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Captain � Concho � ho Der Rebell aus Texas � Nr 1 �
Bill Murphy �
Das Husarenstück �
Sahara
Ja, sie fegen heran wie der Wind! Wie die Teufel galoppieren sie in feindliche Camps und stoßen dabei den von allen Yankees so gefürchteten Rebellenschrei aus! Das sind Captain Conchos verwegene Reiter. In den blutigen Wirren des amerikanischen Bürgerkrieges werden sie von Front zu Front gehetzt, müssen immer wieder alles auf eine Karte setzen, wenn alles schon verloren scheint. Lassen Sie sich mitreißen von der Faszination dieser neuen, außergewöhnlichen Western-Reihe! *** Captain Sam Concho galoppierte mit dem Rest seiner Schwadron durch die Nacht. Blutrot war der Himmel hinter den Reitern. Sharpsburg brannte. Das Feuer der Nordstaaten-Batterien war weiter gewandert. Kurz vor Mittag hatte sich die Feuerwalze aus dreihundert Geschützen aus der Stadt die Bergrücken im Osten hinaufgefressen und pflügte nun seit Stunden auf den Bergen die Erde, in die sich Colonel Warrentons Regiment eingegraben hatte, statt zum Sturm auf die Stadt anzutreten oder sich über den Antietam Creek zurückzuziehen. Die Erde schien zu brennen. Wie Blitze hinter dunklen Wolken zuckten die Explosionen der Einschläge in den Rauchschleiern auf, die alle Bergkuppen verhüllten. Das Dröhnen der Abschüsse und das berstende Krachen der Einschläge beherrschten noch über Meilen hinweg die Nacht. Hin und wieder schauten die Männer zurück, in Gedanken bei den Kameraden und froh, diesem Inferno entkommen zu sein. Captain Concho erreichte die Straße nach Süden und schwenkte darauf ein. 2 �
»Aufschließen! Zusammenbleiben!« rief er über die Schulter. Von Flügelmann zu Flügelmann wurde der Befehl weitergegeben. Häuser tauchten am Straßenrand auf. Zum Teil waren sie noch intakt, doch die meisten waren von den Bewohnern verlassen. Jefterson hieß dieses Nest, und Captain Concho hätte niemals geglaubt, daß er es jemals kennenlernen würde. Zum Teufel, wohin würde ihn dieser verdammte Krieg noch führen! Lichter tauchten voraus in der Nacht auf. Gestalten waren zu erkennen. Ein Beritt trabte an der Abteilung vorbei nach Norden. Die Straße weitete sich zu einem Platz, und dann sah der Captain schon das Haus, das Colonel Warrenton mit seinem Stab in Beschlag genommen hatte. »Trab!« befahl Captain Concho mit kerniger Stimme. »Schritt und halten!« lautete eine Minute später sein nächster Befehl. Licht brannte in dem großen Gebäude, und Captain Concho traute seinen Ohren nicht, als er Klaviermusik und Frauenlachen aus den oberen Fenstern dringen hörte. Wut packte ihn. Diesen Hurensohn wollte er kennenlernen, der sein Regiment dort draußen in einem mörderischen Artilleriefeuer verbluten ließ, statt es zurückzunehmen oder wenigstens zum Angriff vorzuschicken. »Lieutenant Benson und die ersten drei Glieder absitzen und mit Karabinern zu mir!« rief er. Eine Gestalt trat auf ihn zu und salutierte nachlässig. »Um welche Einheit handelt es sich, Sir?« Es war ein junger Lieutenant, offensichtlich ein Offizier von Warrentons Stab. »Kavallerie-Abteilung Concho!« erwiderte Captain Concho und nahm kurz die Hand an den Feldhut. »Hierher sind Sie aber nicht beordert, Captain!« sagte der Lieu3 �
tenant näselnd. Ein blutjunger Bursche war das, wie Captain Concho in dem spärlichen Lichtschein erkennen konnte. »Das habe ich auch nicht behauptet!« versetzte er schroff. »Befindet sich in diesem Haus Colonel Warrentons Stab?« »Aye, Sir! Der Stab des siebten Infanterie-Regimentes.« Captain Sam Concho sah sich um. Lieutenant Benson und die neun Reiter standen schon angetreten, und Benson salutierte, um sich und die Männer zur Stelle zu melden. »Führen Sie mich zu Warrenton!« verlangte Captain Concho und winkte Benson ab. »Jetzt?« fragte der junge Offizier geradezu entgeistert. »Wie stellen Sie sich das vor, Captain? Der Colonel ist beschäftigt.« Captain Concho wies zu den erleuchteten Fenstern hinauf. »Ich höre es.« »Sie sind nicht gemeldet! Es tut mir leid! Ich kann Sie nicht vorlassen, Sir!« sagte der junge Lieutenant, und das klang nun schneidig und eisig zugleich. »Karabiner durchladen und entsichern!« befahl Captain Concho mit rasselnder Stimme und zog dabei die Stulpenhandschuhe aus. Die Gewehrschlösser knackten. Lieutenant Benson zog blank. Captain Concho verzichtete noch darauf. Der Stabsoffizier rannte los. »Mir folgen!« befahl Captain Concho und lief dem jungen Lieutenant nach. Er rannte nicht, machte aber lange Schritte. Wachen standen vor dem Portal des großen Hauses, die erschrocken die Gewehre präsentierten, weil sie nicht wußten, wie sie sich anders hätten verhalten sollen. Das waren schließlich keine Yankees in blauen Uniformen, die da in das Stabsgebäude stürmten, sondern eigene Leute, die auch noch von einem Captain angeführt wurden, dessen linke Brustseite mit Orden 4 �
geradezu überhäuft war. Captain Concho blieb mit seinen Männern in der Halle stehen. In diesem Haus wurde nicht nur Klavier gespielt und gelacht, sondern auch gegeigt, gesungen und getanzt. Vor allem aber getafelt! Offiziere in feinen Paradeuniformen amüsierten sich mit vornehm gekleideten Damen. Gemeine in piekfeinen Uniformen und mit nagelneuen Stiefeln an den Beinen, während es der Truppe vorne an Schuhwerk fehlte, gingen ihnen geflissentlich aus dem Weg, obwohl sie schwere, mit Getränken und Speisen beladene Tabletts nach oben trugen. Ein Galaabend fand hier statt! Den Männern, die von der Front kamen, fielen fast die Augen aus dem Kopf. Und die Front war nur zehn Meilen von hier entfernt. »Himmel! Die tanzen hier auf dem Vulkan, ohne es zu wissen«, raunte Lieutenant Benson, der dicht hinter Captain Concho stand. Die wissen das garantiert, dachte der Captain und erstickte fast an seiner Wut. Dieser Colonel, der sein Regiment dort draußen in der Hölle liegen ließ, gehörte vor ein Kriegsgericht. Stille herrschte plötzlich auf der Treppe. Aller Augen waren auf die Männer in ihren verschmutzten und verdreckten grauen Uniformen gerichtet. Nur im oberen Stockwerk ging der Lärm weiter. »Folgen!« knirschte Captain Concho und stapfte vorwärts, und die Männer folgten ihm. Er ging auf die Treppe zu und stieg rasch hinauf. Die Ladys lächelten, die jungen Offiziere salutierten. Captain Sam Concho – dieser Name war bereits Legende in der Südstaaten-Armee. Gleichrangige Offiziere und zwei Majore, die sich ebenfalls auf 5 �
der Treppe befanden, weil sie ihre Ladys ins Freie führen wollten oder von einem Spaziergang zurückkamen, bei dem sie die Lady todsicher auf den brandroten Himmel über Sharpsburg und den fernen Geschützdonner aufmerksam gemacht hatten, musterten Captain Concho reserviert und voller Distanz. Den Weg versperrte ihm niemand. Erst im oberen Stockwerk kam ihm ein älterer Major entgegen und stellte sich vor ihn hin. Aus dem Hintergrund näherte sich auch der junge Lieutenant. »Sind Sie Captain Concho?« fragte der Major, den Blick auf Benson und die Reiter gerichtet, die sich hinter Captain Concho aufbauten. Captain Concho salutierte und nannte Rang und Namen. »Ich wünsche Colonel Warrenton zu sprechen, Sir!« Der Major zog die rechte Augenbraue hoch. »Sie führen, wie mir bekannt ist, die erste Schwadron der fünften Kavallerie-Division, genauer gesagt, das, was davon übriggeblieben ist.« »Aye, Sir!« erwiderte Captain Concho. »Dann bin ich überrascht, Ihnen hier zu begegnen, Captain. Wenn ich richtig informiert bin, ist die erste Schwadron der Fünften aus der Front genommen worden, um sich unverzüglich nach Winchester zu begeben, um die Bereitstellung dort zu verstärken. Haben Sie keine genaue Karte? Hier befinden Sie sich in Jefterson. – Ordonnanzoffizier!« Der junge Lieutenant trat heran und schlug die Sporen fest aneinander. »Sir!« »Besorgen Sie dem Captain eine Generalstabskarte, und zeichnen Sie ihm den Weg nach Winchester mit Rotstift ein.« »Zu Befehl, Major!« erwiderte der junge Offizier, wandte sich ab und lief den langen und breiten Korridor entlang davon. »Nehmen Sie die Karte in Empfang und rücken Sie unverzüg6 �
lich ab, Captain!« schnarrte der Major, dessen Brust nicht einmal ein Medaillenbändchen zierte. Selbstverständlich saß der Feldrock wie angemessen. »Das ist ein Befehl!« Captain Concho blickte an ihm vorbei in den Saal, in dem das Fest stattfand. Beide Türen standen sperrangelweit offen. Hell erleuchtet war der große Raum. An langen, weiß gedeckten Tischen saßen Offiziere und Ladys. Musikanten saßen auf einem Podium, und davor drehten sich etliche Paare im Tanz, schneidig anzusehen die Herren Offiziere und grazil und vornehm die Ladys in langen Kleidern und mit aufgedonnerten Frisuren. »Sie scheinen mich nicht verstanden zu haben!« schnarrte der Major erregt. »Soll ich die Wache rufen lassen? Dann wird Ihr Lieutenant Ihre Schwadron nach Winchester führen, während Sie im Arrest sitzen.« Captain Concho starrte ihm in die Augen und wedelte mit der Linken, in der er die Handschuhe hielt, wütend hin und her. »Wie können Sie es wagen, so mit einem Frontoffizier zu sprechen? Entweder Sie melden mich jetzt bei Colonel Warrenton, oder ich werde mir den Zugang gewaltsam verschaffen!« »Ich bin Colonel Warrentons Stellvertreter – sprechen Sie doch mit mir!« Concho war längst der Kragen geplatzt. Er stieß den Major zur Seite und schritt auf den Saal zu. »Folgen, Benson!« »Wache!« rief der Major. »Wachoffizier!« Captain Concho betrat mit seinen Männern den Saal. Nur an den ersten Tischen nahmen einige Paare Notiz von ihnen. Sam zeigte mit den Handschuhen zur Decke. »Salve!« Hinter ihm flogen die Karabiner hoch. »Feuer!« Die Karabiner dröhnten und krachten, und die Geschosse schlugen oben in den Stuck, so daß Putz und Kalk herabrieselten. 7 �
Als sei eine Granate eingeschlagen, sprangen Offiziere und Damen auf, die Musik brach abrupt ab. Die Tanzpaare standen wie zu Stein geworden da und starrten zur Tür. Captain Concho trat zwei Schritt nach vorn. Schnell glitt sein Blick durch den Raum. Er biß sich auf die Lippe. Von dem Colonel keine Spur! Hatte er sich geirrt? Befand sich der Colonel vielleicht doch bei seinen Männern an der Front? Benson zupfte ihn am Ärmel. »Der Major – er rennt nach oben – ins zweite Stockwerk«, raunte er. Concho wirbelte herum und sah den Major gerade noch auf der Treppe verschwinden. Concho rannte auf die Treppe zu. Seine Männer folgten ihm geschlossen. Captain Concho nahm zwei Stufen auf einmal! Ein regelrechter Tumult brach hinter ihm und seinen Männern in dem großen Saal aus. Doch darum kümmerte er sich nicht. Das harte Trampeln der Stiefel erfüllte das ganze Haus. Im oberen Stockwerk war es dunkel. Captain Concho sah im Korridor für einen Moment Licht. Der Major hatte ein erleuchtetes Zimmer betreten und rasch die Tür hinter sich geschlossen. Vier lange Schritte, und Captain Concho riß die Tür auf. Er trat auf die Schwelle und verharrte. Ein breites Bett mit einem Baldachin darüber stand mitten im Raum. In Hemd und Hose saß der Colonel daneben auf einem Stuhl und fuhr gerade in die Stiefel. Neben ihm stand der Major. Beide schauten betroffen zur Tür. Im Hintergrund glitten zwei leicht bekleidete Ladys durch eine Tapetentür aus dem Raum. Die letzte war eine üppige Blondine, mit langen schlanken Beinen, die das andere Frauenzimmer vor sich her schob. Die Blonde besaß ein Puppengesicht und Katzenaugen – das 8 �
war jedenfalls Captain Conchos Eindruck, als sich ihre Blicke für den Bruchteil einer Sekunde begegneten. Der Colonel sprang auf, das Gesicht hochrot vor Wut, aber vielleicht auch vor Scham. Er starrte Captain Concho an, musterte kurz die Männer, die sich hinter ihm drängten und sah ihm in die Augen. »Captain, woher nehmen Sie die Unverschämtheit, auf diese Weise in meine Privaträume vorzudringen?« bellte Colonel Warrenton. Er war ein Mann von fünfzig Jahren und besaß welliges graues Haar. Er war groß und schlank, durchaus eine imposante Erscheinung. »Erklären Sie dem Colonel Ihren martialischen Auftritt gefälligst!« forderte der Major, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Captain Concho nahm Haltung an und salutierte. »Major Rendsburg hat mir befohlen, Ihnen die Lage am Antietam persönlich vorzutragen, und ich habe dem Major versprochen dies zu tun, selbst wenn ich Sie aus der Hölle holen müßte, Sir!« »Über die Lage meines Regimentes bin ich informiert!« versetzte der Colonel eisig, streckte drohend die Hand vor und fuhr fort: »Und Sie werde ich wegen Ihres Vorgehens zur Verantwortung ziehen, Captain!« Captain Concho schlug die Sporen aneinander. »Dann darf ich Ihnen melden, Sir, daß Sie kein Regiment mehr haben! Es ist im Ari-Feuer der Yankees verblutet. Major Rendsburg läßt Ihnen ausrichten, daß er Sie im Himmel oder in der Hölle, je nachdem, wo er Ihnen begegnet, zum Duell fordern wird, wenn Sie ihm nicht hinreichend erklären können, weshalb Sie das Regiment nicht von den Bergen genommen haben, wozu er Sie mehrmals aufgefordert hat.« Colonel Warrenton starrte ihn an. Alles Blut schien ihm aus dem Gesicht zu weichen. »Rendsburg!« zischte der Major gallig. »Wir haben seine Mel9 �
dungen empfangen. Aber wie kann er, ein Mann mit seinem Rang, den Rückzug fordern, wo er doch weiß, daß er die Gesamtlage nicht kennt. Nur wegen ein paar Granateinschlägen der Yankees, die ohnehin schlecht schießen, können wir doch die Front nicht zurücknehmen. Wie stellt sich dieser Mann das vor?« Captain Concho fixierte ihn. »Halten Sie den Mund, Major! Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden!« »Ich verbitte mir diese Respektlosigkeit!« brüllte der Major. »Rendsburg wird die Stellung halten, wie es ihm befohlen worden ist.« »Wir stehen doch jeder an unserem Platz und haben dort zu stehen, wo uns das Schicksal hinstellt«, krächzte der Colonel. Captain Concho schaute kurz zur Tür. Benson und die Männer standen im Flur und schauten herein. Mit einer Kopfbewegung gab er dem Lieutenant den Befehl, die Tür zu schließen. Dann sah er den Colonel wieder an. »Da sind Sie bei der Platzverteilung verdammt gut weggekommen«, sagte er. »Vermerken Sie es im Kriegstagebuch Ihres Regimentes, daß wir Major Rendsburg dort draußen am Antietam in die Erde gelegt haben, während Sie sich hier im Bett mit diesen Halbweltdamen vergnügten?« Captain Concho salutierte. »Major Rendsburg ist gefallen, nachdem er mir befohlen hatte, zu Ihnen zu reiten, um Meldung zu erstatten. Ihr Regiment existiert nicht mehr. Aber Sie können hier getrost weiterfeiern. Sharpsburg wird gewiß drei Tage in Flammen stehen, und solange die Stadt brennt, werden die Yankees nicht weiter vorrücken.« Er salutierte abermals. »Captain Concho meldet sich ab, Sir! Ich bin mit meiner Abteilung nach Winchester befohlen.« Er sah dem Major in die Augen. »Wir finden den Weg ohne Karte. Lassen Sie sich gele10 �
gentlich über die Treffsicherheit der Yankee-Ari informieren.« Er machte kehrt und schritt zur Tür. »Halt! Warten Sie!« bellte der Colonel. Captain Concho drehte sich um und nahm Haltung an. »Sir!« »Was, zum Teufel, werfen Sie mir vor?« rief der Colonel mit Schärfe in der Stimme. »Ich? – Nichts, Sir! Das müssen Sie mit Ihren dreitausend toten Soldaten abmachen.« »Eine Infamie!« zischte der Major und riß die Revolvertasche auf. Sam war schneller. Er hielt die Waffe um den Bruchteil einer Sekunde früher auf den Major gerichtet, aber der Major war in seiner Wut nicht mehr zu bremsen. Er feuerte. Nun mußte auch Captain Concho schießen, und er traf, obwohl ihm der linke Arm wie Feuer brannte. Die Kugel des Majors hatte ihm den Jackenärmel aufgefetzt und einen glühenden Riß durch die Haut gezogen. Der Colonel stand da mit kalkweißem Gesicht. Er hatte ebenfalls seinen Revolver in der Hand. »Das ist Meuterei!« rief er. »Dafür werde ich Sie vor das Kriegsgericht bringen!« Captain Sam Concho senkte seinen Revolver. Stabsoffiziere waren inzwischen hereingestürmt. Zwei Sanitäter kümmerten sich um den verwundeten Major, der zusammengekauert auf dem Fußboden hockte und stöhnend die rechte Hand auf seine Schulterwunde preßte. Concho wartete auf den Befehl des Colonels, seine Waffe abzugeben. »Selbstverständlich werde ich mich vor dem Kriegsgericht verantworten, Sir«, sagte er mit unheimlicher Ruhe. »Aber auch ich werde Anklage erheben, Sir! Gegen Sie! Man wird Sie zur 11 �
Rechenschaft ziehen für das, was vor Antietam geschehen ist. Rechnen Sie sich aus, was schwerer wiegen wird! Die Tatsache, daß ich mich gegen den Major in Notwehr verteidigt habe – oder die Tatsache, daß ein ganzes Regiment verblutet ist, während Sie sich hier amüsiert haben! Was meinen Sie wohl, wie Sie abschneiden werden, Colonel?« Die Gestalt von Colonel Warrenton straffte sich. Sein Gesicht nahm einen unerbittlich harten Ausdruck an. Captain Concho erwartete einen wilden Zornesausbruch des Regimentskommandeurs – aber dann geschah etwas, womit niemand der Anwesenden gerechnet hatte. Der Colonel handelte so blitzschnell, daß niemand ihn mehr an seinem Vorhaben hindern konnte. Er setzte sich den Revolver an die Schläfe. Gleich darauf krachte der Schuß, und Colonel Warrenton brach zusammen… Entsetzte Stille breitete sich aus. Kopfschüttelnd starrte Captain Concho auf den toten Colonel hinab. »Das habe ich nicht gewollt«, sagte er leise. Er blickte dem Major in die Augen, der soeben auf ihn zugetreten war. »Selbstverständlich werde ich mich für alles verantworten, was hier geschehen ist, Sir«, sagte Concho. Er reichte dem Major seine Waffe hin, aber der winkte ab. »Gegen Sie liegt keine Anklage vor, Concho«, sagte er. »Ich werde lediglich eine entsprechende Meldung an das Hauptquartier machen. Die können Sie übrigens gleich mitnehmen. Sie sind ja ohnehin mit Ihrer Schwadron nach Winchester befohlen. Was dann mit Ihnen geschieht, ist Sache des Oberkommandos.« Captain Concho schlug die Sporen aneinander und salutierte. »Danke, Sir.« Gemeinsam gingen sie hinaus. In einem anderen Raum verfaßte der Major – er hieß Johnston und war ab sofort Warrentons kommissarischer Nachfolger – einen kurzen Bericht. 12 �
»Ich glaube kaum, daß man Ihnen ein Verfahren an den Hals hängen wird«, sagte er zum Schluß. »Sie haben völlig richtig gehandelt, Captain. Ich wäre an Ihrer Stelle nicht anders vorgegangen. Ich wünsche Ihnen alles Gute, Captain.« Dann reichte er Concho die Hand, und die beiden Männer sahen sich fest in die Augen. Captain Concho salutierte noch einmal und trat dann hinaus auf den Korridor, wo seine Männer warteten. Er winkte ihnen zu, ihm zu folgen. Von allen Seiten schlug ihnen eisiges Schweigen entgegen, als sie die Treppe hinunter und später durch die Halle ins Freie schritten. Sie alle waren müde und abgekämpft, aber als dann Captain Conchos Befehl zum Aufsitzen kam, war jedem Einzelnen, als wehte schon wieder ein neuer, frischer Wind. »Erste – anreiten!« Hufschlag klang auf, und das Geräusch beherrschte den Platz vor dem großen Haus noch, als von Captain Concho und seinen Reitern schon nichts mehr zu sehen war. * Der große und gertenschlanke Generalmajor mit dem greisen Gelehrtengesicht neigte sich mit sorgenvoller Miene über die Karte. Brigadegeneral Chilton, sein erster Stabsoffizier, las ihm eingegangene Meldungen vor. »Sharpsburg ist von den Yankees genommen, Sir! Die Stadt hat drei Tage lang gebrannt. Dann sind die Yankees einmarschiert.« Generalmajor Lee richtete sich auf und sah seinen Stabsoffizier an. In seinen rauchgrauen Augen leuchtete es. »Dann haben wir ja die Reserve, die wir den Yankees am Potomac entgegenwerfen können! Colonel Warrentons Regiment! Das ist die Lösung. Er 13 �
muß über den Potomac gehen und Sunnufields Regiment aufhalten, damit es sich nicht mit den Einheiten, die Sharpsburg genommen haben, vereinigen kann. Sollen die Yanks Sharpsburg haben. Hauptsache, unsere zwanzigtausend Mann gelangen aus dem Kessel von Hagerstown. Wenn Warrenton nur achtundvierzig Stunden das rechte Ufer des Potomac offenhält, sind unsere Divisionen da raus. Wo steht er, unser Warrenton? Er wird wohl sein Regiment über den Antietam zurückgenommen haben.« Chilton hatte es nicht gewagt, den Generalmajor zu unterbrechen und ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren. Erst als ihn der Oberbefehlshaber der Konföderation fragend ansah, sagte er: »Exzellenz, das Regiment Warrenton existiert nicht mehr.« Lees Blick wurde dunkel. »Was haben Sie da gesagt?« »Warrentons Regiment ist im heldenhaften Kampf auf den Höhen vor dem Antietam restlos ausgeblutet, Exzellenz. Warrenton ist an der Spitze seiner Männer gefallen«, antwortete Chilton. »Auf den Höhen vor dem Antietam?« Brigadier Chilton nickte. »Seine Stellung ist von über dreihundert Geschützen unter Feuer genommen worden.« Er hielt es für besser, den General vorerst nicht mit der vollen Wahrheit zu konfrontieren. Das hatte Zeit bis später. Lee blickte kurz auf die Karte. »Und warum hat er sein Regiment nicht über den Antietam geführt? Dort wäre er doch aus jedem Beschuß heraus gewesen! Die Yankee-Batterien hätten erst nach Sharpsburg hineinrücken müssen, um ihm wieder gefährlich werden zu können.« »Er hat sich an den letzten Befehl gehalten, die Stellung nicht aufzugeben, Exzellenz.« »Aber Chilton! Er sollte Sharpsburg nehmen, und wenn ihm 14 �
das nicht möglich war, nach eigenem Ermessen handeln. Daß er allein den Vorstoß des Feindes nach Sharpsburg nicht aufhalten konnte, ist uns doch klar gewesen.« Chilton zuckte mit den Schultern. »Und was machen wir nun?« fragte Lee resignierend. »Bedeutet die Vernichtung von Warrentons tapferem Regiment auch das Ende der zwanzigtausend Mann bei Hagertown? Wenn Sunnufield vorstößt, ist der Kessel geschlossen. Dann sitzt unsere Potomac-Armee in der Falle. Und ich benötige doch jeden Mann für die neue Auffanglinie bei Fredericksburg. Wenn wir dort stark genug sind, können wir den Feind schlagen, Chilton! Vernichtend schlagen. Wir können die Nordstaatler dort so hart treffen, daß ein Verhandlungsfriede möglich wird.« Er schaute wieder auf die Karte. »Wir müssen eine Lösung finden, also finden Sie eine, Chilton! Sunnufields Vorstoß zum Potomac muß unter allen Umständen aufgehalten werden, bis unsere zwanzigtausend Soldaten da heraus sind.« »Es gibt vielleicht noch eine Möglichkeit, Exzellenz!« sagte der Brigadegeneral und sortierte die Papiere, die er in den Händen hielt. In den Augen Lees glitzerte es wieder. »Welche denn? Herrgott, so reden Sie doch!« »Das zweite Armeecorps zieht bei Winchester Reserven zusammen.« »Dann nehmen wir doch diese Einheiten!« rief der Generalmajor. »Von Winchester ist das doch nur ein Katzensprung bis zu Sunnufields Linie.« »Bislang ist leider nur eine Abteilung Kavallerie in Winchester eingetroffen. Die Erste der Fünften unter Captain Concho.« Wieder leuchtete es in Lees rauchgrauen Augen. »Captain Concho! Das wäre doch genau der richtige Mann für uns. Chilton, 15 �
wie stark ist seine Abteilung?« »Eine Doppel-Schwadron, Exzellenz!« Lee nickte lächelnd. »Damit kann man ein Regiment nicht werfen, Chilton, aber aufhalten. Aufhalten! Und einem Kämpfer wie diesem Concho wird es gelingen. Er braucht mit seiner Schwadron weiter nichts zu tun, als Sunnufield aufzuhalten, bis unsere zwanzigtausend Mann aus dem Kassel marschiert sind. Beordern Sie Captain Conchos Schwadron sofort hierher. Ich möchte mit Concho sprechen! Ich will ihm persönlich erklären, was von seinem Einsatz abhängt. Das Schicksal des gesamten Südens.« »Ich werde den nötigen Befehl erteilen, Exzellenz!« Chilton reckte sich. Lee nickte und wandte sich wieder der Karte zu. Alle bekannten Operationen der Yankees deuteten darauf hin, daß sie einen Vorstoß nach Richmond planten, um diesen wichtigen strategischen Punkt einzunehmen. Wenn die gesamte Nordstaaten-Armee nach Süden vorstieß und er ihr in die Flanke fiel, konnte Lee sie schlagen. Er schlug die Faust auf die Karte. Es mußte gelingen, und es würde gelingen. Wenn er die zwanzigtausend Mann von Hagerstown vor Fredericksburg postierte, verfügte er über fünfzigtausend Soldaten. Damit war er zwar nur halb so stark wie die Nordstaatler, die auch noch besser bewaffnet und ausgerüstet waren, aber die Überraschung würde auf seiner Seite sein, und er würde dem Feind mitten im Aufmarsch in die Parade fahren. Es mußte gelingen! Wieder schlug er mit der Faust auf den Tisch. Mit Zirkel und Lineal zeichnete er die neue Stellung und postierte die Einheiten. Auch jene Zwanzigtausend bezog er mit ein, und er fand auch noch einen Platz für Captain Conchos Doppel-Schwadron, die nach dem Gefecht mit Sunnufields Regiment gewiß stark ausgeblutet sein würde. Aber bei dieser wichtigen Schlacht konnte er auf keinen Mann verzichten. 16 �
* � Die Tür klappte. »Exzellenz!« Lee warf einen Blick auf die Uhr. Zwei Stunden waren vergangen. Er nahm die Brille ab, richtete sich auf und schaute zur Tür. Dort stand Chilton mit einem jungen Offizier. Es handelte sich um einen großen, hageren Mann mit kühn geschnittenen Gesichtszügen, den die Stahlgewitter des Krieges hart und erfahren gemacht hatten. Eigentlich ein großer Junge noch, der, wäre Frieden, an irgendeiner Universität studieren und gewiß dort auch brillieren würde. Lee hatte selbst Söhne und glaubte, das beurteilen zu können. »Captain Concho, wie befohlen zur Stelle, Exzellenz!« meldete sich der junge Offizier schneidig. Lee gefiel diese Art, zeigte sie ihm doch, wie diszipliniert seine Truppe noch immer war. Er schritt auf Captain Concho zu und gab ihm die Hand. »Ich habe den Captain bereits in seinen Auftrag eingewiesen, Exzellenz«, erklärte Brigadier Chilton. »Ich habe von Ihnen gehört, Captain!« sagte der Generalmajor, legte Sam Concho den Arm um die Schultern und führte ihn zur Karte. »Ich weiß, daß Sie ein besonders tapferer Mann sind und daß sich Ihre Truppe hervorragend bewährt hat. Trotzdem verlange und erwarte ich jetzt viel von Ihnen. Aber nicht nur ich, sondern der gesamte Süden. Unser beider Heimat, Captain Concho, schaut jetzt auf Sie.« Er erklärte ihm die Lage, wies auf die untere noch offene Stelle des mit Rotstift eingetragenen Kessels und zeigte ihm die Stellung des Nordstaatenregimentes, das diesen Kessel schließen sollte und die Bereitstellung fast erreicht hatte. 17 �
»Ich weiß!« schloß er. »Es wäre gegen alle Regeln der Kriegskunst, würde ich von Ihnen und Ihren Männern erwarten, daß Sie ein ganzes Regiment schlagen. Aber Sie können das Regiment aufhalten, Concho! Aufhalten! Aufhalten, bis unsere zwanzigtausend Mann aus dem Kessel marschiert sind. Wie stark ist Ihre Abteilung?« »Meine Abteilung steht draußen angetreten, Exzellenz!« erwiderte Captain Concho und wies zum Fenster. Schnell schritt Lee hin. Brigadier Chilton und Captain Concho folgten ihm. Der Generalmajor schaute hinaus und erstarrte. Dreißig Kavalleristen standen unten im Hof des Gutes angetreten. Mit mindestens dreihundert Männern hatte General Lee gerechnet. Da brach ihm der kalte Schweiß aus. Auch die tollkühnsten dreißig Männer mit dem besten und tapfersten Offizier der Welt konnten ein Regiment von viertausend Mann nicht aufhalten. Das war eine glatte Unmöglichkeit. Resignierend und mutlos kehrte der Generalmajor an den Kartentisch zurück. Seine zwanzigtausend Mann der Potomac-Armee waren erledigt, der Einkesselung und damit der Vernichtung preisgegeben. Doch nicht nur das! Auch die Schlacht bei Fredericksburg war jetzt schon verloren, obwohl die Vorbereitungen dazu noch nicht einmal richtig in Gang gekommen waren. Morgen früh würde Sunnufield angreifen und den Ring schließen. Und niemand konnte ihn aufhalten. Lee war verzweifelt. Chilton und Captain Concho beobachteten ihn. »Die Aufmarschstellung von Sunnufields Regiment kenne ich«, sagte Captain Concho leise. »Das hat er mir eben deutlich erklärt. Aber wo befindet sich Sunnufield mit seinem Stab? Ist 18 �
das bekannt?« »In Falling Waters! Wie wir von einem Spion erfuhren, soll er sich dort in der Schmiede einquartiert haben. Sunnufield gilt als sehr ehrgeizig. Er möchte General werden.« »Da sollten wir uns anstrengen und ihm die Karriere verderben«, sagte Captain Concho. »Fallings Waters liegt hinter den feindlichen Linien!« gab Chilton zu bedenken. Auch Brigadegeneral Chilton war ein schon recht bejahrter Mann, der nicht nur Conchos Vater, sondern dessen Großvater hätte sein können. Auch er hatte Söhne, Enkel, und wie Lee war er dazu verdammt, die Erinnerung daran jedesmal aus dem Gedächtnis zu verdrängen, wenn er so jungen Offizieren wie Captain Concho gegenüberstand und Ihnen Befehle erteilen mußte, die sie in die Hölle führten, und er genau wußte, daß er sie nie wiedersehen würde, es sei denn, ein Wunder geschah, und ein Schutzengel besonderer Art schritt auf dem Schlachtfeld vor diesem jungen Burschen daher. »Wann ist mit Sunnufields Angriff zu rechnen?« »Das Regiment von Sunnufield wird morgen früh zum Potomac vorrücken. Unsere Handvoll Männer, die die Brücke halten, werden sie sprengen und sich zurückziehen. Und damit sind unsere beiden besten Divisionen verloren.« »Mit dreißig Männern kann ich Sunnufields Regiment nicht aufhalten«, sagte Captain Concho. Chilton legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie trifft nicht der geringste Vorwurf, Concho.« »Aber ich könnte versuchen, die Verbindung vom Stab zum Regiment zu unterbrechen«, sagte Captain Concho. »Wir können vielleicht die Melder abfangen, die den Angriffsbefehl nach vorn zu den Bataillonen bringen.« Chilton betrachtete Captain Concho, als habe er ihm gerade 19 �
erklärt, daß er den Berg, der allen die Aussicht versperrte, an die Seite rücken und ihn vorab schon mal auf die Schulter nehmen wolle. Doch der Ausdruck seines Blickes änderte sich, je länger er Sam ins Gesicht schaute, und ihm kam dabei die Idee, daß dieser junge Captain nicht Berge versetzen wollte, sondern daß er das schon getan hatte. Die Armee des Südens wartete auf ein Wunder. Er selbst hatte ja die ganze Nacht deswegen gebetet. Der fromme Lee ebenfalls. Vielleicht hatte der Himmel diesen Concho geschickt. Chilton konnte nicht anders, er mußte Captain Concho die Hände auf die Schultern legen, um sich zu vergewissern, daß dieser Mann tatsächlich aus Fleisch und Blut war. »Warten Sie, Concho!« krächzte er und schritt an den Kartentisch zu Lee. Er mußte sich räuspern, damit ihn der Oberbefehlshaber bemerkte. Alt und müde sah Lee aus, als er aufblickte und mit einer resignierenden Geste die Brille abnahm. Da war kein bißchen Glanz mehr in seinen Augen zu sehen. »Würden Sie, mein lieber Chilton, die Aufgabe übernehmen, zum Feind zu reiten und die Kapitulation anbieten?« Chilton bekam weiche Knie. Lees Augen wurden feucht. »Das ist die Lage, Chilton! Machen wir alten Männer uns doch nichts vor.« Chilton hustete sich den Hals frei und neigte sich vor. »Exzellenz, der Captain hat sich erboten, mit seinen Männern hinter die feindliche Linie zu reiten und zu versuchen, die Verbindung von Sunnufields Stab in Falling Waters zu seinen Bataillonen zu unterbrechen.« »Mit einem Husarenstück die ganze Potomac-Armee retten, Chilton?« Lee rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. »Exzellenz, es ist die letzte Chance! Vielleicht kann dieser Cap20 �
tain den zwanzigtausend Männern die achtundvierzig Stunden verschaffen, die sie und der Süden benötigen. – Kommen Sie! Erteilen Sie ihm den Befehl, Exzellenz. Wunder sind deshalb Wunder, weil Sie hin und wieder geschehen.« »Das habe ich als junger Mann aber auf der Kriegsschule nicht gelernt, Chilton, und als Kommandeur von West Point habe ich das meine Kadetten nicht gelehrt. Krieg besteht aus Strategie und Taktik, und wie in der Mathematik ist da für Wunder kein Platz.« »Exzellenz!« sagte Chilton zwingend. »Das ist doch nicht Ihr Ernst!« Da erhob sich der Generalmajor und schritt mit Chilton zum Fenster, vor dem Concho wartete. Er gab ihm die Hand. »Carte blanche – Captain! Handeln Sie in eigenem Ermessen! Die Divisionen benötigen achtundvierzig Stunden von morgen früh Sonnenaufgang an gerechnet. – Melden Sie sich mit Ihren Männern bei mir zurück.« Captain Concho schlug die Sporen aneinander und salutierte. »Ich melde mich mit meiner Ersten ab, Exzellenz!« Er machte schneidig kehrt und schritt aus dem Raum. Lee nahm die Hände vor das Gesicht. »Dieses Spiel mit Menschen, Chilton!« Chilton schaute zur Tür und sah die große hagere Gestalt des jungen Offiziers noch immer, obwohl sich die Tür längst hinter ihm geschlossen hatte, und für ihn war das ein Zeichen, daß er ihn nie wiedersehen würde. Lee sah ihn an. »Ich möchte einem Mann, den ich persönlich in den Tod schicken muß, niemals mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. – Das ist ein Befehl, Chilton!« Er ging zum Tisch zurück. Chilton verzog das Gesicht. Die Sensibilität des Oberbefehlshabers war bekannt. Aber sein strategisches Genie war eben nicht 21 �
zu ersetzen. Lee sah auch gar nicht wie ein Soldat aus, trotz der Uniform. Auch darin wirkte er wie ein Gelehrter. Deshalb hatte er in der Unions-Armee wohl auch kein Truppenkommando innegehabt, sondern war Kommandeur der Kriegsschule von West Point geworden, wo Chilton sein persönlicher Adjutant gewesen war, und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, daß er vielleicht aus den gleichen Gründen nach West Point kommandiert worden war. Er war aus dem gleichen Holz wie Lee. Sie waren verwandte Naturen. Vielleicht verstanden sie sich deshalb so gut. * Captain Concho hatte den Rest seiner Kavallerie-Abteilung in drei Gruppen aufgeteilt, die jeweils von einem Lieutenant geführt wurden. Während die Abteilung im Wald wartete, gingen Captain Concho und Lieutenant Benson durch das Buschland und bestiegen einen der kahlen Hügel, um die Straße nach Falling Waters zu beobachten. Sie legten sich ins Gras und nahmen die Feldstecher zur Hand. Nur ein Farmerwagen war zu sehen, der sich nordwärts bewegte, beladen mit Bettzeug und Hausrat. Leute, die vor dem Krieg auf der Flucht waren. Benson nahm die Kartentasche nach vorn, orientierte sich und wies auf den Höhenrücken im Nordosten. »Dahinter liegt Falling Waters! Die Straße beschreibt einen Bogen.« Captain Concho betrachtete die Höhe durch das Glas, Büsche und Bäume versperrten die Sicht. Dann richtete er den Feldstecher wieder auf den Farmerwagen. »Wir werden die Nacht abwarten müssen!« meinte Benson. Reiter kamen dem Farmerwagen entgegen. Eine Patrouille der 22 �
Nordstaaten-Kavallerie! Concho stieß Benson an, der sein Glas daraufhin ebenfalls auf die Straße richtete. Die Patrouille ließ den Farmerwagen völlig unbeachtet. Sam ließ das Glas sinken. »Wo, zum Teufel, kriegen wir einen Farmerwagen her?« »Wenn so etwas zu beschaffen ist, dann auf der verlassenen Ranch hinter dem Wald«, meinte Benson. »Schicken Sie zwei Männer aus Ihrer Gruppe zurück, Benson! Lassen Sie dann die Abteilung bis an diesen Hügel vorrücken. Die nächste Patrouille schnappen wir uns.« »Aye, Sir!« erwiderte der Lieutenant und kroch rückwärts bis zum Abhang, richtete sich dort auf und lief hinunter. Captain Concho beobachtete die feindlichen Kavalleristen. Der Farmerwagen war bereits hinter der Biegung verschwunden. Die Patrouille bestand aus sechs Reitern und wurde von einem schnauzbärtigen Sergeanten geführt. Während Benson die Abteilung aus dem Wald führte, trabte die Patrouille ahnungslos unter ihm vorüber. Im Süden tauchte auf der Straße ein Beritt auf. Im gestreckten Galopp jagten die beiden Kavalleristen Seite an Seite der Patrouille entgegen, preschten kurz darauf grüßend an den Männern vorbei und schwenkten dann von der Straße ab auf jene Höhe zu, um den Weg nach Fallings Waters abzukürzen, wie Captain Concho glaubte. Die Abteilung hielt am Fuß des Hügels, und die Männer saßen ab. Benson kam allein den Hang heraufgestiegen und ließ sich kurz darauf neben Captain Concho nieder. »Die Abteilung steht unten bereit, Sir. Zwei von meinen Leuten sind zu jener Ranch unterwegs.« Er nahm das Glas in die Hand und beobachtete die beiden Reiter, die den Höhenzug inzwischen erklommen hatten. 23 �
»Verdammt viel Bewegung!« meinte er. »Nehmen wir es als Zeichen, daß sich der Regimentsstab tatsächlich in Falling Waters befindet«, meinte Captain Concho. »Ist das nicht sicher?« fragte Benson überrascht. »Nachricht eines Spions! Wir werden sehen, was davon zu halten ist.« Abermals erschienen Reiter, dieses Mal von Süden. Vier Blaujacken. Doch gerade als sich Captain Concho entschloß, eine Gruppe heraufzurufen, um die Burschen zu kassieren, tauchte im Norden in der Biegung ein Bagagewagen auf, dem ein zweiter und dritter folgten. Wagen auf Wagen tauchte aus der Biegung auf. Es handelte sich um eine Transportkolonne von zwanzig Gespannen. »Ich befürchte fast, in Falling Waters wird nicht nur der Regimentsstab liegen«, sagte Benson. In langsamer Fahrt kamen die Wagen näher. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Ein Sergeant kam zu Concho und dem Lieutenant herauf. »Sir, da kommen Smither und Finnewacker!« meldete er. Die Offiziere schauten sich um. Zwei Farmerwagen kamen um den Wald gefahren, die von zwei gesattelten Pferden gezogen wurden. Auf dem Bock des ersten Gefährtes saßen jene Männer, die Lieutenant Benson zu der verlassenen Ranch geschickt hatte. Beide Wagen waren mit Tischen, Stühlen und Betten beladen. Captain Concho griente und schlug Benson auf die Schulter. »Kommen Sie, Benson! Sie, Sergeant, rufen einen Mann herauf und beziehen hier Beobachtungsposten.« »Aye, Sir!« erwiderte der Sergeant. Die Offiziere liefen den Hang hinab. Die Wagen rollten in die Senke, und die beiden Reiter, die Zivilsachen über die Uniformen gestreift hatten, winkten. 24 �
Die Männer traten lachend zusammen und sahen ihnen entgegen. Ein großer strammer Kerl führte die Zügel. Er hielt, stieg ab und baute sich vor Benson auf. »Melde mich mit Reiter Smither und diesen beiden mit Tarnmaterial beladenen Wagen zurück, Sir!« sagte er und salutierte. »Mann, Finnewacker!« erwiderte Benson erfreut und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Zwei Wagen! Und wie ihr Kerle ausseht!« »Alles zur Tarnung, Sir!« sagte Finnewacker. »Ich übernehme die erste Fuhre und Smither die zweite. Das haben wir schon miteinander abgesprochen. Da haben auf jedem Wagen unter dem Gerumpel gut sechs Mann Platz.« »Zehn Freiwillige vortreten!« befahl Concho. Alle wollten mit! Die gesamte Abteilung trat nach vorn. Captain Sam Concho nahm fünf von vorn und fünf hinten. »Mit dem ersten Wagen fahre ich, Sie fahren auf dem zweiten, Lieutenant Harrison. Sie, Benson, übernehmen die Abteilung, führen sie nach Einbruch der Dämmerung über die Straße auf jene Anhöhe und rücken, sobald es dunkel geworden ist, in Falling Waters ein. – Nehmt den Pferden die Sättel herunter und zwei Pferde vor den zweiten Wagen.« Mit Eifer waren die Männer dabei. Während andere sich um die Pferde kümmerten, bestiegen die Besatzungen ihre Gefährte und gingen unter dem Hausrat in Deckung, umringt von den Kameraden, die ihnen behilflich waren, sich unter den Tischen, Stühlen und Bettzeug zu verbergen. Captain Concho rief die drei Lieutenants zu sich und besprach mit ihnen die Einzelheiten. Zehn Minuten später fuhren die Gespanne an, verfolgt von den Blicken der Kameraden, die alle gern mitgefahren wären, rollten sie über den Hügel hinweg zur Straße hinab. 25 �
Eingekeilt zwischen den Männern saß Captain Concho auf dem ersten Wagen unter einem Tisch. Finnewacker, Farmerkleidung über der grauen Montur, führte die Zügel. »Finnewacker, Sie melden mir alles, was Sie sehen!« sagte Captain Concho. »Aye, Sir! Wir sind gleich an der Straße! Auf ihr sehe ich nichts.« »Sie sollen melden, was Sie sehen, nicht, was Sie nicht sehen. Kapiert?« »Ich dachte, es interessiert Sie, Sir, daß gerade nichts zu sehen ist. – He, Stiß wobrah!« rief er und ließ die Peitsche krachen. Der Wagen rumpelte die Straßenböschung hinauf, daß die Männer ordentlich durchgeschüttelt wurden. Lange Zeit waren nur das harte Mahlen der eisenbereiften Räder und das Getrappel der Pferde zu vernehmen. »Ich sehe eine Patrouille, Sir! Acht Blaujacken. Sie kommen uns entgegen!« meldete Finnewacker aufgeregt. Gespannt suchten die Männer unter dem Gerumpel Captain Conchos Blick. »Ruhig Blut, Leute!« raunte dieser ihnen zu. »Ich habe vorhin einen Farmerwagen beobachtet, den haben die Yanks nicht kontrolliert. Aber entsichert die Karabiner, und wenn wir entdeckt werden, dann schießt sofort! Es ist unsere einzige Chance.« Die Sicherungsflügel klappten, und unter den Männern wuchs die Spannung. Hufschlag war auf einmal zu vernehmen. Die Männer sahen sich an. Das Geräusch wurde lauter und verstummte plötzlich. Da hielt Finnewacker schon an. Ein einzelner Reiter kam an den Wagen geritten. »Woher und wohin?« schnarrte eine Stimme. »Ach, wissen Sie, Sir!« hörten die Männer Finnewacker antwor26 �
ten. »Ich und mein Bruder sind vor Jahren aus dem Norden gekommen, und seit Krieg ist, wollen wir da wieder hin. Die erste Gelegenheit haben wir auch sofort beim Schopf gepackt, um nicht noch einmal unter die Fuchtel der Rebellen zu geraten. Ich habe gehört, daß man in Falling Waters erfahren kann, wohin man ziehen soll. Das stimmt doch, oder?« »Melden Sie sich beim Stab von Colonel Sunnufields Regiment. Da werden Sie Auskunft erhalten.« »Ich danke Ihnen, Sir!« sagte Finnewacker und ließ die Peitsche krachen. Die Pferde zogen sofort an. »Und wo finde ich den Stab von Colonel Sunnufield, Sir?« rief er nach einer Weile laut. Er erhielt Antwort, aber das konnten die Männer auf dem Wagen nicht verstehen. »Grüß euch, Soldaten!« tönte Finnewacker kurz darauf wieder. »Haut den Rebellenhunden kräftig eins auf die Schnauze!« »Deshalb sind wir hier! Das machen wir!« erhielt er mehrstimmig Antwort. Gelassen fuhr Finnewacker im Schritt weiter. »Finnewacker, was hat er gesagt, wo Sunnufields Stab zu finden ist?« raunte Captain Concho kurz darauf. »Ich soll mich bei der Schmiede an den erstbesten Offizier wenden, Sir!« Captain Concho griente zufrieden. Der Bericht des Spions schien zu stimmen. »Ist Smither noch hinter uns?« wollte er wissen. »Aye, Sir! Reiter Smither hält exakt Abstand von zwei Wagenlängen!« meldete Finnewacker. »Nun mach den Pferden etwas Feuer!« »Aye, Sir!« erwiderte Finnewacker und ließ die Peitsche krachen. Die Pferde ruckten vorwärts und trabten an. »Wir fahren um die Biegung, Sir!« meldete er sich zehn Minuten später. »Ich kann die ersten Häuser von Falling Waters 27 �
sehen.« »Soldaten?« fragte Captain Concho. »Sind Blaujacken zu sehen?« Finnewacker gab keine Antwort. Captain Concho schlug mit der Faust unter den Sitz. »Finnewacker, schlafen Sie da oben? Ich will wissen. ..« »Sir, mir hat es die Sprache verschlagen!« meldete sich da Finnewacker, nahm die Pferde auf und ließ sie Schritt gehen. »Wir fahren direkt in ein Heerlager hinein. Die Straße ist voller Blaujacken. Infanterie steht da angetreten.« »Wieviel?« fragte Captain Concho krächzend. � »Ein paar hundert, Sir! Soll ich halten?« � »Fahr weiter!« � »Aye, aye, Sir!« � »Ist die Sonne weg?« � »Noch nicht ganz, Sir!« � »Fahr weiter!« � »Mach' ich, Sir! Ich fahre jetzt auf die erste Kompanie zu.« � »He!« tönte da eine Stimme. »Sieh zu, daß du mit deinem � Gespann an den Straßenrand kommst, du Bauer!« Der Wagen schwenkte nach rechts ab. »Ein Offizier?« fragte Captain Concho raunend. »Natürlich – ein Armleuchter, Sir!« Die Männer auf dem Wagen grienten. »Womit ich nur die Yankeeoffiziere meine, Sir!« ließ sich Finnewacker nach einer ganzen Weile vernehmen. »Sagen Sie jetzt nichts mehr, Sir!« Gespannt und mit kantigen Gesichtern hockten die Männer unter dem Gerumpel und versuchten, durch Spalte und Ritzen der Wagenwände etwas zu erkennen. Die Straße war voll von Blaujacken. Links und rechts sah man nichts als blaue Uniformen. 28 �
»Es handelt sich um ein Infanterie-Bataillon«, raunte Finnewacker. »Es scheint abzurücken. Die Männer stehen feldmarschmäßig angetreten, Sir. Und da vorn rechts ist die Schmiede. Posten stehen davor. Die Häuser sind hier alle zerschossen, Sir. Links von der Schmiede sehe ich einen freien Platz. Dort fahre ich hin.« »Einverstanden!« Nach einer Weile fuhr der Wagen von der Straße und hielt. Finnewacker stieg ab. Smither fuhr nebenan auf. »Der Wagen steht unter hohen Bäumen, Sir! Sie können den Kopf ruhig mal heben, aber ohne Feldhut, Sir!« Die Männer halfen Captain Concho, einen Tisch zu kippen und vorzurücken, so daß er sich aufrichten und über das Gerumpel hinwegschauen konnte. Die Wagen standen unter drei hohen Erlen abseits der Straße. Genau gegenüber befand sich die Schmiede. Sie schien im ganzen Ort das einzige intakte Gebäude zu sein. Posten standen davor, Offiziere, Ordonnanzen und Melder kamen und gingen. »Das Infanterie-Bataillon rückt jetzt ab!« sagte Smither. Captain Concho vernahm die Kommandos der NordstaatenOffiziere. Kurz darauf war Marschtritt zu hören. »Geht nach vorn und seht euch um!« sagte er zu Finnewacker und Smither. Die beiden meldeten sich ab und gingen zur Straße. Dort verschwand der eine nach links und der andere nach rechts. Es dauerte eine geschlagene halbe Stunde, bis Finnewacker wieder erschien. – Drüben vor der Schmiede! Er sprach mit einem Posten. Dann kam er zu den Wagen. »Gegenüber befindet sich der Stab«, berichtete er leise, als er neben dem Gefährt stehenblieb. »Aber am Ortsausgang liegt eine Versorgungseinheit.« »Mist, verdammter!« knirschte Captain Concho. »Wie weit 29 �
weg?« »Eine Viertelmeile. Die letzten Häuser, Sir. Die sind heil geblieben, und darin hat die Einheit Quartier bezogen. Sie gehört aber zu einem anderen Regiment, wie ich von dem Posten gehört habe, und sie soll morgen oder übermorgen abrücken. Hinter der Schmiede steht ein großes Haus, in dessen Erdgeschoß die Herren des Stabes schlafen.« Ein Meldereiter hielt vor der Schmiede, stieg vom Pferd und rannte hinein. Die Dämmerung war angebrochen. Captain Concho kletterte vom Wagen und rief Harrison zu sich. »Wir hätten uns ein paar blaue Uniformen beschaffen sollen«, meinte der Lieutenant. Er war ein altgedienter Graukopf, furchtlos bis ins Mark und verläßlich bis auf die Knochen. »Haben wir aber nicht!« versetzte Captain Concho trocken. »Also müssen wir mit offenem Visier kämpfen. Ich nehme die Schmiede von vorn. Sie gehen mit Ihren Leuten von hinten ran. Hinter der Schmiede befindet sich ein Haus, in dem die Männer des Stabes Quartier genommen haben. Darum kümmern wir uns jedoch später. Erst müssen wir die Schmiede und damit auch Colonel Sunnufield in die Hand bekommen. Schärfen Sie ihren Männern ein, daß niemand entkommen darf. Zu unserer eigenen Sicherheit und für unsere Aufgabe. Wir müssen uns hier schließlich achtundvierzig Stunden lang halten. Wer sich nicht ergibt, wird niedergemacht. Aber es darf kein Schuß fallen.« »Aye, Sir!« »Wer davonläuft, wird niedergemacht, ob er bewaffnet ist oder nicht! Hier wird nicht Krieg gespielt, hier herrscht Krieg. Doch ein lautloser. Am Dorfausgang liegt eine Versorgungseinheit. Mit der können wir uns unmöglich herumschlagen. Informieren Sie Ihre Leute und rücken Sie dann ab.« Harrison salutierte und ging zu seinem Wagen hinüber. 30 �
Finnewacker zog seinen Karabiner unter dem Kutschbock hervor und hielt die Waffe auf den Rücken. »Ich übernehme die Posten, Sir!« »Beide?« »Aye, Sir!« Captain Concho schaute zur Schmiede. Es handelte sich um kein sehr großes Haus. Die Esse befand sich auf einem freien Platz daneben. Dort standen nur Pferde. Es begann allmählich dunkel zu werden. Harrison rief seine Männer aus dem Wagen und verschwand mit ihnen dahinter. Captain Concho klopfte gegen die Wagenwand. »Kommt 'raus Leute!« raunte er. Die fünf Männer stiegen herunter und gingen neben dem Wagen in Deckung, die Blicke auf die Schmiede gerichtet. Captain Concho wies sie ein, und dann zog er blank. »Finnewacker!« Der große massige Reiter, der noch keine zwanzig Jahre alt war, setzte sich in Bewegung, den Karabiner in der Linken hinter dem breiten Rücken verborgen. Die Männer verharrten gespannt. Finnewacker stiefelte über die Straße und schaute dabei nach rechts und links. Der Melder kam heraus, stieg aufs Pferd und trabte davon. Finnewacker ging auf einen der Posten zu und sprach mit ihm. »Fertigmachen!« raunte Concho. Einen Augenblick später war es schon so weit. Finnewacker trat ein Stück zurück und richtete den Karabiner auf die Posten. Dabei öffnete er die Farmerjacke, damit sie seine Uniform erkennen konnten. »Vorwärts – marsch, marsch!« knirschte Captain Concho und rannte los. In langen Sätzen! Die Männer stürmten hinter ihm 31 �
her. Sie rannten zur Straße, überquerten sie und stürzten sich auf die Posten, schlugen sie nieder, zogen sie mit ins Haus und schlossen die Tür von innen. Ein Mann blieb als Wache zurück. Die anderen stürmten weiter – Captain Concho nach. * Colonel Sunnufield war ein junger und äußerst ehrgeiziger Mann von dreißig Jahren. Er hatte zwar West Point absolviert, doch mit Noten, die weit, weit unter dem Durchschnitt lagen. Und Colonel Lee, der jetzige Oberbefehlshaber der Konföderierten-Armee und damalige Commander der berühmten Kriegsschule, hatte ihm das Patent erst nach einem langen persönlichen Gespräch ausgehändigt, mit dem er ihn vergebens zu überzeugen versucht hatte, doch lieber im Zivilleben Karriere zu machen. Doch Lee hatte sich in ihm getäuscht! Lieutenant war er gewesen, als die Mörserbatterien von Fort Johnson die Feindseligkeiten – den Krieg zwischen dem Norden und dem Süden eröffneten. In diesem Krieg hatte Sunnufield seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Innerhalb von zwei Jahren war er bis zum Colonel aufgestiegen und führte nun ein Regiment. Sunnufield hatte das Gespräch mit Lee niemals verwunden. Seit den ersten Kriegstagen war er von der fixen Idee besessen, seinen einstigen Kommandeur irgendwann zum Duell zu fordern. Seit er Colonel war, dachte er nicht mehr an ein Duell Mann gegen Mann. Er träumte davon, seinen großen Triumph auf dem Schlachtfeld zu erringen. Nach dem Sieg wollte er Lee an alles erinnern und das Eingeständnis fordern, daß sich Lee in der Beurteilung seiner Person damals getäuscht hatte. Tag und Nacht dachte Sunnufield manchmal daran, und er 32 �
träumte davon, nach einem von ihm siegreich geführten Treffen, dem Generalmajor auf dem Schlachtfeld zu begegnen. Zwanzigtausend Südstaatler saßen bei Hagerstown in der Falle, und er war dazu ausersehen, diesen Kessel mit seinem Regiment zu schließen, damit den eingeschlossenen Rebellen der Potomac-Armee den Garaus gemacht werden konnte. Lee würde er nach diesem Desaster wahrscheinlich nicht treffen. Aber nun spielte er mit dem Gedanken, dem feindlichen Oberbefehlshaber einen Brief zu schreiben und ihm mitzuteilen, daß er diese Niederlage ihm – jenem unsicheren Kantonisten von einst, jenem schlechtbenoteten Kadetten von West Point – zu verdanken hatte. Er wollte Lee fragen, ob er vielleicht damals schon ein Verräter gewesen war, daß er ihm – dem später so siegreichen Colonel – vorgeschlagen hatte, lieber Schullehrer zu werden. Sein hageres, durchaus sympathisch wirkendes Gesicht verklärte sich, als er daran dachte. Eine gute Frage war das! Sie würde Lee gewiß so demütigen, wie ihn damals der Vorschlag, den blauen Rock auszuziehen und Schulmeister zu werden. Er reckte sich und schaute in die Runde. Er saß mit einem Dutzend seiner Offiziere zu Tisch, an dem sich niemand mehr rührte, da er das Besteck an die Seite gelegt hatte. »Der Angriffsbefehl ergeht für morgen früh sechs Uhr!« schnarrte er und – aß weiter. Die Offiziere musterten ihn verwirrt. Machte er sich Sorgen um den bevorstehenden Kampf? Feindliche Einheiten waren nicht gemeldet. Für die Bataillone, deren Kommandeure zu diesem Essen geladen waren und mit am Tisch saßen, würde das ein Spaziergang werden. Das Dutzend Südstaatler an der Brücke über den Potomac würde angesichts der Überlegenheit des Gegners von selbst die Flucht ergreifen. Die Offiziere tauschten Blicke, einige lächelten wissend, und 33 �
alle speisten weiter. »Die Rebellen an der Brücke werden meine Leute im Sitzen fassen!« sagte ein blonder Major. »Wir werden so schnell zur Stelle sein, daß sie nicht mehr dazu kommen…« Zu was die Rebellen nicht mehr kommen würden, blieb sein Geheimnis. Er kam nicht mehr dazu, den Offizierskameraden mitzuteilen, was er meinte. Plötzlich flogen die Türen auf, und Südstaatler stürzten herein, angeführt von einem hochgewachsenen jungen Captain. Die Offiziere ruckten von den Stühlen. »Sitzen bleiben!« rief Captain Concho und schritt schnell zu Colonel Sunnufield, während seine Leute den Tisch umringten und die Türen besetzt hielten. Den Säbel an der Schulter, baute er sich vor Sunnufield auf. »Colonel, ich erkläre Sie und Ihre Offiziere zu meinen Gefangenen!« sagte er mit lauter Stimme. »Ich fordere Sie auf, Ihren Offizieren zu befehlen, die Waffen abzulegen, keinen Widerstand zu leisten und keinen Fluchtversuch zu unternehmen.« Colonel Sunnufield starrte dem Captain ins Gesicht und riß sich die Serviette herunter. »Nein, Captain! Das ist ehrabschneidend, das werde ich nicht tun.« »Es steht Ihnen das Recht zu, dies zu verweigern!« erwiderte Concho. »Dann erkläre ich Ihnen, daß wir gegen jedermann rücksichtslos vorgehen, der Widerstand leistet oder zu fliehen versucht.« Er drehte sich um und ließ den Säbel sinken. »Alles an die Wand! Aufstellung nehmen! Hände in den Nacken!« Die Offiziere wollten sich nicht rühren. Aber Captain Conchos Reiter machten ihnen mit Kolbenstößen und Fußtritten Beine, so daß sie es schnell vorzogen, den Befehlen Captain Conchos Folge zu leisten. 34 �
Wenige Augenblicke später standen sie nebeneinander an der Wand, und rasch wurden sie entwaffnet. »Übernehmen Sie, Sergeant!« wandte sich Captain Concho an den ranghöchsten Dienstgrad und schritt hinaus in den Flur. Dort kam ihm Harrrison entgegen. Er hatte die beiden anderen Räume besetzt und dort die Schreiber und Ordonnanzen festgenommen. Eine einzige Lampe brannte im Flur. Die Vordertür war geschlossen. Zwei Männer hielten dort Wache. Harrison hatte die bewußtlosen Posten in die Schreibstube tragen lassen. Sie schritten beide zur Hintertür, zwei von Harrisons Leuten folgten ihnen. Gespannt traten sie hinaus in den Hof. Da hörten sie Benson bereits kommen. Hufschlag prasselte hinter dem großen Haus, das knapp zweihundert Yards hinter dem Schmiedegebäude stand und eine Ruine war. Doch in den unteren Fenstern brannte Licht. Captain Concho befahl Harrison, mit seinen beiden Männern auf die Tür dieses Hauses zuzugehen und lief rasch zur Seite, um Benson einzuweisen, der von der Höhe herunter mit dem Rest der Abteilung durch eine schmale Gasse her angetrabt kam, deren Häuser ausgebrannt und zerstört waren. Captain Concho trat in die Gasse und hob die Hand. »Halten, Benson, absitzen lassen und mir folgen!« Benson befahl die Männer von den Pferden, und an der Spitze der Abteilung stürmte er hinter Captain Concho her. Nur die Pferdehalter blieben zurück. Captain Concho ließ das Haus umstellen und drang dann mit Benson und vier Kavalleristen ein. Rasch gingen sie durch alle Räume. Überall waren Feldbetten aufgestellt. Auch die Küche war hier untergebracht. Auf sechs Männer stießen sie dort, die so überrascht waren, daß sie alles fallen ließen, was sie gerade in den Händen hielten, und die 35 �
Arme hoben. Captain Concho ging auf den Mann zu, den er für den Küchenbullen hielt. »Ein besonderes Essen heute abend für die Offiziere? Was gibt es denn zu feiern?« Der Mann war so verwirrt, daß er nach Worten suchte. »Der stellvertretende Kommandeur hat Geburtstag, und wie üblich sind alle Einheitsführer zum Essen geladen«, sagte er schließlich. Captain Concho und Benson sahen sich an. Erst in diesem Moment ging Captain Concho auf, welcher Schlag ihm da gelungen war. Die Chefs befanden sich nicht bei ihren Einheiten, sondern waren jetzt seine Gefangenen. Zur festgesetzten Zeit würde das Regiment Sunnufield nicht zum Angriff antreten. Das war sicher. »Wir bringen sämtliche Gefangenen in diesem Haus unter, und der Stab, das sind jetzt wir. Der Rest davon! Sunnufield hat verlegt und befindet sich mit seinem Stab an der Front. Organisieren Sie das!« Benson griente und schlug die Sporen aneinander. Rasch ging er hinaus. »Stellt einen Wachdienst rund um die Uhr«, sagte Captain Concho zu Harrison. »Die Gefangenen dürfen auch nicht zu den Fenstern hinaussehen.« Captain Concho kehrte in das Schmiedegebäude zurück. Benson schickte seine Leute schon ins Haus, Etliche Reiter führten die Pferde von der Gasse und trieben sie in eine halbzerfallene Scheune. Im Flur des Hauses verharrte er, den Säbel schlagbereit in der Faust. Doch nur eine Sekunde lang ließ er sich narren. Der Kerl da vor ihm in der Uniform eines Kavallerieobersten der Nordstaaten-Armee war nicht Sunnufield oder ein anderer, 36 �
sondern Finnewacker. Ein Melder hatte an der Straßentür geklopft, und der Reiter hatte blitzschnell reagiert. Jetzt hielt er Captain Concho die schriftliche Meldung hin, während zwei Männer den gefangengenommenen Melder nach hinten führten. Neben Finnewacker stand Sergeant Hillery, hinter den beiden warteten andere. Grinsend standen sie alle da und musterten Captain Concho abwartend, was er dazu sagen würde. »Drittes Bataillon Bereitstellung erreicht und Angriffsposition eingenommen«, las Captain Concho. Unterschrieben war die Meldung von einem Lieutenant. Er ließ den Zettel sinken und sah Finnewacker an. »Diese Uniform hat doch der Colonel nicht freiwillig hergegeben.« »Fast!« erwiderte Finnewacker. »Aber ich trete die Kluft selbstverständlich freiwillig an Sie ab, Sir!« Er schlug die Sporen aneinander. »Ich möchte darauf hinweisen, daß ich die Kommandosprache vollkommen beherrsche, Sir.« »Und Sie meinen, das genügt?« Wieder krachten die Sporen. »Für achtundvierzig Stunden ganz gewiß, Sir.« Captain Concho grinste, und die Männer lachten. Da hatte der Kerl ja recht. »Seit wann gehören Sie zu meiner Abteilung, Finnewacker?« Captain Concho wollte das wissen, weil ihm dieser Kerl noch niemals zuvor aufgefallen war. Finnewacker salutierte. »Ich gehöre gar nicht zu Ihrer Abteilung, Sir! Ich bin von der dritten. Versprengt. Ich habe meine Einheit in Winchester gesucht. Aber in dieser Stadt bin ich der einzige Rebell gewesen. Ich wollte mich schon wieder verkrümeln, da kamen Sie mit Ihrer Einheit an.« »Wollen Sie bei mir bleiben?« »Aber ja, Sir!« 37 �
»Dann sind Sie ab sofort zu mir kommandiert, verstanden?« »Zu Befehl, Captain!« rasselte Finnewacker und ließ die Sporen abermals zusammenschlagen, daß es nur so krachte. Captain Concho schob den Sergeanten an die Seite und zeigte auf die fünf Männer. »Beschafft euch ebenfalls Blaujacken. Aber die von Gemeinen. Ihr seid ab sofort das Türkommando Finnewacker!« Die Männer nahmen Haltung an »Ihr fangt mir jeden Besucher ab. – Finnewacker, Sie Verwandlungskünstler, besorgen für mich ebenfalls eine Montur.« »Welchen Rang, Sir?« griente Finnewacker. »Gemeiner!« »Warum sind Sie so bescheiden?« »Nun lassen Sie mal diesen Firlefanz, Finnewacker! Tun Sie, was ich Ihnen befohlen habe, und ab durch die Mitte.« Sporen krachten gegeneinander. Captain Concho betrat den Raum, in dem die Offiziere gefangen gehalten wurden. Sie standen noch immer an der Wand. Colonel Sunnufield in Unterwäsche. Der Sergeant kam sofort auf ihn zu. »Der Colonel möchte Sie sprechen, Sir!« raunte er. Captain Concho nickte. »Umdrehen!« befahl er laut. Die Offiziere machten kehrt. Dem Colonel schoß sofort das Blut ins Gesicht. »Sie Scheinen hier eine Räuberhorde anzuführen, Captain!« rief er wütend. »Ich protestiere gegen diese Behandlung! Sie übersehen wohl meinen Rang.« »Sie wissen, wo wir uns hier befinden, und ich nehme an, daß Sie inzwischen auch wissen, welchen Auftrag meine Männer und ich haben. Entschuldigen Sie also diesen Übergriff. – Wer führt das dritte Bataillon? Hier ist eine Meldung eingegangen.« 38 �
Captain Concho hielt den Zettel hin, und prompt trat ein Major einen Schritt nach vorn. Er wollte sofort wieder zurücktreten, aber er hatte seinen Fehler zu spät bemerkt. Concho steckte den Zettel in die Rocktasche und fixierte den nächsten Major. »Welches Bataillon führen Sie?« »Darauf gebe ich Ihnen keine Antwort!« rasselte der Offizier, den Blick starr geradeaus gerichtet. »Kehrt!« befahl Captain Concho. Die Offiziere gehorchten. »Die Gefangenen werden alle im rückwärtigen Gebäude untergebracht«, wandte sich Captain Concho an den Sergeanten. »Benson schickt gleich Leute. Jeweils zwei Mann nehmen einen Gefangenen in die Mitte. Wenn auch nur einer entkommt, ist die Lage für uns hier geschmissen.« »Aye, Sir!« »Lassen Sie danach das Geschirr abtragen und den Raum säubern. Anschließend rufen Sie alle Offiziere und Sergeanten zur Besprechung hier zusammen.« »Zu Befehl, Sir!« Im Flur standen sechs Mann in blauen Monturen der Nordstaaten-Armee. Ein Sergeant und fünf einfache Reiter. Der Sergeant war Finnewacker. Er hatte selbst auf den Teppich zurückgefunden. Über dem rechten Arm trug er eine blaue Feldbluse mit den Winkeln eines Corporals. »In Ihrer Größe war leider nichts anderes zu finden, Sir!« Captain Concho ließ sich hineinhelfen. Er zog sie über, und sie paßte. Der Kerl besaß ein gutes Augenmaß. Benson kam mit etlichen Männern ins Haus. Captain Concho hielt ihnen die Tür auf. Dann schickte er Finnewacker mit seinen Leuten zur Straßentür. Die gefangenen Offiziere wurden zu allen anderen Gefangenen in das große, zerstörte Haus gebracht, erhielten dort allerdings einen Raum für sich. 39 �
Kurz darauf traf sich Captain Concho mit seinen drei Lieutenants und den vier Sergeanten im Besprechungsund Eßraum von Colonel Sunnufields Stab. Das Husarenstück war geglückt und alle strahlten. »Ich bin mit Ihnen und den Männern verdammt zufrieden!« eröffnete Captain Concho die Besprechung. »Geben Sie das den Leuten bekannt. Und nun zur Lage! Wir räumen dieses Gebäude und halten uns im rückwärtigen Haus auf, das ich hiermit für jene achtundvierzig Stunden zur Festung erkläre. Zu unserer Festung, in der wir mindestens diese Stunden aushalten werden. In der Schmiede bleiben unter meiner Führung ein paar Männer, gewissermaßen als Sunnufields Nachhut. Wir werden jedem, der hier vorsprechen wird, erklären, daß Sunnufield sein Stabsquartier nach Sharpsburg verlegt hat.« »In blauen Uniformen?« fragte Lieutenant Benson. Der Captain im Corporalrock lächelte. »Warum nicht, Lieutenant?« Benson blieb sehr ernst und sagte: »Muß ich Sie wirklich an das Kriegsrecht erinnern, Captain? In Fredericksburg sind vor einem Monat sieben Nordstaatler auf der Stelle von uns füsiliert worden, weil sie in unseren Uniformen aufgegriffen worden sind. Und ich wette, die Yankees handeln da nicht anders. Wir werden ebenfalls sofort an die Wand gestellt.« Captain Concho schritt zur Tür und öffnete sie. »Finnewacker!« Der große Bursche trat sofort ins Licht. Concho wies auf seine Corporalsjacke. »Dazu benötigen wir Freiwillige! Denn wenn wir so von den Yanks geschnappt werden, legen die uns auf der Stelle um. Das ist Kriegsrecht. Also erklären Sie das Ihren Leuten.« »Darüber haben wir uns eben unterhalten, Sir! Wir sind Freiwillige!« 40 �
»Abtreten!« � »Sir!« Finnewacker salutierte. � Captain Concho nickte lächelnd, schlug die Tür zu und kehrte � an den Tisch zurück. »Weiter in der Tagesordnung! Hat noch jemand Fragen?« Harrison stand auf. »Wir haben den gesamten Stab kassiert, Captain. Jetzt ist Nacht. Die Wagen stehen uns noch zur Verfügung. Sollten wir nicht versuchen, uns mit den Gefangenen zu den eigenen Linien durchzuschlagen?« Der altgediente Graukopf setzte sich wieder. »Wir haben vierundfünfzig Gefangene!« hielt ihm Captain Concho entgegen. »Die beiden Farmerwagen fassen so viele Leute nicht. Außerdem müßten wir die Kerle anketten, um zu verhindern, daß uns auch nur einer entwischt. Wie wollen Sie das bewerkstelligen?« »Es war nur ein Vorschlag, Sir!« Captain Concho nickte. »So habe ich das verstanden, Harrison. Aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sunnufield und seine Offiziere, gewiß auch seine Schreiber und Ordonnanzen, inzwischen erkannt haben, weshalb wir sie hier schachmatt gesetzt haben. Eine eingekesselte Heeresgruppe wird entkommen, wenn wir hier Erfolg haben. Und alles hängt davon ab, daß unser Coup nicht ruchbar wird. Wenn auch nur ein einziger Mann entkommt oder wir auf eine andere Art und Weise entdeckt werden, sind wir erledigt und die Männer im Kessel von Hagerstown mit. – Noch Fragen?« Niemand meldete sich zu Wort. � »Ich bin dafür, daß wir hierbleiben! Wer ist dagegen?« � »Dafür!« sagte Benson. � »Dafür!« Lieutenant Beifort schlug zur Bekräftigung mit der � Hand auf den Tisch. »Dafür!« sagte auch Sergeant Hillery, und die anderen Ser41 �
geanten stimmten ebenfalls zu. Da nickte auch Harrison. Captain Concho trat einen Schritt zurück. »Gentlemen, ich danke! Die Besprechung ist beendet.« * »Der Tag beginnt, Sir!« Captain Concho richtete sich auf. Auf drei Stühle hatte er sich gelegt, um ein wenig zu schlafen. Im Traum war er zu Hause gewesen, zu Hause bei jenen Leuten, bei jenen guten alten Leuten, die ihn nach dem grausigen Indianermassaker am Rio Concho gefunden, behalten und aufgezogen hatten. Sam Concho hatten sie ihn genannt. Wie hieß er wirklich? Er würde es nie erfahren. Finnewacker stand vor ihm, in der blauen Montur eines Sergeanten der Nordstaaten-Armee. Dieser Anblick brachte ihn mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück. Er schwang die Beine auf die Erde und setzte sich. »Der Tag beginnt, was ist denn das für eine Meldung? Besondere Vorkommnisse?« »Seit einer halben Stunde ziehen Truppen ein. Aber nicht unsere.« Captain Concho starrte ihn an. »Sie haben wohl Fischblut in den Adern, Mann!« Er schnellte hoch. »Ich habe befohlen, Sie noch schlafen zu lassen.« Benson stand neben Finnewacker. Auch er hatte blaue Kluft angezogen. Die Uniform eines Lieutenants. »Was ist denn mit Ihnen los? Haben Sie das Kriegsrecht vergessen?« fragte Captain Concho. »Ich habe die Uniform des Feindes freiwillig angezogen, um mich zwischen den beiden Häusern auch am Tag bewegen zu 42 �
können.« »Hat schon jemand an unsere Tür geklopft?« fragte Concho. »Nein! Aber es ist jetzt damit zu rechnen«, erwiderte Benson und warf ihm blaue Hosen hin. Captain Concho zog sich um. Er war gerade fertig, als Lärm ertönte. Benson ging sofort zur Tür und riß sie auf. Zwei Offiziere hatten das Haus betreten. Draußen stand ein Kutschwagen. »Nehmen Sie gefälligst Haltung an, wenn ich mit Ihnen rede!« fuhr der eine die Männer an, die in blauen Monturen vorn Wache hielten. Benson trat in den Flur. Die beiden kamen sofort zu ihm. Der eine war Colonel, der andere trug die Rangabzeichen eines Captains. »Haben Sie das Kommando hier, Lieutenant?« schnarrte der Colonel. Benson salutierte. »Aye, Sir! Ich führe den ersten Zug der Stabskompanie von Colonel Sunnufields Regiment, Sir! Colonel Sunnufield hat nach Sharpsfield verlegt.« »Das habe ich schon gehört!« unterbrach ihn der Colonel und schaute sich mißmutig um. »Alles klein und dunkel. Aber etwas anderes scheint es in diesem Kaff nicht zu geben. Führen Sie mich mal durch die Räume! Wann rücken Sie ab?« Benson nahm Haltung an. »Ich habe den Befehl, dieses Haus freizuhalten, weil Colonel Sunnufield zurückkehren will, sobald die Rebellen bei Hagerstown geschlagen sind.« »Ach was!« Der Colonel winkte ab. »Die Fronttruppe rückt sofort nach Süden weiter. Ich habe den Auftrag, hier in Falling Waters ein Nachschubdepot einzurichten. Gehören noch mehr Gebäude zu diesem Anwesen?« »Ringsum liegt alles in Schutt und Asche«, erwiderte Benson. »Führen Sie mich durch das Haus!« verlangte der Colonel. 43 �
»Corporal Concho, gehen Sie voran!« sagte Benson. Captain Concho schlug die Sporen aneinander. »Zu Befehl, Sir!« Benson ließ ihn vorangehen, und er öffnete den Offizieren die Türen. »Alles sehr ordentlich, aber zu klein, zu klein«, meinte der Colonel in jedem Raum. »Es wird uns aber nichts anderes übrigbleiben, als uns hier einzuquartieren, Sir«, meinte der Captain. »Ich weiß, ich weiß!« erwiderte der Colonel nörgelnd. Captain Concho und Benson tauschten einen Blick. »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, Sir, daß ich von Colonel Sunnufield den Befehl habe, dieses Gebäude für ihn freizuhalten«, sagte Benson in strammer Haltung. »Der wackere Sunnufield will doch nicht den ganzen Krieg in Maryland verbringen«, versetzte der Colonel spöttelnd. »Nein! Darüber machen Sie sich mal keine Kopfschmerzen, Lieutenant! Begeben Sie sich zu Sunnufield. Ich bin sicher, daß die Front jetzt rasch nach Süden vorrücken wird.« »Ich bin an diesen ausdrücklichen Befehl gebunden!« beharrte Benson. »Dann erteile ich Ihnen jetzt den Befehl, dieses Gebäude zu räumen und mit ihren Leuten nach Sharpsburg zu marschieren!« bellte der Colonel. Und Benson tat, was er tun mußte, denn der letzte Befehl galt, vor allem, nachdem er den Colonel von seinem angeblichen Auftrag unterrichtet hatte. So schlug er die Sporen aneinander und sagte: »Aye, Sir! Zu Befehl, Colonel.« »Veranlassen Sie alles weitere, Captain!« befahl der Colonel seinem Begleiter und nahm in der kleinen Kammer, in der sie sich gerade befanden, auf einem Stuhl Platz. 44 �
Der Captain salutierte und schritt schnell hinaus. Captain Concho lief ihm nach. Vorn an der Tür stand Finnewacker mit seinen Leuten schon bereit. »Finnewacker, festnehmen!« rief Captain Concho. Die Männer stürzten sich auf den Captain, und Concho kehrte in die Kammer zurück, den schweren Dienstrevolver in der Faust. »Ich bin Captain Concho, Sir!« erklärte er dem überraschten Colonel. »Von der Ersten Schwadron der Fünften virginischen Kavalleriedivision. Ich erkläre Sie hiermit zu meinem Gefangenen!« Der Colonel schnellte vom Stuhl. »Saboteure! Franktireure! Eine Bande von marodierenden Halunken in unseren Uniformen!« Er schrie, er brüllte und wurde dabei puterrot im Gesicht. »Ich habe mich Ihnen zu erkennen gegeben, Sir!« erwiderte Captain Concho gelassen. »Ihren Säbel!« »In falschen Uniformen hinterhältig Krieg führen – das könnt ihr Rebellen!« schnaufte der Colonel. »Da werden Sie kein Glück haben, Captain! Mein Versorgungsregiment zieht in Falling Waters ein. Die Sonne wird sich noch nicht im Zenit befinden, da stehen Sie schon mit Ihren Leuten an der Wand!« Benson entwaffnete ihn. Captain Sam Concho schob ihn in den Flur, und dort übergab er ihn den Soldaten, die den Captain und den Kutscher der beiden nach hinten führten. Finnewacker hatte den Kutscher kurzerhand ins Haus gelockt. »Schafft die drei nach hinten, und dann weg mit dem Kutschwagen von der Tür!« befahl Captain Concho. »Aye, aye, Sir!« erwiderte Finnewacker und hastete seinen Leuten nach, die die drei Gefangenen schon aus dem Haus in den Hof hinaus führten. An der Straßentür waren zwei Posten geblieben. Einer stand auf der Straße, der andere hinter der halboffenen Tür. 45 �
Captain Concho wollte gerade den Befehl erteilen, die Tür zu schließen, als er sah, daß draußen eine Frau mit dem Posten sprach. Nach kurzer Zeit kamen die beiden herein. »Die Lady möchte Colonel Rüssel Malory sprechen, Sir!« meldete der Posten. Den Captain konnte er sich soeben noch verkneifen. Aber nicht deswegen glaubte Captain Concho zu Stein erstarren zu müssen. Diese Frau kannte er. Nie würde er diesen Blick vergessen, als sie sich mit der anderen Lady aus Colonel Warrentons Schlafzimmer gestohlen hatte, in das er mit seinen Leuten so überraschend eingedrungen war. Durch und durch ging ihm ihr Blick! Sie war es, darin bestand kein Zweifel. Hatte sie ihn ebenfalls wiedererkannt? Bis zum Hals hinauf schlug ihm für Augenblicke das Herz. Er nahm Haltung an. »Bedaure, Ma'am! Einen Colonel Malory haben wir hier nicht. Sie befinden sich hier…« »Aber vor der Tür steht doch sein Kutschwagen!« unterbrach sie lächelnd. Captain Concho schüttelte den Kopf. »Damit ist ein Captain angekommen.« »Ja, ich weiß! Captain Semmer, Colonel Malorys Adjutant.« »Er befindet sich in einer wichtigen Besprechung«, erwiderte Captain Concho. »Ich habe den strikten Befehl, niemanden vorzulassen.« Sie musterte ihn. Eine Kurtisane, die wie ein Falter zwischen den Fronten flatterte, oder steckte mehr dahinter? War sie eine Spionin? Aber das war nicht die zwingende Frage. Hatte sie ihn ebenfalls wiedererkannt oder nicht? Da kam sie ihm zu Hilfe, indem sie ihm eine Denkpause verschaffte. »Ich werde in meiner Kutsche auf den Captain warten«, sagte 46 �
sie und wandte sich ab. »Informieren Sie ihn bitte, sobald die Besprechung beendet ist.« Sie ging hinaus, und der Posten folgte ihr auf die Straße. »Selbstverständlich, Ma'am!« sagte Captain Concho. Finnewacker kam zurück. »Ich werde den Kutschwagen um die Ecke fahren, Sir!« Captain Concho hielt ihn auf. »Warten Sie! Da ist eine Lady vorgefahren, die auf Captain Semmer wartet.« Er erklärte ihm die Sache, und ein Mann wie Finnewacker wußte da sofort Abhilfe. Drei Minuten benötigte er. Dann trat er in der Uniform eines Nordstaaten Captains auf die Straße hinaus und schritt zu dem Kutschwagen, in dem die Lady saß, während sich einer seiner Männer auf den Bock der Kutsche des Colonel setzte und nach Zügel und Peitsche griff. Er grüßte galant und lächelte freundlich. »Gestatten, Ma'am: Captain Lester! Wie ich hörte, warten Sie auf Captain Semmer. Da muß ich Sie enttäuschen. Ich habe Colonel Malorys Kutsche benützt. Er war so freundlich, sie mir zur Verfügung zu stellen!« Sie stieg aus. Finnewacker kniff die Lider zusammen. Die Straße war voller Fuhrwerke und Pferde, die am Straßenrand standen, und immer mehr Truppen rückten von Norden her ein. »Sie bringen den Kutschwagen doch bestimmt zu Colonel Malory zurück. Bitte nehmen Sie mich mit.« Sie hängte sich kurzerhand bei ihm ein. Da hatte der wackere Reiter in der falschen Uniform gar keine Wahl mehr. Ein Lieutenant trabte mit seinem Zug vorbei und grüßte schneidig, als er die Lady sah. Finnewacker nahm die Hand nur lässig an den Feldhut. Er führte sie nach vorn und half ihr galant in den Fond. Captain Sam Concho ging schnell hinaus, baute sich vor seinem Reiter auf und salutierte schneidig. »Der Major, Sir, 47 �
wünscht Sie für einen Augenblick noch einmal zu sich.« »Danke! Abtreten!« schnarrte Finnewacker. »Ich komme!« Captain Concho machte auf dem Absatz kehrt und lief ins Haus zurück. Die Frau wollte ihm folgen. »Warten Sie hier, Madam«, sagte Finnewacker. »Ich bin Miß Rosa Rose«, sagte sie und hielt Finnewacker die Hand hin. »Nennen Sie mich Rosa, Captain.« Er küßte ihr die Hand. – Woher der Kerl das bloß konnte… »Es wird gewiß nicht einmal eine Minute dauern«, sagte er und ging ins Haus. Captain Concho und Benson sahen sich an. Sie hatten hinter der Tür alles beobachtet und jedes Wort verstanden. Captain Concho hatte dem Lieutenant bereits erklärt, wer diese Lady war. Finnewacker betrat das Haus. Benson schloß die Tür hinter ihm. Finnewacker sah grinsend von einem zum anderen. »Miß Rosa Rose heißt sie«, sagte er. »Sie will zu Colonel Malory mitgenommen werden, weil sie meint, ich müsse ihm den Wagen zurückbringen.« »Fahren Sie das Frauenzimmer hinters Haus!« sagte Captain Concho. »Benson, gehen Sie nach hinten und nehmen Sie sie fest.« Benson und Finnewacker salutierten. Finnewacker lief auf die Straße hinaus, und Benson begab sich nach hinten in den Hof. Der Kutschwagen rasselte ums Haus. Augenblicke später meldete Finnewacker und Benson Vollzug. »Hat die Lady Schwierigkeiten bereitet?« wollte Captain Concho wissen. »Keine! Sie war sehr gefaßt«, meinte Benson. »Ich glaube, sie hat damit gerechnet!« erklärte Finnewacker. »Sie möchte Sie sprechen, Captain«, sagte Benson. 48 �
»Was?!« fragte Captain Concho überrascht. »Hat Sie meinen Rang genannt?« »Nein, Sie hat mich gebeten, ihr zu ermöglichen mit dem Corporal zu sprechen, der sie zuvor im Haus empfangen hat«, erklärte Benson. »Hat sie gesagt, warum?« Benson schüttelte den Kopf. * Die Männer hatten die hübsche Blondine in einem Extraraum untergebracht. »Miß Rosa Rose!« Captain Concho lächelte, als er die kleine Kammer betrat. Sie stand auf und musterte ihn ernst. »Sagt Ihnen der Name nichts?« Captain Concho schüttelte den Kopf. »Wir kennen uns doch!« sagte sie. Concho nickte. »Dann retten Sie mich!« verlangte sie schroff. »Die Kerle hier müssen mich erkannt haben. Wir kämpfen beide auf der gleichen Seite, Captain. Sie arbeiten doch auch für den Süden, oder?« »Als wir uns begegneten, haben Sie aber nicht wie eine Spionin ausgesehen, allenfalls wie eine von der Gegenseite.« »Sie müssen mir glauben! Ich bin jung. Ich möchte nicht sterben, schon gar nicht vor einem Yankee-Peloton!« »Wenn das so ist, befinden Sie sich hierin Sicherheit!« sagte er. »Wir sind alle aus dem Süden, und Colonel Malory, den Sie sprechen wollten, ist unser Gefangener.« Sie starrte ihn an. »Sorgen Sie sich also nicht!« sagte er. 49 �
»Wenn es sich so verhält, Captain, dann lassen Sie mich frei! Ich habe eine dringende Nachricht für unser Hauptquartier. Eine sehr dringende Nachricht.« »In vierzig Stunden geben wir diese Stellung hier auf und schlagen uns zu unseren Linien durch. Dann nehmen wir Sie mit.« »Diese Nachricht ist dringend!« »Um welche Nachricht handelt es sich denn?« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Die darf ich niemandem anvertrauen.« »Dann tut es mir leid.« Sie reckte sich so, daß ihr schöner Busen noch mehr zur Geltung kam. »Ich bekleide den Rang eines Majors der SüdstaatenArmee, und in dieser Eigenschaft befehle ich Ihnen, mich freizulassen.« »Können Sie sich ausweisen?« »Im Feindesland? Da habe ich Ihnen mehr Kenntnis zugetraut!« »Also gut!« erwiderte Captain Concho. »Ich glaube Ihnen, daß Sie auf unserer Seite stehen und daß Sie den Rang eines Majors tragen. Aber danach, was ich glaube, geht es nicht. Ich habe einen Auftrag, den ich erfüllen muß. Aber nicht nur das, ich habe auch die Pflicht, meine Leute heil zurückzubringen. Deshalb muß ich mich von meinem Verstand und von strategischen Erwägungen leiten lassen.« »Ich sagte, ich erteile Ihnen als ranghöherer Offizier den Befehl!« »Meinetwegen können Sie den Rang eines Generals bekleiden!« versetzte Captain Concho bissig. »Das Kommando hier habe ich! Sie bleiben in dieser Kammer und gehen übermorgen mit uns zurück!« »Ich befehle Ihnen…« 50 �
»Ma'am!« Captain Concho salutierte und verließ den Raum. Der Posten vor der Tür nahm Haltung an. »Hören Sie zu, Reiter!« sagte Captain Concho. »Sie unterstehen allein meinem Kommando. Lassen Sie sich von dieser Lady nichts vormachen. Sie ist unsere Gefangene! Und vergessen Sie, daß es sich um eine Frau handelt.« »Aye, Sir!« Captain Concho schlug ihm auf die Schulter, verließ das Gebäude und schritt über den Hof zur Schmiede. Benson kam ihm im Flur entgegen. »Sunnufields Bataillone jagen einen Melder nach dem anderen her, um den Angriffstermin zu erfragen«, berichtete er. »Ich schicke sie alle nach Sharpsburg und erkläre ihnen, daß die Offensive verschoben worden ist.« »Wie sieht es in der Stadt aus?« »Lauter Versorgungseinheiten. Es scheint sich um Colonel Malorys Truppe zu handeln. Ich will eben ein paar Männer 'ranstellen, die mir seinen Kutschwagen in die Einzelteile zerlegen. Anders können wir diese Karre nicht verschwinden lassen.« »Um Himmels willen, nein!« sagte Captain Concho. »Vielleicht benötigen wir die Wagen noch. Lassen Sie die Kutsche tarnen. Es liegen doch genügend Bretter herum. Lassen Sie auch die Kutsche der blonden Lady von der Straße holen.« »Was haben Sie für einen Eindruck von ihr?« Benson griente. »Sie wollte mir weismachen, daß sie für unsere Seite spioniert. Aber da ist wohl eher das Gegenteil der Fall. Schärfen Sie den Männern hinten im Haus Wachsamkeit ein.« Benson salutierte. »Aye, Sir!« Benson schritt schnell weiter, und Captain Concho betrat das Besprechungszimmer. Finnewacker stand am Fenster. Er hatte den Vorhang ein Stück zur Seite gezogen und spähte hinaus. 51 �
»Finnewacker!« zischte Captain Concho gereizt, weil er das strikt verboten hatte. »Gegenüber errichten die Yankees hinter den Ruinen große Zelte, Sir!« berichtete Finnewacker. »Und die Wagenkolonne, die inzwischen die ganze Straße blockiert, entlädt vor den bereits fertigen Zelten Wagen um Wagen. Munition für Karabiner und schwerste Mörser. Vor allem aber Lebensmittel und Bekleidung.« Choncho trat ans Fenster, und Finnewacker ging zur Seite und hielt ihm den Vorhang zurück. Vier große Zelte standen bereits. Weitere wurden errichtet. Und die Wagenkolonne, die bis weit in die Main Street von Falling Waters hinein stand, lud dort ab. Säcke voll Körnerfutter für die Pferde waren gerade an der Reihe. »Die Yankees haben alles im Überfluß!« meinte Finnewacker. »Vielleicht sind das die Vorräte für die gesamte Armee«, erwiderte Captain Concho schulterzuckend. »Aber sind wir erst einmal froh, daß die nicht auf die Idee gekommen sind, die Zelte hinter unserer Häuserzeile zu errichten. Begeben Sie sich wieder auf Ihren Posten. Aber dalli!« »Aye, Sir!« Finne wacker schlug die Sporen aneinander und stapfte hinaus. Hufschlag drang ins Haus. Captain Concho trat schnell ans Fenster, hob den Vorhang und ließ ihn wieder fallen. Unions-Kavallerie trabte wegen der Wagen dicht am Haus vorbei. Da brach der Hufschlag jäh ab. Die Reiter hielten. Augenblicke später vernahm er schon eine laute Stimme. Er ging zur Tür und öffnete sie. Im Flur stand ein Major vor Finnewacker, der wieder die erbeutete Sergeanten-Uniform trug. »… ist in diesem verdammten Kaff kein verantwortlicher Offizier zu finden! Ich bin mit meiner Schwadron zum Wachdienst kommandiert. Welche Einheit liegt hier?« 52 �
»Der vierte Zug der Stabskompanie vom Regiment Sunnufield, Sir!« antwortete Finnewacker, der stramme Haltung angenommen hatte. »Sind Sie der Zugführer?« »Der Zugführer ist Lieutenant Benson, Sir!« »Dann rufen Sie ihn gefälligst!« Captain Concho betrat den Flur. Noch immer in der CorporalsUniform. Finnewacker erfaßte sofort die Situation. »Corporal, rufen Sie den Lieutenant!« rief Finnewacker mit drohender Stimme. »Zu Befehl!« erwiderte Captain Concho, salutierte vor dem Major und rannte aus dem Haus. Benson stand im Hof Männer in grauen Uniformen waren damit beschäftigt, den Kutschwagen des Colonels mit Brettern und Gerumpel zu tarnen. »Verschwindet!« rief Concho mit gedämpfter Stimme. »Benson, kommen Sie her!« Die Männer verschwanden in dem rückwärtigen Gebäude. Benson kam zur Tür gerannt. »Im Haus ist ein Major, der eben mit einer Schwadron angekommen ist«, erklärte Captain Concho. »Dieser Mann muß mitsamt seiner Schwadron abgewimmelt werden. Er soll hier in Falling Waters den Wachdienst des Depots übernehmen. Wahrscheinlich wird er sich hier einquartieren wollen. Sagen Sie ihm, daß der Commander der Versorgungstruppe das Gebäude schon für sich requiriert hat.« Er öffnete Benson die Tür, schob ihn hindurch und folgte ihm. »Lieutenant Benson! Stabskompanie Regiment Sunnufield, Sir!« meldete sich Benson zackig. »Was haben Sie mit Ihren Männern noch in Falling Waters zu suchen?« schnarrte der Major. »Wir räumen in einer Stunde, Sir, um dem Stab von Colonel Malory Platz zu machen.« 53 �
»Was?!« rief der Major gereizt. »Ist Colonel Malory hier? Warum sagen Sie mir das nicht gleich!« fuhr er Finnewacker an. Finnewacker reckte sich. »Der Colonel ist nur kurz hiergewesen, Sir!« »Und wo befindet er sich jetzt?« Benson wußte keine Antwort. »Drüben bei den Zelten!« antwortete Finnewacker. »Warum sagen Sie das nicht sofort, Sie Nachtwächter!« bellte der Major. Schnell ging er hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. »Selber Nachtwächter!« versetzte Finnewacker trocken. Die Offiziere sahen sich an. »Irgendwann geht das in die Hosen!« meinte Benson leise. Captain Concho zog die Taschenuhr und warf einen flüchtigen Blick aufs Zifferblatt. »Wieviel Gefangene haben wir?« »Mit der Blonden – sechzig!« »Lassen Sie unsere Farmerwagen hinter das Haus karren.« Benson starrte ihn an. »Wir nehmen die Kutschwagen dazu. Dann haben wir für alle Gefangenen reichlich Platz.« »Und wann rücken wir ab?« fragte Benson krächzend. Die Tür ging. Der Straßenposten betrat mit einem Melder das Haus. Der Melder baute sich vor Benson auf. »Eine Meldung vom vierten Bataillon an Colonel Sunnufield, Sir!« Benson nahm die Meldung entgegen, überflog sie und reichte sie dem Mann zurück. »Colonel Sunnufield hat sich mit allen Offizieren, auch mit dem Kommandeur Ihres Bataillons, nach Sharpsburg begeben. Melden Sie Ihrem Lieutenant, daß umgruppiert worden ist. Der Angriffsbefehl erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.« »Aber die Rebellen ziehen in dichten Haufen den Potomac hin54 �
unter!« ereiferte sich der Melder. »Die marschieren nur in einen anderen Kessel hinein!« versetzte Benson. »Nun reiten Sie zu Ihrer Einheit zurück. Ihr Lieutenant wird inzwischen Befehle aus Sharpsburg erhalten haben.« Der Melder salutierte. Nachdem der Mann das Haus verlassen hatte, wandte sich Benson grinsend um. »Unsere Einheiten haben Hagerstown den Rücken gekehrt und befinden sich, angeblich in heilloser Flucht, auf dem Marsch aus dem Kessel. Sunnufields Bataillone verstehen nicht, warum Sie nicht angreifen dürfen.« Captain Concho lachte und schlug ihm auf die Schulter. Diese Freude währte nur kurz, denn beide spürten nicht nur, sie hatten längst erkannt, wie ihre Lage inmitten einer vom Feind besetzten Stadt von Stunde zu Stunde haltloser wurde. »Wann rücken wir ab?« »Wenn das Depot da drüben brennt!« versetzte Captain Concho. »Finnewacker!« Der große Bursche baute sich in seiner Sergeantenuniform vor Concho auf. »Sir!« »Jetzt benötige ich doch eine Kluft mit einem höheren Rang!« »Colonel Malorys Uniform dürfte Ihnen passen, Sir!« »Her damit!« »Zu Befehl, Sir!« Finnewacker schlug die Sporen aneinander und sauste davon. Captain Concho betrat den Besprechungsraum von Sunnufield, und Benson folgte ihm. Beide traten an die Karte, die hinter dem großen Tisch an der Wand hing. »Wir sollten uns nach Winchester durchschlagen!« meinte Benson nach einem kurzen Blick. »Später!« versetzte Captain Concho. »Vielleicht setze ich mich in diese Richtung ab. Sie aber marschieren mit der Abteilung 55 �
nach Nordwesten in Richtung Jones Springs – bis an die Berge 'ran, damit wir uns darin verkrümeln können, falls wir gejagt werden sollten. Ich nehme vier Freiwillige und sprenge das Depot. Das ist für Sie das Signal. In der Verwirrung, die hier entstehen wird, haben Sie eine todsichere Chance, aus der Stadt zu gelangen. Überqueren Sie nördlich von Falling Waters die Straße und ziehen Sie in Richtung der Berge. Ich finde Sie dort schon.« »Wir haben keinen Sprengstoff, Captain!« gab Benson zu bedenken. »Warum hätten wir uns damit abschleppen sollen? Ich bin davon überzeugt, daß die Yankees genug von dem Zeug haben. Da drüben in diesen verdammten Zelten. – Wenn Sie nicht genügend Stricke auftreiben können, nehme Sie einfach die Koppel und Hosenträger der Gefangenen. Legen Sie auch dem Frauenzimmer Fesseln an! Vergessen Sie das bloß nicht. Dieses Weib ist vielleicht gefährlicher für uns als alle anderen Gefangenen zusammen.« »Aye, Captain!« »Sie haben genügend Zeit, alles vorzubereiten. Lassen Sie die Kutschen und Farmerwagen in der Scheune auffahren, und beginnen Sie sofort nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Verladen der Gefangenen. Sollte etwas dazwischen kommen, entscheiden Sie im Sinne unseres Auftrages.« »Zu Befehl!« Es klopfte und Finnewacker trat ein, die Uniform von Colonel Malory über dem Arm und die Stiefel in den Händen. Schöne, schwarze Stiefel aus weichem Leder waren das. »Ich nehme Sergeant Hillery und die Reiter Pollard und Freeman mit. Alle drei verstehen etwas von Zündern und Sprengstoff. Pollard und Freeman tragen ja schon blaue Uniformen. Schicken Sie Hillery zu mir, Benson.« »Bitte melden zu dürfen, daß ich auf diesem Gebiet Fachmann 56 �
bin, Sir!« sagte Finnewacker schneidig und zeigte zum Fenster. »Ich sprenge Ihnen dieses Fenster aus der Mauer, daß es direkt auf den Bürgersteig fällt und Sie hier stehenbleiben können, ohne Deckung nehmen zu müssen. Und nicht ein Mauerstein wird beschädigt.« Captain Concho nahm ihm die Sachen ab. »Sie können wohl alles, was?« »Fast, Sir!« »Kommen Sie ohne diesen Kerl aus, Benson?« »Ich denke schon!« griente Benson. »In Ordnung, Finnewacker! Was sind Sie eigentlich von Beruf?« »Ich habe in einer Mine gearbeitet, Sir! Als Vormann.« »Nach Einbruch der Dämmerung rücken wir ab!« Finnewacker baute Männchen und lief hinaus. Auch Benson meldete sich ab. * Captain Concho betrat in der Uniform eines Nordstaaten-Colonels den Hof. Sergeant Hillery, Finnewacker, Pollard und Freeman, ebenfalls in blauen Uniformen, standen mit den Pferden bereit. Benson trat aus der Scheune, und Captain Concho ging zu ihm hin. Die Kutschen und Wagen standen nebeneinander. Gestalten waren in der Scheune zu erkennen. »Ich beginne in zwanzig Minuten damit, die Gefangenen zu verladen«, sagte Benson. »Den Straßenposten ziehe ich erst im letzten Augenblick ab.« Captain Concho gab ihm die Hand. »Sehen Sie zu, Lieutenant, daß Sie sich an die abgesprochene Route halten können. Ich hoffe, noch in der Nacht zu Ihnen stoßen zu können.« 57 �
»Parole?« »Selbstverständlich Captain Concho!« »Parole Captain Concho! Zu Befehl!« »Dann rücke ich jetzt ab!« Captain Concho salutierte. »Soldatenglück, Benson!« Auch der Lieutenant salutierte. »Geben Sie auf sich acht, Captain!« »Daran halte ich mich«, erwiderte Captain Concho und ging zu den vier Männern. »Aufsitzen!« Sie schwangen sich in die Sättel und ritten aus dem Hof um das Schmiedegebäude zur Straße. Die Dämmerung war fortgeschritten, die Nacht brach an. Die ganze Mainstreet entlang lagerten Fuhrwerke und Reiter, und überall brannten Feuer. Es ging ziemlich lebhaft zu. Captain Concho ritt mit den Männern von der Straße. Colonel Malorys Uniform paßte ihm recht gut. Sie ritten an zwei Ruinen vorbei und erreichten dann den freien Platz, auf dem die Zelte errichtet worden waren. Auch dort brannten Feuer. Stimmengewirr und Singsang waren zu vernehmen. Offenbar war Marketenderware ausgeteilt worden. Eine Gestalt mit geschultertem Karabiner trat auf die Reiter zu. »Wohin so spät noch, Kameraden?« Captain Concho hielt, und auch die Männer stoppten die Pferde. Er wartete, bis der Mann neben das Pferd trat und seine Rangabzeichen erkennen konnte. Der Mann nahm sofort Haltung an. »Stehst du hier Wache? Dann solltest du mich gefälligst nach der Parole fragen!« rasselte Captain Concho, der vermeintliche Nordstaaten-Colonel. »Zu Befehl, Sir! Parole?« Concho neigte sich zur Seite. »Du verdammte Schlafmütze! 58 �
Wäre ich ein Feind, hätte ich dich längst über den Haufen geschossen. Führe mich zu Colonel Malory! Aber schnell.« »Zu Befehl, Sir! Aber der Colonel ist bislang noch nicht eingetroffen!« stammelte der Mann verwirrt. »Wer vertritt ihn?« »Lieutenant Gauld, Sir!« »Dann ab durch die Mitte!« »Wenn Sie mir folgen wollen, Sir!« Der Mann machte kehrt und schritt voran. Captain Concho ließ das Pferd antraben. Die Männer schlossen auf. »Wie lautet die Parole? Ich wette, du Tüte hast sie glatt vergessen«, schnarrte Captain Concho. »Nein! Ich habe Sie nicht vergessen! Potomac River, Sir!« »Das ist doch schon gestern gewesen!« »Gewiß, Sir! Aber eine neue Parole ist noch nicht ausgegeben worden.« »Schöner Saftladen hier!« »Wir sind so schnell vorgerückt, Sir, daß der Stab unserer Einheit offenbar nicht nachgekommen ist.« Der Mann führte sie zu einem der Zelte, vor dem ein großes Feuer brannte. Die Männer, die dort saßen, sprangen auf, als sie den Colonel erkannten. Ein Offizier trat aus dem Zelt und kam schnell zu den Reitern, als er Captain Conchos Rangabzeichen sah. Der Offizier, ein Lieutenant, schob den Posten zur Seite, der Meldung machen wollte und schlug die Sporen aneinander. »Lieutenant Gauld, drittes Versorgungsregiment, Sir!« Captain Concho grüßte lässig. »Jackson! Achte Mörser. Wir wollen hier Munition fassen. Die Wagen werden in vier Stunden eintreffen, und ich bitte Sie, die Ausgabe vorzubereiten, damit mir das alles schnell und reibungslos über die Tanzbühne geht. 59 �
Vorab benötige ich Sprengstoff. Vier Kisten! Wir haben den Befehl, den verdammten Rebellen die Brücke über den Potomac unter dem Hintern wegzusprengen. Lassen Sie alles so schnell wie möglich heranschaffen! Vergessen Sie die Mörsergranaten nicht!« »Welches Kaliber, Sir?« »Achtunddreißig!« bellte Captain Concho. »Achtundreißiger Granaten sind nicht vorrätig, Sir!« erwiderte der Lieutenant verwirrt. »Sergeant Boulder! Sergeant Boulder!« Der Sergeant schritt heran und nahm Haltung an. »Sergeant Boulder zur Stelle, Sir!« »Wetzen Sie los, Sergeant!« bellte der Lieutenant. »Wer achtunddreißiger Mörser-Muni geladen hat, soll anspannen und bis hier zum Depot vorrücken! Sofort!« Der Sergeant wiederholte den Befehl und sauste davon. »Folgen Sie mir bitte, Colonel!« krächzte der Lieutenant. »Ich werde Ihnen inzwischen den Sprengstoff aushändigen. »Absitzen!« befahl Captain Concho seinen Männern. »Folgen!« Der Lieutenant flitzte an seine linke Seite und wies auf das übernächste Zelt. Gemächlich schritt Captain Concho voran. »Wie sieht es mit Zündschnur aus?« »Alles vorhanden, Sir!« vermeldete der Lieutenant stolz. »Wir verfügen über die neuesten Reißzünder. Die werden einfach abgezogen und dann wird gezählt: Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – und dann: wuff! Zündung und aus. Sie können selbstverständlich zwischen Zünder und Ladung eine Zündschnur legen, um die Sache zu verlängern, wenn Leute Deckung nehmen müssen, zum Beispiel. Da verfügen wir ebenfalls über das Neueste vom Neuen. Jeder Inch brennt eine Sekunde, und die Inches sind markiert.« Sie betraten das Zelt, über dessen Eingang eine Laterne 60 �
brannte. Auch drinnen brannte Licht. Der Lieutenant wies auf einen Stapel Kisten, die alle mit der Aufschrift EXPLOSIV beschriftet waren. Captain Concho winkte den Männern, die sofort Zugriffen und vier Kisten herunterhoben. Der Lieutenant trug Zündschnur und eine Kiste Reißzünder heran, öffnete die Kiste und erklärte den Männern die Handhabung der neuen Zünder. Alle grienten zufrieden. Auch der Yankeeoffizier, der sich freute, Unwissende belehrt zu haben. Neben der Tür stand ein Pult. Dort bat der Lieutenant Captain Concho, den Empfang des Materials zu quittieren. Captain Concho unterschrieb mit dem Namen Jackson. »Dann machen Sie den Rebellenhunden mal Feuer!« grinste der Lieutenant. Er wollte noch mehr sagen, verstummte aber. Captain Concho hielt plötzlich den Revolver in der Faust. »Wir sind die Rebellenhunde, Lieutenant, und wir werden jetzt euch mal Feuer machen. Sie gehen vor mir her, von einem Zelt zum anderen. Oder ich lege Sie um.« Die Augen des Lieutenants weiteten sich. Finnewacker trat heran, Zünder und Zündschnur in den Händen. »Wohin wollen Sie das Zelt versetzt haben, Sir?« fragte er grinsend. »Nach rechts oder nach links.« »Jagen Sie es nach oben, Mann! Direkt himmelan, und so hoch, daß es nicht mehr herunterkommt.« Finnewacker knallte die Sporen zusammen. Sie verließen das Zelt. Der Lieutenant schloß die Holztür ab und führte sie zähneknirschend zum nächsten. Die Männer trugen die schweren Kisten. Doch die Yankees am Feuer beachteten sie nicht. Von Zelt zu Zelt schritten sie, und Finnewacker schnitt die 61 �
Zündschnur jedesmal ein Stück kürzer. Während die Männer geschickt hantierten, hielt Captain Concho den Lieutenant in Schach. »Wo sind Sie zu Hause, Lieutenant?« fragte Captain Concho. Doch der Offizier antwortete nicht. Im fahlen Licht der Laternen, die in allen Zelten innen und außen über dem Eingang brannten, sah sein Gesicht aus, als sei es aus Stein gehauen. Schnell schritten sie dann zu den Pferden. Captain Concho schob den Lieutenant in Richtung des großen Feuers, um das seine Leute saßen und sangen. »Laufen Sie! Sie haben noch ein paar Sekunden«, rief er ihm nach, während er sich in den Sattel schwang. »Deckung!« rief der Lieutenant mit krächzender Stimme. »Alles in Deckung.« Die Männer verstanden ihn, begriffen aber nicht. Sie hörten auf zu singen und schauten ihm verwundert entgegen. Captain Concho und seine Männer galoppierten an und stießen den von den Yankees so gefürchteten Rebellenschrei aus. Da sprangen die Männer am Feuer auf und sahen überrascht und verwirrt den Reitern nach, die wie vom Teufel getrieben davonjagten. Was geschehen war, erfaßten die Nordstaatler viel zu spät. Plötzlich krachte und donnerte es. Die Schläge der Explosionen ließen die Erde erzittern. Grellrot zuckten die Blitze aus den Zelten, die bis obenhin voller Munition, Bekleidung und Verpflegung waren. Blutrot färbte sich der Nachthimmel, und das Donnern und Bersten nahm kein Ende. Captain Concho führte die Männer in rasendem Galopp nach Süden in eine Senke hinab. Jetzt galt es, so schnell wie möglich zu verschwinden. Gestalten tauchten vor ihnen auf. Abseits brannten Feuer. Zelte und Pferde waren zu erkennen. 62 �
Ein Gehölz nahm ihnen Augenblicke später schon wieder die Sicht, und keiner der Männer konnte sagen, ob sie entdeckt worden waren oder nicht. Sie hatten im Tosen und Krachen des Infernos hinter sich weder Schreie noch Schüsse gehört. Der Captain verhielt kurz das Pferd und jagte sofort weiter, nachdem er festgestellt hatte, daß sie noch alle beisammen waren. * Captain Concho nahm den Feldstecher an die Augen. Wohin er auch schaute, entdeckte er Patrouillen, die diese Gegend durchstreiften und jeden Winkel und Waldzipfel nach ihm und seinen Männern absuchten. »Du meine Güte!« stöhnte Sergeant Hillery. »Unvorstellbar, daß das alles uns gelten soll, Sir.« »Unvorstellbar sind wohl eher die Werte, die wir den Yanks in die Luft geblasen haben«, erwiderte Captain Concho. »Ist doch klar, daß die Banausen uns um jeden Preis schnappen wollen.« »Die werden uns sofort an die Wand stellen!« »Erst müssen sie uns kriegen!« versetzte Captain Concho und schaute wieder durch den Feldstecher. »Hier kommen wir nicht weiter. Das steht schon mal fest, verdammter Mist.« Er ließ den Feldstecher fallen, den er am Riemen umgehängt trug. »Nur der Weg nach Norden ist frei. Aber da befürchte ich, daß wir die ganze Bagage Benson auf den Hals locken.« Captain Concho war allein mit Sergeant Hillery. Die Reiter Finnewacker, Freeman und Pollard waren in dem Waldstück zurückgeblieben, das etwa hundert Meter hinter ihnen lag. Während sie die Pferde bewachten, hatten sich Concho und sein Sergeant auf Patrouillengang gemacht. Durch Büsche und hohes Gras hatten sie sich bis hier oben auf die Hügelkuppe vorge63 �
pirscht, von der aus sie die Umgebung gut überschauen konnten. Sie hatten sich den Rückzug einfacher vorgestellt, aber die Yankees hatten trotz des plötzlich hereinbrechenden Infernos so rasch reagiert, wie das auch Captain Concho mit seinen Männern nicht besser hätte machen können. Das mußte man schon anerkennen. Natürlich war ihnen auch der Zufall zu Hilfe gekommen, weil ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ein weiteres Regiment vom Norden heranrückte. Der Durchbruch war Captain Concho und seinen vier Reitern nicht mehr möglich gewesen. Deshalb hatten sie sich fürs erste in diesem Wald versteckt, aber auf Dauer würde das nicht gutgehen. Es war eine verteufelte Situation, in der sie sich befanden. »Sie werden kaum vermuten, daß wir uns nach Norden durchschlagen«, murmelte er aus seinen Gedanken heraus. »Es wäre ja auch dumm von uns im strategischen Sinne. Deshalb rechnen sie nicht damit. Und genau das ist es, Sergeant. Das Unerwartete muß man in solchen Situationen tun. Dadurch hat schon manch einer sein Leben gerettet.« Sie pirschten sich tief geduckt durch Büsche und hohes Gras zum Waldrand zurück. Noch zwanzig Meter bis zum Waldrand – da gellte plötzlich ein wilder Schrei zwischen den Bäumen. Ein Schuß krachte. Dumpfes Trommeln von Pferdehufen rollte heran. Es waren ihre Pferde, die da aus dem Wald gerannt kamen. Alle fünf. Mit schwingenden Steigbügeln kamen sie aus dem Wald galoppiert, direkt auf sie zu. Hillery schnellte empor, um die Tiere aufzuhalten. Er sah die drei Kavalleristen nicht, die den Tieren nachritten. Concho rollte sich in die Deckung. Da sah auch Hillery die Feinde. Er ergriff das erste Tier am Sat64 �
telhorn, rannte mit und ließ sich von der Fliehkraft in den Sattel reißen. Dabei schaute er zu Captain Concho, der ihm winkte, davonzureiten und die Flucht zu versuchen. Die drei Kavalleristen sahen den Sergeanten, feuerten und spornten die Pferde an. Geduckt jagte Hillery davon, gefolgt von den vier Pferden. In einem Abstand von zehn Pferdelängen folgten die Kavalleristen, die wild auf Hillery schossen. Captain Concho ließ sie herankommen und ruckte dann hoch, den Revolver in beiden Fäusten und in Augenhöhe. Dumpf dröhnten seine Schüsse. Er holte sie alle drei von den Pferden. Rasend schnell ging das. Kopfüber stürzten sie aus den Sätteln und verschwanden in dem hüfthohen Gras, während die Pferde weiterjagten. Captain Concho rannte geduckt und in langen Sätzen schräg hinter Büschen entlang auf den Waldrand zu und ließ sich neben dem ersten Baum fallen. Finnewacker, Freeman und Pollard waren von einer Patrouille überrascht worden. Einem von ihnen war es gelungen, Captain Concho und Hillery die Pferde zuzutreiben. Sie waren von vier Männern umstellt, knieten am Boden und hielten die Hände in den Nacken. Ein Offizier, ein Lieutenant, rannte in langen Sätzen zum Waldrand, um zu sehen, was da draußen geschehen war. Captain Concho kroch wie ein Wiesel von Baum zu Baum. Das Gras stand an dieser Stelle noch yardhoch. Breitbeinig blieb der Offizier vor den letzten Bäumen stehen, als er seine Männer draußen liegen sah. Captain Concho richtete sich auf, den Revolver in der vorgereckten Faust. Ein mächtiger Baum deckte ihn zu den Männern hin ab. »Ergeben Sie sich!« zischte er. 65 �
Der Offizier zuckte herum, die Augen geweitet. »Kommen Sie her!« Der Lieutenant wollte die Hände heben. »Arme unten lassen und herkommen!« raunte Captain Concho mit Schärfe in der Stimme. Da gehorchte der Lieutenant. Captain Concho griff zu, packte ihn an der Schulter und zog ihn zu sich heran. Sie starrten sich in die Augen. »Rebellen in unseren Uniformen!« zischte der Lieutenant. »Im Krieg ist es wie in der Liebe. Da ist jedes Mittel und jede List erlaubt.« »In der Uniform eines Colonels! Und nichts weiter als ein Gemeiner! Wir werden euch an die Wand stellen. Mann für Mann!« »Vorwärts!« befahl Captain Concho, stieß ihn herum und trieb ihn mit dem Revolver vor sich her. Schnell stapften sie durch das Gras zu den Männern, die verwirrt die Gewehre sinken ließen, als sie ihren Lieutenant mit einem Colonel zurückkommen sahen. Da flogen Finnewacker, Pollard und Freeman schon hoch und stürzten sich auf die überraschten Männer. Sie schlugen und traten zu, rissen den Kavalleristen die Karabiner aus den Fäusten und schlugen sie damit zu Boden. Captain Concho schlug den Offizier von hinten nieder. Gefangene konnten sie jetzt nicht gebrauchen, aber so einfach töten wollten sie die Leute auch nicht. »Finnewacker, rufen Sie Hillery zurück!« Finnewacker rannte los. Am Waldrand kam ihm Hillery mit allen Pferden entgegen. Captain Concho lud den Revolver nach und schob ihn in die Koppeltasche. Ihre Karabiner wieder in den Fäusten, traten Pollard und Freeman zu ihm. 66 �
»Die Kerle waren plötzlich da, Captain!« erklärte Freeman schnaufend. Er war ein Mann von vierzig Jahren, klein und hager und besaß schwarzes krauses Haar. »Ist jemandem etwas passiert?« Beide schüttelten die Köpfe. Hillery und Finnewacker kamen mit den Pferden, und die drei liefen ihnen entgegen. »Aufsitzen!« befahl Captain Concho. »Woher sind die Kerle gekommen?« Pollard wies nach Westen. Captain Concho wendete das Pferd nach Norden und ließ es angehen. Die Männer schlossen auf. Hintereinander ritten sie durch den Wald, über eine Stunde lang. Welliges Hügelland, von Büschen und Bäumen durchsetzt, lag dann vor ihnen, in das sie zügig hineinritten, die Blicke überall. Doch die Suche nach ihnen war im Gang, und bereits nach einer Meile ereilte sie das Schicksal. Eine ganze Schwadron kam im Westen über die Hügel geritten. Die Karabiner knatterten. »Galopp!« rief Captain Concho und peitschte das Pferd vorwärts. Pollard stürzte getroffen aus dem Sattel. Im gleichen Augenblick wurde Captain Conchos Pferd getroffen. Aus vollem Lauf heraus brach das Tier zusammen, und Sam wurde nach vorn geschleudert und flog über den Kopf des Braunen hinweg aus dem Sattel. Er überschlug sich in der Luft und landete krachend auf dem Rücken. Freeman stoppte neben ihm und streckte ihm die Hand entgegen. Der Captain schnellte hoch. Da zuckte Freemans Körper zusammen. Die Augen geweitet, griff er nach vorn ins Leere und kam seinem Captain tot entgegengestürzt. Captain Concho sprang über ihn hinweg, um sich Freemans 67 �
Pferd zu nehmen. Aber da wurde das Tier ebenfalls getroffen und stürzte auf die Seite. Concho ließ sich fallen. Geschosse peitschten über ihn hinweg. Finnewacker und Sergeant Hillery befanden sich mehr als hundert Meter vor ihm. Beide wollten kehrtmachen, hetzten die Pferde aber weiter, verfolgt von zwei Zügen Kavallerie. Im nächsten Augenblick wurde Captain Concho überritten. Gleich vier Mann warfen sich auf ihn und rangen ihn nieder. ›Aus!‹ dachte er, ohne jedoch mit seinem Schicksal zu hadern. Er war sich darüber im klaren, daß er nun erschossen wurde. Aber damit hatte er von Anfang an rechnen müssen. Es war Krieg. Die Männer erhoben sich und zogen ihn auf die Füße und nahmen ihm das Koppel samt Revolver und Säbel ab. »Eine Kugel, mehr sind die Rebellenschweine alle nicht wert!« rief ein Kavallerist wild. An die zwanzig Mann umstanden ihn. Zwei Offiziere trabten heran. Ein Major und jener Lieutenant, den Captain Concho im Wald niedergeschlagen hatte. »Das ist der Bastard, Sir!« sagte der Lieutenant grimmig, als die beiden abstiegen. Sie übergaben die Pferde und traten heran. »Sie sind von der Konföderierten-Armee?« schnarrte der Major. Captain Concho lächelte nur. »Die Uniform runter!« befahl der Major. Die vier griffen zu. Stoff zerriß, und unter dem blauen Rock kam die graue Feldbluse der Konföderierten-Armee zum Vorschein. »Sie sind Captain!« schnarrte der Major. »Dann wissen Sie selbst sehr genau, welches Schicksal Sie erwartet. Wir haben Sie hinter unseren Linien in unserer Uniform aufgegriffen.« Captain Concho zuckte nur mit den Schultern. 68 �
»Zu welcher Einheit gehören Sie?« � Captain Concho schwieg. � »Sie wollen mir nicht Rede und Antwort stehen?« � »Würden Sie das im umgekehrten Fall tun, Sir?« � Der Major musterte ihn. »Sie können sich mit mir nicht vergleichen, Captain!« schnarrteer. »Ich kämpfe in meiner Uniform.« Wieder zuckte Concho mit den Schultern. »Wie stark ist Ihr Kommando gewesen?« »Ich gebe keine Auskunft, Sir!« Reiter trabten heran. Die Offiziere schauten ihnen entgegen. Ein Captain stieg vom Pferd. »Die Kerle sind uns leider entwischt, Sir!« Captain Concho lächelte. Finnewacker und Hillery würden es schon schaffen und sich zu Benson durchschlagen, damit der Lieutenant erfuhr, daß er nun die Abteilung zu führen hatte. »Wir reiten diesen Banditen nach!« schnarrte der Major. »Ich will diese Banditen alle haben. Alle! – Lieutenant, nehmen Sie sich ein paar zuverlässige Leute und bringen Sie den Gefangenen ins Hauptquartier.« Der Lieutenant salutierte. »Zu Befehl!« Doch dabei sah er nicht den Major an, sondern Captain Concho, und dieser Blick verriet ihm, daß er nichts Gutes zu erwarten hatte. * Benson schaute auf die Uhr. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Er trat aus den Felsen und begab sich auf den Hügel, auf dem zwei Reiter lagen und Wache hielten. Die Männer hörten ihn kommen und wandten sich ihm zu. Einer meldete. Benson bedankte sich mit einer flüchtigen Handbewegung und ließ sich den Feldstecher geben. 69 �
Nirgendwo war in dieser trostlosen Weite Bewegung zu erkennen. Er gab dem Reiter das Glas zurück, verließ den Hügel und schritt zum Biwak. Lieutenant Harrison stand auf und schritt ihm entgegen. »Noch immer nichts von Concho?« fragte der Graukopf mit bekümmerter Miene. Benson schüttelte den Kopf. »Verdammt!« knirschte Harrison. »Noch in der Nacht wollte er zu uns stoßen.« »Du hast das Feuer gesehen, die Explosionen gehört!« versetzte Benson. »Danach war mir klar, daß sie nicht so davonkommen würden.« »Concho hat eigentlich immer Glück!« »Einen ganzen verdammten Krieg lang würde ich mich auf das Glück nicht verlassen.« Gemeinsam inspizierten sie die Wachen, die ringsum in den Felsen standen. Alle Gefangenen befanden sich auf den Wagen, die Concho mit Planen hatte abdecken lassen. Rund um die Uhr wurde jeder Wagen von einem Doppelposten bewacht. Benson wollte jedes Risiko ausschließen. Nur der Kutschwagen der Lady war nicht mehr abgedeckt. Sie saß allein im Fond, wurde aber ebenfalls von zwei Mann bewacht. Sie lächelte, als die beiden Offiziere an den Wagen traten und salutierten. »Wie fühlen Sie sich, Ma'am?« fragte Benson höflich. Sie war an Händen und Füßen gefesselt. »Nicht sehr bequem.« »In ein paar Stunden ist alles vorbei!« sagte Benson. Er ging mit Harrison weiter. Lieutenant Beifort kam aus der Felsengasse gerannt. »Zwei Reiter, Benson!« rief er. »Wahrscheinlich sind es Hillery und Finnewacker. – Reiter Holster! Satteln Sie und reiten Sie den Männern entgegen. Aber keine Signalschüsse, verstanden?« 70 �
Ein Mann, der mit anderen wachfrei im Schatten der Felsen gelegen hatte, sprang auf und rannte, den Sattel auf der Schulter, zu den Pferden. »Vom Captain keine Spur?« fragte Harrison. Beifort schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, er wird uns die beiden geschickt haben. Vielleicht geht es gleich los. Weiß der Kuckuck, wo Concho auf uns wartet.« Holster schwang sich in den Sattel und trabte aus dem Biwak. Die drei Lieutenants gingen ihm nach und bezogen auf dem Hügel bei den Feldwachen Posten. Durch den Feldstecher war zu erkennen, daß es sich um Hillery und Finnewacker handelte. Sie waren in einer Entfernung von einer Meile fast vorbeigeritten. Die Posten hatten gewunken, waren aber nicht bemerkt worden. Nun galoppierte ihnen Holster nach. Beifort hatte ihn ausgesucht, weil er blaue Uniform trug. Als die beiden den Kameraden bemerkten, winkte er sofort mit dem Hut. Finnewacker und Hillery zogen die Pferde herum und trabten ihm entgegen. Zehn Minuten später kamen sie zu dritt über den Hügel, hielten auf dem Hinterhang und saßen ab. Sergeant Hillery meldete sich mit Reiter Finnewacker zurück. Die Offiziere starrten ihn an. »Und Concho?« krächzte Benson. »Was heißt hier, Sie melden sich zurück, Sergeant?« »Freeman und Pollard sind gefallen, und Captain Concho ist in Feindeshand geraten.« Der Sergeant gab den Offizieren einen ausführlichen Bericht. »Sie haben ihn in der Colonelsuniform geschnappt?« fragte Benson mit krächzender Stimme. »Aye, Sir!« »Dann wird Concho schon nicht mehr leben«, meinte Harrison zerknirscht und nahm den Feldhut ab. »Oh, mein Gott! So ein 71 �
verdammter Mist.« Schweigen herrschte. »Sämtliche blauen Monturen ablegen!« sagte Benson nach einer Weile. »Sofort! Und alle! Fertigmachen zum Abmarsch, sobald die Sonne weg ist.« Die Männer begaben sich ins Biwak. Nur Harrison, der Graukopf, blieb bei Benson. »Hillery und Finnewacker sind lange verfolgt worden und werden gewiß noch gesucht«, meinte der altgediente Lieutenant. »Hab' es also nicht so eilig. Sonst reiten wir den Patrouillen und Suchkommandos womöglich vor die Gewehre.« Er musterte den Kameraden lauernd. »Oder glaubst du, wir können noch etwas für Concho tun? Ihn heraushauen? Ich bin sicher, die haben ihn noch an Ort und Stelle füsiliert. – Zieh dich auch um. Hörst du?« »Ich habe Concho gewarnt und ihn an das Kriegsrecht erinnert!« kirschte Benson. »Du hast dich ja selbst nicht daran gehalten!« »Aber nur widerwillig! Und was haben wir davon? Concho ist tot!« »Ein tapferer Mann, ein guter Mann! Aber deswegen werden wir den Krieg nicht verlieren. Es sind schon viele gute Männer gefallen. Ich wette, auf beiden Seiten. Geh und ziehe diese Kluft aus. In der Nacht sind ohnehin alle Katzen grau.« »Wir hätten in dieser verdammten Schmiede bleiben sollen.« »Nein! Da gebe ich Concho jetzt recht, obwohl ich zunächst als einziger dagegen gewesen bin!« erwiderte der altgediente Offizier. »Gleichgültig, was aus uns noch wird, unseren Auftrag haben wir erfüllt. Selbst wenn wir jetzt sofort entdeckt werden, sind die zwanzigtausend Mann in Sicherheit. Alles, was Sunnufields Regiment noch erwischen könnte, wäre die Nachhut. 72 �
Solange würden wir uns hier gegen jede Übermacht halten können. Also warte ab, bis drei Uhr, wie Concho es vorhatte. Aber ich rate dir, laß die Gefangenen laufen. Die belasten uns nur. Wir lassen sie hier ohne Pferde zurück, und bis die zu Fuß irgendwo eintreffen und Alarm schlagen können, sind wir doch über alle Berge! Laß uns nach Westen reiten! Wie lange wir unterwegs sind, spielt doch keine Rolle. Der Auftrag ist erfüllt, nun bring die Männer lebend zurück. Das ist der Teil des Auftrages, der dir zufällt.« Beifort kam aus der Felsengasse gestürzt. »Benson!« rief er mit sich überschlagender Stimme. »Benson, die Spionin ist geflohen.« Benson fluchte. »Wie konnte das geschehen?« rief Harrison. »Sergeant Gray ist mit zehn Männern hinter ihr her!« meldete Beifort. »Wer hat bei diesem Frauenzimmer Wache geschoben?« schäumte Benson. »Die Burschen knöpfe ich mir vor!« »Ein Gentleman kann einer Lady nicht überallhin folgen!« erklärte Beifort. Sie rannten ins Biwak. Aber da gab es nichts mehr zu sehen. Nur die beiden Reiter, die bei ihr Wache gehalten hatten. Wie begossene Pudel standen sie neben dem Kutschwagen und nahmen sofort Haltung an, als die Offiziere aus der Felsengasse geschritten kamen. Benson ließ sich einen Karabiner geben, um Sergeant Gray und dessen Männern zu folgen. »Zieh erst deine andere Kluft an!« riet Harrison. »Außerdem ist es sinnlos, sie zu verfolgen. Gleich wird es dunkel.« »Und wenn Sie auf eine Patrouille stößt?« zischte Benson wütend. »Die Lady weiß, wie viele wir sind!« versetzte Harrison tro73 �
cken, während Benson den blauen Feldrock auszog. »Eine Patrouille wagt sich hier nicht her.« »Ein Meldereiter kann eine ganze Abteilung alarmieren!« Benson setzte sich auf seinen Sattel und zog auch die Hose aus. Als er mit dem Umkleiden fertig war, kehrte Sergeant Gray mit seinen Leuten zurück. »Verdammt!« rief Benson außer sich. »Wieso kommen Sie schon zurück. Gray? Wir befinden uns doch hier nicht auf einem Sonntagsnachmittags-Jagdausflug. Das Frauenzimmer muß her! Lassen Sie Ihre Leute stiefeln und satteln.« »Sir, die Lady ist in die Felsen hinein entkommen. Da können wir ihr zu Pferde gar nicht folgen!« sagte Gray und nahm Haltung an. »Wir haben sie nicht mehr zu Gesicht gekriegt. Spuren haben wir auch keine gefunden.« »Eine tipptopp ausgebildete Spionin!« meinte Harrison. »Sie wird die Nacht in den Bergen verbringen. Damit ist sie für uns doch völlig uninteressant. Die Sonne ist weg, Benson. Laß uns hier bis drei Uhr warten.« »Nein! Fertigmachen zum Abmarsch!« befahl Benson mit schneidender Stimme. »Lieutenant Benson!« rief da ein Mann an der Felsengasse. Alle wandten sich ihm zu. Der Reiter stand auf dem Hügel Wache. »Feindliche Truppe, Sir! Eine ganze Abteilung Kavallerie kommt direkt auf uns zu.« Die Offiziere starrten sich an. »Nun müssen wir uns wohl doch hier einigeln und bis zur letzten Patrone kämpfen!« meinte Harrison. Benson wandte sich ab und rannte auf den schmalen Durchlaß zu. Der Posten machte kehrt und stolperte vor ihm her. Harrison lief den beiden nach. »Laß antreten!« rief er Beifort zu. 74 �
Völlig außer Atem ließ sich Benson neben dem Posten auf dem Hügel ins Gras sinken. Wortlos reichte ihm der Mann den Feldstecher und wies ihm die Richtung. Er stellte das Okular ein und warf einen Blick nach Süden. Eine endlose Doppelreihe von Reitern war das. Er schätzte sie auf zwei bis drei Schwadronen. Harrison plumpste ausgelaugt und schweißüberströmt neben ihm ins Gras. Benson überließ ihm den Feldstecher. Harrison fluchte. »Kein Zweifel, die kommen genau auf uns zu. Sie werden Concho gefoltert haben, ehe sie ihn an die Wand gestellt haben.« »Glaubst du wirklich, was du da sagst?« knirschte Benson. »Ich glaube es nicht, gleich werden wir es wissen!« versetzte Harrison. »Vielleicht sind Freeman und Pollard nicht tot gewesen«, knirschte Benson. »Aber niemals haben die aus Concho etwas herausgekriegt. Niemals aus Concho.« »Soll ich die Männer in die Stellungen schicken?« fragte Harrison trocken. »Ja!« versetzte Benson knirschend. »Wir halten uns hier bis drei Uhr. Dann ziehen wir uns in die Felsen zurück.« »Zu Fuß?« »Du hast doch gehört, was Gray gemeldet hat.« »Dort treffen wir unsere blonde Lady vielleicht wieder«, sagte Harrison, wandte sich ab und lief den Hang hinunter. »Ein Vorauskommando, Sir!« sagte der Posten neben ihm und wies nach Osten. Benson schaute durch das Glas. Eine zugstarke Patrouille ritt der Abteilung voraus. Der Abstand betrug eine Meile. Und diese Reiter trabten im Osten an der Felsformation – vorbei. »Laufen Sie zu Lieutenant Harrison!« schnarrte Benson und schlug dem Posten auf die Schulter. »Keine Bewegung im 75 �
Biwak! Absolute Ruhe.« Der Reiter wiederholte den Befehl, kroch zurück und rannte dann den Hang hinab. Gebannt verfolgte Benson durch das Glas die Vorhut. Blickte dann in die Runde und entdeckte die Flankensicherung der Abteilung. Fünf Reiter waren das, und die ritten direkt auf die Felsformation zu. Und im letzten Schein des Tageslichtes sah er, daß der erste Reiter die Felsformation durch einen Feldstecher beobachtete. Er duckte sich. »Kopf 'runter!« raunte er dem zweiten Posten zu, der sich prompt an den Boden preßte. * Lichtschein fiel durch die Tür. Da rasselte schon der Schlüssel im Schloß. Captain Concho erhob sich und knöpfte den Feldrock zu. Geblendet kniff er die Lider zusammen. Ein Lieutenant betrat die Zelle, eine Laterne in der Hand. »Achtung, der kommandierende General!« rief er schneidig. Captain Concho stand schon. Er ließ die Arme herabhängen und reckte sich. Posten mit aufgepflanzten Bajonetten standen im Flur zuhauf. Offiziere drängten sich vor der Zelle. Ein großer schlanker Offizier mit weißen Haaren trat gebückt ein, um sich den Kopf am Türpfosten nicht zu stoßen. Er trug zwei Generalssterne. »Captain Concho?« fragte er. »Aye, Sir!« erwiderte Captain Concho. »Lieutenant, stellen Sie die Lampe auf den Tisch und lassen Sie mich mit dem Gefangenen allein.« Der Lieutenant schlug die Sporen zusammen, trug die Lampe zu dem kleinen Tisch, kehrte zur Tür zurück, nahm dort noch 76 �
einmal Haltung an und ging hinaus. Dabei schloß er die Tür. Hellblaue, fast gütig dreinblickende Augen betrachteten Captain Concho. »Sie sind Offizier, und da werden Sie sich keinen Illusionen hingeben«, sagte der General und verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Unsere Leute haben Sie in unserer Uniform aufgegriffen. Wenn es Tag wird, werden Sie erschossen.« »Aye, Sir!« »Sie sind noch verdammt jung!« »Ich bin Soldat!« Der General nickte. »Warum sagen Sie nicht aus? Ich lasse Sie sofort in ein Kriegsgefangenenlager überstellen, wenn Sie unsere Fragen beantworten. Nennen Sie mir Ihre Einheit! Sagen Sie, wie stark Ihr Kommando gewesen ist und welche Aufgaben Sie in unserem Hinterland zu erfüllen hatten. Ich weiß, ich kann mich in Ihre Lage versetzen, Captain. Aber der Norden wird diesen Krieg gewinnen. Und nach dem Krieg wird Sie wegen dieser Aussagen niemand zur Rechenschaft ziehen. Im Gegenteil! Es wird dann wieder nur eine Armee geben. Die Armee der Union. Und wir wären nicht gescheit, würden wir verdiente und fähige Offiziere der Konföderation nicht übernehmen.« »Ich bin davon überzeugt, daß der Süden den Krieg gewinnt, Sir! Sonst würde ich doch nicht kämpfen. Und Verrat, Sir, bleibt immer ein Verrat. Ich habe zuviele Männer fallen sehen, Männer, die unter meinem Kommando standen. Ich würde in erster Linie wohl mich selbst verraten.« »Captain, Sie haben mit Ihren Leuten das Depot gesprengt. Das können Sie ja nun nicht leugnen. Sagen Sie mir doch, woher die da drüben gewußt haben, daß wir in Falling Waters für unsere gesamte Armee-Brigade ein Depot einrichten.« Captain Conchos Herz schlug ein paar Takte höher. Das Depot für eine gesamte Armee! Dieses vernichtet zu haben, mußte Lees 77 �
Offensive bei Fredericksburg unterstützen. »Sie haben es durch Spione erfahren!« »General, das entzieht sich meiner Kenntnis.« »Aber Sie haben von diesem Depot gewußt!« In den Augen des Generals blitzte es. Captain Concho schwieg. »Sie wollen also Ihr Leben nicht retten?« Concho schwieg beharrlich. »Captain, dann steht es nicht in meiner Macht, Ihnen Ihr schweres Schicksal zu ersparen.« Er gab ihm die Hand. »Gott befohlen, Captain!« »Danke, Sir!« Der General ging hinaus. Captain Concho trat an die Tür, als er den Schüssel scharren hörte. »… von unserem Depot gewußt, Major!« hörte er den General sagen. »Davon bin ich überzeugt. Aber der Kerl ist nicht zu überreden. Ich bin da vielleicht auch nicht der richtige Mann, Major. Bemühen Sie sich mal weiter.« Captain Concho setzte sich auf die Pritsche, davon überzeugt, gleich noch einmal Besuch zu erhalten. Und diese Burschen würden eine andere Sprache sprechen. Keine zehn Minuten vergingen. Jener Major hatte wohl erst die richtigen Leute suchen müssen. Vier Mann! Kerle wie Kleiderschränke, stark wie Ochsen. Und so kamen sie auch durch die Tür gerammelt. Da wollte wohl jeder als erster am ›Feind‹ sein. Auf der Kriegsschule war ihm nicht beigebracht worden, daß sich ein Gefangener widerstandslos zu verprügeln lassen hatte. Er ließ den ersten herankommen, und dann ruckte er hoch. Links und rechts schlug er zu, noch ehe der Mann ihn packen konnte. Breit wie ein Bär war der Kerl. Captain Concho traf ihn voll. Zweimal! Einmal am Kinn und mit der Linken kurz über 78 �
dem Magen. Wie ein Kartoffelsack kippte er zurück und krachte den anderen vor die Füße, die jedoch flink über ihn hinweg sprangen. Nachschub drängte in die Zelle! Obwohl Concho sah, daß er diesen Kampf nicht gewinnen konnte, leistete er erbittert Widerstand. Er schlug und trat um sich und streckte noch einen Mann nieder. Aber damit hatte es sich. Die anderen warfen sich alle gleichzeitig auf ihn, daß er unter dem Gewicht zusammensackte, und dann schlugen sie auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührte. Bewußtlos war er nicht, aber er sah und hörte alles wie durch dichte Schleier. Er konnte keine Hand mehr heben. Die Schläger gingen hinaus. Einer kam zurück und leerte genußvoll einen Eimer Wasser über ihm aus. Als er wieder sehen konnte, stand ein Major vor ihm. »Was ist denn hier passiert?« fragte er scheinheilig. »Wache!« Ein Posten betrat die Zelle in strammer Haltung. »Sir!« »Was ist hier losgewesen?« »Ich habe nichts bemerkt, Sir!« »Abtreten!« Der Posten salutierte und schritt hinaus. »Das sind Übergriffe von Leuten, die euch Sklavenhalter nun mal hassen« , sagte der Major. »Aber ich werde der Sache nachgehen und die Kerle bestrafen. Sie dürfen nicht glauben, daß wir so etwas dulden oder billigen.« Er bückte sich, griff mit beiden Händen zu und half Captain Concho, sich auf die Pritsche zu legen. Selbstverständlich dachte Concho daran, dem Offizier an die Kehle zu fahren und ihm den Revolver wegzunehmen, den er vorschriftswidrig umgeschnallt gelassen hatte, als er die Zelle betrat. Aber dazu war er nicht in der Lage. Hundeelend war ihm zumute. »Sie haben von unserem Depot gewußt, Captain, wie Sie dem 79 �
General verraten haben. Jetzt können Sie mir doch auch sagen, woher Sie Bescheid wußten.« Der Captain schüttelte den Kopf. »Ich sage nichts!« erklärte er mit krächzender Stimme. »Da können mich Ihre Leute ruhig totschlagen. Kein Wort!« »Sie stehen unter meinem persönlichen Schutz, Captain! Ohne meinen ausdrücklichen Befehl wird diese Zelle niemand mehr betreten. Also! Von wem habt ihr da drüben von unserem Depot erfahren?« Wie spät war es? Vielleicht schon drei Uhr? Dann würde Benson abrücken. Ihre Aufgabe war erfüllt. Gewiß würde der fähige Benson mit allen Männern durchkommen. Was bedeutete da sein Tod? Zwanzigtausend Mann waren aus der Umklammerung entkommen, und er hatte dazu noch das Versorgungsdepot einer ganzen Armee in die Luft gejagt. »Sie wollen nicht reden?« »Ich sage nichts.« Der Major ging hinaus, und kurz darauf kamen seine Schläger wieder. Captain Concho war viel zu schwach, um sich wehren zu können. Die Männer schlugen ihn zusammen. Als er erwachte, war es Tag. Eine Krankenschwester stand neben seiner Pritsche, ein Tablett in den Händen. Die gesamte Zelle war von Kaffeeduft erfüllt. »Wie spät ist es?« fragte er mit krächzender Stimme. »Neun Uhr, Captain. Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück. Essen Sie, und Sie werden sich besser fühlen.« Ein hübsches Ding mit braunen Augen und langen schwarzen Locken war sie! Neun Uhr! ging es ihm durch den Kopf, und er schloß die Augen wieder. Die achtundvierzig Stunden waren um! Aber nicht nur das. Er lebte noch! 80 �
Das war nun die andere Seite der Medaille! Er war davon überzeugt, daß die Nordstaatler unbedingt erfahren wollten, woher die Gegenseite von ihrem Depot etwas erfahren hatte. Sie witterten wohl, daß da Verrat mit im Spiel war. In diesem Glauben wollte er sie lassen. Noch immer schien vom Verschwinden von Sunnufield und dessen Regimentsstab nichts bekannt geworden zu sein. Nein! Selbst wenn sie ein so hübsches Frauenzimmer zu ihm in die Zelle sperrten, würde er kein Wort verraten. Als er die Augen öffnete, war das Girl verschwunden. Doch das Tablett stand neben ihm auf dem Tisch. Mit Heißhunger langte er zu. Eine Stunde später betrat der Major wieder die Zelle. Er war klein und untersetzt und besaß ein massiges Gesicht. Aufgedunsen vom guten Essen und vom Alkohol. Er lächelte freundlich. Wieder trug er den Revolver umgeschnallt, statt ihn draußen abzulegen, wie das Vorschrift war bei Gefangenenbesuchen. »Guten Morgen, Concho!« sagte er leutselig. »Wie fühlen Sie sich?« Er wies auf das Tablett. »Wie ich sehe, ist Theresa bei Ihnen gewesen. Wie gefällt Ihnen die Kleine?« »Hübsches Ding!« »Ich schicke sie nachher zu Ihnen. Sie gefallen ihr auch.« Bastard! dachte Concho. Genauso hatte er sich das gedacht. Nun versuchten die Yanks die andere Tour, um ihn weich zu bekommen. »Haben Sie mir jetzt etwas zu sagen?« fragte der Major und griente scheinheilig. Captain Concho wollte sich setzen, um eine bessere Ausgangsposition zu haben. Aber da trat der Major schnell an die Pritsche, legte ihm die Hand auf die Brust und setzte sich zu ihm. 81 �
»Bleiben Sie liegen, Captain! Wir können uns doch so unterhalten.« Da griff Sam Concho zu. Er bekam den Kerl sofort an der Krawatte zu fassen und drehte sie ihm zu, daß ihm die Luft wegblieb und die Augen aus den Höhlen traten. Concho nahm ihm den Revolver ab und schlug ihm den Knauf über den Schädel, daß er bewußtlos zusammensank. Er lauschte einen Moment. Aber draußen rührte sich nichts. Er wälzte sich unter dem massigen Mann hervor und erhob sich. Oh, verdammt! Ihm wurde schwindlig. Die Zelle begann sich zu drehen. Ihm wurde weich in den Knien und schlecht. Der Magen drohte, sich umzudrehen. Er schloß die Augen, stützte sich an die Wand und atmete tief und fest durch. Etliche Minuten hielt dieser Zustand an. Doch allmählich wurde ihm besser. Auf den Stiefelspitzen ging er zur Tür. Ein Posten stand im Flur an die Wand gelehnt, den Karabiner am Riemen über der Schulter. Er sah überrascht auf. »Der Major!« rief Captain Concho. »Kommen Sie! Schnell!« Er zog sich sofort zurück und blieb hinter der Tür stehen. Der Posten stürzte herein und stolperte vor Eifer über die Schwelle, und in dieser Haltung traf ihn Captain Concho mit dem Revolverkolben im Nacken. Es krachte und polterte, als er zu Boden ging. Captain Concho hielt den Atem an. Doch abermals blieb alles still. Er zog den Posten vollends in die Zelle und trat auf die Schwelle. Er befand sich im Jail von Winchester. Die Yankees hatten die Stadt kampflos eingenommen. 82 �
Lee hatte sich ja weit nach Süden zurückgezogen. Und jene zwanzigtausend Mann aus Hagerstown folgten ihm gewiß im Eilmarsch. Wo mochte Benson inzwischen sein? Aber darauf würde er die Antwort schon bekommen, wenn ihm die Flucht aus dem Jail und der Stadt gelang. Aus zehn Zellen bestand das Jail. Vorn befand sich das Sheriffs Office, das jedoch seit den Kampfhandlungen in dieser Gegend verwaist lag. Nun aber hatten die Yankees es in Beschlag genommen. Auf den Stiefelspitzen glitt er den Flur entlang. Ein kleines Fenster befand sich in der Tür. Er warf einen Blick ins Office. Fünf Soldaten saßen dort auf Stühlen und Bänken. Und es gab nur diese eine verdammte Tür. Also war das sein Weg! Er riß die Tür entschlossen auf, trat auf die Schwelle und richtete den Revolver in den Raum. Die Männer starrten ihn an, als sei er ein Geist. Überraschung mußte man nutzen, und zwar blitzschnell. Er trat neben die Tür und hielt sie auf. »Los, aufstehen und 'rein da!« schnarrte er. »Oder es kracht!« Der Mann, auf den er den Revolver gerichtet hielt, gehorchte sofort. Die Arme erhoben, schritt er ins Jail – und die anderen schlossen sich an. Concho schlug die Tür zu und rammte den Keil in die Kramme, trat ans Fenster und schaute auf die Straße hinaus. Da standen überall Soldaten, Blaujacken selbstverständlich. Ein paar Häuser weiter befand sich das Hotel. Dort herrschte emsiger Betrieb. Gewiß hatte sich dort der General mit seinem Stab einquartiert. Aber es gab noch eine Hintertür. Ohne zu zögern trat Captain Concho hinaus und befand sich im Hof des Offices, der von 83 �
einem mannshohen Bretterzaun umgeben war. Unentschlossen sah er sich um. Aber da schlugen die Kerle im Jail Lärm und machten ihm damit Beine. Er nahm Anlauf, sprang den Zaun an und schwang sich darüber hinweg. Er landete im Hof einer Stellmacherei. Gerade als er sich aufrichtete, ging am Haus die Tür, und ein alter Mann trat heraus, erschrak, gewiß vor dem Revolver in Captain Conchos Faust, zuckte zurück und schlug die Tür wieder zu. Doch schon nach wenigen Augenblicken öffnete er sie abermals und steckte den Kopf heraus. »Sind Sie einer von uns?« fragte er raunend. Concho schaute nach links und rechts und lief rasch zu ihm. Der Oldtimer ließ ihn ins Haus und schloß die Tür. »Kommt Ihr zurück? Die Stadt ist voller Yankees. Im Hotel hat sich der General mit seinem Stab einquartiert. Sie haben die ganze Stadt in Beschlag genommen. Sehen Sie sich das nur an, Captain. Diese Bastarde plündern und tragen alles aus den Häusern. Es ist doch niemand hier.« »Ich bin eben aus dem Jail geflohen!« erklärte Captain Concho. »Ich benötige ein Pferd.« »Sie sind. ..« Der alte Mann musterte Captain Concho bekümmert. »Und ich dachte, ihr kommt schon wieder! Ein Pferd werden Sie in der ganzen Stadt nicht mehr finden. Es sei denn, Sie holen sich eines von den Yankees. Wenn Sie aus dem Jail geflohen sind, wird man Sie suchen. – Kommen Sie, ich verstecke Sie hinten im Schuppen.« Doch davon wollte Captain Concho nichts wissen. Er sah sich um. Alle Fenster lagen nach hinten hinaus. »Wo kann man auf die Straße sehen?« »Kommen Sie!« Der Oldtimer stapfte voran. »Aber da gibt es nichts weiter zu sehen als Yankees.« Er führte ihn in einen Raum, dessen großes Fenster zur Straße 84 �
hinaus lag. Da genügte ein Blick! Die Flucht des Rebellenoffiziers war entdeckt worden. Gruppen von Soldaten rannten im Laufschritt vorüber, und Geschrei war zu hören. Captain Concho glitt zurück und nagte auf der Lippe. Bei dem alten Mann würden ihn die Yankees todsicher finden. Er war einer von den wenigen Leuten, die in der mehrmals umkämpften Stadt geblieben waren. Da war es doch logisch, daß er hier Hilfe suchte. »Lassen Sie mich hinten hinaus!« Der alte Mann musterte ihn kurz und schritt wieder voran. »Im Schuppen ist genügend Platz. Da wird Sie niemand finden. Wenn Sie keine Angst vor Mäusen und Ratten haben, können Sie auch hier unten…« Der alte Mann blieb stehen, bückte sich und schlug den Teppich zur Seite. Auch das war nicht nach Captain Conchos Geschmack. Er wollte schließlich weiter, wenn möglich, seine Abteilung noch finden, ehe er sich nach Süden durchschlug. Aber ihm blieb keine Wahl mehr. Da donnerte es schon vorn an der Straßentür. Mit dem alten Mann hob er die Klappe hoch und stieg die Steinstufen hinunter. Es krachte ordentlich, als der Oldtimer die Falltür schloß. Stockdunkel war es in dem Loch. Er lehnte sich an die Wand und richtete den Revolver nach oben. * Zwanzigtausend Mann hatten sich von Hagerstown aus abgesetzt und rückten im Eilmarsch nach Süden, wo Lee seine Trup85 �
pen sammelte und neu formierte. Und die Yankees stießen nach! Jene Schwadronen am Abend zuvor waren der Anfang gewesen. Ahnungslos waren die an den Felsen vorbeimarschiert. Zwei Stunden später, kurz nach Anbruch der Dunkelheit hatte Benson mit den Wagen und allen Gefangenen das Felsennest verlassen. Die ganze Nacht hindurch waren sie südwärts gezogen. Bis sie bei Tagesanbruch auf die Straße nach Winchester gestoßen waren. Seitdem lag Benson fest! Eine Meile von der Straße entfernt lagen sie in einer Kuhle und beobachteten von deren Rand aus die Truppenbewegungen der Yankees. Da zogen ganze Regimenter nach Süden. Hin und wieder scholl Gesang herüber. Obwohl die Konföderierten Truppen aus Hagerstown entkommen waren, schienen die Yankees Hagerstown als einen Sieg zu feiern. Den Männern auf dem Muldenrand kam das jedenfalls so vor. »Ohne die Gefangenen kommen wir schneller vorwärts!« meinte Harrison. »Und hin und wieder sind die Lücken groß genug, so daß die Yankees uns wohl sehen, aber nicht erkennen. Und dort drüben ist Wald. Da sind wir doch ruckzuck weg.« Doch das war ein Gedanke, der Benson nicht behagte. Captain Concho hatte die Gefangenen mitnehmen wollen, und da er den Captain tot glaubte, wollte er dessen Vermächtnis erfüllen. »Wir lassen sie laufen, und da sind die Kerle sofort an der Straße!« erwiderte Benson. »Noch wissen die Yankees nichts von uns. Aber dann! Willst du mit dem Teufel um die Wette rennen?« »Rennen nicht, da macht der Beelzebub zu lange Schritte«, erwiderte der Graukopf hölzern. »Aber reiten! Da sitzt er ja auch bloß auf einem Pferd.« 86 �
»Wie weit ist Winchester noch entfernt? Gib mal die Karte!« Harrison reichte sie ihm. Benson studierte sie kurz und gab sie ihm wieder. »Zwanzig Meilen noch!« sagte er. »Pfeifen wir auf die Straße und versuchen wir, Winchester westlich zu umgehen. Die Yankees haben doch das Gebiet zwischen der Straße und dem Potomac in der Hand.« »Vor Einbruch der Dunkelheit können wir nicht weg!« Benson sah dem altgedienten Lieutenant ins Gesicht. »Was glaubst du, worauf ich hier warte, du alter Stratege?« Der alte Mann griente bloß. Kutschwagen waren auf der Straße zu sehen, die in flotter Fahrt die Truppen überholten. Er mußte unwillkürlich an die Blonde denken. »Unsere Lady! Wetten, daß sie längst in einem Kutschwagen sitzt?« Benson verzog das Gesicht. »Wir bleiben trotzdem bis zum Abend und nehmen die Gefangenen mit.« »Ein Dutzend gefangene Offiziere entscheiden den Krieg nicht. Da haben die Yankees hundertmal Ersatz. Bist du mal im Norden gewesen?« »Gott sei Dank nicht!« »Siehst du! Deshalb machst du dir ein falsches Bild von den Yanks. Du meinst, du kriegst für die Yankeeoffiziere einen großen Orden. Schief angucken wird man dich, weil die uns das letzte wegfressen. Gefangene müssen gefüttert werden. Da füttern wir lieber eine Kuh. Die gibt wenigstens noch Milch. Aber deine Offiziere, die lungern bloß herum. Bis der Krieg vorbei ist! Wenn die Yanks den Krieg gewinnen, werden sie dafür auch noch als Helden gefeiert.« »Wie alt bist du eigentlich?« Harrison griente. »Warum?« »Mußt du nicht mal schlafen?« 87 �
»Da drüben ist der Feind!« »Dann halte ihn im Auge!« knirschte Benson. »Das tue ich doch!« »Und wie kannst du dabei pausenlos quatschen?« raunzte Benson. »Um mich wach zu halten, weil ich müde bin!« Der alte Graukopf gähnte. »Müde wie ein Hund! Ich wäre jetzt viel lieber auf meiner Farm. Das kannst du mir glauben.« »Laß das die Männer nicht hören.« Harrison griente. »Die denken alle an ihr Zuhause! Auf diesen Gedanken mußt du die nicht erst bringen. Wo bist du eigentlich her? Darüber hast du nie gesprochen.« »Darüber spreche ich auch jetzt nicht!« »Ich denke, ich weiß Bescheid! Eine Baumwoll-Farm und dreihundert Nigger. Und nun überlegst du die ganze Zeit, ob sich dafür dieser Krieg lohnt.« Benson explodierte nicht, er lächelte. »Wieviel Nigger hast du?« Harrison schüttelte den Kopf »Nicht einen einzigen. Ich mag sie nicht, und da will ich sie auch nicht in der Nähe haben.« Benson musterte ihn. »Ich kann sie nicht einmal bedauern«, sagte Harrison. »Was sind das für Leute? Sie lassen sich in Afrika gefangennehmen und setzen sich nicht einmal hier zur Wehr. Da bin ich mit David. Schiebt sie alle in einen Staat und laßt sie mal machen. Ich brauche sie nicht. Aber Leute wie du!« »Die Idee, denen einen Staat zu geben, stammt von meinem Vater!« sagte Benson. »Und ich liege hier mit dir im Dreck, um diese Idee durchzusetzen.« Sergeant Gray beendete den Disput. »Lieutenant Benson! Colonel Sunnufield möchte Sie sprechen«, sagte er. 88 �
Benson drehte sich nach ihm um. Er kniete hinter ihm. »Er bittet um diese Unterredung.« »Sprich mit ihm!« riet Harrison. Benson kroch den Hang hinunter, richtete sich auf und ging zu den Wagen. Gray begleitete ihn. Die Posten hatten den Colonel vom Wagen geholt und warteten mit ihm an der Deichsel. »Sir!« sagte Benson und salutierte. Der Colonel nahm die Hand ebenfalls an den Feldhut. »Sie liegen hier fest, Lieutenant!« sagte er mit schnarrender Stimme. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag! Lassen Sie uns frei, begeben Sie sich mit Ihren Leuten in meine Obhut, und ich sichere Ihnen zu, daß man Ihnen und Ihren Leuten nur die Waffen abnimmt und Sie ziehen läßt.« Benson verzog das Gesicht. »Wie kommen Sie auf die Idee, daß wir uns in Schwierigkeiten befinden?« »Sie liegen mit uns vor der Straße nach Winchester, und unsere Armee marschiert nach Süden. Unaufhaltsam! Sie werden Ihre Linien gar nicht mehr finden.« Benson musterte die Posten mit wütenden Blicken. »Ich verbitte mir diese Eigenmächtigkeiten!« fuhr er die Männer an. »Niemand hat sich mit den Gefangenen zu unterhalten. Und wer hat Ihnen befohlen, den Colonel vom Wagen zu holen. Zurück mit ihm! Marsch, marsch!« »Sie sollten die Kriegslage berücksichtigen, Lieutenant!« sagte Colonel Sunnufield. Benson wandte sich ab. Die Posten ergriffen den Colonel und brachten ihn auf den Wagen zurück. Harrison war eingeschlafen. Er hatte sich in den Mantel gehüllt, im Schlaf aber den Feldhut verloren. Behutsam stülpte ihm Benson den Hut auf den Grauschopf. Artillerie zog auf der Straße nach Süden. Schwere Feldhaubit89 �
zen, von Sechserzügen gezogen, bewegten sich auf der Straße. Batterie um Batterie. Dann erschien wieder Kavallerie. Schließlich ging der Tag zur Neige. Die Sonne sank weg, und die Dämmerung brach an. Benson weckte den alten Lieutenant. »Fertigmachen zum Abmarsch!« Harrison richtete sich auf. »Willst du wirklich über die Straße?« »Nein! Wir bleiben im Westen!« »Was hat Sunnufield von dir gewollt?« Benson berichtete. »Er hat vielleicht recht!« erwiderte Harrison. »Wir befinden uns auf jeden Fall tief im feindlichen Hinterland.« »Das ist doch kein Grund, um aufzugeben!« versetzte Benson wütend. »Auch das ist richtig!« erwiderte Harrison. »Fertigmachen zum Abrücken!« rief Benson laut und scharf. Die Abteilung trat in der Senke zusammen. Beifort kam zu Benson. »Die letzte Verpflegung ist vorhin ausgeteilt worden.« »Wir verpflegen uns aus dem Land! Abmarsch!« schrillte Benson. Harrison trabte mit der Vorhut aus der Senke. * Der alte Mann öffnete Captain Concho die Tür. »Da drüben vor dem Hotel stehen Pferde, Sir!« sagte er. »Aber achten Sie auf die Posten.« Captain Concho gab ihm die Hand. »Sie kommen wieder, Captain?« »Wir kommen wieder! Die gesamte Armee. Alle Mann!« ver90 �
sprach der Captain. Schnell schritt er hinaus auf die nächtliche Straße, und der Oldtimer schloß die Tür hinter ihm. Erst vor einer Stunde hatten die Yankees die Suche nach ihm in der Stadt aufgegeben. Das war ein deutliches Zeichen gewesen, wie wichtig es für den General war, zu wissen, ob die Lage des Depots verraten worden war oder nicht. Captain Concho schritt an den Häuserwänden entlang zum Hotel. Dort standen über ein Dutzend gesattelte Pferde in einer Reihe. Posten patrouillierten vor dem Portal auf und ab. In der ganzen Stadt lagerten Truppen. Erschießungskommando hin und Erschießungskommando her. Jetzt hätte er sonst etwas für eine blaue Uniform gegeben. Überall brannten Lagerfeuer. Die ganze Stadt war erleuchtet, wie es ihm vorkam. Es ging auf Mitternacht zu. Aber immer noch herrschte reges Leben und Treiben in dieser menschenleeren Stadt, die nur Männer in blauen Uniformen bevölkerten. Gegenüber dem Hotel blieb Captain Concho stehen und schaute an sich hinab. Zu deutlich war seine graue Uniform zu erkennen. Wie ein Schatten glitt er über die Straße zu den Pferden, und als er zwischen den Tieren stand und einem Braunen die Zügel vom Holm löste, trat eine Gruppe von Offizieren aus dem Hotel. Sie blieben vor dem Portal stehen und unterhielten sich laut. Captain Concho duckte sich. Irgendwann würden die Offiziere ja weitergehen. Aber es waren ihre Pferde zwischen denen er sich befand. Langsam kamen sie auf ihn zu. Was sollte er tun, über die Straße zurückweichen? Er glitt zurück und nahm den Revolver in die Faust. Doch ihm blieb nur die Flucht nach vorn. Aus dem gegenüberliegendem Haus, neben dessen Tür er eben noch 91 �
gestanden hatte, traten Soldaten. Da setzten sich die Offiziere in Bewegung. Gleich der erste sah ihn. »Der Rebell!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. Nun gab es keinen anderen Weg mehr. Captain Concho richtete sich auf und warf sich in den Sattel. Hart riß er das Tier zurück und zwang es, vorn steil hochzugehen. Aber er sah sofort, daß er so nicht weit kommen konnte. Die Offiziere brüllten und griffen zu den Revolvern, und auf der anderen Straßenseite verharrten die Soldaten und sahen herüber. Noch trugen sie die Karabiner geschultert. Sein Blick schnellte hin und her. Links und rechts lagerten Truppen am Straßenrand. Die Schüsse würden sie hochtreiben. Da krachten schon Revolver, und Captain Concho hörte die Kugeln um die Ohren pfeifen. Die Soldaten und die Wachen vor dem Hotel rissen die Karabiner von den Schultern. Kurz entschlossen peitschte Captain Concho den Braunen vorwärts – den Offizieren entgegen, die fluchend zur Seite und zurück sprangen. Dröhnend schlugen die Hufe des Pferdes auf den Bohlen des Bürgersteigs. Als die Karabiner der Männer gegenüber zu krachen begannen, ließ sich Captain Concho vom Pferd herunter durch das breite Fenster in das Hotel hineinfallen. Splitternd und krachend barsten die Scheiben und der Rahmen. Den Kopf eingezogen, landete Captain Concho in der erleuchteten Halle des Hotels. Der Braune wieherte und polterte auf dem Gehsteig, Geschrei und Schüsse waren zu hören. Mit einem Satz war Captain Concho wieder auf den Beinen und wirbelte herum. Die Halle war leer. Mit langen Schritten lief er zur Treppe und rannte die mit Tep92 �
pich belegten Stufen hinauf. Eine Ordonnanz, ein Tablett mit leeren Flaschen und Gläsern in den Händen, kam ihm im oberen Stockwerk entgegen. Das Gesicht vor Schreck zur Grimasse verzogen, blieb der Mann stehen und ließ das Tablett fallen. Captain Concho setzte ihm den Revolver auf die Brust. »Das Zimmer des Generals?« Der Mann wies auf eine der Türen und klappte den Mund auf und zu. Captain Concho stieß ihn die Treppe hinab und schritt schnell zur Tür. Lärm drang aus der Halle herauf. Er öffnete und trat ein. Da saß die blonde Frau, Rosa Rose! Er glaubte zu träumen. Sie saß in einem Sessel, die Beine übereinandergeschlagen und rauchte. Sie trug ein blaues Kleid. Sie war genauso überrascht wie er. Sie ließ die Hand mit der Zigarette sinken und starrte ihn an. Sein Blick zuckte in die Runde. Das war kein billiges Hotelzimmer, sondern es handelte sich um eine Suite. Das Schlafzimmer befand sich nebenan. Gegenüber war noch eine Tür. Der Lärm im Haus drang in den Raum. »Captain Concho!« sagte sie und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Dabei schoß ihr das Blut ins Gesicht. »Sind Sie verrückt geworden? Erst nehmen Sie mich fest und jetzt enttarnen Sie mich auch noch! Wollen Sie mich mit Gewalt vor ein Peloton des Feindes bringen?« Captain Concho fehlten die Worte. In seinem Kopf drehte sich alles. War sie eine Spionin des Südens? Wie kam sie hier her? Was war bei Benson geschehen? Sie sprang auf und lief zu jener verschlossenen Tür. »Kommen Sie!« 93 �
Es war das Badezimmer. Sie riß die Tür auf und er schritt an ihr vorbei über die Schwelle. Sie begann, sich zu entkleiden. Er wollte die Badezimmertür schließen. »Lassen Sie sie offen!« zischte sie. Da krachte es schon vorn an der Tür. Captain Concho zuckte zurück. Ihr Kleid fiel zu Boden, und sie fuhr aus dem Mieder. Für einen Moment bekam er ihre großen runden Brüste zu sehen. Sie wandte sich der Tür zu, die aufflog und wieder zukrachte. Einen Augenblick später klopfte es. »Ma'am, wir müssen Ihre Räume durchsuchen!« drang es dumpf durch die Tür. »Ein feindlicher Offizier befindet sich im Haus.« Sie drehte sich kurz um. Er wollte nicht, aber der Anblick ihres freien Busens faszinierte ihn, er mußte hinstarren, und das bemerkte er erst, als sie den Kopf schüttelte und dabei lächelte. Dann schritt sie zur Tür, legte einen Arm über den Busen und öffnete einen Spalt. »Lieutenant, Sie werden doch nicht vermuten, daß ich diesen Offizier hier habe!« hörte Concho sie sagen. Sporen krachten hart und zackig. Die Tür klappte wieder. Er ließ den Revolver sinken. Da betrat sie schon den Baderaum, das Mieder nur umgelegt. »Und was soll jetzt werden?« fragte sie und wandte ihm den Rücken zu. Diese vielen Haken! Er wunderte sich, wie sie die so rasch aufbekommen hatte. Er schob den Revolver in die Jackentasche und kam ihrer wortlosen Aufforderung nach. Ihre Haut schimmerte wie Samt und Seide. Er schloß Haken um Haken. »Hier können Sie nicht bleiben, Concho! Die werden Sie nicht finden und mit der Suche noch einmal von vorn beginnen. Aber 94 �
gründlicher!« Wie aus weiter Ferne drang ihre Stimme zu ihm. Sie sah zu ihm auf und streckte die Hand aus. »Mein Kleid!« Concho zwängte sich an ihr vorbei und hob das Kleid auf, den Blick auf die Tür gerichtet. Noch immer herrschte Unruhe in dem großen Haus. Hektisches Rufen drang in die Suite. »Na, Sie finden die Sprache so schnell wohl nicht wieder?« spöttelte sie, als sich ihre Blicke trafen und sie ihm das Kleid aus der Hand nahm. Sie duftete nach Lavendel. »Ich bin Ihren Leuten in den Bergen entkommen«, sagte sie mit einem Anflug von Ärger in der Stimme. »Aber alle meine Anstrengungen sind umsonst gewesen. Eigentlich sollte ich Sie vor die Tür jagen. Aber dazu ist es wohl zu spät. Die werden merken, daß ich Sie versteckt gehalten habe.« »Berufen Sie sich auf meinen Revolver!« sagte er und nahm die Waffe wieder in die Faust. »Meine Mission ist hier trotzdem gescheitert!« erwiderte sie gereizt. »Ich habe das Zimmer des Generals gesucht!« verteidigte er sich. »Es ist das Zimmer des Generals!« versetzte sie. »Soweit komme ich nie wieder. Und das alles wegen Ihnen! Sie haben sich schon in Falling Waters wie ein Anfänger benommen.« Ihre schönen Augen sprühten vor Zorn. Es klopfte hart an der Tür. Da griff er zu, zog sie an sich und schob sie vor sich her aus dem Badezimmer, den Colt an ihrer Schläfe. Beide blickten zur Tür. Der General betrat den Raum und verharrte. Hinter ihm waren im Flur Gestalten zu sehen, die ebenfalls erstarrten. »Ein Pferd und freien Abzug!« verlangte Captain Concho mit 95 �
schneidender Stimme. »Oder ich werde diese Frau erschießen und dann Sie, General!« Der General rührte sich nicht. Sein Blick zuckte von Captain Concho ins Gesicht der Frau und wieder zurück. Langsam hob er die Rechte. »Clifford!« rief er mit krächzender Stimme. »Lassen Sie den Korridor räumen!« »Exzellenz!« Die Gestalten verschwanden. »Lassen Sie die Frau los, und nehmen Sie mich als Geisel!« »Befehlen Sie Ihren Leuten ein Pferd vor das Portal zu stellen und mir nicht zu nahe zu kommen.« Der General starrte ihm in die Augen, nickte schließlich und wandte sich ab, trat in den Flur und rief nach Clifford. Concho küßte der Blonden den Nacken. »Sind meine Leute entdeckt? Wissen Sie etwas?« »Solange ich bei Ihnen gewesen bin, nicht!« »Wir sehen uns bestimmt mal wieder!« »Sie sind ja verrückt, Concho!« »Vergessen Sie mich nicht! In Lees Stab ist immer zu erfahren, wo wir liegen.« Der General betrat den Raum. Schneidig und furchtlos gab er sich. »Eine Minute und alles ist bereit!« schnarrte er. Schnell schob Captain Concho die Frau zur Tür, schob sie samt dem General über die Schwelle und schlug die Tür zu, schob den Riegel vor und schoß in die Decke. »Clifford! Clifford!« rief der General draußen erregt. »Schnell, der Kerl hat sich erschossen.« Captain Concho befand sich schon auf dem Wag zum Badezimmer und schloß die Tür hinter sich. Dunkelheit umfing ihn. Durch das Fenster war der Sternenhimmel zu sehen. Er schob es vorsichtig und lautlos hoch. 96 �
Ein Anbau befand sich direkt unter ihm. Im Hof hörte er Männer rufen. Aber die konnten ihn nicht sehen. Er kletterte hinaus und ließ sich fallen, landete auf allen vieren. Sein Blick hetzte in die Runde. Licht fiel aus den vielen Fenstern des Hotels auf das Flachdach. Er bewegte sich an der Hauswand entlang bis zum Ende des Anbaues. Schwärze gähnte zu ihm herauf. Er erkannte ein Gebüsch und sprang hinein. Auf der Straße herrschte mächtig Betrieb. Der Wind trug die Geräusche heran. Er kroch auf allen vieren weiter, den Revolver in der Faust. Dunkel war es. Er stieß gegen einen Zaun und stieg rasch darüber hinweg. Die Silhouetten von Gebäuden ragten vor ihm empor. Verzweifelt sah er sich um. Er mußte sich ein Pferd beschaffen, sonst würde er nicht weit kommen. Er lief weiter, er rannte, bis er Feuer brennen sah. Soldaten lagerten hinter den Häusern. Troßwagen standen dicht beisammen. Naßgeschwitzt und völlig außer Atem, blieb er an der Ecke eines Gebäudes stehen. Ein freier Platz befand sich vor ihm. Wagen auf Wagen standen da in Reih' und Glied und mit hochgestellten Deichseln. Zwei Feuer sah er, und an jedem saßen zwei Mann, die Karabiner umgehängt. In einem der Häuser brannte Licht, die Tür stand offen, ein breiter Lichtbalken fiel heraus. Wo, zum Teufel, standen die Pferde? Er glitt geduckt vorwärts und gelangte bis an die erste Wagenreihe. Da nahm er dumpfes Wiehern wahr. Ein anderes Tier antwortete. Hinter dem Troßwagen befand sich ein Korral. Posten standen rundherum. An allen vier Ecken flackerten 97 �
Wachfeuer. Captain Concho kroch in den Korral hinein. Die Pferde rührten sich nicht. Den Geruch von Uniformen waren sie gewohnt. Durch die ganze Herde lief er und suchte sich am anderen Ende ein Tier aus, von dem er glaubte, daß es genug Feuer besaß, ihn über den Zaun zu tragen. Er zog sich hinauf. Das Tier trat sofort auf der Stelle. Hart setzte er die Sporen an und stieß einen schrillen Schrei aus. Das Tier schoß vorwärts. Die gesamte Herde geriet in Bewegung. An den Feuern richteten sich die Wachen auf. Der Anlauf war lang genug. Captain Concho riß den Feldhut vom Kopf und peitschte damit das Tier vorwärts. Ein eleganter Sprung war das – hoch und weit genug. Im gestreckten Galopp jagte Captain Concho nach Westen in die Nacht hinaus. Geschrei brandete hinter ihm empor. Dann fielen auch Schüsse. Aber da war er schon nicht mehr zu treffen. Die Yankees konnten ihn noch hören, aber nicht mehr sehen. * Benson nahm den Feldstecher an die Augen und fluchte. Harrison trabte an ihm vorbei. »Die Wagen in Deckung und alles nach vorn!« rief er mit ruhiger Stimme. Benson ließ den Feldstecher sinken und schaute sich um. Eine ganze Schwadron kam direkt auf das Gestrüpp zugeritten. Im Schritt. Links befand sich Wald. Aber die Bäume standen zu dicht. Da kamen sie mit den Wagen niemals durch. Die Männer sammelten sich hinter ihm. Die Farmerwagen und die beiden Kutschen waren nicht zu sehen. 98 �
»Wir reiten durch den Wald!« rief Benson mit lauter Stimme, und wies den Männern die Richtung. »Willst du die Wagen stehen lassen?« fragte Lieutenant Beifort betroffen. »Sind alle Männer hier?« »Acht Posten befinden sich bei den Wagen!« rief Sergeant Gray. »Verdammt, ich habe alle nach vorn befohlen!« rief Harrison. Sergeant Gray peitschte seinen Grauen aus der Reihe und ritt zu den Wagen. »Alles aufsitzen und nach vom.« »Beeilung!« schnarrte Benson. Die acht Reiter kamen aus dem Gestrüpp geritten. Benson hob die Faust. »Antraben!« rief er und ließ das Pferd angehen. Die Männer wollten sich in Doppelreihe formieren. »Aufschließen!« rief Benson. »Dicht aufschließen. – Galopp! Hoho, Galopp!« Ein Ruck lief durch die Reihen. Die Abteilung fiel in Galopp und jagte dichtgeschlossen den Hang empor zum Wald. Nicht nur Benson – alle beobachteten die Yankee-Schwadron. Sie hielt ein! Doch nur einen Moment. Dann hatten die Offiziere da drüben den Feind erkannt und nahmen die Verfolgung auf. Kommandos schallten herüber. »Zusammenbleiben!« rief Benson mit scharfer Stimme. Im dichten Pulk galoppierte die Abteilung die Anhöhe empor und jagte in den Wald hinein, verfolgt von einer ganzen Schwadron. Benson dachte nicht daran, die Gefangenen aufzugeben. Er hatte darauf gesetzt, daß die Yankees die grauen Uniformen erkennen und die feindliche Truppe verfolgen würden. Und diese Rechnung ging auch bis dahin auf. 99 �
Die Schwadron blieb den Männern auf den Fersen. Nun kam es darauf an, sie abzuschütteln oder sie in einem kurzen Gefecht in die Flucht zu schlagen, damit sie später zu den Wagen zurückkehren und mit den Gefangenen weiterziehen konnten. Schnell durchquerte die Abteilung den Waldstreifen. Auch dahinter stieg das Gelände an. Wallartige Terrassen bedeckten den weiten Hang. Weiter oben standen Bäume und Gestrüpp. Benson zog blank. »Bis zu den Bäumen!« rief er lautstark, damit ihn auch jeder verstehen konnte. »Dort gehen wir in Stellung.« Beifort bestimmte die Pferdehalter. Augenblicke später erreichten sie den Vegetationsgürtel auf dem Höhenzug. »Absitzen!« rief Benson, sprang aus dem Sattel und zückte den Revolver. »Absitzen und in Stellung gehen! Schützenlinie bilden!« Unten galoppierte die Schwadron in Doppellinie aus dem Wald. Weit auseinandergezogen. Die Männer hasteten an Benson vorbei und warfen sich ins Gras. Die vier Pferdehalter trieben die Tiere ins Dickicht hinein. »Karabiner durchladen und entsichern!« dröhnte Bensons Stimme. »Salve – Feuer!« Die Karabiner dröhnten, und diese Salve traf die Schwadron wie ein Faustschlag. Männer und Pferde stürzten getroffen zu Boden. Nach der dritten Salve befahl der Schwadron-Chef die Männer in den Wald zurück. Das gleichmäßige Dröhnen und Krachen ging in ein wildes Knattern über und brach dann jäh ab, als die feindliche Kavallerieeinheit zwischen den Bäumen verschwunden war. Gefallene und verwundete Männer lagen vor den ersten Bäumen zwischen getroffenen Pferden. »Weiter!« rief Benson. »Alles zu den Pferden und aufsitzen!« 100 �
Die Männer in ihren durchschwitzten und schmutzigen grauen Uniformen erhoben sich und rannten den Hang hinauf ins Dickicht. Die drei Lieutenants verließen die Stellung als letzte. Da erst krachten Schüsse am Waldrand. Geduckt rannten die drei Seite an Seite zu den Männern, die ihre Pferde wieder übernommen hatten und aufsaßen. Benson schwang sich in den Sattel und reckte den Säbel empor. »Antraben!« Dicht geschlossen überwanden die Männer die Höhe und trabten den Hinterhang hinab. Benson wollte zu einem weiten Bogen ansetzen und zu den Wagen zurückreiten. Doch die feindliche Schwadron blieb ihnen auf den Fersen, wenn der Abstand inzwischen auch eine volle Meile betrug. Ein anstrengender Ritt wurde das, der Männer und Pferde forderte. Auf beiden Seiten. Unablässig ließen die Männer die Blicke schweifen. Schließlich befanden sie sich noch immer tief im feindlichen Hinterland. Als die Sonne sank, blieben die Yankees zurück. Auch ihre Pferde waren ausgelaugt und waren mit den Kräften am Ende. Sie benötigten Ruhe und Wasser! Benson reckte sich im Sattel und erkannte weit im Süden ein einsames Gehöft. Dort würde es bestimmt Wasser geben! Die zwei Meilen mußten sie noch schaffen. Kurz bevor sie die Gebäude erreichten, ließ Benson in Doppellinie ausschwärmen und befahl, die Karabiner zu entsichern. Seite an Seite ritt er mit Harrison durch das Tor und hielt. Kein Mensch rührte sich. Nicht einmal ein Hund bellte. Das Gehöft war von seinen Bewohnern verlassen. »Einrücken!« rief Benson den Männern zu. 101 �
Er ritt mit Harrison weiter, und die Abteilung schloß sich zusammen und trabte hinter ihnen in das Anwesen. Benson und Harrison schritten durch alle Räume. Die Bewohner waren geflohen. »Wir bleiben bis Tagesanbruch hier!« entschied Benson. »Wachen einteilen und in einer halben Stunde mit dem Pferdetränken beginnen.« Harrison reckte sich und schritt hinaus. * Captain Concho zog den Braunen am Halfter aus dem Heuschober. Der Tag ging zur Neige. Die Dämmerung brach an. Er zog sich auf den Rücken des wackeren Pferdes und ritt an. Das Tier benötigte Wasser. Den ganzen Tag hatte er sich in dem Heuschober versteckt gehalten. Nun mußte er sich nach einem Bach umsehen. Er war ebenfalls durstig und hungrig. Doch deshalb wollte er nicht Kopf und Kragen riskieren. Bis zu den eigenen Linien mußte er durchhalten. Weit konnte die Front nicht mehr sein. Er ritt auf einen Hügel und hielt unter einem Baum an. Eine weite trockene Ebene schien das zu sein. Da krümmte sich kein Bach durch das Terrain und einen Tümpel oder See sah er auch nicht. Da fiel sein Blick auf ein einsames Gehöft. Die Entfernung betrug keine Meile. Angestrengt sah er hin. Aber nirgends war da Bewegung zu erkennen. Er verließ den Höhenzug und ritt im Schritt darauf zu. Kein Licht brannte. Auch Feuer war nicht zu sehen, in diesen Zeiten und in dieser Gegend stets ein untrügerisches Zeichen, 102 �
daß da Soldaten lagerten. Langsam ritt er auf das Tor zu, den Revolver in der Faust und den Blick überall. Kein Hund schlug an. Der Ziehbalken des Brunnens ragte einsam zum Sternenhimmel empor. Hinter dem Tor hielt er an. Deutlich war das Geräusch von Pferden zu vernehmen. Da traten auch prompt zwei Gestalten links und rechts an ihn heran. Uniformierte Gestalten. »Halt! Parole!« Captain Concho stemmte die Hände auf die Schenkel. Das war doch Sergeants Grays Stimme gewesen! »Parole!« forderte Sergeant Gray und lud den Karabiner durch. »Captain Concho!« sagte er. Wie erstarrt standen die Männer da. »Wollt ihr die Knarren nicht runternehmen?« fragte er amüsiert und stieg ab. »Lieutenant Benson!« zischte Gray. »Der Commander!« Captain Concho blieb überwältigt stehen. Der Braune setzte sich in Bewegung und stapfte über den hartgetretenen Boden zum Brunnen. »Captain?« Concho sah sich um. Nun schlug ihm das Herz doch für Augenblicke bis an den Hals. Gott sei Dank waren das Konföderierte, auch noch seine Leute. Von allen Seiten traten sie aus der Nacht auf ihn zu. Dann stand Benson vor ihm. »Mensch, Concho!« sagte er bewegt. Auch Captain Concho würgte es im Hals. »Soll ich antreten lassen?« fragte Benson. Captain Concho griff nach seiner Hand. »Sind wir komplett?« 103 �
»Bis auf Freeman und Pollard, Sir!« »Ich weiß!« Er blickte in die Runde. »N'abend, Leute!« »Guten Abend, Captain!« raunten die Männer im Chor. »Dann macht mal weiter!« Die Männer traten zurück. Harrison und Beifort standen hinter Benson. Captain Concho gab jedem die Hand. »Ich habe Durst wie mein Pferd«, sagte Captain Concho und schritt zum Brunnen, gefolgt von seinen Lieutenants. Der Braune stand am Brunnen und wieherte dumpf. Captain Concho griff nach dem Eimer und ließ ihn fallen. Benson wollte ihn hochziehen. Doch das ließ sich der Captain nicht nehmen. Er holte den Eimer hoch und stellte ihn vor den Braunen, der sofort in langen Zügen zu saufen begann. Captain Concho klopfte ihm den Hals und nahm den Feldhut ab. »Na, nun mach mal einer eine Meldung!« Benson berichtete, und Captain Concho hörte zu, holte dabei noch einen Eimer herauf, den er abermals dem Braunen überließ. Erst aus dem dritten Eimer trank er selbst, den Rest goß er sich über den Kopf. Dann erzählte er von seinen Erlebnissen. »Um Himmels willen, die Lady ist eine von uns?« meinte Benson betroffen. »Ich glaube, unsere Leute hätten in den Bergen auf sie geschossen. Schließlich bestand der Befehl nach wie vor, jeden Flüchtenden niederzumachen, um das Unternehmen nicht zu gefährden.« »In Ordnung, Benson, wir ziehen im Morgengrauen weiter, und auf die Gefangenen verzichten wir. Nachtruhe ist hiermit be…« Er drehte sich um. Vor dem Haus saßen einige Männer beisammen und sangen leise ein altes Reiterlied, dessen Text Captain Concho das erste Mal in der Unionskavallerie gehört hatte. Die Männer sangen den Refrain. 104 �
»… hurtig sind, wie der Wind Captain Conchos Reiter!« klang es herüber. Er schritt auf die Männer zu. »Lied aus!« befahl er. »Nachtruhe ist hiermit befohlen. Hurtig sind, wie der Wind – die alten Reiter, lautet der Text. Und nur den will ich hören.« * Der Morgen graute, als Benson die Feldwachen einziehen und die Abteilung antreten ließ. Captain Concho trat vor die Front und nahm Bensons Meldung entgegen. »Guten Morgen, Männer!« »Guten Morgen, Captain!« antwortete die Abteilung. Captain Concho ließ den Blick schweifen. »Dann mal ab und nach Hause! Aufgesessen!« Die Männer ruckten in die Sättel. Benson wollte sein gesatteltes Pferd abtreten. Doch Concho winkte ab und schwang sich auf den ungesattelten Braunen. »Anreiten!« Die Abteilung verließ das Gehöft und Captain Concho führte die Männer nach Süden. In der folgenden Nacht passierten sie weit im Westen die Stellungen der Nordstaatler und erreichten zwei Tage später die eigene Linie. Es handelte sich um das neu aufgestellte siebente InfanterieRegiment, das Warrenton einst geführt hatte. Der neue Kommandeur war ein Major, bei dem sich Captain Concho meldete. Der Major gab ihm die Hand. »Ich bin zu General Lee befohlen«, erklärte Captain Concho. 105 �
»Wissen Sie, wo sein Stab liegt?« »Da habe ich aber einen anderen Befehl erhalten«, schnarrte der Major und kramte auf seinem Kartentisch nach Papieren. »Da ist ein Befehl von General Jackson eingegangen. Sie sind mit Ihrer Abteilung mir unterstellt, um Patrouillendienste zu übernehmen. Sie haben keine Ahnung, wie sehr ich auf Sie und Ihre Reiter schon warte. Wie stark ist Ihre Abteilung!« »Achtundzwanzig Mann, Sir!« Der Major starrte ihn an. »Was soll ich denn damit?« »Führen Sie Ihre Leute ans Dorfende. Dort hat man für dreihundert Reiter Quartier gemacht.« Captain Concho meldete sich ab, schritt aus dem Haus, vor dem seine Abteilung auf den Pferden wartete. Er saß auf und ließ anreiten. Benson trabte an seine Seite. »Wohin? Direkt zu Lee?« Captain Concho lächelte. »Orden, Benson, werden erst nach dem Krieg verteilt. Wir beziehen in diesem Kaff Quartier. Wir sind wieder dem siebten Regiment unterstellt.« Noch am Abend ritt Harrison mit fünf Reitern auf Patrouille. Captain Concho hatte es sich mit seinen Offizieren in einem Bauernhaus bequem gemacht. Sie hatten Verpflegung empfangen, und die Männer saßen draußen vor dem Haus beisammen und sangen die alten Soldaten- und Reiterlieder. »… hurtig sind, wie der Wind Captain Conchos Reiter!« Es dauerte gar nicht lange, bis er das hörte. Finnewacker hatte den Song angestimmt. Captain Concho trat ans Fenster. »Lied aus!« rief er hinaus, bevor Finnewacker die zweite Strophe anstimmen konnte. »Finnewacker, zu mir.« Der große Bursche betrat kurz darauf den Raum und meldete sich zur Stelle. 106 �
Captain Concho musterte den wackeren Kerl und winkte ab. »Schon erledigt! Abtreten!« Zusammenstauchen hatte er ihn wollen. Schließlich hatte er wegen dieses Liedes einen klaren Befehl gegeben. Finnewacker riß die Sporen aneinander und salutierte. »Sir!« Er machte schneidig kehrt und trat ab. Captain Concho stand noch lange am Fenster und schaute in die hereinsinkende Nacht hinaus. Wohin würde er solche Männer noch führen müssen? ENDE
Spähtrupp der Todgeweihten Dies ist der Titel von Band 2 der neuen, außergewöhnlichen Western-Reihe aus dem Bastei-Verlag. Auch diesen faszinierenden Roman schrieb Spitzenautor BILL MURPHY. Alarm in Tennessee! Ganze Schwadronen Yankee-Kavallerie sind plötzlich im Gebiet der Konföderierten aufgetaucht, weit im Westen von der Front. Was haben die Nordstaatler vor? Wollen sie etwa im Rücken von General Lee eine neue Armee aufstellen, um ihn dann in die Zange nehmen zu können? Ein furchtbarer Gedanke. Im Regimentsstab herrscht Ratlosigkeit. Nicht eine einzige kampfstarke Einheit steht zur Verfügung… Da wird Captain Concho auf Spähtrupp geschickt. Mit zehn Mann. Sie sollen nur die Lage auskundschaften, aber auf einmal ist der Teufel los…
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