Jonas Rommelspacher Automatisierung von Führungsentscheidungen
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Jonas Rommelspacher Automatisierung von Führungsentscheidungen
VIEWEG+TEUBNER RESEARCH Entwicklung und Management von Informationssystemen und intelligenter Datenauswertung Herausgeber: Prof. Dr. Paul Alpar, Philipps-Universität Marburg Prof. Dr. Ulrich Hasenkamp, Philipps-Universität Marburg
Jonas Rommelspacher
Automatisierung von Führungsentscheidungen Framework, Modellierung und Prototyp
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ulrich Hasenkamp
VIEWEG+TEUBNER RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Philipps-Universität Marburg, 2011
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg+ Teubner Verlag I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Ute Wrasmann
I Britta Göhrisch-Radmacher
Vieweg+ Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8348-1705-1
Geleitwort Die Automatisierung von Führungsentscheidungen war seit dem Beginn des massenhaften Einsatzes von Informationstechnik in Unternehmen, etwa zu Beginn der 1970er Jahre, ein beherrschendes Thema. Nach schnellen Erfolgen bei der Automatisierung von einfachen Routinetätigkeiten, insbesondere des externen Rechnungswesens, wandte man sich vehement dem "Höheren" zu und stellte den Schwerpunkt der Entwicklung unter das Schlagwort "Management Information System". Der Gipfel der - aus heutiger Sicht naiven - Visionen war das "Total Information System". Die damit verbundene Vorstellung von einer vollen oder zumindest weitgehenden Automatisierung erwies sich als unerreichbar. Damit schlug das Pendel in die andere Richtung aus, und die Entwicklung der Informationstechnik konzentrierte sich auf eine bloße "Unterstützung" des Managements durch Informationsbereitstellungssysteme und analytische Informationssysteme, ohne den Anspruch einer AutomatiSierung im engeren Sinne. Damit geriet der Gedanke einer Automatisierung von Führungsentscheidungen genauso in Vergessenheit wie etwa die Künstliche Intelligenz, die wegen anfänglich zu euphorischer Erwartungen enttäuschte und erst später wieder interessant wurde.
Tatsächlich hat die Informationstechnik das Potenzial zur Übernahme von Aufgaben, die man gemeinhin als Managementaufgaben ansieht, und dieses Potenzial wurde und wird auch - zumindest auf unteren und mittleren Managementebenen - genutzt. Der Trend zum "Lean Management" in den 1980er und teilweise den 1990er Jahren wäre sonst nicht so erfolgreich gewesen. Allerdings waren die treibenden Kräfte die Praktiker. Eine wissenschaftliche Fundierung der Automatisierung von Führungsentscheidungen hat es nur ansatzweise gegeben. Auf der anderen Seite wurden Ansätze aus der Wissenschaft zur aktionsorientierten Informationsverarbeitung (Anreicherung von analytischen Informationssystemen um aktive Komponenten) von der Praxis (noch) nicht allgemein akzeptiert. Vor diesem Hintergrund hat der Verfasser sich die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, das Wesen von Führungsentscheidungen an sich zu ergründen, um davon ausgehend die Automatisierbarkeit zu untersuchen und - im positiven Fall - ein Konzept dafür zu entwickeln.
Geleitwort
VI
In der Arbeit wird zunächst die Forschungskonzeption anhand einer Konfiguration wissenschaftstheoretischer Kategorien dargelegt. Der Verfasser entscheidet sich im Anschluss an die Skizzierung möglicher Positionen für ein konstruktionsorientiertes Forschungsparadigma, angelehnt an die im angelsächsischen Bereich so genannte Design Science. Nach der Herleitung grundlegender Begriffe werden die Merkmale von Führungsentscheidungen herausgearbeitet und ermittelt, unter welchen Voraussetzungen diese einer Automatisierung zugänglich sind. Die Automatisierung von Führungsentscheidungen erfolgt dabei in Anlehnung an die soziologische Systemtheorie mithilfe von Entscheidungsprogrammen, wobei je nach Ansatzpunkt der Programmdefinition zu unterscheiden ist in Konditional- und Zweckprogramme. Da sich beide Alternativen in ihrer Reinform nicht zur Automatisierung von Führungsentscheidungen eignen, nutzt der Verfasser die so genannte Programmverschachtelung, bei der untergeordnete Programme als Entscheidungsalternativen übergeordneter Zweckprogramme dienen. Auf dieser Basis entwickelt er ein Framework zur Automatisierung von Führungsentscheidungen. Die Überprüfung des Gedankengebäudes anhand eines Prototyps führt zwei kleine Beispiele aus dem Bankbereich ein. Die Modelle sind auf das Wesentliche reduziert und demonstrieren die relevanten Eigenschaften deutlich. Insgesamt handelt es sich um eine Arbeit, die die Diskussion um die Automatisierbarkeit von Führungsentscheidungen neu entfachen wird.
Prof. Dr. Ulrich Hasenkamp
Vorwort An dieser Stelle möchte ich mich bei den Menschen bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Hasenkamp danke ich für die Betreuung meiner Arbeit und für die große akademische Freiheit, die er mir beim Erstellen der Arbeit eingeräumt hat. Herrn Prof. Dr. Erich Priewasser danke ich für die sofortige Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen und sein Engagement bei der Erstellung desselben. Bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn Prof. Dr. Michael Kirk für den Vorsitz im Prüfungsausschuss. Sehr geholfen haben mir die fachlichen Diskussionen und Anregungen im Rahmen des Doktorandenkolloquiums am Institut für Wirtschaftsinformatik. Hervorheben möchte ich meinen Freund und Kollegen Dr. Lars Burmester, der durch das Lesen unfertiger Textfragmente und fruchtbare inhaltliche Diskussionen wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Zudem danke ich Ivonne Krösehel für das sorgfältige Korrekturlesen. Eine Promotion ist ein umfangreiches Projekt, das mit viel Arbeit und Unsicherheit verbunden ist. Diese Herausforderung konnte ich nur meistern, weil meine geliebte Frau Marion neben ihrer eigenen Doktorarbeit immer ein offenes Ohr für meine Probleme und Sorgen hatte. Ich hoffe auf viele weitere glückliche Jahre mit ihr und möchte ihr diese Arbeit widmen. Sicherlich viel langweiliger wäre unsere Promotionszeit ohne unsere Freunde Karsten und
Anne geworden. Dafür herzlichen Dank! Abschließend danke ich meinen Eltern für ihre Zuneigung und die vermittelten Werte sowie für ihre Unterstützung bei meinen Plänen und Vorhaben. Jonas Rommelspacher
Inhaltsübersicht Teil I: Prablemstelluns, Terminologie und Grundlagen ................................... 1 1
Einführung ..................................................................................................3
2
Terminologie und Grundlagen der Informationssystementwicklung....... 25
Teil 11: Forschunpgegenstand ...................................................................... 59
3
(Führungs-)Entscheidungen und deren Automatisierung ........................ 61
4
Informationssysteme zur Automatisierung und Unterstützung von (Führungs-)Entscheidungen ......................................................................93
Teil"': Erkenntnisangebot ......................................................................... 145
5
Framework zur Automatisierung von Führungsentscheidungen ........... 147
6
Modeilierungssprachen für das AvFe-Framework .................................. 183
Teil IV: Begründung ................................................................................... 225
7
Prototyp ..................................................................................................227
8
Konformitätstest.. ...................................................................................259
9
Fazit ........................................................................................................ 263
Anhang ...................................................................................................... 265 Lfteraturverzelchnls ....................................................................................281
Inhaltsverzeichnis Tell I: Problemstellung, TermlnolOJie und Grundlagen ................................... l 1
2
Einführung .................................................................................................. 3 1.1
Problemstellung und Forschungsziele ................................................... 3
1.2
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit ...................................... 5 1.2.1
Forschungsparadigma .................................................................. 8
1.2.2
WIssenschaftstheoretische Grundpositionen ............................ 12
1.2.2.1
Wissenschaftstheoretische Fundierung des konstruktionsorientierten Forschungsparadigmas .......... 15
1.2.2.2
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen dieser Arbeit ..................................................................... 16
1.2.3
Forschungsmethode ................................................................... 18
1.2.4
Aufbau der Arbeit ....................................................................... 23
Terminologie und Grundlagen der Informationssystementwicklung ....... 25 2.1
Information .......................................................................................... 26
2.2
Informationssystem .............................................................................28
2.3
Frameworks ......................................................................................... 32
2.4
Modelle ................................................................................................ 34 2.4.1
2.5
2.6
Perspektiven auf den allgemeinen Modellbegriff ...................... 35
2.4.2
Modellbegriff dieser Arbeit ....................................................... .42
2.4.3
Informationsmodelle ..................................................................43
Modellierungstechniken und ihre Bestandteile ................................. .46
2.5.1
Modellierungssprache ............................................................... .47
2.5.2
Handlungsanleitung ...................................................................51
2.5.3
Metamodelle einer Modellierungstechnik ................................. 52
Ereignis ................................................................................................. 54
XII
Inhaltsverzeichnis
Teil 11: Forschungsgegenstand .........................•............................•............... 59 3
(Führungs-)Entscheidungen und deren Automatisierung ........................ 61 3.1
3.2
3.3
4
Entscheidungen und Entscheidungsmodelle ....................................... 61 3.1.1
Die allgemeine Struktur von Entscheidungen ............................ 62
3.1.2
Entscheidungsmodelle ............................................................... 68
Entscheidungen von Führungskräften ................................................. 70 3.2.1
Führungsentscheidungen - eine betriebswirtschaftliche Darstellung .................................................................................70
3.2.2
Die Bestandteile von Führungsentscheidungen .........................73
Ansätze zur Automatisierung von Führungsentscheidungen ..............80 3.3.1
Die "Programmierung" von Entscheidungen .............................80
3.3.2
Anforderungen an ein System zur Automatisierung von Führungsentscheidungen ...........................................................85
Informationssysteme zur Automatisierung und Unterstützung von (Führungs-)Entscheidungen ......................................................................93 4.1
Analytische Informationssysteme ........................................................94 4.1.1
Datennutzung analytischer Informationssysteme .....................97
4.1.2
Datenbereitstellung analytischer Informationssysteme ............99
4.1.3
Datenhaltung analytischer Informationssysteme .................... 104
4.1.3.1
Data-Warehouse-Konzept .............................................. 105
4.1.3.2
Die Architektur eines Data-Warehouse-Systems ............ 107
4.1.4 4.2
4.3
Beurteilung analytischer Informationssysteme ....................... 111
Ereignisgetriebene Informationssysteme ..........................................111 4.2.1
Aktive Datenbanksysteme ........................................................ 113
4.2.2
Datenströme und Datenstrommanagement-Systeme ............. 116
4.2.3
Complex Event Processing ........................................................ 120
4.2.4
Beurteilung ereignisgetriebener Informationssysteme ........... 124
Existierende Informationssysteme zur Automatisierung von Führungsentscheidungen ..................................................................126 4.3.1
Active Data Warehouse ............................................................ 128
XIII
Inhaltsverzeichnis
4.3.1.1
Begriffliche Grundlegung ................................................128
4.3.1.2
Das Active-Data-Warehouse-Konzept von Thalhammer et al ...........................................................131
4.3.2 4.4
Beurteilung des Active-Data-Warehouse-Ansatzes ................. 140
Zwischenfazit .....................................................................................142
Teil 111: Erkenntnisangebot ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 145 5
Framework zur Automatisierung von Führungsentscheidungen ........... 147 5.1
5.2
Gestaltungsoptionen zur Weiterentwicklung von Entscheidu ngsprogrammen ...............................................................147 5.1.1
Die Absorption von Dynamik durch Konditionalprogramme ... 148
5.1.2
Integration von Konditional- und Zweckprogrammen durch Programmverschachtelung ......................................................151
5.1.3
Schlussfolgerungen aus den systemtheoretischen Gestaltungsoptionen für das AvFe-Framework ....................... 155
Automatisierung von Führungsentscheidungen durch Programmverschachtelung: Das AvFe-Framework ............................ 156 5.2.1
5.2.1.1
Zweckregeln ....................................................................156
5.2.1.2
Daten zur Prüfung der Ziel erreichung ............................ 159
5.2.1.3
Detaillierung der Funktion Entscheidung ....................... 161
5.2.1.4
Anbindung von ECA-Regeln und Integration der Teilmodelle zu einer Programmhierarchie ..................... 165
5.2.2
Modelle einer mehrgliedrigen Programmhierarchie ............... 169
5.2.2.1
Zweckregel-Hierarchien ..................................................169
5.2.2.2
Daten zur Prüfung der Zielerreichung in mehrgliedrigen Programmhierarchien ....................................................179
5.2.3 6
Modelle einer einfachen Programmhierarchie ........................ 156
Zusammenfassung ....................................................................180
Modellierungssprachen für das AvFe-Framework .................................. 183 6.1
Die abstrakte Syntax des AvFe-Frameworks ......................................183
XIV
Inhaltsverzeichnis
6.2
6.1.1
Die Konstruktion von sprach basierten Metamodellen mit der Objekttypenmethode ...............................................................184
6.1.2
Das sprach basierte Metamodell des AvFe-Frameworks .......... 189
6.1.2.1
Das Metamodell von Zweckregel-Hierarchien ................ 190
6.1.2.2
Das Metamodell multidimensionaler Daten nach Goeken ................................................................... 194
6.1.2.2.1
Die abstrakte Syntax qualifizierender Informationen 194
6.1.2.2.2
Die abstrakte Syntax quantifizierender Informationen .............................................................200
6.1.2.3
Die Metamodelle von ECA-Regel und Aktivierungsmatrix ......................................................... 202
6.1.2.4
Integration der (Teil-)Metamodelle ................................204
Auswahl und Konstruktion von Modellierungssprachen ...................207 6.2.1
Repräsentationsanalyse von Modellierungssprachen ............. 207
6.2.2
Das multidimensionale Entity-Relationship-Modell zur Modeliierung multidimensionaler Daten .................................209
6.2.2.1 6.2.2.2
Die konkrete Syntax des MER-Modells ...........................212
6.2.2.3
Repräsentationsanalyse des MER-Modells .....................212
6.2.3
Ein erweitertes MER-Modell zur Modellierung von ZweckregelHierarchien ...............................................................................214
6.2.3.1
Die abstrakte Syntax des erweiterten MER-Modells ...... 214
6.2.3.2
Die konkrete Syntax des erweiterten MER-Modells anhand eines Fallbeispiels ...........................................................217
6.2.4
6.3
Die abstrakte Syntax des MER-Modells ..........................210
Der regel basierte ModelIierungsansatz zur ModelIierung von ECA-Regeln ...............................................................................219
6.2.4.1
Die abstrakte Syntax des regelbasierten Modellierungsansatzes ...................................................219
6.2.4.2
Die konkrete Syntax des regelbasierten Modellierungsansatzes ...................................................221
6.2.4.3
Repräsentationsanalyse des regel basierten Ansatzes .... 221
Zusammenfassung .............................................................................223
Inhaltsverzeichnis
Teil IV: Begründung ................•...................................................•.............. 225 7
Prototyp ..................................................................................................227 7.1
GoodBank AG .....................................................................................227
7.2
Räumlich differenzierte Preis politik für Konsumentenkredite .......... 228 7.2.1
Datenbank zur Vergabe der Konsumentenkredite ................... 230
7.2.2
Konzeptionelle Modelle zur Automatisierung der Führungsentscheidung .............................................................231
7.2.2.1
Multidimensionale Daten zur Überprüfung der Zielerreichung .................................................................231
7.2.2.2
ECA-Regeln und Aktivierungsmatrix ............................... 232
7.2.2.3
Zweckregel-Hierarchie Preis politik ................................. 235
7.2.3
7.3
Prototypische Implementierung mit Microsoft SQL Server 2008 .......................................................................237
7.2.3.1
Implementierung des Hypercubes GoodBankl.. ............ 237
7.2.3.2
Implementierung von ECA-Regeln und Speicherung der Aktivierungsmatrizen .....................................................240
7.2.3.3
Implementierung der Zweckregel-Hierarchie Preispolitik ......................................................................242
Prüfung der Kreditwürdigkeit ............................................................247 7.3.1
Daten zur Prüfung der Kreditwürdigkeit .................................. 248
7.3.2
Konzeptionelle Modelle zur Automatisierung der Führungsentscheidung .............................................................249
7.3.2.1
Multidimensionale Daten zur Prüfung der Zielerreichung .................................................................249
7.3.2.2
ECA-Regeln und Aktivierungsmatrix ............................... 250
7.3.2.3
Zweckregel-Hierarchie Kreditwürdigkeit ........................ 252
7.3.3
Prototypische Implementierung mit Coral8 und Microsoft SQL Server 2008 .......................................................................253
7.3.3.1
Implementierung des Hypercubes GoodBank_KW ........ 254
7.3.3.2
Implementierung der ECA-Regeln mit CoraI8 ................. 255
7.3.3.3
Implementierung der Zweckregel-Hierarchie Kreditwürdigkeit.. ...........................................................257
XVI
Inhaltsverzeichnis
8
Konformitätstest .....................................................................................259
9
Fazit ........................................................................................................263
Anhang •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 265 A
B
Entity-Relationship-Modell .....................................................................267 A.1
Sprachbasiertes Metamodell zur Definition der abstrakten Syntax .................................................................................................267
A.2
Die konkrete Syntax des Entity-Relationship-Modells ....................... 269
Ereignisgesteuerte Prozessketten ..........................................................271 B.1
B.2
Modellierungssprache .......................................................................271 B.1.1
Sprachbasiertes Metamodell zur Definition der abstrakten Syntax .......................................................................................271
B.1.2
Die konkrete Syntax ereignisgesteuerter Prozessketten ......... 276
Prozessorientiertes Metamodell zur Definition der Handlungsanleitung ...........................................................................276
Literaturverzeichnis ....................................................................................281
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Konstruktion der Forschungskonzeption .................................... 7
Abbildung 2:
Konzepte einer Forschungsmethodik ....................................... 19
Abbildung 3:
Modell der Forschungsmethodik .............................................. 22
Abbildung 4:
Aufbau der Arbeit ..................................................................... 23
Abbildung 5:
Modellverständnis 5tachowiaks ............................................... 37
Abbildung 6:
Perspektiven auf den allgemeinen Modellbegriff ................... .41
Abbildung 7:
Informationsmodellklassen ......................................................44
Abbildung 8:
Modellierungstechnik ...............................................................46
Abbildung 9:
Metamodelle .................................................................. ..........53
Abbildung 10: Uneare Interdependenzen ........................................................64 Abbildung 11: ZIelsystem ................................................................................. 65 Abbildung 12: Konditionalprogramm ............................................................... 82 Abbildung 13: Bezugsobjekthierarchien .......................................................... 88 Abbildung 14: Mehrdimensionales Untersuchungsumfeld ............................. 90 Abbildung 15: Entscheidungsunterstützung und -automatisierung ................ 93 Abbildung 16: Informationssystempyramide ................................................... 96 Abbildung 17: Schalenmodell der analytischen Informationssysteme zur Oatennutzung ..................................................................... 98 Abbildung 18: Konzeptionelles Modell eines Hypercubes ............................. 101 Abbildung 19: Hypercube mit Elementen ......................................................102 Abbildung 20: SlIce-Operation ....................................................................... 103 Abbildung 21: Dice-Operation ........................................................................ 103 Abbildung 22: Drill-down und Roll-up ............................................................104 Abbildung 23: Data-Warehouse-Architektur ................................................. 108
XVIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 24: ECA-Regel ................................................................................112 Abbildung 25: Funktionsweise eines DSMS ...................................................118 Abbildung 26: Ereigniswolke ..........................................................................121 Abbildung 27: Das komplexe Ereignis Front Running als Ereignisdiagramm .123 Abbildung 28: Latenzarten .............................................................................129 Abbildung 29: Architektur eines Active Data Warehouses ............................ 132 Abbildung 30: Einfache Programmhierarchie ................................................ 153 Abbildung 31: Zweckregel ..............................................................................157 Abbildung 32: Datenmodell mit Soll- und Ist-Daten ......................................160 Abbildung 33: Modelle einer Programmhierarchie .......................................167 Abbildung 34: Dimension Vertriebsort auf Typ- und Ausprägungsebene ..... 170 Abbildung 35: Zweckregel-Hierarchie ............................................................ l72 Abbildung 36: Heterarchie .............................................................................175 Abbildung 37: Parallele Hierarchie ................................................................. 176 Abbildung 38: Unterschiedliche pfadlängen .................................................. 176 Abbildung 39: Analysegraph von Thalhammer et al. .....................................178 Abbildung 40: Ist- und Soll-Daten ..................................................................180 Abbildung 41: Systematisierung von Abstraktionsprinzipien ........................ 187 Abbildung 42: Teilmodelle des sprachbasierten Metamodells ...................... 190 Abbildung 43: Metamodell der Zweckregel-Hierarchie ................................. 193 Abbildung 44: Metamodell multidimensionaler Daten (I) ............................. 195 Abbildung 45: Assoziation in einer Hierarchie ...............................................196 Abbildung 46: Metamodell multidimensionaler Daten (11) ............................ 197 Abbildung 47: Abstraktionsprinzipien auf Typ- und Ausprägungsebene ....... 198 Abbildung 48: Metamodell multidimensionaler Daten (111) ........................... 199 Abbildung 49: Metamodell der abstrakten Syntax multidimensionaler Datenmodelle .........................................201
Abbildungsverzeichnis
XIX
Abbildung 50: Metamodell der ECA-Regel. .................................................... 202 Abbildung 51: Metamodell von ECA-Regel und Aktivierungsmatrix .............. 204 Abbildung 52: Metamodell des AvFe-Frameworks ........................................ 206 Abbildung 53: Sprachbasiertes Metamodell des MER-Modells ..................... 211 Abbildung 54: Die konkrete Syntax des MER-Modells ................................... 212 Abbildung 55: Erweiterungen des MER-Metamodells ................................... 216 Abbildung 56: Zweckregel-Hierarchie mit dem erweiterten MER-Modell .... 218 Abbildung 57: Submodel Business Rule .........................................................220 Abbildung 58: Geschäftsregeln in ECAA-, ECA- und EA-Notation .................. 221 Abbildung 59: Prozesslandkarte GoodBank AG ............................................. 228 Abbildung 60: Vertriebsstruktur der GoodBank AG ....................................... 229 Abbildung 61: Relationenschema der Datenbank GoodBank_OLTP .............. 230 Abbildung 62: Konzeptionelles Modell des Hypercubes GoodBank1 ............ 232 Abbildung 63: ECA Regel "Filiale9-1" .............................................................233 Abbildung 64: Zweckregel-Hierarchie Preispolitik ......................................... 236 Abbildung 65: Datenquellensicht GoodBank1 ............................................... 238 Abbildung 66: Datenfluss der Zweckregel Gesamtvertrieb ........................... 243 Abbildung 67: Ergebnis der MDX-Abfrage ..................................................... 244 Abbildung 68: Ablaufsteuerung der Zweckregel-Hierarchie Preispolitik ....... 245 Abbildung 69: Konzeptionelles Modell des Hypercubes Goodbank_KW ....... 250 Abbildung 70: ECA-Regel Kredit1JO .............................................................251 Abbildung 71: Zweckregel-Hierarchie Kreditwürdigkeit ................................ 253 Abbildung 72: Datenquellensicht GoodBank_KW .......................................... 254 Abbildung 73: Datenfluss Coral8-Projekt Kredit1_70 .................................... 256 Abbildung 74: Ablaufsteuerung der Zweckregel-Hierarchie Kreditwürdigkeit .....................................................................258 Abbildung 75: Sprachbasiertes Metamodell des ER-Modells ........................ 268
xx
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 76: Die konkrete Syntax des ER-Modells ......................................270 Abbildung 77: Sprachbasiertes Metamodell der EPK .....................................272 Abbildung 78: Sprachbasiertes Metamodell der eEPK ...................................275 Abbildung 79: Die konkrete Syntax der EPK ................................................... 276 Abbildung 80: Prozessorientiertes Metamodell der EPK ...............................279
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Klassifikationsmerkmale von Informationssystemen ............... 31
Tabelle 2:
Ergebnismatrix .......................................................................... 68
Tabelle 3:
Formulierungsdefekte von Zielen ............................................. 78
Tabelle 4:
Anforderungen .......................................................................... 92
Tabelle 5:
Fachliche Anforderungen an operative und analytische Informationssysteme ................................................................ 97
Tabelle 6:
CL-Anfrage ..............................................................................119
Tabelle 7:
Struktur von Analyseregeln .................................................... 134
Tabelle 8:
Primäre Dimensionsebene Produkt ........................................135
Tabelle 9:
Hypercube SalesMarburgThisYear und zugehöriger Entscheidungsschritt ............................................................... 137
Tabelle 10:
Anatyseregel ChangePriceofproducts ....................................•139
Tabelle 11:
Ergebnismatrix von ECA-Regeln mit Zuständen ..................... 162
Tabelle 12:
Vollkommenes Informationssystem-Modell .......................... 164
Tabelle 13:
Kennzahlenbereiche ............................................................... 164
Tabelle 14:
Aktivierungsmatrix .................................................................. 165
Tabelle 15:
Zweckregel-Hierarchie in Tabellenform .................................. 174
Tabelle 16:
Repräsentationsanalyse des MER-Modells ............................. 213
Tabelle 17:
Repräsentationsanalyse des regel basierten Ansatzes ............ 222
Tabelle 18:
Tabelle Kredit der Datenbank GoodBank_OLTP .....................233
Tabelle 19:
Aktivierungsmatrix Konsumentenkredit_Flliale9 ...................234
Tabelle 20:
MDX-Skript zur Berechnung von Kennzahlenwerten .............239
Tabelle 21:
MDX-Skript zur Berechnung des KPI-Status ............................ 240
Tabelle 22:
T-SQL-Skript zur Definition einer ECA-Regel ........................... 241
XXII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 23:
Konnektortabelle KonsumentenkreditJiliale9 ......................242
Tabelle 24:
Multidimensionale MDX-Anfrage ...........................................243
Tabelle 25:
Daten zur Prüfung der persönlichen Kreditwürdigkeit ........... 249
Tabelle 26:
Konnektortabelle Kreditl ....................................................... 257
Tabelle 27:
Beschränkungen der direkten Vorgänger-Nachfolger-Beziehung ........................................... 274
Tabelle 28:
Modellierungssprachen und verwendete Elementtypen ....... 277
Abkürzungsverzeichnis ARIS
Architektur integrierter Informationssysteme
AvFe-Framework
Framework zur Automatisierung von Führungsentscheidungen
bzgl.
bezüglich
CCL
Continuous Computation Language
CEP
Complex Event Processing
CQL
Continuous Query Language
DBMS
Datenbankmanagement-System
DSMS
Datenstrommanagement-System
DSS
Decision Support Systems
ECA
Event Condition Action
eEPK
erweiterte ereignisgesteuerte Prozessketten
EIS
Executive Information Systems
eo
element-of
EPK
Ereignisgesteuerte Prozessketten
ER-Modell
Entity-Relationship-Modell
FASMI
Fast Analysis of Shared Multidimensionalinformation
Fn.
Fußnote
GoM
Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung
hA
hinreichende Anforderung
IKS
Informations- und Kommunikationssysteme
io
instance-of
IS
Informationssysteme
ISR
Information Systems Research
KI
Künstliche Intelligenz
Abkürzungsverzeichnis
XXIV
KPI
Key Performance Indieator
MDX
Multidimensional Expressions
MER-Modell
Multidimensionales Entity-Relationship-Modell
MIS
Managementinformationssystem
MSDNAA
Microsoft Developer Network Academic Alliance
MSS
Management Support Systems
nA
notwendige Anforderung
o.J.
ohne Jahr
ODS
Operational Data Store
OLAP
Online Analytical Processing
OLTP
Online Transaction Processing
pO
part-of
SQL
Structured Query Language
SSAS
SQL Server Analysis Services
5515
SQL Server Integration Services
sso
subset-of
sto
subtype-of
WKD
Wertschöpfungskettendiagramm
WKWI
Wissenschaftliche Kommission Wirtschaftsinformatik
XPS
Expertensysteme
ZE
Zielerreichungsgrad
Teil I: Problemstellung, Terminologie und Grundlagen
1
Einführung
1.1
Problemstellung und Forschungsziele
• Will the corporotion be managed by machines?n1 In den vergangenen Jahren sind auf sämtlichen ökonomischen Märkten tiefgreifende Veränderungen zu beobachten, welche die Arbeit von Führungskräften deutlich erschweren. Zum einen ist auf der Nachfrageseite eine zunehmende Individualisierung zu konstatieren, was bspw. zu wachsender Produktvielfalt und neuen Geschäftsmodellen zum profitablen Verkauf von Nischenprodukten (.the long tail·) führt.' Zum anderen ermöglicht moderne Informationstechnologie auf der Angebotsseite eine bessere Informationsdiffusion, was zu einem extrem harten Wettbewerb (.Hypercompetition·) zwischen den Anbietern führt.' Eine Konsequenz der skizzierten Entwicklung ist, dass die Führungskräfte der involvierten Unternehmen eine ständig steigende Anzahl an bedeutenden und umfassenden Entscheidungen - sogenannte Führungsentscheidungen - treffen müssen, damit die Unternehmen in dem beschriebenen Wettbewerbsumfeld erfolgreich bestehen können.' Da viele dieser Entscheidungen zur Erzielung des maximalen ökonomischen Effekts zudem mit möglichst wenig Latenz getroffen werden müssen, stellt sich die Frage, wie Führungskräfte die ständig wachsende Zahl an Entscheidungen in ihrer knappen Arbeitszeit bewältigen können.'
Siman (1977), S. 11. Vgl. Bucklin et 01. (199B), S. 239 11.; Anderson (2006). Vgl. D'Aveni, Gunther (1994). Vgl. Bucklin et al. (1998), S. 239. Der Begriff der Führungsentscheidung wird ausführlich in Abschnitt 3.2 behandelt. Latenz beschreibt den Zeitraum zwischen dem Eintreten eines Ereignisses und dem Treffen einer entsprechenden Maßnahme. Die Minimierung der Latenz ist bei Führungsentscheidungen unter der Annahme sinnvoll, dass der Wert einer Entscheidung umso größer
ist, je früher diese ergriffen wird. Siehe ausführlich Abschnitt 4.3.1.1.
J. Rommelspacher, Automatisierung von Führungsentscheidungen, DOI 10.1007/978-3-8348-8251-6_1, © Vieweg + Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Einführung
4
Führungskräfte werden bei ihren Entscheidungen durch analytische Informationssysteme unterstützt." Diese Systeme sind in den vergangenen Jahrzehnten konzeptionell und technisch gereift, wodurch sich Informationsversorgung und Entscheidungsunterstützung von Fach- und Führungskräften grundlegend verbessert haben.' Analytische Informationssysteme zielen allerdings auf eine Steigerung der Entscheidungsqualität und weniger auf eine Steigerung der Entscheidungsquantität ab. Da die bereitgestellten Informationen teilweise aufwändig verarbeitet werden müssen, sind sogar negative Effekte auf die Entscheidungsquantität denkbar. Ausgehend von den geschilderten Rahmenbedingungen ist die Überlegung naheliegend, strukturierte, explizierbare und regelmäßig auftretende Führungsentscheidungen zu automatisieren." Dadurch können Führungskräfte von Entscheidungen entlastet werden, sodass diese sich auf unstrukturierte und nicht-automatisierbare Entscheidungen konzentrieren können. In der Literatur existieren einige Ansätze zur Automatisierung von Führungsentscheidungen.
9
Diese zielen darauf ab analytische Informationssysteme um (aktive) Komponenten anzureichern, die beim Eintreten wohldefinierter Ereignisse selbstständig Aktionen anstoßen und somit Entscheidungen treffen. Obgleich von Praktikern ein ho her Bedarf an derartigen Systemen geäußert wird'o und sich die Wissenschaft bereits seit langem mit solchen Systemen beschäftigt, ist die praktische Akzeptanz und Verbreitung bisher als gering einzuschätzen." Der Grund für die geringe Verbreitung wird darin gesehen, dass die bisher vorgeschlagenen Ansätze die Automatisierung von Führungsentscheidungen
Das Ziel analytischer Informationssysteme ist es. den adäquaten Zugang von Fach- und Führungskräften zum Produktionsfaktor Information sicherzustellen und dadurch (taktische und strategische) Entscheidungen zu unterstützen und zu verbessern. Siehe Abschnitt 4.1 zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit analytischen Informationssystemen. Vgl. zu Reifegradmodellen (Maturity Models) Eckerson (2004); Dittmar, Schulze (2006);
Schulze, Dittmar (2006). Vgl. zu empirischen Untersuchungen des Reifegrades Chamoni et al.
(2004); Chamoni, Gluchowski (2004).
10
11
Die Übernahme menschlicher Aufgaben durch Maschinen wird im Folgenden als Automatisierung bezeichnet. Siehe Abschnitt 4.3. Vgl. Russel (2007), S. 4 ff.j Vesset (2007), S. 5. In einer Studie stellen Chamoni et al. (2004), S. 126 f. fest, dass weniger als 1 % der befragten Unternehmen ein sogenanntes Active Oata Warehause einsetzen.
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
s
nicht auf die richtige Art und Weise unterstützen. Ehe diese These überprüft werden kann, ist zunächst zu zeigen, dass Führungsentscheidungen grundsätzlich automatisierbar sind. Anschließend werden aus theoretischen und praktischen Überlegungen Anforderungen formuliert, die ein Informationssystem erfüllen muss, um Führungsentscheidungen automatisieren zu können. Es lässt sich somit zusammenfassen: Das erste Forschungsziel dieser Arbeit ist es zu ermitteln, ob und wie Führungsentscheidungen automatisiert werden können. Die hergeleiteten Anforderungen können anschließend existierenden Ansätzen zur Automatisierung und Unterstützung von Führungsentscheidungen gegenübergestellt werden, wodurch Entwicklungsdefizite erkennbar werden. Für die dabei ermittelten Defizite werden im weiteren Verlauf der Arbeit Lösungsvorschläge erarbeitet. Das zweite Forschungsziel besteht in der Entwicklung von Lösungsvorschlägen zur Beseitigung der ermittelten Entwicklungsdefizite bei der Automatisierung von Führungsentscheidungen.
1.2
ForschungskonzeptIon und Aufbau der Arbeit
Nachdem im vergangenen Abschnitt mit den Forschungszielen definiert wurde,
was in dieser Arbeit erforscht wird, wird in diesem Abschnitt hergeleitet, wie die Forschungsziele erreicht werden können. Zugleich können die Forschungsziele im Laufe des Abschnitts detailliert werden. Bei der Suche nach einer geeigneten Forschungskonzeption ist die Orientierung an existierenden Konzeptionen der wissenschaftlichen Gemeinschaft - in dieser Arbeit ist dies die Wirtschaftsinformatik - naheliegend." Allerdings gibt es sowohl in der Wirtschaftsinformatik als auch in der nordamerikanisch geprägten Information Systems Research (lSR) - wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen - eine kontroverse Diskussion darüber, welches Forschungsparadigma und welche Forschungsmethoden zu den gewünschten Forschungser-
12
Vgl. Schütte (1999), S. 214.
6
Einführung
gebnissen führen." Ohne die Diskussion hier im Einzelnen nachzuvollziehen, ist zu konstatieren, dass es keine allgemein anerkannte Forschungskonzeption in der Wirtschaftsinformatik gibt, an der sich der Forscher orientieren kann. Es scheint sich vielmehr - ebenso wie in anderen Wissenschaften, die von Menschen geschaffene Gegenstände (sogenannte Artefakte
l4
)
untersuchen - die
Position durchzusetzen, dass sowohl präskriptive als auch deskriptive Forschungsmethoden notwendig sind.
lS
Ausgehend von der Überlegung, dass sich
Wissenschaftler in einer pluralistischen und multiparadigmatischen Disziplin wie der Wirtschaftsinformatik weitgehend frei positionieren können, gewinnt Transparenz eine wesentliche Bedeutung: Nur wenn Konstruktionsentscheidungen und Annahmen einer Forschungskonzeption transparent gemacht werden, können die Forschungsergebnisse von der wissenschaftlichen Gemeinschaft eindeutig nachvollzogen und beurteilt werden. Dabei kann auf umfangreiche Vorarbeiten der Wissenschaftstheorie zurückgegriffen werden. Darüber hinaus gibt es innerhalb der Wirtschaftsinformatik (und auch der ISR) eine Fülle an wissenschaftstheoretischen Diskussionen und Vorarbeiten.
13
Die ISR Ist traditionell geprägt von einem verhaltenwissenschaftlichen Forschungsparadigma. Bereits seit Ende der 1980er Jahre wird in der ISR unter der Dichotomie uRigor vs. Relevance"
darüber diskutiert, ob die empirische Forschung verhaltenswissenschaftlicher Prägung zu den gewünschten Forschungsergebnissen führt und wie diese verbessert werden können. Vgl.
Galliers, land (1987); Banville, landry (1989); March, Smith (1995); Galliers (1995); Benbasat, Weber (1996); Siman (1996); Keck
14
15
et al. (2002); Benbasat, Zmud (2003); Rosemann, Vessey
(2008). Im Zuge dieser Diskussion ist die Bedeutung des konstruktionsorientierten Forschungsparadigmas in der ISR grundsätzlich gewachsen. Vgl. March, Smith (1995); Hevner et al. (2004); Frank (2006); Frank (2007); Zelewski (2007). Obwohl die Wirtschaftsinformatik traditionell einen Methodenpluralismus verfolgt, ist sie doch stark geprägt vom konstruktionsorientierten Forschungsparadigma. Vgl. zur wissenschaftstheoretischen Diskussion in der Wirtschaftsinformatik: Schütte (1998); Dresbach (1999); Schütte (1999); Frank (2002); Becker et al. (2003a); Frank (2003); Goeken (2003); Frank (2006); Becker, Niehaves (2007). Aufgrund zunehmender internationalisierungstendenzen wird in jüngster Zeit das verhaltensorientierte Forschungsparadigma auch in der Wirtschaftsinformatik stärker berücksichtigt. Der Begriff stammt von den lateinischen Begriffen ars und factum ab und bedeutet wörtlich "das durch Bearbeitung Gemachte". Vgl. March, Smith (1995) S. 252; Hevner et al. (2004). Während bei deskriptiven Erkenntniszielen die Erforschung und das Verständnis der Realität von zentraler Bedeutung sind, zielen präskriptive Gestaltungsziele auf die Schaffung und Veränderung realer Dinge und Sachverhalte ab. Vgl. zu dieser Differenzierung Becker et al. (2003a), S. 11 ff.; Goeken (2003), S. 11 ff.
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
7
Im Folgenden wird die Forschungskonzeption dieser Arbeit schrittweise hergeleitet, wobei zunächst in Abschnitt 1.2.1 ausgehend von den dargestellten Forschungszielen ein Forschungsparadigma ausgewählt wird, dem in dieser Arbeit gefolgt wird. Dieses gibt bereits einen gewissen Rahmen bzgl. der wissenschaftsthearetischen Grundpositionen vor, die anschließend in Abschnitt
1.2.2 definiert werden. Darauf aufbauend wird in Abschnitt 1.2.3 eine Forschungsmethode konfiguriert, mit deren Hilfe die definierten Forschungsziele
erreicht werden können. Aus der damit fertiggestellten Forschungskonzeption ergibt sich der Aufbau der Arbeit, welcher in Abschnitt 1.2.4 präsentiert wird. Die Konstruktion der Forschungskonzeption ist überblicksartig in Abbildung 1 dargestellt. Durch die nach unten abnehmende Balkenbreite ist angedeutet, dass die Entscheidungsspielräume in Abhängigkeit von den bereits getroffenen Entscheidungen von oben nach unten abnehmen. Abbildung 1: Konstruktion der Forschungskonzeption
Forschungsziele '--_ _ _ _ _ _ _ _ _....:..:;(Abschnitt lr.1.'-J_ _ _ _ _ _ _ _ _----'
Forschungsparadigma (Abschnitt 1.2.1) L -_ _ _ _ _ _ _ _~~ r~--------~
Wissenschaftstheoretische Gru ndpositionen (Abschnitt 1.2.2)
~------....:..:;
~------~
Aufbau der Arbeit (Abschnitt 1.2.4)
8
Einführung
1.2.1
Forschungsparadigma
Wissenschaftliche Erkenntnis ist nach FRANK durch die Merkmale Originalität, Abstraktion und Begründung geprägt." Die Originalität betont, dass es sich nur um wissenschaftliche Erkenntnis handelt, wenn diese neuartig in Bezug auf den bisherigen Wissensbestand einer Disziplin ist. Wissenschaftliche Forschung zielt außerdem auf allgemeingültige, d. h. abstrakte Aussagen ab. Die Forderung nach Abstraktion schließt Aussagen, die lediglich einzelne Beispiele erklären oder beschreiben, aus. Aus einer originellen und abstrakten Aussage wird allerdings erst eine wissenschaftliche Erkenntnis, wenn für die Aussage eine wissenschaftliche Begründung gegeben wird. Ein Forschungsparadigma stellt einen Rahmen für wissenschaftliche Forschung zur Verfügung und beschreibt die Vorgehensweise, wie wissenschaftliche Erkenntnis (mit den beschriebenen Merkmalen) erlangt werden kann.
17
Aus die-
ser Beschreibung lässt sich eine .Grobstruktur· bzgl. möglicher wissenschaftstheoretischer Grundpositionen und Forschungsmethoden ermitteln. Dabei können innerhalb einer Disziplin mehrere Forschungsparadigmen parallel existieren, wobei eine Forschungsarbeit in Abhängigkeit von den verfolgten Forschungszielen jeweils einem bestimmten Forschungsparadigma fOlgt.18 In der Wirtschaftsinformatik und ISR sind zwei Forschungsparadigmen verbreitet, zwischen denen sich der Forscher in Abhängigkeit von seinen Forschungszielen entscheiden muss. 1. Das verhaltenswissenschaftliche Forschungsparadigma wurde ursprünglich in der Psychologie entwickelt und zielt darauf ab, das Verhalten von Lebewesen mithilfe naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden zu untersuchen.'" Das Merkmal der Neuartigkeit ist im verhaltenswissenschaftlichen 16 11
18 19
Vgl. Frank (2006), S. 33 ff.; Frank (2007), S. 172. Der Begriff des Forschungsparadigmas geht zurück auf Kuhn (1975). Er unterscheidet verschiedene Phasen des wissenschaftlichen Forschens. Nach einer "vorparadigmatischen Phase" gibt es in "normalen Zeiten" ein dominierendes Paradigma, das einen Rahmen für wissenschaftliche Forschung bereitstellt. In "revolutionären Zeiten" kommt es im Anschluss an Probleme mit dem geltenden Paradigma zu einem Paradigmenwechsel. Nach Kuhn wird wissenschaftlicher Fortschritt Insbesondere in revolutionären Zeiten generiert. Im Gegensatz zu Kuhn geht der Verfasser nicht davon aus, dass In einer wissenschaftlichen Disziplin (dauerhaft) nur ein Forschungsparadigma existieren kann. Ähnlich argumentieren March, Smith (1995). Vgl. Frank (2007), S. 162.
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
9
Forschungsparadigma erfüllt, wenn aus Theorien interessante und neuartige Hypothesen über das (menschliche) Verhalten deduziert werden." Die Begründung wissenschaftlicher Hypothesen erfolgt durch die empirische Überprüfung derselben. Können Hypothesen nicht verworfen werden, so werden diese nach und nach zu leistungsfähigeren Theorien verdichtet. Diese Abstraktion zielt darauf ab, die Realität besser zu erklären (und vorherzusagen). In der ISR und in der Wirtschaftsinformatik werden mittels des verhaltenswissenschaftlichen Forschungsparadigmas Theorien überprüft und (weiter-)entwickelt, .that explain or predict organizational and human phenomena surrounding the analysis, design, implementation, management, and use of information systems.
u21
Zu diesem Zweck werden aus ein-
schlägigen Theorien" Hypothesen über Informationssysteme und deren Nutzung deduziert und empirisch überprüft." Die Forschungsergebnisse des verhaltenswissenschaftlichen Forschungsparadigmas sind primär deskri ptiver Art. 2. Das
24
konstruktionsorientierte
Forschungsparadigma
(Design
Science)
stammt aus den Ingenieurwissenschaften und zielt auf die Schaffung (und Evaluation) neuer und innovativer Gegenstände (Artefakte) zur Lösung identifizierter Probleme ab." In Anlehnung an BRETZKE wird in dieser Arbeit unter einem Problem eine .subjektiv wahrgenommene Abweichungen zwischen Erreichtem und Erwünschtem verbunden mit einem ursprünglichen Mangel an Wissen, diese Lücke zu schließen·,'· verstanden." Während das 20
In Anlehnung an den kritischen Rationalismus sind insbesondere Hypothesen mit einem hohen Informationsgehalt und hohem Widerlegungsrisiko zu bevorzugen. Vgl. zum kritischen Rationalismus Albert (1978); Albert (1982); Albert (1991); Popper, Feyerabend (1992a); Popper, Feyerabend 11992b); Albert (1994); Popper (1994); Popper (1998); Popper (2000); Popper (2004).
23
Hevner et al. (2004), S. 76. Eine Sammlung in der ISR verbreiteter Theorien findet sich unter http://www.fsc.yorku.ca/yorkjistheory/wiki/index.php/Main_Page. Vgl. Becker et al. (2003a), S. 3 f. Die empirische überprüfung setzt voraus, dass die zentralen Begriffe einer Hypothese so operationalisiert werden, dass sie empirisch überprüft werden können. Für die Datenerhebung stehen Verfahren wie Beobachtung.. Interviews oder auch Dokumentenanalysen zur Verfilgung.
"
Vgl. March, Smlth (1995), S. 252.
21 22
25 26 27
Vgl. March, Smith (1995), S. 253; Hevner et al. (2004), S. 77. Bretzke (1980), S. 34. Dresbach (1999), S. 76 ff. formuliert und diskutiert die Merkmale von Problemen ausführlich.
Einführung
10
Merkmal der Originalität im konstruktionsorientierten Forschungsparadigma verlangt, dass es sich um neuartige Probleme handelt, fordert die Abstraktion, dass mithilfe des konstruierten Artefakts eine ganze Klasse an Problemen gelöst wird. Die Forderung nach Abstraktion ist besonders zu betonen, da im Rahmen konstruktionsorientierter Forschung immer die Gefahr besteht, lediglich singuläre Problemlösungen (z. B. in Praxisprojekten) zu produzieren, die keinen (wissenschaftlichen) Erkenntnisgewinn darstellen.'· Das Begründungspostulat verlangt, dass die Anforderungen an ein Artefakt - also die Problembeschreibung - sowie spätere Entwurfsentscheidungen zu begründen und zu evaluieren sind." Während das Paradigma in der deutschen Wirtschaftsinformatik bei der Gestaltung prototypischer Artefakte zur Lösung konkreter Probleme der betrieblichen Praxis seit Jahrzehnten eine große Bedeutung hat, ist es in der ISR lange Zeit kaum beachtet worden. Obwohl bereits Mitte der 1990er Jahre die Verwendung des konstruktionsorientierten Paradigmas in der ISR gefordert wurde'", wird erst seit einem vielbeachteten Artikel von HEVNER et al." kontrovers über die Verwendung konstruktionsorientierter Forschungsmethoden für den wissenschaftlichen Entwurf von Artefakten diskutiert." Die Forschungsergebnisse des konstruktionsorientierten Forschungsparadigmas sind präskriptiv." Wie das zweite Forschungsziel der Arbeit erkennen lässt, orientiert sich die vorliegende Arbeit am konstruktionsorientierten Forschungsparadigma. Übertragen auf die Terminologie des Forschungsparadigmas werden die Entwicklungsdefizite bestehender Ansätze im Folgenden als auslösendes Problem und die zu entwickelnden Lösungsvorschläge als Artefakte bezeichnet. Je nach
" " 30
31
32 33
Vgl. Frank 12002), s. 7; Goeken 12003), S. 6; Frank 12006), S. 5; Frank (2007). Vgl. Frank (2007), S. 179. Vgl. March, Smith (1995). Nicht zu vergessen ist auch die Übertragung des konstruktionswissenschaftlichen Forschungsparadigmas auf die Forschung zur KOnstlichen Intelligenz durch Siman (1996). Vgl. Hevner et al. (2004). Vgl. Frank (2007), S. 167 ff.; Zelewski (2007). Vgl. March, Smith (1995), S. 252.
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
11
Unterstützung der Problemlösung, werden in dieser Arbeit Artefakte unterschieden in Frameworks, Modelle, Methoden, Techniken und Instanzen." Framewarks dienen der zweckgerichteten Strukturierung und Gestaltung eines 35
Untersuchungsgegenstandes. Zur Darstellung verschiedener Aspekte integrieren Frameworks heterogene Modelle, welche zur Lösung eines Problems erstellt werden und sich zur Komplexitätsreduktion auf einen ausgewählten Aspekt sowie ausgewählte Merkmale beschränken. Die Automatisierung von Führungsentscheidungen stellt ein komplexes Problem dar, bei dem verschiedene Aspekte zu lösen sind, die jeweils von Teilmodellen berücksichtigt werden. Zur Integration der verschiedenen Modelle wird in dieser Arbeit ein Framework zur Automatisierung von Führungsentscheidungen, das sogenannte AvFe-Framework, entwickelt. Dieses gibt eine grundsätzliche Orientierung, wie Führungsentscheidungen automatisiert werden können. Bei der Erstellung der Teilmodelle wird die fachliche (betriebswirtschaftliche) Beschreibung als wesentliche Herausforderung aufgefasst. Zur fachlichen Beschreibung ist insbesondere die Kommunikation mit Führungskräften und Fachabteilungen von Bedeutung, weshalb sich diese Arbeit auf sogenannte (fach-) konzeptionelle Modelle konzentriert." Die Begriffe Framework und Modell werden in den Abschnitten 2.3 bzw. 2.4 ausführlich diskutiert. Methoden sind Vorschriften wie planmäßig, angeleitet durch Prinzipien" zur
Erreichung festgelegter Ziele vorzugehen ist." Unter einer Methode wird ein weitgehender Ansatz verstanden, der vollständig beschreibt, wie relativ hoch angesiedelte Ziele - etwa die Entwicklung eines Informationssystems oder die
34
35
36
Vgl. March, Smith (1995); Hevner et al. (2004), S. 78 ff. unterscheiden explizit Konstrukte, Modelle, Methoden und Instanzen. In dieser Arbeit soll eine leicht abweichende Terminologie verwendet werden. Frameworks werden von Hevner et al. (2004) nicht explizit als Artefakte erwähnt. Jedoch enthält Fig. 2 auf S. 80 Frameworks. Vgl. hierzu Zelewski (2007), S. 90. Siehe zur Unterscheidung in (fach-)konzeptionelle, logische und physische Modelle Abschnitt
2.4.3. 37
38
Prinzipien sind allgemeine und abstrakte Grundsätze bzw. Strategien des Handeins. Stahlknecht, Hasenkamp (2005), S. 212. nennen etwa die Top-Down- und die Bottom-UpVorgehensweise als Prinzipien der Informationssystementwicklung. Prinzipien sind nicht Bestandteil einer Methode, sondern methodenübergreifend. Vgl. Becker et al. (2001), S. 6. Vgl. March, 5mith (1995); Becker et al. (2001), 5. 5 ff.; Stahlknecht, Hasenkamp (2005), S. 212.
12
Einführung
Erreichung von Forschungszielen - erreicht werden." Eine Methode enthält
Techniken, die konkret und zielgerichtet die Handlungsweise für bestimmte (Teil-)Ziele oder Aufgaben darstellen.
40
Im Rahmen dieser Arbeit wird keine
abgeschlossene Methode entwickelt, den Nutzern des AvFe-Frameworks sollen jedoch geeignete Techniken zur Erstellung der Teilmodelle zur Verfügung gesteilt werden. Ein operationalisierter Ansatz zur Erstellung eines Modells wird als Modellierungstechnik bezeichnet.
41
Diese enthält eine Modellierungsspra-
ehe, in der das Modell zu formulieren ist und eine Handlungsanleitung, die beschreibt, wie unter Verwendung der Sprache ein Modell erzeugt wird. Der Begriff der Modellierungstechnik wird ausführlich in Abschnitt 2.5 dargestellt. Da Modellierungssprachen das grundlegende und wesentliche Element einer Modellierungstechnik darstellen, konzentriert sich die Arbeit aus Gründen der Forschungsökonomie auf Modellierungssprachen.
42
Instanzen demonstrieren die Machbarkeit, indem konstruierte Artefakte in ein funktionierendes System übertragen werden." Solche (prototypischen) Implementierungen sind wesentlicher Bestandteil konstruktionsorientierter Forschungsarbeiten und werden auch zur Begründung wissenschaftlicher Erkenntnis herangezogen.
44
Auch in dieser Arbeit wird ein Prototyp entwickelt,
um die Realisierbarkeit der entwickelten Artefakte zu belegen.
1.2.2
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen
Ausgehend von den genannten Forschungszielen und in Anlehnung an das konstruktionsorientierte Forschungsparadigma werden in diesem Abschnitt die wesentlichen wissenschaftstheoretischen Positionen dieser Arbeit dargelegt. Dies betrifft einerseits die Annahmen über Beschaffenheit (Ontologie) und Erkennbarkeit (Erkenntnistheorie) der untersuchten Realwelt und andererseits die der Begründung wissenschaftlicher Aussagen zugrundeliegende Wahrheits39
40 41
42 43 44
Vgl. Heym, Österle (1992), S. 9. Umstritten ist in der Literatur insbesondere das Verhältnis zwischen Vorgehensmodellen und Methoden. Vgl. Goeken (20061. S. 51 ff. für eine
ausführliche Diskussion. In dieser Arbeit ist Methode der umfassendere Begriff und kann Vorgehensmodelle zur Beschreibung der erforderlichen Aktivitäten enthalten. Heym, Österle (1992), S. 9; Strahringer (1996), S. 91. Vgl. Strahringer (1996), S. 91; Holten (2000), S. 4. Siehe Abschnitt 2.5. Vgl. Bichler (2006), S. 133. Siehe Abschnitt 1.2.3.
13
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
konzeption. Die genannten Aspekte inklusive möglicher Ausprägungen werden im Folgenden kurz erläutert:
45
Ontologie ist die Wissenschaft des Seins und beschäftigt sich damit, was der
Gegenstand der Erkenntnis ist und wie dieser ist.
46
Während der ontologische
Realismus davon ausgeht, dass es eine Realwelt gibt, die unabhängig von der menschlichen Erkenntnis existiert, geht der ontologische Idealismus davon aus, dass die Realwelt ein Produkt des menschlichen Bewusstseins ist.
47
Die Erkenntnistheorie beschäftigt sich mit der Frage, ob eine externe Realität zumindest prinzipiell objektiv erkannt werden kann." Die Ausprägung des erkenntnistheoretischen Idealismus geht davon aus, dass dies nicht möglich ist und die Realität daher subjektiv konstruiert wird. Demgegenüber behauptet der erkenntnistheoretische Realismus, dass ein objektives Erkennen zumindest prinzipiell möglich ist. Während der erkenntnistheoretische Realismus einen ontologischen Realismus präsupponiert, ist die ontologische Position im Falle eines erkenntnistheoretischen Idealismus nicht vorgegeben. Die Kombination von ontologischem Realismus und erkenntnistheoretischem Idealismus wird als gemäßigter Konstruktivismus bezeichnet. Demgegenüber wird die Verknüpfung aus ontologischem und erkenntnistheoretischem Idealismus als radikaler Konstruktivismus bezeichnet. Wie bereits ausgeführt, ist die Begründung (neben Originalität und Abstraktion) wesentliches Merkmal wissenschaftlicher Erkenntnis." Mithilfe welcher Begründungsverfahren und -kriterien wissenschaftliche Erkenntnis auf Wahrheit überprüft wird, hängt von der Wahrheitstheorie ab, die zur Konstruktion der Wahrheitskonzeption herangezogen wird. Es werden die folgenden Wahrheitstheorien unterschieden:
45
46 47
48 49
Die genannten Aspekte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vgl. bspw. Becker, Niehaves (2007), S. 199 für ein Review in der Wirtschaftsinformatik verbreiteter Aspekte. Vgl. Schwemmer (1984), S. 1077 f. Vgl. Becker, Niehaves (2007), S. 202 f. Dort wird bzgl. der Ontologie darüber hinaus noch die vermittelnde Position von Kant genannt. Diese geht davon aus, dass einerseits Betrachtungsgegenstände unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existieren und andererseits auch Gegenstände existieren, die an das menschliche Bewusstsein gebunden sind. Vgl. Schütte (1998), S. 26. Vgl. Frank (2007), S. 172 f.
14
•
Einführung
Nach der Korrespondenztheorie der Wahrheit ist eine Aussage dann wahr, wenn sie mit der Realwelt korrespondiert. Die Korrespondenztheorie setzt einen ontologischen und erkenntnistheoretischen Realismus voraus. Ausgehend von der Überlegung, dass letztlich kein absolutes Begründungskriterium formulierbar ist, kann es allerdings nur konjekturales Wissen geben. Die Schwierigkeiten, die bei der Begründung einer Begründungsstrategie entstehen, werden auch als Münchhausen-Trilemma bezeichnet.
•
50
Die Konsenstheorie der Wahrheit geht davon aus, dass etwas wahr ist, "wenn jeder Sachkundige und Gutwillige hätte zustimmen können."51 Die Richtigkeit einer wissenschaftlichen Aussage wird somit in einem wissenschaftlichen Diskurs überprüft, wobei es keine finale und endgültige Richtigkeit geben kann. Die Konsenstheorie verlangt keinen ontologischen Realismus.
•
Nach der Kohörenztheorie der Wahrheit ist eine Aussage dann wahr, wenn sie sich "konsistent begrifflich und logisch zusammenhängend in ein konsistentes, begrifflich und logisch zusammenhängendes und außerdem umfassendes System umgangssprachlicher und wissenschaftssprachlicher Aussagen einbetten lässt."52
Da das gewählte konstruktionsorientierte Forschungsparadigma eine Orientierung für mögliche wissenschaftstheoretische Grundpositionen gibt, wird in Abschnitt 1.2.2.1 zunächst eine denkbare wissenschaftstheoretische Basis des gewählten Paradigmas knapp dargestellt, ehe in Abschnitt 1.2.2.2 eine Positionierung für diese Arbeit erfolgt.
so
51
Nach Albert (1991), S. 15 endet jeder Begründungsversuch entweder in einem unendlichen Begründungsregress (regressus ad infinitum), einem Begründungszirkel (circulus vitiosus) oder der nichtbegründbaren dogmatischen Auszeichnung einer Begrandungsbasis. Vgl. auch MIttelstraB (1984), S. 945 f. Lorenz (1996a), S. 595. Nach Habermas (1971) S. 124 ist Wahrheit die ... potenzielle Zustimmung aller anderen Lorenz (1996a), S. 595 in geänderter Orthografie. H
•
52
15
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
1.2.2.1
Wissenschaftstheoretische Fundierung des konstruktionsorientierten Forschungsparadigmas
Während die wissenschaftstheoretische Basis konstruktionsorientierter Forschung in der ISR weitestgehend ungeklärt ist, hat in der deutschsprachigen Wirtschaftsinformatik die wissenschaftstheoretische Schule des Konstruktivismus eine gewisse Bedeutung erlangt.53 Insbesondere die sogenannte Erlanger Schule, deren wesentliche Vertreter KAMLAH und LoRENZEN sind, ist im Kontext der Informationssystementwicklung intensiv diskutiert worden, weshalb diese hier in Grundzügen dargestellt wird.
54
Die Vertreter der Erlanger Schule gehen
davon aus, dass Wissenschaft sich nicht nur mit einer gegebenen Realität beschäftigt, sondern dass diese im Wesentlichen sozial konstruiert ist (ontologischer Idealismus). Ausgehend von der konstatierten "babylonischen Sprachverwirrung" in den Sozialwissenschaften und den damit einhergehenden Unklarheiten und Missverständnissen betonen die Erlanger Konstruktivisten die Bedeutung einer präzisen, eindeutigen und zirkelfreien Wissenschaftssprache.
55
Eine soiche logische Kunstsprache ("Orthosprache") ist nach KAMLAH und
LORENZEN im Sinne einer logischen Propädeutik als Vorschule des vernünftigen
Redens zu definieren.'" Die rekonstruierte Sprach basis erlaubt anschließend eine wissenschaftliche Argumentation und Diskussion. Dabei wäre nach dem Gusto der Erlanger Konstruktivisten jeder Schritt präzise, eindeutig und zirkelfrei zu begründen. Mithilfe dieses Prinzips - das auch als Beratungsprinzip oder Transsubjektivitätsprinzip bekannt ist - sollen alle Teilnehmer eine Argumentation intersubjektiv nachvollziehen können. Die Wahrheitskonzeption der Erlanger Konstruktivisten wird auch als Dialogtheorie bezeichnet und ist eine mögliche Spielart der Konsenstheorie, wobei im Gegensatz zur Konzeption von HABERMAS der Schwerpunkt auf der Bedeutung der Sprache liegt und nicht auf 53
54
55 56
In jüngster Zeit ist insbesondere die wissenschaftstheoretische Fundierung des erwähnten Vorschlags von Hevner et al. (2004) intensiv diskutiert worden. Die Meinungen gehen dabei durchaus auseinander. Während Zelewski (2007), S. 7S hinter dem wissenschaftstheoretischen Framework eine wissenschaftlich aufgeklärte Position sieht, unterstellt Frank (2007), S. 168 den Autoren ein "mechanistisch/positivistisches Weltbild", welches das verhaltenswissenschaftliche Forschungsparadigma nicht grundsätzlich in Frage stellt. Vgl. zur Erlanger Schule: Lorenzen (1973); Lorenzen (1978); Lorenzen (1987); Kamlah, Lorenzen (1996). Vgl. zur Diskussion In der WIrtschaftsinformatik bspw. Wedeklnd, Ortner (1980); Ortner et al. (1990); Ortner (1998); Ortner (2002); Becker et al. (2003a); Becker, Niehaves (2007). Vgl. Seidel (2001), S. 44. Vgl. Kamlah, Lorenzen (1996).
16
Einführung
den Bedingungen, unter denen die Teilnehmer einen Konsens finden können.
57
WEDEKIND und ORTNER haben die Prinzipien des sprach kritischen Ansatzes der Erlanger Schule auf die Entwicklung von Informationssystemen übertragen.'" ORTNER schlägt dabei vor, bei einem Informationssystementwicklungsprojekt die relevante Fachterminologie umfassend zu rekonstruieren. Die resultierende Normsprache wird anschließend verwendet, um eindeutige und präzise Modelle erstellen zu können. Die dargestellten (möglichen) Grundpositionen des konstruktionsorientierten Forschungsparadigmas sind idealtypische Positionen, auf deren Basis im folgenden Abschnitt die wissenschaftstheoretischen Grundpositionen dieser Arbeit erarbeitet werden.
1.2.2.2
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen dieser Arbeit
Zur Darstellung der wissenschaftstheoretischen Grundpositionen wird unterschieden zwischen dem Realitätsverständnis, bestehend aus ontologischem und erkenntnistheoretischen Aspekten, und der Wahrheitskonzeption.'"
RealItätsverständnis. Während die Erlanger Konstruktivisten klare Aussagen bzgl. der Ontologie vermeiden, wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Realwelt unabhängig von der menschlichen Erkenntnis existiert. Die Annahme eines ontologischen Reolismus ist notwendig, um bei der Konstruktion 60
von Artefakten falsche von richtigen Handlungen unterscheiden zu können. Die zu erstellenden Artefakte beziehen sich somit auf Teile einer real existierenden Welt und zielen auf die Lösung realer Probleme ab. Weiter wird davon ausgegangen, dass die objektiv existierende Welt nur subjektiv erkannt werden kann (erkenntnistheoretischer Idealismus). Diese Positi-
on ist in der vorliegenden Arbeit notwendig, da davon ausgegangen wird, dass das Erkennen eines Problems durch subjektive Wahrnehmungen und die Konstruktion von Artefakten immer durch subjektive Entscheidungen geprägt ist.
57 58
S9
60
Vgl. zur Dialogtheorie bspw. Lorenz (1996a), S. 599. Vgl. Wedekind, Ortner (1980); Ortner et al. (1990); Ortner (1998); Ortner (2002); Becker et al. (2oo3a); Becker, Nlehaves (2007). Vgl. Becker, Niehaves (2007), S. 206 ff. Den Vorschlag von Becker, Niehaves (2007) verwendet etwa auch Delfmann (2006) zur wissenschaftstheoretischen Positionierung. Vgl. Schütte (1998), S. 26 f.
17
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
Eine vollständige Eliminierung des subjektiven Einflusses - wie dies etwa der kritische Rationalismus annimmt - ist bei der Konstruktion von Artefakten nicht möglich.·' In Verbindung mit der Position eines ontologischen Realismus wird in dieser Arbeit somit eine gemäßigt-konstruktivistische Erkenntnisposition eingenommen. Trotz der grundsätzlichen Skepsis bzgl. der objektiven Erkenntnisfähigkeit ist das Streben nach möglichst weitgehender Objektivierung 2
wesentlicher Gegenstand dieser Arbeit.·
Wahrheitskonzeption. Ausgehend von den ontologischen und erkenntnistheoretischen Positionen dieser Arbeit kann einer korrespondenztheoretischen Wahrheitskonzeption nicht gefolgt werden. Da sich Wahrheitskonzeptionen grundsätzlich gegenseitig nicht ausschließen, werden Konsenstheorie und Kohärenztheorie im Folgenden kombiniert, um eine möglichst weitgehende und vielseitige Begründung der wissenschaftlichen Aussagen zu erreichen.·' Mithilfe des Begründungskriteriums der Kohärenztheorie werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit jeweils auf ihre Kohärenz zur existierenden Literatur evaluiert und überprüft. Wenn sie im Lichte der existierenden Literatur sinnvoll erscheinen, so wird dies als Indiz für eine wahre Aussage angesehen. Das Begründungskriterium der interpersonellen Verifizierung ist innerhalb dieser Arbeit nicht anwendbar, da die Bedingungen für einen Konsens in einem wissenschaftlichen Diskurs schon deshalb nicht erfüllt sind, weil die Gruppe der Sachkundigen nicht antworten kann. Allerdings werden in Anlehnung an Dialogtheorie und Transsubjektivitätsprinzip Begriffe vor ihrer Verwendung zunächst eingeführt und definiert, sodass Leser dieser Arbeit die Argumentation nachvollziehen können und somit die Möglichkeit haben, später in die wissenschaftliche Diskussion einzugreifen. Darüber hinaus werden Artefakte als Medien und als Diskussionsgrundlage zur Herstellung eines möglichen späteren Konsenses betrachtet.
61 62 63
Vgl. Delfmann (2006), S. 23. Vgl. Schütte (1998), S. 29; Schütte (1999), S. 229. Vgl. Lorenz (1996a), S. 595 f.; Frank (2006), 5. 15.
18
Einführung
1.2.3
Forschungsmethode
Nachdem Grundpositionen und Forschungsziele expliziert sind, kann die Forschungsmethode festgelegt werden. Eine Forschungsmethode beschreibt, wie planmäßig zur Lösung einer wissenschaftlichen Problemstellung vorzugehen ist. Dafür enthält eine Forschungsmethode einerseits Konzepte, die die Strukturierung des Forschungsgegenstandes ermöglichen und andererseits eine Vorgehensweise, die die Entwicklung von Forschungsergebnissen darstellt." In der Literatur werden verschiedene Forschungsmethoden vorgeschlagen, systematisiert und diskutiert."5 Vor dem Hintergrund heterogener Forschungsziele und -gegenstände sowie der unklaren wissenschaftstheoretischen Fundierung der Wirtschaftsinformatik scheint die strenge und dogmatische Anwendung einer idealtypischen Forschungsmethode nicht sinnvoll zu sein. Vielmehr können die verfügbaren Forschungsmethoden als kombinierbar aufgefasst und zu einer für das jeweilige Projekt maßgeschneiderten Forschungsmethodik konfiguriert werden"" Die Konfiguration muss allerdings nach bestimmten Regeln erfolgen, um sicherzustellen, dass eine Forschungsmethodik die notwendigen Bestandteile (Konzepte) enthält. Im Folgenden wird ein Framework von FRANK zur Konfiguration einer solchen Methodik verwendet'" Zur Strukturierung eines Forschungsprojektes werden folgende Konzepte einer Forschungsmethodik unterschieden: Das Erkenntnisziel bezieht sich auf einen Forschungsgegenstand und wird repräsentiert durch eine Darstellung. Bezogen
auf das Erkenntnisziel unterscheidet Frank zwischen dem abstrakten und konkreten Erkenntnisangebot, welche durch das Begründungskriterium und das
zugehörige Begründungsverfahren legitimiert bzw. geprüft werden.
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67
68
58
Die Kon-
Vgl. Frank (2007), S. 161 f. Vgl. bspw. Galliers, land (1987); Galliers (1995); Becker et al. (2003a); Goeken (2003); Wilde, Hess (2007). Vgl. in diesem Kontext die Überlegungen von Feyerabend (1976) zur "Wissenschaftsmethodologie als anarchisches System". Vgl. Frank (2006), S. 40 ff. Die Arbeit enthält auch Anwendungsrichtlinien und Fallbeispiele für das vorgeschlagene Framework. Vg!. zur Konfiguration zudem Frank (2007), S. ISS ff. Vg!. Frank (2006), S. 40 ff.
19
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
zepte sind mit ihren Beziehungen als Entity-Relationship(ER)-Modell in Abbildung 2 dargestellt." Abbildung 2: Konzepte einer Forschungsmethodik
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Vgl, Frank (2006), S, 42.
Die einzelnen Konzepte werden im Folgenden mit Bezug auf diese Arbeit eingeführt:
1. FRANK unterscheidet bzgl. des Erkenntnisziels zwischen der Konstruktion neuen Wissens und der Kritik bestehenden Wissens,7. In dieser Arbeit steht die Konstruktion neuen Wissens im Vordergrund, wobei dieses Erkenntnisziel auf formulierter Kritik und Anforderungen basiert.
"
70
Siehe zum ER-Modell Anhang A. Vgl. Frank (2006), S. 40 f.
20
Einführung
2. Das abstrakte Erkenntnisangebot eines Forschungsprojektes differenziert FRANK weiter in die Abstraktion des Faktischen und die Abstraktion des Intendierten. Die Abstraktion des Faktischen beschreibt das Streben nach neuen Konzepten (wie z. B. Theorien) auf einem hohen Abstraktionsniveau zum besseren Verständnis und Erklären der existierenden Welt. Die Beschreibung möglicher Welten und die Beschreibung wie mögliche Welten zu erreichen sind, wird dagegen als Abstraktion des Intendierten bezeichnet. In der vorliegenden Arbeit werden beide Abstraktionen angewendet. Einerseits ist die Konstruktion neuer Artefakte (Framework, Modellierungssprachen) eine Beschreibung, wie mögliche Welten zu erreichen sind und somit eine Abstraktion des Intendierten. Andererseits wird für die Konstruktion auch auf bestehende Konzepte zurückgegriffen und somit auch teilweise vom Faktischen abstrahiert.
71
3. Das konkrete Erkenntnisangebot dieser Arbeit besteht in der Entwicklung eines Frameworks zur Automatisierung von Führungsentscheidungen und in der Auswahl und Konstruktion domänenspezifischer Modellierungsspraehen, die mit dem genannten Framework harmonieren. Bei der Konstruktion der Artefakte wird auf bestehende Konzepte und Theorien (z. B. aus der System- oder Entscheidungstheorie) zurückgegriffen. Eine wesentliche Annahme dieser Arbeit, die eine Abstraktion des Faktischen darstellt und in Abschnitt 1.1 bereits dargestellt wurde, ist die Überlegung, dass ein grundsätzlicher Bedarf an steigender Automatisierung ausgewählter Führungsentscheidungen existiert. 4. Der Forschungsgegenstand besteht aus dem Handlungssystem und aus der 72
Klasse von Informationssystemen , die das betrachtete Handlungssystem unterstützen. Das Handlungssystem des Forschungsgegenstandes sind Führungsentscheidungen. Das Informationssystem des Forschungsgegenstan-
71
Vgl. Frank (2006), S. 40 f. In der Wirtschaftsinformatik ist eine klare Trennung zwischen Abstraktion des Faktischen und Abstraktion des Intendierten problematisch, da es keine originären Theorien der WIrtschaftsinformatik gibt. In der Physik werden Abstraktionen des Faktischen etwa durch Theorien begründet, die mehr erklären als bestehende Teile der Realität.
72
Die Klasse der Informationssysteme wird von Frank (2006) als IS Artefact bezeichnet.
Forschungskonzeption und Aufbau der Arbeit
21
des sind Systeme zur Automatisierung und Unterstützung von Führungsentscheidungen. 5. Die Darstellung erfolgt im Wesentlichen in natürlicher Sprache. Teilweise werden auch semi-formale Modellierungssprachen zur Darstellung verwendet. 6. Wesentlicher Bestandteil einer Forschungsmethodik ist die Begründung des Erkenntnisangebotes. Dafür müssen sowohl Begründungskriterien als auch Begründungsverfahren angegeben werden. Wesentlich für die Begründung
eines konstruktionsorientierten Erkenntnisangebotes ist das Ableiten von Anforderungen an die zu schaffenden Artefakte. Die Anforderungen stammen dabei idealerweise aus theoretischen und praktischen Überlegungen, wobei existierende Lösungen die Anforderungen bisher nicht vollständig erfüllen sollten. Validiert werden die Ergebnisse dieser Arbeit anschließend durch die Begründungskriterien Wahrheit (nach der dargestellten Wahrheitskonzeption) und Angemessenheit. Die Angemessenheit ist in konstruktionsorientierten Forschungsprojekten ein wesentliches Begründungskriterium und wird in dieser Arbeit mithilfe eines Prototyps und eines Konformitätstests überprüft." Die erläuterte Forschungsmethodik der Arbeit ist überblicksartig in Abbildung 3 da rgestellt.
73
Im Rahmen des Konformitätstests wird Anforderungen erfüllen.
überprüft, ob Artefakte die formulierten
EinfLihrung
22
Abbildung 3: Modell der Forschungsmethodik
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Zweck
153
Vgl. Wyssusek et al. (2002), S. 243 zum Konzept der Viabilität. Floyd, Klischewski (1998), S. 23 f. heben hervor, dass die Modellbildung als "soziale Konstruktion zu betrachten ist. U
Terminologie und Grundlagen der Informationssystementwicklung
42
Wird einem abbildungsorientierten Modellbegriff gefolgt, können aufgrund des angenommen Zusammenhangs zwischen Original und Modell neue Erkenntnisse, die im Modell erzielt werden auf das Original übertragen werden. Ein solcher Analogieschluss ist bei einem konstruktivistischen Modellverständnis nur eingeschränkt möglich.'54 Es kann festgehalten werden, dass im Bereich der Wirtschaftsinformatik ein konstruktivistischer Modellbegriff zweckdienlicher erscheint, da der Umgang mit dem Phänomen der Subjektivität erleichtert wird. Mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Modellierung (GoM) existiert außerdem bereits ein Ansatz, um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit von Modellen zu verbessern.'55
2.4.2
Model/begriff dieser Arbeit
Der Modellbegriff dieser Arbeit muss mit der in Abschnitt 1.2 explizierten Forschungskonzeption harmonieren. Im gewählten konstruktionsorientierten Forschungsparadigma fungieren Modelle als Artefakte, die zur Lösung eines Problems verwendet werden. Da auch die wissenschaftstheoretischen Grundpositionen, insbesondere der erkenntnistheoretische Idealismus, mit dem konstruktivistischen Modellbegriff vereinbar ist, wird ein solcher im Folgenden verwendet. 15• Ausgangspunkt der Modellbildung ist nach dem konstruktivistischen Modellbegriff ein Problem, d. h. ein Diskrepanzempfinden zwischen Erreichtem und Erwünschten. Zur Lösung des erkannten Problems wird anschließend ein Modell erstellt. Da die Wahrnehmung von Problemen durch Modellnutzer und Modellierer ebenso wie die Lösung der Probleme durch den Modellierer subjektiv ist und die Subjektivität des Problem begriffs auf den Modellbegriff ausstrahlt, wird davon ausgegangen, dass eine Modellbildung außerhalb subjektiver Wahrnehmungen unmöglich ist. Wie bereits in Abschnitt 1.2.2.2 ausgeführt, wird von einer objektiv existierenden Realität ausgegangen, da nach Auffassung des Verfassers ohne diese Annahme keinerlei Norm entwickelbar
154 155
156
Vgl. Wyssusek et al. (2002), S. 244. Vgl. ausfOhrlich Becker et al. (1995); Schatte (1998), S. 111 ff.i Knapper bel Becker, Schatte (2004), s. 12011. Auch Dresbach (1999), S. 74 hält weder einen Realismus noch Konstruktivismus in seiner reinen Form für angebracht in der Wirtschaftsinformatik.
43
Modelle
ist, um "richtige" von "falschen" Modellen zu unterscheiden.
157
Dass die an
dem Modellerstellungsprozess beteiligten Akteure Probleme haben, richtige von falschen Artefakten zu unterscheiden, liegt an dem Realitätszugang selbst. Modelle reduzieren gemäß dem Verkürzungsmerkmal Komplexität, indem sie sich auf ausgewählte Merkmale beschränken. Dabei ist zu betonen, dass komplexe Probleme üblicherweise keinesfalls mithilfe eines einzigen Modells gelöst werden. Es wird vielmehr eine Vielzahl an Modellen eingesetzt, die jeweils einen bestimmten Zweck gemäß dem pragmatischen Merkmal verfolgen. Das einzelne Modell beschränkt sich somit auf einen festgelegten Aspekt des Problems. Basierend auf den dargestellten Überlegungen ergibt sich für die vorliegende Arbeit folgender Modellbegriff: Ein Modell ist ein Artefakt, das zur Lösung eines identifizierten Problems von einem Modellierer für Modellnutzer erstellt wird. Modelle reduzieren durch Beschränkung auf einen Aspekt und ausgewählte Merkmale Komplexität. Je nachdem, auf welche Probleme Modelle fokussieren, werden in dieser Arbeit Informationsmodelle und Entscheidungsmodelle verwendet. Während Informationsmodelle in Abschnitt 2.4.3 vorgestellt werden, werden Entscheidungsmodelle in Kapitel 3.1.2 nach der Darstellung von Entscheidungssituationen vorgestellt. Zum Abschluss wird zur Vereinfachung noch die Sprach regelung festgelegt, dass Informationsmodelle im Folgenden als Modelle bezeichnet werden können. Entscheidungsmodelle dagegen werden immer explizit als solche bezeichnet.
2.4.3
Informationsmodelle
Informationsmodelle stellen einen Modelltyp zur Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Informationssystemen dar.
15
'
Einer der wesentlichen Ein-
satzzwecke dieses klassischen Modelltyps der Wirtschaftsinformatik ist die Unterstützung der Informationssystementwicklung. Informationsmodelle können auf vielfältige Art und Weise klassifiziert werden. In Abbildung 7 werden in
157
158
Ähnlich argumentiert Schütte (1999), S. 224. Vgl. Schütte (1998), S. 63 ff.; vom Brocke (2003), S. 26 f.
Terminologie und Grundlagen der Informationssystementwicklung
44
Anlehnung an SCHÜTTE die für diese Arbeit relevanten Informationsmodellklassen als ER-Modell dargestellt.'59 Abbildung 7: Informationsmodellklassen
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In der Prozesslandkarte wird zwischen Managementfunktionen und Leistungsprozessen differenziert. Letztere werden - wie in Kreditinstituten und Bankbetriebsiehre üblich - zum einen in Privat- und Firmenkundengeschäft und zum anderen in Aktiv-, Passiv- und Indifferenzgeschäft unterschieden.'" Die einzelnen Leistungsprozesse orientieren sich an dem Leistungsprogramm der GoodBank AG in Form der angebotenen Finanzdienstleistungen.'" Die im Folgenden zu automatisierenden Führungsentscheidungen werden bisher im Rahmen der Managementfunktion Vertrieb getroffen, wobei sich die Entscheidungen auf den Leistungsprozess Konsumentenkredit beziehen. In der oben dargestellten Prozesslandkarte sind diese beiden WKD-Symbole daher dunkelgrau schattiert. Nach der Vorstellung der GoodBank AG werden im Folgenden zwei Führungsentscheidungen dargestellt und automatisiert.
7.2
Räumlich differenzierte Preispolitik für Konsumentenkredite
Die GoodBank AG betreibt für Konsumentenkredite eine räumlich differenzierte Preispolitik, indem das Management der Bank für jede Filiale unterschiedli-
634
Vgl. Priewasser (2001).
635
Vgl. Priewasser (2001), S. 401 ff.
Räumlich differenzierte Preispolitik für Konsumentenkredite
229
ehe Mindestzinsen für die Konsumentenkredite vorgibt.
53
•
Dabei bietet jede
Filiale die folgenden standardisierten Konsumentenkredite an: •
Ratenkredit, Laufzeit 12 Monate
•
Ratenkredit, Laufzeit 18 Monate
•
Ratenkredit, Laufzeit 24 Monate
•
Ratenkredit, Laufzeit 36 Monate
•
Annuitätenkredit, laufzeit 48 Monate
637
Die in Abbildung 60 dargestellte Vertriebsstruktur der GoodBank AG besteht aus neun Filialen, welche zu den drei Vertriebsregionen Nord, Mitte und Süd zusammengefasst werden. Abbildung 60: Vertriebsstruktur der GoodBank AG
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