Das Zepter der Sonne
Roman von David Burnett
Celestine Draven, die Vampirjägerin, erreichte den Treffpunkt im Centr...
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Das Zepter der Sonne
Roman von David Burnett
Celestine Draven, die Vampirjägerin, erreichte den Treffpunkt im Central Park um Punkt Mitternacht. Der volle Mond stand hoch am Himmel und warf seinen silbrigen Schein auf das weitläufige Areal. Aus dem Boden heraus stieg leichter Nebel. Wie Todeskrallen legten sich die Schwaden um Bäume und Sträucher. Das Pfeifen des Windes war zu hören. Hin und wieder stießen die Tiere der Nacht klagende Rufe aus. In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr zwölfmal. Sonst war alles still. Totenstill. Draven sah sich um. Sie stand auf einem Stück Rasen. Ringsherum waren überall Bäume und Sträucher. Wenn dieses Treffen eine Falle für sie war, steckte sie ganz schön in der Klemme. Hinter jedem Busch, hinter jedem Baum konnte jemand lauern und sie hinterrücks angreifen. Da erklang das Rattern einer Maschinenpistole! * Geistesgegenwärtig warf sich Draven zu Boden. Haarscharf jagten die Geschosse aus der MPi über sie hinweg, sengten noch ihr feuerrotes Haar an. Katzengewandt rollte sich die Vam-pirjägerin auf der feuchten Wiese ab. Blitzschnell checkte sie die Lage. Im Moment war wieder alles ruhig. Die Schüsse waren aus einem Busch hinter ihr abgegeben worden, so viel stand fest. Aber hatte sie es nur mit einem Angreifer zu tun? Und falls es mehrere waren - wo lauerten die Hunde noch? Draven setzte alles auf eine Karte. Hier auf der Wiese war sie
nicht mehr als eine lebende Zielscheibe. Sie brauchte Deckung, aus der heraus sie sich verteidigen konnte. Noch einen Moment blieb sie auf dem Boden liegen. Über ihre Schulter hinweg griff sie in ihren Rucksack und zog eine Ingram Maschinenpistole hervor. Dann sprang sie hoch und stürmte los! Sie jagte auf das Gebüsch auf der gegenüberliegenden Seite des Angreifers zu. Sofort donnerte die MPi des Angreifers wieder los, spuckte Feuer und Blei. Die Salve schlug dicht neben Dravens Füßen in die Wiese. Gras und Er de spritzten in die Luft. Im Laufen wirbelte Draven herum. Während sie rückwärts weiter rannte, gab sie Gegenfeuer. Aus ihrer MPi blitzte und krachte es. Dort, wo die Kugeln einschlugen, wurden Blätter und Zweige von den Büschen gefetzt. Draven kreiselte wieder herum und rannte weiter. Nach einem Hechtsprung landete sie mitten im Gebüsch und fing den Sturz so gut wie möglich ab. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. Wieder war alles still, nichts war zu hören. Auch zu sehen war niemand. Hatte sie den Mistkerl erwischt? Doch da vernahm sie plötzlich hinter sich Geräusche. Äste knackten, dumpfe Schritte waren zu hören. Draven sprang auf. Da stürmten auch schon die Gestalten auf sie zu. Wie viele es waren konnte sie noch nicht erkennen. Alles ging rasend schnell. Jemand trat ihr die Ingram aus der Faust, dann wurde sie zu Boden gerissen. Zwei Hünen drückten der auf dem Rücken liegenden Vampirjägerin die Arme auseinander. Einen weiteren bulligen Kerl sah Draven zu ihren Füßen stehen. Der Kerl hatte ein ziemlich narbiges Gesicht, mehr konnte sie nicht erkennen. Ein Vierter stand dicht hinter ihr, seine Füße berührten ihren Kopf. Der Typ war ebenso
bullig wie die anderen. Seine Glatze glänzte im fahlen Schein des Mondes. Jetzt hob er seinen rechten Fuß an, um ihn gleich darauf nach unten sausen zu lassen. Draven sah, wie die Stiefelsohle auf ihr Gesicht zuschoss und reagierte instinktiv! Blitzartig warf sie sich so gut es ging zur Seite. Der Stiefel des Glatzköpfigen stapfte dicht neben ihrem Gesicht in den Matsch. Draven bäumte sich auf, befreite sich durch ihre übermenschlichen Kräfte aus den Griffen der beiden neben ihr hockenden Hünen, und rammte ihre Handkanten gegen die breiten Gesichter der Kerle. Die Hünen stolperten zurück. Draven sprang auf und verpasste dem vor ihr stehenden Narbigen einen gezielten Karatetritt unters Kinn. Er machte einen gewaltigen Satz rückwärts und segelte noch durch die Luft, als Draven bereits herumfuhr und den Glatzkopf, der eben mit seinem Stiefel ihren Kopf zermalmen wollte, mit heftigen Faustschlägen bearbeitete. Nasenund Wangenknochen brachen hörbar, als sich ihre Fäuste in sein Gesicht gruben. Ein Schlag in den Magen ließ ihn schließlich nach vorn wegknicken. Dann ein Handkantenschlag ins Genick, und der Kerl brach stumm zusammen. Da stürmten die zwei Hünen wieder von beiden Seiten auf sie zu. Kurz bevor sie Draven erreichten, machte die Jägerin einen Sprung in die Luft. Senkrecht schoss sie nach oben und riss die Beine wie zum Spagat auseinander. Ihre Füße donnerten den Herannahenden gegen die Schädel. Brüllend flogen die Kerle nach hinten. Draven kam wieder auf die Füße und hörte, wie hinter ihr die Äste knackten. Sie kreiselte herum. Der Narbige war wieder auf den Beinen und stürmte auf sie zu. Mit einem Hechtsprung stürzte er sich
auf sie. Draven duckte sich, und der Kerl flog über sie hinweg, landete bäuchlings im Matsch. Sofort war die Vampir jägerin bei ihm. Er wollte sich noch aufrappeln, doch da bekam er die Spitze ihres Stiefels ins Gesicht. Der Tritt traf ihn mit solcher Wucht, dass er nur noch die Sterne sah und schließlich in die Knie ging. m. »»«Tg, _ „ , Da stürmten wieder die zwei Hünen auf sie zu, die eben mit ihrem »Spezial-spagat« Bekanntschaft gemacht hatten. »Habt ihr noch immer nicht genug?«, brüllte Draven, während sie Abwehrhaltung ging. Der Typ von links erreichte sie zuerst und schlug zu. Draven wich aus, packte ihn mit der Linken an der Kehle. So fest, dass der Typ nicht mehr tun konnte, als gurgelnde Laute auszustoßen. Dem von Rechts kommenden Kerl, erging es nicht viel anders. Wie eine Stahlklammer umschloss Dravens Hand seinen Hals. Dann knallte sie ihre beiden Angreifer mit den Köpfen zusammen. Sofort wichen sämtliche Kräfte aus deren Körpern. Schlaff hingen sie in Dravens Händen. Die Vampirjägerin ließ los, und die Kerle sanken leblos zu Boden. »Wer sind die?«, fragte Draven sich halblaut. Gehörten diese Witzfiguren zu dem Kerl, mit dem sie hier verabredet gewesen war? Hatte er ein linkes Spiel mit ihr gespielt. Oder waren es etwa - Vampire? Aber letztere Möglichkeit konnte sie ausschließen. Wenn die Angreifer Vampire wären, hätte der Dämon in ihr viel mehr in ihr Handeln eingegriffen. Schließlich hatte sie sich zu diesem Zweck mit ihm verbündet. Allerdings war er merkwürdig still geworden, seit der
gefallene Engel Ba-briel sie für ihr Versagen bestraft hatte. Und die Höllenkreatur, die sie als Edith Carter kennen gelernt hatte, war seitdem völlig verstummt.* Vielleicht muss ich Babriel sogar dankbar sein?, überlegte sie. Doch sie brauchte die Macht des Dämons für ihren Kampf mit den Vampiren. Es war ein zweischneidiges Schwert. , Von der Straße her drang Sirenengeheul an Dravens Ohr. Die Schießerei vorhin war also nicht unbemerkt geblieben. Die Cops werden gleich hier sein, dachte die Vampirjägerin. Trotzdem machte sie sich nicht übereilt aus dem Staub. Stattdessen beugte sich zu einem der Kerle herab, um ihn genauer zu betrachten. Da flog von der Wiese her etwas auf sie zu. Etwas Ovales, vielleicht etwas kleiner als eine geballte Faust. Ganz knapp vor ihren Knien kullerte das Ei über den Boden. Eine Handgranate!, schoss es der Jägerin durch den Kopf. Sie schalt sich eine Närrin, dass sie den Typen mit der MPi vergessen hatte. Ganz sicher hatte er die Granate geworfen. Gedankenschnell sprang sie hoch, wirbelte herum und rannte los. Da krachte auch schon die Explosion! Der Donner war Mark erschütternd, raubte Draven für einen Moment das Gehör. Die Erde bebte, und es wurde für kurze Zeit taghell. Die Druckwelle erf asste Draven und riss sie mit sich. Meterweit wurde die Vampirjägerin durch die Luft geschleudert. Schmutz, Erde und Äste prasselten auf sie ein. Granatensplitter ' siehe Vampire Band 16 »Jagd auf den Verräter« gruben sich in ihr Fleisch an Beinen, Rücken und Armen. Irgendwann prallte Draven auf die Erde. Mit den Händen fing sie den Sturz bestmöglich ab, um wenigstens ihr Gesicht zu schützen.
Für einen Moment glaubte sie, dass sich die Welt um sie herum zu drehen begann. Aber die Vampirjägerin riss sich zusammen. Es gelang ihr, der nahenden Ohnmacht erfolgreich zu entgehen. Sie rappelte sich auf und atmete tief durch. Sie hatte zahlreiche Wunden davongetragen, aber keine war wirklich schlimm. Sie begannen dank des Dämons in ihr bereits wieder zu heilen. Die Cops mussten bald hier sein, was die immer lauter werdenden Sirenen verrieten. Zeit, sich aus dem Staub zu machen!, dachte Draven, obwohl sie sich nur zu gern noch um den MPi-Schüt-zen gekümmert hätte. Aber das hatte keine Eile. Sie würde ohnehin herausfinden, wer hinter der ganzen Sache steckte. Draven rannte durch den Park. Sie schlug sich durch Büsche und Sträucher und erreichte irgendwann den Ausgang des Parks in Höhe des American Museum of Natural History. Von hier waren die Cops nicht im Anmarsch. Sie kamen von der East Side. Draven hatte freie Bahn. Während sie die 8 Ist Street entlanglief, überlegte sie, was sie jetzt tun sollte. Da kam plötzlich mit viel zu hoher Geschwindigkeit ein schwarzer Chrysler herangebraust. Misstrauisch kreiselte Draven herum. Mit quietschenden Reifen stoppte der Wagen genau in Dravens Höhe. 6 Der Fahrer stieg aus. Sofort ging Draven in Kampfhaltung. Doch der Typ schien sich gar nicht für sie zu interessieren. Er lief um den Wagen herum, ohne sie zu beachten. Schließlich öffnete er die hintere rechte Tür. »Steigen Sie ein, Miss Draven«, erklang eine raue Männerstimme aus dem Wageninnern. »Ich bin Professor Capwell, Ihre Verabredung. Sie haben nichts mehr zu befürchten ...»
Die Fahrt ging quer durch die Stadt in Richtung Turtle Bay. Celestine Draven hatte sich zunächst geweigert mitzufahren. Nach dem Vorfall im Park war sie natürlich misstrauisch und aufs Äußerste angespannt. Nach einigem Hin und Her war sie schließlich doch in den Wagen gestiegen. Der Grund war einfach: Es interessierte sie, was dieser Professor Capwell ihr zu sagen hatte. Sie hatte eine Erklärung für den Vorfall im Park verlangt, doch der neben ihr sitzende Capwell verlor während der gesamten Fahrt kein einziges Wort. Beinahe hätte Draven die Beherrschung verloren und ihm die Pistole auf die Brust gesetzt - und das im wahrsten Sinne des Wortes -, aber sie ließ es dann doch und beschloss abzuwarten. Sie dachte daran, wie alles angefangen hatte. Vor wenigen Tagen hatte sie zum ersten Mal von Capwell gehört. Er hatte ihr eine Mitteilung zukommen lassen und sie darin um ein Treffen gebeten. Zunächst hatte -sich Draven nicht weiter darum kümmern wollen. Sie I - m »»«T«/ _ , 'AMPR l kannte den Alten nicht, warum sollte sie sich also mit ihm treffen? Dann aber hatte Capwell etwas gesagt, das sie hellhörig werden ließ: »Ich habe wichtige Informationen für Sie, Miss Braven. Informationen, wie Sie allein schon bald die Welt von allen Vampiren befreien können!« Das hatte genügt, um Draven umzustimmen. Capwell hatte ihr den Treffpunkt genannt und dort war die Vam-pirjägerin schließlich von dem bewaffneten Empfangskomitee begrüßt worden ... Die Vampirjägerin wurde aus ihren Gedanken gerissen.
Capwells Chauffeur stoppte den Wagen in der 49. Straße, nahe der St. Patrick's Cathedral, vor dem Waldorf Astoria Hotel. »Kommen Sie, Miss Draven. Ich habe hier in diesem Hotel für die Dauer meines Aufenthaltes in New York eine Suite angemietet. Dort können wir uns in aller Ruhe unterhalten.« Doch die junge Frau schüttelte entschieden den Kopf. »Ich habe jetzt lange genug klein beigegeben und gekuscht, Professor. Jetzt stelle ich die Bedingungen!« Überrascht blickte er auf. »Und die wären?« »Wir unterhalten uns hier im Wagen, Professor. Setzen Sie Ihren Chauffeur an die frische Luft und lassen Sie uns reden!« »Wie kommen Sie darauf, dass Sie hier die Bedingungen .. .« »Sie sind es, der etwas von mir will, Professor! Umgekehrt kann man das nicht unbedingt behaupten. Ich kenne Sie nicht einmal und weiß kaum, was Sie von mir wollen. Sie aber haben mich um ein Gespräch gebeten. Das können Sie haben - jetzt sofort und hier im Wagen. Wenn Ihnen das nicht passt, kann ich auch aussteigen und gehen!« i Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, ließ sie ihre Hand entschlossen zum Türgriff wandert, doch der Professor hielt sie zurück. Eindringlich sah er sie an. Draven nutzte die Gelegenheit, ihn ebenfalls zu mustern. Sie schätzte ihn auf Anfang siebzig. Er war sehr schlank. Sein graues Haar wies zahlreiche lichte Stellen auf, das faltige Gesicht war schmal und die Nase sehr spitz. »Also gut, Miss Draven.« Der Professor schnippte mit den Fingern, woraufhin sein Chauffeur aus dem Wagen stieg und die Tür ins Schloss warf. »So, und jetzt will ich endlich ein paar Antworten von Ihnen!«, sagte Draven mit fester Stimme. »Warum haben Sie mir diese Rambos auf den Hals gehetzt? Und kommen Sie mir jetzt bloß nicht damit, dass Sie damit nichts zu tun haben!« »Aber Miss Draven!« Capwell deutete ein Lächeln an. Sein Gesicht blieb dabei völlig ausdruckslos, nichts war aus den
Zügen zu lesen. »Wieso sollte ich Ihnen mit derartigen Ausflüchten kommen? Natürlich waren das meine Leute!« »Ach, und das geben Sie auch noch ohne weiteres zu?« Draven sah ihn durchdringend an. Aus ihrem Blick sprach Unverständnis und auch Wut. »Selbstverständlich gebe ich das zu. Ich habe doch gar keinen Grund, es Ihnen zu verheimlichen.« »Dann haben sie hoffentlich einen Grund, warum ich Ihnen das nicht mit gleicher Münze heimzahlen sollte.« Während die Vampirjägerin kurz davor stand, die Kontrolle über sich zu verlieren, blieb Capwell weiterhin ruhig. »Wissen Sie, Miss Draven«, sagte er, »das war nichts Persönliches. Ich musste Sie ganz einfach testen. Was ich von Ihnen gehört habe, klang alles wunderbar, wirklich. Sie sollen eine hervorragende Kämpferm sein. Ihre Erfolge im Kampf gegen Vampire sind wirklich beachtlich. Aber Sie wissen ja, wie das ist - man hört so viel heutzutage. Ich musste mir selbst ein Bild machen. Und wenn Sie mit meinen Männern nicht fertig geworden wären, hätte ich gewusst, dass es sich bei diesen Geschichten, die ich über Sie gehört habe, nur um Gerüchte handeln kann. Denn jemand, der mit menschlichen Gegnern nicht fertig wird, kann auch kein guter Vampirjäger sein!« »Und was, wenn mich Ihre Kampf -maschinen umgenietet hätten?« Ein Kichern drang über Capwells Lippen. »Dann würden Sie mir diese Frage jetzt nicht stellen. Allerdings wüsste ich dann auch, dass Sie für mich ohnehin nicht interessant gewesen wären.« »Woher wissen Sie überhaupt so viel über mich?« Draven beruhigte sich langsam. Irgendetwas sagte ihr, dass sie besser daran tat, sich mit Capwell gut zu stellen. »Informationen sind das A und O, Miss Draven. Das sollten Sie eigentlich wissen. Aber Sie werden sicher verste-
8 hen, dass ich nicht vorhabe, meine Quellen preiszugeben. Doch lassen Sie uns nicht länger um den heißen Brei reden. Ich werde Ihnen jetzt etwas anvertrauen, dass für Ihren Kampf gegen Vampire von enormer Bedeutung sein wird. Wenn Sie keinen Fehler machen, Miss Draven, werden Sie die Welt schon bald von sämtlichen Blutsaugern befreit haben. Und das wollen Sie doch - oder?« Heftig nickte die Jägerin. »Und ob ich das will«, sagte sie ungeduldig. »Also los - reden Sie schon!« »Also schön.« Capwell schloss für einen Moment die Augen und begann zu erzählen. »Was würden Sie sagen, Miss Draven, wenn ich Ihnen erzähle, dass irgendwo auf dieser Welt eine Waffe existiert, mit der Sie Dutzende -nein, Hunderte von Vampiren auf einmal vernichten können?« Draven sah ihn zweifelnd an. »Ich würde sagen, Sie spinnen, Professor. Ich kenne die meisten Waffen, die man gegen Vampire einsetzen kann. Damit kann man zwar auch eine ganze Menge Vampire killen, aber nur nacheinander.« »Das ist sicher richtig. Aber denken Sie doch einmal nach. Sie werden mir sicher zustimmen, dass sehr wohl etwas existiert, dass eine Menge Vampire auf einmal vernichten kann.« Draven seufzte. Wird das jetzt ein Ratespiel oder was?, fragte sie sich. Laut sagte sie: »Wenn Sie auf die Sonne anspielen, Professor, so haben Sie sicher Recht. Das Dumme daran ist nur, dass die Sonne nur tagsüber scheint. Und Vampire sind nun mal nur nachts aktiv. Oder wollen Sie mir jetzt etwa vorschlagen, ein paar Hundert Vampire zu überwältigen, sie irgendwo draußen AST«. zu fesseln und dann abzuwarten, bis die Sonne aufgeht?« Sie verengte die Augen zu Schlitzen. »Dann, Professor, käme ich mir ehrlich gesagt ziemlich verarscht vor!«
Capwell lächelte matt, ging aber gar nicht weiter darauf ein, sondern fuhr sachlich fort. »Bei der Waffe, die ich meine, Miss Draven, handelt es sich um einen Zauberstab.« »Ein Zauberstab?« Skeptisch blickte sie Capwell an. »Ist das Ihr Ernst?« »Allerdings. Es ist nicht irgendein Zauberstäb, sondern das Zepter der Sonne. Mit ihm werden Sie Ihre Mission mit Leichtigkeit erfüllen können, Miss Draven. Die Vernichtung aller Vampire!« »Und wo, wenn ich fragen darf, befindet sich dieser Stab? Wo kommt er her, wem gehört er?« »Das, Miss Draven, ist eine sehr lange Geschichte.« Celestine Draven musste zugeben, dass ihr das alles ein wenig absurd vorkam. Es klang wie an den Haaren herbeigezogen. Und doch - irgendwie hatte Capwell ihr Interesse geweckt. »Ich habe Zeit, Professor«, sagte sie deshalb. »Viel Zeit. Und ich liebe lange Geschichten...« Bruce Darkness - bekleidet mit schwarzer Jeans, schwarzem T-Shirt und schwarzer Lederjacke - raste auf seiner schweren Harley durch die nächtlichen Straßen New Yorks. Der Mond war heute voll, sodass die 9 Sicht gut war. Zudem hatte es endlich aufgehört zu regnen, nachdem New York in den letzten Tagen von einer Schlechtwetterfront heimgesucht worden war. Wenn es nur am Tag geregnet hätte, wäre es mir ja scheißegal gewesen, dachte Bruce. Er liebte es, einfach so durch die Nacht zu fahren, wenn ihm der Fahrtwind ins Gesicht schlug und wenn er richtig Tempo geben konnte. Es war immer wieder das Gefühl von unendlicher Freiheit - ein tolles Gefühl! Doch heute fuhr er nicht einfach so durch die Stadt. Er war im Auftrag seines Chefs unterwegs. Boris Baron von Rradoc, der
heimliche Herrscher von New York, hatte seinen Stellvertreter auf einen gewissen Lionel Cap-well angesetzt. Nach den Informationen, die Bruce von seinem Boss erhalten hatte, war Capwell ein mittlerweile steinalter Vampirjäger. Er blieb nie lange in einer Stadt, zog durch die Welt und bereitete überall Attacken auf Vampire vor. Stets aber hielt er sich dabei nur im Hintergrund. Er war nur der Drahtzieher, sodass sich Vampire aus anderen Städten schwer taten, ihn zu packen. Ip. New York hatte er sich anscheinend höchst selten blicken lassen. Jetzt aber ist er hier, und es wird ihm an den Kragen gehen!, war Bruce überzeugt. Dabei ist es sonst so ruhig im Big Apple. Jetzt muss ich schon senile Tattergreise jagen. Da Kradoc über die Geschehnisse in seiner Stadt stets äußerst gut informiert war, hatte er sofort mitbekommen, dass Capwell sich in New York aufhielt. Wenn die Informationen, die \ v der Baron erhalten hatte, stimmten, war er im Waldorf Astoria Hotel abgestiegen. Und genau dorthin war Bruce jetzt unterwegs! Nach zehn Minuten, drei überfahre-nen roten Ampel und einem Rennen gegen ein paar übermütige Rocker, die dabei genau so viel Spaß zu haben schienen wie der Vampir, erreichte Bruce das riesige Hotel. Als er vorfuhr, fiel ihm ein schwarzer Chrysler auf. Neben dem Wagen stand ein gut gekleideter Mann und rauchte eine Zigarette. Plötzlich öffnete sich die rechte Hintertür des Wagens. Heraus stieg eine Frau. Sie war jung, durchtrainiert und rothaarig. Und Bruce kannte sie nur zu gut. Draven! Der Vampir kniff die Augen einmal fest zusammen und sah noch einmal genauer hin, um sicher zu gehen, dass er sich nicht getäuscht hatte.
Aber er hatte sich nicht getäuscht. Es war Celestine Draven, die Vampirkillerin! Bruce verlor keine Zeit, sprang von der Harley und stürmte auf Draven zu. Da entdeckte die Vampirjägerin den herannahenden Feind. In ihren Augen konnte Bruce grenzenlose Überraschung lesen kurz bevor sie die Farbe von stahlblau zu einem grellen, leuchtenden Gelb änderten. Aus ihrem halb geöffneten Mund drang ein unmenschliches Knurren. »Darkness!«, schrie sie hasserfüllt. Bruce erreichte sie und schlug sofort mit der geballten Faust zu. Draven Kopf wurde in den Nacken geworfen, sie flog einige Meter durch 10 die Luft und knallte schließlich gegen die Front des Hotels. Aus dem Augenwinkel bekam Bruce mit, wie der gut gekleidete Typ, der auf der Fahrerseite des Wagens stand, eine Ingram Mac-10 Maschinenpistole unter seinem Mantel hervorzog. Blitzschnell richtete er die Mündung der Waffe auf Bruce und ließ die MPi Feuer und Blei zu spucken. Der Vampir warf sich hinter dem Chrysler in Deckung. Nur ein oder zwei Kugeln trafen ihn in der Schulter. Es tat weh, würde aber schnell heilen. Passanten schrien wegen der Schüsse entsetzt auf, rannten hysterisch davon oder warfen sich zu Boden. Einige riefen nach der Polizei, andere gleich nach der Army. In Sekundenschnelle war die Straße wie leergefegt. Bruce richtete sich hinter dem Chrysler in die Hocke auf, packte den Wagen an der Seite unterhalb der Beifahrertür mit beiden Händen und stemmte ihn wuchtig hoch, kippte ihn um. Der Schütze, der auf der anderen Seite des Wagens stand, brachte sich mit einem Rückwärtssprung aus der Gefahrenzone. Dicht vor seinen Füßen krachte der Wagen auf
die Fahrerseite. Aus dem Wageninnern heraus erklang ein dumpfer Schrei. Bruce kreiselte wieder herum. Aus den Augenwinkeln hatte er bemerkt, wie Draven auf ihn zustürmte. Ihr rechtes Bein schoss vor. Der Vampir bekam den Tritt mit voller Wucht gegen die Brust, hörte das Krachen seiner eigenen Rippen. Ein weiterer Tritt traf ihn unterhalb des Kinns. Bruce flog nach hinten, segelte über den umgekippten Wagen hinweg und landete auf der anderen Seite des Wa, »»ST«, „ _, gens auf dem Asphalt. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand den Kopf abgerissen, und ganz sicher war sein Kiefer gebrochen. »Verdammt, kommt her! Wir brauchen Hilfe!«, hörte er eine Stimme neben sich. Er blickte flüchtig nach links und sah den Mann, der diese Worte aufgeregt in ein Walkie-Talkie gebrüllt hatte. Es war der Fahrer des Chryslers. Jetzt ließ er das Funkgerät fallen und ergriff wieder die Ingram. Bruce sprang vor, kickte nach der Waffe. Die MPi krachte los. Die Kugeln fetzten in das zutretende Bein des Vampirs, konnten es aber nicht mehr stoppen. Sein Motorradstiefel fegte dem Schützen die Maschinenpistole aus der Faust. Beinahe hätte Bruce anschließend das Gleichgewicht verloren, da das zerschossene Bein ihn nicht mehr trug. Doch er schaffte es, sich an dem umgekippten Wagen abzustützen und zugleich dem Kerl vor ihm die zur Faust geballte Rechte ins Gesicht zu donnern, dass die Knochen knirschten. Wie der Typ nach hinten wegkippte, bekam Bruce nur noch flüchtig mit. Draven setzte mit einem Hechtsprung über den Chrysler auf ihn zu. Bruce machte einen Satz zur Seite, stürzte diesmal aber doch. Die Vam-pirjägerin flog an ihm vorbei, segelte durch die Luft und landete links hinter ihm auf dem Asphalt. Gewandt rollte
sie sich ab und federte sofort wieder auf die Beine. 11 Bruce, auf dem Boden liegend, riss seine Schrotpistole hervor und feuerte beide Läufe auf einmal ab. Die Vampirj ägerin warf sich zur Seite, entkam so der vollen Ladung, doch für einen Moment wandte sie ihm den Rücken zu. . Bruce sprang auf und warf auf seine Gegnerin. Er legte ihr von hinten den Arm um den Hals und drückte zu, schnürte ihr die Luft ab. Das war das Einzige, das bei all ihren Begegnungen wirklich Wirkung gezeigt hatte. Aus Dravens Kehle drang ein unmenschliches Grollen. »Fahr zur Hölle!«, zischte Bruce. Die Vampirjägerin wand sich und griff mit beiden Händen nach hinten über ihre Schultern hinweg. Ihre Finger krallten sich in Bruces Haar. . Mit einem Ruck beugte sie sich nach vorn, und schleuderte den Vampir über sich hinweg. Nach einem unfreiwilligen Salto krachte er mit dem Rücken zuerst auf den Asphalt. Sein Kopf lag direkt vor ihren Füßen. Draven hob den rechten Fuß, kickte nach dem Schädel des Vampirs. Doch Bruce donnerte seine Faust gegen ihr Standbein. Sie verlor das Gleichgewicht und kippte haltlos nach hinten weg. Aus dem Hotel heraus stürmten einige muskelbepackte Kerle mit Maschinenpistolen in ihren Händen. Sofort begannen sie, wild zu feuern. Mittlerweile war bis auf die Kämpf enden kein Mensch mehr auf der Straße zu sehen. Sicher würden bald die Cops eintreffen. Kugeln pfiffen durch die Luft. Bruce ging hinter dem umgestürzten Wagen in Deckung, die Vampirj ägerin krabbelte von dem Fahrzeug weg. Ein weiterer Chrysler kam angefahren. Noch während der Wagen näher kam, bemerkte Bruce, wie aus dem umgekippten
Wagen ein alter Mann kletterte. Die MPi-Schützen stellten ihr Feuer ein, um ihn nicht zu gefährden. Der Vampir streckte seinen Arm aus der Deckung, ergriff den Alten am Kragen und zerrte ihn zu sich herunter. »Hallo, Professor!« Die Beschreibung, die Bruce vom Baron bekommen hatte, passte wie die Faust aufs Auge. »Fahr zur Hölle, Blutsauger!«, schrie Capwell verächtlich. Bruce spürte, wie der Alte ihm etwas gegen die Brust drückte, und sah nach unten. Eine Pflockpistole! Der Vampir warf sich herum. Der Zeigefinger des Professors krümmte sich, 'der Pflock schoss aus der Waffe - und bohrte sich in Bruces rechte Schulter. Der Vampir wurde zurückgeworfen. Scheiße, tut das weh!, dachte er und verzog das Gesicht. Mit der Linken umfasste er den Pflock und zog ihn mit einem Ruck heraus. Zwei mit MPis bewaffnete Typen sprangen aus dem zweiten Chrysler, stürmten auf Capwell zu. Der eine packte den alten Mann, der ihnen bereits entgegenstolperte, der andere gab ihnen Deckung. Bruce wollte sich trotz des MPi-Feu-ers auf sie stürzen, als er von hinten zu Boden gerissen wurde. Plötzlich raste der Asphalt auf ihn zu. Er fing sich mit den Händen ab, wirbelte herum. Draven! Er sah. nur noch, wie ihre geballte Rechte auf sein Gesicht zuraste. Ihre Faust krachte auf seine Nase. 12 Sein Kopf wurde zurückgeworfen, knallte zusätzlich noch gegen den Asphalt. Noch einmal traf sie ihn. Diesmal spürte er, wie seine Nase brach. Bruce trat wild aus, sein rechter Motorradstiefel
donnerte gegen Dravens Unterleib. Die Vampirjägerin flog zurück, rollte sich ab und kam sofort wieder auf die Beine. Auch Bruce stand bereits. Polizeisirenen näherten sich rasch. »In den Wagen, Miss Draven!«, schrie da Capwell. Der Alte hockte bereits im zweiten Chrysler. Draven schüttelte den Kopf. »Erst mach ich diesen verfluchten Mistkerl fertig!« »Später!«, brüllte der Alte. »Denken Sie an Ihre Mission!« Tatsächlich schienen die Worte des Alten Draven umzustimmen. Sie stürmte auf den Wagen zu. Bruce sprintete hinterher. Die Vampirjägerin stand bereits vor der offenen Tür des Chryslers, als sie sich noch einmal umdrehte. Ihre gelben Augen blitzten auf, ten-nisballgroße Feuerbälle brachen daraus hervor und rasten auf Bruce zu. Scheiße! Er warf sich zur Seite. Die flammenden Geschosse schlugen irgendwo hinter ihm in eine Häuserwand ein. Bruce hatte sich gerade wieder aufgerappelt, da jagte der Chrysler mit quietschenden Reifen davon. Die MPi-Schützen aus dem Hotel hatten sich vor der anrückenden Polizei zurückgezogen. Der Vampir rannte zu dem umgestürzten Chrysler. Er packte die Hintertür, ruckelte einmal kurz daran. Dann riss er sie ab und schleuderte sie dem davonrasenden Wagen hinterher. Die Tür verfehlte ihr Ziel nur knapp. Bruce zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen und blickte zu seinem Motorrad. Irgendwelche irrgeleitete Kugeln hatten die Reifen zerschossen. »Verdammt!«, murmelte Bruce. Er stemmte sich gegen den umgestürzten Chrysler und wuchtete ihn wieder auf die Reifen. In nur wenigen Augenblicken saß er hinter dem Steuer, ließ
den Wagen an und gab Vollgas. Vielleicht hundert Meter vor ihm bog Capwells Chrysler rechts ab. Bruce drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch und raste dem Wagen hinterher. Oder er wollte es ... Plötzlich knallte es. Gleichzeitig mit dem Knall verlor Bruce die Kontrolle über den Wagen. Reifen geplatzt!, schoss es dem Vampir durch den Kopf. Fieberhaft versuchte er, den Wagen in der Spur zu halten. Doch der Chrysler brach nach rechts aus und donnerte gegen einen am Straßenrand geparkten BMW. Bruce sprang nach draußen, sah sich den Trümmerhaufen von Chrysler an und fluchte inbrünstig, während er zu der Ecke starrte, hinter der eben Capwells Wagen verschwunden war. Das wars wohl, dachte er. Eine Stunde später betrat Bruce das Büro seines Chefs, das wie eine Mixtur aus Vergangenheit und Gegenwart wirkte. Das Faxgerät, das auf- dem antiken Schreibtisch stand, spie seiten14 weise Papier aus, während der Baron seine Finger über die Tastatur seines Laptops fliegen ließ. »Setz dich, Bruce«, sagte Boris von Kradoc ohne aufzublicken. Er war der Herrscher aller New Yorker Vampire - und damit der Herrscher der Stadt. »Ist dieses Ärgernis beseitigt?« Kurz berichtete Bruce seinem Herrn nun, was sich vor dem Hotel zugetragen hatte. »Draven und Capwell machen also gemeinsame Sache.« Boris Baron von Kradoc saß hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, wie immer war ihm nicht anzusehen, was in ihm vorging. Er schwieg einen Moment. »Die Frage ist jetzt natürlich, was die zwei planen«, sagte er dann. »Es muss irgendetwas Großes sein. Der Prof hat Draven praktisch überredet, die Biege zu machen, statt weiter auf mich
loszugehen.« »Capwell hat praktisch sein ganzes Leben gegen Vampire gekämpft. Wobei man sagen muss, dass er sich in den letzten Jahren eher im Hintergrund hielt.« , »Und warum hat man ihm nicht schon längst den Kopf abgerissen?«, wollte Bruce wissen. »Er ist sehr clever. Hat immer andere Vampirjäger - unter anderem auch angeheuerte Söldner - vorgeschickt, während er alles koordiniert hat. Hinzu kommt, dass er sich jede Woche in einer anderen Stadt aufhält. Er reist sozusagen ständig um die Welt. Und überall startet er neue Aktionen im Kampf gegen Vampire.« Bruce zuckte mit den Schultern. »So schwer schien es mir nicht zu sein, an ihn ranzukommen. Ich mach das schon.« Doch Kradoc schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn du dich weiter um Draven kümmerst, Bruce. Draven hat offensichtlich von ihm einen Auftrag erhalten hat, den sie nun ausführen wird. Von ihr scheint im Moment die größere Gefahr auszugehen.« Über die fein geschwungenen Lippen des Barons huschte der Anflug eines Lächelns. »Capwell wird uns ohnehin nicht mehr lange Probleme bereiten. Er ist ein alter Mann und nur ein Sterblicher. Seine Zeit wird bald abgelaufen sein. Wie mir zu Ohren gekommen ist, scheint er schon seit einigen Jahren sehr krank zu sein.« »Echt?« Der Baron nickte. »Gerade deshalb liegt auch die Vermutung nahe, dass er Draven für einen wirklich großen Schlag gegen uns angeheuert hat. Für etwas, das er selbst nicht mehr verrichten kann. Also finde heraus, was Celestine Draven vorhat, Bruce.« »Ja, Herr.« Celestine Draven sah die Gestalt auf sich zuspringen. Der Vampir befand sich noch in der Luft, als sein rechtes Bein vorschnellte.
Seine Stiefelspitze donnerte mit ungeheurer Wucht gegen ihre Brust. Die Vampirjägerin wurde nach hinten geschleudert und knallte auf den Boden. Hart schlug sie mit dem Hinterkopf gegen einen Stein. Für einen Augenblick tanzten Sterne vor ihren Augen. Fest kniff sie die Augen zusammen und 15 schüttelte den Kopf, um ihn freizubekommen. Als sie die Lider wieder hob, konnte sie wieder klar sehen. Doch was sie sah, gefiel ihr keineswegs. Plötzlich stand nicht mehr nur ein Vampir vor ihr, sondern eine ganze Horde! Braven atmete tief durch. Die Distanz zwischen ihr und den Blutsaugern betrug etwa fünfzig Meter, wurde aber zusehends geringer. Sie kamen langsam, aber drohend näher, standen in Reihen. Dicht an dicht. Kurz blickte Draven nach rechts. Bis eben war dort noch freie Wüste gewesen, nichts als Sand und Steine. Jetzt kamen auch von dort Vampire. Dutzende! Es wurden immer mehr ... Draven wirbelte herum und zuckte zusammen. Auch von hinten waren Vampire im Anmarsch. Näherten sich ihr unaufhaltsam. Blieb nur noch die Flucht nach links, hinein in den Tempel, aber dorthin hatte sie sowieso gewollt. Das, was sie suchte, befand sich in dem Heiligtum -wenn es stimmte, was Capwell ihr gesagt hatte... Sollte es jedoch nicht stimmen, würde sie in dem Tempel hoffnungslos in der Falle sitzen. Es gab nur einen einzigen Zugang. Und eines stand fest: Wenn sie die Waffe nicht fand, oder wenn sie gar nicht existierte, war Draven hoffnungslos verloren ... Doch ihr blieb keine andere Wahl. Noch einmal atmete sie tief durch. Dann stürmte sie los!
Fast hatte sie den Eingang zum Tempel erreicht, da warf sich ein Vampir auf sie, den sie schon für besiegt gehalten hatte. Mit aller Kraft schoss ihre Faust vor, grub sich in die hässliche Fratze des Vampirs. Der flog zurück. Sofort war Draven bei ihm. Noch zwei Tritte gegen seine Brust genügten fürs Erste. Doch da stürzte sich ein weiterer Vampir mit einem fürchterlichen Brüllen auf sie. Der Blutsauger riss sie zu Boden, hockte nun auf ihr und ließ seine gewaltige Faust auf sie niedersausen. Im letzten Moment drehte Draven ihren Kopf zur Seite. Haarscharf iegte die Faust an ihrem Gesicht vorbei, grub sich mit einem dumpfen Laut in den Sand. Draven schleuderte den Vampir herum. Neben ihr donnerte er rücklings auf den Boden. Sofort war Draven über ihn. Aus dem Hosenbund zog sie eine Pflockpistole und presste ihm die Mündung der ungewöhnlichen Waffe gegen die Brust. »Fahr zur Hölle, Blutsauger!«, drang es rau aus ihrer trockenen Kehle. Dann zog sie durch. Der Pflock schoss heraus und bohrte sich in das Herz des Vampirs. Der Blutsauger zerfiel sofort zu Staub, der sich mit dem Sand der Wüste mischte. Draven sprang auf. Hektisch blickte sie sich um. Die anderen Vampire hatten sie fast erreicht. Noch wenige Sekunden, und sie ... Mit einem Satz war die Vampirjäge-rin beim Eingang des Tempels und stürmte hinein. Die Blutsauger blieben draußen, folgten ihr nicht. Das überraschte sie nicht, denn sie hatte schon vermutet, dass die Vampire einen zu großen Respekt vor dem Tempel der Sonne hatten. 16
Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass sie das, was sie suchte, tatsächlich hier fand. Sonst würde sie nie wieder lebend von hier wegkommen . .. Aber ihre Hoffnung erfüllte sich. Sie war gerettet. Als sie wieder aus dem Tempel trat, warteten die Vampire vor ihm. Es waren mindestens Hundert, vielleicht mehr. Doch das bereitete Celestine Draven keinerlei Sorgen mehr. Ihre Augen leuchteten gelb und auf ihren vollen Lippen lag ein diabolisches Lächeln. Das Wichtigste aber war der Gegenstand in ihrer rechten Hand. Es war ein Stab. Etwa einen Meter lang und so dick wie der Lauf eines Gewehrs. Er war aus purem Gold und das obere Ende wies eine edelsteinbesetzte, blumenartige Verzierung auf. Sie hielt den Stab hoch, reckte ihn zum Sternenhimmel empor, damit die verdammten Blutsauger ihn alle sehen konnten. Aus dem Stab heraus schössen Strahlen hervor. Helle, gelbe Strahlen, die sich weit über den Vampiren zu einem riesigen Flammenball zusammenschlössen. Plötzlich war die eben noch düstere Nacht taghell. Die Vampire sahen ungläubig nach oben, und im nächsten Moment gingen sie alle in Flammen auf. Jeder Einzelne von ihnen zerfiel in Sekundenschnelle zu Asche, die der leichte Wind bald verweht haben würde. Draven triumphierte. »Fahrt zur Hölle, ihr elenden Blutsauger!«, schrie sie so laut, wie sie nur konnte. »Und ihr seid erst der Anfang. Bald schon werde ich alle Vampire auf der ganzen Welt vernichten. Alle!« Und ihr Lachen schien nie zu verklingen ... Als Celestine Draven erwachte, lag ein zufriedenes Lächeln auf ihren vollen Lippen. Sie hatte geträumt. Es war ein schöner Traum gewesen. Ein Traum, in dem sie die Siegerin im Kampf gegen über hundert Vampir gewesen war. Doch es war nicht nur ein Traum gewesen, es war mehr als
das. Denn obwohl Draven es nicht mit absoluter Sicherheit sagen konnte, spürte sie doch, dass dieser Traum schon bald in Erfüllung gehen würde. Sehr bald. Der Tempel der Sonne existierte tatsächlich. Sofern ihr Lionel Capwell keine Märchen erzählt hatte. Aber sie durfte jetzt nicht zu pessimistisch sein. Sie musste einfach davon ausgehen, dass das, was sie erfahren hatte, stimmte. Und wenn der Tempel wirklich existierte, dann gab es auch das Zepter der Sonne. Sie dachte an ihr Gespräch mit Capwell zurück. Bevor Bruce Darkness aufgekreuzt war, hatte ihr der Professor auch etwas über die Hintergründe erzählt: Demnach beschwor vor Tausenden von Jahren eine Gruppe Ägypter ihren Sonnengott Ra. Dieser erhörte sie, und aus dem Wüstensand erhob sich ein Tempel, in den Ra vom Himmel niederstieg. Dort wollte er seinem Hohepriester das Zepter der Sonne überreichen, einen Stab, in dem die 17 Macht Ras, die Macht der Sonne gefangen war. Doch die Gegner der Sonnenpriester, Streitkräfte des Bösen, wollten verhindern, dass der Stab der guten Seite in die Hände fiel. Sobald Ra wieder zum Himmel aufgestiegen war, griffen sie den Tempel an. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Der Hohepriester des Sonnengottes war ein alter, sanfter Mann, der in der Hektik des Kampfes nicht daran dachte, seine mächtigste Waffe - das Zepter der Sonne - zu benutzen. Stattdessen flüchtete er in den Tempel. Der Anführer der Diener der Dunkelheit sah es und folgte ihm, während ihre Anhänger sich vor dem Tempel gegenseitig abschlachteten. Ein Zweikampf entbrannte, magische Gewalten tobten zwischen ihnen hin und her. Doch als das Böse den Tempel betreten hatte, versank er wieder im Wüstensand und riss die beiden Kämpfer mitsamt
dem Zepter der Sonne mit sich. Seitdem besaß der Tempel angeblich zwei Seiten - eine gute und eine böse. Natürlich hatte Draven Professor Capwell gefragt, woher er über dieses Wissen verfügte. Der Alte hatte lächelnd erwidert, dass er in seinem ersten Leben der Hohepriester der Sonne gewesen war, der mit dem Tempel versunken war. Für Draven klang das alles recht unglaubwürdig. So unglaubwürdig allerdings, dass sie sich wiederum kaum vorstellen konnte, dass Capwell das alles frei erfunden hatte ... Der Professor hatte ihr gesagt, dass sie sich sofort auf den Weg nach Ägypten machen müsse. Schon bald sei die Zeit gekommen, zu der der Tempel ein weiteres Mal auftauchen würde. Wann und wo genau, konnte er ihr nicht sagen. Aber er kannte einen Mann in Kairo, mit dem sie zusammenarbeiten sollte, denn der konnte ihr weiterhelfen. Draven war auf Grund ihrer bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Vampire von Capwell ausgewählt worden. Er selbst konnte nicht nach Kairo. Er war zu alt und zu krank für eine solche Aktion. Sein Arzt hatte ihm gesagt, dass er nur noch wenige Wochen, vielleicht sogar nur noch Tage, zu leben hatte. Seit Jahren kämpfte er schon gegen den Krebs, nun wusste er, dass er ihn nicht mehr gewinnen konnte. Deshalb musste er sich jetzt voll auf Celestine Draven verlassen. Er hatte ihr eindringlich erklärt, dass sie alles daransetzen müsse, an das Zepter der Sonne zu gelangen. Und das würde sie auch tun. Denn wenn das wirklich ihre Chance war, ihre Lebensaufgabe - die Vernichtung aller Vampire - zu erfüllen, dann würde sie diese Chance auch nicht ungenutzt verstreichen lassen! Sie hatte sich den ersten Flieger genommen, der Ägypten als Ziel hatte. In wenigen Stunden würde sie in Kairo landen. Und je näher dieser Zeitpunkt rückte, desto sicherer wurde sie, dass Capwell ihr die Wahrheit gesagt hatte. Dass der
Tempel der Sonne tatsächlich existierte, und ebenso das Zepter der Sonne. Ein Zauberstab, der die Lösung all ihrer Probleme darstellte. Draven grinste. Wer hätte das gedacht? Zufrieden warf sie einen Blick aus dem Fenster. Sah die Wolkendecke unterhalb des Fliegers und konnte es nun 18 kaum noch erwarten, endlich in Kairo zu landen. Warum genau sie plötzlich immer sicherer wurde, dass Capwells Geschichte Hand und Fuß hatte, konnte sie auch nicht sagen. Es war ein Gefühl, aber nicht nur ein Gefühl. Denn auch der Dämon in ihr schien so zu denken. Sonst hätte er sie davon abgehalten, nach Ägypten zu reisen. Und wenn es um den Kampf gegen Vampire ging, hatte sie sich auf IHN bisher stets verlassen können ... Bruce Darkness fuhr ziellos durch die Stadt. Die Auseinandersetzung mit Draven und Capwells Männern vor dem Hotel lag nun einen Tag zurück, und noch immer hatte er keine Spur von ihr. Niemand hatte sie gesehen oder etwas von ihr gehört. Sein Handy meldete sich. Er drosselte das Tempo, angelte es aus der Jackentasche und schaute aufs Display. Der Boss ... Er nahm das Gespräch entgegen, während er an den Rand der Straße fuhr und anhielt. »Ja?« »Bruce, komm sofort her. Es hat sich etwas ergeben.« »Ja, Herr.« Einen Moment hielt Bruce inne und überlegte, wie er am besten zum Empire State Building gelangen würde, dann gab er Gas. Eine halbe Stunde später erreichte er sein Ziel. Der Hoch geschwindigkeitsfahrstuhl beförderte ihn in weniger als 60 Sekunden in die 85. Etage des Wolkenkratzers. Mit einem Zischen öffneten sich die hydraulischen Türen, und Bruce verließ den Lift.
Wenige Augenblicke später betrat er das Büro seines Chefs. Boris Baron von Kradoc führte gerade ein Telefonat. Als er seinen Stellvertreter eintreten sah, bot er ihm mit einer entsprechenden Geste Platz an. Bruce setzte sich hin. Kurz darauf beendete der Baron sein Gespräch und wandte sich seinem Stellvertreter zu. »Es gibt Neuigkeiten bezüglich Ce-lestine Draven«, sagte Kradoc. Sofort spannte sich Bruce innerlich an. »Wo ist sie?« »Wenn die Informationen, die ich erhalten habe, richtig sind«, sagte Kra-"doc, »ist sie vor wenigen Stunden in Kairo gelandet.« »Häh?«, machte Bruce verdutzt. »Ägypten?« »Ganz recht. Sie hat unter falschem Namen einen Flug nach Kairo gebucht. Eingecheckt hat sie in Philadelphia, darum habe ich nichts davon erfahren.« Bruce nickte. In Philadelphia herrschte Marcus von Thule. Zwischen seinen Vampiren und den New Yorkern konnte jeden Moment ein offener Krieg ausbrechen. Zwischenzeitlich hatte es zwar so ausgesehen, als würden Diplomaten wie Katrina Stein das verhindern, doch offensichtlich wollte Marcus New York um Jeden Preis. Und zugegebener Maßen war der Baron auch an Philadelphia interessiert. »Doch bei ihrer Ankunft in Kairo ist sie einem alten Freund von mir aufgefallen. Da er von meinem Inte19 resse an ihr wusste, war er so freundlich, mich zu benachrichtigen. Wir können davon ausgehen, dass Professor Capwell in diese Sache verwickelt ist.« »Können Sie ihren Freund nicht bitten, die Sache für uns zu erledigen?« Bruce war sicher, das der Freund, von dem der Baron sprach, der Herrscher von Kairo war, oder zumindest jemand, der ziemlich hoch in der dortigen Gesellschaft stand. »Bedauerlicherweise haben seine Leute sie verloren, sobald
sie das Flughafengelände verlassen hatte.« »Schade.« Bruce hielt einen Moment inne. »Ne, überhaupt nicht.. . Heißt das, dass ich ihr jetzt hinterher fliegen soll, um sie aufzuhalten?« »Tatsächlich fände ich es angenehm, wenn du dort meine Interessen vertreten würdest. Auf dich kann ich mich eher verlassen als auf irgendwelche fremden Vampire.« »Danke. Bekomme ich den Privatjet.« »Natürlich. Zeit ist ein wichtiger Faktor. Celestine Draven hat bereits einen nicht zu verachtenden Vorsprung.« »Gut.« Bruce erhob sich. »Äh, ich kann kein Wort Ägyptisch.« »Arabisch. In Ägypten spricht man Arabisch. Aber das ist kein Problem. Selbstverständlich wirst du dich beim Herrscher von Kairo vorstellen. Er wird dir einen Dolmetscher zur Verfügung stellen.« »Dann ist ja alles klar. Diesmal entkommt sie mir nicht, Herr.« »Gewiss nicht, Bruce.« Der junge Vampir drehte sich um und verließ das Büro seines Chefs. Er grinste von einem Ohr zum anderen. Klasse, dachte er. Ich war noch nie in Ägypten. Das tolle daran, unsterblich zu sein, ist, dass man viel Zeit hat, Neues kennen zu lernen Kairo, Ägypten Als die Tür mit einem Krachen aufflog, wurde Achmet ben Nabil Al-Malik schlagartig klar, dass die Frau, die der alte Capwell ihm geschickt hatte, zu spät kommen würde. Zu spät, um ihn noch lebend anzutreffen! Die Männer, die in seine billige Unterkunft stürmten, sahen sich verteufelt ähnlich. Sie waren zu viert, trugen lange, schwarze Mäntel, schwarze Hosen und ebenfalls schwarze Schuhe. Die Haare waren kurz geschnitten und ebenfalls schwarz. Die Gesichter waren ungepflegt. Und jeder der Kerle
hatte auf dem rechten Handrücken eine kleine Sonne eintätowiert. Achmet kannte diese Kerle, noch vor kurzem hatte er zu ihnen gehört. Auch eine solche Tätowierung hatte er einmal besessen, doch jetzt war es nicht mehr da. Stattdessen prangte auf seinem Handrücken eine große Narbe, die sich entzündet hatte und knallrot leuchtete. Achmet -hatte sich das Tattoo eigenhändig aus der Haut geschnitten. Es war seine Art gewesen, den anderen den Rücken zu kehren. Endgültig. Dass er nicht einfach so davonkommen würde, war ihm klar gewesen, da hatte er sich nichts vorgemacht. Er hatte versucht, sich zu verstecken, hatte sich ein Zimmer in einem billigen Hotel genommen. Doch eigentlich war ihm klar gewesen, dass sie ihn schnel20 ler finden würden, als ihm lieb war. Er hatte sie erwartet, obwohl er natürlich gehofft hatte, dass sie ihn nicht so schnell auf die Fährte kamen - am besten gar nicht. Aber jetzt waren sie hier. Achmet würde sich verteidigen, so gut er konnte, doch tief ihn seinem Innern wusste er, dass er es nicht schaffen würde ... Kaum flog die Tür auf, hielt er auch schon seinen Revolver in der Faust. Sofort gab er die ersten Schüsse ab und trieb seine Verfolger so erst einmal in Deckung. Er sah noch, wie zwei der Typen getroffen in die Knie gingen, bevor er herumwirbelte und zum anderen Ende des Raumes stürmte. Er sprang mit einem gewaltigen Satz aus dem geöffneten Fenster. Die billige Unterkunft, die er angemietet hatte, befand sich im dritten Stock. Dass er trotzdem weich landete, war kein Zufall. Natürlich hatte er zuvor die Lage gecheckt und wusste, dass unten im Hinterhof ein Container stand, der bis zum Überlaufen mit Müllsäcken gefüllt war. Nichts
Ungewöhnliches in dieser Gegend von Kairo. Bis der Müll hier einmal abgeholt wurde, konnten Wochen vergehen. Achmet landete im Dreck. Es stank bestialisch. Die schwarzen Mülltüten, zwischen denen er nun hockte, waren randvoll mit Küchenabfällen. Durch seinen Aufprall waren sie aufgeplatzt und der verrottende Müll schien überall zu sein. Hektisch krabbelte er aus dem Container heraus. Als er wieder auf dem Asphalt stand, wurde ihm schlagartig klar, dass seine Flucht beendet war, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Er hätte sich denken können, dass die Typen nicht nur zu viert aufkreuzen. Hier unten stand noch ein halbes Dutzend weiterer Kerle. Sofort stürzten sie sich auf ihn. Achmet gab zwei weitere Schüsse ab, dann hatten die Typen ihn erreicht und schlugen ihm den Revolver aus der Faust. Brutal prügelten sie auf Achmet ein. Der wehrte sich so gut er konnte. Einem brach er die Nase, als er ihm die Faust ins Gesicht rammte, einen anderen stieß er einfach wuchtig zurück. Einem Dritten . . . Da traf ihn ein gemeiner Schlag von hinten im Genick. Kurz wurde es schwarz vor seinen Augen. Ein Tritt fegte ihm die Beine weg, sodass Achmet stürzte. Kaum lag er am Boden 21 traten sie auf ihn ein, bis er sich nicht mehr wehrte. Verzweifelt versuchte Achmet ben Nabil Al-Malik, wieder auf die Beine zu kommen. Vergeblich... Er war ganz sicher kein Schwächling. Er war kräftig gebaut und hatte gelernt zu kämpfen und sich zu verteidigen, schließlich hatte er einmal zu ihnen gehört. Aber er hatte es einfach mit zu vielen Gegnern zu tun. Das konnte er allein nicht schaffen! »Was ... wollt ihr?«, fragte Achmat keuchend. Es war eine überflüssige Frage. Er wusste genau, was sie
wollten - seinen Tod... Die Typen, die ihn umringten, lachten nur. Plötzlich teilten sich ihre Reihen. Durch die Lücke bei seinen Füßen trat einer, der sich nicht am Kampf beteiligt hatte. Dicht vor Achmets Füßen blieb er stehen. Der wusste natürlich, wer der Kerl war. Er hieß Thabit und gehörte zu den Anführern der Sonnensekte. Es war eine Qual für Achmet, derart zu ihm aufsehen zu müssen. »Kannst du dir das nicht denken?«, fragte Thabit. Er verzog keine Miene. In seinen Augen jedoch lag ein drohendes Funkeln. »Du hast dich von uns abgewendet und müsstest doch eigentlich wissen, welche Strafe dir droht.« Achmet wollte noch etwas sagen, ir-gendetwas erwidern. Doch er bekam kein Wort mehr heraus. Nur ein hilfloses Krächzen drang aus seiner trockenen Kehle, in der sich ein dicker Kloß gebildet hatte. Der Schweiß lief ihm in salzigen Bächen das Gesicht herab, sein Herz pochte wie wild, durch seinen Körper lief ein unbändiges Zittern. Er wusste, dass es jetzt vorbei war. Aus und vorbei. Er dachte zurück. An die vielen Fehler, die er gemacht hatte. Der größte Fehler war es gewesen, sich dieser Sekte anzuschließen. Aber für Reue war es jetzt zu spät. Es hatte keinen Sinn mehr. Wenn kein Wunder geschah, würden sie ihn jeden Moment töten. Doch an Wunder glaubte Achmet nicht. Er glaubte nur an nackte Realität. Und das bedeutete, dass sie ihn hinrichten opfern - würden. Thabit zog einen goldenen Dolch hervor. Das Gesicht des Arabers war starr, die Züge kalt. Auf seinen Lippen lag ein diabolisches Grinsen. Auf einen Wink von ihm packten seine Schläger Achmet an Armen und Beinen, um ihn ruhig zu halten. Er selbst schritt zum Kopfende seines Opfers und kniete sich auf den Boden. Thabit hob den Dolch mit beiden Händen hoch,
murmelte Worte in altägyptisch. Als der Dolch herabfuhr, kniff Achmet die Augen fest zusammen, wie ein Kind, das glaubte, dass die Gefahr verschwinden würde, wenn es sie nicht mehr sah .. . Celestine Draven verlor keine Zeit. Kaum, dass sie in Kairo gelandet war und die vielen Formalitäten erledigt hatte, machte sie sich auf die Suche nach dem Mann, den Capwell ihr genannt hatte. Da'ihr Pass gefälscht war, bemühte sie sich, so schnell es ging, von Kairos Flughafen zu verschwinden. 22 Draven wusste nicht viel über ihren Kontaktmann. Der Professor hatte ihr lediglich gesagt, dass der Mann bereit war, mit ihr zusammenzuarbeiten, und ihr das Hotel genannt, in dem er abgestiegen war. Für Sehenswürdigkeiten oder die Stadt Kairo an sich hatte Draven kein Auge übrig. Was ihr auffiel war, dass in Kairo ein noch schlimmeres Verkehrschaos herrschte als in New York. Es überraschte sie nicht. In Kairo lebten fast 20 Millionen Menschen. Entsprechend lange dauerte es auch, bis sie ihr Ziel erreichte. Schließlich stieg sie vor dem Hotel, das Capwell ihr genannt hatte, aus dem Taxi und ging auf den Eingang zu. Hotel konnte man diese Baracke eigentlich nicht nennen, dachte Draven. Aber sie selbst hatte schon in genauso elenden Absteigen gehaust. Das Hotel verfügte über vier Etagen. Von außen her machte es einen ziemlich baufälligen Eindruck auf Draven, und ganz sicher würde es drinnen auch nicht besser aussehen. Die meisten der Fenster waren kaputt, die Scheiben zerbrochen. Draven betrat das Hotel. Die dünne Holztür stand sperrangelweit auf. Die Rezeption war nicht besetzt, nirgendwo war jemand zu sehen. Links von Draven streckte sich eine nach oben führende, nicht gerade stabil wirkende Holztreppe.
Geradeaus war eine weitere Tür. Draven wollte gerade zu den Stufen gehen, da vernahm sie dumpfe Schreie. Sie horchte. Die Schreie kamen von draußen, aus der Richtung, in der sie eben die zweite Tür entdeckt hatte. Draven stürmte los. Sie hatte keine Ahnung, was da los war, aber ihr Instinkt - oder der Dämon in ihr - verriet ihr, dass es besser war, sich der Sache anzunehmen. Sie stürmte über die Schwelle und gelangte nach draußen. Kurz sah sie sich um. Sie befand sich im Hinterhof des Hotels. Einige Meter entfernt standen und knieten mehrere Männer. Sie waren alle schwarz gekleidet, und einer der Knienden hielt einen goldenen Dolch hoch über dem Kopf in beiden Händen. Die Kerle hielten einen hilflos am Boden liegenden Mann fest, dem der Dolch gerade in die Kehle gerammt werden sollte. Mit einem Kampfschrei warf sich Celestine Draven auf die schwarz gekleideten Männer. Die goldene Klinge fuhr herab, gerade als die Vampirjägerin losbrüllte. Irritiert hielt ihr Besitzer inne, führte den Stoß nicht aus. Da war Draven auch schon bei ihm. Ihr Fuß schoss vor und fegte den goldenen Dolch aus seinen Händen. Schmerzerfüllt schrie der Mann auf, als sie ihm so mehrere Finger brach. Einem Zweiten ließ sie die Faust ins Genick krachen, und er brach reglos zusammen. Endlich hatten sich die anderen schwarz Gekleideten von ihrer Überraschung erholt und wollten sich auf die rothaarige Frau stürzen. Draven wandte sich ihnen zu. Ihre Augen leuchteten gelb wie die Sonne, denn ER - der Dämon in ihr - war erwacht. 23 Die Männer hielten inne, starrten sie nur verwirrt an, bis der Typ, dem sie die Finger gebrochen hatte, irgendetwas auf
Arabisch kreischte. Es war wohl ein Angriffsbefehl, denn nun stürmten die schwarz Gekleideten wieder auf die Vampirjä gerin zu. Einer war schneller als die anderen. Mit einem Wutschrei stürzte er sich auf die Frau, die es gewagt hatte, seinen Anführer anzugreifen. Er holte aus, um zuzuschlagen. Doch Draven fegte ihn einfach mit einem Rückhandschlag zur Seite. Dann wich die Vampirjägerin zurück, als sie die nächsten drei gemeinsam attackierten. Feuer brach aus ihren Augen hervor, erfasste zwei der drei Kerle. Beide brannten sofort lichterloh. Der Dritte hatte es geschafft, sich noch rechtzeitig zurückzuwerfen. Jetzt krabbelte er rückwärts von ihr weg. Auch seine Kumpane, die sie noch gar nicht erreicht hatten, drehten sich um, und wandten sich zur Flucht. Celestine Draven ließ ihnen keine Chance. Der Dämon hatte nun ganz die Kontrolle übernommen und schleuderte Feuerbälle hinter ihnen her. Die Flammen hüllten die Männer ein, setzten ihre Kleidung und ihr Haar in Brand. Kurz darauf brachen sie tot zusammen. Nur ihr Anführer kniete noch immer auf dem Boden und krümmte sich um seine verletzte Hand. Draven blickte ihn aus ihren gelb leuchtenden Augen an. Nein! Tu es nicht!, schrie Celestine in ihrem Innern dem Dämon zu. Er kann noch Fragen beantworten! Doch die Höllenkreatur beachtete sie nicht. Wieder brachen Feuerbälle aus Dravens Augen hervor, trafen auf das kniende Mitglied der Sonnensekte. Der Mann schrie nicht sehr lange ... Erst dann gelang es Celestine, ihren eigenen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen. Geschafft!, dachte sie und wandte sich dem Ägypter zu, den die Kerle kalt machen wollten. Er lag noch immer ab Boden, war schweißgebadet und zitterte am ganzen Leib. »Sind Sie Achmet?«, fragte Draven und reichte ihm die Hand,
um ihm auf die Beine zu helfen. Der Ägypter schaute sie überrascht an. »Dann sind Sie die Frau, die Professor Capwell hergeschickt hat?« Die Vampirjägerin nickte. »Mein Name ist Celestine Draven. Und jetzt kommen Sie, Achmet. Lassen Sie uns von hier verschwinden.« »Ja«, sagte er nickend. Dann ergriff er ihre Hand. »Wir müssen weg hier, bevor die anderen kommen.« »Sie haben versagt«, sagte der große, breitschultrige Araber. Er hatte ein schmales Gesicht mit kantigen Zügen. Die Augen waren dunkel, in den Pupillen aber lang ein Funkeln. Sein Name war Harun ben Youssuf. Er war der Anführer der Sonnensekte. »Unsere Brüder, die ich auf Achmet angesetzt habe, haben versagt.« Osman ben Mustafa, sein engster Vertrauter und ein ganzes Stück kleiner als Harun, schaute auf. »Also lebt Achmet noch?« »Ja, er lebt.« »Wir müssen ihn ausschalten«, sagte 24 Osman entschieden. »Er weiß zu viel. Viel zu viel!« Doch Harun winkte ab. »Dafür ist jetzt einfach keine Zeit. Der Tempel wird bald aus dem Sand der Wüste emporsteigen. Wir müssen alles vorbereiten. Um Achmet müssen wir uns wohl oder übel später kümmern. Mir selbst gefällt das auch nicht besonders. Ich habe das Gefühl, dass Achmet etwas vorhat.« »Und was? Meinst du, er will uns aufhalten? Uns dazwischen funken?« »Möglich. Nur frage ich mich, was er davon hätte. Nun gut, setz noch ein paar Männer auf ihn an. Wichtiger ist aber, dass die elf Auserwählten für die Beschwörung zur Stelle sind. Und denk auch an die Wachen.« »Sicher.« Osman' ben Mustafa machte eine beruhigende
Geste. »Ich werde mich um alles kümmern. Aber bis wir Achmet aufspüren, kann es dauern. Wer weiß, wo der Mistkerl steckt.« »Und dann ist da noch die Frau.« »Was für eine Frau?« »Sie hat Achmet geholfen«, erklärte Harun. »Eine Amerikanerin. Sie ist jung, rothaarig und sehr stark. Das erfuhr ich jedenfalls von einem der Männer, die Achmet umbringen sollten und nicht von dieser Frau getötet wurden.« »Kam sie zufällig dazwischen?« »Glaube ich kaum, kann ich aber nicht sagen. Allerdings könnte es durchaus Probleme geben, wenn Achmet mit dieser Frau zusammenarbeitet. Sie soll wirklich über unmenschliche Kräfte verfügen.« Nachdenklich legte er die Stirn in Falten1. »Wie dem auch sei - am wichtigsten sind jetzt die Vorbereitungen für die kommende Nacht. Und wer sich uns in den Weg stellen will, wird beseitigt. Verstanden?« »Verstanden, Boss!« »Jetzt mal der Reihe nach«, sagte Ce-lestine Draven und sah Achmet von der Seite an. »Wer waren diese Typen. Warum wollten sie Sie killen und inwiefern können Sie mir weiterhelfen, Achmet?« »Das wissen Sie alles nicht?« »Sonst würde ich ja nicht fragen, oder?« Draven seufzte. Sie saßen in Achmets Jeep und waren einige Zeit ziellos durch die Gegend gefahren, um eventuelle Verfolger abzuhängen. Schließlich hatten sie in einer schmalen Seitenstraße angehalten. Immer wieder blickte Achmet in den Rückspiegel. Es war nicht zu übersehen, dass er sehr nervös war. »Capwell hat mir lediglich gesagt, dass ich Sie direkt nach meiner Ankunft aufsuchen soll«, sagte Draven nun. »Mehr nicht.« »Also gut.« Achmet nickte und wischte sich mit dem
Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. »Diese Kerle sind Mitglieder der Sonnensekte. Ich gehörte jahrelang zu ihnen, bin dann aber ausgestiegen. Ich wollte einfach nicht mehr. Aber aus dieser verdammten Sekte kann man nicht einfach austreten. Wenn es nach denen geht, kommt man da nur raus, wenn man tot ist.« 25 »Verstehe.« Braven nickte. »Aber was genau ist das für eine Sekte?« Achmet winkte ab. Hastig kramte er ein Päckchen filterloser Zigaretten aus seiner Hemdtasche. Er steckte sich ein Stäbchen zwischen die Lippen, zündete es an und inhalierte den Rauch. »Eigentlich ist das alles völlig absurd«, sagte er und ließ den Rauch durch die Nase ausströmen. »Der Ursprung der Sekte liegt Jahrtausende zurück. Damals tauchte angeblich zum ersten Mal der Tempel der Sonne auf. Er schien einfach aus dem Boden herauszuwachsen. Hat etwas mit dem Sonnengott Ra zu tun.« »Die Geschichte kenne ich«, nickte Draven. »Lassen Sie mich raten: Die Mitglieder der Sonnensekte sind Nachkommen der Männer, die einst versuchten, den Zepter der Sonne an sich zu bringen.« »Genau. Sie wollten verhindern, dass der Stab den Kämpfern für das Gute in die Hände fällt. In gewisser Weise gelang ihnen das auch. Allerdings bekamen sie selbst den Zepter der Sonne auch nicht. Angeblich blieb er im Tempel, der anschließend wieder im Erdboden verschwand.« »Und diese Sonnensekte will den Stab an sich bringen, wenn der Tempel das nächste Mal auftaucht?« »Richtig. Der Name der Sekte ist vielleicht etwas irreführend, aber das spielt ja auch keine Rolle. Jedenfalls wollen sie den Zepter der Sonne unbedingt in ihren Besitz bringen und so verhindern, dass der Stab letztendlich doch noch der guten Seite in die Hände fällt. Also wenn Sie mich fragen, ist das
alles reiner Humbug. Ich glaube, dass der Tempel ebenso wenig existiert wie der Stab. Das sind Fanatiker, die irgendwelche Leute verehren, die es auch nie gab. Keine Ahnung, wie das alles so entstehen konnte.« Achmet nahm noch einen Zug von seiner fast abgebrannten Zigarette, warf die Kippe aus dem Wagen und stecke sich gleich die Nächste an. »Und wieso waren Sie dann jahrelang Mitglied der Sekte?« Jetzt lachte er. »Weil ich sie nicht alle beisammen hatte.« Er machte mit der Hand eine entsprechende Geste. »Heute weiß ich selbst nicht mehr, wie ich so naiv sein konnte. Die haben mich vollgelabert. So lange, bis ich schließlich einer von ihnen war. Ich war ja selbst nie ein Kind von Traurigkeit. Habe einige Dinger gedreht und mich damit über Wasser gehalten. Die Kerle aber haben die wirklich großen Coups gelandet. Und wenn man zu ihnen gehört, geht es einem auch nicht schlecht, was die Knete angeht. Ich hab die damals sogar irgendwie als Freunde betrachtet. Irgendwann aber wurde mir dann klar, dass es denen nur um ihre scheiß Mission geht und dass sie dafür so viele Anhänger wie möglich brauchen. Ich hatte keinen Bock mehr, wollte aussteigen. Aber ich musste feststellen, dass das einfacher gesagt war als getan.« »Und Sie glauben nicht an das, was damals passiert ist?«, wollte Draven wissen. Er winkte ab. »Das sind doch Hirngespinste. Die haben sie nicht alle!« »Wie wurde Capwell auf Sie aufmerksam, Achmet?« »Keine Ahnung. Er war auf einmal da. Gleich nachdem ich aus der Sek26 te raus war. Stand vor mit und fragte, ob ich mit ihm zusammenarbeiten würde. Ich wollte nicht. Na ja, ich lebe im Moment schon gefährlich genug.«
»Und wie hat er Sie trotzdem umgestimmt?« Achmet zögerte leicht. »Nun ja, erstens sagte er mir, dass die Frau, die er mir schicken würde, mich vor den Sektenheinis schützen könne. So ganz konnte ich daran nicht glauben. Ich meine, eine Frau... also .. . ach, ist ja auch egal. Jetzt habe ich ja mit eigenen Augen gesehen, wie Sie drauf sind. Dann hat er mir auch noch eine Menge Geld gegeben.« Draven lächelte schief. »Da konnten Sie dann natürlich nicht nein sagen, klar. Aber darum gehts jetzt auch nicht. Wir haben Wichtigeres zu tun. Wissen Sie, wo der Tempel auftauchen wird? Und wann?« Achmet riss die Augen auf. »Sie glauben den Unfug doch nicht etwa? Ich meine, das ist doch ...« »Das müssen Sie mir schon überlassen, Achmet!«, entgegnete Draven scharf. »Ich denke, Capwell hat Ihnen Anweisung gegeben, mich zu unterstützen. Tun Sie es lieber!« »Ist ja gut, ist ja gut. Ich weiß, wo der Tempel wieder auftauchen soll. So in etwa jedenfalls. Ganz genau wissen das nur die Anführer der Sekte. Die anderen erfahren es erst kurz vorher. Ist jedenfalls ziemlich weit. Und ich weiß nicht, wie weit wir mit dem Wagen kommen, ist nämlich mitten in der Wüste. Und das sage ich Ihnen gleich: Die Sache wird gefährlich werden. Verdammt gefährlich. Die Scheißer von der Sekte werden es uns nicht leicht machen.« »Gut. Und wann soll der Tempel wieder auftauchen?« »So genau weiß ich das auch nicht, aber schon sehr bald. Angeblich taucht der ja nur alle Hundert Jahre oder so auf. Deshalb herrscht ja in letzter Zeit auch so eine Aufregung innerhalb der Sekte. Es muss jetzt irgendwann so weit sein.« Draven nickte entschlossen. »Dann sollten wir uns sofort auf den Weg machen, Achmet!« Der Araber hob seufzend die Schultern. »Wenn Sie meinen ...« Boris Baron von Kradocs Privatjet war am helllichten Tag mit
verdunkelten Fenstern in Kairo gelandet. Wie erwartet, hatte Kradoc alles bestens arrangiert. Von Seiten der Flughafenbehörde hatte es keinerlei Probleme gegeben. Bruce hatte so lange in der Maschine warten können, bis die Sonne unterging. Dann hatte er sich sofort auf den Weg gemacht. Er wollte als Erstes zum vampirischen Herrscher von Kairo, um sich bei ihm vorzustellen. Wenn er das nicht tat, galt er als ungebetener Eindringling und könnte entsprechend behandelt werden. Außerdem musste es ja seinen Dolmetscher abholen. Der Parkplatz vor dem Flughafen war menschenleer. Dummerweise ging Ärger nicht immer von Menschen aus. »Na, wen haben wir denn da? Einen 27 fremden Vampir, der hier unerlaubter Weise herumlungert?«, rief eine Stimme. Es war ein ziemlich hässlicher Vampir, von dem Bruce angesprochen wurde. Er hatte mindestens 20 Kilo Übergewicht, hatte braunes Haar, das bis zu den Schultern reichte und ziemlich fettig war, und sein Gesicht war übersät von ekligen Pusteln. Links und rechts neben dem Hässli-chen stand jeweils noch ein Vampir. Viel besser sahen die auch nicht aus, aber wenigstens waren ihre Gesichter nicht so verunstaltet. Eines aber hatten alle drei gemeinsam: Sie stanken , wie ein Haufen Müll. »Ist bestimmt ein feindlicher Agent, der hier spionieren will!«, krähte jetzt der Typ ganz links. Er war zwar auch etwas stämmig, aber er wirkte noch nicht fett. Sein schwarzes Haar war ebenfalls recht lang und seine Klamotten waren zerschlissen. In der Rechten hielt er einen Baseballschläger, den er im Takt in die flache linke Hand schlug. In seinen dunklen Augen lag ein drohendes Funkeln. »Genau!«, meldete sich nun der Dritte im Bunde zu Wort. Er
war eigentlich ein recht unauffälliger Typ, bis auf die dicke Eisenkette, die in seiner rechten Hand baumelte. »Bringen wir den Typ zum Boss!« An was für Möchtegern-Wächter bin ich denn da geraten?, fragte sich Bruce seufzend. »Vergiss es«, erwiderte der Hässli-che. »Um den Wichser kümmern wir uns selbst!« »Hört mal zu, Jungs«, meinte Bruce und hob beschwichtigend die Hände. Er war fremd in der Stadt, da wollte er keinen unnötigen Ärger provozieren. »Ihr seid auf dem Holzweg. Ich bin kein Spion, im Gegenteil. Mein Besuch ist angemeldet. Euer Boss erwartet mich.« Damit war für Bruce die Sache erledigt. Er wandte sich ab und wollte ein Taxi rufen, als er merkte, dass die drei Typen nicht locker lassen wollten. Drohend kam der Hässliche auf Bruce zu. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir dir das abnehmen, oder? Mistratten wie dich können wir hier nicht brauchen!« Er schlug zu. Bruce wich aus, ließ seine Faust vorschnellen, rammte sie in den Magen des Hässlichen. Der machte einen Diener und Bruce riss sein Knie hoch, ließ es in das Gesicht seines Opfers donnern. Jetzt brach der Hässliche endgültig zusammen. Er lag mit blutüberströmten Gesicht auf dem Rücken und verdrehte die Augen. Die beiden anderen Schläger sahen sich an. Die Schnelligkeit, mit der der amerikanische Vampir ihren Anführer erledigt hatte, gab ihnen zu denken. Doch sie waren zu zweit und bewaffnet. Und schließlich wollten sie später nicht als Feiglinge dastehen. Sie trennten sich, um Bruce von zwei Seiten angreifen zu können. Der stand ruhig, aber kampfbereit da. Langsam schüttelte er
den Kopf. »Macht keinen Unsinn, Jungs!« Doch sie hörten nicht auf ihn. Wie auf ein gemeinsames Zeichen sprangen sie gleichzeitig vor. Der eine ließ seinen Baseballschläger auf den Schädel des amerikanischen Vampirs niedersausen, der andere hieb mit der Kette nach dessen Beinen. Bruce sprang hoch, um der Kette 28 / auszuweichen und griff gleichzeitig mit beiden Händen nach der Keule. Er packte sie und riss sie seinem Gegner aus der Faust. Da traf ihn die Kette an den Füßen. Nicht hoch genug!, schoss es ihm durch den Sinn, als seine Beine unter ihm weggeschleudert wurden. Haltlos wirbelte er durch die Luft, prallte dann hart auf den Boden. Der Baseballschläger entglitt seinen Händen und rollte davon. Für einen Moment hatte Bruce die Orientierung verloren. Doch er sah trotzdem die Kette, die auf sein Gesicht zuraste, und wälzte sich zur Seite. Neben ihm tauchte der Kerl auf, dem er den Baseballschläger weggenommen hatte - und Bruce trat zu. Er traf nicht richtig, doch immerhin reichte es aus, um dem ägyptischen Vampir die Beine unter dem Körper wegzufegen. Der Kerl stürzte aufschreiend zu Boden. Bruce rappelte sich auf - warf sich aber sofort wieder hin und entging so der heranzischenden Eisenkette. Jetzt hielt er sich nicht damit auf, erst wieder aufzustehen, sondern sprang den Kettenschwinger direkt aus der Hocke heraus an. Er umklammerte seinen Gegner und rannte auf die nächste Mauer zu. Die Kette klatschte in sein Kreuz. Bruce stöhnte auf, doch sofort wandelte sich sein Schmerzensschrei in Wutgebrüll, und er lief noch schneller. Noch einmal traf die Kette auf seinen Rücken, dann hatte er mit seiner Last die Wand erreicht und rammte den gegnerischen Vampir dagegen.
Der schrie auf, als Bruces Schulter ihm den Brustkasten zerquetschte und sackte dann reglos zu Boden. Der New Yorker Vampir drehte sich um. Der Hässliche stand inzwischen wieder auf den Beinen und hatte einen Krummdolch gezogen. Der andere bückte sich gerade nach seinem Baseballschläger. »Oh, Mann«, murmelte Bruce. »Ich kann mich doch nicht hier einführen, indem ich einheimische Vampire abschlachte. Was macht das denn für einen Eindruck.« Aber er schien keine andere Wahl zu haben. Auch der Typ mit den zertrümmerten Rippen hinter ihm würde gleich wieder einsatzfähig sein. Der Hässliche und sein keulenschwingender Freund kamen jetzt näher. Bruce zog sein Hiebmesser unter der Jacke hervor und hielt die Klinge dem hilflosen Kerl mit der Kette an die Kehle. »Ich bin offiziell hier und will nur zu eurem Herrscher!«, rief er. »Also verkrümelt euch, oder euer Kumpel muss dran glauben.« »Das wird dich auch nicht retten!«, schrie der Hässliche - und stürmte los. Scheiße!, dachte Bruce und zog seine Klinge durch die Kehle seiner offenbar nutzlosen Geisel. In dem Moment erklang ein lauter Pfiff. Sofort hielten die ägyptischen Vampire inne, und auch Bruce trennte seinem Opfer den Kopf nicht völlig vom Körper. Was ist denn jetzt wieder los?, fragte er sich. Da sah er einen geschniegelten Vampir, der von rechts auf sie zukam. »Was geht hier vor«, herrschte er die beiden noch stehenden Schläger auf Englisch an. »Das ist Herr Bruce Dark-ness aus New York. Der Ewige erwartet ihn. Ich soll ihn zu ihm bringen. 30 Und euch fällt nichts anderes ein, als. ihn
zusammenzuschlagen?« Na, fragt sich nur, wer hier wen zusammengeschlagen hat, dachte Bruce, verkniff sich aber einen entsprechenden Kommentar. »Das ... das konnten wir doch nicht riechen«, stammelte der Häss-liche. »Nun, wir werden sehen, wie der Ewige, der Herrscher über unser aller Existenz, darüber entscheiden wird.« Dann wandte sich der Geschniegelte an Bruce. »Mr. Darkness, bitte entschuldigen Sie den etwas unglücklichen Empfang. Es tut mir wirklich außerordentlich Leid. Würden Sie mir bitte folgen, ein Wagen wartet bereits.« Bruce lächelte. Eine solche Begrüßung gefiel ihm schon eher .. . Das Gespräch mit dem Herrscher von Kairo - dem Ewigen dauerte weniger als zwanzig Minuten. Und Bruce hatte auch die versprochene Unterstützung erhalten. Er blickte nach links und seufzte. . Die zwei Vampire, die neben ihm standen und von nun an Bruces ständige Begleiter sein würden, kamen ihm etwas seltsam vor. Der eine hieß Isop ben Anis Al-Fa-lin, und der andere nannte sich Mohammed, der Furchtlose. Was ist von jemandem zu halten, der sich selbst »der Furchtlose« nennt, überlegte Bruce. Mohammed war sehr kräftig gebaut. Schon als Mensch musste der Kerl sehr stark gewesen sein, das sah man auf einen Blick. Sehr muskulöse Arme und ein gewaltiger Bizeps. Sein Gesicht - »»«T«, _ , , war leicht lädiert und die große Nase auffallend platt. Isop war das genaue Gegenteil. Zwar war er auch groß, aber wesentlich dünner. Er wirkte beinahe ausgezehrt. Er hatte kaum etwas auf den Rippen und sein gepflegtes Gesicht wirkte naiv und unschuldig.
»Na, dann wollen wir mal sehen, dass wir gut miteinander auskommen, was?« Bruce grinste sie an. Er wollte es wenigstens versuchen. »Och, das wird schon, Kumpel!« Freundschaftlich schlug Mohammed ihm auf die Schulter. Der Kerl ist fast so stark wie ich, dachte Bruce, als er leicht in die Knie ging»Ich weiß ja nicht, wie das bei euch in New York ist«, meldete Isop zu Wort. »Aber hier geht jeden Tag die Sonne auf. Nimm dich in Acht vor den Strahlen!« Bruce starrte den hageren Vampir verwirrt an. Was hat der Typ gesagt? Ist der plemplem? Mohammed zog ihn etwas zur Seite. »Stör dich nicht daran, Kumpel. Isop ist ein ganz schlauer Fuchs, das kann-ste mir glauben. Stell ihm eine schwere Rechenaufgabe oder sonst was - er weiß alles, sag ich dir. Und auch in geschichtlichen Dingen - also, der weiß alles über unsere Vorfahren und so. Aber was das Alltagsdasein angeht und so ganz normale Sachen, da ist er nicht so ganz auf der Höhe, musst du wissen. So schlau er auch ist, aber irgendwie ist der auch ein bisschen zurückgeblieben. Keiner weiß, woher 31 das kommt. Er hat mir aber erzählt, dass er mal von so ein paar Halbstarken durch 'ne Wand geschlagen wurde. Vielleicht hat das was damit zu tun. Ach, was weiß ich!« »Schon gut.« Bruce, den das alles gar nicht interessierte, winkte ab. Ihn interessierte eigentlich nur, wo Celestine Braven war. »Also, Jungs«, sagte er. »Ihr habt ja von eurem Boss gehört, dass ich auf der Suche nach einer Vampirjägerin bin. Sie heißt Celestine Draven, und ich muss sie finden und vernichten. Sie plant irgendetwas Großes in Kairo, und ich werde sie stoppen.« »Na, dann mal los!«, stimmte Isop entschlossen zu. »Wie mir scheint, zählt jede Sekunde.«
»Und wo sollen wir anfangen zu suchen?« Isops Tatendrang gefiel ihm. »Na«, erwiderte der Hagere, »wenn sie etwas Großes vorhat, wird sie wohl den Tempel suchen. Der soll doch bald wieder erscheinen. Angeblich schon .. .« »Bist du verrückt?«, fuhr Mohammed ihn an. »Du weißt doch, dass wir nicht mit Fremden darüber reden sollen. Wir sollen überhaupt nicht davon sprechen. Der Ewige will nicht, dass . . .« »Stopp!«, mischte sich Bruce ein. »Von was für einem Tempel redet ihr Zwei da?« »Hör gar nicht hin, Bruce«, sagte Mohammed schnell. »Der Kleine spinnt wieder mal. Der ist einfach . . .« Protestierend stemmte Isop die Fäuste in die Hüften. »Was fällt dir ein, Mohammed? Ich spinne überhaupt nicht. Also das ist doch ...« »Haltet die Klappe!« Langsam gingen die beiden Bruce auf die Nerven. »Jetzt hört mir mal zu! Ich bin nicht zum Spaß hier. Draven ist verdammt gefährlich. Ich weiß, dass sie aus einem ganz bestimmten Grund hier ist. Und wenn ihr irgendetwas wisst, dann sagt ihr es mir, verstanden? Ich. . .« Da piepte ein Handy los. Isop griff in seine Tasche, holte das Mobiltelefon hervor und warf einen Blick aufs Display. »Der Ewige . . .«, teilte er seinen Begleitern mit. Dann fing er an, in der Landessprache loszuschnattern. Es folgte eine längere Pause, und ihm war anzumerken, dass er jetzt nur noch Anweisungen empfing. Endlich war das Gespräch beendet. »Und?«, fragten Bruce und Mohammed wie aus einem Mund. »Sag schon, was ist los?« Der hünenhafte Ägypter war sichtbar neugierig. Isop steckte das Handy wieder weg. »Draven ist gesichtet worden. Sie ist wohl dabei, die Stadt zu verlassen. Kann sein, dass sie wirklich auf dem Weg zum Tempel.. .«
»Du sollst den Mund halten, Isop!«, brüllte Mohammed. Doch der Hagere grinste ihn nur breit an. »Irrtum, Muskelprotz! Der Ewige hat gesagt, wir sollen ihn einweihen.« »Im Ernst?« Mohammed sah ihn aus weit aufgerissen Augen an. Isop nickte. »Ja, er sagt auch, dass der Plan der Vampirjägerin etwas mit dem Tempel zu tun hat. Wir sollen mit niemandem sonst darüber reden, um nicht unnötig die Pferde scheu zu machen. Aber Bruce darf es erfahren. Der Ewige sagt, dass Bruce sein volles Vertrauen hat.« »Na, das ist doch mal ein Wort!« Der amerikanische Vampir nickte zufrieden. »Also, ich höre!« 32 »Das erzählen wir dir im Wagen, Bruce. Los, komm. Wir dürfen jetzt wirklich keine Zeit mehr verlieren!« Seufzend stoppte Svenja Breitner den Leihwagen. »Und hier willst du bleiben?«, fragte ihre Freundin Kerstin Vollmer und sah skeptisch aus dem Fenster. Die zwei Freundinnen aus Deutschland befanden sich etwa eine Autostunde hinter Kairo. Hier gab es nichts als ödes Land und einige baufällige Baracken. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Dass in den Baracken jemand wohnte, konnten sie sich kaum vorstellen. Svenja hob die Schultern. Sie war sehr hübsch. Groß und schlank, mit den Rundungen an den richtigen Stellen. Ihr blondes Haar reichte fast bis zum Gesäß. »Wo sollen wir sonst die Nacht verbringen? Etwa im Wagen?« »Ich hab dir ja gleich gesagt, dass es besser ist, wenn wir erst morgen früh unsere Tour fortsetzen. So lange hätten wir noch im Hotel in Kairo bleiben können!« Kerstin verzog die Miene. Die 27-Jährige war ebenso hübsch wie ihre beste Freundin. 'Sie sahen sich verblüffend ähnlich. Der einzige Unterschied war, dass Kerstins Haare feuerrot waren. Ihre Laune befand sich momentan auf dem Nullpunkt. Sie
hatte nun wirklich keine Lust, in dieser einsamen Gegend die Nacht zu verbringen. Sicher, Svenja, die ein Jahr älter war als Kerstin, hätte sich auch Besseres vorstellen können. Aber ihrer Meinung nach waren sie lange genug in Kairo geblieben, und schließlich wollte sie mehr von Ägypten sehen als nur die Hauptstadt! Svenja strich sich mit der Hand durchs lange, blonde Haar und machte anschließend eine entschlossene Geste. »Komm schon, Kerstin. Wir sehen mal nach, ob wir in einem der Häuser bleiben können. Vielleicht habe wir ja Glück und es ist eine Pension dabei!« Doch daran wollte Kerstin nicht so recht glauben. »Häuser? Pension?«, echote sie. »Das glaubst du doch selbst nicht! Das wohnen höchsten noch Ratten, mehr nicht. Da brennt ja auch nirgendwo Licht. Also echt, Svenja. Langsam frage ich mich, welcher Teufel mich geritten hat, mit dir drei Wochen in Ägypten zu verbringen. Wäre ich doch nur in good old Germany geblieben!« Gemeinsam stiegen die Freundinnen aus den Wagen und gingen auf eine der wenigen Hütten zu. Als sie die erste erreichten, rümpfte Kerstin erneut die Nase. »Mensch«, grummelte sie, »diese Baracke hat ja nicht mal 'ne Tür!« »Das sehe ich selbst!«, erwiderte Svenja barsch. Die ewige Nörgelei ihrer Freundin ging ihr ganz schön auf die Nerven! Dabei hatte die doch vorher gewusst, auf was sie beide sich einließen. Von Anfang an war klar gewesen, dass ihr Trip kein Erholungsurlaub werden würde! Sie hatten weder Hotels noch irgendwelche Sightseeingtouren gebucht. Lediglich den Hinund Rückflug, mehr nicht. Alles 33 andere wollten sie selbst vor Ort in die Hand nehmen. Und in Ägypten muss man sich eben mit anderen Standards als in Deutschland zufrieden geben!
»Komm, lass uns mal reingehen!«, sagte Svenja leise. Warum sie in dem Moment flüsterte, wusste sie selbst nicht. Ebenso wenig wusste sie, warum ihr eine eiskalte Hand langsam den Rücken herabstrich, als sie über die Schwelle trat. Drinnen war es stockduster. Das Fiepen einiger Ratten war zu hören, sonst war alles grabesstill. Plötzlich war auch Svenja nicht mehr so wohl zu Mute. Ihr war unheimlich, und Kerstin erging es nicht anders. Keines der beiden Mädchen ahnte, dass dunkle, böse Augen sie in diesem Moment beobachteten . . . Ganz in der Nähe standen zwei Jeeps und ein Lieferwagen. Aus einem der Geländewagen stiegen nun zwei Männer, die in schwarze Umhänge gehüllt waren. Einer der beiden war sehr groß, fast zwei Meter. Der andere war einen ganzen Kopf kleiner als sein Kumpan. Bei den beiden Männern handelte es sich um Harun ben Youssuf und Osman ben Mustafa - dem Anführer der Sekte und seinem Stellvertreter. »Und du bist sicher, dass sie eine gute Wahl ist?«, fragte Osman. Harun nickte überzeugt. »Die Blonde ist genau richtig. Eine junge, schöne Frau. Genau das richtige Opfer!« Sie waren den beiden Mädchen von Kairo aus hierher gefolgt. Sie brauchten ein wirklich'gut aussehendes junges Opfer, und das war die blonde Deutsche ohne Zweifel. »Sollen wir zuschlagen?«, fragte Osman nun. Harun nickte. Gleich darauf klatschte er laut in die Hände. Sofort stiegen weitere Männer aus den Fahrzeugen. Alle zusammen gingen sie nun auf die Baracke zu, die die zwei jungen Frauen vorhin betreten hatten. In den dunklen Augen der Männer lag ein böses, drohendes Funkeln ... »Verdammt, lass uns von hier verschwinden, Svenja! Wir
sind hier nicht sicher. Ich hab ein ganz mieses Gefühl!« Kerstin Vollmer fühlte sich bedroht. In der Baracke war es dunkel und unheimlich. Nur durch die Fenster fiel der schwache Schein des Mondes. Svenja kramte ein Päckchen Streichhölzer aus ihrer Jackentasche und riss eines der Hölzer an. Die Flamme erhellte den Raum ein wenig mehr. Sie sahen umgestürzte Stühle, kaputte Holztische und eine Theke. »Na toll«, sagte Kerstin zerknirscht. »Wir sind tatsächlich an eine Gaststätte geraten. Nur scheint sie schon ziemlich lange geschlossen zu haben.« »Ist doch egal!«, erwiderte Svenja. »Au!« Sie hatte sich die Finger leicht verbrannt, als das Streichholz niedergebrannt war. Sie ließ es zu Boden fallen und entzündete ein weiteres. »Mensch, hier können wir doch prima eine Nacht verbringen! Wir holen unsere Schlaf säcke aus dem Wagen und 36 richten uns hier häuslich ein. Was meinst du, wie toll das wird, wenn wir uns hier vor dem Schlafen unheimliche Geschichten erzählen. Richtig gruselig wird das!« »Klasse!«, erwiderte Kerstin. Aus ihrer Stimme war jedoch herauszuhören, dass sie ganz und gar nicht begeistert war. »Das hier ist gruselig genug, da muss ich nicht auch noch irgendwelche Geschichten hören! Außerdem werden wir hier erfrieren. Es gibt keine Tür und die Fenster sind kaputt.« »Erfrieren?« Svenja sah ihre Freundin verständnislos an. »Wir sind in Ägypten, Kerstin! Draußen ist es warm, auch nachts. Was heißt warm? Heiß ist es, verdammt!« »Na, nun übertreib mal nicht gleich. Außerdem ist es mir hier auch viel zu gefährlich.« »Gefährlich? Wieso denn das nun wieder? Wir sind doch ganz allein hier. Weit und breit keine Menschenseele, die uns etwas tun könnte. Oder meinst du etwa, hier tauchen gleich irgendwelche Männer auf, die uns vergewaltigen wollen?
Mensch, Kerstin, jetzt mach dir mal nicht in die Hose!« Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da stürmte eine Horde fremder Männer in die Baracke! Svenja schrak zusammen und Kerstin schrie gellend auf. Die Männer trugen Petroleumlampen, die schummrigen Schein in dem Raum verbreiteten. Die Araber waren ganz in schwarz gekleidet. Ihre Gesichter wirkten kalt und bedrohlich auf Svenja. Mit langsamen, motorisch wirkenden Schritten kamen sie näher. Die beiden Freundinnen rückten näher zusammen und standen dann wie versteinert da. Svenja spürte, dass ihre Freundin zitterte, und durch ihren eigenen Körper lief ebenfalls ein leichtes Beben. »Was - wollen Sie?«, fragte Svenja auf Englisch. »Was wollen Sie von uns?« Keine Antwort. Jetzt erreichten die Männer sie. Svenja sah, wie einer der Unheimlichen einen goldenen Dolch unter dem Umhang hervorzog. Sie zuckte zusammen, und Kerstin wollte erneut aufschreien, doch lediglich ein hilfloses Krächzen verließ ihre staubtrockene Kehle. Der Unheimliche hob den Dolch und stach zu! Svenja sah, wie die lange Klinge vorstieß - und sich in Kerstins Oberkörper bohrte! Entsetzt schrie die Blonde auf. Das alles kam ihr vor wie ein Traum, ein schrecklicher Albtraum. Hektisch sah sie zu Kerstin hinüber. Ihre Freundin stand wie zur Salzsäure erstarrt da. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund ebenfalls. Ein Röcheln entwich ihrer Kehle. Die Klinge des Dolchs steckte noch immer in ihrer Brust. Jetzt zog der Unheimliche den Dolch wieder heraus und Kerstin brach zusammen. Svenja schrie so laut, wie sie nur konnte. Ihre Schreie mussten noch am anderen Ende der Welt zu hören sein.
Dann stürmte einer der Männer auf sie zu, packte sie und presste ihr einen 37 feuchten, übel riechenden Lappen auf den Mund. Svenja wollte sich wehren, doch sie hatte keine Chance. Der Mann war einfach zu stark. Sie spürte, wie ihr langsam die Sinne schwanden. Alles um sie herum begann, sich zu drehen, und schließlich wurde es finster ... »Es scheint tatsächlich heute Nacht stattzufinden«, sagte Achmet und deutete nach vorn. »Sehen Sie nur -da!« Dravens Blick folgte seinem zeigenden Finger, und sie sah die Männer. Sie kamen aus einer kleinen, heruntergekommenen Baracke. Sie trugen lange schwarze Mäntel, und einer von ihnen trug eine junge, blonde Frau auf den Armen, die offenbar bewusstlos war. Draven und Achmet hatten mit ihrem Jeep Kairo vor gut einer Stunde hinter sich gelassen, als sie die hier geparkten Autos gesehen hatten -es waren zwei Jeeps und ein großer Lieferwagen. Achmet hatte auf die Bremse getreten. Er kannte diese Fahrzeuge, wusste, wem sie gehörten . . . Der Sonnensektel Aus sicherer Entfernung beobachteten sie nun, wie einige der Männer in den großen Lieferwagen stieg. Vier von ihnen teilten sich auf die zwei Jeeps auf. »Dann brauchen wir ihnen ja nur noch hinterher zu fahren«, sagte Draven, und ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Hätte nicht gedacht, dass es so einfach wird.« Achmet warf inr einen verständnislosen Blick zu. »Einfach? Wenn die uns entdecken, dann ...« »Wir müssen eben vorsichtig sein«, sagte sie. »Na, und wenn sie uns doch entdecken? Die werden uns nicht so einfach davonkommen lassen, das steht fest!« »Dann werden wir uns schon zu verteidigen wissen«, gab Draven fest zurück. Sie hatte ein Ziel - und für dieses Ziel war
sie bereit, alles zu tun und jede Gefahr auf sich zu nehmen. Natürlich hätte sie Achmet, der ihr einfach nicht entschlossen genug war, auch hier stehen lassen und allein weiterfahren können. Aber wer weiß, wozu er noch gut ist, dachte sie. »Wir sind nur zu zweit, da haben wir doch keine Chance!«, platzte Achmet nun heraus. »Und was, wenn . . .« Sie ließ ihn nicht ausreden. »Still!«, knurrte sie. »Oder willst du aussteigen?« Die Wagen der Sektenmitglieder fuhren los, und Achmet kam nicht dazu, über eine passende Antwort nachzudenken. »Los, wir wechseln!«, befahl Draven. »Ich fahre!« Dagegen hatte der Ägypter nichts einzuwenden. Ihm war das alles ohnehin zu aufregend. Hastig tauschten sie die Plätze. Draven fuhr an und folgte den drei Wagen in sicherem Abstand. Sie fuhren weiter in Richtung Osten. Bis zur nächsten Stadt waren es mindestens 40 Meilen, wie Achmet ihr verriet. Bis dahin gab es nichts als ödes Land. Schließlich - Draven konnte nicht 38 sagen, wie viel Zeit vergangen war -stoppte einer der Jeeps. Der andere Jeep und der Lieferwagen fuhren weiter. Draven zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen. Sie wollte den beiden anderen Fahrzeugen folgen. Vor allem dem Lieferwagen galt ihrer Aufmerksamkeit. Aber wenn sie jetzt an dem Jeep, der am Wegesrand stand, vorbeifuhren, würde man sie unweigerlich entdecken. Sie blickte nach links und entdeckte einen weiteren Weg. Er lief praktisch parallel zur Straße, aber auf einer Anhöhe entlang. Wenn sie den Weg nahmen hatten sie eine gute Chance, nicht bemerkt zu werden. Also los!, dachte Draven, lenkte den Wagen scharf nach links und fuhr schließlich die Anhöhe hinauf.
»Behalt mal den Jeep im Auge«, sagte Draven zu ihrem Begleiter. »Wenn sich nichts tut, haben wir Glück.« Achmet nickte. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Die scheinen nichts gesehen zu haben.« Draven nickte zufrieden und fuhr weiter den Weg entlang. Weiter vorn sahen sie auf der Straße den anderen Jeep und vor ihm den Lieferwagen. Immer weiter fuhren sie durch die Nacht und folgten den Schlussleuchten der Fahrzeuge der Sonnensekte. Plötzlich stoppte das vordere Auto, also der Lieferwagen, während der Jeep weiterfuhr. »Und jetzt?«, wollte Achmet wissen. »Was jetzt?« Draven hielt ebenfalls an. »Wir halten uns an den Lieferwagen.« Die Vampirjägerin stieg aus und beobachtete, wie auch die Insassen des Lieferwagens das Fahrzeug verließen und sich in einer Reihe aufstellten. Die Frau, die sie bei sich hatten, war mittlerweile wieder aus ihrer Bewusstlo-sigkeit erwacht. Zwei der Männer hielten sie fest. Sie weinte und schrie, wollte sich dem Griff befreien, doch sie war noch zu benommen und schwach. Jetzt stellten sich alle in einer Reihe auf. Draven zählte dreizehn Männer und die Frau. »Komm schon«, sagte sie Achmet zu. »Wir schleichen uns näher ran.« Der Ägypter nickte nur und sie machten sich auf den Weg. Sie kletterten die Steigung hinab und liefen in geduckter Haltung nach vorn auf die Sektenmitglieder zu. Schließlich blieben sie hinter einem Busch hocken. Die Distanz zwischen ihnen und den Männern in den schwarzen Mänteln betrug nun nur noch ein paar Meter. »Faisal und Bashir«, sagte nun einer der Männer, »ihr stellt den Wagen etwas abseits ab. Wir anderen gehen schon mal vor. Ihr kommt dann nach, klar?«
Auf einen Wink des Sprechers gingen elf der dreizehn Männer mitsamt dem Mädchen los. Faisal und Bashir wandten sich um und bewegten sich wieder auf den Wagen zu. »Die krallen wir uns!«, flüsterte Draven. Entschlossen nickte sie Achmet zu. »Du nimmst den Linken!« Mit diesen Worten stürmte die Vampirjägerin vor! Mit einem gewaltigen Satz warf sie sich auf den rechts stehenden Kerl. 39 Der schien irgendetwas gehört zu haben. Er wirbelte herum und riss erschrocken die Augen auf. Ehe er auch nur einen Warnruf ausstoßen konnte, riss Draven ihn zu Boden. Mit einem Keuchen entwich die Luft aus seinen Lungen. Der Kerl lag auf dem Rücken, Draven hockte über ihm. Blitzschnell zog sie ein Messer hervor. Die beidseitig geschliffene Klinge blitzte im fahlen Schein des Mondes. Ungläubig starrte der Kerl Draven an. Er setzte zu einem Schrei an, um seine Kameraden zu waren und um für sich Hilfe zu rufen. Es kam nichts außer einem Gurgeln aus seinem Mund. Die Vampirjägerin hatte ihm den Dolch in die Kehle gerammt, bevor er einen Laut von sich geben konnte. Draven schnellte wieder auf die Beine und blickte zu Achmet herüber. Erleichtert stellte sie fest, dass auch sein Gegner nie wieder Alarm geben würde. Die Vampirjägerin lächelte zufrieden. Sie spürte, dass sie ihrem Ziel ganz nah war ... Bruce Darkness fuhr wie der Teufel. Eigentlich hatte Mohammed - der Furchtlose, fügte Bruce in Gedanken lächelnd hinzu - auf dem Fahrersitz Platz nehmen wollen. Doch Bruce hatte sich durchgesetzt. Wer weiß, wie diese Ägypter fahren!, hatte er sich gesagt und sich selbst hinters Steuer geworfen. Der Wagen war ein mit Spezialfens-tern ausgestatteter Van.
Sollten die Vampire irgendwo in der Wüste stecken bleiben und nicht rechtzeitig vor Sonnenaufgang einen Unterschlupf finden, konnten sie in seinem Inneren problemlos den nächsten Abend abwarten. Und nur, wenn es jemandem gelang, die von innen mit Extraschlössern verriegelten Türen zu öffnen, bestand die Gefahr, dass sie in der Wüstensonne in Flammen aufgingen. Mohammed, der auf dem Beifahrersitz saß, warf Bruce immer wieder anerkennende Blicke zu. Anscheinend gefiel ihm der Fahrstil des New Yorker Vampirs. Ganz im Gegensatz zu Isop, der hinten hockte und sich krampfhaft festhielt. Bruce glaubte nicht, dass der hagere Vampir im New Yorker Straßenverkehr lange überleben würde. Die drei waren Celestine Draven auf den Fersen. Über Funk standen sie in ständigem Kontakt mit einem Angestellten des Herrschers von Kairo. Der verfolgte den Wagen der Vampirjägerin mit Hilfe eines Satelliten und lotste Bruce durch die Wüste. Als Isop ihm von dieser Möglichkeit berichtet hatte, war Bruce ehrlich beeindruckt gewesen. Er fragte sich, ob der Baron das auch konnte, oder ob der so genannte Ewige seinem Boss in dieser Angelegenheit voraus war. »Die scheint wirklich da. hin zu wollen, wo der Tempel angeblich erscheinen soll«, sagte Mohammed stirnrunzelnd, als sie erfahren hatten, wo Celestine Dravens Jeep gehalten hatte. »Ich hätte ja nie gedacht, dass an der ganzen Sache wirklich was dran ist.« Bruce warf ihm einen flüchtigen Blick zu, konzentrierte sich dann wie40 der auf die Straße. »Aber irgendje-mand von euch muss doch wissen, ob sich das alles damals wirklich so zugetragen hat oder nicht.«
»Die meisten glauben, dass es sich um eine Art Sage handelt oder so«, meldete sich Isop zu Wort. »Aber bekanntlich haben alle Sagen einen wahren Kern.« »Es muss doch Vampire geben, die mehr darüber wissen«, hakte Bruce nach. »Die diesen ganzen Mist damals vielleicht sogar hautnah miterlebt haben.« Isop zuckte mit den Schultern. »Mag sein. Ich denke auch, dass auf jeden Fall der Ewige mehr darüber weiß. Wir nennen ihn nicht umsonst so, weißt du. Aber er hält niemanden, der nicht wenigstens ein paar hundert Jahre alt ist, für erwachsen. Darum fühlt sich von ihm kaum jemand ernst genommen. Schließlich spricht er ständig mit Kleinkindern - aus seiner Sicht. Außerdem ist er. ..« Die Unterhaltung brach jäh ab. Vor ihnen auf dem Weg tauchten plötzlich zwei Männer auf. Neben ihnen stand ein Jeep. Und in den Händen hielten die Kerle Sturmgewehre! Die junge Frau lag bewusstlos am Boden. Sie war nackt, kein Fetzen Stoff verhüllte mehr ihren gut gebauten Körper. Sie lag auf dem Rücken, Arme und Beine waren sie so ausgebreitet, dass ihr Körper von oben betrachtet wie ein X aussah. Sie lag in freier Natur, mitten im Wüstensand. Um sie herum standen dreizehn Gestalten in langen, schwarzen Kutten. Ihre Kapuzen reichten ihnen so weit ins Gesicht, dass kaum etwas von ihren Gesichtern zu erkennen war. Dass unter den dreizehn Gestalten eine Frau war, wusste nur einer der restlichen zwölf Männer. Es war Achmet, der Abtrünnige. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Kalter Schweiß lag auf seine Stirn und krampfhaft versuchte er, das Zittern zu unterdrücken, das durch seinen Körper lief. Achmet hatte Angst. Er wusste, dass weder er noch Celestine Draven lebend von hier fortkamen, wenn man sie enttarnte.
Warum, um alles in der Welt, habe ich mich nur darauf eingelassen?, fragte er sich immer wieder. Beantworten konnte er sich diese Frage nicht. Draven hatte ihn irgendwie völlig überrumpelt. Er hatte sich vorhin verdrücken wollen, aber schließlich hatte die Vampirjägerin ihn überzeugt. Sie hatte eine unbeschreibliche Aura ... Nachdem sie die zwei Sektenmit-glieder ausgeschaltet hatte, hatten sie deren Kutten angezogen und sich den anderen elf Männern angeschlossen. Ein Mitglied der Sonnensekte hatte die Frau wieder mit Chloroform betäubt und anschließend auf den Boden gelegt. Jetzt standen sie alle um die Frau herum und warteten ab. Kurz schielte Achmet zu Draven herüber. Sie stand rechts neben ihm und hielt den verhüllten Kopf wie alle anderen gesenkt. Diese Frau ist nicht normal, schoss es ihm durch den Kopf. Sie ist - kein Mensch! Wie er auf diesen Gedanken kam, konnte er selbst nicht sagen. Es war ja eigentlich absurd - aber es war alles absurd, was hier geschah. Achmet wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Die Sektenmitglieder begannen, den Tempel zu beschwören. Achmet kannte die Beschwörungsformeln. Lang genug hatte er sie einstudieren müssen. »O Tempel der Sonne - komme zu uns und nimm dein Opfer!« Mit diesen Worten endete die Beschwörung. Für einen Moment war alles still. * Totenstill. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Ein markerschütterndes Grollen erklang. Die Erde begann zu beben. Das Schwanken des Bodens war so stark, dass Achmet und die anderen sich anstrengen mussten, um nicht den Halt zu verlieren. Und da! Ganz in der Nähe der Gruppe tat sich die Erde auf. Der Sand verschwand, als ob sich darunter plötzlich ein großes Loch
gebildet hatte, in das er fiel. Nach und nach bildete sich in der Erde ein großer Krater. Er war riesig und schien sehr tief zu sein. Achmet riskierte einen Blick unter der Kapuze hinweg, doch es war ihm nicht möglich, den Boden zu erkennen. Das ist doch nicht möglich!, dachte er. Plötzlich quoll Nebel aus den! Loch hervor. Die Schwaden stiegen hoch und breiteten sich rasendschnell aus, sodass Achmet bald kaum noch etwas erkennen konnte. Nach einiger Zeit lichtete sich der Nebel wieder und . . . Ein Raunen ging durch die dreizehn Gestalten. Alle starrten gebannt auf das, was im Schütze des Nebels, von ihren Blicken unbemerkt erschienen war - den Tempel der Sonne! Er war gigantisch, faszinierend schön. Die linke Seite des Tempels war aus hellen Steinquadern gefertigt. Überall waren Abbildungen des Sonne in den Fels gemeißelt worden. Alles war mit Gold verziert, und aus dem bogenförmigen Eingang des Tempels drang helles, angenehmes Licht. Die rechte Seite des Tempels jedoch war das genaue Gegenteil. Die Steine waren dunkel, beinahe schwarz. Nirgendwo Gold oder irgendwelche Verzierungen. Auch auf dieser Seite gab es einen Eingang, doch aus diesem drang kein Lichtschimmer. Die Legende ist wahr!, durchfuhr es Achmet. Der Tempel des Sonnengottes Ra ist geteilt. Die eine Seite ist gut, die andere liegt in Finsternis. Und wie um zu bestätigen, dass die schwarze Seite des Heiligtums dem Bösen gehörte, bildete sich links und rechts neben dem dunklen Eingang etwas aus dem Gestein, das 42 Achmet zunächst nicht deuten konnte. Eine undefinierbare, schleimige Masse, die sich nun verformte, größer wurde. Was ist das?, fragte sich Achmet, doch gleich darauf erkannte
er es. Es waren Arme. Schleimige Arme mit großen, dämonischen Klauen. Und sie griffen nach dem Opfer! Die Kerle schössen sofort! Das Rattern der Sturmgewehre zerschnitt die Stille der Nacht. Die Waffen spuckten Feuer und Blei. Bruce rutschte in den Fußraum, duckte sich hinter den Armaturen. Glassplitter von der zerschossenen Windschutzscheibe regneten auf ihn nieder. Dann platzte ein Reifen, wurde von mehreren Kugeln zerfetzt, und der Van brach zur Seite aus. Der amerikanische Vampir hatte keine Chance, das Fahrzeug auf der Straße zu halten. Sie rollten noch ein Stück abseits der Straße, bevor er in die Eisen stieg, doch wirklich gebremst wurde der Van von einem großen Felsbrocken. Bruce stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Sofort begannen die beiden Typen mit den Sturmgewehren wieder zu feuern. Der Vampir warf sich zu Boden. Natürlich konnte man ihn so nicht töten, aber eine Salve, die ihn voll erwischte, würde auch ihn für einen Moment außer Gefecht setzen - und es würde verdammt weh tun. Die Kugeln trafen auf den Van. Ich wusste gar nicht, dass der gepanzert ist, dachte Bruce beiläufig. Er griff sich einen faustgroßen Stein, sprang auf und warf. Er traf nicht, aber die beiden Schützen fühlten sich bedroht, stellten für einen Moment das Feuer ein und wichen dem Wurfge-schoss aus. Das reichte Bruce. Er war dem Stein sofort hinterher gesprintet und hatte im Laufen seine Schrotpistole unter der Jacke hervorgerissen. Bevor die beiden Sturmgewehrschützen die nahende Gefahr
richtig bemerkt hatten, hatte er sie schon fast erreicht. Einem gelang es noch, seine Waffe auf Bruce zu richten - da feuerte der Vampir seine Schrotpistole ab. Er war noch zu weit entfernt, sodass ihre vernichtende Wirkung nicht voll zum Einsatz kam. Doch es reichte auch so. Schrotkörner hagelten auf seinen Gegner ein. Durch die große Streuwirkung verfehlten ihn viele von ihnen, und auch die Kugeln die trafen, verletzten den Mann kaum - aber sie taten höllisch weh. Aufbrüllend ließ der Kerl seine Waffe fallen und schlug die Hände vors ungeschützte Gesicht, wo die Schrotladung am meisten Schaden angerichtet hatte. Bruce war einfach weitergesprintet und riss gerade dem anderem Sturmgewehrschützen die Waffe aus der Hand. Der Kerl versuchte auch gar nicht, sie festzuhalten. Er ließ sofort los, sprang hoch, wirbelte dabei um die eigene Achse und trat zu. Sein Militärstiefel traf Bruce voll an der Schläfe. 43 Der Vampir brüllte auf. Er verlor den Boden unter den Füßen, wurde herumgewirbelt und krachte nach einem verunglückten Salto mit dem Rücke zuerst auf die Erde. Das Nächste, was er sah, war eine Stiefelsohle, die auf sein Gesicht zukam, Bruces Hände schössen vor, umklammerten den Fuß des Kerl und drehten ihn ruckartig herum. Das hässliche Krachen splitternder Knochen erklang. Der Mann, der eben noch siegessicher auf seinen am Boden liegenden Gegner runtergeblickt hatte, brüllte auf. Er verlor das Gleichgewicht und brach zusammen. Bruce sprang wieder auf die Beine. Da hörte er hinter sich einen Wutschrei und wirbelte herum. Der Kerl, den er mit der Schrotpistole erwischt hatte, hatte sein Sturmgewehr wider aufgehoben und auf Bruce angelegt. Sein Finger krümmte sich um den Abzug ...
Wie aus dem nichts erschien Mohammed, der Furchtlose, hinter ihm und ließ seine große Faust" auf den Sturmgewehrschützen niederkrachen. Sofort brach der Sterbliche leblos zusammen. »Nett, dass du auch noch gekommen bist.« Bruce grinste den riesenhaften Ägypter an. »Danke!« »Keine Ursache.« Bruce wandte sich dem Überlebenden der beiden Männer zu. Der war inzwischen in eine gnädige Bewusstlo-sigkeit hinabgeglitten. Der amerikanische Vampir zog den Mundwinkel nach unten. »Schade, ich hätte gerne gewusst, was das für Typen sind, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.« »Wenn's weiter nichts ist.« Auch Isop war inzwischen herangetreten. »Ich bin zwar kein Kämpfer, dafür ist er da.« Er deutete über die Schulter in Mohammeds Richtung. »Aber dabei kann ich helfen.« Er kniete sich neben den Kopf des Bewusstlosen und legte ihm die Fingerspitzen an die Schläfe. Dann schloss er konzentriert die Augen. Eine halbe Minute später stand er unvermittelt auf. »Kommt, wir müssen weiter. Ich erzähle euch, was er weiß, während der Fahrt. Wir sollten uns beeilen . ..« . Celestine Draven hielt den Atem an. Aus dem Nichts heraus erschien ein riesiger Tempel, und sie stand direkt davor! Capwell hatte ihr also tatsächlich die Wahrheit gesagt. Der Tempel der Sonne existierte wirklich! Und wenn der Tempel existierte, dann auch der Zepter der Sonne . .. Als Draven nun sah, wie diese schlangenartigen Arme die auf dem Boden liegende bewusstlose Nackte ergriffen, um sie in den Tempel zu ziehen, verspürte sie plötzlich den Drang, der Frau zu helfen.
Ich bin eine von den Guten, dachte sie. Ich bekämpfe Monster. Ich töte Vampire. Ich muss die Hilflosen beschützen! Der Dämon in ihr kicherte höhnisch. Sei still!, schrie sie ihm innerlich zu. Und hilf mir! Draven stürmte nach vorn. Dabei zog sie das Schwert aus der Scheide, das zu der Standardausrüstung der Sektenmitglieder zu gehören schien. Sie und Achmet hatten es den beiden Arabern, in deren Kleidung 44 sie steckten, natürlich auch abgenommen. Die Monsterklauen streckten sich nach ihrem Opfer aus, hatten es fast erreicht, da zischte Dravens Klinge durch die Luft und durchtrennte die tentakelartigen Arme. Die Klauen fielen gar nicht erst zu Boden, sondern lösten sich sofort in beißenden, stinkenden Qualm auf. Celestine Draven stand jetzt mitten in dem Kreis, den die Kapuze tragenden Männer bildeten. Ihre eigene Kopfbedeckung war bei ihrem Angriff zurückgerutscht und hatte ihre feuerroten Dreadlocks offenbart. »Eine Spionin!« Das war wohl der Anführer. »Tötet sie!« Er und seine zehn Helfer zückten ihre Schwerter. Nur Achmet rührte sich nicht. Doch die el-f Mitglieder der Sonnensekte achteten nicht auf ihn, sondern stürmten auf Draven zu. Deren Augen blitzten gelb auf - der 'Dämon hatte die Kontrolle übernommen! Draven riss ihr Schwert hoch und sprang einem ihrer Gegner entgegen. Der wollte ihren mörderischen Angriff mit seiner eigenen Klinge abblocken. Doch mit übermenschlicher Kraft prellte sie seine Waffe nach unten und spaltete ihm den Schädel. Sofort wirbelte sie herum, steppte zur Seite, entging so einem Hieb und rammte gleichzeitig ihre Klinge in die Brust eines Kerls, der gerade erst zum Schlag ausholte. Ein Säbel zischte von links auf sie zu. Draven bog ihren
Oberkörper zurück, wich so der Klinge aus und nur ihr Mantel wurde aufgeschlitzt. Dann federte sie zurück, riss ihren _ »»»T«/ _ _ , Fuß hoch und rammte ihren Stiefel einem der Angreifer zwischen die Beine. Keuchend und nach Luft schnappen sank der in die Knie, während er sich die Hände auf die schmerzende Stelle presste. Er verdrehte die Augen und verlor das Be-wusstsein. Jetzt wurde sie in die Defensive gedrängt und konzentrierte sich auf die Abwehr. Aber es waren immer noch neun Kerle, die sie umbringen wollten, und sie alle waren geübte Kämpfer. Sie umkreisten die Vampir jägerin, machten immer wieder blitzartige Ausfälle. Dravens Klinge tanzte, bildete eine undurchdringliche Wand aus Stahl -doch irgendwann würde sie einen Fehler machen. Plötzlich schrie ein Sektenmitglied auf - es war der Typ, den sie für den Anführer hielt - und brach zusammen. Hinter ihm stand Achmet, das Schwert rot vom Blut seines ehemaligen Herrn. Endlich hatte er in den Kampf eingegriffen. Die anderen Sektenmitglieder waren einen Moment unfähig zu handeln. Zu groß war der Schock wegen des Todes ihres Anführers. Draven sprang vor, packte ihren Säbel mit beiden Händen und schlitzte mit einem Rundschlag zwei Gegnern gleichzeitig den Bauch auf. Dann wirbelte sie herum und spaltete einem Weiteren das Gesicht mit einem Rückhandschlag. Auch Achmet hatte noch einem sei45 ner einstigen Kameraden sein Schwert in den Rücken gerammt. Jetzt standen Dravens Chancen wesentlich besser - vier zu zwei. Der Dämon brüllte triumphierend auf. Die Vampirj ägerin stürzte sich auf zwei Gegner gleichzeitig.
Die beiden hatten Mühe, sich ihre blitzende Klinge vom Leib zu halten und wichen zurück. Sie teilten sich, um Draven in die Zange zu nehmen, doch auch diese Taktik half ihnen nicht. Draven täuschte einen Ausfall auf den Linken an, warf sich dann aber herum und hackte nach dem anderen. Doch sie rutschte aus, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Trotzdem führte sie ihren Schlag zu Ende, traf den Kerl knapp unter dem Knie. Schreiend brach er zusammen. Sie wälzte sich zur Seite, doch das zweite Sektenmitglied hatte damit gerechnet und sich darauf eingestellt. Nun ließ der Mann seine Klinge vorschnellen. Draven versuchte, ihr Schwert zur Abwehr hochzureißen, doch sie war zu langsam. Zwar durchbohrte der Araber nicht wie geplant ihr Herz, aber seine abgelenkte Klinge schlitzte ihr den linken Bizeps auf. Die Rothaarige schrie auf und trat wild aus. Sie kickte dem Kerl die Beine unter dem Körper weg, sodass er neben sie auf den Boden fiel. Sofort rammte sie ihm ihren Ellbogen ins Gesicht und einen Augenblick später gegen den Kehlkopf. Er würde nie wieder aufstehen. Die Vampirjägerin sprang auf und sah sich um. Achmet kämpfte gegen einen seiner ehemaligen Kumpane. Er war deutlich im Vorteil und schien keine Hilfe zu benötigen. Aber wo war der Letzte? Oder habe ich mich verzählt?, schoss es Draven durch den Kopf. Nein, da war er. Er kniete hinter der bewusstlosen Blonden und hielt ihr einen Dolch an die Kehle. Außerdem hatte er sie hochgezerrt und benutzte sie so als lebenden Schild. Draven rannte auf ihn zu. »Komm nicht näher!«, rief er. »Sonst bring ich sie um.« Die Vampirjägerin beachtete ihn nicht und lief weiter. »Du sollst stehen bleiben!«, kreischte der Kerl. Sie war jetzt noch etwa zehn Meter von ihm entfernt und
wurde tatsächlich langsanier, bewegte sich aber weiter auf ihn zu. »Halt!«, brüllte er mit sich überschlagender Stimme. Sie stand jetzt nur noch einen Meter vor ihm und sie - unter der Kontrolle des Dämons - grinste das letzte Mitglied der Sonnensekte an. In diesem Moment erkannte Celesti-ne, der Mensch, was die Höllenkreatur, die ihren Körper lenkte, vorhatte. Nein!, schrie sie und kämpfte um die Vorherrschaft über ihren eigenen Körper. Doch es war zu spät! Der Dämon hob sein Schwert und stieß es nach vorn, rammte es der Blonden, die Celestine doch hatte retten wollen, in die Brust. Dann trieb er die Klinge noch weiter. Sie trat am Rücken der jungen Frau wieder aus und spießte auch den Mann hinter ihr auf. Dann kicherte das Höllenwesen hö-nisch und überließ Celestine Draven kampflos die Kontrolle über ihren eigenen Körper. 46 Die Rothaarige blickte sich suchend nach Achmet um, um zu sehen, ob er nicht doch noch Hilfe benötigte. Doch der Ägypter kam, den Säbel in der Faust, bereits auf sie zugeschritten. Draven sah ihn unverwand an, bis er direkt vor ihr stand. »Gut, das hätten wir«, sagte sie dann kalt. »Und was . ..«, setzte Achmet zu einer Frage an. Doch weiter kam er nicht. Seine Augen weiteten sich entsetzt, und er starrte auf einen Punkt hinter Draven. Die kreiselte herum und fuhr erschrocken zusammen. Etwas kroch aus dem Eingang auf der dunklen Seite des Tempels. Etwas Großes, Ekel erregendes. Ein riesiger, schwarzer Käfer. Es war ein gigantischer Skara-bäus ... Nach einer Schrecksekunde stürmten Draven und Achmet los!
Ihr Ziel war der linke Eingang des Tempels. Dort hatte angeblich das Gute in dem Tempel die Vorherrschaft, und das äußere Erscheinen dieser Seite wirkte auch entsprechend. Dort sollte sich der Zepter der Sonne befinden. Doch auf diesen Eingang krabbelte auch der riesige, unheimliche Ska-rabäus zu! Er wurde, noch während er lief, immer größer, bis er fast zwei Meter hoch war, und dazu beinahe genauso breit. Seine Zangen sahen aus, als könnten sie problemlos einen Menschen in zwei Hälften teilen. Draven rannte so schnell sie konnte. Sie gab alles, um vor dem Käfer den Eingang zum Tempel der Sonne zu erreichen. Mit diesem Vieh wollte sie sich nicht anlegen. Doch es war vergeblich. Der Ska-rabäus erreichte die Öffnung lange vor ihr, und sie hielt an. Keuchend schloss Achmet zu ihr auf. »Bist du dabei?«, fragte sie ihn. Der Ägypter biss sich auf die Unterlippe, nickte aber. »Na dann, los!« Vorsichtig näherten sie sich dem Monsterkäfer. Dann trennten sie sich, um ihn von zwei Seiten angreifen zu können. Wie kann ein so riesiges Tier so schnell sein?, fragte sich Draven und griff an. Sie zielte auf die großen Facettenaugen - das schien ihr die einzige Schwachstelle des Skarabäus zu sein -und schlug zu. In diesem Moment brüllte Achmet einen Kampf schrei hinaus und hackte nach einem Bein des Käfers. Durch den Schrei aufmerksam geworden, kreiselte das Untier herum und schnappte mit seinen Beißzangen nach dem Ägypter. Der konnte ausweichen, schaffte es aber nicht, seinen Hieb anzubringen. Auch Draven hatte Pech. Sie hatte nicht mit der plötzlichen Bewegung des Monsterkäfers gerechnet und donnerte ihren Säbel nun mit voller Wucht gegen die
Chitinpanzerung des Tiers. Beinahe wäre ihr die Waffe aus der Hand geprellt worden, trotzdem war 47 der Schlag nicht hart genug, um die Panzerung zu durchdringen. Das Untier ignorierte sie und griff weiter Achmet an. Der wich zurück, so schnell er konnte, um nicht einfach überrannt zu werden. Hin und wieder schlug er nach dem Kopf des Käfers, doch er traf keine empfindliche Stelle. Los!, schrie Celestine Draven den Dämon in ihr an. Wo bleibst du? Und ER kam. Freudig übernahm er wieder die Kontrolle über ihren Körper. Dravens Augen loderten gelb auf, und brüllend stürzte sie sich auf den Skarabäus. Sie holte weit aus und hackte auf das linke Hinterbein des Käfers ein. Sie schwang durch und traf, fühlte nicht einmal Widerstand! Draven lachte. Doch das verging ihr sofort wieder. Das Bein war nicht abgetrennt, war nicht einmal verletzt. Wieder schlug sie zu, diesmal auf den Körper. Der Schlag ging einfach • durch das Tier hindurch! Der Dämon kicherte. Es tut mir Leid, Celestine!, rief er. Aber dieses Höhlenwesen scheint gegen seinesgleichen immun zu sein. Viel Erfolg! Wieder kicherte er. Dann zog er sich zurück und drängte das menschliche Ich nach vorn. Draven fluchte und hackte wieder auf das Hinterbein des Käfers ein. Diesmal spürte sie Widerstand, es war, als hätte sie gegen einen Baumstamm geschlagen. Doch immerhin zeigte der Schlag Wirkung - der Skarabäus ließ von Achmet ab und wandte sich der Vampirjägerin zu. Sein Kopf zuckte vor, die Beißzangen weit geöffnet.
Draven steppte zur Seite. Stolperte! Der Käfer, der ihre Bewegung nachvollzogen hatte, erwischte sie mit dem äußeren Rand seines Fresswerkzeugs. Draven wurde durch die Luft geschleudert, überschlug sich einige Male und prallte schließlich gut zehn Meter entfernt auf den Sand. Mit einem Keuchen wurde ihr die Luft aus den Lungen gepresst. Der Skarabäus hetzte zu ihr hin. Da stürzte sich Achmet von hinten wieder auf ihn, schlug auf das gleiche Bein ein, das auch Draven schon verletzt hatte. Und wieder wirbelte das Tier herum. Obwohl der Ägypter damit gerechnet, es sogar erwartet hatte, erwischte ihn der Käfer und prellte ihm die Waffe aus der Hand. Achmet sprang zurück, rutschte in dem weichen Sand aus und fiel nach hinten. Sofort setzte der Skarabäus nach. Draven war inzwischen wieder auf den Beinen, wollte ihrem Partner zu Hilfe eilen. Da sah sie drei Gestalten über eine Düne auf sie zukommen. Zwei von ihnen kannte sie nicht, aber die dritte ... »Darkness!« Es klang wie ein Fluch. Sie umklammerte ihr Schwert fester, machte sich bereit für ihren Kampf mit dem Vampir, der sie nicht nur in ihren Träumen verfolgte, sondern jetzt auch noch in Afrika war. Sie würde ihm... Achmet schrie. Draven wirbelte herum. Der Skarabäus hatte den Ägypter mit seinen Zangen zu packen bekommen und ihn hoch in die Luft gehoben. 48 Jetzt bogen sich die Zangen zusammen. Unwillkürlich schloss Draven die Augen, als der Käfer Achmets Schreie zum verstummen brachte. Dann riss sie sie wieder auf und sah sich um. Da näherte sich Bruce Darkness mit zwei anderen, vermutlich auch Vampire.
Dort begann der Monsterkäfer gerade zu fressen. Und der Weg in den Tempel war frei! Draven sprintete los... Bruce, Isop und Mohammed stapften durch die Wüste. Sie hatte eiligst den zerschossenen Reifen gewechselt und waren bis zu Dravens Jeep weitergefahren. Dort hatten sie den Wagen auf Mohammeds Rat hin stehen gelassen, als sie von der Straße abweichen mussten. »Steine und Sand, Sand und Steine«, grummelte der amerikanische Vampir in sich hinein. Das war ja ganz nett anzuschauen, aber hindurchlaufen .. .? Mühsam erklommen sie eine weitere Sanddüne. Bruce sah sich kurz um. Die beiden Ägypter waren kurz hinter ihm. Als er sich wieder umdrehte, hatte er die Kuppe der Düne erreicht. Vor ihm erstreckte sich eine weitläufige Senke wie ein Krater. Und genau in der Mitte stand ein Tempel, dessen eine Seite schwarz war. Die andere schimmerte im Licht des Vollmonds wie Gold. Vor dem Eingang hockte ein riesiger Käfer. Zwei Gestalten näherten sich dem Tier, ein kräftig gebauter Mann und eine Frau. Wegen des schummerigen Lichts konnte Bruce ihre Haarfarbe nicht erkennen, doch er war sich sicher, dass es Celestine Draven war. Sie und ihr Kumpan griffen den Monsterkäfer an. »Der Tempel der Sonne!«, flüsterte Isop neben Bruce ergriffen. Mohammed stand nur mit offenem Mund da. »Wieso ist die eine Hälfte des Sonnentempels so - schattig?«, wollte der New Yorker Vampir wissen. »Der Legende nach ist die eine Seite vom Bösen besessen.« Bruce zuckte mit den Schultern. »Dann halten wir uns eben davon fern.« Er bemerkte Isops irritierten Blick nicht. Der Ägypter betrachtete sich offenbar in seiner Eigenschaft als Untoter dem Bösen zugehörig und konnte nicht verstehen, dass Bruce das
nicht so sah. »Dieses Vieh erinnert mich an >Star Ship Troopers