Der Kampf mit dem Drachen von Ekkehart Reinke scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Volker vom Hohentwiel...
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Der Kampf mit dem Drachen von Ekkehart Reinke scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Volker vom Hohentwiel war der berühmteste Minnesänger! Sang er in weichen, herzbewegenden Tönen von Liebe und heißem Verlangen, dann wogten die Busen der Schönen, und den Rittern schwoll der Kamm. Kündete er mit metallischer Stimme von Schwerterkampf, Heldentat und tapferem Tod, so stockte den Damen der Atem, und in die Augen der Ritter trat kühner Funkelglanz. Doch hier auf Schloß Camelot, am Hofe des Königs
Artus, sang Volker ein anderes Lied, das allen kalte Schauer über den Rücken sandte. Vom gräßlichen Ungeheuer in den Tiefen des Odenwalds sang er, das feuerspeiend Menschen verschlang und selber unbesiegbar, sogar unverwundbar war. Volker sang die Ballade von Fasolt, dem Drachen.
Wie ein schwarzer Riese lauerte die Nacht vor Burg Tronde. Nur ab und zu lugte ein bleicher Mond durch einen Riß der Wolken und badete im Wasser des breiten Burggrabens. Unter der hochgeklappten Zugbrücke begegneten sich die beiden Wachposten. »Menschenskind«, sagte der Kleinere, »hast du mich erschreckt! Was mußt du dich denn so heranschleichen?« »Ich sah dich schon von weitem im Mondlicht«, versetzte der andere und lehnte seine kurze Pike an die Mauer. »Ich sah nichts«, meinte der Kleinere verdrossen. »Mir fielen ja dauernd vor Müdigkeit die Augen zu.« »Wenn ich das Ritter Beowulf melde, läßt er dich auspeitschen. Wir sollten doch, solange er fern bei der Jagd weilt, die Augen besonders scharf aufsperren. Ich habe seine ernste Mahnung jetzt noch im Ohr.« Und als wolle er Ritter Beowulf, dem Burgherrn von Tronde, einen persönlichen Gefallen tun, spähte der Große scharf über den Wassergraben zum jenseitigen Uferrand. Doch wieder schoben sich Wolken über den bleichsüchtigen Mond, und so entging ihm die schnelle Bewegung vor dem dunklen Tann. Eine schlanke schwarzgekleidete Gestalt löste sich vom Waldrand und huschte geduckt zum Graben hin. Wieder herrschte tiefe Finsternis. Seufzend nahm der große Wachposten seine Pike auf und sagte: »Nun ist es an dir, die Runde zu machen, Kleiner. Indessen bewache ich das Tor.« Mit äußerster Vorsicht ließ sich die dunkle Gestalt jenseits des Grabens geräuschlos ins Wasser gleiten. »Willst du mich umbringen?« fragte der Kleine empört. »Ich bin so schwach auf den Beinen, daß mich die Runde gewiß an den Rand des Todes bringen wird. Ich bitt' dich von Herzen, Großer, laß mich noch ein wenig hier verweilen, und spaziere du die Runde um die Mauer. Deine langen Beine mit den kraftvollen Waden sind viel besser zum Marschieren geeignet als meine kurzen. Andererseits verfüge ich über eine ungewöhnlich breite Hinterfläche, die mich selbst auf
hartem Stein wie auf weichem Polster sitzen läßt.« Auf dem Rücken liegend, trieb der Schwarze unsichtbar im Wassergraben. Nur seine Handflächen bewegten sich. Mit kleinen kreisenden Schlägen unter Wasser steuerte er auf das Ufer nahe der Burg zu. »Beowulf verzeihe mir«, murmelte der Große. »Es sei, wie du sagst. Noch einmal umrunde ich die Burg. Aber versprich mir, Kleiner, daß du munter bleibst!« »Bei meiner Ehre als Pikenträger«, versprach der Kleine. »Solange mein Hintern nicht frei in der Luft schwebt, bin ich wachsam und tüchtig zugleich. Mach's gut, Langer! Schwing deine unermeßlich langen Keulen, laß die Muskeln deiner kraftvollen Waden spielen! Niemand bedroht - nebenbei gesagt - Beowulfs feste Burg Tronde, solange ich das Tor bewache!« Gewichtig nahm er auf einem Rundstein vor dem benagelten Tor Platz. Der Lange setzte sich in Bewegung. Doch nach wenigen Schritten blieb er stehen und horchte. »Was ist?« fragte der Kleine. »Ich hörte ein Plätschern.« »Ich hörte nichts.« Tief sog der Schwarzgekleidete im Wassergraben die Luft ein, schloß den Mund und ließ sich bewegungslos nach unten fallen. Für wenige Augenblicke riß der pechschwarze Himmel auf. Matter Mondschein fiel wie fahler Schnee aufs Wasser. Auch das schärfste Späherauge war machtlos. »Du hast recht«, sagte der Große. »Das Wasser ist ruhig. Niemand bedroht den Frieden von Burg Tronde. Beowulf mag ruhig sein. Ich übernehme die Runde. Halt die Augen offen, Kleiner!« Lautlos schob der Auftrieb die schlanke Gestalt vom Grabenboden zur Oberfläche. Auf dem Rücken schwimmend, schaute der schweigsame Mann in den mond- und sternlosen Himmel. Wieder bewegte er unter Wasser die Handflächen. »Verlaß dich auf mich!« sagte der Kleine. Er saß auf hartem Rundstein wie auf lüsternem Kissen. Müdigkeit überwältigte ihn wie
eine schwere Welle. Schon nach dem Aufwachen am Morgen pflegte er eine halbe Metz Wein zu trinken. Beim Mittagessen schluckte er das meiste Bier. Die zweite Köchin, der er oft nachts zu Diensten war, konnte ihm nichts abschlagen. Sie verwaltete die berauschenden Getränke. Der Kleine schloß die Augen, als die Schritte seines Freundes verklangen. Er sollte sie nie wieder öffnen. * Der schwarze Schwimmer erstach ihn, als er das Ufer gewonnen hatte. Der Kleine war bereits eingeschlummert, als der Stahl sein Herz traf. So wenig hatte er Beowulfs weisen Befehl beachtet - nun mußte er leiden. Doch sein Leid war kurz. Der Schwarze traf ihn ins Herz. Er schüttelte sich wie ein Hund. Wasserperlen tropften von ihm ab. Den Toten stieß er zur Seite. So kam Collin an die Burg. Mit seinen 22 Jahren hatte Collin schon ein bewegtes Leben als fahrender Ritter hinter sich. Glücksritter nannten ihn viele. Und dem Glück jagte er nach. Doch tun das nicht alle - mögen sie ihr Ziel auch Ehre heißen, Liebe oder Macht? Collins Glück hieß zu dieser Stunde Birke - davon war er überzeugt. Birke, die blonde, gertenschlanke, bezaubernde Tochter des Burgherrn Beowulf! Die Schönheit der jungen Birke war auf viele Meilen im Umkreis bekannt und wurde von jung und alt gelobt. Drei Minnesänger hatten sich ihrem Dienst verschrieben. Sie wurden nicht müde, ihre Anmut, ihr liebes Wesen und ihre keusche Unerreichbarkeit in immer neuen Versen zu preisen. Collin stimmte durchaus mit dem Urteil der Liederdichter überein. Beim ersten Aufeinandertreffen verliebte sich der unstete Ritter auf
der Stelle in Birke. Doch beschloß er sogleich, daß er sie nicht nur von fern anhimmeln wollte. Sie durfte ihm nicht unerreichbar bleiben. Für platonische Liebe hatte der praktische und willensstarke Weltmann wenig übrig. Zu seiner Freude erwiderte Birke seine Gefühle. Sie gab sich auch keine Mühe, es zu verbergen. Heller strahlten ihre Augen in Collins Gegenwart. Und wenn er das Wort an sie richtete, tönte meist ein zartes Rot ihre weißen Wangen. So wäre Collin gar bald ans Ziel seiner Wünsche gelangt, wenn es den alten Beowulf nicht gegeben hätte. Er war seit einigen Jahren Witwer. Alle Liebe, die er für sein Weib gefühlt hatte, übertrug er auf Birke. Beowulf entschied, daß Collin kein passender Partner für seine Tochter sei. Er meinte, ihn durchschaut zu haben. »Dieser Habenichts!« brummelte er besorgt, »will nicht allein Birke. Zuvörderst geht es ihm um ihr Erbe!« Mit dieser Meinung traf er kaum daneben. Zwar liebte Collin die junge Schöne, aber der Gedanke an Beowulfs Reichtümer trug nicht gerade wenig zu seiner Neigung bei. Nirgends stand das Korn prächtiger als auf Beowulfs Äckern, wuchsen die Bäume höher als in seinen Wäldern, und nur wenige Burgen durften sich mit dem hochgemuten Tronde vergleichen. Beowulf war schon jenseits der Fünfzig, und Collin mutmaßte, daß er in nicht zu ferner Zukunft von der Erde abtreten würde. Dafür schien ihm Beowulfs gefährlicher Lebenswandel zu bürgen. Der urwüchsige Burgherr war ein bedenkenloser Draufgänger. Nur mit dem Stoßmesser bewaffnet, wagte er sich auf die Bärenhatz. Im Kampf gegen wilde Räuber verließ er sich allein auf einen starken Knüppel. Nie ließ er ein Turnier aus. Stets kämpfte er waghalsig. Auch kniff er vor keiner anderen Herausforderung. Er wäre einer hitzigen Wette wegen schnurstracks in schwerer Rüstung in den tiefsten Wasserstrudel gesprungen. Während Collin sich in seinen Träumen als Burgherrn auf Tronde
sah, hatte Beowulf längst beschlossen, den unbequemen Freier loszuwerden. Er versuchte es mit einer List. Für einen bestimmten Tag lud er Collin mit falscher Freundlichkeit nach Tronde ein. Der Glücksritter ließ sich nicht zweimal bitten. Er kam in eine unerwartet stille Burg. Wo sonst fröhliches Treiben herrschte, ließ sich diesmal kaum eine Menschenseele blicken. Nur der Hofnarr nahm Collin in Empfang und kredenzte ihm einen Begrüßungstrunk. Er sorgte auch dafür, daß der Krug des Gastes nie leer wurde. In Erwartung eines reichhaltigen Mahles auf Tronde hatte Collin vorher kaum einen Bissen zu sich genommen. Zu eilig hatte er es auch gehabt, Birke wiederzusehen. Nun bekam er sie nicht zu Gesicht. Und es gab nichts zu essen. Auf Fragen antwortete der Narr mit albernen Späßen. Der Met tat schnell seine Wirkung. Collin begann, lärmend zu singen. Er torkelte umher und verursachte ungebührlichen Lärm. Das gab Beowulf den Vorwand, Collin mit Schimpf und Schande davonzujagen. Einige Burgbewohner verfolgten ihn noch meilenweit und riefen ihm manch bitteres Schmähwort nach. Denn sein Besuch war - was der Geprellte nicht wissen konnte - auf den Todestag von Beowulfs Weib gefallen, an dem auf dessen strengen Befehl hin alljährlich auf Tronde gefastet und völlige Trauerstille eingehalten wurde. Gemeinsam hatten Beowulf und sein Narr das Manöver ausgeheckt. Danach glaubte der Ritter, Collin als möglichen Freier ein für allemal ausgeschaltet zu haben. Aber Birke durchschaute ihres Vaters arglistigen Trick und wechselte leidenschaftliche Briefe mit Collin. Ihr letzter Brief hatte diesen Wortlaut: »Mein edler Ritter und geliebter Freund, mein süßer Collin! Nicht länger mehr ertrage ich die erzwungene Trennung von Dir. Weinend liege ich stundenlang im höchsten Turmfenster und spähe mir vergeblich die Augen nach Dir aus. Keinen anderen Wunsch kennt meine Seele, als mit Dir zusammen zu sein. Ich bitte Dich von Herzen:
Komm! Errette Deine Birke von dieser verhaßten Pein! Wenn Du mich so heiß liebst, wie Du es mir oftmals mit bebenden Lippen schworst, dann entführe mich von Tronde! Die Gelegenheit ist günstig. In diesen Tagen rüstet mein Vater zur Reise. Fern von hier nimmt er an den großen Jagden teil. Sein Mißtrauen würde, solange er hier weilt, jede Flucht unmöglich machen. Darum zögere nicht! Mein liebster Collin, ich erwarte Dich in der Nacht des Vollmondes. Gemeinsam mit Dir will ich fliehen, wohin Du mich führst, mir gilt es gleich. Überall - nur nicht hier - können wir uns trauen lassen und fortan wie Mann und Frau leben. Wo Du bist, ist Heimat für mich. Ich bin sicher, daß danach mein Vater sein Unrecht einsehen wird, so verblendet er jetzt auch sein mag. Dann wird er uns in Gnaden aufnehmen. Ich warte auf Dich, mein lieber Freund. Ich weiß, daß Du kommen wirst. Ich vertraue Dir völlig. Befreie mich! Deine treue Birke!« * Dies war die Vollmondnacht, und Birke hatte alles wohlbedacht. Nur eins konnte sie nicht wissen - daß ihr Vater für die Zeit seiner Abwesenheit den Knechten und Knappen erhöhte Wachsamkeit anbefohlen hatte. So kam es, daß Collin einen - wenn auch schlafenden - Posten am Burgtor vorfand. Er wußte sich keinen Rat, als den Mann zu töten. Ungern nur tat er es, wenn auch ohne Reue. Wieviel länger würde es nun dauern, bis Beowulf ihm vergab! Er nahm dem Toten den Schlüssel aus der Tasche, hob ihn mit starken Armen auf, schleppte ihn an den Grabenrand und ließ ihn ins Wasser gleiten. Dann schloß er das Tor auf und betrat vorsichtig die Burg. Nach kurzer Zeit fand er Birke. Sie wartete bereits in einem Winkel der Halle auf ihn, am Fußende der Wendeltreppe. Sie
umarmten sich voll Leidenschaft. Doch bald löste er sich sanft von ihr und mahnte zur Eile. Draußen folgte ihm Birke ohne Zögern ins Wasser des Burggrabens. Nebeneinander schwammen sie ans jenseitige Ufer. Von dem Toten hatte er ihr nichts gesagt, und er achtete darauf, daß sie ihn nicht zufällig erblickte. Collin würde ihr auch fernerhin verschweigen, daß er einen Mann Beowulfs erstochen hatte. Denn er hatte die Ahnung, daß sie eine solche Nachricht übel aufnehmen würde. Als der große Wachposten die Mauer zur Hälfte umrundet, bestiegen Collin und Birke bereits die beiden Pferde, die der Glücksritter im dunklen Tann verborgen hatte. Doch war ihre Flucht nicht geheim geblieben. Einen Menschen hatte Birke einweihen müssen: ihre Amme! Sie hatte die Amme drei heilige Eide schwören lassen, sie nicht zu verraten - unter keinen Umständen! Deshalb wartete die Amme eine halbe Stunde ab, ehe sie Alarm schlug. Nach ihrer Ansicht hatten die Liebenden jetzt genügend Vorsprung für drei heilige Eide. Nun war es an der Zeit, den Treueschwur einzulösen, den sie Beowulf geleistet hatte, als er sie in den Dienst nahm. In kurzer Zeit erfüllte aufgeregtes Treiben die Burg. Birke verschwunden! Diese Nachricht scheuchte sie alle aus den Betten. Plötzlich erscholl lautes Wehklagen. Man hatte den ermordeten Wächter gefunden. Alles erlitt dadurch beträchtliche Verzögerung. Es dauerte geraume Zeit, bis die Leiche aus dem tiefen Wasser geborgen war. Mehrere Mägde stützten die zweite Köchin, die vor Kummer herzzerreißend weinte. Auch wenn die Amme sich hütete, Birkes Geheimnisse auszuplaudern, hatte niemand einen Zweifel, wer der Entführer war: Collin, der Glücksritter! Und jetzt: Collin, der Mörder! Alles war zur Verfolgung bereit - aber wie sollte sie vor sich gehen? »Aufgesessen und ihnen nach! Sie können kaum länger als eine Stunde fort sein!« »Aber in welcher Richtung sollen wir reiten?« »Bestimmt sind sie nicht über die deckungslose Ebene geflohen, sondern durch den hügligen Tann!« »Im Tann ist es düster wie im Kohlensack. Dort finden wir jetzt keine Spur!«
»Wir sind unser zwanzig. Laßt uns von Mann zu Mann einen Zwischenraum von fünfzig Klaftern halten! So kämmen wir den Wald durch, und sie werden uns nicht entgehen.« »Es ist sinnlos, bei Nacht aufs Geratewohl loszureiten. Du siehst die Hand vor Augen nicht, geschweige denn einen, der sich vor dir verbirgt. Laßt uns lieber den Morgen abwarten! Beim ersten Licht brechen wir auf, und sie werden uns nicht entkommen!« Und dabei blieb es. * Birke war eine glänzende Reiterin. Doch noch nie war ihr so leicht ums Herz gewesen wie in dieser Nacht. Während sie neben Collin zwischen den drohenden Stämmen einherritt, fühlte sie sich beschwingt wie ein Vogel. Immer wieder freute sie sich ihres kühnen Entschlusses. Nicht die Spur von Angst behelligte ihr Gemüt. Nun erst schien ihr eigentliches Leben zu beginnen. Wenn ihr Blick den verschwommenen Umriß des Begleiters erfaßte, war sie selig. Überallhin würde sie ihm folgen! Auch Collin fühlte sich von starker Erregung durchströmt. Schon Birkes Brief hatte ihn ungeheim beeindruckt. Er war wie ein Ruf, der sein Innerstes an sie band. Die kurze Umarmung in der Halle hatte seine Leidenschaft endgültig geweckt. Gern hätte er in einer Kuhle voll weichem Moos haltgemacht, um dort die Nacht zu verbringen eine wilde Nacht voll überschäumender Liebe! Doch da erreichten sie eine lichte Höhe und sahen rückblickend die vielen durcheinanderwogenden Fackeln vor Burg Tronde. Ihre Flucht war also schon entdeckt worden. An ein Haltmachen war nun nicht mehr zu denken. »Fürchtest du dich, Birke?« fragte er zärtlich. »Wie sollte ich mich fürchten, da du doch bei mir bist!« So ritten wie weiter. *
Dann stieg Beowulf in den Sattel, schüttelte die Lanze und brüllte, kochend vor Wut: »Und wollte das Schicksal, daß mir Schwert und Speer entfielen, mir Schild und Rüstung zerschmölze, so werde ich diesen Verbrecher, gewappnet und gerüstet, wie er ist, nackten Leibes anspringen und zu Boden schmettern, daß er das Aufstehen für immer vergißt!« Er gab dem Pferd die Sporen und flog davon wie ein Rachegott. Drei Stunden später traf er auf seine Männer und übernahm die Führung der Hauptgruppe. Mit finster verschlossenem Gesicht, dessen Anblick Furcht einflößte, folgte er den drei Kundschaftern, die von Zeit zu Zeit abgelöst wurden. Die vorgefundenen Spuren und die Aussagen der Landleute bewiesen einwandfrei, daß das flüchtige Paar den Odenwald zu gewinnen suchte. Der Vorsprung würde nicht ewig halten. * Zwei Tage danach erhielt Beowulf, der am Mittagstisch seines Jagdfreundes saß, die böse Nachricht. Auf seiner Stirn schwoll die Zornesader an. Er ballte die Fäuste. Sein Gesicht zuckte vor unbändigem Zorn. Dann packte er den Teller mit der leckeren Bärentatze und warf ihn an die Wand, daß die Scherben nach allen Seiten spritzten. Auf sprang er, selber ein wütender Bär, und warf auf dem Weg ins Freie Stühle und Tische um. Jeder ging dem Tollwütigen aus dem Weg. Draußen rief er nach Pferd und Gewaffen. An das Burgtor gelehnt, schwor er: »Nicht eher wird ein Bissen über meine Lippen kommen, bis ich meine Tochter Birke aus den Armen des Frevlers gerissen und sicher nach Tronde zurückgeleitet habe!« Niemand wagte, ihn zu halten. Eilfertig sprangen die Knechte. Auch der Jagdfreund half. Mit kühl abschätzendem Blick musterte der Bauer den jungen Ritter und die schöne Frau, die auf seinen Hof am Fuße, des
Odenwaldes geritten kamen und Lebensmittel bei ihm zu kaufen begehrten. »Wir brauchen Brot, Fleisch, Quark und Milch!« verlangte der Mann. »Beeil dich! Wir bezahlen gut.« Vorsorglich hatte Birke die in ihrer Truhe verwahrten Goldstücke mit auf die verwegene Reise genommen. »Ich gebe Euch einen guten Rat, Ritter«, sagte der Bauer, indem er die verlangten Vorräte brachte. »Setzt Eure Flucht nicht weiter fort! Ihr kommt in des Teufels Küche. Und wenn nicht um Euch, so wäre es um das Fräulein schade. Im Odenwald ist es nicht geheuer.« Collin fuhr auf. »Wer spricht von Flucht?« »Man erfährt so manches. Und man denkt sich sein Teil. Nie würde Beowulf seine Tochter allein mit einem fremden Mann über Land reiten lassen. Doch hört meine Warnung! Keiner wagt sich so tief ins Gebirge hinein, wie Ihr es vorhabt. Dort lebt das Ungeheuer.« Birke blickte ihn an. »Welches Ungeheuer?« Sie erschauerte. »Man nennt es Fasolt. Niemand, der es je gesehen, kann Näheres erzählen. Denn keiner überlebte die Begegnung. Es scheint ein riesiger, mit einem Schuppenpanzer besetzter Drache zu sein, den es nach Menschenfleisch gelüstet. Hütet Euch vor Fasolt, dem kein Sterblicher entkommen kann!« »Das sind Märchen, mit denen du kleine Kinder erschrecken magst, Bauer. Wir reiten weiter!« »Ihr könntet auf meinen Hof bleiben«, fuhr der Bauer hartnäckig fort. »Hier gibt es viel Arbeit und immer satt zu essen. Scheint das Fräulein zwar zierlich, so erkennt ein erfahrenes Auge doch die Kraft, die sich in Muskeln und Gelenken verbirgt. Sie würde eine gute Magd abgeben.« »Schweigt, Bauer!« rief Collin verärgert. »Oder ich gebe dir eins aufs Maul!« »Ich würde Euch verbergen, wo Euch niemand findet, wenn die Verfolger eintreffen«, sagte der Bauer und sah Birke unverwandt mit geheimer Drohung ins Auge. »Bei mir seid Ihr sicher - vor Fasolt und Beowulf!« Als Collin den verhaßten Namen zum zweitenmal hörte, gab er
dem Bauern einen heftigen Stoß, daß der sich mitten auf dem Hof auf seinen Hintern setzte. Ohne sich um ihn zu kümmern, verstaute Collin die Vorräte und saß auf. Zögernd folgte ihm Birke. »Bleibt doch hier!« rief der Bauer, noch immer im Dreck sitzend, ihnen nach. »Dann behaltet Ihr wenigstens das Leben und bekommt jeden Tag zu fressen!« Mit einem gemeinen Fluch stieß Collin dem Pferd die Sporen in die Weichen. Eine Stunde lang ging es im versammelten Galopp in der alten Richtung weiter. Dann wurde der Boden felsig, stieg an und erlaubte noch leichten Trab und schließlich nur Schritt. Immer steiler wurde es. Der Weg wand sich an hohen Bäumen entlang, durch bedenkliches Gestrüpp, tiefes Dickicht und an aufragenden Felsblöcken vorbei. Nur noch selten trafen sie einen einsamen Holz- oder Kräutersammler. Und keiner ließ sie ziehen, ohne sie nachdrücklich vor dem menschenfressenden Drachen Fasolt zu warnen. Unwillig wehrte Collin die gutgemeinten Ratschläge ab. Aber Birke fühlte, wie ihr der Mut sank. »Alle diese guten Leute können nicht irren«, sagte sie bang. »Mein Lieber, täten wir nicht besser daran, umzukehren?« Furchtsam musterte sie ein Felsgewölbe, das sich vor ihnen erhob. Ihr war, als lauerte der schreckliche Fasolt dahinter. »Umkehren?« rief Collin mit bitterem Spott. »Damit ich deinem Vater in die Hände falle und er mich um einen Kopf kürzer macht? Nimmermehr! Mit einem einzelnen Drachen nehme ich es auf, wie grimmig er auch sei. Doch gegen die Übermacht von Beowulfs Meute könnte ich mit aller Tapferkeit nichts bestellen.« Birke widersprach: »Mein Vater wird uns verzeihen. Wir haben nichts von ihm zu befürchten.« Doch Collin schüttelte in trotziger Abwehr den Kopf. »Du kennst den Alten schlecht. Er haßt mich und ist unversöhnlich.« Dabei dachte er an den Toten im Burggraben, von dem Birke nichts wußte. Ja, Beowulf würde ihn bis aufs Blut hassen!« »Nun, wenn er dich tötet«, sagte Birke hochgemut, »so werde ich
mit dir sterben!« Ihre Augen leuchteten. Staunend sah er sie an. Schöner war sie nie! »Meinst du, es stirbt sich angenehmer zu zweit als allein?« »Ich wünsche mir nichts Besseres vom Leben, als mit dir gemeinsam in Liebe vereint von der Erde zu gehen.« »Sterben ist das Bitterste, das es gibt. Darüber hilft mir keine Liebe hinweg. Sollen die Alten doch sterben, die sich mit zitternden Gliedern vom Bett in den Lehnsessel und zurück quälen! Aber auch sie hängen am Leben. Nein, Birke, ich kehre nicht um! Jede Gefahr ist mir lieber als der sichere Tod! Und lägst du blutend am Boden, zerfetzt der weiße herrliche Leib, der letzte Atem entflohen, ich würde jauchzen und jubeln, dürfte ich unversehrt entkommen!«. Sie schwiegen. Und da erhob sich über dem Rauschen der Eschen und Fichten, über dem Zwitschern der Vögel, dem Hämmern der Spechte ein neuer Ton, der nicht von dieser Welt zu stammen schien. Ein dumpfes, fast ohrenbetäubendes Grollen, ein Schreiten wie Schicksalsgang, dann ein Klang, so laut wie hundert Trompeten, begleitet vom Zischen feuriger Lohe... Collin richtete sich mit wachsam spähendem Auge hoch auf. Er versammelte sein Pferd, stemmte den Lanzenschaft in den Bügelhandschuh und machte sich zum Angriff bereit. Einen Blick noch warf der junge Glücksritter auf Birke, die kreidebleich, vor Angst zitternd, auf tänzelndem Pferd sich hielt. Dann sagte er laut und stolz: »Fasolt kommt - und ich werde ihn töten!« Verstummt waren die Vögel. Entsetzt suchten sie auf den höchsten Baumwipfeln Schutz. Rehe, Hirsche, Luchse, Hasen und Wildschweine flohen in panischem Schrecken rudelweise davon. Birkes Pferd schloß sich der Flucht an, bis sie es nach hundert Klaftern herumriß. Es krachte. Bäume stürzten um. Unterholz wurde flachgewalzt. Und dann erschien ein gräßlich geformter Drachenkopf mit spähenden tückischen Augen - hoch, so hoch über dem Erdboden. Birke vergingen fast die Sinne, als der gewaltige, fast turmhohe,
schuppengepanzerte grüne Leib Fasolts auf der Lichtung erschien. Fassungslos sah sie, wie Collin sein Roß spornte, wie Fasolt das riesige Maul öffnete und sechs Reihen scharfgeschliffener Zähne entblößte. Collin ritt auf den Drachen zu, langsam zuerst, dann schneller, immer schneller, geradewegs auf ihn zu ... Es schien ihr unfaßlich, woher ein Mann diesen Mut nahm, als kleiner Sterblicher gegen solch ein Ungeheuer anzugehen. Doch Collin tat es vor ihren Augen, zwang sein sträubendes Pferd nahe an Fasolt heran, bog den Arm weit nach hinten, daß seine Muskeln sich herrlich spannten ... Und warf den Speer mit voller Kraft dem Drachenkopf mit den tückisch spähenden Augen entgegen. Und die schmale, vorn zugespitzte Stange flog in edel geformter Bahn durch die lichte Luft, beschrieb einen leichten Bogen, näherte sich Fasolts linkem Auge ... Dann machte der Drache brüllend eine unwillige Bewegung mit dem Haupte, und der gewaltig geschleuderte Speer prallte unschädlich vom Schuppenkleid ab und fiel, ein harmloser Weidenstock, lautlos zu Boden. Weit riß der Drache abermals das Maul auf, und das letzte, was Birke voll namenlosem Entsetzen sah, war der Augenblick, in dem Ritter Collin in dem gräßlichen Maul verschwand, samt Rüstung und Pferd, und von den sechs Reihen scharfgeschliffener Zähne zermalmt wurde. Sie schloß die Augen, und ihr erschrockenes Pferd raste mit ihr bergab, den Weg, den sie gekommen waren. Tränen strömten ihre Wangen hinab, und sie wußte, daß sie das schreckliche Bild Tag für Tag, Nacht für Nacht, solange sie auf der Erde wandelte, vor sich sehen würde, immer wieder mit gleichem Entsetzen! * Einen letzten Akkord griff Volker von Hohentwiel. Einen letzten schwebenden Ton von unermeßlicher Trauer ließ er verhauchend hören. Dann schwiegen der Sänger und sein Instrument.
Wie gebannt saßen die Ritter und Frauen in der weiten herrlichen Halle auf Schloß Camelot. Volker musterte sie alle mit langem, rundum gleitenden Blick. Er sah manche Träne in hellem Mädchenauge, manch mahlenden Kiefer eines betroffenen Ritters, las das reine Mitleid im schönen Antlitz der Königsgattin Ginevra. Er sah, wie die Hand des Wilhelmus, eines Ritters der Tafelrunde, langsam über seinen herrlichen weißen Rauschebart strich, als überlege er, wie Collin gerächt und Fasolt vernichtet werden könne. Zuletzt blieb Volkers Blick auf der ehrwürdigen Gestalt des Königs Artus haften, dessen kluge graue Augen ihn immer wieder in ihren Bann zogen. Der König hob beide Arme und begann in die Hände zu klatschen. Ringsum folgten alle seinem Beispiel. Viele sprangen auf und zollten dem Sänger stehend ihre Hochachtung. Minutenlang rauschte der mächtige Beifall durch den Saal. Die Spannung löste sich. Laute Rufe des Lobs schallten von allen Seiten. Der Beifall wollte kein Ende nehmen. Gerührt erhob sich Volker und dankte. Der dunkle Lockenkopf neigte sich vor seinen Bewunderern. Am tiefsten verbeugte er sich vor den Damen. Volker war große Erfolge gewöhnt. Fast jedes seiner Lieder hatte bisher die Menschen begeistert. Kaum hatte er sie einige Male vorgetragen, so verbreiteten sich Melodie und Worte mit staunenswerter Geschwindigkeit im Königreich. Überall hörte man dann arm und reich, hoch und niedrig seine Weisen trällern. Aber noch nie hatte eine seiner Balladen die Menschen so bis ins Innerste aufgewühlt wie das Lied vom schrecklichen Fasolt, von Collins Glück und schauerlichem Ende, von Birkes Seligkeit und Entsetzen, von Beowulfs tiefem Schmerz. Wohl eine halbe Stunde verging, bis Volkers Zuhörer sich beruhigten, ihre Plätze wieder einnahmen und ihre Gespräche fortsetzen. Doch das Thema blieb fast ausschließlich Volkers neue Ballade. Artus hatte ihn mit einem huldvollen Wink an seine Seite befohlen
und schenkte ihm mit eigener Hand edlen Wein in einen goldenen Becher - eine sehr seltene Auszeichnung. Und der König sprach aus, was alle empfanden: »Dies war das bewegendste Lied, was ich je aus Eurem Munde vernommen. Sagt, wie kam Euch die Idee zu diesem Meisterwerk?« Aufatmend setzte Volker den Becher von den Lippen ab. Es war ein herrliches Getränk. Knapp, wie der König es liebte, antwortete er: »Ich formte es nach einem wahren Ereignis, Majestät.« Diese Mitteilung schlug ein wie ein Schwerthieb. Ringsum verstummten die Gespräche. »Ihr meint«, begann Artus zögernd, »daß alles, was Ihr sangt, wahr ist? Es gibt eine Burg Tronde, auf der eine verstörte Birke lebt - und ein heißsporniger Ritter Beowulf, der sich jetzt wahrscheinlich mit Selbstvorwürfen plagt, weil er durch unbeugsamen Sinn seiner Tochter unermeßlichen Schmerz bereitet hat?« »Ja«, bestätigte Volker mit klingender Stimme. »Und es gibt den Drachen Fasolt im Odenwald, dem Tag für Tag weitere nichts Böses ahnende Menschen zum Opfer fallen!« »Das«, sagte der König mit großem Ernst, »ist in der Tat eine erstaunliche Nachricht. Doch mindert sie nicht den Rang Eurer Ballade als Kunstwerk.« Er versank einige Augenblicke in Nachdenken. Dann fragte er: »Roland ist Euer Freund, Sänger. Wißt Ihr, wo der Ritter sich gegenwärtig befindet?« »Wenn die Sonne sich, von heute an gerechnet, zum fünftenmal im Osten erhebt, werde ich ihm bei Einhart dem Lächler auf Burg Gimlet begegnen.« »Das trifft sich gut. Wollt Ihr mein Bote sein, Volker?« »Gern, Majestät.« Artus erhob ein wenig die Stimme, so daß er überall zu verstehen war. »Dann übermittelt ihm in meinem Auftrag die zweite der Probetaten, mit denen er sich den Eintritt in die Tafelrunde erkämpfen möge. Sie lautet: >Ritter mit dem Löwenherzen, befreit das Land von Fasolt, dem Drachen !Frisch drauf, Einhart, ich fürchte mich nicht.< So spielten wir also um Hilke. Als wäre ihr Liebreiz ein Ansporn für die Würfel gewesen, von diesem Augenblick an wendete sich das Spielglück. Ich begann zu gewinnen. Und als der Abend über dem Tage graute, besaß ich wieder Pferd und Ausrüstung, und meine Taschen waren prall gefüllt. Und zu Hilke hatte ich noch drei hübsche Frauen hinzugewonnen, also daß ich, wenn ich nur wollte, mir einen Harem hätte halten können, wie es bei den Morgenländern Sitte!« Ringsum erhob sich Gelächter. »Seitdem bin ich ein gut Stück in der Welt umhergekommen und weiß, daß ein Spiel keinen rechten Mann umwirft. Zwar habe ich keinen Harem mehr, dafür aber eine Burg, die sich sehen lassen kann. Wie immer das Spiel ausgehen mag, Roland, ich kann es mir erlauben, Euch so lange kostenlos zu beherbergen und zu beköstigen, wie es Euch gefällt.« In diesem Augenblick faßte Roland einen Entschluß, der ihn gar bald gereuen sollte. »Wohlan, Einhart, ich will hinter Eurem Beispiel nicht zurückstehen. Ich setze mein Pferd gegen Eure fünfzehn Dukaten. Verliere ich, so werde ich eben fortan zu Fuß gehen oder wieder ein Maultier satteln oder bei einem meiner Knappen mit aufsitzen.« »Gut gesprochen, Roland! Und damit ihr nicht wähnt, ich wollte aus Eurer augenblicklichen Bedrängnis unbillig Kapital schlagen, setze ich freiwillig dreißig Gulden gegen Euer Roß, obwohl es nicht die Hälfte wert ist. Keine Widerrede!« sagte er schnell und scharf, als
er bemerkte, daß Roland protestieren wollte. »Und jetzt laßt uns auf die Sprache der Würfel hören!« Nach der Reihenfolge begann Hasso. Alle reckten die Hälse, als er den Becher hob. Der Wurf war nicht schlecht und nicht gut: ein Zweierpasch mit einer schlanken Eins dazu. »Für meine langen Beine«, bemerkte Hasso mit Humor, »ist Rolands Gaul ohnehin nicht hochstämmig genug.« Dann würfelte Einhart. Sein Ergebnis übertraf Hassos. Ein Fünferpasch mit der 3! »Sollte Euer Pferd mein werden«, sagte er vergnügt, »so verspreche ich Euch, daß Ihr an jedem Sonntagmorgen, den der Herrgott werden läßt, eine Stunde auf ihm ausreiten dürft.« Gorm war der Nächste. Er erzielte keinen Pasch. Roland mußte an sich halten. Er spürte Einharts bitteren Spott tief. Nur kurz schüttelte er den Becher, stülpte ihn um und hob ab. Er wollte es schnell hinter sich haben. Rufe der Überraschung wurden laut. Roland hatte dreimal die 5 geworfen! »Der Sieg ist Euch sicher, Ritter!« rief Louis begeistert. »Nicht ganz«, flüsterte Dankwart und nahm als letzter den Becher zur Hand. Doch einzig und allein eine dreifache 6 konnte Roland noch übertreffen. Die vier Zwerge standen auf den Zehenspitzen, als der Becher aufgehoben wurde. Ein einziger Schrei aus vielen Kehlen! Roland verlor sein Pferd, denn Dankwart hatte die dreifache 6 geworfen! »Da hat ihm der Teufel geholfen«, murmelte verdrießlich Rolands rundlicher Knappe Pierre. Roland saß wie vom Donner gerührt. Einhart ließ ihm keine Zeit zum Überlegen. »Dreißig Dukaten gegen Eure Rüstung samt Helm und Schild!« »Tut's nicht!« beschwor Pierre ängstlich. Zu seiner eigenen Verwunderung aber hörte Roland sich sagen: »Die Wette gilt!«
Und dann sprachen erneut die Würfel. Pierre und Louis wurden bleich. Einhart lächelte überlegen. Hasso stieß einen Fluch aus, denn auch sein nächster Wurf gab ihm keine Chance. Auch Einhart und Gorm gelang diesmal kein Pasch. Dann würfelte Roland. Das Schicksal war ihm gnädig. Der Falkenblick von Louis erspähte es als erster. »Dreimal die 4!« rief er mit sich überschlagender Stimme. Er stieß Pierre triumphierend den Ellbogen in die Rippen, und der kreuzte abergläubisch Zeige- und Mittelfinger. Nun griff Dankwart zum Becher. Roland wandte die Augen ab. Er mochte nicht mehr hinsehen. Aber sein Herz schlug ruhig. Nicht nochmal konnte Dankwart so viel Glück haben! Denn nichts im Leben wiederholt sich. Roland würde seine Ausrüstung behalten und 120 Dukaten gewinnen - mehr als das edelste Pferd der Welt kostete. Dann warf Dankwart. Ein Augenblick völliger Stille. Dann brüllten sie alle laut und erregt durcheinander. Zufrieden schaute Roland in die Runde. Da begegnete er einem grünen Augenpaar, das er nicht vergessen konnte. Unbemerkt war Gudrun ins Zimmer getreten. Und laut sagte sie mit einer Stimme, die tiefe Leidenschaft verriet: »Ritter Roland hat alles verloren!« Was für einen Unsinn redet das Weib! dachte er ärgerlich. Er lachte laut und verächtlich. Und streckte den Arm aus, um die Dukaten der Partner an sich zu ziehen. Da legte sich Einharts Hand auf seinen Arm. »Tut mir leid um Euch, Roland, aber Fräulein Gudrun hat recht! Eure drei Vieren sind aller Ehren wert, aber gegen Dankwarts Wurf reichen sie nicht aus.« Erschrocken ließ Roland den Blick zu den Würfeln wandern, vor denen Dankwart, geblendet von Glück, still saß. Er hatte wiederum dreimal die 6 geworfen! * Am Morgen danach traf Volker auf Burg Gimlet ein, von allen freudig begrüßt. Die Zwerge betrachteten den berühmten Musikanten
wie einen Wundermann. Unter vier Augen berichtete er seinem Freund vom neuen Auftrag des König Artus. Betroffen hörte Roland zu. Dann gestand er ihm seine völlige Niederlage am Spieltisch. Nichts mehr besaß er außer Lanze und Schwert. Schwerlich konnte er so gegen den schrecklichen Drachen kämpfen. Volker horchte auf und ließ sich den Verlauf des Spiels in allen Einzelheiten schildern. »Das ging nicht mit rechten Dingen zu«, entschied er ernst. Am liebsten hätte Roland den Ort seiner Niederlage sofort verlassen, um ihn nie wiederzusehen. Aber Volker überredete ihn zum Bleiben. »Es ist noch nicht aller Tage Abend«, deutete er geheimnisvoll an, »und so mancher Dukaten kommt auf seiner Wanderung viel herum.« Die beiden Freunde verbrachten den Abend in ihrem Gästezimmer. Mit leiser Stimme sang Volker seine Ballade vom Glücksritter Collin, der trauerschönen Birke, dem rasenden Beowulf und dem schrecklichen Fasolt. Das dramatische Geschehen überwältigte Roland. Er verwunderte sich sehr über die ungeheure, alles menschliche Maß übersteigende Größe und Kraft des Drachens. Nachts wälzte er sich ruhelos auf seinem Lager. Er war tief betrübt, ja verstört und machte sich unablässig Vorwürfe wegen seines Leichtsinns mit den Würfeln. Was sollte König Artus von einem Kandidaten der Tafelrunde halten, der leichtfertig alles verspielte und nicht mehr imstande war, seinen Ritterpflichten nachzukommen? Gegen Morgen fuhr er mit einem gräßlichen Schrei aus unruhigem Schlummer auf. Er hatte geträumt, der Drache verschlinge ihn ... Ein schöner Herbsttag zog herauf, milder Abglanz erfüllter Sommerfreuden. Mit Nachdruck wiederholte Roland im Gespräch mit Volker seinen Wunsch, unverzüglich zum Odenwald aufzubrechen - gleichviel, ob zu Fuß oder auf dem Karren eines Bauern. Aber Volker hielt ihn mit den Worten zurück: »Uns bleibt hier noch Wichtiges zu tun.« »Du sprichst in Rätseln. Ich verstehe dich nicht. Was meinst du?«
»Warte es ab!« Dann rief Volker die beiden Knappen zu sich, beriet sich kurz mit ihnen und schickte sie mit unbekanntem Auftrag in verschiedene Richtungen davon. Nicht weit von der Burg hörte man munteres Waffengeklirr. Auf einer weiten Lichtung mit gestampftem Boden übten sich Einhart der Lächler und seine Gäste beim Schilderspiel, einer beliebten Vorübung für das Ritterturnier. An einem Ende des Feldes ward ein Schild am stärksten Ast eines Baumes befestigt. Dann ritt einer nach dem anderen mit eingelegter Lanze auf das Ziel los und versuchte, den Schild im Mittelpunkt zu treffen und ihn durch äußerste Kraftentfaltung samt splitterndem Ast vom Baum herabzustoßen. Von einer Burgzinne aus beobachtete Roland das fröhliche Treiben. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er sah, daß die Ritter sich einen Spaß daraus gemacht hatten, seinen Schild in den Baum zu hängen. Da er noch kein Wappen führte, hatten sie in übermütiger Laune einen Würfel darauf gemalt - mit einem einzigen Augen. Auch Einharts ältester Sohn Erhard war unter ihnen. Voll Wut ballte Roland die Fäuste. Dann sah er Dankwart. Der Ritter mit den blitzend blauen Augen trug Rolands Rüstung und Helm, die einstmals dem gewaltigen Sir Galahad gehört hatten, und er ritt auf Rolands verlorenem Pferd! Das war schwer zu ertragen. Rolands Zähne mahlten vor Ingrimm. Dennoch überwand er sich, mit gleichmütigem Gesichtsausdruck zu dem Turnierplatz hinunterzuschlendern. Sie erwarteten ihn mit schlecht verhohlenem Spott. »Nun, Roland«, stichelte Gorm, »besitzt Ihr nicht noch Eure Lanze? Habt Ihr nicht Lust mitzumachen? Statt auf vier Beinen könntet Ihr ja auf zweien anreiten!« Stumm wandte Roland sich ab. Und sah sich plötzlich Gudrun gegenüber! Sie trug ein türkisfarbenes Kleid, das sich faltenlos an ihren verführerischen Körper schmiegte. Wieder erregte ihn ihr Anblick. Beider Augen tauchten ineinander und ließen sich lange Zeit nicht
los. Kein Haß war mehr in den grünen Sternen Gudruns zu lesen, eher eine tiefe, bohrende Frage. Aber Roland wußte sie nicht zu deuten. Er wollte ein Wort des Grußes sagen, wollte ihr zeigen, daß er ihr nichts nachtrug, keinen Groll mehr hegte ... aber die Worte versagten sich ihm. Plötzlich wandte sie sich beinahe brüsk von ihm ab. Gerade sprengte Dankwart auf seinem Roß gegen seinen Schild heran! Es war eine gute, eine erfolgreiche Attacke. Klirrend traf die Lanzenspitze die Mitte des Würfelschilds, und der polterte mitsamt dem abgerissenen Ast zu Boden. Dankwart parierte das Pferd. Es gehorchte ihm, als habe es nie einen anderen Herrn gehabt. »Bravo, Dankwart!« rief Gudrun jubelnd. »Gut getroffen!« Und sie warf ihm verliebt Kußhände zu. Nun wußte Roland endlich, mit wem die Schöne verlobt war. Die Sonne verlor ihren Glanz für ihn, und ein bitterer Geschmack füllte seinen Mund. Er wandte dem Turnierplatz und Gudrun den Rücken und schritt eilig davon. Am Burgtor traf er seine Knappen. Sie machten mißmutige Gesichter. Wie er erfuhr, hatte Volker sie ausgeschickt, um in der Umgebung ein neues Roß für Roland aufzuspüren. Sie hatten auch einige geeignete Tiere entdeckt. Aber deren Besitzer hatten sich unter allen möglichen Ausflüchten strikt geweigert zu verkaufen. Volker kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Dahinter steckt eine abgekartete Teufelei«, sagte er. »Irgend jemand will unter allen Umständen verhindern, daß du beim Kampf mit dem Drachen neuen Ruhm gewinnst.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, stimmte Roland zu. Er war niedergeschlagen, der Verzweiflung nahe. »Aber wer sollte das sein?« »Wahrscheinlich eine einflußreiche Persönlichkeit auf Camelot«, vermutete der Minnesänger. »Auf Camelot?« wiederholte Roland verblüfft. »Ja - und er muß auf Burg Gimlet einen Verbündeten haben. Aber verlaß dich drauf, ich komme der Verschwörung, so geheim sie sei,
auf die Spur!« * Bevor das gemeinsame Mittagsmahl in der Halle eingenommen wurde, drängte Volker seinem Freund trotz dessen Widerstrebens 100 Dukaten auf. Kaum war das Essen beendet, da erhob sich Roland und verlangte feierlich Revanche von seinen gestrigen Würfelgegnern. Dankwart zog die Brauen hoch. Gorm und Hasso tauschten einen erstaunten Blick. Einhart lächelte geringschätzig. Doch keiner machte eine Bemerkung über den Umstand, daß Roland so schnell wieder zu Geld gekommen war. Mit bescheidenen Einsätzen fing es an. Die Würfel begünstigten mal diesen, mal jenen. Doch wie üblich, schnellten die Einsätze bald in die Höhe. Mit einem Fünferpasch nebst 4 stand Roland plötzlich vor der Möglichkeit, achtzig Dukaten auf einen Schlag zu gewinnen. Doch dazu kam es nicht. Denn Dankwart würfelte, wie schon zweimal am Vortag, die dreifache 6! Volker, der sich als stummer Zuschauer im Hintergrund gehalten hatte, gab Roland das verabredete - Zeichen. Der fuhr hoch, sprang mit einem Satz über den Tisch, ergriff mit einer Hand Dankwarts Würfel und fuhr dem vom Glück begünstigten Spieler mit der anderen Hand an die Kehle. »Verflucht seist du, Dankwart, und deine schwarze Seele! Ein Falschspieler bist du, bedienst dich getürkter Würfel!« Während Dankwart machtlos in Rolands Würgegriff hing, sprangen seine Freunde auf wie ein Mann! »Laß ihn los, Unseliger!« rief Einhart, und wie fortgewischt war das Lächeln von dem kantigen Gesicht. »Die Hand von Dankwarts Kehle!« rief Gorm, »oder Ihr verlaßt diesen Saal nicht lebend!« Hasso hatte bereits den Degen gezogen. Mit einem Fußtritt schleuderte Volker die Waffe aus Hassos Hand
durch den Saal. »Roland spricht wahr!« rief er. »Überzeugt Euch mit eigenen Augen, werte Ritter!« Und er ließ sich die von Dankwart benutzten Würfel aushändigen. Unter atemloser Spannung warf Volker die Würfel in den Becher, schüttelte eine Weile und kippte sie dann auf den Tisch. Es folgte ein Schrei der Überraschung aus mehreren Mündern! Denn wieder lagen die drei 6 obenauf! »Merkt Ihr nun, edle Ritter, wie Dankwart meinen Freund betrog? Genügt Euch das Beispiel, oder soll ich weitermachen? Kommt, sperrt Eure Augen auf! Das ist ein Schauspiel, desgleichen Ihr noch nicht erlebt!« Und wiederum schwang er den Becher. Wieder und wieder. Mal stülpte er ihn kurz und hart. Drei 6! Mal neigte er ihn schräg zur Seite und ließ die Würfel gemächlich hinausrollen. Dann kullerten sie eine Weile durcheinander. Aber sowie sie zur Ruhe kamen und still liegenblieben, waren stets die drei 6 obenauf! Staunend traten die anderen an den Tisch und erprobten nacheinander die gefälschten Würfel. Aber wie sie auch rüttelten und schüttelten, schwenkten und lenkten, warfen, kippten oder rollen ließen - es gab keinen Unterschied. Stets zeigte sich die 6, die 6 und die 6! Nun konnte auch der Ungläubigste nicht mehr zweifeln, daß Dankwart betrogen hatte. Die eingeschmuggelten Würfel waren so angefertigt, daß ihr Benutzer immer siegen mußte - vermutlich durch die Einarbeitung kleiner Gewichte. Rolands Gesicht war eine Gebärde des Abscheus, als er Dankwart heftig von sich stieß. »Mich ekelt vor diesem Mistkerl, der den Boden nicht wert ist, auf dem er steht! Mich um mein Hab und Gut auf solche Art zu betrügen! Das, Schurke, sollt Ihr mir büßen!« Seine Empörung brach sich Bahn: »Sprecht, wie habt Ihr die Würfel vertauscht? Zeigt uns Eure Taschenspielertricks, die eines Ritters unwürdig! Wo habt Ihr die echten Würfel gelassen? Heraus mit Euren schändlichen Geheimnissen, ehe ich Euch niederschlage!« Auch Dankwarts Freunde zeigten sich betroffen.
Als erster nahm Einhart gegen ihn Partei. »Verflucht der Tag, an dem ich dir Obdach bot und Freundeshand! Nie zuvor geschah solch Frevel unter meinem Dach! Wie einen räudigen Hund sollte ich dich aus der Burg jagen!« Und wie in aufwallendem Schmerz barg Einhart das Gesicht in den Händen. Entgeistert schüttelte Gorm den Kopf und trat mehrere Schritte von Dankwart weg. Hasso spuckte Dankwart vor die Füße. Voll Ekel klagte der Baumlange: »Und mit so einem Mann habe ich an einem Tisch gesessen und aus einem Krug getrunken!« Leichenblaß war Dankwart, als er entsetzt an die Wand zurückwich. Gehetzt flatterte seine jetzt fahl wirkenden blauen Augen durch den Raum. Doch vermied er es, den Freunden ins Gesicht zu schauen. Um seinen Mund zuckte es, als wolle er etwas erwidern. Aber kein Wort kam ihm über die Lippen. Er sah aus wie das verkörperte schlechte Gewissen. Ganz allein stand er im Kreuzfeuer wütender, vorwurfsvoller und verächtlicher Blicke. Da ertönte hinter ihnen eine Mädchenstimme. »Schämt Euch doch alle!« sagte Gudrun. »Wer von Euch Dankwart schmäht, begeht einen schweren Irrtum. Ich kenne ihn seit zwei Jahren und bin mit ihm verlobt. Mein Herz flog ihm nicht deshalb zu, weil er der größte Held und Abgott aller Frauen wäre. Ich gewann ihn lieb, weil kein Fehl und kein Falsch an seiner Seele ist. Er spricht aus, was er denkt. Und er tut, was recht ist. Nie werde ich glauben, was Ihr ihm vorwerft.« Dankwart trat an Gudruns Seite. Er hatte sich wieder in der Gewalt. »Laß gut sein, Gudrun! Ich danke dir für dein mutiges Wort. Aber ich bin Manns genug, mich selber zu verteidigen. Und ich sage Euch: was hier gespielt wurde, muß ein Blendwerk der Hölle sein. Ich weiß nicht, wie die falschen Würfel in meine Hand gerieten ...« »Die Tatsachen sprechen gegen dich«, unterbrach ihn Einhart schroff. Verzweifelt entgegnete Dankwart: »Ein böser Spuk muß hier
herrschen!« »Mir macht Ihr nichts vor«, sagte Gorm. »Ich kenne den Urheber des bösen Spuks.« Und er sah Dankwart vernichtend an. »So verlange ich ein Gottesurteil«, forderte Dankwart erregt. Alle horchten auf, und keinem fiel es ein, dagegen zu sprechen. Oft wurde ein Gottesurteil angerufen, um ritterlichen Zwist zu entscheiden. »Morgen bei gutem Vormittagslicht«, fuhr Dankwart fort, als niemand ihm widersprach, »fordere ich Roland zum heiligen Zweikampf, um zu beweisen, daß ich nicht schuldig bin. Auf jener Lichtung, wo wir heute fröhliche Kurzweil trieben, wollen wir ernste Männerschläge führen. Seine Rüstung, sein Pferd und die 300 Dukaten, die ich ihm abgewann, gebe ich ihm vorderhand zurück. Wer von der Lanze des anderen in den Sand geschmettert wird, der soll des Unrechts überführt sein!« »Und wenn Ihr beide zu Boden geworfen werdet?« gab der praktische Hasso zu bedenken. »Dann kämpfen mir mit den Schwertern so lange, bis einer den Todesstreich empfängt.« Roland holte tief Atem. »Wenn die Morgensonne sich über die höchsten Zinnen von Burg Gimlet hebt, Dankwart, erwarte ich Euch auf dem Turnierplatz. Bis dahin, ich rate Euch gut, verschwendet Eure Zeit nicht mit Schlafen. Denn der Schlaf, den ich Euch morgen schenke, wird ohne Ende sein!« Stille folgte. Doch kurz darauf erfüllten melodische Klänge die Burg. Die vier Zwerge hatten ihre Instrumente wohl gestimmt und spielten den Abend ein. In stolzer Haltung führte Dankwart Gudrun aus dem Zimmer, in dem der Streit entbrannt war. Einen langen, langen Blick warf Roland ihm nach. Und dieser Blick war nicht frei von Neid. *
Sobald die vier Zwerge ihr gemeinsames Zimmer erreicht hatten, legten sie die Tünche guter Manieren ab, überließen sich hemmungslos ihren Instinkten und trieben koboldhaften Schabernack. Jeder versuchte, dem anderen die Zipfelmütze über die Ohren zu ziehen, und kicherte schrill, wenn es ihm gelang und der Kamerad blind herumstand. Sie zerrten einander grob an den grauen Zauselbärten, traten sich gegenseitig in den Hintern und bewarfen sich mit Kieselsteinen, die sie tagsüber eifrig gesammelt und eingesteckt hatten. Schließlich kamen sie zu ihrem Lieblingsspiel, dem Wettfurzen. Da knatterten sie und ballerten sie und ließen lärmende Winde fahren, daß es nur so rauschte. Sie waren stolz auf ihre Kunst. Kein normal gewachsener Mensch hätte es so gut gekonnt. Wie so oft gewann Zwerg Pauke. Er konnte hinterrücks ganze Melodien hervorbringen. Von all den Anstrengungen ermüdet, sanken sie bald aufs Bett, das für alle vier ausreichte. Jeweils zu zweit lagen sie nebeneinander, und die Füße begegneten sich in der Mitte. Nur die Stiefel hatten sie ausgezogen, die Kleider nicht. Sie mußten jederzeit in der Lage sein, plötzlich aufzuspringen und zu handeln. Sie wußten ja nicht, in welcher Nacht Caliban kommen würde. Das Fenster hatten sie vorher geöffnet, weil es nach dem Wettspiel ziemlich stank. Als Sieger durfte Pauke die erste, die angenehmste Wache halten. Er hielt im Liegen die Augen offen, schaute durch die runde Maueröffnung in den düsteren Himmel und lauschte auf die Geräusche der Nacht. Wildschweine grunzten. Zweige brachen unter dem leichten Tritt eines Fuchses. Eine Eule krächzte. Rehe fiepten. Fern schrie ein Hirsch. Pauke erkannte jedes Tier. Denn die Zwerge verbrachten die meisten Nächte ihres Lebens nicht in weichen Betten, sondern im knorrigen Wurzelgewirr alter Waldbäume. Und dann flötete ein Pirol!
Ein Ruck ging durch Paukes kleine Gestalt. Kein Pirol flötet zur Nachtzeit! Wieder erklang die süße einschmeichelnde Tonfolge. Pauke erhob sich und ging ans Fenster. Unterwegs nahm er die brennende Kerze vom Fußboden, stellte sie auf den Söller und begann zu zählen. Er zählte, so weit er zählen konnte. Also bis acht. Dann nahm er die Kerze vom Söller und stellte sie auf den Fußboden. Wieder zählte er bis acht. Dieses Manöver wiederholte sich dreimal. Jedesmal, wenn das Licht im Fenster erschien, sang der Pirol. Es war also Caliban ... Befriedigt nickte Pauke, nahm die Kerze fort und weckte die Kameraden. Sie stellten keine Fragen, sondern standen wortlos auf und schlüpften in die leichten Stiefelchen. Auf diesen Augenblick hatten sie seit Tagen gewartet. * Jede Nacht zogen vier Knappen am Burgtor von Gimlet auf Wache. Der älteste stellte einen Mann als Posten vors Tor, schloß hinter ihm ab und legte sich mit den beiden anderen in der Wachkammer auf Strohschütten zum Schlafen nieder. Draußen achtete indessen der Posten, an seine Hellebarde gelehnt, auf verdächtige Vorkommnisse. Immer wenn der älteste Knappe im Verlauf der Nacht aufwachte, ließ er den Posten am Tor ablösen. Dazu stand er ebenfalls auf, um auf- und zuzuschließen. Es kam vor, daß ein Posten die halbe Nacht wachte, während ein anderer schon nach einer knappen Stunde abgelöst wurde. Sonderlich ernst nahm ohnehin niemand den Wachdienst. Solange man zurückdenken konnte, hatte kein feindliches Heer sich Burg Gimlet genähert. Schon gar nicht bei Nacht. Nur selten mußte der Posten in Aktion treten, wenn ein verspäteter Gast Einlaß begehrte oder ein Verirrter um Hilfe bat.
* Wie körperlose Schemen huschten die vier Zwerge auf Zehenspitzen bis ans Tor der Burg. Einmal knarrte ein Brett und sie erstarrten zu winzigen Standbildern. Dann setzten sie noch vorsichtiger ihren Weg fort. Zwerg Waldhorn schlich bis an die Tür der Wachkammer und schien mit ihr zu verschmelzen. Die anderen blieben mit angehaltenem Atem wenige Schritte hinter ihm stehen. Wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie auch den Herzschlag angehalten so laut dröhnte er in ihren Ohren. Unendlich langsam drückte Waldhorn die Tür nach innen auf. Er hatte einmal irgendwann bei einem Zimmermann geringe Handlangerdienste verrichtet und galt seitdem unter den Kameraden als Spezialist im Umgang mit Türen und Fenstern. Schließlich war die Tür soweit geöffnet, daß Waldhorn leicht hindurchschlüpfen konnte. Er tat es, und zwei Zwerge folgten ihm. Lautlos schlichen sie zu den drei schlafenden Knappen und banden ihnen mit raschen, oft geübten Bewegungen Arme und Beine. Zwei wurden nicht einmal wach. Nur der älteste Knappe schlug die Augen auf, konnte aber nichts erspähen. Doch spürte er den federleichten Hauch eines Luftzugs", den geheimnisvolle Bewegungen im Raum verursachten. Was ging hier vor? Er richtete sich erschrocken auf, fiel aber sofort wieder zurück, weil er die Arme nicht rühren konnte. Abergläubische Furcht überkam ihn. Er öffnete den Mund zum Warnschrei - da preßte ihm Zwerg Laute einen Strohbüschel zwischen die Zähne. Die beiden anderen Knappen schlummerten weiter. Selig schnarchte es aus den offenen Mündern. Das gleichmäßige Geräusch übertönte alle fremden Laute. Waldhorn und Pauke verschlossen auch ihnen die Mäuler mit Stroh. Einer nahm dem ältesten Knappen den Schlüssel vom Hals, und alle schlüpften sie auf den Gang, wo Zwerg Harfe ihrer wartete. Harfe nahm den Schlüssel an sich. Dann packten Pauke und Waldhorn ihren Kameraden Laute an den kräftigen Oberschenkeln und stellten ihn auf Harfes Schultern. Nochmals verschwand Waldhorn in der Wachkammer, um mit einem Mantel zurückzukehren. Den reichten
sie dem sich niederbeugenden Laute hinauf. Der legte ihn sich so um die Schultern, daß er ihn und seinen Untermann völlig einhüllte. Harfe schloß das Tor auf. Mit Laute auf der Schulter trat er nach draußen. Der Posten wandte sich um. Er sah den gewohnten Umriß eines normalgewachsenen Mannes. »Was ist?« fragte er leise. »Ablösung«, flüsterte Laute. Ein schöneres Wort kannte der Posten nicht in seinem Sprachschatz. Rasch trat er durch das offene Tor in die Burg. In der Eile vergaß er sogar, seine draußen an der Mauer lehnende Hellebarde mitzunehmen. Er war also ganz waffenlos, als die Zwerge Pauke und Waldhorn ihn wie die Wildkatzen anfielen. Dennoch war es ein kritischer Augenblick für die verräterischen Zwerge. Hätte der Posten nur etwas mehr Mut besessen, so wären die Burgbewohner noch durch einen Warnruf alarmiert worden. Ob er sie gerettet hätte, wäre allerdings trotzdem fraglich geblieben. Aber der Knappe war ein Hasenfuß und Trottel, der es nach allgemeinem Urteil sowieso nie zum Ritter bringen würde. Er liebte es, Rüstungen und Schilde so lange zu polieren, bis sie in der Sonne wie Silber glitzerten. Nächtliche Wachen waren ihm ein Greuel. Und einen ernsthaften Waffengang fürchtete er wie die Pest. Er pries sich glücklich, noch nie in einen Kampf verwickelt worden zu sein, in dem Blut geflossen wäre. So war er jetzt vor Bestürzung, Angst und Schreck wie gelähmt. Ein einziges Wörtlein brachte er ächzend heraus. Es lautete: »Gnade!« Pauke und Waldhorn hatten leichtes Spiel mit ihm. Sie legten ihn, stramm gefesselt und mit Stroh im Mund, zu den übrigen. Draußen hatten ihre beiden Kameraden inzwischen damit begonnen, die Zugbrücke hinunterzukurbeln. Jetzt zahlte sich ihre Arbeit vor drei Tagen aus. Sie hatten die Gelenke der Brücke wirklich erstklassig geschmiert. Es gab kein Knirschen, kein Stöhnen, kein Quietschen. Geräuschlos senkte sich die Brücke, wie von Geisterhand bewegt, über den Graben. Als sie eingerastet war, stemmten die Zwerge zufrieden die Arme
in die Hüften und warteten auf Caliban. Wieder einmal war es ihnen gelungen, ihrem Herrn und Meister eine Burg durch List und Tücke kampflos zur Plünderung zu übergeben. Sie kannten jeden Winkel auf Burg Gimlet. Sie wußten, wo die Golddukaten verwahrt wurden, wo die Damen ihren Schmuck versteckt hielten, wo es andere Schätze gab, die des Mitnehmens wert waren. Die Zwerge warteten auf Caliban, den man den Schrecklichen nannte! Es waren übrigens nur noch drei Zwerge. * Es ist eine Stunde nach Mitternacht. Im Wald schreit ein Kauz. Ein Reh bricht hastig durchs Gehölz, auf atemloser Flucht vor einem Wolf. Kein Stern blinkt am leeren Himmel. Schwere Flügel schwingt der Wind. Die Äste beben. Und Caliban schreitet über die Brücke! Mit Lappen hat er die nackten Füße umhüllt. So ist sein Schritt leiser als der des scheuesten Marders. Erst auf zwei Klafter kann ein scharfes Auge eine Bewegung erkennen. Denn er hat Gesicht und Hände mit Ruß geschwärzt. Eine abgewetzte Hose und ein zerfetztes Hemd bilden Calibans Kleidung. Und doch ist er einer der reichsten Männer des Landes. Acht Burgen hat er bisher überfallen. Jedesmal mit Hilfe der Zwerge. Und nun besitzt er riesige Schätze. Nur wenig davon hat er an seine winzigen Helfer verteilt. Und noch weniger an die zwanzig reuelosen Räuber, die ihm auf Gedeih und Verderb folgen. Den Großteil der Beute hat er an einen sicheren Ort verbracht, wo niemand ihn finden - ja, wo niemand ihn suchen wird. Aber es genügt ihm nicht. Er ist unersättlich. Er will immer noch mehr. In langgezogener Reihe schreitet hinter Caliban, gekleidet und rußgeschwärzt wie er, seine gefürchtete Garde, die zwanzig Räuber.
Es sind Gesetzlose, die wegen schwerer Verbrechen aus ihrer Heimat haben flüchten müssen. Fast jeder hatte schon einen Mord auf dem Gewissen, als er in Calibans Dienste trat. Liebe, Mitleid und Erbarmen sind ihnen fremd. Dafür brennen sie vor Mordlust und Habgier. Auf ihren Raubzügen stiebitzt jeder, was er nur kann. Aber keiner wagt es, wirklich wertvolle Beute vor Caliban zu verbergen. Denn vor dem »Schrecklichen« haben selbst diese rohen und gefühllosen Mörder panische Angst. Einst war Caliban ein Ritter. In seiner Jugend weckten seine Gewandtheit und Stärke große Hoffnungen. Doch es scheint, als sei er vom Teufel besessen. Statt den Armen zu helfen und die Schwachen zu beschützen, wie es Ritterpflicht, beutete er sie aus und prügelte sie auf seinen wüsten Streifzügen. Im Zorn erschlug er einen Bauern, vergewaltigte dessen drei Töchter und raubte ihnen, da sie laut klagten, mit drei Schwertstreichen das Leben. Die Ritterschaft wandte sich angeekelt von Caliban ab. König Artus forderte ihn auf, vor Gericht zu erscheinen. Er aber zog es vor, seine Burg zu verlassen und unter die Räuber zu gehen. Er diente nacheinander unter drei Räuberhauptleuten. Gegen jeden lehnte er sich nach einiger Zeit auf. Alle drei starben von seiner Hand. Ihre Männer vereinigte er zu einer einzigen Bande. Einstmals spürte ihn der tapfere Ritter Detmar auf und zwang ihn zum Zweikampf. Eine Stunde lang tanzten die Schwerter. Dann lag Detmar sterbend im Gras, und blutüberströmt schleppte sich Caliban schwerverletzt in den Wald. Es dauerte drei Monate, bis er genas. Aber die Spuren von Detmars Streichen sollten nie vergehen. Einäugig, mit tiefen Gesichtsnarben, bietet Caliban einen furchtbaren Anblick. Der Kampf mit Detmar hat seinen Charakter noch schlimmer, noch grausamer gemacht. Endgültig wird er jetzt zum Schrecken vieler Burgen. Nur noch nachts, wenn alles schläft, überfällt er die Ritter. Und
immer öffnen ihm die verräterischen vier Zwerge Tür und Tor. Wenn die armen Opfer endlich das Doppelspiel der kleinen Musikanten durchschauen, ist es auch schon für sie zu spät. * »Geh noch nicht von mir, Geliebter«, flüstert Gudrun. Tränen schimmern in ihren seegrünen Augen. »Es ist schon spät«, wehrt Dankwart ab. »Ich gedenke, noch ein wenig zu ruhen. Zwar fürchte ich diesen Maulhelden Roland nicht. Doch werde ich all meine Kraft brauchen, um ihn mit der blanken Waffe als gemeinen Verleumder zu entlarven.« »Mir ist so bang«, sagt Gudrun kläglich. »Ich wünschte, wir wären weit fort und diesem Roland nie begegnet.« »Nach dem Duell wirst du anders denken«, tröstete Dankwart. »Dann kennt alle Welt Roland als das, was er in Wahrheit ist: ein Aufschneider und Hohlkopf.« Doch Gudrun verharrt in ihrer traurigen Stimmung. Die Trostworte verfangen nicht. Mit verschleiertem Blick schaut sie Dankwart nach, der sich entschlossen umwendet. In diesem Augenblick wird die Tür aufgestoßen. Auf der Schwelle erscheint Zwerg Laute. Seine Hände umfassen die Hellebarde des Postens, die er, unbemerkt von den anderen, an sich gerissen hat. »Was willst du hier?« faucht Dankwart ihn an. »Verschwinde, Kleiner!« Das Wort erregt den Zwerg aufs äußerste. Er betrachtet es als Schimpf. Und so richtet er die Spitze der Hellebarde gegen Dankwarts Brust, als er hitzig erwidert: »Ihr habt ausgespielt, verfluchte Ritter! In diesem Augenblick betritt Caliban die Burg. Ich, Zwerg Laute, habe ihm den Weg geebnet. Und jetzt hole ich mir den Lohn, die schöne Gudrun. Aus dem Weg, Ritter, oder ich steche Euch nieder!« Dankwart schlägt mit der flachen Hand gegen den Schaft der Hellebarde, daß sie Zwerg Laute fast entgleitet. Der Zwerg taumelt
und schreit: »Seid Ihr wahnsinnig? Habt ihr nicht verstanden? Caliban ist in der Burg!« Mit einem Schritt ist Dankwart bei ihm und packt ihn am grauen Zauselbart, daß Laute vor Schmerz aufschreit. »Sprichst du wahr? Wie sollte Caliban ...« »Wir Zwerge«, schreit Laute trotzig und stolz, obwohl er hilflos in Dankwarts Griff hängt, »wir Zwerge haben für ihn die Wache überwältigt und die Zugbrücke heruntergelassen ...« Jetzt dröhnt von unten bereits das zügellose Geschrei der Räuber herauf. Gudrun gefriert das Blut in den Adern. »Hört Ihr?« schreit Laute triumphierend. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist, Ritter, dann verlaßt Eure Geliebte, die ich mir als Beute ausgesucht habe, und gebt Euch mir zum Gefangenen! Ich werde dann bei Caliban dem Schrecklichen ein gutes Wort für Euch einlegen, und mein Wort wiegt schwer, merkt Euch das!« Dankwart packte den Zwerg, entwindet ihm die Hellebarde und schleudert ihn auf den Korridor. Er bedeutet Gudrun, sich im Zimmer zu verbergen und tritt hinaus. Sekunden später weckt seine Stimme die Schläfer in vielen Räumen der Burg. »Wacht auf, Ihr Ritter! Überfall! Caliban ist in der Burg! Überfall! Wacht auf! Zu den Waffen, Ritter!« Schon beim ersten Ton springt Roland von seinem Lager. Im Nachtgewand greift er zum Schwert und eilt ans Fenster. Es liegt ziemlich genau über dem Burgtor. Zwei Fackeln beleuchten die beängstigende Szene. In langer Reihe ziehen zerlumpte Gestalten über die Zugbrücke und verschwinden in der Burg. Das Tor ist weit offen! Der Name Caliban ist auch für Roland ein Begriff. Er kennt seine Geschichte. Er weiß um seine Grausamkeit. Nicht ein Augenblick ist zu verlieren. Mit Grauen denkt Roland an das Geschick, das den Frauen in der Burg droht, wenn die wilde Meute der Gesetzlosen über sie herfällt. Roland schwingt sich auf den Söller. Etwa fünf Klafter unter ihm
bewegt sich der Zug der Räuber aus dem Odenwald. Ohne Besinnen stößt er sich mit den Füßen ab und schwingt sich im Nachtgewand hinaus. Rasend schnell geht der Fall in die Tiefe. Schon glaubt er mit den Füßen den Boden zu berühren. Doch da landet er genau auf Kopf und Schultern eines Räubers. Mit einem Schrei des Entsetzens bricht der Mann unter dem Anprall zusammen, um nie wieder aufzustehen. Roland ist mitten unter den Räubern! Sie sind mit gefährlichen Eisenstangen bewaffnet, vorn zugespitzt, so daß sie auch als Stichwaffe zu verwenden sind. Sie sind kurz, diese Stangen, denn in den engen Gängen und Räumen vieler Burgen erweisen sich lange Speere als ungeeignet. Zum Glück ist Roland nicht hingefallen. Er springt vom Rücken des niedergestreckten Räubers auf den Boden und greift sofort die zunächststehenden Verbrecher an. Wie ein Wahnsinniger schlägt er mit dem Schwert in schneller Folge nach allen Seiten um sich. Und die Räuber weichen zurück. Sie sind schockiert. Es ist, als sei da ein Gegner vom Himmel gefallen. Sie glaubten, leichtes Spiel zu haben und die Besatzung im Schlaf zu überraschen. Jetzt werden sie noch vor dem Burgtor zum Kampf gestellt. Nur Caliban und seine beiden Unterführer haben bereits das Burgtor durchschritten. Sie ahnen nichts von dem, was sich in ihrem Rücken abspielt. Allmählich gewinnen die Räuber Übersicht und kühlen Kopf. Sie sehen, daß Roland ganz allein ist. Sie bilden einen Kreis um ihn. Ein vierschrötiger Kerl macht sich bereit, ihm die Eisenstange in den Rücken zu bohren, sobald ein Helfershelfer Roland von vorn angreift. Und da ist es soweit! Drei Gesetzlose rücken gleichzeitig gegen Roland vor. Der sieht sich einem verwirrenden Gitterwerk von durch die Luft sausenden Stangen gegenüber. Ein Schlag verfehlt ihn nur um Haaresbreite. Er paßt auf wie ein Luchs. Denn er trägt ja keinerlei Rüstung. Ein einziger Treffer könnte ihn lahmen oder töten. Ein Meister im Fechten ist Roland noch lange nicht, aber den
Räubern hierin doch weit überlegen. Sein Schwert zuckt wie eine Flamme durch die Nacht und scheint die plumpen Stangen zu verzehren. Dem einen Räuber wird die Stange aus der Hand geschlagen. Der zweite sieht erschrocken, wie Rolands Schwert seine Stange zerschneidet, so daß ihm nur noch ein kurzes Ende verbleibt. Der dritte, von Angst erfaßt, nimmt Reißaus. Roland wirbelt herum und sieht den Vierschrötigen auf sich einstürmen. So kann er im letzten Augenblick dessen hinterlistigen Angriff entgehen. Rolands Schwert ist schneller. Mit einem Seufzer fällt der Mann zu Boden. Er wird nie mehr an einem Überfall teilnehmen. »Verrat!« schreit der fliehende Räuber. »Wir sind verraten! Flieht, Brüder, flieht! Rettet euch, solange die Zugbrücke noch unten ist!« Aber niemand folgt dem Feigling. So leicht sind diese hartgesottenen Verbrecher nicht in die Flucht zu schlagen. Die ersten Opfer schüchtern sie nicht ein. Sie sind Mord und Totschlag gewöhnt. Traf es gestern ihre Feinde, so trifft es heute vielleicht sie. Darauf sind sie eingestellt. Und das macht sie zu so gefährlichen Gegnern. Und bisher haben sie noch immer gesiegt. So dringen sie an Roland vorbei in die Burg. Er muß achtgeben, daß er nicht ausgeschlossen wird. Denn sie werfen ihm das Tor vor der Nase zu. * Dankwarts Schrei hat auch die anderen Ritter und Knappen geweckt. Sogar Gorm, der nach seiner Gewohnheit zum Sonnenuntergang viele Humpen geleert hat, bewegt sich - aber wie matt! Mit geschlossenen Augen hebt er sich auf und fällt sofort wieder zurück. War da nicht etwas? Ein Schrei? Er wird geträumt haben. Schon schläft er wieder. Hasso ist blitzschnell vom Lager. Auch sein Knappe ist flink. Schon bringt er ihm die Rüstung und hilft, sie ihm anzulegen. Alles
muß an der richtigen Stelle sitzen. Harnisch, Helm, Armschienen und Beinmetall. Oh, wieviel Zeit verschlingt es, dem baumlangen Hasso die vielen Panzer anzupassen! Vergeblich suchen Pierre und Louis nach Roland. Sein Zimmer ist leer. Verstört laufen sie zu Volker hinüber. Der trägt schon Hosen und Helm. Eben greift er nach dem Schwert. Zu dritt eilen sie in die Halle hinunter. Indessen hat sich Einhart der Lächler, einen grimmigen Ausdruck im Gesicht, bis an die Zähne bewaffnet, vor seiner Rüstkammer aufgestellt, die seine Dukaten und andere Wertsachen birgt. »Geh du zu den anderen«, befiehlt er seinem Sohn Erhard, dessen hochgemuter Sinn diese Aufforderung allerdings kaum braucht, »und verteidige die Burg! Wenn ihr unterliegt, dann wird sich die Bande an mir die Zähne ausbeißen! Hier in diesem engen Gang kann nur immer einer an mich heran, und ich werde sie Mann für Mann erledigen.« »Keine Sorge, Vater«, ruft Erhard, »so weit lasse ich es nicht kommen!« In der Halle ist die Schlacht im Gange. Seite an Seite fechten die Ritter, ob auch grimmiger Streit sie vorher fast zu Todfeinden gemacht hat. Da erschlägt Volker einen Räuber, der sich an Dankwart herangemacht hat, um ihm die Eisenstange über den Schädel zu schlagen. Da rettet Dankwart den lieben dicken Knappen Pierre, den der Wirbel geschwungenen Eisens in große Verwirrung bringt. Zu seinem eigenen Erstaunen fühlt Pierre überhaupt keine Angst. Er hat auch gar keine Zeit dazu. Nach allen Seiten, so kommt es ihm vor, muß man sich wehren. Aber er kann die Augen nicht überall haben, und so kommt er in Bedrängnis. Im letzten Augenblick reißt Dankwart ihn aus der Not, indem er ihn am Kragen packt und an sich zieht. Atemlos trifft Erhard ein. Ohne Zögern wirft er sich gegen die Räuber. Aber er ficht zu hitzig, und sein Schwert landet nur wenige Treffer. Louis ist wie ein leibhaftiger Teufel unter die Eindringlinge
gefahren. In dem ehemaligen edlen Räuber ist das wilde Blut erwacht. Während er gewichtige Schläge austeilt, schreit er, daß es schaurig im Saal widerhallt. Wären die Gegner nicht so verzweifelt hartgesottene Kämpfer, allein Louis Kampfgebrüll müßte ihnen lähmend ins Gebein fahren. Plötzlich bricht das Geschrei des schwarzbärtigen Knappen ab. Von einer Stange an der Schläfe getroffen, taumelt er, läßt seine Waffe fallen, reißt beide Hände an die Wunde und bricht vor Pierres Füßen zusammen. Und da ist es um die Fassung des Dicken geschehen. Im Augenblick verläßt ihn aller Mut, über den er doch eben noch gebot. »Louis«, klagt er und bricht neben dem Gefallenen in die Knie, »lieber Louis, was ist mit dir? Antworte doch!« Die einzige Antwort ist ein leises Stöhnen. Die Sache der Ritter steht nicht zum besten. Volker hat sich zu Caliban durchgeschlagen, den er an seiner überragenden Länge und am zerhackten Gesicht erkennt. Der Räuberhauptmann führt eine furchterregende Waffe. Sein Beidhänderschwert, das einst dem tapferen Ritter Detmar gehörte, hat eine Klinge, die gut zwei Handspannen breit und auf jeder Seite in stundenlanger Arbeit so scharf geschliffen wurde, daß sie eine fallende Feder sauber in der Mitte zerteilt. Als Caliban den verrückenden Volker erblickt, wendet er sich gegen ihn. Auch er erkennt den Gegner. Der Spielmann ist's, frohlockt er. Dem Manne hat er Rache geschworen. Ein Lied ist ihm zu Ohren gekommen, in dem Volker einst ihn besang, und es hat ihm mißfallen. Denn nicht von seiner Stärke war darin die Rede und von seinen Erfolgen, sondern von seinem gräßlichen Aussehen und seinem schurkischen Charakter. Volker greift ungestüm mit Todesverachtung an. Der Meister des Gesanges ist auch ein Meister der Fechtkunst. Als sein Schwert und Calibans Zweihänder erstmals aufeinanderprallen, stieben die Funken in der halbdunklen Halle hoch auf. Caliban ist überrascht, beinahe überrumpelt. Er hat Volker
unterschätzt, ihn für einen leichtsinnigen Künstler und müßigen Frauenverführer gehalten. Nun erkennt er: Das ist ja ein Mann! Ein Mann wie aus Stahl, ein großer Kämpfer ist Volker wirklich. Als Caliban das merkt, da ist es schon fast zu spät. Nur schnelles Zurückweichen rettet ihn vor einer unerwartet plötzlichen Niederlage. Mit vier Schritten bringt er sich aus der Todeszone, die Volkers funkelndes Schwert um ihn zeichnet. Dann aber stößt er mit dem Rücken gegen die große Bankettafel und wird so aufgehalten. Wie der Blitz ist Volker ihm nach! Und Caliban schreit markerschütternd auf. Seine linke Schulter ist getroffen. Fast gelähmt hängt der Arm herab. Schon baut sich Volker zum nächsten Angriff auf, mit dem er den Schrecklichen außer Gefecht setzen will. Noch einmal nimmt Caliban in tödlicher Gefahr alle Kraft zusammen. Nein, er gibt sich nicht geschlagen. Oft schon hat er schwere und tiefe Wunden davongetragen. Aber zum Schluß blieb er doch immer Sieger. Sein urwelthafter Schrei hat alle abgelenkt. Die vielen Einzelgefechte erlahmen. Eben noch erbitterte Gegner lassen voneinander ab. Gebannt schauen aller Augen auf das Duell am Bankettisch. Als Volker jetzt angreift, trifft er auf geballte Abwehr. Caliban schwingt den schweren Beidhänder allein mit der rechten Hand, als wäre er eine federleichte Gerte! Und er zerbricht mit machtvoller Gegenattacke die kunstreiche Deckung des Spielmanns. In der Saalecke gibt Louis erste Lebenszeichen zu erkennen. Pierre legt ihm eine Schärpe um die blutende Kopfwunde. Mit sorgsamen Händen tut er das wie ein gelernter Wundarzt. Und nun dröhnt ein schwerer Schritt durch die Halle. Alle anderen um Haupteslänge überragend, erscheint Hasso, von Kopf bis zu den Zehen in schimmernde Wehr gehüllt. Es hat lange gedauert, bis ihm sein Knappe jedes Stück der Rüstung angelegt. Aber nun ist das schwierige Werk vollendet - und Hasso schickt sich an, in den Kampf einzugreifen!
Staksig stolziert Hasso auf die Räuber zu, die nur Augen für die Auseinandersetzung ihres Hauptmanns mit Volker vom Hohentwiel haben. Und schon zieht Hasso sein überlanges Schwert... Erschrocken spritzen die nächststehenden Räuber beiseite, als sie den riesigen Ritter gewahren. Doch noch ehe er den ersten Schlag führen kann, gleitet der gepanzerte Mann auf dem glatten Estrich aus. Das drohend hochschwebende Schwert taumelt und flattert. Hasso ringt um sein Gleichgewicht. Doch vergeblich! Die Schwere der eigenen Rüstung ist gegen ihn. Sie zwingt ihn zu Boden. Unter ohrenbetäubendem Geklirr schlägt der lange Ritter auf den Estrich. Dort sieht man nur noch ohnmächtige Zuckungen von ihm. Alle Versuche aufzustehen scheitern kläglich. Ja, nicht einmal den Oberkörper kann er aufrichten. In seinem Eisenpanzer liegt er so hilflos am Boden wie ein Käfer, der auf den Rücken gerollt ist. Die Räuber brechen in ein Hohngebrüll aus. Indessen erzwingt Caliban eine Wendung des Kampfes. Nun ist Volker auf dem Rückzug. Mehrmals vermeidet er nur mit genauer Not und um Haaresbreite die scharfe, beidseitig geschliffene Klinge des übermächtig gewordenen Gegners. Ehe er völlig in die Enge getrieben wird, löst er sich und flieht auf den Gang hinaus. Von ihres Hauptmanns Erfolg ermutigt, fallen die Räuber erneut die Burgbewohner an. In kurzer Zeit geraten die Verteidiger Gimlets in schwere Bedrängnis. Zu zweit und zu dritt nehmen die Strolche des Waldes sich einen Ritter oder Knappen vor. Ein böses Ende beginnt sich abzuzeichnen. Da dröhnt es dumpf vom Eingang her. Mit Gewalt sprengt Roland das Burgtor auf! Sein gutes Schwert dient ihm als Brecheisen. Volker sieht ihn als erster. »Hierher, Roland!« bedeutet er ihm. »Zur Halle!« Und gemeinsam mit dem Freund dringt der Sänger zum zweitenmal ins Getümmel. Ringsum ist der Kampf in voller Härte entbrannt. Einige Räuber verwenden ihre Eisenstangen als Wurfgeschosse. Danach stürzen sie sich mit bloßen Händen auf den Gegner und bringen ihn zu Fall. Schon wälzen sich verbissene Knäuel am Boden, und rohe Hände greifen nach der Kehle des
anderen. Volker kommt nicht mehr weit. Mit dem Fuß bleibt er an dem liegenden Hasso hängen und stürzt der Länge nach über den gepanzerten Ritter zu Boden. Da liegt er, hilflos dem Stahl des Räuberhauptmanns preisgegeben. Doch nur einen Augenblick lang. Schon schnellt Roland vor und stellt sich schützend vor den Freund. Erhard folgt ihm und baut sich zu seiner Linken auf. Dankwart taucht rechts auf. Einen Augenblick sieht es so aus, als wolle er Seite an Seite mit Roland und Erhard gegen Caliban fechten, zu dem sich inzwischen seine beiden Unterführer gesellt haben. Doch dann zögert er ... ... und bleibt schräg hinter Roland stehen! Roland stürmt auf Caliban ein, der abwehrend seinen gewaltigen Hauer hebt. Doch plötzlich wendet sich Roland gedankenschnell nach rechts. Sein Bein schnellt nach oben und trifft Calibans Helfershelfer vor die Brust. Der Mann kippt nach hinten wie ein Baum, den die Axt des Holzfällers getroffen hat. Klirrend treffen nun Rolands gutes Schwert und Calibans Beidhänder gegeneinander. Da zeigt es sich, daß Caliban nur mit einem Arm Rolands Riesenkraft nicht gewachsen ist. Der Widerstand des Waldhauptmanns wird schwächer. Roland rückt näher und näher. »Ergib dich!« ruft Roland ihn an. »Caliban ergibt sich keinem«, lautet die entschiedene Antwort, begleitet von einem tückischen Ausfall. Es sind die letzten Worte, die man je von Caliban hören wird. Denn er läuft genau in die Schwertspitze, die Roland ihm, seine Waffe hochreißend, entgegenstreckt. Erschlagen liegt Caliban in der Halle der Burg Gimlet! Mit Grauen sehen es die Räuber. Einer der Unterführer faßt sich ein Herz und übernimmt das Kommando. »Drauf, ihr Burschen!« schreit er heiser. »Haltet noch ein wenig aus! Dann wird der Sieg unser sein ...« Doch ein Räuber nach dem anderen löst sich mutlos vom Gegner und schleicht davon.
»Denkt an die Schätze der Burg!« schreit der Unterführer verzweifelt. »Heute dürft ihr nach Herzenslust plündern!« Aber der Tod von Caliban, den sie für unbezwingbar gehalten, trifft die Räuber bis ins Mark. Nur noch wenige liefern sich halbherzige Rückzugsgefechte mit den Knappen. Dann folgen auch sie den anderen, die in panischem Schrecken aus der Halle fliehen, durchs Tor und über die Zugbrücke, den ihnen weit vorauseilenden Zwergen nach - dorthin, wo sternlose Nacht und dichtes Unterholz ihnen Rettung verheißt. * In seinem Zimmer schlägt Gorm die weinmüden Augen auf. Eine Stunde lang hat sein Knappe sich hingebungsvoll bemüht, ihn wachzurütteln. »Endlich«, ruft der unermüdliche Jüngling erleichtert. »Was ... ist?« fragt Gorm mit zentnerschwerer Zunge. »Herr, Räuber sind in der Burg!« »Räuber? Wer ist ihr Anführer?« »O Herr, es ist Caliban der Schreckliche.« Schmerzliche Bitternis verzerrt Gorms blasses Gesicht. Wiederholt sich das Schicksal? Holen ihn die Geister der Vergangenheit ein? Denn vor vielen Jahren war Gorms Burg die erste, die Caliban einnahm und ausplünderte und zerstörte. Am hellichten Tage griff er damals an und ohne Hilfe der Zwerge. Es war ihm zu Ohren gekommen, daß Gorm aus Langeweile früh zu bechern begann und gegen Mittag meist schon volltrunken und unfähig zu kämpfen war. Gorms junges Weib ward, da sie sich wehrte, von den Räubern erschlagen, derweil ihr Gatte schnarchend schlief. In seiner Verzweiflung tat Gorm danach das Gelübde, nie mehr vor Sonnenuntergang zu trinken. Aber inzwischen hat Caliban seine Taktik geändert. Jetzt greift er nur noch nächtens an. Um die Reste seines schweren Rausches loszuwerden, schüttelt Gorm den Kopf hin und her. »Wie steht es?« fragt er sorgenvoll. »Sind die Unseren alle tot?«
Und er horcht. Keine Kampfgeräusche dringen in sein Zimmer. Es ist so still, beängstigend still... Da dringen Jubelrufe aus der Halle nach oben! Gorm schickt den Knappen los, die Wahrheit zu erforschen. Bald kehrt der Junge zurück. Er strahlt. Er lacht. Er ist außer sich. »Herr, ein großer Sieg! Nur wenige der Unseren sind verwundet. Die Räuber sind in voller Flucht. Und in der Halle liegt, erschlagen von Rolands Hand, der gräßliche Caliban.« »Dem Himmel sei's gedankt«, murmelt Gorm. »Von Rolands Hand erschlagen, sagst du? So hat er den Tod meines Weibes gerächt. Welch ein großer Mann, dieser Roland! Wie erbärmlich, ihn beim Würfeln zu betrügen! Ich werde mich ihm anschließen, sein Vasall, nein, lieber sein Freund werden, alle Abenteuer an seiner Seite bestehen. Gleich jetzt stehe ich auf, es ihm mitzuteilen ... Die Sache duldet keinen Verzug ... Ein neues Leben will ich beginnen ... ein Hel... Heldenleben ...« Matter und matter wird seine Stimme. Das Haupt wird ihm schwer und fällt in die Kissen. Die Augen schließen sich. Schon schläft er tief und fest. * Als das Gesinde die letzten Spuren des mörderischen Kampfes um Burg Gimlet beseitigt hat, graut bereits der Morgen. Die Frauen haben alle Verwundeten verbunden. Auch Louis trägt eine blütenweiße Binde um den Kopf. Ihm dröhnt der Schädel. Niemand denkt daran, zur Ruhe zu gehen. Einhart der Lächler hält eine kleine Dankesrede und preist vornehmlich Roland. »Euer Schwert hat die Ritterschaft von einer wahren Geißel befreit!« Mit gutmütiger Geduld erträgt der lange Hasso die vielen Spötteleien über seinen »einsamen Kampf«. Er hat ja, während rings um ihn auf Tod und Leben gefochten und gerungen wurde, bewegungsunfähig in seiner schweren Rüstung am Boden gelegen.
Einer klopft dem anderen anerkennend auf die Schulter. Die gemeinsam bestandene Gefahr hat sie einander nähergebracht wie Brüder. Nur zwei meiden sich. Nicht einen Blick tauschen sie. Dankwart und Roland! Wollen sie, die eben noch verschworene Kampfgefährten waren, wirklich in wenigen Stunden das sogenannte Gottesurteil, ein tödliches Duell austragen? Die anderen Ritter schmerzt dieser Gedanke. Sie legen sich ins Mittel. Volker ist ihr Wortführer. Keiner weiß überzeugender zu sprechen als er. »Da Roland bereits von Dankwart Pferd, Rüstung und 300 Dukaten zurückerhalten hat, schlage ich vor: es bleibt dabei, und wir vergessen diese leidige Fehde. Eben haben sie noch Schulter an Schulter, als gute Kameraden, ein schreckliches Scheusal bekämpft. Mir ist der Gedanke unerträglich, daß sie sich nun gegenseitig die Köpfe einschlagen sollen!« . Mit seinen blauen Augen sieht Dankwart ihn treuherzig an. »Ihr sprecht mir aus dem Herzen, Volker. Wenn Ihr mir glaubt, Roland, daß nicht ich die gefälschten Würfel ins Spiel gebracht, reiche ich Euch bedingungslos die Hand zur Versöhnung.« Volker nickt ihm dankbar zu und wendet sich an Roland. »Du hast es gehört, Ritter mit dem Löwenherzen. Ergreifst du seine Hand?« Da hebt Roland den Kopf und sieht Dankwart lange prüfend an. Er läßt sich Zeit. Die anderen warten. Dankwart bewegt sich unruhig unter der fortgesetzten Musterung. Ewigkeiten scheinen ihm zu vergehen, bis Roland das schier unerträgliche Schweigen bricht. »Bevor ich mich entscheide, erlaubt, daß ich Dankwart eine Frage stelle.« Ein Lächeln huscht über Dankwarts angespanntes Gesicht. »Fragt mich nur tüchtig, Ritter Roland! Ich will Euch ehrlich antworten, was Ihr zu wissen begehrt.« »Dann hört mir genau zu! Viel wurde hier davon gesprochen, daß wir Schulter an Schulter gegen Caliban und die Seinen fochten. Doch
so sah ich es nicht. Ich erlebte es anders. Ihr, Dankwart, bliebt immer einen Schritt hinter mir. War es Zufall? War es Absicht? Antwortet! Oder widersprecht mir, wenn ich mich irre!« Dankwarts Züge verhärten sich. Heftig schüttelt er den Kopf und bestätigt zögernd: »Ihr irrt Euch nicht.« »Dann erklärt mir Euer seltsam Verhalten! Man denke, immer einen Schritt hinter mir! Nie an meiner Schulter! Nie einen Schritt vor mir! Warum tatet Ihr das? Doch gewiß nicht aus Angst vor den Räubern?« »Nein, Roland. Gewiß nicht aus unrühmlicher Angst vor den Räubern.« »Warum also? Wollt Ihr mir endlich antworten?« »Wenn Ihr darauf besteht...»Aus Dankwart sprüht ein trotziger Haß, den auch der treuherzige Ausdruck seiner Augen nicht mildert. »Ich befürchtete, Ihr würdet mich, sobald ich Euch den Rücken kehrte, im Kampfgetümmel niederstechen - also daß Ihr nicht zum Gottesurteil gegen mich anzutreten brauchtet!« Das sind unverblümte Worte. Das ist eine offene Kampfansage. Die Männer springen auf. Sie sind überrascht, empört, zweifelnd - je nach Einstellung. Roland allein bleibt ruhig. Doch er beherrscht sich nur mit fast übermenschlicher Anstrengung. Denn es kribbelt ihm in jedem Muskel, in jedem Nerv, den unerhörten Beleidiger auf der Stelle anzuspringen. Doch statt dessen sagt er gelassen, ohne sich von der Stelle zu rühren: »Nun, Ritter, ich danke Euch für Eure unverhüllte Antwort. Umso leichter wird es mir fallen, Euch nachhaltig zu züchtigen. Macht Euch bereit, gleichzeitig Ehre und Leben zu verlieren!« * Als die Vormittagssonne über die höchsten Zinnen der Burg Gimlet lugt, läßt sich Dankwart in den Sattel seines schweren Turnierpferdes heben. Er ist von Kopf bis Fuß in matt schimmerndes Eisen gehüllt.
Auf seinem Haupt sitzt der Stechhelm mit einem blauen Busch an der höchsten Stelle. Schon ist das Visier heruntergeklappt. Durch einen schmalen Schlitz nur sieht Dankwart die Welt, seine Welt: Den gerodeten, sonnenüberfluteten Turnierplatz. Die Scharen der Burgbewohner. Die Männer in höfischen Kniehosen, enganliegend, daß jeder Muskel hervortritt. Die Damen in langen bunten Kleidern mit erregendem Dekolleté. Unter ihnen die Schönste, eine Rose unter Buschwindröschen: Gudrun, die Dame, die sein Herz wie mit Zangen gefesselt hält. Doch wo ist Roland? Ihn haben selbst Volker und die beiden Knappen vergebens gesucht. Doch er war schon Stunden vorher auf dem Turnierplatz. Er übte mit seinem Pferd einen kurzen stürmischen Galopp, bei dem das Feld diagonal durchmessen wurde. Dann brachte er es in den Stall, ließ es abreiben, gut füttern und tränken. Jetzt steht Louis da - ohne Reiter, ohne Pferd. Einen Ersatzgaul führt er am Zügel. Louis leidet noch immer unter bohrenden Kopfschmerzen. Louis mit dem weißen Verband, der an einigen Stellen schon rostrote Stellen aufweist - Spuren des Blutes von seiner Schläfenwunde. Einhart der Lächler spielt auf einer eigens errichteten baldachinartigen Tribüne den Kampfrichter. »Ich rufe auf ... zum Gottesurteil... einem Gestech mit scharfer Lanze ... den Pennanten Dankwart!« Heftig umjubelt vom Damenflor, reitet der helmumbuschte, gerüstete Ritter im versammelten Trab vorbei. Grüßend hebt er die Lanze mit dem blauen Fähnchen. Hingerissen starren seine Fans auf die wohlbekannten drei fünfblättrigen blauen Blüten im weißen Turnierschild. Der Harnisch umschließt seinen Körper. Aus starker Tanne ist der Lanzenschaft. »Ich rufe auf... zum Gottesurteil... einem Gestech mit scharfer Lanze ... den Pennanten Roland!« Betreten starrt Louis zu Boden. Pierre reibt sich verlegen das feiste Kinn. Volker starrt in den Himmel. Verflucht - auch der Himmel ist
mit Dankwarts Farben geschmückt: das blaue Firmament und die weißen Wolken! Ein Hornsignal! Es klingt falsch und blechern. Ja, jetzt müßte man Zwerg Waldhorn zur Hand haben ... der konnte blasen! Nie schimmerte lockender Gudruns weißer Busen. Nie blitzten verwegener und herausfordernder ihre grünstrahligen Augen. Da verbirgt sich beschämt sogar die Sonne hinter einem Wölkchen, und der Turnierplatz mit dem einen einsamen Reiter liegt im milden Schatten. »Ich rufe auf... zum zweitenmal...« Louis stöhnt vor Gram. Wo bleibt sein Herr? Pierre ringt die Hände. Wo bleibt sein Herr? Volker summt nervös eine Melodie vor sich hin. Wo bleibt sein Freund? Da knistert's im Unterholz. Da teilen sich die Büsche. Da donnern Hufe. Da sprengt Roland aus dem Wald auf den Platz, die Eschenlanze mit dem gespitzten Kopf kampfeslustig unter die Armbeuge geklemmt! Nun wehre dich, Dankwart! Rolands blondes Haar flattert im Wind. Das ist sein Helmbusch denn einen Helm trägt er nicht. Seine Brust wölbt sich in ruhigem Atem. Das ist seine Wehr, denn ein Harnisch schützt sie nicht. Die Linke führt besonnen den Zügel. Das ist seine Deckung, denn einen Schild trägt er nicht. In braunem Lederwams und in leichten Stoffhosen reitet er in die Lichtung ein - wie zum Tanz gekleidet, nicht wie zum Stechen auf Tod und Leben. Den Damen bleibt der Atem weg. Die Herren erstaunen maßlos. Und alle begreifen sofort, daß Rolands Auftritt bezeichnet, wie tief er Dankwart verachtet, der ihn im Spiel betrog und der im Räuberkampf ihn beleidigte. Roland verzichtet auf Helm, Rüstung und Schild, gibt sich ungeschützt der Lanze des Feindes, weil er für ihn keinerlei Achtung verspürt, nur Hohn und Spucke im Maul. Doch Dankwart bleibt keine Zeit, darüber nachzusinnen. Im oft
geübten diagonalen Galopp sprengt Rolands Pferd näher. Ist es auch kein edler Araber wie der unvergeßliche Rih, so entwickelt es doch auf kurze Distanz eine enorme Geschwindigkeit, gegen die Dankwarts Roß wie ein Lastesel wirkt. Kein Wunder, denn es trägt einen Zentner allein an Eisen! Was vermag ein Lastesel gegen einen schnellen Renner? Wie behauptet sich ein Panzer gegen einen gewitzten Jäger? Da prallen sie in der Mitte zusammen. Doch Dankwart, unbeweglich in seinem vielen Eisen, verfehlt den diagonal anreitenden Roland um mehrere Handspannen. Aber Rolands Lanzenspitze trifft voll und mit verdrehter Kraft. Da schlägt Dankwarts Oberkörper nach hinten um. Der Zügel reißt. Die Füße rutschen gewaltsam aus den Bügeln. Vor Gudruns Augen flirrt es. Die weißen Wölkchen am hellblauen Himmel vertauschen ihre Plätze. Dankwart weiß nicht, wie ihm geschieht. In seinen Sehschlitzen spult ein Kaleidoskop von Farben und Formen ab. Der Gegner verschwindet aus dem Sichtfeld. Und kein Gefühl mehr unterm Hintern. Dankwart wird aus dem Sattel gehoben. Seitlich fliegt er vom Pferd. Und nichts begleitet ihn auf dem argen Flug als der entsetzliche Gedanke: verloren ... verloren das Gottesurteil ... Verloren auch sein Leben? Nein, das darf nicht sein! Dankwart ist ein gewandter Mann. Trotz der schweren Rüstung rappelt er sich schnell auf. Das Schicksal Hassos, wie gelähmt am Boden liegen, wiederholt sich bei ihm nicht. Schon steht er auf den Beinen. Da aber sprengt Roland heran. Er peitscht sein Pferd zu höchster Geschwindigkeit. Starr vor Schreck sieht Dankwart ihm entgegen. Offenbar will der verwegene Reiter ihn überrennen! Doch drei Schritte von Dankwart entfernt, pariert Roland das Pferd, daß es sich fast auf die Hinterbeine setzt, und springt in den Sand. »Ich biete Euch noch eine Chance«, sagt er beherrscht. »Laßt Euch das Schwert reichen! Nicht unter Pferdehufen sollt Ihr sterben,
Betrüger, sondern unter meiner scharfen Klinge!« Und Pierre kommt mühsam, schweratmend gelaufen. Er bringt Rolands Schwert. Dann kommt auch Dankwarts Knappe, und der abgeworfene Ritter vertauscht die Eschenlanze mit dem Schwert. Kaum hat er es im Griff, als Roland ihn anfällt. Die erste Attacke wehrt Dankwart mit dem erhobenen Schild ab. Es ist die letzte, höchste Not. Roland ist Kraft, ist Tempo, ist Verwirrung in einem. Mit flatterndem blondem Haarschopf, ohne Schild und Rüstung, ficht der große junge Ritter meisterhaft. Wie ein Zickzackmuster, ineinander verwoben, undurchschaubar, unentrinnbar, flirrt Rolands Klinge vor Dankwarts schier geblendeten Augen. Er wird getroffen - einmal, zweimal, dreimal... Noch schützt ihn der Panzer. Wie lange noch? Dankwarts Bewegungen werden schwächer. Stets kommt seine Abwehr zu spät. Ein seitlich geführter Hieb reißt ihm den Helm vom Kopf. Barhäuptig ist nun auch er. Höher hebt er den Schild. Doch ein Schwertstoß Rolands voll unendlicher Wucht trifft ihn wie ein Schlag aus einer anderen Welt vor die Brust. Eine Lähmung erfaßt seinen Körper. Den Schild läßt er fahren. Der bergende Schutz mit den drei blauen fünfblättrigen Blüten kollert über den Boden. Und wieder verschiebt sich vor Dankwarts Augen, zum zweitenmal heute, der Horizont. Die Welt gerät ins Wanken. Der Wald sinkt nach unten. Der Himmel stürzt auf ihn ein. Dankwart fällt und fällt und fällt. Er liegt auf dem Rücken, starrt in die Sonne, schließt die Augen und erwartet das Ende. Keinen Muskel rührt er. Sein Körper gehorcht ihm nicht. Er ist erledigt. Da spürt er, einem erregenden Kitzel gleich, die scharfe Schwertspitze sich in seine Kehle eingraben. Die Sonne verdunkelt sich. Rolands Schatten ist über ihm. Gleich wird sein Schwert zustoßen. Das Urteil ist gesprochen. Vor aller Augen ist Dankwart entehrt. Vor aller Augen wird er gleich entleibt sein. Was ist es, das Rolands Arm hemmt? Was ist es, das ihn bewegt,
Dankwart das Leben zu lassen? Roland weiß es später selber nicht zu sagen. Vielleicht erscheint ihm der Gegner schon zu elend, zu erledigt, zu ehrlos, als daß er ihm noch einen letzten Stoß versetzen möchte. Mit einer Geste der Verachtung schreitet Roland davon. Unter den gebannten Zuschauern sucht er nach einem Augenpaar - und begegnet ihm. Nie glühten die grünen Sterne ihm feuriger. Doch ohne ein Wort geht er an der Dame vorbei. Lange Zeit später schleicht sich gedemütigt Dankwart mit geschundenem Körper in die Burg. Demütig klopft er an Gudruns Tür. Mit kleiner Stimme bittet er um Einlaß. Die Antwort der geliebten Stimme schneidet tiefer ins Herz als die schärfste Klinge. »Ich kenne Euch nicht, Mann«, sagt Gudrun. »Ihr seid mir fremd. Und einem Fremden öffne ich nicht die Tür!« * Am folgenden Tage zogen sie in aller Frühe los. Wind rüttelte die Bäume und rieb sich an den Mauern von Gimlet, als Roland und Volker, gefolgt von den beiden Knappen, davonritten. Unversehens schloß sich der junge Erhard an. »Ich denke, Ihr werdet zwei tüchtige Arme mehr gut gebrauchen können, wenn es gegen den Drachen geht«, eröffnete er treuherzig Roland. Der hatte an dem forschen Burschen Gefallen gefunden und wendete nichts ein. »So will ich Euer dritter Knappe sein«, meinte der Sohn Einharts. Doch noch einmal gab es einen unerwünschten Aufenthalt. Ein Bote überbrachte den Bescheid, Einhart verlange die sofortige Rückkehr seines Sohnes. Während sie noch verhandelten, erschien der Burgherr selbst. »Ich leide es nicht, daß du eine so gefährliche Unternehmung mitmachst«, rief er erregt. »Auch Roland und Volker, so tapfer und tüchtig sie sind, werden gegen den Drachen Fasolt nichts ausrichten können. Ich sehe sie schon von dem übermächtigen Ungeheuer
verschlungen werden. Warum willst du leichtsinnig in den sicheren Tod reiten? Du bist mein einziger Sohn. Dir will ich Gimlet vererben. Bleib daheim!« »Nein, Vater«, entgegnete der junge Erhard. »Daheim ist kein Ruhm zu gewinnen. Was nützte es mir, daß ich eine Burg besäße, aber mein Name bliebe ungenannt, wenn in der Halle von Heldentaten gesungen und gesprochen wird!« »Und es stört dich nicht, daß ich angstvoll daheim sitze und mich um dich gräme?« »Es ist mir in der Tat lieber, du grämst dich nicht«, versetzte Erhard kaltblütig, »als daß ich daheim sitze, fern vom Abenteuer, fern von allem, was eines Mannes Leben aufregend und wertvoll macht.« »Du bist noch zu jung! Warte einige Jahre! Du hast alle Zeit der Welt...« »Zu jung? Roland ist kaum älter als ich, und doch zittern schon die Mächtigen vor ihm. Was bin ich dagegen! So weit der Schlag einer Nachtigall reicht, kennt man vielleicht meinen Namen. Darüber hinaus bin ich nichts als der Sohn Einhart des Lächlers.« »Und das wäre nichts?« »Mir ist es zu wenig. Und nun lebt wohl, Vater, und unterdrückt die unwürdigen Tränen! Seht, meine Gefährten sind bereits ungeduldig, den Drachen zu jagen. Ich will sie dabei unterstützen, so gut ich es vermag.« Erhard machte eine heimliche Geste, die nur sein Vater verstand, wendete sein Pferd und ritt den anderen nach, die schon langsam vorausgeritten waren. Einhart der Lächler begab sich in die Burg. An Tränen dachte er nicht. Um seinen Mund spielte sein berühmtes Lächeln. Er hatte große Mühe, ein gewaltiges Gelächter zu unterdrücken, so hatte er sich eben amüsiert. *
In einem einsamen Gasthaus auf halbem Wege zwischen Burg Gimlet und Schloß Camelot trafen sich zwei Männer. Der ältere trug einen weißen Bart, der ihm bis zum Gürtel reichte. Aber weit schwerer noch trug er an seiner vornehmen Würde, die ihm wie ein unsichtbarer Heiligenschein von beträchtlichem Gewicht auf dem Haupte saß. Als der Wirt den beiden Männern in einem Hinterstübchen eine Kanne des besten Weins gebracht und sie allein gelassen hatte, begann der Weißbart Wilhelmus mit seiner orgelgleichen Stimme, dem anderen Vorwürfe zu machen. »Ich bin außer mir, wie wenig Ihr Euer feierliches Versprechen haltet. Statt daß Roland, entblößt von allem Zeug und Waffen, ausgeplündert und verarmt, unfähig zu weiterem Waffengang, daniederliegt, reitet er bereits in den Odenwald.« Der andere lauschte mit listigem Ausdruck und schlürfte voll Genuß einen Becher vom besten, den der Keller des Gasthofes hergab. Ungeduldig verlangte Wilhelmus Antwort. Einhart setzte den Becher ab und faßte den weißbärtigen alten Ritter ins Auge. Dann schilderte er, was sich auf Burg Gimlet begeben hatte. »Es war alles geschehen, wie Ihr es wolltet. Roland besaß keinen Groschen mehr, kein Roß und keinen Helm. Doch dann entdeckte Volker den Betrug.« Und er berichtete, wie Roland all sein Eigentum im Zweikampf mit Dankwart zurückgewann. Am längsten aber verweilte er beim Angriff Calibans auf seine Burg. »Und wer, meint Ihr, hatte das größte Verdienst am Ende des schrecklichen Räubers?« fragte Wilhelmus. »Roland ohne Zweifel.« »Das ist gegen meine Pläne! Verhindern will ich, daß Roland weiteren Ruhm gewinnt. Schon jetzt steht er viel zu hoch in der Gunst meiner Kollegen, der Ritter von der Tafelrunde, und in der des Königs.« Wieder beschäftigte sich Einhart mit Hingabe dem Studium des edlen Getränks, das der Wirt ihnen kredenzt hatte. Dann fragte er lauernd: »Wollt Ihr mir entdecken, Wilhelmus, was Euch Roland
zum Feind macht - oder ist es ein Geheimnis, das Ihr lieber für Euch behaltet?« »Ein Geheimnis ist es wohl«, antwortete der Alte, »und ich will nicht, daß es auf Markt und Straße ruchbar wird. Euch als meinem verläßlichen Freund will ich es gern entdecken. Ihr wißt, daß Roland nach Vollzug von fünfzig Taten den verwaisten Platz an der Tafelrunde erhalten soll. Dort aber möchte ich lieber einen anderen Mann sehen. Es ist mein Neffe Percy, den sie Heißblut nennen.« »Ich begegnete ihm vor zwei Jahren«, erinnerte sich Einhart, »und hatte einen vortrefflichen Eindruck von dem Jüngling. Er ist kühn, wohlgebildet und von großem Wissen.« »So ist es. Und zudem stammt er aus bester Familie. Im Gegensatz zu Roland, der der dahergelaufene Sohn einer Köhlerfamilie ist. Ich schickte Percy ins Morgenland, damit er weltweiten Ruhm gewänne. Zuerst ließ sich das Unternehmen vorzüglich an. Percy schlug eine gute Klinge und machte seinen Namen rühmlich bekannt. Doch sein heißes Blut spielte ihm bald einen üblen Streich. Er ließ sich mit schönen Sarazeninnen ein. Ihre fremdartige Liebeskunst fesselte ihn so, daß ihn kein Tatenruhm mehr vom weichen Bett der Wollust zu locken vermochte. Nicht nur, daß sein Körper erschlaffte und sein Ruhm sich nicht mehrte, er zog sich eine gefährliche Krankheit zu. Vor einigen Wochen kehrte er heimlich ins Land zurück, siech und hohl. Ich gab ihm die besten Ärzte, und wirklich ist er dabei, in erstaunlicher Weise zu genesen. Noch einige Wochen, und er wird wieder der strahlende und tatendurstige Jüngling sein, als den Ihr ihn kanntet.« »Und dann wollt Ihr ihn gegen Fasolt schicken?« fragte Einhart in jähem Begreifen. »Ja. Denn wer den Drachen erschlägt, wird im Munde der Sänger ein unübertrefflicher Ritter sein. Darum darf Roland ihm nicht zuvorkommen, Einhart!« »Seid gewiß, Roland wird den Drachen nie erblicken. Ich gab ihm meinen Sohn Erhard mit. Erhard ist mehr wert als der kühnste Held, weil er ein Schlitzohr ist, voller Ränke und tückischer Listen. Er
verehrt Euren Neffen Percy und haßt Roland bis aufs Blut. Er versprach mir, Roland an einsamen Ort hinterrücks zu erstechen. Nun reitet er in seinem Gefolge, und die Gelegenheit wird sich unweigerlich ergeben, daß er an verschwiegener Stelle allein mit ihm ist. Verlaßt Euch auf Erhards erfinderischen Kopf! Er wird es so darstellen, daß auf ihn kein Verdacht fällt, wenn Roland ausgelöscht wird von den Tafeln des Ruhms!« »Und Ihr meint, Roland oder der erfahrene Volker habe keinen Verdacht geschöpft, als Euer Sohn sich so plötzlich zum Mitreiten entschloß?« »Das ist ausgeschlossen, denn wir spielten ihnen vor aller Augen und Ohren eine Abschiedszene vor, die uns so köstlich gelang, daß es aussah, als wollte ich Erhard mit aller Macht vom Ritt gegen Fasolt abhalten.« Er füllte seinen Krug und erzählte, von Gelächter häufig unterbrochen, die Szene vor dem Burgtor. * Auch Dankwart verließ Gimlet. Aber er tat es ohne jedes Aufsehen. Heimlich wie ein Verbrecher schlich er sich aus der Burg, in der er auf einen Schlag seine Geliebte und seine Ehre eingebüßt hatte. Die wenigen, die sein Verschwinden bemerkten, taten so, als sähen sie nichts. Mit versteinertem Gesicht und verdüstertem Gemüt folgte Dankwart Rolands Troß. Nichts sah er von den Schönheiten des Herbstes, der mit flammendem Farbengriffel die Laubwälder fast über Nacht zu sinnbetörender Pracht verwandelt hatte. Dankwart spürte weder Hunger noch Durst, weder Besorgnis noch Freude, nur einen dumpfen, währenden Schmerz. In gespannter Haltung ritt er dahin und achtete scharf auf die Zeichen am Boden, die Männer und Pferde vor ihm hinterlassen hatten. Er war ein guter Spurenleser. Sowie er sich über die Richtung klargeworden war, änderte sich seine Haltung. Locker, fast gelassen saß er nun im
Sattel, aber der Sturm in seiner Seele legte sich nicht. Der Schmerz blieb sein treuer Begleiter, Stets hielt er ausreichend Abstand, so daß die Verfolgten, ließen sie einmal den Blick zurückschweifen, ihn nie erblicken konnten. Mit dem Instinkt des Mannes, der sich völlig einer einzelnen Idee hingibt, ahnte er im voraus, wann sie Halt machten, wann sie ihr Nachtlager aufschlugen. Dann machte auch er Halt, schlug auch er sein Nachtlager auf. Erst am zweiten Tag begann er ein wenig vom mitgebrachten Mundvorrat zu essen. Den aufkommenden Durst löschte er an einem der vielen silbernen Bäche. Der Weg stieg an. Der Boden wurde, felsig. Das Gelände erlaubte noch leichten Trab und schließlich nur Schritt. Immer steiler wurde es. Der Weg wand sich an hohen Bäumen entlang, durch dichtes Gestrüpp, tiefes Dickicht und an aufragenden Felsblöcken vorbei. In Serpentinen ging es aufwärts. Dankwart spornte trotzdem sein Roß. An den frischen Huftritten, an vor kurzem abgebrochenen Zweigen erkannte er, daß er Rolands Trupp näherkam. Doch wegen des unübersichtlichen Geländes geriet er trotz aller Nähe nie in Sichtweite. Darauf gründete sich Dankwarts Plan. * Oh, wie haßte Pierre diese langen Ritte! Am schlimmsten war es, wenn der Weg noch anstieg, der Boden uneben, hart und steinig war. Dann wurden die Muskeln gezerrt und die Knochen durchgewalkt. Die Haut brannte. Das Fleisch war durchgesessen. Das Rückgrat fühlte sich an, als sei es in der Mitte gebrochen. Wie sehnte er sich nach dem Anblick einer saftigen grünen Wiese mit vielen weichen Kusseln! Nach einer Rast im zarten Moos bei einer murmelnden Quelle! Immer mehr blieb Pierre hinter den anderen zurück. Sein Pferd schien genauso müde und zerschlagen wie er. Mißmutig trotteten die
beiden hinter den anderen her. An jeder Wegecke verloren sie Boden. Ächzend stellte Pierre fest, daß er seine Kameraden aus den Augen verloren hatte. Er nahm es mit Gleichmut hin. Plötzlich hörte er hinter sich ein Pferd schnauben. Erst nach einiger Zeit sagte er sich, daß das nicht gut möglich war. Er konnte die anderen doch nicht, ohne es zu merken, überholt haben! Aber vielleicht hatte er sich getäuscht. Er wußte aus Erfahrung, daß sein Orientierungssinn ihn manchmal im Stich ließ. Doch dann hörte er, wie ein Hufeisen gegen Stein stieß. Er versuchte, sich im Sattel herumzudrehen. Aber mit einem schmerzlichen Aufstöhnen gab er den Versuch auf. Statt dessen lauschte er scharf. Hufgetrappel! Ein Zungenschnalzer, wie ihn manche Reiter verwenden, um ihr Pferd aufzumuntern. Und wieder der scharfe helle Klang von Eisen an Fels! Unwillkürlich wurde es Pierre angst. Sollte er sich seitlich ins Gebüsch drücken und den unbekannten Verfolger an sich vorbeilassen? Sollte er sein Pferd antreiben und den anderen nacheilen? Noch ehe er sich entschieden hatte, ertönte ein scharfer Haltruf in seinem Rücken. Gehorsam zog er die Zügel an. Er wandte den Kopf. Doch es war schon zu spät. Eine Seilschlinge fiel über seinen Kopf, rutschte über die Schultern zu den Oberarmen und wurde mit einem Ruck festangezogen. Er mußte die Schenkel hart zusammenpressen, sonst wäre er seitlich vom Pferd gerissen worden. Das Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf. Fast mit Erleichterung erkannte er den Mann, der ihn eingefangen und gefesselt hatte. »Dankwart!« rief er. Doch dessen finsteres Gesicht ließ ihn nichts Gutes ahnen. Er erinnerte sich, daß Dankwart guten Grund hatte, sich an Roland und den Seinen zu rächen. »Hilfe!« rief Pierre. Seine Stimme klang kläglich. Mit schwerem Flügelschlag strichen drei Habichte ab. Bucheckern kleckerten auf die Erde.
»Halts Maul!« befahl ihm Dankwart. Pierre beschloß, sich fürs erste in sein Schicksal zu ergeben. Es war ihm unklar, was Dankwart gegen ihn plante. Immerhin hatte derselbe Mann ihn vor wenigen Tagen unter eigener Lebensgefahr vor den Räubern beschützt! Etwa nur, um ihm jetzt das Leben zu nehmen? Es dunkelte rasch. »Wir reiten weiter«, bedeutete ihm Dankwart. »Sieh zu, daß du dich dicht hinter mir hältst! Sonst reißt dich dieser Strick vom Pferd, und von da an mußt du laufen. Und vor allem, halts Maul, was immer auch geschieht! Ist dir das klar?« Pierre wollte mit einem Ja antworten. Aber da fing er Dankwarts Blick auf, der so finster war wie eine regnerische Neumondnacht. Rasch schloß er den Mund und nickte nur eifrig. Danach kümmerte sich Dankwart nicht weiter um ihn, sondern setzte seinen Weg fort. Pierre versuchte, dichtauf zu bleiben, und es gelang ihm auch. Treu ging sein Gaul unter ihm. Binnen kurzem gelangten sie auf eine schräge Hochebene. In der Dämmerung war nicht zu erkennen, wie weit sie sich erstreckte. Aber nicht weit vor sich erblickten sie ein kleines Feuer und davor die dunklen Umrisse sich bewegender Männer. Rolands Lagerfeuer für die Nacht! Tränen stiegen in Pierre auf. Wie nahe war dieser warme Hort der Sicherheit! Und wie fern war er hier, schutzlos einem wilden Mann, vielleicht einem Verrückten, preisgegeben! Sie ritten noch ein Stück näher. Jeden Augenblick, meinte Pierre, müssen sie uns hören oder sehen. Dankwart stoppte. Pierre hielt neben ihm. »Denk daran, was ich dir befahl«, zischte Dankwart. »Ich meine es ernst. Nie war mir etwas ernster. Ein Wort - nur ein Laut, und ich steche dich nieder.« Pierre schauderte es. Dann erhob Dankwart die Stimme und rief: »Roland, ich habe Euren Knappen Pierre gefangen. Er ist in meiner Gewalt, und ich habe den Degen gezückt. Entweder tut Ihr, was ich von Euch verlange, oder ich steche ihm den Degen ins Herz. Also, wenn Euch
Euer Knappe lieb ist...« Eine Gestalt vor dem Feuer richtete sich hoch auf. Die drei anderen waren nicht mehr zu sehen. Dann hörte man Rolands kräftige Stimme: »Ihr seid Dankwart, nicht wahr? Schont meinen Knappen Pierre und sagt an, was Ihr von mir begehrt!« Auf ein Zeichen Rolands hatten sich Volker und Louis rasch vom Feuer entfernt. Außerhalb des Flammenscheins trafen die beiden zusammen und verständigten sich flüsternd. »Der Stimme nach zu urteilen, hält er in der Richtung, aus der auch wir kamen.« »Er kann nicht mehr als 300 Schritte entfernt sein.« »Vielleicht aber auch 400. Der Hall trägt weit in der Ebene.« »Gut. Du schlägst einen Bogen nach links, Louis. Ich schleiche mich von der anderen Seite heran. Kennst du den Ruf des Eichelhähers?« »Ja, natürlich.« »Wenn du den Eichelhäher hörst, greifst du an!« Sie huschten nach verschiedenen Seiten davon. »Ich will nur eine Gnade von Euch, Roland!« rief Dankwart in die Nacht. »Ich möchte mit Euch reiten und an Eurer Seite kämpfen!« Erhard trat neben Roland und flüsterte ihm warnend zu: »Tut's nicht, Ritter! Ihr wißt, wie er Euch haßt. Wie kommt er dazu, sich Euch anzuschließen? Bestimmt nicht, weil er Euch helfen will wie ich. Glaubt mir, er plant Übles. Ihr wäret nicht sicher vor ihm.« »Schweigt, Erhard! Dies ist nicht Eure Sache zu entscheiden. Es geht nur mich und Dankwart an. Gleichviel was er tat, er wurde schwer gedemütigt.« Roland dachte flüchtig an seinen väterlichen Freund, den Einsiedler Klaus, der gesagt hatte: »Ein wahrer Held ist der Mann, der sich selbst besiegt.« Jetzt ist die Zeit, dachte Roland, sich selbst zu besiegen. Eben wollte er antworten, da hörte er Pierres angstvolle hohe Stimme: »Roland, er hat wirklich den Degen gezückt! Ich bin in seiner Gewalt ...« »Keine Angst, mein Pierre«, entgegnete Roland. Und fuhr fort:
»Dankwart, hört mich! Ich habe Eure Bitte gehört und bin be ...« ... bereit, euch die Gnade aus ehrlichem Herzen zu gewähren ... wollte er fortfahren. Da ertönte der Ruf des Eichelhähers. Und dann ein gräßlicher Schrei! Kurze Zeit später kehrten Volker und Louis ans Lagerfeuer zurück. Sie führten den heftig sich sträubenden Dankwart mit sich. Aus dem Dunkel hatten sie ihn zu gleicher Zeit angesprungen, vom Pferd gerissen und mit demselben Strick gefesselt, mit dem er vorher Pierre gebunden. Pierre folgte langsam, noch verängstigt, mit seinem und dem Pferd des überwältigten Ritters. Trotzig trat Dankwart vor das Lagerfeuer. »Zum zweitenmal bin ich in Eurer Hand, Roland. Nun zögert nicht länger! Ihr seid mir über. Wiederum habe ich mich verrechnet. Tötet mich, dann seid Ihr mich los! Wenn Ihr mich laufen laßt, werde ich Euch nur wiederum folgen und meine lästige Bitte wiederholen.« »Das werdet Ihr bleiben lassen!« verwies ihn Volker scharf. »Nimm ihm die Fesseln ab!« wies Roland Louis an. »Befürchtet nichts, Dankwart! Ihr sollt mit mir reiten, wenn Euch so sehr danach verlangt. Lassen wir den alten Zwist begraben sein. Von jetzt an seid Ihr mein ... seid Ihr unser Kamerad!« Und er reichte ihm die Hand, die Dankwart heftig ergriff und schüttelte. Dabei versicherte er: »Verzeiht mir, Ritter, daß ich Euren Knappen bedrohte! Die Verzweiflung gab mir den unseligen Gedanken ein, Euch damit zu erpressen. Doch glaubt mir... auch wenn Ihr abgelehnt hättet, ihm wäre von meiner Hand kein Leid geschehen.« So wurde Dankwart als Fünfter aufgenommen. Aber Erhard knirschte heimlich mit den Zähnen, und die Knappen schüttelten verständnislos die Köpfe. *
Nach dem blutig abgewehrten Überfall auf Gimlet dachte niemand von den Verteidigern der Burg daran, die Räuber zu verfolgen. Zunächst rannten die Verbrecher in wilder ungezügelter Flucht davon, soweit sie ihre Füße trugen. Je kürzer ihr Atem wurde, umso häufiger schauten und hörten sie sich um. Es dauerte keine drei Stunden, als sie sich schon einigermaßen sicher fühlten. Sie taten sich in Gruppen von drei, vier und fünf Spießgesellen zusammen. Die beiden ehemaligen Unterführer Calibans sammelten die größeren Gruppen um sich. Der erste Schrecken war vorüber. Aber in die Dörfer wagte sich noch keiner. Zu gefährlich erschien es ihnen. So streunten sie durch die Wälder und führten ihr altes Jägerleben. Eine Gruppe überfiel eine Kutsche. Aber das alte Glück, das sie unter Caliban gehabt hatten, war vorüber. Ein Hagel von Pfeilen zwang sie in Deckung. Früher hätten sich ein oder zwei Mutige trotzdem auf den Bock geschwungen. Sie hätten den Kutscher überwältigt, die Pferde ausgespannt, die Kutsche umgeworfen und die Insassen ausgeplündert. Aber auch ihr alter Mut hatte sie verlassen. Scheu zogen sie sich in die Büsche zurück und ließen die stolze Kutsche unbehelligt dahinfahren. Die Gesetzlosen dachten an leichteren Erwerb. Auf ihren Rastplätzen beschäftigten sie sich mit der Frage, wo Caliban die märchenhaften Schätze ihrer vielen, vielen erfolgreichen Raubzüge versteckt haben mochte. Stundenlang zerbrachen sich die Kerle die Köpfe darüber. Mancher mochte verzweifeln darüber, daß er es nicht wußte und nicht darauf kam. Sie suchten alle möglichen verschwiegenen Orte im Odenwald auf, die Caliban benutzt haben mochte. Es gab zahllose, stille, versteckt gelegene Quellen, Seitentäler und Felsen. Sie griffen sogar zum Spaten und gruben stundenlang fleißig an einem Ort, der ihnen vielversprechend erschien. Eine Gruppe beobachtete und belauerte argwöhnisch die andere. Nicht auszudenken, wenn die anderen den großen Fund machten und
man selber ging leer aus! Aber bei allem Fleiße stießen sie nicht auf eine einzige Goldmünze. Inzwischen hatten sich auch die Zwerge wieder eingefunden. Ihre Instrumente hatten sie gerettet. Aber sie selber sahen zerzauselter und verwilderter denn je aus. Ihre Hände und Gesichter starrten vor Dreck. Ihre Kleidung bestand zum großen Teil nur noch aus Löchern und Rissen. Dennoch setzten die Gesetzlosen große Hoffnung in die verwahrlosten Wichtelmänner. Schon immer hatten sie den Knirpsen übernatürliche Eigenschaften zugetraut. Müßten sie mit ihren Fähigkeiten den Goldschatz nicht förmlich riechen können? Zweifellos waren Harfe, Waldhorn, Pauke und Laute geriebener und pfiffiger als ihre normalgewachsenen Kumpane. Sie kannten sich auch besser im Odenwald aus. Und so kletterte bald jeder von ihnen an der Spitze eines Räubertrüppchens über Stock und Stein, talauf, talab, bei Sonnenschein, Regen und Sturm, immer auf der Suche nach der goldenen Spur. Doch hatten sie einander das Versprechen gegeben, sich bei einem Fund gegenseitig zu verständigen. So trafen sie sich auch allabendlich an einem vorher bestimmten Platz. Bisher konnte dort aber nur jeder von Mißerfolgen berichten. So enttäuscht sie des Abends auch waren, so hoffnungsfroh zogen sie am nächsten Morgen wieder los. Und die Räuber kletterten vertrauensvoll hinterdrein. Und dann kam jener Tag ... Zwerg Laute war es, der die Höhle fand. Jeder andere wäre an der hinter dichten Gebüschen verborgenen großen Öffnung vorbeigegangen. Er aber sah die niedergedrückten Zweige, die abgerissenen Blätter und andere Spuren. Und er sagte sich, daß hier irgendwelche Tiere aus- und eingingen. Er legte sich zu Boden, krabbelte durchs Wurzelwerk, Klafter um Klafter, und stand plötzlich vor dem großen Eingang einer riesigen Höhle.
Zwerg Laute spazierte so selbstbewußt hinein wie vor einigen Tagen in die Kemenate der schönen Gudrun. Sein Ruf alarmierte die Räuber. Mann für Mann krochen sie, zwängten sie sich, sprangen sie durch das Gewebe aus Immergrün und niedrigem Gehölz. Zwerg Waldhorn und Zwerg Pauke wühlten sich kaninchengleich durch. Und dann standen sie und schauten stumm. Im Ungewissen Licht glänzten die Höhlenwände wie silbernes Erz. Und plötzlich glaubten alle erschauernd, sie hätten die Schatzhöhle gefunden. Lüstern schweiften die Blicke vieler gieriger Augenpaare über die schimmernden Felswände, suchend, abschätzend und vergleichend. Und keiner hörte die aufgeregten Rufe der Vogelwelt. Keiner vernahm die schweren Tritte des haushohen Ungeheuers. Keiner achtete auf das Rauschen des Laubs, das Knacken der Äste ... So trat Fasolt, der einen kurzen Sonnenspaziergang hinter sich gebracht hatte, mitten unter die goldbesessene Horde. Feurige Lohe wehte über sie hin. Die Männer warfen sich entsetzt zu Boden. Dann brach das Dunkel über sie herein. Das Maul mit den sechs Reihen scharfgeschliffener Zähne klaffte auf. Die Räuber, die in Calibans Ende auch das Ende ihrer Glückssträhne gesehen hatten, behielten recht. Keiner von ihnen entkam. Fasolt hatte sie in die Enge getrieben, und gründlich ging er zu Werke. Ein einziger Spießgeselle war, weil ein Instinkt ihn warnte, seitlich vor der Höhle im Versteck geblieben. Zwerg Harfe hörte die Todesschreie der Räuber, und er zitterte am ganzen Leibe. Zehn Stunden lang lag er wie gelähmt und war nicht fähig, einen einzigen Schritt zu tun. In der Höhle herrschte tiefes Schweigen. Fasolt schlief. Es war tiefe Nacht. Da erhob sich Harfe. Wie benommen wankte er mit kleinen Schritten davon. In seinem Kopf war ein dumpfes Brausen. Kein Gedanke wollte sich formen. Als die Sonne sich über den Wipfeln der Bäume erhob, kam er an
einen flachen Teich, wo ein Bach sich staute. Er beugte sich darüber, um zu trinken. Doch er schrak zurück. Sein glattes rotes Zwergengesicht war im Spiegelbild grau und verschrumpelt, sein Haar schneeweiß. * Nur drei Meilen von Fasolts Lagerstatt entfernt, wanderte Roland mit seinen Gefährten vorbei, ehe sie sich Burg Tronde näherten. Hier erhoffte Roland nähere Auskünfte. Beowulf wußte über den Odenwald Bescheid wie kein anderer, und Birke war Augenzeugin des Todes von Collin. Mit großer Vorsicht näherte Roland sich der verstörten Birke. Und es geschah, was er nicht erwartet hatte. Zwischen den beiden blühte schon nach den ersten Worten eine Zuneigung seltener Art auf. Es traf sich günstig, daß am Tag nach Rolands Ankunft von Beowulf ein höfisches Fest geplant war, das erste seit den schrecklichen Ereignissen, die zu Collins Tod geführt hatten. Bei solchen Gelegenheiten entfaltete sich die ganze Lust des sinnenfrohen Mittelalters. Den Menschen war damals völlig klar, daß die Liebe nicht nur Herz und Seele bewegt, sondern den ganzen Körper umfaßt. Nicht umsonst sollte die Natur ihnen die Gabe liebevoller Vereinigung mit dem anderen Geschlecht in die Wiege gelegt haben. So putzten sie sich zu einem höfischen Tanzfest in einer Art heraus, die dem Partner signalisierte, welche Geschenke einem der Schöpfer mit auf den Lebensweg gegeben hatte. Die Herren trugen äußerst enganliegende, nach Maß angefertigte Beinkleider. Sie waren stolz darauf, vor den Damen mit dem zu prunken, was sich unter dem Tuch herausfordernd abhob. Die Damen ihrerseits erschienen in Kleidern mit gewagtesten Dekolletés, die in vielen Fällen bis zur Taille reichten. Nur daß man damals diese duftigen Obenohne-Kleider wohl als verführerisch, keineswegs aber als gewagt empfand.
So sah also beim Tanz Roland die herrlichen Busenschätze der schönen Birke verlockend vor sich ausgebreitet. Er hätte ein Narr, ein Trottel oder ein eiskalter Klotz sein müssen, wenn ihn dieser Anblick nicht aufs höchste erregt hätte. Und diese jugendfrohe Erregung teilte sich auf angenehmste Weise auch Birke mit. Schon beim dritten Tanz gestand er ihr, was sie ahnte: daß er sich sterblich in sie verliebt habe. Nach stürmischer Ritterart fügte er hinzu, daß er sie bitte, die Nacht mit ihm zu verbringen. In wohlgesetzten Worten erklärte ihr Roland, daß er sich davon für sie beide unerhörte Wonnen verspreche. Das Blut schoß Birke in die Wangen, als sie seinen süßen Worten lauschte. Noch enger schmiegte sie ihren herrlichen Körper an den des jungen Helden. Jeder sah die Verliebtheit der beiden, und jeder, der nicht neidischen Gemüts war, erfreute sich daran. Denn es mochte wohl auf viele Meilen im Umkreis kaum ein schöneres Paar geben. »O Ritter Roland«, flüsterte sie, während sie Wange an Wange mit ihm tanzte. »Von mir kannst du heute alles verlangen. Ich erfülle dir jeden Wunsch. So glücklich bin ich über deine heiße Liebe. Nur eins macht mir Sorge.« Roland war entzückt. Seine kühnsten Träume sollten sich noch in dieser Nacht erfüllen! Wer hätte geahnt, daß er auf Burg Tronde seinem Glück begegnen würde? »Was meinst du, Liebling, was macht dir Sorge?« »Das du gegen den Drachen kämpfen willst! Er ist unmenschlich stark. Ich fürchte, daß kein Mensch auf der Welt etwas gegen ihn ausrichten kann.« »Und doch bin ich in einer viel besseren Lage als Collin, der von dem Ungeheuer überrascht wurde. Ich bin auf Fasolt vorbereitet, und ich habe großartige Kameraden, die mir im Kampf beistehen werden. Wir werden den Drachen mit Waffen bekämpfen, die er noch nicht kennt. Volker hat bereits einen Plan entworfen. Auch deshalb kamen wir nach Tronde. Hier ganz in der Nähe wohnt ein Waffenmeister, der seinesgleichen nicht hat auf der Welt. Er wird uns das Gerät
schmieden, das den Drachenpanzer so sicher durchbohren wird, wie du dich auf meine Liebe verlassen kannst. Auch du selber, Birke, kannst uns helfen.« »Wie sollte ich das, mein Roland?« »Indem du mir genau den Weg zum Drachen beschreibst. Sonst könnten wir vielleicht wochenlang durch den Odenwald schweifen, ohne ihn zu entdecken.« »Ich tue gern alles, was dir helfen kann. Schon morgen zeichne ich dir eine genaue Karte. Dann könnt ihr euch unmöglich verirren.« »Das ist ein guter Gedanke.« Mit diesen Worten tanzte er, Birke fest im Arm, aus dem Saal. Ehe sie es sich versah, befanden sie sich in dem Zimmer, das Beowulf für seinen Gast Roland ausersehen hatte. Der Ritter verriegelte die Tür und löste unter vielen Küssen mit bebenden Fingern die Knöpfe und Verschnürungen ihres Kleides. Noch bevor es ihm ganz gelungen war, hatte sie ihn mit geschickter weiblicher Hand völlig entkleidet und betrachtete in verliebter Bewunderung seinen festen muskulösen Körper. Engverschlungen taumelten sie auf das Bett. Rolands Lippen liebkosten die rosigen Spitzen ihrer wie aus Marmor gehauenen weißen Brüste. Seine Hand tastete zu dem blonden Dreieck zwischen ihren Schenkeln. Und er spürte ihre Hände wie Feuerfunken überall auf seinem Körper - überall! Ein Lauscher hätte für einige Zeit das erregte Geflüster vernommen, mit dem die beiden immer kühnere Liebessätze austauschten, bis ihre Worte in einem Strom von Seufzern, wollüstigen Tönen und kleinen Schreien untergingen. Als Roland erst behutsam, dann immer fordernder und ungestümer sich mit der Geliebten vereinigte, als sie sich in letzter Hingabe an ihn drängte, verlöschte der glimmende Kienspan im Zimmer. Und es verlöschte jeder Gedanke an Fasolt, den Schrecken des Odenwalds. Als Birke endlich wieder sprechen konnte, flüsterte sie: »So schön war es noch nie, mein Roland!«
* Eine Woche verging. Roland und Birke schienen unzertrennlich. Das Liebesglück war ihnen deutlich vom Gesicht abzulesen. Es verschönte Birke. Ihre Augen bekamen einen bezwingenden Glanz, wenn sie den Geliebten anschaute. Ihr Schritt war locker und sorglos. Ihre Stimme nahm einen Klang innerer Fröhlichkeit an. Auch Roland veränderte sich in dieser Woche. Doch die Seligkeit erfüllter Liebe hemmte nicht seinen Tatendrang. Wieder und wieder betrachtete er die Karte, die Birke für ihn gezeichnet hatte. Und er prägte sich jede Einzelheit des Weges zur Höhle von Fasolt ein. Mit Ungeduld erwartete er Volkers Rückkehr. Der Spielmann war mit Dankwart und den beiden Knappen zu dem berühmten Waffenmeister aufgebrochen. Auch auf Beowulf hatte das Glück seiner Tochter abgefärbt. Nun war er endlich von den quälenden Selbstvorwürfen erlöst. Einer Verbindung Rolands mit Birke würde er aus vollem Herzen zustimmen. Denn wenn Roland auch aus niederen Verhältnissen stammte, war er doch kein ausgekochter Glücksritter wie Collin. Sein Ruhm war auf untadelige Weise erworben und überragte schon jetzt den vieler bewährter Helden. Alles, was er erreicht hatte, verdankte er eigenen Fähigkeiten, vor allem seiner Unerschrockenheit und seiner Entschlußfreude. An diesem milden Herbsttag gewahrte Erhard, der als Rolands Knappe auf Tronde geblieben war, den schimmernden Kupferton eines ihm wohlbekannten Haarschopfes. Er sah einen neuen Gast: Gudrun! Das brachte ihn auf eine kühne Idee... Mit Eifer suchte der hochfahrende junge Mann eine Begegnung mit dem Fräulein unter vier Augen. Die Zeit brannte Erhard unter den Nägeln. Seit Tagen zermarterte er sich den Kopf nach einer Möglichkeit, Roland für immer auszuschalten, ohne selber in Verdacht zu geraten. Doch in dieser
Gegend schien es unmöglich. Nie traf er Roland allein. Immer waren Birke oder Beowulf oder beide in seiner Begleitung. Häufig war Roland von einem ganzen Schwarm von Bewunderern umgeben. An einer Bank nahe der Außenmauer stellte er Gudrun. »Wie schön, Euch zu sehen, Fräulein«, begann Erhard mit trügerischem Lächeln. »Was zog Euch nach Tronde? Etwa die Sehnsucht nach mir?« »Bildet Euch nur das nicht ein!« antwortete sie kühl. »Ehe es dazu käme, müßtet Ihr erst mal ein Mann werden. Bis jetzt seid Ihr doch nur ein grüner, unreifer Knabe!« Erhard war nicht beleidigt. Gudruns scharfe Zunge kannte er zur Genüge. Sie schonte niemand, wenn es ihr in den Kram paßte. Jetzt hatte er wichtigere Dinge im Kopf als die Ungewisse Zuneigung einer allzu spröden, allzu launischen Dame. »Dann seid Ihr wohl gekommen, um Euch mit Eurem einstigen Herzensfreund Dankwart zu versöhnen?« »Mit diesem Schwächling? Eher möchte ich von Morgen bis Mitternacht auf dem Feld schuften!« »Nun, um der trüben Augen des alten Beowulfs willen habt Ihr Euch bestimmt nicht auf die beschwerliche Reise begeben«, vermutete Erhard. »Ich nehme an, Roland hat Euch den Kopf verdreht und Ihr seid seinen Spuren gefolgt...« »Werdet nicht unverschämt, Erhard! Roland bedeutet mir weniger als der letzte Gesindeknecht.« »Dann begreife ich nicht...« »Damit Ihr endlich zu fragen aufhört - ich besuche meine Freundin Birke. Nur deshalb kam ich her.« »Oh, ich wußte gar nicht, daß Ihr mit der blonden Zauberin befreundet seid.« »Wir sind Schwestern. Aber warum nennt Ihr sie eine Zauberin?« Während Erhard antwortete, beobachtete er Gudrun genau: »Weil sie den Ritter Roland so bezaubert hat, daß er nicht mehr von ihrer Seite weicht.« Er sah den Blitzstrahl in Gudruns grünen Augen und fuhr mit genüßlicher Schadenfreude fort: »Nicht mal des Nachts -
sagen die Diener.« Es entging ihm nicht, wie sie zusammenzuckte. Es mußte sie schmerzhaft getroffen haben. Nun zögerte er keine Sekunde länger. Sie brannte vor Eifersucht, und das mußte er ausnutzen. »Dennoch glaube ich«, sagte er hinterhältig, »daß Ihr der blonden Birke leicht den Rang abliefet, wenn Ihr es nur ein wenig darauf anlegtet.« Wieder beobachtete er sie aus den Augenwinkeln. Und wieder bemerkte er, daß seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen. Begierig hingen ihre Augen an seinen Lippen. »Kein Mann kann Euch im Ernst widerstehen, Gudrun. Auch Roland nicht, und zappelte er noch so tief in den Netzen des Fräulein Birke.« Bevor sie antwortete, konnte sie einen Seufzer nicht unterdrücken. »Sei dem, wie ihm sei«, sagte sie. »Doch falls Ihr recht habt, was sollte ich mit der Liebe eines Ritters anfangen, für den ich nicht so viel empfinde?« Und sie schnippte verächtlich mit zwei Fingern. Durch einen schnellen Rundblick überzeugte sich Erhard, daß kein Lauscher in der Nähe war. Er trat dicht an Gudrun heran. »Um das zu verstehen, Fräulein, müßtet Ihr ein Geheimnis besonderer Art kennen.« »Ihr macht mich neugierig - auf besondere Art. Heraus mit der Sprache!« »Schwört mir zuvor, daß Ihr mein Geheimnis keinem Menschen je verraten werdet!« »Ich schwöre es.« »Das genügt nicht. Schwört es beim Augenlichte Eurer Mutter!« Gudrun stutzte. Aber nur für einen Moment. Dann sprach sie, wie verlangt: »Ich schwöre es beim Augenlichte meiner Mutter!« Nun war Erhard zufrieden. Er trat dicht an sie heran und sagte mit unterdrückter Stimme: »Für gewisse hochgestellte Persönlichkeiten ist dieser Ritter Roland unbequem geworden. Sie wollen ihn loswerden. Am besten auf eine Weise, die kein Aufsehen erregt. Und sie haben dem, der es vollbringt, eine hohe Belohnung in Aussicht
gestellt!« Fassungslos unterbrach Gudrun: »Was meint Ihr mit dem Ausdruck >loswerden