DAS HÄSSLICHE ENTLEIN Roman von Leni Behrendt
Herzlos hat sich die eitle, oberflächliche Frau von Barnim von ihrer jüng...
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DAS HÄSSLICHE ENTLEIN Roman von Leni Behrendt
Herzlos hat sich die eitle, oberflächliche Frau von Barnim von ihrer jüngeren Tochter abgewendet, hat das »häßliche Entlein« vernachlässigt und alle ihre Mutterliebe der hüb schen, reizvollen Fee geschenkt, die sie zu einem egoisti schen, verwöhnten Geschöpf heranzieht. Eine alte Tante erbarmt sich Gudruns, und bei ihr wächst das Kind nun auf. Freilich, ein häßliches Entlein bleibt es, auch als es ein
junges Mädchen geworden ist. In unmöglichen, altmodi schen Kleidern, mit Riesenbrille und schauderlicher Frisur läuft die Studentin Gudrun herum, zum Gespött ihrer Um gebung. Und dieses Mädchen wird plötzlich Braut und bald darauf die Frau eines Mannes, der weit und breit we gen seiner überragenden Persönlichkeit und seines fabel haften Aussehens beliebt und berühmt ist! Was steckt da hinter? Vergebens zerbricht sich alle Welt die Köpfe, um hinter das Geheimnis zu kommen.
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Diese Ausgabe erscheint alle 4 Wochen im Martin Kelter Verlag (GmbH & Co.),
Mühlenstieg 16-22,2000 Hamburg 70, Postfach 70 10 09,
Telefon: Sa.-Nr. (040) 68 28 95-0, Telefax (040) 68 28 95 50, Fernschreiber:
213.126 Verantwortlich: Verleger Otto Melchert. Im Verkaufspreis ist die gesetzli che Mehrwertsteuer enthalten. Gesamtherstellung: Eisnerdruck, Berlin Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Ge währ. Abgebildete Personen auf dem Umschlag stehen in keinem Zusammenhang mit dem Roman. Diese Ausgabe darf weder in Leihbüchereien verliehen noch in Lesezirkeln geführt oder zum gewerbsmäßigen Umtausch bzw. Wiederverkauf verwendet werden. Printed in Germany.
»Schalk, alter scheinheiliger Schwerenöter, wirst du wohl!« drohte Graf Hellmarck seinem Dackel, der sich ein Vergnü gen daraus machte, dem Stallburschen, der den Schnee von dem breiten Kiesweg fegte, mit bewundernswerter Aus dauer und unnachahmlichem Geschick an den Hosenbo den zu springen und seine scharfen Zähne daran zu erpro ben. Langsam, die krummen Beine wie im Tanzschritt überei nandersetzend, begab er sich zu Herrchen, der ihm lachend die langen Ohren zauste, und sah ihm treuherzig in die Augen, wie der bravste, harmloseste Hund von der Welt. Er blieb auch sittsam an Herrchens Seite und sah so aufmerk sam zu ihm auf, als verstände er jedes Wort der Unterre dung, die Herrchen mit dem Förster hatte. Doch das nur scheinbar – denn in Wirklichkeit schielte er zu seinem Feind hin, dem er den Fußtritt, den er vor Wo chen von ihm erhalten, immer noch nicht vergessen konn te. Darum ließ er keine Gelegenheit vorübergehen, sich für diese ihm angetane Schmach zu rächen. Und nun war eine wundervolle Gelegenheit dazu. Herr chen war bei ihm, und der schlaue Dackel wußte genau, daß niemand es wagen durfte, ihm etwas zuleide zu tun, wenn er auch noch so frech war. Außerdem konnte der Stallbursche auf seine Angriffe nicht so achten: unter den Augen des Herrn mußte seine Aufmerksamkeit der Arbeit gelten, die nicht eben leicht war. Denn tagelang hatte es ununterbrochen geschneit. Türme, Erker und Simse des feudalen, ehrwürdigen Schlosses Ho henwerth hatten blendend weiße Käppchen auf. Doch auf dem breiten Weg, der vom Schloß zu dem kunstvoll gear beiteten schmiedeeisernen Tor führte, durch das man auf die schnurgerade Allee zu sehen vermochte, konnte der Schnee nicht geduldet werden, und es war Arbeit der Stall burschen, ihm zu Leibe zu gehen. Graf Hellmarck wandte sich wieder dem Förster zu, der genauso wie sein Herr über den gerissenen Schalk, der we gen seiner Streiche bekannt war, herzlich gelacht hatte. Der
Förster setzte seinen Bericht fort, dem der Gebieter interes siert lauschte. Ruhig, lässig, stand der Graf vor dem Förster, der immer erregter wurde, je länger er sprach. »Ja, mein lieber Förster«, entgegnete er mit seiner dunklen, herrischen Stimme, als der Förster seinen Bericht beendet hatte, »da nützt uns alle Empörung nichts. Herr Kose hat es leicht, unverschämt zu sein, er nützt eben meine Zwangsla ge aus. Jedenfalls bleibt keine andere Wahl, – wir müssen das Holz für den Preis abgeben, so leid es mir auch tut.« Es zuckte in dem wetterharten Gesicht des Försters, und sein Herr legte ihm die Hand auf die Schulter. »Lieber Förster, ich weiß, es tut Ihnen weh – genau wie mir – doch die Verhältnisse sind stärker als wir. Wir müssen unsere lieben alten Baumriesen fällen. Vielleicht ist es Ih nen ein Trost, wenn ich es Ihnen überlasse, den Wald an den Stellen zu holzen, die es vertragen können. Die Bäume stehen stellenweise wirklich sehr dicht. Und dann können Sie ja wieder neu anpflanzen.« »Ach ja, das ist noch ein Trost in all dem Jammer! Dieser Kerl, dieser Kose -!« ergrimmte sich der Förster. »Schelten Sie mir diesen patenten Mann nicht!« lachte der Graf. »Wenn der nicht wäre und uns immer wieder Geld gäbe, dann könnten wir schon heute einpacken, dann wüß te ich nicht, wovon ich im Januar die Wechsel bezahlen sollte.« »Wird schon wissen, weshalb er es tut«, knirschte der För ster immer ingrimmiger. »Na ja, aus lauter Menschenfreundlichkeit gewiß nicht, mein Getreuer. Doch er oder ein anderer – das ist schließ lich egal – « Er wandte sich um und sah einem Auto entgegen, das soe ben durch das schmiedeeiserne Tor fuhr und sich einen Weg durch den Schnee bahnte. Vor dem Portal des Schlos ses hielt es, und eine Dame entstieg ihm. Die Hüte der beiden Herren flogen hoch. Sie dankte und zögerte einen Augenblick, ob sie sie begrüßen sollte. Doch
dann bemerkte sie den Blick des Försters, der sie mit un verhohlener Abneigung musterte, stieg die Freitreppe em por und verschwand im Schloß. Die Blicke des Försters waren dem Grafen nicht entgangen, und ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann sprachen sie wieder über geschäftliche Dinge, die äußerst schwierig zu erörtern waren. Denn das stolze, prächtige Hohenwerth, das schon seit Jahrhunderten im Besitz der Grafen Hellmarck war, entglitt langsam, aber unaufhaltsam den Händen dieses letzten Hellmarck. Und so mußte man zu retten suchen, was noch zu retten war, um wenigstens den Termin, an dem dieser letzte Sproß eines alten, stolzen Rittergeschlechts von dem Erbe seiner Väter weichen mußte, hinauszuschieben. Während der Graf und sein Förster hin und her berieten, wie sie am zweckmäßigsten die Holzung des Waldes vor nehmen sollten, ließ sich die Dame, die soeben das Auto verlassen hatte, in der Halle des Schlosses von dem Diener den Pelz abnehmen und eilte zu den Gemächern ihrer Tochter, der jungen Herrin von Hohenwerth. Diese lag in ihrem Boudoir auf dem Diwan und las in ei nem Buch. Sie war ein allerliebstes, puppenhaftes Geschöpf mit einem niedlichen Kindergesicht, blauen Augen und winzigen Händen und Füßen. Sehr elegant, sehr verwöhnt, eigenwillig, launenhaft, ober flächlich, verschwenderisch – so ein echtes, rechtes Luxus weibchen. Beim Eintritt Frau von Barnims, ihrer Mutter, sah sie von ihrem Buch auf und gähnte laut und ungeniert. Die Erre gung der Mutter entging ihr nicht, und sie musterte sie neugierig. »Was hast du denn, Ma?« fragte sie, in der Hoffnung, eine Neuigkeit zu erfahren, nach der sie geradezu lechzte. Es passierte so wenig, so absolut gar nichts in dem öden, langweiligen Hohenwerth. Die Mutter ließ sich in einen der zierlichen Sessel sinken und schaute so kläglich drein, daß die Tochter unange
nehm berührt wurde. Eine Neuigkeit brachte die Mutter zweifellos – doch war sie unangenehmer Art? »Püppchen – o, mein armes Püppchen – wir sind verlo ren!« sagte die Mutter in tragischem Tonfall, der lächerlich wirkte. »Denk dir, die Testamentseröffnung hat soeben stattgefunden. Ich wurde überhaupt nicht zugelassen, was mir gleich sehr sonderbar erschien. Ich ging also zu Rönner – ich dachte, mich rührte der Schlag bei der Mitteilung, die er mir machte! Hermine ist gar nicht reich gewesen; sie hat eben nur so viel besessen, um von den Zinsen notdürftig leben zu können. Und dann noch die Niedertracht dieser scheinheiligen Person! Denk dir nur, den einen Teil dieses Vermögens hat sie dem Diener und der Dienerin vererbt, ihr Haus mit allem Mobiliar der Stadt für wohltätige Zwek ke geschenkt. Gudrun ist also so gut wie enterbt, hat gerade nur so viel, um ihr Studium zu Ende führen zu können. Und dazu habe ich dieser Person mein Kind überlassen, mein kleines häßliches Entlein! Hermine galt doch immer für reich – und nun dies.« Die junge Gräfin hatte sich aus ihrer bequemen Stellung aufgerichtet und sah die Mutter entsetzt an. »Und was nun, Ma?« fragte sie ratlos. »Ja, Püppchen, das weiß ich auch nicht. Bernulf darf auf keinen Fall etwas von deinen Schulden erfahren, und wir müssen Gudrun dazu bringen, dir die Summe vorzustrek ken, die du benötigst. Wir können ihr das Geld ja allmäh lich wieder zurückgeben. Bernulf muß eben dein Nadelgeld erhöhen, das sowieso schäbig genug ist; sonst hättest du es doch nicht nötig, Schulden zu machen, nur um dich eini germaßen standesgemäß kleiden zu können.« Die Gräfin wollte etwas darauf erwidern, doch die Mutter legte den Finger an die Lippen. Denn im Nebenzimmer wurde eine Tür geschlossen, und gleich darauf betrat der Schloßherr das Zimmer der Gattin »Guten Tag, Mama«, sagte er und machte eine knappe Verbeugung zu der Schwiegermutter hin. Dann suchte sein Blick die Gattin, wurde hart und streng.
»Du bist noch nicht angekleidet, Fee – um zwölf Uhr?« »Aber Bernulf, das Kind – « Der unwillige Blick des Grafen ließ Frau von Barnim ver stummen. Diese elegante, für ihr Alter noch überraschend gut aussehende Frau fürchtete niemand sonst als ihren Schwiegersohn. Und dabei war er doch immer höflich zu ihr, von einer farblosen, korrekten Höflichkeit, die ihr auf die Nerven ging und bei der sie nie wußte, woran sie war. »Warum bist du noch nicht angekleidet, Fee?« wiederholte der Graf seine Frage. »Warum liegst du um die Mittagszeit in diesem ungewaschenen, ungepflegten Zustand in diesem entsetzlich unordentlichen Zimmer herum und schlägst deine Zeit mit der Lektüre zweifelhafter Romane tot?« »Ich fühle mich immer noch nicht wohl«, schmollte die kleine Frau, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das ist keine Entschuldigung«, herrschte der Gatte sie an. »So schwach kannst du nicht sein, daß du dich nicht ein mal waschen, dir die Haare nicht kämmen kannst. Brauchst es nicht einmal allein zu tun, hast die Zofe zu deiner Be dienung. Und hast einen ganzen Dienertroß, der wohl da zu imstande sein dürfte, deine Gemächer in Ordnung zu halten. Du weißt doch, wie verhaßt mir dies alles ist.« Da bei deutete er mit einer kreisenden Handbewegung auf die beispiellose Unordnung, die in dem Zimmer herrschte. »Mich packt jedesmal ein Grauen, wenn ich deine Räume betreten muß.« »Aber Bernulf, dafür darfst du Püppchen doch nicht ver antwortlich machen«, wagte Frau von Barnim einzuwen den. »Die Dienerschaft ist so minderwertig, daß man wirk lich nichts mit ihr anfangen kann. Und Püppchen kann sich doch nicht mit den Leuten herumärgern, darf sich doch nicht aufregen. Hast du denn ganz vergessen, was sie vor einigen Wochen gelitten hat?« »Na ja, gewiß, ich verlange doch keine Kraftanstrengung von Fee«, sagte der Graf, immer unwilliger werdend. »Au ßerdem ist das Kind vier Wochen alt. In der Zeit haben andere Frauen sich so weit erholt, daß sie nicht zerzaust
den ganzen Tag auf dem Diwan herumliegen müssen.« »Du kannst andere Frauen doch auch nicht mit meinem zarten, süßen Püppchen vergleichen«, entgegnete die Mut ter gereizt, erschrak jedoch sofort über ihre Kühnheit. Sie atmete erleichtert auf, als der Graf die Achseln zuckte und das Zimmer verließ, eilte zu der Tochter hin und strich ihr zärtlich über das Wuschelköpfchen. »An welchen Barbaren das Schicksal dich gekettet hat!« klagte sie. »Du hättest doch lieber den reichen Grolle heira ten sollen. Er ist nicht so schön und vornehm wie dein Mann, doch er hätte dich besser zu würdigen verstanden.« Die kleine Frau, die sich selbst sehr bedauernswert vorkam, weinte einige Minuten herzzerbrechend an der Mutter Brust. Doch dann richtete sie sich plötzlich auf. »Ma – wenn Bernulf von den Schulden erfährt, dann läßt er mich bestimmt nicht nach St. Moritz fahren!« »Fertig bekommt er es schon«, bestätigte die Mutter, »dar um darf er auf keinen Fall etwas erfahren. Wir werden Gud run schon herumkriegen, daß sie uns das Geld gibt. Über haupt – diese Geheimniskrämerei wegen der lumpigen paar tausend Mark! Und Bernulf ist schuld; warum hält er dich so knapp? Er hat sich in letzter Zeit sehr verändert; in der ersten Zeit eurer Ehe war er viel großzügiger. Ich glau be, er steht kurz vor dem Bankrott.« »Meinst du wirklich, Ma?« fragte die kleine Frau, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Aber was dann? Ein Leben in Armut kann ich nicht ertragen!« »Ich weiß das ja, mein Püppchen«, tröstete die Mutter. »Deswegen mache dir nur keine Kopfschmerzen, wir wer den schon einen Ausweg finden. Meine größte Sorge ist jetzt Gudrun. Wenn sie womöglich auf die Idee kommen sollte, bei mir leben zu wollen – dieses häßliche Entlein! Für die kriege ich nie einen Mann und habe sie dann mein Leben lang auf dem Hals!« »Ach, das wollen wir ihr schon ausreden«, meinte Fee zu versichtlich. »Ob sie immer noch so häßlich ist? Ich habe sie jahrelang nicht gesehen.«
»Püppchen, ich sage dir, unmöglich sieht sie aus. Und an gezogen – eine Vogelscheuche ist gar nichts dagegen – ganz nach Hermines Muster. Der reinste Studentenschreck!« »Weißt du, Ma, du machst mich direkt neugierig auf meine Schwester.« Und nun bekam Fee plötzlich Lust, sich anzukleiden. So erhob sie sich und gab der Mutter zu verstehen, daß sie ihren Besuch nicht länger ausdehnen möchte. Bat sie noch, dafür zu sorgen, daß Gudrun nach Hohenwerth käme. »Wo hält sie sich überhaupt auf?« »Bei dieser unausstehlichen Röstel«, entgegnete Frau von Barnim nervös. »Die Person wird sie kaum allein nach Ho henwerth lassen, wird sicherlich mit ihr kommen, so daß man kein Wort ungestört mit Gudrun sprechen kann. Kannst du denn nicht auf Bernulf einwirken, daß das Thea ter, das er mit dieser scheinheiligen alten Jungfer macht, aufhört?« »Na, versuch du es doch«, riet ihr die Tochter wütend. Der Name Röstel wirkte auf die kleine Frau ungefähr so wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Die Mutter hatte ihr wirklich die Laune verdorben. Diese kannte ihr verhätscheltes Töchter lein nur zu gut und hielt es daher für ratsam, sich schleu nigst aus dem Staub zu machen. Frau von Barnim gelang es wirklich, Gudrun am nächsten Tag nach Hohenwerth zu bringen. Sie traf die Tochter auf der Straße des Städtchens, in dem auch sie wohnte, und erzählte ihr, wie große Sehnsucht Fee nach ihr hätte; daß sie jedoch nicht zu ihr kommen könne, da sie sich immer noch nicht von der Geburt des Kindes erholt habe. »Entlein, wie nett, daß du kommst! Willkommen auf Ho henwerth!« rief sie mit ihrer hellen Stimme. Gudrun war wie betäubt. Sie hatte noch nie Gelegenheit gehabt, etwas so Herrliches zu schauen wie in den letzten Minuten. Ihr Blick ging im Zimmer der Schwester umher, und das war eigentlich die erste Enttäuschung, die sie erleb te, seitdem ihr Fuß Hohenwerth betreten. Dieser Raum paßte nicht zu der feudalen Pracht des Schlosses. Er war
wohl auch luxuriös, gewiß – doch er paßte nicht. Graf Hellmarck war für dieses Gemach nicht verantwortlich zu machen, denn Fee hatte die Einrichtung mit in die Ehe gebracht. Die Mutter hatte sich Geld dazu geliehen, um die Tochter ausstatten zu können – das der Graf später zurück zahlen mußte, weil Frau von Barnim dazu nicht in der Lage war. Gudrun konnte die Herzlichkeit der Schwester nicht erwi dern, sie blieb stumm und steif. Etwas Hochmütiges lag in ihrem Gebaren, was Fee unglaublich ärgerte. Was dieses häßliche Entlein dachte! Leider mußte sie ja jetzt Herzlich keit und Liebenswürdigkeit vortäuschen. Doch nachher, wenn sie erst das Geld hatte, wollte sie ihr diesen Hochmut schon austreiben. Eigenhändig holte Fee Erfrischungen herbei, was bei ihrem sonstigen Phlegma anerkennenswert war, und nötigte die Schwester immer wieder, etwas zu genießen. Doch Gudrun konnte es beim besten Willen nicht, die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und das scharfe, aufdringliche Parfüm, das sich in dem Raum unangenehm bemerkbar machte, be nahm ihr fast den Atem. Dazu war ein unerklärliches Angstgefühl in ihr. »Iß doch etwas, Entlein«, bat Fee mit ihren süßesten Tönen, »sonst muß ich annehmen, daß es dir bei mir nicht gefällt. Bernulf kann dich leider nicht begrüßen, er ist in die Stadt gefahren.« Das Angstgefühl in Gudrun wurde immer stärker. Sollte man ihretwegen solche Umstände machen? O nein, Gudrun war zu klug, das anzunehmen. Und da kam auch schon die Erklärung für das ungewohnte Entgegenkommen von Mutter und Schwester. Das Mäd chen atmete ordentlich erleichtert auf, daß es jetzt wußte, was man wollte. Also Geld sollte sie geben -! Selbstverständlich, das hätte sie längst wissen müssen. Ob der stolze, vornehme Schloßherr von Hohenwerth wohl darum wußte, daß seine Frau und seine Schwiegermutter
ein alleinstehendes Mädchen, das sich durchs Leben schla gen mußte, um das kleine Vermögen prellen wollten, das ihre Adoptivmutter ihr hinterlassen hatte? »Sieh mal, mein Entlein, ihr seid doch Schwestern«, ließ Frau von Barnim ihre Überredungskunst spielen. »Glaub nur, Püppchen würde dich nicht im Stich lassen, wenn du dich in der gleichen verzweifelten Lage befändest wie sie augenblicklich. Was sind für dich lumpige zwanzigtausend Mark? Eine Bagatelle – « Gudruns eigentümlicher Blick ließ sie schweigen. Und nun sprach das Mädchen – ruhig, sachlich. »Zwanzigtausend Mark kann ich euch leider nicht zur Ver fügung stellen, selbst wenn ich es wollte. Mutter Hermine hat mir wohl ein kleines Vermögen hinterlassen, doch ich darf vorläufig nur die Zinsen davon verbrauchen. Bis zu meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag – oder bis zu meiner eventuellen Heirat, falls die früher stattfinden soll te. Dann allerdings kann ich auch über das Vermögen frei verfügen.« »So heirate doch schnell, Entlein!« riet ihr die oberflächli che, gedankenlose Fee. Doch da lachte Gudrun auf; unend lich amüsiert klang ihr Lachen. »Nein, liebe Fee, so groß ist meine Opferfreudigkeit denn doch nicht. Und was würde dir meine Heirat nützen? Dann brauchte ich doch das Geld, um mir eine Aussteuer anzuschaffen, und könnte dir die zwanzigtausend Mark ebensowenig zur Verfügung stellen wie jetzt, denn viel mehr macht nämlich mein ganzes Vermögen nicht aus.« Das mußte die kleine Frau allerdings einsehen. Sie seufzte schwer und sorgenvoll. »Hör mal, Entlein, du wirst dich doch nicht damit zufrie dengeben, daß Hermine ihren Dienern das Geld und der Stadt das Haus vermacht hat?« fragte die Mutter. »Du bist doch die alleinige Erbin und kannst dieses unsinnige Te stament anfechten.« »Warum?« entgegnete Gudrun gelassen. »Mutter Hermine
wird schon gewußt haben, warum sie es tat, und mir steht nicht das Recht zu, ihre letztwilligen Verfügungen anzu fechten. Die beiden Diener haben Jahrzehnte für sie gear beitet, waren ihr treu ergeben- und erhielten einen wahren Hungerlohn. Da ist es nur richtig von Mutter Hermine, daß sie Albert und Emma im Testament bedacht hat. Und das Häuschen hat für mich keinen Wert. Die Stadt hat viel bes sere Verwendung dafür; man hat irgendein Stift daraus ge macht.« »Nenne dieses alte Greuel nicht Mutter, ich kann das nicht hören!« schrie Frau von Barnim erbost. »Und warum nicht?« fragte Gudrun ruhig. »Sie war doch meine Mutter. Was ich bin und habe, – alles hat sie aus mir gemacht.« Diese Ruhe brachte die Mutter zur Raserei. »Aus dir gemacht – hahaha – du häßliches, häßliches Ent lein!« »Halt!« Die Köpfe schnellten herum, und alle drei sahen den Schloßherrn. Er hatte sich gegen den Türpfosten gelehnt, die Arme über der Brust verschränkt. Sie sahen, wie die seine Stirn bedeckende Röte sich langsam verlor und die dicken Adern an seinen Schläfen zurückgingen. Doch das kalte Glitzern in seinen Augen blieb, und nicht minder die drohende Haltung. »Bernulf – du!« stammelte Frau von Barnim mit bebenden Lippen und ließ sich auf den Diwan sinken, auf dem Fee bereits kauerte, Angst und Entsetzen in den Augen. Nicht oft hatte sie den Gatten so gesehen, doch jedesmal hatte sie Entsetzen gepackt. »Was geht hier vor?« Seine Stimme klang ruhig, doch so drohend, so eisig, daß selbst Gudrun erschauerte. »Was geht hier vor?« Noch herrischer, noch drohender waren jetzt seine Worte. Es war gar nicht möglich, zu antworten, sie konnten es ein fach nicht.
»Dann will ich es euch sagen«, klang die schreckliche Stimme wieder auf. »Ich stehe nämlich schon eine ganze Weile hier. Ihr wart so vertieft in euer Gespräch, daß ihr mich nicht bemerktet. Nicht einmal den Mut zur Wahrheit habt ihr – pfui Teufel! Und so etwas ist nun meine Frau, die Mutter meines Kindes!« Das letzte klang wie ein Stöh nen. »Habt ihr wirklich weder Ehr- noch Schamgefühl?« fuhr er fort. »Einem Mädchen, das allein auf der Welt steht, sein Geld abnehmen zu wollen und es zu schmähen, wenn es nichts geben kann!« Stille – bedrückende Stille. Und dann wieder die Stimme, jetzt unendlich müde. »Noch ein letztes Mal will ich eure Schulden bezahlen. Legt die Belege auf meinen Schreibtisch. Doch ich sage euch, es ist das letzte Mal!« Wie zwei verprügelte Hunde duckten Fee und ihre Mutter sich bei diesen Worten. Dann wandte der Graf sich an Gudrun, die unbeweglich dastand, den Kopf tief gesenkt. »Kommen Sie, Gudrun, Traude wartet auf Sie. Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie hier suchen kam – und so nette Sachen hören mußte. Ich bin Traude in der Stadt begegnet, und da ich erfahren hatte, Sie seien nach Hohenwerth ge fahren, brachte ich Traude mit.« Gudrun folgte ihm. Es ging durch zahlreiche prunkvoll ausgestattete Zimmer, deren Einrichtung sonst eine Au genweide für Gudrun gewesen wäre. Doch jetzt ging sie achtlos daran vorüber; sah immer noch die kalten, glit zernden Augen vor sich, hatte den Klang der herrischen, eiskalten Stimme im Ohr. In dem Besuchszimmer wäre sie Traude Röstel fast in die Arme getaumelt. »Aber Gudrun, mein Entlein!« rief diese erschrocken. »Was hast du nur?« Ihr Blick flog zu dem Grafen hin, der in einem Sessel lehn te und eine Zigarette in Brand steckte. Sie kannte den Ber nulf doch! Seine Ruhe täuschte sie nicht, diese Ruhe, die
alles zu verdecken schien, was in ihm gärte und tobte. »Ihr habt euch doch nicht etwa gezankt?« fragte sie mit einem Blick auf Gudrun und den Grafen. Und da mußte er lachen. »Liebe Traude, ich sehe meine Schwägerin heute zum ers tenmal.« »Ach ja, richtig. Aber wollt ihr mir nicht sagen –?« »O nein, Traude, zerbrich dir dein gescheites Köpfchen nicht über Sachen, die dich nichts angehen.« »Nun seht doch einer diesen frechen Bengel!« rief Traude entrüstet, doch ihre Augen lachten. »Und so was hat man nun in der Jugend betreut und verhätschelt!« Nun mußte auch Gudrun lachen, und die Situation war gerettet. Der Graf und Traude plauderten miteinander, während Gudrun wie ein Häufchen Unglück in ihrem Ses sel kauerte. Zum Erbarmen elend sah sie aus, blaß und hager das Gesicht, das fein geschnitten war und das eine Intelligenzbrille besonders großen Formats halb verdeckte, die ihm ein beinahe groteskes Aussehen gab. Das straff zurückgekämmte, in einem Netz von vorsintflutlicher Fas son steckende Haar mußte entschieden mit Klettenwurzelöl behandelt sein, um es so fettglänzend, so strähnig zu ma chen. Und dann diese einfach unglaubliche Kleidung! Die schwarze Bluse aus billigem Stoff war hochgeschlossen. Fehlte nur noch die riesengroße Brosche aus Email, mit Blumen bunt bemalt – und eine Dame des vorigen Jahr hunderts war fertig. Der Graf hätte wetten mögen, daß der lange Rock Stoßkante und Plüschborte aufwies, wie sie unsere Großmütter an den Röcken trugen. Und die Strümpfe waren sicherlich aus gefärbter Schafwolle ge strickt, warm und haltbar. Unglaublich, daß man ein junges Mädchen so zur Vogel scheuche machen konnte! Wie lange dauerte es, dann war en die schönsten Jugendjahre dahin, und das arme, be dauernswerte Geschöpf wurde eine alte, verbitterte Jungfer, wie ihre verstorbene Adoptivmutter es gewesen war.
Der Graf kannte die traurige Geschichte dieses Mädchens; er hatte sie durch seinen Schwager Gero von Barnim erfah ren. Frau von Barnim, diese vergnügungssüchtige, ober flächliche Weltdame, hatte selbstverständlich weder Zeit noch Interesse für ein Baby. Eines mußte man ja haben, das sah sie ein. Und so liebte sie ihr erstgeborenes Kind, das niedliche, zartgliedrige Püppchen, denn auch mit wah rer Affenliebe. Damit war alles, was an guten und weichen Gefühlen in ihr war, vollkommen verausgabt, und für ih ren Sohn, der ein Jahr später geboren wurde, blieb nichts mehr an Mutterliebe übrig. Doch sie ließ ihn noch gnädig gelten, es war immerhin ein Junge, auf den man später viel leicht stolz sein konnte. Damit war ihr Interesse für ihn erschöpft. Ihr Entsetzen war grenzenlos, als drei Jahre später noch ein Mädchen geboren wurde – und gar noch ein ganz beson ders schwaches, kümmerliches. »O dieses häßliche, häßliche Entlein!« hatte die Mutter ausgerufen, als man ihr das neugeborene Kind in den Arm legte. »Wie komme ich zu diesem häßlichen Kind? Und es ist auch noch ein Mädchen!« Ihr vergöttertes Püppchen war ein allerliebstes Kind, der Junge war auch hübsch – und nun dieses häßliche Baby? Sie mochte das Baby überhaupt nicht sehen, überließ es fremden Händen, nannte es nie anders als häßliches Ent lein, so daß das Kind diesen Namen behielt und nie anders genannt wurde. Das Kind war eben häßlich, und keiner nahm sich die Mühe, es genauer anzusehen. Es lebte still für sich, erhielt das nötige Essen, trug die abgetragenen Kleider der Schwester, machte sich so unsichtbar wie mög lich und fiel niemand zur Last. Stundenlang konnte die Kleine in einem Winkel sitzen und mit der abgelegten Puppe der Schwester spielen. Nie durfte sie in das Besuchs zimmer kommen, während das verhätschelte Püppchen, um das sich das ganze Haus drehte, aufgeputzt den Gästen vorgezeigt wurde – ein echtes Paradekind, auf das die Mut ter ungeheuer stolz war, während sie sich der jüngsten
Tochter schämte. So vergingen vier Jahre, als eine entfernte Verwandte, Fräu lein Hermine von Barnim, zu Besuch kam. Ein unliebens würdiges, verbittertes Fräulein, das die Gabe besaß, sich geradezu unglaublich lächerlich zu kleiden. Bei ihrer Frage nach den Kindern wurde ihr zuerst das Püppchen vorge führt, das sie aber kaum ansah, weil es ihr wie ein aufge putzter kleiner Affe vorkam. »Habt ihr nicht auch einen Jungen?« hatte sie gefragt, wo rauf Gero präsentiert wurde. Man behandelte diesen Gast mit großem Respekt, denn man dachte an das Geld, das man später vielleicht erben konnte. Gero fand bedeutend mehr Gnade vor den Augen des Fräu leins, das einen scharfen, durchdringenden Blick hatte. Und dann kam die Frage nach dem dritten Kind. Frau von Barnim sträubte sich heftig, der Tante die Kleine zu brin gen, doch es nützte ihr nichts, Fräulein Hermine bestand auf ihrem Willen. So wurde denn das kleine, häßliche Entlein herbeigeholt. Schüchtern kam das Kind ins Zimmer, stand stumm und steif da und musterte die fremde Frau mit großen, ängstli chen Augen. In den abgelegten, ihr viel zu großen Kleidern der Schwester, eine zerzauste Puppe fest an die kleine Brust pressend, so stand sie vor Fräulein Hermine, die sie lange ansah. »Gib mir das Kind, Daisy«, hatte sie gesagt, und Frau von Barnim wäre fast vom Stuhl gefallen vor Schreck. »Aber mit tausend Freuden, liebe Hermine!« hatte sie geru fen und sah schon im Geiste Millionen durch ihre Hände rollen, die ihr häßliches Kind später erben würde. Vorläufig war allerdings nichts zu erhoffen, denn Fräulein Hermine war sehr sparsam – geizig nannte es Frau Daisy. »Selbstverständlich mußt du mir alle Rechte an das Kind abtreten«, hatte Fräulein Hermine gesagt, »ich will es ganz für mich allein haben, mir in ihm eine Stütze für mein Al ter erziehen und einen brauchbaren Menschen aus der Kleinen machen. Das Kind verkümmert bei dir ja doch
nur.« Frau Daisy hatte die scharfen Worte hinuntergeschluckt, was wirklich eine Leistung für sie war. Die Millionen lock ten doch zu sehr, ihnen zuliebe konnte man schon etwas einstecken. So war das kleine Entlein mit der Tante gegangen. Die menschenscheue, verbitterte Hermine von Barnim hü tete ihr Töchterchen wie ein Zerberus und wußte es stets zu verhindern, daß die Kleine mit Eltern und Geschwistern zusammenkam. Ließ sich das einmal nicht vermeiden, dann wich sie nicht von des Kindes Seite. So hatten die Eltern ihr Kind und Fee und Gero ihr Schwe sterchen nur einige Male gesehen. Jedesmal, wenn Frau Daisy die verschüchterte, stocksteife Kleine in ihrer vorsint flutlichen Kleidung erblickte, war sie von Herzen froh, die ses Kind fortgegeben zu haben. An alles das dachte der Graf, während seine Blicke immer wieder zu der regungslosen Gestalt im Sessel hinflogen. Der feine Ästhet, dem alles Unschöne einen fast körperli chen Schmerz bereitete, fühlte grenzenloses Mitleid mit dem bedauernswerten Kind. Ganz unerwartet hob Gudrun den Kopf und sah ihm in die Augen. Was sie darin las, war ihr nichts Neues. Mitleid! – Sie sah es ja nicht zum erstenmal. Was galten ihr die Menschen, die ihren Nächsten nach dem Äußeren beurteilten? Sie wußte es ja, daß sie das häßliche Entlein war, und sogar ihre Kollegen und Kolleginnen auf der Universität nannten sie so, wenn sie von ihr sprachen. Doch merkwürdig, die Blicke des Grafen reizten sie tief. Also auch er war ein Mensch wie alle anderen – beurteilte seinen Mitmenschen nach der äußeren Hülle. Ganz plötzlich übergoß sich das hagere Gesichtchen mit heißer Glut, der Kopf schnellte in den Nacken. Und da schaute der Graf interessiert auf. An wen hatte ihn dieses merkwürdige Mädchen soeben erinnert? Halt, nun hatte er es! Die Barnim hatten von einer Groß mutter her fürstliches Blut in den Adern. Das Bild dieser
fürstlichen Frau, die gleichfalls den Namen Gudrun geführt hatte, war der Stolz der Familie, hatte einen Ehrenplatz bekommen und wurde jedem Besucher mit Stolz gezeigt. Dieser Ahne hatte soeben Gudrun geglichen. Es war aller dings vermessen, das Mädchen mit der Schönheit auf je nem Bild zu vergleichen, doch irgend etwas hatte sie von dieser Ahne, das stand fest. Und dann führte sie auch den Namen Gudrun – wie merkwürdig das war! Gerade dieses von den Eltern verach tete Kind nach der verehrten Ahne zu benennen? Er wollte Gero einmal fragen, wie das eigentlich zusammenhing. Traude Röstel mahnte zum Aufbruch, und der Graf hielt sie nicht zurück. »Wann reisen Sie wieder ab, Gudrun?« erkundigte er sich bei der Schwägerin. »Nach Neujahr.« »Das wird wohl kaum gehen, mein Herz«, warf die resolute Traude ein. »Du wirst bei mir bleiben, und ich werde dich zuerst hochpäppeln. Zum Erbarmen elend sieht die Krabbe aus! Ihre Adoptivmutter hätte auch etwas anderes tun kön nen, als dieses zarte, sensible Kind zu diesem anstrengen den Studium zu zwingen. Ich an Gudruns Stelle würde auf die paar tausend Mark pfeifen und den Krempel aufgeben.« »Wie soll ich das verstehen? Hat Fräulein von Barnim das Studium für Gudrun gewünscht?« erkundigte sich der Graf. »Ich bin vorläufig nämlich nicht im Bilde.« »Gewünscht? Gezwungen hat sie sie dazu!« erboste sich Traude. »Und wenn sie das Studium nicht vollendet, gehen ihr die fünfundzwanzigtausend Mark, von deren Zinsen sie leben muß, flöten. Allerdings – wenn sie krank wird oder heiratet, braucht sie das Studium nicht zu vollenden. Also wünschen wir, daß sich für dieses Kind schleunigst ein Mann findet.« Nun lachte Gudrun auf. Es war ein Lachen, das ganz und gar nicht zu ihrer Person paßte – so weich und süß und köstlich frisch war es, daß der Graf sie ganz erschrocken ansah.
»Wunderst du dich, daß dieses Kind lachen kann, Bernulf?« fragte Traude in ihrer trockenen Art. »Weißt du, ich wunde re mich eigentlich auch darüber. Doch nun wollen wir end lich aufbrechen. Du hast mir einen Strich durch meine Vormittagsarbeit gemacht, du Ausreißer«, wandte sie sich an Gudrun. »Als ich nämlich hörte, daß deine Frau Mama dich nach Hohenwerth entführt habe, hielt ich es für bes ser, als Verstärkung zu erscheinen. Und nun auf Wiederse hen, Bern. Doch halt, nein, wir haben uns das Prinzeßchen ja noch gar nicht angesehen. Ist's erlaubt?« Der Graf führte sie ins Kinderzimmer. Mit einer Behutsam keit, wie man sie diesem Mann gar nicht zugetraut hätte, hob er seine kleine Tochter aus dem Bettchen und hielt sie den Damen hin. Traude Röstel sah verlegen auf das Spitzenbündel nieder. »Bißchen klein«, meinte sie vorsichtig. »Aber Traude, mein Kleinchen ist doch kein Riesenbaby!« entrüstete sich der Graf. Und nun blitzte es in den dunklen Augen Traudes humorvoll auf. »Ja, mein lieber Bern, was soll ich da bewundern? Für die Eltern mag so ein Wurm ja der Urquell aller Freuden sein. Doch ein fremder Mensch, der nicht durch die Brille der Elternliebe sieht, – nimm's mir nicht übel, Bern – « Nun drohte ihr der Graf und legte sein Töchterchen zurück, mit lachender Entrüstung bedauernd, daß er sein Kleinod so unverständigen Augen überhaupt preisgegeben. Er führte die Damen in die Halle und nahm ihnen das Ver sprechen ab, am ersten Weihnachtsfeiertag Hohenwerth ihren Besuch abzustatten. Am ersten Weihnachtsfeiertag, um die Kaffeestunde, trafen Traude und Gudrun in Hohenwerth ein. Sie fanden die Schwiegermutter des Grafen, seinen Schwager Gero von Barnim und dessen Frau vor. Gero von Barnim, der fünfundzwanzig Jahre zählte, war dem Grafen bei der Verwaltung seiner Güter eine große, zuverlässige Stütze. Ein offener, unkomplizierter Charakter, tüchtig als Mitarbeiter, treu und selbstlos als Freund. Er
hatte nicht die faszinierende Erscheinung des Grafen, machte jedoch mit seiner mittelgroßen Gestalt, dem hüb schen, etwas zu weichen Gesicht und den treuherzigen blauen Augen ebenfalls einen durchaus vornehmen Ein druck. Entzückend war seine kleine Frau, mit der er seit einem Vierteljahr ganz unvernünftig glücklich verheiratet war, wie er selbst behauptete. Sie begrüßten Gudrun mit Herzlich keit. Frau von Barnim konnte es Gudrun nicht verzeihen, daß sie sie so schnöde im Stich gelassen hatte und das Geld nicht gab, das sie von ihr erwartete. Ihre Begrüßung fiel daher sehr kühl aus, und die von Fee nicht minder. Es wollte in dem kleinen Kreise keine Gemütlichkeit auf kommen. Die verhätschelte Fee konnte dem Gatten noch immer nicht die Szene von neulich verzeihen. Und wenn sie an den gestrigen Heiligabend dachte – wie kalt war er da gewesen, wie unpersönlich! Er hatte ihr ja alle Wünsche erfüllt, hatte ihr sogar die Reise nach St. Mo ritz bewilligt, ihr die ganze Ausrüstung dafür geschenkt – zum Dank für das Töchterchen. Nun unterhielt er sich mit Traude Röstel und legte einen so liebenswürdigen Ton in die Unterhaltung, wie er ihn ihr gegenüber niemals anschlug. Wie sie diese Person haßte! Es war kaum glaublich, daß der kalte, herzensarme Bernulf an jemand so hängen konnte wie an dieser Kindheitsge spielin. Traudes Vater war Güterdirektor beim alten Grafen Hellmarck gewesen und hatte in einem Beamtenhaus auf Hohenwerth gelebt. So wurde denn der kleine Graf Bernulf und die um drei Jahre ältere Traude unzertrennliche Spiel gefährten. »Nun, Gräfin, was hat der Weihnachtsmann gebracht?« Fee wußte nicht recht, ob sie eine kühlhöfliche Antwort geben oder ob sie ihre Geschenke aufzählen sollte. Sie ent schloß sich für das letzte; mochte diese abscheuliche Per son doch wissen, was alles sie bekommen hatte.
So zählte sie denn vielerlei luxuriöse, nichtige Dinge auf, an denen ihr Herz nun einmal hing und die sie sich bren nend gewünscht hatte. »Doch die Hauptsache ist eine vierwöchige Reise nach St. Moritz«, schloß sie triumphierend. Sie sah sich im Kreis um, um sich an der Wirkung dieser Eröffnung zu weiden. Doch Bewunderung las sie eigentlich nur in den Augen ihrer Schwägerin, der entzückenden IlseDore. »Da kannst du dich aber freuen, Fee!« sagte diese neidlos. »Aber fällt es dir nicht schwer, von deinem Baby fortzuge hen? Es ist doch in dem Alter, in dem man so kleine Kinder nicht gern fremden Händen überläßt. Und dann ist Baby auch ganz besonders zart – « Ilse-Dores Worte riefen bei Fee und ihrer Mutter tiefste Empörung hervor. Und wären beide Damen nicht zur Rücksichtnahme gezwungen gewesen – o weh, arme IlseDore! Denn Frau von Barnim fürchtete neuerdings nicht nur den Grafen, sondern auch ihren Sohn, der wie ein gereizter Tiger werden konnte, sofern man seiner geliebten Frau auch nur mit einem Wort zu nahe kam. So zwang denn die Mutter ihre Empörung nieder und ant wortete an Stelle der Tochter – allerdings sehr von oben herab; das konnte sie sich immerhin leisten. »Liebes Kind, das kannst du doch unmöglich beurteilen«, sagte sie voll Würde. »Ich glaube nicht, daß du imstande sein wirst, dein Baby , einmal so zu betreuen, wie eine erste Pflegerin aus einem erstklassigen Institut es kann.« Ilse-Dore hätte viel darauf antworten können, doch sie hielt es für besser zu schweigen. Die Stimmung war ohne hin schon ungemütlich genug. Das fand auch Traude Röstel und beschloß daher, einen anderen Ton in diese eisige Atmosphäre zu bringen. Sie ahnte jedoch nicht, daß sie mit der Frage, die sie nun an den Grafen stellte, einen Mißgriff machte. »Was hat dir denn der Weihnachtsmann gebracht, Bern?«
»Nichts«, war die knappe Antwort. »Nichts?« rief Traude verblüfft, und ihr Ton sprach Bände. Dadurch fühlte sich Fee selbstverständlich getroffen. »Sie brauchen gar nicht so erstaunt zu fragen, Fräulein Rö stel«, sagte sie gereizt. »Wovon soll ich etwas schenken? Bernulf hält mich in letzter Zeit so knapp, daß es eine Schande ist! Er hätte mir nur das Geld zu geben brauchen, das er für die Leutebescherung vergeudet hat, dann hätte er die schönsten Geschenke haben können. Und ich – habe ich ihm denn nicht genug geschenkt – ist denn das Baby nichts?« »Ach so, Bern, da hast du also deine Geschenke schon auf Jahre voraus«, meinte Traude trocken. Selbst auf die Gefahr hin, die puppenhafte Gräfin immer mehr zu reizen – diese Bosheit konnte sie sich nicht verkneifen. »Aber Fräulein Röstel – doch nicht unser Püppchen är gern«, sagte Frau von Barnim vorwurfsvoll. Schon liefen die hellen Tränen aus den blauen Augen. An der Mutter hatte man, gottlob, einen starken Schutz, da konnte man sich schon einmal gehen lassen. »Ja, was soll ich denn?« rief sie mit ihrer hellen Stimme erbittert. »Ich sage doch, daß ich kein Geld habe! Warum mußte diese kostspielige Leutebescherung sein? Hätte ich das Geld zur Verfügung gehabt, dann hätte ich Bernulf selbst seinen größten Wunsch erfüllen und ihm eine Reit gerte schenken können – als Ersatz für seine verlorene, tief betrauerte – « Sie hielt inne, denn gar zu drohend war der Blick des Gat ten. »Liebes Kind«, sagte er gelassen, »deine Erregung ist ebenso unnötig, wie sie unschön ist. Du mußt es mir schon über lassen, ob ich etwas, das ich tue, für richtig halte oder nicht. Meine verlorene Reitgerte kannst du mir nie ersetzen, und zwar aus dem einfachen Grund nicht, weil sich so lie be Andenken nun einmal nicht ersetzen lassen. So – und damit wollen wir das unerquickliche Thema beenden.« Doch da fragte Gudrun ganz unerwartet:
»Wie sah die Gerte aus, Graf Hellmarck?« »Du hörst es doch, Gudrun, Bernulf spricht nicht gern dar über!« rief Fee immer gereizter. Der Graf sah sie erstaunt an, und er umgab sich mit einem Hauch eisiger Ablehnung. Man merkte, wie widerwillig ihm die Worte, die die Höflichkeit ihm abrang, von den Lippen kamen: »Die Gerte selbst unterschied sich durch nichts von ande ren Gerten. Jedoch der Knauf war eigenartig. Ein Pferde kopf aus altem Gold, als Augen wundervolle, leuchtende Saphire. Vielleicht war die Gerte nicht einmal sehr wertvoll; ich weiß es nicht – doch mir war sie ein liebes, unersetzli ches Andenken.« »Warum willst du das denn wissen, Gudrun? Willst du Ber nulf etwa eine Gerte schenken?« fragte Fee höhnisch. »Vielleicht«, war die gelassene Erwiderung. Es wollte keine Gemütlichkeit aufkommen, immer wieder gab es Reibereien. Die Falte auf des Schloßherrn Stirn ver tiefte sich. »So, Traude, wirst du uns nun erzählen, was dir der Weih nachtsmann gebracht hat?« wandte er sich an die Kind heitsgespielin. »Oh, mir?« sagte diese lachend, »darauf kommst du im Leben nicht, Bern!« »So – das sollte mich wundern. Ist es etwas so Ausgefalle nes?« »Na, es geht. – Nicht, Entlein?« Diese nickte lächelnd. »Nun, Bern, ich will gnädig sein und dich nicht lange raten lassen. Also – einen Bräutigam!« Sie lachte Tränen über sein verblüfftes Gesicht. »Glaubst du mir nicht, Bern?« rief sie übermütig. »Ja – aber warum denn?« »Warum ich einen Bräutigam habe?« lachte Traude, sich schüttelnd. »O Bern, Bern! Selbstverständlich zum Heira ten!« »Ja, gewiß – aber wer ist es?« fragte er, immer noch ver
blüfft. »Rönner.« »Der Justizrat Rönner?« »Ja. – Gefällt er dir nicht?« »Das schon. Doch Traude, das hättest du eigentlich schon viel früher haben können – du kennst ihn doch schon mindestens zehn Jahre?« »Das konnte ich eben nicht früher haben, mein Jungchen. Willst du mir nicht gratulieren?« »Welche Frage, Traude! Meinen herzlichsten Glück wunsch!« Er zog ihre Hände an die Lippen – immer wieder. »Das kommt mir zu überraschend, Mädel, man hat ja gar nicht mehr zu hoffen gewagt! Warum brachtest du deinen Verlobten nicht mit?« »Er kommt später einmal. Heute hatte er eine dringende Familiensitzung, bei der ich überflüssig war.« Nun gratulierten auch die anderen. Fee tat es zwar sehr widerwillig, es blieb ihr jedoch nichts anderes übrig. Wie Bernulf Traude angestrahlt, ihr die Hände geküßt hat te, – so war er zu ihr nie – nicht mehr! Traude merkte es sehr wohl, wie widerwillig die Gräfin ihr die Hand entgegenstreckte, und sie konnte ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken. Recht kräftig schüttelte sie das Händchen^ das wie eine Kleinkinderhand in ihrer kräftigen lag. Noch größer, noch massiver wirkte ihre Gestalt neben der puppenhaften Frau. Das Puppengesicht, die blauen Augen, der Wuschelkopf – alles an sich ganz allerliebst. Doch über den Geschmack läßt sich streiten, und Traude Röstels Geschmack war Fee nun einmal ganz und gar nicht – in keiner Beziehung. Der Diener öffnete die Flügeltüren und meldete, daß der Kaffee serviert sei. So gingen alle Anwesenden ins Früh stückszimmer. Der Graf hatte angeordnet, der Kaffee solle dort getrunken werden. Und es stellte sich bald heraus, daß er damit das Richtige getroffen hatte. Schon allein das ge mütliche Zimmer mußte besänftigend auf die Gemüter
wirken, die heute gar so kriegerisch gestimmt waren.
Dazu war der Kaffee vorzüglich. Kein Wunder, daß die all gemeine Stimmung friedlich war, wenigstens solange man
mit Essen und Trinken beschäftigt war.
Danach ging man wieder in den kleinen Salon zurück und
merkte dort erst, daß Gudrun nicht mitgekommen war.
Traude Röstel vermochte es sich nicht zu erklären, wo das
Mädchen geblieben sein könnte, und wurde unruhig.
Nach ungefähr einer Stunde trat die Vermißte ein.
»Gudrun, Liebling, wo steckst du nur?« rief Traude erregt,
und das Mädchen lachte sie aus.
»Traude, du Gute, deine Aufregung verstehe ich nicht.
Wenn ich in der großen Stadt, in der ich nun schon jahre lang lebe, noch nicht verlorengegangen bin, werde ich es
hier ganz gewiß nicht.«
»Da hast du wieder einmal recht«, gab Traude verlegen zu.
Gudrun näherte sich dem Schloßherrn, stand vor ihm, oh ne Spur von Verlegenheit.
»Ich wollte Ihnen nur Ihr Eigentum wiedergeben, Graf
Hellmarck.« Dieser wagte nicht, sich zu rühren, sondern
starrte nur auf die Reitgerte, die Gudrun ihm entgegenhielt.
Die anderen waren hinzugetreten und nicht weniger ver wundert als der Graf. Es herrschte tiefe Stille, die endlich
Gudruns weiche Stimme unterbrach:
»Wollen Sie die Reitgerte nicht nehmen, Graf Hellmarck?«
Nun kam Leben in die Gestalt des Schloßherrn. Er ergriff
die Gerte und drehte sie nach allen Seiten.
»Wo haben Sie sie her? – Ich kann es gar nicht fassen«,
murmelte er.
»Sie staunen, Graf Hellmarck! Was für Zufälle es doch im
Leben gibt! Gerade ich mußte diese Gerte im Wald finden,
als ich vor ungefähr einer Woche mit den Skiern unterwegs
war. Ich hätte sie gar nicht gesehen, wäre ahnungslos daran
vorübergeglitten, wenn ich nicht gestürzt wäre. Und gerade
an der Stelle, wo ich lag, ragte die Gerte aus dem Schnee
hervor, muß also schon längere Zeit dagelegen haben. –
Die Kostbarkeit und Eigenart dieses wundervollen Stückes
rief mein Interesse an dem Besitzer hervor. Doch irgendein Gefühl hielt mich davon ab, sie einem Fundbüro zu über geben, obgleich ich damit ein Vergehen beging. Das Wap pen wies aus, daß die Gerte einem Edelmann gehören mußte. Doch das ist nicht Ihr Wappen, Graf Hellmarck!« »Da haben Sie recht, Gudrun. Die Gerte drückte mir mein sterbender Freund, der bei einem Ritt verunglückte, in die Hand. Daher ist sie mir auch so lieb und wert«, sagte er leise. »Oh, dann freue ich mich um so mehr, daß ich Ihnen das wertvolle Stück wiederbringen konnte«, entgegnete Gud run. »Jedenfalls danke ich Ihnen von ganzem Herzen.« Er zog ihre Hände an die Lippen. – Da meldete sich Gero: »Gudrun, Bernulf – Kinder – ihr nennt euch Sie? Das ist mir einfach unverständlich. Wenn ihr euch auch fremd seid – leider – so ist dennoch nichts daran zu ändern, daß ihr Schwager und Schwägerin seid, euch also duzen müßt. Oder liegt das etwa an dir, Schwesterchen?« Nun mußte Gudrun lachen, zögerte noch einen Augenblick und streckte dem Grafen dann die Hand hin. »Mir ist es recht«, sagte sie unsicher. »Und mir schon lange, kleine Schwägerin! Ich danke – dir.« »Und hier ist noch jemand, der ein Du von dir beans prucht, Entlein«, ließ sich Gero wieder vernehmen und schob seine Frau der Schwester zu. Ilse-Dores schöne Au gen hingen an Gudrun mit bittendem Blick. »Aber gern«, sagte das Mädchen, indem es die Hände der Schwägerin ergriff, »ich glaube, dich kann ich liebhaben, Ilse-Dore.« In den nächsten Tagen herrschte auf Schloß Hohenwerth ein wüstes Durcheinander. Die junge Gräfin stellte alles auf den Kopf und hetzte die Dienerschaft mit den unsinnigsten Befehlen hin und her. So atmeten alle erleichtert auf, als sie gleich nach Neujahr sich anschickte, die Reise nach St. Mo ritz anzutreten. Der Gatte brachte sie zur Bahn, suchte ihr ein Abteil aus,
kaufte ihr Bücher und Näschereien. Sie sah ihm stumm zu, und als er sich umwandte, umarmte sie ihn. »Bernulf, du bist so gut zu mir – und doch zürnst du mir immer noch«, schluchzte sie. Er kannte das zur Genüge, hatte zu oft erfahren müssen, daß die Tränen bei seiner Frau sehr locker saßen und nicht tragisch zu nehmen war en. »Ich zürne dir nicht mehr, Fee«, sagte er freundlich, doch mit einer Spur von Ungeduld. »Fahre nur freien Herzens, und amüsiere dich gut.« »Du weißt, Bernulf, daß ich nicht froh sein kann, wenn du nicht bei mir bist! – Ich sehne mich dann so schrecklich nach dir.« Seine Mundwinkel zogen sich nach unten – geringschätzig, voll beißender Ironie. »So? Nun, dann gebe ich dir den einen guten Rat, mein Kind: Bleib hier, – dann brauchst du dich nicht nach mir zu sehnen.« Erschrocken sah sie ihn an. »Aber nein, Bernulf – ich sagte ja nur – ich meinte – ach ja, das meinte ich,- vielleicht kannst du mich begleiten?« stot terte sie in höchster Angst, daß sie auf die Reise verzichten mußte. »Fee, ich habe andere Sorgen, als in St. Moritz dem lieben Gott den Tag zu stehlen und mich zu amüsieren.« »Wie du manchmal bist!« schmollte sie. In den ersten Wo chen ihrer Ehe hatte der Gatte das sehr niedlich gefunden und hatte ihr jeden Wunsch erfüllt. Doch sie hatte es zu oft versucht – jedenfalls reagierte er schon lange nicht mehr darauf; nun konnte sie schmollen, so viel und so oft sie wollte. »Nicht ein bißchen lieb und nett bist du zu mir!« beklagte sie sich. »So, bin ich das nicht?« entgegnete er zerstreut, indem er ihre Arme von seinem Nacken löste. »Das mußt du nicht so tragisch nehmen, Fee, ich habe viel im Kopf. Übrigens, was ich noch fragen wollte: Ist Baby bei der Pflegerin auch wirk
lich gut aufgehoben?« »Aber Bernulf, welche Frage! Glaubst du, ich würde reisen, wenn ich mein Kind nicht in besten Händen wüßte?« »Na ja, gewiß. Doch man hört überall von anderen Müt tern, daß sie sich von einem so kleinen Kind ohne Grund nicht trennen würden.« »Ach so, nun fängst du so an!« rief sie, während ihr die Tränen in die Augen schossen. »Du willst mir noch in letz ter Minute die Reise vergraulen, willst wohl gar – « »Aber nein, nein – um Himmels willen nicht!« unterbrach er sie ungeduldig. »Fahre in Gottes Namen und amüsiere dich!« Sie beruhigte sich auch auffallend schnell. »Nun muß ich das Abteil verlassen, Fee; es ist nur noch eine Minute bis zur Abfahrt des Zuges. Also, Fee – auf Wie dersehen – melde dich bald.« Er verbeugte sich und eilte davon. Auf dem Marktplatz des Städtchens stieß er auf Traude Rö stel und Gudrun. »Ah, sieh da, unser Freund Bern«, sagte Traude vergnügt. »Woher des Wegs?« »Ich habe meine Frau zur Bahn gebracht und habe noch allerlei zu erledigen.« »Also Strohwitwer. Da würde ich dir den guten Rat geben, deine geschäftlichen Angelegenheiten rasch zu erledigen und den Rest des Tages in unserer Gesellschaft zu verbrin gen. Wenn dich jedoch die Öde deines Heims lockt – « »Traude, du Spottvogel!« sagte er lachend. »Mit dem größ ten Vergnügen finde ich mich bei dir ein, sobald ich fertig bin.« – Er kam gerade zum Abendessen zurecht und wurde von Traude herzlich empfangen. Dr. Rönner, Traudes Verlobter, war ebenfalls zugegen und nahm die Glückwünsche des Grafen frohgelaunt entgegen. Hellmarck kannte und schätzte diesen tüchtigen, angesehenen Anwalt schön seit den zehn Jahren, die er im Städtchen weilte. Er wunderte sich immer wieder, daß die Herzen der beiden famosen
Menschen sich nicht schon früher gefunden hatten. Es wurde ein sehr gemütliches Mahl. Traude besaß aber auch eine ganz besondere Gabe, Wärme und Traulichkeit um sich zu verbreiten, das hatte Graf Hellmarck schon als wilder Knabe empfunden und sich gern von ihr verhät scheln lassen. Wenn er dagegen an die Ungemütlichkeit seines eigenen Heims dachte.- Nein, er wollte sich heute die Laune nicht verderben. Die Stunden verrannen wie im Flug, und es war spät, als die beiden Herren sich verabschiedeten. Graf Hellmarck mußte versprechen, während seiner Strohwitwerschaft recht oft zu kommen, was er auch sehr gern tat. Traude gab den Herren noch bis zum Portal der Villa das Geleit, dann eilte sie in das Wohnzimmer zurück. Gudrun kauerte in einem Sessel, und Traude ging zu ihr, umfaßte ihre Schulter und sah ihr mit zärtlichem Blick in die Augen. »Du siehst wieder miserabel aus, Entlein. Ich habe dich den ganzen Abend über nicht ein einziges Mal sprechen hören.« »Man muß schweigen, wenn kluge Leute reden.« »Du hast es nötig, meine Kleine! Ich glaube, das Baby ist heute kaum noch imstande, sich allein zu entkleiden.« Sie brachte Gudrun nach oben. Gudrun hatte ihr eigenes Zimmer in der Villa der Freundin und konnte es zu jeder Zeit beziehen. »Was ich schon lange wissen wollte, Traude: Wie steht Ber nulf wirtschaftlich – hast du eine Ahnung?« »Ja, Kindchen, das ist eine böse Sache. Vor Jahren war er ein reicher Mann. Doch die heutigen Verhältnisse sind für einen Landwirt alles andere als rosig. Dann hat er viel ge baut, verschönert, alles nach dem neuesten Stil eingerich tet, die modernsten Maschinen angeschafft. Das hält selbst der größte Geldbeutel auf die Dauer nicht aus, wenn die Einnahmen im Vergleich zu den Ausgaben gleich Null sind. Und im letzten Jahr – doch sag, Entlein, stehen dir Eltern und Schwester nahe?« »Das kannst du nicht von mir verlangen, Traude.«
»Tu' ich auch nicht, mein Herz. Also, siehst du – deine Schwester Fee ist das echte, rechte Luxusweibchen, und dein Schwager Bernulf ist der vornehmste, ritterlichste Mann, der sich nicht lumpen läßt. Jedenfalls sieht es traurig aus in Hohenwerth. Noch einige unvorhergesehene Ereig nisse, vielleicht eine Mißernte – und Bernulf ist erledigt.« »Dann verstehe ich Fees kostspielige Reise nicht, Traude.« »Das glaube ich dir, mein Herz, die wird kein vernünftig denkender Mensch gutheißen können. Doch siehst du, Fee hat ihm das Mädchen geschenkt, die Reise war schon lange ihr Wunsch – na also! Ich will mich gar nicht wundern, wenn die Frau Mama bald nachreist, selbstverständlich nicht von ihrem Geld.« »Unglaublich – dann ist Bernulf ein Schwächling!« »O nein, mein Herz, das ist er ganz und gar nicht. Er ist nur ein Mann, dem Jammern und Klagen ein Greuel sind.« »Noch eine Frage, Traude: Nutzt auch Gero Bernulf aus?« »Nein, Gudrun, ganz gewiß nicht. Der patente Junge hat nichts, auch gar nichts von seinen Eltern – genausowenig wie du. Er wird von Bernulf besoldet, anständig sogar, wie es sich für seine verantwortungsvolle Stellung gehört.« »Du scheinst Bernulf sehr zu schätzen?« »Ja, Gudrun, das muß jeder, der ihn kennt. Er ist der vor nehmste, hochherzigste Mann, den ich kenne. Und daher ist es ein Jammer, daß er eine solche Puppe als Gattin er wählt hat. Er wird diese Ehe durchs Leben schleppen müs sen, weil das Kind da ist. Und soweit ich Bernulf kenne, wird er um des Kindes willen die Ehe ertragen. Doch nun schlaf endlich, Entlein, sonst siehst du morgen noch elen der aus als sonst.« Sie küßte die Freundin herzlich und seufzte dabei schwer. Gudrun lachte, denn sie wußte genau, daß dieser Seufzer ihrer körperlichen Verfassung galt, die dieser treuen Freun din viel Kummer bereitete. »Laß gut sein, Traudelein«, sagte sie, schon halb im Schlaf. »Eines Tages werde ich so auf der Höhe sein, daß du mich händeringend zum nächsten besten Entfettungskurinstitut
schleifen wirst.« »Wollen es hoffen«, lachte Traude und ging in ihr Schlaf zimmer. Schon eine ganze Weile beobachtete Graf Hellmarck von seinem Gaul aus die Skiläuferin, die sich auf der Waldwiese tummelte. Wer mochte sie sein? Soviel Schneid und Grazie sah man selten. Nun kam sie endlich näher, und sein Erstaunen kannte keine Grenzen, als er in ihr seine Schwägerin Gudrun er kannte. Eine solche Verblüffung spiegelte sich auf seinem Gesicht, daß sie hellauf lachte. »Guten Tag, Bernulf! Du schaust mich ja an wie ein Wesen, das dir nicht ganz geheuer erscheint«, sagte sie spöttisch. »Tatsächlich, Gudrun, mir erscheint es auch wie ein Wun der, daß du eine so hervorragende Skiläuferin bist.« »So – bin ich das?« fragte sie achselzuckend und ein klein wenig von oben herab. »Das weiß ich nämlich selbst noch nicht. Ich finde Freude an diesem Sport, und es ist mir die Hauptsache, daß ich nicht ewig auf der Nase liege. Wie ich ihn sonst ausübe – hervorragend oder nicht –, das fällt für mich nicht ins Gewicht.« »So wenig eitel bist du, Schwägerin?« »Ich – eitel?« Eine grenzenlose Verachtung lag in den Wor ten. Er sah sie scharf an und mußte feststellen, daß sie wieder einmal so unvorteilhaft wie nur irgend möglich aussah. Der wollene Anzug, der von ungeübter Hand aus mißfarbi ger Wolle gestrickt war, sah verboten aus. Und dann die unschöne Schneebrille, die das hagere Gesicht noch mehr verdeckte, als die »Intelligenzbrille« es für gewöhnlich tat! Wieder trat ein mitleidiger Ausdruck in seine Augen – und wieder flog Gudruns Kopf in den Nacken. »Ich muß eilen, damit ich zum Mittagessen zurück bin. Auf Wiedersehen, Bernulf.« »Schade! Willst du nicht mit mir nach Hohenwerth kom men und mir einsamem Mann einige Stunden schenken – oder schickt sich das nicht?«
»Nicht schicken?« Sie lachte spöttisch und amüsiert auf. »Nein, so zurückgeblieben bin ich nicht, Bernulf.« »So komm, Gudrun, ich bitte dich herzlich darum.« »Nun gut, ich komme mit dir«, entgegnete sie kurz ent schlossen. »Doch ich muß von Hohenwerth aus Traude benachrichtigen, sonst ängstigt sie sich um mich.« »Das ist selbstverständlich, Gudrun. Du ißt bei mir zu Mit tag, trinkst mit mir den Nachmittagskaffee, und dann fahre ich dich zur Stadt zurück. Einverstanden, Schwägerin?« »Ja – das heißt – « »Nichts heißt – sei keine Spielverderberin, Gudrun!« »Bin ich ja auch gar nicht. Ich wollte dir nur den Vorschlag machen, daß wir Traude bitten könnten, nach Hohenwerth zu kommen.« »Ach ja, das ist eine famose Idee. Daß ich nicht selbst dar auf kam!« Unter lebhaften Gesprächen erreichten sie das Schloß. Der Diener wies Gudrun ein Zimmer an, in dem sie sich zu rechtmachen konnte, so gut es bei der Sportkleidung eben ging. Als der Graf kurz vor dem Mittagessen noch ins Kin derzimmer eilte, um nach seinem Töchterchen zu sehen, fand er Gudrun schon dort vor. Sie stand über das Baby bettchen gebeugt und war in den Anblick des Kindes ver sunken. Eben ergriff sie das Händchen der schlafenden Kleinen und drückte behutsam einen Kuß darauf. »Armes Kleines«, murmelte sie. »Warum >armes Kleines