Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 588 Zone-X
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 588 Zone-X
Das schlafende Heer von Falk-Ingo Klee Hidden-X aktiviert die Robot-Armada In den mehr als 200 Jahren ihres ziellosen Fluges durch die Tiefen des Alls haben die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL schon viele gefährliche Abenteuer bestanden. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit dem Tag ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangte, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt, im Jahre 3804 Solzeit, geht es bei den Solanern um Dinge von wahrhaft kosmischer Bedeutung. Da geht es um den Aufbau von Friedenszellen im All und um eine neue Bestimmung, die die Kosmokraten, die Herrscher jenseits der Materiequellen, für die Solaner parat haben. Und es geht um den Kampf gegen Hidden-X – einen mächtigen Widersacher, der es auf die SOL abgesehen hat. Züge und Gegenzüge wechseln bei der erbitterten Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten einander ab. Jetzt, nach der Abwehr der »Krieger für Hidden-X«, wollen die Solaner mit Hilfe des Hypervakuum-Verzerrers direkt gegen das Flekto-Yn vorgehen. Der Gegner der SOL fühlt sich dadurch veranlaßt, seine letzte Aktivwaffe ins Feld zu führen. Diese Waffe ist DAS SCHLAFENDE HEER …
Die Hauptpersonen des Romans: Hidden-X - Der Gegner der SOL setzt seine letzte Aktivwaffe ein. Atlan - Der Arkonide läßt eine tödliche Gefahr an Bord der PALO BOW. Akitar - Der Chailide bringt Hilfe. Ursula Grown - Kommandantin des Hypervakuum-Verzerrers. Breckcrown Hayes - Der High Sideryt führt mit seinen Solanern einen verzweifelten Abwehrkampf.
1. Solaner – schon dieses eine Wort genügt, um mich wütend zu machen – oder ist es Angst? Vielleicht beides? Ja, ich hasse sie – und ich fürchte sie. Noch nie hat ein so kleines Volk mir widerstanden und meinem Willen getrotzt, man akzeptierte mich, Hidden-X, als das, was ich bin – ein allmächtiges Wesen, dem man zu gehorchen hat. Ganz anders dagegen diese Zwerge. Sie verweigern mir nicht nur den Gehorsam, sondern bekämpfen mich sogar. Daß sie immer noch existieren, verleidet mir alle Erfolge, die ich in den vergangenen Äonen hatte. Erfolge? Wieder erfaßt mich diese Wut. Seit sie in meinem Machtbereich aufgetaucht sind, mußte ich eine Bastion nach der anderen aufgeben und mich ins Flekto-Yn zurückziehen. Ich gestehe, daß ich mich selbst hier nicht mehr sicher fühle. Atlan hat den großen Hohlspiegel zerstört, und mein Plan, ihn durch geknechtete Solaner wieder aufbauen zu lassen, ist mißlungen. Die Anterferranter haben versagt, so wie der Schalter versagt hat – alle haben versagt. Habe ich auch versagt? Sie planen den Einsatz des Hypervakuum-Verzerrers, um zum Flekto-Yn vorzudringen, aber das wird ihnen nicht gelingen. Zwar verfüge ich über keine Mittel, um das Gerät vollkommen zu neutralisieren, doch ich kann die Solaner veranlassen, es nicht in Betrieb zu nehmen. Schon einmal haben sie meine mentalen Impulse gelähmt und verwirrt – die Erinnerung daran stimmt mich zuversichtlich. Nein, meinem geistigen Druck sind sie nicht gewachsen – selbst Atlan nicht.
Ich werde sie erneut meine Macht spüren lassen, und diesmal werde ich sie und die SOL endgültig vernichten. Noch verfüge ich über eine Aktivwaffe, von der sie nicht einmal etwas ahnen. Ich werde das schlafende Heer der Roboter wecken. Wenn sie angreifen, werde ich diese Brut mit meinen mentalen Impulsen überfluten und sie handlungsunfähig machen. Wehr- und hilflos werden die Solaner untergehen und damit das Schicksal all derer teilen, die sich gegen mich aufgelehnt haben! Der Erweckungsimpuls raste aus dem Hypervakuum auf einem Dunkelplaneten zu, in dessen Innern die Automaten ruhten. Der Erweckungsimpuls aktivierte sie. 48.000 flugtüchtige Kampfmaschinen, technisch fast perfekt und alle etwa fünfundzwanzig Meter groß, verließen zugleich die lichtlose Welt. Ihr Ziel war die Vernichtung der CHART DECCON – und der SOL. »Sendbote der Kosmokraten! Du hast eine Kleinigkeit übersehen und warst zu stürmisch. Gegen den Mentaldruck des geistigen Faktors kannst du nicht bestehen. Aber keine Sorge, du bist nicht allein …« Langsam drehte Atlan sich um. Die Gestalt war groß, schlank und muskulös. Die beiden Arme und Beine wirkten im Verhältnis zum Körper etwas zu lang, die Haut war kupferfarben, das Haar stahlblau; ein Band hielt es im Nacken zusammen. Das Gesicht war schmal und knochig, beinahe streng; es wurde von der hohen Stirn beherrscht. Die weit auseinanderstehenden Augen wurden von der grauen Iris vollkommen ausgefüllt; krumm wie der Schnabel eines Sittichs war die relativ kleine Nase. »Akitar«, sagte der Arkonide überrascht. »Du bist zurückgekommen!« Der Humanoide öffnete den breiten Mund mit den nur andeutungsweise vorhandenen Lippen und entblößte dabei das raubtierhafte Gebiß. »Und nicht allein, wie du siehst.« Er machte eine umfassende Handbewegung und deutete auf seine zahlreichen Begleiter, die sich im Hintergrund hielten.
Bevor er fortfahren konnte, sprach der Interkom an. Aus nahezu allen Sektionen wurde das Auftauchen von Chailiden gemeldet. Ein Funkspruch der CHART DECCON ging ein; auch dort schien es vor Chailiden nur so zu wimmeln. »Niemand hat euch auf Chail vergessen, denn schließlich wart ihr es, die uns vom geistigen Faktor befreit habt. Nun helfen wir euch. Einhunderttausend Uralte sind von unserer Heimatwelt und allen anderen fernen Planeten auf dem Weg hierher.« Überwältigt drückte Atlan Akitar die Hand. »Ich danke dir – dir und allen anderen, die uns unterstützen wollen. Mit eurer Hilfe könnte es uns gelingen, den unheilvollen Einfluß von Hidden-X zu überwinden.« »Ich hoffe und wünsche es euch und uns. Jeden Mann und jede Frau, die verfügbar waren, habe ich abgezogen.« Breckcrown Hayes bedankte sich ebenfalls bei dem Chailiden, dann sprach er ein Problem an, das auch den Arkoniden beschäftigte: »Es erhebt sich nun die Frage, wo wir hunderttausend Personen zusätzlich unterbringen sollen. Ich fürchte, dazu reicht der Platz auf der SOL und der CHART DECCON nicht aus.« »Darüber macht euch keine Sorgen«, meinte Akitar. »Mehr Uralte kommen nicht, die anderen sind auf den Dunkelplaneten gelandet, die außerhalb der Zone-X stehen. Entschuldigt mich für einen Moment.« Er ging zu seinen Leuten und besprach sich leise mit ihnen, dann kehrte er zu Atlan und Hayes zurück. »Wir werden bald komplett sein. Könnt ihr uns einen Raum zuweisen, wo wir unter uns sind?« »Selbstverständlich. Bitte folgt mir.« Der Aktivatorträger führte die Chailiden in ein nahe gelegenes Konferenzzimmer, das allen ausreichend Platz bot, und zog sich dann wieder zurück. Als er wieder in der Zentrale eintraf, berichtete ihm der High Sideryt, daß die anderen Uralten an Bord der SOL sich
ebenfalls gruppenweise in nicht frequentierte Räume zurückgezogen hatten, wo sie sich ungestört konzentrieren konnten. »Sie scheinen ganz versessen darauf zu sein, dem geistigen Faktor Paroli zu bieten«, meinte Atlan. »Aber das ist wohl verständlich, denn sie wurden ja lange genug getäuscht und mißbraucht.« Er hatte kaum ausgesprochen, als Hidden-X erneut zuschlug. Mentale Impulse von nie gekannter Intensität schlugen gleich einer Welle über den beiden solanischen Einheiten zusammen. Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sich die Zentrale in ein Tollhaus. Scharenweise brachen die Männer und Frauen zusammen. Einige wurden bewußtlos, andere schlugen mit Armen und Beinen um sich oder wanden sich zuckend und schrien ihre Qual hinaus. Auch Breckcrown Hayes war zu Fall gekommen, Krämpfe schüttelten ihn, als würden Stromstöße in seinen Körper geleitet. Er hatte die Augen verdreht, röchelnd kämpfte er um Luft. Atlan war der einzige, der noch aufrecht stand, doch er spürte, daß die Muskeln ihren Dienst zu versagen drohten. Krampfhaft klammerte er sich an eine Sessellehne und biß in das Polster, um nicht ebenfalls laut aufzuschreien. Vor seinen Augen verschwamm alles, sein Schädel drohte zu platzen, grauenhafte Schmerzen durchfluteten ihn. »Aufhören«, krächzte der Arkonide. »Akitar!« Um ihn herum existierte das Leben nur noch vegetativ. Hunderttausend Solaner, Buhrlos und Extras hatten sich von intelligenten Wesen in hilflose Kreaturen verwandelt, deren Leiber nur noch dem Ziel dienten: Schmerz zu empfangen. Glücklich, wer nicht mentalstabilisiert war; eine gnädige Ohnmacht umfing ihn und schaltete sein Bewußtsein einfach ab. Atlan registrierte nicht, daß die Schreie der Gepeinigten in seiner Umgebung verstummten. Sein Wahrnehmungsvermögen war getrübt, in seinem Kopf explodierten grelle Blitze, folternder Schmerz strahlte von allen Organen aus. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich auf den Beinen zu halten, sein krampfhafter Griff lockerte
sich; zeitlupenhaft rutschte er zu Boden. Ihn beherrschte nur noch ein Gedanke: Er mußte dieser Qual ein Ende bereiten – er mußte sich selbst paralysieren. Sein Versuch, sich auf Händen und Knien fortzubewegen, mißlang; schwer atmend blieb er liegen – sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, sprach nur noch auf diese quälenden Schmerzen an. Als der Aktivatorträger fast schon bereit war, sich selbst aufzugeben, wich der geistige Druck, die Schmerzen gingen auf ein erträgliches Maß zurück. Von Minute zu Minute fühlte er sich besser, schließlich konnte er sogar aufstehen. Erst jetzt erkannte er, daß ein gutes Dutzend Medos durch die Zentrale schwebten und Injektionen verabreichten. Als sich eine der Maschinen auch ihm näherte, um ihn zu behandeln, winkte er ab. Der Zellaktivator war auf die Dauer wirksamer als Pharmazie, zumal die anderen mehr auf die Hilfe der Automaten angewiesen waren. Daß es nicht zur Katastrophe gekommen ist, hast du den Chailiden zu verdanken, machte sich der Logiksektor bemerkbar. Vielen Dank für den Hinweis, aber das habe ich mir bereits gedacht, gab Atlan bissig zurück. Was ich vorhin im wahrsten Sinne des Wortes schmerzlich vermißt habe, war deine Unterstützung. Nun? Der Extrasinn zog es vor, zu schweigen. »Auch gut«, brummte der Arkonide. Atlan lauschte in sich hinein. Dieser wahnsinnige Schmerz war gänzlich verschwunden, er verspürte nur noch eine Art dumpfes Hintergrundrauschen, das ihn aber nicht in seiner Willensfreiheit beeinträchtigte. Akitar betrat die Zentrale. Betroffen musterte er die reglosen Gestalten. »Es tut mir leid, Atlan, aber wir konnten es nicht verhindern. Der geistige Faktor, den ihr Hidden-X nennt, griff an, bevor wir bereit waren.« »Euch trifft keine Schuld. Ohne euer Eingreifen wären wir wohl
alle dem Untergang geweiht gewesen.« Der Unsterbliche versuchte zu lächeln. »Wir alle sind dir und den Uralten zu großem Dank verpflichtet, Akitar.« Davon wollte der Chailide jedoch nichts wissen; er betrachtete es als eine Selbstverständlichkeit und berichtete dann, daß die Uralten einen gewaltigen Mentalwall gegen Hidden-X aufgebaut hatten. Zwar war es ihnen nicht gelungen, das Überwesen gänzlich aus dem Feld zu schlagen, doch die zu einem Block zusammengeschlossenen Chailiden hatten es geschafft, ein mentales Netz zu bilden, das die Kräfte von Hidden-X egalisierte. Atlan verstand. Es herrschte so etwas wie eine Pattsituation, die allerdings nicht zu Lasten der Solaner ging – im Gegenteil. Sie konnten klar und frei handeln, konnte zu nichts gezwungen oder unter Druck gesetzt werden; einhunderttausend Uralte hielten mit ihren geistigen Kräften Hidden-X in Schach. In die reglosen Gestalten kam Leben; auch Breckcrown Hayes setzte sich auf. Er schien es noch gar nicht fassen zu können, daß er diese entsetzliche Tortur überstanden hatte. Atlan ging zu ihm und half ihm auf die Beine. »Danke, es geht schon wieder.« Noch ein wenig wackelig stelzte er auf den Chailiden zu und drückte ihm stumm die Hand. Akitar schüttelte die dargebotene Rechte, zog sich dann jedoch zu seinen Leuten zurück. Nach und nach kehrten alle Männer und Frauen an ihre Plätze zurück. Außer einer gewissen Benommenheit spürten sie keinerlei Beeinträchtigungen. Auch aus den anderen Abteilungen und von der CHART DECCON gingen die Meldungen ein, daß die Teams wieder einsatzbereit waren. Atlan besprach sich kurz mit Hayes, dann nahm er Verbindung zu Ursula Grown auf, die als Kommandantin der mächtigen Plattform mit dem geheimnisvollen HV darauf fungierte. »Nun, da Hidden-X uns geistig nicht mehr unterdrücken kann, sollten wir so schnell wie möglich den Hypervakuum-Verzerrer
einsetzen, ehe es mit einer neuen Teufelei aufwartet.« Bevor die Stabsspezialistin etwas sagen konnte, gellte Ortungsalarm durch die SOL und die CHART DECCON. Das schlafende Heer der Roboter war aufgetaucht und griff an. Die Tasterschirme zeigten eine positronisch ermittelte Wiedergabe der anfliegenden Maschinen, die in transparente Schutzschirme gehüllt waren. Zu aller Erstaunen handelte es sich um fünfundzwanzig Meter große humanoide Gestalten, die entfernt an einen Haluter erinnerten, allerdings nicht nur vier Arme, sondern auch vier Beine besaßen. Die runden Köpfe waren ohne erkennbare Wahrnehmungsorgane, die dunklen Körper waren unbekleidet und mit Beulen, stachelartigen Aufsätzen und skurril geformten Auswüchsen übersät. Für eine weitere Überraschung sorgte Sternfeuer. Sie war kurz nach dem Alarm in der Zentrale aufgetaucht und hatte behauptet, daß es sich bei den Angreifern eindeutig um Automaten handelte, doch sie waren telepathisch ausspähbar. Bjo Breiskoll hatte das bestätigt. So wußte man, daß das schlafende Heer der Roboter von Hidden-X geschickt worden war, um die SOL, vornehmlich aber die CHART DECCON zu vernichten. Daß die Maschinen nicht einfach nur ins Gigantische vergrößerte Kampfrobots waren, zeigte sich sehr schnell: An Beweglichkeit und Kampfkraft konnten sie es fast mit einer Lightning-Jet aufnehmen. Am bedrohlichsten aber war, in welcher Masse sie aufgetaucht waren. Die Positronik hatte ermittelt, daß es mehr als 45.000 waren – eine nahezu unbesiegbare Armada, zumindest für die SOL. Mit dem Mut der Verzweiflung nahmen die Solaner um Breckcrown Hayes und Atlan den ungleichen Kampf auf. Wie die Mutanten gesagt hatten, konzentrierten sich die Angriffe der Automaten auf die fast wehrlose CHART DECCON. Mehr als 30.000 umschwirrten die Plattform wie die Motten das Licht und feuerten, was das Zeug hielt. Nur dank ihrer starken HÜ- und
Paratronschirme überstand sie die erste Angriffswelle. Hayes zögerte keinen Augenblick. Die SOL verwandelte sich in ein feuerspeiendes Ungeheuer und setzte alles ein, was sie aufzubieten hatte: Transformzwillingskanonen, Impuls- und Desintegratorgeschütze. Dessen ungeachtet ließ er nahezu sämtliche Beibooote ausschleusen – nicht nur Leichte Kreuzer, Korvetten und Space-Jet, sondern auch die »Fliegende Kraftwerke« genannten Lightning-Jets. Rund tausend solanische Einheiten warfen sich den Angreifern entgegen, um die CHART DECCON zu verteidigen. Um die Plattform herum schien das All zu brennen. Grelle Strahlenbahnen zickzackten durch den Raum, Schirmfelder flammten auf, pausenlos erfolgten Explosionen. Dabei machte man eine merkwürdige Beobachtung: Sobald eine der fremden Maschinen entscheidend getroffen wurde, lösten sich ihre Trümmer einfach auf. Es war eine gespenstische Abwehrschlacht. Wo ein solanisches Schiff auftauchte, waren gleich mehrere Dutzend der Automaten zur Stelle und griffen rücksichtslos an; um die größeren Einheiten bildeten sich regelrechte Pulks. Nach wie vor bestand eine Funkverbindung zur CHART DECCON, doch einstweilen konnte Hayes sich nicht um sie kümmern, denn er hatte alle Hände voll zu tun, um die Attacken auf die SOL abzuwehren. Den Schutz der Plattform mußte er ausschließlich den Beibooten überlassen. Kraftwerke und Meiler liefen auf Vollast, und dennoch zeigten die Instrumente für die Defensivsysteme bedrohliche Werte. Ein ums andere Mal schnellten sie über die Höchstmarke und drohten instabil zu werden. Zwar wurden die Robots zu Dutzenden vernichtet, doch immer neue schienen dafür nachzurücken. Der Kampf um die Plattform wurde nach wie vor mit verbissener Härte geführt, hatte aber eine andere Dimension. Trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit schlugen sich die Solaner tapfer, erzielten auch Abschuß auf Abschuß, mußten aber zugleich selbst
Verluste hinnehmen, darunter sogar einen Leichten Kreuzer. Vor allem die Piloten der Lightning-Jets leisteten Unglaubliches. Oft hatten sie es nur ihrer blitzschnellen Reaktion und dem ungeheuren Beschleunigungsvermögen ihrer Flugkörper zu verdanken, daß sie einem Treffer entgingen. Zwar waren die Lightning-Jets die wendigsten Maschinen, die im Einsatz waren, sie waren aber auch die gefährdetsten, weil ihnen schon ein, zwei Automaten gefährlich werden konnten. Einige Lightning-Jets waren bisher auch schon vernichtet worden. Zehntausend Kilometer »unterhalb« der CHART DECCON hatten einige Dutzend Roboter eine Space-Jet in die Zange genommen. Da ihr Kommandant wußte, daß er nicht mit Unterstützung anderer Schiffe rechnen konnte, versuchte er, sich mit einem materialzermürbenden Manöver abzusetzen. Noch während des Rückzugs schafften es die Geschützbedienungen, zwei Angreifer abzuschießen, dann erschütterte eine Serie von Treffern den Raumer, seine Schirmfelder brachen zusammen. Wie ein Geschoß raste die angeschlagene Space-Jet auf die SOL zu, um sich einzuschleusen und in Sicherheit zu bringen. Es sah so aus, als würde das gelingen, doch dann ließen plötzlich zwölf, fünfzehn Maschinen von dem Hantelraumer ab und stürzten sich auf das kleine Diskusschiff. Ein Ausweichmanöver war nicht mehr möglich. Das eigene Ende vor Augen, resignierte die Besatzung nicht, sondern feuerte, was das Zeug hielt. Drei Roboter konnten noch ausgeschaltet werden, dann ereilte die tapferen Männer und Frauen das Schicksal. Unter einem konzentrierten Feuerstoß brach die Space-Jet auseinander und explodierte. Es war nicht das letzte Opfer, was dieser 3. Dezember des Jahres 3804 noch forderte. Mehr oder minder hilflos mußte die vierundachtzigköpfige Besatzung der CHART DECCON mit ansehen, was sich um sie herum tat. Während sich die SOL und die kleineren Einheiten
notfalls immer noch in den Linearraum retten konnten, hatte die Plattform diese Möglichkeit nicht, denn sie war nur mit einem Unterlichtantrieb ausgerüstet und den Angreifern damit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Gewiß, die CHART DECCON hätte sich absetzen können, aber Ursula Grown sah darin keinen strategischen Vorteil, im Gegenteil. Der Hypervakuum-Verzerrer konnte nur hier sinnvoll eingesetzt werden – am Rand der Zone-X. Sie war deshalb entschlossen, die Position unter allen Umständen zu halten, doch das war leichter gesagt als getan. Zwar banden die Beiboote den größten Teil der Angreifer, aber es blieben noch genug übrig, die sich auf die CHART DECCON konzentrierten. Mehr als einmal standen die starken Schirme kurz vor dem Zusammenbruch. Die Stabsspezialistin trug wie die anderen auch einen Raumanzug, alle Transmitter waren auf Empfänger an Bord der SOL eingestellt. Fliehen wollte Ursula Grown mit ihrer Mannschaft aber nur, wenn die Plattform wirklich nicht mehr zu retten war. Mit dem Hantelraumer stand sie in ständiger Funkverbindung. Ihr Ansprechpartner war Atlan. Der High Sideryt und die anderen Stabsspezialisten kümmerten sich ausschließlich um die Verteidigung der SOL und der CHART DECCON, koordinierten also den Einsatz der im Raum kämpfenden Verbände, wobei SENECA sie natürlich unterstützte. Ursula Grown hatte den gleichen Kenntnisstand wie die Führung auf der SOL, wußte also, daß den Robotern vordringlich daran gelegen war, die Plattform mit dem HV zu vernichten. Der Aufwand, den Hidden-X trieb, um sein Ziel zu erreichen, ließ vermuten, daß es den Hypervakuum-Verzerrer zu fürchten schien. Davon ausgehend, hatte sie gemeinsam mit dem Arkoniden einen geradezu abenteuerlichen Plan entwickelt. Ungeachtet der tobenden Kämpfe sollte die CHART DECCON versuchen, das geheimnisvolle Gerät zum Einsatz zu bringen, damit die SOL in das Hypervakuum eindringen konnte. Es war denkbar,
daß die Automaten dann aufgaben, weil es nicht gelungen war, den Vorstoß des Generationenschiffs zu vereiteln. Unter widrigsten Umständen brachten die ehemaligen Magnidin und ihre Leute tatsächlich das Kunststück fertig, den Hypervakuum-Verzerrer gegen die Zone-X zu richten und einzusetzen. Hayes, von Atlan informiert, hielt sich mit der SOL startbereit. Ein unwirkliches Loch mit faserigen Rändern tat sich im Leerraum auf. »Es hat geklappt!« jubelte Ursula Grown, wurde aber gleich darauf stutzig. Anders als beim ersten Einsatz gegen die Anterferranter war das Loch nicht Tausende Kilometer groß, sondern hatte nur einen vergleichsweise kleinen Durchmesser von einhundert bis einhundertfünfzig Metern. Zudem war es auch nicht stabil, sondern schien zu pulsieren. Die Übergangsstelle zum Hypervakuum war nicht nur schwankend und brüchig – sie war für die SOL auch viel zu klein. Und zu allem Überfluß verstärkten die Roboter ihre Angriffe gegen die CHART DECCON, als wüßten sie, um was es hier ging. Die Stabsspezialistin ignorierte das Heulen überlasteter Aggregate und das Wimmern von Sirenen. Ein wenig ratlos blickte sie auf den Bildschirm, der überlebensgroß das Antlitz des Aktivatorträgers wiedergab. »Nun ist guter Rat teuer. Was tun wir jetzt?« »Einen Moment, Ursula.« Atlan entfernte sich ein wenig aus dem Aufnahmebereich. Die Solanerin konnte erkennen, daß er sich mit der Molaatin unterhielt, die neben ihm saß. »Sanny hat mit ihren paramathematischen Fähigkeiten errechnet, daß Hidden-X irgendwie direkt gegen den Hypervakuum-Verzerrer wirkt. Sie ist davon überzeugt, daß der Abwehrmechanismus nur im Hypervakuum liegen kann, vielleicht sogar ein Teil des Flekto-Yns
ist.« »Schön und gut, aber das hilft uns nicht weiter, zumindest im Augenblick nicht. Der Durchbruch ist zu klein für die SOL.« Atlan faßte einen kühnen Entschluß. »Für die SOL schon, aber nicht für einen Leichten Kreuzer.« Ursula Grown verschlug es für einen Augenblick die Sprache. Ungläubig starrte sie den Arkoniden an, dann stieß sie hervor: »Du bist ja verrückt.« Wortlos stand der Unsterbliche auf und entfernte sich. Die Stabsspezialistin blickte ein wenig unglücklich drein. Für sie sah es so aus, als hätte Atlan ihr ihre impulsive Bemerkung übel genommen. Was sie nicht wußte: Sein Logiksektor hatte sich ähnlich geäußert – und er war darüber nicht im mindesten beleidigt.
2. Breckcrown Hayes hatte vergeblich versucht, den Arkoniden von seinem Vorhaben abzubringen. Als er sah, daß dieser nicht umzustimmen war, sagte er: »Und trotzdem ist und bleibt es Wahnsinn.« »Nenne es, wie du willst, Tatsache ist, daß wir eine solche Gelegenheit vielleicht nicht noch einmal bekommen. Noch ist der Weg zum Flekto-Yn und damit zu Hidden-X frei – und wer weiß, wie lange noch. Die CHART DECCON wird ebenso wie die SOL ziemlich bedrängt, jede Sekunde ist daher kostbar.« Atlan blickte sein Gegenüber ernst an. »Möglicherweise hältst du mich jetzt für einen Narren, Breckcrown, aber ein Hasardeur bin ich nicht. Deshalb bitte ich dich auch nicht nur um die Überlassung eines Kreuzers, sondern um zwei. Daß ich nur auf Freiwillige zurückgreife, versteht sich von selbst.« »Du sollst deinen Willen haben«, brummte der High Sideryt. »Ich habe dich gewarnt.«
»Wovor?« ertönte es hinter ihm. Hayes drehte den Sessel. Vor ihm standen die Brick-Zwillinge. »Vor diesem Einsatz. Es ist ein Höllenkommando.« Die beiden Brüder grinsten sich an. »Ich wollte mich um den Platz des Piloten bewerben, wenn's genehm ist.« Vorlan deutete auf den Kleineren. »Uster hatte die gleiche Idee, aber ich denke, bei einem solchen Unternehmen sollte man auf Profis zurückgreifen.« »Hier geht es um Klasse, nicht um Masse, mein Lieber. Atlan braucht Spezialisten, keine Sprücheklopfer. Habe ich recht?« Angesichts der dramatischen Umstände bewies dieser Streit der beiden dunkelhäutigen Brüder, über welche Nervenstärke sie verfügten. »Wenn Breckcrown nichts dagegen hat, seid ihr mir beide willkommen, denn ich beabsichtige, zwei Leichte Kreuzer einzusetzen.« »Ich lasse dir freie Hand, Atlan.« Der Kommandant der SOL verzog das narbige, von SOL-Würmern zerfressene Gesicht. »Suche dir alle Lebensmüden heraus, die du brauchst.« »Er übertreibt schamlos wie immer«, meinte Uster und blickte Hayes nach, der aufgestanden war und an seinen Platz zurückkehrte. »Sehen wir aus wie Exitus-Fans?« »Verstehe«, murmelte der Arkonide. »Schwarzer Humor, was?« »Wundert dich das bei meiner Hautfarbe?« »Macht euch fertig, wir haben nicht viel Zeit.« Gehorsam trotteten die beiden davon, während der Arkonide über Interkom eine Durchsage machte. Zu seiner Überraschung meldeten sich mehr Teams, als er gebrauchen konnte, dabei hatte er ausdrücklich auf die Gefährlichkeit des Einsatzes hingewiesen. Schließlich entschied er sich für zwei Leichte Kreuzer, deren Besatzungen ihm am geeignetsten erschienen. Zum einen war das die SZ-1-19 mit dem Eigennamen PALO BOW unter dem Kommando von Vysta Kempp, einer achtundvierzigjährigen
ehemaligen Vystidin, zum anderen war das die SZ-2-2, genannt HORNISSE. Sie wurde von Bolo Terebble befehligt. Der frühere Ahlnate, 122 Jahre alt, galt als sensibler, durchgeistigter Typ, der zur Eigenbrötelei neigte. Zumindest Bjo Breiskoll, der diesen Kugelraumer als Kommandant übernahm, war der hagere Solaner nicht geheuer, aber für Debatten war keine Zeit. Zusätzlich zur regulären Besatzung von fünfundfünfzig Personen gingen Uster Brick als Erster Pilot, Federspiel, Insider, Cpt' Carch und Joscan Hellmut an Bord. Auch die PALO BOW wurde von der kompletten Mannschaft übernommen. Sie wurde von Atlan befehligt und von Vorlan Brick gesteuert. Natürlich war auch das Team des Arkoniden mit von der Partie. Nockemann mit Blödel im Schlepp, der wiederum Wuschel dabei hatte, den jungen Bakwer aus dem Flekto-Yn, Sanny, Argan U – und Sternfeuer. Nach wie vor dauerten die Kampfhandlungen an, dabei zeichnete sich ab, daß die Lage für die SOL und die Beiboote, die die CHART DECCON verteidigten, immer prekärer wurde, doch noch war das Loch, jener Übergang zu einer undefinierbaren Dimension, offen und passierbar. Durch eine Strukturlücke in den Schirmfeldern des Giganten stießen die beiden Kugelraumer in den freien Raum vor und beschleunigten mit vollen Werten, dennoch wurden sie sofort angegriffen und unter Beschuß genommen. Daß sie schneller waren als ihre Gegner, nützte ihnen nichts; das All schien vor Robots nur so zu wimmeln. Anders als Lightning-Jets konnten den Leichten Kreuzern ein, zwei Automaten nicht gefährlich werden, doch sie formierten sich und griffen im Verband an. Aus allen Rohren feuernd, rasten die beiden Kugelraumer auf die Öffnung zu, die von den unerklärlichen Energien des Hypervakuum-Verzerrers geschaffen worden war. Dabei vermerkte Atlan dankbar, daß ihnen die SOL Schützenhilfe
gab, obwohl auch der Koloß einen schweren Stand hatte. Mehr als ein Dutzend Automaten wurden vernichtet, doch das dezimierte das schlafende Heer der Roboter nicht ernsthaft. In dichten Pulks tauchten sie vor, neben und über der PALO BOW und der HORNISSE auf. Mehr als einmal hatten die Teams bange Sekunden zu überstehen, weil HÜ- und Paratronschirme zusammenzubrechen drohten. In diesen kritischen Phasen zeigte es sich, was die Brick-Zwillinge als Piloten wirklich wert waren. Ganz auf ihre Aufgabe konzentriert, gelang es ihnen mit tollkühnen Manövern immer wieder, die Schiffe unversehrt durch das Getümmel zu steuern und die Angreifer zu narren. Unbeirrt pilotierten die Brüder die Schiffe mit wachsender Geschwindigkeit auf das instabile, an den Rändern faserig wirkende Loch im Einsteinuniversum zu. Und dann, etwa fünfzigtausend Kilometer davon entfernt, geschah etwas Merkwürdiges: Die riesigen Roboter drehten ab und gaben die Verfolgung auf, gleichzeitig stellten sie ihr Feuer auf die Beiboote ein. Uster und Vorlan Brick bremsten mit hohen Werten ab, dennoch war abzusehen, daß die Geschwindigkeit immer noch enorm hoch war, wenn die Schiffe die Öffnung passierten. Der Querschnitt der Leichten Kreuzer betrug einhundert Meter, der Durchmesser des pulsierenden Durchbruchs schwankte zwischen einhundert und einhundertfünfzig Metern. Die Piloten mußten also im wahrsten Sinne des Wortes Millimeterarbeit leisten – und das bei diesem Höllentempo. In beiden Raumern wurde es mucksmäuschenstill. Wer immer die Gelegenheit dazu hatte, verfolgte die Anzeigen – und hielt die Luft an. Der Arkonide sah sich um, doch niemand erwiderte seinen Blick. Wie gebannt starrten alle auf die Instrumente, sogar Blödel, Nockemanns manchmal recht kauzige, zum Roboter umgebaute Laborpositronik. Das Gesicht von Vorlan Brick war maskenhaft
starr, die ganze Gestalt wirkte wie versteinert, nur seine Finger waren in Bewegung. Wie eigenständige Lebewesen glitten sie rasend schnell über die Bedienungselemente seiner Konsole. Noch fünfhundert Kilometer, Querschnitt des Lochs: Einhundertachtundzwanzig Meter, nein, einhundertneun Meter. Wenn der Hypervakuum-Verzerrer jetzt ausfiel, passierte ihnen nichts, was aber geschah, wenn die SZ-l-19 oder die SZ-2-2 mit dem fransigen Rand in Kontakt kamen? Wurden die Schiffe vernichtet, wurden sie Bestandteil eines anderen Mediums? Oder wurden sie unwiederbringlich in eine andere, fremde Dimension geschleudert? Das hättest du dir vorher überlegen sollen! Der Vorwurf seines Logiksektors berührte den Aktivatorträger nicht mehr. Der Pilot riß jubelnd die Arme hoch, Begeisterungsrufe erfüllten die Zentrale. Sie hatten es geschafft, der Durchbruch war gelungen. Unverändert leuchteten vom Schirm die zuletzt ermittelten Werte: Einhundertneunundvierzig Meter durchmaß die Öffnung, als die PALO BOW sie passierte, einhunderteinundvierzig bei der dicht folgenden HORNISSE. Wieder einmal hatten die Bricks ein navigatorisches Meisterstück vollbracht. Der Arkonide atmete tief durch und nickte Vorlan anerkennend zu, dann erteilte er mit ruhiger Stimme seine Befehle. Ernüchtert kamen die Männer und Frauen den Anweisungen nach; man hatte es ja keineswegs geschafft, sondern war lediglich in das Hypervakuum eingedrungen. Niemand wußte, welche Überraschungen sie hier, in einer Art undefinierbarer Dimension, erwarteten. Am und im Schiff war keine Veränderung zu registrieren, alle Systeme arbeiteten einwandfrei. Dann gab es die erste Überraschung: Ein Blick zurück in das normale Universum war nicht möglich, selbst die überlichtschnellen Taster vermochten es nicht, den Übergang irgendwie »sichtbar« zu machen. Für einen Beobachter innerhalb des Hypervakuums existierte der Durchlaß nicht, er war also nur einseitig passierbar. Das bedeutete, daß die
beiden Kreuzer abgeschnitten waren. Funk zwischen den beiden Beibooten war möglich, aber zur SOL und zur CHART DECCON kam keine Verbindung mehr zustande. Die zweite Überraschung war anderer Art: Nahe der Durchbruchstelle wurde ein merkwürdiges Gebilde ausgemacht, das energetisch stark strahlte. Es sah aus wie eine Pyramide mit einem Atomium auf der Spitze, allerdings waren die Wände nicht glatt, sondern konkav. Aus den oberen Polen der Kugeln wuchsen gerade Stangen, an denen gewellte Rechtecke befestigt waren; es sah fast so aus, als wären im Wind flatternde Fahnen bei eisiger Kälte erstarrt. Die komisch wirkende Konstruktion bestand aus Metall, genauer gesagt aus Nickel. Das gab zwar einen Hinweis auf Hidden-X, nicht jedoch auf die Funktion, die dieses »Kunstwerk« erfüllte. Es war Sanny, die den entscheidenden Hinweis gab. »Das ist der Abwehrmechanismus gegen den HypervakuumVerzerrer, da bin ich ganz sicher, allerdings arbeitet die Anlage nicht optimal. Sie vermag es nicht, das Gerät auf der CHART DECCON zu neutralisieren oder sonstwie auszuschalten, sondern verringert nur dessen Wirkung.« Bevor Atlan die Sache vertiefen konnte, erlebte man die dritte Überraschung: Die Ortungsanzeigen vermittelten das Bild eines gewaltigen Gebildes in etwa einhundert Milliarden Kilometern Entfernung. Es wirkte in sich geschlossen und kompakt, war aber zugleich eine Art Vieleck. Das Hypervakuum war lichtlos, aber dieser riesige Körper strahlte wie ein geschliffener Diamant, in dessen Facetten sich das Licht der Sonne brach. Wer oder was dieses Phänomen hervorrief, wußte man nicht, einig war man sich nur darin, daß der Nickelkoloß das geheimnisumwitterte Flekto-Yn sein mußte, der Aufenthaltsort von Hidden-X. Es waren nicht nur die durchschnittlichen Solaner, denen bei diesem Anblick ein wenig mulmig wurde. Alle hatten mehr oder minder intensiv erlebt, welche Anstrengungen dieses Wesen
unternommen hatte, um die SOL und ihre Besatzung zu vernichten, und jedermann wußte, über welche besonderen Kräfte es verfügte; jedem war der Überfall auf mentaler Ebene noch deutlich in Erinnerung. Und nun waren sie sozusagen vor Ort und standen ihrem ärgsten Feind direkt gegenüber, waren in einen Raum eingedrungen, der für Hidden-X eine Art Heimstatt sein mußte, eine Burg. Die Mauern der Burg waren eingerissen worden, die Solaner standen vor dem Bergfried, und niemand vermochte zu sagen, wie es darauf reagierte. Bisher waren sie unbehelligt geblieben, und jeder hoffte inständig, daß es so bleiben möge. Der geistige Druck von Hidden-X, im Normalraum nur noch als so etwas wie Hintergrundrauschen spürbar, war hier überhaupt nicht zu registrieren. Weder Atlan noch Sanny wollten sich darauf festlegen, ob das den Chailiden zu verdanken war oder ob diese merkwürdige Dimension dafür verantwortlich war. Außer den beiden Nickelgebilden gab es im Hypervakuumraum nichts, was anmeßbar war. Der Arkonide ließ eine Funkverbindung zu Bjo Breiskoll herstellen. An Bord der HORNISSE wußte man inzwischen, was es mit dem strahlenden Gebilde auf sich hatte, denn Sannys Erkenntnisse waren übermittelt worden. »Wir müssen dieses Ding vernichten«, begann der Aktivatorträger ohne Umschweife. »Erst dann kann der Hypervakuum-Verzerrer eine Öffnung schaffen, die groß genug ist, daß die SOL folgen kann.« »Ich teile deine Meinung.« Der Katzer nickte. »Greifen wir also an.« Daß Breiskoll keine Einwände hatte, beruhigte Atlan ein wenig, denn der Mutant vermochte es, selbst so etwas wie geistige Strömungen wahrzunehmen, die sogar geschulten Telepathen entgingen. Der Arkonide gab seine Anweisungen; die Funkverbindung ließ man bestehen, um notfalls sofort Kontakt untereinander aufnehmen
zu können. Uster und Vorlan Brick verstanden sich nahezu blind. Ohne es abzusprechen, vollführten beide Raumer eine fast synchrone Bewegung und schwebten versetzt auf die skurrile Anlage zu. Auf Atlans Befehl hin begannen beide Kreuzer, im Takt zu feuern. Die ersten Treffer richteten ziemliche Verwüstungen an und rissen gewaltige Krater in die Pyramidenwände, schalteten die Anlage aber noch nicht aus, weil man auf den Einsatz der Transformkanonen verzichtet hatte; niemand hier vermochte zu sagen, ob sie in Unkenntnis der Struktur des Hypervakuums nicht den einen oder anderen Nebeneffekt erzeugten. Das Gebilde wehrte sich. Aus dem Sockel fuhren Abstrahlprojektoren, dann rasten ultrahelle Glutbahnen auf die Leichten Kreuzer zu und hüllten sie ein. Die HÜ- und Paratronschirme, die nach wie vor eingeschaltet waren, wurden mit den Energien mühelos fertig, während der Gegenschlag das Schicksal der Anlage endgültig besiegelten. Sie explodierte, Trümmerstücke flogen nach allen Seiten davon – und waren von einer Sekunde zur anderen nicht mehr existent. Es war die gleiche merkwürdige Beobachtung, die man schon bei den angreifenden Robots gemacht hatte. Der relativ leichte Sieg löste bei den Solanern nicht nur Erleichterung aus, sondern auch einen Hauch von Euphorie. Atlan ließ sich davon jedoch nicht anstecken. »Niemand sollte diesen Erfolg überbewerten«, warnte er. »Ich glaube nicht, daß dies die stärkste Waffe war, die Hidden-X noch besitzt. Wir müssen nach wie vor auf der Hut sein. Jeder von uns weiß, über welche Machtmittel dieses Wesen verfügt, daher halte ich es für denkbar, daß uns ein Erfolgserlebnis verschafft wurde, um uns in Sicherheit zu wiegen.« Mittlerweile hatten die beiden Beiboote abgedreht und bewegten sich mit geringer Geschwindigkeit von dem Übergang weg. Ob oder wie weit sich die Öffnung zwischen Hypervakuum und
Einsteinuniversum vergrößert hatte, konnte nicht angemessen werden, alles blieb unverändert. In die allgemeine Nachdenklichkeit hinein sagte Nockemann: »Was du gesagt hast, Atlan, mag stimmen, aber nun ist der Weg frei für die SOL. Meinst du nicht, daß Hidden-X ein solcher Preis für unseren Sieg zu hoch ist?« »Wir sind so etwas wie eine Vorhut, Hage, und unser Leichtsinn würde sich auf die SOL übertragen. Niemand aber vermag vorauszusehen, was Hidden-X noch an Überraschungen negativer Art für uns parat hat.« Es freut mich, daß du meiner Meinung bist, meldete sich der Logiksektor. Der Arkonide verzichtete auf eine gedankliche Erwiderung. Sein Blick schweifte zwischen Bildschirm und Anzeigen umher. Der 3. Dezember 3804 neigte sich dem Ende zu, vor zwölf Minuten hatten sie den Abwehrmechanismus vernichtet. Wo blieb die SOL? Als der Hantelraumer eine halbe Stunde später immer noch nicht aufgetaucht war, hatte auch der letzte begriffen, daß etwas passiert sein mußte, aber was? War der Hypervakuum-Verzerrer ausgefallen, oder hatten die Roboter die CHART DECCON vernichtet, vielleicht gar die SOL? Niemand wußte es. Klar war nur, daß sie jetzt auf sich selbst gestellt waren. Einhundertzweiundzwanzig Personen, Blödel und der Bakwer, aufgeteilt auf zwei Leichte Kreuzer, standen allein gegen Hidden-X und das Flekto-Yn. Das Kontinuum war fremd, der Rückweg abgeschnitten.
* Die Abwehrschlacht tobte mit unverminderter Heftigkeit. Nach wie vor war die Plattform das Hauptziel der Angreifer, doch auch die SOL hatte Mühe, sich der Attacken zu erwehren. Mittlerweile
gingen die von den Solanern erzielten Abschüsse in die Tausende, aber was bedeutete das schon für eine solche Armada? Weit schwerer wogen da schon die eigenen Verluste. Sowohl auf der SOL als auch, auf der CHART DECCON hatte man verfolgen können, daß es den beiden Leichten Kreuzern gelungen war, in das Hypervakuum einzudringen. Obwohl es keiner aussprach, hoffte doch jeder, daß der Vorstoß in irgendeiner Weise etwas bewirkte, was den Solanern eine bessere Position verschaffte, aber eine Veränderung trat nicht ein. Nach wie vor vermochte es der Hypervakuum-Verzerrer nicht, die pulsierende Öffnung zu vergrößern, um dem Koloß die Passage zu ermöglichen. Als die Situation immer prekärer wurde, entschloß sich Ursula Grown, zehn Lightning-Jets auszuschleusen. Das war zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber sie wollte sich nicht nachsagen lassen, daß sie die Verteidigung der CHART DECCON ausschließlich anderen überlassen hatte. Die Solaner kämpften mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Übermacht, wollten einfach nicht wahrhaben, wie hoffnungslos unterlegen sie waren. Es war auch niemand da, der an Rückzug oder gar Flucht dachte. Man war Hidden-X so nah wie nie zuvor, kein Gedanke an Aufgabe. Zu gut war allen noch in Erinnerung, wie sehr dieses Wesen sie gequält hatte – Hidden-X, das war die Inkarnation des Bösen. Breckcrown Hayes brauchte keine Durchhalteparolen über Interkom zu verbreiten oder an die Solidarität aller zu appellieren. Anders als früher standen Solaner, Extras und Bord-Mutanten wie ein Mann zusammen, kämpften Seite an Seite und unterstützten in seltener Einmütigkeit den High Sideryt und die Schiffsführung. Die Zahl derer, die dabei über sich selbst hinauswuchsen, war Legion. Wieder wurde ein massiver Angriff gegen die CHART DECCON vorgetragen, der die mit letztem Einsatz kämpfenden Verteidiger abdrängte und einschnürte. Mehr als hundert Robotern gelang der Durchbruch, andere folgten. Von allen Seiten wurde die Plattform
unter massiven Beschuß genommen. Und dann trat das ein, was man befürchtet hatte: Die mächtigen Schirmfelder wurden an verschiedenen Stellen instabil, besonders in der Nähe der Strukturlücken. Die überlasteten Aggregate konnten die auftreffenden Energien nicht mehr neutralisieren und ableiten, der Hypervakuum-Verzerrer erhielt einen Wirkungstreffer, der einen Teil der Aufbauten in Mitleidenschaft zog. Feuer brach aus. Den solanischen Einheiten gelang es, die Phalanx der Roboter zu durchbrechen und in schwere Gefechte zu verwickeln. Die Defensivsysteme der CHART DECCON stabilisierten sich wieder, doch der HV mußte abgeschaltet werden. Obwohl an Bord der Plattform der Teufel los war, behielt die Besatzung, allen voran die Stabsspezialistin Ursula Grown, die Nerven. Während ein Teil der Mannschaft, unterstützt von Robots, daranging, die Brände unter Kontrolle zu bringen und die entstandenen Schäden zu reparieren, kümmerten sich die anderen um die Navigation und um das technische Instrumentarium. Da der Hypervakuum-Verzerrer ausgefallen war, hielt die ehemalige Magnidin es angesichts der mißlichen Lage der Solaner für unverantwortlich, die CHART DECCON an Ort und Stelle zu lassen. Behutsam wurde die Plattform durch das Getümmel gesteuert und ging auf Distanz. Die Roboter reagierten sofort. Das Gros ließ von der CHART DECCON ab und wandte sich der SOL zu, um das dortige Heer der Angreifer zu verstärken. Das verschaffte den Verteidigern der Plattform etwas Luft, aber nur für einen Augenblick, denn wenn der Koloß besiegt wurde, war ihrer aller Schicksale besiegelt. Über die Hälfte der Beiboote zog sich zurück, um dem Mutterschiff beizustehen. Der Raum um den Hantelraumer schien in Flammen zu stehen; dessen ungeachtet stürzten sich immer neue Pulks der riesigen Automaten in das energetische Inferno. Zahlreiche Maschinen vergingen, andere nahmen ihre Stelle ein und brachten Treffer um
Treffer an. Der Gigant war angeschlagen, aber er wich und wankte nicht. Und dann waren die Leichten Kreuzer, Korvetten, Space-Jets und Lightning-Jets heran und stifteten Verwirrung in den Reihen der Angreifer. Ein Kreuzer unter dem Kommando des Ex-Vystiden Barvos Dom tat sich besonders hervor. Bisher hatten die Männer und Frauen an Bord bereits achtzehn Abschüsse erzielt, doch dabei wollten sie es nicht bewenden lassen. Wie ein überdimensionaler Greif stürzte sich der Kugelraumer auf eine Horde Roboter. Drei von ihnen wurden getroffen und vergingen, dann wandten sich die anderen gemeinsam dem überraschend aufgetauchten neuen Gegner zu. Knapp fünfzig Automaten machten gemeinsam Front gegen das solanische Schiff. Dom wirkte abgespannt, aber sein Geist war hellwach. Pausenlos erteilte er mit vom vielen Reden heiserer Stimme seine Kommandos und feuerte zwischendurch seine Mannschaft immer wieder an. »Nicht nachlassen! Zeigt Hidden-X und seinen Maschinen, was es heißt, sich mit Solanern anzulegen!« Längst war man dazu übergegangen, die Sirenen abzustellen. Ihr ununterbrochenes Wimmern malträtierte nur die Trommelfelle. Nur noch die Batterien farbiger Warnlichter blinkten aufgeregt, weil die Anlagen pausenlos überlastet wurden. Schon waren erste Ausfälle zu verzeichnen. Reserveanlagen, gedacht für den Notfall, wurden zwischengeschaltet, pausenlos waren Reparaturkommandos unterwegs, um wenigstens die ärgsten Schäden zu beheben. Die Gesichter der Männer und Frauen waren verzerrt, das Antlitz des Piloten war schweißüberströmt. Jeder gab sein Bestes, aber würde das angesichts der Übermacht reichen? Zwei weitere Robots wurden vernichtet, dann zeigten die Treffer der Automaten bei dem Leichten Kreuzer Wirkung. HÜ- und Paratronschirm waren hoffnungslos überlastet, flackerten. Es sah so aus, als würden sie sich noch einmal stabilisieren, dann brachen sie endgültig zusammen.
Knallend flogen Sicherungen durch, irgendwo explodierte etwas. Kurzschlüsse tauchten die Zentrale in ein Blitzlichtgewitter, verschmorte Isolierungen durchsetzten die Luft mit dunklem, übelriechendem Qualm. Lösch- und Wartungsrobots huschten geschäftig hin und her. Inmitten dieses Durcheinanders stand Barvos Dom wie ein Turm. Er war der einzige, der noch genügend Übersicht besaß. Schreiend, um den Lärm zu übertönen, erteilte er seine Befehle. »Los, sofort absetzen, aber weiter feuern! Schießt aus allen Rohren!« Funksprüche gingen zwischen dem Beiboot und dem Hantelraumer hin und her. In den Schirmfeldern der SOL entstand eine Strukturlücke, um den angeschlagenen Kreuzer einzuschleusen. Er war nicht der einzige, der Schutz im mächtigen Bauch des Giganten suchte. Mehr als zehn Einheiten, vor allem kleinere Schiffe, hielten von allen Seiten auf die SOL zu, deren Schirme dadurch löchrig wurden. Die Roboter setzten nach und folgten den schutzlosen Raumern dichtauf. Auf der SOL erkannte man die Gefahr, stand ihr aber hilflos gegenüber, wollte man nicht riskieren, daß die anfliegenden Schiffe in letzter Sekunde vernichtet wurden. Die Automaten umgaben die solanischen Einheiten wie Kokons, schwebten nur wenige Meter neben, über und unter ihnen und gelangten mit den Schiffen durch die Strukturlücken. Siebenundachtzig war der Durchbruch gelungen, und es war abzusehen, daß weitere folgen würden. Zwischen den Angreifern und den Verteidigern befand sich jetzt nur noch die ungeschützte Hülle der SOL. Breckcrown Hayes hatte sich noch während des Anflugs mit den Kommandanten der fliehenden Schiffe in Verbindung gesetzt und ihnen Verhaltensmaßregeln gegeben, gleichzeitig wurden Maßnahmen gegen die eingedrungenen Automaten eingeleitet. Als sich die Schleusen öffneten, schwebten Shifts heraus, um die
Hangars zu sichern, hinter ihnen quollen flugfähige Kampfmaschinen in den Raum. Die fremden Robots griffen jetzt sofort an. In dem Miniuniversum zwischen HÜ- und Paratronschirm auf der einen und der Außenhaut aus Ynkelonium-Terkonit-Verbundstahl auf der anderen Seite wetterleuchtete es. Ein halbes Dutzend solanische Automaten vergingen, bevor sie den ersten Schuß abgegeben hatten. Während sich die ungeschützten Schiffe völlig zurückhielten, griffen die Flugpanzer nun in die Auseinandersetzung zwischen den eigenen und den fremden Robots ein. Auf Anhieb gelangen vier Abschüsse, die vornehmlich auf das Konto der Shifts gingen. Die Eindringlinge fächerten auseinander und formierten sich zu Stoßkeilen, deren Ziel eindeutig die geöffneten Schotte waren. Noch bevor Hayes einen entsprechenden Befehl geben konnte, hatte SENECA gehandelt und die Schleusentore geschlossen, zugleich erhielten die Besatzungen der Shifts konkrete Anweisungen. Dicht gestaffelt, geschützt von ihren Schirmfeldern, nahmen die Flugpanzer die heranrasenden Automaten aufs Korn; dabei wurden sie von den eigenen Kampfmaschinen unterstützt, die in Rudeln von der Seite her angriffen. Siebenundvierzig Roboter erhielten einen Wirkungstreffer; wie schon zuvor lösten sich ihre Trümmer in nichts auf. Auf solanischer Seite hatte man den Verlust von vier Shifts und einer Anzahl Roboter zu beklagen; nur – das Opfer war vergeblich. Drei Dutzend Angreifern gelang der Durchbruch. Sofort machten sie sich daran, sich mittels ihrer Waffen gewaltsam Zutritt zur SOL zu verschaffen. Dabei bildeten sie eine Art Halbkugel. Während die inneren Einheiten versuchten, eine Öffnung in das Material zu schweißen, dessen Schmelzpunkt bei 100.000 Grad C lag, übernahmen die äußeren ihren Schutz. Einhundertzwei Shifts und mehr als zweihundert Robots des Generationenschiffs versuchten, die Formation aufzubrechen und
zu vernichten. Sechsundzwanzig Maschinen vergingen im konzentrierten Feuer. Zwei Flugpanzerbesatzungen bezahlten den Vorstoß mit ihrem Leben, die Kampfrobots wurden fast gänzlich aufgerieben. Auf den Bildschirmen konnte man verfolgen, was sich draußen, sozusagen vor der eigenen Haustür, abspielte. Und dann geschah das, was die Schiffsführung insgeheim befürchtet hatte: Sieben der riesenhaften Roboter gelang es, in die SOL einzudringen. Noch einmal griffen die Shifts an, schafften es auch, drei weitere der wahrhaft furchteinflößenden Gestalten auszuschalten, doch dann mußten sie aufgeben, weil erkennbar war, daß ihre Geschütze mehr schadeten als nutzten. Obwohl sich immer deutlicher abzeichnete, daß die Solaner nur ums nackte Überleben kämpften, war Breckcrown Hayes erschüttert angesichts der zahlreichen Opfer. »SENECA, meinst du nicht, daß es ein Fehler war, die Schirmfelder so weit auszufahren?« »Nein«, sagte die Biopositronik mit ihrer wohlmodulierten Stimme. »Ich verstehe deine Beweggründe, aber ohne diese Maßnahme wären die Angreifer sofort in den Schleusen aufgetaucht – statt mit vier Robotern hätten wir es mit siebenundachtzig zu tun gehabt. Das Schicksal der SOL wäre besiegelt gewesen.« »Ist es das nicht auch so?« Die Stimme des High Sideryt klang etwas mutlos. »Viele von uns haben bisher ihr Leben verloren, und wofür? Wir erzielen Abschuß auf Abschuß, doch letztendlich werden wir unterliegen. Unser Kampf ist aussichtslos.« »Statistisch gesehen kommt auf den Tod eines Solaners der Abschuß von zehn Komma drei Robots«, versuchte SENECA zu provozieren. »Glaubst du, das ist mir ein Trost oder gar Genugtuung?« brauste Hayes auf. »Du hast vergessen, daß du es mit Hidden-X zu tun hast. Es hat nur ein Ziel vor Augen – die Vernichtung der SOL und ihrer
Besatzung. Willst du das, High Sideryt?« »Nie und nimmer!« stieß der Solaner hervor. »Warum spielst du ihm dann in die Hände? Willst du aufgeben? Sollen hunderttausend Solaner, Extras und Bord-Mutanten umkommen oder in Sklaverei enden, geistig geknechtet von HiddenX?« »Ich glaube, du hast recht. Wir werden kämpfen.« »Und untergehen«, unkte Gallatan Herts. Breckcrown Hayes warf ihm einen bösen Blick zu. »Hast du nicht gehört, was SENECA gesagt hat?« »Doch, aber ich fürchte, daß auch er machtlos ist.« Der Verwachsene deutete auf einen Schirm, der ausschließlich von internen Optiken beschickt wurde. »Sieh dir das an!« Der High Sideryt tat es – und verschluckte eine Verwünschung. SENECAS Roboter warfen sich den Angreifern entgegen, hatten aber trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit keine Chance. Die vier Riesen waren schier unüberwindlich. Nachdem sie alle solanischen Kampfmaschinen außer Gefecht gesetzt hatten, teilten sie sich. Hindernisse, gleich welcher Art, beseitigten sie. Was sich ihren synthetischen Körperkräften widersetzte, verging im Glutstrahl ihrer Waffen.
* Der einzige Körper, der anmeßbar war, war das funkelnde FlektoYn; notgedrungen orientierte man sich daran und hielt darauf zu. Die Triebwerke funktionierten einwandfrei. Mit halber Lichtgeschwindigkeit bewegten sich die PALO BOW und die HORNISSE auf das riesige Gebilde zu, das in einhundert Milliarden Kilometern Entfernung stand. Nach wie vor war der Mentaldruck von Hidden-X nicht bemerkbar. »Hier stimmt etwas nicht.« Vorlan Brick sah von seinen Kontrollen
auf. »Entweder spielen unsere Instrumente verrückt, oder die Gesetze der Physik gelten in diesem Raum nicht.« »Wie kommst du darauf?« erkundigte sich Atlan. »Wenn ich den Anzeigen folge, so legen wir in jeder Sekunde annähernd 150.000 Kilometer zurück, doch die Distanz zum FlektoYn verringert sich nicht. Nach dem Geschwindigkeitsmesser fliegen wir mit halber LG, nach den Tastern bewegen wir uns nicht von der Stelle.« Die SZ-2-2 meldete sich per Funk. Dort hatte man das gleiche Phänomen beobachtet. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lag demnach kein Defekt der Instrumente vor. »Fast könnte man den Eindruck gewinnen, daß sich das Nickelgebilde mit gleicher Geschwindigkeit von uns wegbewegt, aber das erscheint mir ziemlich absurd«, meinte Sternfeuer. »Wir werden die Probe aufs Exempel machen.« Der Arkonide wirkte entschlossen. »Vorlan, wir riskieren ein kurzes Linearmanöver von einer Lichtminute.« »Geht in Ordnung.« Während der Pilot verschiedene Schaltungen vornahm, wandte Atlan sich an den Katzer, der das Kommando über die HORNISSE hatte. »Bjo, ihr wartet ab.« Breiskoll verstand. Falls etwas schiefging, waren nicht gleich beide Schiffe verloren. »Hals- und Beinbruch!« Übergangslos wechselte die PALO BOW in den Linearraum über und fiel binnen einer kaum meßbaren Zeit in das andere Medium zurück. Sofort liefen die Ortungen an, dabei gab es eine Überraschung: Der Linearflug war möglich, nur – er erfüllte nicht seinen Zweck. Der Leichte Kreuzer war dem Flekto-Yn um keinen Deut näher gekommen. Der Knalleffekt war jedoch ein anderer: Die SZ-2-2 war lediglich mit halber LG weitergeflogen, und nun schwebte sie im gleichen Abstand wie vorher neben der SZ-1-19.
»Bei allen Raumgeistern«, entfuhr es dem Piloten. »Ich will nicht mehr Vorlan Brick heißen, wenn ich so etwas schon einmal erlebt habe.« Atlan und alle anderen, die etwas von Raumfahrt verstanden, waren nicht minder verblüfft. Das Beiboot war nicht der in den Autopiloten eingegebenen Geraden gefolgt, sondern entlang einer gekrümmten Linie geflogen, die auf den Ausgangspunkt zurückführte – und das im Linearraum. »Wir haben es hier mit völlig anderen, zunächst unverständlichen physikalischen Gesetzen zu tun«, erkannte Sanny. »Unter den gegebenen Umständen müssen wir auch davon ausgehen, daß uns das seltsame Licht des Flekto-Yns nicht direkt erreicht, sondern auf Umwegen.« »Vielleicht sind wir in der Unendlichkeit gelandet«, meinte Blödel. »Was soll denn dieser Unsinn wieder, Blödel?« herrschte Hage Nockemann den Roboter an. »Ich betrachte die Sache von der wissenschaftlichen Seite, Chef. Jeder weiß, daß sich Parallelen nie treffen können, anders dagegen die Mathematiker. Sie sagen: Parallelen sind zwei Geraden, die sich in der Unendlichkeit treffen. Der Kreuzer ist einer Geraden gefolgt, die sich jedoch als Kreis entpuppte. Meine Schlußfolgerung drängt sich daher förmlich auf.« Der Galakto-Genetiker verstand von dieser Materie nichts. Unsicher blickte er der Reihe nach Atlan, Sanny und Brick an. Der Pilot konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Mein lieber Blödel, du magst ein As auf deinem Gebiet sein, aber als Physik und höhere Mathematik unterrichtet wurden, hast du wahrscheinlich gefehlt.« »Dann stimmt also nichts von dem, was Blödel gesagt hat?« »Das mit den Parallelen schon, doch alles andere ist blanker Unsinn.« »Ah, habe ich es doch gewußt.« Zornig starrte Nockemann seinen positronischen Assistenten an. »Wie oft habe ich dir schon gesagt,
daß du dich nicht in Dinge einmischen sollst, von denen du nichts verstehst?« »Ich habe lediglich eine These als Diskussionsgrundlage in den Raum gestellt«, tat Blödel beleidigt. »Wie es aussieht, sind selbst unsere Experten ratlos.« »Vielleicht kann ich euch weiterhelfen.« Sanny hatte sich an dem Gespräch nicht beteiligt und sich auf paramathematischer Basis mit dem Phänomen befaßt. Nun gab sie ihre Erkenntnisse in Form von umgerechneten Kursdaten an Vorlan weiter. Ungläubig musterte der Pilot die kleine Molaatin. »Und du bist dir sicher, daß wir dann zum Ziel kommen?« »Ja«, sagte sie einfach. »Entschuldige, ich zweifle nicht an deinen Fähigkeiten, aber es steht in völligem Widerspruch zu meinen Erfahrungen.« »Wir versuchen es jedenfalls«, mischte sich Atlan ein. »Vorlan, programmiere den Kurs neu.« Ergeben beugte sich der dunkelhäutige Solaner über sein Pult und gab die von, Sanny ermittelten Daten in den Autopiloten ein. Sofort meldete sich die Positronik: »Ziel und Koordinaten stimmen nicht überein. Erbitte Korrektur oder neue Eingabe.« »Selbst unser Schlauberger kann nicht glauben, was Sanny herausgefunden hat«, scherzte Vorlan Brick. »Aber das haben wir gleich.« Er umging die automatische Sicherheitsschaltung manuell und speicherte die Daten Sannys. Da man mit der HORNISSE ständig in Verbindung stand, nahm Uster die gleiche Eingabe vor. Diesmal hatte der Arkonide keine Bedenken, beide Schiffe gleichzeitig in den Linearraum überwechseln zu lassen, denn man wußte ja nun, daß derartige Manöver gefahrlos durchgeführt werden konnten. Wieder hatte man eine kurze Etappe gewählt, und diesmal klappte es. Man kam 1,08 Milliarden Kilometer näher an das Flekto-Yn
heran. Brick warf der Molaatin einen scheuen Blick zu und schluckte, sagte aber nichts. Ein wenig forscher geworden, ließ Atlan die Linearmanöver ausdehnen, so daß man sich dem riesigen Nickelgebilde nun deutlich näherte, ließ es an der gebotenen Vorsicht jedoch nicht fehlen. Wann immer die Kreuzer in das Hypervakuum zurückfielen, liefen sofort die Ortungen an. Die letzte Etappe brachte die Schiffe bis auf knapp 3,5 Lichtsekunden an das Flekto-Yn heran. Diesmal sprachen die Taster der Energieortung sofort an. Wieder erlebten die Männer und Frauen eine Überraschung. Obwohl nichts zu sehen war, bildeten die positronischen Anzeigen in einiger Entfernung vom Flekto-Yn eine kleine Sonne von viertausend Kilometern Durchmesser ab. Der Weiße Zwerg wurde von sieben Kleinplaneten umkreist, deren Querschnitt zwischen zweihundert und vierhundert Kilometern lag. Wollte man den Instrumenten glauben, dann besaß der Stern keine Gravitation. »Ich werde noch verrückt«, stöhnte Vorlan Brick. »Ein Weißer Zwerg, der keine Anziehungskraft ausübt, aber von Planeten umkreist wird. Und zu allem Überfluß ist das gesamte System auch noch unsichtbar.« »Wir tasten uns an die Sonne heran«, bestimmte Atlan. »Die HORNISSE wartet hier, um notfalls eingreifen zu können.« Mit Unterlichtgeschwindigkeit hielt die PALO BOW auf den Weißen Zwerg zu. Als eine Distanz von einer Million Kilometern zum Flekto-Yn unterschritten wurde, verschwand das Sonnensystem plötzlich von den Ortungsschirmen und war auch nicht mehr aufzuspüren. »Nennen wir diese Pseudo-Sonne ›Utopia‹«, knurrte Atlan. »Wahrscheinlich hat uns Hidden-X wieder nur mit einer Spiegelung genarrt, wie es für dieses Wesen typisch ist. Unternehmen wir einen Vorstoß zum Flekto-Yn!« Während der Pilot eine Kursänderung einleitete, nahm der
Arkonide Verbindung zu Bjo Breiskoll auf und unterrichtete ihn über sein Vorhaben. Die SZ-2-2 sollte sich als Eingreifreserve nicht an diesem Unternehmen beteiligen. Um gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein und notfalls sofort fliehen zu können, ließ der Aktivatorträger die Transmitterverbindung zwischen den beiden Leichten Kreuzern testen. Sie funktionierte einwandfrei. Sehr umsichtig! lobte der Extrasinn. Du scheinst in den letzten Stunden sehr an Reife und Erfahrung gewonnen zu haben. Wenn du es sagst, muß es wohl stimmen, gab Atlan belustigt zurück. »Welchen Punkt des Flekto-Yn soll ich ansteuern?« »Halte auf jene Stelle zu, wo sich der zerstörte große Hohlspiegel befand.« Der betreffende Sektor war deutlich auszumachen. Atlan selbst war es gewesen, der ihn hatte sprengen lassen, als er mit Hilfe Wöbbekings im Flekto-Yn war, um Chybrain zu retten – und Sanny. Deutlich erinnerte er sich noch an die Drohung von Hidden-X, die Solaner zu knechten, weil es neue Baumeister für den zu erneuernden Spiegel brauchte. Mittlerweile war die Entfernung zu dem riesigen Nickelgebilde weiter geschrumpft. Gleißendes Licht ging von dem imposanten Vieleck aus, als wenn es angestrahlt würde. Atlan und die anderen betrachteten es mit gemischten Gefühlen. Wann – und vor allem wie – würde Hidden-X zuschlagen? Plötzlich sprach das Normalfunkgerät an. Verwundert sah die Funkerin zu Atlan. Der konnte sich zwar auch keinen Reim darauf machen, nickte jedoch zustimmend. Erst jetzt ging die PALO BOW auf Empfang. Eine Frau meldete sich. Sie stellte sich als Seilossa Zerm vor und nannte auch die Namen ihrer beiden Begleiter: Murskan Bollwin und Dyck Tranand. »Das sind doch die drei verschwundenen Solaner!« rief Hage Nockemann spontan.
Mit einem Wink bedeutete der Arkonide ihm, zu schweigen, dann ging er auf Sendung. »Wie kommt ihr hierher?« »Hidden-X hat uns ins Flekto-Yn versetzt, doch wir konnten uns aus seiner Gewalt befreien und fliehen. Ihr glaubt nicht, wie heilfroh wir über euer Auftauchen sind.« Seilossa Zerm schluchzte. »Wir sind zwar aus dem Flekto-Yn entkommen, mußten aber ständig damit rechnen, wieder eingefangen zu werden. Erst wenn wir an Bord eines solanischen Schiffes sind, wissen wir, daß wir endgültig gerettet sind. Könnt ihr uns abholen?« »Nein, Atlan, tu es nicht«, zischte Sanny. »Die drei sind Werkzeuge von Hidden-X. Sie wollen uns in eine Falle locken.« »Mag sein, daß du recht hast, aber es sind Solaner. Es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihnen zu helfen.« »Sie sind keine Solaner mehr, sondern Kreaturen von Hidden-X«, sagte die Molaatin eindringlich. »Begreifst du das denn nicht? Die drei sehen nur noch aus wie Solaner, in Wahrheit sind es organische Roboter ohne eigenen Willen.« »Was ist?« drang die Stimme der Frau aus dem Empfänger. »Hört ihr uns noch?« »Ja, die Verständigung ist einwandfrei.« Sei kein Narr! meldete sich der Logiksektor. Du weißt, daß Sanny recht hat. Wir dürfen sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, wandte Atlan gedanklich ein. Schalte das Funkgerät ab und vergiß die drei! Alles andere wäre eine nicht wieder gutzumachende Dummheit. Hidden-X wird dich und die anderen versklaven, vielleicht sogar töten! Laß diese Gefühlsduseleien und benutze deinen Verstand! Atlan beugte sich nach vorn. Scharf akzentuiert sagte er in das Mikrophon: »Seilossa, wo können wir euch abholen?«
* Nicht nur außerhalb der SOL tobte der Kampf, sondern auch im Schiff selbst. Dank massiertem Einsatz von KampfrobotHundertschaften waren zwei der riesenhaften Angreifer zur Strecke gebracht worden, doch neunundzwanzig anderen war es gelungen, in den Hantelraumer einzudringen. Daß es nicht mehr waren, verdankte man den aufopfernd kämpfenden Shift-Besatzungen. Sie taten, was menschenmöglich war, trotzdem gelang es ihnen nicht, die Angreifer zu stoppen – sie konnten ihre Zahl nur vermindern. Nach wie vor verfolgten sie die gleiche Taktik. Sobald sich ein angeschlagener Raumer der SOL näherte, um eingeschleust zu werden, stellten alle in der Nähe befindlichen Robots die Kampfhandlungen ein und bildeten um den Havaristen einen engen Kordon. So gelangten sie zusammen mit ihm durch die Strukturlücke. Billigend wurde dabei eine hohe Verlustrate in Kauf genommen, denn die solanischen Verteidiger kämpften natürlich unverdrossen weiter. Abschußquoten von vierzig, fünfzig Prozent waren keine Seltenheit, und jenseits der Schirmfelder wurden die humanoiden Maschinen nochmals stark dezimiert, teilweise um neunzig Prozent, denn die Mannschaften der Flugpanzer hatten sich mittlerweile auf die Kampfweise ihrer robotischen Gegner eingestellt. Dennoch war absehbar, daß die Solaner in absehbarer Zeit unterliegen würden. Das schlafende Heer der Roboter hatte in der SOL einen Brückenkopf gebildet, der ständig verstärkt wurde, und jede der riesigen Maschinen wog gut und gerne drei Dutzend solanische Automaten auf. Natürlich lief deren Produktion auf Hochtouren, doch der Nachschub konnte die Verluste bei weitem nicht ausgleichen. Bisher hatte selbst SENECA kein Mittel gegen die Aggressoren gefunden. Auf sein Geheiß hin war eine robotgesteuerte Lightning-
Jet ausgeschleust worden, die mit desaktivierten Schutzschirmen in auffälliger Weise vor den Schirmfeldern der SOL kreuzte. Sogleich hatten sich ihr die haluterähnlichen Maschinen genähert, um im Huckepackverfahren zur SOL vorzudringen. Als sich nach zwei Minuten vergeblicher Wartezeit immer noch keine Strukturlücke auf tat, verloren die fremden Roboter das Interesse. Kurzerhand vernichteten sie die kleine Einheit und schwirrten davon. Was das bedeutete, verstand Hayes auch ohne Erläuterung der Bio-Positronik: Wich er von der bisher geübten Praxis ab, in Not geratene Beiboote durchzulassen, verurteilte er deren Besatzungen zum Tod, verfuhr er wie bisher, öffnete er den Angreifern Tür und Tor. In dieser verzweifelten Situation wäre es gut gewesen, Atlan zur Seite zu haben, doch man hatte keine Verbindung zu ihm, wußte nicht einmal, ob er überhaupt noch lebte. Aus allen Teilen des Hantelraumers wurden Schäden und Zerstörungen gemeldet, die teilweise erheblich waren. Die SOL war nicht für Riesen gebaut worden, dementsprechend waren ihre Abwehrmechanismen. Schotte und Energiefelder vermochten die Giganten nur aufzuhalten, aber nicht zu stoppen. Längst hatte man die Außenbezirke aufgegeben und eine Art Verteidigungsring gebildet, dennoch waren Erfolgsmeldungen rar. Die Angreifer befanden sich auf dem Vormarsch. Am eindringlichsten vermittelten das die übertragenen Bilder, vorausgesetzt, daß die Kameras noch funktionierten. SENECAS Roboter führten einen aussichtslosen Kampf, der Untergang war so gut wie gewiß. »Verdammt, warum starrt ihr alle mich an?« rief Breckcrown Hayes entnervt. »Ich kann auch nicht zaubern!« Die Anwesenden senkten schuldbewußt ihre Köpfe. »Lyta, was ist mit SENECA?« Lyta Kunduran, einst jüngste Magnidin, mittlerweile etabliert als Stabsspezialistin und Ansprechpartner der Bio-Positronik, gab sich gelassen.
»Es gibt keine neuen Erkenntnisse.« »Vakuumeinbruch in der SZ-2, Sektor 9-C«, plärrte eine Automatenstimme. »Aus Sicherheitsgründen sind die angrenzenden Bereiche sofort zu räumen. Ich wiederhole: Vakuumeinbruch in der SZ-2, Sektor 9-C …« Die Durchsage verfehlte ihre Wirkung nicht. Menschen und Extras hasteten davon, um sich in Sicherheit zu bringen, Kampfmaschinen kamen ihnen entgegen, um die Zone abzuriegeln. Staunend rieb sich Hayes die Augen – den Robots folgte ein Trupp schwerbewaffneter Solaner, die alle mit Individualschirmen ausgerüstet waren. Sogar ein auf einer Antigravplattform montiertes Geschütz führten sie mit sich. Der High Sideryt eilte zum Interkom, um die seiner Meinung nach Verrückten zurückzubeordern, als sich SENECA meldete. »Ich habe eine Mitteilung zu machen.« »Betrifft das den Einsatz bewaffneter Solaner?« fragte Breckcrown Hayes ahnungsvoll. »Ja. Ich konnte mich dem berechtigten Begehren der Männer und Frauen, aktiv etwas zur Verteidigung ihrer Heimat beizutragen, nicht länger verschließen und habe die Freiwilligen durch meine Roboter ausrüsten lassen.« »Was die Leute vorhaben, grenzt an Selbstmord, und du unterstützt sie auch noch dabei«, erregte sich Hayes. »Warum hast du hinter meinem Rücken gehandelt?« »Hättest du zugestimmt?« »Nein, nie und nimmer!« »Du mußt dich einmal in die Situation dieser Leute versetzen. Sie werden nicht gebraucht, denn sie sind keine Spezialisten, Piloten oder Waffentechniker. Sie sind zur Tatenlosigkeit verurteilt und müssen hilflos mit ansehen, wie die SOL erobert und zerstört wird. Kannst du nicht verstehen, daß sie helfen wollen, die SOL zu erhalten?« »Doch«, gab der Solaner widerwillig zu. »Aber die Zahl der Opfer
wird sich dadurch noch vergrößern.« »Die SOL-Milizen werden nur eingesetzt, um meine Roboter zu unterstützen«, sagte die Bio-Positronik. »Damit ist sichergestellt, daß sie nicht aus falsch verstandenem Heldentum in ausweglose Situationen geraten.« Breckcrown Hayes überlegte. Was SENECA gesagt hatte, stimmte, und das Risiko für die Solaner war kalkulierbar. Natürlich mußte auch der strategische Vorteil ins Kalkül gezogen werden. Durch die Unterstützung Freiwilliger konnten die Robots gezielter eingesetzt werden, man konnte ihre Gruppenstärke verringern, wodurch Kapazitäten für andere Brennpunkte frei wurden. »Also gut, ich bin einverstanden. Wieviel Männer und Frauen haben sich bisher zur Verfügung gestellt?« »Über tausend. Sie werden in fünfzehn- bis zwanzigköpfige Verbände eingeteilt, denen ein im Umgang mit Waffen erfahrener Teamleiter vorsteht. Ich habe die Koordination übernommen.« Das Kommando über eine dieser SOL-Milizen hatte Bent Darson, ein ehemaliger Haemate. Seine Gruppe zählte achtzehn Männer und Frauen, die sich vornehmlich aus früheren Ferraten rekrutierte; außer den Solanern waren noch zwei Buhrlos und ein gorillaähnlicher Extra mit grünem Pelz dabei. Alle verfügten über Schutzschirmprojektoren und – bis auf die beiden Gläsernen – raumfeste Anzüge. Die Bewaffnung bestand aus schweren Thermostrahlern, Blastern und Desintegratoren, des weiteren aus einem auf einer Antigravplattform montierten Impulsgeschütz. Es verfügte über ein zusätzliches Aggregat, das einen starken Schutzschirm aufbaute. Der Hüne hatte sich mit seinen Leuten hinter einem Wall leerer Container verschanzt. Ihnen oblag es, gemeinsam mit dreißig Kampfmaschinen einen Verteiler zu überwachen; einer der Automaten, die mit SENECA in ständiger Funkverbindung standen, hatte gemeldet, daß sich einer der Eindringlinge auf diesen Sektor zubewegte. Noch war davon nichts zu sehen, aber aus der Ferne
hörte man unheilvolles Krachen, die Erschütterungen von Explosionen durchliefen Boden und Wände; eine schwache Druckwelle fegte durch die Gänge. Der Lärm wurde größer. Stampfen war zu hören, das Bersten von Schotten und Abtrennungen, dazwischen das Fauchen von Schüssen. Und dann tauchte eins der geistlosen robotischen Ungeheuer auf. Die dunkle, haluterähnliche Maschine bewegte sich kriechend vorwärts und füllte den Flur nahezu aus. Wo immer der Riese Wand oder Decke berührte, gingen die Verkleidungen zu Bruch, Optiken, Lautsprecher und Leuchtplatten wurden aus ihren Verankerungen gerissen und polterten zu Boden. Die Kampfrobots hatten sich auf mehrere Korridore verteilt und warteten, bis ihr Gegner mit dem Oberkörper in das Rund des Verteilers vorstieß, dann nahmen sie ihn von mehreren Seiten gleichzeitig unter Beschuß. Für die Miliz war es das Signal, ebenfalls aktiv zu werden. Aus sechs, acht Fluren rasten Strahlenbahnen auf die fremde Maschine zu und hüllten sie ein. Der transparente Schutzschirm leuchtete auf, Dutzende von Elmsfeuern tanzten auf der energetischen Hülle. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wuchsen aus Kopf und Schultern des gewaltigen Robots Abstrahlprojektoren, richteten sich kurz ein und wurden gleichzeitig ausgelöst. Für Sekundenbruchteile verwandelten sich drei Flure in ein glühendes Inferno, dann orgelte ein Orkan aus kochendheißer Luft durch das Ganglabyrinth. Fetter schwarzer Rauch wogte empor, es stank nach verschmortem Kunststoff. Der Bodenbelag warf Blasen, Wand- und Deckenverkleidung waren verflüssigt, teilweise ionisiert worden. Aus einer getroffenen Versorgungsleitung plätscherte Wasser, Überschlagblitze sprangen über, dann fielen auch die Leuchtplatten aus, die nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Es wurde finster.
Gleißende Helligkeit erfüllte einen Teil der Gänge und dann auch den Verteiler – die Kampfrobots schlugen zurück, doch der Schutzschirm des Riesen hielt der Belastung stand. Er erwiderte das Feuer, gleich darauf erfüllte der ohrenbetäubende Lärm von zwei rasch aufeinanderfolgenden Explosionen diesen Abschnitt. Zwei der synthetischen Verteidiger waren vernichtet worden. »Los, zeigt's ihm!« brüllte Bent Darson. Er saß hinter den Kontrollen des Impulsgeschützes und betätigte den Auslöser wieder und wieder. Die kleine Truppe feuerte ihre Thermostrahler, Blaster und Desintegratoren ab, gleichzeitig griffen auch die Kampfmaschinen wieder an. Flackernd sprang die Notbeleuchtung an und tauchte die Szene in ein fahles Licht. Der Schutzschirm des Giganten blähte sich auf, wurde semitransparent, farbige Schlieren durchzogen ihn. Unbeeindruckt setzte der Robot seine Waffen ein. Wieder gelang es ihm, einen Automaten zu zerstören, dann verwandelte er den Wall aus Containern in ein klägliches Häufchen Schrott. Der Individualschirm des Extras brach zusammen, von der kinetischen Restenergie wurde er wie ein welkes Blatt davongewirbelt. Hastig sprangen die Männer und Frauen auf und zogen sich tiefer in den Gang zurück, nur der Hüne hielt aus und gab Salve auf Salve ab. Sein Vertrauen in die Belastbarkeit des Geschütz-Schirmfelds schien grenzenlos zu sein, obwohl es bereits bei dem Angriff des Riesen verdächtig geflackert hatte, ohne voll getroffen worden zu sein. Noch ein Robot von SENECA wurde ausgeschaltet, dann zeigte auch der Eindringling Wirkung. Sein körpereigener Schutzschirm verkraftete die pausenlose Belastung nicht mehr. Er blähte sich weiter auf, wurde grünstichig und zerplatzte dann wie eine Seifenblase. Die Automaten erzielten mehrere Körpertreffer, Darson landete einen Volltreffer am Kopf. Der Robot zerbrach in drei Teile, die unter der Einwirkung von Explosionen in kleinere Stücke zerrissen wurden. Grollende Donnerschläge wie bei einem Gewitter
rollten durch die Gänge. Bent Darson war außer sich vor Freude. »Wir haben es geschafft!« brüllte er begeistert. »He, kommt her und seht ihn euch an! Wir haben ihn vernichtet!« Jubelnd sprang der frühere Haemate aus dem Sitz des Impulsgeschützes und rannte zum Kreisel, doch mitten im Lauf stoppte er abrupt ab. Mit aufgerissenem Mund starrte er auf das Bild, das sich seinen Augen bot: Die Trümmer der Maschine lösten sich in nichts auf. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann waren die Reste des Robots verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. »Aber ich bin doch nicht verrückt«, stammelte er fassungslos. »Er war doch hier. Er hat gegen uns gekämpft, wir haben gegen ihn gekämpft – das habt ihr doch alle gesehen, oder?« Die anderen waren mittlerweile herangekommen. Sie nickten stumm. »Und jetzt ist er einfach weg!« Vorsichtig, mit tastenden Händen und Füßen, betrat der Hüne jenen Teil des Verteilers, auf dem vor einer Minute noch der Koloß gelegen hatte. Er trat auf nichts, und er stieß gegen nichts. »Kein Deflektorfeld, aber auch keine Bruchstücke.« Mit seinen Pranken kratzte er sich unschlüssig am Kopf. »Gibt es so etwas?« Als eine Antwort ausblieb, sagte er: »Na, ja, ist ja auch egal. Hauptsache, wir haben gewonnen, und das haben wir weiß Gott.« Die Kampfrobots schwebten an der kleinen Truppe vorbei. »He, wo wollt ihr hin?« »Wir werden woanders gebraucht«, antwortete der Robotkommandant. »Und was ist mit uns?« »SENECA wird euch eine neue Aufgabe zuweisen.« »Darum möchte ich auch gebeten haben, denn schließlich habt ihr es uns zu verdanken, daß der Angreifer vernichtend geschlagen wurde.« Als Beifall bei seinen Leuten aufkam, reckte er stolz den Hals. »Und im Gegensatz zu euch hatten wir keine Verluste.«
Wortlos verschwanden die Kampfmaschinen, dafür tauchte eine Handvoll Reparaturrobots auf. Ihnen oblag es, wenigstens die gravierendsten Schäden zu beheben; mehr als ein Provisorium kam dabei ohnehin nicht heraus, denn wie ihre kämpfenden Kollegen waren sie zu wenige und standen ständig unter Zeitdruck. Es war in dieser Beziehung ohnehin nur dem fast wie in alten Tagen funktionierenden SENECA zu verdanken, daß das Chaos noch keinen Einzug auf der SOL gehalten hatte. »Der Sieg war unser«, sagte Bent Darson pathetisch. »Kommt, es warten neue Aufgaben auf uns.« Gemeinsam verließ diese Abteilung der SOL-Miliz die Stätte der Verwüstung. Was niemand von ihnen wußte: Sie hatten einen Pyrrhussieg errungen. Während sie einen Angreifer gestellt und auch geschlagen hatten, waren vier weitere in die SOL eingedrungen. Und mehr als dreißigtausend warteten noch darauf, ihnen folgen zu können. Siebzig Kampfrobots und ein besonders starker Verband der SOLMiliz waren zusammengezogen worden, um eine Produktionsstätte vor zwei Robots zu schützen, die offensichtlich das gleiche Ziel hatten. Die vollautomatisch arbeitende Anlage war keine der herkömmlichen Fabriken, sondern eine Wiederaufarbeitungsanlage für Trinkwasser. Daß ihr von Seiten der Solaner besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, war verständlich, denn ohne dieses kostbare Naß war kein menschliches Leben möglich. Neben den Automaten waren einundfünfzig Männer und Frauen angetreten, die dafür sorgen sollten, daß dieses Wasserwerk nicht zerstört wurde. Ihre Ausrüstung war optimal. Neben vier mobilen Impulsgeschützen verfügten sie über sieben Lafetten mit schweren Waffen, die durchaus in der Lage waren, einem Kampfrobot den Garaus zu machen, zudem trug jeder von ihnen einen Hochleistungsstrahler. Daß sie raumfeste Kombinationen trugen und durch Individualschutzschirme geschützt wurden, verstand
sich von selbst, ebenso wie Helmfunk und Flugaggregate. Alle wichtigen Maschinen, Blöcke und Becken wurden durch rasch herbeigeschaffte Schirmportables geschützt – sofern das überhaupt möglich war, denn zumindest SENECA und Hayes war die Kampfkraft der haluterähnlichen Roboter mittlerweile hinreichend bekannt. Vernete Deeksen, einst ranke Vystidin und nun zur Fälligkeit neigend, konnte ihre Leute gerade noch einweisen und an ihre strategisch wichtigen Punkte postieren, dann tauchte die erste der riesigen Maschinen auf. Auf einem Monitor war zu erkennen, daß sie sich auf Händen und Füßen durch den Gang bewegte. Die Hoffnung der Solaner, daß der Robot achtlos an dem geschlossenen Schott vorbeikroch, erfüllte sich nicht. Wahrscheinlich hatte seine Energieortung angesprochen. Dumpfe Schläge erschütterten die beiden Flügelhälften, doch so leicht war die stabile Metallkonstruktion nicht zu zerstören. Während die Verteidiger, also auch die Automaten, Schutz hinter Aufbauten suchten und sich in günstige Schußpositionen brachten, war draußen auf dem Flur das Fauchen von Strahlwaffen zu hören. Das Schott verfärbte sich zuerst dunkelrot, dann wurde es weißglühend. Krachend polterten zwei gewaltige Stücke zu Boden. In den Flügelhälften klaffte jetzt ein Loch von etwa fünf mal sechs Metern, und durch diese Öffnung schob sich der Koloß. »Feuer!« Ein wahres Energiegewitter aus Strahlerschüssen, Geschützen und Robotwaffen entlud sich vor dem Durchlaß, doch niemand hatte mit der Behendigkeit und der blitzschnellen Reaktion des tonnenschweren Angreifers gerechnet. Wie von der Sehne geschnellt, katapultierte er sich in die Halle und entging so knapp dem vernichtenden Feuerschlag. Noch während er sich zu seiner imposanten Größe von fünfundzwanzig Metern aufrichtete, spien seine vier beweglichen Brustwaffen Tod und Verderben. Zwei Kampfrobots wurden vernichtet, eine der Lafetten erhielt
einen Volltreffer und explodierte; dabei kam auch der Solaner um, der die Waffe bediente. Der Energieschirm, der ein Biobecken schützte, brach zusammen. Ohne Zweifel waren die Riesen bedeutend gefährlicher, wenn sie genügend Bewegungsfreiheit hatten und nicht gezwungen waren, wie Würmer durch Korridore zu kriechen. Wieder verfehlten ihn die von den Solanern bedienten Impulsgeschütze und die anderen schweren Waffen, lediglich die Kampfroboter vermochten einige Treffer anzubringen, die aber vom Schirmfeld kompensiert wurden. Leichtfüßig wie eine Tänzerin bewegte sich die massige Konstruktion auf ihren säulenartigen Beinen. Die Stellungswechsel erfolgten mit atemberaubender Geschwindigkeit, denen das menschliche Auge kaum folgen und damit vom Gehirn zu spät in gezielte Reaktionen umgesetzt werden konnte. Wie es aussah, war dadurch ein Großteil der Verteidiger – nämlich die Solaner – schon ausgeschaltet, bevor der Kampf richtig begonnen hatte. Angesichts des herumwirbelnden Monstrums wurde Vernete Deeksen den Verdacht nicht los, daß das schlafende Heer der Roboter für ganz andere Schwerkraftverhältnisse konstruiert worden war und nun in der SOL von der geringeren Gravitation profitierte. Zeit für weitere Betrachtungen blieb ihr nicht, denn die mattschwarze Maschine mit dem von Beulen, stachelartigen Aufsätzen und skurril geformten Auswüchsen bedeckten Körper ließ keine Verschnaufpause zu. Mittlerweile hatte sie wieder drei Automaten zerstört und eine weitere, auf einer Lafette angebrachte Waffe vernichtet; glücklicherweise war bei dieser Attacke kein Menschenleben zu beklagen. Ein unerwarteter Vorstoß der Kampfmaschinen brachte den Koloß in Bedrängnis, sein Schutzschirm drohte zusammenzubrechen. Mit dem ihm eigenen Tempo suchte er Schutz hinter einem fast dreißig Meter hohen, neun Meter durchmessenden Filterkessel. Das war nun ganz und gar nicht im Sinn von SENECAS Robots und der
SOL-Miliz, denn die kostbaren Anlagen sollten ja unter allen Umständen geschont werden; wer allerdings glaubte, den Riesen nun in der Falle zu haben, wurde sofort eines Besseren belehrt. Er ließ sich nicht einfach einkreisen, sondern sorgte mit überraschenden Ausfällen dafür, daß die Verteidiger auf Distanz blieben. Die harte Schule der Vystiden kam Vernete Deeksen nun zugute. Sie erkannte auf Anhieb, welchen Vorteil sich der Roboter verschafft hatte. Während er selbst fast so gut wie unangreifbar war, konnte er alles um sich herum in Schutt und Asche legen. Das sollte natürlich unter allen Umständen vermieden werden. Daß sie richtig kalkuliert hatte, zeigte sich sogleich. Die gewaltige Maschine eröffnete das Feuer auf einen tausend Kubikmeter fassenden Brauchwasserbehälter, dessen Inhalt nach weiterer Aufbereitung auf Trinkwasserqualität gebracht wurde. Der schützende Energieschirm war zu schwach, um einem solchen Bombardement standzuhalten; flackernd gab er seinen Geist auf. Mehrere konzentrierte Strahlenbahnen trafen die Metallhülle und ionisierten sie an verschiedenen Stellen. Gleich Sturzbächen sprudelte das lebenswichtige Naß in die Halle. Mit der Wildheit einer Springflut rissen die Wassermassen zwei Solaner nach vorn, die in der Nähe des Behälters Deckung gesucht hatten. Hilflos wurden sie davongewirbelt. Und noch während sie darum kämpften, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, traf sie eine Salve des Eindringlings. Trotz ihrer Individualschirme waren beide auf der Stelle tot. All das war so schnell gegangen, daß kein Solaner eingreifen konnte, zudem hatte jeder mit sich selbst zu tun, um von der gurgelnden Welle nicht einfach umgerissen zu werden. Zwar hatten die Kampfmaschinen reagiert, aber der Angreifer hatte es geschickt verstanden, sie in die Defensive zurückzudrängen. SOLAG und Vystiden hatten sich früher nur durch Härte und brutales Durchgreifen an der Macht halten können, doch diese
Zeiten waren längst passe; auch Vernete Deeksen hatte umgelernt. Sie empfand die Erbarmungslosigkeit der fremden Maschine nicht minder intensiv als die anderen, Haß, Zorn und ohnmächtige Wut erfüllten sie, aber sie verlor trotz der Emotionen nicht den Kopf. Mittlerweile stand das Wasser kniehoch, floß aber durch das geborstene Schott rasch ab und verlief sich irgendwo in der SOL. An der rückwärtigen Wand der Halle flog eine Anlage mit ohrenbetäubendem Lärm in die Luft, Trümmer zickzackten durch die Halle, Rauchschwaden wogten durch das Geviert. Eine Pumpe stellte rasselnd ihren Dienst ein, Kurzschlüsse erzeugten blitzende Funkenregen, grelle Strahlenbahnen der Energiewaffen zuckten auf und zerteilten den Qualm. Erneut explodierte ein Kampfrobot, gleich darauf ein Chemikalienreservoir. Giftige Dämpfe breiteten sich aus, schwefelgelbe und giftgrüne Schwaden wogten durch die Anlage und verbanden sich zu einer ätzenden Flüssigkeit, die jede Substanz angriff und zerfraß. Scheinbar ungerührt von dem, was um sie herum vorging, gab die Führerin der kleinen Truppe ihre Anweisungen und nahm auch Kontakt mit den Automaten auf, um ihr Vorgehen miteinander abzustimmen. Die Robots stimmten ihrem Plan zu. Sie übernahmen dabei den gefährlicheren Part. Während eine Handvoll Kampfmaschinen einen Scheinangriff riskierte und dabei auch prompt ein Exemplar von der Einsatzliste abstreichen mußte, versuchten die anderen Automaten, sich dem Riesen unbemerkt von der Seite zu nähern. Auch die Solaner wechselten ihre Plätze und brachten im Schutz der Anlagen und Maschinenblöcke die schweren Waffen und die Impulsgeschütze in Stellung. Mittels Helmfunk koordinierte die ehemalige Vystidin die Bewegungen ihrer Gruppe. Wieder erschütterte der Donner einer Explosion die Halle. Wenn dem Treiben des Giganten nicht bald Einhalt geboten wurde, war diese Aufbereitungsanlage nicht mehr zu gebrauchen. Als Vernete Deeksen sicher war, daß ihre Leute bereit waren, gab
sie das vereinbarte Zeichen. Von zwei Seiten brachen die Kampfrobots aus ihren Verstecken hervor und nahmen die fremde Maschine unter Feuer, gleichzeitig fauchten die Impulsgeschütze und die anderen Strahlenwaffen los. Angesichts der Schäden, die der Angreifer anrichtete, hatten auch die Verteidiger alle Hemmungen verloren. Schon die erste Salve der schweren Waffen riß das Oberteil des Filterkessels weg und traf das Schirmfeld des Riesen, das sich unter dem konzentrierten Beschuß von Menschen und Robots aufblähte. Aus allen Rohren feuernd, versuchte der Dunkle einen Ausfall, konnte die Phalanx der Maschinen jedoch nicht durchbrechen, obwohl er ihnen empfindliche Verluste zufügte. Ein Pumpaggregat, hinter dem eins der Impulsgeschütze in Stellung gegangen war, wurde getroffen und zerfetzt. Der Kanonier blieb zwar dank dem starken Schirmfeld unversehrt, hatte aber nicht die Nerven, das Gerät zu retten, sondern brachte sich mit einigen Sprüngen in Sicherheit. Vernete Deeksen hatte das beobachtet. Zwar konnte sie ihrer Geschlechtsgenossin nicht verdenken, daß ihr das eigene Leben wichtiger war als der Erhalt einer Waffe, aber hier ging es um mehr – es ging um die Erhaltung der SOL. Tollkühn und kaltblütig zugleich war die Frau mit einem Satz bei dem Geschütz, schwang sich hinter die Bedienungselemente und steuerte die Antigravplattform in einen toten Winkel. Mit einem Blick überzeugte sie sich von der Funktionstüchtigkeit des Impulsgeschützes, dann brachte sie es wieder in Angriffsposition und schoß, was das Zeug hielt. Das charakteristische Geräusch der Waffen ging im allgemeinen Getöse unter. Der Robot zeigte Wirkung; sein Schutzschirm wurde von Farbspielen durchzogen, der Radius wuchs. Es konnte nur noch wenige Sekunden dauern, dann war er besiegt, doch just in diesem Augenblick tauchte zu allem Überfluß ein Pendant von ihm auf. Die andere Maschine schnellte sich durch das zerstörte Schott in die
Halle und eröffnete sofort das Feuer. Während ein Teil der Kampfmaschinen den neuen Gegner sofort annahm, wußten die Solaner nicht, wem sie sich stellen sollten. Diese Verwirrung in den Reihen der Gegner nutzte der angeschlagene Koloß, um sich trotz heftiger Gegenwehr der Kampfrobots in den Schutz eines Klärturms zurückzuziehen und von dort aus wieder anzugreifen. SOL-Miliz und Maschinen gerieten so zwischen die Fronten und wurden von zwei Seiten unter Feuer genommen. Zwei Automaten wurden vernichtet und ein Impulsgeschütz; dabei verlor Vernete Deeksen ihr Leben. Angesichts des tragischen Todes ihrer Anführerin verlor ein älterer, sonst als besonnen geltender Mann die Nerven. »Wir müssen hier weg, sonst erwischt es uns auch noch!« schrie er in das Mikrophon seines Helms und startete das Flugaggregat. Mit ungeheurem Schub schoß er hinter einem Bio-Becken hervor und hielt auf das ruinierte Schott zu. Bevor er es erreichte, wurde er von einem der fremden Angreifer getroffen und zerstrahlt. Angesichts dieser erbarmungslosen Brutalität spalteten sich die Solaner in zwei Lager. Die einen wollten Hals über Kopf fliehen, die anderen wollten den Tod ihrer Kameraden rächen und angreifen – koste es, was es wolle, und selbst um den Preis des eigenen Lebens. »Wir ziehen uns zurück«, erklang die Stimme eines Kampfrobots über Helmfunk. »An alle Solaner dieser Miliz: Benutzt die Ausgänge A und C an der linken und B und D an der rechten Seite. Wir decken euren Rückzug.« »Warum greifen wir nicht an?« rief ein ehemaliger Ferrate unbeherrscht. »Warum sollen wir uns absetzen? Wir müssen diese Maschinen vernichten!« »Weitere Opfer sind sinnlos, wir sind unterlegen.« »Wer sagt das?« »SENECA.« Ohne Rücksicht auf ihre eigene Existenz verwickelten die Kampfmaschinen die Riesen erneut in ein Gefecht und wurden
weiter dezimiert. Angesichts dieser Bilder sahen auch die Hitzköpfe ein, daß sie gegen die beiden Eindringlinge keine Chance hatten und auf verlorenem Posten standen. Heimlich wie Diebe schlichen sie auf den nächstgelegenen Ausgang zu und sammelten sich auf dem Gang. Wenig später stießen siebenundvierzig Automaten zu ihnen. Die Solaner standen mit hängenden Köpfen da. »Einige von uns haben ihr Leben verloren, aber ihr Tod war sinnlos«, sagte eine junge Frau deprimiert. »Wir haben versagt, denn wir sind besiegt worden. Siebzig Kampfmaschinen und einundfünfzig Solaner haben es nicht geschafft, das Wasserwerk zu schützen und zwei fremde Roboter zu vernichten. Was wird aus der SOL, wenn alle so erfolglos sind wie wir? Von wegen SOL-Miliz – wir sind ein kläglicher Haufen.« »Ihr habt getan, was in eurer Macht stand«, meldete sich SENECA mit seiner wohlmodulierten Stimme. »Niemand macht euch einen Vorwurf, weil ihr gegen diese Maschinen keinen Sieg davongetragen habt. Es ist keine Schande, einem Gegner zu unterliegen, der imstande ist, selbst Leichte Kreuzer zu vernichten, im Gegenteil, ihr habt die beiden Robots in eine Falle gelockt, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Der einzige Durchlaß, den sie passieren können, ist das zerstörte Schott. Und davor werdet ihr zusammen mit fünfundzwanzig meiner Robots Stellung beziehen.« »Aber das Wasserwerk«, wandte ein dunkelhäutiger Mann ein. »Sie werden es zerstören.« »Zweifellos, aber das habe ich bereits in meine Überlegungen mit einbezogen. Andere Anlagen werden die Aufgabe übernehmen. Es sind noch Kapazitäten frei, so daß es nicht zu einem Versorgungsengpaß kommen wird. Trinkwasser ist ausreichend vorhanden.« Die Worte der Biopositronik gaben der kleinen Truppe neuen Mut. Was sie nicht wissen konnten: SENECA hatte nur die halbe Wahrheit gesagt. Während des Kampfes um die Wiederaufarbeitungsanlage für Trinkwasser waren neun weitere
Roboter in die SOL eingedrungen. Mittlerweile befanden sich dreihundertsiebzehn an Bord, und sie waren auf dem Vormarsch …
* »Seilossa, wo können wir euch abholen?« »Ganz in unserer Nähe befindet sich eine Plattform, die so groß ist, daß auch ein Leichter Kreuzer dort landen kann.« »Ich denke, ihr versteht, daß mir das Risiko für die PALO BOW zu groß ist. Wir schicken euch eine mit Robots bemannte Space-Jet.« »Uns ist alles recht, wenn wir nur schnell von hier wegkommen«, sagte die Frau. Atlan war ein alter Fuchs, dem man so leicht kein X für ein U vormachen konnte. Er teilte die Ansicht Sannys und seines Logiksektors, daß die drei Solaner beeinflußt oder gar abhängig waren; daß er entgegen seiner Überzeugung handelte, lag daran, daß er die Leute wirklich aus der Gewalt von Hidden-X befreien wollte. Die Molaatin hatte davon gesprochen, daß die drei Werkzeuge von Hidden-X waren, die sie in eine Falle locken sollten; das lag auch für ihn auf der Hand. Was ihn erstaunte, war die Tatsache, daß die Solanerin und ihre beiden Begleiter widerspruchslos zugestimmt hatten, von einer robotgesteuerten Space-Jet abgeholt zu werden. Irgend etwas lag da in der Luft, denn nach wie vor verhielt sich Hidden-X ruhig, dabei hatte er doch gedroht, die Solaner zu versklaven, um neue Baumeister zu haben. »Gebt Peilsignale. Die Space-Jet startet gleich.« »In Ordnung. Bitte beeilt euch.« Der Arkonide trennte die Verbindung und gab die Anweisung, ein Beiboot auszuschleusen. Während die Maschine auf das Flekto-Yn zuraste, informierte der Aktivatorträger Bjo Breiskoll. Auch der Mutant hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg und sagte ganz
unverblümt, daß er ziemlich sicher war, daß die drei im Auftrag von Hidden-X handelten. »Ihr müßt auf der Hut sein. Laßt sie nicht aus den Augen und überwacht sie ständig telepathisch, sonst gibt es ein Unglück.« »Keine Sorge, Bjo. Erstens haben wir Sternfeuer dabei, und zweitens bin ich durchaus nicht der Naivling, als der ich im Augenblick vielleicht dastehe. Wer so alt ist wie ich, muß schon ein gesundes Mißtrauen besitzen, um so lange zu überleben.« Der Katzer nickte stumm, dann wechselte das Bild und zeigte den Funker der HORNISSE. Atlan stand auf und trat vor den großen Bildschirm. Die Space-Jet hatte die Solaner aufgenommen und befand sich mittlerweile auf dem Rückflug; nicht nur sie war unbehelligt geblieben, sondern auch die beiden Kreuzer. Das gab dem Arkoniden zu denken. Er war nach wie vor mißtrauisch. Daß er von verschiedenen Seiten gewarnt worden war, bestärkte ihn darin, die Sache nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, zumal auch diejenigen argwöhnisch waren, die nicht über Para-Gaben verfügten. Niemand machte Atlan einen Vorwurf daraus, weil er zu helfen versuchte, aber man wäre glücklicher gewesen, wenn er sich anders entschieden hätte. Blödel ließ sich wieder einmal zu einem seiner berühmt-berüchtigten Zitate hinreißen. »Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind«, verkündete er mit seiner knarrenden Stimme lauthals. »Blödel, nimm dich gefälligst zusammen!« fauchte Hage Nockemann. »Aber Chef, kennst du Goethes ›Faust‹ nicht mehr?« Der Roboter zwirbelte seinen künstlichen Bart. »Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.« »Ich distanziere mich nicht nur von Goethe und Faust, sondern auch von dir«, schnaubte der Galakto-Genetiker. »Du bringst mich ja von einer Peinlichkeit in die andere.« »Vielleicht hast du recht, Chef. Findest du diese Stelle passender:
Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew'ge Krankheit fort?« Nockemanns Gesicht verfärbte sich. »Ich verbitte mir auf der Stelle deine Anspielungen gegen jeden in diesem Kreis. Und Faust-Zitate will ich nicht mehr hören. Hast du das verstanden, Blödel?« »Natürlich, Chef. Wie sagt Schiller doch so treffend in ›Wallensteins Lager‹: Ich hab hier bloß ein Amt und keine Meinung.« »Du hast noch nicht einmal ein Amt, du Null«, erregte sich der Wissenschaftler. »Und eine Meinung hast du schon überhaupt nicht zu haben.« »Genau das habe ich mit den Dichterworten gesagt, Chef. Du solltest mir besser zuhören.« »Ich lehne eine weitere Zusammenarbeit mit dir ab. Du bist in Zukunft Luft für mich.« »Es wird mir ein Vergnügen sein, deine Lungen zu füllen und in deinen Adern zu kreisen, Chef.« Blödel öffnete eine Klappe seines Körpers. Die pelzige Gestalt des jungen Bakwers lugte daraus hervor. »Wuschel, du verschwindest sofort aus mir, wenn der Chef mich einatmen will, klar?« »Klar!« kam es zirpend zurück. »Ein Pfiff von dir, und ich verstinke.« »Verdufte«, korrigierte die zu einem Roboter umgebaute Laborpositronik und verschloß ihren Rumpf wieder. Hage Nockemann stand zornbebend und mit geballten Fäusten da, sein Gesicht war rot angelaufen. Vergeblich suchte er nach Worten, um seinen positronischen Assistenten in die Schranken zu weisen. Als wäre nichts geschehen, spazierte der einäugige Blödel davon und betrachtete angelegentlich Bricks Schaltpult. Obwohl ihre Situation alles andere als lustig war, erheiterte der Dialog zwischen Mensch und Maschine die Anwesenden. Die Stimmung wurde ein wenig gelöster, doch die rauhe Wirklichkeit holte sie rasch wieder ein, als gemeldet wurde, daß die Space-Jet
eingeschleust worden war. Atlan besprach sich leise mit Sternfeuer, dann sagte er laut: »Wenn ihr Bedenken oder Vorbehalte habt, so verstehe ich das, aber ich bitte euch, das nicht zum Ausdruck zu bringen.« Er wollte noch einige Verhaltensregeln geben, doch da glitt bereits das Schott zurück. Flankiert von vier Robots betraten Seilossa Zerm, Murskan Bollwin und Dyck Tranand die Zentrale. Die drei bedankten sich überschwenglich für die Rettung. »Ihr glaubt nicht, wie schön es ist, wieder in einem solanischen Raumschiff zu sein«, meinte die Frau schwärmerisch. »Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, die SOL jemals wiederzusehen.« Der Arkonide ging auf die letzte Bemerkung nicht ein, sondern stellte statt dessen eine Frage, die es der Mutantin ermöglichten sollte, den Wahrheitsgehalt der Antwort herauszufinden. »Wie ist es euch ergangen?« »Viel gibt es da nicht zu berichten. Wir fanden uns in einer Art Metallhöhle wieder, die mehrere Ausgänge besaß. Wir nahmen den erstbesten und marschierten aufs Geratewohl los. Fast einen Tag lang irrten wir durch Gänge und Abzweigungen, dann fanden wir einen Weg nach draußen. Und dann seid ihr aufgetaucht.« Der Aktivatorträger ließ sich nichts anmerken. Obwohl er die Geschichte für recht dürftig hielt, erkundigte er sich mit ausdruckslosem Gesicht: »Seid ihr mit anderen Wesen zusammengetroffen? Oder Robotern?« Die drei schüttelten die Köpfe. »Hat sich Hidden-X irgendwie bemerkbar gemacht? Beispielsweise durch geistigen Druck oder eine mentale Mitteilung?« Wieder verneinte die kleine Gruppe, doch Atlan ließ nicht locker. »Wie seid ihr versetzt worden? Welche Eindrücke hattet ihr dabei? Was geschah mit euch?« »Wir drei haben uns schon vorher darüber unterhalten – es war
bei allen gleich«, gab die Frau bereitwillig Auskunft. »Ohne erkennbare Ursache verschwanden die Konturen, dann wurde alles transparent, gleichzeitig wurden wir schwerelos, nein, körperlos. Plötzlich schwebten wir im All, sahen unter uns die SOL, die sich mit rasender Geschwindigkeit entfernte – vielleicht waren wir es auch, die davonrasten. Wir tauchten ein in ein Medium aus bunten Blasen und Lichtkaskaden, dabei hörten wir eine Stimme in uns, die immer wieder raunte: Ich bin Hidden-X. Folgt mir ins Flekto-Yn.« »Und dann?« »Wir hatten das Gefühl, in eine bodenlose Tiefe zu stürzen. Dann fanden wir uns auf einmal in dieser künstlichen Höhle wieder. Die Stimme war verstummt und meldete sich auch nicht mehr. Was danach geschah, habe ich ja bereits erzählt.« Atlan warf einen kurzen Blick zu Sternfeuer. Die Mutantin nickte kaum merklich. »Ich hoffe, ihr nehmt mir diese Befragung nicht übel, aber für uns ist jedes Detail über Hidden-X und das Flekto-Yn wichtig.« »Das ist logisch, doch ich fürchte, wir haben dir nicht viel helfen können«, bedauerte die Frau. »Ein wenig schon.« Atlan blickte die drei der Reihe nach an. »Bestimmt seid ihr hungrig und durstig und wollt euch ein wenig frisch machen.« »Das hat keine Eile«, entgegnete Seilossa Zerm. »Doch, ich bestehe darauf«. Der Arkonide winkte einen Robot herbei. »Führe unsere Freunde zu den Unterkünften und bringe ihnen etwas zu essen und zu trinken.« Widerspruchslos folgten die Frau und ihre beiden Begleiter dem Automaten. Als sie die Zentrale verlassen hatten, wandte sich der Aktivatorträger an die Mutantin. »Hast du etwas herausfinden können?« »Nein, auf telepathischem Weg habe ich nichts Ungewöhnliches feststellen können. Ich bin überzeugt davon, daß sie die Wahrheit gesagt haben.«
»Ich weiß nicht recht.« Atlan wiegte unschlüssig den Kopf. »Mir klingt das alles zu glatt – wie auswendig gelernt. Und daß sie im Flekto-Yn auf niemanden gestoßen sind, erscheint mir unwahrscheinlich. Selbst wenn man einmal außer acht läßt, daß Hidden-X organische Lebewesen zu orten vermag, hätten sie zumindest auf Roboter oder Bakwer treffen müssen.« »Jedenfalls haben sie nicht gelogen«, wandte die Mutantin ein. »Das habe ich auch nicht gesagt.« »Aber unterstellt. Mißtraust du mir etwa?« »Jetzt interpretierst du mich falsch, Sternfeuer. Wenn ich etwas mißtraue, dann sind das diese drei.« »Ich bin sicher, mich nicht geirrt zu haben.« Hage Nockemann griff schlichtend ein. »Vielleicht kann ich anhand der Biologie und Genetik verdeutlichen, wie ich die Sache sehe.« Der Wissenschaftler zwirbelte seine Bartenden. »Vor knapp zwei Jahrtausenden grassierte unter unseren Vorfahren eine Art Seuche, die man als Krebs bezeichnete. Ich will hier keinen wissenschaftlichen Vortrag halten und darum auf keine Einzelheiten eingehen, nur: Wir verfügen wie alle Lebewesen über körpereigene Abwehrmechanismen, die Fremdkörper erkennen, angreifen und neutralisieren. Die krebsauslösenden Substanzen überlisten dieses System, täuschten Antikörper und weiße Blutkörperchen und den gesamten Metabolismus und drangen in die Zellen ein. Deren DNS wurde umstrukturiert, so daß sie sich nicht mehr gezielt teilten, sondern wucherten und sich ungezügelt vermehrten. Das Innenleben des Körpers, für den selbst Milligramm und Millimeter gewaltige Maße sind, akzeptierte die entarteten Zellen und ihre Wucherungen als körpereigenes Gewebe, aber die Ärzte mit ihren sehr viel gröberen Methoden konnten den Unterschied erkennen. Ich glaube, in einer solchen Situation sind wir jetzt. Atlan ist der Arzt, Sternfeuer eine Art Antikörper.« »Machst du Frauen immer solche Komplimente?« erkundigte sich
die Mutantin ein wenig gereizt. »Ich finde das Beispiel des Chefs ausgezeichnet«, begeisterte sich Blödel und erntete dafür einen dankbaren Blick des GalaktoGenetikers. »Es ist …« Er stockte, weil er gesehen hatte, daß Seilossa und die beiden Männer wieder die Zentrale betreten hatten. »Es ist schon wieder Besuch da.« Die Köpfe der anderen ruckten herum. »Na, ihr habt euch aber mächtig beeilt«, sagte Atlan. Ihm war es gar nicht recht, daß die drei schon wieder auftauchten, ließ sich jedoch nichts anmerken. »Ich habe gehört, daß ihr von der SZ-2-2 begleitet werdet.« »Das ist richtig«, kam es zögernd von den Lippen des Arkoniden. Er wußte nicht, worauf die Frau hinauswollte. »Sie wird von Bolo Terebble befehligt, nicht wahr?« »Bolo ist mit an Bord, aber bei diesem Einsatz ist Bjo Breiskoll der Kommandant. Warum fragst du danach?« »Weißt du, Bolo ist ein enger Verwandter von mir. Ich würde ihn gerne begrüßen und mich mit ihm unterhalten.« Seilossa Zerm lächelte. »Wäre es unbescheiden, wenn ich darum bitte, per Transmitter zur HORNISSE abgestrahlt zu werden?« Ihr Wunsch klingt harmlos, aber ich bin sicher, daß sie etwas im Schilde führt, warnte der Logiksektor. Und was? fragte der Aktivatorträger gedanklich. Ich weiß es nicht – jedenfalls nichts Gutes. Atlan rang mit sich. Sternfeuer war davon überzeugt, daß die Solanerin die Wahrheit gesagt hatte, er dagegen war nach wie vor argwöhnisch. Logisch begründen ließ sich das nicht, er hatte keine Anhaltspunkte dafür, daß sein Verdacht begründet war, doch er hatte Erfahrungen mit Hidden-X und dem traute er so ziemlich alles zu. Es war nach seinem Verständnis schlechthin unmöglich, daß dieses Wesen Solaner einfach entkommen ließ, nachdem sie sich in seiner Gewalt befunden hatten. Der Unsterbliche war nicht weniger skeptisch als sein Extrahirn, aber mit welcher plausibel klingenden
Begründung konnte er Seilossa die Bitte abschlagen? Ausschlaggebend für seine Entscheidung war schließlich, daß sich mit Federspiel und vor allem mit Bjo zwei Mutanten auf dem Leichten Kreuzer befanden, die die Frau auf geistiger Ebene überwachen und eingreifen konnten, wenn sie wirklich zu einer wie auch immer gearteten Gefahr wurde. »Wenn dir so viel an der Begegnung mit Terebble liegt, will ich deinem Wunsch nicht im Wege stehen.« Atlan wandte sich an einen Techniker. »Viroff, bring Seilossa zu dem Transmitterraum im Mitteldeck.« Der Solaner nickte und bat die Frau, ihm zu folgen. »Wir kommen mit«, sagte der untersetzte Murskan Bollwin. »Wollt ihr etwa auch zur HORNISSE?« erkundigte sich der Arkonide stirnrunzelnd. »Nein, wir bleiben hier. Wir wollen Seilossa nur begleiten. Oder hast du etwas dagegen?« »Natürlich nicht.« Bollwin und der hagere Tranand nahmen die zierliche Frau in die Mitte und verließen gemeinsam mit dem baumlangen Ingenieur die Kommandokanzel. Kaum, daß das Schott sich hinter der kleinen Gruppe geschlossen hatte, verlangte Atlan eine Verbindung mit Breiskoll. Das Bild des Katzers erschien auf dem Schirm. »Bjo, du wirst in Kürze das Vergnügen haben, mit Seilossa Zerm zusammenzutreffen. Sie bat mich darum, per Transmitter zu euch überwechseln zu dürfen, weil sie mit Bolo verwandt ist. Paß auf sie auf.« »Sie ist also von Hidden-X beeinflußt?« »Ich bin davon überzeugt, aber Sternfeuer hat telepathisch nichts feststellen können.« »Danke für den Hinweis. Ich werde vorsichtig sein.«
* Bjo Breiskoll hatte sich in den Transmitterraum begeben. Auf Begleitung hatte er verzichtet, nicht jedoch auf seinen Strahler. Er wollte für alle Fälle gewappnet sein. Der Katzer stellte sich neben der Bedienungskonsole auf. Die Kontrollen zeigten an, daß das Gerät empfangsbereit war. Das Rematerialisationsfeld hatte sich bereits aufgebaut und zeigte das typische wesenlose Wallen, das sich dem denkenden Geist entzog. Gab es nicht eine Menge Dinge, Wesen und Umstände, die der Mensch nicht begriff, deren er sich aber bediente – oder von denen er manipuliert wurde? Da war der Linearraum, jene neutrale Zone zwischen der vierten und fünften Dimension. Begreifbar war sie eigentlich nicht, aber man benutzte sie so selbstverständlich wie eine Hygieneeinheit. Und da war beispielsweise der HypervakuumVerzerrer, dessen Wirkungsweise so abstrakt war, daß selbst SENECA passen mußte. Bjo Breiskoll seufzte. Es war müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Man mußte sich mit den Realitäten abfinden und das Beste daraus machen, doch was war die Realität? Vorrangig einmal Seilossa, die gleich den Transmitter verlassen würde. Noch einmal vergewisserte er sich, daß seine Waffe einwandfrei funktionierte, dann blickte er auf – und erschrak. Sein Erschrecken galt weniger der zierlichen Person, die da vor ihm stand, sondern ihrer Ausstrahlung. Sie war eindeutig negativ, Haß und Zerstörung gingen von ihr aus, aber da war noch etwas anderes – etwas Böses, was sich seinen Sinnen entzog. Für einen Augenblick war er wie gelähmt und starrte auf die Frau, die langsam auf ihn zukam. Sie lächelte, doch auf den Katzer wirkte ihr Gesicht wie eine höhnisch verzerrte Fratze. Die Starre fiel von ihm ab, er handelte schnell und zielbewußt. Mit fliegenden Fingern schaltete er den Transmitter auf Sendung, ohne Zielkoordinaten oder eine Gegenstelle einzustellen, dann rannte er
auf die Solanerin zu und packte sie. Anscheinend hatte sie mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet, denn sie leistete kaum Widerstand, als Bjo sie zu dem Gerät zerrte. Noch einmal nahm der Mutant seine Kräfte zusammen, dann stieß er Seilossa von sich und schleuderte sie in den Transmitter zurück. Das Feld verschluckte sie und strahlte sie ab ins Nichts. Mechanisch desaktivierte er das Gerät. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Erst in letzter Sekunde hatte er erkannt, welche Gefahr da an Bord kam. Warum hatte Sternfeuer nichts davon bemerkt? Er mußte Atlan warnen – sofort. Hoffentlich war es dazu nicht schon zu spät. Breiskoll hastete zum Interkom. »Schnell, ich brauche eine Verbindung mit der PALO BOW«, keuchte er. »Es geht um Leben und Tod!« Der Funker reagierte sofort, doch dem Katzer kam es wie eine Ewigkeit vor, bis sich endlich das Gesicht Atlans auf dem Schirm abzeichnete. »Ihr müßt auf der Stelle die beiden Männer von Bord schaffen, sonst seid ihr verloren. Es sind …« Abrupt brach er ab, als der Bildschirm nur noch körniges Grau zeigte und aus dem Empfänger Rauschen und Prasseln drang. »He, was ist denn los?« »Die Verbindung zur SZ-1-19 ist abgerissen, wir haben sie auch nicht mehr auf den Ortungsschirmen.« Breiskoll stöhnte unterdrückt. »Ist die HORNISSE versetzt worden?« »Wir wissen es nicht.« »Unternehmt nichts. Ich komme.« So schnell er konnte, begab er sich in die Zentrale, wo man ziemlich ratlos war. Orter und Taster funktionierten, zeigten aber nichts an, Funksprüche blieben ohne Antwort. Weder zur PALO BOW noch zur SOL kam ein Kontakt zustande, man war mangels irgendwelcher Fixpunkte ohne Orientierung.
Bjo Breiskoll war ziemlich sicher, daß Hidden-X dahintersteckte, doch das half ihnen nicht weiter. Über ihre Lage machte er sich keine Illusionen; sie waren auf sich allein gestellt – hier im Nichts. Begleitet von dem Ingenieur kehrten Murskan Bollwin und Dyck Tranand in die Zentrale zurück. Beide machten einen zufriedenen Eindruck, sagten aber nichts. Während der Techniker an seinen Platz zurückkehrte, wanderten die zwei durch den Raum und sahen sich um. Tranand blieb schließlich in der Nähe des Piloten stehen, Bollwin unmittelbar neben dem Antigravschacht. Atlan, nach wie vor mißtrauisch, beobachtete die Männer, konnte an ihrem Verhalten aber nichts Auffälliges feststellen. Daß sie der Besatzung bei ihrer Arbeit über die Schulter schauten, war kein belastendes Indiz. Das Interesse war natürlich Neugier, nichts weiter. Oder doch? Plötzlich ging mit den beiden Solanern eine schreckliche Veränderung vor. Ihre Körper begannen zu strahlen, verwandelten sich in eine Form der Jenseitsmaterie und leuchteten hellrot und fahlgrün auf. Ein, zwei Sekunden standen sie so da, dann wurden ihre Konturen unscharf. Sie zerflossen regelrecht, bildeten jedoch keine Lachen auf dem Boden, sondern »versickerten« im Material des Raumschiffs, das sich sofort aufzulösen begann. Dabei veränderte es nicht seinen Aggregatzustand oder wurde gasförmig, sondern verschwand einfach. Wie erstarrt beobachteten die Männer und Frauen den unheimlichen Vorgang. Der Arkonide faßte sich als erster. Gerade wollte er Anweisungen geben, als sich die HORNISSE meldete. Das Antlitz des Katzers erschien auf dem Schirm. »Ihr müßt auf der Stelle die beiden Männer von Bord schaffen, sonst seid ihr verloren. Es sind …« Die Verbindung riß ab, im gleichen Augenblick verschwand der Ortungsreflex des Leichten Kreuzers. Daß das Beiboot vernichtet worden war, glaubte Atlan nicht; er vermutete eher, daß Hidden-X eine Barriere oder etwas Ähnliches aufgebaut hatte, um beide
Schiffe voneinander zu isolieren. Die Warnung war zu spät gekommen. Daß Bjo versucht hatte, die PALO BOW zu alarmieren und zu retten, ließ den Arkoniden hoffen, daß Breiskoll die Gefahr noch rechtzeitig erkannt und beseitigt hatte. Für weitere Überlegungen hatte er keine Zeit mehr, denn der Auflösungsvorgang breitete sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Schon klafften in Boden und Wänden große Löcher, Instrumentenkonsolen und Pulte lösten sich einfach auf. Viroff und ein anderer Mann hatten sich Desintegratoren beschafft und nahmen die Ränder einer breiten Spalte unter Beschuß, um den unheimlichen Prozeß zu stoppen. Es gelang ihnen nicht. Bevor sie zurückweichen konnten, wurden sie eingeschlossen und von dem unerklärlichen Vorgang erfaßt; noch bevor sie einen Schrei ausstoßen konnten, waren sie verschwunden. Ein Robot, der ihnen zu Hilfe eilen wollte, erlitt das gleiche Schicksal. Daß der Auflösungsprozeß auch vor organischen Lebewesen nicht haltmachte, zeigte mit aller Deutlichkeit, wie gefährlich er war. Atlan zögerte nicht mehr länger. »Raumanzüge anziehen und die Individualschirme einschalten!« befahl er. »Setzt euch aus der Zentrale ab!« In die kleine Crew kam Leben. Alle hatten noch deutlich den gräßlichen Tod ihrer beiden Kameraden vor Augen, und niemand wollte ihr Schicksal teilen. Während die Männer und Frauen in aller Eile die Schutzkleidung überstreiften, schritt der Vernichtungsprozeß weiter fort. Unheimlich war die Lautlosigkeit, mit der das geschah. Es kam weder zu Kurzschlüssen noch zu Explosionen, selbst unter Spannung stehende Anlagen vergingen einfach. Der Antigrav war unbrauchbar geworden, der einzige Fluchtweg, der blieb, war das Schott. Von allen Seiten hasteten die Solaner darauf zu, dabei waren sie bemüht, nicht in die Nähe der sich vergrößernden Löcher zu kommen, durch die man in die darunterliegenden Decks sehen konnte. Wie durch ein Wunder gab
es kein weiteres Opfer zu beklagen. »Los, zum Beiboothangar«, kommandierte Atlan, als alle auf dem Gang standen. Schon zeigten auch die Flurwände Auflösungserscheinungen. Die Männer und Frauen machten, daß sie davonkamen. Im Laufschritt rannten sie durch den Korridor. Atlan, der Sanny auf den Arm genommen hatte, machte den Abschluß. Hinter ihnen verschwand der Gang; dort, wo sich vor wenigen Minuten noch die Zentrale befunden hatte, war nur noch ein gewaltiger Hohlraum, der sein Volumen unablässig vergrößerte. Das Stakkato von wirbelnden Füßen erfüllte den noch intakten Teil des Flurs, ab und zu stießen ein paar andere Besatzungsmitglieder zu den Fliehenden. Sie hatten keine Ahnung, was los war, sondern waren einfach dem über Rundspruch gegebenen Befehl des Arkoniden gefolgt. Als sie sahen, was da vor sich ging, wirkten sie verstört. Die ersten erreichten den Verteiler, von dem auch der Gang zum nächstgelegenen Hangar abzweigte. Sie stoppten abrupt und ließen die anderen auflaufen. »Was gibt es?« rief Atlan und bahnte sich einen Weg nach vorn. Und dann sah er die Bescherung: Der Auflösungsvorgang hatte bereits auf den Sektor übergegriffen, in dem sich die Rettung versprechenden Beiboote befanden. Viel Zeit, um zu überlegen, blieb nicht. Rechter Hand verschwand der Gang, hinter ihnen ebenfalls. Der Arkonide setzte sich an die Spitze und drang in einen Flur ein, der zu einer Personenschleuse führte. Hier war noch alles intakt, aber das konnte sich mit jeder Minute ändern. Nockemann, der zusammen mit Blödel dicht hinter dem Arkoniden lief, keuchte heftig, sein Gesicht war schweißüberströmt. Anders als die trainierten Raumfahrer war er an solche Strapazen nicht gewöhnt, sein Schrittrhythmus wurde unregelmäßig, er taumelte.
»Ich … ich … kann … nicht mehr«, stieß der Wissenschaftler hervor. »Du mußt!« sagte der Aktiva torträger eindringlich. »Reiß dich zusammen, Hage!« »Es … geht … nicht mehr.« »Ich helfe dir, Chef.« Gerade noch rechtzeitig bekam der Roboter den stolpernden Genetiker zu fassen, riß ihn hoch und nahm ihn huckepack. Zu jeder anderen Zeit hätten die Solaner über Hage und sein merkwürdiges Reitmobil schallend gelacht, aber in einer Situation wie dieser stand keinem der Sinn nach Komik. Plötzlich versperrte ihnen ein massives Schott den Weg. Die Menschen prallten aufeinander, einige kamen zu Fall. Sie schrien erschreckt auf, weil sie fürchteten, totgetrampelt zu werden. »Ruhe!« brüllte Atlan in sein Helmmikrophon. »Aufstehen!« Das Bündel aus Leibern entwirrte sich, die Gestürzten kamen wieder auf die Beine. Dichtgedrängt standen sie zusammen. »Vor uns scheint sich ein Vakuum zu befinden, denn sonst hätte sich dieses Schott nicht geschlossen.« Der Arkonide setzte Sanny ab. »Das bedeutet, daß der Auflösungsprozeß auch schon auf die Hülle übergegriffen hat. Zum Umkehren ist es zu spät, doch noch haben wir eine Chance. Zugegeben, sie ist nicht ohne Risiko, aber ein anderer Ausweg bleibt uns nicht. Legt euch flach auf den Boden.« Gehorsam kamen die Männer und Frauen der Aufforderung nach, dann ging Atlan in die Hocke, zog seinen Strahler und nahm das positronische Schloß unter Feuer. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde die Verriegelung dem Beschuß widerstehen, dann wich die schwere Metallplatte gedankenschnell zurück. Mit einem explosionsartigen Knall entwich die Atemluft und riß die verbliebene Besatzung der PALO BOW mitsamt Blödel mit ihrem gewaltigen Sog ins Freie. Wie Stoffpuppen wurden die Gestalten davongewirbelt, doch dank ihrer Raumanzüge und den eingeschalteten Schutzschirmen überstanden alle die Dekompression heil und ohne Blessuren. Noch
wirkte der Pulk rotierender und sich überschlagender Körper chaotisch, aber dann verlangsamten sich die Bewegungen, mehr und mehr nahmen ihre Triebwerke in Betrieb und stabilisierten so ihre Lage. In die Reihen der Solaner kam Ordnung. Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe des Flekto-Yns, hatten jedoch für das Riesengebilde derzeit kein Interesse. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Leichten Kreuzer. Noch besaß er seine typische Kugelform, doch dann veränderte sich das Schiff. Es glühte auf, strahlte wie eine Kunstsonne, ohne den Radius zu verändern, dann verschwand die PALO BOW auf einmal, als hätte ein heftiger Wind ihre Atome verweht. Es blieb nicht das kleinste Trümmerstück zurück, das an ihre Existenz erinnert hätte; der Raum, wo sie gestanden hatte, war plötzlich leer. Atlan war einfühlsam genug, um zu erkennen, daß sich angesichts des Verlusts ihrer Operationsbasis bei den Solanern Niedergeschlagenheit breitmachen mußte; um eine solch depressive Stimmung gar nicht erst aufkommen zu lassen, sagte er: »Ich bin über die Zerstörung der PALO BOW nicht weniger betroffen als ihr, weit wichtiger erscheint mir jedoch, daß wir mit dem Leben davongekommen sind. Und es ist nicht nur das nackte Leben, was wir retten konnten, nein, wir verfügen zudem über eine Ausrüstung, die relativ gut ist. Ich bin daher guten Mutes und zuversichtlich.« »Ich pflichte Atlan bei, möchte aber sogar noch einen Schritt weitergehen«, meldete sich die Molaatin. »Natürlich ist es bitter, daß wir das Schiff verloren haben, doch die Sache hat auch etwas Positives. Die Aktion muß Hidden-X ziemlich viel Kraft und Energie gekostet haben.« »Bestimmt nicht soviel, daß er uns paar armseligen Kreaturen nicht noch vernichten kann«, erregte sich eine Frau mit schriller Stimme. »Dieses Nickelgebilde wird unser Grab werden.« Beifälliges Gemurmel kam auf. Der Arkonide stellte sein Helmfunkgerät auf höchste Sendeleistung, dann sagte er:
»Sanny und ich befanden uns bereits schon einmal im Flekto-Yn. Sehen wir aus wie Tote?«
5. Die Lage der SOL war hoffnungslos. Nach wie vor versuchten die Shifts, die riesigen Roboter am Eindringen zu hindern und sie zu eliminieren, doch sie kämpften auf verlorenem Posten. Mehr als zweitausend befanden sich mittlerweile an Bord des Generationenschiffs, Seite an Seite kämpften SOL-Milizen und die Roboter von SENECA, aber es war abzusehen, wann sie unterliegen würden. Schon längst waren die Verteidiger dazu übergegangen, den offenen Schlagabtausch zu vermeiden, um die Verluste der Automaten so gering wie möglich zu halten. Noch immer gab es Siege über die Giganten, aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich nur noch um Rückzugsgefechte handelte. Selbst Optimisten rechneten nicht mehr damit, den gewaltigen Maschinen Paroli bieten zu können oder sie sogar aus der SOL zu vertreiben. Die Schiffsführung, vornehmlich Hayes, stand in permanenter Verbindung zu SENECA, doch auch die Biopositronik hatte bisher kein Mittel gefunden, die Angreifer aufzuhalten und wirksam zu bekämpfen, im Gegenteil, sie hatte bereits ins Kalkül gezogen, Evakuierungspläne auszuarbeiten. Daß die Solaner nicht einfach aufgaben, lag wohl an ihrem terranischen Erbe. Solange sie lebten, hofften sie, und wo Hoffnung war, war auch ein Wille – vielleicht sogar ein Weg. Sie kämpften aufopfernd um jeden Zentimeter Boden, ohne jedoch verlorenes Terrain zurückgewinnen zu können. An der Taktik der gewaltigen Maschinen hatte sich nichts geändert. Nach wie vor mußten die Solaner an drei Fronten präsent sein: In und außerhalb der SOL – und bei der CHART DECCON.
Obwohl für die Verteidigung der Plattform immer noch rund tausend eigene Einheiten abgestellt werden mußten, hatte sich Breckcrown Hayes bisher nicht dazu entschließen können, sie einfach aufzugeben. Eine der Überlegungen dabei war, daß sich dadurch keine Kräfteverschiebung zugunsten der SOL ergab, denn die Roboter, die jetzt noch die CHART DECCON attackierten, würden sich dann dem Hantelraumer zuwenden. Die Hoffnung, daß der Vorstoß der beiden Leichten Kreuzer in das Hypervakuum etwas bewirken konnte, was die Lage der Solaner verbesserte, hatte sich nicht erfüllt. Zu Atlan und den anderen bestand keine Verbindung. Sollte der Angriff der Roboter wirklich das Ende für die SOL und ihre Besatzung sein? Besonders heftig umkämpft waren in der SZ-1 die Decks, in denen das Dimesextatriebwerk und die NUG-Kraftwerke mit ihren Schwarzschildreaktoren untergebracht waren. Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe der Hangars für Korvetten, Space- und Lightning-Jets, in die die Roboter eingedrungen waren. Die Verteidiger hatten einen dichtgestaffelten Kordon gebildet, der die vier Giganten aufhalten sollte. Zweihundertvierzehn Angehörige der SOL-Miliz waren dazu aufgeboten worden, unterstützt von siebenundneunzig Kampfmaschinen. Eine Handvoll Impulsgeschütze und bewegliche Schirmfeldprojektoren sollten helfen, die Riesen zu besiegen oder wenigstens aufzuhalten. Neun Trupps, koordiniert von SENECA über Funk, hatten sich in Gängen und Verteilern verschanzt; die Automaten hatten in Nischen und Kammern Stellung bezogen. Der Ansturm der Fremden ließ nicht lange auf sich warten. Zwei von ihnen kamen hintereinander durch einen Gang gestapft, der so hoch war, daß sie aufrecht gehen konnten. Die Biopositronik erteilte den Feuerbefehl. Glutstrahlen schossen von allen Seiten auf den ersten Koloß zu und ließen seinen Schutzschirm aufleuchten. Die Maschine reagierte
mit robotischer Geschwindigkeit. Zurückzufeuern und sich fallen zu lassen war eins. Dadurch erhielt auch der andere Robot Gelegenheit, in den Kampf einzugreifen, denn er hatte nun freies Schußfeld. Ein Orkan aus mörderischer Hitze und atomisierenden Strahlenbündeln orgelte durch den Gang. Ein Vorsprung, hinter dem drei Kampfmaschinen Deckung gesucht hatten, wurde wegrasiert. Teile der Wandverkleidung wurden verflüssigt und verdampft, auf dem Boden bildeten sich Pfützen aus kochendem Kunststoff. Versorgungsleitungen wurden getroffen und platzten auf, übelriechendes Abwasser ergoß sich auf den Flur. Das Licht begann zu flackern, irgendwo schlug knallend eine Sicherung durch, das Wimmern einer Alarmanlage malträtierte die Trommelfelle, fetter schwarzer Rauch wogte in dichten Schleiern durch die Korridore und nahm die Sicht. Dort, wo sich die beiden Riesen befanden, war es nicht besser. Solaner und Roboter feuerten aus allen Rohren und verwandelten das betreffende Gangstück in ein Inferno entfesselter Energien. Jetzt, wo es nur noch ums nackte Überleben ging, konnten sie keine Rücksicht mehr darauf nehmen, daß das Schiff unversehrt blieb. Die pausenlosen Salven zeigten Wirkung. Während der liegende Gigant nach vorne robbte, um die Verteidiger von zwei Seiten unter Feuer nehmen zu können, wurde das Schirmfeld des anderen von bunten Farbenspielen durchzogen und blähte sich auf. Die Verteidiger witterten Morgenluft. Bisher hatten sie keine Ausfälle gehabt, und das machte sie wohl ein wenig unvorsichtig. Eine Gruppe der SOL-Miliz wagte sich im Schutz ihres Impulsgeschützes nach vorn, andere rückten nach. Vier Automaten riskierten einen blitzschnellen Ausfall – und erhielten prompt die Quittung dafür. Eine der Maschinen explodierte mit solcher Wucht, daß die anderen nach vorn gewirbelt wurden. Auch sie vergingen durch gezielte Treffer. Dann war aber auch das Schicksal des einen Angreifers besiegelt. Der transparente Schirm zerplatzte. Getroffen von mehreren Salven,
zerbrach der Gigant, seine Trümmer lösten sich in nichts auf. Die zweite Maschine hatte sich mittlerweile ein Stück vorwärtsgeschoben und nahm einen Trupp der Solaner aufs Korn. Die durch einen Energieschirm zusätzlich geschützte Barriere aus massiven Metallplatten und Stahlstreben verwandelte sich innerhalb von Sekunden in einen Haufen glühenden Schrotts. Noch einmal feuerten die Solaner ihr Impulsgeschütz ab, dann zogen sie sich hastig zurück. Anders als die Menschen vermochten die Kampfmaschinen ihre Gegner zu orten. Der Robotkommandant meldete über Funk die Annäherung von zwei weiteren Gegnern und nannte auch die interne Bezeichnung der Flure, so daß sich die Solaner darauf einstellen konnten. Gleich darauf war auch die Stimme SENECAS über Helmfunk zu hören, der den einzelnen Einheiten ihre Aufgaben zuwies. Dessen ungeachtet ging der Kampf weiter. Das Fauchen von Strahlenwaffen erfüllte diesen Abschnitt, es knisterte und knackte unheilvoll, wenn kopfgroße Löcher in Streben und Stützen gebrannt wurden. Deckenplatten lösten sich aus ihren Verankerungen und fielen polternd zu Boden. Das Ausmaß der Zerstörungen war kaum noch zu überblicken. Die Verteidiger konzentrierten ihre Aktionen auf den einen noch verbliebenen Robot. Sie wollten ihn ausgeschaltet haben, bevor er Verstärkung bekam, doch das war leichter gesagt als getan. Die Maschine wehrte sich aus Leibeskräften, und mehr als einmal zwang sie die Robots und einzelne Gruppen der SOL-Miliz, rasch in Deckung zu gehen und sich zurückzuziehen. Letztendlich aber war sie der gemischten Truppe doch unterlegen. Der Schutzschirm konnte die Belastung nicht mehr verkraften, er verfärbte sich und zerplatzte wie eine Seifenblase. Die nunmehr ungeschützte Hülle war den Salven nicht mehr gewachsen; sie zerbrach und löste sich einfach auf. Zeit, um sich ein wenig zu erholen, blieb den Solanern nicht; schon
rückten die beiden anderen Maschinen an. Sie verbargen sich hinter einer Wand aus Energie, die sie gewissermaßen vor sich herschoben. Ihr pausenloses Feuer zwang nicht nur die Männer und Frauen, sondern auch die Kampfmaschinen in die Defensive. Ein unerwarteter Vorstoß von SENECAS Robots wurde unter Verlusten zurückgeschlagen. Dem Gang fast direkt gegenüber, durch den sich einer der Riesen kriechend fortbewegte, lag ein etwas kleinerer Korridor, in dem ein Trupp der SOL-Miliz unter dem Kommando von Mor'theh Stellung bezogen hatte. Der achtbeinige, spinnenähnliche Extra war etwa so groß wie ein Schäferhund. Der gegliederte Körper war mit himmelblauen kleinen Schuppen bedeckt, die großen Facettenaugen leuchteten wie geschliffene Edelsteine. Er verfügte über kräftige Kieferzangen und zwei Stummelärmchen mit jeweils drei rüsselähnlichen Fortsätzen, die er genauso geschickt einzusetzen wußte wie die Solaner ihre Hände. Was ihn besonders auszeichnete, war seine fast katzenhafte Gewandtheit, seine blitzschnellen Bewegungen und seine Kühnheit; Angst war für ihn ein Fremdwort. Einst hatte er zu den mittlerweile legendären Basiskämpfern gehört, sich dort auch ausgezeichnet, aber nie versucht, mehr sein zu wollen als die anderen. Er hatte sich still im Hintergrund gehalten. Mor'thehs Gruppe bestand aus achtzehn Personen, vornehmlich aus Bordmutanten und Extras. Sie verfügten über zwei schwere, auf Lafetten montierte Strahler, mit denen auch die Kampfrobots ausgerüstet waren. Angesichts der beiden Tod und Verderben verbreitenden Kolosse hatten sich die beiden Solaner, die die Waffen bedienten, noch nicht hinter dem schützenden Energieschirm hervorgewagt. »Warum feuert ihr nicht?« fragte Mor'theh in seinem hart klingenden, zischenden Interkosmo. »Weil das vielleicht die letzte Tat in unserem Leben wäre«, gab einer der Männer über Helmfunk zurück.
Der Extra, der neben den beiden ganz vorn Position bezogen hatte, verstand die Zurückhaltung nicht. Er schob eine der Antigravplatten ein wenig zur Seite und lugte nach vorn. Die gesichtlosen Köpfe der Riesen ragten bereits in die Verteilerhalle, dabei registrierte er, daß die SOL-Milizen kaum Widerstand leisteten. Das war auch nicht verwunderlich, denn wo immer sich ein vorwitziger Verteidiger blicken ließ, wurde sofort auf ihn geschossen. Zwei Tote und einen Verwundeten hatte es bereits gegeben, so daß SENECA zur Zurückhaltung gemahnt hatte. Für sich wollte Mor'theh, der ebenfalls mit Funkgerät und Individualschirm ausgerüstet war, das nicht gelten lassen. Aus einer der Taschen, die er umgeschnallt und mit einem Gürtel an seinem Körper befestigt hatte, förderte er drei Mikrosprengkapseln zutage und machte sie scharf. Er wartete einige Sekunden, dann schleuderte er die brisanten Ladungen ohne Rücksicht auf sich selbst nach vorn. »Feuer!« rief er schrill. Als seine Leute nicht gleich reagierten, schob er einen der Kanoniere zur Seite und löste selbst die Waffe aus. Die Salve traf, beeindruckte den Robot aber nicht, denn sein Schutzschirm kompensierte die Energien mühelos. Daß der Extra kein Opfer seiner mutigen Tat wurde, hatte er den Kampfmaschinen zu verdanken, die erneut und massiert gegen die Riesen antraten. Mit dumpfen Grollen zündeten die Sprengsätze. Dort, wo sich einer der Giganten befand, wurde ein Teil der Wand weggefetzt, aber die Maschine selbst überstand die Explosionen unbeschadet. Nun fauchten auch andere schwere Waffen und Impulsgeschütze los. Ein wabernder Vorhang aus Energie schob sich zwischen die Angreifer und die Verteidiger, ultrahelle Entladungen zuckten wie Blitze hin und her. Die Temperatur stieg rapide an, aus einem getroffenen Kabelschacht züngelten bläuliche Flammen, Rauch breitete sich aus, es herrschte ein Heidenlärm. Das charakteristische
Geräusch der Waffen mischte sich mit dem Knistern und Knacken überbeanspruchten Materials und dem Bersten von Leitungen und Rohren. Trümmerstücke zickzackten durch die Luft, prallten irgendwo auf und sausten mit schrillem Jaulen als Querschläger davon. Druckwellen orgelten mit schaurigem Heulen um Vorsprünge und Kanten, die automatischen Rauch- und Feuermelder gaben auf- und abschwellend akustischen Alarm, und immer wieder erklang das Krachen von Detonationen. Einer der Kolosse verging in diesem Chaos, der andere nutzte das Getümmel, um sich blitzschnell aus der Verteilerhalle in einen Gang zurückzuziehen. So bot er den Solanern nicht nur ein kleineres Ziel, sondern war auch besser geschützt; gleichzeitig beschränkte er sich darauf, seine Position zu verteidigen. SENECA erkannte sofort, welche Taktik der Robot verfolgte: Er wollte seine eigene Existenz angesichts der massierten Gegenwehr nicht aufs Spiel setzen und abwarten, bis Verstärkung eintraf, um dann die Linie der Verteidiger gemeinsam mit den anderen zu überrollen. Das war nun durchaus nicht im Sinn der Biopositronik und der Solaner, aber jeder Versuch, der Maschine den Garaus zu machen, mußte scheitern oder forderte unverhältnismäßig hohe Verluste. Für ein solches Himmelfahrtskommando kamen ohnehin nur die bereits arg dezimierten Kampfrobots in Frage, während die SOL-Milizen, die sich bisher wacker geschlagen hatten, zur Tatenlosigkeit verurteilt waren. Eine gleichzeitig von beiden Seiten des Ganges vorgetragene Offensive schied aus, da das jenseitige Territorium bereits in der Hand der Eindringlinge war. Gewiß, es bestand die Möglichkeit, den Angreifer dennoch in die Zange zu nehmen, indem man Decke und Boden des darunterbeziehungsweise darüberliegenden Decks einfach atomisierte, aber zu überraschen war der Robot damit nicht, weil er Aktivitäten energetischer Art zu orten vermochte; das hatte SENECA bereits nach kürzester Zeit herausgefunden. Dessen ungeachtet kam ein
solcher Plan aber auch aus einem anderen, weit wichtigeren Grund nicht zur Ausführung: Es hätte den nachfolgenden flugfähigen Kolossen Tür und Tor geöffnet, auch in jene Bereiche vorzudringen, die bisher noch nicht umkämpft waren. Mor'theh erkannte das Problem ebenfalls, wenngleich er es auch nicht unter jenen vielfältigen Aspekten betrachtete wie SENECA. Der spinnenähnliche Extra war keineswegs einfältig oder gar dumm, sondern ein kampferprobter Praktiker, der die Sache auf einen einfachen Nenner brachte: Der Roboter mußte vernichtet werden, bevor er Unterstützung bekam und die Stellung der Verteidiger unhaltbar wurde. Da die Örtlichkeiten einen massierten Gegenstoß von SOL-Milizen und Kampfrobots nicht zuließen, mußte man es mit einer Einzelaktion versuchen, und »man« war er selbst. »Hier spricht Mor'theh, Leiter der SOL-Miliz 38«, sagte er mit dem ihm eigenen Akzent über Funk. »Wer von euch besitzt noch Mikrosprengkapseln?« »Was hast du vor?« erkundigte sich der Robotkommandant. »Warte es ab«, lautete die lapidare Antwort. »Keine Eigenmächtigkeiten, Mor'theh«, warnte nun auch SENECA. »Sollten die von dir selbst eingeteilten Einheiten die SOL verteidigen oder nicht?« »Natürlich, doch die gefährlichen Parts übernehmen meine Roboter. Sie sind zu ersetzen, ein Lebewesen nicht.« »Das ist mir bekannt«, gab der Extra in seinem hart klingenden, zischenden Interkosmo zurück. »Ich habe nicht die Absicht, mich töten zu lassen. Genügt dir das?« Die Biopositronik schwieg, dafür meldete sich ein Solaner. »Bent Darson, Chef der SOL-Miliz 17. Ich kann dir sieben Pillen überlassen.« »Pillen« wurden die kleinen brisanten Ladungen manchmal im Bordjargon genannt. »Genügt dir das?«
»Es müßte reichen. Wo finde ich dich?« Der frühere Haemate nannte die interne Kodebezeichnung des Korridors, den er mit seiner Gruppe besetzt hielt. Er war nur knapp fünfzehn Meter von jenem Gang entfernt, in dem der Extra mit seinen Leuten Stellung bezogen hatte, wobei »nur« relativ war. Selbst für ein so wieselflinkes Geschöpf wie Mor'theh bedeutete das, daß er sich für mehrere Sekunden der Gefahr aussetzte, von dem Riesen getötet zu werden, denn der Individualschirm war einem Treffer der düsteren Maschine nicht gewachsen – und schon eine einzige Sekunde war für einen Automaten eine Zeitspanne, in der er Millionen von Rechenvorgängen durchführte und sie in gezieltes Handeln umsetzte. Gezieltes Handeln – das war in diesem Fall Zerstörung, Vernichtung, Tod. Und als Endziel der Untergang der SOL mit allen Intelligenzen, die in dem Hantelraumer eine Heimat gefunden hatten. »Gebt mir Feuerschutz!« Mor'theh war nur mit einem schweren Strahler bewaffnet, den er aber weggesteckt hatte, damit ihn die Waffe nicht behinderte. Er riskierte einen Blick auf den Verteiler und den Gang, in den sich der Riese zurückgezogen hatte, dann rannte er los. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wirbelten seine acht Beine über den unebenen, mit winzigen Kratern aus verflüssigtem und wieder erstarrten Kunststoff bedeckten Boden. Wer ihn kannte, wußte, daß der Extra im Sprint Geschwindigkeiten von annähernd 100 km/h erreichte, doch selbst das hätte ihm wohl wenig genützt, wenn die Kampfrobots und die anderen SOL-Milizen den Eindringling nicht in ein heftiges Feuergefecht verwickelt hätten, um von ihm abzulenken. Wieder verwandelte sich das Rund und die Abzweigungen in ein Inferno aus entfesselten Energien, Rauch und Lärm, nur die Detonationen blieben diesmal aus. Weder Kampfmaschinen noch die Einsatzgruppen gingen ein Risiko ein; sie beschränkten sich einzig und allein darauf, den haluterähnlichen Riesen an einem
gezielten Einsatz seiner Waffen zu hindern. Das gelang ihnen auch. Nur einmal, bei einem leichten Streifschuß, leuchtete der Schutzschirm des spinnenähnlichen Wesens grell auf, hielt aber der Belastung stand. Unverletzt erreichte der Blaugeschuppte die Stellung der SOL-Miliz 17. Darson hatte auf ihn gewartet, jedoch nicht damit gerechnet, daß der Extra ein solches Tempo vorlegte. Im ersten Schreck wich der Solaner zurück, duckte sich und brachte die Waffe in Anschlag, dann erkannte er, wer da in den Flur gesaust war und abrupt gestoppt hatte. Er nickte anerkennend. »Du scheinst ein ziemlich toller Bursche zu sein, Mor'theh. Ich bin zwar immer noch kein großer Freund der Extras, aber du hast Mut, und das gefällt mir.« Der Hüne grinste breit und griff in eine Tasche seiner Kombination. »Hier, sieben Pillen.« Als der Extra nach den winzigen Sprengsätzen griff, schloß Darson die Hand schnell wieder. »Zuerst will ich wissen, was du damit vorhast.« Mor'theh musterte den Mann mit seinen funkelnden Facettenaugen, dann deutete er mit einem seiner Stummelärmchen in Richtung des fremden Roboters und machte eine bezeichnende Geste, die er den Solanern abgeschaut hatte. Bewußt vermied er es, zu sprechen, denn er befürchtete mit Recht, daß ihn die Kampfmaschinen und SENECA von dem zurückhalten würden, was er zu tun beabsichtigte. Darson verstand sofort. Er desaktivierte seinen Individualschirm, schaltete das Funkgerät ab und schlug den Helm zurück. Mit einer gewissen Feierlichkeit übergab er dem Extra die Mikrosprengsätze. »Ich sehe, wir sind einer Meinung«, flüsterte der Solaner. »Es geht hier um die SOL, und da müssen wir zusammenhalten. Du kannst auf mich zählen, Kumpel.« Das war so ziemlich das größte Kompliment, das der ehemalige Vystide je einem Andersartigen gegenüber gemacht hatte – und er meinte es ehrlich. Er nahm die ausgeschalteten Anlagen wieder in
Betrieb, bedeutete dem Mann, der das Impulsgeschütz bediente, nach hinten zu gehen und nahm selbst hinter den Kontrollen Platz. Mor'theh winkte mit seinen rüsselförmigen Armfortsätzen, Bent Darson schob die geballte Faust vor und spreizte den Daumen. Nun galt es. Wie von der Sehne geschnellt, raste der Extra aus dem Gang in den Verteilerkreisel, schlug einen Haken wie ein flüchtender Hase und befand sich nunmehr im toten Winkel – unerreichbar für die Waffen des Roboters. Er stoppte seinen Lauf und ging im Schrittempo weiter. Als das achtbeinige Wesen aus dem Korridor auftauchte, hatten die Kampfmaschinen sofort reagiert. Sie schossen Sperrfeuer und zogen so die Aufmerksamkeit ihres riesigen Pendants auf sich. Darson hatte nicht eingreifen können, da Mor'theh genau durch die Schußbahn lief, und die anderen Männer und Frauen der SOLMilizen wurden von der Aktion so überrascht, daß sie erst tätig wurden, als der Extra schon die gegenüberliegende Wand erreicht hatte. Und dann tat Mor'theh etwas, was bei den meisten Anwesenden Erstaunen hervorrief: Ohne technische Hilfsmittel begann er, an der senkrechten, arg ramponierten Fläche emporzulaufen. Was kaum jemand wußte: Die Füße des Extras bestanden aus fünf Tarsengliedern, deren Praetarsus zwei winzige Klauen, feine Härchen sowie paarige und unpaarige Haftlappen aufwies. Diese Einrichtungen des letzten Tarsenglieds befähigte seine Art, auch auf glatter und steiler Unterlage Halt zu finden. Wie eine überdimensionale Spinne krabbelte Mor'theh bis knapp unter die Decke und wandte sich dann nach rechts, dem Gang zu, in dem der Angreifer lauerte. Um bei ihm keinen Argwohn aufkommen zu lassen, gaben die Automaten sporadisch Feuerstöße ab und trugen Scheinattacken vor. Gebannt verfolgten die Angehörigen der SOL-Milizen, was der tollkühne Extra vorhatte. Er befand sich nun in mehreren Metern
Höhe links vom Gang direkt an der Einmündung. Ohne Hast holte er seinen Strahler aus der Halterung und packte ihn mit den kräftigen Kieferzangen, dann öffnete er einen umgeschnallten Beutel und entnahm ihm elf Mikrosprengkapseln; vier hatte er selbst noch besessen, sieben hatte er von dem Solaner erhalten. Mor'theh kroch noch ein wenig näher an die Öffnung heran, machte die brisanten Ladungen scharf und hielt sie ein paar Sekunden fest. Er schob sich einige Zentimeter nach vorn, dann schleuderte er die Sprengsätze mit aller Kraft in den Korridor, in dem die Maschine steckte. Die Waffe wechselte von den Mundwerkzeugen in die rüsselähnlichen Greiforgane, und schon spie sie Tod und Verderben. Die Kampfmaschinen hatten auf diesen Moment gewartet. Sie griffen massiert an, und auch Bent Darson hielt sein Versprechen. Mit voller Beschleunigung steuerte er die Antigravplattform mit dem Impulsgeschütz darauf auf den Flur zu und ließ die Schwebeplatte aufsteigen, damit er den Automaten nicht ins Gehege kam und freies Schußfeld hatte. All das geschah in Sekundenbruchteilen, doch der Koloß reagierte ebenfalls sofort. Kaum, daß die Kapseln in den Gang geflogen waren und der Extra das Feuer eröffnet hatte, schoß die Maschine zurück. Gluthelle Strahlenbahnen schlugen den Verteidigern der SOL entgegen. Mor'theh, der sich vorgebeugt hatte, um genauer zielen zu können, wurde getroffen. Sein Schutzschirm brach zusammen. Der Extra stieß einen schrillen Schrei aus; sein linkes Vorderbein war nur noch ein verkohlter Stumpf. Er versuchte noch, auf den Boden zu gelangen, wurde dann aber von den Schmerzen übermannt und stürzte bewußtlos ab. Eine Kampfmaschine explodierte, im gleichen Augenblick gingen die Sprengkapseln hoch. Der grollende Donner der Explosion rollte durch die Flure. Der Schirm des Riesen zeigte Wirkung und verfärbte sich. Die eigenen Automaten nutzten die Gunst der Stunde und griffen ohne
Rücksicht auf Verluste an. »Gleich haben wir ihn!« brüllte der Hüne und betätigte erneut den Auslöser des Impulsgeschützes. Eine grelle Entladung streifte den Schutzschirm der schweren Waffe und überlastete ihn; er erlosch ebenso wie der Körperschirm Darsons. Der Antigrav erhielt einen Treffer und gab mit einem lauten Knall seinen Dienst auf. Die Plattform wirbelte durch die Luft und fiel wie ein Stein zu Boden. Der Hüne versuchte noch, abzuspringen, schaffte es aber nicht mehr und landete zwischen den Trümmern von Impulsgeschütz und Antrieb. Reglos blieb er zwischen den Wrackteilen liegen. In diesem Augenblick zerplatzte der Schutzschirm des Giganten, mehrere Salven trafen den nun ungeschützten Körper. Wie gehabt zerbrach die Konstruktion, ihre Teile lösten sich einfach auf. Erst jetzt hatten die Verteidiger Gelegenheit, sich um die Opfer zu kümmern. Der Extra war noch immer ohne Bewußtsein; er würde in Zukunft mit einer Prothese leben müssen. Wesentlich schlechter war es Darson ergangen, der Mor'theh beigestanden hatte. Er lebte noch, war jedoch so schwer verletzt, daß ihn selbst die hervorragenden medizinischen Einrichtungen der SOL nicht mehr zu retten vermochten. Medorobots, die man über Funk herbeigerufen hatte und die wenige Minuten später eintrafen, konnten nur noch seinen Tod feststellen. Freude über den Sieg kam unter diesen Umständen nicht auf, zumal SENECA mit einer weiteren Hiobsbotschaft aufwartete: Siebzehn Angreifern war es gelungen, den Ring der Shifts zu durchbrechen; sie befanden sich auf dem Vormarsch in diesen Sektor. Angesichts dieser Übermacht hielt die Biopositronik es für nicht vertretbar, diese Stellung zu halten. Kampfroboter und die SOL-Milizen zogen sich tiefer ins Schiff zurück und bezogen an anderer Stelle erneut Position, die besser zu verteidigen war. So sah es überall auf der SOL aus: Häufig siegten die Verteidiger, doch in Wahrheit waren es Niederlagen, weil sie Terrain aufgeben
mußten. Solaner und Automaten waren auf dem Rückzug, die immer zahlreicher eindringenden Roboter kämpften sich trotz erbitterter Gegenwehr Meter um Meter vorwärts. Hinter dem Heer der Roboter stand Hidden-X. Trotz Unterstützung der Chailiden und Atlans Vorstoß zum Flekto-Yn war es mächtiger und erfolgreicher als je zuvor, und wie es aussah, gab es keine Macht der Welt, die den Untergang der SOL abwenden konnte.
6. Seit Stunden mühte sich Ursula Grown gemeinsam mit ihren Spezialisten, den Hypervakuum-Verzerrer wenigstens wieder bedingt einsatzbereit zu machen. Das war durchaus nicht einfach, denn noch immer tobte eine Raumschlacht um die CHART DECCON. Mehr als einmal mußten die Männer und Frauen einfach alles stehen- und liegenlassen, weil Roboter durchgebrochen waren. Nicht nur an Aggregaten und Steuerungen waren Reparaturen erforderlich, sondern auch an den Aufbauten selbst. Es war auch nicht so, daß beschädigte Teile einfach ausgewechselt werden konnten, denn für so ein kompliziertes Gerät hatte man nur sehr wenige Ersatzteile dabei; einige mußten nach den Angaben SENECAS erst angefertigt werden, was zusätzliche Zeit erforderte. Mit der SOL stand man nach wie vor in permanenter Funkverbindung, so daß die Stabsspezialistin wußte, wie schlecht es um die Sache der Solaner stand. Immer mehr Angreifern gelang es, in die SOL einzudringen, und die Zahl derer, die den Hantelraumer und seine Beiboote umschwirrten wie Motten das Licht, war immer noch fünfstellig. Ebenso wie Hayes bedauerte es auch Ursula Grown, daß Atlan an ihrer Seite fehlte; sein Rat und seine Erfahrung hatten die SOL in der Vergangenheit oft genug aus scheinbar ausweglosen Situationen
gerettet. Die Frage, ob er es auch diesmal geschafft hätte, war müßig, denn man wußte nicht einmal, ob er überhaupt noch lebte. Seit die PALO BOW und die HORNISSE in das Hypervakuum vorgedrungen waren, bestand keine Verbindung mehr zu den Kreuzern. All das ging der Frau durch den Kopf, während sie zusammen mit ihren Leuten an der Wiederherstellung des HypervakuumVerzerrers arbeitete. Die Instandsetzungen waren inzwischen abgeschlossen worden, nun war die Phase gekommen, in der das Gerät durchgecheckt wurde. Mehrere Dutzend Solaner starrten mit brennenden Augen auf die Kontroll- und Prüfinstrumente. Grünwert, Grünwert – erleichtertes Aufatmen. Die nächste Anzeige kletterte nur knapp über die Minimum-Marke, doch das reichte zum Betrieb noch aus. Die Spannung stieg unter den Anwesenden wieder, als auch drei weitere Skalen Werte anzeigten, die kaum über der unteren Grenze lagen. Grünwert, Grünwert, Grünwert – Rot. Mit der Feinabstimmung der Energieverdichter stimmte etwas nicht, die Modulation mußte neu eingepegelt werden. Dazu waren komplizierte Berechnungen erforderlich. Ein Kanal der Bordpositronik wurde freigemacht und eine Leitung zu SENECA geschaltet, Rechner und Biopositronik arbeiteten gemeinsam an der Lösung; sie lag nach etwas mehr als zwei Minuten vor. Die neuen Daten wurden eingegeben, das Rotlicht erlosch. Noch mehrmals wurden Störungen und Ungenauigkeiten entdeckt, doch letztlich konnten alle beseitigt werden, dabei waren sich alle Beteiligten darüber klar, daß es sich nur um ein Provisorium handelte. SENECA selbst hatte noch einmal alle Werte überprüft und dabei eine schwache Dosierung mit abgewandelter Modulation errechnet; mit Abstrichen war der HV betriebsbereit. Wieder einmal gellten die Alarmsirenen durch die Plattform. Noch
immer trug die Besatzung der CHART DECCON Schutzanzüge; fast mechanisch aktivierten sie die Körperschutzschirme, rannten zum eingeschalteten Transmitter und bauten sich davor auf, ohne sich jedoch zur SOL abstrahlen zu lassen. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, die Ursula Grown angeordnet hatte, falls die CHART DECCON wirklich aufgegeben werden mußte. Ein heftiger Stoß erschütterte die Plattform und ließ die Außenhülle schwingen. Wahrscheinlich waren die dicht gestaffelten HÜ- und Paratronschirme irgendwo instabil geworden und hatten einen Treffer nicht verhindern können. Bange Sekunden vergingen, dann verstummte das Sirenengeheul – die Gefahr war vorüber. Sofort hasteten Männer und Frauen, allen voran Ursula Grown, zur Steuerkonsole des HypervakuumVerzerrers. Er war noch intakt. Zufrieden sank die Stabsspezialistin in einen Sessel und ließ sich mit dem High Sideryt verbinden. Es dauerte fast eine Minute, bevor das narbige Gesicht von Hayes auf dem Schirm erschien. »Entschuldige, Ursula, daß du warten mußtest, aber hier ist der Teufel los.« Der Solaner fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung über das verschwitzte Gesicht. »Hast du etwa auch schlechte Nachrichten für mich?« »Kann es denn noch schlimmer kommen?« fragte die Frau mit einen Anflug von Galgenhumor. »Weiß Gott nicht. Die SOL wird allmählich zum Wrack, und wir liefern den Robotern nur noch Rückzugsgefechte.« Die ehemalige Magnidin nickte stumm, dann sagte sie übergangslos: »Der HV ist wieder einsatzbereit – bedingt einsatzbereit. SENECA selbst hat es errechnet.« Breckcrown Hayes blickte die Solanerin überrascht an. »Was hast du vor?« »Ich werde den Hypervakuum-Verzerrer gegen die SOL einsetzen.«
»Und was versprichst du dir davon?« »Ich weiß es – offen gestanden – selbst nicht. Es ist so etwas wie eine fixe Idee von mir, die Suche nach einem Ausweg.« »Hoffnungsloser, als unsere Situation im Augenblick ist, kann sie nicht mehr werden«, meinte der Mann mit dem von SOL-Würmern zerfressenen Antlitz müde. »Vielleicht ist das wirklich so etwas wie unsere letzte Chance, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß der HV etwas bewirkt. Versuche es also, Ursula, du hast freie Hand.« Das Bild wechselte, Hayes hatte wieder an die Funkzentrale der SOL zurückgegeben. Ursula Grown schaltete ebenfalls um. Nachdenklich betrachtete sie den dunklen Schirm, in dem sie sich spiegelte. Überzeugt von einem erfolgreichen Einsatz des Verzerrers war sie auch nicht, aber der High Sideryt schien nicht einmal mehr Hoffnung zu haben. So niedergeschlagen hatte sie ihn noch nie erlebt. Die Stabsspezialistin gab sich innerlich einen Ruck, ihre Gestalt straffte sich. Mit fester Stimme, die ihren wahren Zustand Lügen strafte, gab sie ihre Anweisungen. Langsam nahm die CHART DECCON Fahrt auf und tastete sich durch das Kampfgetümmel in Richtung SOL vor. Die Kontrollen des Hypervakuum-Verzerrers waren doppelt und dreifach besetzt. Nicht die geringste Kleinigkeit sollte den Technikern entgehen, jede noch so minimale Veränderung sollte sofort bemerkt und wenn möglich, gleich behoben werden. Es sprach für die Kaltblütigkeit der Plattform-Besatzung, daß sie das Energiegewitter ringsumher fast völlig ignorierte. Einzig der Pilot kümmerte sich um eigene Einheiten und Angreifer, denn ihm oblag es, die CHART DECCON möglichst heil durch das Chaos hindurchsteuern. »Antrieb stop!« Wie ein Peitschenknall hallten diese zwei Worte durch den Raum. »HV fertigmachen zum Einsatz!« »Fertig!« kam es zurück. »Dann los!«
Der Hypervakuum-Verzerrer war auf die SOL gerichtet worden. Wer nicht unmittelbar gebraucht wurde, richtete seinen Blick auf den eingeschalteten Bildschirm, auf die eingespielten Bilder des Bordobservatoriums und auf die Ortungsanzeigen. Ein gedämpftes Raunen ging durch die Zentrale. Der HV funktionierte einwandfrei, nur – da entstand kein Riß im Einsteinuniversum, der die Angreifer verschlang, es bildete sich auch keine Übergangsstelle zum Hypervakuum, es geschah überhaupt nichts. Betroffen biß sich Ursula Grown auf die Unterlippe. Damit hatte niemand gerechnet.
* Die Korvette mit dem Eigennamen VESUV gehörte zu jenen Einheiten, die gleich zu Anfang ausgeschleust worden waren. Kommandantin war eine spröde Schönheit mit kurzgeschnittenem, grasgrün gefärbten Haar namens Binett Vana. Der achtunddreißigjährigen Solanerin sagte man nach, daß sie sich zu ihren Geschlechtsgenossinnen mehr hingezogen fühlte als zu Männern, doch es war nicht auszuschließen, daß abgewiesene Verehrer dieses Gerücht in Umlauf gebracht hatten, um sich an ihr zu rächen. Tatsache war jedenfalls, daß sie tüchtig und umsichtig war und es bisher geschafft hatte, die VESUV heil über die Runden zu bringen. Und daß sie und ihre Leute bisher siebzehn Abschüsse erzielt hatten. Die Korvette hatte gerade eine Maschine vernichtet, die sie attackiert hatte, und raste nun auf eine Space Jet zu, die von fünf Angreifern bedrängt wurde. Bevor die VESUV eingreifen konnte, wurde sie von drei Robotern unter Feuer genommen, die sich aus einem Pulk gelöst hatten und nun mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf die SOL zuhielten. »Abhauen oder angreifen?« erkundigte sich der Pilot.
Die Frau brauchte nicht lange zu überlegen. Hielt sie den Raumer auf Kurs, würden ihr die Maschinen folgen und sich zuerst einmal alle der Space-Jet zuwenden – und das konnte das Ende für die kleinere Einheit sein. »Wir stellen uns!« Die Korvette schüttelte sich, als die Geschwindigkeit rapide gedrosselt und auf Schubumkehr geschaltet wurde. Noch während des Manövers wurden die Geschütze ausgelöst. Eine Salve war so genau plaziert, daß der getroffene Robot vernichtet wurde, bei den beiden anderen blähten sich lediglich die Schutzschirme auf. Auch die VESUV erhielt zwei Treffer, die ihr aber nicht gefährlich wurden. Wieder traten die Waffen des solanischen Schiffes in Tätigkeit, doch diesmal hatte die Crew um Binett Vana kein Glück. Wirkungslos verpufften die Schüsse im All, während ein Energiegewitter durch die Schirmfelder der VESUV tobte. Zwei Roboter waren ihren Kollegen zu Hilfe gekommen. Der Gegenschlag dezimierte ihre Zahl auf drei, doch die griffen weiter an. Die Kommandantin hatte ihre Augen überall. So bemerkte sie als eine der ersten, daß die fremden Maschinen plötzlich wesentlich langsamer wurden. Das galt nicht nur für ihre Geschwindigkeit, sondern auch für ihre Reaktionen und Flug- und Ausweichmanöver. Der Pilot hatte es ebenfalls registriert. »Den Typen scheint der Saft auszugehen«, freute er sich. Wie zur Bestätigung seiner Worte vergingen die verbliebenen Roboter unter der Einwirkung der nächsten Salve. Anders als sonst hatten sich nicht einmal Anzeichen dafür ergeben, daß sie reagierten. »Retten wir jetzt die Space-Jet?« »Das wird nicht mehr nötig sein.« Der Mann, der die VESUV steuerte, blickte betroffen auf den Orterschirm. Er hatte erwartet, daß das Beiboot mittlerweile
vernichtet worden war, doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Raumer existierte noch, verschwunden waren dafür die Reflexe der fünf Angreifer. Sieben der gesichtslosen dunklen Kolosse hielten auf die Korvette zu. Noch bevor sie auf kritische Distanz herankamen, waren sie nicht mehr existent, ihre Trümmer lösten sich auf. Ein Feuerstoß der VESUV hatte – im Gegensatz zu den bisherigen Erfahrungen – alle Roboter auf Anhieb zur Strecke gebracht. »Ich glaube, ich spinne«, entfuhr es dem Piloten. »Die Automaten scheinen auf Zeitlupe umgestellt worden sein. Ich bin fast sicher, daß sie mit einem Flugaggregat einzuholen sind.« Er wandte den Kopf. »He, Binett, was ist da los? Besitzen solanische Raumschiffe jetzt auch Narkosegeschütze, die auf Roboter wirken?« »Was soll der Unsinn, Christer?« fuhr sie den Mann an. »Du weißt so gut wie ich, daß das technisch unmöglich ist.« »Gut, aber hast du eine bessere Erklärung dafür?« »Nein«, gestand die Kommandantin verwirrt. »Ich werde Verbindung zur SOL aufnehmen. Vielleicht haben andere Schiffe die gleiche Beobachtung gemacht.« »Und wenn nicht?« »Dann kann uns bestimmt die Schiffsführung oder SENECA weiterhelfen.« »Da bin ich anderer Meinung«, erwiderte der Pilot. »Man wird uns für verrückt halten und uns zurückbeordern, damit wir uns in die Behandlung eines Psychiaters begeben können.«
* Sieben der haluterähnlichen Giganten standen elf SOL-Milizen gegenüber – Solaner, Extras, Bord-Mutanten und Buhrlos, insgesamt zweihunderteinundzwanzig Personen. Ihnen zur Seite standen achtundneunzig Kampfrobots. Ihr gemeinsamer Auftrag war, eine
SOL-Farm zu verteidigen. So war der Stand der Dinge vor etwa fünfzehn Minuten gewesen, doch jetzt sah es anders aus. Zwölf Verteidiger waren verletzt oder getötet worden, die Kampfmaschinen waren auf ein klägliches Häufchen von einundvierzig Exemplaren zusammengeschrumpft. Drei der Giganten waren vernichtet worden, aber während sich die Reihen der Solaner lichteten, erhielten die Eindringlinge Verstärkung; sechs der riesigen Gestalten waren nachgerückt. Es war SENECA nicht möglich, die Lücken zu füllen, die der Gegner aufgerissen hatte. Seine Roboter führten einen Vielfrontenkrieg, und der Nachschub floß viel zu spärlich, um die hohen Verluste auszugleichen. Gewiß, er hätte verstärkt SOLMilizen einsetzen können, doch um welchen Preis? Die Biopositronik erkannte, daß der Kampf um die SOL-Farm aussichtslos war angesichts einer solchen Übermacht. Sie gab den Befehl zum Rückzug, aber wider Erwarten sträubten sich die Einsatzgruppen, der Anordnung Folge zu leisten. Marlies Oxtenbern, eine aparte junge Frau und Leiterin der SOL-Miliz 428, machte sich zur Sprecherin aller. »Ich weiß nicht, ob du das verstehst, SENECA, aber jede SOLFarm ist für uns so etwas wie ein Symbol. Wir sehen darin nicht nur Nahrung, Versorgung und Sattsein, sondern auch Freiheit; es ist die Freiheit des Denkens. Es ist noch gar nicht einmal so lange her, da hungerten wir alle – alle, außer der SOLAG. Dieser unselige Zustand ist nun beendet, aber wir haben ihn nicht vergessen. Wir waren ausgemergelte Gestalten, die kein Ziel und keine Zukunft mehr hatten – Hoffnungslosigkeit und Tod waren uns näher als Zuversicht und Leben. Das hat sich gründlich geändert. Wir leben wieder, und wir haben Ideale, für die es sich lohnt, zu kämpfen – und wenn es sein muß, auch dafür zu sterben.« »Diese Einstellung ehrt euch, dennoch solltet ihr nicht vergessen, daß die Entscheidung für den Tod nicht mehr rückgängig zu machen ist«, sagte SENECA und fügte fast beschwörend hinzu: »Ihr
müßt einsehen, daß ihr diesen Kampf nicht gewinnen könnt, zumindest nicht an diesem Ort. Wo bleibt der kritische Geist, auf den ihr euch beruft? Wem nützt dieses sinnlose Opfer, das ihr bringen wollt? Fragt euren Verstand, bevor ihr euch entscheidet!« »Wir haben uns entschieden – wir bleiben und kämpfen.« »Und wenn ich die Roboter abziehe?« »Auch dann!« Die Biopositronik erkannte, daß sie nichts ausrichten konnte, weil die Beteiligten logischen Argumenten nicht zugänglich waren. Möglicherweise hätten Menschen dieses Häufchen jetzt sich selbst überlassen, SENECA legte da andere Maßstäbe an. Ohne daß die Verteidiger es wußten, beorderte er SOL-Milizen und Kampfroboter, die an anderer Stelle in der Nähe kämpften, zu diesem Sektor. Natürlich war die Auseinandersetzung während des über Helmfunk geführten Gesprächs weitergegangen, und trotz erbitterter Gegenwehr hatten die Kolosse es geschafft, Boden zu gewinnen. Hier konnten sie sich aufrecht bewegen und ihre Schnelligkeit voll ausspielen, und sie taten es. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wirbelten sie umher, gingen blitzschnell in Deckung oder preschten nach vorn, um überfallartige Angriffe vorzutragen. Salven aus Handfeuerwaffen gingen meist ins Leere, was bei den Angehörigen der SOL-Milizen eine ohnmächtige Wut hervorrief. Bei diesem Gefecht waren sie nur Statisten, die zum Erfolg nichts beitragen konnten. Es war ein Kampf, der von Robotern gegen Roboter geführt wurde. Schon längst waren die sieben Impulsgeschütze auf automatischen Betrieb umgestellt worden, weil sie bei manueller Bedienung kaum nennenswerte Treffer erzielt hatten. Und trotzdem wollte diese verschworene Gemeinschaft aus Solanern, Extras, Bordmutanten und Buhrlos nicht aufgeben, wollte ausharren und bis zum letzten Atemzug kämpfen. Und dann geschah plötzlich etwas, was die Verteidiger in maßloses Erstaunen versetzte: Die Kolosse schienen mitten in der
Bewegung zu erstarren, wurden auf einmal so langsam, als würde eine ungeheure Gravitation ihre Kraft lähmen. Die sonst ansatzlosen Schritte, mit denen sie vorwärts stürmten, das blitzartige Ausrichten der Waffen – all das geschah nun so träge, daß das menschliche Auge jedes Detail verfolgen konnte. Es war, als würden sich die Maschinen in einem Medium bewegen, das jede schnelle Reaktion vereitelte. »Vorsicht, das kann ein Trick sein, der uns unvorsichtig machen soll!« warnte Marlies Oxtenbern. Einige Enthusiasten, die schon vorsprechen wollten, ließen sich in ihre Deckung zurückfallen. Gebannt beobachteten mehr als vierhundert Augen die unheimlichen Roboter, doch ihr Verhalten änderte sich auch nicht, als die Kampfmaschinen angriffen und zwei der Giganten vernichteten. Nun gab es für die SOL-Milizen kein Halten mehr. Sich gegenseitig ermunternd feuerten sie aus allen Rohren – und sie trafen. Innerhalb von drei Minuten verloren alle Angreifer ihre künstlich geschaffene Existenz. Unter den Männern, Frauen und den anderen Lebewesen brach unglaublicher Jubel aus, sie fielen sich in die Arme und beglückwünschten sich gegenseitig zum unverhofften Erfolg. Es gab nicht wenige, die ein paar Tränen vergossen, Tränen der Freude und des Glücks. Sie hatten einen Sieg errungen, an den zuletzt niemand mehr so recht geglaubt hatte. Wer oder was die Kolosse beeinflußt hatte, war allen im Moment egal, was zählte, war das Resultat. Nach wenigen Minuten ebbte das Hochgefühl ab, es kam zu einem Stimmungsumschwung. Nicht der Triumph war auf einmal das Maß aller Dinge – an die Stelle der Emotionen trat nüchternes Denken. Man dachte dabei weniger an die Schäden, die reparabel waren, als vielmehr an die Opfer. Eine stille Trauer kam auf, aber auch ein anderes Gefühl: Haß. Haß auf das Heer der Roboter und Haß auf Hidden-X, der diese Armada kybernetischer Schergen ausgeschickt hatte, um die SOL zu vernichten.
Überall innerhalb und außerhalb der SOL machte man die gleichen Beobachtungen wie Binett Vana und Marlies Oxtenbern. Die Kolosse wurden auf einmal langsam und träge, bewegten sich zeitlupenhaft und büßten damit den entscheidenden Vorteil neben ihrer Kampfkraft ein. Sie auszuschalten, bereitete nun selbst den SOL-Milizen keine Probleme mehr, Lightning-Jets konnten es jetzt mit sechs, acht Robotern gleichzeitig aufnehmen, ohne Gefahr zu laufen, getroffen zu werden. Dieser Effekt, mit dem nicht einmal SENECA gerechnet hatte, war der Wirkung des Hypervakuum-Verzerrers zu verdanken. Das hatte die Biopositronik herausgefunden, und noch etwas anderes stellte sie fest: Die fremden Maschinen fielen durch die vom HV abgestrahlten Energien in einen Zeitablauf, bei dem sie um den Faktor 75 bis 76 langsamer waren als die Solaner. Die Zahlen sagten der Schiffsführung im ersten Augenblick nichts; erst als die Inpotronik sie erläuterte, fiel es allen wie Schuppen von den Augen: Die Verschiebungen der Zeitabläufe entsprach genau jener zwischen Normalraum und Sternenuniversum in das die SOL geschleudert worden war, als sie von einem gewaltigen Hyperenergiestoß getroffen wurde, nur – diesmal war die Wirkung genau umgekehrt. Nicht nur Hayes und die Stabsspezialisten schöpften neue Hoffnung, sondern auch alle anderen, die für und um das Generationenschiff kämpften. Die Zahl der Erfolgsmeldungen stieg, und SENECAS Prognosen wurden optimistischer. Etwas blieb allerdings unverändert: Wann immer einer der Angreifer entscheidend getroffen wurde, lösten sich die Trümmer einfach auf und verschwanden im Nichts. Warum das so war, blieb ein unergründliches Geheimnis. Der High Sideryt, SENECA und natürlich die Mundpropaganda sorgten dafür, daß die Erfolge publik wurden. Neue Kraft durchströmte die unermüdlichen Verteidiger, Müdigkeit und Lethargie fielen von ihnen ab. Ihr aufopfernder Kampf war nicht
umsonst gewesen, der Sieg rückte in greifbare Nähe. Keinem der Angreifer gelang es mehr, in die SOL einzudringen. Langsam, wie sie waren, abgeschnitten vom Gros, das bisher für einen ständigen Zustrom gesorgt und die geringen Verluste mehr als wett gemacht hatte, wurden sie nach und nach aufgerieben und vernichtet. Dann allerdings kam es zu einem nicht vorhersehbaren Zwischenfall. Einem der riesigen Roboter gelang es, zu dem nur provisorisch hergerichteten Hypervakuum-Verzerrer durchzubrechen und das überlastete Gerät so schwer zu beschädigen, daß an einen neuerlichen Einsatz für längere Zeit nicht zu denken war. Die CHART DECCON selbst wurde dabei kaum in Mitleidenschaft gezogen; beherzten Technikern gelang es sozusagen im Nahkampf, die Maschine auszuschalten, bevor sie weitere Zerstörungen anrichten konnte. Als der HV ausfiel, gewannen die Kolosse schlagartig ihre frühere Beweglichkeit zurück, doch sie waren bereits so dezimiert worden, daß sie keine Gefahr mehr waren. Mit den wenigen, die innerhalb der SOL noch existierten, wurden die Kampfmaschinen fertig, und draußen im All waren sie den solanischen Beibooten bereits hoffnungslos unterlegen. Der 4. Dezember 3804 neigte sich noch nicht seinem Ende zu, als die Biopositronik meldete, daß das schlafende Heer der Roboter endgültig geschlagen und vernichtet war. Wieder einmal hatten die Solaner gesiegt und über Hidden-X die Oberhand behalten – aber um welchen Preis. Allein die Behebung der materiellen Schäden würde Wochen dauern, von den Opfern gar nicht zu reden. Kliniken, Bordlazarette und Medostationen waren überfüllt, und manche würden trotz aller ärztlichen Kunst und vorhandener Technik bleibende gesundheitliche Schäden davontragen. Dennoch gab es unter den Verwundeten nur wenige, die mit ihrem Schicksal haderten. Sie zehrten davon, gegen einen übermächtigen Gegner wie HiddenX die Oberhand behalten zu haben. Die SOL, ihre Heimat, existierte
noch, man betreute sie optimal, und – sie waren nicht vergessen und allein. Es war diese Solidarität der Gesunden mit den Verwundeten, die es letzteren leichter machte, ihr Schicksal zu ertragen. Wann immer es medizinisch vertretbar war, drängten sich Familienangehörige, Partner, Freunde und Kollegen um ihre Lager oder die keimfreien transparenten Boxen. Aber nicht nur Verwandte und Bekannte kamen, auch Mitstreiter der SOL-Milizen, sogar Fremde. Jeder hatte ein aufmunterndes Wort auf den Lippen, manchmal war es ein stummer Händedruck, dann wieder ein kleines Geschenk. Das alles waren Gesten, die aus dem Herzen kamen. Unter den Besuchern waren auch Breckcrown Hayes und einige Stabsspezialisten, die sich im Namen der Schiffsführung für den aufopferungsvollen Einsatz bedankten und Genesungswünsche überbrachten. Wenig später wandte sich der High Sideryt über Rundspruch an die übrige Besatzung; die Beiboote waren wieder eingeschleust worden, und die Funkverbindung zur CHART DECCON bestand noch. Zunächst einmal beglückwünschte er Ursula Grown offiziell zu ihrer rettenden Idee, den Hypervakuum-Verzerrer einzusetzen, dann kam er auf SENECA zu sprechen. Er ging dabei nicht ins Detail, erwähnte jedoch, wie wertvoll die Biopositronik bei der Koordination gewesen und daß es ihr Verdienst war, daß SOLMilizen aufgestellt wurden. Anschließend sprach er allen Beteiligten seinen Dank aus für ihren Mut und den unbändigen Willen, nicht aufzugeben und die SOL zu erhalten. Dann fuhr er fort: »Nicht alle, die Seite an Seite mit uns gegen die schier erdrückende Übermacht gekämpft haben, um unsere Heimat zu verteidigen, sind in dieser Stunde unter uns, doch ihr Tod war nicht umsonst. Wer von euch um den Verlust eines Angehörigen oder Freundes trauert, kann sicher sein, daß wir alle mit ihm fühlen.« Hayes schwieg ein paar Sekunden, dann sprach er weiter: »Laßt mich an dieser Stelle auch unseren chailidischen Freunden danken. Ich glaube, es ist ihr
Verdienst, daß Hidden-X in diese Auseinandersetzung mit dem schlafenden Heer der Roboter nicht auch noch mit seinen Mentalkräften eingreifen konnte, denn in diesem Fall wäre unser aller Schicksal wohl besiegelt gewesen. Nochmals Dank an Akitar und die Uralten.« Schon vorher war gedämpfter Beifall aufgekommen, jetzt schwoll er um etliche Phon an. Geduldig wartete der Solaner, bis wieder Ruhe eintrat. »Ihr habt euch vorhin, als die SOL eine ihrer schwierigsten Phasen durchmachte und vor dem Untergang stand, als eine große Familie gezeigt. Tut das auch weiterhin, dann ist mir um die Zukunft und die Wiederherstellung der SOL nicht bange. Eine Sorge habe ich allerdings, die ihr wohl alle mit mir teilt. Seit die PALO BOW und die HORNISSE in das Hypervakuum eingedrungen sind, haben wir keinen Kontakt mehr mit ihnen. Was ist mit Atlan und den anderen?«
7. Entgegen seinen optimistischen Äußerungen war Atlan durchaus bewußt, daß ihre Situation alles andere als rosig war. Gewiß, sie waren mit allem ausgerüstet, was sich in einem Raumanzug verstauen ließ, verfügten über Körperschutzschirme und Flugaggregate, aber ein Raumschiff ersetzte das nicht. Der Kontakt zur HORNISSE war abgerissen, und zur SOL hatte man eh keine Verbindung mehr. Abgeschnitten von allem, was Hilfe bringen konnten, schwebten sie in einem Raum, der völlig anderen physikalischen Gesetzen gehorchte und den man in Ermangelung einer besseren Definition »Hypervakuum« genannt hatte – was immer das auch war. Die Sonne »Utopia«, jener Weiße Zwerg mit seinen sieben Trabanten, den man kurzfristig geortet hatte, aber nicht sehen
konnte, war und blieb verschwunden; mehr denn je war der Arkonide davon überzeugt, daß sie einem Trugbild, einer Spiegelung von Hidden-X aufgesessen waren. Das einzige, was hier existent war, war das riesige Gebirge aus Nickel, das Flekto-Yn. »Wir fliegen das Flekto-Yn an!« bestimmte der Aktivatorträger. Widersprüche kamen nicht auf. Angesichts der Leere des umgebenden Raumes war es ohnehin das einzige, was als Ziel in Frage kam. Schweigend setzte sich der Pulk aus knapp sechzig Personen, Blödel eingerechnet, in Bewegung. Dicht an dicht, als fürchteten sie, den Kontakt zu den anderen zu verlieren, bewegten sie sich durch das unbekannte Medium. Hage Nockemann schloß zu dem Arkoniden auf. »Glaubst du, daß es der HORNISSE ebenso ergangen ist wie uns?« »Bjo hat die Gefahr erkannt – ich hoffe, so rechtzeitig, daß er den Leichten Kreuzer retten konnte.« »Es war ein verdammt übler Trick von Hidden-X, drei Solaner in lebende Bomben zu verwandeln«, schnaubte der Genetiker. »Das war eine Art von Jenseitsmaterie«, korrigierte Atlan. »Nenne es, wie du willst, wir hätten sie jedenfalls nicht an Bord holen sollen. Sanny hat davor gewarnt, und auch ich hatte kein gutes Gefühl dabei.« »Ich kann es dir nicht verübeln, daß du mir die Schuld am Untergang der PALO BOW gibst, schließlich war es meine Entscheidung.« »Nichts liegt mir ferner, als dir einen Vorwurf machen zu wollen«, versuchte der Wissenschaftler abzuwiegeln. »Ich habe nur eine schlichte Feststellung getroffen, nichts weiter. Menschlich gesehen, hast du untadelig gehandelt.« »Danke«, sagte Atlan spöttisch. »Dann habe ich mir also nur vorzuwerfen, als Kommandant versagt zu haben.« »Du willst mich einfach nicht verstehen. Blödel?« »Wie immer stets an deiner Seite, Chef«, knarrte der Roboter. »Ich brauche ein passendes Zitat über Menschlichkeit, aber ein
bißchen flott!« »Ein ausgezeichneter Gedanke, Chef. Wie sagt der Dichter Goethe doch so treffend: Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewußt. Oder um mit Schillers Worten zu sprechen: Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.« »Hervorragend!« Nockemann strahlte. »Besser hätte ich auch nicht formulieren können, was ich gemeint habe.« Atlan konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Ich bin des trocknen Tons nun satt!« »Donnerwetter!« Blödel stieß einen mißtönenden Pfiff aus, der Anerkennung ausdrücken sollte. »Er kennt den Faust fast besser als du, Chef.« »Du hältst auf der Stelle deinen vorlauten Mund, Blödel«, fauchte der Galakto-Genetiker. Die Maschine schwieg ergeben. Stumm flogen die beiden so ungleichen Gestalten an Atlans Seite auf das Nickelgebilde zu. Es nahm bereits das ganze Gesichtsfeld ein, obwohl es noch einige Kilometer entfernt war. Es strahlte einen geradezu überirdischen Glanz aus, gleichzeitig aber auch Düsterkeit und Gefahr. Die Größe des Flekto-Yns war es wohl, die die Gruppe am meisten beeindruckte; die imposanten Ausmaße verdeutlichten Herrschaft und Macht, zeigten den Solanern auf beeindruckende Weise, welche Winzlinge sie waren und wie wahnwitzig es war, sich anzumaßen, gegen den Herrn dieses gigantischen Horts bestehen zu können. Es gab nicht wenige, die verstohlen nach ihren Waffen tasteten, weil sie sich angesichts dieser metallenen Burg hoffnungslos unterlegen fühlten. Der kühle Stahl der Strahler bannte die Furcht ein wenig – man war nicht wehrlos. Das immer größer werdende Flekto-Yn und die Stille bereiteten Hage Nockemann Unbehagen. »Was mag passiert sein, daß uns die SOL nicht gefolgt ist?« »Ich weiß es nicht.« »Aber du mußt dir doch Gedanken darüber gemacht haben«,
bohrte der Genetiker weiter. »Es sind nur Spekulationen«, gab Atlan einsilbig zurück. Der Solaner verstand, daß der Arkonide zu diesem Thema nichts sagen wollte, und wich auf ein anderes Gebiet aus. »Bisher hat Hidden-X nicht versucht, uns geistig zu beeinflussen. Meinst du, daß dieser merkwürdige Raum dafür verantwortlich ist, oder haben wir das den Chailiden zu verdanken?« Atlan wurde einer Antwort enthoben. Mittlerweile hatten sie die ersten Auswüchse der skurrilen Nickeiformen erreicht, als eine mentale Stimme aufbrandete, deren höhnischer Unterton unüberhörbar war. Jeder wußte sofort, wer da auf geistigem Weg zu ihnen sprach – Hidden-X. Seid willkommen, meine Knechte. Es freut mich, daß ihr freiwillig gekommen seid, um mir zu dienen und den großen Spiegel wiederaufzubauen, den euer Anführer zerstört hat. Lautloses Gelächter war zu vernehmen, das nach ein paar Sekunden abbrach. Den Teufel werde ich tun, dachte der Aktivatorträger. Hidden-X, du wirst dich noch wundern. Vielleicht ist es auch umgekehrt, meldete sich der Logiksektor. Denke an das Sprichwort der Barbaren: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Ein wenig erinnerst du mich an Blödel, gab Atlan gedanklich zurück. Der hat auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Sprüche und Lebensweisheiten parat. Er schickte einen ärgerlichen Impuls nach. Verschone mich bitte mit diesen Banalitäten. Du bist und bleibst ein unverbesserlicher Narr, zürnte das Extrahirn. Mit diesem kläglichen Haufen hast du gegen Hidden-X nicht die geringste Chance. Ihr alle werdet zu seinen Sklaven werden wie Seilossa Zerm und ihre beiden Begleiter. Abwarten! Laut sagte er: »Dort links ist eine Plattform, die uns allen Platz bietet.«
Er steuerte sie an und landete als erster; hier war jene Schwerkraft wirksam, die auch auf der SOL und der Erde herrschte. Als er bemerkte, daß die anderen zögerten, seinem Beispiel zu folgen – die Mitglieder seines Teams und Vorlan Brick ausgenommen –, sprach er ihnen Mut zu. Nach und nach setzten auch die anderen auf; dabei blieb unklar, ob die kurze Ansprache des Arkoniden sie dazu bewogen hatte oder die Erkenntnis, daß sie nicht ewig im Raum schweben konnten. Dichtgedrängt standen sie zusammen. Atlan musterte die blanken Flächen des Flekto-Yns, dieses Gebirges aus Nickel mit Erhebungen, Überhängen, Schrunden und Spalten. Aus Erfahrung wußte er, daß das Innere nicht weniger verwirrend war als die äußeren Formen – und gefährlich dazu; dennoch zögerte er nicht, das tückische Gebilde noch einmal zu betreten. »Folgt mir!« rief er und schritt entschlossen aus.
ENDE
Nach dem erbitterten Kampf gegen »das schlafende Heer« herrscht trügerische Ruhe im All. Die Reparaturen an der SOL und am HypervakuumVerzerrer schreiten voran. Von Atlan und auch von Hidden-X gibt es kein Lebenszeichen. Doch dann – man schreibt an Bord der SOL den 15.12. 3804 – macht sich ein unerklärliches Phänomen bemerkbar … Mehr darüber berichtet Peter Griese im nächsten Atlan-Band. Der Roman erscheint unter dem Titel: DAS ZEITTAL