Drehtür gehört? Z Es war wie ein Schlag. t A.a.O., BI. 327 f.
E Z E Z
E Z E Z I
[ ... ] Ich war damals oben im IH. Stock, da hörte ich, daß Dr. Liebknecht eingeliefert wurde. Ich ging dann hinunter nach dem 1. Stock, um ihn zu sehen. Es war gegen 1/ 2 '0 Uhr, als er abtransportiert wurde. Ich ging dann durch den Haupteingang durch und lief alsdann bis zum Seitenausgang Kurfürstenstraße herum, da wurde ein Spalier gebildet, wo Dr. Liebknecht durchging. Als er sich setzen wollte, bekam er einen Kolbenschlag auf den Kopf. Wer hat ihn ausgeführt? Das weiß ich nicht, es war ein Soldat im Stahlhelm. Das Gesicht haben Sie nicht erkannt? Nein. Als das Auto anruckte, sprang ein Soldat im Pelzmantel auf das Trittbrett und versetzte ihm mit der Hand ein paar Schläge ins Gesicht. Er kam zurück und rühmte sich seiner blutigen Tat. Er zeigte die Hand? Jawohl. Haben Sie das Gesicht von ihm erkannt? Es war der Zeuge Rzewuski. Zeigen Sie einmal, wo er sitzt. Jawohl. A.a.O., BI. 329 f.
77
G Gehen Sie einmal hin. (Zeuge Krupp geht auf den auf der Zeugenbank sitzenden Zeugen v. Rzewuski zu). E Was wissen Sie noch von der Menschenmenge, die vor dem Ausgang stand ? Z Ich habe noch gehört, daß der Hauptmann Petri ausgerufen hat: »Haut das Schwein!« E Sie haben noch gehört, daß Hauptmann Petri ausgerufen hat: »Haut das Schwein«? Z Er hat das so hingesagt, nicht zu einer bestimmten Person. E Er hat es allgemein gesprochen. Haben Sie gesehen, daß einer der Soldaten versucht hat, die Mißhandlungen von Liebknecht abzuhalten? Z Nein. E Einer der Offiziere? Z Nein, ich habe nichts davon gesehen.
Z Der Hauptmann Petri. E Was hat er gesagt? Z Er sprach zu den Umstehenden: »Seht nur zu, daß die nicht lebendig herauskommen oder nicht lebend ins Gefängnis kommen.« I6. Der Anklagevertreter forns beschwert sich über telldenziöse Berichterstattung der ,Freiheit, (Tageszeitung der USPD). Dazu äl~ßert sich der Vorsitzende, KGR Ehrhardt r :
[ ... ] Was die übrigen Ausführungen des Herrn Vertreters der Anklage anbelangt, so muß ich auch mit Bedauern feststellen, daß in den Zeitungsberichten vor abgeschlossener Beweisaufnahme schon Würdigungen von Zeugenaussagen enthalten sind. In der Tat kann ein solches Vorgehen unter Umständen geeignet sein, Richter zu beeinflussen. Wenn in Laienkreisen also die Ansicht bestehen sollte, ein Kriegsgericht wäre ein Militärgericht und hätte nach irgendeiner Richtung hin Rücksicht zu nehmen, 'so ist das ein bedauerlicher Irrtum. Ein Kriegsgericht ist ein Gericht, wie jedes andere Gericht, und steht über allen politischen Parteien. Vor Gericht gibt es keine Politik. Es entscheidet die Wahrheit und das Recht, und kein Richter läßt sich in seinem Empfinden, in seinem Rechtsgefühl durch irgend welche Ausführungen nach irgendeiner Richtung hin beeinflussen, weder in ruhigen Zeiten, noch in ernsten und erregten Zeiten, wie wir sie jetzt haben.
IJ. Aus der Vernehmung des Zeugen Walter Mistelskir, '7 Jahre alt, evangelisch, mit keinem der Angeklagten ve rwandt oder verschwägert, wegen Verletzung der Eidespflicht nicht vorbestraft.
[ ... ] E Nun haben Sie etwas von dem Gespräch der Offiziere gehört. Z Ja, einige Offiziere beklagten sich, daß das so grob und bestialisch gewesen wäre, und ein anderer oder zwei sagten, es wäre sehr gut gewesen oder so was. E Sie sagten: man solle zufrieden sein, daß die Leute um die Ecke gekommen wären, sie hätten der Menschheit genug geschadet. Daß sie um die Ecke gebracht seien oder sei? Z Das weiß ich so genau nicht. E Früher sagten Sie: daß die Leute um die Ecke gekommen selen. Darauf kommt es an, wie ist das gewesen? Z Nein, nur der eine Fall. E Die Kußerung hat sich Ihres Erachtens nur auf den Fall Luxemburg bezogen? Z Ja. E Weiter haben Sie sich nun auch geäußert, daß auch ein Offizier vor dem Abtransport Liebknechts sich ähnlich geäußert habe. Wer war das? I
A.a.O., BI. 345, 347 f.
I7. Aus der Vernehmung des Zeugen Peschel 2 (Fahrer des Liebknecht-Transports):
[ ... ] E Haben Sie unterwegs oder überhaupt irgendeinen der Angeklagten mit jemand anderem darüber sprechen hören, was darauf hat hindeuten können, daß eine Verabredung bezüglich der Panne vorgelegen hat? Z Nein. E Unterwegs? Z Auch nicht. E Haben Sie vielleicht zwei der Angeklagten »quatschen« hören? I
A.a.O., BI. 387.
2
A.a.O., BI. 449.
79
Tags zuvor wären auch 5 Mann der Wache, die sich als unzuverlässig erwiesen hätten, schlicht endassen worden. Ich wurde aus dem Gespräch nicht klar und fragte: "Was meinen Sie eigen dich?« Da wiederholce er mir den Inhalt des Gespräches noch einmal und fügte hinzu: ~Sie wissen doch, was hier im Eden-Hotel passiert ist?« Ich hatte natürlich auch von diesen Vorgängen aus den Zeitungen Kenntnis und wiederholte nun die von mir wiedergegebene Außerung. Daraufhin wurde ich natürlich etwas erregt und sagte ihm sofort: »Sagen Sie dem betreffenden Herrn, der Ihnen den Befehl gegeben hat, daß er durchaus an den Falschen gekommen ist. Ich bin zufällig Jurist, und ich würde, wenn ich eine derartige Handlung begehen würde, mich einfach der Verleitung zum Meineid schuldig machen. Sagen Sie außerdem, daß das eine politische Dummheit erster Güte ist, mir einen derartigen Befehl zu geben. Ich weigere mich, ihn auszuführen. « - Das war im Wesendichen der Inhalt des Gesprächs. Wir sind dann auseinander gegangen.
Z Auch nicht. E Ist Ihnen an dem Verhalcen der Angeklagten irgend etwas Verdächtiges aufgefallen? Z Auch nicht. E Daß man der Ansicht sem konnte, sie wollten Herrn Dr. Liebknecht zu Leibe gehen? Z Auch nicht. E Ich weise Sie darauf hin, daß Sie das Recht haben, auf diese meine letzte Frage Ihr Zeugnis zu verweigern, falls Sie befürchten müssen, sich durch Ihre wahrheitsgemäße Aussage selbst der Gefahr einer strafgerichdichen Verfolgung auszusetzen, da Sie früher im gerichdichen Ermitdungsverfahren nichts gesagt haben. Z Ich gehe nur von dem Gesichtspunkt aus: Ich bin mit Leib und Seele Soldat. Ich habe mich gefreut, daß der Transport vorschriftsmäßig vor sich gegangen ist, wie er vom militärischen Standpunkt aus gemacht werden sollte.
...
18. Alts der Vernehmung des Zeugen Walter Grützner I , 37 Jahre alc,.
[ ]
evangelisch-lutherisch [ ... ].
...
[ ] Ich wurde am rB.Januar-ich gehörte damals dem Jägerregiment 1 zu Pferde an - während der Januar-Unruhen vom Regimentsführer für den Sonntag zu r übernahme der Divisionss tabswache ins Edenhotel abkommandiert. Am Sonntag früh habe ich mich hinbegeben und übernahm zunächst von dem Wachhabenden Leutnant Sander die Wache. Zu diesem Zwecke ging ich mit ihm die Posten ab und ließ mir die sonstigen Sicherheitsmaßnahmen, die im Edenhotel getroffen waren, zeigen. Das dauerte etwa bis 1/ 2 9 Uhr. Zum Schluß gingen wir wieder in das Wachlokal, in das Cafe Eden-Hotel hinunter. Dann nahm mich Herr Leutnant Sander in eine Nische dieses Cafes beiseite und sagte mir in gedämpftem Tone, er hätte im Auftrage - er nannte meines Erinnerns den Namen des Hauptmanns Pabst - mich zu bitten, ich solle auf die Mannschaften einwirken, daß sie günstig aussagten. Außerdem wies er darauf hin, daß sich unter den Mannschaften ungeeignete Elemente befänden. Ich hätte gewissermaßen pIe in pouvoir dafür zu sorgen, daß ungeeignete Elemente herauskämen. I
A.a.O ., BI. 475 f.
80
19. Aus der Vernehmung des Zeugen Willy Grantke I , Jäger zu Pferde, 19 Jahre alc, evangelisch, mit keinem der Angeklagten verwandt oder verschwägert, wegen Verletzung der Eidespflicht nicht vorbestraft. E (beginnt seine Vernehmung) Sie haben nichts gegen emen der Angeklagten? Z Nein. E Hat Ihnen einer etwas getan, Sie schlecht behandelt? Z Nein. E Sie müssen heute die reine Wahrheit sagen, was Sie wissen. Sie dürfen nichts unterdrücken und nichts hinzufügen. Sie waren ja zugegen, als ich Sie darüber belehrt habe, daß Sie vor Gericht stehen und daß jede Rücksicht auf einen Kameraden oder Vorgesetzten hier vor Gericht ausscheidet. Z Jawohl. E Nun erzählen Sie einmal. Was wissen Sie vom Fall Dr. Liebknecht und vom Fall Frau Rosa Luxemburg? Z Vom Fall Liebknecht weiß ich nichts. Ich bin bloß beim Transport von Frau Luxemburg mitgewesen. I
A.a.O., BI. 572 f., 574, 576, 577, 580, 581.
Sr
E Z E Z
E Z E Z
E Z E Z E Z E G Z E Z
E Z
E
Erzählen Sie einmal. Vom Wachtmeister Gorkow sind wir kommandiert. Wer »wir «? Drei Mann, Hoppe und Weber. Wir sind zum Auto am Hauptportal gegangen. Da kam Frau Luxemburg. Da hat Runge mit dem Kolben auf sie eingeschlagen. Zwei Schläge. Beim ersten Schlag fiel Frau Luxemburg. Und dann wurde sie ins Auto hereingezogen. Und das Auto fuhr dann ab. Da kam einer hinterher und hat draufgeschlagen, ins Gesicht. Ob er Waffen hatte, weiß ich nicht. Wo fuhren Sie dann da im Auto? Das Auto fuhr langsam an. Wie saßen Sie da? Ich saß links; hier war Frau Luxemburg, hier (rechts von Frau Luxemburg) saß Weber, vorn stand noch einer, den habe ich nicht gekannt. Der war dahin kommandiert. Poppe stand auf dem Trittbrett und der OberleutnantWo war der Oberleutnant? Der stand auf dem Trittbrett. War der nicht vielleicht im Wagen drin? - Woher wissen Sie das genau, daß der Oberleutnant Vogel auf dem Trittbrett stand? Es war ein größerer, der im Wagen drin war. [ ... ] Von wem wurde im Auto geschossen? Vom Trittbrett aus, von OberleutnantVon Oberleutnant Vogel? - Erkennen Sie den Angeklagten Oberleutnant Vogel? Sehen Sie sich ihn auf der Anklagebank an. Welcher ist es denn? Der, der hinter Runge sitzt. [ ... ] Erzählen Sie einmal, wie das im einzelnen war. Der Herr Oberleutnant nahm seinen Revolver 'rum und wollte schießen. Da ging der nicht ab, weil er gesichert war. Da ist im Auto gesagt worden, er soll nicht schießen. Da nahm der Herr Oberleutnant den Revolver noch einmal und entsicherte ihn und schoß. Wo schoß er hin? Hier oben, die linke Seite. (Der Zeuge deutet mit dem Zeigefinger an die Schläfe). [ ... ] Oberleutnant Vogel schoß auf die Luxemburg?
82
Z Jawohl. E Sie saßen doch ganz nah an der Frau Luxemburg. Trat eme Veränderung mit dem Körper ein? Z Sie zuckte nur noch einmal zusammen. E Und dann? Z Dann blieb sie liegen. [ ... ] E Wohin hat der Schuß getroffen? Z Oben an die Schläfe. E Früher sagten Sie: »Drückte ab zwischen Auge und Ohr«. An welche Schläfe, links oder rechts? Z An die linke Schläfe, wo ich saß. [ ... ] E Wie sah die letzte Person, die nicht ermittelt wurde, aus? Z Der auf der Führerlehne war ein großer starker Mensch. E Hat er Infanterieuniform gehabt? Z Einheitsrock und Wickelgamaschen. J Trug er Monokel? Z Das weiß ich nicht. E Aber der Transportführer, der Oberleutnant Vogel, trug der ein Monokel? Z Jawohl. E Wie war das mit dem Unbekannten; hatte der eine Waffe? Z Das habe ich nicht gesehen. E Sie wissen aber mit Bestimmtheit, sagen- Sie, daß der Oberleutnant Vogel erst den Revolver aus seinem Futteral geholt hat, schießen wollte und daß der Schuß versagte? Das stimmt? Z Jawohl. E Ist dann noch etwas zu ihm gesagt worden, er solle das nicht tun, er solle das sein lassen? Z Jawohl. E Das haben Sie gesagt, und die anderen haben das auch gesagt? Z Jawohl. E Ist es möglich oder ausgeschlossen, daß diese dritte Person, die im Wagen war, geschossen hat? Z Der hat nicht geschossen. [ ... ]
Aus der Vernehmung des Zeugen Max Weber r, 26 Jahre alt, evangelisd!, mit keinem der Angeklagten verwandt oder versd!wägert, wegen Verletzung der Eidespflid!t nid!t vorbestraft.
20.
[ ... ] E Jetzt geben Sie nun einmal an, wie Sie im Auto saßen, wer fuhr da alles mit? Z Das waren zwei Chauffeure, - ein Chauffeur, ein Mitfahrer dann aud! der Jäger Poppe, eine unbekannte Militärperson, die id! nid!t kannte, und Oberleutnant Vogel. E Oberleutnant Vogel und Sie. Wo saßen Sie denn nun? Z Id! saß red!ts. E Sie saßen red!ts neben der Luxemburg? Z Jawohl. E Auf dem hinteren Sitz, wie man sagt, 1m Fond des Wagens, also mit Rid!tung nad! vorn? Z Jawohl. E In der Mitte die Frau Luxemburg. Und wer saß links? Z Mir war damals, als ob da Poppe gesessen hätte, aber id! habe gehört, daß es der Zeuge Grantke gewesen sein soll. [... ] E Wenn nach Ihrer Erinnerung Poppe da gesessen hat, müssen Sie das aussagen. Z Jawohl, nad! meiner Erinnerung hat da Poppe gesessen. E Nun war nodl Oberleutnant Vogel im Wagen oder auf dem Wagen? Z Auf dem Wagen. E Wo denn auf dem Wagen? Z Auf dem linken Trittbrett. [ ... ] Z Wir waren etwa 100 m gefahren, als Oberleutnant Vogel den Revolver zog und auf Frau Luxemburg schoß. E Ja, wie mad!te er das? Wo hatte er den Revolver? Z In der Hand. E Hatte er ihn vorher im Futteral stecken? Z Das habe id! nid!t gesehen. E Das haben Sie nid!t gesehen. Weiter. Z Nad! dem Sd!uß ... 1 A.a.O., BI. 609, 612 f., 616,617 f., 623 If., 626, 627, 628, 646, 647 , 648, 653·
84
E Ging das so sd!nell? Ging das alles so sd!nell? Haben Sie nur gesehen, wie er plötzlid! den Revolver da gehabt und gesd!osscn hat? Z Nein. E Sondern? Z Id! glaube, daß er das erstemal versagte. E Das erste Mal versagte der Sd!uß? Z Jawohl. E Ist da zu dem Angeklagten Oberleutnant Vogel von den Insassen etwas gesagt worden? Z Id! glaube, daß id! gesagt habe: »Nid!t sd!ießen! « E Sie glauben, daß Sie gesagt haben: »Nid!t sd!ießen! ~ Z Jawohl. E Hat sonst nod! jemand etwas gesagt? Z Das kann id! nid!t sagen. Das weiß id! nid!t. E Dann weiter. Wo hielt er denn den Revolver hin? Z Vor den Kopf. [ ... ] E Erkennen Sie heute in dem Angeklagten Oberleutnant Vogel denjenigen wieder, der den Sd!uß abgegeben hat? Darüber sind Sie am 1. April 1919 vernommen worden und da ist Ihnen der Angeklagte Oberleutnant Vogel aud! gegenübergestellt worden. Z Jawohl. G Id! möd!te doch bitten, ihm das vorläufig nod! nid!t vorzuhalten. Damals haben Sie ihn erkannt? Z Jawohl. G Erkennen Sie ihn heute wieder? Z Id! habe den Herrn damals ohne Bart kennen gelernt. E Erkennen Sie ihn heute trotzdem? Denken Sie sid! den Bart weg. Erkennen Sie den Angeklagten Oberleutnant Vogel heute wieder, wenn Sie ihn sid! ohne Bart vorstellen? - Sehen Sie ihn einmal an. Das kann man ja. (Zeuge Weber sd!weigt) Na, Weber, nun sagen Sie einmal. (Zeuge Weber sd!weigt) Weber, nun sagen Sie einmal. Z Id! glaube bestimmt, daß es Oberleutnant Vogel ist. E Sie glauben bestimmt, daß es Oberleutnant Vogel ist. In dem Wagen fuhr nod! eine andere Person mit, will id! nod! einmal einsd!alten.
G Wo saß denn die Person? E Wo saß diese andere Person im Wagen? Oder stand die auf dem Trittbrett? Z Die saß im Wagen. E Können Sie heute beschwören und wollen Sie beschwören, daß diese andere Person, die im Wagen saß, keinen Schuß auf die Rosa Luxemburg abgegeben hat? Z Das kann ich mit Bestimmtheit sagen. [ ... ] E Jetzt fahren Sie einmal fort. Der Schuß ist gefallen. Sie sagen, es ist ein Zucken durch den Körper gegangen. Sie haben es gemerkt, weil Sie ganz dicht daneben saßen. Jetzt sagen Sie, was geschah nun? Z Wir sind dann zum Lützow-Ufer gefahren und links umgebogen und eine Strecke noch da entlang gefahren. [ ] Z Auf einmal, als wir noch eine Strecke am Ufer entlang gefahren sind, wurde Halt gerufen. Das Auto hielt, und da sagte Oberleutnant Vogel: ~ Wir wollen die Luxemburg hier herausnehmen.« Oberleutnant Vogel und ich haben an der Leiche angefaßt und haben sie ein Stück in die Anlagen getragen. [ ...] Z Wir legten die Leiche hin. Es wurde noch einmal gerufen: »Halt oder wir schießen!~ Darauf ist der Angeklagte Oberleutnant Vogel bis zur Brücke gegangen und gab sich zu erkennen, kam wieder zurück und sagte zu Poppe und mir, wir sollten die Leiche nehmen und ins Wasser schmeißen. [ ... ] Poppe und ich haben angefaßt und haben dann die Leiche inS Wasser geschmissen. [ ] G Erinnert sich der Zeuge daran, dem Schützen, der auf dem Trittbrett stand, in dem Augenblick, als er schoß, ins Gesicht gesehen zu haben, um zu prüfen, wer ist denn der Mann, der jetzt schießt? E Haben Sie die Person, die geschossen hat, von Gesicht gesehen? G Im Augenblick des Schusses? E Als er schoß? Z In dem Augenblick wohl nicht. E Aber? Z Ich habe nur gesehen, daß, wie ich angenommen habe, der Ober-
E
...
E
Z E
G E
...
...
86
leutnant Vogel das gewesen ist, weil er auf dem Trittbrett gestanden hat. Weil er auf dem Trittbrett gestanden hat, haben Sie angenommen, es sei der Oberleutnant Vogel. [ ] Sie haben vorher gesagt, Sie wissen genau, daß Oberleutnant Vogel auf dem Trittbrett beim Abfahren gestanden hat. Das weiß ich genau. Sie haben gesagt, Sie wissen genau, daß Oberleutnant Vogel von dem Trittbrett geschossen hat, wenigstens die Person, die auf dem Trittbrett stand. Mit dem Hinzufügen, daß er der Person nicht ins Gesicht gesehen hat. Sie haben aber gesagt, ob die Person nach dem Schuß ins Auto gestiegen ist, können Sie nicht sagen, d. h., das wissen Sie nicht, ob der Oberleutnant Vogel, als der Wagen an der Brücke anlangte, auf dem Trittbrett gestanden hat oder im Auto. Das kann ich auch nicht sagen. [ ... ] Wissen Sie, ob die Person, die geschossen hat, ein Einglas trug, ein Monokel? Jawohl. Das wissen Sie? Ja. Sie wissen genau, daß die Person, die geschossen hat, ein Einglas getragen hat? Hat der Zeuge im Augenblick des Schusses gesehen - das ist das Wesentliche - hat er dem Schützen ins Gesicht gesehen und sich überzeugt: Er trägt ein Monokel? In dem Augenblick habe ich dem Schützen nicht ins Gesicht gesehen. [ ] Das weiß ich, daß die Person, die auf dem Trittbrett gestanden ha t, geschossen hat. Das wissen Sie, daß die Person, die auf dem Trittbrett gestanden hat, geschossen hat? Das wissen Sie auch bestimmt? Jawohl. Sie halten trotz der Aufgeregtheit einen Irrtum für unmöglich? So verstehe ich Sie eben. Jawohl.
Z E
Z E Z E G
Z
...
Z E Z E Z
G Was heißt »jawohl«? Ich möchte bitten, daß der Zeuge das beantwortet, was er mit dem» Jawohl« zum Ausdruck bringt. . E Was wollen Sie mit dem» Jawohl« zum Ausdruck bringen? Z Daß es die Person gewesen ist, die auf dem Trittbrett gestanden hat, daß die geschossen hat. [ ... ] 21.
Nochmalige Vernehmung des Angeklagten Voge/r:
E (in sehr eindringlichem Tone, die Eindringlichkeit mit jeder Frage steigernd): Angeklagter Oberleutnant Vogel! Wer war die dritte Person, die im Auto saß? A Ich bleibe bei der Aussage bei meiner letzten Vernehmung: darüber verweigere ich die Aussage. E Angeklagter, ich halte Ihnen vor, daß das Material gegen Sie außerordentlich schwer ist, nicht nur durdl die Aussagen der Zeugen, sondern auch schwer durch die anderen Umstände, durch die Umstände, die der Tat gefolgt sind. Ich lege Ihnen nahe, wenn Sie die Tat begangen haben, die Tat zuzugeben. A Ich habe es nicht getan, und über die Person lehne ich die Aussage ab. G Ich möchte bitten, dem Herrn Angeklagten dasselbe, was ich ihm schon vorhin gesagt habe, nunmehr nochmals wiederholen zu dürfen: Auch ich rate Ihnen, wenn Sie die Tat begangen haben, ein Geständnis abzulegen. E Angeklagter Vogel! Es spricht so viel gegen Sie. Sie waren der Transportführer, das wissen Sie? A Jawohl. E Sie hatten die Frau Luxemburg 10 das Untersuchungsgefängnis in Moabit zu bringen! A Jawohl. E Die dritte Person war im Auto. Sie haben selbst früher erst angegeben, die Frau Luxemburg wäre Ihnen von Spartakisten geraubt worden. A Jawohl. E Sie haben selbst dann früher bei Ihrer Vernehmung - das habe ich bei der Vernehmung bisher nicht so scharf hervorgekehrt noch ausdrücklich gesagt, Sie hätten versucht, die Spartakisten abzuwehren. I
A.a.O., BI. 655 If.
88
A Jawohl. E Sie wollen sich dieser Aussage nicht mehr entsonnen haben, die Sie damals zu Protokoll gegeben haben? A Doch, dessen entsinne ich mich noch. E Sie geben zu, daß Ihre Meldung an Herrn Hauptmann Pabst bewußt falsch war? A Jawohl. E Sie geben zu, daß Sie die Frau Rosa Luxemburg ins Wasser geworfen haben? A Jawohl. E Sie geben zu, daß em Schuß gefallen ist, während das Auto gefahren ist? A Jawohl. E Sie behaupten, nichts davon gewußt zu haben und sich nicht nach dem Körper der Frau Luxemburg umgekehrt zu haben und sich nicht überzeugt zu haben, ob die Rosa Luxemburg getroffen worden ist? A Nein. E Sie behaupten, sich nicht davon überzeugt zu haben, ob diese unbekannte Person, die im Auto gesessen hat, geschossen hat? A Jawohl. E Darüber, wer diese unbekannte Person ist, verweigern Sie die Aussage? A Jawohl. E Das stelle ich fest. G Ist es richtig, daß Oberleutnant Vogel früher überhaupt bestritten hat, daß eine dritte Person mitgefahren ist? E Sie haben früher behauptet, eine Person wäre aufgesprungen und wieder abgesprungen? A Jawohl. E Sie geben zu, daß Sie diese Person beschrieben haben und gesagt haben, diese Person sei kein Soldat, sondern ei n Zivilist gewesen? Jedenfalls hätten Sie nichts Blankes gesehen. Sie hätte keinen Stahlhelm getragen, sie hätte auch keine Armbinde getragen, aus der Sie auf eine militärische Eigenschaft hätten schließen können? A Jawohl. E Und trotzdem wollen Sie dabei bleiben, daß Sie der Tat nicht schuldig sind, und andererseits auch die Aussage darüber verweigern, wer die dritte Person gewesen ist? A J awoh l.
E Angeklagter, Sie haben aber gehört, daß die Zeugen hier uns gesagt haben: Die dritte Person hat sich an den V