Das Höllentor
Charly Catfield lief um sein Leben. Er mußte ein Telefon erreichen, denn die Mächte der Hölle waren ihm ...
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Das Höllentor
Charly Catfield lief um sein Leben. Er mußte ein Telefon erreichen, denn die Mächte der Hölle waren ihm auf den Fersen. Wenn er die Insel schon nicht verlassen konnte, wollte er wenigstens John Sinclair warnen. Sinclair, der Geisterjäger, war wahrscheinlich der einzige Mensch, der das drohende Unheil abwenden konnte. Charly Catfield rannte in den Bungalow und packte den Telefonhörer. Mit zitternden Fingern begann er zu wählen. Es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, denn draußen vor dem Haus versammelten sich schon seine Mörder . . . Dieser Roman erschien in der John-Sinclair-Erstdruckreihe als Band 72.
Scanned December 2004 by Binchen71
Not for sale
Die Nummer von Scotland Yard kannte Charly Catfield auswendig, und die Vorwahl für Großbritannien hatte er sofort nach seiner Ankunft auf der Insel auswendig gelernt. Wären seine Finger nicht so eiskalt gewesen, hätte er die Nummer noch viel schneller geschafft. Er fieberte vor Ungeduld, als er dem Klicken und Rattern in der Leitung lauschte. Hoffentlich war nicht besetzt! Hoffentlich kam die Verbindung überhaupt zustande! Im Raum brannte kein Licht. Charly Catfield wagte nicht, es einzuschalten. Aber diese Bestien wußten auch so, wo sie ihn finden konnten. Mit einem lauten Klicken rastete das letzte Relais auf der langen Strecke ein. Catfield hörte das doppelte Tuten, das britische Rufzeichen. Er biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Der Schnee auf seiner Pelzmütze schmolz. Das Wasser tropfte auf den Telefonapparat. »Warum dauert das so lange!« flüsterte Catfield nervös. »Scotland Yard, guten Abend!« sagte eine ruhige, freundliche Frauenstimme. Es hörte sich an, als säße die Telefonistin im Nebenraum, laut, klar und deutlich. »Schnell, Oberinspektor Sinclair!« stieß Catfield hervor. »Es geht um Sekunden!« »Moment!« Das klang schon nicht mehr so verbindlich, so freundlich. Es dauerte ein paar Sekunden, dann war die Frauenstimme wieder da. Sie sprach hastig und besorgt. Offenbar hatte sie erkannt, daß es nicht um einen weggeflogenen Wellensittich ging. »Oberinspektor Sinclair ist nicht im Haus, Sir. Kann ich etwas ausrichten?« »Seine Privatnummer, schnell!« preßte Catfield zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Seine Hände zitterten. Er fühlte, daß er nur mehr Sekunden zu leben hatte, auch wenn sich seine Mörder noch nicht zeigten. Die Telefonistin gab die Nummer durch. Charly Catfield wiederholte sie laut, um sie sich zu merken. Er ahnte nicht, daß sein ärgster Feind bereits hinter der Tür stand und jedes Wort hörte. Auch die Telefonnummer des Geisterjägers. Kaum hatte die Telefonistin die letzte Ziffer genannt, als Catfield die Gabel drückte. Noch einmal wählen! Erst die Vorwahl für Großbritannien, dann die
Eins für London, endlich die Nummer des Geisterjägers! Die Tür öffnete sich. Ein eisiger Windstoß fauchte in den Raum und trieb Schneewolken herein. Charly Catfield reagierte blitzschnell. Während er den Hörer ans Ohr preßte, griff er mit der anderen Hand nach seiner Pistole. Als der Mann in den Raum trat, drückte Catfield ab. Sechsmal. Dann war das Magazin der Pistole leer. Fassungslos ließ Catfield die Waffe sinken. Alle sechs Kugeln hatten getroffen, doch der Mörder stand noch immer aufrecht und zeigte nicht die geringste Wirkung. Der Eindringling hob beschwörend die Hände und richtete sie auf Catfield. »Nein, um Himmels willen, nein!« brüllte Charly Catfield verzweifelt. Aus dem Hörer drang das Rufzeichen. Dreimal, viermal. Zwischen den Händen des Mörders entstand eine gelbe Wolke, löste sich und schwebte auf Catfield zu. Als sie ihn einhüllte, drehte sich der Eindringling um und verließ den Raum. Die Tür blieb offen. Catfiels Augen wurden starr. Wie aus weiter Ferne hörte er eine Stimme, ungeduldig und drängend. Er raffte sich noch einmal auf. Er mußte den Geisterjäger warnen. Vorher durfte er nicht sterben! *** Weihnachten war vorbei. Es ging auf Silvester zu. Der bevorstehende Jahreswechsel war ein Anlaß zum Feiern, auch wenn noch vier Tage fehlten. Es war Sonntag, ein dienstfreier Sonntag. Auch das war ein Anlaß zum Feiern. Deshalb hatte ich nichts dagegen, als Suko um sieben Uhr abends an meiner Tür klingelte und eine Flasche mitbrachte. Ab und zu ein guter Schluck, noch dazu wenn ich keinen Dienst hatte, war nicht zu verachten. Da saßen wir nun seit vier Stunden, Suko und ich, und sprachen über unsere gemeinsamen Erlebnisse, über Shao, über Jane. Eigentlich hatte ich den Abend mit Jane Collins verbringen wollen, aber sie hatte bedauernd abgewunken. Sie hatte einen dringenden Fall am Hals, und für Privatdetektive gab es keine geregelten Arbeitszeiten. Es war aber auch so ein gelungener Abend. Wir hatten genügend Gesprächsstoff, so daß ich nicht gerade begeistert
war, als um elf Uhr nachts das Telefon klingelte. Die Störung paßte mir nicht, weil wir gerade über den Schwarzen Tod und Myxin, den Magier, sprachen und darüber, wie wir den Magier aus seinem langen Schlaf geweckt hatten. »Geh einfach nicht ran, John«, meinte Suko und verzog sein Pfannkuchensicht zu einem breiten Grinsen. »Du bist eben nicht daheim.« Ich seufzte und hob ab. »Ich habe so etwas wie ein Gewissen, mein Bester. Und vielleicht braucht man mich dringend. - Ja, hallo!« rief ich in den Hörer. Zuerst drang nur Rauschen und Knacken an mein Ohr. Die Verbindung war außerordentlich schlecht, vielleicht ein Auslandsgespräch. »Hallo, hören Sie mich?« rief ich. »Melden Sie sich!« Endlich kam auch eine Stimme durch, eine Männerstimme, aber sie war ganz schwach und verzerrt, so daß ich kaum ein Wort verstand. ». . . Gefahr, John . . . höchste Gefahr . . . beeilen . . .« »Hallo, spechen Sie lauter!« schrie ich. »Ich kann Sie fast nicht verstehen! Wer sind Sie?« » . . . weit weg . . . Tor . . . bald schon zu spät . . . John, hier ist . . . ist . . . Charly . . . Charly . . .« Plötzlich begriff ich. Es lag nicht nur an der schlechten Verbindung, sondern mit diesem Mann stimmte etwas nicht. Auch in den Momenten, in denen seine Stimme klar durchkam, sprach er gepreßt und röchelnd. »Wo sind Sie?« rief ich angespannt. »Sagen Sie mir, wo Sie sind, dann helfe ich Ihnen!« ». . . unmöglich . . . keine Chance . . . kann nicht weiterleben! Ich sterbe! Der Engel war da. Er hat alle Kräfte der Hölle . . . gegen mich entfesselt!« Ich lauschte gebannt. Schlagartig war die Verbindung hervorragend. Vielleicht handelte es sich doch um ein Ortsgespräch? Ich unterbrach den Anrufer nicht, weil er offenbar Schwierigkeiten hatte zu sprechen. »Ich habe keine Chance mehr«, fuhr er fort. »John, du mußt retten, was noch zu retten ist. Wenn sie das Höllentor finden, ist es zu spät. Der Wächter wird ihnen helfen! Ich . . ich bin am . . . Ende . . . John!« Nach diesem gequälten Aufschrei brach die Verbindung ab. Ich konnte machen, was ich wollte, ich hörte nichts mehr. Langsam ließ ich den Hörer auf den Apparat sinken. Suko beugte sich zu mir herunter. Sprungbereit stand er vor mir. »Was ist los?« fragte er gespannt. »Wer war das eben?« »Er nannte sich Charly.« Ich suchte in meiner Erinnerung und schüttelte den Kopf. »Ich kenne viele, die Charly heißen, aber ich habe keine
Ahnung, welcher Charly das war. Er scheint mich auf jeden Fall gut zu kennen.« »Weiter!« Suko fieberte danach, den Rest des Gesprächs zu erfahren. »Was hat er gesagt?« »Nicht viel.« Ich wußte noch jedes Wort. »Er hat von höchster Gefahr gesprochen, von einem Höllentor und einem Wächter. Und dann sagte er noch, er habe keine Chance mehr. Der Engel war bei ihm und hat alle Kräfte der Hölle gegen ihn entfesselt.« »Kräfte der Hölle!« Suko richtete sich energiegeladen auf. »Dann ist es also ein Fall für uns!« Ich sah zu dem baumlangen Chinesen hoch und nickte. »Sieht ganz so aus, Suko! Es scheint ein Fall für uns zu sein. Aber verrate mir, wo ich einhaken soll!« Er runzelte verblüfft die Stirn. So weit hatte er offenbar noch nicht überlegt. »Na . . . einhaken«, meinte er zögernd. Endlich zog ein Lichtschimmer über sein rundes Gesicht. »Bei diesem Charly! Du brauchst nur festzustellen, wer dich angerufen hat. Dann ist alles klar.« Ich sah ihn verblüfft an und mußte grinsen. »O ja, wirklich sehr einfach! Ich mache also eine Liste von ungefähr zweihundert Charlies und . . .« Suko zog ein enttäuschtes Gesicht und winkte ab. »So genau wollte ich es gar nicht wissen«, murmelte er und griff nach seinem Glas. *** Am folgenden Morgen mußte ich ins Büro. Ich hätte mir gern die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr freigenommen, doch das ging nicht. Es gab zuviel Arbeit. Während ich mit meinem silbermetallicfarbenen Bentley zum Yard fuhr, dachte ich über den Anruf nach. Die ganze Nacht hatte er mich nicht in Ruhe gelassen. Immer wieder war ich aufgewacht und hatte darüber nachgedacht. Einen schlechten Scherz schloß ich aus. Dazu hatte der Anruf zu echt geklungen. Wenn mich nicht alles täuschte, lebte der Anrufer nicht mehr. Er hatte mich wahrscheinlich mit letzter Kraft angerufen, um mich zu warnen. Charly! Wer konnte es nur sein? Und warum war die Verbindung so stark gestört gewesen? Es kam auch in London vor, daß das Leitungsnetz überlastet
war, aber nicht sonntags um elf Uhr nachts. Tief in Gedanken versunken fuhr ich im Yard mit dem Aufzug zu meinem Büro hoch und durchquerte das Vorzimmer. »Guten Morgen«, sagte ich ganz automatisch zu meiner Sekretärin. Normalerweise begann Glenda Perkins die Woche damit, daß sie mir einen neuen, viel zu engen Pulli präsentierte - natürlich an sich selbst - und daß sie einen heißen Flirt startete. Heute bekam ich nicht einmal Antwort auf meinen Gruß. Verblüfft wandte ich mich zu Glenda um. »Was ist denn los?« fragte ich erschrocken, als sie mit dem Handrücken ein paar Tränen wegwischte. »Stellen Sie sich vor, Catfield ist tot«, murmelte sie mit erstickter Stimme. »Ich habe es vorhin erfahren.« »Catfield?« Den kannte ich flüchtig, aber wieso traf es Glenda so hart. »Waren Sie mit ihm befreundet?« Sie schluckte schwer. »Ich habe mich oft mit ihm unterhalten, als er noch hier bei uns im Yard arbeitete. Und ich habe ihn einmal in seinem Büro besucht. Sie wissen doch, er hat eine Privatdetektei aufgemacht.« »Ja, ich weiß!« Catfield. Er hatte im Betrugsdezernat gearbeitet und war mir ein paarmal in der Kantine oder bei Besprechungen begegnet. Vor zwei Jahren hatte er dann die Nase von der Polizei voll gehabt und sich selbständig gemacht. Seither hatte ich nie mehr etwas von ihm gehört. »Wie ist es denn passiert? Er war doch noch jung.« »Siebenunddreißig.« Glenda brach erneut in Tränen aus. »Ich habe keine Ahnung, wie es pssiert ist. Ich weiß nur, daß Charly tot ist.« Ich wollte schon in mein Büro gehen, doch das gab mir einen Ruck. Ich wirbelte so schnell herum, daß Glenda zurückzuckte. »Was haben Sie eben gesagt?« rief ich. Sie machte große Augen. »Daß ich nicht weiß, wie es passiert ist, Mr. Sinclair.« »Nein, das meine ich nicht.« Ich mußte meine Ungeduld niederkämpfen. »Das andere! Wie hieß Catfield?« »Catfield«, antwortete sie verständnislos. »Charly Catfield.« *** Der Mann nannte sich Serapho. Im normalen Leben trug er einen ganz gewöhnlichen, unauffälligen Namen. Seinen Freunden und Mitver schworenen war er aber nur als Serapho bekannt.
Noch in der Nacht vom Sonntag auf den Montag erhielt er den Befehl, den Inhaber einer Londoner Telefonnummer ausfindig und unschädlich zu machen. Der Anruf kam aus dem Ausland und war sehr kurz. Viele Worte waren überflüssig. Wenn der Anführer selbst einen Befehl erteilte, stellten seine Mitarbeiter keine Fragen. Dann fügten sie sich wortlos. Serapho machte sich morgens sofort an die Arbeit. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, den Besitzer der Telefonnummer herauszufinden. Er hatte auch ein geeignetes Mittel, um diesen Mann ins Jenseits zu befördern. Es störte ihn allerdings, daß es sich um einen Oberinspektor von Scotland Yard handelte. Ob der Anführer das wußte? Serapho hätte gern rückgefragt, doch das konnte er nicht. Er wußte nicht, wo er seinen Meister erreichen konnte. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als den Befehl auszuführen. Oberinspektor John Sinclair mußte sterben. Der Mörder ging methodisch vor. Zuerst rief er bei Scotland Yard an und erkundigte sich, ob der Oberinspektor in seinem Büro war. Er war es, und bevor der Anruf auf seinem Schreibtisch landete, hängte Serapho ein. Dann fuhr er zu dem modernen Apartmenthaus, in dem Sinclair wohnte. Hier gab es die nächste Schwierigkeit, nämlich einen Pförtner. Serapho trug Arbeitskleidung und einen Werkzeugkasten. Doch das allein genügte nicht. Er kam an dem aufmerksamen Wächter des Hochhauses nicht vorbei. »Zu wem wollen Sie?« rief ihn der Portier an, als er zu den Aufzügen gehen wollte. Serapho reagierte geistesgegenwärtig. Er hatte sich einen der Namen des Mieterverzeichnisses gemerkt. »Mrs. Hendergast hat mich bestellt, ihre Wasserleitung ist undicht«, antwortete er und zog seine Schirmmütze so weit ins Gesicht, daß der Portier ihn nicht genau sah. Der Pförtner rief bei Mrs. Hendergast an. Serapho wartete scheinbar ungerührt ab. Mrs. Hendergast war nicht zu Hause. »Macht nichts«, erklärte der Mörder und holte einen Schlüssel aus der Tasche. »Sie hat mir gestern den Schlüssel geschickt, damit ich auf jeden Fall heute reparieren kann. Ich komme schon zurecht.« Er konnte ungehindert passieren, fuhr zu John Sinclairs Apartment hinauf und öffnete die Tür mit einem Dietrich. Mit einem teuflischen Grinsen versteckte er die Bombe, die er in seinem Werkzeugkasten bei sich trug, unter der Sitzgarnitur. Dann schloß er die Augen und konzentrierte sich.
»Mächte der Finsternis, helft!« flüsterte er beschwörend. »Helft! Vollendet das Werk!« Nach einigen Minuten löste er sich aus seinem Trancezustand. Der »Zünder« war eingestellt. Jetzt gab es nichts mehr, was John Sinclair bei seiner Rückkehr in sein Apartment retten konnte. Von dem Portier unbemerkt verließ der Mörder das Hochhaus und tauchte im Gewühl der Passanten unter. *** Superintendent Powell zuckte erschrocken zusammen, als ich ohne Vor anmeldung in sein Büro stürmte. »Sinclair! Was ist denn passiert?« rief er. Ich blieb vor meinem Vorgesetzten stehen. »Das möchte ich von Ihnen hören«, antwortete ich. »Charly Catfield!« Er nickte verstehend. »Ach so, Sie haben es schon gehört. Ja, das ist eine böse Sache. Es hat ihn letzte Nacht auf Island erwischt. Wir haben es von der Polizei in Reykjavik erfahren. Catfield wollte Urlaub machen und hatte ein kleines Ferienhaus gemietet. Es liegt etwas außerhalb von Reykjavik. Am Morgen ist er tot aufgefunden worden. Ich glaube, es war Herzversagen.« »So, Sie glauben!« Ich stützte mich auf dem Schreibtisch ab und beugte mich zu Sir Powell hinunter. »Sie wissen nicht zufällig, wie er gefunden wurde?« Er sah erstaunt zu mir hoch. »Er wollte vermutlich noch nach einem Arzt telefonieren. Den Hörer hielt er in der Hand und . . .« Ich schüttelte den Kopf. »Irrtum, Sir. er hat mit mir telefoniert.« Ich schilderte Sir Powell den genauen Verlauf des Gesprächs und erklärte auch, daß es ein Fall für mich war. Sir Powell war einverstanden. Von Glenda ließ ich mir die Adresse von Catfields Büro in London heraussuchen und fuhr hin. Das Büro entpuppte sich als ein Raum seiner Privatwohnung. Seine Sekretärin war gleichzeitig seine Ehefrau gewesen. Sie gab mir bereitwillig Auskunft. »Viel weiß ich leider auch nicht«, sagte sie gefaßt. »Charly sollte für Mr. Athering etwas erledigen.« »Athering, der Millionär?« fragte ich überrascht. »Der seine Finger im Stahlgeschäft hat?« Sie nickte. »Sein Sohn Bill ist verschwunden. Charly hat dessen Spur
nach Island verfolgt. Mehr hat er mir nicht gesagt.« Anschließend besuchte ich Mr. Athering in seinem Monsterbüro, in dem man den halben Scotland Yard hätte unterbringen können. »Warum kümmert sich die Polizei um diese Angelegenheit?« fragte der Millionär unbehaglich, als ich ihm erklärt hatte, weshalb ich gekommen war. »Hätte ich polizeiliche Nachforschungen gewünscht, wäre ich zu Scotland Yard gegangen.« »Sie haben es aber vorgezogen, einen Privatdetektiv anzustellen«, sagte ich unbeeindruckt. »Ich weiß. Charly Catfield. Er ist tot. Deshalb bin ich hier.« Die Nachricht von Catfields Tod erschütterte Athering zwar nicht beson ders, aber nach zehn Minuten hatte ich ihn so weit, daß er mit der Sprache herausrückte. Demnach hatte sein Sohn Bill erklärt, er wolle nichts mehr von seinem Vater und seinen Millionen wissen. Er habe etwas Besseres gefunden. »Seit dieser Auseinandersetzung ist Bill verschwunden«, schloß Mr. Athering seinen wenig aufschlußreichen Bericht. »Island, sagen Sie? Wieso Island?« Ich stand seufzend auf. »Ich hatte gehofft, genau das von Ihnen zu erfah ren, Mr. Athering«, antwortete ich und verabschiedete mich enttäuscht. Von meinem Apartment aus wollte ich Jane Collins anrufen und sie einladen, mich nach Island zu begleiten. Suko traf ich vermutlich zu Hause an, also zwei Schritte von meinem eigenen Apartment entfernt. Ich brachte den Bentley in die Tiefgarage des Hochhauses und fuhr zu meiner Etage hinauf. Nichtsahnend näherte ich mich meiner Wohnungstür. *** So hoch im Norden wurde es im Winter auch tagsüber nicht hell. Island lag in Dunkelheit. In den Städten und Dörfern brannte in den Häusern Licht. Vor den Fenstern tanzten Schneeflocken in einem leichten Wind hin und her. Die Menschen ahnten nicht, was sich in einem anderen Teil der Insel abspielte. Dort türmten sich über dem festen Land riesige Wolkenmassen auf. Blitze zuckten auf die Erde herunter. Der Donner rollte pausenlos. Orkanartige Stürme fegten über die schneebedeckten Hügel, trieben Fontänen von Eiskristallen hoch und erfüllten die Luft mit orgelndem Jaulen und Heulen. Von Zeit zu Zeit brach die Erde auf. Haushoch schossen dampfende
Wasserstrahlen hervor und gefroren unter dem mörderischen Sturm zu Eis. Die Eissäulen kippten zur Seite und zersprangen auf dem harten Boden. Der Wind trieb die Trümmer vor sich her. Spalten klafften auf, gelbe Schwefeldämpfe stiegen zischend hervor, hielten sich einige Sekunden lang und wurden verweht. Dann war die ganze Gegend von einem unerträglichen Pesthauch erfüllt. An manchen Stellen schmolz die dicke Schneedecke und brach ein. Brodelnde, kochende Sümpfe kamen zum Vorschein, bildeten in Sekundenschnelle eine neue Eiskruste und wurden zugeschneit. Es war ein Land, das Menschen verschlossen sein mußte. Hier konnte niemand leben. Und doch stand ein alter Mann, auf einen Stab gestützt, inmitten der tosenden Urgewalten. Ruhig schweifte sein Blick über die dunkle Landschaft. Sein zahnloser Mund formte fremdartige Laute, unverständliche Worte. Die Kleidung hing in Lumpen um seinen hageren Körper. Durch zahlreiche Löcher pfiff der Wind. Es machte dem Alten nichts aus. Endlich löste er sich aus seiner Erstarrung und ging mit weit ausgreifenden Schritten über ein ebenes Schneefeld. Er hatte noch nicht die Hälfte der weißen Fläche überquert, als der Schnee vor ihm aufbrach. Giftige Schwefeldämpfe hüllten den Mann ein. Kochendes Wasser schoß aus der Tiefe hervor. Direkt vor seinen Füßen war ein ebenfalls kochender Morast von Dampfblasen. Der Alte schritt unbeirrt weiter. Seine Beine versanken im Sumpf. Tiefer und tiefer geriet er in den übelriechenden Morast, während er un beirrt auf den Mittelpunkt des Schneefeldes zusteuerte. Sekunden später war er in der heißen schlammigen Masse verschwunden. Über ihm erstarrte die Oberfläche des Sumpfes zu Eis. Der Geysir verwandelte sich in eine Eissäule, die der Sturm umwarf und zerschmetterte. Dichte Schneewolken verteilten sich auf dem zugefrorenen Schlammloch bis keine Spur mehr zurückblieb. Der Orkan steigerte seine Wut. Die Luft erzitterte unter den jaulenden Tönen. Die Menschen in ihren lichterfüllten, warmen Häusern ahnten nichts davon. Sie sahen nur die sanft auf die Erde fallenden Schneeflocken und freuten sich über den stillen Winter dieses Jahres.
***
Ich hörte das Telefon schon auf dem Korridor. Wie immer, wenn man sich besonders beeilt, funktionierte gar nichts. Zuerst fand ich den Schlüssel nicht, dann fiel er mir aus der Hand, und zuletzt hakte das Schloß. Endlich hatte ich die Tür offen, knallte sie hinter mir wieder zu und stürmte zum Telefon, riß den Hörer ans Ohr und meldete mich. »Na endlich!« Jane Collins lachte unbeschwert. »Ich habe im Yard erfahren, daß du nicht da bist, deshalb probiere ich . . .« Mehr hörte ich nicht. Um den Hals trug ich ein geweihtes silbernes Kreuz. Von diesem Kreuz aus schossen gleißende Strahlen nach allen Seiten und hüllten mich in einen durchsichtigen Käfig aus Licht ein. Im selben Moment flog mein Apartment in die Luft. Ich sah einen orangeroten Lichtblitz und ließ mich instinktiv fallen. Der Lichtkäfig wanderte mit mir, hüllte mich noch immer ein. Die Sofas lösten sich auf. Die Trümmer flogen mir um die Ohren. Flammen leckten nach allen Seiten. Die Fenster splitterten, die Lampen barsten. Die Wand zur Nachbarwohnung wölbte sich. Tiefe Risse entstanden. Endlich stürzte die Mauer in sich zusammen. Und ich lag mitten in diesem Inferno auf dem Boden, eingehüllt in die schimmernden, durchsichtigen Fäden - und spürte von alldem nichts! Ich war wie betäubt, aber nur von dem Schock. Weder die herumsirrenden Splitter der Bombe noch die Trümmer meiner Einrichtung trafen mich. Sie glitten an der leuchtenden Hülle ab. Auf der anderen Seite der zerschmetterten Trennwand richtete sich Suko auf. Die Explosion hatte sich auf der Seite zu seinem Apartment ereignet. Er war blaß, soweit ich das bei seiner Hautfarbe überhaupt sehen konnte, und riß seine schmalen Augen weit auf. Fassungslos blickte er dorthin, wo sich vor wenigen Sekunden noch eine massive Mauer befunden hatte. Dann sah er mich. »John!« rief er, wollte zu mir herüberlaufen, prallte jedoch zurück. Ich konnte mir den Grund denken. Es war die leuchtende Aura, die ihn stocken ließ. Ich raffte mich auf. Es bestand keine Gefahr mehr. Genau so plötzlich, wie sie entstanden war, verschwand die schimmernde Erscheinung. Suko holte tief Luft, sprang über die Reste der
Mauer hinweg und blieb vor mir stehen. Er deutete auf meine Brust. »Das Kreuz«, murmelte er. »Ich habe es ganz deutlich gesehen! Es hat diesen Käfig erzeugt!« »Der mir das Leben gerettet hat«, ergänzte ich. »Ich verstehe nur nicht, wieso es auf eine gewöhnliche Bombe angesprochen hat. Es schützt mich oft vor Gefahren durch Dämonen, aber eine Bombe . . .?« Wir konnten nicht weitersprechen, weil draußen auf dem Korridor Stim mengewirr aufbrandete. An der ebenfalls zerstörten Eingangstür versammelten sich die Nachbarn. Unten auf der Straße gellten Sirenen. Der Portier drängte sich zwischen den Leuten durch, stürmte in mein Apartment und blieb fassungslos stehen. »Was ist denn hier passiert!« rief er aus. Ich zuckte die Schultern. »Wir haben beschlossen, daß wir unsere Apartments zu einer Großwohnung vereinigen«, antwortete ich, aber er schien mir nicht zu glauben. *** Mit dem Feuerlöscher vom Korridor erstickten wir die schwelenden Glutnester, die durch die Explosion entstanden waren. Dann war auch schon die Feuerwehr zur Stelle. Spezialisten untersuchten den Fußboden und die Decke, doch wenigstens daran war kein Schaden entstanden. »Der Druck hat sich nach allen Seiten entladen«, erklärte mir der Brandmeister. »Ein Wunder, daß Sie überlebt haben.« Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern verständigte von Sukos Wohnung aus die Bombenspezialisten von Scotland Yard. Sein Telefon war heil geblieben, während sich meines in sämtliche Bestandteile aufgelöst hatte. Als ich das Gespräch beendet hatte, starrte ich auf Sukos Apparat. Plötzlich erinnerte ich mich. »Jane!« rief ich und wählte hastig ihre Nummer. »Sie hat mit mir gesprochen, als es passierte. Sie macht sich bestimmt schon Sorgen!« Suko tippte mir auf die Schulter, während ich im Hörer nur Tuten ver nahm. »Sie macht sich wirklich Sorgen«, sagte er grinsend und deutete zum Eingang. Jane Collins stand in meinem Apartment und starrte entsetzt auf die Trümmer. Als sie mich entdeckte, kam sie zu uns herüber und fiel mir um den Hals. »John, ich hatte solche Angst!« rief sie lachend und weinend. »Ich habe
die Explosion noch gehört, bevor die Verbindung abbrach. Und dann die vielen Polizeiwagen und die Feuerwehr vor dem Haus! Ich . . . ich habe schon geglaubt . . .« Ich drückte sie an mich. »Ist ja noch einmal gut gegangen«, murmelte ich. Und dann erzählte ich ihr genau, wie sich alles abgespielt hatte. Sie hörte mir ungläubig zu, hatte aber auch keine Erklärung dafür, daß mich das Kreuz gerettet hatte. Einer der Bombenspezialisten kam zu uns über die Mauertrümmer geklettert. Er musterte mich merkwürdig forschend. »Haben Sie in Ihrem Apartment etwas verändert, Herr Oberinspektor?« erkundigte er sich. Ich schüttelte erstaunt den Kopf. »Wie kommen Sie auf diese Idee?« Er druckste herum, bis er endlich mit der Sprache herausrückte. »Wir haben alles abgesucht, aber keinen Zünder gefunden. Können Sie mir sagen, wie eine Bombe ohne Zünder hochgehen kann?« Ich starrte ihn verblüfft an. In meinem Kopf ordneten sich die Gedanken. »Schon gut, danke«, murmelte ich und wartete, bis der Kollege gegangen war. Dann erst wandte ich mich an meine Gefährten. »Das könnte die Lösung sein! Kein Zünder! Das heißt, kein herkömmlicher Zünder! Und deshalb hat das Kreuz angesprochen und mich geschützt.« Jane Collins begriff sofort. »Du meinst, daß die Bombe durch dämoni sche Kräfte gezündet wurde?« »Eine andere Erklärung habe ich nicht«, antwortete ich. »Aber warum?« rief Suko, »John, verheimlichst du uns etwas? Arbeitest du an einer brisanten Sache?« »Da ist nur der Anruf von gestern abend, und den hast du selbst miterlebt.« Ich grinste flüchtig. »Außerdem, was heißt hier verheimlichen? Es gibt Vorschriften. Und die besagen, daß ein Oberinspektor von Scotland Yard nicht mit jedem über seine aktuellen Fälle sprechen darf.« »Wir sind nicht jeder«, erklärte Jane Collins entschieden. »Also, was läuft gegenwärtig bei dir?« Fünf Minuten später wußten sie alles, angefangen von Charly Catfields überraschendem Tod auf Island bis zu meinem Entschluß, selbst nach Reykjavik zu fliegen. Wie erwartet, bekam ich sofort zwei Begleiter. Suko widmete sich ohnedies mit Begeisterung der Bekämpfung von Geistern und Dämonen. Und Jane Collins verzichtet auf den lukrativsten Auftrag als
Privatdetektivin, wenn sie mit mir auf Einsatz gehen kann. Shao wollte dagegen nicht mit. Ich rief noch einmal im Yard an und bat Glenda, auch für Suko und Jane Tickets nach Island zu reservieren. »Und dann noch etwas, mein Engel«, fügte ich absichtlich so laut hinzu, daß Jane vor Eifersucht schmale Augen bekam. »Sorgen Sie dafür, daß mein Apartment wieder bewohnbar ist, wenn ich zurückkomme? Sie können doch so gut organisieren.« »Wird erledigt«, versprach Glenda geschmeichelt. »Du kannst ja deine Glenda nach Island mitnehmen, wenn sie so fabelhaft ist«, versetzte Jane bissig. Ich winkte ab. »Glenda kann nicht so herrlich wütend werden wie du, Darling!« antwortete ich und kletterte in mein Apartment hinüber, um das wichtigste Gepäckstück für meine Reise zu holen. Meinen Spezialkoffer. *** Der Mann, der sich Serapho nannte, war hundertprozentig davon überzeugt, daß sein Anschlag gelungen war. Er hatte die Bombe mit seinen übersinnlichen Fähigkeiten so eingestellt, daß sie nur dann explodierte, wenn sich John Sinclair in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielt. Sie war explodiert. Das bedeutete, daß Sinclair direkt daneben gestanden hatte. Und so etwas überlebte kein Mensch. Schon wollte sich Serapho von dem Hochhaus entfernen, vor dem er auf den Erfolg seines Unternehmens gewartet hatte, als ihn eine innere Stimme warnte. Er drückte sich tiefer in den Hauseingang des gegenüberliegenden Gebäudes und beobachtete weiter. Polizei und Feuerwehr rückten an, dazu ein Krankenwagen. Der Einsatz war jedoch sehr schnell zu Ende. Verdächtig schnell, fand Serapho. Es kam kein Leichenwagen. Vergeblich wartete er auch auf die Wagen der Mordkommission. Nach etwa zwei Stunden rollte ein silbergrauer Bentley aus der Tiefgarage. Im letzten Moment erkannte der Attentäter den Mann hinter dem Steuer. Er hatte ihn sich angesehen, als er das Haus betreten hatte. John Sinclair! Sekundenlang blieb er betroffen stehen. Er hätte den Anschluß verpaßt, hätte der Oberinspektor nicht neben einem der Polizeiwagen gehalten und mit einem der Yarddetektive gesprochen.
Hastig lief Serapho zu seinem eigenen Wagen, startete und hängte sich an den silbergrauen Bentley. Sie fuhren zum Flughafen. In der Abfertigungshalle war Serapho dicht hinter Sinclair, einem hünenhaften Chinesen und einer bildhübschen Blondine, deren Figur einsame Spitze war. Der Attentäter achtete jedoch weder auf ihre golden schimmernden Haare noch auf ihre Proportionen, sondern versuchte nur, die Namen der beiden Begleiter Sinclairs und ihr Ziel herauszufinden. Er zuckte erschrocken zusammen, als er hörte, daß sie nach Island fliegen wollten. Sekundenlang zögerte er und verpaßte die Chance, die drei noch in der Abfertigungshalle zu erledigen. Nachdem sie die Paßkontrolle hinter sich gebracht hatten, kam er nicht mehr an sie heran. Vielleicht war das ganz gut, überlegte er. Der Anführer hatte befohlen, den Besitzer einer ganz bestimmten Telefonnummer zu beseitigen. Von dieser Jane Collins und dem Chinesen namens Suko war nie die Rede gewesen. Serapho wartete, bis die drei Freunde abgeflogen waren. Erst dann lief er zum nächsten Postamt und rief in Island an. So kam es, daß die Gegenseite bereits über ihr Kommen Bescheid wußte, als sich die drei ahnungslosen Passagiere noch an Bord der Maschine nach Reykjavik befanden. Und daß sich eine Gruppe von Leuten in Island auf eben diese Ankunft vorbereiten konnte. Und zwar mit tödlicher Sorgfalt. *** Glenda Perkins war wirklich eine perfekte Sekretärin. Als wir abends in Reykjavik aus dem Flugzeug stiegen, hatten wir bereits Hotelzimmer. Außerdem warteten am Zoll zwei uniformierte Polizisten höheren Ranges. Ich merkte mir nur den Namen des Lieutenants, Bengtson. Er schleuste uns durch den Zoll, und das war mir recht angenehm. Bei einer anderen Auslandsreise hatte ein besonders genauer Zollbeamter einmal darauf bestanden, meinen Spezialkoffer zu durchsuchen. Danach hielt er mich für einen Zauberkünstler und Illusionisten. Ich vermied solche Mißverständnisse lieber. »Sie sind sicher nicht nur hier, um uns zum Hotel zu bringen«, sagte ich, während wir auf den Ausgang zustrebten. »Ich möchte übrigens gleich versichern, daß ich nicht offiziell auftrete. Ich bin Tourist. Das gleiche gilt für meine Begleiter.«
Trotz des verbindlichen Lächelns des Lieutenants merkte ich, daß er nicht sehr über unseren Besuch erfreut war. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß er und sein Begleiter Janes Gepäck trugen. »Mr. Sinclair«, sagte Bengtson höflich und ließ absichtlich meinen Dienstgrad bei der englischen Polizei weg. »Sie sind Touristen, aber Sie interessieren sich für den Tod von Mr. Catfield. Schön, dagegen haben wir nichts. Doch wir denken, daß Sie sehr schnell zu dem gleichen Schluß kommen wie wir, wenn Sie erst einmal alles gesehen haben.« »Scotland Yard hat uns darüber unterrichtet, weshalb Sie kommen«, erklärte sein Begleiter. »Superintendent Powell von Ihrer Dienststelle hat uns gebeten, Ihnen zu helfen. Das tun wir natürlich gern.« »Damit wir bald wieder abreisen«, platzte Jane heraus. Bengtson ließ sich nicht erschüttern. »Wir freuen uns immer über Besucher auf unserer Insel«, erklärte er verbindlich. »Besonders über so hübsche und charmante, Miß Collins.« »Und von mir redet mal wieder niemand«, sagte Suko und schob sich grinsend in den Polizeiwagen. Dazu mußte er seine hünenhafte Gestalt zusammenfalten. »Lieutenant«, wandte ich mich an Bengtson, sobald wir alle eingestiegen waren. »Sagen Ihnen die Begriffe >EngelHöllentor< und >Wächter< etwas?« Während sein Begleiter den Wagen steuerte, drehte sich Bengtson erstaunt zu mir um. »Engel und Wächter sind allgemein bekannte Wörter, Mr. Sinclair. Höllentor? Auf Island gibt es eine Zone, die so genannt wird. Ein sehr unfreundliches Gebiet im Norden. Geysire, Schwefeldämpfe, heiße Sümpfe. Ich würde Ihnen nicht raten, dorthinzufahren. Touristen meiden diesen Abschnitt. « »Warum heißt dieses Gebiet Höllentor?« erkundigte sich Jane beiläufig. Sie verbarg ihr Interesse so gut, daß nicht einmal ich merkte, wie sehr sie auf die Antwort wartete. Ich wußte es nur, weil ich meine Begleiterin gut kannte. »Es gibt eine alte Legende, wonach sich in diesem Gebiet der Zugang zur Hölle befinden soll.« Der Lieutenant zuckte lachend die Schultern. »Aber das sind Geschichten! Märchen! So, hier ist das Hotel. Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich Ihr Gepäck hineinbringen. Wir fahren dann gleich weiter.« »Und wohin?« fragte ich unbehaglich. Ich mochte es nicht, daß wir so überrumpelt wurden. »Zuerst in den Bungalow, den Mr. Catfield gemietet hatte und in dem er
auch starb.« Bengtson winkte einen Pagen heran und erteilte ihm einige Anweisungen. »Danach können Sie Charly Catfield sehen.« »im Leichenschauhaus?« fragte Suko. »Wo sonst?« Der Lieutenant musterte ihn erstaunt. »Sie haben mir noch immer nicht ihre Theorie über Charlys Tod erklärt«, mahnte Jane. »Der Arzt hat eine tödliche Schwefelvergiftung festgestellt.« Bengston überwachte persönlich das Ausladen unseres Gepäcks. Nur meinen Spezialkoffer gab ich nicht aus der Hand. »Wir sind überzeugt, daß sich Mr. Catfield bei einem seiner Spaziergänge zu nahe an eine Felsspalte mit giftigen Dämpfen herangewagt hat. Er wollte noch einen Arzt anrufen und . . .« »Irrtum«, fiel ich ihm ins Wort. »Er rief mich an.« Der Lieutenant stutzte. »Dann dachte er eben in seinen letzten Minuten an seinen besten Fraund und . . .« »Irrtum«, unterbrach ich ihn zum zweiten Mal. »Wir waren nicht befreundet. Er wußte nur, daß ich mich, auf mysteriöse Fälle spezialisiert habe.« »Dann wählte Mr. Catfield eben mit letzter Kraft Ihre Nummer», fuhr der Lieutenant nervös fort. »Und anschließend brach er . . .« »Irrtum», sagte ich zum dritten Mal. »Vorher rief er bei Scotland Yard an, weil er meine Privatnummer nicht kannte. Ich habe mit unserer Telefonistin gesprochen. Sie behauptet, daß Charlys Stimme ganz normal geklungen hat, nur nervös. Als er mit mir sprach, lag er bereits im Sterben. »Er hat die tödliche Dosis also erst zwischen diesen beiden Anrufen bekommen«, bemerkte Suko. Lieutenant Bengtson warf uns einen unwilligen Blick zu und verschwand hastig in der Hotelhalle. Er wollte sich offenbar nicht über dieses Thema unterhalten. Fünf Minuten später fuhren wir weiter. Am Stadtrand von Reykjavik hielten wir in einer neu erbauten Siedlung aus winzigen Bungalows. »Das ist der Touristenpark«, erläuterte der Lieutenant. »Und hier im ersten Bungalow hat Mr. Catfield gewohnt. Er ist noch nicht wieder vermietet.« Der Lieutenant schloß auf und schaltete das Licht ein. Ich wollte hinter ihm eintreten, prallte jedoch gegen ihn. Er blieb abrupt stehen. Ich blickte über seine Schulter und konnte sein Erschrecken verstehen. Am Tisch saß, den Telefonhörer in der Hand, Charly Catfield. Genauer gesagt, Charly Catfields Leiche.
***
»Ich habe es doch geahnt«, murmelte Suko. »Ich weiß nicht warum, aber ich habe geahnt, daß hier etwas nicht stimmt!« »Das. . . . das ist . . .«, stammelte Bengtson. Sein Begleiter stand nur stumm neben ihm. »Das ist eine Überraschung, nicht wahr?« Ich schob mich an ihm vorbei und betrat den Raum. Dabei blickte ich mich vorsichtig um, doch hier drinnen hielt sich außer uns kein lebendes Wesen auf. Charly trug einen dicken Pelz, der vollständig mit Schnee bedeckt war. Dabei hatte es seit unserer Ankunft nicht geschneit. Im Raum war es warm. Der Schnee taute. Lange konnte der Tote noch nicht in dieser Haltung sitzen. Unter seinen Stiefeln bildete sich eine Pfütze aus Schmelzwasser. »Der ist erst seit zwei oder drei Minuten hier«, stellte Suko fest und wollte dem Toten den Hörer aus der Hand nehmen. »Nichts berühren!« rief Lieutenant Bengtson scharf. »Wir müssen erst alles untersuchen.« »Sie werden nichts erreichen«, behauptete ich. »Das hier ist eindeutig eine Warnung an mich. Wer immer Charly ermordet hat, will mich von der Insel vertreiben.« Der Lieutenant fuhr zu mir herum. »Haben Sie >ermordet< gesagt?« rief er verblüfft. Ich nickte ernst. »Ich kann es Ihnen nicht mit den üblichen kriminalistischen Mitteln beweisen, aber Charly Catfield ist ermordet worden. Vielleicht ist er an einer Überdosis von giftigen Schwefelgasen gestorben, aber er ist damit vergiftet worden. Genauso, wie ich in London mit einer Bombe in die Luft fliegen sollte. Charlys Mörder ist der >Engel