Das Neue Testament Deutsch
Peter Stuhlmacher Der Brief an die Römer
N'ID Band 6 Vandenhoeck&Ruprecht in Göttingen
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Das Neue Testament Deutsch
Peter Stuhlmacher Der Brief an die Römer
N'ID Band 6 Vandenhoeck&Ruprecht in Göttingen
Das Neue Testament Deutsch
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Im Römerbrief sammelt sich gleichsam die gesamte Paulustheologie. Deshalb findet der Leser hier nicht nur eine gediegene Auslegung Abschnitt für Abschnitt und Vers für Vers, sondern auch die Umrisse dieser Theologie sowie Auskunft über Wirken und Bedeutung des Apostels. Dies leistet der Verfasser besonders in den Exkursen zu Schwerpunktthemen, von denen das in der gegenwärtige Debatte besonders heftig diskutierte "Paulus und Israel" am ausführlichsten behandelt wird, zumal man hier auf die konkrete Situation trifft, die Paulus zur Abfassung dieses Briefes veranlaßt haben dürfte.
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen und Zürich
Das Neue Testament Deutsch Neues Göttinger Bibelwerk In Verbindung mit Horst R. Balz, Jürgen Becker, Peter Lampe, Friedrich Lang, Eduard Lohse, Ulrich Luz, Helmut Merkd, Karl-Wilhe1m Niebuhr, Eckart Reinmuth, Jürgen Roloff, Wolfgang Schrage, Eduard Schweizer, August Strobel, Nikolaus Walter und Ulrich Wilckens herausgegeben von Peter Stuhl macher und Hans Weder
Teilband 6
Der Brief an die Römer
15. Auflage (2.,durchgesehene und aktualisierte Auflage dieser neuen Fassung)
1998 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen und Zürich
Der Brief an die Römer
Übersetzt und erklärt von Peter Stuhlmacher
1998 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen und Zürich
Die Deutsche Bibliothek - Cl P-Einheitsaufnahme Das Neue TestAment deutsch: neues Göninger Bibclwerk I in Verbindung mit Horst R. Balz ... hrsg. von Pcter Stuhlmacher und Hans Weder. Göttingen : Vandenhocck und Ruprecht. Teilw. hrsg. von Gerhard Friedrich und Pcter Stuhl macher. Teilw. hrsg. von Paul Althaus und Johannes Behm Teilw. mit Nebent.: NTD. Tcstamentum novum Tcilbd. 6. Stuhlmachcr, Pctcr: Der Brief an die Römer. 15. Aufl., (2. durchges. u. aktualisierte Aufl. dieser neuen Fassung). - 1998
StuhlmAcher, Peter: Der Brief an die Römer I übers. u. erkl. von Pcter Stuhlmacher. 15. Aufl., (2. durchges. u. aktualisierte Aufl. dieser neuen Fassung). Göningen: Vandenhocck und Ruprecht, 1998 Das Neue Testament deutsch; Teilbd. 6) ISBN 3-525-51372-0
© 1998 Vandenhocck & Ruprecht, Göningen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Schriftsatzstudio Grohs, Landolfshausen Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen
D. Gerhard Friedrich (20.8.1908 -18.1.1986) in dankbarem Gedenken
Der Brief an die Römer Peter Stuhl macher
Verzeichnis der Abkürzungen
Abkürzungen und Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften im Gesamtwerk
Mk Mt Lk
1.Kor 2.Kor Gal
Joh Apg Röm
Eph Phil
Kol
1.Thess 2.Thess Phlm
1.Tim 2.Tim Tit
Hebr Jak 1.Petr
2.Petr. 1.Joh 2.Joh
3.Joh Jud
Offb
Altes Testament (einschließlich Apokryphen) Am Bar Dan Dtn Est Ez Ex Gen Hab Hos Jer Jes Jos Jdt 1.,2. Kön Koh
- Amos Baruch Daniel Deuteronomium Ester - Ezechiel Exodus Genesis Habakuk Hosea - Jeremia - Jesaja - Josua - Judit 1., 2. Buch der Könige Kohelet
-----
--
Lev 1.,2. Makk Mal Mi Nah Neh Num Ps Ri 1.,2 Sam. Sach Sir Spr Tob Weis
--
--------
Levitikus 1.,2. Buch der Makkabäer Maleachi Micha Nahum Nehemia Numeri Psalmen Buch der Richter 1., 2. Buch Samuel Sacharja Buch Jesus Sirach Buch der Sprüche Buch Tobit Weisheit Salomos
Jüdisches Schrifttum 2. Jh. v. ehr. - 2. Jh. n. ehr. äth Hen
- äthiopischer Henoch (2.Jh. v.Chr.-1.Jh. n.Chr.) - Jubiläenbuch (2.Jh. v.Chr.) Jub 3.,4. Makk - 3.,4. Buch der Makkabäer (1.Jh. v.Chr., 2.Jh. n.Chr.) PsSal - Psalmen Salomos (LXX, pharisäisch; 1.Jh. v. Chr.) Schriften aus Höhle 1,4 lQ,4Q usw. usw. von Qumran (3. -1.Jh. v. Chr.)
lQH lQM lQS 4Qflor lQpHab 4QpPs
- Hymnenrolle (Hodajot) aus Qumran - Kriegsrolle aus Qumran - Gemeinderegel aus Qumran - Florilegium aus Qumran - Habakuk-Kommentar aus Qumran - Psalmenkommentar aus Qumran
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TestAbr TestAss TestBenj TestDan TestGad TestHiob
Verzeichnis der Abkürzungen
- Testament Abrahams (1.12.Jh. n.Chr.) - Testament des Asser (2.Jh. v. Chr.) - Testament des Benjamin (2.Jh. v. Chr.) - Testament des Dan (2.Jh. v. Chr.) - Testament des Gad (2.Jh. v. Chr.) - Testament des Hiob (1.Jh. v.Chr.-1.Jh. n.Chr.)
TestJos TestJud TestLev TestNaph TestSim
- Testament des Joseph (2.Jh. v. Chr.) Testament des Juda (2.Jh. v. Chr.) - Testament des Levi (2.Jh. v. Chr.) - Testament des Naphtali (2.Jh. v.Chr.) - Testament des Simeon (2.Jh. v.Chr.)
-
Jüd. Schrifttum 1./2. Jh. n. ehr. und später Josephus Ant Bell Contr Ap Vit Philo Abr Confling Decal
LegAlI LegGai Plant RerOivHerl Her SpecLeg
- Josephus Flavius Güdischer Historiker. geb. 37/38. gest. nach 100) - Josephus. Antiquitates Judaicae - Josephus. Oe bello Judaico - Josephus. Contra Apionem - Josephus. Vita Josephi - Philo von Alexandria (ca. 20 v.Chr.-50. n.Chr.) Philo. Oe Abrahamo Philo. Oe Confusione Linguarum Philo. Oe Decalogo Philo. Legum Allegoriae Philo, Legatio ad Gaium - Philo. Oe Plantatione
----
Som VitCont
-
Pseud~
-
Philo. LibAnt VitAd 4Esr syrBar
-
Philo. Quis Rerum Oivinarum Heres sit Philo. Oe Specialibus Legibus Philo. Oe Somniis Philo. Oe Vita Contemplativa Pseud~Philo. Liber Antiquitatum Biblicarum (1.12.Jh. n.Chr.) Leben Adams und Evas (1.Jh. n.Chr.) 4. Esra (Ende 1. Jh. n. Chr.) syrischer Baruch (Apokalypse. Anfang 2. Jh. n. Chr.)
ApkMos
- Apokalypse des Mose (1. Jh. n. Chr.) slavHen - slavischer Henoch (Ende 1. Jh. n. Chr.) TgJer - Targum Jeruschalmi I undß TgJes Targum Jesaja TgNeof - Targum Neofiti EpArist Aristeasbrief (2. Jh. v.Chr.-1.Jh. n.Chr.) Mischna, Ab - Mischna, Traktat Abot Mischna, Ber - Mischna, Traktat Berakhot Mischna, Mischna, Traktat Sanh/mSan Sanhedrin Mischna, Mischna, Traktat Tamidl Tamid mTam Mischna, Qid - Mischna, Traktat Qiddushin MidrTeh Midrasch T ehillim ApkZeph Apokalypse des Zephanja (1. Jh. v.Chr.-1.Jh. n.Chr.) babBer - Babylonischer Talmud. Traktat Berakhot babSchab Babylonischer Talmud, Traktat Schabbat jerBer - Jerusalemer Talmud, Traktat Berakhot SNum - Sifre Numeri PesiqR Pesiqta Rabbati Sifra - Sifra (Levitikus)
-
-
-
--
-
-
Verzeichnis der Abkürzungen
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Nichtchristliches griechisches und römisches Schrifttum Aelius Aristides, Or (Pseudo-)Columella, Arb
-
Corp. Herrn. Dio Chrys Or Empedokles fr
-
Epiktet, Diss
-
Euripides, Hipp Liv Ovid, Metam
-
T acitus, Hist
Aelius Aristides (129-189 n. Chr., griechischer Rhetor), Orationes L. Junius Moderatus Columella, landwirtschaftlicher Schriftsteller der Zeit Senecas (- 1. Jh. n. Chr). "Liber de arboribus" von ihm selbst oder einem Unbekannten Corpus Hermeticum Dion von Prusa (ca. 40-120 n. Chr.), später Chrysostomus genannt, Orationes Empedokles (ca. 495-435 v.Chr., griechischer Philosoph), Fragmente Epiktet (ca. 50 - 130 n. Chr., Hauptvertreter der jüngeren Stoa), Dissertationes Euripides (480-406 v.Chr., griechischer Tragiker), Hippolytus TitusLivius(59 v. Chr.-17 n. Chr., römischer Historiker) Publius Ovidius Naso (43 v. - ca. 18 n.Chr., römischer Dichter), Metamorphosen Cornelius Tacitus (römischer Geschichtsschreiber, Ende 1. Jh. n. Chr.), Historiae
Christliches Schrifttum 1./2. Jh. n. ehr. und später Barn 1. Clem Did Justin, Apol Orosius, Hist T ertullian, Adv. Marc
-
Barnabasbrief 1. Clemensbrief (ca. 96, Rom) Didache (Lehre der zwölf Apostel, Ende 1. Jh., Syrien?) Justin der Märtyrer (Ephesus, Rom, gest. um 165), Apologie Orosius, Paulus (spanischer Presbyter, gest. nach 418), Historia adversus paganos Tertullianus, Q. Septimius Florens (Kirchenschriftsteller in Karthago, geb. um 160, gest. nach 220), Adversus Marcionem
Lexika und Sammelwerke Bauer
Bill
W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6., völlig neu bearbeitete Auflage, hrsg. von K. Aland u. B. Aland, 1988 (H.L. Strack-) P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, I-IV, 1922-196 t
Einleitung 1. Die Begegnung mit dem Rämerbriefheute In allen heute greifbaren Ausgaben und Übersetzungen der Bibel führt der Römerbrief die Reihe der Paulusbriefe an. Mit dem Römerbrief ist das Geschick des Apostels Paulus aufs engste verknüpft und mit der Auslegung des Römerbriefes der Weg der Kirche. Von Origenes (185 bis etwa 254 n. Chr.) über Johannes Chrysostomus (347-407 n. Chr.), Augustin (354-430 n. Chr.), Thomas von Aquin (1225-1274), die Reformationszeit bis herein in die Gegenwart sind die Ausleger aller Konfessionen immer wieder vom Römerbrief ausgegangen, wenn sie die Kirche mit der Botschaft des Apostels Paulus konfrontieren wollten. Der Protestantismus hat zum Römerbrief ein besonderes Verhältnis, weil die Begegnung mit diesem Brief Entscheidungs- und Sternstunden seiner Geschichte markiert. Luther ist über dem Studium des Römerbriefes, genauer: über der Lektüre von Röm 1,16-17 zur Erkenntnis des Evangeliums von der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes gelangt, der den Sünder um Christi willen ohne Werke des Gesetzes allein aus Glauben rechtfertigt. Seine Wertschätzung des Römerbriefes hat vor allem in der" Vorrede auf die Epistel S(ankt) Pauli an die Römer" ihren Ausdruck gefunden, die sich in Luthers auf der Wart burg bei Eisenach entstandener Übersetzung des Neuen Testaments, dem im September 1522 in Wittenberg erschienenen "Das Newe Testament Deutzsch", findet. Er schreibt dort: "Diese Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste Evangelium, welche wohl würdig und wen ist, daß sie ein Christenmensch nicht allein von Won zu Won auswendig wisse, sondern täglich damit umgehe als mit täglichem Brot der Seele."
Luther führt dann weiter aus, daß, wer den Römerbrief verstehen wolle, zuerst lernen müsse, was Paulus mit den theologischen Hauptbegriffen "Gesetz", "Sünde", "Glaube", "Gerechtigkeit" usw. meine, die in seinem Brief immer wieder auftauchen. Nachdem er diese Begriffe erläutert hat, skizziert Luther den Inhalt des Römerbriefes und schließt seine Vorrede mit den Worten: "Also finden wir in dieser Epistel aufs allerreichlichste, was ein Christ wissen soll, nämlich, was Gesetz, Evangelium, Sünde, Strafe, Gnade, Glaube,Gerechtigkeit, Christus, Gott, gute Werke, Liebe, Hoffnung, Kreuz sei, und wie wir uns gegen jedermann, er sei fromm oder Sünder, stark oder schwach, Freund oder Feind, und gegen uns selber verhalten sollen. Dazu das alles mit Schriften trefflich gegründet, mit Exempeln seiner selbst und der Propheten bewiesen, daß nichts mehr hier zu wünschen ist. Darum scheinet es auch, als habe S. Paulus in dieser Epistel wollen einmal in die Kürze verfassen die ganze christliche und evangelische Lehre und einen Eingang bereiten in das ganze Alte Testament. Denn ohne Zweifel, wer
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Einleitung
diese Epistel wohl im Herzen hat, der hat des Alten Testaments Licht und Kraft bei sich; darum lasse sie ein jeglicher Christ sich gemein (- venraut) und stetig in Übung sein. Da gebe Gott seine Gnade zu. Amen."
Luthers Freund Philipp Melanchthon hat in seinen zum ersten Mal 1521 erschienenen "Loci Communes" und später in seinem Römerbriefkommentar von 1532 den Brief des Paulus als Kompendium christlicher Lehre ausgelegt, und als solches Kompendium wird er bis zur Stunde empfunden. Der anglikanische Pfarrer John Wesley (1703-1791), einer der Begründer des Methodismus, hat bei der öffentlichen Verlesung von Luthers Vorrede zum Römerbrief seine innere Bekehrung erfahren. Der Neuaufbruch der evangelischen Theologie und Kirche nach dem ersten Weltkrieg wird markiert durch Karl Barths berühmtes Erstlingswerk "Der Römerbrief" (1. Auflage 1919, 2. Auflage 1921). In seinem 1935 erschienenen Römerbriefkommentar mit dem programmatischen Titel "Gottes Gerechtigkeit" hat Adolf Schlatter herausgearbeitet, daß die Botschaft des Paulus nicht einfach mit Luthers und seiner Schüler Auslegung identifiziert werden darf, vielmehr über sie hinausreicht. RudolfBultmanns Paulusdarstellung in seiner "Theologie des Neuen Testaments" (1953) ist stark von Luther bestimmt, während Ernst Käsemann in seinem Römerbriefkommentar von 1973 den von Schlatter eingeschlagenen Weg konsequent weitergegangen ist. Auch für ihn ist Gottes Gerechtigkeit das Thema des Römerbriefes, und er sieht in ihr "die sich in Christus offenbarende Herrschaft Gottes über die Welt". Käsemann hat mit dieser Deutung nicht nur Paul Althaus überzeugt, der seinen (dieser Neuauslegung vorangehenden) Kommentar "Der Brief an die Römer" (1935) 1965 noch einmal grundlegend überarbeitet hat, sondern auch Ulrich Wilckens. Dessen dreibändiges Kommentarwerk "Der Brief an die Römer" (1978-1982 [und Neuauflagen]) hat Maßstäbe für die Auslegung gesetzt, die noch lange unübertroffen bleiben werden. Die Auslegung des Römerbriefes ist jedoch schon lange keine protestantische Domäne mehr. Dies dokumentieren im deutschsprachigen Raum z.Z. vor allem die großen Römerbriefkommentare von Otto Kuß (1957-1978) und Heinrich Schlier (1977). Es ist kirchlich beglückend zu erleben, daß sich gerade über der Arbeit am Römerbrief die jahrhundertelang verhärteten konfessionellen Fronten aufgelockert haben und ein gemeinsames Bewußtsein dafür Raum gewonnen hat, daß die Kirche Jesu Christi vom Evangelium her lebt und ihre Existenzberechtigung nur darin hat, daß sie dieses Evangelium bezeugt. Darüber, daß dieses Evangelium die Botschaft von Gottes Gerechtigkeit in und durch Jesus Christus ist, wie sie Paulus im Römerbrief entfaltet, herrscht zwischen Katholiken und Protestanten heutzutage kein Streit mehr.
Der Römerbrief als historisches Problem
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2. Der Römerbriefals historisches Problem 2.1 Die Problemlage Den Römerbrief auszulegen kann heute nicht mehr heißen, nur die Lehre herauszuarbeiten, die der Apostel in seinem Brief vorträgt. Diese Lehre darf in der Paulusauslegung niemals übersehen werden. Aber wenn man nur auf sie achtet, geht leicht der Blick dafür verloren, daß das biblische Evangelium von Gon her eine unverwechselbare historische Gestalt gewonnen hat, und zwar zuerst in der Person und dem Geschick Jesu von Nazareth und nach Ostern dann in der BezeugungJesu durch die Apostel. Der Römerbrief konnte für die Kirche nur deshalb zum Kompendium der christlichen Lehre werden, weil er ursprünglich ein Brief war, den Paulus geschrieben hat, um die in Rom lebenden Christen darüber zu informieren, wie es sich mit seinem Evangelium wirklich verhält. Es ist nicht gut, wenn man über der gewaltigen kirchlichen Wirkung, die der Römerbrief gehabt hat und weiterhin haben wird, die Zeit und Situation vergißt, in der er entstanden ist. Gottes Wege mit der Kirche und den einzelnen Glaubenden sind nicht einfach überzeitlich, sondern sie werden in der Geschichte erfahren. Wir erfassen diese Wege um so tiefer, je deutlicher wir die Geschichte Jesu und die Geschichte der Apostel nachzeichnen. Niemand hat dies im letzten Jahrhundert im Blick auf den Römerbrief nachhaltiger hervorgehoben als der seit 1826 an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen lehrende Kirchenhistoriker Ferdinand Christian Baur (1792-1860). Nach Baur kann man den Römerbrief erst dann theologisch würdigen, wenn man sich seine geschichtlichen Abfassungsverhältnisse genau vor Augen geführt hat. Tut man dies, ist man nach Baur z.B. nicht mehr in der Gefahr, Röm 9-11 nur noch als paulinische Belehrung über die Vorsehung Gottes zu verstehen (so Luther) oder gar von einem für das Verständnis der Rechtfertigungslehre im Grunde entbehrlichen Exkurs zum Israelproblem zu sprechen (so einige moderne Ausleger). Man sieht vielmehr, daß der Apostel gerade in diesen Kapiteln mit den Judaisten in Rom darum ringt, sein universales Evangelium von der Gottesgerechtigkeit als auch für Israel gültig und verheißungsvoll herauszustellen; die drei Kapitel rücken bei dieser historischen Betrachungsweise ins Zentrum des Briefes und stellen einen seiner Höhepunkte dar. Baurs Vorbild hat Schule gemacht und bewirkt, daß sich eine wirklich ernstzunehmende Paulusauslegung heute stets der Doppelfrage zu stellen hat, welches historische Profil und welche sachliche Bedeutung das hat, was der Apostel in seinen uns erhaltenen Briefen schreibt. Die überragende kirchliche Bedeutung des Römerbriefes und die Tatsache, daß Paulus in seinem Brief tatsächlich ausführlich vom Evangelium und seinen Konsequenzen handelt, machen es nicht leicht zu entscheiden, welche Absicht der Apostel mit diesem Lehrbrief verfolgt. Eine gewichtige Gruppe von Auslegern meint, daß die Adresse "Rom" für unseren Brief von nur untergeordneter Bedeutung sei. Sie weisen darauf hin, daß Paulus nach eigenem Bekunden an eine ihm persönlich noch unbekannte Christengemeinde schreibt, über die er nur durch Dritte informiert war (vgl. 1,9ff.; 15,22ff.); Röm 16 halten sie für einen sekundären Zusatz zu
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Einleitung
dem ursprünglich mit Kap. 15 schließenden Brief. Paulus berichtet in 15,25-32, ehe er nach Rom kommen könne, wolle er noch das ihm auf dem Apostelkonzil aufgetragene Werk der Kollekte (vgl. Gal2,10) zu einem guten Ende führen und die zusammengekommenen Spendengelder selbst nach Jerusalem bringen. Er äußert in diesem Zusammenhang die Bitte, die Christen von Rom möchten für ihn beten, "damit ich erlöst werde von denen, die inJudäa (dem Evangelium) nicht gehorchen, und mein Dienst an J erusalem den Heiligen (dort) wohlgefällig sei" (V. 31). Von diesen Äußerungen her bestimmen jene Interpreten die Absicht des Römerbriefes folgendermaßen: Angesichts der Schwierigkeiten und Gefahren, die ihn in Jerusalem erwarten, entwirft Paulus einen umfassenden Rechenschahsbericht über seine Verkündigung, um ihn nach Jerusalem mitzunehmen. Er schickt diesen Bericht aber zusätzlich auch an die Christen von Rom, weil er sich von ihnen nicht nur Fürbitte, sondern auch Fürsprache bei den Jerusalemern erhofh. Rom ist bei dieser Betrachtungsweise gleichsam nur die Belegadresse für den hauptsächlich an die Repräsentanten der Urgemeinde in Jerusalern adressierten Lehrvortrag. Diese Lösung des Problems kann eine gewisse Künstlichkeit nicht verleugnen. Daher versucht eine zweite Gruppe von Auslegern, den Beweggrund für die Abfassung des Römerbriefes vor allem in Rom selbst zu suchen. Sie weisen darauf hin, daß der Apostel sehr wohl Kenntnis vom Leben und den Problemen der römischen Christengemeinde gehabt haben müsse, zumal er in 14,1-15,13 die sog. "Starken" und die sog. "Schwachen" in Rom auffordere, einander in brüderlicher Rücksichtnahme "anzunehmen". Nach neueren textgeschichtlichen Forschungen kann auch Kap. 16 nicht mehr als ein nachträglich dem Römerbrief angefügtes Zusatzstück angesehen werden; es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Brief ursprünglich alle 16 Kapitel umfaßt hat (s.u. S. 215f.). Es ist also tatsächlich damit zu rechnen, daß Paulus durch seine in 16,3-16 genannten Freunde und Bekannten über die Situation der Christen von Rom orientiert war; die raschen antiken Postverbindungen zwischen Italien und Griechenland erleichterten solche Orientierung. Es ist von daher historisch ratsam, den Grund für die Abfassung des Römerbriefes zuerst in Rom zu suchen (so wenig damit ausgeschlossen werden kann und soll, daß der Apostel Grundgedanken, die er im Römerbrief äußert, auch in Jerusalem vorgetragen hat). So einfach diese Annahme ist, so sehr bedarf sie der historischen Absicherung und Begründung, und zwar über die Verweise auf die konkreten Anweisungen des Apostels in 14,1-15,13 und den Kreis der in 16,3ff. genannten Paulusfreunde hinaus. Diese Begründung kann auch durchaus gegeben werden. Man muß nur die erhellenden Hinweise weiter durchdenken und präzisieren, die F. Chr. Baurs Tübinger Nachfolger, Carl Weizsäcker, in seinem bereits 1886 erschienenen Buch "Das Apostolische Zeitalter der Christlichen Kirche" für das historische Verständnis des Römerbriefes gegeben hat. Weizsäcker geht, von Baur dazu angeregt, von der Annahme aus, daß Paulus im Römerbrief sein Evangelium gegenüber den Angriffen "judaistischer Lehrer" verteidigt: "Der Römerbrief ist eine Streitschrift gegen judaistische Lehren nicht nur, sondern ohne Zweifel auch gegen judaistisches Treiben." (A.a.O., S.440.) Paulus hat nach Weizsäcker dringenden Anlaß, nach Rom zu schreiben, weil er erfahren hat, daß unter den römischen Christen Judaisten am Werke sind, "die ... dem Gesetzesevangelium damit Eingang verschaffen
Die Situation des Paulus
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wollten, daß sie an Paulus zeigten, wohin das Evangelium führe, wenn es ohne das Gesetz verkündet werde". (A.a.O., S.441.) Bedenkt man die Situation, in der sich Paulus bei der Abfassung des Römerbriefes befand, und faßt man außerdem die Lage der römischen Christen ins Auge, als Paulus an sie schrieb, läßt sich die von Weizsäcker vertretene Sicht der Dinge in der Tat bewahrheiten.
2.2 Die Situation des Paulus
Als Paulus (wohl im Frühjahr des Jahres 56 n. Chr.) in Korinth im Hause des Gaius den Römerbrief diktierte (vgl. Röm 16,22 f. mit Apg 20,3f.), befand er sich an einem entscheidenden Wendepunkt seines missionarischen Wirkens. Er hatte das ihm anvertraute Christusevangelium im Osten der Mittelmeerwelt zur vollen Entfaltung gebracht und das Werk der Kollekte auftragsgemäß durchgeführt; deshalb plante er, nunmehr im Westen zu missionieren und bis nach Spanien vorzustoßen; Rom sollte dabei sein neuer Ausgangspunkt werden (vgl. 15,15-29). Allerdings war das Wirken des Paulus im Osten nicht unangefochten geblieben. Der Apostel war nicht nur immer wieder mit den Hütern der öffentlichen Ordnung und mit Vertretern der jüdischen Gemeinden in seinem Missionsgebiet in Konflikt geraten (vgl. 2.Kor 11,24-27), sondern er hatte auch in wachsendem Maße die Kritik von rituell denkenden, stärker als er am Gesetz des Mose festhaltenden Judenchristen erfahren müssen. Auf dem Apostelkonzil in Jerusalem im Jahre 48 n. Chr. hatten sie sich zwar gegen Paulus und Barnabas nicht durchsetzen können (vgl. Gal 2,3 f.; Apg 15,1 f. 24). Als der Apostel jedoch nach dem Apostelkonzil mit (den Abgesandten des Herrenbruders Jakobus und) Petrus über der Frage der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen in Antiochien in Streit geriet, sich mit seinem Standpunkt der Freiheit der Heidenchristen von allen gesetzlichen Auflagen nicht durchsetzen konnte und daraufhin seine Mission unter den Heiden ohne Barnabas fortsetzte (GaI2, 11-14; Apg 15,36-41), sahen seine Gegner ihre Stunde für gekommen an. Mit Duldung oder gar Unterstützung des Herrenbruders Jakobus und unter Berufung auf die vor Paulus erwählten wahrhaften Apostel, allen voran Petrus, setzten sie von Jerusalem und Antiochien aus eine Art von Gegenrnission ins Werk. Zuerst versuchten sie in Galatien, die von Paulus begründeten Gemeinden dem Evangelium des Apostels abspenstig zu machen (vgl. Gall,6ff.; 3, lff.; 5,7ff.; 6,12). Dann folgten sie Paulus nach Thessalonich (vgl. 1. Thess 2,5 ff.) und Philippi (vgl. Phil 3,2 ff. 18 f.), erregten mit ihrem "anderen Evangelium" in Korinth große Unruhe (2. Kor 11,4.2lff.) und begannen schließlich, ohne daß der Apostel es hindern konnte, auch in Rom gegen Paulus und sein ihrer Meinung nach den Wünschen der laxen Heiden zu sehr angepaßtes Evangelium (Galt,tO; 2. Kor 5,tO) Front zu machen: Nach Röm 3,8 "verlästern gewisse Leute" Paulus in Rom mit der Unterstellung, er predige: "Laßt uns (ruhig) tun, was böse ist, damit (daraus) das Gute komme!" (3,8), und sie erregen "Zwistigkeiten und Ärgernisse gegenüber der Lehre, die ihr gelernt habt" (t6,17). Der Apostel kann diese Verleumdungen aus der Ferne nur in äußerster Schärfe zurückweisen und den Christen von Rom raten, sich mit dem Menschen nicht abzugeben (v gl.
12
Einleitung
3,8; 16,17). Sollten die Gegner nämlich in Rom Fuß fassen können, ehe Paulus selbst in die Welt hauptstadt fahren kann, wären seine auf Spanien zielenden Missionspläne ernsthaft gefährdet. Paulus schreibt den Römerbrief, um die römischen Christen von seinem Evangelium und seinen wahren Absichten zu unterrichten. Er tut dies in der Hoffnung, mit seinem Schreiben die in Rom beginnende Agitation seiner judenchristlichen Gegner noch rechtzeitig abfangen zu können.
2.3 Die Situation der römischen Christen Wir wissen leider nicht, wer das Christentum nach Rom gebracht hat. Bei der nachweislich ganz erheblichen Mobilität der Menschen in der griechischrömischen Welt des 1.Jh. s n. Chr. werden es Kaufleute und Handwerker gewesen sein, die von Jerusalem und Antiochien her nach Rom kamen. Möglicherweise war auch das von Paulus in Röm 16,7 gerühmte Apostel(ehe)paar Andronikus und J unia an der Mission in Rom beteiligt. Wie in den anderen großen Städten der Mittelmeerwelt hat der christliche Glaube zuerst unter den zahlreichen in Rom ansässigen Juden und den um die Synagogen gescharten "Gottesfürchtigen" Fuß gefaßt. Als es in Folge der Christus mission in den römischen Synagogen schließlich zu Tumulten kam, verwies der römische Kaiser Claudius die Vorkämpfer dieser Unruhen aus der Stadt; unter ihnen befanden sich auch Aquila und Priska, auf die Paulus in Korinth gestoßen ist (vgl. Apg 18,2). Von dem Edikt des Claudius berichtet der römische Historiker Sueton in seiner Claudius-Biographie (§ 25) mit den Worten: Claudius ,Judaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit" (- Kaiser Claudius "verwies die auf Betreiben des Chrestus ständig in Unruhe befindlichen Juden aus Rom"). Mit "Chrestus" ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ein römischer Aufrührer, sondern Jesus Christus gemeint, dessen Name die römischen Juden in Unruhe versetzte. Nach der durchaus glaubhaften Datierung durch den römischen Historiker Orosius (Hist 7,6,15) fiel das Edikt in das Jahr 49 n. Chr. Die Maßnahme des Claudius hatte für das junge Christentum in Rom einschneidende Folgen. Wie das Beispiel von Aquila und Priska zeigt, waren von dem Edikt nicht nur Juden, sondern auch Judenchristen betroffen. Als sie gehen mußten, blieben vor allem Heidenchristen in der Stadt zurück. Sie hatten nun keine Möglichkeit mehr, sich im Schutze der jüdischen Religions- und Rechtsprivilegien als "Sondersynagogen" zu ihren Gemeindeversammlungen zu treffen, sondern mußten eigene freie Vereinsgemeinden ohne Anlehnung an die jüdischen Synagogen bilden. Sie waren damit dem römischen Argwohn gegen alle Formen östlichen Aberglaubens viel ungeschützter ausgesetzt als zuvor, und sie mußten außerdem das seit Cäsar (44 v. Chr. ermordet) für alle privaten und öffentlichen Vereine gültige Gebot beachten, sich jeglicher politischen oder quasi-politischen Agitation zu enthalten. Ein Verstoß gegen dieses Gebot hät~e die sofortige Auflösung der (Vereins-)Gemeinde nach sich gezogen. Wie Röm 16 dokumentiert, waren die Christen von Rom auch zur Zeit des Römerbriefes nur erst in Form einzelner Hausgemeinden organisiert; sie bildeten noch keine Gesamtgemeinde, an die Paulus
Der Römerbrief als Rechenschaftsbericht
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hätte schreiben können. Der Römerbrief ist vielmehr von Hausgemeinde zu Hausgemeinde weitergereicht und dort jeweils neu verlesen und besprochen worden. Das Edikt des Claudius galt nur während dessen Lebzeiten. 50 konnten nach dem Regierungsantritt seines Nachfolgers Nero (54-68 n. Chr.) die vertriebenen Juden und Judenchristen nach und nach wieder nach Rom zurückkehren. Priska und Aquila haben z.B. nach 16,3f. diese Gelegenheit wahrgenommen und mit ihnen noch andere Juden und Judenchristen. Die Rückkehr der Ausgewiesenen stellte die Christen von Rom vor neue Probleme. Die mittlerweile etablierten Heidenchristen sahen sich mit einem Mal vor der Aufgabe, die heimkehrenden Judenchristen mit all ihren ungewohnten Eigenheiten in die Hausgemeinden zu integrieren, und außerdem waren sie nun auch noch der Kritik all jener Juden ausgesetzt, die um der Christusmission willen aus Rom ausgewiesen worden waren. Außerdem hatten die Zurückkehrenden an den Orten ihres Exils einen Teil jener Auseinandersetzungen miterlebt, die es um das Paulusevangelium in Galatien, Ephesus (vgl. 2.Kor 1,8ff. mit Apg 19,23-20,2), Philippi und Korinth gegeben hatte, und sie waren dabei keineswegs nur Paulus und seinen Mitarbeitern, sondern auch den ihnen nachziehenden "Gegenmissionaren" begegnet. Konnten schon die in Rom ansässigen Heidenchristen über die Mission des Paulus geteilter Meinung sein, waren es die mit Heimkehrern durchsetzten Hausgemeinden im Jahre 56 n. Chr., als Paulus an sie schrieb, erst recht. Wenn seine 5panienmission wirklich gelingen sollte, für die er auf die Unterstützung durch die römischen Christen angewiesen war (15,24), mußte der Apostel mit seinem Brief nicht nur seine nach Rom vordringenden Gegner widerlegen, sondern zugleich und vor allem die Christen in den römischen Hausgemeinden von der Wahrheit seines Evangeliums überzeugen. Der Römerbrief ist von hier aus gesehen mehr als eine bloße Kampfschrift; er mußte ein Lehrschreiben sein, wenn er seinen missionsgeschichtlichen Zweck nicht verfehlen sollte.
2.4 Der Römerbriefals Rechenschaftsbericht Berücksichtigt man die Situation, in der sich Paulus und die Christen von Rom befanden, als der Apostel an sie schrieb, erklären sich die Besonderheiten des Römerbriefes, die schon immer hervorgehoben wurden, ohne Schwierigkeiten. Als erstes fallen die Ausführlichkeit und der Ton des Briefes auf. Paulus ist vom ersten bis zum letzten Kapitel fast geflissentlich bemüht, den Christen von Rom Anerkennung zu zollen, weil sie ihnen nach ihrem in der ganzen alten Welt bekannten hohen Glaubensstand gebührt (vgl. z.B. 1,8ff.; 6,17; 7,1; 15, 14f.; 16,17-19). Gleichzeitig argumentiert er so, daß sein Lehrvortrag als einleuchtend und mit dem Glaubenswissen der römischen Christen übereinstimmend erscheint, während die Behauptungen seiner Gegner nichts als Verleumdungen und Irrtümer sind, die mit der in Rom geltenden Glaubenstradition wenig oder gar nichts zu tun haben. Wir können das deshalb so genau sagen, weil hinter den die Argumentation des Apostels immer wieder auflockernden rhetorischen Fragen die kritischen Einwände aufleuchten, die von gegnerischer Seite gegen die Paulusverkündigung vorgebracht
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Einleitung
worden sind. Eben deshalb fragt der Apostel in 3,31: "Schaffen wir nun das Gesetz ab durch den Glauben? Mitnichten!" oder in 6, 1: "Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme? Mitnichten!" oder in 6, 15: "Sollen wir sündigen, weil wir nicht (mehr) unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Mitnichten!" oder in 7,7 ff.: " ... ist das Gesetz Sünde? Mitnichten! ... Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig und gerecht und gut" usw. Der Dialog, den Paulus hier führt und in den er die Leser seines Briefes einbezieht, ist ein echter Dialog. Paulus ringt um die Herzen und das Verständnis der römischen Christen, und zwar angesichts kritischer Einwände gegen sein Evangelium, die in Rom lautgeworden sind und vor allem judenchristliche Wurzeln haben. Wenn der Jakobusbrief noch zu Lebzeiten des Paulus von Jerusalem in die Mittelmeerwelt hinausgegangen ist, wofür historisch sehr viel spricht, kann man anJak 2,18-26 ablesen, wie die Paulusgegner, vom Herrenbruder gedeckt und ermutigt, in Hinsicht auf die Rechtfertigung argumentiert haben. So weit der Apostel den Christen von Rom in seinem Brief auch entgegenkommt und so sehr er mit Hilfe der in den Brieftext immer wieder eingeflochtenen Traditionszitate und -anspielungen deutlich macht, daß seine Lehre mit der von den römischen Christen empfangenen Lehr- und Bekenntnistradition übereinstimmt (vgl. nur 1,3f.; 3,25f.; 4,25; 6, 17; 8,3; 10,9; 13,8f.; 14,17; 15, Hf.), so unerbittlich bleibt er in einer Hinsicht: An dem ihm anvertrauten Evangelium von Jesus Christus kann und will Paulus nichts ändern. Das Evangelium ist ihm (und allen Christen) vorgegeben, und zwar in der von Gott heraufgeführten geschichtlichen Sendung des Messias Jesus Christus, seinem Sühnetod, seiner Auferweckung und Erhöhung zur Rechten Gottes und seiner Bestellung zum Retter und Richter des Jüngsten Tages. In diesem Evangelium wird die heilschaffende Gerechtigkeit Gottes offenbar. An ihm gibt es nichts zu deuteln. Wenn der Apostel in 1,16 betont, er schäme sich des Evangeliums nicht, dann signalisiert dieser Satz gleich zu Beginn des Briefes für Freund und Feind, daß Paulus auch in Rom zu der ihm anvertrauten Sache stehen will, wer immer und was immer sich ihm auch entgegenstellen möge. Der Apostel verschweigt auch die Kehrseite der Bindung an das eine Evangelium Gottes nicht, und er ist darin nicht minder unerbittlich als im Galater- und 2. Korintherbrief. Dort überantwortet er die Verkündiger eines "anderen Evangeliums" bzw. eines "anderen Christus" dem Fluch und entlarvt sie als verkappte Teufelsboten (vgl. Gall, 9; 2.Kor 11,4.13-15). Ähnlich im Römerbrief: Wer Paulus unterschiebt, daß er nur die "billige Gnade" (D. Bonhoeffer) verkündige, der ist als Satansdiener des göttlichen Gerichtes schuldig (3,8; 16,17 f. 20). So hart diese Absage an die Gegner ist, so klar liegt der Grund für sie am Tage: Wer auch nur im Geringsten bezweifelt oder etwas daran korrigieren möchte, daß Gott in und durch Christus die gottlosen Frevler rechtfertigt, und zwar ohne Werke des Gesetzes allein aufgrund des ihnen geschenkten Glaubens (vgl. 3,28; 4,5.24 f.), der stellt das endzeitliche Heil für Juden und Heiden in Frage. Eben dies aber darf und will Paulus, der als Apostel mit dem Evangelium steht und fällt (1. Kor9, 16; Röm 1,1-7.16), nicht zulassen. Daß er nicht die billige, sondern die "teure Gnade" (D. Bonhoeffer) lehrt, macht er dadurch deutlich, daß er im Evangelium die Botschaft von der Rettungstat und richterlichen Herrschaft Christi sehen lehrt (vgl. 2,16); gleichzeitig
Thema und Bedeutung des Römerbriefes
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arbeitet er heraus, daß der Glaube in den Dienst der Gerechtigkeit und in die Erfüllung des Willens Gottes stellt (6, 17ff.; 8,4ff.; 12,1 ff.). A. Schlatter hat völlig recht: Paulus zerlegt die göttliche Gnade nicht "in zwei einander folgende Gaben", genannt "Rechtfertigung und Heiligung", vielmehr ,,(bestimmt) bei ihm der glaubende Anschluß an den Herrn das Wissen und Wollen des Menschen vollständig und (stellt) ihn in der ganzen Gestaltung des Lebens unter die Wirksamkeit des Christus".
J. Thema und Bedeutung des Römerbriefes Welches Thema der Römerbrief hat, kann nach dem kunstvoll stilisierten Briefeingang in 1,1-7 und dem auf dieses Präskript noch einmal zurückverweisenden, nicht minder sorgfältig formulierten Briefschluß in 16,25-27 nicht strittig sein. Es geht um das Paulus anvertraute Evangelium, das als Christusevangelium Offenbarung der heilschaffenden Gottesgerechtigkeit für Juden und Heiden ist (1, 16-17). In der Tat handelt der Römerbrief von Gottes Gerechtigkeit, und zwar durch alle seine Kapitel hindurch (A. Schlatter, E. Käsemann, U. Wilckens u.a.). Er tut dies aber nicht als situationslose Abhandlung, sondern in Form eines großangelegten, eindringlichen Dialoges mit den römischen Christen über den Inhalt und die wahren Dimensionen des paulinischen Evangeliums, das bis nach Rom hinein von Judenchristen und Juden kritisiert wird. An der Schwelle eines neuen Abschnitts seiner Mission unter den Heiden stehend (15,23f.), schreibt der Apostel den Christen von Rom einen Rechenschaftsbericht, in dem er seine Sache verteidigt und in Rom so stark wie möglich zu machen versucht. Was der Apostel beim Diktat seines Brietes noch nicht ahnen konnte, war, daß er nur noch als römischer Gefangener nach Rom kommen sollte (Apg 28,11-31). Paulus hat Anfang der sechziger Jahre in Rom unter Nero das Martyrium erlitten (1. Clem 5,4-7). Sein Brief, mit dem er dem Evangelium das Tor nach Westen aufstoßen wollte, ist, wie Günther Bornkamm schön formuliert hat, für die Kirche zum"Testament des Paulus" geworden. Selbst seine Gegner waren bereit zuzugestehen, daß Paulus ein großer Briefschreiber war (2. Kor 10,10). Was den Römerbrief anbelangt, haben sein Missionsauftrag, gute Freunde und herausfordernde Gegner den Apostel zu Formulierungen geführt, die geistlich maßgeblich geworden sind für die Kirche aller Zeiten. In der ganzen Heiligen Schrift wird nirgends klarer und prägnanter ausgeführt, was das Evangelium ist, als im Römerbrief. Eben dies macht die theologische Bedeutung dieses Briefes aus. Nachdem man Paulus und Jesus verschiedentlich gegeneinander gestellt hat, ist das eben Gesagte noch zu präzisieren: Aus dem Römerbrief ist nicht nur zu ersehen, wie Paulus das Evangelium verstanden und bezeugt hat, sondern seine Ausführungen machen auch deutlich, was das Evangelium überhaupt ist. Paulus weiß und bejaht, daß die von ihm in Röm 6, 17 gepriesene Lehre das von ihm in 1. Kor 15,3-5 wörtlich zitierte "Evangelium" aller von Jerusalem ausgehenden Apostel ist. In diesem Evangelium und in den von Paulus in 1,3 f.; 3,25f.; 4,25 angeführten, ebenfalls nach Jerusalem zurückverfolgbaren Traditionstexten wird gültig festgehalten, wer
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Einleitung
Jesus selbst sein wollte und wie er seinen auf Golgatha endenden Opfergang ans Kreuz verstanden hat. Jesus hat sich als Menschensohn-Messias zu Israel gesandt gesehen; als der für dieses Werk ausersehene Gottesknecht (v gl. Jes 52, 13-53, 12) wollte er mit seinem Opfergang ans Kreuz zuerst das erwählte Gottesvolk und in seinem Gefolge auch die Heiden in den Frieden mit Gott zurückführen, aus dem sie alle um ihrer Sünde willen herausgefallen waren. Mk 10,45 Par. und die Abendmahlsworte in Mk 14,22-25 Par. belegen dies. Da Paulus die Abendmahlsüberlieferung in 1. Kor 11,23-26 (in der Lukasversion) ausdrücklich zitiert und die Botschaft vom Leidensgeschick des Gottesknechtes Jesus Christus als das von allen Aposteln und ihm selbst verkündete Evangelium bezeichnet (vgl. 1. Kor 15,11 und Röm 10, 1M.), schließt sich der Kreis: Nicht nur in den von Paulus zitierten Traditionsformeln, sondern auch und vor allem in seinen eigenen Formulierungen des Evangeliums ist gültig verwahrt, wer Jesus war und was er im Namen Gottes Juden und Heiden gebracht hat, nämlich das Heil als Gottesgemeinschaft durch den Sühnetod des Gottesknechtes. Das paulinische Evangelium, über das der Apostel im Römerbrief Rechenschaft gibt, ist der Schlüssel zum Verständnis Jesu; umgekehrt verhilft Jesu messianische Existenz dazu, das Evangelium so zu verstehen, wie Paulus es lehrt. Luther hat den Römerbrief zu den biblischen Büchern gerechnet, "die dir Christus zeigen und alles lehren, was dir zu wissen not und selig ist, obschon du kein ander Buch noch Lehre nimmer sehest noch hörest". Das gilt bis zum heutigen Tag.
Ein kurzes Wort noch zur Widmung des Kommentars. Gerhard Friedrichs Vermächtnis für die Exegese des (Alten und) Neuen Testaments ist vor allem zu sehen in dem von Gerhard Kittel 1933 begonnenen, nach dem Zweiten Weltkrieg von Friedrich fortgeführten und 1979 zum Abschluß gebrachten monumentalen Werk: "Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament". Die wichtigsten Aufsätze, die Friedrich geschrieben hat, sind unter dem Titel: "Auf das Wort kommt es an. Gesammelte Aufsätze zum 70. Geburtstag herausgegeben von Johannes H. Friedrich" 1978 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienen. In diesem Band findet sich auch eine Bibliographie für die Jahre 1973-1978, die die Bibliographie für die Zeit von 1934-1972 aus der 1973 erschienenen, von H. Balz und S. Schulz herausgegebenen, Festschrift für G. Friedrich "Das Wort und die Wörter" fortsetzt. Seit ich G. F riedrich 1967 in Erlangen kennenlernen durfte, ist er für mich zum väterlichen Mentor geworden. Ursprünglich wollte er in der von Paul Althaus und ihm herausgegebenen, nach Luthers "Septembertestament" (s.o. S. 7) benannten Kommentarreihe "Das Neue Testament Deutsch" den Römerbriefkommentar selbst schreiben (vgl. seinen Artikel "Römerbrief" in der RGGJ V 1137-1143). Nachdem ich auf Friedrichs Betreiben hin Mitherausgeber der Reihe geworden war, hat er mir die Abfassung des Bandes übertragen. Nun, da der Kommentar endlich fertiggestellt ist, kann ich nichts Besseres tun, als ihn dem dankbaren Gedenken des großartigen Mannes zu widmen (vgl. Hebr 13,7).
Der Brief an die Römer
Gliederung des Briefes
Das Abfassen von Briefen war in der Antike noch viel mehr als heute eine Fähigkeit, die man erlernen mußte. Dabei kam es nicht nur auf die Kunst des Schreibens als solche an, sondern auch und in noch höherem Maße auf das Vermögen, sich anderen gegenüber in bestimmten Situationen gut und sachgerecht ausdrücken zu können. Paulus ist zwar in der Handelsmetropole Tarsus in Kilikien geboren, hat aber seine Erziehung in Jerusalem erhalten und ist im Lehrhaus Gamliel I zum Schriftgelehrten ausgebildet worden (vgl. Apg 22,3). Was er an Bildung und an rhetorischer Befähigung besaß, hat er nicht auf einer der elitären antiken Akademien in Pergamon oder Alexandrien und auch nicht auf einer höheren griechischen Rhetorenschule erlernt, sondern im Elementarunterricht in Jerusalem, den er vor und im Zusammenhang mit dem Eintritt in das Lehrhaus des Gamliel genossen hat. Bereits auf der Grundstufe hellenistischer Bildung war es üblich, sich rhetorischen Modellübungen zu unterziehen und die Abfassung bestimmter Textsorten einzuüben. Auch die Rabbinen haben solche "Progymnasmata" gekannt und geschätzt. Paulus hat sich ihnen offenkundig mit Erfolg unterzogen, denn selbst seine Gegner haben anerkannt, daß die von ihm verfaßten Briefe" wuchtig und voll Kraft" seien, während sie sein persönliches Auftreten wenig überzeugend fanden (vgl. 2. Kor 10,10). Versucht man, den Römerbrief rhetorisch zu verstehen, wird man ihn am ehesten mit David Aune und Klaus Berger als "Logos Protreptikos" bezeichnen dürfen. Das griechische Verbum 7tPOTP&7t&\V (,. protrepein) meint "jemanden auf etwas aufmerksam machen, jemanden für etwas interessieren", und ein Logos Protreptikos ist eigentlich "eine Werbeschrift, die in erster Linie für die Beschäftigung mit einer bestimmten Disziplin, insbesondere der Philosophie, Anhänger gewinnen soll" (K. Berger). Die Gattung "Logos Protrepitkos" war flexibel und offen genug, um auch zu einem wohlüberlegten ausführlichen Brief ausgeformt zu werden, wie ihn der Römerbrief darstellt, den Paulus in wochenlanger Arbeit seinem Schreibgehilfen Tertius diktiert hat (s.u. S. 224). Antike Briefe folgten einem bestimmten briefstellerischen Schema. Zu Beginn wurden Absender und Adressat(en) genannt, Grüße und u.U. auch Danksagungen geäußert, dann folgte der eigentliche Brief, und an das Briefende wurden Grüße und Wünsche gesetzt. Paulus hat dieses Schema gekannt und benutzt. Die Nieder-
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Gliederung des Briefes
schrift der Briefe auf Papyrus war mühsam und zeitraubend. Es war noch nicht üblich, einen Brief in Kapitel einzuteilen, und es wurden auch noch keine Überschriften gesetzt, um Sinneinheiten erkennbar zu machen. Wie ein Brief zu gliedern sei und welche Gegenstände behandelt wurden, mußte sich für den (Vor-)Leser und den (oder die) Briefempfänger aus dem fonlaufend geschriebenen Text und seinen Gliederungsmerkmalen ergeben. Achtet man auf diese Merkmale im Römerbrieftext und folgt ihnen, ergibt sich eine sorgsam strukturierte Einteilung des Schreibens:
1,1-17:Bnef~ngang
I. 1,1-7: 11. 1,8-17:
Grußüberschrift Briefeingang und Themenangabe: Das paulinische Evangelium von der Gerechtigkeit Gottes für alle Glaubenden
1,18-8,39: Erster Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden
I. 1,18-3,20: 1. 1,18-32: 2.2,1-29: 2.1) 2,1-11: 2.2) 2, 12-16: 2.3) 2,17-29: 3. 3,1-8: 4. 3,9-20: 11. 3,21-5,21:
Heiden und Juden unter dem Zorn Gottes Die Heiden unter dem Zorn Gottes Die Juden unter dem Zorn Gottes Gottes unparteiisches Gericht Der Maßstab des Gerichts Die Schuld der Juden Einwände Juden und Heiden unter der Sünde Die Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit und Grund der Versöhnung Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod Jesu Christi 1. 3,21-26: 2.3,27-31: Die Universalität der Rechtfertigung 3.4,1-25: Die bereits Abraham verheißene Glaubensgerechtigkeit 4. 5,1-11: Der Stand in der Versöhnung 5.5,12-21: Die Herrschaft der Gnade 111. 6,1-8,39: Die Gottesgerechtigkeit als Grund und Kraft des neuen Lebens Die Freiheit von der Macht der Sünde und der Dienst an der 1. 6,1-23: Gerechtigkeit 1.1) 6, 1-14: Der Herrschaftswechsel in der Taufe 1.2) 6,15-23: Der Dienst an der Gerechtigkeit 2.7,1-8,17: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes und der neue Dienst im Geist 2.1) 7,1-6: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes 2.2) 7,7-25a: Gesetz und Sünde 2.2.1) 7,7-12: Die Verkehrung des Gesetzes zum Werkzeug der Sünde 2.2.2) 7, 13-25a: Die Herrschaft der Sünde mittels des Gesetzes 2.3) 7,25b-8, 1: Zwischenbilanz 2.4) 8,2-17: Der neue Dienst im Geist als Leben in der Gotteskindschaft 2.4.1) 8,2-11: Die Befreiung von der Sünde und der neue Dienst im Geist 2.4.2) 8,12-17: Geist und Kindschaft 3. 8, 18-39: Leiden in der Gewißheit der Errettung 3.1) 8,18-30: Leiden in Hoffnung 3.2) 8,31-39: Gottes unerschütterliche Liebe in Jesus Christus
Röm 1,1-17: Briefeingang
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9,1-11,36: Zweiter Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit/ür Israel I. 9,1-5: 11. 9,6-29: 1. 9,6-13: 2.9,14-29: ill. 9,30-10,21: 1. 9,30-33: 2. 10,1-13: 3. 10,14-21: IV. 11,1-32: 1. 11,1-10: 2. 11,11-24: 3. 11,25-32: V. 11,33-36:
Klage um Israel Erwählung und Erbarmen Gottes Gottes freie Erwählung Gottes freies Erbarmen Israels Auflehnung gegen die Gottesgerechtigkeit in Christus Israels Anstoß am Felsen des Ärgernisses Israels Verkennung der Gottesgerechtigkeit Israels Ungehorsam gegenüber dem Evangelium Der Weg des Erbarmens Gones Der erwählte Rest Israels Verstockung auf Zeit Das Geheimnis der Errettung ganz Israels Lobpreis der Wege Gottes
12, 1-15, 13: Dritter Hauptteil: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde
I. 12,1-2:
11. 12,3-8:
m.
IV. V. VI. VII.
12,9-21: 13,1-7: 13,8-10: 13,11-14: 14,1-15,13: 1. 14,1-12: 2. 14,13-23: 3. 15,1-6: 4. 15,7-13:
Gottesdienst als Lebenszeugnis Gemeinde nach dem Maß des Glaubens Wandel in der Liebe Das Verhältnis zu den staatlichen Organen Die Nächstenliebe als Erfüllung des Gesetzes Christlicher Wandel angesichts der nahenden Errettung Gegenseitige Annahme in der Gemeinde Ein Herr und Richter für Schwache und Starke Erbauung der Gemeinde durch Rücksicht Selbstverzicht nach dem Vorbild Christi Gegenseitige Annahme der Angenommenen
15,14-16, 27: Brieftchluß
I. 15,14-21: 11. 15,22-24: m. 15,25-33: IV. 16,1-2: V. 16,3-16: VI. 16,17-20: VII. 16,21-24: Vill. 16,25-27:
Der Dienst des Heidenapostels Über Rom nach Spanien Die Kollektenreise nach Jerusalem Empfehlung für die Phoebe Grußliste Warnung vor Irrlehrern Grüße der Mitarbeiter des Apostels Abschließendes Gotteslob
1,1-17: Briefeingang Der Römerbrief ist im biblischen Kanon zur Lehrschrift über den christlichen Glauben geworden. Als solche Lehrschrift kann man ihn aber erst dann angemessen würdigen, wenn man erkannt hat, daß der Brief ursprünglich ein Schreiben des Apostels Paulus war, das dieser in der Mitte des 1. Jh.s. n. ehr. von Korinth aus
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1,1-17: Briefeingang
an die Christen von Rom gerichtet hat, und zwar aus aktuellem Anlaß: Paulus wollte die Briefempfänger aus erster Hand informieren über sein vielfach angefeindetes Evangelium und sie durch diese Information zu Freunden seiner Missionsabsichten machen. Aus 16,22 ergibt sich, daß der Apostel den Römerbrief in mühsamer, wahrscheinlich Wochen beanspruchender Arbeit seinem christlichen Schreibgehilfen namens Tertius diktiert hat. Er rechnete damit, daß der Brief den Mitgliedern der in 16, 5.14f. genannten römischen Hausgemeinden vorgelesen und von ihnen besprochen werden würde. Wie die voranstehende Gliederung des Briefes (s. o. 5.18 f.) zeigt, hat Paulus seine Darlegungen sehr sorgsam aufgebaut. Dieser sorgsame Aufbau und die unseren Brief stets als Ganzes bezeugende griechische Textüberlieferung beweisen, daß es sich beim Römerbrief nicht um eine erst nach der Zeit des Paulus von zweiter oder dritter Hand hergestellte Komposition aus mehreren (nach Rom und Ephesus versandten) Paulusbriefen handelt (W. Schmithals u.a.), sondern um eine ursprüngliche, auch Kap. 16 mitumfassende, Einheit. Den Eingang seines Briefes hat der Apostel besonders sorgfältig formuliert und rhetorisch durchdacht. Er teilt sich ein in zwei Abschnitte und folgt damit der antiken briefstellerischen Sitte. Auf eine Grußüberschrift (1,1-7) folgt ein Briefeingang, der nahtlos in die Angabe des Themas übergeht, das der Brief behandelt (1,8-17).
I. 1,1-7: Grußüberschrift 1 Paulus, Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, - 2 das er im voraus verheißen hat durch seine Propheten in
(den) heiligen Schriften, 3 (das handelt) von seinem Sohn, der hervorgegangen ist aus dem Samen Davids nach dem Fleische, 4 der eingesetzt wurde zum Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit auf Grund der Auferweckung der Toten, (von) Jesus Christus, unserem Herrn, 5 durch den wir empfangen haben Gnade und Sendungsauftrag zum Gehorsam des Glaubens unter aUen Heidenvölkern zur Ehre seines Namens, 6 unter denen auch ihr seid als Berufene J esu Christi, - 7 an aUe Geliebten Gottes, berufenen Heiligen, die sich in Rom befinden: Gnade (sei) mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Vers 2 f.: 1. Sam 7, 12/f.; Ps 1, 7; 89,17/; 110, l/f.
A
Wie alle Paulusbriefe beginnt auch der Römerbrief mit einer bedachtsam formulierten Grußüberschrift. Bei der öffentlichen Verlesung der Briefe in den Gemeindeversammlungen(vgl.1. Thess 5,27;KoI4, 16) gaben diese Überschriften den Mitteilungen des Apostels einen offiziellen Anstrich: Statt sich einfach der üblichen griechischen Sitte anzuschließen, einen Brief nur mit einem einzigen kurzen Eingangs- und Grußsatz zu beginnen (vgl. Jak 1,1; Apg 15,23; 23,26), folgt Paulus einem Modell, wie wir es in Dan 3,31 (4,1) und zeitgenössischen jüdischen Briefen finden. Der Absender führt seine(n) Titel auf, geht ebenso ausdrücklich auf Rang und Stellung seiner Adressaten ein und entbietet ihnen in einem neuen Satz seinen Gruß. Die Grußüberschrift des Römerbriefes ist ausführlicher als alle anderen
1,1-7: Grußüberschrift
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Briefeingänge in den Paulusbriefen. Sie beschreibt in sorgsam ineinander gefügten Sätzen Auftrag, Botschaft und Absicht des Paulus und will den Christen in Rom, die Paulus noch nicht von Angesicht kennen, bedeuten, daß sie es im Römerbrief mit einem Mann und einer Sache zu tun bekommen, die für sie von größter Bedeutung sind. Um seinen wohlgeformten Sätzen noch zusätzlich Nachdruck zu verleihen, greift Paulus in V. 3 f. auf eine vermutlich auch in Rom bereits bekannte Lehr- und Bekenntnisformel zurück: Das Paulus aufgetragene Evangelium handelt von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der seiner irdischen (Niedrigkeits-)Existenz nach aus der (die Verheißung auf den kommenden Messias tragenden) Sippe Davids stammt und kraft seiner Auferweckung und Erhöhung zur Rechten Gottes in die Herrscherrechte des messianischen Gottessohnes eingesetzt worden ist. Sprache und Stil von V. 3f. verraten, daß Paulus mit diesen Worten Tradition aufgreift: V. 3 und 4 bilden zusammen einen Parallelismus, wie wir ihn oft in den Psalmen oder der alttestamentlichen Weisheitsdichtung antreffen; von Jesu Herkunft aus dem Geschlechte Davids und dem "Geist der Heiligkeit" Güdisch für: Heiliger Geist) spricht Paulus sonst nicht, und die Gegenüberstellung "nach dem Fleische" "nach dem Geist der Heiligkeit" ist mit dem kleinen Christushymnus aus 1. Tim 3, 16 zu vergleichen: Irdische und himmlische Welt werden einander gegenübergestellt. - In V. 7 wendet sich Paulus an "alle Geliebten Gottes" und nicht, wie z.B. in 1. Thess 1,1 oder 1. Kor 1,2, "die Gemeinde Gottes" in Rom. Dies hat historisch einen einfachen Grund: Als Paulus den Römerbrief schrieb, gab es in der Welthauptstadt Rom nur erst eine Anzahl von Hausgemeinden (vgl. Röm 16, 5.12 ff.), die über die verschiedenen Viertel der Metropole verteilt waren, sich aber noch nicht zu einer Gesamtgemeinde hatten zusammenschließen können. Der Römerbrief wurde von Hausgemeinde zu Hausgemeinde weitergereicht und dort vorgelesen und besprochen. Die (mit Phili, 1 vergleichbare) Anrede des Apostels paßt genau in diese Situation hinein. Die mit größter Sorgfalt geformte Grußüberschrift gibt bereits zu erkennen, B worum es Paulus in seinem Brief geht: um seinen apostolischen Sendungsauftrag, das ihm anvertraute Christusevangelium und das Einverständnis mit allen Christen von Rom im Blick auf dieses Evangelium und das Apostelamt des Paulus. Paulus stellt sich den Römern vor in dreifacher Eigenschaft. Wie Mose, Josua, David und die Propheten Knechte (Diener) Gottes waren (vgl. Jos 14,7; 24,29; Ps 89,4.21; 2. Kön 17,23), ist Paulus "Knecht (Diener) des Messias Jesus" . Sein Auftrag setzt das Werk der Propheten fort. Vor Damaskus wurde er zum Apostel "berufen", nachdem ihn Gott schon von Mutterleib an dazu bestimmt ("ausgesondert") hatte, Sendbote der von Gott heraufgeführten Heilsbotschaft zu werden. Paulus erinnert damit an seine in Gall, 11-17 und 2. Kor 4,5f. ausführlicher dargestellte Berufung und rechnet damit, daß Christen in Rom seine Geschichte kennen. Das Paulus aufgetragene Evangelium ist ganz Werk Gottes: Gott hat dieses Evange- 2 lium in den heiligen Schriften (des Alten Testaments) durch seine Propheten schon vor dem irdischen Auftreten Jesu ankündigen lassen (vgl. z.B. Jes 9, 1-6; 11,1-9; Jer 23,5f.; 31,31-34). Diese Verheißungen haben sich in der SendungJesu, des Messias, erfüllt (2. Kor 1,20), und deshalb hat das Evangelium einen klaren Inhalt: Es 3 erzählt vom irdischen Weg und Werk des messianischen Gottessohnes, der als
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1,1-17: Briefeingang
Mensch aus jener Sippe Davids hervorging, die Träger der Verheißung von 2. Sam 7,12-14 ist, und an dem nach Passion und Grablegung Gott krah der Schöpfermacht des Hl. Geistes die endzeitliche Auferweckung der Toten verheißungsvoll verwirklicht hat (vgl. 1. Kor 15,20 mit Röm 6,4). Mit der Auferweckung wurde Jesus gemäß Ps 110,1 zur Rechten Gottes "erhöht", d.h. in die Herrscherrechte eingesetzt, die dem Gottessohn gebühren. Fortan heißt er "der Herr" (vgl. Phil 2,9-11). V. 3 und 4 enthalten die in den Evangelien erzählte Christusgeschichte in Kurzform und betonen, daß der gesamte Weg Jesu von seiner Geburt an bis zur Erhöhung unter dem Vorzeichen der Verheißungen Gottes steht (vgl. bes. Lk 1,55; 24, 24 ff.; Apg 2,30ff.; 4, 24ff.; 10,36-43; 13,23.32ff.). In 15,8 wird der Apostel noch einmal darauf zurückkommen. Zu Beginn seines Briefes begnügt er sich damit, eine Bekenntnis- und Formel-Sprache zu sprechen, der die Christen in Rom ohne 5 Zögern zustimmen können (s.o.). Er fährt fort: Durch den erhöhten Herrn haben wir (mit diesem sog. Majestätsplural meint Paulus sich selbst) Gnade und Sendungsauhrag, d.h. die Gnadenvollmacht und Befähigung empfangen, um unter allen Heidenvölkern im Auhrag des Herrschernamens Jesu Glaubensgehorsam zu wirken. Die Wendung "im Auhrag des Namens" wird verständlich, wenn man bedenkt, daß nach biblischem Denken der Name Jesu Inbegriff seiner Heilstat und Gegenwart ist (vgl. Apg 4,10-12; 1. Kor 6, 11). Paulussoll als Apostel im Auftrag und Geiste Christi (vgl. 2. Kor 5,20) "Glaubensgehorsam" wecken. Mit diesem Ausdruck ist die Bekehrung und Unterordnung unter die Herrschaft Jesu gemeint, die Ergeh6 nis der Verkündigung des Evangeliums ist. - Mit V. 6 wendet sich Paulus direkt seinen Adressaten zu. Unter den Heidenvölkern leben auch die Christen von Rom. Wie Paulus zum Apostel, so sind sie von Christus zum Glauben berufen. Mehr 7 noch: Weil Gott an ihnen in der Sendung Jesu seine Liebe erwiesen und sie durch den Opfertod seines Sohnes von ihren Sünden befreit und geheiligt hat (1. Kor 6, 11), sind sie im Glauben die "Geliebten Gottes" und "berufenen Heiligen". Paulus hebt ausdrücklich hervor, daß er sich mit seinem Brief an "alle" Christen in Rom wendet. Brief und Gruß des Apostels gelten nicht nur jenen Freunden und Bekannten, die er in Kap. 16 aufzählt, sondern allen Glaubensgenossen, mögen sie ihm freundlich oder unfreundlich gesonnen sein. Der Gruß "Gnade und Friede sei mit euch" knüph an die jüdische Grußformel "Erbarmen und Friede sei mit euch" (syrBar 78,2 und Gal6, 16) an und läßt das im griechischen Briefeingang übliche "Zum Gruß!" mitanklingen: Paulus wünscht den Christen von Rom, daß sie Anteil an der Gnade und dem Frieden gewinnen, die Gott durch Christus heraufgeführt hat (vgl. Röm 5,1 ff.). Alles, was Paulus fortan zu sagen hat, steht unter diesem Vorzeichen. 4
Exkurs I: ,.Apostel jesu Christi" Mit dem bereits in den ersten Zeilen des Römerbriefes geäußerten Anspruch, Apostel Jesu Christi zu sein, reiht sich Paulus in die Gruppe der Männer (und Frauen) ein, die das Evangelium krah österlicher Beauhragung durch den auferstandenen Christus verkündigen (die in Röm 16,7 erwähnte Junia ist zusammen mit
Exkurs I: ..Apostel Jesu Christi"
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[ihrem Mann?] Andronikus im Missionsdienst tätig). - Der neutestamentliche Titel "Apostel" hat mit dem griechischen Begriff a7t6(JtoA.o~ (apostolos) == "Admiral, Leiter einer Flottenexpedition" nur das Wort gemein. Er geht auf alttestamentliche und jüdische Vorbilder zurück und hat seine entscheidende Prägung durch Jesus erhalten. Schon von Mose und den alttestamentlichen Propheten heißt es, daß sie durch Gott berufen und zur Verkündigung "gesandt" worden sind (vgl. Ex 3, 10.13;Jes 6, 8;Jer 1, 7;Jes 61, 1 usw.). Nach Mk 6,7 ff. Par. und Lk 10,1 ff. Par. hat Jesus die von ihm erwählten Zwölf und andere seiner Jünger ausgesandt, um die Gottesherrschaft zu verkündigen wie er selbst (nach jüdischem Botenrecht gilt, daß "der Abgesandte eines Menschen ist wie dieser", Mischna, Ser 5,5). Vor Ostern war dies eine Verpflichtung auf Zeit. Mit den Ostererscheinungen, von denen Paulus in 1. Kor 15,5H. und die Evangelien erzählen, wandelte sich dieser zeitlich begrenzte Verkündigungsauftrag für die Betroffenen in eine Sendung auf Lebenszeit (vgl. Mt 28, 16-20; Joh 20,21-23; Apg 1,8; Röm 10,14-17). Paulus hat lebenslang darum gerungen, dem Kreis dieser Apostel zugerechnet zu werden. Sein Haupthindernis war ein doppeltes: Er hatte den irdischen Jesus nicht gekannt und sich auch nach Ostern nicht sogleich der Gemeinde Christi in J erusalem angeschlossen wie der Herrenbruder Jakobus; vielmehr hatte er die Stephanus folgenden Christen von Jerusalem an bis hin nach Damaskus verfolgt und ihre Gemeinden "auszurotten" versucht (vgl. Gal1, 13; 1. Kor 15,9 und Apg 8,3; 9,1 f.21). Ob Paulus wegen seiner Schau des auferstandenen Christus als Sohn Gottes vor Damaskus, von der er in Gal1, 16; 1. Kor 9, 1; 15,8; 2. Kor 4,6 berichtet, als ein Petrus und den Zwölfen ebenbürtiger Osterzeuge und Apostel zu erachten sei, ist im Urchristentum umstritten geblieben. Paulus hat diesen Rang nachdrücklich beansprucht (vgl. Gal1, 1.11 H.; 1. Kor 9, H.; 15,9-11; 2. Kor 4, 1-6) und bis in den Römerbrief an der göttlichen Offenbarungsqualität seines Evangeliums festgehalten (vgl. Gall,8f.ll f.; Röm 1, H. 1M.; 2,16; 15, 16.19f.). Die judenchristlichen Gegner des Paulus haben ihm aber diesen Anspruch angefangen von Galatien (vgl. Gall, 10) über Philippi (vgl. Phil3, 2 H.) und Korinth (vgl. 1. Kor 9,2 ff.; 2. Kor2, 14-17; 4,1-6; 10-13) bis hin nach Rom (vgl. Röm 3,8) streitig gemacht. Im Vergleich mit den Jerusalemer Altaposteln Petrus, Johannes usw. nahm sich Paulus für sie nur als ein spätberufener Nachkömmling aus, der in Antiochien Missionshelfer des Barnabas gewesen war (vgl. Apg 11,22-26; 13,2) und Barnabas auf das Jerusalemer Apostelkonzil begleitet hatte (vgl. Apg 15,1 ff.; Gal2, 1 ff.); er schnitt seine Evangeliumsverkündigung nach den Wünschen und Maßstäben der gesetzlosen Heiden zurecht (vgl. Gal1, 10), verachtete das Gesetz und machte Christus zum "Diener der Sünde" (GaI2, 17). Vorwürfe dieser Art spiegeln sich auch im Römerbrief auf Schritt und Tritt (vgl. nur Röm 2, 16; 3,8.31; 6,1.15; 7,7.13 usw.). Da Paulus in 1. Kor 15,8 selbst zugesteht, er sei später als "alle Apostel" und gänzlich unverdient seiner Christuserscheinung gewürdigt worden, da sich außerdem kaum bestreiten läßt, daß er Barnabas nach Jerusalern in der Eigenschaft eines "Gemeindeapostels" (vgl. 2. Kor 8,23) begleitet hat, und da die paulinische Kritik am mosaischen Gesetz grundsätzlicher ist als alle anderen urchristlichen Stimmen zur Gesetzesfrage, waren die Vorwürfe der Paulusgegner besser begründet, als wir heute wahrhaben wollen.
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1.1-17: Briefeingang
Lukas wählt in der Apostelgeschichte für die Darstellung der Sendung des Paulus die Perspektive der Geschichtsschreibung zwischen und über den Fronten: Apostel im ursprünglichen Sinn des Wortes sind nur die von Jesus erwählten Zwölf mitsamt dem an Stelle des Judas nachgewählten Matthias (Apg 1,2 ff. 15-26); Paulus gehört noch nicht zu diesem Kreis. Er ist aber neben und nach den Zwölfen der bedeutsamste Zeuge des Evangeliums, den sich der auferstandene Christus für die Mission der Heidenvölker erwählt hat (vgl. Apg 9, 15f.; 26,16-18). "Apostel" ist Paulus nur in dem Sinne, daß er zusammen mit Barnabas von der Gemeinde in Antiochien (als "Gemeindeapostel" , s.o.) ausgesandt und mit einem speziellen Auftrag versehen wurde (vgl. Apg 13,1-3; 14,4.14). Aber für ihn gilt gleichzeitig, daß er in der Kraft der Gnade Gottes mehr in der Mission geleistet hat, als die Apostel vor und neben ihm (1. Kor 15,10). Lukas macht das durch seine vonJerusalem nach Rom weisende Gesamtdarstellung des Weges des Paulus deutlich. Am Beispiel des Apostels Paulus und seiner Geschichte werden wir mit dem theologisch höchst gewichtigen Faktum konfrontiert, daß die Botschaft des Evangeliums ihre Gestalt als geschichtlich unverwechselbares menschliches Zeugniswort gewonnen hat. Kirche und Theologie bleiben auf dieses ursprüngliche Zeugnis und damit zugleich darauf angewiesen, daß es historisch unaustauschbare Ursprungszeugen des Evangeliums gegeben hat. Unter ihnen ist Paulus der missionarisch und (durch seine Briefe) literarisch wirksamste.
Exkurs 11: Evangelium bei Paulus Das Apostelamt des Paulus hängt untrennbar mit seinem Evangelium zusammen. Die zweifache Definition des Evangeliums, die Paulus in Röm 1,1 ff. und 1,16f. gibt, nötigt dazu, die Grundlinien des Verständnisses von "Evangelium" aufzuzeigen. die der Apostel im Römerbrief verteidigt. Wie Paulus in Gal 1,11-16 und 2. Kor 4,1-6 eingehend beschreibt, hat er das Evangelium bei seiner Berufung durch die OffenbarungJesu Christi empfangen. Das Evangelium ist eine Offenbarungs macht (Röm 1,16), die den Apostel auf Gedeih und Verderb in Beschlag nimmt wie einst den Propheten Jeremia das ihm aufgetragene Gotteswort (vgl. 1. Kor 9,16 mitJer 20,9). Paulus kann das Evangelium darlegen, er kann mit ihm und in seinem Dienste argumentieren, aber er kann es nicht verändern oder gar zur Disposition stellen. Wer das Evangelium anzutasten und einen "anderen Christus" zu verkündigen wagt als den, der Paulus vor Damaskus erschienen ist, verfällt dem Fluch (vgl. Gal1, 9 und 2. Kor 11,3 f.). Die Autorität des paulinischen Evangeliums ist die Autorität Gottes; Paulus verkündigt mit dem "Evangelium Gottes" Gottes eigenes Wort (1. Thess 2,2.8.9.13; 2. Kor 11,7; Röm 1,1; 15,16). - Seinem Inhalt nach ist das paulinische Evangelium "Evangelium von Christus" (1. Thess 3,2; 1. Kor 9, 12; Röm 15,19 usw.). Es handelt von der geschichtlichen Heilstat Gottes in der Sendung, dem Sühnetod und der Auferweckung Christi (Röm l,3f.), und in ihm tritt Christus als Versöhner und Herr in Erscheinung. Daher können "Christus verkündigen" (1. Kor 1,23; 15,12) und "das Evangelium verkündigen" (1. Kor 1,17; 15,1) bei Paulus miteinander
Exkurs 11: Evangelium bei Paulus
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abwechseln. Paulus hat Christus vor Damaskus als den zur Rechten Gottes erhöhten Gottessohn in Herrlichkeit geschaut (Gal 1, 16; 2. Kor 4,5 f.). Für ihn, den Christenverfolger, bedeutete dies einen tiefgreifenden Umschwung. Als Verfolger der Gemeinde hatte der junge fanatische Pharisäer Paulus in Christus einen messianischen Volksverführer gesehen, der zu Recht den Schandtod am Kreuz (gemäß Dtn 21,22 f.) gestorben war. Nun schaute er eben diesen Christus als den, dem Gott Recht gegeben und alle Herrlichkeit verliehen hatte, und wurde von ihm in Dienst genommen. Christus begegnete ihm, dem Eiferer für das Gesetz (GalI, 14) und Gegner des Glaubens, als messianischer Herr und als Versöhner, der den ihm widerstreitenden Paulus annahm und ihn, den Sünder, begnadigte, sein Sendbote zu werden (1. Kor 15,10; 2. Kor 2, Hf.; Röm 1,5). Statt des Gesetzes verkündigte Paulus nunmehr Christus als "Ende des Gesetzes" (Röm 10,4) und den Glauben an ihn als Heilsweg. Er selbst bekannte von sich: "Wenn wir auch einst Christus in fleischlicher Weise erkannt haben, erkennen wir ihn nunmehr nicht mehr so" (2. Kor 5, 16); und in den Gemeinden erzählte man sich: "Der, der uns einst verfolgt hat, verkündigt nun den Glauben, den er einst auszurotten versuchte" (Gall,23; vgl. auch Apg9,19-21). Um seiner gesetzeskritischen Christuspredigt willen wurde Paulus von seiner Berufung an in schwere Auseinandersetzungen mit den Synagogen und jüdischen Gerichten verwickelt (vgl. 2. Kor 11,24 ff.), und die gesetzestreuenjudenchristen begannen, seine Evangeliumsverkündigung zu beargwöhnen und zu kritisieren (vgl. GaI2,4f.; Apg 15,1 f. 5.24). Hauptzeugnis dieses Streites ist für uns heute der Galaterbrief; in den Korintherbriefen und im Philipperbrief setzt er sich fort, und im Römerbrief spiegelt sich die Kampfsituation, in der Paulus steht (vgl. Röm 3,8; 15,20f.; 16, 17f.). Von Anfang an ist das paulinische Christusevangelium umstritten gewesen. Mit den Jerusalemer Altaposteln verkündigte Paulus das Evangelium vonJesu Sühntod, Grablegung, Auferweckung am dritten Tage und seinen österlichen Erscheinungen vor Petrus und den Zwölfen (1. Kor 15,3-5.11). Die Lehre vom Sühntod Jesu machte sich der Apostel voll zu eigen (vgl. 2. Kor 5,21; Röm 3,25f.; 4,25; 8,3). Die von Jesus selbst herkommende Abendmahlstradition hielt Paulus hoch (vgl. 1. Kor 1l,23ff.), und er wies seine Gemeinden an, seinem eigenen Beispiel zu folgen und einen Lebenswandel zu führen, der vor Gott und den Menschen wohlgefällig und des Evangeliums würdig war (1. Thess2,9f.; 4,1; Phill,12f.16.20; 3,12-17 usw.). Was seine Gegner argwöhnisch machte, waren die paulinischen Kernsätze: "Christus hat uns freigekauft vom Fluch des Gesetzes, indem er selbst für uns zum Fluch wurde, denn es steht geschrieben: ,Verflucht ist jeder, der am Kreuze hängt' (Dtn 21,23)" (GaI3, 13); und: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit; bleibet nun beständig und unterliegt nicht von neuem dem Joch der Knechtschaft", d.h. dem Gesetz (Gal 5, 1); und vor allem: "aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch gerechtfertigt (vor Gott)" (Gal2,16; Röm 3,20); sowie: "Wir sind der Meinung, daß ein Mensch (allein) aus Glauben ohne Werke des Gesetzes (von Gott) gerechtfertigt wird" (Röm 3,28). Paulus verteidigt diese Einsichten bis in den Römerbrief hinein. Was den Apostel veranlaßte, seine Missionsbotschaft, sein K1\PU'YJ,.LQ (kerygma) (vgl. 1. Kor 1,21; 2,4; 15,14), »Evangelium" (= Heils-, Frohbotschaft) oder sogar engagiert »mein (unser) Evangelium" zu nennen (1.Thess 1,5; Röm 2,16),
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1,1-17: Briefeingang
war die apostolische Tradition. in die er sich gestellt sah (s. dazu auch o.S. 22 H.). Sie ist entscheidend von Jesus geprägt: In Jes 52.7 ist von dem Freudenboten die Rede • ..der Frieden hören läßt. Gutes verkündet. Heil hören läßt" und Zion mit dem Ruf: .. König ist dein Gott" den Anbruch der Königsherrschaft Gottes verkündigt (ähnlich Nah 2.1). InJes 61.1 f. heißt es von dem mit dem Geist Gottes Gesalbten. er sei gesandt ...den Armen frohe Botschaft zu bringen". Das frühe Judentum hat diese Schriftstellen auf den kommenden Messias gedeutet. Aus Lk 4.16-21 und Mt 11.2-6Par. können wirsehen.daßJesussich selbst vonJes 61.1 f. her als den verheißenen messianischen Evangelisten der Armen verstanden hat; als solcher war er zugleich der Verkündiger der nahe gekommenen Gottesherrschaft (Mk 1. 14 f. Par.). Jesu Botschaft ist deshalb schon früh. u.U. sogar schon von ihm selbst und seinenJüngern. als ..das Evangelium von (der) Gott(esherrschaft)" bezeichnet worden (vgl. Mk 1.15 mitJes 52.7; ferner Mt 4.23; 9.35; 24.14). Schon zu seinen Lebzeiten hat Jesus seine Jünger an seiner Verkündigung beteiligt; nach Lk 9.6 zogen sie aus und wanderten als .. Evangelisten und Heiler" von Ort zu Ort. Mit Ostern und Pfingsten wandelte sich ihr Verkündigungsauftrag in eine lebenslange Sendung; die Apostel verstanden sich seither als Evangelisten. die im Auftrag des erhöhten Christus das .. Evangelium von Jesus Christus" zu verkündigen hatten (Röm 10.14-17). Wie dieses Evangelium lautete. läßt sich aus 1. Kor 15.3ff. erkennen. Ohne die Frage der Missionsbereiche und das Problem des Gesetzes auszudiskutieren. unterschied man auf dem Apostelkonzil in Jerusalem zwischen dem Petrus anvertrauten .. Evangelium der Beschneidung" (- für die Juden und Proselyten) und dem .. Evangelium der Unbeschnittenheit" (= für Heiden und Gottesfürchtige). mit dem Paulus und Barnabas betraut waren (GaI2,l). Für dieses Evangelium tritt der Apostel in seinen Briefen ein. und in l.Kor 15.8-11 sowie Röm 10.14ff. betont er die Gleichartigkeit seines Verkündigungsauftrages mit dem der übrigen Apostel bzw... Verkündiger (= Evangelisten) des Guten" (vgl. Jes 52.7; Nah 2.1). Paulus hat also seine Rede vom "Evangelium" von den Aposteln vor und neben ihm übernommen. Die besonderen Akzente. die er setzt. werden erkennbar. wenn er sein Evangelium in 1. Kor 1.18 ..das Wort vom Kreuz" und in 2. Kor 5.19 ..das Wort von der Versöhnung" nennt: Im Mittelpunkt der paulinischen Christusverkündigung steht Gottes Heilswerk durch das Kreuz Christi und dessen Folgen für Glaube und Leben. Wie die aktuelle Verkündigung des Paulus ausgesehen hat. wissen wir nur aus einigen Andeutungen. Paulus hat wie andere christliche Missionare zum Glauben und zur Umkehr gerufen (vgl. 1. Thess 1. 9f.);er hat als Lehrer der Hl. Schrift gewirkt und Oesus-)Tradition selbst übernommen und weitergegeben (vgl. 1. Thess 4.1; 1. Kor 11.23; 15.1 ff. mit Apg 18.7.11; 19. 9f.); er hat an Gemeinden und einzelne Christen (vgl. Phlm) Briefe geschrieben und sich in Beratungen für sie verzehrt (vgl. 2. Kor 11.28 f.). Finanzielle Unterstützung hat er nur gelegentlich angenommen (vgl. PhiI4.10-20). Zumeist hat er versucht. seinen Lebensunterhalt als (Leder-)Zeltmacher selbst zu verdienen (vgl. 1. Kor 9.6; 2. Kor 11,7 H. 28; Apg 18. 1-3). Der in griechischen Kaiserinschriften bezeugte Gebrauch von ..Evangelium" für die guten Nachrichten von der Geburt. dem Herrschaftsantritt. Siegen und Wohltaten des Kaisers dürfte Jesus. den Aposteln und Paulus bekannt gewesen sein. Er
1,8-17: Briefeingang und Themenangabe
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hat aber auf ihre Verkündigungssprache keinen Einfluß gehabt und auch das Verständnis der Christusbotschaft in den Gemeinden nicht nennenswert beeinflußt.
11. 1,8-17: Brie/eingang und Themenangabe: Das paulinische Evangelium von der Gerechtigkeit Gottes für alle Glaubenden 8 Zuerst nun danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, daß euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird. 9 Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich diene mit meinem Geist am Evangelium seines Sohnes, daß ich euch unablässig erwähne: 10 Bei meinen Gebeten bitte ich stets darum, ob es mir wohl endlich einmal kraft des Willens Gottes gelingen wird, zu euch zu kommen. 11 Ich sehne mich nämlich danach, euch zu sehen, um euch etwas an geistlicher Gnadengabe mitzuteilen zu eurer Stärkung, 12 das heißt, um unter euch gemeinsam Ermutigung zu erfahren durch wechselseitigen Austausch eures und meines Glaubens. 13 Ich möchte euch aber (auch) nicht in Unkenntnis darüber lassen, (liebe) Brüder, daß ich mir schon vielfach vorgenommen habe, zu euch zu kommen, und doch daran gehindert worden bin, auch unter euch wie unter den übrigen Heiden etwas Frucht zu gewinnen. 14 Griechen und Barbaren, Weisen und Ungebildeten bin ich (gleichermaßen) verpflichtet; 15 daher meine Bereitschaft, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen. - 16 Ich schäme mich nämlich des Evangelium nicht, denn es ist eine Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst, aber auch für den Griechen. 17 Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben auf Glauben hin, wie geschrieben steht: "Der aus Glauben Gerechte aber wird leben". Vers 16: Ps 9B,2f;
Vers 17: Hab 2,4.
Zur Zeit des Paulus war es unter Griechen und Juden üblich, der Grußüber- A schrift noch einen Briefeingang folgen zu lassen, in dem man die Adressaten des gegenseitigen Gedenkens und eventuell auch der Fürbitte versicherte. Paulus schließt sich dieser Sitte an, gibt aber auch diesem Briefeingangsteil eigenes Gepräge: In behutsam gesetzten Worten geht er in V. 8 zunächst auf das weltweite Ansehen der Christen von Rom ein, versichert sie in V. 9 + 10 seines langgehegten Wunsches, zu ihnen zu kommen, deutet in V. 11 + 12 an, worauf er bei einem Besuch hofft, und kommt in V. 13-15 auf die (offenbar akute) Frage zu sprechen, weshalb er bisher nicht in die Welthauptstadt hat kommen können, obgleich er als Apostel der Heiden auch in Rom hätte missionieren wollen und sollen. Mit den Versen 16 und 17 mündet der Briefeingang in zwei thematische Verse aus, die den Inhalt des Römerbriefes angeben: Es geht um das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in Christus für alle, die glauben. Macht man sich diese Textstruktur klar, wird ein Problem lösbar, mit dem die Ausleger sich immer wieder herumgeschlagen haben: Zum Beschluß seines Briefes, in 15,14-33, kommt Paulus noch einmal auf seine Reisepläne und Besuchsabsichten zu sprechen. Er erklärt dabei voller Stolz, er habe stets seine Ehre darin gesehen, das Evangelium nur dort zu verkündigen, wo noch kein anderer Missionar vor ihm gewesen sei; auf ein von anderen gelegtes Fundament wolle er bei seiner Mission nicht bauen (15,20f.). Wenn man in Röm 1,13-15 nur die Fortsetzung von 1,10-12
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1,1-17: Briefeingang
sieht und dann V. 15 (mit Wilckens u.a.) übersetzt: "So bin ich, was mich betrifft, bereit, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen", entsteht ein schwerwiegender Widerspruch zu 15,20 f. Während Paulus sich dort eines Missionsverfahrens rühmt, das das Weiterbauen auf einem bereits von anderen gelegten Grund ausschließt, erklän er in 1,15 genau dieses Verfahren zu seiner Absicht in Rom. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man die Textstruktur von V. 8-15 ernstnimmt. Man kann dann nämlich genau erkennen, daß Paulus in V. 11 f. nur von seinem Wunsche spricht, bei seinem Besuch mit den Christen von Rom ins Einverständnis über den Glauben zu kommen; ebenso äußert er sich dann noch einmal in 15,24. In 1,13-15 fügt er hinzu, daß er sehr gern auch in Rom der Erstlingsmissionar gewesen wäre, aber (von Gott) daran gehindert worden sei. V. 15 gehört zu eben dieser Erklärung noch hinzu. Der Vers vermeidet im Griechischen ein direktes Verb und besagt nur, daß es seinerzeit Absicht des Paulus war, auch in Rom (als erster) das Evangelium zu verkündigen. Nunmehr- so ist im Blick auf 1, 11 f. und 15,20ff. zu verstehen - geht es ihm nur noch darum die Glaubensgemeinschaft mit den Römern zu pflegen. Paulus will die römischen Christen also nicht besuchen, um ihnen das Evangelium neu zu predigen, sondern er will mit seinem Brief und seinem persönlichen Besuch Klarheit über sein (bis hin nach Rom umstrittenes) Evangelium schaffen und sich auf diese Weise die Unterstützung der römischen Gemeinden bei seinen nach Spanien zielenden Missionsplänen sichern (vgl. Röm 15,22-24). Daß das paulinische Evangelium umstritten ist, deuten die Verse 16 und 17 an, aber Paulus ist entschlossen, zu der ihm aufgetragenen Botschaft zu stehen. B Zu Beginn des Briefeingangs läßt Paulus die römischen Christen wissen, daß er 8 in seinen an Gott gerichteten und durch Christus vermittelten (vgl. Röm 8,26) Dankgebeten den Glaubensstand der Römer rühmt. Von diesem Glaubensstand, fügt er hinzu, erzählt man sich in der ganzen Welt. Mag dies auch etwas schmeichelhaft formuliert sein, deutlich ist, daß der Blick der Welt auf den Christen von Rom 9.10 ruht und Paulus an ihrer Glaubenstreue nichts auszusetzen hat! In V. 9 und 10 beteuert er, daß er, der Gott in der Ausrichtung des Evangeliums von Gottes Sohn (vgl. 1,3f.) dient, der römischen Christen ständig vor Gott gedenkt und in seinen 11 Bittgebeten ständig um die Möglichkeit einer Reise nach Rom fleht. Was er sich vom Zusammentreffen mit den römischen Christen erhofft, ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Er selbst möchte die Römer aus der ihm gnädig verliehenen Vollmacht zur Evangeliumsverkündigung (vgl. 1,5) heraus in ihrem Glaubens12 stand bestärken. Er versteht darunter aber nicht eine einseitige missionarische Bemühung, sondern den wechselseitigen Austausch über Glaubensinhalt und Glaubensverpflichtung, der auch ihn stärkt und ermutigt. V. 11 f. sind außerordentlich vorsichtig formuliert, lassen aber hinreichend erkennen, was Paulus in Rom sucht, nämlich gegenseitiges Einverständnis mit den dort lebenden Christen. Dieses Einverständnis wird ihm helfen, von Rom aus das Evangelium bis nach Spanien 13 weiterzutragen (vgl. 15,24). Mit V. 13 kommt Paulus auf die Frage zu sprechen, weshalb er nicht schon eher in die Metropole gekommen ist. Was ihn trotz mehrfach gehegter Reisepläne daran gehindert hat, auch in Rom missionarische Früchte zu ernten wie in der Heidenwelt sonst, war Gottes Wille. Die passivische Formulierung "ich bin daran gehindert worden" ist, wie in den Paulusbriefen häufig, aufzu-
1,8-17: Briefeingang und Themenangabe
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lösen in ein "Gott hat mich daran gehindert". Es ist also nicht persönliche Nachlässigkeit oder mangelndes Interesse, was Paulus bisher nicht hat nach Rom reisen lassen! Ob der Apostel damit Kritik von seiten einiger römischer Christen abfangen will, läßt sich nicht eindeutig sagen; möglich ist es durchaus. Wie gern Paulus als erster Missionszeuge nach Rom gekommen wäre, gibt er in den beiden nachfolgen- 14 den Sätzen zu erkennen. Als Apostel der Heiden ist er gleichermaßen denen verpflichtet, die die (begehrte) hellenistische Bildung erfahren haben, wie den "Barbaren" , die sie nicht genossen haben; sowohl den Gebildeten als auch den U ngebildeten ist er das Evangelium schuldig. Aus dieser ihm von dem auferstandenen Christus 15 übertragenen Verpflichtung (vgl. Röm 1,5 und 1. Kor 9, 16 f.) heraus resultiert auch seine Bereitschaft, den Menschen in Rom als erster das Evangelium zu verkündigen. Der Umstand ist, wie in V. 13 gesagt, nur der, daß diese Bereitschaft nicht im Willen Gottes lag. In Hinsicht auf seine Missionspläne hat Paulus also zurückstecken müssen. Woran er aber dennoch vor Gott und den Menschen festzuhalten gedenkt, ist das ihm aufgetragene Evangelium. Die Wendung "ich schäme mich (des Evangeliums) nicht" geht nach Mk 8,38 16 und 2.Tim 1,8 auf jesuanische und urchristliche Bekenntnissprache zurück. Gemeint ist, daß der Apostel unbeirrt zum Evangelium steht. Welche Problemsituation Paulus im Auge hat, kann kaum zweifelhaft sein. Sein Evangelium und seine Person werden bis hin nach Rom "verlästert" (vgl. Röm 3,8). Dieser Kritik will er nicht weichen; im Gegenteil will er auch in Rom bei dem ihm vorgegebenen Evangelium bleiben. Damit ist den Pauluskritikern in Rom ein deutliches Signal gegeben. Zugleich wird deutlich, weshalb die Verse 16 und 17 das Thema des Römerbriefes umschreiben: Paulus möchte mit Hilfe des seinem Besuch in Rom vorauseilenden (Römer-)Briefes mit den Christen in der Stadt zum Einverständnis über sein Evangelium kommen. An diesem Evangelium gibt es nichts zu rütteln. Weshalb nicht? Paulus gibt die Antwort selbst, und zwar in einer Sprache, die sich an Ps 98,2 f. anlehnt, und die der Apostel schon in der Korrespondenz mit den Korinthern erprobt hat (vgl. 1. Kor 1, 18.23f.). Das Evangelium ist eine Gottesmacht. In ihm wirkt Gott durch den zu seiner Rechten "in Macht" erhöhten Christus (1,4), und zwar um jeden Menschen, der an Jesus als Versöhner und Herrn glaubt, davor zu bewahren, im Endgericht der Vernichtung anheimgegeben zu werden. Der mit der Erwählung durch Gott gesetzte heilsgeschichtliche Vorrang Israels vor den Heiden (vgl. Röm 3,2; 9,4f.) wird durch das Evangelium nicht annulliert, sondern bestätigt. Das Evangelium richtet sich zuerst an den Juden, um ihm den Israel verheißenen messianischen Erlöser zu zeigen (vgl. Röm 9,5; 11,26; 15,8 und 2. Kor 1,20), und außerdem auch an den Griechen (Heiden), der in Christus ebenfalls seinen Retter und Herrn erkennen darf (vgl. Röm 15, 9ff.). Kraft des Evangeliums dürfen Juden und Heiden gemeinsam aus der Gnade Gottes heraus leben: der Jude, der in Christus die Treue Gottes zu seinen Verheißungen (Röm 1,2) erfährt, und der Heide (Grieche), über dem in Christus das Recht der Gnade aufgerichtet wird. Von diesem Recht der Gnade spricht der nächste Satz: 17 Gottes Gerechtigkeit wird im Evangelium offenbart aus Glauben auf Glauben hin. Offenbartwerden bedeutet: In der Botschaft des Evangeliums wird jetzt ein (bislang verborgener) Sachverhalt von Gott her enthüllt, der noch am Jüngsten Tage gültig
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1,1-17: Briefeingang
sein wird. Dieser Sachverhalt heißt hier: Gottes Gerechtigkeit. Im Alten Testament ist "Gottes Gerechtigkeit" der Inbegriff von Gottes Handeln als Schöpfer und Richter, mit dem er die Welt ordnet und in Ordnung hält (s.u.). Das Neue Testament sieht dieses Handeln in Christus zur Erfüllung kommen. Paulus kann deshalb in 1. Kor 1,30 sagen, Christus sei uns von Gott her zur Gerechtigkeit geworden (vgl. mitJer 23,6). Sendung, Opfertod und Erhöhung Jesu sind der Höhepunkt in der Reihe jener geschichtlichen Heilstaten, die von Ri 5,11 an die "Gerechtigkeitstaten Gottes" heißen. Nimmt man die Definition des Evangeliums, die Paulus in 1,3 f. gibt, mit der von 1, 16und 17 zusammen, wird deutlich, daß es sich bei der Gottesgerechtigkeit in V. 17 um den zusammenfassenden Ausdruck für die (verheißene) Heilswirksamkeit Gottes in der Sendung und Erhöhung Jesu handelt. Christus ist die uns eröffnete Gottesgerechtigkeit in Person. Sie wird auf Grund von Glauben empfangen und steht dem Glauben - Röm 3,22 kommentiert: "für alle Glaubenden" - offen. Einzig und allein im Glauben wird Gottes Gerechtigkeit rettend erfahren. Auf die Verbindung von Gottesgerechtigkeit und Glaube kommt Paulus alles an; diese Verbindung eröffnet jedem Menschen die Rettung, und sie ist von Gott selbst in der Schrift vorgezeichnet. Wie schon im Galaterbrief (3,11) verweist der Apostel auch hier auf Hab 2,4, um deutlich zu machen, daß nach dem Zeugnis der Schrift vor Gott leben darf und leben soll, wer aus Glauben Anteil an der Gerechtigkeit Gottes in Christus gewonnen hat. Paulus liest den Prophetentext im Lichte der Christusoffenbarung, aber er entstellt ihn nicht. Im hebräischen Text heißt es: "aber der Gerechte soll leben auf Grund seiner (Glaubens-)Treue", und in der Paulus vorliegenden Septuaginta (= die griechische Übersetzung des Alten Testaments) heißt es: "aber der Gerechte soll leben auf Grund meiner (= Gottes) Treue". Der Apostel bietet gleichsam die Summe beider Textfassungen und stellt fest: Es steht als Gottes Wille (bei Habakuk) geschrieben, daß der auf Grund des (ihm durch Gottes Gnade in der Verkündigung des Evangeliums eröffneten) Glaubens Gerechte vor Gott leben soll. In dieser Verheißung ruht das Evangelium, und in der Sendung Jesu ist es geschichtliche Gottestat geworden. V. 16 und 17 geben zu erkennen, worum es Paulus im Römerbrief geht: um das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in Christus, die auf Grund von Glauben erfahren wird und das Leben im Glauben vor Gott kennzeichnet. Will man es noch kürzer fassen, kann man (mit A. Schlatter u.a.) sagen, das Thema des Römerbriefes sei Gottes Gerechtigkeit. Ob sie wirklich das ganze Evangelium ausmacht, ist schon z.Z. des Römerbriefes umstritten gewesen (und bis in die jüngste Zeit herein umstritten geblieben). In diesem Streit ist der Apostel entschlossen, für das ihm vorgegebene Evangelium einzutreten und die römischen Christen durch die Argumente seines Briefes vom Recht und von der Wahrheit seiner Botschaft zu überzeugen.
Exkurs III: Gottes Gerechtigkeit bei Pau)us Nennt man Gottes Gerechtigkeit das Thema des Römerbriefes, muß man den Sinngehalt des Ausdrucks klären. Er kommt in den Paulusbriefen mehrfach vor: 2. Kor 5,21; Röm 1,17; 3,21.22.25.26; 10,3; in Phil3, 9 spricht Paulus von "der
Exkurs III: Gottes Gerechtigkeit bei Paulus
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Gerechtigkeit aus Gott/von Gott her". Das Matthäusevangelium verwendet den Begriff in der Bergpredigt (Mt 6,33), und der Jakobusbrief in der an Sir 1,22 erinnernden Feststellung: "Der Zorn eines Menschen wirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes" (1,20). Ob auch 2. Petr 1,1 zu den Belegstellen hinzuzurechnen ist, hängt von der Übersetzung der Stelle ab. Der Gesamtbefund zeigt, daß der Begriff für Paulus (im Römerbrief) besonders wichtig ist, aber auch von anderen neutestamentlichen Autoren verwendet wird. - Die Vorgeschichte des Ausdrucks weist ins Alte Testament und Frühjudentum zurück. Die Geschichte Israels ist nach (Dtn 33,21;) Ri 5,11; 1. Sam 12,7; Mi 6,5; Ps 103,6 und Dan 9, 16 von Heil und Rettung schaffenden "Erweisen der Gerechtigkeit Gottes" erfüllt. Auch die essenische Gemeinde von Qumran am Toten Meer lobt Gott für diese Taten (vgl. 1QS 10,23). Im zweiten Teil des Jesajabuches (vgl. Jes 45,8.23 f.; 51,6.8) und in den Psalmen (vgl. Ps 71, 19; 89,17; 96,13; 98,9; 111,3) wird Gottes Gerechtigkeit gepriesen als die Heil- und Wohlordnung schaffende Aktivität Gottes schlechthin. Auch in der Situation des Gerichtes erweist sich Gottes Gerechtigkeit als heil voll, weil er den Rechtlosen zum Recht und den Bußfertigen zu neuer Geltung verhilft (vgl. J es 1,27 f.; 49,4; 50,8 f.). Die beste Anschauung dafür bieten alttestamentliche und frühjüdische Bußgebete (z.B. Dan 9, 16.18 und 4 Esr 8,36). Bei den Essenern von Qumran haben sich Gebetstexte gefunden, die ganz nah an Paulus heranreichen, z.B. 1QS 11,11-15: ,,(11) ... und ich, wenn (12) ich wanke - Gottes Gnadenerweise sind meine Hilfe für immer! Wenn ich strauchle durch Schuld des Fleisches, bleibt mein Recht durch Gottes Gerechtigkeit (doch) für die Dauer bestehn, (13) wenn Er meine Bedrängnis löst und mich aus Verderben errettet, meinen Fuß nach dem Wege lenkt, in Seinem Erbarmen mich nahen läßt. - Durch Seine Gnade kommt (14) mein Recht, und in Seiner wahren Gerechtigkeit richtet Er mich, und in Seiner großen Güte sühnt Er alle meine Sünden, und in Seiner Gerechtigkeit reinigt Er mich von menschlicher Unreinheit (15) und der Sünde der Menschen, Gon (für) Seine Gerechtigkeit zu preisen und den Höchsten (für) Seine Herrlichkeit!" Gones Gerechtigkeit meint also im Alten Testament und Frühjudentum die Wohlordnung und Heil schaffende Wirksamkeit Gottes in der Geschichte (Israels), in der Schöpfung und in der Situation des irdischen oder endzeitlichen Gerichts. Die neutestamentlichen Zeugen haben als geborene Juden diese Sprachtradition übernommen. Mit ihrer Hilfe bekennen und rühmen sie das Heilshandeln Gottes in und durch Jesus Christus, das ihnen angesichts des nahenden Gerichtes Gottes zum Heil verhilft: Paulus nimmt in 2. Kor 5,21 und Röm 3,25f. judenchristliche Tradition auf (und macht sich deren Aussagen zu eigen): "Gott hat den (== Christus), der Sündenschuld nicht kannte, für uns zum Sündopfer gemacht, damit wir würden Gerechtigkeit Gottes durch ihn" (2. Kor 5,21); und: "Ihn (=- Christus) hat Gott öffentlich eingesetzt zum Sühnmal kraft seines Blutes zum Erweis seiner ( = Gottes) Gerechtigkeit durch den Erlaß der zuvor unter der Geduld Gones geschehenen Sünden" (Röm 3,25f.). Paulus ist also nicht der erste urchristliche Zeuge, der von Gottes Gerechtigkeit spricht. Schon in der ihm vorgegebenen christlichen Überlieferung wird unter dem einen Ausdruck "Gottesgerechtigkeit" gleichzeitig Gones eigene Heilswirksamkeit (Röm 3,25 f.) und ihre Auswirkung in Gestalt der Gerechtigkeit verstanden, die denen zuteil wird, die sich zu Christus
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glaubend bekennen (2. Kor 5,21). Diese zweifache Bedeutungsmöglichkeit einund desselben Wortes erklärt sich, wenn man bedenkt, daß schon bei (Deutero-) Jesajasowohl von Gottes eigener Gerechtigkeit (s.o.) als auch von der Gerechtigkeit die Rede ist, die von Gott ausgeht (vgl. Jes 54, 17). Ganz entsprechend heißt es im Targum, d.h. der aramäischen Paraphrase und Erklärung dieser Stelle, daß sich Gottes Gerechtigkeit an den Dienern Gottes auswirken werde in "Gerechtigkeitserweisen, (die) von (mir ausgehen und) vor mir (wirksam sind)" (Targum Jes 54, 17). Gottes Gerechtigkeit meint also im Alten Testament, in der frühjüdischen Tradition und im Neuen Testament die Heilswirksamkeit Gottes des Schöpfers und Richters, der für die Betroffenen Gerechtigkeit und Wohlordnung schafft. Paulus hat den Ausdruck "Gerechtigkeit Gottes" dadurch zum Zentrum des Evangeliums gemacht, daß er mit den Christen vor und neben ihm von Gottes Heilswirksamkeit für die sündige Welt in und durch Christus sprach und die Gottesgerechtigkeit streng auf den Glauben bezog. Im Glauben an Jesus Christus als Versöhner und Herrn gewinnt jeder einzelne Jude und Heide positiven Anteil an dem Wirken des einen gerechten Gottes, der durch Jesus Christus für Israel, die Heidenvölker und die (außermenschliche) Schöpfung Frieden, Heil und Rettung heraufführt. Für den Apostel und seine apokalyptische Schau von Geschichte und Schöpfung steht das Endgericht aller Welt in Bälde bevor. Kraft des Glaubens Anteil an Gottes Gerechtigkeit zu gewinnen, heißt, im Endgericht von aller Schuld freigesprochen und in die neue Welt Gottes aufgenommen zu werden, in der der Tod (und mit ihm alle Not) überwunden sein wird (vgl. Röm 8, 18ff.; 1. Kor 15, SOff.). Im Evangelium des Paulus wird diese Gottesgerechtigkeit schon vor Anbruch des Jüngsten Tages offenbart und den Glaubenden eröffnet. In der Paulusexegese wird seit langer Zeit darüber debattiert, ob man die Gottesgerechtigkeit bei Paulus von Phil 3,9 her vor allem als Gabe Gottes, als Glaubensgerechtigkeit bzw. "Gerechtigkeit, die vor Gott gilt" (Luther) verstehen soll, oder ob der Akzent mit Schlatter u. a. auf Gottes eigenes Rechts- und Heilshandeln (in und durch Christus) zu legen ist (vgl. Röm 3,5.25f.; 10,3). Nach unseren Überlegungen zur Wortgeschichte und -bedeutung sollte man hier keine falschen Alternativen aufstellen. Der Ausdruck umfaßt beides, und es ist von TextsteIle zu TextsteIle zu prüfen, wie Paulus den Akzent setzt. Zu bedenken ist bei solcher Nuancierung nur folgendes: Paulus entwickelt seine Rechdcrtigungsbotschaft noch nicht von der Fragestellung Luthers her. Während Luther nach Trost für das angefochtene Gewissen des einzelnen Sünders suchte und sich ihm die Paradieses pforten öffneten, als er in Röm 1, 1M. die Botschaft von der den Glaubenden im Evangelium geschenkweise eröffneten .. Gerechtigkeit, die vor Gott gilt" fand, verfolgt Paulus gerade im Römerbrief das Ziel, zu zeigen, wie Gott, der Schöpfer und Richter für Juden und Heiden, durch die Sendung seines Sohnes in die Welt Rettung erwirkt. Erst wenn man diesem Blick folgt und sieht, daß Gott seine Heil schaffende Gerechtigkeit in der Sendung, dem Tode, der Auferweckung und der Herrschaft Christi für Juden und Heiden, d. h. die ganze Menschheit, und die Schöpfung insgesamt wirksam werden läßt, gewinnt das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit, das der Apostel verkündigt, wirklich missionarisch weltweite und schöpfungstheologische Dimension. Und nicht nur das. Geht man von dieser
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kosmischen Dimension des Evangeliums aus, kann der Römerbrief als ein Ganzes verstanden werden, das von Kapitell bis 16 von Gottes Gerechtigkeit in Christus zum Heil der ganzen Welt handelt. Diese umfassende Auslegungsperspektive schließt die Luthers ein, geht aber weit über sie hinaus. Sie ist von verschiedenen neueren Paulusauslegern (vor allem A. Schlatter, E. Käsemann und U. Wilckens) exegetisch erprobt und einleuchtend durchgeführt worden. Die soteriologische und schöpfungstheologische Weite der paulinischen Rechtfertigungsanschauung legt sie auch für uns nahe.
1,18-8,39: Erster Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden
Nachdem der Apostel in 1,16-17 das Thema seines Briefes genannt hat, will er nun sein umstrittenes Evangelium im einzelnen darlegen und gegen die Kritik verteidigen, die bis hinein nach Rom gegen die Paulusbotschaft lautgeworden ist. Er tut dies in wohldurchdachter Argumentation. Zunächst macht er deutlich, daß Heiden und Juden gleichermaßen vom Zorngericht Gottes betroffen und deshalb der Rettung bedürftig sind.
I. 1,18-3,20: Heiden und Juden unter dem Zorn Gottes
Die Verse 1,18-32 sprechen primär von den Heiden. Ihnen folgt in 2,1-29 eine parallele, aber ausführlichere Anklage, die sich von 2,1 an zuerst implizit und ab 2,17 explizit an Juden wendet. Nachdem sich der Apostel in 3,1-8 Einwänden gestellt hat, die gegen seine Argumentation vorgetragen werden, führt er in 3,9-20 die Anklagerede gegenüber Juden und Heiden zum Ziel. Paulus spricht in 1, 18-3,20 als Bußprediger; die verschiedentlichen Verallgemeinerungen, die er vorträgt, verstehen sich vom plakativen Stil der (prophetischen) Gerichtsrede her.
1. 1, 18-32: Die Heiden unter dem Zorn Gottes 18 Offenbart wird nämlich Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit von Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. 19 Denn was erkennbar ist an Gott, ist unter ihnen offenkundig; Gott hat es ihnen nämlich offenkundig gemacht. 20 Denn das Unsichtbare an ihm wird von der Schöpfung der Welt an durch die (Schöpfungs-)Werke für das Auge der Vernunft sichtbar, seine ewige Macht und Gottheit, so daß sie unentschuldbar sind. 21 Denn trotz der Erkenntnis Gottes haben sie ihn doch nicht als
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Gott verehrt oder ihm Dank gesagt, sondern wurden der Nichtigkeit preisgegeben in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. 22 Während sie meinten, weise zu sein, sind sie zu Toren geworden 23 und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Abbild der Gestalt eines vergänglichen Menschen und von Vögeln und Vierfüßlern und Schlangen. 24 Deshalb hat Gott sie preisgegeben in den Begierden ihrer Herzen an die Unreinheit der Schändung ihrer Leiber durch sie selbst. - 25 Sie, die sie die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauscht und der Schöpfung anstatt des Schöpfers Verehrung und Dienst erwiesen haben. - Er sei gelobt in Ewigkeit, Amen. 26 Deswegen hat Gott sie preisgegeben an Leidenschaften der Schande. Ihre Frauen haben nämlich den natürlichen (Geschlechts-)Verkehr in den widernatürlichen verkehrt; 27 ebenso haben auch die Männer den natürlichen (Geschlechts-) Verkehr mit der Frau verlassen und sind entbrannt in gegenseitiger Begierde, Männer mit Männern treiben sie Schamlosigkeit und empfangen den Lohn, der ihrer Verirrung gebührt, an sich selbst. - 28 Und da sie es nicht für gut befunden haben, Gott im Sinn zu haben, hat Gott sie preisgegeben an einen untüchtigen Verstand, um zu tun, was sich nicht schickt: 29 Erfüllt von aller Art Unrecht, Bosheit, Geiz, Schlechtigkeit; voller Neid, Mord, Streit, List, Verschlagenheit; Zwischenträger, 30 Verleumder, Gotteshasser, Frevler, Stolze, Prahlhänse, erpicht auf Schlechtigkeiten, den Eltern ungehorsam, 31 uneinsichtig, unzuverlässig, lieblos, erbarmungslos. - 32 Sie, denen Gottes Rechtsforderung bekannt ist, daß die, die so etwas tun, des Todes schuldig sind, tun dies nicht nur, sondern zollen auch noch denen Beifall, die es tun. Vers 19f.: Weish 13.1-9;
Vers 22f.: Weuh 1/,15; Jer 2,5;
Vers 24-32: Weish 14,12-14.22-31.
ADer Eingangsteil der Anklage des Apostels ist rhetorisch kunstvoll aufgebaut. V. 18 bietet die Überschrift für die Ausführungen von 1,18-3,20 überhaupt. In V. 19-21 wird sie im Blick auf die Heiden zweifach begründet (V. 19 und 21). In V. 22-24 und V. 25-27 wird in paralleler Weise ausgeführt, warum und in welcher Art und Weise Gott diejenigen an ihre Begierden preisgibt, die ihm die Anerkennung verweigern und Götzendienst betreiben. In den Versen 28-31 wird im Rückbezug auf V. 19-21 die Preisgabe der Heiden an das gottlose Denken und Verhalten überhaupt dargestellt. V. 32 resümiert: Wer so denkt und sich derart verhält, ist unweigerlich dem Gericht Gottes verfallen. Paulus setzt also die Worte im Eingangsteil seines Briefes sehr überlegt. Das mehrfache "Gott hat sie preisgegeben" in V. 24.26.28 ist von keinem Leser oder Hörer des Briefes zu übersehen. Der scharfe Kontrast, den Paulus zwischen der Schuldverfallenheit der Heiden (von 2,1 ff. an auch der der Juden) und der Offenbarung der rettenden Gottesgerechtigkeit in 3,21 ff. zeichnet, erinnert an die von den urchristlichen Missionaren nach dem Schema von 1. Thess 1,9f. (vor Heiden) gehaltene Buß- und Bekehrungspredigt, die zur Taufe führt und von daher auch für die Tauferinnerung kennzeichnend ist (vgl. 1. Kor 6,9-11; Röm 6, 17). Paulus argumentiert also in Röm 1,18 ff. aus seiner Missionserfahrung heraus. - Inhaltlich schließt er sich eng an die Denkweise der (hellenistisch-) jüdischen Weisheitstradition an, wie sie z.B. die Weisheit Salomos vertritt, die der Apostel in seiner griechischen Bibel fand: Die Erschaffung der Welt durch das Schöpferwort Gottes (vgl. Gen 1,1-3.6.9 usw.; Ps 33,9; Jes 48, 13) wird in der Weisheitsüberlieferung als Schöpfung durch die
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Weisheit Gottes verstanden (vgl. Weish 9, 1-3; Sir 24, 3 ff.); die Weisheit wird in der Tora(dem Gesetz) offenbar (vgl. Sir 24,23ff.; Bar 4,1 ff.). Diese doppelte Gleichsetzung erlaubte es, vom Widerschein der Weisheit (bzw. des Schöpferwillens Gottes) in den Werken der Schöpfung zu sprechen und das jüdische Gesetz in einer Weise auszulegen, die die ganze Schöpfung betraf und zugleich griechischem Geistempfinden entgegenkam. Schon das missionierende Judentum hat diese Auslegungsmöglichkeiten genutzt, und die christliche Mission hat es ihm gleichgetan. Paulus ist einer ihrer markantesten Vertreter. In Apg 17,22-31 haben wir ein berühmtes Beispiel für eine weisheitlich positive Anknüpfung an die heidnische Religiosität vor uns, in Röm 1, 18ff. eine ähnlich beispielhafte kritische Bezugnahme auf die Religion der Heiden aufgrund derselben Weisheitstradition. Beide Modelle widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Für Paulus ruht die bestehende Welt in Gottes schöpferischer Weisheit und gleichzeitig macht sie diese offenbar. Vorbild für die konkrete Schelt rede des Apostels ist die in Weish (11,15 und) 13,1-9 bezeugte Kritik am Götzendienst der Heiden (Ägyptens) mitsamt der sich in Weish 14,12-14.22-31 anschließenden Darlegung der mit dem heidnischen Götzendienst Hand in Hand gehenden Verderbnis aller Sitten. Schon Weish 14 bedient sich zur Darstellung dessen eines plakativen "Lasterkatalogs" und bietet auch ein direktes Vorbild für die resümierende Anklage des Apostels in V. 32. In Weish 14,22 heißt es: "Als ob es nicht genug wäre, in der Erkenntnis Gottes zu irren, nennen sie in dem heftigen Zwiespalt, den die Unwissenheit in ihr Leben bringt, so große Übel auch noch Frieden." Paulus übernimmt in 1,18-32 die pauschalisierende Sprache der hellenistisch-jüdischen Kritik an den sittenlosen Heiden. Der Rechtsgrund für diese (mit ihren Verallgemeinerungen keineswegs ungefährliche!) Polemik liegt in der anerkannt hohen jüdischen Ethik der Antike, die an den zehn Geboten orientiert war und vom Apostel in seine Gemeindeermahnungen übernommen wurde (vgl. Kap. 12 H.). Der Anschluß von V. 18 an 1,17 ist recht eng: Paulus formuliert in bewußter B Kontrastierung. Während die Gottesgerechtigkeit allen Glaubenden im Evangelium offenbart wird, wird vom Himmel her der Zorn Gottes über alle Gottlosigkeit offenbart. Gerechtigkeit Gottes und Zorn Gottes sind vom Alten Testament her Gegensatzbegriffe. Der erste bezeichnet das Wohlordnung stiftende Verhalten Gottes, des Schöpfers und Richters, der zweite seine Strafgewalt oder auch das Vernichtungsgericht Gottes insgesamt (vgl. Ps 90,9.11; Jes 66, 15 f.). Der Zorn Gottes wird wirksam, wo seine Zuwendung und Liebe mißachtet werden, die Gerechtigkeit Gottes schafft dieser Liebe selbst noch im Gericht Raum (vgl.Jes 63, 1-6). Nach früh jüdisch-apokalyptischer Erwartung steht der ganzen Welt das Zorngericht Gottes in Bälde bevor (vgl. Dan 7, 26f.; 12,2f.; äthHen 91, 14-17). Auch Paulus hegt diese Naherwartung. Er erwartet die endzeitliehe Ankunft des Christus, die sog. Parusie, die dem Endgericht vorangeht, in Bälde und sieht in Christus den Retter vor dem nahenden Zorngericht (vgl. 1. Thess 1,10; 4,16; 2. Thess 1,7ff.; 1. Kor 15,23; Röm 14,10). Während die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit im 18 Evangelium durch das (Glauben eröffnende) Wort der Verkündigung erfolgt, wird das Gottesgericht "vom Himmel her", d.h. von Gottes Gerichtsthron her (vgl. Ps 76,9; 2. Thess 1,7ff.), offenbar. Die Endereignisse stehen nahe bevor, und für die
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Glaubenden, an die Paulus schreibt, sind die Vorzeichen und Maßstäbe des Gerichts vom Evangelium her schon klar erkennbar und deutbar: Gottes Zorn richtet sich gegen alle Art von Gottlosigkeit, d.h. die ihm vorenthaltene Anerkennung, und alles Unrecht von Menschen, d.h. die Mißachtung seines heiligen Willens. Gottlosigkeit und Unrecht sind für das Handeln der Frevler charakteristisch (vgl. Ps 73,6ff.); sie bezeichnen den Verstoß gegen die zehn Gebote insgesamt. In V. 21.23.25.28 skizziert Paulus vor allem die Mißachtung des ersten und zweiten Gebotes (Ex 20,2-6); in V. 24.26-27 wird die Übertretung des sechsten Gebotes (Ex 20, 14) signalisiert, und in V. (21) 28-31 der Verstoß gegen die restlichen Gebote der sog. zweiten Tafel (Ex 20, 12-17). Die Frevler unterdrücken die offenbare Wirklichkeit Gottes durch ihre Unrechtshandlungen, obwohl Gott selbst ihnen offenbar gemacht hat, was Menschen von seinem Werk wahrnehmen sollen. Seit Grundlegung der Welt spiegelt sich nämlich Gottes Schöpfermacht und Größe in den Werken der Schöpfung und wird so für das Auge der Vernunft sichtbar. Weish 13,5 formuliert klassisch: "Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen." Paulus teilt diese Anschauung, wendet sie hier aber kritisch: Da die Frevler sich dieser (indirekten) Offenbarung Gottes gegenüber verschlossen haben, sind sie unentschuldbar und trifft sie Gottes Zorn zu Recht. Weil sie dem Urteil Gottes: " ... siehe, es war sehr gut" (Gen 1,31) nicht im Lobpreis zugestimmt haben (vgl. z.B. Ps 104 oder 139), hat Gott sie in ihrem Denken der Nichtigkeit preisgegeben und ihr unverständiges Herz verfinstert (vgl. Eph 4, 17 f.). Wer dem Nichts nachläuft, wird selbst zu nichts Oer 2,5)! Dies wird jetzt in zwei Durchgängen (V. 22-24 und 25-27) näher illustriert. Trotz ihres Anspruchs, weise zu sein, sim' die Heiden zu Toren geworden. Sie haben statt des Schöpfers seine Kreaturen in den Rang von Göttern erhoben. Für die Leser des Römerbriefes boten die antiken Götter- und Heroenstatuen mitsamt den religiösen Tiersymbolen reiches Anschauungsmaterial für die paulinischen Sätze. Der Apostel bleibt jedoch nicht bei einer vordergründigen Verurteilung des heidnischen Götzendienstes stehen. Schon die passiven Verbformen: "der Nichtigkeit preisgegeben -, verfinstert -, zu Toren werden" deuten ein gerichtliches Handeln Gottes an. V. 24 (26.28) macht (machen) es offenkundig. Die Übertreter des Gotteswillens müssen die Folgen ihrer Sünde tragen, und eben darin vollzieht sich an ihnen das Gericht: Gott hat sie (an die Auswirkungen dessen, was sie selbst zu tun begehren) "preisgegeben". Die Szenerie des heidnischen Alltags wird zur Stätte des göttlichen Gerichts, das nur die Glaubenden erkennen: Die Heiden müssen sich selbst in ihren pervertierten sexuellen Lüsten schänden. Der Apostel wiederholt: Wer die Wahrheit Gottes mit dem Trug vertauscht und den Kult der Geschöpfe an die Stelle der Verehrung des Schöpfers setzt, verliert das Maß und richtet sich selbst zugrunde. Nachdem er den Namen Gottes, des Schöpfers, genannt hat, fügt Paulus, jüdischer und judenchristlicher Sitte folgend, einen kurzen Lobspruch ein (vgl. ähnlich Röm 9,5; 2. Kor 11, 31);von Gott, seiner Größe und seinem Werk kann nur in der Weise des Lobpreises gesprochen werden. - Das neue "deswegen hat Gott sie preisgegeben" präzisiert, was schon in V. 24 gesagt worden war: Mit allen Zeichen der Abscheu schildert der Apostel, wie die Heiden sich (in sündhafter Umkehr von Gen 1,27 f.) in lesbischer Liebe und Sodomie selber
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schänden. Anschauung auch dafür gab es in Rom genug. Was die Heiden tun, ist schöpfungswidrig und Kennzeichen ihrer Schuldverfallenheit. Der Apostel hat im Zusammenhang seiner generellen Gerichtsrede keinen Anlaß, das Problem der Homosexualität differenziert vom Evangelium her anzugehen. Nachdem aber seine pauschalen Formulierungen im Verlaufe der Kirchengeschichte dazu geführt haben, die Homosexuellen einfach zu ächten, statt ihrem besonderen Verhalten auf den Grund zu gehen, sie anzunehmen und ihnen zu helfen, besteht für uns heute Anlaß, die Sätze des Paulus nicht unreflektiert zu wiederholen! Im vierten Durchgang wendet sich Paulus vom Problem der schöpfungswidrigen Verkehrung der Sexualität weg und der allgemeinen Verfehltheit heidnischen Lebens zu. Gott hat die Heiden, die sich weigerten, ihn anzuerkennen und seinen Willen zu respektieren, an einen untüchtigen Verstand preisgegeben (vgl. so auch Eph 4, 18 f.), so daß sie tun, "was sich nicht schickt" . Der Ausdruck meint im hellenistischen Judentum das, was Gottes Willen widerspricht (vgl. 2. Makk 6,4; 3. Makk 4, 16). Der Lasterkatalog führt aus, worum es sich handelt. Er will (wie bei Paulussonst auch, vgl. Röm 13,13; Ga15, 19-21) plakatartigwirken und bringt zum Ausdruck, daß "die Verehrung der namenlosen Götzenbilder aller Übel Anfang, Ursache und Höhepunkt (ist)" (Weish 14,27). Unrecht, Bosheit, Geiz und Schlechtigkeit beschreiben die allgemeine Verderbtheit des Lebens. Es folgt eine Liste von gemeinschaftsschädigenden Denk- und Verhaltensweisen. Im jüdischen und judenchristlichen Kontext wiegt die Auflehnung gegen die Eltern besonders schwer (vgl. Dtn 21, 18ff.). Uneinsichtigkeit, Unzuverlässigkeit, Lieblosigkeit und Erbarmungslosigkeit bieten den Kontrast zum Verhalten des frommen Juden(christen): Der Fromme darf es nicht an Weisheit und Gottesfurcht fehlen lassen (Sir 1,11 ff.), darf nicht bundbrüchig sein und soll erfüllt sein von der Gottes Verhalten entsprechenden Nächstenliebe und Barmherzigkeit (vgl. Lev 19,18; Sir 4, 1-19). Das Fehlen aB dieser Verhaltensweisen zeigt exemplarische Gottlosigkeit an. Unser Lasterkatalog ist also an Gottes Geboten orientiert und soll den mit ihnen wohlvertrauten Lesern des Paulus (vgl. Röm 7,1; 13, 8ff.) zeigen, daß Gottes Gericht dort exemplarisch wirksam wird, wo man den Lebensweg und -raum verläßt, den seine Gebote markieren. - Der abschließende Satz bietet ein ernstes Resümee: Daß die Heiden, statt Buße zu tun, sich noch gegenseitig im Tun des Bösen bestätigen (vgl. ähnlich Weish 14,22; EpArist 152; TestAss 6,2), macht sie vollends gerichtswürdig. Ihnen ist die Rechtsforderung Gottes auf Respektierung seines Willens kraft der die ganze Schöpfung durchdringenden Weisheit Gottes bekannt (s.Y.19f.). Die philosophische Ethik der Antike, auf die sich die jüdische und urchristliche Mission verschiedentlich bezogen haben (vgl. bei Paulus z. B. PhiI4,8f.; Röm 12,2), gibt dem Apostel in diesem Urteil recht; auch seine Leser in Rom konnten es nachvollziehen. Nach alttestamentlich-jüdischem Denken können nur solche Sünden vergeben werden, die unwissentlich begangen werden; wer wissentlich sündigt, muß seine Schuld tragen, und zwar bis hin zur Vernichtung (vgl. Num 15,22-31). Nach diesem Maßstab sind die vorsätzlich sündigenden Heiden dem Zorngericht Gottes unrettbar verfallen (s. Y.18). Rettung gibt es für sie nur durch die im Evangelium offenbarte Gottesgerechtigkeit, und eben darauf zielt die Argumentation des Apostels hin: 3,21ff.
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2. 2,1-29: Die Juden unter dem Zorn Gottes Nachdem Paulus in 1,18-32 die Verfallenheit der Heiden an das Gericht Gottes skizziert hat, geht er nunmehr zur Anklage gegen die Juden über. Seine Argumentation ist dabei differenzierter als zuvor und teilt sich ein in drei Argumentationsgänge: 2, 1-11 handeln von Gottes unparteiischem Gericht, 2, 12-16 vom Maßstab des Gerichts und 2,17-29 von der Schuld der Juden. Erst im letzten Gesprächsgang wird der von 2,1 an angeredete "Mensch" als Jude identifiziert (2, 17).
2.1 2, 1-11: Gottes unparteiisches Gericht 1 Deshalb bist du unentschuldbar,
Mensch, der du richtest, wer immer du seist. Worin du nämlich den anderen richtest, verurteilst du dich selbst, denn du tust als Richter dasselbe (wie er). 2 Wir wissen aber, daß das Gericht Gottes gemäß der Wahrheit ergeht über die, die solches tun. 3 Meinst du etwa dies, 0 Mensch, der du richtest, die solches tun, und es doch (selbst) tust, daß du dem Gericht Gottes entrinnen wint? 4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Großmut und beachtest nicht, daß Gottes Güte dich zur Umkehr führt? 5 Gemäß deiner Verhärtung und Unbußfertigkeit des Herzens häufst du Zorn für dich auf am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 6 der ,jedem nach seinen Werken wiedergeben wird': 7 Den einen, die in ausdauerndem Guttestun Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit erstreben, ewiges Leben, 8 den anderen aber aufgrund von Selbstsucht und weil sie der Wahrheit ungehorsam, aber der Ungerechtigkeit hörig sind, Zorn und Grimm. 9 Not und Angst über jede Menschenseele, die das Böse wirkt, des Juden zuerst, aber auch des Griechen; 10 aber Herrlichkeit und Ehre und Heil jedem, der das Gute wirkt, dem Juden zuerst, aber auch dem Griechen. 11 Denn es gibt kein Ansehen der Person bei Gott. Vers 4: WtUh 11.9/; n.I-3;
A
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Vers 6: Spr 24. /1 (Ps 61,13);
Vers 11: Sir 35. /1/ in ein- SqJtU4ginl4.
Die Textüberlieferung bietet keinen Grund, V. 1 als Glosse eines späteren Bearbeiters des Römerbriefes anzusehen. Paulus arbeitet - ähnlich wie Nathan nach 2. Sam 12,7- mit einem bewußten rhetorischen Überraschungseffekt. Rhetorisch ist auch die dialogische Gestaltung des Textes in Fragen und Antworten zu verstehen. Wie zeitgenössische griechische Autoren lockert Paulus seine belehrenden Ausführungen auf; dieses Stilmittel der sog. Diatribe (= Unterredung) wird vom Apostel freilich nicht ohne konkreten Anlaß gewählt (s.u.). Die Verse nehmen Formulierungen aus 1,18-32 auf und arbeiten außerdem mit Wortpaaren, die aus der Septuaginta (und von hier aus auch sonst im Neuen Testament) vertraut sind: "Zorn und Grimm" (vgl. Dtn 29,27; Ps 69,25; 78,49), "Not und Angst" (vgl. Jes 8,22; 30,6), "Herrlichkeit und Ehre" (vgl. Ps 29, 1; 96,7). - Die Struktur der Argumentation ist folgende: Auf das überraschende Urteil von V. 1 folgt in V. 2 eine (auf 1,32 zurückverweisende und) an Gemeindewissen erinnernde Feststellung. Sie dient dazu, den noch ungenannten Gesprächspartner von V. 1 und V. 3-5 mit zwei kritischen Fragesätzen und einer Schlußfolgerung für gerichtswürdig zu
2,1-11: Gottes unparteiisches Gericht
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erklären. Das Stichwort ,,(gerechtes) Gericht Gottes" verbindet V. 2 mit V. 5, es wird durch den Relativsatz in V. 6 als Gericht nach den Werken definiert. V. 7-10 entfalten die Regeln dieses Gerichts in zwei einander nach dem Schema a-b/b-a (chiastisch) zugeordneten Satzpaaren. V. 11 begründet diese Doppelregeln mit einer V. 6 analogen, Sir 35, 12f. aufnehmenden Aussage: Gott urteilt unparteiisch. Paulus formuliert also wieder in äußerster Sorgfalt und Konzentration. - Die den Versen zugrundeliegende Tradition ist (wie schon in 1, 18ff.) vor allem weisheitlich. In der Weisheit Salomos wird unterschiedlich von Gottes Gericht an Israel und den Heiden gesprochen. Während Gott die Heiden ( .. Ägypter) exemplarisch schlägt, hält er sein Zorngericht über sein erwähltes Volk noch zurück, straft es nur vorübergehend zur Warnung und lädt es ein, sich durch das Beispiel des Gerichts an den ägyptischen Heiden zur Umkehr führen zu lassen. "Sie (= die Israeliten der Auszugsgeneration) hast du wie ein mahnender Vater auf die Probe gestellt, die Frevler (= heidnischen Ägypter) aber wie ein strenger König gerichtet und verurteilt" (Weish 11,10; vgl. auch 15,1-3). Paulus ebnet den durch Gottes Erwählung gesetzten Unterschied zwischen Juden und Heiden weder im Blick auf das Evangelium noch auf das (End-)Gericht ein (vgl. Röm 1,16; 2,9f.; 3,1; 9, 1 ff.). Er nimmt wieder die weisheitliche Lehrtradition auf und argumentiert mit ihrer Hilfe folgendermaßen: Während Gottes Zorngericht an den Heiden bereits wirksam ist (vgl. 1,24.26.28), gehört der Gesprächspartner zur Gruppe derer, die Gott durch seine Großmut noch zur Umkehr führen will, die aber im Falle von Unbußfertigkeit um so mehr das Gericht "am Tage des Zornes" auf sich ziehen. Der Gesprächspartner gehört also zu denjuden und wird in V.17 dann auch als solcher angeredet. Er kann aber aus seiner Vorzugsstellung nur dann Gewinn ziehen, wenn er sein gerichtswürdiges Tun aufgibt und umkehrt. Tut er dies nicht und verhärtet sein Herz, trifft ihn Gottes Zorn erst recht. Angesichts unserer Verse ist es nicht möglich zu behaupten, Paulus habe die jüdische Tradition der Umkehr unterschätzt oder ganz beiseitegeschoben. Über Israel ergeht Gottes Zorngericht noch nicht in dem Maße wie über die Heiden; anders als sie behält es bis zum Jüngsten Tage noch Gelegenheit zur Umkehr. Paulus korrigiert damit schon hier seinen in 1. Thess 2, 16 geäußerten Standpunkt (vgl. weiter S. 148f. 160ff.). 2,16 und 3,8 werden uns zeigen weshalb: Weil er (vor allem judenchrisdichen) Einwänden gegen sein Evangelium so wenig Angriffsflächen wie möglich bieten will. Nicht die Heiden (-Christen) sind für Paulus im Römerbrief das Problem, sondern judenchristliche Kritiker und deren Sympathisanten. Diese Gesprächslage erklärt auch die Ausführlichkeit von 2,1-29 gegenüber 1,18-32. Bei seiner Kritik an den Heiden (1, 18-32) konnte sich Paulus der Zustimmung B der römischen Christen sicher sein. Angesichts der Stellung der Juden war die Sache schwieriger. Um dem von 1. Thess 2,14-16; Ga12, 14-16 und PhiI3,2ff. her verhältnismäßig leicht begründbaren Verdacht zuvorzukommen, er leugne oder nivelliere mit seiner Art von Verkündigung die Vorzugsstellung Israels, argumentiert Paulus in Kap. 2 wie ein jüdischer Gerichtsprediger: V. 1 beginnt mit einem überraschenden, schlußfolgernden "daher". Der zunächst anonym bleibende Gesprächspartner stimmt offenbar der bisherigen Argumentation des Paulus zu. Er hat sich nach des Apostels Meinung aber (ähnlich wie David in der berühmten
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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden
Nathanparabel aus 2. Sam 12) in seiner Zustimmung zu Gottes Gericht über die Heiden bereits selbst gefangen, weil er dasselbe tut wie sie: Er sündigt vorsätzlich (s.o.). Die genauere Begründung für diese Behauptung spart Paulus auf bis V. 17ff. Zunächst führt er seinen Vorwurf fort. Daß Gott die (vorsätzlich) frevelnden Sünder richtet, ist unter Juden und Christen nicht strittig. Sie wissen es aus der von beiden gelesenen Hl. Schrift (vgl. V. 6). Daher kann Paulus seinem Gesprächspartner zwei kritische Fragen stellen, die jeder Schriftkundige als typische Fragen eines Juden an einen anderen Juden erkennen wird. Wenn der Gesprächspartner dasselbe tut wie die Heiden, kann er unmöglich hoffen, dem Gericht Gottes zu entgehen. Er sollte sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die über ihm noch waltende Geduld Gottes ihm nur Gelegenheit zur Buße geben will! Übt er solche Buße nicht, staut sich der Zorn Gottes gegen ihn um seiner U nbußfertigkeit willen erst recht auf. Die Schuld des Gesprächspartners besteht in dem für Israel wohlbekannten Verhalten der "Verhärtung und Unbußfertigkeit" (vgl. Dtn 31,27). Es wird am Jüngsten Tag seine Antwort finden. Paulus nennt diesen Tag, der bei den Propheten der "Tag Gottes" Qoel2, 1f.; Am 5, 18ff.) heißt, mit der frühjüdischen Apokalyptik den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. An diesem Tag gelten keine Buße, kein Gebet, keine Fürbitte und keine Fürsprache von Vätern, Propheten oder Gerechten mehr etwas; dann gibt es nur noch das Vernichtungsurteil über den Frevler und den Rechtsspruch über den Gerechten (vgl. 4Esr 7,33 ff.; syrBar 85, 12-15). Oder, wie Paulus mit einem Zitat aus Spr 24, 12 (Ps 62, 13) sagt, dann wird Gott "jedem nach seinen Werken" geben, was ihm gebührt. An den W erken zeigt sich, ob ein Mensch gehorcht oder nicht. Gemäß seinen Werken wird jeder einzelne am Tage des gerechten, d.h. alles Böse vernichtenden, Gerichtes Gottes empfangen: Wer sich im Streben nach himmlischer Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Wesen geduldig um das Gute, das Gottes Wille ist, gemüht hat, wird ewiges Leben empfangen; den sich aus hochfahrender Eigensucht dem Anspruch Gottes widersetzenden Übeltäter (vgl. syrBar 48,40) dagegen droht die Vernichtung (Dan 12,2f.). Oder, wie Paulus noch einmal einschärft: Den Täter des Bösen werden Heimsuchung und ausweglose Vernichtung treffen, aber dem Täter des Guten werden Herrlichkeit und Heil zuteil. Beide Male setzt der Apostel hinzu: dem Juden zuerst, aber auch dem Griechen. Da der Jude Gottes erwähltem Volk zugehört (v gl. Sir 17,17), trifft ihn das Urteil Gottes zuerst (vgl. Am 3,2); aber auch der Grieche (Heide) kann sich diesem Urteil nicht entziehen, weil er dem Schöpfer ebenfalls Anbetung und Gehorsam schuldet. Gottes Gericht ist unparteiisch. Der Jude gilt in diesem Gericht nicht mehr als der Grieche; es zählt nur das Gewicht der guten und schlechten Werke. Mit diesem Urteil spitzt Paulus die Gerichtserwartung ähnlich radikal zu wie die Apokalyptik (s.o.) und Johannes der Täufer (vgl. Mt 3,9 Par.). Nichts deutet darauf hin, daß Paulus seine Sätze nur hypothetisch meint: Das Endgericht nach den Werken ist und bleibt der Fluchtpunkt und zugleich Gesamthorizont (auch) seiner Verkündigung der Rechtfertigung. Die nächsten Verse zeigen das.
2.12-16: Der Maßstab des Gerichts
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2.22,12-16: Der Maßstab des Gerichts 12 Welche nämlich ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz ins Verderben geraten; und welche unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durch das Gesetz gerichtet werden. 13 Denn nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht bei Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. 14 Wenn nämlich Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus tun, was das Gesetz fordert, dann sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz; 15 sie, die sie das Werk des Gesetzes als in ihren Herzen geschrieben erweisen, wenn ihr Gewissen Zeugnis für sie ablegt und sich ihre Gedanken gegenseitig anklagen und verteidigen, - 16 an dem Tage, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird nach meinem Evangelium durch Christus jesus. V. 16 stellt für die Interpretation ein Sachproblem dar; ihn deshalb als spätere A Glosse eines an 1. Kor 4,5 erinnernden Abschreibers des Römerbriefes anzusehen, besteht keine Veranlassung (s.u.). - Die Verse beziehen sich auf 2, 1-11 zurück, bilden einen geschlossenen Zusammenhang und erläutern, nach welchem Maßstab Gott am Tage des Gerichts Juden und Heiden richten wird, nämlich nach den Forderungen des Gesetzes. V. 13 bietet die Hauptthese des Apostels, V. 16 seine pointierte Schlußbemerkung. - Die Hauptgedanken des Textes sind in der jüdischen Tradition vorbereitet: Daß Gott die Welt nach dem Maßstab des Gesetzes richten wird, ist geläufige jüdische Anschauung (vgl. 4Esr 7,37.70-73; syrBar 48, 27.38-40.46 f.). - Die philosophische These der Stoiker, daß der wahre Weise keines geschriebenen Gesetzes bedarf, wenn er dem ungeschriebenen Gesetz der von der Vernunft durchwalteten Natur folgt, bejaht das Frühjudentum mit Hilfe der uns bereits bekannten Gleichsetzung von Schöpferwort, Weisheit und Gesetz (s.o. S. 34f.). Von Abrahams Zeiten heißt es in syrBar 57,2: " ... zu jener (= Abrahams) Zeit war das Gesetz ungeschrieben bei ihnen allgemein bekannt, und die Werke der Gebote wurden damals vollbracht, und der Glaube an das zukünftige Gericht wurde damals geboren ... ". Nach rabbinischer Zählung besteht das Gesetz aus 248 Geboten und 365 Verboten, zusammen 613 Weisungen; dementsprechend heißt es im T argum zu Gen 1,27, der Mensch sei aus 248 Gliedern und 365 Adern geschaffen (TgJer I zu Gen 1,27). Der Mensch hat also "von Natur aus", cl.h. mit jeder Faser seines Wesens, dem Gesetz zu folgen. Was der Mensch tut und was er versäumt, Wahrheit und Irrtum, können vor Gott nicht verborgen bleiben, weil sie den Menschen aufs (ins) Herz geschrieben sind (vgl. T estJ ud 20,3 f. mit Jer 31,33). Sache des Gewissens ist es, zwischen dem Guten und dem Bösen vernünftig abzuwägen, den Menschen innerlich anzuklagen und zur Umkehr zu mahnen (TestJud 20, 1 f.; Philo, Decal87). - Wie sich die Heiden am Jüngsten Tage vor dem Richterthron des Menschensohnes mit ihren Erwägungen anklagen und verteidigen werden, läßt sich von äthHen 63, 1-12 her schön illustrieren. - Paulus steht im Schnittpunkt dieser frühjüdischen Traditionen und argumentiert mit ihnen zugunsten seines Evangeliums. Auffällig ist dabei, wie ausführlich der Apostel in V. 12.14 + 15 auf das Gericht (auch) über die Heiden eingeht. Diese Ausführlichkeit erklärt sich mitsamt der pointierten Rede von "meinem Evangelium" in V. 16 aus der (in Rom) akuten Gesprächslage heraus. Gerade seine judenchristlichen Gegner
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haben Paulus seit den Streitigkeiten in Galatien vorgeworfen, er passe sein Evangelium den Wünschen der moralisch schwachen Heiden an und mache Christus mit seiner Lehre von der Gnade zum "Sündendiener" (Gal1, 10; 2,17). Daß er genau dies nicht tut, erklärt er in unseren Versen. Bei seiner Anklage gegen "den" Juden (in Röm 2, 1.17) hat Paulus jene Judenchristen im Blick, die seine Verkündigung bis hinein nach Rom kritisieren. V. 12 bildet einen sorgfältig ausgeformten antithetischen Parallelismus: Wer ohne Kenntnis des jüdischen Gesetzes gesündigt hat, wird als gesetzloser Frevler (von Gott) dem Verderben überantwortet werden. Diese gegen die Heiden gerichtete Feststellung kann jeder fromme Jude bejahen; in syrBar 48,38-40 ist sie jüdisch belegt. Auch die zweite Hälfte des Parallelismus muß er akzeptieren: Wer unter Kenntnis des (Israel am Sinai geoffenbarten) Gesetzes gesündigt hat, wird nach eben diesem Gesetz von Gott (oder dem messianischen Beauftragten Gottes) gerichtet werden. Das Gesetz ist der endzeitliche Gerichtsrnaßstab. An ihm wird gemessen, welche Taten der Menschen vor Gottes Richterthron Anerkennung oder Ablehnung erfahren werden. Folglich gilt der Rechtssatz: Im Gericht zählt nicht einfach schon die Kenntnis des Gesetzes und der Wille, es halten zu wollen (vgl. dazu Sir 15, 15), sondern einzig die vollbrachte Tat, die das Gesetz fordert. Auch dies entspricht jüdisch-apokalyptischer Ansicht (vgl. 4Esr 7,35; syrBar 85, 12f.) und steht den Christen von Johannes dem Täufer (Mt 3, 9f. Par.) undJesus(Mt 25,31-46) her vor Augen. "Gerechtfertigt werden" meint für Paulus: Vor Gottes endzeitlichem Richterthron den Urteilsspruch "gerecht" zu empfangen und damit Anteil zu gewinnen an Gottes Herrlichkeit und seinem ewigen Reich. - Mit einem durch "nämlich" deutlich an V. 12f. anschließenden Satz fährt Paulus fort, von Gottes unbestechlichem Gericht gegenüber den "gesetzlosen" Heiden (V. 12) noch genauer zu sprechen. Während Israel der Offenbarung des Gesetzes gewürdigt worden ist (vgl. 9,4), fehlt den Heiden die Gesetzesoffenbarung. Aber kraft ihres Geschaffenseins nach Maßgabe der Weisheit (die nach Sir 24,23 ff. im Gesetz offenbar wird) können sie sich durchaus selbst sagen, was Gut und Böse ist. Gott der Herr hat ihnen (schon bei der Schöpfung) ins Herz geschrieben, was das Gesetz verlangt. Zeugnis dafür werden die Gewissensregungen der Heiden sein, wenn sie sich aus Reue oder Verzweiflung in kritischen Erwägungen ergehen werden an dem Tage, da Gott durch Jesus Christus richten wird, was die Menschen gern verborgen halten. Paulus fügt hinzu: Von eben diesem Gericht Gottes durch Jesus Christus spricht "mein", d.h. das Evangelium, das mir zur Verkündigung anvertraut ist, durchaus! Beachtet man die akute Gesprächssituation des Römerbriefes, ist V. 16 ohne Mühe zu verstehen, und zwar im Sinne einer rhetorischen Spitze gegen die Pauluskritiker (von 3,8). Paulus verkündigt nicht die biJIige Gnade für die Heiden, wie sie meinen, sondern nach seinem Evangelium wird Gott Juden und Heiden durch J esus Christus richten, und zwar gemäß der Rechtsforderung des Gesetzes. In V. 16 wird 1. Kor 4,4f. (und 2. Kor 5, 10) wieder aufgenommen. Statt einer von manchen Exegeten vermuteten Glosse eines späteren Abschreibers des Römerbriefes haben wir, wie schon Schlatter sah, eine betonte Bemerkung des Apostels vor uns. Auch nach dem Evangelium des Paulus ist Christus der Weltenrichter, der das Gericht nach den Werken nach dem Maßstab des Gesetzes durchführen wird. Eine
Exkurs IV: Natürliche Goueserkenntnis
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Rechtfertigungsverkündigung ohne die Erwartung, daß Heiden, Juden und Christen vor dem Richtstuhl Christi erscheinen und sich dort für ihre Taten verantworten müssen, ist für den Apostel unmöglich und undenkbar. Unser knapper Text gibt Anlaß, zwei Fragen zusammenfassend zu bedenken: Erstens die Frage nach der "natürlichen" Gotteserkenntnis und dem Bewußtsein von Gut und Böse bei den Heiden, und zweitens die für das Verständnis des paulinisehen Rechtfertigungsevangeliums noch wichtigere Frage nach dem Gericht nach den Werken.
Exkurs IV: Natürliche Gotteserkenntis Für Paulus und seine Zeit war die Frage nach der natürlichen Gotteserkenntnis der Heiden noch kein grundsätzlich theologisches, sondern ein praktisches Missionsproblem. Da der Apostel sich und die christliche Gemeinde sowohl von der Denkund Lebensweise der Heiden als auch von der solcher Juden unterschied, die das Evangelium zurückwiesen (vgl. z.B. 1. Kor 5,7f.; 6,2.9-11.20; 2. Kor 6, 14-7, 1), mußte er sich fragen, auf welche Weise er den Heiden bei der Mission begegnen und sich zu ihrer Frömmigkeit und Moral stellen sollte. Vom Missionsjudentum übernahmen nicht wenige Heidenmissionare den Grundsatz, daß eine kritische Wertschätzung hellenistischer Bildung und philosophischer Ethik geboten sei. Dies gilt auch für Paulus und seine Mitarbeiter. Von den Heiden fordert der Apostel die strikte Abkehr vom Götzendienst und die Hinwendung zu dem einen, allein wahren Gott (1. Thess 1,9). Die (teilweise) laxe Moral der Heiden geißelt er hart (vgl. 1. Kor 5, 9ff.; Ga12, 15; Röm 1,18-32). Aber er erkennt auch an, daß es unter den Heiden ein ausgeprägtes Bewußtsein von Gut und Böse gibt, das sich sogar Christen zum Vorbild nehmen können (v gl. 1. Kor 5, 1; Phil4, 8f.). Da der Apostel die Sicht der frühjüdischen Weisheitstheologie übernimmt, nach der Gott die Welt durch sein (mit der Weisheit identisches) Schöpferwort geschaffen und so all seinen Geschöpfen einen Sinn für Gott und das von ihm Gewollte eingeprägt hat (v gl. Spr 8, 12-36; Hiob 28; Sir 24, 1-6; Weish 7, 15-8, 1; 9,1-3), kann er die Heiden durchaus auf die von ihnen versäumte Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung (1. Kor 1,21; Röm 1, 18ff.; 2,14f.) ansprechen oder auch - wie in Apg 17,16-31 von Lukas literarisch kunstvoll ausgeführt - versuchen, ihr bereits von Gott dem Schöpfer geprägtes Denken in den Gehorsam des Glaubens an Christus zu überführen (2. Kor 10,5). Weil Paulus in Christus die schöpferische Weisheit Gottes erkannt hat (1. Kor 1,30; 2,6ff.), bekennt er im Glauben an Christus Gott als den Schöpfer und J esus Christus als den Mittler der alten und neuen Schöpfung (1. Kor 8,6; Koll, 15-20). In 2. Kor 4,6 beschreibt er die ihn seit seiner Berufung zum Apostel leitende Gottes- und Christuserkenntnis folgendermaßen: "Denn der Gott, der da sprach: ,Aus der Finsternis leuchte Lichtl' (Gen 1,3), er ist aufgeleuchtet in unseren Herzen zur Erleuchtung der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi." Diese Christus- und Gotteserkenntnis ist es, die dem Apostel die Möglichkeit gibt, in kritischer Nüchternheit von der den Heiden gewährten natürlichen Erkenntnis Gottes und des Guten zu sprechen und die geschaffene Welt als von Gottes Weisheit getragen in den Blick zu nehmen.
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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden
Exkurs V: Das Endgericht nach den Werken
Die Erwartung der endzeitlichen Wiederkunft ( .. Parusie) des Christus und des .,am Tage des Herrn" (1. Thess 5,2; 1. Kor 5,5;2. Kor 1,14; Phill,6.10;2, 16) stattfindenden Endgerichts nach den Werken prägt die Paulusbriefe insgesamt (vgl. neben Röm 2,1-16 nur 1. Kor 3, 12-15; 4,4f.; 2. Kor 5, 10; Röm 14,10-12). Paulus sieht den Endereignissen zeit seines Lebens gespannt entgegen (vgl. 1. Thess 4, 15ff.; 1. Kor 7,29ff.; Röm 13,11 H.) und erwartet von ihnen die endgültige Verwirklichung des Heils für die Glaubenden (PhiI3,20f.; Röm 8,23; 13,11), für Israel (Röm 11,26ff.) und die Schöpfung insgesamt, die mit Adams Fall der Nichtigkeit unterworfen worden ist (Röm 8, 19-22). Typisch biblisch, ist auch für den Apostel das Endgericht kein göttlicher Racheakt, sondern das ersehnte Ereignis der endgültigen Durchsetzung der heilschaffenden Gottesgerechtigkeit gegenüber allen Mächten des Bösen (vgl. 1. Kor 15,24-28.54f.; Röm 8,38f.). Weil der Apostel diese (positive) Gerichtserwartung mit den späten Schichten des Alten Testaments und der jüdisch-apokalyptischen Tradition teilt, ist die Sprache, in der er vom Gericht spricht, ganz von dort her geprägt. Paulus kann gleichzeitig vom .,Gerichtsthron Gottes" (Röm 14,10 vgl. mit Dan 7,9) und vom .,Gerichtsthron Christi" (2. Kor 5, 10vgl. mit äthHen 62, 2H.) sprechen, weil er mit der jüdischen Überlieferung und der Jesustradition (vgl. Mk 13,26 Par.; Mt 25,31-46) davon ausgeht, daß das Endgericht durch Gottes messianischen Erwählten durchgeführt werden wird. Der zur Rechten Gottes erhöhte Jesus ist dieser messianische Erwählte (vgl. Phil 2,6-11; Röm 1,3 f.). Daß Gott jeden einzelnen Menschen gemäß seinem Wandel richten wird, ist ebenso alttestamentlich (vgl. Ps 62, 13; Spr 24,12; Hiob 34, 11; Sir 16,14) wie frühjüdisch (vgl. Jub 5, 15; äthHen 100,7) und allgemein urchristlich (vgl. Offb 2,23; 20, 12f.); mit der Rede von Gottes Unparteilichkeit steht es nicht anders (vgl. Dtn 10,17; Sir 35, 12; PsSaI2,18; 1. Petr 1,17). .,Werke" sind die Taten, die einen Menschen als gerecht oder gottlos ausweisen. Die .,Werke des Gesetzes" meinen bei Paulus (GaI2, 16; Röm 3,20.28) wie in der jüdischen Tradition auch (vgl. 4Qflor 1,7 und syrBar 57,2) die einzelnen Gebotserfüllungen, während .,das Werk" eines Christen (1. Kor 3, 13) die Summe seines Wirkens bezeichnet. Daß das gute Werk am Jüngsten Tage von Gott belohnt und das böse von demselben Gott geahndet wird, ist dem Apostel ebenso sicher (vgl. 1. Kor 3, 14f.; 9, 17) wie ihm die (jüdische) Vorstellung vertraut ist, daß die Werke der Menschen in den Himmeln aufgezeichnet werden (Dan 7,10; Offb 20, 12). Der Unbußfertige häuft sich auf diese Weise Zorn am Tage des Zornes auf (Röm 2,5), während der Apostel hofft, daß er und alle, die Gottes Willen tun, von Gott Lohn (1. Kor 3,8.14; 9, 17f.), Lob (1. Kor 4,5) und Ruhm (1. Kor 9, 15f.; PhiI2,16) empfangen werden. Die Paulusbriefe bieten keinen Anlaß, diese Vorstellungswelt als .,vorchristlich" oder .,bloß jüdisch" abzutun. Der Apostel hat sie nicht als Widerspruch zu seiner Rechtfertigungsverkündigung empfunden, vielmehr sein Evangelium in eben diesem Erwartungshorizont entfaltet. Die Auslegung hat dies nachzuvollziehen, ohne zu verdecken, daß Paulus nirgends in seinen uns erhaltenen Briefen ein systematisch abgerundetes Bild vom End-
Exkurs V: Das Endgericht nach den Werken
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gericht zeichnet. Er beschränkt sich vielmehr darauf, einzelne Aspekte seiner Endgerichtserwartung zu verdeutlichen. Maßstab des Endgerichts wird der Wille Gottes sein, wie er im Gesetz zum Ausdruck kommt (Röm 2,12-16). Die Juden kennen das Gesetz von der Offenbarung am Sinai her (vgl. Ex 19,1-20,21); die Heiden können Gottes Willen aus den Werken der Schöpfung ersehen und sich von ihrem Gewissen zum Guten führen lassen; die Christen werden kraft des Hl. Geistes der Weisung Jesu gerecht (GaI6,2) und stehen damit in der Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes (GaI5, 14; Röm 8,4). Paulus kann daher mit Recht sagen, daß Juden, Heiden und Christen nach Maßstab des Gesetzes gerichtet werden, und zwar durch Christus (Röm 2, 16). Im Endgericht stehen die Werke als sichtbarer Ausdruck des Seins eines Menschen zur Debatte. Was vor Gott wohlgetan ist, wird belohnt, was übel getan und versäumt worden ist, wird bestraft werden. Paulus rechnet bei Christen und Nichtchristen mit guten und schlechten Werken (1. Kor 3, Hf.; 2. Kor 5, 10; Röm 2,9f.) und ruft seine Gemeinden mit Nachdruck zum Tun des Guten auf (GaI5, 16-26; 1. Kor 6,7-11; Phil2, 12f.; Röm 12,2). Aber der Apostel kennt auch die alttestamentlich-jüdische Anschauung von Gott als dem ins Verborgene schauenden "Herzenkündiger" (vgl. Röm 2, 16 und 1. Kor 4,5 mit Apg 1,24; 15,8;Jer 17,10; Spr 17,3; Sir 23, 19f.). Er weiß bereits von daher, daß ein Mensch vor Gott mehr ist als einzelne Werke oder die Summe seiner im Endgericht sichtbar werdenden Taten (1. Kor 3, 15; 5,5; 11,32). Für den unter die Macht der Sünde geratenen Menschen bedeutet dies, daß er sich durch einzelne gute Taten und "Werke des Gesetzes" (Gal2, 16;Röm 3,20; 9,32) nicht von seinem sündhaften Sein befreien und den Freispruch im Jüngsten Gericht erreichen kann. Solchen Freispruch oder gar "Ehre und Herrlichkeit" (Röm 2, 10) kann nur erhoffen, wem Gott der Schöpfer aus freier Gnade heraus ein neues Sein in Gerechtigkeit und die geistliche Befähigung zum Tun des Gerechten schenkt und im Gericht einen Fürsprecher an die Seite stellt, gegen den kein Ankläger aufkommen kann. Eben dies geschieht nach Paulus durch Christus: Kraft des Sühntodes Jesu erlangen die Sünder Befreiung von der Sünde und gewinnen ein neues Sein in Gerechtigkeit (vgl. 2. Kor 5, 17.21); der Geist verhilft den Christen zur Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes (GaI5, 18.22ff.; Röm 8,4ff.); der "für uns" in den Tod gegebene und auferweckte Christus tritt im Jüngsten Gericht als Fürsprecher für die Glaubenden ein (v gl. Röm 8,34; Hebr 7,25; 9,24; 1. Joh 2, lf.; Offb 3,5). Das Evangelium verkündigt also jedem Glaubenden die Rettung vor der Vernichtung im Zorngericht Gottes. Mit dem Phänomen der Christensünde ist der Apostel noch längst nicht in dem Maße konfrontiert gewesen wie Augustin, die Reformatoren oder unsere Gegenwart. Aber er hat sie bei den Korinthern (1. Kor 5, 1-5; 6, 1-11) und bei seinen Gegnern schon deutlich vor Augen gehabt (vgl. nur PhilI, 15-17; 3, 18ff.). Falls ein Glaubender das Evangelium antastet oder verwirft, gibt es für ihn keine Rettung mehr (Gall,8; 2. Kor 11,4.13-15; Phi I 3, 18f.). Bleiben aber Glaube und Evangelium in Geltung, bleibt auch Christus für die Sünder am Werk (Röm 8,39); sie dürfen deshalb auf Annahme im Gericht hoffen, nachdem sie die Strafe für ihre Sünden und Versäumnisse ertragen haben (vgl. 1. Kor 3, 15; 5,5; 11,32). Einen Freibrief
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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden
zum Sündigen hat der Apostel mit diesen kühnen Sätzen nicht ausgestellt, und er hat mit ihnen auch seinen Gerichtsaussagen nicht die Spitze abgebrochen. Gott, der Herr, und Christus, sein messianischer Sohn, lassen sich nach Paulus nicht zum Spott machen (1. Kor 12,3; Ga16, 7 ff.; Röm 3,5-8). Gott hat das Endgericht seinem Sohn anvertraut (Röm 2, 16). Dies bedeutet, daß kein Mensch an Christus vorbei in die Herrlichkeit eingehen kann. Es kommt vielmehr für jeden darauf an, in diesem Christus seinen gnädigen Herrn und Richter zu suchen und zu finden. Dies gibt dem Leben aller derer, die auf den jüngsten Tag zugehen, seine innere Spannung (Phil2, 12; 3,12-21).
2.32,17-29: Die Schuld der juden 17 Wenn aber du dich Jude nennen läßt und dich auf das Gesetz verläßt und dich Gottes rühmst 18 und den Willen erkennst und als einer, der aus dem Gesetz unterrichtet worden ist, prüfst, worauf es ankommt, 19 und traust dir zu, Wegführer der Blinden zu sein, Licht für die in der Finsternis, 20 Erzieher von Unverständigen, Lehrer von Unmündigen, der die Grundgestalt der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz besitzt -: 21 Der du einen anderen belehrst, lehrst dich selber nicht? Der du verkündigst, nicht zu stehlen, stiehlst? 22 Der du aufforderst, die Ehe nicht zu brechen, begehst Ehebruch? Der du die Götzen verabscheust, begehst Tempelraub? 23 Der du dich des Gesetzes rühmst, entehrst Gott durch die Übertretung des Gesetzes? 24 "Der Name Gottes wird" in der Tat "euretwegen unter den Heiden gelästert" , wie geschrieben steht! 25 Denn die Beschneidung nützt zwar, wenn du das Gesetz tust; wenn du aber Übertreter des Gesetzes bist, ist deine Beschneidung zur Unbeschnittenheit geworden. 26 Wenn nun die Unbeschnittenheit die Rechtsforderungen des Gesetzes bewahrt, wird dann nicht die Unbeschnittenheit solch eines (Menschen) als Beschneidung gerechnet werden? 27 Und die von Natur her bestehende Unbeschnittenheit, die das Gesetz ausführt, wird dich, der du bei Buchstabe und Beschneidung Übertreter des Gesetzes bist, richten. 28 Denn nicht der ist Jude, der (es) sichtbar ist, und auch nicht die sichtbar am Fleisch (vollzogene) Beschneidung (ist Beschneidung), 29 sondern wer im Verborgenen Oude ist,) ist Jude, und die Beschneidung des Herzens, im Geist nicht im Buchstaben (ist Beschneidung); dessen Lob (kommt) nicht von Menschen, sondern von Gott. Vers 24: Jes 52,5. A
Die Textstruktur ist leicht zu erkennen: V. 17-20 bilden einen sich inhaltlich steigernden rhetorischen Zusammenhang und skizzieren den Anspruch des juden gegenüber den Heiden. Mit V. 21 geht die Satzkonstruktion über zur direkten Anklage in Form von rhetorischen Fragesätzen. V. 24 wird die Anklage mit einem Schriftzitat untermauert. Mit V. 25 beginnt ein Abschnitt, der parallel zu V. 12-16 verläuft und den juden unter dem Gesichtspunkt des jüngsten Gerichts neben den Heiden stellt: Lob von Gott wird nur der empfangen, der die Rechtsforderungen des Gesetzes bewahrt hat. Wer dies ist, entscheidet sich nicht aufgrund der äußeren Vorfindlichkeit der Beschneidung oder U nbeschnittenheit, sondern von der Herzens beschneidung her, die sich in Taten des Gehorsams ausweist.
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Wieder argumentiert Paulus als Gerichtsprediger, und zwar unter genauer Kenntnis jüdischer Ansprüche und Tradition. Der sich in V. 17-20 spiegelnde Anspruch des Missionsjudentums, Heiden aus Finsternis, Götzendienst und Unreinheit zum Licht und zur Wahrheit zu führen, stützt sich auf Jes 42,6f.; 49,6 und läßt sich aus hellenistisch-jüdischen Missionsschriften wie Joseph und Aseneth direkt belegen (vgl. dort 8,5-9). Die Wertschätzung des Gesetzes von V. 20 ist in Bar 3,37-4,4; syrBar 44, 14; 48,22-24 bezeugt. Die Argumente von V. 21-23 entsprechen innerjüdischen Gerichtsreden, wie wir sie aus der sog. deuteronomistischen Tradition, Bußgebeten und testamentarischen Verwarnungen kennen. Vgl. z.B. PsSaI8,7-13; TestNaph 4, 1; 8,6; 4Esr 8, 20-36; Josephus, Ant 4,207. Von dem Erfordernis der Herzensbeschneidung sprechen schon Dtn 30,6; Jub 1,23 und 1QS 5,5f. Daß aber die von den Juden als Siegel des Abrahambundes (vgl. Gen 17, 1-27) betrachtete Beschneidung weitgehend relativiert und die Gottes Willen befolgende Heidenschaft zur Richterin über das vom Gesetz abweichende Judentum erhoben wird, geht selbst über die radikalsten jüdischen Gerichtstexte wie 4Esr 7,33ff.; syrBar 85, 12ff. hinaus und hat sein Vorbild nur in der Umkehrpredigt Johannes des Täufers (Lk 3,7-9 Par.) und in der Jesusbotschaft. Nach frühjüdischer Erwartung werden die Gerechten einst über die Sünder (und Heidenvölker) Gericht halten (vgl. Dan 7,22.27; Weish 3,7f.; äthHen 90, 19; 95,3); bei Jesus ist vom Gericht der bußfertigen Heiden über die unbußfertigen Juden die Rede (Lk 11,31 f. Par.) und wird den Nachfolgern Jesu Anteil an der Herrschaft des Menschensohnes verheißen (vgl. Lk 12,32 mit Dan 7,18.22). Wie 1. Kor 6,2 zeigt, ist Jesu Verheißung in der Mission auf die kraft ihrer Taufe geheiligten Christen (vgl. l.Kor 6,11) und Märtyrer (vgl. Offb 20,4) übertragen worden. In unserem Zusammenhang kommt Paulus auf diese christliche Erwartung zurück. Mit seiner Argumentation will er nicht nur die Schuld des Juden demonstrieren, sondern implizit auch die Ansprüche jener judenchristlichen Gegner in die Schranken weisen, die ihn nach 3,8 "verlästern". Paulus hat seit 2,1 f. noch offengelassen, wieso der von ihm kritisch angeredete Mensch "dasselbe tut" wie die vorsätzlich gegen Gottes Forderung verstoßenden Heiden. Jetzt wird der Apostel auch in dieser Hinsicht deutlich. Der Gesprächspartner ist Jude und von dem für das Missionsjudentum der paulinischen Zeit charakteristischen Anspruch erfüllt. Er will den Heiden das Licht der Erkenntnis Gottes bringen (vgl. Jes42,6f.; 49,6), er möchte sie durch seine Lehre aus Unmündigkeit und Unverständigkeit zum Verständnis der Wahrheit Gottes führen, wie sie ihm im Gesetz vom Sinai vorgegeben und anvertraut ist. Aber er übersieht dabei den schreienden Widerspruch zwischen seinem Anspruch und seinem eigenen Tun. Er selbst lebt dahin in "aller Verworfenheit der Heiden" (T estNaph 4, 1); er rühmt sich gegenüber den Heiden des Gesetzes: "Glücklich sind wir Israeliten, weil uns bekannt geworden ist, was Gott gefälltl" (Bar 4,4) und entehrt doch Gott durch seine Gesetzesübertretung. In der griechischen Bibel des Paulus wird solches Verhalten als Lästerung des Namens Gottes (d.h. seiner heiligen Wirklichkeit) durch Israel unter den Heidenvölkern gebrandmarkt Oes 52,5). Natürlich sind diese Sätze ebenso pauschal formuliert wie die Anklage gegen die Heiden in 1,18-32. Ihre Härte gewinnen sie von der Unerbittlichkeit des bevor-
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stehenden Gerichtes Gottes her, auf das schon jüdische Zeugen verweisen. Im Blick auf das Jüngste Gericht sind auch die folgenden Sätze des Paulus formulien, die seiner Anklage gegen den Juden letzte Schärfe geben. Die Beschneidung, d.h. das Zeichen der Zugehörigkeit zu Gottes erwähltem Volk, wird heil voll wirksam nur, wenn auch die Bundesverpflichtung in Gestalt des Gesetzes eingehalten wird. Wo sie übenreten wird, wird die Beschneidung zur Belastung (s.u. zu 3,3). Wenn unbeschnittene Heiden die Rechtsforderungen des Gesetzes erfüllen, wird ihre Unbeschnittenheit von Gott als Beschneidung gewenet werden, d.h. sie werden dem erwählten Gottesvolk (aus Heiden und Juden) zugesellt. Und mehr noch: Die Gott gehorsamen Heiden werden über die Juden zu Gericht sitzen, die trotz Kenntnis des ihnen geschrieben anvenrauten Gesetzes und trotz der Beschneidung Übenreter des Gesetzes waren und sind. Paulus fühn hier weiter, was schon Jesus angekündigt hatte (Lk 11,31 f. Par.). Der wahre Jude, der vor Gott Lob empfangen wird, ist nicht einfach der Jude, der an seinem Fleisch das Bundeszeichen der Beschneidung trägt, sondern jener Jude, der von Gott den Geist und die Beschneidung des Herzens empfangen hat und sich deshalb nicht mehr von seinem Schöpfer abwendet (vgl. Jub 1,23). Unsere Verse sind in der christlich-kirchlichen Tradition als antisemitisches Ketzerplakat mißbraucht worden. Mit ihrer Relativierung des jüdischen Erwählungsanspruchs gehen sie bis an die Grenze des für Juden Enräglichen und darüber hinaus. Von dem Juden Paulus gegenüber Juden geäußen, ist ihr ursprüngliches Ziel trotzdem nicht, die Erwählung Israels einfach für null und nichtig zu erklären, sondern die Juden auf die Wirklichkeit des kommenden Gottes hinzuweisen, der gerade von seinem erwählten Volk mehr forden als nur äußerlichen Gehorsam. Die folgenden Verse zeigen dies mit aller Deutlichkeit.
3.3,1-8: Einwände Paulus schreibt den Römerbrief nicht als situationslose Abhandlung über sein Evangelium, sondern als Rechenschaftsbericht, der die römischen Christen vom Inhalt und Recht seines Evangeliums überzeugen soll. Bis hin nach Rom scheint dieses Evangelium von judenchristlichen Gegnern und deren Sympathisanten als Botschaft von der billigen Gnade und der Annullierung der Erwählung Israels zum Eigentumsvolk Gottes kritisien worden zu sein. Angesichts dieser kritischen Gesprächssituation ist es wohlverständlich, daß der Apostel sich im Verlaufe seiner Gerichtsrede gegen Heiden und Juden (= 1,18-3,20) den ihm bekanntgewordenen Einwänden nicht nur indirekt (s. zu 2,16), sondern auch direkt stellt. Eben dies geschieht in unserem Abschnitt. In der ihm eigenen assoziierenden Denk- und Argumentationsweise kommt Paulus auf das Thema der Erwählung Israels in Kap. 9-11 und auf den Vorwurf, die billige Gnade zu verkündigen, in Kap. 6 und 7 wieder zurück. Der nachstehende Argumentationsgang klän die Fronten also nur ein erstes Mal, ist aber eben deshalb für das Ganze des Römerbriefes besonders mteressant.
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1 Was ist nun der Vorzug des Juden oder was ist der Nutzen der Beschneidung? 2 Viel in jeder Hinsicht! Vor allem, daß sie mit den Worten Gottes betraut worden sind. 3 Was denn? Wenn einige untreu geworden sind, wird ihre Untreue dann nicht die Treue Gottes zunichte machen? 4 Mitnichten! Vielmehr möge sich Gott als wahrhaftig erweisen, jeder Mensch aber als Lügner, wie geschrieben steht: ,,Auf daß du Recht bekommst in deinen Worten und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet." 5 Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was sollen wir sagen: Ist Gott dann nicht ungerecht, wenn er das Zomgericht verhängt? Ich rede nach Menschenart. 6 Mitnichten! Denn wie sollte Gott (sonst) die Welt richten? 7 Wenn aber die Wahrhaftigkeit Gottes sich durch meine Lüge als übergroß erwiesen hat zu seiner Verherrlichung, warum werde ich dann noch als Sünder gerichtet? 8 Und (gilt) etwa, wie wir verlästert werden und gewisse Leute von uns behaupten, wir sagten: Laßt uns das Böse tun, damit (dadurch) das Gute komme!? Das Gerichtsurteil über sie ist rechtens! Vers 4: Ps 116, 11; 51, 6.
Die Struktur des Textes ist folgende: In V. 1 + 2 antwortet Paulus auf die sich im A Anschluß an 2,25-29 stellende Frage, ob die Vorzugsstellung des Juden gegenüber dem Heiden nunmehr gänzlich hinfällig geworden sei. Daran schließen sich in V. 3-4 und V. 5-8 zwei rhetorische Dialoge an. In beiden geht es um die Treue und Gerechtigkeit Gottes. V. 8 zeigt, daß sich Paulus gegen die Verleumdung durch Leute zur Wehr setzen muß, die seine Verkündigung böswillig auf den Satz zusammendrängen: "Laßt uns das Böse tun, damit (dadurch) das Gute komme!". Die Kritiker sind wahrscheinlich judenchristliche Missionare, wie wir sie aus dem Galater-, dem 2. Korinther- und dem Philipperbrief kennen. Sie halten das Evangelium des Paulus für eine Botschaft, die auf die Wünsche der gesetzlosen Heiden zugeschnitten ist (Gali, 10), den Ernst des Gerichtes Gottes verharmlost (s.o. zu 2, 16) und so Christus oder gar Gott selbst zum "Diener der Sünde" (GaI2, 17) herabwürdigt. Da Paulus bei der Mission der Heiden programmatisch auf die Beschneidung verzichtete (GaI2, 3 f.; 5,2.6 vgl. mit Apg 15,1 f. 28 f.), seine eigenen früheren jüdischen Ehrentitel fast ostentativ abwertete (Phil 3,4-11) und sich vom Gesetz loszusagen schien (GaI2, 19; 1. Kor 9,20), warfen sie ihm gleichzeitig vor, die Erwählungsvorrechte Israels vor den Heiden zu annullieren und das Gesetz zu verachten. Auf diesem Hintergrund werden unsere Verse klar verständlich. Paulus weist die Einwände dieser Leute, die auch in Rom Gehör zu finden drohen, mit Nachdruck zurück. Er bedient sich dabei in V. 4 der frühjüdischen Bußtradition und des in ihr verwendeten Ps 51, auf den auch Jesus in Lk 18,13 anspielt. Der Beter dieses Psalms bekennt vor Gott, dem Richter, seine Missetat und Schuld; er gibt Gottes Rechtsanspruch recht (und erhofft sich gerade dadurch Barmherzigkeit). Paulus benutzt die griechische Übersetzung von Ps 51,6, um herauszustellen, daß und wie Gott im Rechtsstreit mit den Sündern Recht bekommt. V. 6 lautet in der Septuaginta: "An dir allein habe ich gesündigt und das Üble vor dir getan, auf daß du Recht bekommst in deinen Worten und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet." Die "Worte Gottes", von denen hier und in V. 2 die Rede ist, sind nach dem Sprachgebrauch des griechischen Alten Testaments vor allem die Gebote Gottes, die Israel
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in besonderer Weise anvertraut worden sind (vgl. Ex 20, 1ff.; Dtn 4,30; 10,4; 33,9; Ps 119,11.67; Röm 9,4). Die harte Argumentation des Apostels in 2,25-29 provoziert die Einrede, was unter diesen Umständen noch der Vorzug des Juden (vor dem Heiden) und der N utzen der Beschneidung sei. Paulus formuliert diese Einrede nicht aus freien Stücken, sondern im Blick auf die ihm aufgenötigte Auseinandersetzung mit judenchristlichen Missionaren, die bis hin nach Rom gegen ihn Front machen. Seine Antwort lautet aber nun gerade nicht: Der Jude hat keinerlei Vorrecht vor dem Heiden mehr und die Beschneidung ist nichts mehr nütze, sondern: "Viel in jeder Hinsicht!" Die Relativierung jüdischer Sonderansprüche angesichts des Endgerichts nach den Werken bedeutet für Paulus keineswegs, daß Juden und Heiden erwählungsgeschichtlich gleichgestellt wären. Vielmehr genießt der Jude gegenüber dem Heiden "vor allem" den bleibenden Vorzug, daß ihm "die Worte Gottes" (= Gebote) anvertraut sind (vgl. 2,20; 9,4 und Apg 7,38). (Weitere Vorzüge Israels zu nennen, span Paulus sich bis zu Kap. 9,4 f. auf, wo er den hier begonnenen Gesprächsfaden erneut aufnimmt.) Im Zusammenhang der Gerichtsrede ist diese eine Feststellung hinreichend: Israel kennt Gottes Rechtsforderungen aus dem Gesetz, und die Beschneidung ordnet Israel zeichenhaft seinem Gotte zu. Beides stellt Israel besonders in die Pflicht und verschafft ihm nicht etwa besonders großzügige Freiheitsrechte (vgl. Am 3,2). Von dieser (prophetischen) Argumentationsbasis aus kann Paulus den ersten Einwand seiner Kritiker, er lasse das besondere Treueverhältnis Gottes zu seinem erwählten Volk außeracht, zurückweisen. Im Blick auf das Gericht verhält es sich genau umgekehrt: Die Untreue "einiger" Juden, die Paulus in 2,1-29 gebrandmarkt hat, macht Gottes Treue und Verläßlichkeit gegenüber Israel keineswegs zunichte. Ganz im Gegenteil! Gott wird sich gerade im Gericht als wahrhaftig, jeder Sünder aber als unzuverlässiger Lügner erweisen, und zwar nach dem Zeugnis der Schrift. Nach Ps 51,6 wird Gott im Rechtsstreit mit dem Sünder obsiegen, und seine Worte ( .. Gebote) werden als rechtmäßig und verläßlich anerkannt werden! Paulus hält also an Gottes (sich im Zuspruch des Gesetzes an Israel äußernder) Treue und an seinen Worten (= Geboten) fest. - Er verkündigt auch nicht die billige Gnade am Gericht vorbei; in einem zweiten Gesprächsgang nimmt sich Paulus auch dieser Anfrage an. Mit der Wendung "ich rede nach Menschenart" zeigt er aber an, daß ihm die Frage aufgenötigt worden ist: Wenn Gottes Gerechtigkeit nach Ps 51,6 angesichts des von den Sündern getanen Unrechts in helles Licht gerückt wird, ist dann Gott nicht ungerecht, wenn er trotzdem noch das Zorngericht über die Sünder verhängt; muß er nicht vielmehr vergeben (vgl. ähnlich 9, 14)? Der Einredner will herausarbeiten, daß Paulus Gott und seinen Christus zu "Sündendienern" macht (Gal2, 17). Seit Jahren verkündigt Paulus die Rechtfertigung des Gottlosen durch Gottes freie Gnade und stellt sich als Beispiel dafür dar (vgl. Ga12, 15ff.; PhiI3,7-11 mit 1. Kor 1,26-31; 2. Kor 5, 19-21); wie kann er da noch ernsthaft von Gottes Gericht sprechen! Paulus wehrt erneut ab: Mitnichten ist Gott ungerecht! Wie anders als in seiner die Wohlordnung der Welt schaffenden Gerechtigkeit sollte Gott die Welt richten? Daß Gott der gerechte Richter ist, steht dem Apostel unerschütterlich fest (vgl. Gal6,7f.; Röm 14,10). Der Paulusgegner beharrt auf seiner Anfrage und spitzt sie sogar noch zu: Wenn im
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Gericht Gottes Wahrhaftigkeit zu seiner Ehre durch die Lüge des Übeltäters nur gesteigert wird, weshalb wird dann der Sünder noch gerichtet (und nicht vielmehr gerettet)? Der Apostel steigert den vorliegenden Einwand rhetorisch noch dadurch, 8 daß er nunmehr die verleumderische Behauptung zitiert, die man ihm von seiten seiner Kritiker anzuhängen sucht; sie lautet: "Laßt uns nur das Böse tun, damit das Gute (in Gestalt von Gottes Gnade) komme!" Seine Antwort ist eindeutig (und nicht minder schroff als in Gal1, 8): Wer ihm diese Anschauung anhängt, über den ergeht Gottes Gerichtsurteil zu Recht! Paulus besteht also wie in V. 6 auf der Wirklichkeit des Gottesgerichts, nur diesmal so, daß er seine Verleumder diesem Gericht überantwortet. Niemand hängt ihm ungestraft die Botschaft von der billigen Gnade an! Gottes Gerechtigkeit ist für Paulus, gut alttestamentlich, der Treue und Wahrhaftigkeit Gottes nahe verwandt (vgl. Ps 98,2 f.). Im Rechtsstreit mit den Sündern tritt diese Gerechtigkeit erst eigentlich hervor, und zwar als das Verhalten, mit dem Gott als Schöpfer und Richter Ordnung auf der Welt schafft und das Gute durchsetzt. Dem vernichtenden Zorn Gottes entgeht im Gericht nur, wer Gott und seine Gebote als verläßlich und gerecht anerkennt und an den Christus glaubt, der (kraft seines Sühntodes) den Glaubenden zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gesetzt ist (1. Kor 1,30) und im Evangelium als Retter und Herr verkündigt wird (Röm 1,3f. 1M.). Das ist die paulinische Botschaft! Wer es anders behauptet, ist ein Verleumder, der Gottes Gerichtsurteil verdient. - Insgesamt werden die Qudenchristlichen) Pauluskritiker also hart abgewiesen. Der Apostel nimmt ihre Außerungen aber doch so ernst, daß er sich hinfort immer wieder neu mit ihnen auseinandersetzt. Daß er am Erwählungsvorrecht Israels über das Gericht hinaus festhält, zeigt er ausführlich in den Kapiteln 9-11. Daß er sehr wohl vom Endgericht (nach den Werken) spricht, hat er bisher kundgetan und wird er weiterhin bekräftigen. Von der Achtung vor Gottes Geboten und von der keineswegs billigen, sondern teuren Gnade wird von 3,21 bis zum Schluß von Kapitel 8 immer neu die Rede sein. Schließlich stellt der Apostel von Kapitel 12 an die Verpflichtung der Gemeinde zum neuen Wandel heraus. Sein ganzer Brief ist also gezeichnet von dem Bemühen, die gegen seine Verkündigung erhobenen Vorwürfe zu entkräften und darüber hinaus zu zeigen, worum es sich bei seinem Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in und durch Christus wirklich handelt. Zunächst aber führt Paulus seine Gerichtsrede zu Ende, indem er das Fazit aus seiner Gesamtargumentation zieht. 4. 3,9-20: Juden und Heiden unter der Sünde
9 Was nun? Machen wir Ausflüchte? Ganz sicher nicht! Denn wir haben vorhin Anklage erhoben, daß Juden und Griechen gleichermaßen unter der Sünde sind, 10 wie geschrieben steht: "Keinen Gerechten gibt es, auch nicht einen einzigen. 11 Keinen Einsichtigen gibt es; keinen gibt es, der nach Gott sucht. 12 Alle sind sie abgewichen, zusammen verdorben. Keinen gibt es, der Rechtschaffenheit übt; keinen gibt es, auch nicht einen. 13 Ein geöffnetes Grab ist ihr Schlund. Mit ihren Zungen haben sie betrogen; Schlangengift (ist) unter ihren Lippen. 14 Ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit. 15 Rasch (sind) ihre Füße, um Blut zu ver-
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gießen, 16 Verwüstung und Elend (sind) auf ihren Wegen, 17 und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt. 18 Keine Gottesfurcht gibt es vor ihren Augen." 19 Wir wissen aber, daß, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz (stehen), damit jeder Mund gestopft werde und haftbar werde alle Welt vor Gott. 20 Denn aufgrund von Werken des Gesetzes wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden, durch das Gesetz (kommt vielmehr nur) Erkenntnis der Sünde. Vers 10: Koh 7,20; Vers 11 + 12: Koh 7.20; Ps 14.1-3 (53. 2-4); Vers 1S-17:Jes 59.7 + 8 (Spr 1.16); Vers 18: Ps 36, 2.
Vers 13: Ps 5. 10; 140.4;
Vers 14:
Ps 10.7;
Paulus führt seine Anklage (Gerichtsrede) gegen Heiden und Juden in unseren Versen zu Ende, V. 9 schließt an 3, 1-8 an und schlägt gleichzeitig den Bogen zurück zu 2,12. V.1 0-18 bieten einen Schriftbeweis für die paulinische Anklage in Form einer Zitatenkette. V. 19-20 ziehen die Summe: Alle Welt ist vor Gott haftbar; sie wird durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde geführt, ohne sich kraft der gebotenen Werke aus der Verstrickung in die Sünde befreien zu können. - Die Zitatenkette ist kunstvoll aus Kohelet-, Psalmen- und Prophetenzitaten gebildet. Sie skizziert bewußt plakativ das Tun und Lassen der Sünder und könnte von Paulus bereits vorgeformt übernommen worden sein. In Justins Dialog mit dem Juden Tryphon 27,3 wird eine fast gleichlautende Zitatenkette benützt, und zwar in einer Anklage gegen Juden. Möglicherweise schöpfen Paulus und Justin also aus dem Zitatenschatz jüdischer und frühchristlicher Gerichtsreden. - Es ist sicherlich kein Zufall, daß der Apostel in V. 19 f. auf Thesen zurückkommt, die er schon im Galaterbrief verfochten hat (vgl. Ga12, 16; 3,22): Der Apostel besteht gegenüber den Christen von Rom auf seiner strittigen Lehre! BUnter den Auslegern ist umstritten, ob man den Eingang unseres Verses überset9 zen soll: "Was also? Haben wir einen Vorzug?" (Wilckens und viele andere), oder wie oben angegeben: "Was nun? Machen wir Ausflüchte?". Für die von Wilckens gewählte übliche Übersetzung gibt es keine lexikalischen griechischen Parallelen; sie stößt sich außerdem hart mit 3,1 f., wo Paulus gerade betont hat, die jüdische Vorzugsstellung bestehe vor Gott fort. Die von uns gewählte Übersetzung entspricht dagegen dem üblichen griechischen Sprachgebrauch und fügt sich außerdem dem Text glatt ein. Paulus ist eben ausdrücklich auf die Einwände seiner judenchristlichen Gegner eingegangen. Mit der in diesem Zusammenhang wohlverständlichen (rhetorischen) Frage, ob er sich etwa in Ausflüchte verlieren wolle, lenkt er zu der in 2, 29 abgebrochenen Gerichtsrede zurück und kommt zum Schluß seiner Anklage; von Ausflüchten kann also keine Rede sein. Die vom Apostel schon zuvor erhobene Anklage lautet vielmehr, daß Juden und Griechen gemeinsam der 10 Sünde verfallen sind, und zwar ohne Ausnah me. Was die Schrift in den Psalmen und 11 durch Jesaja beklagt, ist unleugbare gegenwärtige Realität. Es gibt keinen Gerech12 ten, keinen Einsichtigen und keinen, der wahrhaft nach Gott sucht. Alle sind sie 13.14 durch die Sünde verdorben und keiner tut, was vor Gott recht ist. Die Sünder sind 15.16 indem, was sie reden und denken, voll von tödlich wirkendem Unrecht. Ebenso ist ihr Wandel von Gewaltsamkeit und Vernichtung geprägt. Sie verfehlen sich in 17 Wort(V. 13f.)undTat(V. 15f.)undbringennichtsGuteszustande. Von dem durch A
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Gott vorgezeichneten.,Weg des Friedens" • d.h. dem Wandel. der zum allgemeinen Wohl führt und dem Heil dient (vgl. Lk 1.79). wollen sie nichts wissen. Den Sündern fehlt die Gottesfurcht. und damit - alttestamentlich gesprochen - die Grundvoraussetzung. um weise zu sein und gerecht zu handeln (vgl. Spr 1.7). - Paulus kann damit die Summe ziehen. Da er in Rom Adressaten vor sich weiß. die im Gesetz wohlbewandert sind (v gl. 7.1). resümiert er im Wir-Stil: Wir wissen. daß das. was das Gesetz sagt. denen gesagt ist. die unter und mit dem Gesetz leben. Nach 2.17-24 sind dies zuerst die Juden. aber nach 1.20f.32; 2. 14f.26 auch die heidnischen Griechen . .,Was das Gesetz sagt" meint in unserem Fall alles. was in dem Schriftzeugnis von V. 10-18 angesprochen wird. Nach jüdischer Auffassung legt die ganze Schrift das in den fünf Büchern Mose bezeugte Gesetz aus und kann deshalb gelegentlich insgesamt einfach .,das Gesetz" genannt werden. Paulus schließt sich z.B. hier und in 1. Kor 14.21 diesem Sprachgebrauch an. Das Wort der Schrift als Bezeugung des Gesetzes macht deutlich. daß die ganze Welt vor Gott haftbar ist. Warum sie so dasteht. beantwortet Paulus in V.20 mit einer schon in Ga12.16 geäußerten. auf Ps 143.2 fußenden und für seine frühen jüdischen Glaubensgenossen ebenso wie für seine judenchristlichen Kontrahenten ungemein provozierenden. These: .,Aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch (d.h. kein menschliches Wesen) gerechtgesprochen vor Gott." Werke des Gesetzes sind für Paulus wie für das Judentum seiner Zeit (vgl. 4Qf1or 1.7; syrBar 57.2) die Erfüllungen der Gebote des Gesetzes. Konkret bedeutet dies z.Z. des Apostels: Die Einhaltung der Weisungen des Gesetzes insgesamt • .,die T ora-Observanz im ganz umfassenden Sinn" (0. Hofius). führt nach Gottes Willen nicht zur Rechtfertigung im Endgericht. Mit dieser Sicht geht Paulus über ähnlich lautende frühjüdische Texte wie 1QH 4.29f.; 9.14f. und äthHen 81.5 hinaus. Sie erkennen die Schuldverfallenheit der Menschen ausdrücklich an. lassen sich dadurch zur Umkehr bewegen und vertrauen auf Gottes Vergebung. der den Bußfertigen neue Kraft zur Erfüllung des Gesetzes schenkt. Angesichts des unerbittlichen Endgerichts reicht diese ständig erneuerte Umkehr nach Paulus nicht aus. Nach seiner von Christus her gewonnenen Einsicht können die Werke des Gesetzes den Menschen vor Gott niemals von der ihn bestimmenden Macht der Sünde befreien. Das Gesetz ist zwar und bleibt für den Apostel die besondere Gabe Gottes an Israel und die Menschheit insgesamt (vgl. 2,20; 3.1f.; 7.12.14; 9,4). Aber es schenkt aus sich heraus weder die Kraft zur Umkehr noch auch die Fähigkeit, die Sünde zu überwinden. Das Gesetz kann aus einem Sünder keinen Gerechten machen. sofern ein Gerechter - wie das Targum zu Jes 7,3; 10,21 f.; 26,2 formuliert - ein Mensch ist, der .,nicht gesündigt" oder .,sich von der Sünde abgewandt" und "das Gesetz mit ganzem Herzen gehalten" hat. So sehr der Rechtssatz von 2, 13 gilt. so wenig verleiht das Gesetz dem Sünder das Vermögen, die von ihm gebotenen Werke auch .,mit ganzem Herzen" zu tun. Die Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes anzustreben oder zu erhoffen, ist deshalb eine gefährliche Illusion und Verkennung der Schuldverfallenheit des Menschen. Daß der Apostel bei diesen Sätzen jüdische und judenchristliche Gegenmeinungen im Auge hat, lehrt ein Blick auf 1QpHab 7, 17-8,3; PsSaI9,4f.; 4Esr 13,23; syrBar 84,5f.; 85,11 ff.; TgJes 26,2f. einerseits und Jak 2,20-26; Hebr 11,17-19 andererseits. - Paulus wird auf das zwischen ihm, den Juden und seinen juden-
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christlichen Gegnern heiß umstrittene Thema "Gesetz und Sünde" im Römerbrief noch wiederholt eingehen (vgl. 4,15; 5,20 und vor allem 7,7-25). Aber er macht schon an unserer Stelle deutlich, wo das eigentliche Problem liegt: Gottes Gesetz überführt den Menschen der Sünde. Solange die Sünde regiert, hilft es nicht zur Gerechtigkeit. Sünde ist für Paulus (in unserem Zusammenhang und sonst in seinen Briefen) stets mehr als nur ein Einzelverstoß gegen Gottes Gebot. Im Einzelverstoß äußert sich nur, daß jeder Mensch seit dem Sündenfall des ersten Menschenpaares (vgl. 5, 12 ff.; 7,7 ff.) der Sünde als einer tödlichen Macht ausgeliefert ist. Dieses Ausgeliefertsein bringt das Gesetz zum Bewußtsein, ohne selbst aus der Not heraushelfen zu können. Schon Jesus hat gelehrt, daß es Menschen unmöglich sei, Gott im Endgericht für ihr vor ihm verwirktes Leben ein Lösegeld zu entrichten (vgl. Mk 8,36 f. mit Ps 49,8 f.). Paulus sieht die Dinge genauso. Angesichts des Schuldspruchs des Gesetzes erscheinen alle Menschen als Sünder, die unrettbar dem Vernichtungsgericht Gottes anheimfallen werden. Der Apostel hat damit das Ende seiner in 1,18 begonnenen Anklage- und Gerichtsrede erreicht. Ohne Heiden und Juden biblisch unzulässig gleichzustellen, hat er herausgearbeitet, daß beide Teile der Menschheit unentrinnbar dem Vernichtungsgericht Gottes unterliegen. An den Heiden ist es gegenwärtig schon wirksam, und Israel gegenüber wird es nur noch durch Gottes Geduld aufgehalten. Das bis hin nach Rom umstrittene Evangelium des Paulus erschließt diese abgründige Einsicht in die Schuldverfallenheit aller Menschen, aber es verkündigt und eröffnet auch die Errettung aller Menschen durch die Gottesgerechtigkeit für alle Glaubenden; was er in 1, 16f. nur knapp angedeutet hat, entfaltet Paulus nun näher.
11. J, 21-5, 21: Die Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit und Grund der Versöhnung In fünf Abschnitten stellt der Apostel nunmehr heraus, daß die Gottesgerechtigkeit im SühntodJesu offenbar geworden ist (3,21-26) und daß sie Juden und Heiden gleichermaßen gilt (3,27-31); Abraham ist nach Paulus Vater der Glaubensgerechtigkeit (4, 1-25), und die Gerechtfertigten dürfen sich im Leiden des Gottes rühmen, der sie in Christus mit sich versöhnt hat (5, 1-11); sie stehen unter der Herrschaft der Gnade, die mächtiger ist als Tod und Sünde (5, 12-21).
1. J, 21-26: Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod fesu Christi
In den folgenden sechs Versen erläutert Paulus die von ihm in (1,1 ff. und) 1, 16f. gegebene Definition seines Evangeliums. Man kann deshalb Röm 3,21-26 mit guten Gründen als Herzstück des Römerbriefes bezeichnen. 21 Jetzt aber ist ohne Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt von dem Gesetz und den Propheten, 22 und zwar die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden. Es gibt nämlich kei-
3.21-26: Gottes Gerechtigkeit im SühnetodJesu Christi
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nen Unterschied: 23 Alle haben sie gesündigt, und es fehlt ihnen die Herrlichkeit Gottes; 24 sie werden (aber) gerechtfertigt umsonst kraft seiner Gnade durch die Erlösung, die in Christus Jesus (geschieht). 25 Den hat Gott öffentlich eingesetzt zum Sühnemal (, das) durch den Glauben (zugänglich und wirksam wird) kraft seines Blutes, zum Erweis seiner Gerechtigkeit um des Erlasses willen der zuvor geschehenen Sünden (26) unter der Geduld Gottes - zum Erweis seiner Gerechtigkeit im jetzigen Zeitpunkt, auf daß er (selbst) gerecht sei und gerecht spreche den (, der) aus Glauben an Jesus Oebt). Vers 25: Uv 16, 14-15 (Ex 25.17-22).
Röm 3,21-26 ist einer der inhaltlich schwierigsten Texte des Römerbriefes. A Gleichwohl ist seine Argumentationsstruktur klar: In V. 21 + 22 greift Paulus die Formulierungen von 1, 16f. wieder auf und legt dar, wie es um die Gottesgerechtigkeit bestellt ist, die das Evangelium zur rettenden Gottesrnacht werden läßt. Zur Erklärung fügt der Apostel einen Satz an, der von V. 22-24 reicht; er begründet die Notwendigkeit der Rechtfertigung und nennt als ihren Grund die von Gott in Jesus Christus gewirkte Erlösung. Was "Erlösung in (oder auch: durch) Christus Jesus" heißt, führt Paulus in V. 25 und zu Anfang von V. 26 mit Hilfe urchristlicher Formelsprache aus. Mit der Wiederaufnahme der (aus V. 25 stammenden) Wendung "zum Erweis seiner Gerechtigkeit. .. " kommt er in V. 26 dann zum Ziel seiner Aussage: Gott ist darin der Gerechte, daß er von sich aus Erlösung geschaffen hat und jeden rechtfertigt, der aus Glauben an Jesus Christus lebt. Verständlich wird dieser ungemein dicht formulierte Gesamttext erst, wenn man folgendes bedenkt: Das Frühjudentum hat sich die Folgen des Sündenfalls von Gen 3 vorgestellt als Verlust (oder auch Entkleidung von) der dem ursprünglichen Menschenpaar im Paradies eignenden herrlichen Seinsweise der Geschöpfe Gottes in Unschuld und Gerechtigkeit. In der sog. Moseapokalypse klagt Eva nach dem Sündenfall: "Und zur selbigen Stunde wurden mir die Augen aufgetan, und ich erkannte, daß ich entblößt war von der Gerechtigkeit, mit der ich bekleidet gewesen. Da weinte ich und sprach (zum Versucher in Gestalt der Schlange): Warum hast du mir das angetan, daß ich entfremdet ward von meiner Herrlichkeit, mit der ich bekleidet war?" In diese Klage stimmt Adam wenig später ein, indem er zu Eva sagt: " ... was hast du uns da angerichtet? Entfremdet hast du mich von der Herrlichkeit Gottes!" (ApkMos 20f.). Paulus geht in Röm 3,23 von dieser Vorstellung aus. Der überladene Stil von V. 25 + 26 und die bei Paulus seltene Ausdrucksweise erklären sich am besten, wenn der Apostel hier - ähnlich wie schon in Röm 1,3f. christliche Lehrtradition aufnimmt und sie kommentiert. Paulus hat sie vermutlich in Antiochien kennengelernt. Wahrscheinlich hat sie ursprünglich folgendermaßen gelautet: "Gott hat (den gekreuzigten) Christus öffentlich eingesetzt zum Sühnmal kraft seines Blutes, (und zwar) zum Erweis seiner ( ... Gottes) Gerechtigkeit um des Erlasses willen der zuvor unter der Geduld Gottes geschehenen Sünden." Der von uns mit "Sühnmal" übersetzte griechische Ausdruck u'aonlP\ov (hilasterion) geht (ebenso wie in Hebr 9,5) auf das hebräische Wort kapporzt zurück. Die kapporzt ist nach Ex 25,17-22 die verborgen im Allerheiligsten des Begegnungszeltes (und später des ersten Tempels von Jerusalem) befindliche Auf-
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lage auf der Bundeslade. Auf ihr sind symmetrisch zwei Keruben (als Träger des unsichtbaren Gottesthrones) angebracht. Die kapporCEt diente einem doppelten Zweck. Von ihr her begegnete Gott mit seinem Offenbarungswort (vgl. Ex 25,22), und vor ihr vollzog der Hochpriester einmal im Jahr am sog. Großen Versöhnungstag den heiligsten kultischen Ritus, den Israel kannte, die Entsühnung des Gottesvolkes. Die Grundvorgänge dieses Ritus werden in Lev 16 geschildert; er ist im Tempel von Jerusalem bis zum Jahre 70 n. Chr. (also noch weit über die Entstehungszeit des Römerbriefes hinaus) regelmäßig vollzogen worden. Jeder Jude im Mutterland oder in der Fremde kannte Lev 16 vom Unterricht in der Synagoge her: Nachdem der Hochpriester für sich selbst Sühne erwirkt hatte, vollzog er die Sühnung für das Volk durch siebenmaliges Sprengen von Blut des Sündopferbockes an die kapporCEt und vor sie hin. Die Sühne selbst ist ein von Gott gestifteter und vom Priester vollzogener Akt der Opferweihe; sie wird vollzogen durch das Medium des Blutes als Träger des Lebens (vgl. Lev 17,11). Im Blut des stellvertretend für Israel geschlachteten Sündopferbockes wird das Leben des Gottesvolkes (durch das mittlerische Handeln des Hochpriesters) an Gott hingegeben. Aufgrund dieser Hingabe empfängt Israel Vergebung der Sünden und neues Leben in der Gottesgemeinschaft. Der von Paulus aufgenommene Formeltext verwendet dieses berühmte alttestamentliche Modell, um deutlich zu machen, was nach Gottes Willen auf Golgatha geschah: An die Stelle des jährlich zu wiederholenden, den Augen des Gottesvolkes verborgenen Sühnerituals im Tempel tritt die von Gott selbst öffentlich durch Jesu Kreuz ein für allemal erwirkte Sühne. Aus ihr wird das Gottesvolk der Endzeit geboren. Karfreitag wird zum Großen Versöhnungstag der Christengemeinde. Die in dieser Neuinterpretation implizierte radikale Kritik am Sühnopferkult im Jerusalemer Tempel dürfte aufStephanus und seine Anhänger zurückgehen (vgl. Apg 6,13 f.). Nach seinem Martyrium und der Vertreibung des Stephanuskreises aus Jerusalem scheint unsere Tradition durch die versprengten Mitglieder des Kreises nach Antiochien gelangt zu sein (vgl. Apg 11,19 H.). Dort ist sie Paulus bekanntgeworden und wahrscheinlich auch jenen unbekannten Missionaren, die den christlichen Glauben nach Rom gebracht haben. Ist dies richtig gesehen, greift der Apostel in Röm 3,25 f. bewußt auf Glaubensgut zurück, das ihn mit den römischen Christen verbindet. Die in Kommentaren und Bibelausgaben öfters gewählte Übersetzung von hilasterion mit "Sühnopfer" oder auch "Sühnemittel" hat in den griechischen Quellen keinen direkten Anhalt und kann nur hypothetisch unter Hinweis auf die Schilderung des Todes jüdischer Märtyrer zugunsten Israels in 4. Makk 17,20-22 erschlossen werden. Da sie philologisch unsicher ist und inhaltlich zu kurz greift - Jesus ist im ganzen Neuen Testament mehr als nur ein jüdischer Märtyrer(prophet)! - folgen wir ihr nicht. B Mit "jetzt aber" markiert der Apostel bewußt die entscheidende Wende gegen21 über 3, 19-20: Während Heiden und Juden unentrinnbar dem Zorngericht verfallen sind, hat Gon nunmehr in und durch Jesus Christus die Rettung heraufgeführt. Die Gottesgerechtigkeit ist offenbar geworden ohne Zutun des Gesetzes, aber sie wird doch von dem Gesetz und den Propheten bezeugt. "Gesetz und Propheten" meint die Hl. Schrift des Alten Testaments (v gl. 4. Makk 18,10; Joh 1,45;
3,21-26: Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod Jesu Christi
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Apg 13, 15); ihr Zeugnis bestätigt die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit als gültiges Goneshandeln. Paulus dürfte dabei Stellen wie Ex 34,5-7; Jes ll,4f.; 43,25; 45,6-8; Jer 23,5f.; Hab 2,4 und natürlich auch die Abrahamverheißung aus Gen 15,6 im Auge haben (vgl. unten Kap. 4). Außerdem hat Lev 16 nach V. 25f. auf Golgatha seine überbietende Erfüllung gefunden. Die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit folgt also dem von Gesetz und Propheten beschriebenen und verheißenen Handeln Gones. Wie in 1,17 meint "Gottesgerechtigkeit" auch hier das den Sündern im Gericht Gerechtigkeit verschaffende Handeln Gottes, und zwar unter 22 dem Aspekt des Glaubens. Da den Sündern "Werke des Gesetzes" nicht zur Gerechtigkeit im Gericht verhelfen (3, 19f.), hat Gott den Weg der Errettung in Form des Glaubens eröffnet. "Durch Glauben an Jesus Christus" wird die Gottesgerechtigkeit erlangt, und sie steht "für alle, die glauben" offen; Paulus erklärt damit, was das "aus Glauben auf Glauben hin" aus Röm 1,17 meint. Wer an Jesus Christus als seinen Versöhner und Herrn glaubt, dem spricht Gott aufgrund dieses Glaubens Gerechtigkeit zu. Die Errettung im Gericht besteht also in der Gottesgerechtigkeit, die aufgrund des Glaubens allen Glaubenden ohne Unterschied ihrer Herkunft oder ihres Standes von Gott gewährt wird; sie macht das paulinische Evangelium zur rettenden Gottesrnacht. Ihrer sind aber auch alle bedürftig. Wie 23 Paulus in 1,18-3,20 ausführlich begründet hat, sind sie ausnahmslos Sünder. Ihnen fehlt seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies die Herrlichkeit Gottes, d.h. die Seinsweise der unschuldigen Geschöpfe Gottes, die nach jüdischer Tradition mit der Gerechtigkeit identisch ist (vgl. ApkMos 20f.). Durch menschliches Bemühen ist dieser Verlust nicht auszugleichen. Die Sünder werden aber aus 24 Gottes freiem Gnadenentschluß heraus "umsonst", d.h. ohne eigenes Zutun, gerechtfertigt durch "die Erlösung", die Gott in und durch Jesus Christus vollbracht hat. Für Israel besteht Gottes Erlösungswerk wesentlich in der Befreiung Israels aus der Schuldknechtschaft in Ägypten (vgl. Dtn 7,8; 9,26; 13,6 u.ö.); für das neue Gottesvolk aus Juden und Heiden ist die Erlösung durch Christus das grundlegende Ereignis des Ursprungs. Wie diese Erlösung geschah, erläutert der Apostel 25 nunmehr mit Hilfe der ihm (und den Römern) bekannten Lehr-Tradition (aus Antiochien oder sogar Jerusalem, s.o.). Paulus bejaht diese Tradition, kommentiert sie im Sinne seines Evangeliums und erhebt sie zum christologischen Kernsatz seines Evangeliums von der Gottesgerechtigkeit. Gott hat den Sühnopferkult im Tempel von Jerusalem dadurch vollendet und abgelöst, daß er Jesus (auf Golgatha) öffentlich zum Sühn mal für alle Glaubenden eingesetzt hat. Die kapporzt der Christen befindet sich nicht mehr verborgen im Allerheiligsten des Tempels, sondern ist in Gestalt des am Kreuz hängenden Christus allen offenbar. In diesem Christus naht sich Gott seinem Volk und redet zu ihm wie zuvor von der kapporCEt aus (vgl. Ex 25,22). Für die Christen bedarf es deshalb keiner priesterlichen Vermittlung zwischen dem im Verborgenen begegnenden Gott und dem draußen vor dem T empel befindlichen Volk Gottes mehr; ihnen begegnet Gott in seinem Christus unmittelbar als der Gott, "der in Christus war und die Welt mit sich versühnt (versöhnt) hat" (2. Kor 5, 19); für sie wird der Gekreuzigte als der Auferstandene wirksam durch den Glauben an ihn und durch den Empfang der durch Jesu Blut von Gott "ein für allemal" (vgl. Röm 6,10; Hebr 9, 12) erwirkten Sühne. Jesus ist nach
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unserem Text gleichzeitig der den Glaubenden vom Kreuz herab begegnende Gott und der sich im Namen Gottes gehorsam aufopfernde Sohn Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Indem Jesus stellvertretend für alle, die an ihn glauben, sein Leben in den Tod gibt, erleidet er stellvertretend für die Sünder das Vernichtungsgericht. Da er dies aber im Namen Gottes schuldlos und aus Liebe tut, ist sein Blut das ein für allemal wirksame, unendlich wertvolle Sühnemittel, das den Glaubenden Vergebung ihrer Sünden, neues Leben vor und mit Gott und damit die den Sündern fehlende Gottesgerechtigkeit verschafft (vgl. 1. Kor 6,20; 2. Kor 5,21). Durch den Christus, der Gottes Willen gehorsam war "bis zum Tode, und zwar dem Tod am Kreuz", (Phil2, 8), hat Gott das schlechthin entscheidende Heilswerk vollbracht, und zwar zum Erweis seiner (durch das Todesgericht hindurch) Heil und Wohlordnung schaffenden Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit wird wirksam durch den (rechtskräftigen) Erlaß jener Sünden, die unter der (über dem erwählten Gottesvolk noch waltenden) Geduld Gottes (vgl. 2,4) bis hin zu Kreuz und AuferweckungJesu geschehen sind. An dieser Stelle wird ganz deutlich sichtbar, daß die Tradition, die Paulus aufnimmt, ursprünglich nur erst von der Heilsgemeinde aus Israel sprach; die zum Glauben an Jesus Christus bekehrten Heiden standen noch nicht so programmatisch im Blick wie nach dem Apostelkonzil (vgl. Ga12, 7 ff.). Eben deshalb führt Paulus nun die Tradition im Sinne der Heidenrnission weiter und betont, der Erweis der Heil und Wohlordnung schaffenden Gottesgerechtigkeit sei erfolgt "im jetzigen Zeitpunkt", d.h. zu der durch Jesu Kreuz und Auferweckung heraufgeführten neuen Zeit des Heils (vgl. GaI4,4; 2. Kor 6,2; Röm 3,21), und dieser Erweis lasse Gott nunmehr als den Gott erscheinen, der, ohne sein gerechtes Richterturn zu verleugnen oder den Maßstab des Gerichts zu beugen,jeden Menschen rechtfertigt, der aus Glauben an Jesus lebt und in solchem Glauben vor Gottes Gerichtsthron tritt. Die Gabe der Rechtfertigung aufgrund des Glaubens an Jesus ist nach Paulus eine Gabe an das Gottesvolk der Endzeit aus Juden und Heiden; eine Beschränkung dieser Gabe auf die Beschneidung (d.h. auf die gebürtigen Juden und die beschnittenen Heiden) gibt es nicht mehr... Rechtfertigung" heißt nach V. 25 f. Wiedereinsetzung der Sünder in die Herrlichkeit und Gerechtigkeit, deren sie mit ihrer Vertreibung aus dem Paradies verlustig gegangen sind (vgl. ebenso 1. Kor 6, 11; Röm 8,30); Rechtfertigung bedeutet Freispruch im Gericht umJesu willen und die Gewähr neuen Seins in Gerechtigkeit (vgl. 2. Kor 5,21). Gott, der diesen Freispruch gewährt, ist als der Richter zugleich der Schöpfer und in dieser doppelten Eigenschaft der Vater Jesu Christi, der am Leben jedes (zum Glauben) umkehrenden Sünders mehr Gefallen hat als an dessen Tod (vgl. Ez 18,22f.).
Exkurs VI: Rechtfertigung bei Paulus Wie das Selbstzeugnis des Paulus in Phil 3,4-11 zeigt, bestimmt das Ereignis der
Rechtfertigung das Leben des Apostels ganz. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß er sich diesem Thema vom Galaterbrief an (vgl. Ga12, 16-21; 3,1-5,12) über die Korintherbriefe (vgl. 1. Kor 1,30; 4,4; 6,11; 2.Kor 5, 14-21) bis hin zum Römer-
Exkurs VI: Rechtfertigung bei Paulus
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und Philipperbrief immer wieder zuwendet. An Tauftexten wie 1. Kor 6, 11 und Christusformeln wie Röm 3,25f.; 4,25; 2. Kor 5,21 kann man klar ersehen, daß Paulus nicht als erster und auch nicht allein im Urchristentum von "Rechtfertigung" gesprochen hat. Aber seine Berufungserfahrung, durch die er aus der Verfolgung der Gemeinde Jesu Christi heraus zum Apostel J esu Christi berufen und zur Verkündigung des Evangeliums bestellt worden ist (vgl. Gall,11-17; 1. Kor 15,8 H.), hat die Rechtfertigung zum Wesensmerkmal der paulinischen Verkündigung werden lassen. Er, der vor Damaskus Annahme, Versöhnung und Rechtfertigung durch Christus erfahren hatte, sah sich durch seinen neuen Herrn in den "Dienst der Gerechtigkeit" (im Neuen Bund) bzw. den "Dienst der Versühnung (Versöhnung)" gestellt (2. Kor 3,9; 5,18) und berufen, das Evangelium von der Versühnung und Rechtfertigung unter den Heiden zu verkündigen. Dieses Evangelium war Paulus vom Tage seiner Berufung an vorgegeben (Gall, 16; 1. Kor 9, 16). Seine Hauptaussagen sind in dem Traditionszitat von 1. Kor 15,3 H. greifbar und spiegeln sich auch im ältesten uns erhaltenen Paulusbrief, dem 1. Thess (vgl. 1. Thess 5,9f.; 1, 9f.; 2, 13). Um seines den Horizont des Gesetzes sprengenden Evangeliums willen ist der Apostel schon zu Beginn seines missionarischen Wirkens in den Synagogengemeinden, in denen er Christus verkündigte, ausgepeitscht und einmal sogar (beinahe zu Tode) gesteinigt worden (vgl. 2. Kor 11,24f. mit Apg 14,19). Paulus hat sein gesetzesfreies Evangelium und den Verzicht auf die Beschneidung der Heiden auf dem sog. Apostelkonzil verteidigt (vgl. Gal2, 1-10; Apg 15,1-35). Er unterscheidet bereits im 1. Thess scharf zwischen Güdischer) Kreuzesfeindschaft, die das Zorngericht Gottes heraufbeschwört, und einem Gott wohlgefälligen Wandel im Glauben unter dem Evangelium (vgl. 1. Thess 2, 14-16 mit 1, 9f.; 2,10; 4,1 f.). Aber erst dem Umstand, daß das Rechtfertigungsevangelium des Apostels auch nach dem Apostelkonzil bei Judenchristen derart Anstoß erregte, daß sie von Galatien an eine förmliche Gegenrnission gegen Paulus ins Werk setzten, verdanken wir die ausführlichen Erörterungen des Paulus zum Thema Rechtfertigung und Versöhnung durch Christus, und zwar aus Glauben allein, im Galater-, Philipper-, 2. Korinther- und Römerbrief. Ihre provozierendste Zuspitzung hat die paulinische Lehrverkündigung in der Gottesprädikation gefunden, Gott sei der Gott, "der den Gottlosen rechtfertigt" (Röm 4,5). Die Vorstellungswelt der "Rechtfertigung" entstammt dem Alten Testament und Frühjudentum. Der Gottesknecht spricht inJes 50,7-9 davon, daß Gott ihm im Rechtsstreit gegen alle seine Feinde beistehen und ihm zum Recht verhelfen wird. Umgekehrt muß der Sünder eingestehen, daß vor Gott, dem Richter, kein menschliches Wesen gerecht ist (Ps 143,2), oder nach der griechischen Wiedergabe der Stelle ,,(von Gott) gerechtfertigt wird". "Rechtfertigen" und "gerechtfertigt werden" meinen Rechtsakte. Sie können innergeschichtlich und gegenwärtig, aber auch endzeitlich gemeint sein (vgl. Sir 23,11; PsSal8,26 einerseits und Jes 43,9; 45,25; TgJes 53,11 andererseits). Jesus spricht von "gerechtfertigt sein" im Sinne von Sündenvergebung als Annahme durch Gott in der Gegenwart (Lk 18, 14). Paulus kennt solchen präsent ischen Sprachgebrauch durchaus auch, verbindet ihn aber immer mit endzeitlicher Perspektive: Die gegenwärtig erfahrene Rechtfertigung stellt in die Hoffnung und Gewißheit der Rechtfertigung im Endgericht. Diesem
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paulinischen Sprachgebrauch kommt im Frühjudentum die Qumrangemeinde am nächsten (vgl. 1QS 11,9-12). Das Aktivum .. rechtfertigen" ist bei Paulus dem Handeln Gottes vorbehalten (vgl. GaI3,8; Röm 3,26.30; 4,5; 8,30.33). Das Passivum .. gerechtfertigt werden" kann die Anerkennung bezeichnen, die der Sünder dem gerechten Gott im (End-)Gericht zollen muß (vgl. Röm 3,4 nach Ps 51,6); einmal meint es auch den Akt der Einsetzung in die göttlichen Rechte, die dem auf Erden geschmähten Christus bei seiner Erhöhung zur Rechten Gottes zuteil wird (vgl. 1. Tim 3, 16 mit dem griechischen Text vonJes 53, 11); zumeist aber bezeichnet das Passiv die Annahme, die dem Menschen im Gericht durch Gott widerfährt (oder versagt bleibt) (vgl. Ga12, 16f., 3,11.24; Röm 2, 13; 3,20.24.28 usw.). Indem Gott über den Menschen im Gericht das Urteil spricht: "Gerecht!" (vgl. Ez 18,9) oder ihm etwas "anrechnet zur Gerechtigkeit" (Gen 15,6), wird ihm neues Leben vor Gott eröffnet (vgl. GaI3,6; Röm 4,2.20-22). In einer nachbiblischen Sammlung von jüdischen Homilien heißt es: "Gott sagte zu den Israeliten: Tut Buße in jenen zehn Tagen zwischen Neujahr und Versöhnungstag, und ich erkläre euch für gerecht am Versöhnungstage und schaffe euch (durch Sündenvergebung) zu einer neuen Kreatur" (PesiqR 40, 169a). Genauso heißt es schon bei Paulus: " ... wenn einer in Christus ist, ist (er) ein neues Geschöpf; das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden" (2. Kor 5, 17 vgl. mit 5,21), und diese Heilszusage läßt sich ähnlich wie Röm 3,25 f. bis in die Missionsgemeinde von Antiochien zurückverfolgen. Versühnung durch Christus als Neuschöpfung und Rechtfertigung um des Sühntodes Jesu willen verzahnen sich urchristlich schon vor Paulus (und von daher dann auch bei ihm in 2. Kor 5, 14-21 undRöm 5, 1-11). Wie konkret Paulus "Rechtfertigung" versteht, hat sich uns aus Röm 3,23-26 ergeben (s.o.) und wird durch die Parallel isierung von "gerechtfertigt werden" und "geheiligt werden" in 1. Kor 6, 11 und Röm 8,30 bestätigt. Rechtfertigung ist für biblisches Denken ein Rechtsakt des Schöpfergottes und deshalb zugleich ein Neuschöpfungsakt, kraft dessen die Gerechtfertigten am Sein in Herrlichkeit und Gerechtigkeit vor Gott neu Anteil gewinnen. Die kirchengeschichtlich aufgekommene dogmatische Unterscheidung von gerichtlich nur erst angerechneter (forensisch-imputativer) und schöpferisch wirksamer (effektiver) Rechtfertigung ist, an den genannten Belegen gemessen, eine unbiblische Abstraktion. Schon in Jes 53, 11 heißt es vom leidenden Gottesknecht: "Mein Knecht, der Gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich." J esus hat sich nach Mk 10,45 Par.; 14,24 Par. als dieser stellvertretend für die Vielen leidende Gottesknecht verstanden. Es ist unter diesen Umständen wohlverständlich, daß die Jerusalemer Christengemeinde nach Ostern im Blick auf Jes 53, 11 f. bekannt hat,Jesus sei "wegen unserer Übertretungen (von Gott) dahingegeben und wegen unserer Rechtfertigung (von Gott) auferweckt worden". Paulus zitiert diese alte Formel in Röm 4,25. Um des von Jesus stellvertretend für sie ertragenen (Gerichts-)Todes willen werden die Sünder von Gott im (End-)Gericht freigesprochen, und der von Gott auferweckte Jesus ist der Garant dieses Freispruchs. Paulus teilt diese Anschauung ohne Abstriche. Auch für ihn ist der Rechtsgrund der Rechtfertigung Jesu Sühnetod (vgl. Gal2,20; 1. Kor 1,30; 2. Kor 5,21; Röm 3, 24ff.; 4,25; 8,3f.). Nach (der Berufungserfahrung und) der Verkündigung des Apostels wird die
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Rechtfertigung von Gott all denen zugesprochen, die sich selbst vor Gott als "gottlos" (Röm 4,5), d.h. als Frevler, erkennen, die gegen Gottes Willen verstoßen haben und angesichts dieser Erkenntnis an J esus Christus als ihren Versöhner und Herrn glauben. Solcher Glaube ist nach Paulus der alleinige Grund der Rechtfertigung (Röm 3,28), weil er Gottes Heilswerk in Christus anerkennt und in ein und demselben Lebensakt das Bekenntnis zu Jesus als Herrn und Retter, die Umkehr und den neuen Gehorsam umschließt (v gl. 1. Thess 1, 9f.; Röm 1,5; 10,9f.). Die primäre Gelegenheit, bei der nach urchristlicher und paulinischer Überzeugung Rechtfertigung empfangen wird, ist die (Erwachsenen-)Taufe und das mit ihr verbundene Bekenntnis zu Christus (vgl. 1. Kor 6, 11; 12,13; Röm 6,1 ff.). Die Kühnheit dieser Verkündigung liegt darin, daß den Sündern aus Heiden und Juden schon zum Zeitpunkt ihrer Taufe Sündenvergebung und endzeitliche Rechtfertigung um Christi willen zugesprochen wird. Das neue Sein beginnt für sie nicht erst am Jüngsten Tage, sondern kraft des ihnen in der Taufe mitgeteilten Hl. Geistes schon heute und hier im Leben jedes einzelnen (vgl. 2. Kor 5, 17). Da das Endgericht nach den Werken noch aussteht, Elend, Leiden und Tod noch auf der Welt lasten und Israel noch nicht zu der ihm von Gott verheißenen Erlösung durch den Messias gelangt ist, betont der Apostel, daß die Glaubenden mit ihrer Taufrechtfertigung erst in den Stand der Hoffnung auf den Empfang der Gerechtigkeit im Endgericht versetzt sind (Gal5,5f.). Wie für ihn selbst, gilt für alle Christen, daß sie sich im Glauben und Gehorsam gegenüber dem Gebot Christi auf den Jüngsten Tag rüsten und alles daran setzen müssen, das ihnen bereits gewährte Heil nicht wieder zu verscherzen (vgl. Phil3, 7-16 mit 1. Thess 3,5; Phil2, 12 f.; Ga15, 16-25; 1. Kor 10, 1-13; Röm 6, 19-23; 8,3-17). Mit der Taufrechtfertigung wird nach Paulus also erst ein christlicher Werde-Stand begründet. Diesem Werde-Stand der Christen auf Erden entspricht, daß auch der zur Rechten Gottes erhöhte Christus nach Paulus erst unterwegs ist, um das All mitsamt dem Tod als letztem Feind der Herrschaft Gottes zu unterwerfen (1. Kor 15,20-28). Die Christen gehen also gemeinsam mit ihrem Herrn auf den Jüngsten Tag zu und haben an seiner Seite den Kampf um die Durchsetzung der Gottesherrschaft zu bestehen. Was den Apostel selbst und alle Christen, die seiner Verkündigung folgen, auf diesem Weg mit der Gewißheit und der Hoffnung erfüllt, im Jüngsten Gericht angenommen und nicht verworfen zu werden, ist der Umstand, daß der für sie gestorbene und auferweckte Christus ihr Herr und Versöhner bleibt bis vor den endzeitlichen Richterthron Gottes; die glaubenden Christen dürfen sich bis zum Jüngsten Tag seiner Fürbitte vor Gott getrösten (Röm 8,34). Weil sie von Gott in Christus im voraus erwählt sind, des Heils teilhaftig zu werden, dürfen und können sie in aller Anfechtung gewiß bleiben, daß keine Macht der Welt sie von der in Christus verkörperten Liebe Gottes trennen kann (Röm 8,38-39).
2.3,27-31: Die Universalität der Rechtfertigung 27 Wo ist nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen worden. Durch was für ein Gesetz? (Das) der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 28 Denn wir sind der Auffassung, daß ein Mensch (allein) aus Glauben gerechtfertigt wird.
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ohne Werke des Gesetzes. 29 Oder ist Gott nur (Gott) der Juden? Nicht auch der Heiden? Doch, auch der Heiden! 30 Wenn anders Gott wirklich der Eine ist, der die Beschneidung rechtfertigen wird auf Grund von Glauben und die Unbeschnittenheit durch den Glauben. 31 Schaffen wir nun das Gesetz ab durch den Glauben? Mitnichten! Wir richten vielmehr das Gesetz auf! Vers 30: Dtn 6, 4.
Der Abschnitt greift das Stichwort des jüdischen Sich-rühmens aus 2,17 auf und setzt mit einer Reihe von rhetorischen, aber in der aktuellen Gesprächssituation des Paulus verwurzelten Fragen (V. 27.29.31) die in 3, 1-8 begonnene Diskussion fort; er spiegelt auf diese Weise wieder die von den Kritikern des Apostels geäußerten Vorwürfe gegen die Paulusverkündigung. Die Anschuldigungen gipfeln in der Annahme, Paulus wolle mit seiner Evangeliumsverkündigung das Gesetz Gottes außer Kraft setzen. Mit solchen Vorwürfen hatte sich schon Jesus auseinanderzusetzen (vgl. Mt 5,17), sie sind gegen Stephanus erhoben worden (vgl. Apg 6,13 f.), und sie treffen nun auch den Apostel. In der Tat kann man angesichts von gesetzeskritischen Äußerungen des Paulus wie in GaI2,21; 5,4; 1. Kor 9,19-23 und der in Röm 10,4 vermutlich nicht zum ersten Mal geäußerten These, Christus sei "das Ende des Gesetzes für jeden, der glaubt", nachvollziehen, wie es zu solchem Verdacht kam. Er ist für einen gebürtigen Juden vernichtend, heißt es doch in der Mischna, Sanh 10, 1: " ... Und dies sind diejenigen, die keinen Anteil an der kommenden Welt haben: Der, der sagt, ... daß das Gesetz nicht vom Himmel sei ... ". Der Apostel weist denn auch die Anschuldigung energisch zurück. Dialektisch stellt er zwei Begegnungs- und Verstehensweisen des Gesetzes gegenüber, den Gebrauch des Gesetzes im Sinne der (Gesetzes-)Werke und im Sinne des Glaubens. Paulus schließt seinen berühmt gewordenen Lehrsatz von der Rechtfertigung aus Glauben allein an und begründet anschließend die Universalität der Rechtfertigung von Juden und Heiden unter Hinweis auf Dtn 6,4. Jeder Jude hatte in neutestamentlicher Zeit morgens und abends das aus Otn 6,4; 11,13-21; Num 15,37-41 bestehende Bekenntnis-Gebet zu sprechen, das mit den Worten beginnt: .,Höre Israel! Der Herr unser Gott ist der einzige Herr ... " (Dtn 6,4). Dieses Gebet galt als die Summe des Gesetzes und war in der antiken Welt der Vielgötterei das klassische Kennzeichen des sich zu dem einen wahren Gott bekennenden Gottesvolkes. Abschließend stellt Paulus (ähnlich pointiert wie in 2,16; 3,8) fest, er hebe durch den Glauben das Gesetz nicht auf, sondern setze es vielmehr in Kraft. Von der Interpretation unserer Verse hängt viel für das Verständnis des Römerbriefes insgesamt ab. B Mit der rhetorischen Frage, wo angesichts des jeden Menschen (nur) aufgrund 27 von dessen Glauben rechtfertigenden gerechten Gottes (3,26) "das Rühmen" (zum Ausdruck s.u. S. 67 f.) des Juden hinsichtlich seiner (in 2, 17 ff. aufgezählten) Vorzüge gegenüber dem Heiden bleibe, kommt Paulus auf die Anschuldigungen zurück, die Juden und judenchristliche Missionare gegen seine Verkündigung erhoben (vgl. 3,1-8). Die Antwort des Paulus lautet: Das Rühmen ist ausgeschlossen worden. Wodurch? Durch das Gesetz, das Werke fordert? Nein, antwortet der Apostel, denn auf dieses Gesetz verläßt sich ja gerade der Jude und rühmt sich Gottes seinetA
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wegen (2,17). Der Ausschluß erfolgt durch "das Gesetz des Glaubens". Der Ausdruck hat den Auslegern immer wieder große Mühe gemacht bis dahin, daß sie dachten, er sei uneigentlich gemeint und nur im Sinne von "Regel" oder "Ordnung des Glaubens" zu fassen. Angesichts des in V. 31 geäußenen Anspruchs, das Gesetz nicht abzuschaffen, sondern aufzurichten, und des Kontextes, der dem Leser keinen übertragenen Sprachgebrauch von Gesetz nahelegt, liegt es näher, den Ausdruck so zu nehmen, wie ihn die ersten Leser des Römerbriefes auffassen mußten, nämlich als "das Gesetz, das durch den Glauben (an Jesus Christus) bestimmt ist". Gemeint ist damit dreierlei: Nachdem Paulus in 3,21 ausdrücklich "Gesetz und Propheten" als Zeugen für die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit benannt hat (vgl. die dort genannten Schriftstellen) und die in Kap. 4 ausführlich behandelte Abrahamsverheißung von Gen 15,6 ebenfalls aus dem (die fünf Bücher Mose umfassenden) Gesetz stammt, verweist Paulus in V. 27 zunächst auf die Funktion des Gesetzes als Schrift, die die Rechtfertigung als Verheißung und Werk Gottes bezeugt. Dieses Zeugnis erkennt der Glaube dankbar an. Zweitens hat der Apostel im Auge, daß Christus kraft seines Sohnesgehorsams zum Sühnmal (3,25) geworden ist. Der Gehorsam Christi ist eine "gerechte Tat" vor Gott (5, 18). Christus hat also mit seinem Opfergang das Gesetz stellvenretend erfüllt, und eben daraus ist die Erlösung (3,24) erwachsen. Auch dies erkennt erst der Glaube, und Paulus wird es in 5,12-21 noch weiter ausführen. Mit dem Ausdruck "das Gesetz des Glaubens" will der Apostel aber drittens vor allem unüberhörbar deutlich machen, daß nach seiner Verkündigung am Gesetz als dem gültigen Willen Gottes auch im Glauben an Jesus Christus durchaus festgehalten wird. In 7,7-8, 17 wird er dies im einzelnen darlegen (vgl. besonders 8,3f.). Es gibt also Dimensionen am Gesetz, die erst der Glaube erkennt und die denjenigen verborgen bleiben, die das Gesetz ohne Glauben nur als Aufruf zu Gesetzeswerken nehmen, obwohl diese nicht zur Rechtfenigung führen (3,20). Verstehen wir V. 27 in dieser rechtfenigungstheologisch grundsätzlichen Art und Weise. schließt sich die mit "denn wir sind der 28 Auffassung" besonders hervorgehobene Lehräußerung des Paulus in V.28 organisch an, und zwar im Sinne einer Begründung: Der Apostel venritt im Einklang mit Gottes in der Schrift verbrieftem Willen (vgl. das Zitat von Ps 143,2 in V. 20), daß ein Mensch vor Gott allein aus Glauben ohne Werke des Gesetzes gerechtfertigt wird. Mit Hilfe einzelner Gebotserfüllungen kann sich kein Mensch aus der Macht der Sünde lösen (s.o.). Einzig und allein das Heilswerk Gottes im Sühntod und der Auferweckung Christi bricht diese Macht. und nur der Glaube an Jesus als Retter und Herrn führt vor Gottes Richtenhron zu dem Urteil: Gerecht! Paulus hat diese Sicht schon im Galaterbrief venreten (vgl. Ga12, 16; 3,2), und er hält sie nun auch im Römerbrief gegenüber aller gegnerischen Kritik durch. Grund und Verwirklichung der Rechtfertigung liegen in Gottes Gnade allein, wie sie in Jesus Christus in Erscheinung getreten ist, und nur der von Gott durch das Evangelium geweckte Glaube läßt einen Menschen an ihr teilhaben. In der Reformationszeit war Luthers Übersetzung des paulinischen "aus Glauben" mit "alleine durch den Glauben" sehr umstritten; heute sehen auch katholische Bibelausleger. daß Luthers dem Text hinzugefügtes "allein" ganz im Sinne des Apostels ist. Das berühmte "sola fide" (= aus Glauben allein) gilt für Juden und Heiden gleicher-
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maßen. Denn Gott ist, wie Paulus geschickt fortfährt, nicht nur der Gott der Juden, sondern auch der Heiden. Anders könnte er nicht, wie jeder Jude täglich bekennt (s.o.), der eine Gott sein, der die Welt erschaffen und Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat. Als dieser eine Gott ist er gewillt, die Beschneidung, d.h. die Israeliten, aufgrund des Glaubens und die U nbeschnittenheit, d.h. die nicht beschnitte31 nen Heiden, durch den Glauben zu rechtfertigen. Rhetorisch gekonnt und in der Sache pointiert schließt Paulus seine Argumentation mit einer gegen seine judenchristlichen Kontrahenten gerichteten Schlußfolgerung ab: Mit seiner Verkündigung schafft er das Gesetz gerade nicht ab, wie sie ihm vorhalten, sondern er richtet es auf, und zwar als gültige Gerichtsforderung Gottes (vgl. 2,12-16), der Christus stellvertretend gerechtgeworden ist (5,18), als Rechtfertigungszeugnis (3,21; 4,3) und als Anweisung für die Glaubenden, im Geiste Christi den Weg der Gerechtigkeit zu gehen (8,3f.). Die Kritiker des Apostels, die ihn zu einem Antinomisten machen (und damit zugleich zum Verräter am heiligen Glaubensgut Israels stempeln) wollen, werden durch seine hier im Römerbrief den Lesern offengelegte Verkündigung Lügen gestraft. Die Christen in Rom haben deshalb allen Grund, auf Paulus zu hören und nicht auf die Stimme jener "Verlästerer" (vgl. 3,8). Im nächsten Kapitel führt der Apostel die Auseinandersetzung fort.
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3.4,1-25: Die bereits Abraham verheißene Glaubensgerechtigkeit 1 Was sollen wir nun sagen, hat Abraham, unser Vorvater, nach dem Fleisch gefunden? 2 Denn wenn Abraham aufgrund von Werken gerechtfertigt wurde, hat er Ruhm - aber nicht bei Gott! 3 Was sagt nämlich die Schrift? ,,Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet." 4 Wer Werke tut, dem wird der Lohn nicht nach Gnade sondern nach Schuldigkeit angerechnet; 5 wer aber nicht Werke tut, aber an den glaubt. der den Gottlosen rechtfertigt, dessen Glaube wird zur Gerechtigkeit angerechnet. 6 Wie ja auch David die Seligpreisung des Menschen ausspricht, dem Gott Gerechtigkeit anrechnet ohne Werke: 7 "Selig, deren Gesetzlosigkeiten vergeben sind, und deren Sünden bedeckt sind; 8 selig ein Mann, dem der Herr Sünde nicht anrechnet!" - 9 Diese Seligpreisung nun, (ist sie) auf die Beschneidung oder die Unbeschnittenheit (gemünzt)? Wir sagen ja: Abraham wurde der Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet! 10 Wie wurde er nun angerechnet? Als er in der Beschneidung war oder in der Unbeschnittenheit? Nicht in der Beschneidung, sondern in der Unbeschnittenheit! 11 Und das Zeichen der Beschneidung empfing er als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, (und zwar) des in der Unbeschnittenheit, auf daß er sei (sowohl) Vater aller derer, die im Zustand der Unbeschnittenheit glauben, auf daß auch ihnen die Gerechtigkeit angerechnet werde, 12 als auch Vater der Beschneidung für die, die nicht nur aufgrund der Beschneidung (leben), sondern auch den Spuren des in (der) Unbeschnittenheit (geübten) Glaubens unseres Vaters Abraham folgen. - 13 Denn nicht durch (das) Gesetz (erging) die Verheißung für Abraham oder seinen Samen, daß er Erbe der Welt sein solle, sondern durch (die) Gerechtigkeit des Glaubens. 14 Denn wenn die aus dem Gesetz Erben (sind), ist der Glaube entleert und die Verheißung außer Kraft gesetzt. 15 Denn das Gesetz bewirkt Zorn; wo aber kein Gesetz ist, (gibt es) auch keine Übertretung.
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16 Deshalb (gilt): aus Glauben, damit (auch gilt): nach Gnade, auf daß die Verheißung gültig sei für allen Samen, nicht nur für den aus dem Gesetz allein, sondern auch für (den) aus dem Glauben Abrahams, der Vater von uns allen ist, 17 wie geschrieben steht: "Zum Vater vieler Völker habe ich dich eingesetzt" vor dem Gott, an den er glaubte, als den, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft. 18 Der gegen (alle) Hoffnung auf Hoffnung hin glaubte, daß er zum Vater vieler Völker würde gemäß der Aussage: "So (zahlreich) soll dein Same sein". 19 Und ohne schwach im Glauben zu werden, betrachtete er seinen bereits erstorbenen Leib - er war fast schon hundert Jahre alt - und die Erstorbenheit des Mutterschoßes der Sara. 20 An der Verheißung Gottes zweifelte er nicht im Unglauben, sondern er gewann Kraft durch Glauben, gab Gott die Ehre 21 und war ganz davon durchdrungen: Was er verheißen hat, ist er auch mächtig zu tun. 22 Deshalb wurde (es) ihm auch angerechnet zur Gerechtigkeit! 23 Aber nicht nur um seinetwillen allein wurde geschrieben: "Es wurde ihm angerechnet", 24 sondern auch um unseretwillen, denen (es) angerechnet werden soll, die (wir) glauben an den, der auferweckt hat Jesus, unseren Herrn, von den Toten, 25 der dahingegeben wurde wegen unserer Übertretungen und auferweckt wurde wegen unserer Rechtfertigung. Vers 3: Gen 1$,6; Vers 7E.: Ps32,lj; Gen 15,6; Vers 25: Jes 53, 11 + 12.
Vers 17: Gen 17,5;
Vers 18: Gen 15,5;
Vers 23:
Wir haben eine lange einheitliche Erörterung des Apostels zum Thema uAbra- A harn und die Glaubensgerechtigkeit" vor uns, die man in vier Unterabschnitte gliedern kann: V. 1-8.9-12.13-22.23-25. Die Textüberlieferung von V. 1 und 19 bietet verschiedene sog. Lesarten; die jeweils schwierigste ist wahrscheinlich die ursprünglichste (s. zu B.). Inhaltlich durchsichtig wird unser Kapitel erst, wenn man die biblische Abrahamserzählung von Gen 12 an vor Augen hat und erkennt, daß Paulus in ganz neuartiger Weise von der alttestamentlich-frühjüdischen Abrahamstradition Gebrauch macht. Dieser besondere Gebrauch ist provoziert durch die Auffassung seiner judenchristlichen Gegner von Abraham und dem Abrahambund nach Gen 17. Die judenchristlichen uGegenmissionare" haben den von Paulus bekehrten Galatern geraten, sich zusätzlich zum Glauben und zur Taufe noch beschneiden zu lassen, den Güdischen) Festkalender zu beachten und das Gesetz zu halten (GaI4, 10.21; 5,2ff.); sie wollten auf diese Weise die heidnischen Galater an den Segensverheißungen des Abrahambundes teilhaben lassen. Paulus schien ihnen die getauften (Heiden-)Christen nur im Vorhof des Gottesvolkes (d.h. im Stand christlicher uGottesfürchtiger", s.u.) zu belassen, während sie sie unter Berufung auf Abraham (v gl. GaI3,6ff.; 4,21 ff.) zu vollgültigen Gliedern des erwählten Gottesvolkes machen wollten. Der Apostel hat schon im Galaterbrief heftig gegen diese Verführung seiner Gemeinden protestiert. In kühner Argumentation hat er herausgestellt, an Abraham seien die Zusage der Rechtfertigung aus Glauben (Gen 15,6) und die Verheißung, daß in ihm alle Völker, die seinen Glauben teilen, gesegnet sein sollten (Gen 12,3), lange vor Erlaß des Gesetzes am Sinai ergangen. Paulus hatte außerdem in GaI3,19ff. geschrieben, Gott habe das Gesetz nur deshalb unter Beteiligung von Engeln durch Mose erlassen, um die Menschen ihrer Gesetzesübertretung zu überführen und sie eben damit vor den Christus Gottes
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zu stellen, der den Sündern die (Abraham verheißene) Rechtfertigung aus Glauben vermittelt. Diese Sicht Abrahams (und des Gesetzes) hat bei den Gegnern des Paulus großen Anstoß erregt. Eben deshalb kommt Paulus in Röm 4 noch einmal auf Gen 15,6 zurück, um die Frage zu klären, wie Abraham von den Christen anzusehen ist. Als zum Apostel berufener Jude, der die Rechtfertigung von Heiden und Juden durch den einen Gott verkündigt (3,30), kann und will Paulus nicht darauf verzichten, Abraham "Vater" zu nennen (vgl. 4, 1.11 f. 16.18); denn auch die christliche Gemeinde lebt nach Paulus von ihm her, der "Wurzel", die Gott erwählt und mit der er die Geschichte Israels verheißungsvoll begründet hat (vgl. Röm 11,17 f.). Die Väter sind für das Frühjudentum die Träger und Zeugen der Gnade Gottes in der Geschichte Israels. Dies geht aus dem Eingang des in Sir 44-50 überlieferten sog. "Lobes der Väter" hervor (vgl. Sir 44, 10-15). In Gestalt der Väter ist Israel vor Gott versammelt und wird der Erwählung, Ermahnung und Führung durch die Zeiten teilhaftig. Die Väter sind deshalb nicht nur einzelne geschichtliche Personen, sondern in gewissem Sinne auch Personifikationen Israels im ganzen. Indem Paulus auf Abraham als "Vater" zu sprechen kommt, schließt er sich dieser frühjüdischen "personalen Geschichtsbetrachung" (R. Smend) an. Die bedeutsamste Gestalt unter den Stammvätern Israels ist Abraham. Schon in Jes 51,2 wird er "Vater" und in äthHen 93,8 die "auserwählte Wurzel" Israels genannt. Für das Frühjudentum ist der aus dem Zweistromland herausgerufene Aramäer Abraham (Gen 12,1 ff.) gleichzeitig "Vater" der zum Judentum übertretenden Heiden und der von Isaak abstammenden Juden. Das Zeichen der Zugehörigkeit bei der Gruppen zu Israel ist die Beschneidung. Die beschnittenen Heiden heißen "die Hinzugekommenen" bzw. "Proselyten"; sie sind in der Zeit des Neuen Testaments von den sog. "Gottesfürchtigen" zu unterscheiden~ d.h. den Heiden, die sich zwar mit Israel zu dem einen Gott bekennen, die Synagogen besuchen, aber die Beschneidung vermeiden und deshalb keine Vollbürger des Gottesvolkes sind. In Sir 44,19-21 heißt es von Abraham: "Abraham wurde der Vater vieler Völker, seine Ehre blieb makellos. Er hielt das Gebot des Höchsten und trat in einen Bund mit ihm. Wie ihm befohlen wurde, hat er sich beschnitten; in der Prüfung wurde er treu befunden. Darum hat ihm Gott mit einem Eid zugesichert, durch seine Nachkommen die Völker zu segnen, sie zahlreich zu machen wie den Staub auf der Erde und seine Nachkommen zu erhöhen wie die Sterne, ihnen Besitz zu geben von Meer zu Meer, vom Eufrat bis an die Grenzen der Erde" (Text nach der "Einheitsübersetzung"). Mit dem "Bund" ist Gen 17, 4-14 und mit der "Prüfung" die Gehorsamsprobe der Aufopferung Isaaks nach Gen 22,1-19 gemeint; sie gilt auch in 1. Makk 2, 52 als der Treuebeweis Abrahams, der ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde. Der Glaube Abrahams besteht nach Gen 26,5; Sir 44,20; 1. Makk 2,52 usw. in seinem rückhaltlosen Vertrauen gegenüber Gottes Verheißung und in seinem Gehorsam gegenüber Gottes Gebot. In Mechilta zu Ex 14,31 (40b) wird dieser Glaube in Worten gerühmt, die ganz nah an Paulus heranreichen: "Ebenso findest du, daß unser Vater Abraham diese und die zukünftige Welt nur durch Verdienst des Glaubens (oder auch: Gerechtigkeit des Glaubens) in Besitz genommen hat, wie es heißt: Er glaubte an Gott, und der rechnete es ihm zur Gerechtigkeit an (Gen 15,6)." Von Jak 2,20-24 und Hebr 11,8-19 her ist dieses Bild Abrahams
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Bestandteil auch der christlichen Tradition geworden. Es macht die Position der Paulusgegner (in Galatien und darüber hinaus) hinreichend deutlich: Vollmitglied des endzeitlichen Gottesvolkes kann nur sein, wer mit Abraham auf Gottes Ruf hört, sich beschneiden läßt, das Gesetz hält und sich auf diese Weise vor Gott im Glauben bewährt. Paulus hat die Auswirkungen dieses jüdischen und judenchristlichen Abrahambildes bei seiner Heidenmission zu spüren bekommen. Er hält es angesichts der ihm vor Damaskus zuteilgewordenen Offenbarung des aus freier Gnade erwählenden Gottes für verengt. Der Apostel geht von Gen 12,1 ff. aus (vgl. Gal3, 8) und sieht in Abraham den Stammvater des Glaubens, der von Gott ohne alle Verdienste erwählt wurde und Rechtfertigung aus Gnade allein erfuhr. Von "Isaaks Fesselung" (Gen 22,9 f.) schweigt Paulus (anders als Jak 2,21; Hebr 11, 17-19) ganz. Ihm geht es darum, daß von Abrahams Rechtfertigung in Gen 15,6 früher als von dem "Bund" der Beschneidung nach Gen 17 erzählt wird. Nach antiker Auffassung ist das Frühere (Ältere) dem Späteren überlegen. Erwählung und Rechtfertigung aus Glauben gehen also der Beschneidung und Glaubensprobe Abrahams voran. Der Apostel läßt seine Erörterung in V.25 ausmünden in eine alte, auf der Basis des hebräischen Schrifttextes vonJes 53,11 f. gebildeten Chrisrusformel. In ihr treffen sich J esu eigenes Selbstverständnis als stellvertretend für viele leidender Gottesknecht (vgl. Mk 10,45 Par. und 14,24 Par.) und das Bekenntnis der vorpaulinischen Gemeinde (von Jerusalem?) zuJesus als dem für uns gestorbenen und von Gott auferweckten Messia!! (vgl. 1. Kor 15,3-5). Paulus stimmt in dieses Bekenntnis ein. Mit der für ihn typischen Wendung "Was sollen wir nun sagen" (vgl. 6,1; 7,7; B 9,14) scheint Paulus die These seiner Gegner aufzugreifen, daß Abraham kraft sei- 1 nes Gehorsams und seiner Glaubenstreue Gnade vor Gott gefunden hat (vgl. Gen 18,3 mit 26,S; Jak 2, 2lf.). "Gnade finden" ist ein geläufiger biblischer Ausdruck (vgl. z.B. Gen 6,8; den griechischen Text von Sir45,l und Hebr 4,16). Paulus spielt auf die gegnerische These an, ohne selbst schon das Stichwort "Gnade" zu gebrauchen. Die Wendung "nach dem Fleisch" kann man entweder auf Abraham beziehen (Paulus würde ihn dann im Disput mit seinen judenchristlichen Gegnern den Stammvater Israels nennen) oder als Adverb zu "finden" ziehen, so daß es um die Frage geht, was Abraham seiner irdischen Existenz nach gefunden habe. Diese zweite Möglichkeit paßt sich dem nachfolgenden Text besser ein (und entspricht dem paulinischen Sprachgebrauch z.B. in Röm 8,4 f. 12 f.). Schon die Frageform des Satzes zeigt, daß der Apostel kritisch erörtern will, was Abraham und auf welche Weise er es gefunden hat. Wenn nämlich Abraham aufgrund von Werken gerecht- 2 fertigt worden ist, dann hat er vor Gott "Ruhm". Paulus gebraucht die Worte "Ruhm", "sich rühmen" usw. in positiver und negativer Weise. Wenn Sünder versuchen, sich vor Gott (und den Menschen) ihrer Vorzugsstellung, ihrer Taten oder auch des Besitzes von Heilsgütern zu rühmen (wie der Jude in Röm 2, 17 ff. oder die Paulusgegner nach GaI6,13; 2. Kor 11,18), dann gilt: Gott macht solchen Ruhm (als Richter) zunichte (vgl. 1. Kor 1,29; 3,19-21). Rühmen soll und darf man sich nur des Herrn (1. Kor 1,31 und 2. Kor 10,17 je mit Zitat vonJer 9,23), des Kreuzes als Heilsereignis(Gal 6, 14), der Hoffnung künftiger Verherrlichung (Röm 5,2) und jener Missionswerke, die im Geiste Christi getan werden (vgl. 1. Kor 9, 15ff.;
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2. Kor 1,12-14; 10, 13-18). Für solche wohlgetanen Werke darf der Apostel und mit ihm jeder Christ Lohn erwarten (vgl. 1. Kor 9, 17; GaI6,4; s.o. S. 44ff.). Die Paulusgegner sehen in Abraham den, der für seine Erweise von Glaubenstreue Lohn von Gott erhalten hat und rufen die Christen unter Berufung auf Abraham zu Bewährung in Glauben und Werken Oak 2,20ff.; Hebr 1l,8ff. 17f.) auf. Paulus hält ihre Sicht Abrahams für verfehlt und entgegnet: Ruhm vor Gott, der zur Rechtfertigung führt, hat Abraham nicht! Denn die Schrift spricht in Gen 15,6 ausdrücklich von Abrahams Glauben als Grund seiner Rechtfertigung. Rechtfertigung aufgrund von Werken und aufgrund von Glauben sind streng zu unterscheiden. Es gilt also: Wer anerkennenswerte Werke tut, dem wird der Lohn nicht nach Maßgabe der Gnade, sondern nach Verdienst zugemessen. Wer aber, statt Werke zu tun, an den Gott glaubt, der den "Gottlosen", d.h. den sündigen Frevler {vgl. z.B. Ps 1,1-6; Spr 2,22; Jes 11,4), rechtfertigt, dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet. Während inJes 5,23 irdische Richter gewarnt werden, Frevler gerechtzusprechen, und es im sog. Bundesbuch auch von Gott heißt, er rechtfertigt keinen Frevler (Ex 23,7), betont schon Ezechiel, Gott habe kein Gefallen am Tode des "Gottlosen" , sondern an seiner Umkehr (Ez 18,23). Entsprechend appellieren in Bußgebeten gerade Frevler an Gottes Erbarmen im Gericht (v gl. z.B. Ps 51; Dan 9, 18ff.; 4Esr 8,35f.; 1QS 11, 11 ff.). Paulus kennt diese Gebete (vgl. 3,4) und prägt von ihnen her eine neuartige Gottesprädikation von höchster Paradoxie und Aussagekraft: Gott hat sich schon Abraham gegenüber erwiesen als der Gott, der den Gottlosen (Frevler) rechtfertigt, und zwar durch Christus (vgl. 4,25; 5,6). Angesichts dieses Verhaltens Gottes ist für den jüdischen und judenchristlichen Mittelweg der Rechtfertigung aufgrund von Glauben und Werken, von uottes Erbarmen und verdienstvollen Taten von seiten der Frommen {4Esr 7,7; 13,23;Jak 2,20ff.), kein Raum mehr. Daß Gott so handelt, bezeugt nach Paulus schon die Schrift durch den Mund (des Psalmisten) David(s) in Ps 32,1 f. Methodisch geht Paulus hier nach dem jüdischen exegetischen Grundsatz vor, daß zwei Schriftstellen, in denen dasselbe Stichwort (= "anrechnen") auftaucht, einander erläutern. Folglich legen sich Gen 15,6 und Ps 32, 1 f. gegenseitig aus. Abraham hat mit der "Anrechnung" seines Glaubens die Vergebung seiner Gesetzesübertretungen und Sünden erlangt. Die Formulierungen des Apostels sind provozierend. Ganz anders als die jüdische Tradition (s.o.) sieht er in Abraham den ersten gerechtfertigten "Gottlosen", und "Glaube" wird bei Paulus nicht mehr als gehorsame Gottesfurcht verstanden, sondern als das Geschenk der Beziehung zu Gott, wie er in Christus offenbar geworden ist. Gott offenbart sich nach Paulus in der Geschichte Israels nicht anders als in Christus, sondern stets als derselbe. Darum kann der Apostel auch den seine Gegner leitenden Glaubensbegriff{vgl.Jak 2,22; Hebr 11,17-19) nicht mehr gelten lassen. Für ihn ist Abrahams Glaube das Grundmodell des christlichen Glaubens: Nur im gehorsamen Vertrauen auf den das Heil aus freier Gnade heraus wirkenden Gott gewinnt der Mensch (durch Christus) Anteil am Leben. In Galatien haben die sog. Judaisten die Meinung vertreten, nur durch die Beschneidung würden die Heidenchristen der Segnungen des Abrahambundes teilhaftig. Paulus hat sich dagegen verwahrt (vgl. Ga12,3; 3,6ff.; 5,2-6). Die Frage ist für ihn missionarisch und theologisch von solcher Bedeutung, daß er jetzt noch ein-
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mal auf sie zurückkommt. Offenbar haben seine "Verlästerer" (3 t 8) mit den Paulusgegnern von Galatien Kontakt gehabt. Angesichts der mit ihnen zu führenden Debatte ist es keine Spitzfindigkeit, wenn der Apostel in V. 9 fortfährt mit der Frage, ob die Aussage von Gen 15 t 6, Abraham sei aufgrund von Glauben gerechtfertigt worden t auf den Erzvater im Zustand der Beschneidung oder der Unbeschnittenheit zu beziehen sei. Da in der Schrift Gen 17,9ff. erst auf Gen 15 t 6 folgt, lautet die Antwort: Abraham wurde gerechtfertigt als er noch unbeschnitten war. Seine nachfolgende Beschneidung ist nur das Siegel und Gütezeichen der "Glaubensgerechtigkeit" (zum Ausdruck s. V.13}t in der Abraham schon im Zustand der Unbeschnittenheit lebte. Folglich ist Abraham nach Gottes Willen - anders als die Kontrahenten des Paulus meinen - der Vater aller Glaubenden, und zwar der unbeschnittenen Heiden, die ebenso gerechtfertigt werden sollen wie Abraham t und Vater jener beschnittenen Juden, die sich nicht nur auf ihr Beschnittensein verlassen (vgl. 2t 28 f.}t sondern auch den Glauben des noch unbeschnittenen Abraham zum Vorbild nehmen t der "unser Vater" ist t d.h. Stammvater aller (unbeschnittenen) Heiden und aller (beschnittenen) J uden t die an Jesus Christus glauben. Geht es um Abraham, geht es im Disput mit den Judenchristen um zweierlei t um den Anteil an der Abraham zugesprochenen Verheißung (Gen 15,4f.; 17,4f.) und um die Verbindlichkeit des Gesetzes. In der frühjüdischen Tradition heißt es, daß Abrahams Nachkommen "die ganze Erde erben" und "über alle Völker herrschen werden, wie sie wollen" 0 ub 22 t 14; 32, 19}. Paulus teilt diese Erwartungt denkt dabei aber an die Beteiligung an der Herrschaft Christi, der die durch Christus Geheiligten entgegensehen (vgl. Ga13, 16; 4,4-7; 1. Kor 6t 2; Röm 5, 17). Problematischer steht es mit dem Gesetz. Schon Gen 26 t 5 geht von Abrahams Gesetzesgehorsam aus, und in Sir 44,20 steht, Abraham sei die Sohnesverheißung um seiner Treue zu dem (nach syrBar 57,2 damals schon ungeschrieben vorhandenen) Gesetz und seiner Bereitschaft willen, Isaak aufzuopfern, zuteilgeworden. Paulus aber sieht sie von Gen 15,4-6 her nur an die "Glaubensgerechtigkeit" Abrahams gebunden. Wenn der Apostel hier wie schon in V. 11 den Ausdruck "Glaubensgerechtigkeit" benutzt, bedient er sich einer rabbinischen Wortbildung; sie meint das Glaubensleben Abrahams in Gerechtigkeit (vgl. Mechilta zu Ex 14,31). Anders als seine juden christlichen Gegner setzt Paulus diese Glaubensgerechtigkeit aber dem Gesetzesgehorsam (Abrahams) entgegen. Denn wenn - wie die jüdische und judenchristliehe Auslegung annehmen - das Leben aufgrund des Gesetzes etwas mit der Anteilschaft am Erbe Abrahams zu tun hat t dann ist der Glaube seiner (nach Paulus} entscheidenden Prägung entleert und die Verheißung entwertet. Denn das Gesetz macht t wie bereits in I t 18-3,20 gezeigt t das Zorngericht Gottes unausweichlich und nimmt jedem die Aussicht, das versprochene Erbe antreten zu dürfen. Anders ist es nur t wenn das Gesetz z.Z. Abrahams noch nicht auf dem Plan war. (In der Tat ist es erst lange nach Abraham am Sinai erlassen worden t vgl. Ga13, 17.) Dann nämlich gab es z.Z. Abrahams noch keine förmliche Gesetzesübertretungt und dann transzendiert die Verheißung an Abraham von vornherein den Bereich des von der Sinaigesetzgebung unmittelbar betroffenen Volkes Israel. Mit Abraham ist es (nach Gen 15,4-6} deshalb "aufgrund von Glauben" zugegangen, damit auch das göttliche "aus Gnaden" und mit ihm die Verheißung für alle Nachkommen Abrahams
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gelte. Solche Nachkommen sind aber nicht nur die aufgrund des Gesetzes lebenden Juden, sondern auch die Heiden, die dem Vorbild des Glaubens Abrahams folgen. Dieser ist nVater von uns allen", d.h. von Juden- und Heidenchristen, die glauben wie Abraham (vgl. V. 12); so entspricht es der Aussage der Schrift, daß Abraham zum nVater vieler Völker" (Gen 17,5) eingesetzt worden ist, und der Wirklichkeit des einen Gottes, vor dem Abraham im Glauben lebte. Dieser eine Gott ist als der Gott, der den Gottlosen rechtfertigt (V. 5), zugleich auch der Erwecker der Toten und der Schöpfer, der das Nichtseiende ins Sein ruft. Beide Gottesprädikationen entsprechen schon der jüdischen Glaubenstradition (vgl. syrBar 48,8: n' .. durch ein Wort rufst du ins Leben, was nicht da ist" und die 2. Segensformel des jüdischen 18-Bitten-Gebetes: nGepriesen seist du, Herr, der die Toten lebendig macht!"). Glaube an Gott im Sinne der drei Prädikationen von V. 5 und 17 heißt, selber nichts zu sein und gerade so an sich selbst die Erschaffung aus dem Nichts zu erfahren. In genau diesem Sinne fährt der Apostel fort: Abraham hat wider alle menschliche Hoffnung auf Hoffnung hin geglaubt, und zwar der Zusage Gottes, er werde Vater vieler Völker werden und seine Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel (Gen 15,5). Während eine ganze Anzahl späterer Textzeugen liest: nund ohne schwach im Glauben zu werden, richtete er( = Abraham) sein Augenmerk nicht auf seinen bereits erstorbenen Leib ... CI, die Glaubensstärke Abrahams also darin erblickt, daß Abraham über seine und Saras Überalterung hinwegsah, fehlt dieses erklärende .. nicht" in den älteren und besseren Handschriften. Abrahams Glaubensstärke erweist sich nach ihrer Aussage darin, daß er seine eigenen annähernd hundert Lebensjahre und die Unfruchtbarkeit der Sara (vgl. Gen 18,11-13) durchaus bedachte und dennoch - wider alle natürliche Hoffnung (V. 18)! - an der Verheißung Gottes festhielt. Die Lesart ohne "nicht" entspricht Y.18 und Gen 17,17 besser. In menschlich aussichtslos erscheinender Situation verfiel Abraham gerade nicht in ungläubige Zweifel, sondern blieb stark im Glauben, gab Gott die Ehre und war ganz und gar davon durchdrungen, daß Gott der Schöpfer mächtig genug sei, seine Zusage in die Tat umzusetzen. Abraham blieb also dem Verheißungswort Gottes unerschütterlich treu. Weil er in dieser Weise glaubte, wurde ihm sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet (vgl. Gen 15,6). - Paulus hat damit seine Sicht Abrahams im Einklang mit der Schrift skizziert und geht nunmehr zur Anwendung des Ganzen über. Abraham ist für den Apostel der nVater" aller Glaubenden (s.o.), also kein bloßes historisches Individuum, sondern das geschichtlich maßgebende Urbild des Glaubens an den Gott, dessen Verheißungen in Christus Ja und Amen geworden sind (vgl. 2. Kor 1,20). Von hier aus gilt, daß die Aussage von Gen 15,6 nicht nurum Abrahams allein willen in der Schrift steht, sondern auch num unseretwillen CI, d.h. um der Heiden undjudenchristen (in Rom und anderswo) willen, die die Schrift zur Belehrung lesen (vgl. 15,4) und denen ihr Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet werden soll. Sie sind diejenigen, die an den Gott glauben, der seinen Willen zur Rechtfertigung des Gottlosen (V. 5), sein Schöpfertum und seine die Toten auferweckende Macht (V. 17) in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten verheißungsvoll dokumentiert hat. Der Glaube an diesen Gott ist der wahre Glaube. Er führt wahrhaft zur Rechtfertigung. Weshalb, sagt V. 25 mit einer schon vor der
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Berufung des Paulus im semitischen Parallelismus der Satzglieder formulierten und am hebräischen Text vonJes 53,11 f. orientierten Bekenntnisformel(s.o.): Wiees in Jes 53 vorgezeichnet ist, hat Gott Jesus "wegen unserer Übertretungen" seinen Gegnern und damit dem Tode am Kreuz ausgeliefert (vgl. Mk 9,31; 10,33f. Par.; 1. Kor 11,23; Röm 8,32), und er hat ihn in Anerkennung seines Opferganges "wegen unserer Rechtfertigung" auferweckt. Der von Gott verfügte und mit der Auferweckung als gültig bestätigte Opfergang des Christus ans Kreuz ist und bleibt der Rechtsgrund für die Rechtfertigung aller derer, die als "Gottlose" an den sich in Christus offenbarenden Gott glauben. Im auferstandenen Christus begegnet Gottes heilschaffende Gerechtigkeit von "jetzt" (3,21) an bis ins Endgericht (8,33f.). Unsere Formel steht in sachlicher Parallele zu 1. Kor 1,30 und Röm 3,25f. Mit ihr stellt sich Paulus zum Schluß seiner hochkontroversen Argumentation bewußt auf den Boden jener Glaubenstradition, die den Apostel mit seinen römischen Adressaten eint. Sie können (auch) aus Röm 4 ersehen, daß Paulus mit seinem Rechtfertigungsevangelium in der Glaubenstradition steht, die ihnen vertraut und teuer ist. Argwohn gegen seine Lehre brauchen sie nicht zu hegen.
Exkurs VII: Glaube bei Paulus Das voranstehende Kapitel zeigt ganz besonders deutlich, daß der Apostel mit einer in der jüdischen (und judenchristlichen) Tradition unerreichten Intensität vom Glauben spricht. Dies liegt vor allem an der eigenen Glaubenserfahrung, die Paulus mit seiner Berufung zum Apostel eröffnet wurde. Die Wurzeln des paulinischen Glaubensbegriffes liegen gleichwohl im Alten Testament und Frühjudentum einerseits und bei Jesus sowie in der Missionstradition des Urchristentums andererseits. Im Alten Testament spricht zuerst Jesaja (8. Jh. v. Chr.) profiliert vom Glauben als einem Verhalten, in dem man sich rückhaltlos und ausschließlich auf Gott, seine Zusage und seinen Willen verläßt und einläßt (vgl. Jes 7,9; 28, 16; 30, 15). Nahe verwandt damit ist die Rede von Abrahams Vertrauen auf Gottes Verheißung, kraft dessen er von Gott in Gen 15,6 als gerecht anerkannt worden ist. Auch Habakuk (2,4) und Psalmen aus der Zeit vor und während des israelitischen Exils spiegeln dieses Glaubensverständnis (vgl. Ps 78,22.32; 106,12.24). Aber erst in spätalttestamentlicher und frühjüdischer Zeit gewinnt die Rede vom Glauben in Israel größere Verbreitung. Glauben wird zur Bezeichnung der Zuwendung des Frommen zu Gott und der Treue gegenüber seinen Weisungen. Abraham gilt als Muster solch gehorsamer Glaubenstreue (vgl. Gen 26,5; Sir 44, 19-21). Philo von Alexandrien sieht im Glauben Abrahams an Gott "die Königin der Tugenden" des Erzvaters (Abr 270). Die Essenergemeinde von Qumran bezieht Hab 2,4 auf alle Täter des Gesetzes, die treu zu der vom "Lehrer der Gerechtgkeit" ausgearbeiteten verschärften Gesetzesauslegung stehen (vgl. lQpHab 7, 17-8,3). Der Glaube, der sich in der Liebe zu Gottes Gesetz bewährt, wird nach syrBar 54, 16.21 im Endgericht belohnt werden und zur endzeitlichen Verherrlichung der Glaubenstreuen führen. Die Umkehr sündiger Heiden zu dem einen wahren Schöpfergott wird "Glauben"
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genannt inJona 3,5; Weish 12,2;Jdt 14,10. Wir stehen hier vor frühjüdischer Missionsterminologie. Paulus hat diese alttestamentlich-jüdische Anschauung vom Glauben gekannt und mitvertreten. Aber kraft seiner Berufung zum Apostel Jesu Christi ist er über sie hinausgeführt worden. Für ihn geht es seither beim Glauben nicht mehr nur um die dem Heiden abverlangte Umkehr zu dem allein wahren Gott und die Treue des Frommen gegenüber Gottes Geboten, sondern er sieht im Glauben den Heilsweg schlechthin, den Gott den Sündern aus Juden und Heiden aus freier Gnade heraus eröffnet hat (GaI3,23). Ihm selbst ist dieser Heilsweg durch die Erscheinung des lebendigen Christus vor Damaskus erschlossen worden; in der Mission wird er Juden und Heiden durch die Verkündigung des Evangeliums aufgetan, zu der der erhöhte Christus die Apostel autorisiert und ausgesandt hat (v gl. Röm 10, 14-17 mit Mt 28, 16-20). Von hier aus ist der Glaube für Paulus, wie die lateinische Bibel Röm 10,17 übersetzt, "fides ex auditu", d.h. Glaube, der aus dem gehorsamen Hören der Botschaft erwächst, in der Christus als Retter und Herr der Welt ausgerufen wird. Solcher Glaube ist das gänzlich unverdiente Geschenk Gottes, das zur Rechtfertigung führt (Eph 2,8). Das Evangelium ist Botschaft vom Glauben; es will gehorsam gehört werden (Röm 1,5; 6,17; 16,19) und schenkt, wo dies geschieht, den Hl. Geist (GaI3, 2). Dieser erfüllt die Herzen (2. Kor 1,22), befähigt zum wahren Verständnis Jesu als des Christus Gottes (1. Kor 2,7-12) und verhilft dazu, ihn als Herrn zu bekennen (1. Kor 12,3; Röm 10,9). In der Kraft des Geistes, den die Glaubenden aus dem Hören auf das Evangelium empfangen, erfüllen sie die Weisung Christi, die mit der Rechtsforderung des Geseztes identisch ist (GaI6,2; Röm 8,4). Auf diese Weise wird die Liebe zur Lebensdimension des Glaubens, und zwar die Liebe zu Gott ebenso wie die gegenüber dem Nächsten (Röm 5,5; GaI5,5f. 14; Röm 13,8-10). Der Glaube ist nach alledem für den Apostel ein vom Hl. Geist getragener ganzheitlicher Lebensakt. Wo er von der Liebe getrennt wird, widerspricht Paulus ebenso energisch (1. Kor 13, t H.) wie dort, wo man den Glauben für ergänzungsbedürftig durch Werke des Gesetzes erklärt (GaI3, 1-4). Christus verkündigten, das Evangelium verkündigen und den Glauben verkündigen sind für ihn identisch (vgl. Gal 1,11.16.23; 1. Korl,23f.; 15,1-11;Röm 1,1-5.1M.). Als von Gott durch das Evangelium eröffneter Heilsweg, der unter dem Beistand Christi beschritten wird, ist der Glaube Geschenk des Lebens in der Nähe Gottes und "bleibt" deshalb bis über den Jüngsten Tag hinaus (1. Kor 13,13). Der Apostel hätte nicht in dieser neuen Weise vom Glauben reden können, wenn nicht schon Jesus während seines Erdenwirkens ganz neuartig vom Glauben gesprochen hätte. Jesus hat in die Glaubensüberlieferung Israels eine neue Redeund Denkweise von Glauben eingeführt. Mit seiner Botschaft von der Gottesherrschaft ruft er in Israel zur Umkehr und zum Glauben auf (Mk 1,15 Par.). Der Glaube ist für ihn Glauben an Gott (Mk 11,22), dem alle Dinge möglich sind (Mk 9,23; 14,36). Wenn die Jünger an Gott glauben und mit ungeteiltem Herzen zu ihm beten, wird ihnen der Beistand des allmächtigen Schöpfergottes zuteil (Mk 11,22-24 Par.). Kranken, die sich an ihn um Hilfe wenden, spricht er Heilung und Glauben zu (Mk 5,34; 10,52); und Glauben, den ihm Hilfesuchende entgegenbringen (Mk 2,5), enttäuscht er nicht, er ruft sie vielmehr ausdrücklich zum Glau-
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ben auf (Mk 5,36). Von dieser Redeweise Jesu und den Glauben weckenden Ostererscheinungen herkommend, hat die Missionskirche nach Ostern begonnen, im Blick auf den vollendeten Opfergang Jesu vom "Glauben an Jesus Christus" (Apg 10,43) zu sprechen, den Gott mit der Auferweckung "zum Herrn und Christus gemacht hat" (Apg 2,36). Solcher Glaube erfährt die Vergebung der Sünden (Apg 10,43). Zu ihm werden nicht mehr nur - wie in der jüdischen Mission - die Heiden, sondern Juden und Heiden aufgerufen (Apg2,37-41.44; 11,21). Paulus steht in dieser Missionstradition (vgl. z.B. 1. Thess 1,9 f.; 2, 13; 1. Kor 15,11); er hat nach 1. Kor 13,2 aber auch Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben gekannt. Daß man im Urchristentum auch anders als Paulus vom Glauben gesprochen hat, dokumentieren der Jakobus- und der Hebräerbrief (vgl. Jak 2; Hebr 11; 12,2). Beide Male ist die Nähe zur frühjüdischen (Missions-)Tradition groß, läßt sich aber auch nicht im Sinne von Röm 3,28 vom allein rechtfertigenden Glauben sprechen.
4. 5,1-11: Der Stand in der Versöhnung 1 Gerechtfertigt nunmehr aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, 2 durch den wir auch den Zugang erhalten haben im Glauben zu eben der Gnade, in der wir stehen, und wir rühmen uns aufgrund der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. 3 Aber nicht nur dies, sondern wir rühmen uns auch der Heimsuchung in dem WISsen, daß die Heimsuchung Geduld bewirkt, 4 die Geduld aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung. 5 Die Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns geschenkt ist. 6 Denn Christus ist, als wir noch schwach waren, zur rechten Zeit für Gottlose gestorben. 7 Es stirbt ja kaum einer für einen Gerechten; für das Gute wagt es schon eher einer zu sterben. 8 Gott aber erweist seine Liebe uns gegenüber (dadurch), daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. 9 Um wieviel mehr werden wir, nunmehr gerechtfertigt durch sein Blut, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden. 10 Denn wenn wir als Feinde versöhnt worden sind mit Gott durch den Tod seines Sohnes, um wieviel mehr werden wir als Versöhnte gerettet werden durch sein Leben. 11 Aber nicht nur dies, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.
Unser Abschnitt ist durch die Stichworte "gerechtfertigt" (V. 1.9), ,rühmen" A (V. 2 f. 11), "Herrlichkeit Gottes" (V. 2) und die Thematik von Sühne und Versöhnung durch Christus thematisch fest mit 3,21-4,25 verbunden. Paulus löst sich aber nunmehr aus dem kritischen Gespräch mit seinen Gegnern und leitet dazu an, in der Rechtfertigung die Versöhnung mit Gott und den Stand der Hoffnung auf endzeitliche Errettung zu sehen. Er tut dies in zwei miteinander zusammenhängenden, die Gabe der Rechtfertigung herausstellenden Gesprächsgängen: V. 1-5 und 6-11. Der erste ist geprägt von einem rhetorischen Kettenschluß, wie wir ihn bei Paulus öfter finden (vgl. z.B. 8,28-30; 10,12-17), der zweite von dem ebenfalls häufig in den Paulusbriefen anzutreffenden Schlußfolgerungsverfahren: Wenn schon dies oder
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das - um wieviel mehr erst dieses oder jenes (vgl. 2. Kor 3,7-9; Phil2, 12). Solche Schlußfolgerungen sind ein typisches Merkmal rabbinischer Schriftauslegung und Argumentation. Von den griechischen Textvarianten her hat man in V. 1 die Wahl, ob man indikativisch "haben wir Frieden mit Gott" oder konjunktivisch "laßt uns Frieden haben mit Gott" übersetzen soll. Obgleich der Konjunktiv besser bezeugt ist, ist der Indikativ die Paulus inhaltlich näherstehende und zugleich kühnere Fassung: Die Glaubenden stehen kraft der Rechtfertigung bereits im Frieden mit Gott und müssen nicht erst um ihn ringen (wie die Alte Kirche verschiedentlich betont hat). - In V. 3f. kommt Paulus erstmals im Römerbrief auf das Leiden der Christen zu sprechen. Daß die Frommen (Gerechten) leiden müssen, ist ein seit frühen Psalmen wie Ps 18 und 56, den in Jer 36-45 zusammengefaßten Berichten von den Leiden Jeremias und der berühmten Hiobdichtung festes Thema alttestamentlich-jüdischer Tradition. Nur mit Gottes Hilfe können die von den Feinden Gottes verfolgten Frommen ihre Leiden bestehen. Nach Sir 2 dienen die Leiden zur persönlichen Läuterung der Gerechten auf Erden. In frühjüdischen Texten, die vom Leiden der Gerechten sprechen, wird das irdische Leben transzendiert: Die auf Erden von den Gottlosen verfolgten und ihres Lebens beraubten Frommen brauchen das Endgericht nicht zu scheuen. Sie werden bei der Auferstehung der Toten verherrlicht und von Gott gegenüber ihren Bedrängern von einst ins Recht gesetzt (vgl. Weish 2, 12-20 + 5, 1-7; äthHen 103,9-104,5). Jesus hat seinen zusammen mit ihm bedrängten Jüngern Anteil an der Gottesherrschaft verheißen (vgl. Lk 12,32; 22,29 mit Dan 7, 18.27). Paulus wendet beide Traditionen auf die Christen an. Sie gehen als "leidende Gerechtfertigte" den Weg der Bewährung und sind dabei von der Hoffnung beseelt, an der künftigen Herrschaft Christi und der Herrlichkeit Gottes teilhaben zu dürfen (1. Kor 6,2; Röm 5,17; 8, 18 ff.; vgl. zur Sache weiter auch S. 12lf.). B Nachdem der Apostel die Argumentation seiner Widersacher (in 3,27~,25) Lügen gestraft hat, kann er sich nunmehr mit seinen Adressaten im Wir des Briefstils vereinigen und unter Berufung auf die in 4,24 f. in Erinnerung gerufene, "uns" zur Rechtfertigung führende Rettungstat Gottes in Christus feststellen: Wir (allein) aus Glauben Gerechtfertigen haben durch unseren Herrn Jesus Christus bereits den Frieden mit Gott empfangen. Während die Sünder sich Gott entziehen (vgl. Gen 3,8ff.) und ihm, wenn sie gestellt werden, als Gegner (V. 10) gegenüberstehen, sind die Gerechtfertigten in ein Gemeinschaftsverhältnis mit Gott versetzt, das zu ihrem Heil dient und deshalb biblisch mit "Friede" (Schalam) bezeichnet wird. 2 Worin dieser Friede besteht, sagt der folgende Satz: "Durch unseren Herrn Jesus Christus" haben die Glaubenden "den Zugang" zur Gnade eröffnet bekommen. Die Rechtfertigung ermöglicht es den Glaubenden, befreit von ihren Sünden ihr Leben vor Gott in der Gnade zu leben. Schon in den Qumrantexten heißt es: "Durch sein Erbarmen hat er (= Gott) mich nahegebracht, und durch seine Gnadenerweise kommt meine Gerechtigkeit. Durch die Gerechtigkeit seiner Wahrheit hat er mich gerichtet, und durch den Reichtum seiner Güte sühnt er alle meine Sünden, und durch seine Gerechtigkeit reinigt er mich von aller Unreinheit des Menschen und von der Sünde der Menschenkinder, Gott zu loben für seine Gerechtigkeit und den Höchsten für seine Majestät" (1QS 11,13-15). Für Paulus ist
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"der Zugang" zu Gott durch den "für uns" in den Tod gegebenen und auferweckten Christus eröffnet worden. In Eph 2, 18; 3,12 wird dies wiederholt und in Hebr 10, 19 ff. mit anderen Worten beschrieben. Der "Raum", in den die Glaubenden durch Christus geführt werden, heißt "Gnade". Die Gerechtfertigten stehen in neuer Gemeinschaft mit Gott und sind bereits auf Erden von seiner Gnade schützend und verheißungsvoll umgeben. Die ihnen eröffnete Hoffnung, als Gerechtfertigte in Bälde an der herrlichen Seinsweise der Kinder Gottes teilhaben zu dürfen (vgl. PhiI3,21; Röm 8,18-21), gibt ihnen Grund zum Lobpreis Gottes (vgl. V. 11). Dieser Lobpreis braucht auch in den Heimsuchungen, die die Christen um ihres Glaubenszeugnisses willen erleiden, nicht zu verstummen,im Gegenteil. Sie wissen aus eigener Glaubenserfahrung(vgl. 2. Kor 6, 3ff.; 11,23ff.) und aus den Texten der Schrift, die vom Leiden der Frommen sprechen (s.o.), daß die Heimsuchungen ihnen zum Guten dienen: Durch das Leiden werden sie zur Geduld, von der Geduld zur Standhaftigkeit und von solchem Stehvermögen zur Hoffnung (auf Anteilhabe an Gottes Herrlichkeit, vgl. V. 2) geführt. Daß diese Hoffnung die Glaubenden vor Gott nicht zuschanden werden läßt (Ps 22,5-6;Jes 28, 16vgl. mit Röm 9,33), wissen die Christen kraft des ihnen durch das Hören des Evangeliums ins Herz gegossenen Hl. Geistes (vgl. Gal 3,2). In der Erfülltheit mit dem Hl. Geist realisiert sich für die Glaubenden die Verheißung von Ez 36, 26ff. und werden sie fähig, die ihnen in Christus zugewandte Liebe Gottes (V. 8) zu erwidern, d.h. Gott als ihren Schöpfer und Erretter seinem Willen gemäß zu lieben (vgl. Dtn 6, 5).In dieser vom Geist getragenen Liebe füllen die Christen den Stand der Gnade aus, in den sie durch Christus versetzt sind. Worin die Liebe Gottes zu den Sündern aus Juden und Heiden besteht, erläutert Paulus in thematischem Rückgriff auf die Formel von 4,25 (und in eigenständiger Parallele zu Joh 3,16): Christus ist für die gottlosen Sünder gestorben, als sie noch schwach waren. Gottes Heilstat in Christus geht dem Glauben voran und gibt ihm seinen Grund in der Geschichte. Die Geschichte der Sendung Jesu, die in seinem Sühntod gipfelt, ist die dem Glauben vorgegebene Verwirklichung der Gnade Gottes schlechthin. "Gottlos" ist die biblisch typische Bezeichnung für die Gottes Willen mißachtenden Frevler (vgl. zu Röm 4,5). "Schwach" sind sie vor Gott in doppelter Hinsicht: Sie können Gott gegenüber nichts ausrichten (Ps 9,4; 27,2), und sie sind (ohne Christus) nicht in der Lage, sich der Versuchungen und der Sünde zu erwehren (Mk 14,38 Par.); Paulus wird dies in 7,14-25 noch einmal herausarbeiten. Jetzt geht es ihm um Jesu stellvertretenden Sühnetod für die Gott widerstreitenden Frevler. Er sprengt alle antiken Maßstäbe. Das "Sterben für ... " hatte in der hellenistischen Welt hohen moralischen Stellenwert und guten ethischen Klang. Daß einer für einen gerechten Menschen (oder auch eine gerechte Sache) stirbt, ist zwar - genau wie Paulus in V. 7 anmerkt - nur selten bezeugt (vgl. z.B. den Tod des Sokrates nach Platon, Apologie 32a; die Bereitschaft, für den Kaiser zu sterben, nach Dio Cassius 80,20 und Historia Augusta 114; oder die Mahnung aus Sir 4,28: "Bis zum Tod setz dich ein für das Recht, dann wird der Herr für dich kämpfen"); zahlreich sind aber Belege dafür, daß Menschen für eine gute Sache in den Tod gehen (vgl. 1. Clem 55,1: " ... viele Könige und Fürsten haben sich, wenn eine Zeit des Unheils herrschte, auf den Spruch eines Orakels hin dem Tode überliefert, um durch ihr Blut die Bürger zu retten" und das vielfach mißbrauchte "Es ist süß und
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ehrenvoll, fürs Vaterland zu sterben" des Horaz, Oden 3,2,13). Was jedoch Gott in Christus getan hat, stellt diese Beweise von Edelmut und Opferbereitschaft in den Schatten. Gott hat seine Liebe dadurch unter Beweis gestellt, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch gottlose Sünder waren. Gottes Liebe in Christus ist sein freies gnädiges Erbarmen, das allen menschlichen Möglichkeiten und Würdigkeiten geschichtlich zuvorkommt und vorangeht. - Mit einem (typisch jüdischen, aber auch den Griechen nicht unbekannten) Schluß vom Kleineren auf das Größere kommt der Apostel zum Thema der Hoffnung auf Gottes Herrlichkeit (V. 2.5) zurück: Wenn Christus in dieser Weise für die Sünder in den Tod gegangen ist und durch sein Blut Sühne für sie geleistet hat, dann werden sie erst recht durch ihn vor dem Zorn im kommenden Gericht gerettet werden. Der Sachverhalt ist dem Apostel so wichtig, daß er ihn noch einmal mit anderen Worten wiederholt: Wenn wir schon als "Feinde", d.h. als sich gegen Gott auflehnende und seinen Willen verachtende Frevler (vgl. Ps 37,20; 68,22; 74,18; 92,10 u.a.), durch den (Sühn-)Tod Jesu mit Gott versöhnt worden sind, werden wir umso mehr als bereits Versöhnte durch den lebendigen Christus (vor der Vernichtung im Gericht) errettet werden. Er ist kraft seines Opfertodes der lebendige Bürge der (End-)Rechtfertigung der Versöhnten (Röm 4,25), denn er tritt als Auferstandener für die Glaubenden vor Gott ein (Röm 8,34). Die von Paulus in V. 10f. (und 2. Kor 5, 18-20) gebrauchten Worte "versöhnen" und" Versöhnung" meinen in der außerbiblischen griechischen Sprache vor allem den Friedensschluß zwischen einander verfeindeten Menschen;" Versöhnung" ist Beendigung von Feindschaft (vgl. so auch in 1. Kor 7, 11; Röm 11,15). Paulus verwendet die Worte, um den personalen Gegenwartsaspekt der in der Sühne begründeten Rechtfertigung pointiert herauszustellen: Gott hat seinen eigenen Sohn aus reiner Liebe für die mit ihm verfeindeten Sünder dahingegeben. Er hat damit von sich aus die Feindschaft zwischen ihm und den Frevlern beendet. Sie stehen als Gerechtfertigte im Frieden mit und vor ihm (Y.1) und dürfen Gott kraft des sie beseelenden Hl. Geistes mit "(lieber) Vater" anrufen (Gal4,5f.; Röm 8,15). Statt Feinde Gottes zu sein, sind sie heute schon seine geliebten Kinder, und zwar durch Jesu Opfergang und seine Auferweckung. Deshalb können sie nicht nur ihrer künftigen Errettung durch den lebendigen Christus gewiß sein, sondern sie rühmen auch schon in der Gegenwart Gott durch die Vermittlung des Auferstandenen (vgl. 8,26f.), der ihnen "jetzt" (vgl. 3,21) das Versöhntsein mit Gott geschenkt hat.
Exkurs VIII: Rechtfertigung und Versöhnung Wie schon P. Althaus in früheren Auflagen dieses Kommentars an unserer Stelle betont und F. Lang in seiner Auslegung von 2. Kor 5, 18-20 (NTD 7,295-297) bestätigt hat, gehören Rechtfertigung und Versöhnung für Paulus untrennbar zusammen. Wie in 2. Kor 5, 14-21 greifen auch in Röm 5, 1-11 Sühne-, Rechtfertigungsund Versöhnungssprache nahtlos ineinander. Die von Gott selbst aus Liebe zu seiner Schöpfung gewollte und vonJesus gehorsam bejahte Hingabe des Gottessohnes an den Kreuzestod ist das die Rechtfertigung begründende Sühnegeschehen schlechthin (Röm 3,25 f.; 5,8 f.; 8,3). Gott hat seinen eigenen Sohn, der Sünden-
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schuld nicht kannte, für uns "zur Sünde" gemacht, damit wir durch ihn der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig würden (2. Kor 5,21). Da in der griechischen Bibel das um der Sünde willen darzubringende Sühnopfer manchmalopfertechnisch einfach kurz "Sünde" genannt wird (vgl. Lev 4,21.24), meint 2. Kor 5,21, Gott habe Christus für uns "zum Sühnopfer" gemacht; Röm 8,3 bestätigt das. Das Blut Jesu ist das unendlich wertvolle Sühne mittel für die gottlosen Sünder (1. Kor 6,20; Röm 3,25; 5,9). Die Sühnetat Gottes in und durch Christus bildet den geschichtlichen Rechtsgrund für die Rechtfertigung. "Versöhnung" bezeichnet die Zuwendung Gottes und den gegenwärtigen Heilsgewinn, die mit der Rechtfertigung verbunden sind (Röm 5, 11; 2. Kor 5,20-6,2), und zwar unter personalem Aspekt: Gott hat von sich aus die Feinschaft überwunden und beendet, die zwischen den Sündern und ihm herrscht; er hat die durch Christus mit ihm Versöhnten in den "Frieden" mit sich gestellt (Röm 5,1; Eph 2, 13-16). Gott ist es also, der aus freiem Willen und freier Gnade heraus Sühne schafft, Rechtfertigung zuspricht und Versöhnung stiftet. Röm 11, 15. 32 und Kol 1, 19-20 lassen erkennen, daß die Gottestat der Versöhnung weltweite Dimension hat. Sie gilt Heiden und Juden gleichermaßen und stellt das Ereignis dar, das die Schöpfung neu begründet. Von einer Beschwichtigung des zornigen Gottes durch das Blut Christi oder auch von einer Genugtuung, die dem durch die Sünde in seiner Majestät verletzten Gott durch Jesu Opfertod widerfährt, spricht zwar die kirchliche Lehrtradition bis heute, aber in den Sühneund Versöhnungstexten des Apostels ist davon noch keine Rede! Welch hohen Stellenwert für ihn die Rede von der Versöhnung hat, zeigt der Umstand, daß er in 2. Kor 5,18 das ihm durch Christus aufgetragene apostolische Verkündigungsamt den "Dienst der Versöhnung" nennt. Dieser Dienst steht als Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit dem Dienst des Todes und der Verurteilung gegenüber, den Mose im Alten Bund auszuüben hatte (2.Kor 3,7ff.).
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12 Deshalb: Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt hineingekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen gelangte, weil sie alle sündigten ... - 13 Bis hin zum Gesetz nämlich war die Sünde schon in der Welt, Sünde wird aber nicht angerechnet, wenn kein Gesetz da ist. 14 Aber der Tod herrschte von Adam bis zu Mose auch über die, die nicht gesündigt haben nach dem Abbild der (Gebots-)Übertretung Adams, der das (Gegen-)Bild des Kommenden ist. - 1S Doch nicht so wie mit der Verfehlung (verhält es sich) mit der Gnadengabe: Wenn nämlich durch die Verfehlung des Einen die Vielen gestorben sind, um wieviel mehr ist die Gnade Gottes und die in der Gnade bestehende Gabe durch den einen Menschen Jesus Christus den Vielen in überreichem Maße zuteilgeworden. 16 Und nicht wie durch den Einen, der gesündigt hat, (wirkt) die Gnadengabe! Denn das Gerichtsurteil (führte) von dem Einen her zur Verurteilung, die Gabe der Gnade aber von vielen Übertretungen aus zum Geschenk der Gerechtigkeit. 17 Wenn nämlich durch die Verfehlung des Einen der Tod durch den Einen zur Herrschaft kam, um wieviel mehr werden die, die die Fülle der Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben zur Herrschaft gelangen durch den
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Einen, Jesus Christus. - 18 Also denn: Wie es durch die Verfehlung des Einen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so (kommt es) auch durch die gerechte Tat des Einen für alle Menschen zur Leben schenkenden Rechtfertigung. 19 Wie nämlich durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern gemacht wurden, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten gemacht werden. - 20 Das Gesetz aber ist zwischenhineingekommen, damit die Verfehlung wachse. Wo aber die Sünde gewachsen ist, ist die Gnade noch viel reichlicher geworden, 21 damit, wie die Sünde durch den Tod zur Herrschaft gelangt ist, auch die Gnade zur Herrschaft gelange durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben (,und zwar) durch Jesus Christus, unseren Herrn. Vers 12: Gen 3;
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Vers 17: Dan 7,18.
Wie das einleitende "deshalb" und die Parallelität von 5,8-11 und 5, 18-21 zeigen, gehören die Verse 12-21 noch zur Erörterung von 5,8-11 hinzu. Die Stichworte "Sünde", "Gnade", "Gesetz" und "Gerechtigkeit" beweisen außerdem, daß der Apostel in unseren Versen seine gesamte Erörterung von (1,18-3,20;) 3,21-5,21 zu Ende führt. - Der Aufbau des Abschnitts ist folgender: Die in V. 12 begonnene Gegenüberstellung von Adam und Christus wird erst in V. 18-21 zu Ende geführt. V. 13-17 bringen Zwischengedanken, die in Hinsicht auf das Gesetz in V. 20 noch einmal aufgenommen werden. Die bewegte, immer wieder mit dem (rabbinischen) Schluß vom Geringeren auf das Größere arbeitende Satzkonstruktion verrät, daß der Apostel bei seinem Briefdiktat (vgl. 16,22) förmlich um Klarheit der Argumentation ringt. Überlieferungsgeschichtlich laufen in 5,12-21 mehrere Traditionsstränge zusammen. In 1. Kor 15,20-22.44-49 hat Paulus sich schon gegenüber den Korinthern über das Verhältnis von Adam und Christus geäußert. Dort kam es dem Apostel darauf an zu zeigen, daß" wie in Adam alle sterben, so auch in Christus alle lebendiggemacht werden" (V. 22). Gegenüber dem (nach Gen 2,7) aus Erde geschaffenen sterblichen Adam ist Christus, der auferstandene Herr und Menschensohn (vgl. 1. Kor 15,20-28), "der zweite Mensch vom Himmel her" (V. 47). Die Differenz und Reihenfolge von Adam und Christus darf nicht eingeebnet werden. Die Korinther müssen sich vielmehr bewußt bleiben, daß sie als Christen nicht einfach heute schon pneumatisch in das von Christus bereitete Reich Gottes versetzt sind, sondern sie haben noch die Verwandlung von Fleisch und Blut in den himmlischen Leib und den endzeitlichen Sieg des Herrn über Sünde und Tod abzuwarten (vgl. 1. Kor 15,54f.). Der Apostel kommt in Röm 5 auf diese Debatte zurück, arbeitet jetzt aber das Verhältnis von Adams Sündenfall, dessen Folgen und dem Gewinn des Lebens durch die Gnade der Rechtfertigung heraus. Angesichts des mit Adams Fall über die Menschheit hereingebrochenen Verhängnisses von Sünde und Tod hilft das Gesetz nicht weiter, sondern nur die durch Christi Gehorsamstat eröffnete Gnade; unter ihrer Herrschaft stehen die Glaubenden. - Paulus arbeitet diesen Grundgedanken heraus im Rückgriff auf die frühjüdische Deutung des Sündenfalls von Gen 3 und die jesuanische Menschensohnüberlieferung. Im sog. 4. Esra gilt Adam ebenso wie bei Paulus als Stammvater und Schicksalsträger. Der Verfasser klagt: "Ach, Adam, was hast du getan! Als du sündigtest, kam dein Fall nicht nur auf dich, sondern auch auf uns, deine Nachkommen!" (4Esr 7,118).
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Im syrBar wird dies dann noch einmal im Blick auf das Gericht Gottes präzisiert: nDenn wenn Adam zuerst gesündigt und über alle den vorzeitigen Tod gebracht hat, so hat doch auch von denen, die von ihm abstammen, jeder einzelne sich selbst die zukünftige Pein zugezogen ... Jetzt aber wendet euch nur dem Verderben zu, ihr, die ihr jetzt Übeltäter seid; denn ihr werdet streng heimgesucht werden, da ihr ja ehemals die Einsicht des Höchsten mißachtetet. Denn nicht haben euch seine Werke belehrt; auch hat euch nicht die kunstvolle Einrichtung seiner Schöpfung, die allezeit besteht, (davon) überzeugt. Adam ist also einzig und allein für sich selbst die Veranlassung; wir alle aber sind ein jeder für sich selbst zum Adam geworden" (syrBar 54, 15-19). Nach 4Esr 7, 128f. und syrBar 85,3-5 bleibt den Frommen nur das Gesetz und Gottes Gnade, um das adamitische Verhängnis zu überwinden. Paulus nimmt die Hauptgedanken beider Apokalypsen auf, sieht aber im Gegensatz zu ihnen im Gesetz keinen Ausweg aus dem adamitischen Schuldverhältnis. - Wenn er in V. 15 (ähnlich wie in 1. Kor 15,47) Jesus Christus nden einen Menschen" nennt, wenn er in V.17 auf die Beteiligung der Gerechtfertigten an der Königsherrschaft (Christi) verweist und in V.19 von Jesu Gehorsam spricht, der den Vielen zur Gerechtigkeit verhilft, erklärt sich dies am einfachsten im Blick auf die Menschensohntradition. Nach Dan 7, 13 f. 18.27 verkörpert der "Menschensohn" die göttliche Verheißung, daß Israel einst die Herrschaft über die Völker antreten darf, die das Prädikat "menschenwürdig" verdient. Nach der Henochapokalypse ist der Menschensohn dann der von Gott auf den Richterthron gesetzte Messias und Weltenrichter (vgl. äthHen 61,8; 62,2ff.). Nach der Darstellung aller vier Evangelien hat sich Jesus als der von Gott gesandte messianische Menschensohn verstanden. Statt aber schon während seines Erdenlebens messianische Herrschaftsrechte zu beanspruchen und sich dienen zu lassen, wollte er selbst den Weg des Dienstes und der stellvertretenden Lebenshingabe für "die Vielen" (vgl. Jes 53, 11 f.) gehen (vgl. Mk 10,45 Par.). Seine Erhöhung und Einsetzung in das Richteramt hat er erst nach dem Durchgang durch Leiden und Tod erwartet (Mk 14,62 Par.). Seinen Nachfolgern hat Jesus die Teilhabe an seiner endzeitlichen Herrschaft als MenschensohnWeltenrichter zugesagt (vgl. Lk 12,32 und Lk 22,28-30 Par. mit Dan 7, 18). Paulus hat diese Jesusüberlieferung schon in 1. Kor 6,2; 15,20-28 aufgenommen, und sie spiegelt sich nun auch in Röm 5,12-21. Daß der Apostel im 1. Korinther- und im Römerbrief statt vom "Menschensohn" einfach vom "Menschen" Jesus Christus spricht, hat missionarisch-hermeneutische Gründe. Der biblische Ausdruck "Menschensohn" meint von Haus aus den Menschen als Abkömmling von Menschen (vgl. so z.B. Ps 8,5; Ez 2, 1 ff.; 3, 1 ff.). Um einen irreführenden Gegensatz zwischen den beiden Titeln "Menschensohn" und "Gottessohn" zu vermeiden und die kosmische BedeutungJesu herauszustellen, haben Paulus und seine Schüler lieber vom "Menschen" als vom "Menschensohn" Jesus Christus gesprochen (vgl. so auch in 1. Tim 2,5f., wo Mk 10,45 Par. aufgenommen wird). Der "Mensch" Jesus ist der von Gott in die Welt gesandte Gottessohn, der die Sünder insgesamt vom Fluch des Gesetzes erlösen soll (GaI4, 4). Er steht Adam, dem Sünder, als gottgesandter Erlöser gegenüber (vgl. auch u. S. 170f.). Paulus bringt mit der Gegenüberstellung von Adam und Christus seine Erörte- B rungen über Sünde und Rechtfertigung zum Abschluß. Schon Abraham ist für den
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Apostel Stammvater aller Glaubenden (4,11 f.), aber erst von Adam aus läßt sich die Universalität der Rechtfertigung von Juden und Heiden durch den einen Gott 12 (3,28-30) vollends evident machen. Mit dem Rückgriff auf Adam als Stammvater und Schicksalsträger kann und will der Apostel einen wirklich alle Menschen betreffenden Sachverhalt zu Bewußtsein bringen. Die personale Geschichtsbetrachtung, die Paulus schon in Röm 4 im Blick auf den" Vater" Abraham geübt hat, wird in Röm 5, 12-21 fortgeführt und - typisch biblisch - zur sog. ätiologischen, d.h. begründenden, Geschichtsdarstellung ausgeweitet: Was von Adam gilt, gilt für alle. Im Blick auf den in Gen 3 geschilderten Sündenfall gilt, daß durch den einen Menschen die Sünde über die ganze (Menschen-)Welt gekommen ist. "Sünde" ist hier, in Röm 7,7ff. und auch sonst bei Paulus weit mehr als ein Einzelvergehen gegen Gottes Willen. Es handelt sich - wie bereits in Gen 3, 14 ff. angedeutet - um ein über den Menschen und seine WeIt kommendes tödliches Verhängnis. Einzelsünden, die Menschen begehen, sind nur Ausdruck dieser auf allen und allem lastenden Schuldverstrickung. In ihrem Gefolge ist der Tod zum Schicksal aller Menschen geworden. Der Zusatz "weil sie alle sündigten" zeigt, daß es für Paulus beim Tod nicht einfach nur um die kreatürliche Sterblichkeit ~~ht, sondern zugleich um den Ausschluß vom ewigen Leben als Folge der Sünde. Ahnlich wie syrBar 54, 19 (s.o.) meint auch Paulus, daß von Adam an alle Menschen auf ihre Weise an dem über sie gekommenen Schuldverhängnis der Sünde willentlich beteiligt sind und deshalb den Tod erleiden müssen. So deutlich der Apostel in 5, 12 H. in Sünde und Tod ein unausweichliches Menschheitsgeschick sieht, so wenig äußert er hier (oder anderweitig in seinen Briefen) den Gedanken des Erbtodes oder der Erbsünde. Diese Ansicht ist vor allem auf die Interpretation von Röm 5,12 in der lateinischen Kirche zurückzuführen. Hier hat man die lateinische Übersetzung des paulinischen "weil sie alle sündigten" mit "in quo omnes peccaverunt" relativisch verstanden und auf Adam bezogen = "in welchem sie alle gesündigt haben". Maßgeblich wurde vor allem die Auslegung des Kirchenvaters Augustin (354-430). Er geht davon aus, "daß alle in jenem ersten Menschen gesündigt haben, weil alle damals in ihm waren, als er sündigte, und daß von daher durch die Geburt die Sünde ererbt wird" (Contra duas Epistolas Pelagianorum IV 4,7). Paulus aber will nur darauf hinweisen, daß der Tod alle Menschen ereilt hat, weil sie alle (auf je ihre Weise) gesündigt haben. Für ihn ist Sünde Schicksal und zu verantwortende Tat zugleich. Sein Rechtfertigungsevangelium ist noch ohne die dogmatische Lehre von Erbsünde und Erbtod zu interpretieren, aber dabei ist die Aussageabsicht des Apostels zu bewahren. Er weist unmißverständlich darauf hin, daß mit und seit Adam Tod und Sünde für jeden Menschen unentrinnbar sind. Kein Mensch kann sich ihnen entziehen, und zwar auch nicht dadurch, daß er einzelne gute Taten des Gehorsams vollbringt. Diese Taten mögen in sich wertvoll und recht sein, aber gegen die überindividuelle Schuldverstrickung des Menschen richten sie nichts aus. Den in V. 12 begonnenen Vergleich zwischen Adam und Christus führt Paulus erst in V. 18ff. weiter. Er unterbricht die Gegenüberstellung, um zunächst auf die jüdisch und judenchristlich gleich naheliegende These einzugehen, das Gesetz 13 könne einen Ausweg aus dem adamitischen Schuldverhängnis weisen. In
5,12-21: Die Herrschaft der Gnade
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Weish 10,1-2 heißt es von der (sich im Gesetz manifestierenden) Weisheit: "Sie hat den Urvater der Welt ... aus seiner Sünde befreit und ihm die Kraft gegeben, über alles zu herrschen"; und in syrBar 85,3-4 lesen wir: " ... nichts haben wir jetzt, außer den Allmächtigen und sein Gesetz. Wenn wir also unsere Herzen zurechtmachen und in Stand setzen, so werden wir alles, was wir verloren haben, und viel Besseres, als was wir verloren haben, vielfältig wiedererlangen". Nach Paulus aber kommt das Gesetz vom Sinai viel zu spät, um helfen zu können, und es ist außerdem von Uranfang an zu schwach, um der Sünde zu wehren und zur Gerechtigkeit zu verhelfen (vgl. GaI3,21; Röm 7, 14ff.; 8,3). Das Schuldverhängnis der Sünde lastet bereits vor der Gesetzgebung am Sinai unentrinnbar auf aller Welt. Der einzige Unterschied zwischen der Zeit vor der Gesetzgebung und der danach ist, daß die Sünde erst seit dem Erlaß des Gesetzes jedem Menschen rechtskräftig auf sein (endzeidiches) Schuldkonto angerechnet wird (vgl. zu solcher Kontoführung Jes 65,6; Dan 7,10; äthHen 81,4; 89, 62ff.; 98,6ff.; 104,7; Offb 20, 12). Das Gesetz bringt also die Sünde juristisch auf den Begriff, aber es hilft nicht, sie zu überwinden. Vielmehr herrschte der Tod schon von Adam an bis zu Mose auch über diejenigen 14 Menschen, die nicht - wie Adam (vgl. Gen 2, 1M.) - ein klares Gebot Gottes übertreten hatten, sondern nur des Verstoßes gegen die von Gott in die Schöpfung gelegte Lebensordnung schuldig waren (vgl. Röm 1, 18ff. und syrBar 54, 17f., s.o. S. 35ff.); und die Herrschaft des Todes ist seither ungebrochen. Adam aber ist das Gegenbild des zukünftigen neuen Menschen,Jesus Christus, und dieser eröffnet das ewige Leben. - Ehe der Apostel den in V. 12 begonnenen Vergleich vollends durchführt, stellt er noch in zwei parallelen Sätzen (- V. 15 + 16) Adam und Christus kontrastierend gegenüber und bezieht anschließend in V. 17 die eben erwähnte Herrschaft des Todes in die Gegenüberstellung mit ein. Mit Adams Übertretung 15 und Fall verhält es sich anders als mit der Gnadengabe (Gottes in Christus). Durch den Fall des einen sind "die Vielen" unter die Herrschaft des Todes gelangt. (Der semitische Ausdruck "die Vielen", wie er z.B.Jes 53, 11 f. gebraucht wird, meint die unzählbare Menge und wird deshalb von Paulus in V. 18 zutreffend mit "alle" gleichgesetzt.) Die in der Gnade bestehende Gabe Gottes übertrifft die Wirkung des Falles Adams bei weitem. Sie wurde erwirkt im Opfergang des einen Menschen ( = Menschensohnes) Jesus Christus, der "nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele dahinzugeben" (Mk 10,45 Par. vgl. mit Jes 43,3 f.; 53, 11 f.). Die in diesem Opfergang beschlossene 16 Gabe Gottes geht von anderen Voraussetzungen aus und bewirkt mehr als Adams Sünde. Gottes Urteil über Adam führte zur Verurteilung aller Menschen als Sünder. Die Gnadengabe Gottes in Christus hat zwar die Sünde aller zur Voraussetzung, führt aber dennoch kraft des Sühntodes Jesu zur Rechtfertigung, die allen Glaubenden zuteil wird. Gottes Handeln in Christus ist in seiner Wirkung viel umfassender als Adams Fall: Der Tod ist durch den Fall Adams zur Herrschaft 17 gekommen, aber seiner Herrschaft zum Trotz werden diejenigen, die Gottes überreiche Gnade und die Gabe der (Glaubens-)Gerechtigkeit empfangen, durch Jesus Christus zur Herrschaft im ewigen Leben gelangen. An ihnen wird sich die von Jesus (in Lk 12,32; 22,28-30 Par.) gegenüber seinen Jüngern ausgesprochene Verheißung aus Dan 7,18 erfüllen; sie werden mit dem Menschensohn Jesus Christus
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1.18-8.39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden
die Welt richten und seine Herrschaft teilen (vgl. 1. Kor 6,2; 15,23; Offb 20,4).Nachdem Paulus auf diese Weise Adams Fall mit der jesuanischen Menschensohntradition in Beziehung gesetzt (und damit seine Rechtfertigungsbotschaft aufs neue in der den römischen Christen vertrauten Lehre verankert) hat (s.0.S.56.71), kann er den in V. 12 begonnenen Vergleich zwischen Adam und Christus zum Ziel führen. Wie es durch den Fall des Einen, d.h. Adams, für alle Menschen zur Verurteilung kam, so kommt es durch "die gerechte Tat" des anderen Einen, d.h. Jesu Christi, für alle Menschen zur Rechtfertigung, die das ewige Leben erschließt. Was gemeint ist, 19 erläutert gleich der nächste Satz: Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen Adam "die Vielen" (s.o.) vor Gott zu Sündern wurden, so werden durch den Gehorsam Christi vor Gott alle zu Gerechten. Vom Gehorsam Christi, in dem er den Kreuzestod auf sich nahm, spricht das Christuslied Phil2, 6-11 in eindrücklicher Weise (vgl. ferner Mk 14,32-42 Par. mit Hebr 5,7-10; 12,2). Christi Gehorsam eröffnet allen die Gerechtigkeit, weil der stellvertretende Sühnetod des gerechten Gottessohnes alle Sünder vom Fluch des Gesetzes befreit, sofern sie an Jesus Christus glauben (Gal3, 13; 4,5). Mit dem wiederholten "alle" und "die Vielen" von V. 18.19 hat Paulusdie Universalität der Rechtfertigung für Juden und Heiden 20 noch einmal deutlich herausgestellt (vgl. 3,20; 4, 11). Er kann nunmehr auch die in V. 13f. nur erst angeschnittene Frage nach der Funktion des Gesetzes im Zusammenhang mit der Rechtfertigung aufnehmen und beantworten: Das Gesetz verhilft nicht zur Gerechtigkeit. Wie zwischen Abraham und Christus (vgl. Ga13, 19 ff.) ist es auch zwischen Adam und Christus (am Sinai) nur "zwischenhineingekommen" . Die von Gott erlassene Weisung macht die Sünde gerichtlich einklagbar (V. 13) und läßt sie in ihrer ganzen Schwere erscheinen. Das formulierte Gebot Gottes steigert die Sünde zur bewußten und offenkundigen Feindschaft gegen Gott (7, 13; 8,7). Zur Überwindung der Sünde trägt es aber nichts bei. Für jüdische und judenchristliche Ohren ist dieser Satz ebenso hart wie die Formulierung von 3,20. Daß Paulus mit seiner Sicht das Gesetz als Gabe Gottes gerade nicht antasten, sondern nur verdeutlichen will, was es leistet und was nicht, hat er schon in 3,27.31 betont, und er wird es in 7,7-8, 17 noch einmal ausführlich herausstellen. Im jetzigen Zusammenhang kommt es ihm aber auf den Kontrast an. Gerade dort, wo das Gesetz die Sünde zur Feindschaft gesteigert hat, ist Gottes Gnade noch viel wirksamer in Aktion getre21 ten. Sie hat die Herrschaft der Sünde, die sich im Tod äußert, durch ihr eigenes Regiment überboten, und zwar durch die Gerechtigkeit, die den Glaubenden durch Tod und Auferweckung Jesu geschenkt wird und zum ewigen Leben führt (vgl. V. 17). Die Christen, die an J esus als ihren Versöhner und Herrn glauben, haben die Versöhnung empfangen und stehen unter der Herrschaft der Gnade Gottes. Statt noch länger unter das Verhängnis der Sünde gestellt zu sein und den Gerichtstod erwarten zu müssen, leben sie unter der Herrschaft Christi, der Gottes Gerechtigkeit verkörpert (1. Kor 1,30), und dürfen von der Hoffnung auf das ewige Leben erfüllt sein (vgl. V. 5). 18
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In 6,1-8,39: Die Gottesgerechtigkeit als Grund und Kraft des neuen Lebens Nachdem der Apostel seine Erörterungen über Sünde, Gesetz, Glaube, Gerechtigkeit und Versöhnung zu einem gewissen Abschluß gebracht hat, nimmt er nunmehr Stellung zu den Grundfragen des neuen Lebens, das die Christen unter der Herrschaft der Gerechtigkeit (6,13.18) zu führen haben. Im Hintergrund steht wieder die Kritik von (judenchristlichen) Gegenmissionaren am paulinischen Evangelium. Paulus entwickelt seine Argumentation in Kap. 6 von der Taufe her, geht in Kap. 7,1-8,17 ausführlich auf die Stellung der Christen zum Gesetz ein und skizziert ab 8, 18 die Perspektiven der Hoffnung, in der die um Christi willen leidenden Gerechtfertigten stehen. Die Hauptthemen von 6,1-8,39: Leben unter der Herrschaft der Gnade, Gesetz und Hoffnung, sind in 5,17.21; 5,13 f.20 und5,4.17 bereits vorgegeben.
1.6,1-23: Die Freiheit von der Macht der Sünde und der Dienst an der Gerechtigkeit Mit seinen Äußerungen über Rechtfertigung und Versöhnung in Kap. 5 hat Paulus sofort wieder jene Kritiker auf den Plan gerufen, die seine Verkündigung der christlichen Freiheit (Gal 5, 1) angreifen und dem Apostel bis nach Rom die Predigt der billigen Gnade gegenüber den Heiden vorwerfen (vgl. 3,8). Diese Einwände sind für den Apostel von solchem Gewicht, daß er sie in 6, 1 und 15 wieder direkt aufnimmt und ausführlich widerlegt. Er geht dabei von der in Rom herrschenden Anschauung von Taufe und Taufbekenntnis aus, um erneut zu demonstrieren, daß sein Evangelium mit der Lehre übereinstimmt, die den römischen Christen teuer Ist.
1.1 6, 1-14: Der Herrschaftswechsel in der Taufe 1 Was soUen wir nun sagen? "Laßt uns bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme!"? 2 Mitnichten! Wir, die wir der Sünde abgestorben sind, wie sollten wir noch in ihr leben? 3 Oder wißt ihr nicht, daß wir, die auf Christus Jesus getauft sind, in seinen Tod hinein getauft wurden? 4 Wir wurden zusammen mit ihm durch die Taufe in den Tod begraben, damit, gleichwie Christus von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln. 5 Wenn wir nämlich verbunden sind mit der Gleichgestalt seines Todes, werden wir es auch mit der (seiner) Auferstehung sein; 6 denn dies wissen wir, daß unser alter Mensch zusammen (mit ihm) gekreuzigt worden ist, um den Leib (der von) der Sünde (bestimmt ist) zu vernichten, so daß wir nicht mehr der Sünde dienen. 7 Denn wer gestorben ist, ist von der Sünde losgesprochen. 8 Wenn wir aber zusammen mit Christus gestorben sind, glauben wir, daß wir auch zusammen mit ihm leben werden, 9 denn wir wissen, daß Christus, auferweckt von den Toten, nicht mehr stirbt; der Tod ist nicht mehr Herr über ihn. 10 Sofern er gestorben ist, ist er für die Sünde ein für allemal gestorben, sofern er lebt, lebt er für Gott. 11 Ebenso erachtet auch ihr euch als tot für die
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Sünde und als lebendig für Gott in Christus Jesus. 12 Es herrsche also die Sünde nicht (mehr) in eurem sterblichen Leibe, um seinen Begierden zu gehorchen, 13 und stellt eure Glieder (auch) nicht (mehr) der Sünde als Waffen der Ungerechtigkeit zur Verfügung, sondern stellt euch Gott zur Verfügung als von den Toten Lebendige und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit für Gott. 14 Die Sünde soll keinesfalls mehr Herr über euch sein, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. A
Mit 6,1 beginnt Paulus einen neuen Gesprächsgang. Die Stichworte "Sünde", "Christus Jesus", "Gerechtigkeit", "herrschen" usw. zeigen freilich, daß der Apostel auf der Grundlage seiner Ausführungen in 5,12-21 argumentiert. - In V. 1 führt Paulus die aus 3,8 bekannte gegnerische These in neuer Formulierung an und stellt ihr in V. 2 seine eigene Gegenthese gegenüber. Diese Gegenthese erläutert er in V. 3-10, um sie in V. 11 zu bekräftigen. In V. 12-14 zieht er dann aus dieser Bekräftigung ermahnende Schlußfolgerungen. - In V. 3.6 und V. 9 erinnert Paulus die römischen Christen an die Taufe, die sie empfangen haben, und an das (anläßlich der Taufe von ihnen übernommene) Christusbekenntnis. Der Apostel kommt auf die Gestalt der in Rom anerkannten (Tauf-)Lehre in V. 17 noch eigens zu sprechen. Aber schon seine Formulierungen von V. 2 ff.: "der Sünde abgestorben", "auf den Tod Christi getauft", "mit ihm in den Tod begraben", "in der Neuheit des Lebens wandeln, wie Christus auferweckt wurde von den Toten", "mit (Christus) gekreuzigt" , .. Christus, auferweckt von den Toten" , "ein für allemal der Sünde gestorben" usw. lassen erkennen, um welches Bekenntnis es sich handelt. Es geht aller Wahrscheinlichkeit nach um jene Zusammenfassung des Taufunterrichts, die Paulus schon in 1. Kor 15,3 H. zitiert (und die ihrer alten Formulierung nach bereits auf die Jerusalemer Urgemeinde zurückzugehen scheint): "Christus ist für uns gestorben nach der Schrift und wurde begraben, und er ist auferweckt worden am dritten Tage nach der Schrift und ist dem Kephas (lOS Petrus) erschienen, danach den Zwölfen". Wie Paulusselbst haben auch die Christen in Rom dieses alte Lehr-Bekenntnis (anläßlich der Taufe) übernommen. Ebenso wie der Apostel, der die Taufe in Damaskus empfangen hat (vgl. Apg 9,10-19; 1. Kor 12,13), sind auch die römischen Christen "auf Christus Jesus", d.h. auf den Namen Jesu, getauft worden, in dem das ganze Heilswerk Gottes beschlossen ist (vgl. Apg 4,12). In ihrer Taufe haben sie am Geschick des Menschensohnes und an der Frucht seines Sühnetodes teilgenommen: Sie sind gestorben wie er, durch ihn entsühnt und können nun als "aus den Toten Lebendige" (V. 13) kraft des Hl. Geistes in der Neuheit des Lebens wandeln und auf die endzeidiche Teilhabe an der Auferstehungsherrlichkeit Christi hoffen. Paulus bestärkt die Römer in dieser Taufanschauung. Von einem schwärmerischen Taufverständnis, das Paulus angeblich in Röm 6,2 ff. in die Schranken verweist, wissen wir in Rom historisch nichts (vgl. Exkurs IX, u. S.90ff.). Der Text weist auf einen ganz anderen Sachverhalt hin. Weil Paulus seit seiner Antiochener Missionszeit bei der Taufe der Heiden auf die Beschneidung verzichtet und ihnen die Freiheit vom Gesetz verkündigt hat, ist seine Lehre seinen Gegnern verdächtig; mit seiner Taufpraxis leistet er ihrer Meinung nach in den Gemeinden der Sünde Vorschub und macht Christus zum alles verzeihenden "Diener der
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Sünde" (GaI2, 17). Paulus greift diese Vorwürfe auf und demonstriert, daß für ihn die mit der Taufe aufgerichtete Herrschaft der Gnade in den Dienst an der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Heiligung stellt (vgl. V. 19). Wie auch sonst im Römerbrief (vgl. 3,5; 4, 1; 7,7; 9, 14) führt Paulus mit der rhetorischen Frage "Was sollen wir nun sagen?" eine Behauptung ein, die er anschließend zurückweist. Die Behauptung geht offenbar auf Vorwürfe seiner" Verlästerer" (3,8) zurück. Sie stoßen sich an der die Christen scheinbar zur Gesetzlosigkeit verleitenden Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christus, wie der Apostel sie gerade eben erst wieder in Kap. 5 entfaltet hat, und unterstellen ihm böswillig die Lehre: ,Laßt uns bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme!' Paulus wehrt die ihm unterschobene Meinung ebenso deutlich ab wie in 3, 8 und stellt sich mit seiner Argumentation in der" Wir" -Form bewußt an die Seite seiner Adressaten: Wie sollten wir, die wir (durch Christus) der Sünde abgestorben sind, noch in ihr leben wollen!? Zum Beweis kommt er auf die Taufe zu sprechen, und zwar in der Form einer Erinnerung. Die Christen in Rom wissen doch wohl noch, daß Taufakt und Taufbekenntnis die Täuflinge ganz ihrem für sie gestorbenen und auferweckten Herrn zuordnen. Als Bekehrungs- und Erwachsenentaufe - die Kinder- oder Säuglingstaufe wurde z.Z. des Neuen Testaments kirchlich noch nicht allgemein geübt - kam die Taufe urchristlich einem echten Existenzwandel gleich. Der Täufling wurde in fließendem oder stehendem Wasser ganz untergetaucht und im "Bad der Wiedergeburt" (Tit 3,5) von seinen Sünden gereinigt (vgl. Apg 8, 36ff.; 22,16; Eph 5,26). In 1. Kor 6, 11 deutet Paulusden Taufvorgangauf AbwaschungvonSünden, Heiligung und Rechtfertigung durch den Namen des Herrn Jesus Christus und den Geist Gottes. Ganz ähnlich hier: Durch die Taufe gewinnen die Täuflinge Anteil an dem Christusgeschehen, wie es im Taufbekenntnis nacherzählt wird. Jesus Christus ist der messianische "Mensch"(ensohn)(vgl. oben zu 5, 15 H.), dessen Geschick alle Glaubenden betrifft, weil der Menschensohn nach Dan 7, 13.18.27 die "Heiligen des Höchsten", d.h. das Israel Gottes, insgesamt verkörpert. Folglich gilt für die Taufe auf den Namen des ChristusJesus: Sie gibt Anteil anJesu Sterben "für unsere Sünden", seiner Grablegung und seiner Auferweckung am dritten Tage (1. Kor 15,3-5). Die Täuflinge werden durch Jesu Sühnetod von ihrer alten Existenz unter der Sünde befreit und am Leben des für sie auferweckten Christus beteiligt. Die Christen sind durch ihre Taufe zusammen mit Christus in den Tod hinein begraben, um, ebenso wie er durch die herrliche Macht Gottes auferweckt wurde (vgl. 2. Kor 13,4), auch selbst aus der Kraft Gottes heraus in der Neuheit des Auferstehungslebens zu wandeln (vgl. ebenso 7,4.6). Der damit nur erst umschriebene Sachverhalt ist dem Apostel so wichtig, daß er ihn in zwei einander genau entsprechenden Satzgruppen, V. 5-7 und 8-10, weiter erläutert. Dabei setzt er seine Worte mit Bedacht: Wenn wir mittels der Taufe" verbunden worden sind mit der Gleichgestalt seines (d.h. Jesu) Todes, werden wir es auch mit der (seiner) Auferstehung sein". Zwar sind die Täuflinge nicht wie J esus selbst auf Golgatha gekreuzigt, nahe bei der Schädelstätte begraben und dort am dritten Tage von den Toten auferweckt worden (vgl. Mk 14,21-16,8 Par.), aber sie haben in ihrer Taufe Tötung und A uferweckung genauso erfahren wie ihr Herr. Anders als in 1. Kor 6, 11 und in Röm 8,30 (KoI2, 13; Eph 2,5f.) sagt Paulus in unserem Zusammenhang nicht einfach: Wir
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sind schon mit Christus auferweckt und verherrlicht, sondern er unterscheidet bewußt zwischen Glaubensleben und Auferstehungsexistenz und schreibt: Wir werden der Auferstehung noch teilhaftig werden wie er, bzw.: "Wir glauben, daß wir mit Christus leben werden" (V. 8). Der Grund für diese Formulierung liegt nicht (wie in Korinth, vgl. 1. Kor 10, 1-13) in der Sorge des Apostels, die römischen Christen könnten sich kraft ihrer Taufe bereits geistlich in die Auferstehungsherrlichkeit entrückt und damit aller irdischen Sorgen und Verpflichtungen ledig dünken, sondern in der Kritik seiner Gegner an der paulinischen Taufpredigt (s.o.). Auch im Römerbrief hält Paulus unbeirrt daran fest, daß die Christen durch Christus bereits gerechtfertigt und von Gott zur Verherrlichung an der Seite ihres Herrn bestimmt sind (vgl. 5, 18 ff.; 8,30). Aber er bemüht sich gleichzeitig darum, deutlich zu machen, daß ihnen aus ihrer Teilhabe anJ esu Tod und Auferweckung Verpflichtungen erwachsen. Die mit der Taufe über den Täuflingen errichtete Herrschaft der Gnade verlangt den Christen in ihrem Warte- und Werdestand zwischen ihrer Lebenswende im Glauben und der Wiederkunft Christi Taten der Bewährung und des Gehorsams ab. Der Apostel skizziert deshalb in unserem Kapitel gleichzeitig mit der Tauferinnerung auch die Grundzüge seiner Taufermahnung (die auch in 6 1. Kor 6,9f. schon angedeutet werden). Die Christen sollen sich daran erinnern, daß ihr altes Selbst mit Christus ans Kreuz geschlagen worden ist. Ihr alter, der Sünde preisgegebener und ergebener Leib hat an Christi Kreuz das Todesgericht erfahren, damit die Christen der Sünde nicht mehr dienstbar sein müssen. Vom "Leib" des Menschen spricht Paulus in seinen Briefen dann, wenn es um die Kommunikationsverhältnisse des Menschen im guten oder bösen Sinne geht, d.h. um das, was der Mensch anderen gegenüber anrichtet und ausrichtet. Mit dem der 7 Sünde ergebenen Leben hat es nach Paulus für die Getauften ein Ende. Eine verbreitete jüdische Sentenz lautet: "Alle, die sterben, erlangen durch ihren Tod Sühne" (Sifre Num § 112 zu Num 15,31). Paulus wendet diesen Grundsatz auf die Taufe an: Wer (mit Christus) gestorben ist, ist (kraft des Sühntodes Jesu) losgesprochen von der Sünde (zum Sprachgebrauch vgl. auch den griechischen Text von Sir 26,29; TestSim 6, 1; Lk 18,14). Der SühntodJesu befreit von der Sünde und vom Zwang, 8 sündigen zu müssen. - In den nachfolgenden Sätzen, die genau parallel zu V. 5-7 aufgebaut sind, begründet der Apostel seine Sicht noch einmal im Blick auf Jesus Christus: Wenn wir (in der Taufe) zusammen mit Christus gestorben sind, stehen 9 wir in der Glaubenshoffnung auf das ewige Leben an Jesu Seite (vgl. 5,17). Dieser Glaube ist begründet in dem Wissen, daß Christus durch Gott von den Toten auferweckt und damit der Herrschaft des Todes für immer entrissen worden ist. Die Christen vertrauen darauf, in dieses "für uns" geschehene Gotteshandeln (vgl. 4,24f.) einbezogen zu sein und auferweckt zu werden wie Jesus auch (vgl. 1. Thess 10 4,14). Der auferstandene Sohn Gottes ist der Sünde ein für allemal abgestorben. Die Sünde führt zum Tode des Sünders (5, 12); Jesus aber ist als Gerechter in Gehorsam gegenüber Gottes Willen gestorben (5,18); folglich hat die Sünde ein für allemal ihr Recht an Jesus verwirkt (Röm 8,3). Der Tod mußte Jesus freigeben für das Leben 11 vor Gott. Mit diesem Satz geht Paulus zur direkten Anrede der Christen von Rom über. Was für Jesus gilt, gilt ebenso für diejenigen, die in ihm sind und für die er gestorben ist: Die Christen sollen und dürfen sich als Geschöpfe Gottes verstehen,
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die wie Jesus dem Anspruch der Sünde gegenüber tot, aber für Gott neu lebendig geworden sind. In und durch Christus sind die Getauften "neue Geschöpfe" (2. Kor 5, 17). Ihre Aufgabe ist es deshalb, ihrem neuen Sein durch Taten des Gehorsams nun auch gerechtzuwerden. Paulus kennt die kirchliche Lehre von der "Erbsünde" noch nicht (s.o. S. 80). Aber ihm ist durchaus bewußt, daß die von der Sünde befreiten Christen zeit ihres irdischen Lebens versuchlich bleiben und in den Kampf mit der Sünde, den Begierden und den Mächten des Todes verwickelt sind. Wie Christus in den Himmeln noch gegen die widergöttlichen Mächte mit Einschluß des Todes kämpfen muß (1. Kor 15,25f.), sind auch die Christen auf Erden noch in den Kampf mit jenen Gewalten verwickelt. Deshalb ruft der Apostel die 12 Christen von Rom auf, den Herrschaftsansprüchen der Sünde auf ihren noch sterblichen Leib zu widerstehen und den Begierden des Leibes nicht zu willfahren. Wie verheerend die Begierden für die Heiden geworden sind und werden können, hat er in 1,24ff. (plakativ) ausgeführt (vgl. ferner Ga15, 16-21). Die Christen sollen ihre 13 Glieder, d.h. sich selbst in ihrer dienstfähigen Leiblichkeit, nicht mehr der Sünde als Waffen des Unrechts zur Verfügung stellen, sondern sie sollen sich - als durch Gott von den Toten ins neue Leben gerufene Geschöpfe! - Gott zur Verfügung stellen und Vorkämpfer der Gerechtigkeit sein, die Gottes Willen entspricht. Seit ihrer 14 Taufe auf Christi Namen hat die Sünde ihr Herrschaftsrecht gerade an den Getauften verwirkt. Sie leben nicht mehr unter dem todbringenden Schuldspruch des Gesetzes, das die Sünde juristisch auf den Begriff bringt und in ihrer U nüberwindbarkeit deutlich macht (5, 13.20), sondern unterstehen der von Jesus heraufgeführten und ausgeübten Herrschaft der Gnade Gottes (vgl. 5,21). 1.2 6, 15-23: Der Dienst an der Gerechtigkeit 15 Was nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen? Mitnichten! 16 Wißt ihr nicht: Wem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam zur Verfügung stellt, dessen gehorsame Sklaven seid ihr, entweder der Sünde zum Tode, oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit? 17 Dank aber sei Gott (dafür), daß ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid der Gestalt von Lehre, der ihr übergeben worden seid; 18 befreit von der Sünde, seid ihr zu Sklaven für die Gerechtigkeit gemacht worden! 19 Auf Menschenweise sage ich das wegen der Schwachheit eures Fleisches. Wie ihr nämlich eure Glieder als Sklaven der Unreinheit und Gesetzlosigkeit zur Verfügung stelltet zum Zweck der Gesetzlosigkeit, so stellt nun eure Glieder als Sklaven der Gerechtigkeit zur Verfügung zum Zweck der Heiligung. 20 Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr frei gegenüber der Gerechtigkeit. 21 Doch was für Frucht hattet ihr damals? (Früchte) über die ihr euch jetzt schämt, denn ihr Endergebnis (ist ) Tod. 22 Jetzt aber, da ihr befreit seid von der Sünde, aber zu Sklaven für Gott gemacht worden seid, habt ihr eure Frucht zur Heiligung, als Endergebnis aber ewiges Leben. 23 Denn der Sold der Sünde (ist) Tod, die Gnadengabe Gottes aber (ist) ewiges Leben durch Christus Jesus, unseren Herrn. Die Struktur des Abschnitts ist klar: In V. 15 wiederholt Paulus den Einwand A von 6, 1 und weist ihn in zwei Argumentationsgängen (V. 15-18 und 19-23) zurück, die inhaltlich z.T. parallel lauten. - In V. 17 sind die Worte: "Ihr seid von Herzen
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gehorsam geworden der Gestalt von Lehre, der ihr übergeben worden seid" z. T. als Randbemerkungeines späteren Abschreibers des Römerbriefes erklärt worden; der Textbestand in den ältesten und besten Handschriften des Römerbriefes bietet aber für diese Vermutung keinen Anhalt. Die Formulierung von V. 17 wird vielmehr sehr gut verständlich, wenn man bedenkt, daß bei der urchristlichen Mission den im Aufbau befindlichen Gemeinden ein gewisses Maß an ausformulierter Glaubenslehre vermittelt wurde, die für die Christen Richtschnur des Denkens und Lebens war. Paulus verweist auf solche apostolische Lehre in 1. Kor 11,23; 15,1-11. Was das Verhalten der Christen anbetrifft, erinnert er in 1. Thess 4, 1-3 daran, daß die Thessalonicher von ihm "überliefert bekommen haben, wie ihr wandeln und Gott gefallen sollt", und er fügt hinzu: "denn der Wille Gottes besteht in eurer Heiligung" . Dies klingt sehr verwandt mit Röm 6, 17 ff. An der von Paulus selbst "Evangelium" genannten Lehrüberlieferung von 1. Kor 15,3-5 hängen, wie er in 1. Kor 15,1-2 ausführt, Glaube und Heil der Christen von Korinth. Aus den Anspielungen in Röm 6,2 ff. ergab sich, daß dieselbe Überlieferung auch den Glauben der römischen Christen bestimmt (s.o. S.84). Der Vergleich von 6,17 mit 10,9f. führt zusätzlich auf Bekenntnisformulierungen wie 1. Kor 12,3 und Röm 4,25. Paulusspielt also in V. 17 auf die Glaubenslehre an, die den Christen von Rom im Taufunterricht von den Missionaren gelehrt worden ist, die das Evangelium vor Paulus nach Rom gebracht haben. Der Apostel kommt noch einmal auf die schon in 6, 1 (und 3,8) erwähnten Vorwürfe seiner Kritiker zu sprechen. Die ihm unterschobene Losung: "Laßt uns sündigen, weil wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen!" ist infam und theologisch absurd! Zur Widerlegung appelliert der Apostel zunächst an das Erfahrungswissen in Rom und wendet dies dann auf die Taufe an. Aus ihrer Anschauung der Sklavenmärkte und eigenen Erfahrungen mit der Sklaverei (vgl. zu 16, 10 f.) wissen die römischen Christen genau, daß ein Mensch, der sich in die Sklaverei verkauft, seinem Herrn strikten Gehorsam schuldet. (Selbstverkauf in die Sklaverei kam in Rom und anderswo durchaus vor, vgl. z.B. 1. Clem 55,2). Die beiden "Herren ce, die für die Christen angesichts der Taufe in Frage kommen, heißen "Sünde" und ,,(Glaubens-)Gehorsam", "Gerechtigkeit" (V. 18f.) oder "Gott" (vgl. V. 22). Wer Sklave der Sünde ist, erntet für sein Verhalten den Tod (5,21). Wer "Sklave des Gehorsams" wird, gewinnt Gerechtigkeit. Die seltsame Formulierung erklärt sich, wenn man an 1,5 und 15,18 denkt: Der Gehorsam, den Paulus meint, ist der Gehorsam des Glaubens. Er umschließt die Umkehr zu dem allein wahren Gott, die Annahme des Evangeliums und den Tatgehorsam der Liebe (s.o. S. 7tff.). Wie Paulus in Gall,23; 3,25 die ganze Heilsbotschaft in das eine Wort "Glaube" zusammenfaßt, stellt er hier den ganzen Weg der Christen unter das Vorzeichen "Gehorsam". Kraft ihres vom Evangelium durch den Hl. Geist geweckten Glaubensgehorsams werden die Christen der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig (vgl. 2. Kor 5,21; Röm 3,26). Gott sei Dank aber ist für die Christen von Rom die Alternative Sünde oder Gerechtigkeit nicht mehr offen. Die Frauen und Männer, die jetzt Christen sind, waren zwar einst Sklaven der Sünde und damit sicher dem Gerichtstod geweiht. Aber sie sind anläßlich ihrer Taufe "von Herzen", d.h. nach biblischer Anthropologie vom Grunde ihres menschlichen Wesens her (vgl. zu
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10,8 f.), einer Gestalt von Lehre gehorsam geworden, die ihnen Versöhnung und Rechtfertigung eröffnet (vgl. 5, 1.10f.). Bei dieser Lehre handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem um das "Evangelium", auf das Paulus in 1. Kor 15,1-11 zu sprechen kommt (s.o). Es ist den römischen Christen von ihren Missionaren vermittelt worden, oder noch besser: sie sind anläßlich ihrer Taufe dieser Lehre, die eine Macht darstellt (vgl. 1,18), "übergeben" worden. Das Evangelium erscheint hier in der Funktion einer lebens bestimmenden dogmatischen Autorität. Seit der Taufe bestimmt es das Leben der römischen Christen ganz. Paulus äußert Gott Dank dafür, daß er die Christen in Rom zum Glauben an die Lehre des Evangeliums bewegt hat. Indem er ausdrücklich sein Einverständnis mit dieser Lehre erklärt, legt er den Grund für die seinen Brief (in 16,17) beschließende Warnung, die Christen von Rom möchten sich vor jenen Leuten hüten, die "Spaltungen und Ärgernisse im Vergleich mit der Lehre bereiten, die ihr erlernt habt". Nicht der Apostel ist es, dem die römischen Christen mißtrauen müssen, sondern jene"Verlästerer" (3, 8), die ihm falsche Anschauungen unterschieben und damit Unruhe in die (Haus-)Gemeinden von Rom bringen! Zum Beschluß des ersten Argumentationsganges formuliert Paulus kraß und deutlich: Die Christen sind (durch Christus) befreit worden von der Macht der Sünde. Dies ist aber nicht geschehen, damit sie fortan einen Freibrief zum Sündigen hätten, sondern um in den Sklavendienst gegenüber der von Gott gewollten Gerechtigkeit gestellt zu sein (vgl. ähnlich 1. Petr 2,16). Der Apostel setzt nun zu einer zweiten, noch etwas differenzierteren Erklärung des Herrschaftswechsels an, den die Christen von Rom mit ihrer Taufe erfahren haben. Er argumentiert dabei mit dem für die Taufpredigt typischen Gegensatz von "einst" und "jetzt" und spricht von der "Heiligung", die den Getauften kraft des Sühnetodes Jesu zuteilgeworden ist und nun ihren Lebensweg bestimmt (vgl. zu beidem 1. Kor 6, 11). Um die von ihm bisher gelobten Briefempfänger (vgl. 1,8 und 7,1; 15,14; 16,19) mit der Erinnerung an das "Einst" nicht zu verletzen, beginnt Paulus mit der Bemerkung, er formuliere menschlich "wegen der Schwachheit eures Fleisches". Er erinnert an die Vergangenheit nicht aus Gründen der Kritik, sondern um die Versuchlichkeit der Gemeindegenossen bewußt zu machen (vgl. Mk 14,38 Par.). Die Heiligung ist die Überwindung dieser auch den Christen noch anhaftenden Schwäche. Einst haben die römischen Christen ihre Glieder der "Unreinheit" = Unsittlichkeit (vgl. 1,24) und der "Gesetzlosigkeit" anheimgegeben, d.h. einem Wandel, der mit Gottes Geboten nichts zu tun hatte. Das Ergebnis war gottloses, frevlerisches Tun. Daß der Apostel bei solcher Beschreibung in den Römern bekehrte Heiden sieht, ist angesichts von 1,18-32 und 1. Kor 6, 9f. offenkundig; Juden(-Christen) gegenüber argumentiert er anders (vgl. 2,1-24 und Ga12, 15ff.). Einst waren die römischen Christen gottlose Frevler, jetzt aber (d.h. seit ihrer Taufe) haben sie ihre Glieder der Gerechtigkeit überantwortet, die Gott selbst übt und seinem Volk anbefiehlt. Paulus trifft sich hier mit Mt 6,33 und steht ganz in alttestamentlich-jüdischer Tradition (vgl. Ps 15,2; Ez 18,5ff.; TestDan 6, 10). Ohne alle Sorge vor christlicher "Werkgerechtigkeit" mutet Paulus den getauften Christen einen gerechten Lebenswandel zu und bezeichnet als seinen Zweck die Heiligung. Der Lebenswandel in gottgefälliger Heiligkeit ist die
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mit der Taufe eröffnete Gabe und Pflicht der Christen (vgl. 1. Thess 4,3-8 und 1. Petr 1, 14ff.). Von Christus entsühnt und geheiligt, haben die Glaubenden nun als "Heilige" zu leben; Rechtfertigung und Heiligung durch Christus (1. Kor 1,30) führen zur Heiligung des Lebens, und dieses hat im Dienst an der Gerechtigkeit, die Gott liebt, sein ethisches Erkennungsmerkmal (vgl. ebenso: 1. Petr 2,24). Einst standen die Christen von Rom als Sklaven der Sünde nicht im Dienst der Gerechtigkeit. Aber ihr damaliges Treiben zeitigte dabei auch eine Frucht, derer sie sich nunmehr schämen und die ihnen im Ergebnis nur den Tod im Gericht einbrachte (vgl. 1,32). Jetzt aber, da sie vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit und durch Christus neu in den Dienst des gerechten Gottes gestellt sind, zeitigt ihr Leben Frucht, die zur Heiligung dient, und das Ergebnis heißt ewiges Leben an der Seite J esu (vgl. 5, 17). Die Heiligung selbst und das ewige Leben bleiben bei aller ethischen Anstrengung, die den Getauften abverlangt wird, doch Gabe Gottes (vgl. Phil2, 12f.). Die Sünde zahlt ihren Söldnern im Endeffekt nur mit dem Tod im Gericht, während Gottes Gnadengabe für die in seinem Dienst Stehenden in dem durch Christus Jesus vermittelten ewigen Leben besteht. Dieser vermittelt das ewige Leben, indem er für die Sünder in den Tod gegangen ist, als auferstandener Herr (im Geist) in den Glaubenden wirksam ist (vgl. GaI2,20) und für die Seinen vor Gott Fürbitte leistet bis hin zum Endgericht (8,33 f.). Mit dieser klaren Beschreibung des Lebens der getauften Christen als Dienst an der Gerechtigkeit, die Gottes Wille ist, hat Paulus den ihm von Galatien bis nach Rom nachspürenden Kritikern seiner Taufpredigt den Wind aus den Segeln genommen. Paulus verkündigt nicht die billige, sondern die anspruchsvolle Gnade Gottes!
Exkurs IX: Das Verständnis der Taufe Paulus erinnert in Röm 6, 1ff. die römischen Christen an ihre Taufe und gibt dabei selbst ein denkbar hohes Verständnis der Taufe zu erkennen. Bei der Taufe werden die Täuflinge der verbindlichen Lehre des von Gott offenbarten Evangeliums "übergeben" (6,17), und sie werden zugleich an Gabe und Auftrag des Evangeliums beteiligt. Die Taufe ist der symbolische Vollzug des Evangeliums an den Täuflingen. Paulus selbst wurde nach seiner Berufung zum Apostel in Damaskus getauft (vgl. Apg9,17f.; 1. Kor 12,13). Seither hatte er Gelegenheit, sich die Tauflehre und -predigt der christlichen Missionsgemeinden anzueignen. Seine langjährige Missionstätigkeit unter den Heiden und die intensive Wirksamkeit von Antiochien aus (vgl. Apg 11,25-15,35) machen es wahrscheinlich, daß die in den Paulusbriefen auftauchenden Taufformeln und -texte vor allem aus dem Bereich des antiochenischen Missionschristentums stammen. Es handelt sich um 1. Kor 6, 11; 12,13 (und GaI3,28; Ko13, 10f.); Röm 3,25f.; 4,25; 8,29; Ko13, 12f., die Rede und Anschauung vom Taufen "auf den Namen" Christi (1. Kor 1,13-15 vgl. mit Apg 2,38), von der Taufe als "Versiegelung" mit dem Hl. Geist (2. Kor 1,21 f.), ferner um das Taufbekenntnis und die grundlegende Glaubenslehre (1. Kor 12,3; 15,1 H.; Röm 6,17; 10, 9f.) sowie die Grundzüge der Tauf- und Bekehrungspredigt (1. Thess 1, 9f. vgl. mit Hebr 6,1 f.; 1. Kor 6,9-11; Eph 2, 1 ff.; Ko13, 1 ff. usw.). Auch den Taufakt in
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Form des Untertauchens in stehendem oder fließendem Wasser (vgl. Apg 8,36ff.; 1. Kor 10,2) hat der Apostel vollzogen wie die Missionare vor und neben ihm. Er bedeutet für ihn die Beteiligung an Jesu Tod und die Abwaschung der Sünden (1. Kor 6, 11; Röm 6,3 f.). Über den Ursprung der christlichen Taufe äußert sich Paulus nicht näher. Aber seine Verbindungen zu Petrus und den Lehrern in Antiochien machen es wahrscheinlich, daß er ihn sah wie sie auch: An der Wiege der christlichen Taufe stand zunächst Johannes der Täufer mit seiner Bußtaufe, die nicht nur die Evangelien (Mk 1,4ff. Par.), sondern auch der jüdische Schriftsteller Josephus (Ant 18, 116ff.) erwähnen. J ohannes übte seine Bußtaufe nicht zufällig in der Tracht des Propheten Elia (vgl. Mk 1,6 Par. mit 2. Kön 1,8) am Jordan. Nach der Prophetentradition entspricht der Jordan den Fluten des Schilfrneeres, das sich für Israels Durchzug öffnete (vgl. 2. Kön 2, 14 mit Ex 13,17-14,31). Bei der Johannestaufe wurden die Bußfertigen in die (den) Chaosfluten "ein- bzw. untergetaucht" und mit ihrem Wiederauftauchen in Reinheit vor den kommenden Gott gestellt (H. Gese). Paulus selbst deutet diesen heilsgeschichtlichen Entsprechungsvorgang in 1. Kor 10,1 ff. an. Jesus und einige seiner späteren Jünger (vgl. Joh 1,35ff.) haben sich der Johannestaufe unterzogen. Die Jesus dabei zuteilgewordene Geisterfahrung markiert den Beginn seines öffentlichen Wirkens als messianischer Gottes- und Menschensohn (vgl. Mk 1,9-11 Par.). Von seiner Taufe hat Jesus seinen Vollmachtsanspruch und Leidensauftrag hergeleitet (vgl. Mk 11,27-33 Par. und Mk 10,38; Lk 12,50); Jesu gesamtes Wirken kann auf diese Weise von seiner Taufe her verstanden werden. Für die Jesusjünger wurde Jesu Taufe mit Wasser und Geist zum Urbild der christlichen Taufe überhaupt. Aufgrund ihrer Wieder- und Neubegegnung mit dem Auferstandenen begannen sie im Rückblick auf die mit der Passion vollendete SendungJesu und ergriffen vom Hl. Geist, (in Entsprechung zur Taufe des Johannes) "auf den Namen Jesu Christi" zu taufen, d.h. auf das Werk und die gegenwärtige Wirksamkeit des gekreuzigten und auferstandenen Christus hin (vgl. Apg 2, 38ff.). Kraft dieser Taufe werden die Täuflinge von ihren Sünden gereinigt, mit dem Hl. Geist beschenkt und dem neuen Gottesvolk zugeordnet, das seinen Kern in der christlichen Gemeinde hat (vgl. Ez 36,24 ff.; Apg 2,41 ff.). Philippus spendete die Taufe sogar einem verschnittenen Äthiopier, der um seiner Versehrtheit willen nach jüdischer Anschauung kein vollwertiges Mitglied der Güdischen) Kultgemeinde werden konnte (vgl. Apg 8,26ff. mit Jes 56,3 ff.). Durch Petrus und antiochenische Missionare wurde die Taufe dann auch Heiden gewährt, ohne sie noch zur Beschneidung und Übernahme des mosaischen Gesetzes zu nötigen (vgl. Apg 10,44ff.; 11,20f.). Der in Antiochien für die Gemeindeglieder neu aufkommende Name "Christen" (Apg 11,26) verrät ein für das Verständnis der Taufe im Urchristentum grundlegendes Phänomen: Die Getauften wurden sehr rasch als "Christen" sowohl von den Juden als auch von den Heiden unterschieden. Mit der Taufe mußten sich die an Jesus Christus Glaubenden von ihren alten Bindungen und Verbindungen lösen. Sie traten in eine Glaubensgemeinschaft mit neuen Lebensdimensionen ein. Wahrscheinlich hat man auch in Antiochien zuerst erfahren und dann programmatisch formuliert, daß mit der neuen Christusbeziehung aller Gemeindeglieder die bisher gültigen und die
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Menschen voneinander trennenden religiös-sozialen Vorrechte und Benachteiligungen von Juden und Heiden, Sklaven und Freien, Männern und Frauen nicht mehr maßgeblich waren (vgl. GaI3,27f.; 1.Kor 12,13; KoI3,11). Die Taufe war für die "Christen" wirklich "das zentrale ,Datum' des Anfangs, das alles christliche Leben und Denken bestimmte" (U. Wilckens). Die Säuglings- und Kindertaufe stand auch bei der Taufe ganzer "Häuser", d. h. Familien (vgl. Apg 10,44.48; 11,14 H.; 16,15; 1. Kor 1,16), noch nicht als spezielle Aufgabe vor Augen. Paulus trat das Erbe dieser Tauftraditionen an. Auch er tauft "auf den Namen" des gekreuzigten und auferstandenen Christus (1. Kor 1, 13 ff.); auch für ihn reinigt die Taufe von Sünden und läßt den Menschen neu werden (1. Kor 6, 11; 2. Kor 5, 17); auch nach Paulus gewinnen die Täuflinge Anteil am Hl. Geist und werden als neue Menschen in die (Lebensgemeinschaft der) Heilsgemeinde eingegliedert, die er "Leib Christi" nennt (1. Kor 12,13). In 1. Kor 1,11 ff. kritisiert Paulus, daß sich in Korinth unter Berufung auf die Taufe und Lehre einzelner Apostel und Missionare Gruppen bilden, die miteinander streiten und wetteifern. In 1. Kor 10 warnt er die Korinther davor, sich um ihrer Taufe willen gegen Sünde und Verderben gefeit zu wähnen, läßt aber den seltsamen Brauch der stellvertretenden Taufe für die Toten (1. Kor 15,29) hingehen. Alle drei Male scheinen die Korinther doch noch gewisse religiöse Anschauungen aus ihrer heidnischen Vergangenheit und Umgebung auf ihr neu es Christentum übertragen zu haben. Ob sie sich dabei aber speziell an das Vorbild der weitverbreiteten heidnischen Mysterienvereine gehalten haben, wissen wir nicht. Über die Ansichten und Bräuche in den Mysterienkulten sind wir historisch nur bruchstückhaft informiert, und von einem speziellen Taufritus in den Vereinen wissen wir gar nichts! Die Anschauungen von der Einbeziehung der in die Mysterien Eingeweihten in das Sterben und Auferstehen der Mysteriengottheiten waren so verschieden, daß man von hier aus die christliche Taufe kaum allgemein als Anteilhabe am Geschick des gekreuzigten und auferstandenen Jesus hat deuten können. Diese Deutung ergibt sich viel einfacher und klarer aus der Christologie und Sühnetradition. Der Menschensohn vertritt das Gottesvolk der "Heiligen des Höchsten" insgesamt (vgl. Dan 7, 13.18.27). Christus ist als Menschensohn für "die Vielen" bzw. alle gestorben (vgl. Mk 10,45 Par.). Für Paulus sind Menschensohn, Sohn Gottes und neuer Adam untrennbar verbunden (vgl. Röm 5, 15ff.). Sein Sühntod am Kreuz kommt kraft der Taufe "auf seinen Namen" allen Täuflingen zugute. Unter diesen U mständen ist es verfehlt, die Korintherbriefe als Modell zu nehmen und überall in den griechischsprechenden Gemeinden ein speziell hellenistisches, zur Schwärmerei verleitendes Taufverständnis zu vermuten, das in der heidnischen Mysterienfrömmigkeit wurzelt und von Paulus kritisiert wird. Das gilt besonders für den Römerbrief. Hier ist die FrontsteIlung eine ganz andere als im 1. Korintherbrief: Paulus weist in Röm 6 eine judenchristliche Mißdeutung seiner eigenen Tauflehre zurück, ohne die römischen Christen in ihrer angestammten Taufanschauung zu korrigieren. Das spezifisch paulinische Verständnis der Taufe ergibt sich dadurch, daß der Apostel jene Rechtfertigungsaussagen hervorhebt, die bereits die ihm vorgegebenen Tauftexte (1. Kor 1,30; 6,11; Röm 3,25f.; 4,25 usw.) bestimmen. Paulus versteht die Taufe von dem ihm anvertrauten Evangelium her und betont, daß die
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Täuflinge in der Taufe Anteil an der Wirkung des Sühnetodes Jesu am Kreuz erhalten, durch ihn "geheiligt" und Christus als ihrem lebendigen Herrn und Versöhner zugeordnet werden. Bei der Taufe werden die Täuflinge einer Lehre überantwortet, die für sie lebensbestimmend ist; diese Lehre ist mit dem "Evangelium" von 1. Kor 15,3-5 identisch (vgl. Röm 6, 17). Taufe, Rechtfertigung und Heiligung bilden ein untrennbares Miteinander. Kraft der Taufe erhalten die Täuflinge Anteil an der Sühnekraft des Todes Jesu und werden in die Wirklichkeit eines schon heute und hier in der Gemeinde beginnenden, sich aber erst mit der Auferweckung der Toten und der ewigen Christusgemeinschaft vollendenden neuen Lebens gestellt. Die Glaubenden werden im Taufakt zusammen mit Christus gekreuzigt und in den Tod begraben (GaI2, 19; Röm 6,6). Der Geist des lebendigen Christus ergreift von den von ihren Sünden befreiten und "geheiligten" Täuflingen Besitz, so daß sie nunmehr, wie Paulus plastisch sagt, in Christus leben und er in ihnen (Gal2,20). Kraft dieses Geistes bekennen sie sich zu Christus als ihrem neuen Herrn (1. Kor 12,3; Röm 10,9), folgen gehorsam seinem Gebot (1. Kor 7, 19; GaI6,2) und sehen ihrer Endrechtfertigung und Beteiligung an Jesu Auferstehungsherrlichkeit in gewisser Hoffnung entgegen (1.Thess 4,14; Röm 8,28ff.; Phil 3,20f.). Mit der Taufe als dem Herrschaftswechsel zwischen Sünde und Gerechtigkeit, den Götzen und Christus, sind die Täuflinge zu "neuen Geschöpfen" geworden (2. Kor 5, 17), und sie leben fortan in gegenseitigem Mit- und Füreinander in der Gemeinschaft des Leibes Christi (1. Kor 12, 12ff.; Röm 12,3ff.). Paulus hat ein hohes Verständnis von der Taufe, und es kann keine Rede davon sein, daß er die Taufe zugunsten von Rechtfertigung und Glauben abwerten wolle. Die Hauptaufgabe des Apostels liegt zwar bei der Verkündigung des Evangeliums und nicht darin, mittels der Taufe eine "Pauluspartei" zu begründen (1. Kor 1,17). Das Evangelium aber ist für ihn lebendiges Wort Gottes (1. Thess 2, 13) und wirksame Gottesmacht (Röm 1,16); diese Gottesmacht ergreift im rituellen Vorgang der Taufe von den Täuflingen Besitz. Wie für Paulus selbst seine Berufung zum Apostel grundlegende Bedeutung besaß und er sich anschließend taufen ließ, so ist für jedes christliche Gemeindeglied die glaubenerweckende Begegnung mit dem Evangelium und die sich daraus ergebende Taufe das entscheidende Anfangsdatum des neuen Lebens im Glauben. Die Taufe feit nicht gegen Sünde und Gericht (1. Kor 10,1-11), aber sie gibt den Glaubenden, die im Gericht angeklagt werden und Verurteilung zu erwarten haben, bleibend das Recht, an Christus als ihren Versöhner und Fürsprecher zu appellieren (1. Kor 5,5; Röm 8,31 H.).
2. 7, 1-8, 17: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes und der neue Dienst im Geist
Daß der Apostel die billige Gnade verkündigt, kann man ihm nach seinen Ausführungen von Kap. 6 nicht mehr gut vorhalten. Aber die Frage, wie sich die Getauften zum Gesetz zu stellen haben, ist in 6, 14 nur erst indirekt beantwortet worden. Gerade sie aber war für seine judenchristlichen Kritiker das Hauptproblem. Paulus weiß das und geht deshalb in Kap. 7 und 8 in überaus kühner und eindrücklicher Argumentation auf dieses Hauptproblem ein. Wenn es ihm auch noch
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gelingen sollte, den Vorwurf seiner" Verlästerer" (3, 8), er wolle das Gesetz abschaffen (vgl. 3,31), so zu widerlegen, daß die Haltlosigkeit jenes Vorwurfs deutlich hervortritt, dann - so scheint es - hat er in Rom "gewonnen". Gelingt es ihm dagegen nicht, gegen die Kritik anzukommen, steht es um die Sache des Paulus in Rom schlecht. Denn dann kann der Apostel nicht auf die Unterstützung seiner SpanienMission durch die Christen in der Hauptstadt der antiken (Mittelmeer-)W elt rechnen, auf die er so sehr hofft (vgl. 15,24). Die Sorgfalt, mit der Paulus in 7,1-8,17 die Frage des Gesetzes behandelt, erklärt sich, wenn man bedenkt, was für ihn bei dieser Frage auf dem Spiel steht.
2.1 7, 1-6: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes 1 Oder wißt ihr nicht, Brüder - ich spreche ja zu Leuten, die sich mit dem Gesetz auskennen! - daß das Gesetz (nur) so lange über einen Menschen herrscht, als er lebt? 2 Denn die verheiratete Frau ist kraft Gesetzes an den Mann (nur) bei dessen Lebzeiten gebunden; wenn aber der Mann stirbt, dann ist sie entbunden von dem Gesetz des Mannes. 3 Folglich wird sie Ehebrecherin genannt, wenn sie zu Lebzeiten des Mannes einem anderen Mann angehört; wenn aber der Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz, so daß sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie einem anderen Mann angehört. - 4 Daher (gilt), meine Brüder: Auch ihr seid für das Gesetz zu Tode gekommen durch den Leib des Christus, um einem anderen anzugehören, (nämlich) dem von den Toten Auferweckten, damit wir Frucht bringen für Gott. 5 Denn als wir im Fleisch waren, da wirkten die durch das Gesetz (hervorgerufenen) Leidenschaften der Sünden in unseren Gliedern, um Frucht für den Tod zu bringen. 6 Jetzt aber, da wir dem gestorben sind, durch das wir festgehalten waren, sind wir entbunden vom Gesetz, so daß wir dienen im neuen Sein des Geistes und nicht (mehr) im alten Sein des Buchstabens. Vt'rs 3: Dtn 21.21-24.
A
Die Struktur der Argumentation ist folgende: Paulus stellt in V. 1 eine (sich mit 6,7 berührende) These auf, die er in V. 2 und 3 mit Hilfe eines Beispiels erläutert. In V. 4 zieht er aus V. 1 und 2 + 3 die Nutzanwendung, die er dann in V. 5 + 6 näher erklärt. Die Traditionen, mit denen der Apostel umgeht, sind uns teilweise schon bekannt: In V. 1 geht es wieder um das schon in 6, 7 verhandelte Verhältnis von Tod, Gesetz und Sünde. In 6,7 hat Paulus mit der jüdischen Tradition auf die Sühnewirkung des Todes Oesu) abgehoben (s.o.), jetzt geht es ihm um den von den Rabbinen aus Ps 88,6 entwickelten Grundsatz: "Wenn ein Mensch gestorben ist, ist er frei geworden von der Tora und von den Gebotserfüllungen" (babSchab 30a). Das in V.2 und 3 angeführte Beispiel entstammt ebenfalls der jüdischen Rechtstradition: "Die (verheiratete) Frau ... erwirbt ihre Freiheit auf zweifache Weise ... durch einen Scheidebrief oder durch den Tod des Ehemannes" (Mischna, Qid 1, 1). - In V. 5 und 6 argumentiert Paulus gegenüber den Christen von Rom mit den beiden Gegensatzpaaren (1) Fleisch und Geist und (2) Geist und Buchstabe. Beide Gegensatzpaare tauchen in den Paulusbriefen öfter auf: (1) Aus Ga15, 16-21 läßt sich klar
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ersehen, daß für den Apostel "Geist" und "Fleisch" zwei einander gegenüberstehende, den einzelnen Menschen und die christliche Gemeinde insgesamt bestimmende Lebens- und Machtbereiche darstellen. Die Gegenüberstellung von vergänglichem irdischem "Fleisch" und unvergänglichem "Geist" Gottes findet sich schon inJes 31,3 und ist dann vom Frühjudentum in hellenistischer Zeit noch weiter ausgearbeitet worden. In der jüdischen Apokalyptik treten vergängliche irdische Leiblichkeit und endzeitliehe himmlische Herrlichkeit in Gegensatz zueinander (vgl. äthHen 108,7-15); in der Weisheitstradition steht der sterblichen Existenz des "im Schoß der Mutter zu Fleisch geformten" Menschen (Weish 7, 1) der unvergängliche Geist der Weisheit als "Hauch der Kraft Gottes" gegenüber (Weish 7,25), und in den Qumrantexten ist die Rede von der zum Zeitpunkt des Gerichts von Gott bewirkten Läuterung des frevelhaften Fleisches durch den Heiligen Geist (vgl. lQS 4,20f. mit Ez 36,25ff.). Paulus kennt diese Überlieferung und sieht jeden Menschen in das Spannungsfeld zwischen irdischer Vergänglichkeit und himmlischer Herrlichkeit, Fleisch und Geist, gestellt. In Röm 8 wird er ausführlich auf diese Lebenssituation eingehen. (2) Bei dem Kontrastschema von Geist und Buchstaben geht es, wie 2. Kor 3 zeigt, um den Gegensatz von altem und neuem Bund (vgl.Jer 31,31 ff.). Der Herrschaft des Gesetzes im alten Bund steht die Herrschaft Christi und des Evangeliums im neuen Bund gegenüber. Das Gesetz führt zur Verurteilung und zum Tode, das Evangelium zur Gerechtigkeit und zum Leben (2. Kor 3,6ff.). Um diesen Gegensatz handelt es sich auch hier im Römerbrief. Die von Paulus in 7,1-6 gewählte Ausdrucksweise zeigt, daß es ihm weiterhin B um die Erklärung des Herrschaftswechsels geht, den die Christen mit ihrer Taufe erfahren haben. Die Stichworte "herrschen" in 6,9.14 und 7, 1; "freiwerden" und "frei sein" in 6, 18.20.22 und 7,3; "Sklave sein" und "dienen" in 6, 16ff. 22 und 7,6 lassen an der Zusammengehörigkeit von Röm 6, 1-23 und 7, 1-6 keinen Zweifel aufkommen. Der Apostel redet die römischen Christen eindringlich als "Brüder" und "Kenner des Gesetzes" an. Er tut dies nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch in Rom dürfte die Mehrzahl der zum Christentum übergetretenen Heiden aus dem um die Synagogen gescharten Kreis der sog. "Gottesfürchtigen" (s.o. S. 66) gekommen sein. Diese kannten von den jüdischen Gottesdiensten her Gesetz und Propheten ebensogut wie die Auslegung der Schriftgelehrten. Was die Kenntnis des Alten Testaments und seine jüdische Interpretation anbetrifft, standen sie bekehrten Juden wie Priska, Aquila u.a. (vgl. 16,3ff.) kaum nach. Der Apostel kann seine Adressaten deshalb ohne Probleme an einen (aus Ps 88,6 enwickelten) jüdischen Grundsatz erinnern: Der Herrschaftsanspruch des Gesetzes auf Befolgung besteht nur so lange, als ein Mensch lebt (s.o.). Auch mit dem von Paulus (in typisch jüdischem Lehrstil) zur Verdeutlichung des Gesagten herangezogenen Beispiel könnten die römischen Christen schon von ihrer Belehrung in den Synagogen Roms her vertraut gewesen sein: Eine verheiratete Frau darf sich ohne den Vorwurf des Ehebruches erst dann neu verheiraten, wenn ihr Mann gestorben ist. Der Apostel wählt gerade dieses Beispiel nicht zufällig. Wie aus 2. Kor 11,2 (und Eph 5,25ff.) zu ersehen ist, geht es darum, daß die Gemeinde der Christen nach dem Herrschaftswechsel in der Taufe ihrem neuen Herrn als "heilige Jungfrau" zugeführt und so für das Fest der messianischen Hochzeit (vgl. Mt 22,2-14; Offb 19,9) vorbereitet wird.
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Doch bleiben diese Anschauungen in unserem Gesprächszusammenhang im Hintergrund. Paulus kommt es in 7, 1-6 auf den Wechsel von der Herrschaft des Gesetzes zur Herrschaft des Christus an. Dies zeigt die "Nutzanwendung" des "Gleich.. nisses", die Paulus, für jeden Hörer und Leser des Briefes klar erkennbar, in V. 4 zieht: Wie in dem eben angeführten Beispiel ausgeführt, sind auch die Christen in der Taufe dem Herrschaftsanspruch des Gesetzes abgestorben, und zwar "durch den Leib Christi". Das heißt hier (wie in 1. Kor 11,24; Koll,22 und 1.Petr 2,24 auch): Durch die stellvertretende Lebenshingabe Jesu am Kreuz sind die getauften Christen aus der Herrschaft des Gesetzes befreit, so daß sie einem anderen Herrn angehören können, nämlich dem von Gott auferweckten und zu seiner Rechten erhöhten Herrn Jesus Christus. Unter seiner Herrschaft leben die Getauften, Paulus eingeschlossen, um für Gott "Frucht zu bringen". Der Ausdruck stammt aus der Mission und bedeutet, daß die Verkündigung des Evangeliums beherzigt, der von Christus neu aufgerichtete Wille Gottes befolgt und das missionarische Zeugnis in Wort und Tat vor der ungläubigen Welt gewagt wird (vgl. Mk 4,20; Lk 8, 15 und Koll, 10). Paulus schärft hier mit neuen Worten ein, was er schon in 6, 12-23 5 betont hat. Die folgenden beiden Verse bestätigen dies. In ihnen faßt Paulus noch einmal seine gesamte Sicht des Herrschaftswechsels zusammen. Die Gegenüberstellung von "einst" und "jetzt" in V. 5 und 6 entspricht dem Schema der Taufpredigt (vgl. 1. Kor 6,9-11 u.o. S. 91 f.). Einst lebten "wir" , d.h. die römischen Christen und Paulus, in der Machtsphäre des Fleisches; damals waren alle leiblichen Glieder von den sich in Tatsünden auswirkenden Leidenschaften (in 6,12 sagt Paulus: Begierden) beherrscht. Die Leidenschaften sind vom Gesetz also nicht etwa eingedämmt oder sogar unterbunden, sondern vielmehr provoziert worden! So hart sich diese Bemerkung auch in den Ohren der judenchrisdichen Gegner des Paulus (und aller derer, die mit ihnen in Rom sympathisierten) ausnehmen mochte, so wenig kann Paulus auf sie verzichten. Schon in Weish 2, 1-20 ist klassisch dargestellt, wie der Gerechte mit seiner Gesetzestreue die Frevler geradezu zum Unrechttun provoziert, und in 7,7 H. wird der Apostel denselben Sachverhalt am Beispiel des Gebotes Gottes aus Gen 2, 16 f. illustrieren. Daß das Gesetz die zu Sünden führenden Leidenschaften weckt und sie anschließend vor Gott als strafwürdig festschreibt (5,20), entspricht also biblischer Erfahrung. Von ihr weicht Paulus auch bei seinem Versuch, die römischen Christen vom sachlichen Recht seiner Verkündigung zu überzeugen, nicht ab. Das Ergebnis des Beherrschtseins der Glieder von den Leidenschaften bestand darin, daß dem (infolge der Sünden unvermeidlichen Gerichts-) 6 Tod tatkräftig zugearbeitet wurde (vgl. 6,23). Aber dieses Leben ist mit und seit der Taufe Vergangenheit. Denn "jetzt" sind die Christen (wieder mit Einschluß des Paulus) durch und mit Christus der Sünde und dem Gesetz, die sie gefangen hielten, abgestorben, so daß sie Gott dienen können in der neuen, vom Hl. Geist bestimmten Lebensweise (vgl. 2. Kor 5, 17; GaI2,20). Vom alten Sein unter dem durch die Gerichtsankündigung tötenden Buchstaben des Gesetzes (vgl. 2. Kor 3,6 H.) sind sie freigekommen. Der Apostel formuliert die letzten beiden Verse mit programmatischem Bedacht. Sie bilden den Aufriß für seine Darstellung in 7,7-8,17. V.5 wird in 7,7-25a weiter entfaltet, während V. 6 als Inhaltsangabe über 8,(1)2-17 zu setzen ist.
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Was das Gesetz ist und wie die Christen zum Gesetz stehen (und sich stellen sollen), kann man nach Paulus erst von der Taufe her wirklich sehen und sagen. Die Zeit vor der Taufe und nach der Taufe sind dabei sorgsam zu unterscheiden.
2.2 7,7-25a: Gesetz und Sünde Vom Beginn des Römerbriefes an ist Paulus bemüht, die von seinen Gegnern (auch) unter den römischen Christen verbreitete Behauptung zu widerlegen, er verkündige ein den Wünschen und Schwächen der Heiden angepaßtes Evangelium. Den Hauptanstoß an der paulinischen Lehre bot die Kritik des Gesetzes. Hält man sich einige polemische Spitzensätze des Galaterbriefes vor Augen: "Christus hat uns losgekauft vom Fluch des Gesetzes" (GaI3, 13); das Gesetz ist erst vierhundertunddreißigjahre nach der an Abraham ergangenen Verheißung am Sinai erlassen worden, und zwar "um der Übertretungen willen" (Gal3, 17.19); das Gesetz vermag nicht lebendig zu machen (Gal3,21); und nimmt man zu ihnen noch den Satz aus 1. Kor 15,56 hinzu: "Das Gesetz ist die treibende Kraft der Sünde", kann man die Gegner des Paulus ein Stück weit verstehen. Ihre Behauptung, Paulus stelle Gesetz und Sünde auf eine Ebene (Röm 7,7), erscheint nicht einfach aus der Luft gegriffen! Auch die bisherige Argumentation zum Gesetz im Römerbrief löst das Problem noch nicht. Der Apostel hat zwar mit Nachdruck erklärt, er wolle mit seiner Glaubensverkündigung das Gesetz als Maßstab des Gerichtes (2, 12ff.), als Schriftzeugnis (3, 21) und als von J esus erfüllten Gotteswillen nicht abschaffen, sondern aufrichten (3,31); aber hart daneben stehen seine für Juden und Judenchristen nach wie vor schwer erträglichen Feststellungen, Werke des Gesetzes führten vor Gott nicht zur Rechtfertigung, vielmehr käme es durch das Gesetz nur zur Erkenntnis der Sünde (3,20, vgl. Gal2, 16), das Gesetz erwirke das Zorngericht Gottes (4,15), es sei zwischen Adam und Christus hereingekommen, um die Sünde zu steigern (5,20), und die Christen seien kraft ihrer Taufe der Sünde und dem Gesetz abgestorben (6, 14; 7,6). Schon logisch scheint das nicht aufzugehen: Wie kann man gleichzeitig im Glauben das Gesetz aufrichten und das Ende seiner Herrschaft proklamieren wollen!? Angesichts dieser höchst komplizierten Gesprächslage hat Paulus allen Anlaß, auf den gegen ihn erhobenen Vorwurf, er stelle Gesetz und Sünde praktisch gleich, ausführlich einzugehen und Klarheit in jenen Widerspruch zu bringen. Was dabei herauskommt, ist eine "Apologie des Gesetzes" (W.G. Kümmel), die der Apostel in 8,2 ff. zu der Lehre steigert, Christus führe die Glaubenden kraft des Geistes zur Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes. Von der Argumentationsstruktur her läßt sich die paulinische "Apologie des Gesetzes" folgendermaßen gliedern: In V. 7 und V. 13 werden jeweils Fragen angeführt, die sich an die paulinische Lehre stellen. Paulus beantwortet sie beide Male negativ und skizziert in V. 7-12 das Verhältnis von Sünde und Gesetz und in V. 13-25 die Ausweglosigkeit, in die das adamitische Ich angesichts von Sünde und Gesetz gestellt ist.
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2.2.17,7-12: Die Verkehrung des Gesetzes zum Werkzeug der Sünde 7 Was sollen wir nun sagen? Das Gesetz ist Sünde? Mitnichten! Sondern: Ich hätte die Sünde nicht erkannt außer durch das Gesetz. Denn die Begierde hätte ich nicht kennengelemt, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: "Du sollst nicht begehren." 8 Die Sünde ergriff (ihre) Gelegenheit durch das Gebot und wirkte in mir jegliche Art von Begierde. Denn ohne Gesetz ist die Sünde tot. 9 Ich aber lebte einst ohne Gesetz, als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf, 10 ich aber starb, und es wurde mir das zum Leben (gegebene) Gebot, genau dieses, erfunden (als ein Gebot) zum Tode. 11 Denn die Sünde ergriff (ihre) Gelegenheit durch das Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe. 12 Folglich ist das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut. Vers
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7:
Ex 10,17; Dtn 5,11;
Vers 8-11: Gen 3,1-14;
Vers 9: Gen 1,16/
Wie wir bereits gesehen haben, ist 7, 5 als .. Überschrift" und Inhaltsangabe von 7,7-12 (+7, 13-25 a) anzusehen. Der Apostel schildert den Stand der Christen vor der Taufe, und zwar mit speziellem Blick auf die Begegnung mit dem Gesetz Gottes. Die an ihn gestellte kritische Frage, ob das Gesetz mit der Sünde zu identifizieren sei, wird in V. 7 zurückgewiesen und durch die Feststellung korrigiert, das Gesetz mache die Sünde erkennbar. Diese Feststellung wird dann mit Hilfe von drei jeweils mit "denn" beginnenden Begründungssätzen (Y.7b, 8b-l0 und 11) nähererläutert und in V. 12 daraus die Folgerung abgeleitet, daß das Gesetz ganz und gar nicht mit der Sünde gleichzusetzen, vielmehr heilig, gerecht und gut sei. Für seine Argumentation greift Paulus, wie schon in Röm 5,12-21, auf die Adamsüberlieferung zurück, und zwar so, daß "in dem ego (= Ich) von Röm 7,7 ff. Adam von Röm 5,12 ff. seinen Mund (bekommt)" (G. Bornkamm). Auf diese Weise kann sich jeder Mensch, der Adam ist, in der Rede des Ich von Röm 7,7-24 wiederfinden: " ... wir alle sind ein jeder für sich selbst zum Adam geworden", heißt es in der Baruchapokalypse (54,19). Paulus nimmt dieses Eingeständnis auf und bedient sich bewußt der jeden Menschen einbeziehenden Ich-Form der Rede. Sie ist uns biblisch aus dem Psalter (z.B. Ps 22; 51; 130), frühjüdischen Bußgebeten (s.u.), aus Weisheitstexten (z.B. Weish 9) und den Schriften Philos von Alexandrien (Som 117M.) bekannt. Paulus gebraucht diese Redeform auch sonst gelegentlich in seinen Briefen (vgl. 1. Kor 13). Das Ich Adams ist die einzige biblische Gestalt, von der gesagt werden kann, sie habe einst ohne das Gesetz gelebt, dann erst sei das Gebot gekommen (7,9), und die Sünde habe dieses Gebot zum Anlaß genommen, "mich" zu verführen und dem Tode zu überantworten (7, 11). Dabei stehen Gen 2 und 3 vor Augen, und zwar so, wie sie in der frühjüdischen Schriftauslegung, in der Paulus selbst ausgebildet worden ist (vgl. Apg 22,3), verstanden wurden. Zunächst gilt das mit der Schöpferweisheit identifizierte Gesetz (Sir 24; Bar4, 1; Mischna Ab3, 14) als lange (nach Tg Noofl zu Gen 3,24: zweitausend Jahre) vor der Weltenschöpfung erschaffen. Dann liegen zwischen der Schöpfung Adams, seiner Überbringung in den Paradiesesgarten und dem Erlaß des Gebotes von Gen 2, 1M. noch einmal ganz bestimmte Fristen Oub 3, 9ff. sprechen von 40 bzw. 80 Tagen). Schließlich ist das eine Adam und Eva gegebene Gebot Inbegriff des ganzen Gesetzes. Im Targum Neofiti I zu Gen 2, 15
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heißt es: "Und Gott der Herr nahm den Menschen und ließ ihn wohnen im Garten Eden, damit er Dienst tue nach dem Gesetz und seine Gebote befolge", und Gen 3,22 wird im selben Targum so kommentiert: Hätte Adam "das Gebot des Gesetzes bewahrt und seine Gebote eingehalten, würde er leben und wie der Lebensbaum in Ewigkeit bestehen bleiben". Dieselbe Sicht vertritt das TargumJer I zu Gen 2,15; 3,9.22, und sie läßt sich über das "Leben Adams und Evas" 32 + 37, Josephus (Ant 1,41-47) und die Esraapokalypse (vgl. 4Esr 3,7 + 7, 11) bis hin zu Andeutungen in den Schriften Philos von Alexandrien, eines älteren Zeitgenossen des Paulus, zurückverfolgen (vgl. vor allem LegAll I 90-97). Daß Paulus diese Auslegung gekannt hat, ist nach alledem sehr wahrscheinlich. Als Musterbeispiel für das dem ersten Menschenpaar zur Bewahrung gegebene Gebot (Gesetz) zitiert Paulus in 7, 7 den Eingang des (neunten und) zehnten Gebots: Ex 20,17 (Dtn 5,21); das letzte der zehn Gebote steht dabei zusammenfassend für die ganze Reihe. Entsprechend ist mit der "Begierde" keineswegs das sexuelle Begehren allein, sondern der "Anfang aller Sünde" (ApkMos 19; vgl. Gen 3,22) und das begehrliche Trachten nach all den Gütern gemeint, die das (neunte und) zehnte Gebot aufzählt. Aus kritischen Äußerungen des Apostels zum Gesetz bis herein in den Römerbrief haben seine Gegner gefolgert, er setze Gesetz und Sünde praktisch in eins und mache so aus Gottes guter Gabe ein Mittel des Todes (V. 13). Für einen Juden ist diese Anschuldigung besonders bitter, weil sie ihm den Anteil an der zukünftigen Welt verwehrt (vgl. Mischna, Sanhedrin 10,1, s.o. S. 62). Paulus weist den Verdacht denn auch weit von sich. Worum es ihm geht, ist ein ganz anderer Sachverhalt: Gottes Gesetz ist gut, aber es war und ist zu schwach, um der Sünde zu wehren; es bringt zwar die Sünde zu Bewußtsein, aber es hilft dem Menschen nicht, von ihr loszukommen. Das Beispiel Adams zeigt dies. Er hätte mit der Sünde niemals Bekanntschaft gemacht, wenn ihm das Gesetz nicht vorgeschrieben hätte: "Du sollst nicht begehren!" (Ex 20, 17 und Dtn 5,21). Die "Begierde" meint hier das widergöttliche Begehren überhaupt und nicht nur die sexuelle Gier (s.o.). Entsprechend fährt Paulus fort: "Die Sünde ergriff ihre Gelegenheit durch das Gebot und wirkte in mir jegliche Art von Begierde". Während in der frühjüdischen Auslegung von Gen 3 z.T. intensiv über das Wesen und Treiben des Versuchers in Gestalt der Schlange reflektiert und berichtet wird (vgl. z.B. Leben Adams und Evas 9ff.; ApkMos 17ff.), spricht Paulus in knapper theologischer Abstraktion nur von der dämonischen Erscheinung "der Sünde" , die das göttliche Gebot benutzt, um den Menschen zur Übertretung des Gotteswillens zu verführen. Ohne das Gebot bzw. Gesetz (s.o.) hat die Sünde anfänglich noch keine eigene Lebenskraft. "Ich", d.h. Adam, lebte einst vor Gott ohne Gesetz und ohne Sünde; Paulus denkt und lehrt hier wie die frühjüdische Adamsüberlieferung auch (s.o.). Erst als das Gebot von Gott her auf den Plan trat, lebte die Sünde auf, und zwar weil sie sich des Gebotes schmarotzerhaft für ihre Zwecke bedienen konnte. Die Folge war, daß "ich" zu Tode kam und daß ausgerechnet das zum Schutz des Lebens im Paradies aufgestellte Gebot Gottes "mir" (= Adam) nunmehr zum Tode gereichte. Die Sünde verführte "mich" mit Hilfe des Gebotes zur Gebotsübertretung (vgl. 5,14), so daß dieses Gebot Adam (und Eva) nun nicht mehr vor dem Tode schützen kann, sondern sie als Gesetzes-
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brecher brandmarken und vom Leben ausschließen muß. Daraus ergibt sich eine erste Schlußfolgerung: Gottes Gesetz (in Gestalt seines Gebotes) ist seinem Ursprung und seiner Abzweckung nach heilig und gerecht und gut. Anders als seine Gegner behaupten. ist das Gesetz als solches für Paulus keineswegs eine sündhafte Macht. sondern vielmehr Setzung und Gabe Gottes!
2.2.27, 13-25a: Die Herrschaft der Sünde mittels des Gesetzes 13 ,Das Gute gereichte mir also zum Tode'? Mitnichten! Vielmehr erwirkte mir die Sünde, um als Sünde zu erscheinen, durch das Gute den Tod, damit die Sünde über alle Maßen frevelhaft werde durch das Gebot. 14 Wir wissen ja, daß das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde. 15 Denn was ich erwirke, erkenne ich nicht. Denn nicht das, was ich will, führe ich aus, sondern das, was ich hasse, tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, daß es gut ist. - 17 Nun aber erwirke ich das nicht, sondern die in mir wohnende Sünde. 18 Ich weiß ja, daß in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Denn das Wollen steht mir (zwar) zur Verfügung, das Erwirken des Guten aber nicht. 19 Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern was ich nicht will, das Böse, das führe ich aus. 20 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, erwirke das nicht mehr ich, sondern die in mir wohnende Sünde. - 21 Ich entdecke also das Gesetz, daß mir, der ich das Gute tun will, (nur) das Böse zur Verfügung steht. 22 Ich stimme nämlich dem Gesetz Gottes nach meinem inneren Menschen freudig zu. 23 Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern dem Gesetz meiner Vernunft widerstreiten und mich gefangen. nehmen durch das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen aus diesem Todesleib? 25 Dank aber sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! A
Auch unsere Verse stehen noch unter der Überschrift von 7,5. In 7, 13-16 wird, parallel zu 7,7-12,die kritische Frage von V. 7 im Blick auf das Ich unter dem Gesetz erneuert, anschließend wieder verneint und durch die These korrigiert, daß es die Sünde ist, die mittels des Guten (= des Gebotes) dem Ich den Tod erwirkt. V. 14 und 15 begründen diese Sicht, und in V. 16 wird (wie schon in V. 12) bestätigt, daß das Gesetz gut ist. - V. 17 setzt von da aus neu an und spricht thetisch vom Wirken der Sünde in dem ihr verfallenen Ich. V. 18f. begründen diese Schilderung, so daß in V. 20 bekräftigt werden kann, was in V. 17 behauptet wurde. - Wie die Folgerungspartikel "also" zeigt, skizzieren die Verse 21-24 im Sinne einer abschließenden Schlußfolgerung aus V. 7-12 und 13-20 die ausweglose Situation des Ich, das zwar "dem Gesetz Gottes" (V. 22) freudig zustimmt und folgen möchte, aber durch die Sünde daran gehindert wird. Der Dankruf in V. 25a markiert die erlösende Wende. Die von Paulus angesprochene Preisgegebenheit des Menschen an das Böse und der Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen ist zwar der griechischen und lateinischen Dichtung von Euripides (Hipp 358 f. 375 ff.) bis hin zu Ovid (Metam VII, 17 H.) wohlbekannt. Aber erst in jüdischen Bußtexten wird sie bis zur Erkenntnis der radikalen Verfallenheit des Menschen an das Fleisch und sein Unvermögen
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gegenüber dem Willen Gottes gesteigert. V gl. z. B. 1QS 11, 9ff.: ..... ich gehöre zur ruchlosen Menschheit, zur Menge des frevelnden Fleisches. Meine Sünden, meine Übertretungen, meine Verfehlungen samt der Verderbtheit meines Herzens gehören zur Menge des Gewürms und derer, die in Finsternis wandeln. Denn [klein Mensch [bestimmt] seinen Weg, kein Mensch lenkt seinen Schritt; sondern bei Gott ist die Gerechtigkeit und aus seiner Hand [kommt] vollkommener Wandel ... "; oder 4Esr 3, 19-22: Am Sinai gab Gott Israel vom Himmel her Gesetz und Gebote. "Aber du nahmst das böse Herz nicht von ihnen, daß dein Gesetz in ihnen Frucht trüge. Denn um seines bösen Herzens willen geriet der erste Adam in Sünde und Schuld, und ebenso alle, die von ihm geboren sind. So ward die Krankheit dauernd: das Gesetz war zwar im Herzen des Volks, aber zusammen mit dem schlimmen Keime ( = bösen Trieb). So schwand, was gut ist; aber das Böse blieb"; und-direkt an 7,21-24 erinnernd - 4Esr 9,36f.: " ... wir, die das Gesetz empfangen, müssen wegen unserer Sünden verloren gehen samt unserem Herzen, in das es getan ist; das Gesetz aber geht nicht verloren, sondern bleibt in seiner Herrlichkeit." Paulus artikuliert Erfahrungen mit dem Gesetz und der Sünde, die weder seinen ehemals jüdischen noch heidnischen Adressaten gänzlich fremd gewesen sind. Der für die Bußklage charakteristische präsentische Aussagestil von V. 14-24 hat sein Vorbild z.B. in Ps 22; 51; 69; er lädt zum Nachsprechen der Verse förmlich ein. Daß der Apostel sich um Verständlichkeit bemüht, zeigt auch die von 2. Kor 4, 16 her bekannte, in Röm 7,22 ff. neu aufgenommene Unterscheidung zwischen "innerem" und "äußerem" Menschen, (geistgelenkter) "Vernunft" und schwachem "Fleisch" bzw. "Todesleib". Bei Philo von Alexandrien wird der Gegensatz zwischen beiden ebenfalls scharf herausgearbeitet (RerDivHer 267ff.). Philo und Paulus nehmen damit in einer auch für ihre griechischsprechenden Zeitgenossen verständlichen Sprache die frühjüdische Lehre auf, daß in jedem Menschen "der gute Trieb" und "der böse Trieb" um die Vorherrschaft streiten (vgl. TestJud 20, 1 ff.; TestAss 1,3f.). Der böse Trieb will den Menschen verführen, den Weg des Bösen zu gehen, während der gute Trieb, von der im Gesetz offenbar werdenden Weisheit dazu angeleitet, den Menschen vor dem Bösen bewahren und auf gutem Wege führen will. In Röm 8,6f. spricht Paulus in diesem Sinne vom "Trachten des Fleisches" (= böser Trieb) und "Trachten des Geistes" (= guter, von Christus bestimmter, Trieb). - Interessanterweise erinnert Paulus in unserem Zusammenhang auch ausdrücklich an die jüdische "Freude am Gesetz", von der z.B. Ps 119 spricht. Bei der Charakteristik des Ich in Röm 7,7-25 hat er also den Juden im Blick und nicht den Heiden. Was der Apostel aber aus eigener bitterer Erfahrung heraus (vgl. Gall, 13-17; PhiI3,4-11) nicht mehrfesthält, ist die auch von ihm einst geteilte frühjüdische Hoffnung, daß Umkehr und angestrengtes Bemühen um das von der T ora geforderte Gute den Menschen doch von der Macht der Sünde befreien können (vgl. z.B. Sir 17,11 ff. 25ff.). Paulus sieht anthropologisch tiefer als es Sir 15,11-15 und die pharisäischen Psalmen Salomos tun, die in 9,4f. formulieren: "U nser Tun (geschieht) nach unseres Herzens Wahl und Willen, daß wir Recht und Unrecht tun mit unserer Hände Werk, und in deiner Gerechtigkeit suchst du die Menschenkinder heim. Wer rechtschaffen handelt, erwirbt sich Leben beim Herrn, und wer Unrecht tut, verwirkt sein Leben in Verderben, denn die Gerichte
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des Herrn sind gerecht gegenüber Mensch und Haus." Während Jak 1, uff. dies christlich aufnimmt, betont Paulus wesentlich radikaler, daß das adamitische Ich ohne Christus ausweglos in der Sünde verstrickt bleibt. Um die Unterscheidung von Gesetz und Sünde unzweideutig herauszustellen, nimmt Paulus die Frage von V. 7 noch einmal auf. Gereicht mir Gottes gute Weisung zum Tode? Wieder lautet die Antwort: Mitnichten! Vielmehr ist die Sünde auf den Plan getreten, und sie ist die eigentlich todbringende Macht. Indem sie durch den Mißbrauch von Gottes Gebot Adam (und Eva) den Tod erwirkt hat, ist sie in ihrer ganzen frevelhaften Dämonie offenbar geworden. Paulus entwickelt hier erneut einen Begriff von Sünde, der wie in 5, 13 f. weit über die (Heiden und Juden gleich geläufige) Anschauung hinausgeht, Sünde sei nur die verantwortlich begangene Untat eines Menschen. Die Sünde hat sich des Gesetzes (Gebotes) Gottes parasitär bemächtigt; mittels der Weisung Gottes hat sie sich widergöttliche Macht verschafft und beherrscht auf diese Weise alles und jeden. - Im folgenden geht es Paulus nun darum, die Situation des Ich unter der Sünde angesichts des Gesetzes illusionslos offenzulegen, und zwar so, daß sich seine Leser (Hörer) in ihrer Glaubensund Lebenserfahrung angesprochen sehen; seine Hauptabsicht, Sünde und Gesetz zu unterscheiden, verliert der Apostel dabei nicht aus dem Blick. Im Gegenteil. Er appelliert wie in 7, 1 an die Kenntnis, die die Christen von Rom aus ihrem Glaubensunterricht besitzen, und formuliert mit dem von 7,5 f. her bekannten Gegensatz von "Fleisch" und "Geist". Das Gesetz gehört seinem Ursprung und seiner Absicht nach der Welt Gottes an; es ist "geistlich". Auch wenn und wo es von der Sünde mißbraucht wird, verliert es seinen heiligen Charakter als Wort Gottes nicht. Ihm steht aber das Ich gegenüber, da'" fleischlich, d.h. vergänglich und versuchlieh, und an die Sünde wie eine Sklavenhaltermacht verkauft ist (vgl. Ga13, 22 f.). Mit der Aussage, das Gesetz sei "geistlich", hat der Apostel die Schlußfolgerung von V. 12 noch einmal gesteigert und eine Formulierung geprägt, der im frühjüdischen Schrifttum "keine entsprechende Wendung" gegenübersteht, sie ist mit anderen Worten singulär (H. Lichtenberger). Paulus Mißachtung des Gesetzes vorzuwerfen ist von V. 14 her also ganz unmöglich! Aber ebenso wichtig ist dem Apostel die Einsicht, daß das Ich in seiner Fleischlichkeit unter der Sünde trotz des zum Schutz des Lebens gegebenen Gesetzes (V. 10) nichts vermag, was ihm aus eigener Kraft Leben verschaffen könnte. Was das adamitische Ich zustandebringt, wird ihm nicht bewußt. Es folgt gar nicht wirklich seinem (von Paulus nicht bestrittenen!) Willen zum Guten, sondern führt aus, was es haßt. Es wird von der Begierde überwältigt, übertritt das Gebot Gottes und bringt sich damit selbst ums Leben (vgl. V.8-11). Unter die Sünde geraten (und aus dem Paradies vertrieben, vgl. Gen 3,23f.), muß das Ich erkennen, daß es mit seinem Tun gegen sein eigenes Lebensinteresse verstoßen hat. Das Ich ist dem Bösen verfallen, aber die Weisung des Gesetzes war und bleibt richtig und gut. Der Apostel setzt noch einmal neu an: Die wirkende Kraft in dieser T odesverfallenheit des Ich ist (nicht das Gesetz, auch nicht der Wille des Ich, sondern) die Sünde. Zur Begründung erinnert Paulus, wie das "ich weiß nämlich" signalisiert, an Einsichten der alttestamentlich-jüdischen Bußtradition. Er überschreitet aber darin den Erfahrungshorizont des Judentums, daß er sogar dem U mkehrwilligen keine
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Chance mehr einräumt, kraft des Erbarmens Gottes zum Leben in Gerechtigkeit zurückfinden zu können, und zwar auch nicht mit Hilfe des Gesetzes, das im Alten Testament und Frühjudentum immer wieder als lebenserhaltend bezeichnet wird (vgl. z.B. Lev 18,5; Ez 20,11; Neh 9,29; Sir 17,11; Bar 4,1; PsSal14,2; syrBar 38,2). Paulus weiß aus eigenem Erleben, daß nur Gottes Erlösungswerk in und durch Christus Rettung aus der Schuldverfallenheit bietet, und formuliert aus dieser Erfahrung heraus. Dem adamitischen Ich ist bewußt, daß in seinem Fleisch nichts Gutes wohnt (vgl. Ps 51,5-7). Es hat zwar durchaus noch die Fähigkeit, das Gute zu wollen, aber ihm fehlt die Kraft, dieses Wollen in die Tat umzusetzen. Seine Verfeh- 19 lung zeigt vielmehr, daß es das Gute, das es will, gerade nicht tut, sondern das Böse, das gegen seinen Willen ist. Subjekt dieses Tuns wider Willen ist also - wie schon 20 in V. 17 herausgestellt - nicht das Ich selbst, sondern die Sünde, von der dieses Ich besessen wird. Sie bestimmt die Handlungen des Ich und entfremdet es seinen guten Absichten. Es ergibt sich daher im Blick auf das Ich, das mit dem Gesetz konfrontiert, aber 21 von der Sünde beherrscht wird, folgende, vom Apostel unter rhetorischer Variation des Gesetzesbegriffs herausgearbeitete, Diagnose: Das Ich muß entdecken und zugestehen, daß es trotz des Willens zum Guten doch nur fähig ist, das Böse zu tun. Von diesem ..Gesetz" kommt es nicht los. Nach seinem inneren Menschen, d.h. in 22 seinem guten Trieb (s.o. S. lOH.), stimmt es dem Gesetz Gottes freudig zu (vgl. Ps 1,2; 19,9; 119,24.77.92; Röm 2, 17f.). Aber es muß gleichzeitig erfahren, daß dem 23 ..Gesetz", das seine Vernunft ihm gibt (d.h. dem guten Trieb), in seinen eigenen Gliedern ein anderes ..Gesetz" (d.h. der böse Trieb, s.o. S. lOH.) widerstreitet. Während der gute Trieb von Paulus mit dem .. inneren Menschen" bzw. dem zur Wahrnehmung des Gotteswillens ausgerüsteten .. Verstand" gleichgesetzt wird (v gl. 12,2), hat es der böse Trieb mit den ..Gliedern" und dem fleischlichen Leib des Menschen zu tun. Der böse Trieb widerstreitet dem guten und nimmt das Ich gefangen durch das von der Sünde gegebene ..Gesetz", mit dem sie über die Glieder des Menschen gebietet. Dieses .. Gesetz der Sünde" ist das parasitäre Widerspiel des guten Gebotes (Gesetzes) Gottes: Die Sünde weckt im Menschen mittels des Gebotes (Gesetzes) alle verbotene Begierde und hält ihn fortan unter dem Urteil des Gebotes (Gesetzes) gefangen (V. 7.13 und 14). Paulus variiert in V. 21-23 den Gesetzesbegriff, aber er tut dies so, daß ihm selbst judenchristlich denkende, in der Bußtradition bewanderte Hörer folgen können und müssen: Es bleibt dem Ich, das wider 24 besseres Wollen unter die Sünde versklavt und von ihrem .. Gesetz" beherrscht wird, nur der Klageruf: .. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen aus diesem Todesleib?!" Der .. Todesleib" meint die fleischliche Existenz unter der zum Tode führenden Herrschaft der Sünde. Paulus hat damit aus der Perspektive des Glaubens genau den Zustand beschrieben, auf den er schon in 7,5 hingewiesen hatte: Vor der Taufe sind in .. uns", d.h. jedem Christen, die von der Sünde bestimmten und durch das Gesetz provozierten Leidenschaften wirksam mit dem Ergebnis, daß dem Gerichtstod zugedient wird. Die vom Apostel seit V. 14 bewußt gesetzte Gegenwartsform zeigt, daß er eine Erfahrung beschreiben will, die allen Glaubenden (mit Einschluß seiner selbst) als vergangene stets gegenwärtig ist und bleiben soll.
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Dieser niederschmetternden Erfahrung steht freilich in 7,6, mit "nun aber" eingeleitet, das Bekenntnis gegenüber, daß die Christen kraft ihrer Taufe vom Schuldspruch des Gesetzes losgekommen sind, um Gott in der Neuheit des Geistes zu dienen. Zur Betrachtung dieses neuen Seins im Geist leitet der Apostel mit der V. 25 25a einleitenden Danksagung über. Der in V. 7-24 beschriebenen Existenznot des Ich wird (wie in den Dankopferpsalmen, s.u. S. 104f.) der Dank gegenübergestellt, der auf die mit Gottes Hilfe überwundene Not zurückblickt. Die Danksagung richtet sich an Gott durch seinen Sohn, weil dieser das Rettungswerk vollbracht hat, kraft des HI. Geistes in den Herzen der Glaubenden wohnt und sie vor Gott vertritt (8,26).
2.3 7,25b-8, 1: Zwischenbilanz (7, 25a: Dank aber sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!) 25b (Es gilt) also nun: Ich für mich diene mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleische aber dem Gesetz der Sünde. 8,1 (Außerdem gilt): Es gibt also jetzt keine Verurteilung mehr für die in Christus Jesus (Lebenden). A
Der Übergang von Kap. 7 zu Kap. 8 hat den Auslegern schon immer größte Schwierigkeiten bereitet. Schon die in 7,25a plötzlich einsetzende Danksagung erscheint reichlich unvermittelt, und noch schwieriger sind die beiden auf diese Danksagung folgenden Also-Sätze in 7,25b und 8,1 zu verstehen. Erst von 8,2 an wird der Argumentationszusammenhang wieder klar. Da sich die Danksagung in 7,25a mit dem erklärenden Satz 8,2 gut verbindet, hat die Exegese mit den "störenden" beiden Also-Sätzen so gut wie möglich zurechtzukommen versucht. Eine Gruppe von Auslegern geht davon aus, daß bei der Abschrift des Römerbriefes der Text von 7,23 an in Unordnung geraten sei und deshalb folgendermaßen neugruppiert werden müsse: Auf 7,23 habe der Satz zu folgen: "Also diene ich zwar mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde." Daran seien 7,24 und die Danksagung von 7, 25a anzuschließen. Auf sie folge zunächst 8,2 und 8,1 sei im Anschluß an 8,2 zu lesen. Dieser (und ähnliche) Eingriff(e) in den Textbestand hat (haben) vor allem gegen sich, daß die ältesten Handschriften des Römerbriefes beim Übergang von Kap. 7 zu 8 keinerlei Unsicherheiten zeigen. Die Textüberlieferung rechtfertigt also keine Eingriffe in den Textzusammenhang. Das gilt auch gegenüber jenen Exegeten, die die beiden Also-Sätze in 7,25b und 8,1 (oder auch nur 7, 25b allein) für Glossen halten, die ein Abschreiber des Römerbriefes ursprünglich an den Rand seiner Abschrift geschrieben habe und die dann von späteren Kopisten in den Text selbst übernommen worden seien. Die ältesten Handschriften nötigen dazu, den vorhandenen Textzusammenhang im vorliegenden Wortlaut zu erklären. Dies ist auch durchaus möglich. Es ist nur zweierlei zu beachten: Im alttestamentlichen Klage- und Danklied folgt auf die z.T. ausführliche Klage, nur scheinbar abrupt, die Gottes Heilshandeln an dem klagenden Ich rühmende Danksagung (vgl. z.B. den Wechsel von Ps 22,22 zu 22,23 oder Ps 69,30 zu 69,31). Die Klage wurde von dem Geretteten öffentlich bei
Exkurs X: Das "Ich" in Röm 7,7-25
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einer religiösen Dankopferfeier vorgetragen, und zwar zur Erinnerung an die mit Gottes Hilfe überstandene Not. Der harte Übergang in den Texten ist also gut erklärbar. Im Römerbrief erklärt sich der Wechsel von Klage in 7,7-24 und Dank in 7,25a (8,2 ff.) ganz ähnlich, und zwar im Blick auf die öffentliche Verlesung des Briefes in den Gemeindeversammlungen und vom Lehrstil des Apostels her. - Es ist nämlich, zweitens, zu bedenken, daß Paulus all seine Briefe, und den Römerbrief ganz besonders, auch in seiner Eigenschaft als apostolischer Lehrer schreibt (vgl. 1. Kor 4, 17). Im jüdischen (und hellenistischen) Schulbetrieb war es üblich, Lehrvorträge in behältlichen Merksätzen zusammenzufassen oder mit solchen zu beginnen. Das erleichterte das Lernen und gab dem Unterricht Prägnanz. Zwei solcher summarischer Lehrsätze haben wir in 7,25b und 8, 1 vor uns (vgl. außerdem 5,18; 9,18; 10,17; 14,12 usw.). Der Apostel faßt, ehe er weitergeht, zusammen, was er bereits ausgeführt hat und weiterhin ausführen will, und zwar tut er dies parallel zu 7,5 und 6. Sieht man die Dinge in dieser Weise, bedarf der (schwierige) Text keiner Umstellungen oder Korrekturen. Die Textstruktur ist also folgende: 7,25a Danksagung (im Kontrast zur Klage von 7,7-24); 7,25b erster summierender Merksatz; 8, 1 zweiter Merksatz und 8,2 H. nähere Entfaltung desselben. Auf die in V. 24 zusammengefaßte Klage des adamitischen Ich folgt kontrastie- B rend die Danksagung, weil die Glaubenden Errettung durch die von Gott im OpfergangJesu heraufgeführte Erlösung gefunden haben. Was die Situation des adamiti- 7,25b schen Ich anbetrifft, erkennt es zwar im Gesetz den guten und heiligen Gotteswillen und möchte ihm auch wissentlich folgen (v gl. V. 22 und 23), aber es ist trotzdem gezwungen, sich mit seinem Fleisch (und allen Gliedern) dem Zwang zu fügen, den die Sünde auf es ausübt (vgl. V. 8 und 23). Der Apostel formuliert diese Merksumme aus 7,7-24 noch einmal ausdrücklich im Präsens und bringt damit zum Ausdruck, daß jeder glaubende Christ den unglücklichen Zwiespalt des adamitischen Ich, dessen Geist zwar willig, aber dessen Fleisch schwach ist (vgl. Mk 14,38 Par.), in sich trägt, und zwar im Sinne einer mehr als gut erinnerlichen, nur durch Gottes Hilfe überwundenen Not. Dieser Not darf aber "nun", d.h. von der Taufe her, auch der 8,1 Grund- und Merksatz der Rettung g~genübergestellt werden: Für die in und durch Christus Lebenden gibt es keine todbringende Verurteilung im Gericht mehr. Jesu vollendeter Gehorsam hat die Folgen des Ungehorsams Adams zunichtegemacht. Er hat stellvertretend das den Sündern geltende Todesurteil auf sich genommen, und jeder zusammen mit Christus in den Tod begrabene und der Auferweckung entgegensehende Christ darf sich freuen, von der Herrschaft der Sünde erlöst und unter die Herrschaft der Gnade gestellt zu sein (vgl. 5,21 und 7,6).
Exkurs X: Das "Ich" in Röm 7,7-25 Seit den Tagen der Alten Kirche wird die Frage diskutiert, ob das in 7,7-25 spre· chende »Ich den Menschen vor der Taufe und ohne Christus oder den getauften Christen in seinen lebenslänglichen Anfechtungen meint. Der Kirchenvater Augustin ist zunächst für die erste und später dann für die zweite Beziehung eingetreten. C